Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung: Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung grundrechtlicher Achtungs- und Schutzpflichten für das subjektiv öffentliche Recht [1 ed.] 9783428471287, 9783428071289

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Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung: Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung grundrechtlicher Achtungs- und Schutzpflichten für das subjektiv öffentliche Recht [1 ed.]
 9783428471287, 9783428071289

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FRANZ DIRNBERGER

Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r , Trier

Band 20

Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung grundrechtlicher Achtungs- und Schutzpflichten für das subjektiv öffentliche Recht

Von Dr. Franz Dirnberger

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dirnberger, Franz: Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung: zugleich ein Beitrag zur Bedeutung grundrechtlicher Achtungs- und Schutzpflichten für das subjektiv öffentliche Recht / von Franz Dirnberger. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Umweltrecht; Bd. 20) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07128-X NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-07128-X

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1990 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. An erster Stelle danke ich ganz herzlich und aufrichtig meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hermann Soell, der diese Arbeit angeregt und mich bei ihrer Anfertigung in nimmermüder Weise unterstützt hat. Ohne seine wertvollen Denkanstöße und seine umfassende Hilfe hätte sie in dieser Form nicht entstehen können. Mein besonderer Dank gilt auch: Herrn Prof. Dr. Rainer Arnold für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und darüber hinaus für sein reges Interesse an dieser Arbeit, seinen fachlichen Rat und die persönlichen Gespräche, in denen er mir viele neue Aspekte der Thematik vermitteln konnte; meinem langjährigen Kollegen und Freund Dr. jur. Thomas Dickert für die zahlreichen Gespräche und anregenden Diskussionen, die den Fortgang dieser Arbeit wesentlich gefördert haben; allen gegenwärtigen und früheren Mitarbeitern des Lehrstuhls für ihre große Hilfsbereitschaft und das stets angenehme Arbeitsklima; Herrn Dr. rer. nat. Matthias Lehr für Rat und Tat bei der Gestaltung und Erstellung der Abbildungen.

Widmen möchte ich diese Arbeit meiner Frau. Regensburg, im Dezember 1990

Franz Dimberger

Inhaltsverzeichnis

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einfiihrong in die Problematik des Drittschutzes

15

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

15

§ 1: Defizite im Naturschutz und in der Landschaftspflege ....................... .

15

Zerstörung von Natur und Landschaft - drei Beispiele .................. . Regelungs- und VoIlzugsdefIzite im Naturschutzrecht .................. .

18

I.

11. III.

Die Ursachen des Vollzugsdeftzits im Naturschutzrecht das Rechtsschutzdeftzit

IV.

........................................... .

............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Beschränkung auf staatliche Kontrollerlaubnisse

11. Ausgangspunkt: Verstoß gegen § 8 BNatSchG III. IV.

26

.........................

29

............ .

11.

35

........................... .

Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im 19. Jahrhundert

........ .

Die Entwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Ende des Nationalsozialismus

§ 4: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - die herrschende Meinung ..

I. 11.

35 35 40

42

Die Schutznormtheorie ........................................... .

42

Weiterentwicklungen der Rechtsprechung

........................... .

46

1.

Grundrechte als subjektiv öffentliche Rechte ...................... .

46

2.

Das Rücksichtnahmegebot

49

§ 5: Kritische Stimmen in der Literatur I.

32 34

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

I.

26

...................

Die Beschränkung auf den öffentlich-rechtlichen Drittschutz Die Vorgehensweise

§ 3: Betrachtungen zur Geschichte des Drittschutzes

19

23

Die Gefahr der "Hypertrophie" des Rechtsschutzes

§ 2: Präzisierung der Problemstellung

I.

15

.......................................

Einigkeit in der Ablehnung der Schutznormtheorie - die Einwände

........

51 51

Inhaltsverzeichnis

8 11.

Unterschiedliche Auffassungen bei der Lösung - die Vorschläge . . . . . . . . . . Die prinzipiell gesetzesunabhängige Herleitung des Drittschutzes 2. Gesetzesabhängige Bestimmungen des subjektiv öffentlichen Rechts 1.

54 55 58

2. Abschnitt:

Das System des DrittKhutzes die Abwehr- und Schutzdimension der Grundrechte § 6: Leitvorstellungen

63

..................................................... ............................................ 11. Die Rolle der Grundrechte ......................................... 111. Die These .......................................................

63 63 64 66

3. Kapitel: Der Abwehrbereieh der Grundrechte

68

I. Wege zum Drittschutz

§ 7: Die Existenz eines Rechts auf Gesetzmäßigkeit

............................. ................................................ 11. Von der allgemeinen Handlungsfreiheit zur allgemeinen Eingriffsfreiheit ... 1. Der umfassende Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 2 Abs. 1 GG als Gewährleistung einer allgemeinen Eingriffsfreiheit 111. Zusammenfassung ................................................ I. Ausgangssituation

§ 8: Die Bestimmung des "Adressaten"

68 68 70 70 72 74

.......................................

75

Die Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie der "faktischen Betroffenheit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die "Adressatentheorie" ........................................ 11. Der Streit um den Eingriffsbegriff - die grundsätzliche Abgrenzung 111. Zusammenfassung

75 75 77 79 82

I.

§ 9: Verantwortung des Staates für private Tätigkeit? I.

........................... Zurechnung über eine staatliche Kontrollerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 83

1. Ansätze in Literatur und Rechtsprechung

83 84 88

.........................

2. Einwände gegen eine Zurechnung 11. Zurechnung aufgrund der Bereitstellung von Normen 1. Grundsätzliche Bedenken 2. Die These vom "präformierten" Grundrechtsschutz ................ . 111. Zurechung aufgrund staatlicher Duldung ............................ . 1. Die These von Schwabe und Murswiek 2. Die Ablehnung einer umfassenden Zurechnung IV. Zusammenfassung

88

89 92 92

93

97

Inhaltsverzeichnis

9

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

98

§ 10: Der "Wandel" im Grundrechtsverständnis in der Literatur

I. 11. III. IV.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Das Phänomen des Bedeutungswandels in der Grundrechtsdogmatik 98 Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung 101 103 Die institutionelle Deutung der Grundrechte 106 Resümee - Wiederentdeckung statt Wandel

§ 11: Erste Ansätze in der Literatur

..........................................

§ 12: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

........................

I. Die Vorbereitungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Das Bekenntnis zur grundrechtlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Leitentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die geschützten Grundrechtsgüter ............................... 3. Die Herleitung der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Schutzpflicht und Drittschutz III. Die Reaktion in der Literatur § 13: Begriffliche Einordnung der grundrechtlichen Schutzpflicht

s. Kapitel:

Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

§ 14: Die Auslegung der Grundrechte

.................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Wortinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Historisch-genetische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die grundsätzliche Bedeutung der Grundrechtsgeschichte . . . . . . . . . ..

108 109 109 111 111 112

114 115

116 117

119 119 120 122 122

2. Kurze Ideengeschichte der Grundrechte 124 3. Die Entstehung des Grundgesetzes 135 III. Systematische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 1. Ausdrücklich normierte Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 2. Die Differenziertheit des Themenkatalogs 140 3. Das Argument der Gesetzesvorbehalte 142 IV. Teleologische Interpretation ..................................... . 144 1. Die Suche nach einem teleologischen Anknüpfungspunkt .......... . 144 2. Die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG ...................... . 146 3. Die grundrechtlich gewährte Freiheit ........................... . 151 V. Zusammenfassung 153 § 15: Die Schutzpflicht als allgemeine Grundrechtsfunktion

..................... . I. Dogmatische Einwände gegen eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht 1. Die Schutzpflicht als zusätzliche Eingriffslegitimation

154 154 154

10

Inhaltsverzeichnis 2. Die Zweipoligkeit der Grundrechte .............................. 11. Grundrechte ohne Schutzpflicht als Ausnahme ........................ 1. Nur vom Staat "bedrohte" Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Schutzpflicht für das Eigentum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . .. 111. Zusammenfassung

155 157 157 158 160 161

6. Kapitel: Die Funktion der grundre«:htlichen Schutzpnicht -

163

insbesondere für den Drittschutz § 16: Grundsätzliche Aspekte der grundrechtlichen Schutzpflicht

..................

I. Anspruch auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen als Folge des Schutzstatus? 11. Funktionsbereiche grundrechtlicher Schutzpflichten 1. Schutzpflicht und Gesetzgeber 2. Schutzpflicht und Exekutive bzw. Judikative III. Die "Resubjektivierung" der grundrechtlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . .. 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Der Ursprung des objektiv-rechtlichen Verständnisses der Schutzpflicht 3. Die identische Situation von Achtungs- und Schutzpflicht in bezug auf ihre Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Subjektivität der Schutzpflicht als Folge des individuellen Charakters der Grundrechte IV. Zusammenfassung § 17: Schutznorm und Schutzpflicht

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Grundrechtliche Schutzpflichten und die herkömmliche Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Zusammenhang zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht und einfachem Gesetz ......................................... 2. Die Auswirkungen der Verfassung auf den verwaltungsrechtlichen Begriff des subjektiv öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Überobligationsmäßige Erfüllung der Schutzpflicht durch den Gesetzgeber 1. Der Grundsatz: Drittschutz für die ganze Norm

2. Die "Vermutung" für den Drittschutz 111. Zusammenfassung § 18: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

163 163

164 164 168 169 169 170 172 177

179 180 180 180 183 189 189 193 197

..................... .

I. Rücksichtnahmegebot und "schweres und unerträgliches" Betroffensein

198 198

11. Art. 2 Abs. 1 GG als subjektiv öffentliches Recht die "Geretsried"-Entscheidung .................................... . 201 III. Die "Krabbenfischer"-Entscheidung ............................... . 202

Inhaltsverzeichnis

11

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einnuß auf private Tätigkeiten

205

§ 19: Allgemeine Abgrenzung von Abwehr und Schutz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Formen staatlicher Einflußnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Abgrenzungsversuche in der "Grauzone" .............................

205 205 208

1. Die Vorschläge in der Literatur ................................. 2. Die eigene Lösung - Grundrechtsgeltung für die Begünstigten? 111. Zusammenfassung

208 210

§ 20: Die praktische Anwendung der Abgrenzung von Abwehr und Schutz

213

......... . I. Die Planfeststellung nach § 17 BFStrG ............................. . 11. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG ............. . 1. Grundrechtsträgerschaft der Betreibergesellschaften atomarer Großanlagen? 2. Die friedliche Nutzung der Kernenergie als Betätigung privatautonomer, grundrechtlicher Freiheit 3. Das Problem der Interesseneinheit von Betreibern und Exekutive ..... III. Die Genehmigung nach § 5 BImSchG IV. Zusammenfassung

213 213 218

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

237

§ 21: Die beiden Legitimationslinien für die Einschränkung von Klagemöglichkeiten

I. Die Gefahr der Popularklage und die Grundrechte des Begünstigten 11. Subjektiv öffentliche Rechte und Betroffenheit § 22: Die Betroffenheit im "Dreieck"

........................................ . I. Notwendigkeit einer normativen Betroffenheit ....................... . 11. Das Problem des abgegrenzten Personenkreises ...................... . 1. Grundsatz ................................................. . 2. Die Rechtsprechung von Bundesverwaltungsgericht und BGH ....... . 3. Massenhaftes Betroffensein und Popularklage 111. Der "Einwirkungsbereich" des Vorhabens ........................... . IV. Zusammenfassung

§ 23: Die Betroffenheit beim Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen

218 228 232 233 235

237 237 239 240 240 242 242 243 244

246 247

I. Eingrenzung über die Faktizität des Betroffenseins

................... .

248 248

11. Beispiele für die Existenz faktischer Abgrenzungen

................... .

249

Das "interet pour agir" beim "recours pour exces de pouvoir" ........ . 2. Das Selbstbetroffensein bei der Verfassungsbeschwerde ........... . III. Abgrenzungskriterien für die faktische Betroffenheit .................. . IV. Zusammenfassung

249

1.

251 252 254

12

Inhaltsverzeichnis

§ 24: Die eingeschränkte Bestandskraft von Verwaltungsakten als Einwand

gegen die Ausweitung von KIagemöglichkeiten ...................... . .... . ..................................... . I. Der grundsätzliche Einwand 11. Die Gegenargumentation 111. Zusammenfassung

255 255 256 259

3. Abschnitt:

Drittschutz im Naturschutzrecht

260

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

260

§ 25: Grundrechtliche Anknüpfungspunkte für Naturschutz und Landschaftspflege

I. Allgemeines

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Das allgemeine Umweltgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Tatbestandliche Eingrenzung auf ein Grundrecht auf Naturgenuß IV. Das Recht auf Naturgenuß und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG .................. 1. Die Bestimmung des Begriffs "körperliche Unversehrtheit" . . . . . . . . .. 2. Die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für ein Recht auf Naturgenuß

260 260 261 263 265 265 269

§ 26: Entwicklung neuer Nominatfreiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG

. . . . . . . . . . . . . . . .. 270 . . . . . . . . . . .. 270 1. Art. 2Abs. 1 GG als auch materielles Grundrecht .................. 270 2. Gesellschaftliche Dynamik und statische Verfassung ................ 274 3. Der materielle Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .................... . 275 11. Kriterien für die Entwicklung neuer Nominatfreiheiten ................ . 278 1. Die faktisch-funktionale Komponente ........................... . 278 I. Die Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG im Grundrechtssystem

2. Die inhaltliche Komponente ................................... . III. Die Befugnis zur Konkretisierung des Art. 2 Abs. 1 GG IV. Zusammenfassung

283

288 290

291 291 1. Die tatsächliche Situation ..................................... . 292 2. Rechtliche Anknüpfungspunkte 295

§ 27: Ableitung eines Grundrechts auf Naturgenuß

............................ .

I. Die faktisch-funktionale Komponente des Rechts auf Naturgenuß

Zusammenfassung ............................................

299

11. Die "Nähe" des Rechts auf Naturgenuß zu anderen Grundrechten 1. Erholung in Natur und Landschaft und Menschenwürde .............

3.

299 299

2. 3.

Das Recht auf Naturgenuß und andere Freiheitsrechte .............. Zusammenfassung..............................................

300 302

Inhaltsverzeichnis

13

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

303

§ 28: Eingriffsregelung und grundrechtliche Schutzpflicht

........................ I. Grundsätzliche Erwägungen ....................................... 11. Die Einwände gegen den subjektiven Charakter des Naturschutzrechts 1. Das Argument der "Konsequenz" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Das Argument der "anderweitigen Erholungsmöglichkeit" . . . . . . . . . ..

§ 29: Die Betroffenheit durch den naturschädigenden Eingriff

... . . . . . . . . . . . . . . . ..

303 303 305 305 306 309

I. Die Ermittlung des Betroffenenkreises als Prüfstein für ein subjektiv

öffentliches Recht auf Naturgenuß .................................. 11. Die Stimmen im Schrifttum ........................................ III. Kriterien zur Bestimmung des Betroffenenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Bedeutung der räumlichen Entfernung 3. Konkretisierung der Kriterien IV. Zusammenfassung

309 310 313 313 313 314 316

Zusammenfassung in Thesenfonn ...........................................

317

Literaturverzeichnis

330

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung in die Problematik des Drittschutzes 1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang

der Untersuchung

§ 1: Defizite im Naturschutz und in der Landschaftspflege

L Zerstörung von Natur und Landschaft - drei Beispiele Wenn in einem Gebiet "wertvolle und empfindliche Brutbiotope" liegen, wenn es in seiner gesamten Ausdehnung "ein bedeutendes Rastbiotop für Zugvögel" darstellt, das darüber hinaus "Aufenthaltsort und Nahrungs- und Brutgebiet für die reiche Vogelwelt" des angrenzenden Seengebiets ist und wenn es schließlich "mit seinen Landschaften als ökologischer Ausgleichsraum" für ein südlich gelegenes Ballungsgebiet dient\ scheint die Notwendigkeit einer Unterschutzsteßung dieser Fläche auf der Hand zu liegen. Von den geschilderten ökologischen Funktionen ist jedoch mittlerweile wenig übriggeblieben. Wo früher lediglich Sumpfgebiete, einige landwirtschaftlich genutzte Flächen und kleinere dörfliche Ansiedlungen zu finden waren, kann man jetzt bereits riesige Bauten sehen. Aus dem Erdinger Moos wird der Großflughafen München 11. Die Naturzerstörung macht am Flughafenzaun nicht halt. Wegen der durch die Baurnaßnahmen bedingten Grundwasserabsenkung verschwinden noch in kilometerweiter Entfernung vom Flughafengelände Feuchtflächen, die nach der Entwässerung sofort intensiv landwirtschaftlich genutzt werden - mit aß den für diese Wirtschaftsweise typischen Begleiterscheinungen wie starker Düngung und Einsatz von Pestiziden und Insektiziden. Der Flughafen verlangt auch nach optimaler Verkehrsanbindung, so daß durch neue Autobahnen, Schnellstraßen und Bahnverbindungen zahlreiche Biotope zerschnitten werden und noch mehr bis1 Diese und ähnliche Aussagen finden sich im PIanfeststellungsbeschluß für den Flughafen München 11, zit. nach einer Meldung der SZ vom 5./6. August 1989.

16

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

lang relativ unberührte Natur verloren geht. Resultat: Von den 1979 gezählten 32 Paaren des seltenen großen Brachvogels waren 1989 nur noch 7 vorhanden. Der Steinkauz und die wohl letzten Sumpfohreulen Bayerns, die im Erdinger Moos ebenfalls ihren Lebensraum gefunden hatten, sind ganz verschwunden. Von den im Planfeststellungsbeschluß vorgesehenen Ausgleichsflächen nach § 6a BayNatSchG von 230 ha Größe hat die Betreibergesellschaft des Flughafens praktisch noch nichts realisiere. Ein zweites Beispiel: Nordwestlich von Augsburg befindet sich der Naturpark "Augsburg - Westliche Wälder", ein über 100 000 ha großes Gebiet zwischen Donau, Schmutter, Wertach und Mindel, das von Wanderern und Erholungssuchenden vor allem aus Augsburg und Umgebung als Naherholungsgebiet genutzt wird, seit kurzem allerdings nur noch in eingeschränktem Maß. Die Ruhrgas AG führt in diesem Gebiet Probebohrungen für die Anlage eines unterirdischen Gasspeichers durch, der auf einer Fläche von ca. 15 km 2 300 bis 500 Millionen m3 Erdgas aufnehmen soll. Oberirdische technische Anlagen sollen nach Angaben der Ruhrgas AG mindestens 5 ha Land benötigen. Gegen das Großprojekt beginnt sich bereits massiver Bürgerprotest zu formieren 3• Und schließlich ein Blick in den ökologisch so wertvollen und gleichzeitig so belasteten Alpenraum. Obgleich im Landesentwicklungsprogramm Bayern nur noch ausnahmsweise ein weiterer Ausbau von Skigebieten zugelassen werden so1l4, sieht die Praxis anders aus. Am Lenggrieser Brauneck wurde offensichtlich mit Wissen der lokalen Behörden allerdings ohne Genehmigung mit dem Bau eines Dreisitzer-Sessellifts begonnen. Erst nachdem sich die regionale und überregionale Presse dieses Themas angenommen und Naturschützer eine Petition an den bayerischen Landtag gerichtet hatten, ließ das Wirtschaftsministerium die Bauarbeiten einstellens. Nur wenige Kilometer entfernt, am Wallberg bei Rottach-Egern, sollte das dortige Skigebiet in großem Umfang ausgebaut werden. Massive Proteste von Umweltorganisationen führten zwar dazu, daß das Vorhaben (noch) nicht in der ursprünglich geplanten Dimension durchgeführt wird, immerhin 2 Vgl. zu dem Beispiel "Flughafen München 11" Kerstin Vogel: "Die Natur bleibt auf der Strecke", in: SZ vom 5./6. August 1989. 3 Vgl. zu dem Beispiel "Naturpark Augsburg - Westliche Wälder" Petra Heilingbrunner: Gasspeicher im Naturpark", in: SZ vom 11./12. November 1989. 4 Vgl. LEP Bayern, Anlage zur va über das LEP Bayern, Teil A) IX. 8. 8., S. 100f. 5 Vgl. zu dem Beispiel "Lenggrieser Brauneck" Peter Stöbich: "Ein Trauerspiel mit ungewissem Ende", in: SZ vom 12. April 1989.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

17

wird zur Zeit aber ein Wildbach, der sogenannte KIaffergraben, an dem so seltene Pflanzen wie der Ungarische und der Gelbe Enzian gedeihen, aufgefüllt, planiert und zu einer "familienfreundlichen" Abfahrt umgestaltet6• Mit jedem Tag, mit jeder Stunde, mit jeder Minute geht in der Bundesrepublik Deutschland ein Stück Natur unwiederbringlich verloren. Die drei eben dargestellten Beispiele erhellen nur schlaglichtartig eine ganz allgemeine Tendenz. Täglich werden nur für Siedlungszwecke ca. 120 ha Landschaft "verbraucht,,7. Die dadurch tatsächlich in Mitleidenschaft gezogene Fläche vergrößert sich durch visuelle, akustische und ökologische Seitenund Zerschneidungseffekte noch um ein Vielfaches. Der galoppierende Artenschwund ist an der jährlich zunehmenden Zahl gefährdeter Pflanzen- und Tierarten in der Roten Liste abzulesen8 • Boden, Luft und Wasser werden ständig durch industrielle, landwirtschaftliche und sonstige Nutzungen in hohem Maße belastet; es seien nur die Schlagworte "Altlasten", "neuartige Waldschäden" und "Belastung des Grundwassers mit Nitrat und Pflanzenschutzmitteln" genannt, die mittlerweile auch in der juristischen Fachliteratur einen festen Platz eingenommen haben. Die Gründe, warum trotz verstärkter Anstrengungen die Zerstörung von Umwelt, Natur und Landschaft weiter rapide fortschreitet, sind vielfältig. An dieser Stelle kann natürlich nicht der Frage nachgegangen werden, welche Entwicklungen aus dem Bereich des "Faktischen" dafür verantwortlich sind. Vielmehr muß es vor allem darum gehen, die juristische Komponente der Problemstellung etwas genauer zu untersuchen. Auf rechtlichem Gebiet sind dabei insbesondere zwei Ursachen auszumachen: das Fehlen umweltschutzrechtlicher Vorschriften (Regelungsdefizit) und - wenn solche Regelungen existieren - deren man-

6 Vgl. zu dem Beispiel "Wallberg" Klaus Ott: "Ein Bachbett am Wallberg wird zur Skipiste", in: SZ vom 24. August 1989. 7 Vgl. den Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1986, BT-DrS. 10/6027, Teil 1, Kapitel 2.2, S. 28; Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 365. Der Begriff des "Landschaftsverbrauchs" hat sich trotz seiner Ungenauigkeit so eingebürgert, daß er auch hier benutzt wird. 8 Zur Zeit sind in der Bundesrepublik ca. 47 % aller Säugetierarten, 38 % aller Vogelarten, 75 % aller Kriechtierarten, 58 % aller Amphibien und 70 % aller Fischarten ausgestorben oder aktuell gefährdet, Blab u. a. (Hrsg.), Rote Liste der gefährdeten Tiere in der Bundesrepublik Deutschland; Plachter, in: Ringvorlesung Naturschutz, S. 100, 109; die Zunahme des Artenschwunds wird eindrucksvoll durch folgende Gegenüberstellung belegt: in den letzten 2000 Jahren sind von den höheren Wirbeltierarten ca. 200 Arten ausgestorben, davon 100 Arten in den letzten 100 Jahren und davon wieder 76 Arten in den vergangenen 50 Jahren, vgl. Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 364.

Dimberger 2

18

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

gelnder Vollzug (VollzugsdefIZit) 9; und es sei die These gewagt, daß - zumindest was den Natur- und Landschaftsschutz anbetrifft - der letztgenannte Mangel größere Bedeutung hat. Il. Regelungs- und Vollzugsdejizite im Naturschutzrecht

Die Annahme, daß im Naturschutzrecht das Vollzugsdefizit im Vordergrund steht, bedeutet allerdings keinesfalls, daß der gegenwärtige Rechtszustand in materieller Hinsicht keine Schwächen aufweisen würde. Dies wurde im Schrifttum wiederholt und ausführlich dargetan lO, so daß hier nur zwei besonders gravierende und grundsätzliche Mängel nochmals angesprochen werden sollen. Zum einen ist dies die trotz anfänglicher Hoffnungen auch in der beabsichtigten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wieder aufgenommene Abwägungsklausel des § 1 Abs. 2 BNatSchGII . Darin wird festgelegt, daß die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes bereits auf der fachlichen Ebene den sonstigen öffentlichen und privaten Interessen gegenübergestellt und mit diesen abgewogen werden müssen. Die einem Fachgesetz an sich wesensfremde Vorschrift zeichnet damit den faktischen Nachrang der Naturschutzbelange in der Rechtsanwendung bereits vor 12 • Viel ist auch schon über den Unsinn der Landwirtschaftsklauseln geschrieben worden. Vor allem die Regelung in § 1 Abs. 3 BNatSchG privilegiert die agrarökonomisch arbeitende Landwirtschaft angesichts ihrer häufig bereits industriell anmutenden Produktionsweise ohne den geringsten Recht9 Das Begriffsverständnis ist teilweise uneinheitlich; hier wird unter dem Begriff des Regelungsdejizits verstanden der Unterschied zwischen dem Ist-Zustand vorhandener Normen und dem anzustrebenden Soll-Zustand, der sich v. a. aus den umweltpolitischen Zielsetzungen ergibt; angesprochen ist also der Gesetzgeber. Vollzugsdejizit bedeutet, daß eine Norm inhaltlich von der Verwaltung nicht oder nicht ausreichend angewendet wird; angesprochen ist damit die Verwaltung. Zu der Begriffsbildung vgI. HartJropf / Bohne, Umweltpolitik, Bd. 1, S. 237f; SChomerus, Defizite, S. 9ff; Stich, PS für Ule, S. 215, 217ff; Ule / Laubinger, Gutachten, B 13f; der Gelehrtenstreit um die Deduktion des Begriffes ist allerdings in der Sache wenig hilfreich, so zurecht Gassner, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 4, 5. 10 Z. B. neuerdings Schomerus, DefIZite, S. 102ff m. v. w. N.; vgl. zur Eingriffsregelung auch die Empfehlungen des Deutschen Rats für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 37lf. 11 Vgl. den Entwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 27.2.1989 einerseits und die Stellungnahme des Vertreters des BMU Bobben, in: Neue Leitbilder, S. 68, andererseits. 12 Vgl. Soell, NuR 1980, 1,5; ders., in: Ringvorlesung Naturschutz, S. 61, 63; Stenschke, in: Naturschutz und Recht, S. 95, 102.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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fertigungsgrund 13 • Es bleibt zu hoffen, daß der Gesetzgeber den in der Literatur immer wieder geäußerten, mahnenden Appellen folgt und diese Vorschrift bei der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes endgültig streiche4 • Die Bereiche des Regelungs- und des Vollzugsdefizits weisen auch in verschiedener Weise untereinander Bezüge auf. Häufig wird durch die mangelnde Konkretheit des naturschutzrechtlichen Normprogramms eine verzögerte und erschwerte Anwendung der Vorschriften indizieres, man denke nur an die Problematik der Landschaftsplanungl6 • Trotzdem kann man in weiten Bereichen des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege feststellen, daß materiell durchaus genügende Vorgaben vorhanden wären, daß diese aber nicht in die Praxis umgesetzt werden, ein Zustand, der sich mit dem zugegebenermaßen nicht immer treffenden Begriff des Vollzugsdefizits umschreiben läßt. IIJ. Die Ursachen des Vollzugsdejizits im Naturschutzrecht das Rechtsschutzdejizit

Es existieren sicherlich eine ganze Reihe von Ursachen, die zu "Vollziehungsrückständen" im Naturschutzrecht geführt haben. Häufig sind vor allem die unteren Naturschutzbehörden personell 17 und finanziell 18 völlig un\3 Vgl. Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 363; ders., in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 46 (1985), S. 537, 555; Fischer-Hüftle, BayVBI. 1987, 614,615; Larz, Naturschutzrecht, § 1, Rz. 4b; Soell, NuR 1980, 1, 5f; ders., in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 506. Umfassend zu den Landwirtschaftsklauseln Henneke, Landwirtschaft und Naturschutz, S. 206ff. 14 Nachdem eine Streichung des § 1 Abs. 3 BNatSchG in einem frühen Stadium des Novellierungsverfahrens geplant war, vgl. Apfelbacher, in: Neue Leitbilder, S. 72; Bobben, ebd., S. 68, soll sie jetzt wieder unverändert übernommen werden. IS Gassner, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 4, 5; Mayer-Tasch, Umweltrecht im Wandel, S. 13; Niessiein, in: Vollzugsdefizite im Naturschutz, S. 127, 135ff; Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 18ff; SChomerus, Defizite, S. 102; Stenschke, in: Naturschutz und Recht, S. 95, 97ff. 16 Vgl. dazu Soell, in: Ringvorlesung Naturschutz, S. 61, 67ff; siehe auch die in FN 53 genannten Autoren. 17 Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 41 (1983), S. 5, 8; Kisker, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 488; Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 507; StiCh, FS für Ule, S. 215, 231ff.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

zureichend ausgestattet und verfügen nicht über den in diesem Bereich nötigen Sachverstand l9 • Mängel stecken auch in der institutionellen, funktionellen und perzeptionellen Organisation der Naturschutzaufgaben 20 • So ist es eher kontraproduktiv, wenn § 8 Abs. 2 BNatSchG es ausgerechnet den federführenden Fachbehörden überläßt, bei der Entscheidung über die Zulassung von Eingriffen die naturschutzrechtlichen Fragen wie Vermeidbarkeit bzw. notwendige Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu beurteilen, und das lediglich im Benehmen mit den Naturschutzbehörden21 • Auf die häufig fehlende oder nur in Ansätzen vorhandene Landschaftsplanung, die ja Grundlage für die Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes bei der konkreten Verwaltungsentscheidung sein sollte, wurde bereits hingewiesen. Einen ganz entscheidenden Grund für das Vollzugsdefizit gerade im Naturschutzrecht stellt jedoch zweifellos der Mangel an Rechtsschutzgewährung auf diesem Gebiet dar22• Die grundsätzliche Möglichkeit, behördliche Entscheidungen zu gerichtlicher Kontrolle zu stellen, kann in verschiedener Hinsicht zu einer verbesserten Anwendung von Vorschriften führen. Vordergründig geht es dabei zunächst darum, daß das Gericht rechtswidrige Maßnahmen aufhebt. Nicht unterschätzt werden darf allerdings auch der mittelbare Einfluß der Überprüfbarkeit. Zum einen gerät die Exekutive in einen gewissen Kontrolldruck, d. h. sie wird angesichts einer drohenden gerichtlichen Nachprüfung gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Beachtung der naturschutzrechtlichen Regelungen legen23 • Zum anderen kann einer politischen Einflußnahme gerade auf der Ebene der unteren Naturschutzbehörden dadurch entgegengeDefizite, S. 89; anschaulich Tesdorpf, Landschaftsverbrauch, S. 42Hf. Gassner, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 4, 5; Knauer, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 516, 519; Tesdorpf, Landschaftsverbrauch, S. 405. 18 SChomerus,

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20 Vgl. dazu ganz ausführlich aufgrund einer empirischen Untersuchung Wittkämper / Stuckhard, in: Vollzugsdefizite im Naturschutz, S. Hf. 21 Vgl. Breuer, NuR 1980, 89, 100; Gassner, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 4, 7; Schomerus, DefIZite, S. 87; anders Ronellenfitsch, NuR 1986, 284, 289, der das "Benehmen" damit rechtfertigt, daß die Eingriffsregelung "einen Fremdkörper im System des Planfeststellungsrechts" darstelle. 22 Vgl. z. B. Marburger, Gutachten, C 96; Sailer, BayVBI. 1975,405; ders., NuR 1987, 207, 209; zu weit geht allerdings Sening, BayVBI. 1979, 49H; ähnlich ders., NuR 1980, 102ff; ders., BayVBI. 1982, 428ff, der der mangelnden K1agbarkeit allein die Schuld an der Umweltzerstärung zuweist; von verbesserten Rechtsschutzmöglichkeiten hinge - so Sening - die "Existenz des Einzelnen und damit der Fortbestand der Gesellschaft" ab, Sening, BayVBI. 1976, 72, 74. 23 Ähnlich Gassner, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 4, 8.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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wirkt werden, daß den zuständigen Amtsträgern die nachfolgende Gerichtskontrolle als zusätzliche Legitimation und Argumentationsgrundlage gegenüber ihren politisch orientierten Vorgesetzten bei naturschutzfreundlichen, aber möglicherweise wirtschaftsfeindlichen Entscheidungen zur Verfügung steht24 • Im Naturschutzrecht wirkt sich die Problematik der Justiziabilität in besonderer Weise auf das VollzugsdefIzi.t aus, da gemeinhin - im Gegensatz zu anderen Regelungsbereichen des Umweltschutzrechts - alle Vorschriften zum Schutz von Natur und Landschaft nicht als subjektiv öffentliche Rechte angesehen werden, so daß nach allgemeiner Auffassung deren fehlende Einhaltung im Wege der Individualklage überhaupt nicht geltend gemacht werden kann25• Angesichts dieses Defizits fehlt es nicht an rechts politischen Vorschlägen, die Klagbarkeit in diesem Bereich zu verbessern 26• Zuvörderst ist hier der Ruf nach der naturschutzrechtlichen Verbandsklage zu nennen. Kaum ein anderes Problem aus dem Naturschutzrecht ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten so kontrovers diskutiert worden27• Während die Befürworter sie als einzige Möglichkeit zur Geltendmachung der Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes ansehen, verweisen die Gegner vor allem auf die mangelnde demokratische Legitimation der Verbände zur Durchsetzung öffentlicher Belange, auf die Systemwidrigkeit der Verbandsklage im Rechtsschutzsystem und auf die zu erwartende Prozeßflut. Es ist hier nicht der Ort, das Für und Wider dieses Problemkreises nochmals eingehend zu erörtern, zum al da völlig neue Argumente wohl nicht mehr gefunden wer24 Vgl. zu dieser Problematik Breuer, NJW 1978, 1558, 1559; Kisker, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 488, 489; Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 2lf; Zwanzig, NuL 1987, 3, 4. Ein praktisches Beispiel findet sich bei Weber, NuL 1985, 240, 242. 25 V gl. für viele Marburger, Gutachten, C 84f, m. w. N. 26 Die fehlende K1agbarkeit treibt teilweise seltsame Blüten; so wurde die jüngst von der Umweltorganisation Greenpeace beim VG Hamburg "im Namen der Robben" erhobene, offensichtlich unzulässige Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fortgesetzter Meeresverschmutzung vom Präsidenten des Umweltbundesamtes, Heinrich v. Lersner, ausdrücklich als "politisches Signal" begrüßt; vgl. SZ vom 12. Oktober 1989. 27 Die _ soweit ersichtlich - erste Forderung nach Einführung einer Verbandsklage wurde vom Deutschen Rat für Landespflege bereits 1967 erhoben, Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 8 (1967), S. 9, 10 Leitsatz 7. Die Meinung der Praxis scheint zur Zeit geteilt zu sein. In der Abschlußerklärung zum 10. Richterratschlag zum Thema "Umwelt und Recht", Teil B, Ziff.5, abgedruckt in DuR 1986, 234, 237, wird die bundesweite Einführung einer Verbandsklage befürwortet, auf dem 56. Deutschen luristentag wurde die gleiche Forderung abgelehnt, wenn auch denkbar knapp (53:53:12), vgl. Vhdlg. 56. DJT, Bd. 2, L 283.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

den können28• Wie die Erfahrungen zeigen, die mit der Verbandsklage in einigen Bundesländern29 und auch im Ausland30 gemacht wurden, scheinen sich die Befürchtungen gegenüber der Verbandsklage aber eher nicht zu bestätigen. Es steht allerdings nicht zu erwarten, daß sie in absehbarer Zeit auf Bundesebene eingeführt werden wird3!. Neben der Verbandsklage werden auch andere Vorschläge zur Verbesserung der Überprüfbarkeit von naturschutzrechtlichen Vorschriften gemache2• So könnte ein Ombudsmann für den Natur- und Umweltschutz eingesetzt werden, der - ausgestattet mit einem eigenen Klagerecht - als unabhängige und weisungsungebundene Instanz mögliche Verstöße gegen naturschutzrechtliche Vorschriften vor den Verwaltungsgerichten rügen könnte33 • In eine ähnliche Richtung zielen Ansätze, die den Naturschutzbeauftragten bzw. den Naturschutzbeiräten neue oder weitergehende Klagemöglichkeiten einräumen woIIen34 • Erwogen wird schließlich, ob die LandesanwaItschaft als Vertreterin des öffentlichen Interesses Aufgaben in diesem Bereich 28 Die dazu veröffentlichte Literatur ist schier unübersehbar; vgl. z. B. Contra und Pro Verbandsklage, Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 47; die Verbandsklage befürwortend Borchmann, NuR 1981, 121, 125f; Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 457, 465; Neumeyer, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 51, 58ff; Rehbinder, ZRP 1976, 157ff; Schomerus, Defizite, S. 288; Soe/l, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 563ff; die Verbandsklage ablehnend Embacher, Verbandsklage, S. 165; v. Mutius, Beilage 1/1982 in AgrarR 10/1982, S. 10, 12ff; Redeker, ZRP 1976, 163ff; Sander, MDR 1986, 12ff; Schlichter, GewArch 1978, 313, 319; ders., UPR 1982, 209; Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, passim, jeweils m. w. N. 29 Bislang wurden in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und im Saarland nach Voraussetzungen und Umfang unterschiedliche Verbandsklagemöglichkeiten geschaffen; eingehend zu den damit gemachten Erfahrungen Neumeyer, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 5lff. 30 Vgl. Soe/l, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 565. 31 Im neuesten Entwurf zur Novellierung des BNatSchG ist eine Verbandsklagemöglichkeit nicht enthalten. 32 Auf die - unrealistische - Forderung nach Einführung einer popularklageartigen Bürgerklage sei hier nur hingewiesen, vgl. Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, passim; zust. Mayer-Tasch, Umweltrecht im Wandel, S. 7lf. Ausländische Modelle zur gerichtlichen Wahrnehmung öffentlicher Interessen stellt vor Kopp, NuR 1987, S. 145ff. 33 Vgl. Embacher, Verbandsklage, S. 168; Kopp, BayVBI. 1980, 263, 271; Marburger, Gutachten, C 99; Niessiein, in: VoilzugsdefIZite im Naturschutz, S. 127, 205f; Rehbinder, in: Umweltschutz - aber wie?, S. 21, 39; Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 144f; SChmidt, DÖV 1976,577,583; Schomerus, DefIZite, S. 228ff; kritisch Rupp, ZRP 1972,32,33. 34 Vgl. Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 145ff; SChomerus, Defizite, S. 233ff. Ein Ansatz findet sich beispielsweise in Art. 41 BayNatSchG, der den Naturschutzbeiräten ein Kontrollrecht mit Devolutiveffekt zubilligt.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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übernehmen könnte35• Aus der Sicht des Naturschutzes ist all diesen Möglichkeiten jedoch ein gravierender Nachteil gemeinsam. Solange sie lediglich Gegenstand rechtspolitischer Diskussion bleiben, ist für die Justiziabilität von Vorschriften des Naturschutz- und Landschaftspflegerechts in der Gegenwart nichts gewonnen. IV. Die Gefahr der ''Hypertrophie'' des Rechtsschutzes Interessanterweise werden neben der Forderung nach Ausweitung von Klagemöglichkeiten auf dem Gebiet des Umweltrechts auch gegenläufige Stimmen hörbar, die vor einer "Hypertrophie" des Rechtsschutzes warnen36• Prozeßlawinen37, expansionistische Eilverfahren, die diesen Namen kaum noch verdienten, jahrelange Gerichtsverfahren mit manchmal Tausenden von Klägern38 und überdimensionierten gerichtlichen Sachverständigenanhörungen39 führten - so wird eingewandt - im Endeffekt zu einer Überlastung der Gerichte und damit zu einem Weniger an Rechtsschutz sowohl für die Drittbetroffenen als auch für die durch die angefochtene Maßnahme Begünstigten40 • Die Gerichte müßten sich in den Prozessen primär mit naturwissenschaftlichen und nicht mehr mit juristischen Streitfragen beschäftigen und verließen damit den ihnen zukommenden und allein funktionsadäquaten Entscheidungsraum41 • Umweltrechtsstreite würden zudem zunehmend als Surrogate demokratischer Mitwirkung verstanden; staatliche Entscheidungen gewännen dadurch in den Augen vieler Bürger erst nach gerichtlicher Überprüfung ausreichende Legitimation. Damit erhielten die 3S Bauer, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 66ff; Kopp, BayVBI. 1980, 263, 271; ablehnend Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 142ff; Rupp, ZRP 1972, 32, 33f; Schomerus, DefIZite, S. 248ff. 36 Vgl. z. B. Papier, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat, S. 7 m. w. N.; Sendler, DVBI. 1982, 157ff; Starck, ZRP 1979, 209ff.

37 Die Zahl der Verwaltungsprozesse stieg von 133000 Fällen im Jahr 1975 auf 236 000 im Jahr 1980, vgl. Brohm, NJW 1984, 8, 9. 38 Z. B. 5724 Kläger vor dem VG München im Verfahren gegen den PIanfeststellungsbeschluß "Flughafen München 11", vgl. Schmidt, DVBI. 1982, 148. 39 Z. B. 53 Sachverständige vor dem VG Freiburg im Verfahren gegen das KKW Wyhl, vgl. van Buiren / Ballerstedt / Grimm, Richterliches Handeln und technisches Risiko, S. 78. 40 Kloepfer, Rechtsschutz, S. 3Of; vgI. auch Brohm, NJW 1984, 8, 9; Finkelnburg, in: 25 Jahre BVerwG, S. 169, 181; Kopp, BayVBI. 1980, 263, 267f. 41 Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 41; vgI. auch a. a. 0., S. 57: "Des Richters Kleid ist die Robe und nicht der Ingenieurskittel" .

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Gerichte eine politische Funktion der Befriedung, für die ihnen das Mandat fehle42 • Für diese zugunsten einer Einengung des Rechtsschutzes plädierende Richtung im Schrifttum lassen sich auch Entsprechungen in der Rechtspraxis auffinden. Zwei inhaltlich ganz unterschiedliche, in der Tendenz jedoch übereinstimmende43 Beispiele mögen dies belegen. Zum einen eine Reaktion des Gesetzgebers: Nach Art. 2 § 9 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und fmanzgerichtlicher Verfahren vom 4.7.1985'" wurde für Großprojekte wie Errichtung und Betrieb von kerntechnischen Anlagen und größeren Kraftwerken oder wie PlanfeststeUungsbeschlüsse für Bundesautobahnen die zweite Tatsacheninstanz beseitigt. Zuständig sind nunmehr erstinstanzlich die Oberverwaltungsgerichte. Zum anderen räumt eine klar verfolgbare Entwicklungslinie der Rechtsprechung45 teilweise unter Zustimmung der Literatur46 der Verwaltung in wachsendem Umfang einen gerichtlich nicht nachprüfbaren Entscheidungsspielraum ein. Jedenfalls im Bereich des Naturschutzrechts rechtfertigen allerdings die oben dargestellten Erwägungen nicht, sich gegen Ausweitungen des Rechtsschutzes zu wenden. Sicherlich kann es auch auf diesem Gebiet zu Massenverfahren kommen; es sei auch nicht bestritten, daß der Richter bei Fragen des Natur- und Landschaftsschutzes vor komplizierten, häufig naturwissenschaftlichen Problemen stehen wird. Trotzdem geht es hier nicht um eine "Entfesselung der Dritten Gewalt'.47 oder um funktionsinadäquates Tätigwerden der Judikative. Aufgabe der Rechtsprechung ist es, die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen zu kontrollieren. Die Komplexität einer Problemstellung ist dabei ohne Belang; soweit die Verwaltung, de42 Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 38; ders., Umweltrecht, S. 253; vgI. auch Eyermann, OewArch 1981, 256, 257; Schlichter, OewArch 1978, 313, 315. 43 Breuer, DVBI. 1986,849, 850f. 44 BOBI. I S. 1274. 45 Symptomatisch BVerwGE 72, 300, 315ff; OVO Lüneburg DVBI. 1985, 1322, 1323; vgl. auch BVerwGE 70, 318ff; dazu paßt die Entwicklung, die ErfülIung der grund rechtlichen Schutzpflicht mit einem Entscheidungsspielraum auch für die Exekutive zu verbinden, BVerfOE TI, 170, 214f; 79, 174,201; dazu unten § 16111. 3. d). 46 Badura, FS für Bachof, S. 169, 172ff, 184ff; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 417ff; SChwab, DVBI. 1986, 170, 172ff; Sendler, NJW 1986, 1084, 1086 mit FN 8; dagegen beispielsweise Breuer, AöR 101 (1976), 46, 69ff; Czajka, et 1981, 537, 540ff; vermittelnd Kloep[er, Rechtsschutz, S. 30, 56ff. 47 Der Begriff stammt wohl von van Husen, AöR 78 (1952), 49; vgl. auch Kaltenbrunner, in: Auf dem Weg zum Richterstaat, S. 7, 38.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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ren Kompetenz keine von der Judikative verschiedene Qualität aufweist 48, eine Entscheidung zu treffen hat, bleibt die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme richterlicher Tätigkeit wesensgemäß. Es geht einzig und allein um die Einhaltung des Rechts durch den Staat. Eine erhöhte Bedeutung verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung erklärt sich daher nicht aus einem Machtzuwachs der Judikative49 , sondern resultiert aus einer Ausdehnung der Befugnisse der Exekutive, die immer mehr technischnaturwissenschaftlich geprägtes Recht anzuwenden und dabei - wegen des dynamischen Grundrechtsschutzes notwendigerweise - Generalklauseln zu konkretisieren hat50• Für das Recht des Natur- und Landschaftsschutzes heißt dies daher, daß eine verstärkte Justiziabilität der vorhandenen Vorschriften gerechtfertigt, ja sogar dringend notwendig wäre, um deren Anwendung in der Praxis zu verbessern. Bevor allerdings, um dies zu erreichen, de lege ferenda nach neuen Instrumenten gesucht wird, sollten die vorhandenen Möglichkeiten de lege lata ausgelotet und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Individualklagebefugnisse des Bürgers für das Naturschutzrecht zu aktivieren. Wenn sich auch der Rechtsschutz über Drittbetroffene sicherlich nicht dazu eignet, allein den optimalen Vollzug umweltrelevanter Vorschriften zu gewährleisten, sollte doch zu denken geben, daß auf anderen Rechtsgebieten, bei denen Individualklagen grundsätzlich möglich sind, wie z. B. im Immissionsschutzrecht, Defizite im Rechtsschutz zwar auch moniert werden5 1, die Forderung nach exzessiver Ausweitung von Klagemöglichkeiten, namentlich nach einer Verbandsklage, aber nicht laut geworden ist. Soweit der Bürger also als "Anwalt der Natur" auftreten könnte, würde dies mithelfen, wenigstens die gravierendsten Mängel im Vollzug zu beseitigen.

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Vgl. Czajka, et 1981,537,539.

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So aber wohl Ossenbühl, DÖV 1980, 545, 548; besonders drastisch Neumann, in: Auf

dem Weg zum Richterstaat, S. 152, 155: Als Ausgleich für den "wirtschaftlichen und politischen Schaden" verstärkten Rechtsschutzes gebe es "nur die dubiose MÖglichkeit, daß teils deutlich zur Hysterie neigende, teils querulatorische, teils Zielen der radikalen Linken dienstbare Umweltschützer formal (?) doch im Recht sein könnten, der gesammelte Sachverstand von Technik, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft dagegen nicht" (Klammerzusatz vorn Verf.). 50 Zurecht Baumann, BayVBI. 1982, 257, 264. 51 Vgl. Marburger, Gutachten, C 96.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

§ 2: Präzisierung der Problemstellung

I. Die Beschränkung auf staatliche Kontrollerlaubnisse

Es existiert eine Fülle ganz unterschiedlicher Maßnahmen des Staates, die direkt oder indirekt, mittelbar oder unmittelbar Auswirkungen auf Natur und Landschaft haben können. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier nur die in diesem Bereich wesentlichen Instrumente genanne2• Zunächst steht dem Staat das Mittel der Planung zur Verfügung. Dabei sind für den Naturschutz und die Landschaftspflege die Programme und Pläne der Raumordnung bedeutsam, beispielsweise in Bayern also das Landesentwicklungsprogramm nach Art. 13 BayLPIG auf der Ebene des Landes, die Regionalpläne nach Art. 17 BayLPIG auf der Ebene der regionalen Planungsverbände und die Flächennutzungspläne nach §§ 5ff BauGB und die Bebauungspläne nach §§ 8ff BauGB auf gemeindlicher Ebene. Besonders wichtig für den Naturschutz ist die mit der räumlichen Gesamtplanung verzahnte Landschaftsplanung, also das Landschaftsprogramm, vgl. § 5 BNatSchG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG, die Landschaftsrahmenpläne, vgl. § 5 BNatSchG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayNatSchG und die Grünordnungsbzw. Landschaftspläne, vgl. § 6 BNatSchG, Art. 3 Abs. 2 BayNatSchG53 • Auf die forstliche Rahmenplanung nach §§ 6ff BWaldG und die Flurbereinigungspläne nach § 58 FlurbG, die ebenfalls Wirkungen auf Natur und Landschaft zeitigen können, sei hier nur hingewiesen. Neben der Planung wirken sich auf Natur und Landschaft vor allem die staatlichen Instrumente der direkten Verhaltenssteuerung aus. Diese unterscheiden sich vom planerischen Instrumentarium dadurch, daß sie konkret und fallbezogen ein ganz bestimmtes Vorhaben betreffen54 • Unter diesem Stichwort können ganz unterschiedliche Maßnahmen zusammengefaßt wer52 Ausführlich hierzu Erbguth, Umweltrecht, S. 93ff; Hartkopf / Bohne, Umweltpolitik, Bd. 1, S. 185ff; Hoppe / Beckmann, Umweltrecht, S. 89ff, l1Off; Kloepfer, Umwelt recht, S. 99ff; Steiger, ZRP 1971, 133ff; ders., Mensch, S. 28f. Unerwähnt bleiben allerdings die Möglichkeiten der indirekten Verhaltenssteuerung, wie z. B. Subventionen und steuerliche Erleichterungen. 53 Zur Landschaftsplanung und den damit veroundenen, vielfaltigen Problemen Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 45 (1984), SAOlff; Hoppe / Erbguth, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 45 (1984), S. 446ff; Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 510ff; Stich, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 502ff. 54 Erbguth, Umweltrecht, S. 97.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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den. Hierzu zählen beispielsweise die Ausweisung von Schutzgebieten und die - für den Naturschutz nachteilige - Aufhebung solcher Festsetzungen55, Planfeststellungsbeschlüsse verschiedenster Art56, die trotz ihres auch planerischen Charakters wohl als Einzelinstrumente angesehen werden müssen51, und natürlich die Fülle von Genehmigungstatbeständen nach den Fachgesetzen58• Was den Rechtscharakter dieser Maßnahmen betrifft, wird in der Praxis das gesamte Spektrum der möglichen Spielarten ausgenutzt, teilweise ohne daß dabei auf den materiellen Gehalt des staatlichen Aktes Rücksicht genommen würde. Es kommen vor Gesetze (z. B. die Ausweisung eines Nationalparks nach § 15 Abs. 2 NatSchG S.-H.), Rechtsverordnungen (z. B. die Ausweisung von Naturschutzgebieten nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 BayNatSchG, das Landesentwicklungsprogramm nach Art. 14 Abs. 3 BayLPIG), Satzungen (z. B. Bebauungspläne nach § 10 BauGB), Verwaltungsakte (alle Planfeststellungsbeschlüsse und Einzelgenehmigungen), aber auch verwaltungsinterne Maßnahmen (z. B. Verwaltungsvorschriften, Flächennutzungspläne). Sowohl das Ob als auch das Wie des Rechtsschutzes gegen alle oben beschriebenen Maßnahmen ist nach überwiegender Ansicht von deren formalem Charakter abhängigS9. Dies bedeutet, daß gegen Verwaltungsakte dem Bürger grundsätzlich die Anfechtungsklage zur Verfügung steht mit den damit verbundenen Einschränkungen der Kontrollbefugnisse und des Kontrollumfangs nach §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO bzw. daß gegen Satzungen und untergesetzliche Rechtsnormen das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO eröffnet ist, das eine objektive Rechtskontrolle ermög-

55 Obwohl die Ausweisung von Schutzgebieten im Regelfall als Rechtsverordnung ausgestaltet ist, vgl. z. B. Art. 7 Abs. 3 S. 1, 8 Abs. 1 S. 1, 9 Abs. 3, 10 Abs. 2 S. 2, 11 Abs. 2 S. 1, 12 Abs. 1 S. 1 BayNatSchG, dürfte sie wegen ihrer Konkretheit nicht dem planerischen Instrumentarium, sondern der direkten Verhaltenssteuerung zuzuordnen sein, es sei denn das Schutzgebiet soll die Aufgabe haben, planmäßig die ökologischen Ausgleichsfunktionen der Fläche weiter zu entwickeln, vgl. Deutscher Rat für lAndespJlege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 457, 461; Erbguth, Umweltrecht, S. 102; Hoppe / Beckmann, Umweltrecht, S. 91f, m. w. N.. 56 Vgl. die Aufzählung bei Gassner, DVBI. 1981,4. 51 Erbguth, Umwelt recht, S. 97f; HartJropf / Bohne, Umweltpolitik, Bd. 1, S. 180; Kloepfer, Umweltrecht, S. 109f. 58 Vgl. die Übersichten bei Beckmann, RechtSSChutz, S. 18f; Erbguth, Umweltrecht, S. 98ff. S9 Vgl. Kopp, VwGO, § 47, Rz. 13; Redeker / v. Oertzen, VwGO, § 42, Rz. 46; VGH München BayVBI. 1975, 168, 169; BayVBI. 1981,500,501.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

licht60 • Soweit staatliche Akte keiner dieser Gruppen zugeordnet werden können - also insbesondere verwaltungsinterne Vorschriften und Maßnahmen -, ist dem Bürger auch keine Rechtsschutzmöglichkeit eingeräumt. Daß damit in verschiedener Weise Probleme vorprogrammiert sind, liegt auf der Hand. Soll beispielsweise der Bürger gegen Programme und Pläne, die als "Binnenrecht" ohne Außenwirkung angesehen werden6 t, keine Klagemöglichkeit haben, obwohl doch damit erhebliche rechtliche und tatsächliche Vorbindungen62 verbunden sind, die auch Rechte des einzelnen berühren können63 ? Soll es von der formalen Einordnung einer Maßnahme abhängen können, in welchem Umfang der Bürger Rechtsschutz genießt, man denke dabei nur an die materielle Ähnlichkeit, die Bebauungsplan - Satzung - und Planfeststellungsbeschluß - Verwaltungsakt - aufweisen64 ? Wie ist der Rechtsschutz des Bürgers in gestuften oder parallelen Gestattungsverfahren beschaffen65 ? Der Katalog der Fragen ließe sich beinahe unbegrenzt verlängern, wenn man die Probleme miteinbezieht, die bei den einzelnen Rechtsschutzverfahren entstehen66• Angesichts dieser Vielzahl von Fragestellungen, die der Individualrechtsschutz im Bereich des Naturschutz- und Landschaftspflegerechts aufwirft, kann hier nur ein Ausschnitt aus der Gesamtproblematik, eine bestimmte Art von staatlichen Maßnahmen beleuchtet werden, die allerdings von besonderer praktischer Bedeutung sind. Untersucht werden soll die Frage der Anfechtungsklage des Bürgers gegen staatliche Kontrollerlaubnisse, also gegen konkret-individuelle Entscheidungen, die ein Vorhaben gestatten, das sich nachteilig auf die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes auswirkt. 60 Abgesehen von Satzungen und Rechtsverordnungen i. S. d. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO jedoch nur, soweit die Länder von der Möglichkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht haben; vgl. § 5 AGVwGO B.-W., Art. 5 BayAGVwGO, Art. 7 BremAGVwGO, § 11 HessAGVwGO, § 6a AGVwGO Nds., § 4 AGVwGO Rh.-Pf., § 5 AGVwGO S.-H.; in den übrigen Ländern bleibt nur die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle bzw. evtl. einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO, vgl. Kloepfer, Umweltrecht, S. 271. 61 Vgl. z. B. Redeker Iv. Oenzen, VwGO, § 47, Rz. 17, m. w. N. 62 Vgl. dazu Bliimel, DVBI. 19n, 301, 316ff; Brohm, DÖV 1982, 1, 4; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221, 244. 63 Dazu ausführlich Beckmann, Rechtsschutz, S. 40ff, der entgegen der h. M. eine Kontrollmöglichkeit auch gegenüber Verwaltungsvorschriften bejaht. 64 Dazu noch näher unten § 20 I. 65 Vgl. Beckmann, Rechtsschutz, S. 209ff, 228ff; Brohm, DÖV 1982, 1,8; Erbguth, Umweltrecht, S. 29Off; Kopp, DÖV 1980, 504, 505ff; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 52ff; Schmidt-Aßmann, DVßI. 1981, 334ff, jeweils m. v. w. N. 66

Umfassend die schon mehrfach zitierte Arbeit von Beckmann, Rechtsschutz, passim.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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Auch nach dieser Eingrenzung bleibt noch ein weites Feld: es reicht von fernstraßenrechtlichen Planfeststellungen über atom- und immissionsschutzrechtliche Erlaubnisse bis hin zur einfachen Baugenehmigung. lI. Ausgangspunkt: Verstoß gegen § 8 BNatSchG

Die wichtigste Prämisse der vorliegenden Arbeit - und dies sollte sich der Leser immer wieder vergegenwärtigen - besteht darin, daß die vom Bürger angefochtene Kontrollerlaubnis in materieller Hinsicht gegen Naturschutzrecht verstoßen soll. An denkbaren Möglichkeiten dazu fehlt es nicht: Durch den genehmigten Bau eines Mehrfamilienhauses im Außenbereich wird das Landschaftsbild beeinträchtigt. Die Errichtung eines immissionsschutzrechtlich genehmigten Kraftwerks führt zu einer Grundwasserabsenkung, wodurch Feuchtwiesen vernichtet werden und damit besonders schützenswerte Tier- und Pflanzenarten abwandern oder aussterben. Eine planfestgestellte Fernstraße ist durch ein Gebiet trassiert, das bislang der Naherholung diente und nun völlig diese Funktion verliert. In all diesen Fällen wird in der nachfolgenden Untersuchung unterstellt, daß bei der Erteilung der jeweiligen Kontrollerlaubnis die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG nicht ausreichend beachtet wurde. Diese Vorschrift - bzw. deren Entsprechungen in den einzelnen Ländern67 - stellt mit die wichtigste Bestimmung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege dar68• Sie wirkt unabhängig von einem speziellen Objektsoder Gebietsschutz und ist damit grundsätzlich auf jedes Vorhaben anwendbar, das nachteilige Auswirkungen auf Natur und Landschaft zeitigen kann. Jedoch werden von § 8 BNatSchG nicht alle "ökologisch bestimmten" Eingriffe erfaßt69 • Ein Eingriff in Natur und Landschaft liegt nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 BNatSchG nämlich nur dann vor, wenn die 67 § 8 BNatSchG ist eine nicht unmittelbar geltende Rahmenvorschrift. Die Länder haben durchweg Vorschriften erlassen, die die Regelung des § 8 BNatSchG umsetzen und dabei konkretisieren oder auch ausweiten (§ 8 Abs. 9 BNatSchG), für Bayern vgl. Art. 6ff BayNatSchG. Im folgenden wird der Einfachheit halber nur die Bundesregelung herangezogen. 68 Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 521; ausführlich Böhme / Fellmer / Komhardt / Kronenberg, Die Eingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes, passim; /Weh/er, Eingriffsregelung, S. 119ff. 69 Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 357.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild durch Änderung der Gestalt oder der Nutzung von Grundflächen erheblich und nachteilig beeinträchtigt werden können70 • Über diese materielle Voraussetzung hinaus kommt nach § 8 Abs. 2 S. 2 BNatSchG die Eingriffsregelung nur dann zur Anwendung, wenn für den Eingriff in anderen Rechtsvorschriften eine behördliche Genehmigungsentscheidung vorgeschrieben bzw. wenn die geplante Maßnahme anzeigepflichtig isf1• Damit sind die materiellen Vorgaben des § 8 BNatSchG jedenfalls bei allen staatlichen Kontrollerlaubnissen von der Planfeststellung bis zur Baugenehmigung zu beachten. In die Entscheidung müssen also alle Belange des Natur- und Landschaftsschutzes einbezogen werden, d. h. neben dem Schutz der Naturgüter bzw. deren Wirkungsgefüge und des Landschaftsbildes nicht zuletzt auch die Erholungsinteressen des Bürgers72 • Es wird allerdings keine eigenständige naturschutzrechtliche Genehmigung erteilt, vielmehr haben die Fachbehörden innerhalb des jeweiligen Gestattungsverfahrens auch die Eingriffsregelung heranzuziehen. An den Eingriffstatbestand ist ein komplexer Katalog landesrechtlich teilweise unterschiedlich geregelter Rechtsfolgen geknüpft: An erster Stelle steht die Verpflichtung des Eingriffsverursachers, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (§ 8 Abs. 2 S. 1 BNatSchG). Dabei ist streitig, ob nach dieser Vorschrift auch die Vermeidbarkeit des Eingriffs insgesamt überprüft werden kann73 oder ob

70 Damit werden in nicht zu unterschätzender Weise Maßnahmen, die zu erheblichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt führen - insbesondere Stoffeinträge und landwirtschaftliche Nutzungen -, von der Eingriffsregelung ausgenommen. Überdies wird der Eingriffstatbestand von der h. M. auch in anderer Hinsicht restriktiv ausgelegt, vgl. zu al1edem Breuer, NuR 1980, 89, 91ff; Gassner, NuR 1984, 81, 82f; kritisch z. B. Gassner, in: Rechts- und Verwaltungsaspekte der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, S. 62, 63; Pie/mv, ebd., S. 59, 60; Rehbinder, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 36 (1981), S. 521, 523. 71 Nur wenige Landesregelungen sehen darüber hinaus ein eigenständiges, naturschutzrechtliches Gestattungsverfahren vor, vgl. z. B. Art. 6a Abs. 5 BayNatSchG. 72 Auf die Problematik, daß dadurch - insbesondere was die Erholung betrifft - Konflikte bereits innerhalb der Belange des Natur- und Landschaftsschutzes angelegt sind, sei hier nur hingewiesen, vgl. dazu Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 559ff.

73 So die wohl richtige Ansicht, vgI. Carlsen, Die Gemeinde 1983, 149, 155; Deutscher Rat für Landespflege, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 55 (1988), S. 355, 366; Lorz, BNatSchG, § 8, Rz. 4; OVG Koblenz NuR 1981, 28, 29; vgl. auch die "Empfehlungen zum Vol1zug der Eingriffsregelung", Beilage zu NuL, Heft 5/1988, S. 8.

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

31

nur Beeinträchtigungen, die mit dem Eingriff einhergehen, verhindert werden können74 . Sind die durch den Eingriff verursachten Beeinträchtigungen unvermeidbar, so müssen diese vom Verursacher ausgeglichen werden, soweit dies zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist (§ 8 Abs. 2 S. 1 2. Alt., Abs. 4 BNatSchG). Ausgeglichen ist ein Eingriff, wenn nach seiner Beendigung keine erhebliche und nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes zurückbleibt, d. h. wenn die gestörten ökologischen Funktionen in dem von dem Eingriff betroffenen Raum gleichartig oder zumindest gleichwertig wiederhergestellt sind bzw. wenn das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder gleichwertig neu gestaltet isCs. Sind unvermeidbare Beeinträchtigungen nicht in erforderlichem Maße auszugleichen, muß der Eingriff untersagt werden, falls bei einer Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes im Range vorgehen (§ 8 Abs. 3 BNatSchG)76. Sind die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes nachrangig, ist der Eingriff grundsätzlich zulässig. Die meisten Landesgesetzgeber haben jedoch für diesen Fall die Verpflichtung des Verursachers zu Ersatzrnaßnahmen in die Landesnaturschutzgesetze aufgenommenTI. Gegenüber den Ausgleichsmaßnahmen weisen die Ersatzrnaßnahmen eine Lockerung in funktionaler und räumlicher Hinsicht auf8 • Einige Länder sehen darüber hinaus noch eine naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe für nicht ausgleichbare, aber vorrangige Eingriffe vor: Dabei unterscheidet man gemeinhin zwischen den Modellen der subsidiären und der alternativen Ausgleichsabgabe79 •

74 So die h. M., vgl. Engelhardt / Brenner, Naturschutzrecht, Art. 6a, Rz. 2; Hoppe / Beckmann, Umweltrecht, S. 307; Kolodziejcok / Recken, Naturschutz, § 8 BNatSchG, Rz. 16, 18; Kuchler, Eingriffsregelung, S. 162ff; VGH Mannheim, NuR 1989, 439. 7S Vgl. Breuer, NuR 1980, 89, 94; Erz, in: Ausgleichbarkeit von Eingriffen in den Naturhaushalt, S. 14ff; Gassner, NuR 1984, 81, 84ff. 76 Ausführlich dazu Engelhardt / Brenner, Naturschutzrecht, Art. 6a, Rz. 7ff. TI Vgl. z. B. § 8 Abs. 9 BNatSchG iVm. Art. 6a Abs. 3 BayNatSchG.

Pielow, NuR 1979, 15, 17, insbesondere zur Abgrenzung der Ausgleichs- von den Ersatzrnaßnahmen; Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 530f. 78

79 Vgl. z. B. § 11 Abs. 5 NatSchG B.-W.; zu den unterschiedlichen Modellen der Ausgleichsabgabe Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 531; siehe auch Heiderich, NuR 1979, 19, 20f.

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

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IIl. Die Beschränkung auf den öffentlich-rechtlichen Drittschutz Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Individualschutz und Klagemöglichkeiten im öffentlichen Recht. Dies scheint zunächst völlig selbstverständlich zu sein, ist doch das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege eindeutig dem öffentlichen Recht zuzuordnen, so daß sich Konflikte notwendigerweise auf diesem Terrain abzuspielen scheinen. Daß dies nicht unbedingt immer so sein muß, zeigt ein Blick auf die Diskussion um die Frage eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004 BGB gegenüber "ideellen" oder "moralischen" Immissionen, also ethischen oder ästhetischen Beeinträchtigungen, zu denen zwanglos auch Landschaftsverschandelungen oder andere Eingriffe in Natur und Landschaft gerechnet werden könntenBO• Zentrales Problem wäre in diesem Zusammenhang die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dessen Schutz aber auch vom bürgerlichen Recht gewährleistet wird. Grundsätzlich könnten also die Instrumente des bürgerlich-rechtlichen Nachbarschutzes, d. h. vornehmlich §§ 1004, 906 BGB, aber auch § 823 BGB in diesem Bereich herangezogen werden81 • Trotzdem soll der privatrechtliche Nachbarschutz ausgespart bleiben, da seine Bedeutung im gesamten Umweltschutzrecht als eher gering veranschlagt werden muß. Dies hat verschiedene Gründe. Zunächst sind einer zivilrechtlichen Regelung, die im Grundsatz von gleichrangigen Parteien ausgeht, im Umweltrecht schon deshalb relativ enge, natürliche Grenzen gesetzt, weil die Drittbetroffenen gegenüber den "Schädigern" - vielfach Kräften der Wirtschaft - häufig faktisch unterlegen sind82• Für den Dritten bringen auch die Grundsätze des zivilrechtlichen Streitverfahrens Nachteile mit sich; die Parteimaxime und die Notwendigkeit des BO Eine Einbeziehung ablehnend die h. M., vgI. BGHZ 95, 307, 309f; Marburger, Gutachten, C lOH; Ronellenfitsch / Wolf, NJW 1986, 1955, 1960; a. A. für ästhetische und ethische Einwirkungen Hefermehl, in: Erman, BGB-Komm., § 1004, Rz. 13; Diederichsen, Referat, L 48, 53f; Baur, in: Soergel, BGB-Komm., § 906, Rz. 19. 81 Ausführlich zum privatrechtlichen Nachbarschutz vgl. Berger, Nachbarklagen, S. 4Hf; Gaentzsch, NVwZ 1986, 6OHf; Kloepfer, Umweltrecht, S. 225ff; Marburger, Gutachten, C lOHf; jeweils m. v. w. N.

82 Breuer,

S.46.

in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 601, 649; Erbguth, Umweltrecht,

1. Kapitel: Anlaß, Gegenstand und Gang der Untersuchung

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Beweises grundsätzlich durch den Kläger führen gegenüber dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu erhöhten Durchsetzungsschwierigkeiten83 • Zudem ist das private Nachbarrecht von seinem eher "hölzernen" Instrumentarium her auf relativ einfach gelagerte Konflikte zwischen zwei Grundstücksnutzungen zugeschnitten, während das öffentliche Umweltrecht auch den weit großräumigeren Planungsbedürfnissen und dem Ausgleich zwischen ressourcenökonomischen und -ökologischen Belangen der Allgemeinheit und den individuellen Interessen des Umweltnutzers Rechnung tragen muß. Auch das Nachbarrecht ist daher weitgehend "publiflZiert" worden und auf den Vollzug durch die Verwaltungsbehörden angewiesen84 • Daraus folgt notwendig, daß der einzelne sein Recht in erster Linie auf dem Weg der öffentlich-rechtlichen Anfechtungsklage suchen wird. Das private Nachbarrecht wird schließlich - und dies dürfte entscheidend sein - in verschiedener Hinsicht vom öffentlichen Recht ergänzt und überlagert8S • Wenn sich in diesem Bereich auch noch viele bislang ungeklärte Probleme stellen86, so besteht jedenfalls für die praktisch bedeutsamsten Fälle der Anfechtung einer staatlichen Kontrollerlaubnis ein Primat des öffentlichen Rechts vor dem privaten. Soweit Genehmigungen - z. B. Baugenehmigungen - unbeschadet privater Rechte Dritter ergehen, mag eine potentielle Wahlmöglichkeit für den Rechtsschutz existieren87; wenn aber durch die Gestattung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung private Ansprüche von Drittbetroffenen ganz oder teilweise ausgeschlossen werden88, besteht ein logischer Vorrang der öffentlich-rechtlichen Anfechtungsklage. 83 Erbguth, Umweltrecht, S. 46; Offterdinger, in: Dokumentation zur 7. wiss. Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht, S. 86, 90. 84 Breuer, DVBI. 1986, 849, 853f; ähnlich Berger, Nachbarklagen, S. 34; Eyermann, BayVBI. 1974, 237, 238; Steiger, in: Individualrecht, S. 87. 8S Breuer, in: v. Münch, Besonderes VeIWllltungsrecht, S. 601, 649; Erbguth, Umweltrecht, S. 46; Konrad, BayVBI. 1984,33,35. 86 Beispielsweise die Frage, inwieweit die Bebauungsplanung den Anspruch des Nachbarn aus §§ 1004,906 BGB beeinflussen kann; dazu Breuer, DVBI. 1983,431, 438f; Gaentzsch, UPR 1985,201, 209f; ders., NVwZ 1986, 601, 602ff; Hagen, UPR 1985, 192, 193f, l%ff; Marburger, Gutachten, C 102ff; Sa/zwede/, UPR 1985, 210, 213. 87 Beckmann, Rechtsschutz, S. 31; zu Unrecht meinen beispielsweise Berger, Nachbarklagen, S. 43, Breuer, in: v. Münch, Besonderes VeIWllltungsrecht, S. 601, 650, und Erbguth, Umweltrecht, S. 47, daß privatrechtliche Abwehransprüche auch insoweit nur dann geltend gemacht werden könnten, wenn die Genehmigung vorher aufgehoben worden sei; zum Meinungsstand auch Breuer, DVBI. 1983,431, 433f, m. w. N. 88 Z. B. § 18b Abs. 1 BFStrG, § 14 BImSchG.

Dimberger 3

34

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

IV. Die Vorgehensweise Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist damit ganz konkret folgende Problemstellung: Kann ein Bürger eine staatliche Kontrollerlaubnis mit Erfolg vor den Verwaltungsgerichten anfechten, wenn sie gegen § 8 BNatSchG verstößt? Oder anders formuliert, wann hat der Bürger ein subjektiv öffentliches Recht auf Einhaltung des § 8 BNatSchG? Das Problem des subjektiv öffentlichen Rechts muß damit den zentralen Punkt der Untersuchung darstellen. B~vor deshalb eine eigene Antwort auf die obige Frage gegeben wird, soll in gebotener Kürze - nach einem Blick auf die Geschichte des Drittschutzes - der gegenwärtige Meinungsstand zur Thematik des subjektiv öffentlichen Rechts dargestellt und bewertet werden. Danach soll im Hauptteil der Arbeit ein allgemeines System des Drittschutzes aufgebaut werden. Dabei wird sich zeigen, daß die Grundrechte den entscheidenden Beitrag bei der Bestimmung des subjektiv öffentlichen Rechts leisten, allerdings je nach ihrer Funktion als Abwehr- oder Schutzrechte in unterschiedlicher Weise. In einem letzten Abschnitt wird dann untersucht werden, wie § 8 BNatSchG in dieses System eingepaßt, ob und inwieweit die Vorschrift also mit grundrechtlichen Gewährleistungen in Verbindung gebracht werden kann, so daß eine Nichtbeachtung der Vorschrift vom Bürger gerügt werden könnte.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems § 3: Betrachtungen zur Geschichte des Drittschutzes

I. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im 19. Jahrhundert

Die "Frühgeschichte" des Drittschutzes ist naturgemäß sehr eng mit der Entwicklung des subjektiv öffentlichen Rechts verbunden!. Die Probleme, die sich bei der Anfechtung einer staatlichen Maßnahme durch Personen ergeben, denen gegenüber sie nicht ergangen war, wurden nicht als Besonderheit behandelt, sondern allgemein bei der Frage nach dem subjektiv öffentlichen Recht angesiedele. Man kann dabei davon ausgehen, daß der Problemkreis des Nachbar- oder Drittschutzes als eher untergeordnet angesehen wurde3• Die Verwaltungsrechtsprechung wurde allerdings bereits sehr schnell nach ihrer Einführung in den deutschen Staaten während der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts4 mit Dreieckskonstellationen konfrontiert. Berühmt geworden ist vor allem eine frühe Entscheidung aus dem Jahre 1872, in der das Preußische OVG einem angeblich "notorischen Trunkenbold" die Anfechtung einer Verfügung ermöglichte, die es den Gastwirten untersagte, ihm "Branntwein zu verabreichen oder ihn auch nur im Schanklokal zu dul-

! Vgl. dazu v. a. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 22ff; Henke, Recht, S. 9ff; ROft, Das verwaltungsgerichtliche subjektive öffentliche Recht, S. 88ff; zur Lage in Preußen vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Riifner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, v. a. S. 6Off.

JZ 1963, 302, 303; Henke, Recht, S. 67. Symptomatisch dafür ist die Arbeit Bühlers, Die subjektiven öffentlichen Rechte, der z. B. bei der Darstellung der Rspr. des PreußOVG neun Seiten auf Adressatenfälle (S. 296 - 303) und weniger als zwei Seiten auf Drittschutzfälle (S. 303f) verwendet. 4 Vgl. dazu ausführlich Riifner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, S. 909ff. 2 Bernhardt,

3

36

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

den"s. Später mußten sich die Gerichte dann namentlich mit baurechtlichen Nachbarklagen auseinandersetzen6• Häufig wird die Rechtsprechung in zwei Gruppen eingeteile. Unterschieden wird dabei zwischen Gerichten, die dem Drittschutz eher negativ gegenüberstanden, und solchen, die eher nachbarfreundlich judizierten. Zur ersten Kategorie wird insbesondere das Preußische OVG gerechnet. Wenn es auch die Anfechtung des "Trunkenbolds" für zulässig erachtete, gewährte es ansonsten - vor allem im Bereich des Baurechts - keinen Drittschutz. So lehnte es bereits sehr früh die Zulässigkeit einer Nachbarklage, die sich gegen eine Baugenehmigung richtete, mit der Begründung ab, daß dem Dritten kein subjektives Recht auf Aufhebung zustehe. Dabei sei es ohne Belang, ob die verletzte baurechtliche Bestimmung "neben den zunächst maßgebenden öffentlichen allgemeinen bis zu einem gewissen Grade auch die besonderen Interessen der Nachbarn zu schützen bestimmt" sei. Der Nachbar könne diese Interessen jedoch nur "- gleich jedem anderen Staatsbürger - durch Hinweisung der Polizeiverwaltung auf das Gesetz ... zur Geltung zu bringen versuchen. Eine Klage steht so wenig ihm wie irgend einem ganz unbetheiligten andern Dritten zu"s. Diese dem Drittschutz gegenüber recht negative Einstellung behielt das Gericht auch in der Folgezeit bei; so wurde beispielsweise ein Recht des einzelnen auf Einschreiten der Polizei ebenso abgelehnt9 wie die Anfechtungsbefugnis eines Nachbarn gegenüber einer zu Unrecht erteilten Erlaubnis zur Errichtung eines Sprengstofflagers lO • Man kann dabei allerdings beobachten, daß das Preußische OVG recht uneinheitlich und ohne eigentliches dogmatisches Gerüst vorgeht 11 • Häufig scheint S PrOVGE 1, 327; mit ähnlichen Sachverhalten mußte sich das PreußOVG öfter befassen, vgl. PreußOVG Preuß. VelWBI. 1899/1900, S. 25 und S. 278. 6 Vgl. Laubinger, Doppelwirkung, S. 34; auch Bühler wählt v. a. Beispiele aus diesem Rechtsbereich, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 303f, 346ff, 439ff. 7 Dies tun beispielsweise Berger, Nachbarklagen, S. 29ff; Bemhardt, JZ 1963, 302, 304; Laubinger, Doppelwirkung, S. 34ff; Schrödter, DVBI. 1973, 763, 768; Sellmann, DVBI. 1963, 273, 275. S PrOVGE 2,351, 354f. 9 PrOVGE 4, 230, 233. 10 PrOVGE 61, 175; weitere Entscheidungen zum Nachbarschutz finden sich z. B. in PrOVGE 14, 378ff; 38, 376ff; 70, 377ff. 11 Zu diesem Ergebnis gelangt aufgrund einer eingehenden Analyse der Rspr. schon Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 303: "Ohne ängstliches Konstruieren hat das ObervelWaltungsgericht ... bei polizeilichen Verfügungen, die objektiv nicht haltbar waren, auch die Verletzung eines subjektiven Rechts des Klägers dann regelmäßig angenommen, wenn der Kläger der von der Verfügung betroffene war, und damit hat es auch das Richtige getroffen".

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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es anzunehmen, nur subjektive Privatrechte könnten Rechtsschutz genießen l2 • Fast "modern" mutet eine Entscheidung aus dem Jahre 1923 an, die angesichts der ThemensteIlung der vorliegenden Untersuchung von besonderem Interesse ist. Das Preußische OVG wies darin die Klage eines Naturschutzverbandes als unzulässig ab, der eine Genehmigung zu landwirtschaftlicher Nutzung im Naturschutzgebiet "Lüneburger Heide" deshalb angegriffen hatte, weil sie seiner Ansicht nach gegen Vorschriften der Schutzverordnung verstieß. Zur Begründung führte das Gericht aus, daß der Naturschutzverband im Genehmigungsverfahren zwar gehört werden und ihm die Entscheidung mitgeteilt werden müßte, er aber kein subjektiv öffentliches Recht auf Einhaltung der entsprechenden Vorschriften hätte; die Regelungen zum Schutz des Naturschutzgebiets wären lediglich im öffentlichen Interesse ergangen, so daß eine Klagbarkeit ausdrücklich eingeräumt werden müßte 13 • Der wohl erste Versuch einer altruistischen Verbandsklage in der deutschen Verwaltungsrechtsgeschichte war damit gescheitert. Nachbarfeindlich verhält sich auch der Württembergische VGH. Dabei hatte sich dieses Gericht vornehmlich wieder mit baurechtlichen Streitigkeiten auseinanderzusetzen l4 • Drittschutz wird deshalb abgelehnt, weil die Vorschriften des Baurechts "lediglich polizeiliche Natur" hätten l5, also allein im Allgemeininteresse ergangen seien. Ganz anders geht z. B. das Sächsische OVG vor. Bereits in seiner - soweit ersichtlich - ersten Entscheidung in einer Drittschutzkonstellation erkennt es die grundsätzliche Zulässigkeit einer Nachbarklage an, wenn es im konkreten Fall die Klage gegen eine Bauerlaubnis auch abwies. Aussicht auf Erfolg habe sie allerdings dann, wenn die Genehmigung unter Verletzung solcher Vorschriften erteilt worden sei, die dazu bestimmt seien, die Interes-

12 Vgl. die schon erwähnte Entscheidung PrOVGE 2, 351, 353; ähnlich PrOVGE 14,378, 38lf; dazu Henke, Recht, S. 68. 13 PrOVGE 78, 257, 260.

14 Vgl. die Darstellungen bei Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 343ff; Kemnade, Rechtsschutz, S. 11; Laubinger, Doppelwirkung, S. 36ff; Sellmann, DVBI. 1963, 273, 274f. 15 Vgl. WürttVGH württ. Arch. Bd. 22, S. 267; Amtsbl. 1883, S. 246; 1890, S. 117; Jahrb. Bd. 9, S. 224, zit. bei Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 347 FN 122; WürttVGH Jahrb. Bd. 7, S. 233, zit. bei Laubinger, Doppelwirkung, S. 36 FN 14; zur frühen Rspr. des WürttVGH vgl. auch Goez, Die Verwaltungsrechtspflege in Württemberg.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

sen und Rechte des Nachbarn zu schützenl6• Später hat das Gericht seine Rechtsprechung unter Beibehaltung dieser Grundtendenz17 immer wieder bestätigt, allerdings bei Betonung der Notwendigkeit einer faktischen Betroffenheit des Nachbarnl8• Diese Einteilung in nachbarfreundliche und nachbarfeindliche Gerichte bleibt allerdings weitgehend an der Oberfläche und wird den hinter den jeweiligen Entscheidungen stehenden Entwicklungslinien nicht gerecht. Vielmehr muß die Judikatur vor allem des Preußischen OVG in einen Gegensatz zur Rechtsprechung insbesondere der "süddeutschen" Verwaltungsgerichte gebracht werden l9 • Wie oben angesprochen, spielt die Frage, ob eine Rechtsnorm (auch) dem Individualinteresse zu dienen bestimmt ist, für das Preußische OVG bei der Festlegung der subjektiven Qualität einer Norm keine Rolle. Entscheidend ist nach dessen Ansicht vielmehr die Klagbarkeit, also die dem einzelnen eingeräumte Rechtsmacht, die Einhaltung der Norm gegenüber dem Verpflichteten auch durchsetzen zu können20 • Anders die Rechtsprechung des Sächsischen OVG und auch des Württembergischen VGH. Wenn die beiden Gerichte auch in der Einschätzung baurechtlicher Vorschriften in dieser Beziehung nicht übereinstimmen, so ist doch für beide das entscheidende Kriterium, ob die verletzten Normen lediglich das Allgemeininteresse oder auch Individualpositionen schützen wollen. Im ersten Fall hat die Klage des Nachbarn keine Aussicht auf Erfolg, im zweiten Fall steht ihm ein subjektiv öffentliches Recht zu. Dieser unterschiedlichen Sichtweise liegt eine unterschiedliche theoretische Konzeption der Verwaltungsrechtsprechung und des Verwaltungsrechtsschutzes zugrunde 21 . Das preußische System ist vor allem den Arbeiten von Gneist verpflichtet. Nach seiner Ansicht ist der Gegensatz zwischen 16 SächsOVG Jahm. 2, TI, 78; Erfolg hatte eine Nachbarklage, über die das Gericht nur weniger als drei Wochen später zu entscheiden hatte, SächsOVG Jahm. 2, 302. 17 Z. B. SächsOVG Jahm. 4, 188f; 7,43,44; 9,15,17; 9, 216, 218f. 18 Der Nachbar sei dann in seinen Rechten verletzt, wenn die unbeachtet gebliebenen Vorschriften "nach Gegenstand und Inhalt und in ihren Wirkungen über die Grenzen des Baugrundstücks hinausgehen", bzw. wenn von einem Bauvorhaben "unmittelbar ... schädlicher Einfluß auf benachbarte Grundstücke oder deren Bewohner· ausgehe, vgl. SächsOVG Jahm. 16,219, 220; ganz ähnlich Jahm. 29, 30, 32. 19 Ähnlich Henke, Recht, S. 34; Ladeur, UPR 1984, I, 3f. 20 Anders zu Unrecht Laubinger, Doppelwirkung, S. 42, der auch beim PreußOVG den fehlenden Individualschutz von Baurechtsvorschriften für ausschlaggebend hält; wie hier schon Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 304.

21 Vgl. Brohm, NJW 1984, 8; Henke,

Recht, S. 34.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

39

Staat und Individuum in der höheren Ordnung des Gesetzes als der Ausprägung des öffentlichen Wohls aufgegangen. Folgerichtig kann der einzelne gegenüber dem Staat, dessen bloßes Glied er ist, keine ursprünglich individuelle Position mehr haben22• Auch die Kontrolle der Staatstätigkeit dient damit zunächst dem Allgemeininteresse und erst sekundär auch dem Schutz der Belange des einzelnen23 • Erst wenn dem Bürger durch Gesetz die Rechtsrnacht eingeräumt worden ist, den Kontrollmechanismus auszulösen, wird die Verbindung zwischen objektiver Rechtskontrolle und Individuum hergestellt 24 • Ausschlaggebend ist damit die Klagbarkeit und nicht der Interessenschutz in der Norm; notwendig entspricht dieser Konzeption ein Enumerativsystem von Klagebefugnissen. Im Gegensatz zur Lehre von Gneist sind die süddeutschen Systeme weitgehend durch die Auffassungen von v. Sarwey beeinflußt. Auch v. Sarwey sieht in den Gesetzen zunächst objektives Recht, sie sind Ausdruck der "volonte general" und nicht mehr die Summe individueller Positionen25• Anders als Gneist stellt v. Sarwey allerdings den Schutz einer Rechtssphäre des einzelnen als Funktion des Rechts in den Vordergrund26• Individualschutz wird damit nicht zum Annex, zur bloß mittelbaren Folge objektiver Rechtskontrolle, sondern eigentlicher Anlaß des Rechtsschutzes überhaupt. Folgerichtig unterscheidet v. Sarwey zwischen Gesetzen, die nur im öffentlichen Interesse erlassen wurden, und solchen, die auch dem Schutz von Individualpositionen zu dienen bestimmt sind, die also die Rechtssphäre des einzelnen bildenv . Letztere stellen damit subjektiv öffentliche Rechte dar. 22 Gneist. Der Rechtsstaat. S. 270: ·Das Verwaltungsrecht ist ... abgeleitet vorn Staate und existent durch und in dem Staate ... Es handelt sich im Verwaltungsrecht also um eine objective Rechtsordnung·. 23 Gneist. Der Rechtsstaat. S.271: ·Das Parteirecht erscheint daher in diesem Gebiet nur als ein secundäres. aus dem öffentlichen Recht abgeleitetes ... Jene Beschwerderechte sind keine selbständigen Individualrechte·. 24 Gneist. Der Rechtsstaat. S. 275f. 25 V. Sarwey. Das öffentliche Recht. S. 11: ·Es gibt kein Recht außer im Staate. Recht ist die in einern Staate geltende äußere Ordnung des Verhältnisses der Menschen zueinander·. 26 V. Sarwey. Das öffentliche Recht. z. B. S. 61: •... der an sich nur durch das öffentliche Interesse und die Instruktion bestimmte Wille der mit der Staatsgewalt ausgestatteten Einzelnen wird zum Schuze (sie!) der Interessensphäre der Einzelnen durch die öffentliche Rechtsordnung insoweit beschränkt. als die Rechtssphäre der Einzelnen jenem Willen gegenüber eine unantastbare Grenze bildet·. v V. Sarwey. Das öffentliche Recht, S. 68: ·Sodann ist einleuchtend. daß ... zwei wesentlich verschiedene Fälle zu unterscheiden sind: die Verlezung (sic!) desjenigen Theils des Verwaltungsrechts. welcher positiv die Wahrung des öffentlichen Interesses zum Gegenstand hat ...• und desjenigen Theils desselben. welcher die Wahrung der Rechtssphäre der Einzelnen gegen Verlezung ihrer Rechte ... bezweckt·. vgI. auch a. a. 0 .• S. 131ff.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Il. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Ende des Nationalsozialismus

Es ist vor allem das Verdienst von Georg Jellinek 2ß und insbesondere von Ottmar Bühler, die beiden geschilderten Konzeptionen vereinigt und der

Rechtsprechung eine einheitliche Theorie des subjektiv öffentlichen Rechts an die Hand gegeben zu haben, die im Grundsatz auch heute noch gilt29 • Ein Rechtssatz bringt danach ein subjektiv öffentliches Recht "dann und nur dann zur Entstehung, wenn er 1. zwingenden Charakter trägt ... , 2. zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise, zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen ist, und wenn er 3. im Interesse dieser Personen mit der Wirkung erlassen ist, dass sie sich auf ihn sollen berufen, mittels desselben ein bestimmtes Verhalten von der Verwaltungsbehörde sollen herbeiführen können"3O. Mit dieser Definition des subjektiv öffentlichen Rechts war zunächst der Endpunkt einer prinzipiellen Entwicklung erreicht.

Auf den weiteren Weg des Drittschutzes bis zur Entstehung des Grundgesetzes sei hier deshalb nur kurz hingewiesen. In der Weimarer Zeit kann von einer "Konsolidierung des subjektiven öffentlichen Rechts" gesprochen werden3!. Breitangelegte Versuche einer grundsätzlichen Neuorientierung sind höchst selten32 ; die Arbeiten von Jellinek und Bühler werden als grundlegend angesehen33 • Die drei klassischen Kriterien des subjektiv öffentlichen Rechts werden fortgeschrieben, in Einzelheiten konkretisiert, im Grundsatz aber nicht verändert34 • Dies mag auch daran gelegen haben, daß trotz der tiefgreifenden strukturellen Veränderungen - Übergang von einer konstituSystem, v. a. S. 4lff, 67ff. Die Kontinuität belegen v. a. die Arbeiten Bühlers: Die subjektiven öffentlichen Rechte (1914); Zur Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts, in: PS für F1einer (1927), S. 26ff; Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: GS für Jellinek (1955), S. 269ff, wo er feststellt, sein Begriff des subjektiv öffentlichen Rechts sei "in bemerkenswert konstanter Grundauffassung" von der Rspr. übernommen worden, a. a. 0., S. 27lf. 30 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21. 3! Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 84. 32 Ansätze für eine grundlegend neue Konzeption subjektiv öffentlicher Rechte finden sich beispielsweise bei Richter, AöR 8 (1925), lff. 33 So berücksichtigte z. B. der WürttVGH ausdrücklich die Kritik Bühlers an seiner Rspr., vgl. WürttVGH WüRV XV (1922), 31,46, zit. bei Laubinger, Doppelwirkung, S. 37. 34 VgJ. z. B. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 19lff; Mayer, Verwaitungsrecht, S. 103f; Thoma, in: Anschütz, S. 616ff. 2ß Jellinek, 29

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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tionellen, traditionell obrigkeitsstaatlichen Monarchie zu einem republikanisch-demokratischen Staatswesen - die verwaltungsrechtliche Entwicklung sachlich und personell weitgehend ohne Bruch verlief. Naturgemäß wurde auch und gerade die Dogmatik des subjektiv öffentlichen Rechts in der Zeit des Nationalsozialismus in außerordentlicher Weise beeinflußt35• Eine in hohem Maße individuell geprägte Rechtsfigur mußte unter dem Primat des "Völkischen"36 und des "Führerprinzips"37 weitgehend ihre Bedeutung verlieren. Subjektiv öffentliche Rechte waren angesichts der gliedhaften und pflichtgebundenen Rechtsstellung des "Volksgenossen", die erst "von der Gemeinschaft her Sinn und Richtung, Wesen und Bindung erhält"38, notwendig Fremdkörper im Rechtssystem 39 • Der "Kampf wider das subjektive Recht',40 führte zwar nicht zu einer völligen Ausmerzung dieser Konstruktion; wohl vor allem aus praktischen Gründen wurde im Verwaltungsrecht die mögliche Existenz subjektiv öffentlicher Rechte konzediert. Allerdings verhielt sich die Rechtsprechung auch dem Drittschutz gegenüber nunmehr sehr zurückhaltend. Symptomatisch dafür ist eine Entscheidung des - vormals so nachbarfreundlichen - Sächsischen OVG aus dem Jahre 1935, in der die ursprüngliche Unterscheidung zwischen individualschützenden Normen und solchen, die Allgemeininteressen dienen, aufgegeben wurde41 • Die Anfechtungsklage - so das Gericht - habe nicht den Schutz subjektiver Rechte des einzelnen zum Gegenstand, sondern die Erhaltung des "Gemeinschaftsfriedens". Das mitten im Krieg 1942 gegründete Reichsverwaltungsgericht beschäftigte sich - soweit ersichtlich - nicht weiterführend mit der Problematik des 35 Ausführlich dazu Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 102ff. Bühler, GS für Jellinek, S. 269,271 FN 9, ist der Meinung, daß "es sich wirklich nicht (lohne), sich mit der Literatur aus dieser Zeit zu beschäftigen". 36 Vgl. dazu das Parteiprogramm der NSDAP, v. a. Punkt 10, abgedruckt bei Hofer, Der Nationalsozialismus, S. 28ff; Hitler, Mein Kampf, S. 433, abgedruckt bei Zentner, Kampf, S. 99f; aus der staatsrechtlichen Literatur vgI. SCheuner, in: Deutsches Verwaltungsrecht, S. 82ff. 37 Vgl. dazu Hitler, Mein Kampf, S. 378f, abgedruckt bei Zentner, Kampf, S. 97f; aus der staatsrechtlichen Literatur vgI. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 23Off. 38 Huber, 'Z5tW 96 (1936), 438, 447; vgI. auch ders., Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 365f. 39 Koellreutter, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 89f. 40 So der Titel eines Aufsatzes von Schönfeld, ZAkDR 1937, 107ff, dessen Sprache und Inhalt im übrigen den Ungeist nationalsozialistischer "Rechtswissenschaft" in besonders augenfälliger Weise deutlich machen. 41 SächsOVG Jahrb. 39, 1, 4ff; vgI. auch SächsOVG Jahrb. 39, 298, 299f.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Drittschutzes. Es war im übrigen bis zum Ende des Regimes zu völliger Bedeutungslosigkeit verurteilt. Damit konnte erst unter der Ägide des Grundgesetzes die so jäh unterbrochene Entwicklung der Weimarer Zeit wieder aufgenommen werden.

§ 4: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts -

die herrschende Meinung I. Die Schutznormtheorie

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs standen die sehr schnell ins Leben gerufenen Landesverwaltungsgerichte zunächst - wohl in Fortführung der Rechtsprechung des Preußischen OVG - der Nachbarklage durchweg ablehnend gegenüber42• Bezeichnend hierfür sind Entscheidungen beispielsweise des bayerischen VGH43, des OVG Hamburg44, des LVG Hannover45, des hessischen46 und des baden-württembergischen41 VGH. Inhaltlich recht ähnlich werden dort baurechtliche Nachbarklagen deshalb für unzulässig gehalten, weil die Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter ergehe und daher (private) Rechte des Nachbarn gar nicht beeinträchtigt werden könnten. Die - soweit ersichtlich - erste zulässige Drittklage findet sich in einer Entscheidung des VG Stuttgart, in der aus Vorschriften über den Bauwich subjektiv öffentliche Rechte des Nachbarn hergeleitet wurden48 • Bis zum

42 Eingehend zur Entwicklung der Rspr. in dieser Zeit Berger, Nachbarklagen, S. 3lff; Kemnade, Rechtsschutz, S. 13ff; Sellmann, DVBI. 1963, 273, 2n. 43 BayVGH n. F. 5, 119, 121. 44 OVG Hamburg BRS 1, 43, 44f, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die alte Rspr. des PreußOVG. 45 LVG Hannover Deutsche Verwaltung 1949, 155, 156, ebenfalls unter Bezugnahme auf das PreußOVG. 46 HessVGH DVBI. 1951, 184, 1&5. 41 BadenWürttVGH DÖV 1952, 604, 605, unter Bezugnahme auf die Rspr. des WürttVGH. 48 VG Stuttgart DVBI. 1951, 612, 613; noch ein Jahr zuvor hatte das Gericht eine baurechtliche Nachbarklage pauschal für unzulässig erklärt, VG Stuttgart DÖV 1950, 597.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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Ende der SOer Jahre hatten sich dann alle Instanzgerichte für die grundsätzliche Zulässigkeit von Nachbarklagen ausgesprochen49• Das Bundesverwaltungsgericht hielt sich in dieser Frage lange Zeit weitgehend bedeckt. Zwar wurde vorsichtig die Möglichkeit einer Nachbarklage zugestandenso, die eigentliche Grundsatzentscheidung datiert aber erst aus dem Jahre 196551 • Dort wurde erstmals ausführlich die prinzipielle Zulässigkeit von Nachbarklagen begründet. Zum Betroffenenkreis einer staatlichen Maßnahme - so das Gericht - könnten auch Personen gehören, an die sie sich nicht ausdrücklich richte. Dies gebiete vor allem Art. 19 Abs. 4 GG. Die Rechtsprechung des Preußischen OVG wurde ausdrücklich als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar bezeichnet. Von diesem Zeitpunkt an verlagerte sich der Schwerpunkt der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts zum Drittschutz auf einen anderen Problembereich. Mit der grundsätzlichen Anerkennung der Nachbarklage war ja die Frage noch nicht beantwortet, welche Vorschriften welchem Personenkreis Klagerechte einräumten und vor allem auf welchem Weg dieses Problem zu bewältigen sei. Hier half nun die Schutznormtheorie weiter. In deutlicher Anlehnung an den Bühlersehen Begriff sollte eine Verletzung eigener Rechte des Klägers dann vorliegen, wenn Normen nicht beachtet worden seien, die nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern auch dem Schutz der Interessen der Nachbarn zu dienen bestimmt seien52• Dies sei durch Auslegung der Norm anhand ihres Wortlauts, ihrer Entstehungsgeschichte, ihres systematischen Zusammenhangs und ihres Zwecks zu klären53 • Als wichtigstes Kriterium für den Drittschutz einer Vorschrift wurde in der Folgezeit vor allem die hinreichend deutliche Abgrenzbarkeit des geschützten Interesses und des Kreises der geschützten Interessenten herausgearbeitet54 •

49 Vgl. z. B. sehr früh ova Berlin BRS 2, 198, 200ff; zum Stand der damaligen Rspr. ausführlich Petm, DÖV 1965, 744, 745; dm., DÖV 1968, 547f; Sellmann, DYBI. 1963, 273, 2nf; vgl. auch Schrödter, DYBI. 1973, 763, 768. so Zuerst wohl BVerwGE 1, 83; vgI. auch BVerwGE 11, 95ff. 51 BVerwGE 22, 129ff. 52 Vgl. schon BVerwGE 1, 83.

Vgl. BVerwGE 27,29, 3lf; 28, 33, 34; Kloepfer, Umweltrecht, S. 261. BVerwGE 27,29,33; 32, 173, 176f; 41, 58, 63; 52, 122, 129; 67, 334, 339; BVerwG NVwZ 1985, 38; diese Rspr. wurde mittlerweile vom BVerwG selbst zumindest stark gelockert, BVerwG NVwZ 1987, 409. 53 54

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts stimmt mit der herrschenden Lehre übereinss. Auf der Basis dieser Schutznormtheorie entfaltete das Bundesverwaltungsgericht eine umfängliche Kasuistik, welchen Normen Drittschutzqualität zukommen solle, die an dieser Stelle nur ansatzweise und unter Beschränkung auf die für Nachbarklagen wichtigsten Gebiete dargestellt werden kann56• Im Bauplanungsrecht wird - auch was den Drittschutz betrifft - zwischen den Gebieten nach § 30 BauGB, § 34 BauGB und § 35 BauGB unterschiedenS? Im Planbereich kommt es darauf an, ob die einzelnen Festsetzungen des Bebauungsplans individualschützenden Charakter aufweisen. Ausgangspunkt ist dabei der Zusammenschluß der betroffenen Grundeigentümer zu einer "Schicksalsgemeinschaft", in der ein besonderes "Austauschverhältnis" besteht58• Restriktiv geht das Bundesverwaltungsgericht demgegenüber bei der Gewährung von Nachbarschutz aus §§ 34 und 35 BauGB vor. Nur die Eigentümer von im Außenbereich gelegenen, privilegierten Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB können sich danach mit der Anfechtungsklage gegen eine geplante Nachbarbebauung zur Wehr setzen, soweit sie in ihrem Interesse an der weiteren Ausnutzung ihrer Privilegierung betroffen werden. Ansonsten sollen § 34 und § 35 BauGB keinen Drittschutz enthalten59 • 55 Vgl. nur die umfassenden Literaturhinweise bei Marburger, Gutachten, C 19f FN 47; dazu aus neuerer Zeit noch Krebs, FS für Menger, S. 191, 20Hf; Langer, NVwZ 1987, 195, 197; Ramsauer, AöR 111 (1986),501, 509ff; Ronellenfitsch / Wolf, NJW 1986, 1955f; Sellner, Referat, L 8, 10ff; angesichts der langen Liste der grundsätzlichen Kritiker, die auch Marburger, a. a. 0., aufzählt, ist seine Aussage, die Schutznormtheorie entspreche der "völlig herrschenden Lehre" aber etwas zu pauschal; vgI. aus der neueren Literatur neben den von Marburger genannten Autoren die Schutznormtheorie ablehnend Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 124ff; Bleckmann, VBIBW 1985, 361ff; Saiter, NuR 1987, 207, 211ff; Suhr, in: Rechtsschutz für den Wald, S. 45ff; zur Kritik an der Schutznormtheorie vgl. unten §5. 56 Ganz ausführlich und m. v. w. N. Marburger, Gutachten, C 22ff, C 54ff, C 77ff, C 8Hf, C84f; vgl. auch Beckmann, Rechtsschutz, S. 166ff; Berger, Nachbarklagen, S. 97ff; zu gewerberechtlichen Schutznormen vgl. Frers, GewArch 1989, 73, 74ff. So wie im Grundsätzlichen Einigkeit herrscht, ist in bezug auf den Schutznormcharakter der einzelnen Vorschriften im Schrifttum und in der Rspr. vieles stark umstritten. Hier kann nur auf wenige Probleme hingewiesen werden. S? Eingehend zum Drittschutz im Bauplanungsrecht Sendler, BauR 1970, 4ff und 74ff. 58 Vgl. BVerwGE 27,29,33. 59 BVerwG DVBI. 1969, 263f; dazu Weyreuther, Außenbereich, S. 309f. Für § 34 BBauG Getzt BauGB) BVerwGE 32, 173, 174ff; anders beiläufig BGH NJW 1969, 234, 235; für § 35 BBauG Getzt BauGB) BVerwGE 28, 268, 273f; mittlerweile scheint das BVerwG seine Rechtsprechung allerdings zu modifizieren, vgI. BVerwG NVwZ 1987, 409, dazu unten 11. 2.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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Im Immissionsschutzrecht ist nach allgemeiner Meinung die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nachbarschützend60 , während der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG kein Drittschutz zukommen SOU61 • Gleiches dürfte für die Reststoffvermeidungs- und verwertungspflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG gelten62 bzw. auch für den neuen Grundsatz der Abwärmenutzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG63 • Bei den nicht genehmigungspflichtigen Anlagen wird von der h. M. den Vorschriften des § 22 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG drittschützender Charakter zugesprochen, der jedoch § 22 Ahs. 1 Nr. 3 BImSchG fehlen soll64. Im Atomrecht bietet die Rechtsprechung insgesamt "ein verwirrendes Bild,,65. Für die in dieser Beziehung besonders umstrittene Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst generell Individualschutz angenommen66, während es nur kurz danach vorsichtiger formuliert, die Norm vermittle Drittschutz "jedenfalls insoweit", als sie auch den einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren wolle. Nachbarschützend sollen folgerichtig die Dosisgrenzwerte nach §§ 45, 28 Ahs. 3 StrSchva sein, nicht aber das Strahlenminimierungsgebot gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrSchVa 67 • Das vorliegend besonders interessierende Naturschutzrecht und insbesondere § 8 BNatSchG weisen nach ganz allgemeiner Auffassung keinen in60 DVeIWGE 65, 313, 320; 68,58, 59; Jarass, BImSchG, § 5, Rz. 45; Kloepfer, Umweltrecht, S.463. 61 BVeIWGE 65,313,320; Jarass, BImSchG, § 5, Rz.46; a. A. Stich / Porger, Immissionsschutzrecht, § 5, Rz. 21; Wagener, NuR 1988, 71, 75; differenzierend Erbguth, Umweltrecht, S. 353.

62 Hoppe / Beckmann, Umweltrecht, S. 218; OVG Münster DVBI. 1986, 1287, 1288f; differenzierend Jarass, BImSchG, § 5, Rz. 47; als drittschützend wird hingegen die Abfallbeseitigungspnicht angesehen, vgl. Hoppe / Beckmann, a. a. 0.; Marburger, Gutachten, C 63. 63 Kloepfer, Umweltrecht, S. 464; Marburger, Gutachten, C 64. 64 Jarass, BImSchG, § 22, Rz. 11; nicht differenzierend Hoppe / Beckmann, Umweltrecht, S. 218; Klltscheidt, NVwZ 1983, 65, 72; für § 22 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG weiter Marburger, Gutachten, C 70f; keinen Nachbarschutz aus §§ 22ff BlmSchG will noch Sellner, NJW 1976, 265, 267f, gewähren. 65 Berger, Nachbarklagen, S. 166; vgl. auch Ossenbühl, DÖV 1981, 1; zum Drittschutz im Atomrecht ausführlich wieder Marburger, Gutachten, C 77ff. 66 BVeIWG DVBI. 1980, 1001, 1002. 67 BVeIWGE 61, 256, 264ff; vgl. auch BVerwGE 72, 300, 314ff; zust. beispielsweise Berger, Nachbarklagen, S. 173ff; Breuer, WiVerw 1981,219,226; Degenhart, Kemenergierecht, S. 77ff, 177[[; Marburger, Gutachten, C 77ff; Lulees / Richter, NJW 1981, 1401, 1407; Rengeling, DVBI. 1981, 323, 324[; Sendler, UPR 1981, 1, 7; anders Bender, NJW 1979, 1425, 1432f; Winter, NJW 1979, 393, 397.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

dividualschützenden Charakter auf, nur ganz vereinzelt werden auch in diesem Bereich Schutznormen angenommen68• In letzter Zeit werden allerdings auch in der Rechtsprechung Tendenzen erkennbar, die restriktive Handhabung der Schutznormtheorie etwas aufzulockern. Zwar wurde einem Urteil des OVG Münster, in dem das Gericht allen Normen des Baurechts potentiell dritt schützenden Charakter zumißt6), vom Bundesverwaltungsgericht apodiktisch widersprochen70 • Das Gericht rückt aber jetzt zumindest von der Forderung ab, die Norm müsse als Voraussetzung für den Individualschutz einen geschützten Personenkreis räumlich abgrenzen. Es komme vielmehr darauf an, "daß sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet,,71.

11. Weiterentwicklungen der Rechtsprechung 1. Grundrechte als subjektiv öffentliche Rechte

a) Offensichtlich um grobe Härten zu vermeiden, die sich aus der nachbarfeindlichen Auslegung vor allem der §§ 34 und 35 BauGB ergeben würden, hat das Bundesverwaltungsgericht relativ früh den Drittschutz mit Hilfe von Art. 14 GG zu begründen versucht72 • Die Voraussetzungen für einen Nachbarschutz unmittelbar aus der verfassungsgerichtlichen Eigentumsgarantie wurden allerdings sehr hoch angesetzt; die Ausnutzung der Baugenehmigung müsse - so wird verlangt - "die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändern und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich treffen"73, d. h. sich im Ergebnis auf den Nachbarn enteignend aus68 VG Berlin GewArch 1985, 228, 229f; Beckmann, Rechtsschutz, S. 168; KJoep[er, Umweltrecht, S. 264; Marburger, Gutachten, C 84f; Steinberg, UPR 1984, 350, 351; zu den wenigen Gegenstimmen vgI. unten § 5 11. 2. c). 6) OVG Münster NVwZ 1983, 414, 415; dazu auch Degenhart, JuS 1984, 187ff. 70 BVerwG NVwZ 1984, 38. 71 BVerwG NVwZ 1987, 409; zust. Hahn, JuS 1987,536,537. 72 BVerwGE 32,173, 178f; BVerwG DVBI. 1970, 6Of; seitdem st. Rspr. vgl. BVerwGE 36, 248, 249; 44, 235, 242ff; 68, 58, 61. 73 Z. B. BVerwGE 32, 173, 179. Im Immissionsschutzrecht bildet nach Ansicht des BVerwG § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG den Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit; daher kann bei Unterschreiten der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG festgelegten Grenze Art. 14 GG nicht herangezogen werden, BVerwGE 68, 58,61.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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wirken. Im einzelnen ist bei diesen Entscheidungen allerdings dogmatisch vieles unklar74 • Insbesondere bleibt offen, ob das Gericht das Grundrecht als Schutznorm betrachtet oder als subjektiv öffentliches Recht sui generis; auch die Problematik des Prüfungsumfangs wird nicht erörtere5 • Eine Ausweitung hat der grundrechtsunmittelbare Drittschutz durch das Bundesverwaltungsgericht im Bereich gemeinnütziger Planfeststellungen erfahren76• Soweit in einem solchen Fall die Planfeststellung dazu dienen solle, notfalls im Wege der Enteignung auf Grundeigentum des Klägers zuzugreifen, so komme der Schutz des Art. 14 GG voll zum Tragen, der nur in jeder Hinsicht gesetzmäßige Enteignungen erlaube. Damit führe jeder Verstoß gegen das bei Planfeststellungen geltende Abwägungsgebot, also auch Fehleinschätzungen bezüglich öffentlicher Belange, wie z. B. des Landschaftsschutzes, zu einer Rechtsverletzung des Klägers77 • Im Ergebnis bedeutet dies also objektive Rechtskontrolle durch das Gericht. Diese Ausdehnung des Prüfungsumfangs ist nach Ansicht des Gerichts aber wohl auf die Fälle einer unmittelbaren Inanspruchnahme klägerischen Grundeigentums beschränke8 • b) Daß im Grundsatz der Schutz von Leben und Gesundheit keinen geringeren Stellenwert aufweisen kann als der Eigentumsschutz und daß daher auch Art. 2 Abs. 2 GG Drittschutz vermittelt, ist vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt79 • Das Gericht verweist jedoch auf die praktischen Schwierigkeiten, "das Rechtsgut der 'Gesundheit' in einer Weise greifbar abzugren74 Diese Einschätzung wird geteilt von Beckmann, Rechtsschutz, S. 159, und Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5; Becker, DÖV 1978,573,579, (ein Richter am BVerwG!) gesteht zu, daß der Rspr. "eine dogmatisch begründete Eigentumstheorie jeweils nur in Ansätzen zugrunde liegt". 75 Damit die Klage erfolgreich ist, muß die Baugenehmigung wohl bereits gegen einfaches Recht verstoßen, vgl. BVerwGE 32,173,175,179; unklar allerdings BVerwGE 36,248, 25lf. 76 BVerwGE 67, 74, 76; näher zu dieser Entscheidung unten § 20 I.; vgl. auch BVerwGE 72,15, 25f; BVerwG NJW 1984, 73 (nur Leitsatz); BayVGH BayVBI. 1982, 597, 599; VGH Mannheim VBIBW 1984,418, 419. Zu einer weiteren "Ausweitung" in der "Krabbenfischer"Entscheidung vgl. unten § 18 III. 77 Dies gilt nach Ansicht des BVerwG selbst dann, wenn ein Naturschutzverband ein Grundstück nur zum Zweck der Klageerhebung zu Eigentum erworben hat, vgI. BVerwGE 72, 15, 16; dazu Paetow, NuR 1986, 144, 146. 78 Vgl. BVerwGE 67,74, 75f; BVerwG DVBI. 1981,936,938. Das Gericht spricht allerdings nur davon, daß "zumindest" bei unmittelbarer Inanspruchnahme von Eigentum eine umfassende gerichtliche Prüfung geboten sei. Eine Ausdehnung hält daher für möglich OVG Berlin DÖV 1986, 388. 79 BVerwGE 51, 15,28; 54, 211, 221; 59, 253, 26lf; vgl. noch OVG Münster NVwZ 1984, 385, 386; OVG Hamburg NVwZ 1984, 48, 50; wohl auch OVG Koblenz NVwZ 1985, 666, 667.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

zen, die es gestattet, daraus in Fällen der sog. Nachbarklagen Konsequenzen zu ziehen"8O. Eine unmittelbare Berufung auf Art. 2 Abs. 2 GG hat - soweit ersichtlich - denn auch noch nie zum Erfolg einer Nachbarklage geführt81 • c) Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Nachbarklage grundsätzlich nicht auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützt werden. Zur Begründung führt das Gericht aus, daß es Sache des Gesetzgebers sei, die Rechtssubjekte mit subjektiven Rechten auszustatten und damit zugleich zu entscheiden, wer berufen sein solle, etwaige Unrechtmäßigkeiten zur gerichtlichen Kontrolle zu stellen. Nicht Art. 2 Abs. 1 GG schaffe die für eine gerichtliche Kontrolle unerläßliche rechtliche Beziehung zwischen dem Kläger und der von ihm begehrten Kontrolle, sondern Art. 2 Abs. 1 GG setze voraus, daß sich eine solche Beziehung aus der sonstigen Rechtsordnung ergebe82• Bei der Zulässigkeit von Konkurrentenklagen ist das Gericht insoweit etwas großzügiger; bei staatlichen Subventionierungen wird dem Konkurrenten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die Wettbewerbsfreiheit zugestanden, allerdings nur bei unerträglichen und unzumutbaren Wettbewerbsverzerrungen83 • Kaum verallgemeinerungsfähig dürfte auch eine Entscheidung des OVG Berlin sein, in der das Gericht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Normen des Bundesnaturschutzgesetzes und des Bundeswaldgesetzes ausnahmsweise ein Recht auf Erhaltung von Natur und Landschaft ableitet84 • In der Begründung wird mehrfach auf die besonderen Verhältnisse, vor allem auf die Inselsituation West-Berlins hingewiesen. Neben der Notwendigkeit, das gesamte Industriepotential und alle raumbeanspruchenden Einrichtungen innerhalb festgelegter Stadtgrenzen zu konzentrieren, sei auch die hohe sozialphysische und sozialpsychische Bedeutung von Erholungsflächen für 80 BVerwGE 54, 211, 223; zust. z. B. Broß, DÖV 1985, 513, 514; dunkel bleibt allerdings, wieso die Abgrenzung des Schutzbereichs nur bei Nachbarklagen zu Schwierigkeiten führen soll. 81 Vgl. Steinberg, UPR 1984, 350, 351. 82 BVerwGE 54, 211, 221; zust. aus der Literatur z. B. Pietzcker, FS für Bachof, S. 131; Schlichter, NVwZ 1983, 641, 642; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 10; etwas vorsichtiger Breuer, DVBI. 1983,431,436; vgl. auch schon Erichsen, VerwArch 64 (1973), 319, 323f. 83 BVerwGE 30, 191, 198f, interessanterweise unter Berufung auf Bernhardt, JZ 1963,302, 309, und BVerfGE 9,83,88, also auf Stimmen, die von einem umfassenden Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Belastungen sprechen; vgl. auch BVerwGE 60, 154, 159ff; fraglich ist in diesen Fällen bereits, ob der Konkurrent nicht schon unmittelbar durch die Subventionierung in seiner Wettbewerbsfreiheit betroffen wird, so daß die Grundrechte als Abwehrrechte wirken. 84 OVG Berlin DVBI. 19n, 9OUf.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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die Bürger Berlins zu berücksichtigen, die am Stadtrand nicht auf begrünte Umwelt, sondern auf Mauern und Stacheldraht stießen. Hinzu komme, daß es sich bei der angefochtenen Maßnahme um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in ein besonders schützenswertes Gebiet handele. Offensichtlich war das Gericht der Ansicht, daß den Klägern in dem konkreten Fall unbedingt ein Anfechtungsrecht eingeräumt werden müsse, gleichzeitig befürchtete es aber eine zu starke Ausuferung naturschutzrechtlicher Drittklagen. Auch Dageförde, ein Richter am OVG Berlin, beeilte sich, in mehreren Stellungnahmen die singuläre Situation der Entscheidung zu betonen85 • 2. Das Rücksichtnahmegebot Das System des Nachbarschutzes - eingeschränkte Auslegung von Schutznormen und grundrechtsunmittelbarer Drittschutz in Extremfällen - wurde vom Bundesverwaltungsgericht schließlich um eine weitere Variante ergänzt, nämlich um die individualschützende Seite des Rücksichtnahmegebots. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1977 hatte das Gericht klagenden Eigentümern von Einfamilienhäusern im Außenbereich gegenüber einer einem Landwirt erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Maststalls für 300 bis 350 Schweine ca. 25 m von den Wohnhäusern entfernt Drittschutz gewährtl!6. Gestützt auf seine frühere, auf den objektiven Charakter abstellende Rechtsprechung87 legt es dem Gebot der Rücksichtnahme, das als öffentlicher Belang gemäß § 35 Abs. 1 BBauG Getzt BauGB) einzustufen sei, dann dritt schützende Qualität bei, wenn in "qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf besondere Rechtspositionen Rücksicht zu nehmen" sei; ein solcher Fall könne auch dann gegeben sein, "wenn unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen ihr Betroffensein wegen der gegebenen Umstände so handgreiflich ist, daß dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirkt"ss. Das 85 Dageförde, BayVBI. 1979, 490f; ders., NuR 1980, 150ff; in anderen Teilen der Bundesrepublik nahm die Rspr. eine solche besondere Situation nicht an, vgl. beispielsweise ova Bremen BauR 1978, 455, 457. l!6 BVetwGE 52, 122, 128ff; literarisch vorbereitet wurde diese Rspr. durch einen Aufsatz von Weyreuther, BauR 1975, Hf.

87 Das objektive Rücksichtnahmegebot hatte das BVetwG bereits in den 60er Jahren entwickelt, dabei aber Drittschutz ausdrücklich abgelehnt, BVetwGE 28,268,274; 29, 286, 288. ss BVetwGE 52, 122, 131; vgI. auch BVetwG NVwZ 1983, 609, 610; NVwZ 1985, 38. Zu einer weiteren Spielart ova Münster BauR 19n, 389, 392f.

Dirnberger 4

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

Bundesverwaltungsgericht hat diese Grundsätze bald auf weitere Konstellationen des Baurechts übertragen, so auf Vorhaben im unbeplanten Innenbereich89, im Bereich eines qualifIzierten Bebauungsplans90 und im Rahmen des gebietsüberschreitenden Nachbarschutzes91 , so daß durchaus davon gesprochen werden kann, daß das Rücksichtnahmegebot den bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfassend beherrscht92• Im Schrifttum gehören Sinn und Unsinn des Rücksichtnahmegebots zu den umstrittensten Problemfeldern im Baurecht93 • Die jüngere Entwicklung in der Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist vor allem durch zwei Tendenzen geprägt. Zum einen wird das Rücksichtnahmegebot auf immer mehr Bereiche auch außerhalb des Baurechts ausgedehnt. So soll es Anwendung finden im Immissionsschutzrecht94, im Wasserrecht95 und sogar bezüglich eines Rauchverbots in Gemeinderatssitzungen96• Zum anderen scheint das Bundesverwaltungsgericht neuerdings das Rücksichtnahmegebot - auch was den Drittschutz betrifft - noch stärker an das einfache Recht anzubinden. Es gebe - so das Gericht - kein das ganze Baurecht umfassendes - außergesetzliches - Rücksichtnahmegebot. Vielmehr seien die einzelnen Vorschriften daraufhin zu prüfen, ob sie auch die individuellen Interessen Dritter schützen wollten. Deswegen seien es auch die einfachrechtlichen Vorschriften selbst - im vom Gericht zu entscheidenden Fall § 31 Abs. 2 BBauG Getzt BauGB) -, nicht aber ein außerhalb dieser Vor89 Enthalten im Begriff des "Einfügens" in § 34 BBauG Getzt BauGB), vgl. BVetwGE 67, 334,337; BVetwG DVBI. 1981,928, 929f; DVBI. 1983, 349f. 90 Enthalten in § 15 BauNVO, vgl. BVetwGE 67,334, 338ff; BVetwG DVBI. 1985, 122f. 91 Vgl. BVetwG NJW 1983, 2460f; NVwZ 1983, 609, 610.

92

..

Alexy, DOV 1984, 953, 955.

93 Kritisch äußern sich beispielsweise Breuer, DVBI. 1982, 1065, 1069ff; Erbguth, FS für Ernst, S. 89, 98ff; ders., Umweltrecht, S. 339ff; Menger, VerwArch 69 (1978), 313, 314ff; Müller, DVBI. 1978, 80f; ders., NJW 79, 2378ff; Peine, DÖV 1984, 963, 966ff; Redeker, DVBI. 1984, 870ff; Schenke, NuR 1983, 81, 82ff; Schrödter, DVBI. 1977,726, 727. Dem BVetwG stimmen z. B. zu Battis, DVBI. 1978,577, 58H; Berger, Nachbarklagen, S. 116ff; Dolde, NJW 1984, 1713, 1726f; Dyong, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg, BauGB, § 31, Rz. 134 fund g; Schlichter, DVBI. 1984,875, 877ff; Weyreuther, Außenbereich, S. 31H; ders., DÖV 1983,575, 584ff. DifferenzierendAlexy, DÖV 1984, 953, 956ff; Wasmuth, NVwZ 1988, 322, 324. 94 BVetwGE 68, 58, 6Of. 9S BVetwGE 78, 40, 43f; vgl. auch BGH UPR 1984, 193, 194f.

96 ova Münster, NVwZ 1983, 485, 486; vgI. auch die "Krabbenfischer"-Entscheidung des OVG Hamburg JZ 1981, 701, 703; ablehnend allerdings BVetwGE 66, 307, 308f, dazu auch unten § 18 111.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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schriften stehendes "Gebot der Rücksichtnahme", die Drittschutz vermittelten97• § 5: Kritische Stimmen in der Literatur

l. Einigkeit in der Ablehnung der Schutznonntheorie die Einwände

Im Schrifttum wurden seit jeher immer wieder Versuche unternommen, die Schutznormtheorie - so wie sie vor allem die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht versteht - kritisch zu hinterfragen. So sehr sich diese Neukonzeptionen im Grundsatz und im Detail unterscheiden, herrscht doch bei den ablehnenden Stimmen Einigkeit darüber, daß und vor allem warum der herkömmliche Ansatz aufgegeben werden müsse. In vergröberter Näherung lassen sich sechs Einwände gegen die Schutznormtheorie ausmachen, die in etwas abgewandelter Form immer wieder vorgebracht werden. Zunächst wird auf die vorkonstitutionelle Abstammung der Schutznormtheorie hingewiesen98 • Als Bühler seine Ansicht entwickelt habe, auf die auch die heutige Auffassung fuße, habe es keine Grundrechte und insbesondere noch nicht das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gegeben. Die Schutznormtheorie müsse daher als "Relikt des verwaltungsrechtlichen Denkens der Kaiserlichen und Weimarer Zeit" unter der Ägide des Grundgesetzes aufgegeben werden99 • Im übrigen habe der Bühlersche Ansatz ursprünglich den Kreis der subjektiv öffentlichen Rechte erweitern wollen, er werde damit pervertiert, wenn er heute zu deren Einschränkung benutzt werde100 • Ein ebenfalls eher verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt liegt auch dem Einwand zugrunde, daß die Schutznormtheorie inhaltlich die Einführung eines "verkappten Enumerativprinzips" für verwaltungsgerichtliche Kla97

BVerwG NVwZ 1987, 409; das Gericht scheint insoweit auch "partiellen" Drittschutz für

§§ 34 und 35 BBauG Getzt BauGB) anzunehmen; es hat aber auch schon in früheren Entscheidungen die einfachrechtliche Anbindung des Rücksichtnahmegebots betont, z. B.

BVerwG DVBI. 1985, 122f; vgl. auch BVerwG ZfBR 1984, 300. 98 Vgl. Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 115, 116 FN 14; ders., Geschichtliche Grundlagen, S. SOff. 99 Sening, NuR 1980, 102, 105. 100 Vgl. Sening, BayVBI. 1982,428.

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

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gen bedeute lol . Angesichts der Grundentscheidung des Art. 19 Abs. 4 GG dürfe es nicht dem auf historischem oder objektiv-teleologischem Wege zu ermittelnden Willen des Gesetzgebers überlassen bleiben, ob er dem Bürger eine Klagemöglichkeit einräume oder nicht. Eine in kaum reflektierter Weise dem preußischen Verwaltungsgerichtsmodell anhängende Handhabung der Klagebefugnis - wie sie die Praxis der Schutznormtheorie darstelle - entspreche nicht dem System des grundgesetzlieh gewährten Rechtsschutzes 102• Die Schutznormtheorie - so wird weiter eingewandt - privilegiere in einer nicht zu rechtfertigenden Weise den "Störer", der keine Einschränkung seiner Klagemöglichkeiten hinnehmen müsse, wenn ihn der Staat an seiner Tätigkeit hindern wolle, gegenüber dem nicht störenden Nachbarn und bewerte damit grundlos "Betätigungsinteressen" höher als die "Schutzinteressen" der Bürger lO3 . Sie schütze im Ergebnis nicht die Freiheit gegen Eingriffe, sondern die Freiheit zum EingrifflO4 . Damit werde die Schutznormtheorie zu einer der Hauptursachen für die zunehmende Umwelt- und Naturzerstörung in der Bundesrepublik Deutschlandlos. Gegen die Schutznormtheorie werden auch methodische Bedenken vorgebrache 06 • Die Vertreter der herrschenden Auffassung bedienten sich zwar vordergründig des herkömmlichen Methodenkanons bei der Auslegung, ob eine Vorschrift auch Individualinteressen zu dienen bestimmt sei; bei genauer Betrachtung zeige sich jedoch, daß sich die herrschende Lehre bei dieser zentralen Frage in einem diffusen Meinungskonglomerat auflöse lO7. Da die traditionellen Interpretationskriterien bei der Bestimmung des Schutznormcharakters häufig nicht zu gesicherten Ergebnissen führten, erweise sich die Schutznormtheorie als ein Instrument zur Überformung der herkömmlichen Auslegungsmethoden, das bei der Ermittlung subjektiver

101

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 143; Zuleeg, DVBI. 1976,509,511.

102 Bartlsperger, 103

DVBI. 1971,723, 729, 731; ähnlich Bothe, JZ 1975, 399, 400f.

So v. a. Sum, in: Rechtsschutz für den Wald, S. 45, 55f; ähnlich Gallwas, Faktische Be-

einträchtigungen, S. 143; Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 40ff. 104 Sening, NuR 1980, 102, 105; Sum, JZ 1980, 166, 168; ähnlich Sailer, DVBI. 1976, 52lf; ders., NuR 1987, 207, 209. lOS Sening, NuR 1980, 102, 104; im Grundsatz zust. Beckmann, Rechtsschutz, S. 178; Kopp, BayVBI. 1980,263,270; dagegen Keller, BayVBI. 1981, 681, 682f. 106 .. Zuleeg, DVBI. 1976, 509, 511; vgl. auch Weyreuther, DOV 1983, 575, 587; dagegen Erbguth, Umweltrecht, S. 327; ähnlich Berger, Nachbarklagen, S. 100. 107 Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 128f.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

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Rechte im gedanklichen Ansatz den Wertvorstellungen des Normanwenders Tür und Tor öffnelos. Die Schutznormtheorie basiert auf der Grundunterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Nur Vorschriften, die zumindest auch Individualinteressen schützen wollen, sollen ja Drittschutzqualität besitzen. Bereits gegenüber dem Begriff des Interesses wird aber Kritik geübt: er sei ein blasser Blankettbegriff, der überhaupt keinen Rechtsgehalt aufweise lO9

und so aus sich selbst heraus keine Grundlage für nachvollziehbare rechtliche Problemlösungen, insbesondere für die Ermittlung subjektiver Rechte abgebe llo • Angegriffen werden aber von den Gegnern der Schutznormtheorie vor allem die Schwierigkeiten bzw. die Unmöglichkeit einer sauberen Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Diese Problematik sei bereits seit "Geburt" des Schutznormdenkens bekannt gewesenlI" und auch heute sei ihr nichts von ihrer Schärfe genommen 112• Immer mehr Stimmen im Schrifttum stellen eine "Auflösung der tradierten Abgrenzung von öffentlichen und privaten Interessen"ll3 und das Vorliegen einer "zwangsläufigen und unentwirrbaren Verflechtung öffentlicher und privater Belange"1l4 fest. Ohne saubere Trennung wäre aber die ganze Schutznormtheorie hinfällig. Der wohl häufigste Einwand, der gegen die Schutznormtheorie vorgebracht wird, bezieht sich aber auf deren praktische Anwendung. Sie führe so ihre Kritiker - zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit 1l5. Nicht selten räumen bereits die Anhänger der herkömmlichen Auffassung allerdings in euphemistischer Weise ein, daß die Rechtsprechung eine "sehr differenlOS Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 135; ähnlich Bleckmann, VBIBW 1985, 361. 109 Henke, DVBI. 1964,649,652; ähnlich ders., DÖV 1980,621,626 FN 21; Lorenz, Rechtsschutz, S. 60; Schnapp, DVBI. 1%9, 5%, 597. llO Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 126. III Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44; Giese, Die Grundrechte, S. 71; Jellinek, System, S. 53, 71. 112 Vgl. dazu auch SChmidt, NJW 1978,1769, In3; SChmidt-Aßmann, in: M / D / H, GGKomm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 128; SCholz, WiR 1972, 35, 54. 113 Ladeur, UPR 1984, 1,5, der deshalb die Schutznormtheorie wenigstens nicht mehr auf planerische Abwägungsentscheidungen anwenden will; ähnlich Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 31; dagegen dezidiert Erbguth, Umweltrecht, S. 345f. 114 Lorenz, Rechtsschutz, S. 69. 115 Die unsichere Rspr. wird allerdings verteidigt von Henke, DÖV 1980, 621, unter Hinweis auf die Einzelfallgerechtigkeit; dazu umfassend Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, v. a. S. 170ff.

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1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

zierte"116, "überreiche Kasuistik nachbarschützender Normen und Normsplitter"ll7 entwickelt habe; aus den "kaum mehr überschaubaren.und teilweise widersprüchlichen,,118, "aller Berechenbarkeit widerstreitenden,,119 Entscheidungen resultiere eine "schwer erträgliche Unsicherheit"I20. Die Gegner des Schutznormdenkens formulieren häufig weniger zurückhaltend; die Theorie habe sich zu einer "Geheimwissenschaft richterlicher Rechtsfortbildung"121, zu einer Art "scheinjuristischer Spekulation"I22, zu einem "Lotteriespiel',123 entwickelt; ihr "oft nur spekulativ(er)"I2A Ansatz führe zu einem "Irrgarten des Richterrechts"llS; angesichts dieses "Wirrwarr(s)" bleibe "eine einigermaßen verläßliche Voraussage über den anstehenden Richterspruch noch hinter der Sicherheit langfristiger Wetterprognosen zurück"I26.

Il. Unterschiedliche Auffassungen bei der Lösung die Vorschläge

Die Frage, wie all diese Defizite überwunden und die Probleme einer ausgewogenen Lösung zugeführt werden können, wird im Schrifttum recht unterschiedlich beantwortet. Eine erschöpfende Darstellung der Meinungen würde angesichts ihrer Vielzahl und der häufig nur im Detail erkennbaren Differenzierungen den Rahmen der Arbeit sprengen. Von den zwei Hauptbegründungslinien sollen daher nur die wichtigsten und pointiertesten Vertreter der jeweiligen Ansicht zu Wort kommen. Der an Einzelheiten interessierte Leser muß auf die in den Anmerkungen genannten Autoren verwiesen werden. Wie erwähnt lassen sich also zwei vom Ausgangspunkt her verschiedene Wege unterscheiden: erstens solche Autoren, die den Drittschutz prinzipiell 116 Degenhan,

JuS 1984, 187, 188.

117 Berger, Nachbarklagen, S. 106. 118 Battis,

Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 68.

119 Rande/zoo/er,

BayVBI. 1975,573,576.

120 Friauf, JurA 1969, 3, 19.

Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 139. SeOO/z, Wirtschaftsaufsicht, S. 91. 123 Bender / Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, S. 15. 12A Breuer, DVBI. 1983,431, 436. IlS Breuer, DVBI. 1982, 1065, zum baurechtlichen Rücksichtnahmegebot. 126 Manens, KritV 1986, 104, 124. 121

122

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

55

gesetzesunabhängig bestimmen, und zweitens solche, die zwar grundsätzlich am einfachen Gesetz anknüpfen, jedoch dann bei der Bestimmung des subjektiven Charakters der Norm eine von der herkömmlichen Schutznormtheorie abweichende Vorgehensweise wählen 127, 1. Die prinzipiell gesetzesunabhängige Herleitung des Drittschutzes

a) Die Auffassung, die subjektiv öffentliche Rechte zwar unabhängig vom einfachen Recht ableiten möchte, aber dabei auch die Grundrechte weitgehend unberücksichtigt läßt, wird vor allem von Henke vertreten l28 , Er geht davon aus, daß die Verletzung eines Gesetzes die von allen rechtlichen Regelungen gebildete höhere Ordnung, in der Allgemeinwohl und individuelle Freiheit aufgehoben seien, verfehlt werde l29 , Deshalb sei ein Gesetzesverstoß zunächst eine interne Angelegenheit des Staates, die keine Rechte des Bürgers, sondern allenfalls dessen Interessen beeinträchtigen könne l3O , Aus dem Rechtsstaatsprinzip folge allerdings, daß individuelle Freiheit nur dann beschnitten werden dürfe, wenn die höhere Ordnung der Gesetze beachtet werde, Das subjektive öffentliche Recht sei also "die Position des Bürgers, in der er aufgefangen wird, wenn die im Gesetz verbindlich gegebene höhere Einheit von öffentlichem Wohl und individuellen Belangen durch die Verwaltung verfehlt wird"l3l, Es könne allerdings nur entstehen, "wenn das gesetzwidrige Verhalten der Verwaltung diesen Bürger in seinen eigenen Angelegenheiten betrifft,,132, Die Frage des subjektiv öffentlichen Rechts wird 127 Eine etwas andere Einteilung, die allerdings v. a. bei der Gruppe der "einfachgesetzlichen Herleitung" des Nachbarschutzes nicht recht stimmig ist, nimmt vor Erbguth, Umweltrecht, S. 319ff; vgl. auch die Darstellungen z. B. bei Berger, Nachbarklagen, S. 109ff; ROll, Das verwaltungsgerichtliche subjektive öffentliche Recht, S. 68ff; Sailer, DVBI. 1976, 521, 522ff; Zuleeg, DVBI. 1976,509, 51Of. 128 Henke, Recht, passim; dann etwas modifizierend ders., FS [ür Weber, S. 495ff; ders., DÖV 1980, 62lff; ihm unter zusätzlicher Heranziehung von Art. 19 Abs. 4 GG weitgehend zustimmend Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35ff; ders., DVBI. 1969, 265, 266; ders., DVBI. 1971, 723ff; Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 59; ähnlich Evers, DVBI. 1970, 12, 15; für das Teilgebiet des Bauplanungsrechts will auch Redeker gesetzesunabhängig über einen allg. Planbefolgungsanspruch sogar im Bereich der §§ 34 und 35 BBauG (jetzt BauGB) Nachbarrechte herleiten, DVBI. 1968, 7ff; kritisch dazu Sendler, BauR 1970, 70, 74, 84f. 129 Henke, Recht, S. 59f. 130

Henke, Recht, S. 45.

13l

Henke, Recht, S. 53. Henke, Recht, S. 60.

132

56

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

damit von der normativen Entscheidung des Gesetzgebers getrennt und in den Bereich der "Faktizität" verlagert 133• Die Ansicht Henkes hat bald berechtigte Kritik gefunden. Haupteinwand ist die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, den "jeder normativen Kontur"l34 entbehrenden Begriff der "eigenen Angelegenheiten" ohne Zuhilfenahme der zugrundeliegenden Regelungen näher zu konkretisieren l3S. Henke selbst

hält seinen gesetzesunabhängigen Ansatz auch nicht konsequent durch. Bei der Bestimmung des Umfangs der "eigenen Angelegenheiten" rekurriert er wieder auf das verletzte Gesetz, das "die Angelegenheiten eines Bürgers, in denen er betroffen wird, zum Gegenstand" haben müsse l36. Dies sei durch eine "objektive(n) Interpretation" der Regelung zu ermitteln137• Auch daß die Grundrechte für das subjektiv öffentliche Recht keine Bedeutung haben sollen l38, ist wenig einleuchtendl39 . Schließlich muß man feststellen, daß Henke - insbesondere mit seiner modifizierten Auffassung - gegenüber der Schutznormtheorie keinen dogmatischen Fortschritt erzielt und mit erheblichem Begründungsaufwand zu praktisch identischen Ergebnissen gelangtl40.

b) Ganz aus der "Verklammerung mit einer besonderen gesetzlichen Norm" will auch Zu leeg das subjektiv öffentliche Recht lösen. Für ihn sind 133 Ähnlich Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35, 49: "individuelle Angelegenheiten"; ders., DVBI. 1970, 30, 32: "eigene Angelegenheiten"; ders., DVBI. 1971, 723, 730: "individuelle Betroffenheit"; Rupp, Grundfragen, S. 248: "Interessen ... , die auf eigene Angelegenheiten bezogen sind". 134 Seholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 124. 135 V. a. dies kritisieren Breuer, DVBI. 1983, 431, 436; Friauf, JurA 1969, 3, I1f; Lorenz, Rechtsschutz, S. 62; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 124; vgI. auch Suhr, Der Staat 9 (1970), 550f. Der Eingrenzungsversuch Rupps, Grundfragen, S. 248, eine eigene Angelegenheit sei nur eine solche, "deren Kristallisationspunkt ... unmittelbar im eigenen Entfaltungsbereich einer Person liegt", führt ebenfalls nicht weiter. 136 Henke, Recht, S. 74; ganz ähnlich im übrigen auch Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35, 49f; ders., DVBI. 1971, 723, 731. 137 Henke, FS für Weber, S. 495, 510. 138 Henke, Recht, S. 1, klammert die Grundrechte ausdrücklich aus; sie kommen nur kurz bei der Frage nach subjektiv öffentlichen Rechten gegen den Gesetzgeber ins Spiel, a. a. 0., S. 51; an anderer Stelle wird knapp ein subjektiv öffentliches Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG abgelehnt, a. a. 0., S. 97f; modifizierend allerdings ders., FS für Weber, S. 495, 502, 508. Auch Rupp geht auf Grundrechte nicht ein, obwohl er sie als "die subjektiv-öffentlichen status par excellence" bezeichnet, Grundfragen, S. 176 FN 224; vgI. dazu auch ders., DÖV 1974,193,194. 139 .. Kritisch dazu auch Schwabe, DOV 1973, 623, 630; Suhr, Der Staat 9 (1970), 550; Zuleeg, DVBI. 1976,509 mit FN 4. 140 Vgl. Henke, Recht, S. 71ff, B1ff; kritisch dazu Lorenz, Rechtsschutz, S. 62; Rupp, DVBI. 1969, 221; Wahl, DÖV 1975, 373, 3n.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

57

die Grundrechte - und hier vor allem Art. 2 Abs. 1 GG - unmittelbare Ansatzpunkte zur Bestimmung des subjektiv öffentlichen Rechts l41 . Die Grundrechte als Abwehrrechte führten - so Zuleeg - dazu, daß alle belastenden Maßnahmen des Staates ihre Grundlage in einer gemäß der Verfassung zustandegekommenen Rechtsnorm fmden müßten. Eines subjektiv öffentlichen Rechts als Bestandteil des Verwaltungsrechts bedürfe es nicht mehr, das Grundrecht sei an seine Stelle getreten l42. Das ganze "Gewirr der Schutznormtheorie" könne "beiseitegewischt werden,,143. Für die Klagebefugnis notwendig sei lediglich eine "konkrete Betroffenheit"I44, wobei allerdings minimale Störungen nicht zur Erhebung der Klage ausreichen sollen145. Auch nach der Ansicht von Zuleeg ist also wieder die "Faktizität" des Betroffenseins entscheidend; insoweit nähert sie sich, auch wenn sie einen völlig anderen Ausgangspunkt wählt, stark der von Henke an l46 und sieht sich damit dem gleichen Einwand ausgesetzt, nämlich den Schwierigkeiten bei der Präzisierung, wer zum Kreis der Klagebefugten gehören soll, wer also in diesem Sinne betroffen ise47. Griffige Kriterien kann auch Zu leeg nicht angeben, da er von seinem Ansatz aus folgerichtig auf einen außernormativen "Eigenbereich" zurückgreifen müßte. Im Ergebnis droht damit bei konsequenter Anwendung die Gefahr eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchesl48. Für die Ablehnung der Auffassung von Zuleeg ausschlaggebend ist jedoch, daß er ganz pauschal allen Beeinträchtigungen des Bürgers mit 141 Zuleeg, DVBI. 1976,509ff; ähnliche Auffassungen werden z. B. vertreten von Bemhardt, JZ 1963, 302ff; Bothe, JZ 1975, 399, 4OOf; Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245, 272f; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 145ff; Hoffmann-Becking, DVBI. 1970, 850, 854f; Müller, DÖV 1968, 627, 628f; Sening, BayVBI. 1980,62,63; neuerdings Beckmann, Rechtsschutz, S. 184ff; Bleckmann, VBIBW 1985, 361, 363f; Hofmann, UPR 1984, 73ff; wohl auch Bäumler, DÖV 1981, 43, 47f; vgl. auch unten § 8 I. 142 Zuleeg, DVBI. 1976,509,514. 143 Zuleeg, DVBI. 1976,509, 514f.

144

Zuleeg, DVBI. 1976,509,515.

Zuleeg, DVBI. 1976,509,517; ähnlich Bemhardt, JZ 1963, 302, 307; anders wohl Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 147ff, ausdrücklich S. 149. 146 Zuleeg selbst benutzt zur Konkretisierung der Betroffenheit auch den Begriff der "eigenen Angelegenheiten" unter ausdrücklichem Bezug auf Henke, vgl. DVBI. 1976,509,516. 145

147 Auf dieses Problem weisen hin Berger, Nachbarklagen, S. 149f; Krebs, Kontrolle, S. 87f; Lorenz, Rechtsschutz, S. 65f; Pietzcker, FS für Bachof, S. 131, 145ff; zu der grundsätzlich mit Zuleeg übereinstimmenden Ansicht von Bemhardt, JZ 1963, 302ff, auch Laubinger, Doppelwirkung, S. 28. 148 Vgl. Gassner, DÖV 1981, 615, 618; Krebs, Kontrolle, S. 87; Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 122; SCholz, VVDStRL 34 (1976), 141, 200 FN 227.

58

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

dem Abwehrcharakter der Grundrechte begegnen will l49 • Daß dieser Weg in einer Vielzahl von Fällen, nämlich bei Belastungen von privater Seite, also gerade den Schulbeispielen des Drittschutzes, nicht gangbar ist, wird noch zu zeigen sein; hier muß die gesetzgeberische Grundrechtskollisionslösung nachbarlicher Konflikte berücksichtigt werden l .50. 2. Gesetzesabhängige Bestimmungen des subjektiv öffentlichen Rechts Bei aller Kritik gegenüber den oben dargestellten Auffassungen kommt ihnen jedenfalls das Verdienst zu, gezeigt zu haben, daß eine Bestimmung von Drittschutznormen ausschließlich mit Hilfe des einfachen Rechts, insbesondere unter Zugrundelegung des gesetzgeberischen Willens, nicht zum richtigen Ergebnis führen kann lsl • In der Literatur mehrten sich daher die Stimmen, die zwar das einfache Gesetz zum Ausgangspunkt nahmen, dann aber bei der Frage nach dem subjektiven Charakter der Norm eine von der herkömmlichen Schutznormtheorie abweichende Antwort suchten. Stellvertretend seien hier zwei Autoren herausgegriffen, die auf recht unterschiedliche Weise versuchen, den Primat des einfachen Gesetzes zu respektieren, ohne den Schwächen der Schutznormtheorie zu verfallen. a) Für Lorenz bildet die Verfassung die Basis zur Bestimmung der subjektiven Qualität einer Regelung. Das Grundgesetz habe in Art. 1 Abs. 1 GG eine grundsätzliche Entscheidung dahingehend getroffen, das Individuum als Rechtssubjekt in den Vordergrund zu stellen 1S2• Im Verein mit Art. 19 Abs. 4 GG folge daraus, daß dem einzelnen jedesmal dann, wenn er durch staatliches Handeln in seinem Eigenbereich berührt sei, ein subjektiv öffentliches Recht zur Seite stehen müsse l53 • Weder das faktische Betroffen-

149 Kritisch insoweit auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 176ff; vgI. auch zu Zuleegs ·Vorläufern" Friauf, DVBI. 1969, 368, 371; Siegmund-Schultze, DVBI. 1964,950,952; Schwabe, DÖV 1973, 623, 627. 1.50 Kritisch zu diesem Punkt auch Breuer, DVBI. 1983, 431, 436; ähnlich wohl Fromm, VerwArch 56 (1965), 26, 56, wieder zur Ansicht Bemhardts, JZ 1963, 302ff. 151 Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 125; Wahl, DÖV 1975,373, 3n; ähnlich Menger / Erichsen, VerwArch 61 (1970), 274, 288f; SChmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221, 246 mit FN

84.

152 Lorenz,

153 Lorenz,

Rechtsschutz, S. 5lf. Rechtsschutz, S. 52f.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

59

seinl54 noch der Wille des GesetzgebersISS könnten aber dafür entscheidend sein, wann eigene Interessen des Bürgers beeinträchtigt seien. Vielmehr käme insbesondere den Grundrechten im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern die Funktion zu, den gesuchten Eigenbereich, bei dessen Betroffensein dem einzelnen ein subjektives Recht erwachse, festzulegen und zu sichernI56. Dabei müsse das gesetzwidrige Verhalten nicht notwendig eine Grundrechtsverletzung darstellen, bloße Grundrechtserheblichkeit des Gesetzes genüge allerdings nicht. Maßgeblich sei "dessen Relation zum jeweiligen Grundrecht, durch die die Regelung, je nachdem, ob sie im Dienst der Mißbrauchsabwehr, der Kollisionslösung oder der Grundrechtsprägung steht, in verschiedener und abgestufter Weise subjektive Bezüge empfängt" I57. Gerade die letztgenannte, für den Drittschutz entscheidende Formulierung sieht sich dem Vorwurf der allzu großen Vagheit ausgesetzt l58 • Lorenz bleibt denn auch in seiner Arbeit eine Konkretisierung dieses Ansatzes weitgehend schuldig. Vor allem aber wird seine Lösung dem Problem nicht gerecht, welche Bedeutung Art. 2 Abs. 1 GG in seinem System der Verschränkung von Verfassung und einfachem Gesetz zukommen soll; Lorenz versucht es dadurch zu lösen, daß er das Grundrecht insoweit lediglich als Garantie eines letzten unantastbaren Bereiches menschlicher Freiheit versteht und ihm dadurch mindere Qualität verleiheS9• b) Eine geringere Bedeutung als Lorenz weist Breuer der Verfassung zu. Gerade die im Nachbarrecht relevanten Grundrechte seien auf einfachgesetzliche Ausprägung angewiesen. Soweit das Recht aber eine umfassende und geschlossene, den nachbarlichen Interessenausgleich einschließende Regelung der in Frage stehenden Nutzungskonflikte enthalte, wie z. B. das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht, sei jedenfalls ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundrechte nicht zulässigl60 • Grundlage für subjektiv öffentliche Nachbarrechte sei daher in erster Linie das einfache Gesetzes-

154

Lorenz, Rechtsschutz, S. 58ff.

ISS Lorenz, Rechtsschutz, S. 6Off.

156 Lorenz,

157 Lorenz,

Rechtsschutz, S. 63; ganz ähnlich Sehn/z, Wirtschaftsaufsicht, S. 125f. Rechtsschutz, S. 65, unter ausdrücklichem Bezug auf Schn/z, Wirtschaftsauf-

sicht, S. 135ff. 158 Sailer, DVBI. 1976,521,525. 1S9

Kritisch dazu auch Zu/eeg, DVBI. 1976, 509, 511.

160

Breuer, DVBI. 1983,431,436.

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

60

reche 61 • Trotzdem seien "die Ansätze der Schutznormtheorie und des Grundrechtshebels" miteinander zu verbinden l62 • Das bedeute, daß subjektiv öffentliche Nachbarrechte bei der Anwendung solcher Vorschriften anzuerkennen seien, "die den nachbarlichen Interessenkonflikt durch Postulate der Zuordnung, Verträglichkeit und Abstimmung aufeinandertreffender Nutzungen regeln und zu einem Ausgleich bringen"I63. Dabei sei nicht auf den Willen des Gesetzgebers, sondern auf den objektiven Regelungsgegenstand der anwendbaren Rechtsnormen abzusteUen l64 • Die Ansicht Breuers hat verschiedentlich Zustimmung gefunden l65 • Trotzdem ist auch hier Kritik angebracht. Breuer möchte zwar den "Grundrechtshebel" zur Bestimmung drittschützender Normen einsetzen. Weitgehend dunkel bleibt jedoch, wie dies bei der von Breuer selbst zugestandenen Normgeprägtheit der maßgeblichen Grundrechte und damit auch der von ihnen geschützten Individualinteressen in der Praxis vor sich gehen soll. Unklar ist auch, in welcher Funktion - Abwehr, Schutz, Teilhabe - die Grundrechte wirksam werden sollen. Und schließlich beschäftigt sich auch Breuer nur ganz am Rande mit dem Problem des Art. 2 Abs. 1 GG und seiner Bedeutung für den Drittschutz, ohne eine Lösung auch nur anzudeuten l66 • c) Dem Weg einer gesetzesabhängigen, aber verfassungsrechtlich determinierten Bestimmung des subjektiv öffentlichen Rechts stehen auch die Autoren nahe, die naturschutzrechtlichen Regelungen nachbarschützenden Charakter beimessen wollen. Diese - allerdings höchst vereinzelt geäußerte Auffassung wird besonders pointiert von Sailer167 und Seningl68 vertreten.

Sailers Ausgangspunkt ist dabei eine geänderte Bedeutung der Grundrechte. Eine Zusammenschau verschiedener grundrechtlicher Entwicklungs161

Breuer, DVBI. 1986, 849, 854.

162 Breuer,

DVBI. 1983,431,436.

163 Breuer, DVBI. 1986,849,854; praktisch identisch ders., DVBI. 1983,431,437. 164

Breuer, DVBI. 1986,849,854.

165 Albers,

577,585.

FS für Simon, S. 519, 537 FN 99; Steinberg, NJW 1984, 457, 460; Wahl, JuS 1984,

166 Breuer führt Art. 2 Abs. 1 GG neben Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 GG als möglicherweise zu berücksichtigendes Grundrecht auf, verweist aber dann in einer Anmerkung kommentarlos auf die Drittschutz insoweit ablehnende "Geretsried"-Entscheidung des BVerwG, Breuer, DVBI. 1983,431,436 mit FN 56; das., DVBI. 1986,849,854 mit FN 57. 167 Vgl. v. a. Sailer, DVBI. 1976, 521ff; ders., NuR 1987, 207ff. 168 Vgl. v. a. Sening, Erholungslandschaft, S. 115ff; ders., NuR 1980, 102ff; ders., BayVBI. 1982,428ff.

2. Kapitel: Entwicklung und Stand des Drittschutzproblems

61

linien - die institutionelle Seite der Grundrechte, die von den Grundrechten geschaffene objektive Wertordnung und eine sozialstaatliehe Grundrechtsinterpretation - bewirke einen umfassenden Schutz positiver Freiheit und der zur Freiheitsbetätigung notwendigen Voraussetzungen!(9. Einfaches Recht, das diesen grund rechtlichen Funktionen entspreche, sei drittschützend. Angesichts der immer knapper werdenden Ressource "Natur und Landschaft", die in einem engen Zusammenhang mit der Gesundheit und der Persönlichkeitsentfaltung stehe, müßten auch die Vorschriften des Naturschutzrechts als subjektive Rechte angesehen werden!70. Eine ganz ähnliche Ansicht vertritt Sening. Die herkömmliche Schutznormtheorie sei - so Sening - unter der Ägide des Grundgesetzes nicht mehr zu halten. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips führten dazu, daß jede faktische Beeinträchtigung des Bürgers auch zur Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts führen müsse171 • Da das Naturerleben - als zentraler Bestandteil des menschlichen Daseins - über Art. 2 Abs. 1 GG mit einem umfassenden Anspruch auf Freiheit von gesetzwidrigem Zwang verbunden sei, erhielten alle Normen des Naturschutzrechts drittschützenden Charakter J72 • Den Ansätzen von Sailer und Sening ist grundsätzlich zuzustimmen. Insbesondere ihr Versuch, eine Verbindung zwischen den Grundrechten und dem Naturschutz bzw. der Landschaftspflege herzustellen, ist der richtige Ausgangspunkt zur Bewältigung auch der Frage des Drittschutzes. Allerdings ist die dogmatische Durchdringung der Problematik durch die beiden Autoren nicht immer ausreichend. Das grundrechtliche Fundament bleibt etwas diffus und erscheint für die daraus gezogenen Konsequenzen nicht tragfähig genug. Ganz unterschiedliche verfassungsrechtliche Anknüpfungen werden zu einer recht inhomogenen Begründungseinheit zusammengezogen 173 • Auch die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage der Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG wird nicht hinreichend beantwortee74 • Insbesondere wird der Schutz materieller Freiheitspositionen durch Art. 2 Abs. 1 1(9 Sailer, DVBI. 1976,521, 527ff, unter Berufung auf Rupp, Rehbinder, Klein, Steiger, Hesse, Häberle und das BVerfG. 170 Sailer, DVBI. 1976,521,531; ders., NuR 1987, 207, 212. 171 Sening, NuR 1980, 102, 105f. 172 Sening, NuR 1980,102,107. 173 Vgl. z. B. die dogmatisch uneinheitlichen Ansätze bei Sailer, NuR 1987, 207, 212f. 174 Vgl. z. B. Sailer, DVBI. 1976, 521, 531; ähnlich ders., NuR 1987, 207, 212: pauschale Be-

rufung auf Art. 2 GG.

62

1. Abschnitt: Themenbeschreibung und Einführung

GG mit der formellen Eingriffsfreiheit im Sinne der Freiheit von gesetzwidrigem Zwang verquickt17s• Aufgabe der folgenden Überlegungen wird es daher sein, den grundrechtlichen Unterbau für den DriUschutz herauszuarbeiten bzw. zu festigen und schließlich die daraus abzuleitenden Folgerungen für den Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege darzustellen.

175

Sening, NuR 1980, 102, 107.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes die Abwehr- und Schutzdimension der Grundrechte § 6: Leitvorstellungen

I. Wege zum Drittschutz

Zu Anfang muß noch einmal auf die Ausgangsproblemstellung dieser Arbeit hingewiesen werden. Es geht um die Frage, ob und inwieweit ein sog. "Drittbetroffener" eine staatliche Kontrollerlaubnis für eine bestimmte Anlage oder ein bestimmtes Projekt erfolgreich anfechten kann, wenn diese gegen die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG verstößt. Hierfür bieten sich grundsätzlich zwei Wege an, die - wie oben angesprochen - mit gewissen Nuancierungen auch in der Literatur vertreten werden: Man könnte dem Drittbetroffenen ein "Recht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang" einräumen, d. h. man gewährt ihm einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch dann, wenn er in irgendeiner - noch genauer zu bestimmenden - Weise von dem Vorhaben "faktisch" betroffen ist'. Dabei käme es nicht mehr darauf an, ob § 8 BNatSchG eine Schutznorm, also für sich genommen ein subjektiv öffentliches Recht darstellte. Jede objektive Rechtsverletzung führte automatisch zur Aufhebung der Verwaltungseni.scheidung. Ein solches subjektiv öffentliches Recht auf Gesetzmäßigkeit würde praktisch das gesamte objektive Recht versubjektivieren und die "Schutznormtheorie" überflüssig machen2 • Der zweite Weg zur Subjektivierung objektiven Rechts - hier der Eingriffsregelung - wäre der der herkömmlichen Auffassung, nämlich die Untersuchung der Frage, ob die verletzte Vorschrift des einfachen Rechts eine Schutznorm darstellt oder nicht. Dies bedeutete also die Versubjektivierung einer konkreten Norm des objektiven Rechts im Einzelfall. 1 Vgl.

die oben § 511.1. vorgestellten Auffassungen. Zuleeg, DVBI. 1976, 509, 514.

2 Ausdrücklich

64

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Die beidep Wege werden in der Literatur fast durchweg im Sinne eines "entweder - oder" verstanden. Anhänger eines subjektiv öffentlichen Rechts auf "Freiheit von gesetzwidrigen Belastungen" verstehen dieses Recht umfassend und beschäftigen sich von ihrem Standpunkt aus konsequent nicht mehr mit der Frage der Versubjektivierung einfachen Rechts3• Befürworter der "Schutznormtheorie" lehnen demgegenüber ein unmittelbar grundrechtlich begründetes Recht auf Freiheit von rechtswidrigen Beeinträchtigungen für Drittbetroffene ab4 • Im weiteren soU gezeigt werden, daß beide Wege je nach der Situation, in der sich der Dritte befmdet, offenstehen. 11. Die Rolle der Grundrechte

Die richtige Antwort auf die Frage, welcher der beiden gezeigten Wege in welcher Situation der gangbare ist, kann nicht ohne Berücksichtigung der Grundrechte erfolgen. Ja man kann davon ausgehen, daß den Grundrechten insoweit die entscheidende Bedeutung zukommt. Die Grundrechte des Grundgesetzes werden gemeinhin als subjektiv öffentliche Rechte bezeichnets. Meist werden mit dieser Qualifizierungjedoch keine konkreten rechtlichen Folgen verbunden6• Wenn dies aber geschieht, werden den Grundrechten ganz unterschiedliche Funktionen beigemessen. Sie werden teilweise unmittelbar herangezogen und sollen ohne Bezug zum einfachen Recht dem Bürger subjektive Positionen vermitteln. Dabei wird praktisch nie auf das sich bei einer solchen Anwendung sofort stellende Problem des materiellen Prüfungsumfanges eingegangen7, meist deshalb, weil die Problematik bei der Klagebefugnis abgehandelt wird, die bei Be-

Z. B. Hoffmann, Abwehranspruch, S. 54f. Vgl. z. B. Kloep[er, Umweltrecht, S. 264, da ansonsten "die einschlägigen Entscheidungen des Gesetzgebers zu leichthändig negiert" würden. 5 Bereits im Parlamentarischen Rat scheint darüber Einigkeit geherrscht zu haben, vgl. die Äußerung des Abgeordneten Dr. Schmid, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 43. Der subjektiv öffentliche Charakter der Grundrechte wird weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur prinzipiell bestritten, vgl. z. B. Starck, JuS 1981,237,238. 6 Dies rügt auch Ramsauer, AöR 111 (1986), 501,505; symptomatisch ist trotz ihres Alters (1954) die wenig konkrete Äußerung von Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 119 mit FN 28. 7 Andeutungen finden sich bei Bleckmann, VBIBW 1985, 361, 364f; Krebs, FS für Menger, S. 191,206; vgl. auch Pietzcker, FS für Bachof, S. 131, 142. 3 4

Vorbemerkung: Leitvorstellungen

65

troffenheit eines Grundrechts dann gegeben sein soU8 • Teilweise sollen die Grundrechte aber auch eine Rolle bei der Bestimmung des Drittschutzes des einfachen Gesetzes spielen, wobei die Einzelheiten der verschiedenen Auffassungen stark voneinander abweichen: Die in Betracht stehenden rechtlichen Vorschriften sollen "im Lichte der Verfassung und insbesondere der Grundrechte,,9 interpretiert werden; die "wertverdeutlichende Funktion" der Grundrechte müsse berücksichtigt werden10 ; man müsse prüfen, ob die "Wertentscheidungen (der Verfassung) die Anerkennung des subjektiven Rechts verlangen"ll, wobei man "den Blick zwischen dem vorstrukturierenden Normenmaterial des einfachen Rechts und den zentralen Grundrechtsaussagen hin- und herwandern" lassen müsse l2; es wird eine "Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht integrierende Betrachtung" gefordert 13 • Diese sicherlich unvollständige Zusammenstellung zeigt zweierlei: zum einen die Unsicherheit, was die Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz betrifft, zum anderen die allgemeine Überzeugung, daß ihnen insoweit eine ganz wichtige Funktion zukommen muß l4 • Jedenfalls was die hier gewählte Ausgangsproblematik angeht, kann die Verfassung allein aber nicht die richtige Antwort auf die "Drittschutzfrage" geben. Klammert man nämlich die Situationen aus, in denen eine Genehmigungsentscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht, bzw. solche Lebenssachverhalte, in denen der Normgeber keine oder nicht genug Regelungen zum Schutz gefährdeter Grundrechtsgüter bereitgestellt hat, wo also tatsächlich nur ein unmittelbarer Rückgriff auf die Verfassung möglich ise5, verbleiben als Regelfall Konstellationen, in denen eine Genehmigung einfaches Recht verletzt. Nur diese Verletzung kann auch subjektiv öffentliche Rechte des Bürgers beeinträchtigen. Dem entspricht das grundsätzliche "Angewiesensein" der im Umweltrecht in erster Linie tangierten Grund-

8

Vgl. schon Bemhardt, JZ 1963, 302, 306.

Tschira / SChmitt-Glaeser, VeIWaltungsprozeßrecht, Rz. 227; ähnlich Erbguth, Umweltrecht, S.337; Schlichter, NVwZ 1983, 641; SChmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 123. 10 Marburger, Gutachten, C 35. 9

Seholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 125 (Klammerzusatz vom Verf.). Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz 121. 13 Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 146. 14 Zweifelnd jedoch Eyermann, BayVBI. 1974,237,242. 15 Vgl. Erbguth, Umweltrecht, S. 333; Ramsauer, AöR 111 (1986),501,515.

II

12

Dimberger 5

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

66

rechte aus Art. 14 und Art. 2 Abs. 2 GG auf einfachgesetzliche Ausprägung l6 • Das Problem läßt sich also auf die Frage zuspitzen, ob und gegebenenfalls wie die Grundrechte die Verletzung einfachen Rechts zu einer Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts zu transformieren vermögen, oder anders ausgedrückt, wann die Verletzung einfachen Rechts gleichzeitig die Verletzung einer Grundrechtsposition des Bürgers darstellt. lII. Die These

Bevor auf Einzelheiten eingegangen werden kann, sei hier die grundsätzliche Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz, die der hier vertretenen Auffassung zugrunde liegt, vorweg und noch ganz grob umrissen. Für beide der oben aufgezeigten Wege zum Drittschutz können die Grundrechte herangezogen werden, allerdings in einer je unterschiedlichen Funktion. Grundrechte richten sich in erster Linie als Abweh"echte gegen den Staat 17• Soweit sie in dieser Form gegen staatliche Maßnahmen eingesetzt werden können, vermitteln sie dem Betroffenen einen ganz umfassenden status negativus l8 • Ist eine exekutivische Maßnahme also als Eingriff zu qualifizieren, braucht ihn der Bürger nur zu dulden, wenn er rechtmäßig ist, wenn er also in jeder Hinsicht dem - als verfassungsmäßig vorausgesetzten einfachen Recht entspricht. Bei dieser Grundrechtsfunktion ist ein Rückgriff auf die Subjektivität des verletzten einfachen Rechtssatzes nicht mehr not16 17

Vgl. Breuer, DVBI. 1983,431,436. BVerfGE 7,198,204.

18 In diesem Sinne kann die Statuslehre Georg Jellineks mit den Grundrechten verbunden werden. Bereits Jellinek setzt den negativen status Iibertatis nicht "mit den im individuellen Interesse gesetzlich anerkannten Freiheiten" gleich, System, S. 102; vielmehr soll das Individuum "vom Staate zu keiner gesetzwidrigen Leistung herangezogen werden und hat demnach einen auf Anerkennung seiner Freiheit beruhenden Anspruch auf Unterlassung und Aufhebung der diese Norm überschreitenden obrigkeitlichen Befehle. Alle Freiheit ist einfach Freiheit von gesetzwidrigem Zwang", a. a. 0., S. 103. Zu eng daher Rupp, Grundfragen, S. 161, 250, 253, der zwar von Jellinek ausgeht, die Subjektivierung aber dem einfachen Recht entnehmen will. Dagegen zurecht Hoffmann, Abwehranspruch, S. SIr. Jellinek zählt allerdings bereits den Anspruch des Bürgers auf Nichtauferlegung eines gesetzwidrigen Zwanges oder Verbotes zum positiven Status des Individuums, a. a. 0., S. 105; daraus resultiert ein "eigentümlich vagabundierende(r) Charakter" des Abwehrrechts bei Jellinek, vgI. Alexy, Theorie, S. 234. Neuerdings meint Scherzberg, DVBI. 1989, 1128, 1134f, man müsse die Statuslehre Jellineks überwinden.

Vorbemerkung: Leitvorstellungen

67

wendig. Die Grundrechte selbst vermitteln dem Bürger ein umfassendes subjektiv öffentliches Recht auf Gesetzmäßigkeie9 • Die zugrunde liegenden Normen des einfachen Rechts bestimmen nur Inhalt und Reichweite des grundrecht/ich begründeten subjektiven Rechts20 • Nun gehen viele Beeinträchtigungen nicht vom Staat selbst, sondern von Projekten aus, die von anderen Bürgern durchgeführt werden21 • Die Grundrechte, die sich nach richtiger Ansicht nur gegen den Staat richten22, scheinen in dieser Situation, jedenfalls soweit man sie als Abwehrrechte begreift, ohne Relevanz zu sein23 • Den Grundrechten kommt aber - wie noch zu zeigen sein wird - ganz allgemein eine über das bloße Abwehrrecht hinausgehende Funktion zu: ihnen muß die Verpflichtung des Staates entnommen werden, die grundrechtlichen Schutzgüter bzw. die grundrechtlich geschützten Handlungen und Tätigkeiten auch vor Beeinträchtigungen von dritter Seite zu schützen. Soweit die Grundrechte in dieser Funktion, als Scltutzrecltt, in Anschlag gebracht werden, kann ihnen aber kein umfassender "status negativus" entnommen werden. Die Schutzpflicht ist vielmehr mit dem zweiten Weg zum Drittschutz in Verbindung zu bringen. Sie entscheidet, inwieweit eine Norm des einfachen Rechts zu einer subjektiv öffentlichen Position des Bürgers wird. Diese sehr allgemein gehaltenen Thesen sollen im folgenden näher betrachtet und in ihren konkreten Auswirkungen genauer untersucht werden.

19 Dies gilt jedenfalls für alle materiellen Rechtsnormen; die Problematik verfahrensfehlerhafter Verwaltungsakte muß hier insgesamt ausgespart bleiben; vgI. hierzu z. B. Bethge, NJW 1982, Hf; Hufen, Fehler, v. a. S. 355ff; ders., DVBI. 1988, 69, 72; Geist-Schell, Verfahrensfehler, passim; Ronel/enjitsch / Wolf, NJW 1986, 1955ff; Schenke, DÖV 1986, 305ff.

20 Insoweit vermitteln die Grundrechte einen modalen Abwehranspruch gegen die Exekutive; allein diese Grundrechtsfunktion ist für die hier vertretene Konzeption eines subjektiv öffentlichen Rechts auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen von Bedeutung. Darüber hinaus haben die Grundrechte als Abwehrrechte - allerdings in geringerem Maße - materielle Bedeutung, insbesondere fordern sie die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Auch gegenüber legislativen Maßnahmen vermitteln die Grundrechte sowohl ein modales als auch ein materielles Abwehrrecht. Dazu Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 23ff. 21 Vgl. nur Murswiek, WiVerw 1986,179. 22 Zu der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte vgl. unten § 10 11. 23 Vgl. z. B. Berger, Nachbarklagen, S. 126.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte § 7: Die Existenz eines Rechts auf Gesetzmäßigkeit 1. Ausgangssituation

Daß die Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat darstellen, wird von niemandem ernstlich bestritten. Noch immer ist diese Funktion der Grundrechte am bedeutsamstenl • Eine besondere interpretatorische Herleitung erübrigt sich also insoweit. Daß dieser Abwehrfunktion ein "Recht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang" entnommen werden kann, ist von Literatur und Verwaltungsrechtsprechung ebenfalls anerkannt und zwar für den Adressaten eines Verwaltungsakts2• Aber bereits hier fmdet sich bezeichnenderweise eine gewisse Unsicherheit in der Einordnung der Problematik. Häufig wird die sog. "Adressatentheorie" lediglich im Bereich der Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage, bei der Frage der Klagebefugnis erörtert. Die Klage des Adressaten sei immer zulässig, da in einem solchen Fall zumindest die Möglichkeit der Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG bestehe3 • Auf die Frage des Prüfungsumfangs bei einer solchen Klage und ganz grundsätzlich, wie denn die Grundrechte beim Adressaten ein so umfängliches subjektiv öf-

1 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 11; auch Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 72, 102, räumt dies ein; teilweise wird dagegen eingewandt, daß wegen der zunehmenden Teilnahme des Staates am gesellschaftlichen Leben "Freiräume zur Verwirklichung des negatorischen Anspruchs der Freiheitsrechte nicht mehr vorhanden sind", Sterzei, Wissenschaftsfreiheit, S. 95, bzw. die Grundrechte in ihrer negatorischen Funktion "großenteils" leerlaufen, Reuter, DVBI. 1974,7, 12. Ablehnend zurecht z. B. Klein, Grundrechte, passim. 2 Vgl. Beckmann, Rechtsschutz, S. 156; Bleckmann, VBIBW 1985,361,363; Brohm, PS für Menger, S. 235, 239f; Krebs, Kontrolle, S. 83; PielZner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, S. 75; Skouris, Verletztenldagen, S. 57; allg. zur "Adressatentheorie" Kopp, VwGO, § 42, Rz. 79, m. v. w. N. aus der Rspr. 3 Achterberg, DVBI. 1981, 278; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24, Rz. 88; Berger, Nachbarklagen, S. 214; Birk, NuR 1982, 1; Bleckmann / Eckhoff, DVBI. 1988,373, 374.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

69

fentliches Recht vermitteln, wird kaum eingegangen4 • Trotzdem kann man bei den Literaturstimmen, die sich damit beschäftigen, Einigkeit darüber konstatieren, daß dem Adressaten nicht nur in jedem Fall die Klagebefugnis zukommen, sondern daß sich die gerichtliche Rechtmäßigkeitsüberprüfung auf das gesamte objektive Recht erstrecken solls. Ein solches Recht des Adressaten, nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht seine Grundlage im objektiven Recht fmdet, ist auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt6 • Zur Begründung dieses Rechts wird meist ganz pauschal und ohne nähere Erörterung auf die Grundrechte verwiesen. Dieses DefIZit verwundert aus zwei Gründen: Betrachtet man die Anfänge der Entwicklung des subjektiv öffentlichen Rechts insbesondere bei Bühler, so zeigt sich, daß dessen Theorie eines solchen Rechts geradezu an "Adressatenfällen" entwickelt worden ist7• Es war also keineswegs so, daß man dem Adressaten einer belastenden Verfügung ohne weiteres eine Sonderstellung eingeräumt hätte. Im Gegenteil: es blieb - gleich in welcher Weise ein Bürger von einer staatlichen Maßnahme beeinträchtigt wurde bei der grundsätzlichen Problematik, ob ihm ein subjektiv öffentliches Recht auf Aufhebung zustehen sollte oder nicht. Diese individuellen Ansprüche bedurften jeweils einer speziellen Verankerung im positiven Recht. An dieser fehlenden Unterscheidung von Adressat und Drittbetroffenem ändert sich auch nichts, wenn man seinen Blick auf die gegenwärtige Rechtslage nach der VwGO richtet. An keiner Stelle ist von "Adressaten" oder "Drittbetroffenen" die Rede. Die Verwaltungsprozeßordnung kennt lediglich den Begriff des "Beteiligten"8. Die ausschlaggebenden Vorschriften der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO enthalten keine Differenzierung zwischen Adressaten eines Verwaltungsakts und Dritten.

4

Dies rügt auch Henke, Recht, S. 67; deutlich auch Skouris, Verletztenklagen, S. 148f.

Eindeutig z. B. Bettermann, GS für Imboden, S. 37, 49, 54; Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 52; wohl auch Hufen, DVBI. 1988,69,72, 73. 6 Vgl. z. B. BVerfGE 6, 32, 37f, 41; 9, 83, 88; 17,306, 313f; 19,206,215; 19,253,257; 29,402, 408; 33, 44, 48; 42, 20, 27; 65, 297, 303f. 7 Darauf weisen u. a. auch hin Beckmann, Rechtsschutz, S. 182; Ladeur, UPR 1984, 1, 3; Winter, NJW 1979, 393, 398. Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, passim. 8 Vgl. § 63 VwGO; in § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG wird festgelegt, daß ein Verwaltungsakt denjenigen Beteiligten bekanntzugeben ist, für die er bestimmt ist oder die von ihm betroffen werden. Abgesehen davon, daß dadurch der Personenkreis ungenau von der "Betroffenheit" her bestimmt wird, ist dadurch sicherlich keine verwaltungsprozessuale Andersbehandlung von Adressaten impliziert. 5

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

70

Il. Von der al/gemeinen Handlungsfreiheit

zur al/gemeinen Eingriffsfreiheit

1. Der umfassende Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG

Trotzdem gibt es für die gleichsam "unterbewußte" Ahnung der h. M., daß ein Anspruch auf Gesetzmäßigkeit gegenüber der Verwaltung existiert, grundrechtlichen Halt. Soweit nämlich die Grundrechte als Abwehrrechte eingesetzt werden, wenn also der Staat dem Bürger "unmittelbar,,9 gegenübertritt, läßt sich aus ihnen ein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Belastungen herleiten. Unbestreitbar ist der Staat nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, sich rechtmäßig zu verhalten, was für exekutivische Maßnahmen in erster Linie die Bindung an das einfache Gesetz bedeutet. Dieses zunächst rein objektivrechtliche Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wird über den Abwehrstatus der Grundrechte vollständig versubjektiviert. Die Grundrechte bilden im status negativus vor allem wegen der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG ein geschlossenes System zum umfassenden Schutz bürgerlicher Freiheit lo • Grundsätzlich ist also alles erlaubt, was die Gesetze nicht ausdrücklich verbieten. Handelt die Verwaltung unter Verletzung einfachen Rechts, handelt sie gleichzeitig gesetzlos, die Regelung findet keine Grundlage in der verfassungsmäßigen Ordnung. Auf die Art der Rechtsverletzung kommt es dabei nicht mehr an, ansonsten würde man die Grundrechte im Verhältnis Verwaltung - Bürger wenigstens teilweise, insbesondere bei formell rechtswidrigen Maßnahmen, ausschalten 11 • Parallel dazu hat das Bundesverfassungsgericht aus den Grundrechten auch den Anspruch des Bürgers abgeleitet, sich gegen lediglich formell verfassungsmäßige Gesetze zur Wehr setzen zu können. Auch hier braucht ein Freiheitsrecht materiell nicht verletzt zu sein, das Gesetz ist nichtig, selbst Zu dem Begriff der "Unmittelbarkeit", wie er hier gebraucht wird, vgl. unten § 8 11. Dabei wirkt in erster Linie das jeweilige Spezialgrundrecht. Unsauber BVerfGE 19, 253, 257: "Art. 2 Abs. 1 GG verbietet Eingriffe der Staatsgewalt, die nicht rechtsstaatlich sind"; eindeutig BVerfGE 13, 181, 190; 14, 105, 116. Ein Parallelproblem findet sich bei der Frage nach der Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich der Rüge der formellen Verfassungswidrigkeit von Gesetzen, vgl. zunächst BVerfGE 10, 89, 99; 11, 234, 236; 12, 296, 308, und demgegenüber BVerfGE 24,367 (Leitsatz 1); 32,319,326. 9

10

11

..

Schwabe, DOV 1973, 623, 628.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

71

wenn die Regelung inhaltlich für sich genommen durchaus zulässig wäre. Der Bürger muß sich eben nur eine in jeder Hinsicht verfassungsmäßige Beschränkung seiner Freiheit gefallen lassen l2 • Es soll hier nicht verschwiegen werden, daß das Bundesverfassungsgericht insoweit keine einheitliche Linie verfolgt, sondern teilweise davon ausgeht, daß Art. 2 Abs. 1 GG nur bei Eingriffen "in den Kernbereich der persönlichen Freiheit" verletzt sei bzw. dann, wenn eine freiheitsbeschränkende Regelung "aus anderen (also außerhalb des Art. 2 GG liegenden) Gründen der verfassungsmäßigen Ordnung" widerspreche 13 • Diese Formulierungen sind aber im Kontext der jeweiligen Entscheidung zu sehen und dürfen nicht den Blick auf die allgemeine Linie des Bundesverfassungsgerichts verstellen, das Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit und Schlußstein im Grundrechtssystem möglichst weit auslegt. Hinter einer solchen weiten Auffassung steht die grundsätzliche Trennung von bürgerlicher Freiheit und staatlicher Kompetenz. Der Staat ist nur befugt, Freiheiten zu beschränken, wenn ihm ausdrücklich die Berechtigung dazu eingeräumt worden ist. Dem entspricht die grundrechtliche Befugnis des Bürgers, solange von seiner Freiheit Gebrauch machen zu dürfen, wie ihn der Staat nicht rechtmäßig daran hindert. Die Gegenmeinung ließe sich nur halten, wenn die Prämisse dieser Argumentation, nämlich die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht, unzutreffend wäre. An Versuchen, Art. 2 Abs. 1 GG die Grundrechtsqualität abzusprechen bzw. seinen Anwendungsbereich auf spezielle Arten menschlicher Betätigung oder auf den engeren Persönlichkeitsbereich zu beschränken, hat es nicht gefehlt l4 • Heute kann das Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit jedoch als gesichert geIten l5 • Bereits aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich der Wille der VerfasBVerfGE 6,32,41; umfassend neuerdings wieder BVerfGE SO, 137ff. BVerfGE 9, 137, 146; dazu Seholz, AöR 100 (1975), 80, 10Hf. 14 Vgl. die Auffassung z. B. von Klein, der in Art. 2 Abs. 1 GG wegen seiner inhaltlichen "Unbestimmtheit, Dehnbarkeit und Vagheit" kein ''selbständiges Grnndrechl", sondern nur einen objektiv rechtlichen "Freiheitssatz" und eine "Auslegungsregel" sieht, v. Mangoldt / Klein, GG-Komm., Art. 2, Anm. III. 5., S. 166ff; Kohlmann, Das subjektiv öffentliche Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch, S. 46ff; Wertenbrnch, DVBI. 1958, 48Hf; bzw. die sog. ''Persänlichkeitskerntheorie'', Peters, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, S. 47ff; Hesse, Grundzüge, Rz. 428; neuerdings wieder die abw. M. des Bundesverfassungsrichters Grimm, BVerfGE SO, 164ff. 15 Vgl. für viele v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 17, m. w. N. 12 13

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

72

sungsväter, jedermann das Recht einzuräumen, "zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt,,16. Lediglich weil diese Formulierung "zu vulgär klinge und das Würdevolle im Klang, das man in die Grundrechte hineinlegen wolle, dadurch durchbrochen würde,,17, wurde die jetzt geltende Fassung gewählt. 2. Art. 2 Abs. 1 GG als Gewährleistung einer allgemeinen Eingriffsfreiheit a) Dieser allgemeinen Handlungsfreiheit kann auch eine allgemeine Eingriffsfreiheit entnommen werden, eben jenes subjektive Recht auf Gesetzmäßigkeit, auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen. Vor allem Sc/lOlz wendet sich gegen eine solche Ableitung18• Er versucht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend zu interpretieren, daß dem Art. 2 Abs. 1 GG keine allgemeine Eingriffsfreiheit entnommen werden könne; vielmehr sei die Vorschrift ein konkretisierungsbedürftiges, thematisch offenes Grundrecht, in das nicht jede rechtswidrige Maßnahme des Staates eingreife. Rechtlich relevant werde sie erst dann, wenn die Verletzung eines thematisierten Freiheitstatbestandes indiziert sei. Die tatsächliche Beschwer des Grundrechtsträgers fungiere so nicht nur als Prozeßvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde, sondern als materielle Voraussetzung der thematisierten Grundrechtsverletzung selbst 19 • Genau betrachtet rückt Scholz damit wieder in die Nähe der Auffassungen, die Art. 2 Abs. 1 GG nicht als allgemeine Handlungsfreiheit, sondern als Grundrecht ansehen, das nur ganz bestimmte Betätigungsarten schützen will. Wenn Scholz dies auch nur im Rahmen der Eingriffsfreiheit erwägt, resultiert aus seiner Ansicht konsequenterweise auch eine Einengung des 16 Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses, vgl. JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 56; ähnlich schon Art. 2 Abs. 2 des HehE. Vgl. auch die Diskussion im Parlamentarischen Rat zum Vorschlag "freie Entfaltung der Persönlichkeit", insbesondere die unwidersprochen gebliebene Äußerung des Abgeordneten Lensing: "Freie Entfaltung umfaßt alles·, a. a. 0., S. 57. 17 Äußerung des Abgeordneten Dr. v. Mangotdt, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 6l.

Schatz, AöR 100 (1975), SO, 95ff. Schatz, AöR 100 (1975), SO, 104; ihm zust. Gassner, DÖV 1981, 615, 618; ähnlich im übrigen schon Henke, Recht, S. 97f; neuerdings Herdegen, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen 18

19

Rechts, S. 161, 172f.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

73

Schutzbereichs, also der allgemeinen Handlungsfreiheit selbst. Die gegen eine solche Auffassung sprechenden Gründe sind hinlänglich erörtert worden20 • Zuzugestehen ist Scholz zwar, daß es ein subjektives Recht auf Rechtsstaatlichkeit als solches nicht gibei; trotzdem folgt aus dem Auffangcharakter des Art. 2 Abs. 1 GG ein umfassender Freiheitsstatus, in dem Abstufungen zwischen verschiedenen Freiheitsbetätigungen nicht existieren. Deshalb enthält Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur eine umfassende Handlungsfreiheit, sondern als deren Ergänzung auch für alle praktisch werdenden Beeinträchtigungen der Freiheit ein subjektives Recht auf Gesetzmäßigkeit des Eingriffs22• In dieser Funktion erschöpft sich die Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG wohlgemerkt nicht. Es gibt aber keinen Grund, die Vorschrift in diesem Bereich in irgendeiner Weise einengend auszulegen. b) Ein unbeschränktes Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen aus den Grundrechten lehnt auch Alexy ab. Nur Verstöße gegen solche Normen dürften gerügt werden, "die relativ auf das allgemeine Freiheitsrecht des jeweils Betroffenen freiheitsschützenden Charakter haben,,23. Dazu soll die Verletzung von Kompetenznormen gehören, die auch die Funktion hätten, individuelle Freiheit zu schützen24 • Seien hingegen die Freiheitsbereiche anderer Grundrechtsträger verletzt, könne der Betroffene diese nicht relativ auf ihn bezogene Verfassungswidrigkeit nicht geltend machen25 • Diese Einschränkung überzeugt jedoch nicht. Festzuhalten ist, daß Grundrechte anderer insoweit jedenfalls auch einen für den Betroffenen freiheitsschützenden Effekt haben, wenn sie auch in erster Linie nicht den Schutz individueller Positionen anderer Grundrechtsträger bezwecken. Aber auch Kompetenznormen haben zunächst nicht die Aufgabe, Grundrechte zu schützen, sondern Handlungsermächtigungen innerhalb der staatlichen Sphäre gegeneinander abzugrenzen, auch hier scheint der Effekt also wenig6ff.

20

vgl. z. B. Grabitz, Freiheit, S. 113ff; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz.

21

Seholz, AöR 100 (1975), SO, 105.

in: M / D / H, GG.-Komm., Art. 2 Abs. I, Rz. 26; Hofmann, UPR 1984, 73, 8lf; v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 23; Skouris, Verletztenklagen, S. 14; wohl auch Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 141, 146. Genaugenommen - darauf sei nochmals hingewiesen - folgt das Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen aus dem Abwehrmodus der Grundrechte insgesamt. Art. 2 Abs. 1 GG macht diesen Status nur komplett. 22 Dürig,

23 Alexy, Theorie, S. 356.

24 Alexy, Theorie, S. 348f; Schwabe, DÖV 1973, 623; zweifelnd Herdegen, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 161, 170. 25 Alexy, Theorie, S. 353ff.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

stens mit entscheidend zu sein. Im übrigen kommt es darauf gar nicht an. Aus der grundsätzlich unbeschränkten Freiheit des Bürgers und der grundsätzlich beschränkten Kompetenz des Staates folgt im Abwehrbereich der Grundrechte, daß der Staat, solange er sich - aus welchen Gründen auch immer - außerhalb der Rechtsordnung bewegt, Freiheit nicht einzuschränken vermag. Der freiheitsschützende Zweck der verletzten Vorschrift ist ohne Belang26• Ale.xy's Ansicht führte überdies zu dem eher seltsamen Ergebnis, daß ein Betroffener zwar eine Maßnahme abwehren könnte, die inhaltlich mit genau derselben Belastung von einem anderen Hoheitsträger herbeigeführt werden könnte, nicht aber einen Akt, der materiell gegen Grundrechte anderer Grundrechtsträger verstößt und daher so unter keinen Umständen hätte erlassen werden dürfen. Richtig ist vielmehr, daß es bei tatsächlicher BetroffenheitZ7 auf die Art der Rechtswidrigkeit nicht ankommt. Die grundrechtliehe Freiheit bleibt bis zu ihrer in jeder Hinsicht rechtmäßigen Einschränkung erhalten.

c) Art. 2 Abs. 1 GG schützt damit nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern gewährt zusammen mit den anderen Grundrechten dem Bürger einen umfassenden status negativus, der ihn vor jeder rechtswidrigen Belastung bewahrt. Aus jeder Verletzung dieses Rechts auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen folgt gleichzeitig ein Anspruch, diese Belastungen abwehren zu können. III. Zusammenfassung

Die Grundrechte bilden - insbesondere mit Unterstützung von Art. 2 Abs. 1 GG als Schlußstein - ein geschlossenes abwehrrechtliches System umfassenden Schutzes bürgerlicher Freiheit. Art. 2 Abs. 1 GG besitzt hier die Funktion eines Auffanggrundrechts, das jede denkbare Freiheitsbetätigung grundsätzlich um faßt. Soweit die Abwehrfunktion der Grundrechte reicht, entspricht dieser allgemeinen Handlungsfreiheit auch eine allge-

26 Ähnlich wohl Rupp, Wirtschaftsverfassung, S. 15, der aber auf die soziale Interdependenz aller Grundrechte hinweist.

Z7 Zur Betroffenheit beim Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen vgl. unten § 23.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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meine Eingriffsfreiheit, d. h. ein Recht auf objektive Gesetzmäßigkeit aller freiheitsbeschränkenden Eingriffe des Staates. § 8: Die Bestimmung des "Adressaten" I. Die Auffassungen in der Literatur

Eine Frage stellt sich aber sofort im Anschluß an die Feststellung eines solchen Rechts auf nur gesetzmäßige Beeinträchtigung: welcher Personenkreis soll dieses Recht geltend machen dürfen. Zwei Extrempositionen lassen sich - bei allen Unterschieden im Detail - ausmachen.

1. Die Theorie der "faktischen Betroffenheit" a) Nach einer in der Literatur relativ früh geäußerten Ansicht 28 muß eine Differenzierung zwischen Adressaten und Drittbetroffenen unter der Ägide des Grundgesetzes völlig aufgegeben werden. Ausschlaggebend sei lediglich, ob der einzelne von einer staatlichen Maßnahme in seinen Grundrechten in irgendeiner Weise faktisch betroffen sei29 • Wegen des umfassenden Grundrechtsschutzes, insbesondere wegen des Auffangcharakters des Art. 2 Abs. 1 GG, könne damit jeder Betroffene jede Rechtswidrigkeit mit Erfolg rügen. Dies sei grundrechtlich schon deshalb gefordert, weil sonst der Bürger, der lediglich faktisch an irgendeiner Freiheitsbetätigung gehindert werde, beispielsweise in freier Natur wegen einer dort genehmigten Industrieanlage spazierenzugehen, einen Verstoß gegen lediglich objektives Recht hinnehmen müsse, während ein Vorhabensträger, der von seiner (Eigentums-, 28 Als erster wohl Bemhardt, JZ 1963,302, 306f; ihm zustimmend Theuerkau[, DVBI. 1964, 386,387; Ansätze allerdings schon bei Dürig, JZ 1957, 169, 173; Menger, in: Die Grundrechte, S. 717, 749f; Naumann, GS für Jellinek, S. 391, 403f; später wurde die Position vertreten und teilweise weiterentwickelt bzw. differenziert von Bleckmann, Subventionsrecht, S. 149; Brohm, WDStRL 30 (1972), 245, 272f; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 145ff; Hoffmann, Abwehranspruch, S. 53ff; Hoffmann-Becking, DVBI. 1970, 850,855; Schmidt, NJW 1967, 1635, 1639, 1640f; Zuleeg, DVBI. 1976, 509, 514ff. Die Ansicht gewinnt in letzter Zeit wieder vermehrt Anhänger, vgl. Beckmann, Rechtsschutz, S. 184ff; Bleckmann, VBIBW 1985, 361, 363f; Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 24, Hoffmann-Iäem, VVDStRL 40 (1982), 187, 233f; Hof mann, UPR 1984, 73, 81f. 29 Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245, 271; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, passim; Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 95.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Gewerbe-)Freiheit Gebrauch machen wolle, ein etwaiges Verbot wegen jeder Rechtswidrigkeit anfechten könne3O • Konsequent zu Ende gedacht, verlöre damit die Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht ihre "Daseinsberechtigung". Von der Schutznormtheorie müßte "Abschied" genommen werden31 • b) Die Vertreter dieser Auffassung berufen sich vor allem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in der Tat in einer Entscheidung den uneingeschränkten Grundsatz aufgestellt hatte, Art. 2 Abs. 1 GG umfasse "in unserer grundgesetzlichen Ordnung auch den grundrechtlichen Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist,,32. Verschwiegen wird dabei jedoch, daß diese Formulierung des Gerichts sich in einer Entscheidung findet, die aufgrund einer ganz eindeutigen "Adressatenanfechtung" erging, die Verfassungsbeschwerde richtete sich nämlich gegen ein Strafurteil. Nun könnte dieser Einwand als formal abgetan werden, da er sich lediglich mit einer die Ansicht scheinbar unterstützenden Rechtsprechung auseinandersetzt, inhaltlich aber die Argumentation nicht angreift. Häufig ist aber die Berufung auf das obige Urteil die einzige Begründung für die Auffassung3\ so daß sich durch die Entkräftung dieser Argumentationslinie zumindest die Begründungslast verschiebt. Jedenfalls also kann das Bundesverfassungsgericht nicht als Hilfstruppe eines "personell" weit verstandenen subjektiv öffentlichen Rechts eingesetzt werden. c) Das hauptsächlich eingesetzte Argument gegen die These von der "Effektbezogenheit" des grundrechtlichen Abwehranspruchs, die vom Ansatz her zu einer begrüßenswerten Ausdehnung des Grundrechtsschutzes führt, überzeugt jedoch ebenfalls nicht. Es wird eingewandt, daß diese Auffassung eine nicht zu unterschätzende Gefahr beinhalte. Praktisch jede staatliche Maßnahme habe in irgendeiner Weise faktische Auswirkungen auf die private Sphäre34 • Umfassender Grundrechtsschutz bedeute damit eine Lähmung der Aktivitäten des Staates und eine untragbare Beschneidung seiner Martens, NJW 1985, 2302, 2305, spricht von einer "Schieflage" zu Lasten des Nachbarn. Vgl. den noch in die Frageform gekleideten Titel des Aufsatzes von Zuleeg, DVBI. 1976, 509ff: "Hat das subjektiv öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?" und den Titel des Aufsatzes von Sening, NuR 1980, 102ff: "Abschied von der Schutznormtheorie im Naturschutzrecht". 32 BVerfGE 9, 83, 88. 30 31

33 Z. B. Hoffmann-Becking, DVBI. 1970,850,855 FN 54; auch Zuleeg, DVBI. 1976,509,514, stützt sich vor allem auf diese Entscheidung. 34 Friauf, DVBI. 1971,674, 68lf.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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sozialgestalterischen Funktion35• Daß dies jedenfalls für gesetzwidrige Maßnahmen der Exekutive nicht das entscheidende Argument sein kann, sei hier schon festgehalten. Verfassungs- bzw. rechtmäßige Aktivitäten des Staates werden durch die Grundrechtsgeltung nicht unterbunden. Rechtswidrige Maßnahmen, selbst wenn sie sozialgestalterischer Natur sein sollten, können keinen Schutz genießen. 2. Die "Adressatentheorie" a) Demgegenüber beschränkt die h. M. - eben die Anhänger der sog. Adressatentheorie - das Recht auf Gesetzmäßigkeit auf den Adressaten kreis einer Maßnahme, meist ohne zu problematisieren, wer genau zu dieser Gruppe gehören soll. Wenn sich Erwägungen dazu finden, werden häufig diejenigen angesprochen, an die der Verwaltungsakt als sie betreffend ergeht, d. h. bekanntgegeben wird, an die der Verwaltungsakt also adressiert ist36• Für die Fälle der Drittbetroffenheit, um die es in dieser Arbeit vornehmlich geht, hätte danach das Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Belastungen keinerlei Bedeutung. Diese formelle Anknüpfung vermag aber schon im Ansatz nicht zu überzeugen. Die Behörde hätte es dann nämlich in der Hand, durch Bekanntgabe des Verwaltungsakts an Dritte den Prüfungsumfang und die Klagebefugnis zu beeinflussen, der Umfang und die Intensität des Rechtsschutzes hinge von einer autonomen Entscheidung der Exekutive und von einer rein formalen Position der Betroffenen ab37• b) Teilweise wird deshalb versucht, materielle Kriterien zur Bestimmung des Adressatenkreises zu finden: Adressat einer staatlichen Maßnahme - so wird vorgeschlagen - sei derjenige, dem ein ausdrückliches Gebot oder Verbot auferlegt werde38• Anknüpfungspunkt ist hier also im weitesten Sinne der Inhalt der Regelung. Abgesehen davon, daß diese Ansicht im Ergebnis 35 Grabitz, Freiheit, S. 36; Scherzberg, DVBI. 1989, 1128, 1130; dazu auch schon Jellinek, System, S. 103: "Eine Freiheit schlechthin, in irgend einem Punkte anerkannt, würde in ihren Konsequenzen geeignet sein, den ganzen Staat zu zerstören.· 36 Man kann diese Auffassung wohl als herrschend bezeichnen, vgl z. B. Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 22Of; Hufen, Fehler, S. 130; Kopp, VwGO, § 42, Rz. 79; ders., VwVfG, § 13, Rz.13. 37 Dies wendet auch Skouris, Verletztenklagen, S. 15, ein. Baumann, BayVBI. 1982, 292, 293f, will folgerichtig sein Ziel eines erweiterten Rechtsschutzes für DriUbetroffene über die Verpflichtung der Behörden erreichen, Duldungsverfügungen zu erlassen. 38 Siegmund-Schultze, DVBI. 1964,950,952; ähnlich Pietzcker, PS für Bachof, S. 131, 145f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

der formalen Betrachtungsweise sehr nahekommt und daher denselben Bedenken begegnet, spricht vor allem eines dagegen: Ausdrückliche Verbote bzw. Gebote und faktische Handlungen des Staates, die von Dritten geduldet werden müssen, dürfen grundrechtlich nicht unterschiedlich gewürdigt werden. Die bloße Verwendung einer bestimmten Handlungsform der Verwaltung kann nicht zu einer unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeit des Gewaltunterworfenen führen. Wenn faktische Maßnahmen des Staates von der Wirkung her den Bürger ebenso beeinträchtigen wie ausdrückliche, imperative Handlungsformen, ist grundrechtlich Gleichbehandlung geboten. Die Wahl einer Form und vor allem der Mißbrauch einer Form darf sich nicht privilegierend auf den Staat auswirken. c) Wenn sich also dieser Versuch wieder nur als formale Abgrenzung im materiellen Gewand entpuppt, wird der Blick schließlich auf eine Auffassung in der Literatur gelenkt, die ebenfalls ein inhaltliches Differenzierungskriterium entwickelt hat. Entscheidend sei danach nicht, wer einen Verwaltungsakt erhalten habe, sondern wessen Rechtsverhältnisse die Behörde einer Regelung zuführe, wenn sie etwas gebiete oder verbiete, erlaube, gewähre oder versage oder verbindlich Feststellungen treffe. Adressat sei damit derjenige, in dessen Rechtssphäre der Verwaltungsakt eingreife, indem er ihm Rechte entziehe oder Pflichten auferlege39 • Schwierigkeiten bereitet aber hier vor allem die Bestimmung des Rechtsentzugs. Erleiden nicht alle Drittbetroffenen auch Nachteile (grund-)rechtlicher Natur, wenn ihnen bestimmte Handlungsmöglichkeiten beschnitten werden? d) Trotz dieser Probleme weist die zuletzt geschilderte Auffassung den richtigen Weg zur Bestimmung des Adressaten oder terminologisch besser zur Bestimmung der Betroffenen, die ein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Belastungen haben. Ausschlaggebend ist nämlich allein, ob der Bürger dem Staat unmittelbar gegenübersteht oder ob die Beeinträchtigung von einer der staatlichen Maßnahme nachfolgenden, privatautonomen Entscheidung ausgeht40 •

39 Skouris, Verletztenklagen, S. 15; ihm folgend Berger, Nachbarklagen, S. 98 FN 20; ähnlich Bettermann, GS für Imboden, S. 37, 54; Gassner, DÖV 1981, 615; Löwer, DVBI. 1981,528,529; Papier, NJW 1977, 1714, 1719; wohl auch Gal/was, Faktische Beeinträchtigungen, S. 14. 40 Bezeichnend ist, daß fast alle Untersuchungen, die eine Unterscheidung zwischen Adressat und Drittbetroffenen fordern, auf die Interessen des Genehmigungsempfängers verweisen; wo sich ein solcher Begünstigter nicht findet, ist jeder Belastete'Adressat".

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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II. Der Streit um den Eingriffsbegriff die grundsätzliche Abgrenzung Der Blick auf diese Unterscheidung wird häufig dadurch verstellt, daß die Diskussion in diesem Bereich von den Schlagworten des "unmittelbaren" Grundrechtseingriffs und der "mittelbaren" oder "faktischen" (Grundrechts-) Beeinträchtigung beherrscht wird. In den Topf der "Mittelbarkeit" werden dabei die unterschiedlichsten Konstruktionen geworfen, und es wird versucht, für alle diese heterogenen Problemstellungen einheitliche Lösungsmodelle zu entwickeln. Allein der Begriff der Mittelbarkeit erweckt bereits Mißtrauen; er ist im Regelfall Kennzeichen dafür, daß eine Problematik dogmatisch (noch) nicht durchdrungen bzw. nicht durchdringbar ist. In der Literatur werden häufig Bedenken gegen diesen unscharfen Begriff angemeldet41 • In Wirklichkeit stehen hinter dem Problem des "mittelbaren Grundrechtseingriffs" eine Reihe ganz unterschiedlicher Fragen. Einigkeit herrscht lediglich darüber, daß die klassische imperative Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten durch staatliche Maßnahmen als "unmittelbarer" Eingriff mit der Folge uneingeschränkten Grundrechtsschutzes angesehen wird42 • Hinter den verbleibenden mittelbaren oder faktischen Beeinträchtigungen - wobei diese beiden Begriffe teilweise synonym, teilweise zurecht unterschiedlich verstanden werden - verbergen sich so unterschiedliche Fallgruppen wie z. B. Folgewirkungen einer Regelung, Nebenwirkungen einer Begünstigung auf Dritte und staatliche Beeinträchtigungen ohne Regelungscharakter43 • Auch die Rechtsprechung ist in dieser Beziehung unpräzise; sie verwendet den Begriff des Grundrechtseingriffs uneinheitlich und nicht im41 Vgl. schon Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1878), Bd. 1, S. 115 FN 4: "Die Unterscheidung von mittelbaren und unmittelbaren Folgen ist nicht aus der Wirklichkeit, sie ist dem Verfasser zufällig eingefallen und willkürlich gemacht ... Die Verf. sind ... sich auch nicht klar über das Wesentliche des Unterschiedes gewesen"; Bleckmann / Eckhof!, DVBI. 1988, 373, 375: "Blankett formel"; Lübbe-Wolf!, Eingriffsabwehrrechte, S. 43: "schwer präzisierbar", "Wertungshülse"; Schneider, NJW 1967, 1750, 1754: "Was darunter genau zu verstehen ist, wird nicht einmal ein Doktorand gegen Stipendium herausbekommen", "leere Worthülsen"; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 181: "Leerformel"; Kritik auch bei Gallwas, Faktische BeeinträChtigungen, S. 24. In dieser Arbeit wird der Begriff der Unmittelbarkeit lediglich im Sinne einer fehlenden Privatvermittlung der Beeinträchtigung verstanden. 42 Vgl. nur Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 43. 43 Vgl. z. B. die Fallgruppen bei Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 12ff; Grabitz, Freiheit, S. 26ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 176ff; wenig einleuchtend allerdings die Systematisierung von Schneider, DVBI. 1969, 325, 327ff.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

mer konsequent44 • üb und inwieweit in diesem Bereich Grundrechte der Betroffenen eine Rolle spielen, gehört also auch heute noch zu den dogmatisch umstrittensten Problemfeldern45• Um eine saubere Herausarbeitung einer Lösung dieser Fragen zu erreichen, darf die Sicht aber nicht durch die Vielzahl unzusammengehörender Probleme vernebelt werden. Vielmehr muß jede der unter dem Stichwort "mittelbare" Beeinträchtigung zusammengefaßten Fallgruppen für sich allein untersucht und einer individuell angepaßten Lösung zugeführt werden. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollte man versuchen, eine umfassende Dogmatik des Eingriffsbegriffs zu entwickeln. An dieser Stelle interessiert allein die Frage des Drittschutzes. Für die richtige Behandlung dieses Problems gilt folgendes: Nur dann, wenn keine private Entscheidung die Beeinträchtigung des Dritten herbeiführt, wenn sie nicht durch Betätigung grundrechtlicher Freiheit eines Privaten bewirkt ist, wenn also - in diesem engen Sinn verstanden - der Staat dem Dritten unmittelbar gegenübertritt, kann von einem Grundrechtseingriff gesprochen werden, nur dann ist die Abwehrdimension der Grundrechte berührt. Ist die Beeinträchtigung hingegen privater Herkunft, die Belastung also nicht dem Staat zuzurechnen, gehen die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion ins Leere: dem privaten "Störer" gegenüber wirken sie nicht, der Staat stört nicht. In diesen Fällen sind die Grundrechte aber nicht völlig bedeutungslos. Wie noch zu zeigen sein wird, wird hier die Schutzdimension der Grundrechte aktiviert, die dafür sorgt, daß der Dritte den privaten Beeinträchtigungen nicht völlig ausgeliefert ist46• Dies bedeutet: Ist eine staatliche Maßnahme als Eingriff zu qualifizieren, muß sie, um einer Klage des Betroffenen standzuhalten, in jeder Hinsicht rechtmäßig sein. Beruhen die Beeinträchtigungen auf privatautonomen Ent44 BVerfGE 13, 181, 186, spricht vorsichtig davon, daß Wirkungen von Steuernormen geeignet sein können, das Grundrecht aus Art. 12 GG "mittelbar zu beeinträchtigen"; in BVerfGE 29, 327, 333, wird hingegen unbefangen von einem "Eingriff" ausgegangen, obwohl es sich um einen ganz ähnlichen Sachverhalt handelte; vgl. auch BVerwGE 71, 183, 189: "Eingriff" durch behördliche Veröffentlichung einer Arzneimittel-Transparenzliste; OVG Münster, NJW 1986, 2783f: kein "Eingriff" im Fall der Veröffentlichung einer Liste mit diethylenglykolhaItigen Weinen. 45 Bleckmann / Eckhoff, DVBI. 1988,373,374, m. v. w. N. aus Rspr. und Lit. 46 Die heute ganz h. M. geht davon aus, daß den Drittbetroffenen gegenüber solchen "faktischen" Beeinträchtigungen in irgendeiner Weise Grundrechtsschutz zukommen muß, vgI. z. B. Krebs, PS für Menger, S. 191, 205; Manens, VVDStRL 30 (1972), 7, 13f; Ramsauer, VelWArch 72 (1981), 89, 94ff.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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scheidungen anderer Bürger, liegt grundsätzlich kein staatlicher Eingriff vor. Gegen die privatbewirkten Belastungen kann sich der Dritte nicht mit seinen Grundrechten als Abwehrrechten verteidigen. Ihm steht aber ein noch näher zu bestimmender grundrechtlicher Schutzstatus zu. Eine davon völlig zu lösende Problemstellung ist die Frage, wann in den übrigen Fällen "mittelbarer" Grundrechtsbeeinträchtigungen überhaupt ein Eingriff vorliegt, also insbesondere bei nicht imperativen Maßnahmen des Staates, die erst über eine längere Kausalkette, aber ohne Zwischenschaltung einer privaten Entscheidung den Bürger beeinträchtigen. Überschreiten die Belastungen nicht die Schwelle des Eingriffs47, wirken die Grundrechte überhaupt nicht. Liegt ein Eingriff vor, kann der Betroffene ihn bei objektiver Rechtswidrigkeit abwehren; die Grundrechte wirken als umfassende Abwehrrechte. In diesem Bereich hat die Schutzfunktion der Grundrechte keinerlei Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage beantwortet, wer "Adressat" einer staatlichen Maßnahme ist, wem damit das subjektiv öffentliche Recht auf Gesetzmäßigkeit zusteht, nämlich denjenigen, die durch staatliche Handlungen ohne private Vermittlung beeinträchtigt werden, indem in ihre Freiheitssphäre eingegriffen wird48• Hier ist auch das entscheidende Differenzierungskriterium zu sehen, das eine unterschiedliche Behandlung von "Adressaten" und "Drittbetroffenen" ermöglicht und fordert, das entscheidende Argument, das gegen die These der "Effektbezogenheit" grundrechtlicher Abwehransprüche spricht. Beeinträchtigungen mögen sich faktisch in gleicher Weise auswirken, ob sie nun vom Staat oder von Privaten ausgehen. Die Grundrechte schützen als Abwehrrechte umfassend aber nur vor staatlichen Eingriffen und nicht vor privaten. Sie schaffen keine Sphäre, innerhalb der jeder Bürger vom Staat verlangen kann, von anderen Bürgern, die ebenfalls von ihren grundrechtlichen 47 Wie diese Abgrenzung erfolgen soll, ist ein schwieriges Problem, dessen Lösung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, insbesondere da der Bereich der privatvermittelten Beeinträchtigung nach staatlicher Kontrollerlaubnis dieser Frage gerade nicht zugeordnet ist. In der Literatur finden sich hierzu vereinzelt Vorschläge: Hoffmann, Abwehranspruch, S. 76, und Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 95, stellen auf die tatsächliche Auswirkung der staatlichen Maßnahme und ihre Intensität ab; Friauf, DVBI. 1971, 674, 682, und Grabitz, Freiheit, S. 36f, verlangen Finalität; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 181, fordert eine am Einzelfall orientierte Betrachtungsweise. Pieroth / SchJink, Grundrechte, Rz. 437, schlagen vor, faktische Belastungen nur bei den Nominatfreiheiten als Eingriff anzuerkennen; damit würde Art. 2 Abs. 1 GG allerdings in ungerechtfertigter Weise zu einem Grundrecht zweiter Wahl abqualifIZiert. 48 Ähnlich Gassner, DÖV 1981, 615, 616.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Freiheiten Gebrauch machen, nicht behelligt zu werden. Es gibt kein Recht auf Freiheit von Rechtswidrigkeit in jeder Hinsicht. Eine solche Betrachtungsweise würde in der Tat in letzter Konsequenz zu einem allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch führen, der dem subjektiven Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes zuwiderliefe49 • Gegen die hier vertretene Konstruktion eines insoweit umfassenden subjektiv öffentlichen Rechts können auch die Regelungen der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht ins Feld geführt werden. Ganz abgesehen davon, daß sie als einfachgesetzliche Normen einem verfassungsrechtlich abgeleiteten Recht niemals im Wege stehen könntenSO, lassen sie sich auch ohne Schwierigkeit in das hier dargestellte System einpassen. Steht dem einzelnen ein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen zu und verstößt eine staatliche Maßnahme gegen bloß objektives Recht, so wird er trotzdem "dadurch" - eben durch jede Gesetzwidrigkeit - in sei1lem subjektiven Recht verletzt. Nicht das objektive Recht wird versubjektiviert, sondern die Rechtswidrigkeit verletzt den subjektiven Abwehrstatus der Grundrechte. Nun scheint im Bereich des Drittschutzes die hier vertretene Auffassung vom Ergebnis her nicht über die herkömmliche "Adressatentheorie" hinauszugehen, da es in diesen Fällen auf den ersten Blick immer um privatverursachte Beeinträchtigungen der Betroffenen geht. Es wird sich aber zeigen, daß - wenn man das hier gefundene Kriterium wirklich streng und konsequent anlegt - in einigen Konstellationen mehr "Dritte" ein subjektiv öffentliches Recht auf Gesetzmäßigkeit haben, als die h. M. annehmen willsI. III. Zusamme1lfassu1Ig

Das Recht auf "Freiheit von gesetzwidrigem Zwang", das von der h. M. nur den Adressaten einer staatlichen Maßnahme zugestanden wird, entspringt der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte. Das bedeutet, daß es allen Beeinträchtigungen gegenüber wirksam wird, die unmittelbar staatlich verursacht sind. Auf die formale AdressatensteIlung kommt es also 49 Vgl. nur Krebs, FS für Menger, S. 191, 197, 205; Schenke, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 25; Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 8. so Hoffmann, Abwehranspruch, S. 57. SI Dazu näher unten § 19.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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nicht an; ausschlaggebend ist, ob der Staat ohne private Vermittlung in die Freiheitssphäre des Bürgers eingreift. Gehen die Belastungen dagegen von Privaten aus, sind sie also Ausfluß grundrechtlicher Freiheit, können die Grundrechte nicht als Abwehrrechte eingesetzt werden; insoweit existiert auch kein Recht auf Gesetzmäßigkeit. Die Grundrechte entfalten aber in einer noch näher zu bestimmenden Weise Wirkungen als Schutzrechte. § 9: Verantwortung des Staates für private Tätigkeit?

Der Abwehrbereich der Grundrechte und damit das subjektiv öffentliche Recht des Bürgers auf Freiheit von rechtswidrigen Belastungen hätte dann ein extrem breites Anwendungsfeld, wenn es gelänge, private Tätigkeiten in einer Form dem Staat grundsätzlich zuzurechnen, die ihn als den eigentlichen Urheber der Beeinträchtigungen erscheinen ließe. Die Annahme von Schutzpflichten und -rechten wäre damit weitgehend überflüssig52 • I. Zurechnung über eine staatliche Kontro/ler/aubnis

Als handgreiflichster Anknüpfungspunkt für eine solche Zurechnung kommt die staatliche Genehmigung einer privaten Tätigkeit in Betracht. Sie ist zumindest rechtlich "conditio sine qua non" für die nachfolgende Beeinträchtigung des Dritten. 1. Ansätze in Literatur und Rechtsprechung

In der Rechtsprechung herrscht, was die Gemengelage zwischen staatlicher Verantwortung durch Genehmigung und privatautonomer Entscheidung betrifft, relative Unsicherheit. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt eine Berührung grundrechtlicher Positionen eines Nachbarn dann an, "wenn sie (die Genehmigung) bzw. ihre Ausnützung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändern und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich treffen,053. Im Zusammenhang mit einer gewerberechtlichen ErGrundrechtsdogmatik, S. 219. BVerwGE 32,173,179 (Hervorhebungen und Klammenusatz vom Verf.).

52 Schwabe, 53

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

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laubnis spricht das Gericht dann davon, daß aufgrund der Genehmigung die Art und Weise der Ausübung des Gewerbes "der unmittelbaren Mitverantwortung des Staates" unterliegeS4 • In der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist davon die Rede, daß "der Staat seinerseits eine eigene Mitverantwortung" für die Gefährdungen übernehme, die von einem Kernkraftwerk ausgingen, wenn er dieses genehmigess . Auch in der Literatur gibt es Stimmen, die über den Genehmigungsakt private Eingriffe dem Staat zurechnen wollen, wobei allerdings wenig Begründungsaufwand getrieben wird56• In der Tat wird der Staat hier aktiv handelnd tätig, woraus man bei oberflächlicher Betrachtung den negatorischen Charakter einer sich dagegen richtenden Klage des Bürgers ableiten könnte. Dafür spricht auch, daß solche Drittklagen prozessual nicht als Leistungs-, sondern als Anfechtungsklagen behandelt werden51• Ein solches Argument wäre allerdings zu formal; vom äußerlichen Gewand einer verwaltungsprozessualen Vorgehensweise darf nicht auf den materiellen Hintergrund eines Klagebegehrens geschlossen werden. Inhaltlich weist die Genehmigungsabwehrklage nämlich einen leistungsrechtlichen Charakter aufS. 2. Einwände gegen eine Zurechnung a) Betrachtet man die materielle Situation der Drittklage, wird deutlich, daß grundsätzlich die staatliche Genehmigungsentscheidung kein hinrei-

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BVerwGE64, 274, 279.

BVerfGE 53, 30, 58; gleich im Anschluß an diese Formulierung scheint das Gericht als Zurechnungsgrund allerdings nicht die Einzelgenehmigung, sondern das AtomG ins Auge zu fassen; darauf weist auch Murswiek, Verantwortung, S. 63, hin. Näher dazu unten 11. 56 Vgl. Hinz, in: Viertes Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 165, 168; Lawrence, Grundrechtsschutz, S. 75, der sich allerdings insoweit zu Unrecht auf Murswiek beruft; Schrödter, DVBI. 1973, 639, 640; Schwabe, NVwZ 1983, 523, 524; SUhr, VVDStRL 38 (1980), 35lf (Diskussionsbeitrag); wohl auch Wagener, NuR 1988, 71 FN 8a; unentschieden Baltes, BB 1978, 130, 131; Schmidt / Müller, JuS 1985, n6, m. Die Bedeutung der Genehmigungsentscheidung wird von Schwabe allerdings selbst eher skeptisch beurteilt, die Erteilung der Genehmigung sei lediglich "rechtsformal", vgI. Grundrechtsdogmatik, S. 185. Auch in seinen Ausführungen a. a. 0., S. 213ff, steht nicht die Genehmigung, sondern die Duldungspflicht des Dritten im Vordergrund. 55

51 Darauf beruft sich v. a. Schwabe, NVwZ 1983, 523, 524; beachtlich findet dieses Argument LÜbbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 183. 58 Breuer, in: 25 Jahre BVerwG, S. 89, 109; Deiseroth, Großkraftwerke, S. 188. Dies wird besonders deutlich, wenn der Nachbar nach erfolgreicher Anfechtungsklage Beseitigung verlangt.

3. Kapitel: Der Abwehroereich der Grundrechte

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chender Zurechnungsgrund sein kann. Die von dem Dritten abzuwehrenden Beeinträchtigungen gehen nicht von der Genehmigungserteilung selbst aus, sondern allein von dem zugelassenen VorhabenS9• Es bleibt völlig der privatautonomen Entscheidung überlassen, ob überhaupt ein Genehmigungsverfahren in Gang kommt und ob von einer erteilten Genehmigung tatsächlich auch Gebrauch gemacht wird. Die privaten Handlungen beruhen nicht auf der Erlaubnis, sondern auf der natürlichen, zunächst als unbeschränkt gedachten Freiheit des Individuums, die von den Grundrechten vermittelt wird60 • Durch das Genehmigungserfordernis wird die grundrechtliche Freiheit nur vorübergehend blockiert und durch die positive Bescheidung wieder freigegeben. Genehmigte Tätigkeiten sind daher keine Eingriffe des Staates, sondern mögliche "Eingriffe" Privater in Grundrechtsgüter der Betroffenen61 • b) Daß die Genehmigung keine Verantwortungsübernahme bedeuten kann, wird noch durch einen anderen Gesichtspunkt verdeutlicht. Der Vorhabensträger hat grundsätzlich einen grundrechtlieh verankerten Anspruch auf Genehmigungserteilung. Wie könnte dem Staat eine Beeinträchtigung durch private Tätigkeit zugerechnet werden, wenn er keinerlei eigenen Entscheidungsspielraum mehr hat, ob er sie zulassen will oder nicht62? c) Problematisch ist dieser Ansatz jedoch bei rechtswidriger Erteilung einer Kontrollerlaubnis63 • Man könnte argumentieren, daß die Genehmigungsbehörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung und damit auch für die Folgen einer rechtswidrigen Genehmigung übernehmen müsse. Trotz der Rechtswidrigkeit der Genehmigungsentscheidung SI) Daß die Genehmigung rechtstechnisch das Angriffsziel des Nachbarn darstellt, ändert daran nichts; anders wohl Marburger, Gutachten, C 18, der die gegenteilige Ansicht zu Unrecht als unstreitig bezeichnet. 60 Das bedeutet nicht, daß es einen einheitlichen "naturrechtlichen" Begriff einer zunächst grenzenlosen Freiheit gibt oder gegeben hat. Im Gegenteil findet man Naturrechtslehren, die im Gegensatz zum unbegrenzten Freiheitsbegriff etwa bei Hobbes von einer beschränkten Freiheit ausgehen, die willkürliche Schädigungen nicht mitumfaßt; vgl. dazu Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 57; Lübbe-WoIJf, Eingriffsabwehrrechte, S. 89f. Entscheidend ist, welchen Freiheitsbegriff das Grundgesetz aufgenommen hat, dazu näher unten 11. 2. 61 Berger, Nachbarklagen, S. 138; Hermes, Grundrecht, S. 86f; Kölble, in: Individualrecht, S. 47; Langer, NVwZ 1987, 195, 196; Parodi, BauR 1985, 415, 422; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167, 182f; ders., in: Individualrecht, S. 35; SChwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 7. 62 Dies gesteht auch Murswiek, Verantwortung, S. 62, zu. 63 Die Frage der Verantwortungsübernahme durch rechtswidrige Erteilung einer Genehmigung wird kaum problematisiert, vgl. nur Degenhart, et 1981, 203, 208; Hinweise finden sich bei Berger, Nachbarklagen, S. 139f, und Murswiek, Verantwortung, S. 62.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

bleibt die Beeinträchtigung des Dritten aber privaten Ursprungs. Es geht immer noch um die Abwehr privaten Verhaltens, die wegen der Rechtsverletzung durch die Behörde (möglicherweise) erfolgreich ist. Immer noch ist die Genehmigungsentscheidung nur rechtstechnisch das Angriffsziel, materiell bestimmt die Unterlassung der privatverursachten Beeinträchtigung die eigentliche Richtung des klägerischen Begehrens64 • Damit - und das sei hier in aller Deutlichkeit klargestellt - verlieren die Grundrechte in dieser Situation aber keinesfalls jegliche Bedeutung. Nur können sie eben nicht in ihrer klassischen Abwehrfunktion herangezogen werden. d) Und noch eine Überlegung kommt hinzu. Für das Instrument des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt besteht - jedenfalls weitgehend - keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit65• Ebenso könnten nachträglich einsetzende Kontroll- und Aufsichtsmechanismen ohne vorherige Genehmigungsentscheidung zur staatlichen Überwachung privater Tätigkeiten benutzt werden66 • Dann entfiele der Anknüpfungspunkt "Genehmigungsentscheidung" vollständig als Zurechnungsgrund. Diese rein regelungstechnische Formenwahl darf aber nicht zu einer unterschiedlichen Zurechnung führen. Ein Einwand drängt sich hier natürlich auf: Bei besonders gefährlichen privaten Vorhaben reicht eine nachträgliche Aufsichtstätigkeit des Staates sicher nicht mehr aus, vielmehr ist verfassungsrechtlich eine dem Vorhaben vorausgehende Überprüfung mit einer sich anschließenden Gestattungsentscheidung notwendig67• Wenn der Staat dann aber - so könnte man argumentieren - diese Genehmigung erteile, treffe ihn auch die Verantwortung für das private Tun68• Das Maß der Gefährlichkeit könnte also über die Zurechnung bestimmen. Mißtrauen muß schon das Kriterium der "Gefährlichkeit" erwecken. Die Bestimmung, wann eine Vorhabensart so gefährlich ist, daß der Staat für sie, wenn er sie zuläßt, die rechtliche Verantwortung übernehmen müßte, dürfte erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Nun dürfen 64

Berger, Nachbarklagen, S. 125f.

Vgl. BVerfGE 53, 30, 57; das BVerfG spricht davon, daß die Genehmigungsregelung ein geeignetes Mittel zum Schutz gefährdeter Dritter sei, mit dem der Staat "am ehesten" Grundrechtskollisionen zum Ausgleich bringen könne. Es wird deutlich, daß dem Gesetzgeber insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. 65

66

Dies gilt z. B. für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nach §§ 22ff BlmSchG.

Unzutreffend Hermes, Grundrecht, S. 87, der davon ausgeht, daß vorgängige Überwachung verfassungsrechtlich nie notwendig sei. 67

68 Diese Argumentation klingt in der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung an, wenn das Gericht davon spricht, daß ein Kernkraftwerk "trotz des in ihm verkörperten außerordentlichen Gefahrdungspotentials" genehmigt wird, BVerfGE 53,30,58.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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diese Einordnungsprobleme für sich allein nicht dazu führen, die ganze Konstruktion abzulehnen. Allerdings lassen sich auch materielle Gegenargumente finden. Verantwortung des Staates in diesem Bereich kann grundsätzlich immer nur Mitverantwortung sein. Die ursprüngliche Entscheidung, ein bestimmtes Vorhaben durchzuführen, trifft der Private. Dabei macht er von seiner grundrechtlich gewährten Freiheit Gebrauch. Wenn der Staat diesen Gebrauch kontrolliert, weil mit ihm Gefahren verbunden sind, tut er dies zum Schutz der von dem Vorhaben möglicherweise betroffenen Bürger und der Allgemeinheit(9. Bei dieser Kontrolle hat er seinerseits die Grundrechte des Vorhabensträgers zu berücksichtigen. Es steht ihm also nicht völlig frei, bestimmte Tätigkeitsbereiche zu sperren, soweit dadurch in die Grundrechte der Privaten in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen würde. Je gefährlicher eine Tätigkeit ist, desto schwerer wiegt auch die Schutzverpflichtung des Staates, desto höher müssen die Anforderungen an die Erteilung einer Genehmigung angesiedelt werden. Trotzdem bleibt die Gefahr privat verursacht und ist Ausfluß grundrechtlicher Freiheit. Solange der Staat lediglich seiner Schutzaufgabe nachkommt, kann ihm eine Verantwortungsübernahme nicht unterstellt werden70 • Hinter der Auffassung einer Verantwortungsübernahme durch den Staat steht letztlich das Bemühen, die Grundrechte auch bei privatverursachten Beeinträchtigungen wirksam werden zu lassen. Dazu ist es aber nicht nötig, eine Zurechnung an den Staat zu konstruieren, um dann abwehrrechtliche Kategorien anwenden zu können. Vielmehr kann auch die grundrechtliche Schutzpflicht zu angemessenen Ergebnissen führen, ohne daß "dogmatische Verrenkungen" notwendig sind. Auf den Akt der Genehmigungsentscheidung - sei sie nun rechtmäßig oder rechtswidrig - kann es nach alledem also nicht ankommen.

(9

Rauschning, DVBI. 1980,831,832.

Etwas anderes gilt, wenn der Staat über die bloße Überwachung und die Genehrnigungsentscheidung hinaus in qualifIZierter Weise die Verantwortung für ein Vorhaben an sich zieht, dazu unten § 20 11. 2. 70

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Il. Zurechnung au/grund der Bereitstellung von Nonnen

Wenn also die Genehmigungsentscheidung für die Verantwortungsübernahme als irrelevant erkannt wurde, rücken als mögliche Anknüpfung die rechtlichen Regelungen ins Blickfeld, aufgrund derer das private Vorhaben beurteilt wurde. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint dieser Sichtweise nahezustehen71 • 1. Grundsätzliche Bedenken Aber auch diese Anschauung begegnet erheblichen Bedenken. Soweit private Tätigkeiten (noch) keiner normativen Regelung unterliegen, sind sie zunächst jedenfalls nicht verboten; ergeben sich aus diesen Tätigkeiten "Eingriffe" in Grundrechtsgüter von Dritten, so steht für deren Zurechnung keine positive Handlung, kein Eingriff des Staates zur Verfügung. Eine bloße Unterlassung kann aber schon aus denkgesetzlichen Gründen nicht "abgewehrt" werden; es geht lediglich darum, ob der Staat wegen der NichtzurverfügungsteIlung von Normen seiner Schutzverpflichtung nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Dabei entstünde aber ein erheblicher Wertungswiderspruch, da ja gerade dort, wo es an vorgeschalteten Kontrollmöglichkeiten des Staates fehlt, ein Grundrechtsschutz für die Betroffenen notwendiger zu sein scheint72• Außerdem scheitert eine Zurechnung schon daran, daß die normative Beschäftigung mit privaten Vorhaben nichts daran ändert, daß die zu genehmigenden Tätigkeiten auch ohne einfachgesetzliche Regelung grundrechtlich gestattet wären. Ein staatlicher Akt, der lediglich freigibt, was grundrechtlich ohnehin erlaubt ist, kann aber für diese Tätigkeiten nicht konstitutiv sein73 •

71 Vgl. schon BVerfGE 53, 30, 58; deutlicher BVerfGE 56, 54, 79: Der Staat übernehme "durch die Schaffung von Genehmigungsvoraussetzungen und durch die Erteilung von Genehmigungen eine eigene Mitverantwortung für etwaige Grundrechtsbeeinträchtigungen". Aus der Literatur vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 62ff. 72 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 183f. 73 Hennes, Grundrecht, S. 86; Langer, NVwZ 1987, 195, 196; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 184; ähnlich Henke, DÖV 1980, 621, 631; Parodi, BauR 1985, 415, 422.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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2. Die These vom "präformierten" Grundrechtsschutz a) Die Gegenmeinung bestreitet bereits diese Prämisse. Private Tätigkeiten, die mit abträglichen Einwirkungen auf Grundrechtsgüter Dritter verbunden seien, seien von vornherein grundrechtlich eben nicht geschützC4 • Hintergrund dieser These ist bei genauerer Betrachtung weniger ein juristisches als ein ethisches Unbehagen darüber, daß individuelle Willkür einschließlich einer möglichen Schädigung der Grundrechtsgüter anderer Bürger von der grundrechtlieh gewährten Freiheit mitumfaßt sein soll. Unterschwellig wird dabei der Schutzbereich der Grundrechte und der Bereich, der durch das Grundrecht wirklich garantiert ist, gleichgesetzt. Die Dogmatik, die von einem umfassenden Schutzbereich ausgeht, dessen Einschränkungen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen, ist aber nicht Ausdruck einer Ideologie, die der ungebundenen Freiheit des Beliebens den Vorrang vor sozialverträglicher und selbstverantwortlicher Grundrechtsausübung einräumen würde. Vielmehr ist sie ein eher rechtstechnisches Mittel, mit dem gewährleistet wird, daß dem Gesetzgeber und nicht der Verwaltung und den Gerichten die Kompetenz zur Lösung von Grundrechtskonflikten zufällC5 • b) Die auf den ersten Blick grundrechtsschutzfreundliche These emes vorgeformten Schutzbereichs bedeutet bei näherer Beschäftigung aber in dreierlei Hinsicht eine ungerechtfertigte und gefährliche Verkürzung des Gewährleistungsbereichs der Grundrechte. Soweit man nämlich drittbelastende Freiheitsbeeinträchtigungen aus dem Schutzbereich der Grundrechte entfernt, stellt man diese praktisch in einen rechtsfreien Raum, in dem auch der modale Abwehranspruch der Grundrechte nicht wirken würde, da das Prinzip des grundrechtsunabhängigen Vorbehalts des Gesetzes einen objektivrechtlichen Grundsatz darstellt, der von den Betroffenen keiner gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden 74 Roßnagel, Grundrechte, S. 18,42; Suhr, JZ 1980, 166, 168, 170f, 173; ders., in: VVDStRL 38 (1980), S. 35lf (Diskussionsbeitrag); ihm zust. Hofmann, Rechtsfragen, S. 322f. Vgl. auch die Andeutungen bei Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 85f; Grabitz, Freiheit, S. 124f; Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1, 40f. Diese Konzeptionen beschäftigen sich allerdings meist nicht mit der hier behandelten Problemstellung. 75 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 99f; vgI. auch Alexy, Theorie, S. 343; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 72. Dazu, daß die Pflichtigkeit der Freiheit eher als sittlich-moralische, aber nicht als rechtliche Kategorie betrachtet werden muß, Isensee, in: Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, S. 70, 95ff.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

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könnte76• Damit könnten in diesem Bereich weder gesetzlose behördliche Maßnahmen abgewehrt werden, noch solche, die auf formell verfassungswidrigen Gesetzen beruhen. Schwerer wiegt aber noch, daß auch der materielle Grundrechtsschutz verkürzt würde. Private Freiheitsbetätigungen berühren praktisch immer anderen zugeordnete Grundrechtsgüter. Von der Auffassung eines "präformierten" Schutzbereichs der Grundrechte her liefe die Tätigkeit des Gesetzgebers damit weitgehend in grundrechtsfreien Räumen ab. Ihm käme die Aufgabe zu, Freiheit über den Schutzbereich der Grundrechte hinaus zu gewähren, für die er dann auch die Verantwortung zu übernehmen hätte. Diese Sichtweise läßt sich graphisch so darstellen: , . . - - - - - - - , ............,............

Grundrecht A

,..------.., Grundrecht B

vom Gesetzgeber zugewiesener "Freiheits"bereich Abb.l

Dabei wäre der Gesetzgeber konsequent erweise an materielle Vorgaben, insbesondere an das ja gerade grundrechtlich verortete Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht gebunden. Schließlich ist der Versuch, allen Grundrechten eine gewisse Sozialpflichtigkeit beizumessen und so bereits den Schutzbereich zu verkürzen77, insofern gefährlich, als dies konsequent erweise für beide Teile eines Grundrechtskonflikts gelten müßte, also beispielsweise auch für das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Nachbarn einer emittierenden Anlage, die ein gewisses Maß an Gesundheitsbelastungen aus einer immanenten "Sozialbindung" heraus von vornherein hinnehmen müßten. 76 Vgl. 77

Lübbe.Wol!f, Eingriffsabwehrrechte, s. 88; auch Rottmann, EuGRZ 1985, 2TI, 285f.

So ausdrücklich Roßnagel, Grundrechte, S. 42.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

91

In Wahrheit liegt jedoch bei drittbeeinträchtigenden Tätigkeiten eine Kollision nicht vorgeformter grundrechtlicher Freiheitsbetätigungen vor78 • Der Gesetzgeber muß diese Kollision unter Beachtung des Prinzips der praktischen Konkordanz einer beiden Freiheitsbereichen angemessenen Lösung zuführen. Freiheiten werden damit nicht zusätzlich eröffnet, sondern auf beiden Seiten beschnitten. Nur damit ist aber auch gewährleistet, daß einerseits der Ausgleich des Grundrechtskonflikts in erster Linie von der demokratisch legitimierten Legislative durchgeführt wird79 und daß andererseits die Betroffenen diese gesetzgeberischen Harmonisierungsversuche auf ihre Verfassungswidrigkeit hin nachprüfen lassen können. Gleichzeitig wird deutlich, daß auch die gesetzgeberisch "ausgestaltete" Freiheit immer grundrechtliche Freiheit ist.

gesetzgeberische Kollisionsentscheidung

Grundrecht A

Kollisionsbereich = ursprünglich grundrechtliehe FreiheIt Abb.2 78 AUenfalls soUte man erwägen, ob es Handlungen gibt, die wegen ihrer Gemeinschädlichkeit unter keinen Umständen mehr in den Schutzbereich der Grundrechte raUen soUen. Dies kann aber nur absolut evident schädliche Verhaltensweisen erfassen, denen unter keinem im Rahmen unserer Verfassungsordnung rechtlich denkbaren Gesichtspunkt eine grundrechtlich geschützte Vorrangstellung gegenüber Rechten anderer oder Gemeinschaftsbelangen zukommen kann; für den Drittschutz kann dieser Bereich daher kaum fruchtbar gemacht werden, vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 209, Art. 2, Rz. 10; Starck, JuS 1981, 237, 245. Zu der - hier nicht interessierenden - Frage eines durch immanente Schranken möglicherweise vorgeformten Schutzbereichs vorbehaltlos gewährter Grundrechte, vgl. LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 93, die zu dem Ergebnis gelangt, daß auch insoweit zunächst unbeschränkte Freiheit vorliegt. 79 Vgl. Rupp, DVBI. 1972,66,67.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

92

Im übrigen geht auch das Bundesverfassungsgericht von einer im Grundsatz unbegrenzten Freiheit aus80• Zwar sei die Freiheit des Menschen die eines "gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums,,81; das heiße aber nur, daß der einzelne "sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen" müsse, die der Gesetzgeber ziehe, um ein pflegliches Zusammenleben seiner Bürger zu ermöglichen82• Die Bedenken der Vertreter eines präformierten Schutzbereichs rühren - dies sei nochmals hervorgehoben - von der verfehlten Gleichsetzung der Rechtfertigungsbedürftigkeit und der Rechtfertigungsunfähigkeit eines Eingriffs her. Freiheitsgebrauch ist prinzipiell unbegrenzt und bedarf keiner Rechtfertigung. Jede staatliche Beschränkung muß hingegen gerechtfertigt sein. Je weniger sozial die Freiheitsbetätigung aber ist, desto niedriger sind auch die Rechtfertigungsanforderungen83, desto eher wird also die Freiheitsbetätigung im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als nachrangig anzusehen sein. Damit führt auch die Bereitstellung einer normativen Regelung nicht zur Verantwortungsübernahme des Staates für private Tätigkeiten. III. Zurechnung aufgrund staatlicher Duldullg

1. Die These von Schwabe und Murswiek Vor allem Schwabe und dessen Ansatz weiterführend und radikalisierend Murswiek wollen eine umfassende Zurechnung privaten Verhaltens an den Staat mit einer Lösung erreichen, die die geschilderten dogmatischen Schwierigkeiten eines "präformierten" Schutzbereichs vermeidet84 •

Grundlage für diese Zurechnung ist das staatliche Gebot an Drittbetroffene, die von privaten Tätigkeiten ausgehenden Beeinträchtigungen zu dul80 Eine genaue Analyse der Rechtsprechung findet man bei Lübbe-Wol[f, Eingriffsabwehrrechte, S. 92ff. 81 BVerfGE 45,187,227; vgl. auch BVerfGE 4,7, 15f.

BVerfGE 4,7, 16; 45, 187,228 (Hervorhebung vom Verf.). Schlink, EuGRZ 1984, 457, 467. 84 Murswiek, Verantwortung, S. 93, geht eindeutig von einem nicht vorgeformten Freiheitsbereich aus: "Freilich darf jeder tun, was nicht verboten ist; darin unterscheidet sich bürgerliche Freiheit von staatlicher Kompetenz·; vgI. auch ders., WiVerw 1986,179,182; ders., NVwZ 1987,481. 82 83

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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den8S• Eine solche Duldungspflicht sei zwar meist nicht ausdrücklich normiert, sie ergebe sich aber schon aus den Normen, die das allgemeine Gewaltverbot, das der Staat seinen Bürgern auferlege, zum Ausdruck brächten86• Da der Staat sich "durch rechtliche Regelung, gerichtlichen Ausspruch und vollstreckenden Zugriff,87 an jedem privaten Verletzungsvorgang beteilige und der Staat alles erlaube, was nicht ausdrücklich verboten sei88, gebe es kein privates Verhalten, das rechtlich indifferent sei und dem Staat nicht zugerechnet werden könne. Die Konstruktion eines Grundrechtsschutzes gegen private Beeinträchtigungen über eine Schutzpflicht des Staates werde damit weitgehend überflüssiglJ}. In diesem Bereich könnten bereits die Grundrechte als Abwehrrechte eingesetzt werden.

2. Die Ablehnung einer umfassenden Zurechnung Diese auf den ersten Blick verblüffend einfache und einleuchtende Konstruktion hält näherer Betrachtung allerdings nicht stand. a) Zunächst ist die Anknüpfung der Zurechnung an das private Selbsthilfeverbot äußerst fragwürdig. Es eignet sich schon deshalb nicht, weil es nicht nur gegenüber erlaubten, sondern auch - von Ausnahmen wie z. B. akuten Notwehrsituationen abgesehen - gegenüber ausdrücklich verbotenen privaten Beeinträchtigungen wirkt90 • Wie könnte dem Staat eine Verantwortungsübernahme unterstellt werden, wenn er die entsprechende Tätigkeit gerade nicht zulassen will, der Private aber trotzdem handelt. In den Fällen der verbotenen Beeinträchtigung ist der Betroffene auf die staatlich zur Verfügung gestellten Instrumente angewiesen, die ihm insoweit ausreichend Schutz bieten. Eine Zurechnung kann daraus nicht abgeleitet werden. Vielmehr hat das Selbsthilfeverbot eine ganz andere Funktion: Als Spiegel8S Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213: "Was nicht verboten ist, ist nicht nur erlaubt, sondern auch von dem, der durch das Nichtverootene nachteilig betroffen wird, hinzunehmen und zu dulden"; ders., Drittwirkung, S. 65f; Murswiek, Verantwortung, S. 65f; ders., WiVerw 1986, 179, 182f.

86 Murswiek,

Verantwortung, S. 92; ders., NVwZ 1986, 611f; ders., WiVerw 1986, 179, 182f. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213. 88 Murswiek, Verantwortung, S. 65f. IJ} Vgl. die verbleibenden Funktionsbereiche bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 219ff. 90 So auch Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 187, jedoch mit unklarer, auf den Genehmigungsakt abstellender Begründung, auf den es nach Murswiek gerade nicht mehr ankommen soll. 87

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

bild des staatlichen Gewaltmonopols soll es die innere Ordnung des Staatsgefüges aufrechterhalten, also "Faustrecht" verhindern. Der Staat ist zum Schutz der Grundrechtsgüter seiner Bürger geradezu verpflichtet, private Selbsthilfe soweit als möglich zu unterbinden91 • Es wäre sophistisch, aus dieser - letztendlich aus den Grundrechten abgeleiteten - Pflicht des Staates eine staatliche Zurechnung konstruieren zu wollen92• In diesem Zusammenhang mit einer Duldungspflicht zu arbeiten, verzeichnet auch die tatsächlich vorliegende Situation bei Drittbetroffenheit. Der Betroffene begehrt eigentlich nur gegenüber dem privaten "Eingreifer" Unterlassung, nicht gegenüber dem Staat. Die Konstruktion der Auferlegung einer Duldungspflicht gestaltet eine staatliche Nichthandlung zu einem positiven Akt um. Dieser dogmatische Trick verschleiert die logische Inkonsequenz der Auffassung, daß nämlich durch eine Unterlassung niemals ein Abwehrrecht verletzt werden kann. In Wirklichkeit geht es um die Frage, ob eine Rechtsverletzung durch Nichterfüllung eines staatsgerichteten Leistungsrechts in Gestalt eines Schutzrechts vorliegt93 • b) Die Ansicht von Schwabe und Murswiek wäre trotz ihrer dogmatischen Begründungsschwierigkeiten aber dann diskutabel, wenn sie durch ihren "einfachen rechtlichen Mechanismus"94 der negatorischen Grundrechtsfunktion zu gegenüber der h. M. klareren und einleuchtenderen Problemlösungen führen würde. Dies ist aber ebenfalls nicht der Fall. Eine im dargelegten Sinn umfassende staatliche Zurechnung würde zu einer völligen Auflösung des Eingriffsbegriffs führen9S• Die unterschiedliche Qualität und Intensität staatlicher Beeinflussung privater Tätigkeit fände keinerlei Berücksichtigung; statt eine den Einzelfall in den Vordergrund stellende Betrachtungsweise bietet eine umfassende Zurechnung ein undifferenziertes "Einheitskorsett" als Lösung an. Gerade bei der Drittschutzkonstellation zeigt sich aber, daß auch Schwabe und Murswiek ihren Ansatz nicht konsequent durchhalten können. Obwohl diese Autoren nämlich den 91 Zum Selbsthilfeverbot und dem staatlichen Gewaltmonopol vgl. z. B. Isensee, in: FS für Eichenberger, S. 23, 28ff. 92 Ähnlich argumentiert Alexy, Theorie, S. 419; vgI. auch Klein, NJW 1989, 1633, 1639.

93 Alexy, Theorie, S. 418; ähnlich Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 939f; Robbers, Sicherheit, S. 129; Schmidt, ZRP 1987,345,347. 94 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 214. 95 Hermes, Grundrecht, S. 95; SChmidt, ZRP 1987, 345, 347; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981),205,215.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

95

Eingriffscharakter privatverursachter Beeinträchtigungen bejahen, was zu Ende gedacht bei unbegrenztem Grundrechtsschutz einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch bedeuten würde, soll trotzdem nicht jeder Rechtsfehler, sondern nur der Verstoß gegen drittschützende Normen zur verwaltungsgerichtlichen Aufhebung einer Genehmigungsentscheidung führen96• Dies gelingt aber nur dadurch, daß - jedenfalls für den Bereich des Drittschutzes - Art. 2 Abs. 1 GG von einem Auffanggrundrecht umgedeutet wird in ein Grundrecht, das nur Eingriffe in dem einzelnen anderweitig zugeordnete Rechtsgüter abwehren wolle97• Damit wird zum einen die Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG unnötig und ungerechtfertigt stark geschmälert und zum anderen der Blick auf die Einsicht verdeckt, daß es eben doch zweierlei Grundrechtsfunktionen gibt und sie auch nötig sind, um der Problematik dogmatisch sauber gerecht zu werden: Abwehr bei staatlichen, Schutz bei privaten Beeinträchtigungen. Schwabe behilft sich überdies, um zu mit der herrschenden "Schutznormtheorie" übereinstimmenden Ergebnissen zu gelangen mit der Forderung nach einer Art von Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Rechtsverletzung und Grundrechtsgut. Nur die Bestimmungen seien bei Grundrechtseingriffen aufgrund privater Tätigkeit rügefähig, die zu den "Normativbedingungen für eine Beeinträchtigung" des grundrechtlichen Schutzguts gehörten98• Dieser erhebliche und umständliche Begründungsaufwand entfällt, wenn man annimmt, daß eben nur eine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht vorliegt.

Nun wenden die Anhänger einer umfassenden staatlichen Zurechnung privaten Verhaltens ein, daß nur dadurch eine Ungereimtheit der herrschenden Lehre ausgeräumt werden könne. Es sei nämlich nicht einzusehen, daß öffentliche Vorhaben und private, die auf einer staatlichen Gestattung beruhten, unterschiedlich behandelt würden99 • Was für die einen als Verstoß gegen ein Grundrecht zu werten sei, könne bei den anderen grundrechtlich 96 Schwabe, NVwZ 1983, 523; ders., Grundrechtsdogmatik, S. 187; anders allerdings und damit konsequent Murswiek, WiVelW 1986, 179, 200, der den Betroffenen einen Abwehranspruch auch gegen lediglich objektiv rechtswidrige Immissionen zugesteht. 97 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 219: die Grundrechte als Abwehrrechte (!) könnten gegenüber naturschutzrechtswidrigen Genehmigungen nicht eingesetzt werden, weil es "kein Grundrecht auf Genuß schöner Landschaften" gebe. 98 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 186, unter Berufung auf BVerwGE 10, 91, 92. 99 Baltes, BB 1978, 130, 131; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 214; ders., NVwZ 1983, 523, 526.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

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nicht er faßt werden. So fragt Schwabe z. B. ganz suggestiv, wie es "von Art. 1 Abs. 3, 2 Abs. 2 S. 1 her gerechtfertigt werden" könne, daß - unterstellt es gäbe ein Verfahren zur Entfernung krebserregender Stoffe aus Autoabgasen - der Staat den Autofahrern erlauben könne, "andere Mitbürger dem Risiko einer tödlichen Erkrankung auszusetzen". Und er gibt auch gleich selbst die Antwort. Verfassungsgemäß sei hier allein, "die staatliche Erlaubnis und die ihr korrespondierende Duldungspflicht an Art. 2 Abs. 2 S. 1 als Abwehrrecht zu messen"IOO. Mit dieser überspitzten Darstellung versucht Schwabe zu vernebeln, daß selbstverständlich die Grundrechte bei Beeinträchtigung ihrer Schutzgüter durch Private eine wichtige Funktion haben. Natürlich ist der Staat verpflichtet, soweit technisch möglich und nicht übermäßig belastend, Abgasreinigungsverfahren zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger einzuführen lOl • Nur ist dies keine Frage der Abwehr von staatlichen Eingriffen, sondern des Schutzes von Grundrechtsgütern. Die Einordnung dieser Problemstellung in den Bereich der Schutzpflichten führt nicht unbedingt zu einer materiellen SchlechtersteIlung der Betroffenen. Im übrigen muß betont werden, daß schon die Prämisse der Notwendigkeit einer uneingeschränkten Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten Vorhaben nicht überzeugt. Private Projekte sind Ausfluß grundrechtlicher Freiheit, die der Staat prinzipiell zu respektieren hat. Nur der Staat ist Adressat der Grundrechte. c) Die Versuche von Schwabe und Murswiek sind daher zusammenfassend betrachtet abzulehnen. Bereits ihre Herleitung ist dogmatisch fragwürdig. Überdies führt die Auffassung sehr häufig zu neuen Ungereimtheiten, die - wenn überhaupt - nur durch erheblichen Begründungsaufwand beseitigt werden können l02 • Eines sei zum Abschluß allerdings deutlich herausgestellt: Die Ergebnisse, zu denen vor allem Murswiek gelangt, also insbesondere die Betonung der subjektiven Komponente der Grundrechte auch im Bereich des Schutzes vor privaten Beeinträchtigungen, verdienen volle UnterstützunglO3 • Dem

100

Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 215.

Insoweit hat die Realität - Einführung der Katalysatortechnik - die Ausführungen von Schwabe teilweise eingeholt. 101

102 Schwabe kommt auch auf anderen Gebieten, insbesondere dann, wenn der einzelne sein Abwehrrecht durchsetzen will, nicht ohne Schutzpflichten aus, vgI. Grundrechtsdogmatik, S. 219ff. 103 Vgl. v. a. Murswiek, WiVerw 1986, 179, 19Off, 197ff.

3. Kapitel: Der Abwehrbereich der Grundrechte

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Weg, auf dem er dies erreicht, kann jedoch nicht gefolgt werden. Letztlich steht hinter den Thesen von Schwabe und Murswiek die Befürchtung, daß ohne Aktivierung des grundrechtlichen Abwehrmodus Lücken im Grundrechtsgüterschutz entstehen. Es kann aber nicht oft genug wiederholt werden, daß bei richtiger Auslegung der Grundrechte der individuelle Schutz gleichberechtigt neben der individuellen Abwehr steht, daß also mit der Ablehnung des Einsatzes der Grundrechte als Abwehrrechte keinesfalls eine Schwächung der Position des einzelnen einhergeht. W. Zusammenfassung

Alle Versuche, abwehrrechtliche Kategorien auch für Beeinträchtigungen aufgrund privaten Handelns fruchtbar zu machen, vermögen nicht zu überzeugen. Weder die Erteilung einer Kontrollerlaubnis noch die Bereitstellung von Normen oder die Auferiegung einer umfassenden Duldungspflicht können eine Verantwortung des Staates in dem Sinne hervorrufen, daß diesem die privaten Handlungen als eigene zugerechnet werden müßten. In allen diesen Fällen ist jedoch die Verpflichtung des Staates angesprochen, den grundrechtlich geschützten Gütern und Handlungsweisen Schutz zu gewähren.

Dimberger 7

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht § 10: Der "Wandel"1 im Grundrechtsverständnis

in der Literatur 1. Das Phänomen des Bedeutungswandels in der Grnndrechtsdogmatik

Die Beschränkung der Grundrechte auf eine rein abwehrrechtliche Sichtweise wurde schon früh in der Geschichte des Grundgesetzes als unbefriedigend empfunden. In verschiedener Hinsicht schienen die Grundrechte wurden sie so verengt verstanden - funktionslos zu sein, obwohl die reale Situation eine Anwendung geradezu handgreiflich erforderte. Als Ursache für die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Grundrechtsdogmatik werden vor allem zwei grundsätzliche Entwicklungen von Staat und Gesellschaft genannt. Zum einen wird auf einen Wandel im Hinblick auf die Staatsfunktionen hingewiesen2• Das Bild des modernen Staatswesens habe sich gegenüber dem des 19. Jahrhunderts stark verändert. Sei der Staat damals ein "liberalistischer Nachtwächterstaat" gewesen, der sich der Regelung privater Beziehungen so weit als möglich enthalten habe, so sei heute eine zunehmende Tendenz hin zum Leistungsstaat, zum "sozialen Wohlfahrtsstaat" zu beobachten. Die Staatsfunktionen und -ziele seien einer ständigen Ausweitung unterworfen, indem der Staat in immer mehr bislang dem gesellschaftlichen 1 Eine kleine Auswahl an Arbeiten, die sich bereits in ihrem Titel mit dem "Wandel" der Grundrechte beschäftigen, sei hier vorgestellt: Bernhardt, Wandlungen der Grundrechte; Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, Festvortrag; Ramm, Der Wandel der Grundrechte und der freiheitlich soziale Rechtsstaat, JZ 1972, 137ff; Roßnagel, Plutonium und der Wandel der Grundrechte, ZRP 1985, 8lff; Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), 16lff; Saladin, Grundrechte im Wandel; vgl. aber auch schon Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 23 (1933), lff. 2 Vgl. dazu z. B. Bikkenförde, NJW 1974, 1529, 1535; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 164, 173f; das., JZ 1971,401, 40lf; Sailer, DVBI. 1976,521,527; Sterzel, Wissenschaftsfreiheit, S. 75.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

99

Bereich zugeordnete Gebiete vordringe. Nicht mehr die Freiheit vom Staat, sondern die Freiheit zum Staat stehe im Mittelpunkt. Einer solchermaßen geänderten Staatsfunktion müsse sich auch die Grundrechtsentwicklung anpassen. Die zweite Begründungslinie setzt ebenfalls bei der Bedeutung der Grundrechte als Instrumente zur Sicherung realer Freiheit an. Die Blickrichtung ist jedoch eine andere. Freiheit sei heute in weit stärkerem Maße von Trägern gesellschaftlicher Macht, also von anderen Privatpersonen bedroht, als von der staatlichen Gewalt selbse. Die bloße Gewährung von Abwehrrechten gegen den Staat reiche zur Gewährleistung wirklicher Freiheit nicht mehr aus. Die Grundrechtsdogmatik müsse in irgendeiner Weise auf diese Realitätsveränderung reagieren und zusätzliche Instrumente bereitstellen. Schon der Prämisse dieser Auffassungen, die sich auf eine grundsätzliche Wandlung der tatsächlichen Verhältnisse berufen und daraus Folgerungen, insbesondere Ausweitungen des Grundrechtsschutzes, ableiten wollen, ist mit einer gehörigen Portion Skepsis zu begegnen. Selbstverständlich haben sich die politischen und sozialen Rahmenbedingungen der Freiheitsbetätigung seit dem 19. Jahrhundert4 in weitem Umfang verändert, selbstverständlich ist auch die "Freiheit" heute anderen Gefährdungssituationen ausgesetzt, sind ganz andere "Freiheiten" in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Es hieße aber die Grundrechte gehörig zu unterschätzen, wollte man annehmen, man müsse ihnen mit Hilfe einer völligen Um orientierung neue Bedeutungsgehalte entlocken. Wie eine genauere Betrachtung der Grundrechtsgeschichte zeigen wirds, sind diese von ihrer ursprünglichen Idee und Konzeption her durchaus in der Lage, mit "modernen" Entwicklungen fertig zu werden. Überdies sind die "Wandlungen" in der Realität, von denen in der Literatur die Rede ist, näher besehen wohl eher quantitativer als qualitativer Natur. Die Menschen - wenigstens ihr größter Teil - waren auch im 19. Jahrhundert nicht die autarken, ihrer eigenen Freiheit genügenden Idealtypen der frühliberalen Verfassungen, die ohne Staat im freien Spiel ge3 Dazu etwa Böckenforde, in: Freiheit in der sozialen Demokratie, S. 77, 8Ur; Denninger, in: AI(, GG-Komm., vor Art. 1, Rz. 32; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 70; Saladin, Grundrechte, S. 308; vgl. auch schon Nipperdey, in: Die Grundrechte IV, S. 741, 749. 4 Warum gerade dieser Zeitpunkt in der Literatur häufig als Vergleichsgroße zur heutigen Situation herangezogen wird, bleibt angesichts der Grundrechtsgeschichte im übrigen relativ unklar, vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 252f. 5 Vgl. unten § 1411. 2.

100

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

sellschaftlicher Kräfte ihre Freiheit "ausleben" konnten6• Auch damals war die Masse der Individuen auf staatliche Hilfen angewiesen (oder wäre es wenigstens gewesen); auch damals waren die Grundrechtsgüter - vor allem Leben, Gesundheit oder Eigentum - häufig von anderen Privaten bedroht, man denke nur an die teilweise menschenunwürdige Situation vieler Arbeiter in der Zeit des Frühkapitalismus. Daß die Grundrechte seinerzeit zur Lösung dieser Probleme nicht herangezogen werden konnten und wurden, liegt nicht an ihrem - etwa eingeschränkten - ursprünglichen Bedeutungsgehalt. Vielmehr folgte dies aus ihrer eher untergeordneten Stellung im Rechtssystem. Man mag das Grundgesetz und insbesondere Art. 1 Abs. 3 GG von daher als "Wandel" ansehen. Mit einer "kopernikanischen Umwertung"7 der Grundrechte - was ihren Inhalt betrifft - hat das alles nichts zu tun. Nun sei aber eines zugestanden. Die Naturzerstörung, wie im Grundsatz die gesamte Umweltproblematik, ist häufig das Resultat nichtstaatlicher Vorhaben und Projekte. Sie stellt damit eine wenn auch nicht qualitativ, so doch quantitativ neue Herausforderung an das Recht dar, die insbesondere von der Grundrechtsdogmatik bewältigt werden muß, so daß es also - wenn man so will - unter Hintanstellung begrifflicher Bedenken eines "Wandels im Grundrechtsverständnis" bedarf. Insbesondere soll nicht verhehlt werden, daß der Umweltschutz auch inhaltlich neuartige Fragen an das Recht stellt, beispielsweise wenn man an schwer nachweisbare Kausalverläufe denkt oder an die Probleme sich addierender und potenzierender Effekte, die von unterschiedlichen Verursachern herrühren. Zwei Versuche, auf die veränderten Umstände in der Wirklichkeit zu reagieren, seien hier in gebotener Kürze exemplarisch herausgegriffen: die vor allem von Nipperdey und Leisner entwickelte Lehre von der "unmittelbaren Drittwirkung" der Grundrechte und die "institutionelle Sichtweise" der Grundrechte im Sinne von Häberle. Daneben gibt es freilich noch eine ganze Reihe "moderner" Entwicklungen im Grundrechtsverständnis. Hingewiesen sei hier nur auf die Diskussion um die Grundrechte als "Teilhaberechte" und auf die These vom Schutz der Grundrechtsvoraussetzungen. Es darf allerdings bereits vorweggenommen werden, daß solche revolutionären Umbrü6 So aber ausdrücklich beispielsweise Sailer, DVBI. 1976, 521, 527; ähnlich Klein, Grundrechte, S. 40; Scheuner, DÖV 1971, 505, 511; wie hier Friesenhahn, Festvortrag, G 16; sehr kritisch auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 247ff, insbesondere S. 257ff. 7 Saladin, Grundrechte, S. 309.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

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che in der Grundrechtsdogmatik zur Behandlung der aufgezeigten Probleme eben nicht notwendig sind, sondern daß auf eine an sich ursprüngliche, nur bislang weitgehend verschüttete Grundrechtsfunktion zurückgegriffen werden kann und muBs. 11. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung Es mag aus zwei Gründen abwegig erscheinen, sich an dieser Stelle überhaupt mit der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte9 auseinanderzusetzen. Zum einen wird behauptet, sie sei überwunden und werde nur noch ganz vereinzelt vertreten lO , zum anderen hat sie ihren Platz im Privatrecht und scheint für die hier zu untersuchende Problematik bedeutungslos zu sein. Trotzdem ist eine kurze Beschäftigung mit dieser 8 Aus der Fülle des Schrifttums zu Teilhaberechten und verwandten Konstruktionen vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 205ff; Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1535f; Breuer, in: 25 Jahre BVerwG, S. 89ff; Friesenhahn, Festvortrag, G 29ff; Häberle, VVDStRL 30 (1972) 43, 9Off; Manens, VVDStRL 30 (1972), 7, 2lff; v. Mutius, VelWArch 64 (1973), 183ff; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 183ff; Sailer, DVBI. 1976, 521, 525f, 529ff; Sendler, DÖV 1978, 58lff; Soell, Aspekte, S. 8ff. Aus der Rechtsprechung BVerfGE I, 97, 104ff (kein Recht auf Zuteilung von Renten in bestimmter Höhe, möglichelWeise aber unter gewissen Voraussetzungen doch Anspruch); BVerfGE 33, 303, 330ff (derivativer Anspruch bei Studienplatzvergabe, originärer Anspruch wird elWogen, dazu auch BVerfGE 43, 291, 313ff); BVerfGE 35, 79, 114ff (Anspruch auf Leistungen organisatorischer Art zur Ermöglichung wissenschaftlicher Betätigung); BVerfGE 75, 40, 62ff (Leistungsanspruch auf Privatschulförderung aus der Zusammenschau von institutioneller Garantie und Sozialstaatsprinzip). Die Diskussion sollte sich m. E. an zwei Fixpunkten orientieren: Zum ersten muß streng zwischen derivativen und originären Leistungsansprüchen unterschieden werden, zum zweiten muß im Vordergrund stehen, daß in erster Linie der Gesetzgeber und nicht die Judikative dazu berufen ist, Leistungsansprüche zuzuerkennen. 9 Die Lehre von der "unmittelbaren Drittwirkung" wurde begründet von Leisner, Grundrechte, v. a. S. 306ff, Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, v. a. S. 14ff, und Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, S. SOff. 10 Kloepfer, Umweltrecht, S. 42 FN 22: Problem sei "weitgehend ausdiskutiert"; Lübbe· Wolf!, Eingriffsabwehrrechte, S. 160: Lehre werde "überwiegend abgelehnt"; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 168: Lehre werde "durchweg abgelehnt". Die Diskussion um die Drittwirkung flammt aber in letzter Zeit wieder auf, vgI. zuletzt die Kontroverse zwischen Canaris, JZ 1987, 993ff; bzw. JZ 1988, 494ff (gegen unmittelbare Drittwirkung), und Ramm, JZ 1988, 489ff (für unmittelbare Drittwirkung); dazu auch Bleckmann, DVBI. 1988, 938ff. Die Theorie der unmittelbaren Drittwirkung wird neuerdings im übrigen vertreten von v. Münch, Grundbegriffe des Staatsrechts I, Rz. 19Of, und wohl auch von Schlink, EuGRZ 1984, 457, 464; Sympathie zeigt auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 193. Das BAG ging in st. Rspr. ebenfalls von einer unmittelbaren Drittwirkung aus, erstmals BAGE I, 185, 192ff; weitere Beispiele in BAGE 11, 135, 138; 24, 438, 441; vgl. auch BGHZ SO, 25, 27ff; mittlelWeile hat allerdings der erste Senat diese Auffassung jedenfalls für Art. 10 GG ausdrücklich aufgegeben, BAGE 52, 88, 97f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Theorie angeraten. Ihre Annahme hätte nämlich radikale Wirkungen auch auf dem Gebiet des Drittschutzes: dem Nachbarn als Grundrechtsverpflichteten könnte man wieder mit abwehrrechtlichen Mitteln begegnenlI. Das wäre eine verfassungsrechtlich ganz einfache Lösung der Problematik nichtstaatlicher Gefährdungen. Unmittelbare Drittwirkung bedeutet - grob gesprochen -, daß die Grundrechte auch ohne Vermittlung durch das einfache Gesetz zwischen Privaten Geltung beanspruchen sollen, daß also jeder Private gleichzeitig Grundrechtsträger und potentieller Grundrechtsverpflichteter wäre. Der Vorteil dieser Ansicht liegt auf der Hand: Das Wertsystem der Grundrechte könnte sich in optimaler Weise entfalten, jeder hätte die Rechte der anderen unmittelbar zu achten. Die überzeugende Kritik an dieser Auffassung wurde schon mehrfach ausführlich dargetan12, so daß hier nur die wichtigsten Einwände angesprochen werden sollen. Schon ein Blick auf die in Art. 1 Abs. 3 GG genannten Adressaten der Grundrechte legt es nahe, daß grundrechtsverpflichtet nur die öffentliche Gewalt, nicht aber der Bürger selbst sein soll13. Ausschlaggebend ist aber, daß die Grundrechte eben nicht so einfach vom Verhältnis Bürger - Staat auf das Verhältnis Bürger - Bürger übertragen werden können. Dies zeigt bereits die einfache Überlegung, daß sich in der letztgenannten Konstellation ja auf beiden Seiten grundrechtliche Berechtigungen gegenüberstehen, die zum Ausgleich gebracht werden müssen. Bei unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte käme diese Aufgabe notwendigerweise der Rechtsprechung zu, der dazu aber weitgehend die Direktiven und vor allem die demokratische Legitimation fehlen. Richtig und allein verfassungsgemäß ist demgegenüber, wenn der Gesetzgeber diese Konflikte (vor) entscheidet. Diesem beim Prinzip der Gewaltenteilung ansetzenden Gedanken entspricht auch die Argumentation, die auf das Freiheitsverständnis des 11 Auch wenn dies von Schwabe, Drittwirkung, passim, vehement bestritten wird, weisen seine Ansicht und die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung erhebliche Ähnlichkeiten auf, vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 178ff; v. Mangoldl / Klein / Slarck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 191. Auf den Zusammenhang zwischen staatlicher Schutzpflicht und Drittwirkungslehre weist auch Benda, UPR 1982, 241, 243, hin: Schutzpflicht als "Transmissionsriemen" für die Drittwirkung. Für Herzog, JZ 1969, 441, 443, sind Drittwirkung und Schutzpflicht offensichtlich gleichbedeutend. 12 So v. a. Dürig, in M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 129ff; vgl. auch Hesse, Grundzüge, Rz. 354ff; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. l6Off. 13 Anders offensichtlich Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 942; wie hier beispielsweise Bettermann, Hypertrophie, S. 6.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrecht lichen Schutzpflicht

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Grundgesetzes rekurriert. Hoheitssubjekt und Bürger befmden sich in der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie in einem ganz anderen Verhältnis zueinander als der Bürger zu seinem Mitbürger l4 • Trotz vielfacher Aufeinanderbezogenheit wird der grundsätzliche Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft von der Verfassung vorausgesetzt und ist als Grundbedingung der Freiheit unverzichtbar ls. Im einen Fall stehen sich grundsätzlich unbegrenzte Freiheit und grundsätzlich begrenzte Kompetenz, im anderen Fall auf beiden Seiten zunächst unbeschränkte Freiheit gegenüber. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung wird dieser Situation nicht gerecht und muß daher abgelehnt werden. I1I. Die institutionelle Deutung der Grundrechte

Die These von der institutionellen Deutung der Grundrechte l6 ist vor allem mit dem Namen Peter Häberle verbunden. In seiner Schrift über die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG unternimmt er den Versuch eines völligen Umbaus der Grundrechtsgewährleistungen hin zu einem institutionellen Verständnis der Freiheit 17• Vereinfacht läßt sich die Position Häberles so zusammenfassen: Alle Grundrechte enthielten neben einer inDVBI. 1972,66,67; ders., AöR 101 (1976), 161, 169. Dazu Böcken!örde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, v. a. S. 9ff; Klein, Grundrechte, S. 34f; Matthiesen, Staatliche Einwirkung, S. 15; Schalz, Koalitionsfreiheit, S. 154ff; anders Scheuner, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 12, S. 653, 660. 16 Die Begriffe der institutionellen Garantie und der Institutsgarantie wurden maßgeblich von Carl Sehmin entwickelt, vgl. seine Aufsätze "Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931)" und "Grundrechte und Grundpflichten (1932)", wiederabgedruckt in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 - 1954, S. 140, v. a. S. 167ff, und S. 18lff. Für ihn bildeten Freiheit und Institution allerdings noch Gegensätze, da Freiheit als individuelle Willkür vom Staat nicht normierbar sei, vgl. Bleekmann, Staatsrecht 11, S. 225; Grabitz, Freiheit, S. 219; Soell, ZiA 1981, 509, 514. Eine institutionelle Überformung der Freiheit für den Bereich der Presse vollzieht bereits Ridder, in: Die Grundrechte 11, S. 243, 249ff. Aus der Rechtsprechung vgl. z. B. BVerfGE 20,162, 175; 75, 40, 62. Begrifflich herrscht heute im übrigen oftmals heillose Verwirrung. Die von Carl Sehmitt durchgeführte Unterscheidung zwischen Institutsgarantie und institutioneller Garantie wird häufig aufgegeben, vgl. z. B. neuerdings Bleekmann, a. a. 0., S. 248, wo institutionelle Garantie und Institutsgarantie offenbar synonym gebraucht werden; ähnlich Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 127 FN 169; dagegen zurecht schon Friesenhahn, Festvortrag, G 26; ähnlich Sehalz, Koalitionsfreiheit, S.223. 17 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 96ff; ähnlich beispielsweise auch Seheuner, DÖV 1971, S. 505ff; Saladin, Grundrechte, S. 292ff; etwas zurückhaltender Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 81ff, und Rupp, AöR 101 (1976), 161, 172ff. 14 Rupp,

15

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

dividualrechtlichen Komponente eine institutionelle Seite. Diese beiden Elemente stünden in einem Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit und Durchdringung l8• Freiheit könne daher nicht im Sinne individueller Willkür verstanden werden, sondern sie entfalte und verwirkliche sich erst als Institut durch ihre nähere rechtliche Ausgestaltung sowie der Adaption von Ordnungsideen und Sachgegebenheitenl9 • Individuelle Freiheit bedürfe somit der institutionell gewährleisteten Lebensverhältnisse sowie der diese anreichernden Normenkomplexe, die der individuellen Freiheit ihre Grenze zögen20 • Der Grundrechtsberechtigte sei in diese institutionelle Ordnung eingefügt. Damit verändere sich auch die Tätigkeit des Gesetzgebers21 • Er greife nicht mehr nur in Grundrechte ein, sondern er gestalte Grundrechte aus und mache sie dadurch individualrechtlich erst handhabbar. Diese Ausgestaltungsfunktion gelte - so ausdrücklich Häberle 22 - ausnahmslos für alle Grundrechte. Die Kritik an Häberles Auffassung könnte schon bei seinem Begriff des Instituts ansetzen. Er definiert ihn nicht bzw. verwendet ihn mit ganz unterschiedlichen BedeutungsgehaltenZ3 • Während diese begriffliche Unsicherheit aber noch hingenommen werden könnte, muß Häberles These von der umfassenden Institutionalisierung der Freiheit auch inhaltlich abgelehnt werden. Häberle gesteht selbst zu, daß den Grundrechten auch subjektiv öffentliche, individuelle Rechte entsprechen; dabei geht er einerseits von einer Gleichgewichtigkeit zwischen dieser Komponente und dem Institut aus24, andererseits betont er die Wechselbezüglichkeit dieser Elemente, wobei deutlich wird, daß individuelle Freiheit nur noch innerhalb des Instituts möglich bleiben soll25. Die davon ausgehende Gefahr liegt auf der Hand: Das subjektive Freiheitsrecht wird ausgehöhlt und reduziert sich auf einen "Rechtsreflex" des institutionell gedachten 18

Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 102.

19 Häberle,

Wesensgehaltgarantie, S. 98.

20

Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 100.

21

Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 180ff.

Wesensgehaltgarantie, S. 18l. Die eher beiläufige Definition Häherles, Wesensgehaltgarantie, S. 165 ("Bereiche ... , die durch Normenkomplexe angereichert sind"), entspricht nicht der bis dahin entfalteten Dogmatik des Instituts. Kritisch dazu auch GrabilZ, Freiheit, S. 228ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 133ff; Steiger, in: Zur Theorie der Institution, S. 91, 111. 24 Häherle, Wesensgehaltgarantie, Vorwort zur 2. Auflage S. V, S. 71. 25 Häherle, Wesensgehaltgarantie, S. 97ff; dazu Klein, Grundrechte, S. 62. 22 Häberle,

Z3

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

105

Grundrechts26• Und diese "Freiheit in der Institution" ist damit nicht mehr charakterisiert als möglichst weitgehende Selbstbestimmung, wie sie das Menschenbild des Grundgesetzes intendiert, sondern erhält vom Gesetzgeber erst "Richtung und Maß, Sicherheit und Geborgenheit, Inhalt und Aufgabe,,27. Die zunächst ausschließlich zur Verstärkung der subjektiven Seite des Grundrechts entwickelte Lehre wandelt sich zu einem "Danaergeschenk,,28. Nicht mehr Fehlgebrauch der Freiheit wird beschränkt, sondern der "richtige" Gebrauch der Freiheit wird verordnet 29• Daß die Ausgestaltungsbefugnis der Legislative hierbei offensichtlich weiter geht als die herkömmliche Begrenzungsmöglichkeit, ergibt sich daraus von selbst3O• Nun erkennt auch Häberle diese Problematik und versucht die Ausgestaltung der Freiheit durch den Gesetzgeber über das "Leitbild" zu determinieren, das die Verfassung von jedem Grundrecht geschaffen habe31 • Abgesehen davon, daß ein solches Verfahren nach Voraussetzungen und Grenzen sehr unbestimmt bleibt und fast jeder Interpretationsvariante freien Raum läße2, ist die von Häberle vorgeschlagene Vorgehensweise auch aus anderen Gründen nicht haltbar. Fruchtbar gemacht werden soll nämlich in diesem Zusammenhang das an sich bewährte Prinzip der Güterabwägung33 • In der konkreten Ausgestaltung Häber/es verliert es allerdings jegliche Kontur. Da für ihn Grundrechte rechtlich ausgestaltete Institutionen sind, erhalten die betreffenden Normenkomplexe gegenüber den individuellen Grundrechtsgewährleistungen Gleichrang34 • Während sich also nach herkömmlicher Auffassung beim Verfahren praktischer Konkordanz abstrakt gleichwertige, verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter gegenüberstehen, die mit dem Ziel

26 Für die Pressefreiheit ausdrücklich Ridder, in: Die Grundrechte 11, S. 243, 269; kritisch Orabitz, Freiheit, S. 227; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 127f; Soell, ZfA 1981,509,515. 27 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 98. 28 Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 98. 29 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 231; Böcken[örde, NJW 1974, 1529, 1532; Steiger, in: Zur Theorie der Institution, S. 91, 112f; kritisch auch Sehelz, Koalitionsfreiheit, S. 230; Soell, Aspekte, S. 11. 30 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 232. Kritisch insbesondere Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.143ff.

31

Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 182. ZfA 1981, 509, 515.

32 Soell,

33 Häberle, 34

Wesensgehaltgarantie, S. 3lff.

So interpretieren Häberle z. B. auch Böcken[örde, NJW 1974, 1529, 1533; Orabitz, Frei-

heit, S. 234; Steiger, in: Zur Theorie der Institution, S. 91, 113.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

beiderseitiger Optimierung zum Ausgleich gebracht werden sollen35, werden bei Häberle die Institutionen - z. B. besondere Gewaltverhältnisse, jegliche Konkretisierung der Sozialstaatsklausel bzw. sogar die gesamte Straf- und Privatrechtsordnung36, und zwar so wie sie augenblicklich bestehe7 - quasi auf die Verfassungsebene gehoben. Eine "Inflation der Werte", aus der notwendig eine Minderung der grundrechtlichen Normativität und letztlich die praktische Undurchführbarkeit einer an wirkliche Maßstäbe gebundenen Abwägungsentscheidung resultieren muß. Alle Grundrechte werden damit im Ergebnis einem ungeschriebenen Maßgabevorbehalt durch Ausgestaltung unterworfen38• Mit der Ablehnung der institutionellen Deutung der Grundrechte - dies sei abschließend hervorgehoben - wird nun nicht die gesamte Konstruktion verworfen. Bei einigen Grundrechten mag es sogar zu einer Verstärkung des individuellen Freiheitsschutzes führen, wenn ihnen gleichzeitig eine "institutionelle Garantie" im Sinne Häber/es entnommen wird39 • Nur dürfen insoweit keinesfalls alle Grundrechte gleichbehandelt werden, und man hat bei der Entwicklung und Anwendung dieser Grundrechtsfunktion sehr behutsam und unter Wahrung des Primats der individuellen Komponente vorzugehen4O• W. Resümee - Wiederentdeckung statt Wandel

Bei aller Verschiedenheit der hier beispielhaft angesprochenen Versuche, einen "Wandel" im Grundrechtsverständnis herbeizuführen, lassen sich doch einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten ausmachen. Da ist zum einen der übereinstimmende Anlaß, über einen "Wandel" nachzudenken. Wie schon oben erwähnt scheinen die Grundrechte, soweit man sie als bloße Abwehr35 Vgl. zum Prinzip der praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge, Rz. 72; eingehend zum AbwägungsmodellAlety, Theorie, S. 143ff. 36 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 35ff. 37 Böckenj'örde, NJW 1974, 1529, 1533; zur faktischen Identität von institutionelIer und "Status-quo"-Garantie SCholz, Koalitionsfreiheit, S. 23lf. 38 Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 233f. 39 Vgl. Soell, ZfA 1981,509,514, unter Hinweis auf BVerfGE 30,173, 188ff. 40 Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 98; v. Mangoldt / Klein / Starck, GGKomm., Art. 1, Rz. 126; Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2104; vgl. auch SChmidt-Jonzig, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, der Kriterien hierfür zu entwickeln versucht. Ähnliches gilt im übrigen auch für die leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grund rechtlichen Schutzpflicht

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rechte gegen den Staat ansieht, nicht ausreichend zu sein, um reale Freiheit zu gewährleisten. Dieses Unbehagen darf nicht einfach beiseite gewischt werden. In der Tat genügt die negatorische Komponente der Grundrechte nicht, um dem Sinn dieser Grundnormen aller Staatlichkeit wirklich gerecht zu werden. Das Hauptproblem steckt in der Frage, ob und wie den Grundrechten ein "Mehr" oder gar ein "Aliud" gegenüber ihrer Abwehrfunktion entnommen werden kann, mit dessen Hilfe die geschilderten Mängel beseitigt werden. Und hier stößt man auf eine weitere Gemeinsamkeit der Befürworter eines Grundrechtswandels, die alle Auffassungen in mehr oder weniger auffälliger Weise gleichsam wie ein roter Faden durchzieht. Den Grundrechten wird nämlich - in welcher Form auch immer - eine immanente Pflichtigkeit beigegeben, die den individuellen Gehalt einzuschränken vermag und von diesem abgelöst als qualitativ verschieden gedacht wird. Nun steht außer Frage, daß den Vätern des Grundgesetzes bewußt war, daß das Individuum innerhalb einer Gemeinschaft existiert, daß die Freiheitsentfaltung Wechselwirkungen auf die soziale Sphäre, die den einzelnen umgibt, ausübt und daß die Grundrechte - als Grundnormen auch des gesellschaftlichen Zusammenlebens - Bedeutung dafür haben müssen. Trotzdem sind und bleiben die Grundrechte in erster Linie individuelle Rechte, primär Gewährleistungen der Freiheit des einzelnen, und größte Vorsicht ist überall dort geboten, wo der "Wandel" der Grundrechte - was der Wortsinn an sich nahelegt - den ursprünglichen Bedeutungsgehalt mitumfassen und zu einer völligen Neuorientierung, zu revolutionären Umbrüchen in der Grundrechtsdogmatik führen soll. Wenn also Grundrechte zu Titeln für Freiheitsbeschränkungen, zu Grundpflichten umgedeutet werden, wenn - überspitzt formuliert - Grundrechte sozialisiert werden, ist die Grenze interpretatorischer Tätigkeit überschritten. Bei genauer Beschäftigung mit den Grundrechten wird jedoch deutlich, daß eine solche Revolution nicht nötig ist; notwendig ist allerdings eine Wiederbesinnung auf einen verschütteten Bedeutungsgehalt, der jedoch zum grundrechtlichen Urgestein gehört: die Grundrechte erschöpfen sich nicht in einer bloßen Freiheit vom Staat, sie enthalten gleichzeitig die Pflicht des Gemeinwesens, die in den Grundrechten enthaltene Freiheitsordnung vor Angriffen von dritter Seite zu schützen. Anknüpfungspunkt bleibt - das sei hier ganz deutlich gemacht - der individuelle Charakter der Grundrechte, der aber nicht nur aus einer negatorischen Komponente besteht; der einzelne hat vielmehr ein Recht auf Achtung und auf Schutz seiner Freiheit gegenüber dem Staat.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

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§ 11: Erste Ansätze in der Literatur

Der Gedanke einer grundrechtlichen Schutzpflicht oder genauer einer Pflicht zum Schutz der durch die Grundrechte gewährleisteten Rechtsgüter und Freiheitsbereiche findet sich schon relativ früh im Schrifttum. So hat vor allem Dürig in seiner Kommentierung zu Art. 1 GG versucht, über den Wesens- oder Menschenrechtsgehalt aller Grundrechte Schutzpflichten herzuleiten41 • Seine Ausführungen waren Grundlage für die heute ganz herrschende Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und hatten mittelbar oder unmittelbar Einfluß auch auf die moderne Diskussion um grundrechtliche Schutzpflichten. Auch KJoepfer hat in einer Untersuchung aus dem Jahre 1970 zu dem umfassenden Problemkreis des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes mögliche grundrechtliehe Schutzpflichten berührt und sie für "fast alle grundrechtlieh geschützten Positionen" als denkbar angesehen42 • Zwei Problemkreise waren es vor allem, die literarisch im Zusammenhang mit einem Grundrecht auf Schutz erörtert wurden. Zum einen die Frage nach einem Recht auf medizinische Versorgung43 , zum anderen die Problematik der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, also der Schutz des ungeborenen Lebens44 • Fast durchgängig kann diesen Darstellungen die Auffassung entnommen werden, daß sich Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht in einem bloßen Abwehrrecht erschöpfen könne, sondern einen darüber hinausgehenden Bedeutungsgehalt aufweisen müsse. Naturgemäß waren die Begründungen und die daraus abgeleiteten Folgerungen noch sehr vorsichtig45, wobei allerdings Einigkeit in bestimmten Grundlinien herrschte. Jedermann müsse einen Anspruch auf ein zum Leben notwendiges Existenzminimum haben46; es müsse ihm ein Anspruch auf Einschreiten von Polizei bzw. Sicherheitsbehörden zustehen, falls seine Gesundheit oder sein Leben un-

41

Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, insbes. Rz. 45, 8Of. Entstehenssicherung, S. 19f.

42 K1oepfer, 43

Vgl. Däubler, NJW 1972, 1105ff; Schwabe, NJW 1969, 2274ff.

Vgl. z. B. Engelhardt, FamRZ 1963, Hf; Friesenhahn, Festvortrag, G 22f; Herzog, JR 1969, 44Hf; Lang-Hinrichsen, JR 1970, 365ff; ders., FamRZ 1974, 497ff. 45 Z. B. Herzog, der sich nicht entscheidet, ob die Schutzpflicht aus dem Grundrecht oder aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet werden kann, JR 1969, 441, 443 FN 29; ähnlich Schwabe, NJW 1969, 2274, 2275. 46 Däubler, NJW 1972,1105,1108; Rupp, JZ 1971, 401, 402; Schwabe, NJW 1969, 2274, 2275; vgl. auch BVerwGE 1, 159, 162; 9, 78, 80. 44

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

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mittelbar gefährdet seien47, der Staat dürfe bestimmte strafgesetzliche Normen, die die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG genannten Rechtsgüter schützten, nicht ersatzlos streichen48 • Umstritten blieb vor allem, inwieweit ein Anspruch des einzelnen auf (Straf-)Normerlaß bestünde, ob sich also aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bestimmte durchsetzbare Direktiven auch gegenüber dem Gesetzgeber ableiten ließen49 , eine Diskussion, die unmittelbar in die erste Schutzpflichtentscheidung des Bundesverfassungsgerichts einmündet.

§ 12: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

I. Die Vorbereitungsphase

Angesichts dieser sehr tastenden und unsicheren Versuche in der Literatur, grundrechtliche Schutzpflichten zu entwickeln, konnte es tatsächlich als "Paukenschlag"SO verstanden werden, als das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Änderung des § 218 StGB51 scheinbar zum ersten Mal die staatliche Schutzpflicht ins verfassungsrechtliche Spiel brachte und daraus sofort weitgehende Folgerungen ableitete. Trotzdem handelte es sich dabei nicht um eine gleichsam revolutionäre Neuschöpfung des Gerichts, vielmehr können Vorboten dieser "neuen" Grundrechtsfunktion in früheren Entscheidungen aufgefunden werden, in denen Grundrechtswirkungen zwar formal noch nicht das Etikett "Schutzpflicht" trugen, der Sache nach aber bereits mit den Inhalten dieser Figur gearbeitet wurde52 •

47 Däubler, NJW 1972, 1105, 1109; Kloepfer, Entstehenssicherung, S. 19f; ähnlich Herzog, JR 1969,441,444. 48 Für den Mord- und Totschlagsparagraphen Herzog, JR 1969, 441, 444; ihm zust. LangHinrichsen, FamRZ 1974, 497, 500. Für den damals geltenden § 218 StGB - Straffreiheit nur bei medizinischer Indikation - Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2, Rz. 22ff (1958!). 49 Wieder bezüglich § 218 StGB: abI. Herzog, JR 1969, 441, 444f: "verfassungsrechtlicher Kurzschluß"; zust. Lang-Hinrichsen, FamRZ 1974, 497, 504f: "entweder Strafschutz oder (entgegen dem Grundgesetz) Schutzlosigkeit". so Isensee, Grundrecht, S. 27; Karpen, in: Umweltschutz im Recht, S. 9, 14; etwas vorsichtiger Ossenbühl, DÖV 1981, 1, 4. 51 BVerfGE 39, Hf.

52 Deshalb kann wohl kaum davon gesprochen werden, die Rechtsprechung sei nur "unmerklich vorbereitet" worden, Isensee, Grundrecht, S. 27; der "Paukenschlag" war eher begrifflicher Natur.

110

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Grund für diese begriffliche Unschärfe war häufig die prozessuale Konstellation, mit der sich das Gericht zu befassen haUe. Staatliche Gewalt, die zur Erfüllung der Schutzpflicht eingesetzt wird, äußert sich im Regelfall als Grundrechtseingriff bei denjenigen, denen gegenüber Schutz begehrt wird. Erfüllt der Staat also seine Pflicht und wehrt sich der Belastete gegen diese Maßnahme, so steht augenfällig die Abwehrfunktion seines Grundrechts im Vordergrund. Lediglich bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung kann dann die Pflicht zum Schutz Bedeutung gewinnen. Daß dabei die spezifisch grundrechtliche Anknüpfung dieses Schutzes nicht deutlich wurde und daß sich das Gericht mit der Heranziehung der "objektiven Wertordnung", die den Grundrechten zugrunde liegen soll53, begnügen konnte, liegt auf der Hand. Trotzdem läßt sich zeigen, daß hinter der jeweiligen Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts die grundrechtliche Schutzpflicht mehr oder weniger verborgen liegt54 • Exemplarisch sei eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herausgegriffen, die in anderer Beziehung - nämlich bei der Frage der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung - bekannt geworden ist, nämlich der "Soraya"-Beschluß55 • Das Bundesverfassungsgericht haUe sich dabei mit folgendem Sachverhalt zu beschäftigen: In einer Wochenzeitschrift war ein als Exklusiv-Interview bezeichneter Sonderbericht erschienen, in dem die geschiedene Ehefrau des Schahs von Iran, Prinzessin Soraya Esfandiary-Bakhtiary, der Leserschaft Einzelheiten aus ihrem Privatleben preisgab. Das Interview war frei erfunden. Der die Zeitschrift herausgebende Verlag wurde zu einer Zahlung von DM 15000.- Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verurteilt; er erhob dagegen Verfassungsbeschwerde, die vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurde. Obwohl dies in der Begründung des Gerichts nirgends expressis verbis erscheint, handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine eindeutige Schutzpflicht53 Die Vorbereitung der Schutzpflichtentscheidungen durch die Rechtsprechung zur ·objektiven Wertordnung" zeigen ausführlich Grabitz, Freiheit, S. 212ff; Robbers, Sicherheit, S. 129ff; einschränkend Isensee, Grundrecht, S. 27f. 54 Verwiesen sei beispielsweise auf folgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen jeweils die Verpflichtung des Staates zum Schutz von Freiheitsbereichen und Grundrechtsgütern angesprochen wurde, allerdings im Zusammenhang mit staatlichen Eingriffen: BVerfGE 18, 121, l3lf (Art. 13 GG); 35,79, 114ff (Art. 5 Abs. 3 GG); 35,202, 233 (allgemeines Persönlichkeitsrecht); 52, 223, 245ff (Art. 4 GG); in BVerfGE 49, 24, 53, erscheint dann die Schutzpflicht ausdrücklich als Eingriffslegitimation, dies wohl deshalb, weil die Entscheidung - methodisch grundlos - zunächst nicht an den Eingriff in Grundrechte der Bf. anknüpft, sondern sofort mit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung beginnt. 55 BVerfGE 34, 269ff.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtliehen Schutzpflicht

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konstruktion. Das Grundrechtsgut "allgemeines Persönlichkeitsrecht" eines Privaten - der Prinzessin Soraya - wird von einem anderen Privaten, nämlich dem Verlag, verletzt. Die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion wären bedeutungslos. Der Staat hat aber darüber hinaus die Pflicht, Grundrechtsgüter vor Eingriffen auch von nichtstaatlicher Seite zu bewahren bzw. bei erfolgten Beeinträchtigungen Sanktionsmöglichkeiten bereitzustellen56• Diese Schutzpflicht werde - so das Bundesverfassungsgericht - bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur durch Gewährung eines Schmerzensgeldanspruchs hinreichend erfüllt. Daß die Entscheidung wohl deshalb zu weit geht, weil das Gericht nicht die derzeitige Rechtslage für verfassungswidrig erklärte und den Gesetzgeber zur Entscheidung aufforderte, sondern die "Lücke" im Rechtssystem eigenhändig schloß, ändert an der grundsätzlichen Konstellation nichts. Dem Grundrecht auf Persönlichkeitsschutz wird eine staatliche Schutzverpflichtung gegen nichtstaatliche Eingriffe beigegeben. lI. Das Bekenntnis zur grnndrechtlichen Schutzpflicht

1. Die Leitentscheidungen

Das Bundesverfassungsgericht erklärt selbst57 das Urteil zur Fristenlösung58 zum Beginn der eigentlichen Rechtsprechung zur grundrechtlichen Schutzpflicht. Daneben werden von dem Gericht als "Marksteine" die "Schleyer"-Entscheidung59, die "Kalkar"-Entscheidung60, die "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung61 und die "Düsseldorf-Lohausen"-Entscheidung62 genannt63 • Zuletzt hat sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich in der Entscheidung zur Lagerung von C-Waffen durch die amerikanischen Streit56 Robbers, Sicherheit, S. 125, will Situationen, die einer Verletzung von Schutzgütem nachfolgen, nicht mehr der Schutzpflicht zuordnen, anders zurecht Murswiek, Verantwortung, S. 119; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 219; wohl auch Alery, Theorie, S. 411. 57 Vgl. z. B. BVerfGE 56,54, 73: die Rechtsprechung sei "zunächst im Urteil zur Fristenlösung" entwickelt worden. 58 BVerfGE 39, Hf. 59 BVerfGE 46, 16Off. 60 BVerfGE 49, 89ff. 61 BVerfGE 53, 3Off.

62 63

BVerfGE 56, 54ff. Vgl. die Verweisungskette in BVerfGE 77,170,214.

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kräfte in der Bundesrepublik mit der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beschäftigt64 ; die Schutzpflicht kann damit als in ständiger Rechtsprechung beider Senate anerkannt gelten65 • Die dabei meist verwendete Formulierung lautet, daß "Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht lediglich ein subjektives Abwehrrecht verbürgt, sondern zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung darstellt, die ... verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet,,66. Diese Rechtsprechung ist literarisch schon mehrfach dargestellt und aufgearbeitet worden67, so daß hier einige grundsätzliche Bemerkungen genügen sollen, die sich insbesondere mit Aspekten befassen, die bislang nicht im Vordergrund der Erörterung gestanden haben.

2. Die geschützten Rechtsgüter a) In den angesprochenen Entscheidungen geht es praktisch ausschließlich um die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Anfangs stand nur das Rechtsgut "Leben" im Mittelpunkt68, später rückte auch das Schutzgut "körperliche Unversehrtheit" ins Blickfeld@. Obgleich man gerade den jüngeren Aussagen des Bundesverfassungsgerichts eine Tendenz entnehmen könnte, die Schutzpflicht auf die genannten Schutzgüter zu beschränken70 , zeigt eine genauere Analyse, daß das Gericht Ausweitungen jedenfalls offensteht und sie teilweise auch schon vorgenommen hat. b) Schon in der Entscheidung zur Fristenlösung findet sich - allerdings als obiter dictum - die Formulierung, daß die Schutzverpflichtung des Staates um so ernster genommen werden müsse, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes an64

BVerfGE 77, 170ff.

Weitere Entscheidungen finden sich in BVerfGE 49, 24ff - Kontaktsperre; BVerfG NJW 1983, 2931ff (Vorprüfungsausschuß) - Waldsterben; BVerfG NJW 1987, 2287f (Kammerentscheidung) - AIDS; BVerfGE 79, 174ff - Lärmschutz an Straßen. 66 BVerfGE 77,170,214. 65

67 Zuletzt Klein, NJW 1989, 1633, 1634f; vgl. auch Hermes, Grundrecht, S. 45ff; Isensee, Grundrecht, S. 27ff; Robbers, Sicherheit, S. 131ff; Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 261ff; Zuck, MDR 1987, 988f. 68 Vgl. BVerfGE 39,1,41; 46,160,164. @ BVerfGE 53,30,57; 56, 54, 73. 70 Vgl. z. B. BVerfGE 79, 174,201; deutlich auch BVerfGE 77,170, 214ff, wo bei jeder Erwähnung der Schutzpflicht auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auftaucht, gleichsam um jede Verallgemeinerung zu verhindern.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

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zusiedeln sei7l • Dies kann nur bedeuten, daß das Bundesverfassungsgericht auch anderen grundrechtlich geschützten Gütern eine Schutzpflicht beiordnen will. In der "Kalkar"-Entscheidung ist interessanterweise von einer isolierten Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG überhaupt nicht die Rede. Das Gericht stellt lediglich fest, daß "die grundrechtlichen Verbürgungen" (!) nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des einzelnen darstellten, sondern zugleich objektiv-rechtliche Wertentscheidungen, aus denen sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben könnten72• Die Entscheidung zur Fristenlösung wird zitiert, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aber nicht erwähnt. Vielmehr scheint das Bundesverfassungsgericht wenigstens Art. 14 GG einbeziehen zu wollen, wenn es in diesem Zusammenhang davon spricht, daß der Gesetzgeber "Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern" berücksichtigt habe73 • Ausdrücklich erwähnt wird eine Schutzpflicht aus Art. 14 GG - und bemerkenswerterweise auch aus Art. 2 Abs. 1 GG - in der "Waldsterben"Entscheidung74 • Dieser Befund wird dadurch relativiert, daß das Gericht ausdrücklich von "etwaigen" Pflichten spricht und daß es sich nur um einen Beschluß des Vorprüfungsausschusses handelt. Andererseits werden Art. 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 S. 1 GG "in einem Atemzug" mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG genannt, so daß man zumindest eine Neigung zur gleichberechtigten Anwendung der Schutzpflicht bei diesen Bestimmungen feststellen kann. Als weiteres Rechtsgut, das als "schutzpflichtfähig" erachtet wird, findet sich schließlich im "Kontaktsperre"-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts die persönliche Freiheit in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, ohne daß das Gericht nähere Erwägungen zu dieser Erweiterung anstelles. c) Aber auch in Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Schutzpflicht normalerweise nicht erörtert werden, finden sich Spuren für den allgemeinen, umfassenden Charakter dieser Grundrechtsfunktion. So äußert 71 BVerfGE 39, 1, 42; ganz ähnlich BVerfGE 49, 89, 142: die Schutzpflicht hängt von "der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts" ab. 72 BVerfGE 49,89,142. 73 BVerfGE 49, 89, 143; das BVerwG DVBI. 1980, 1001, 1003, geht ausdrücklich von einer Schutzpflicht für die in Art. 14 GG geschützten Rechtsgüter aus und zwar unter Bezug auf BVerfGE 53, 3Off; darin äußert sich das BVerfG aber nicht eindeutig zu einer Schutzpflicht aus Art. 14 GG. Die vom BVerwG zitierte Stelle, a. a. 0., S. 65, bezieht sich nicht auf Konstellationen, in denen Grundrechtsgüter primär durch Dritte beeinträchtigt wurden. 74 BVerfG NJW 1983, 2931, 2932. 7S BVerfGE 49, 24, 53.

Dirnberger 8

114

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

das Bundesverfassungsgericht bezüglich Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG die Auffassung, daß diese Bestimmungen, "nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, das dem Staat Einmischung in den höchstpersönlichen Bereich des Einzelnen verbietet", enthielten, sondern sie geböten "auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern"76. Das muß auch hinsichtlich privatverursachter Beeinträchtigungen gelten; man beachte im übrigen die sprachliche Parallelität zur Begründung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Und noch eine Entscheidung wird von der Literatur zur grundrechtlichen Schutzpflicht - soweit ersichtlich - nicht beachtet, obwohl die Schutzpflichtkonstellation offen zutage liegt und vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich angesprochen wird, nämlich der "Brokdorf'-Beschluß. Dort hatte sich das Gericht unter anderem mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Wirkungen auch dann ausgehen, wenn es Beeinträchtigungen durch Störungen und Ausschreitungen Dritter ausgesetzt ist. Ob man aus Art. 8 GG eine dem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vergleichbare Schutzpflicht ableiten kann, läßt die Entscheidung ausdrücklich offen77, da bereits wieder die objektiv-rechtliche Wertentscheidung des Grundrechts die Begründung träge8 . Aus den Formulierungen des Gerichts ist aber jedenfalls eine gewisse Sympathie abzulesen, das hochrangige Schutzgut des Art. 8 GG nicht schlechter zu behandeln als andere in den Grundrechten verkörperte Gewährleistungen der Verfassung. Zusammenfassend läßt sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts also dahingehend deuten, daß es einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht freundlich gegenübersteht. 3. Die Herleitung der Schutzpflicht

Einige Bemerkungen zur Herleitung der Schutzpflicht durch das Bundesverfassungsgericht - oder besser zu deren Fehlen - seien noch gemacht. Längere Ausführungen, wie diese "neue" Grundrechtsfunktion dogmatisch zu begründen sei, finden sich nämlich nirgends. In der Entscheidung zur Fri76 BVerfGE 41,29,49. 77 78

BVerfGE 69,315,355. BVerfGE 69,315, 355f.

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrechtlichen Schutzpflicht

115

stenlösung genügt dem Gericht die lapidare Feststellung, die Schutzpflicht ließe sich bereits "unmittelbar" aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, aber auch aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG herleiten; sie gebiete dem Staat sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen, es also auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren79• Die weitere Formulierung, das Leben stelle verfassungsrechtlich einen Höchstwert dar, gehört schon nicht mehr zur Begründung, sondern zur Frage der Intensität der Schutzpflicht. In dem naturgemäß knapp gehaltenen "Schleyer"-Urteil wird nur auf "Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG" hingewiesen80 • Bereits im "Mülheim-Kärlich"-Beschluß wird die Rechtsprechung als anerkannt bezeichnet8I, was jede weitere Begründung überflüssig zu machen scheint; in dieser Entscheidung - wie auch in allen nachfolgenden - figuriert als Anknüpfungspunkt im übrigen nur noch das Grundrecht selbst. 4. Schutzpflicht und Drittschutz Welche Funktionen der Schutzpflicht nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts beigemessen werden, welche Intensität die Pflicht aufweist, bzw. ob und wann die Nichterfüllung vom Gericht nachgeprüft werden kann, braucht hier nicht im einzelnen und umfassend dargestellt zu werden. Es genügt der Hinweis, daß sich das Gericht mit der Drittschutzfrage von Normen einfachen Rechts im Zusammenhang mit der Schutzpflicht nur in der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung auseinander setzen mußte. Das Gericht kommt darin zum Ergebnis, daß die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch die Anwendung von Vorschriften einfacher Gesetze beeinflusse82 • Würden Verfahrensregelungen, "die der Staat in der Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassen hat", nicht beachtet, bedeute das gleichzeitig eine Grundrechtsverletzung. 79 BVerfGE 39, 1, 4lf; diese Kürze verwundert umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht selbst - allerdings in einer frühen Entscheidung - Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als bloßes Abwehrrecht bezeichnet hat, BVerfGE 1,97, 104: Der Verfassungsgeber habe sich "darauf beschränkt, negativ ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu statuieren, d. h. insbesondere den staatlich organisierten Mord und die zwangsweise durchgeführten Experimente an Menschen auszuschließen". Zu dieser Entscheidung auch Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 258f. 80 BVerfGE 46,160,164. 81 BVerfGE 53,30,57. 82 BVerfGE 53,30, 65f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Wenn auch das Gericht in der Begründung vor allem die Verknüpfung von Verfahrens recht und Grundrechtsschutz betont, so muß die VOI1.l Bundesverfassungsgericht gezogene Konsequenz umso mehr für Rechtsnormen gelten, die der materiellen Grundrechtseffektuierung dienen83 • Das Gericht scheint daher die Auffassung zu vertreten, daß ganz allgemein die Nichtbeachtung einfachen Rechts, das "in Erfüllung" der staatlichen Schutzpflicht erlassen wurde, auch das entsprechende Grundrecht verletze; dies bedeutet, daß dann auch Rechtsschutz gewährt werden, die Norm also im Ergebnis ein subjektiv öffentliches Recht darstellen muß. Drittschutz und Schutzpflicht gehören also zusammen. III. Die Reaktion in der Literatur

Die geschilderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat im Schrifttum breite und fast einmütige Zustimmung erfahren. In den Einzelheiten herrscht jedoch bezeichnende Unsicherheit und Uneinigkeit. Dies beginnt schon bei der Herleitung der Schutzpflicht. Man fmdet hier die unterschiedlichsten Ansätze. Häufig wird Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG herangezogen84 • Teilweise wird auf das Rechtsstaatsprinzip85, auf das Sozialstaatsprinzip86 oder auf staatstheoretische Gesichtspunkte87 verwiesen. Die Schutzpflicht soll sich - so wird vorgeschlagen - aus den den Grundrechten beigegebenen Gesetzesvorbehalten ableiten lassen88• Schließlich finden sich noch Kombinationslösungen89 •

83 Das klingt im übrigen auch an der ebengenannten Stelle der Entscheidung an, BVerfGE 53,30,65. 84

Vgl. z. B. Rupp, AöR 101 (1976), 161, 166; näher dazu unten § 14 IV. 2.

85

Vgl. v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 46.

Häberte, VVDStRL 30 (1972), 43, 94f; Roßnaget, Grundrechte, S. 18, 52; Schotz, DBBeil. 10/79, S. 14f, 16; Schwabe, NJW 1969, 2274f. 87 Vgl. Seewatd, Gesundheit, S. l4Uf, in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. 86

88 Herzog,

JR 1969, 441, 443f; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 33.

Eher verwirrend Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 229: Ausgangspunkt ist Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG; a. a. 0., S. 238: "Ich neige auch mehr dazu, erforderliche Schutzpflichten an Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG 'anzubinden'"; a. a. 0., S. 230: Schutzpflicht aus Art. 14 GG "gegebenenfalls in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip"; ähnlich a. a. 0., S. 238, für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG; a. a. 0., S. 230: Schutzpflicht zugunsten des menschlichen Lebens, "sie läßt sich jedoch nicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ableiten"; a. a. 0., S. 239: Art. 2 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.l GG. 89

4. Kapitel: Eine Bestandsaufnahme zur grundrecht lichen Schutzpflicht

117

Streitig ist, an wen sich die staatliche Schutzpflicht richtet90, welchen Grundrechten sie entnommen werden kann9 I, wie ihre Reichweite zu bemessen ist92 und ob ihr ein subjektiver Schutzanspruch des Bürgers entspricht93 • Angesichts dieser Problem fülle kann in der vorliegenden Arbeit eine abschließende und umfassende Klärung nicht angestrebt werden. Ziel ist es nur, den allgemeinen Charakter der grundrechtlichen Schutzpflicht herzuleiten und deren Bedeutung für den Drittschutz deutlicher herauszuarbeiten. § 13: Begrimiche Einordnung der grundrechtlichen

Schutzpßicht

Bevor aber der Versuch gemacht wird, Ableitung und Funktion einer grundrechtlichen Schutzpflicht näher darzustellen, muß noch eine kurze begriffliche Klärung erfolgen. Denn nicht immer wird unter dem Stichwort "Schutzpflicht" ein einheitlicher Problemkreis verstanden. Sogar das Bundesverfassungsgericht benutzt den Terminus in unterschiedlicher Weise: Einmal erscheint die Schutzpflicht als "umfassend", auch die staatliche Achtungspflicht, also die Abwehrkomponente der Grundrechte miteinbeziehend94, ein anderes Mal wird sie auch zur Begründung des Schutzes von Gemeinwohlbelangen von der grundrechtlichen Anbindung eher geläst95; 90 Nur an den Gesetzgeber: z. B. Scherzberg, Jura 1988, 455, 456; "in erster Linie" an den Gesetzgeber: z. B. Herrnes, Grundrecht, S. 119; an alle drei Gewalten in gleicher Weise: z. B. Robbers, Sicherheit, S. 125. 91 Im Vordergrund steht meist nur Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. z. B. Lücke, DÖV 1976, 289, 290, 293; v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 46; vereinzelt werden aber auch Art. 14 GG, z. B. Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21,45, oder Art. 4 GG, z. B. v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 4, Rz. 11, 17, als Grundrechte mit Schutzpflicht angesehen; für Art. 12 GG zweifelnd Soel/ / Dicken / Dimberger, BayVBI. 1988, 515, 521; Hermes, Grundrecht, S. 196, legt allen Grundrechten mit "besondere(r) Nähe zur Würde" eine Schutzpflicht bei; Soel/, NuR 1985, 205, fordert eine "personale Grundbeziehung". 92 Vgl. für viele die Positionen von lsensee, Grundrecht, S. 46f; SChmidt-Aßrnann, AöR 106 (1981),205,216; Steiger, Mensch, S. 43ff. Zur Bedeutung der Schutzpflicht für den Drittschutz vgl. unten § 17. 93 Vgl. dazu unten § 16111. 94 BVerfGE 39,1,42. 95 BVerfGE 46, 160, 165: "Das Grundgesetz begründet eine Schutzpflicht nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger"; die Formulierung des Gerichts ist insofern merkwürdig, als ein über den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Gedes!) einzelnen hinausgehender Schutz der Allgemeinheit kaum denkbar ist.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

schließlich wird sie bei bloßen Grundrechtsgefährdungen eingesetzt, also gleichsam als Vorstufe der Achtungspflicht96; jedenfalls ist diese Grundrechtsfunktion nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht auf den Schutz vor privaten Eingriffen beschränkt97• Auch in der Literatur wird der Begriff uneinheitlich gebraucht. Teilweise werden der Schutzpflicht sämtliche aktiven Maßnahmen des Staates zugeordnet, mit Hilfe derer der einzelne in den Stand gesetzt bzw. unterstützt wird, seine grundrechtliche Freiheit praktisch zu betätigen. Dazu gehören beispielsweise auch finanzielle Leistungen des Staates, Bereitstellung und Vorhaltung staatlicher Einrichtungen, kurz alles, was auch unter dem Titel "Grundrechtsvoraussetzungsschutz", Grundrechte als Leistungs- und Teilhaberechte zusammengefaßt werden kann98• Demgegenüber werden hier als von der Schutzpflicht um faßt lediglich die staatlichen Maßnahmen verstanden, die dazu dienen, Grundrechtsgüter und Freiheitsbereiche der Bürger vor Beeinträchtigung von privater Seite - vor allem durch Bereitstellung und Anwendung von Rechtsnormen - zu bewahren99 • Damit ist wohlgemerkt nur eine begriffliche Einordnung intendiert; die Grundrechte können und werden darüber hinaus in bestimmten Fällen auch eine leistungsrechtliche Komponente enthalten, diese Grundrechtsfunktion sollte aber von der Schutzpflicht streng getrennt werden 100 •

BVerfGE 49,89, 14lf. ßVerfGE 77,170,214 (Schutz vor C-Waffen der NATO-Streitkräfte); 79,174, 20lf (Profungsgegenstand: Bebauungsplan). 98 Vgl. Z. B. Badura, FS für Eichenberger, S. 481,490; Benda, UPR 1982, 241, 243f; Däubler, NJW 1972, 1105, 1108f; v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 51; ähnlich Grimm, NVwZ 1985, 865,868; interessant auch Steiger, Mensch, S. 44ff, der den Entscheidungen BVerfGE 33, 303ff (numerus c1ausus), 35, 79ff (Hochschulorganisation) und 39, Hf (Fristenlösung) eine "Entwicklungslinie" entnimmt, obwohl die beiden ersten Entscheidungen eher der Leistungsfunktion der Grundrechte zuzuordnen sind, da sie keine privatverursachten Eingriffe betreffen. 99 Vgl. z. B. Alexy, Theorie, S. 411; Hesse, Grundzüge, Rz. 350; Klein, NJW 1989, 1633; Murswiek, WiVerw 1986, 179, 180 FN 3; wohl auch lsensee, Grundrecht, passim; Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. IlOf; das dürfte auch nach Ansicht des BVerfG der Hauptanwendungsbereich sein, vgl. nur BVerfGE 39, 1,42; 46, 160, 163. Wieder anders Robbers, Sicherheit, S. 124, der auch den Schutz vor Naturkatastrophen u. ä. einbeziehen will. 100 Vgl. Soell, in: Harzburger Protokoll '84, S. 11, 22ff: klare Abgrenzung von Schutz- und Förderpflicht bei Art. 6 GG. 96

97

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht § 14: Die Auslegung der Grundrechte

Eine aus den Grundrechten, insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, ableitbare Schutzpflicht scheint also in Literatur und Rechtsprechung allgemein anerkannt zu sein. Dogmatisch fundierte Begründungen sind dabei aber ebenso selten wie klare Stellungnahmen über die genaue Funktion dieser Schutzpflicht(en). Dies überrascht umso mehr, als es - soweit ersichtlich - an einer eingehenden Untersuchung zur grundrechtlichen Schutzpflicht bis auf wenige, eher punktuelle Ausnahmen - bislang fehle. An dieser Stelle soll versucht werden, mit den auch für Grundrechte üblichen Auslegungsmethoden 2 die Frage zu beantworten, ob den Grundrechten ganz allgemein tatsächlich eine Pflicht des Staates innewohnt, seine Bürger vor Eingriffen privater Dritter in grundrechtlich gesicherte Freiheitsbereiche zu schützen. Eine etwas ausführlichere Beschäftigung mit dieser Frage hat im Rahmen der vorliegenden Arbeit neben der oben angesprochenen Mangelsituation noch eine weitere Legitimation. Nur bei einem wirklich allgemeinen, alle Grundrechte umfassenden Anwendungsbereich hat es Sinn, an die Schutzpflicht eine so weitreichende Funktion wie die Entscheidung über die Subjektivität einer Norm anzuknüpfen. Ließe sich eine allgemeine 1 Dies stellt insbesondere auch Murswiek, WiVelW 1986, 179, 180, fest. Vgl. z. B. die kurzen Bemerkungen bei Balles, BB 1978, 130, 131. Ausführlichere Untersuchungen finden sich bei Hermes, Grundrecht, passim (bezogen auf Art. 2 Abs. 2 GG); Isensee, Grundrecht, passim; MlIrswiek, Verantwortung, S. 88ff (beschränkt auf die Funktion der Schutzpflicht und beeinflußt durch die starke Betonung des abwehrrechtlichen Charakters der Grundrechte), und Robbers, Sicherheit, passim (mit der Ziel richtung der Ableitung eines Grundrechts auf Sicherheit).

2 Auf die spezifischen Probleme der Verfassungsinterpretation kann hier freilich nicht eingegangen werden, dazu Böckenförde, NJW 1976, 2089ff; Dreier, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13ff; Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53ff; Schneider, VVDStRL 20 (1963), S. Hf; Soell, ZfA 1981, 509ff. Vorliegend werden die herkömmlichen Kriterien der grammatikalischen, der historisch-genetischen, der systematischen und der teleologischen Auslegung benutzt.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Schutzpflicht dogmatisch sauber aus den Grundrechten nicht ableiten, fehlte einer solch grundsätzlichen Funktionszuweisung völlig die Basis. Die Begründung der Schutzpflicht wird damit zur unabdingbaren Voraussetzung der in dieser Untersuchung vertretenen Konstruktion des subjektiv öffentlichen Rechts. l. Wortintetpretation

Jede Auslegung einer Norm, auch einer solchen des Grundgesetzes, hat beim Wortlaut anzusetzen; er bildet die Grenze jeder Interpretation3• Der textliche Befund der Grundrechte scheint zunächst nichts für eine Zuordnung von Schutzpflichten herzugeben. Die Terminologie des Grundrechtskatalogs ist unterschiedlich: Meist ist von Rechten auf Tätigkeiten oder Handlungen oder auch von Freiheiten die Rede (vgl. z. B. Art. 2 Abs. 2 S.1 GG). Die Freiheitsbereiche sind unverletzlich (vgl. Art. 10 GG) oder sie werden geWährleistet (vgl. Art. 14 Abs. 1 GG). Keineswegs darf allerdings dem differenzierenden Wortlaut der Vorschriften ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt beigemessen werden. Gleich wie sich der Verfassungsgeber ausgedrückt hat, er wollte jeweils einen bestimmten Freiheitsbereich als Grundrecht verbürgen. Die einzelnen Formulierungen beruhen meist auf historischen Zufälligkeiten; es wurden teilweise die Vorläufernormen aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen, deren Wortlaut bis in die Paulskirchenverfassung zurückreicht. Darüber hinaus wurde ein Entwurf einer allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen herangezogen4 • Jedenfalls kann ausgehend vom Textbefund der Grundrechte diesen Normen ein eindeutig negatorischer Charakter nicht entnommen werdenS. Vielmehr scheinen gerade die Formulierungen "ist unverletzlich" oder "wird 3 Hesse, Grundzüge, Rz. nf; Larenz, Methodenlehre, S. 307ff; Müller, Juristische Methodik, S. 153ff; anders zu Unrecht Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 93, für die Grundrechtsauslegung. Eine Ausnahme bilden eindeutige Redaktionsversehen; die teleologische Extension bzw. Reduktion ist allerdings nicht mehr dem Bereich der Auslegung, sondern der Lückenfüllung zuzuordnen. 4 Vgl. dazu v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 10I. S Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 52; für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Hermes, Grundrecht, S. 190f; Kratzmann, Grundrechte - Rechte auf Leistungen?, S. 65f; Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 273; anders wohl Isensee, Grundrecht, S. 27.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

121

gewährleistet" auf einen absoluten Schutz des Grundrechts in dem Sinne hinzudeuten, daß der Staat Beeinträchtigungen dieser Freiheiten auch von privater Seite zu verhindern habe6 • Da - wie erwähnt - der Gewährleistungsgehalt nicht vom "zufällig" gewählten Wortlaut der Vorschrift abhängen kann, ergibt sich bereits hier ein - wenn auch mit aller Vorsicht zu behandelndes - Indiz für eine aus den Grundrechten ableitbare Schutzpflicht. Gegen eine solche Auslegung kann Art. 1 Abs. 3 GG nicht ins Feld geführt werden. Darin wird lediglich festgelegt, daß Adressat der Grundrechte allein der Staat ise; dies bedeutet aber nur, daß der Staat alleiniger Verpflichteter in bezug auf dieses Recht ist, nicht heißt es jedoch, daß das Grundrechtsgut nicht auch von außerstaatlichen Kräften angegriffen und bedroht werden könnte8 • Zu berücksichtigen ist auch die normative Umgebung der Grundrechtsgewährleistungen und hier insbesondere die Gesetzesvorbehalte, die einer Reihe von Grundrechten beigegeben sind. Teilweise wird ihnen entnommen, daß den Grundrechten lediglich ein negatorischer Charakter zukommen könne9 • "Eingriffe" seien nur aufgrund von Gesetzen erlaubt, damit werde eindeutig auf die grundrechtsdogmatische Figur des Abwehranspruchs Bezug genommen; es könnten demnach nur staatliche Maßnahmen gemeint sem. Auch dieses Argument ist aber nicht schlüssig. Der Begriff "Eingriff' ist vom Wortlaut her neutral. Es ist zumindest denkbar, daß damit auch Handlungen und Tätigkeiten erfaßt sein und durch Gesetz erlaubt werden sollten, die von privater Seite herrühren 10 • Insgesamt läßt sich aus dem Textbefund keine eindeutige Antwort gewinnen; es bleibt allerdings festzuhalten, daß der Wortsinn jedenfalls noch eine 6 Bfeckmann, DVBI. 1988, 938, 941; Robbers, Sicherheit, S. 186f; für Art. 14 Abs. 1 GG Parodi, BauR 1985, 415, 42lf.

7 Die dies ablehnende unmittelbare Drittwirkungslehre wurde bereits oben § 10 11 angesprochen. 8 Murswiek, Verantwortung, S. 90, 98; Robbers, Sicherheit, S. 187. Die herkömmliche Grundrechtsterminologie wie auch die Sprache des Grundgesetzes unterscheiden nicht zwischen Grundrecht und Grundrechtsgut, kritisch dazu Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 64ff. 9 Für Art. 2 Abs. 2 GG Ridder, DuR 1978, 42, 43. 10 BVerfGE 52, 131, 175 (abw. M.); Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 72; Hermes, Grundrecht, S. 191; Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 273 FN SO. Zur Bedeutung der Gesetzesvorbehalte bei der systematischen Auslegung der Grundrechte vgl. unten 111. 3.

122

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Auslegung deckt, die den Einzelgrundrechten eine Schutzpflicht zuweist. Die Grenze zur interpretatorischen Lückenfüllung ist noch nicht überschrittenll • Il. Historisch-genetische Interpretation

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Grundrechtsgeschichte

für die Auslegung

a) Für die hier interessierende Frage, ob die Grundrechte des Grundgesetzes Schutzpflichten enthalten, muß eines festgehalten werden: eine in jeder Hinsicht zweifelsfreie Antwort kann die Betrachtung der Grnndrechtsgeschichte (historische Interpretation) nicht liefernl2• Die Väter des Grundgesetzes haben mit der Bindung der gesamten Staatsgewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG und der Einführung einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit einen Funktionswandel der Grundrechte bewirkt, der sich notwendigerweise auch auf ihren Bedeutungsgehalt auswirken muß13 • Andererseits ist der historische Interpretationsansatz keineswegs nutzlos oder zu vernachlässigen, sondern im Gegenteil gerade bei der Auslegung von Grundrechten von ganz besonderem Gewicht. b) Dies hat vor allem drei Gründe: Zum ersten ist ein Blick auf die historische Entwicklung, auf die Einbettung einer Fragestellung in ihren ideengeschichtlichen Hintergrund umso bedeutungsvoller, je grundsätzlicher sich eine Problematik darstellt. Mag sein, daß man bei Detailproblemen auf eine Fundierung der gefundenen Interpretationsläsung durch eine ausgedehnte Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung einer Norm verzichten kann. Unerläßlich ist dies aber dann, wenn man - wie hier - danach frägt, inwieweit Vorschriften, deren rechtliche Entwicklung Jahrhunderte in Anspruch Larenz, Methodenlehre, S. 309f. Das BVerfG mißt der historischen Interpretation - auch in der Variante der ideengeschichtlichen Analyse - manchmal eine entscheidende Bedeutung bei (BVerfGE 7, 198, 204f; 11,168, 178; 33, 52, 61; 56, 192, 204f), manchmal soll sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen (BVerfGE 11, 126, 129f, bezogen auf die genetische Interpretation; 1, 299, 312), vgl. allgemein zur Bedeutung der Entstehungsgeschichte als Mittel der Verfassungsinterpretation in der Rspr. des BVerfG mit einer Fülle von Nachweisen und sehr ausführlich Sachs, DVBI. 1984,73ff. 13 Böckenförde, NJW 1974, 1529; Hermes, Grundrecht, S. 168, 187; Rottmann, EuGRZ 1985, 277,281; Starck, JuS 1981,237,239. 11

12

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen SchutzpOicht

123

genommen hat, eine bestimmte grundlegende Funktion zukommt oder nicht. Diese Notwendigkeit gilt vor allem und gerade für die Grundrechtsinterpretation l4 • Die in der Natur der Sache liegende Kürze und Offenheit dieser Verfassungsbestimmungen erfordern geradezu einen Rückgriff auf die geistigen Strömungen, die letztendlich zur Schaffung der Grundrechte des Grundgesetzes geführt haben 1s• Zum zweiten kann aus der historischen Interpretation eine - nur schwer zu widerlegende - Vermutung16 für die eine oder andere Ansicht gewonnen werden, wenn eindeutig festgestellt werden kann, entweder daß Schutzpflichten schon immer und zu jeder Zeit als Bestandteil der Grundrechte angesehen wurden oder daß die Grundrechte ausnahmslos Abwehrrechte gegen den Staat darstellten, so sehr sich Funktion und Bedeutung dieser Rechte im einzelnen auch gewandelt haben mögen17• Zum dritten schließlich kann die historische Interpretation des Grundgesetzes geradezu als genetisch indiziert gelten l8 • Sehr häufig finden sich nämlich in den Äußerungen des Parlamentarischen Rates Hinweise, daß man sich des ideengeschichtlichen Hintergrundes, insbesondere der verfassungsgeschichtlichen Tradition sehr wohl bewußt war, so daß davon ausgegangen werden kann, daß die Vergangenheit für die gegenwärtige Normativität in hohem Maße mitbestimmend geworden ist, sei es daß Fehler der Vergangenheit, vor allem der Weimarer Reichsverfassung vermieden, sei es daß bestimmte BedeutungsinhaIte von Vorgängernormen übernommen werden sollten. c) An dieser Stelle kann freilich nur eine knappe Darstellung der grundrechtlichen Ideengeschichte gegeben werden, die auf viele Entwicklungen und Hintergründe im Detail verzichten und Vereinfachungen hinnehmen muß und nur die groben Entwicklungslinien aufzeigen kann. Diese Selbstbeschränkung kann umso leichter hingenommen werden, als bereits fundierte und ausführliche Darstellungen zur Grundrechtsgeschichte vorliegen, die die Problematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchOssenbühl, DÖV 1965, 649, 658f; Sterzel, Wissenschaftsfreiheit, S. 72. So bereits Huber, AöR 23 (1933), 1. Vgl. auch Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1537; Hermes, Grundrecht, S. 146; Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 13, 16; ähnlich Soell, ZfA 1981,509,529; kritisch Krawietz, GS für Klein, S. 245, 266. 16 Hermes, Grundrecht, S. 188. 17 Darauf weist Oestreich, Geschichte, S. 11, hin. 18 Pieroth, Jura 1984,568,569; vgl. auch ders., Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 246. 14

IS

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

ten l9 • Trotz der Kürze wird sich aber zeigen - um das Ergebnis bereits vorwegzunehmen -, daß Abwehrrecht und Schutzpflicht im großen geschichtlichen Zusammenhang nur zwei Seiten einer Medaille bilden2O , so daß in Wirklichkeit nicht von einer "kopernikanischen Umwertung" der Grundrechte2 \ sondern eher von einer "Wiederaktualisierung einer ursprünglichen Grundrechtsfunktion,,22 gesprochen werden kann. 2. Kurze Ideengeschichte der Grundrechte a) Gemeinhin wird die "Geburt" der Grundrechte mit den naturrechtlichen Staatslehren des 17. und 18. Jahrhunderts in Verbindung gebracht23 • Selbstverständlich hat es schon früher Ansätze für grundrechtsähnliche Ideen gegeben, und die Naturrechtler konnten auf ein Gedankengebäude aufbauen, das bis in die Antike zurückreichte24 • Trotzdem kann man diese frühen Ausgangspunkte - jedenfalls was die hier interessierende Fragestellung betrifft - wohl vernachlässigen: erst in ihrer Ausformung in den Staats19 Vgl. nur die umfassende Arbeit von Oestreich, Geschichte. Mit der Frage, ob Grundrechte traditionell wirklich nur Abwehrrechte darstellen, beschäftigen sich beispielsweise (verneinend) Berka, Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz, S. 39ff; Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 940f; Grabitz, Freiheit, S. 137ff; Hermes, Grundrecht, S. 166ff; Isensee, Grundrecht, S. 3ff; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 372ff; Karpen, in: Umweltschutz im Recht, S.9, 13f; Leisner, Grundrechte, S. Hf; Pieroth, Jura 1984, 568ff; SCheuner, PS für Huber, S. 139ff; Soell, NuR 1985, 205, 206; anders noch (bejahend) Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 239ff, 406ff; aus neuerer Zeit Erichsen, Staatsrecht, S. 38ff; v. Münch, GG-Komm., Vom. vor Art. 1, Rz. 16. 20 Isensee, Grundrecht, S. 21; Soell, NuR 1985, 205, 206. Anders jedoch das BVerfG in seiner "Lüth'-Entscheidung: der Abwehrcharakter der Grundrechte 'ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben" (BVerfGE 7, 198, 204f). 21 Saladin, Grundrechte, S. 309. 22 Böckenförde, in: Freiheit in der sozialen Demokratie, S. 77, 80; in diesem Sinne auch beispielsweise Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 940; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 223f. 23 Der beherrschende Einfluß der neuzeitlichen Naturrechtslehren wird - bei allen Unterschieden im Detail - heute nicht mehr in Frage gestellt, vgl. nur Kriele, FS für Scupin, S. 187, 189; Ritter, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 202, 204ff; anders noch Giese, Grundrechte, S. 13, der annimmt, daß "die naturrechtlichen Lehren zur Erkenntnis des Wesens der Grundrechte wenig beizutragen vermögen". 24 Anknüpfungspunkte finden sich in der Antike von den Sophisten bis zu den römischen Stoikern (Idee der Gleichheit), in den mittelalterlich-christlichen Naturrechtslehren (Idee der Gottebenbildlichkeit), im Humanismus und den Reformationsbewegungen, aber auch bei den Ideen, die zu den ständischen Freiheitsrechten führten; ausführlich dazu Oestreich, Geschichte, S. 15ff; vgl. auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 3ff; Hermes, Grundrecht, S. 148ff; Hofmann, JuS 1988,841, 842f.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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ideen des 17. Jahrhunderts gewinnen sie Bedeutung für die Entwicklung der Grundrechte2S• Den frühen Naturrechtlern, deren wohl bedeutendster Vertreter Thomas Hobbes (1588 - 1679) hier exemplarisch herausgegriffen werden soll, war allerdings die Vorstellung von (Grund-)Rechten gegenüber dem Staat völlig fremd, hatte doch ihrer Anschauung nach der einzelne alle seine Rechte dem absoluten Staat übertragen, um im Kampf "aller gegen alle,,26 nicht unterzugehen. Hobbes leugnet damit aber gerade nicht, daß dem Menschen im Urzustand schutzwürdige (Rechts-)Güter zukamen. Nur deren Bedrohung allerdings von dritter Seite - führten ihn schließlich zum staatlichen Zusammenschluß 27• Während bei Hobbes - bedingt vor allem durch leidvolle persönliche Erfahrungen 28 - der Schutz vor Eingriffen durch Dritte im Vordergrund steht29, erkennt als erster lohn Locke (1632 - 1704), daß auch von dieser "Schutzinstitution Staat" Gefahren für den Freiheitsbereich des Bürgers ausgehen können.

2S Bracher, ZfP 26 (1979), 109, 114; Kriefe, PS für Scupin, S. 187, 194; Pieroth, Jura 1984, 568,570. 26 Hobbes, De cive, Chapter I, 12 (S. 11): •... it cannot be denied but that the natural state of men, before they entered into society, was a mere war, and that not simply, but a war of all men against all men· ; ders., Leviathan, Part I, Chapter 13 (S. 113): •... and such a war, as is of every man, against every man·. 27 Hobbes, Leviathan, Part I, Chapter 13 (S. 116): "Tbe passions that incline men to peace, are fear of death; desire of such things as are necessary to commodious Iiving; and a hope by their industry to obtain them"; Part 11, Chapter 17 (S. 153): "Tbe final cause, end, or design of men, who naturally love Iiberty, and dominion over others, in the introduction of that restraint upon themselves, in which we see them live in commonwealths, is the foresight of their own preservation, and of a more contended Iife thereby; that is to say, of getting themselves out of that miserable condition of war·; vgl. Hermes, Grundrecht, S. 170. 28 Hobbes war während der Jahre des englischen Bürgerkriegs häufig auf der Aucht und mußte lange Jahre im Ausland und bei Freunden Unterschlupf suchen; sein Hauptwerk ·Leviathan· entstand 1651 im Exil in Frankreich; vgl. Menger, Verfassungsgeschichte, S. 58; Zippefius, Geschichte, S. 100. 29 Auch Hobbes war jedoch die Möglichkeit und - vielleicht - die Notwendigkeit von Abwehrrechten gegen den Staat sehr wohl bewußt, vgl. Link, Herrschaftsordnung, S. 32ff; anders wohl Hofmann, JuS 1984, 9, 14; Gewissens- und Gedankenfreiheit werden von Hobbes dem Bürger auch gegenüber dem Staat gewährt, vgl. Menger, Verfassungsgeschichte, S. 124. Im übrigen wählte Hobbes mit dem ·Leviathan", einem furchterregenden Ungeheuer (Hiob 40, 25ff), für den Staat ein ·mythisches Symbol von hintergründiger Sinnfülle", vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 9. Die tatsächliche Rechtsentwicklung hat in England auch einen anderen Verlauf genommen als die staatstheoretische: der englische Staat war niemals völlig absolutistisch.

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2. Abschnitt: Das System des Driuschutzes

Nach seiner Anschauung existiert ein Urzustand, in dem alle Menschen in natürlicher Freiheit leben. Jedem Menschen kommt ein Freiheitsbereich zu, der vor Beeinträchtigungen anderer kraft Naturgesetz geschützt wird3O• Umgekehrt endet das Recht des einzelnen aber dort, wo die Rechte der anderen beginnen31 • Realiter wird diese Freiheit jedoch von den Übergriffen der Mitmenschen bedroht, die sich aus Eigennutz, Rachsucht oder Leidenschaft naturrechtswidrig verhalten, so daß sich die Menschen, um die ihnen naturrechtlich zustehenden Freiheiten zu sichern und zu erhalten, zu einem Staatswesen zusammenschließen, dem die Möglichkeit gegeben wird, Gesetze zu erlassen und Gewalt auszuüben, eben um den natürlichen Freiheitszustand zu bewahren bzw. herbeizuführen32 • Aus diesem Grunde kann aber - so Locke - dem Gemeinwesen nicht mehr Recht zukommen, ihm nicht mehr an Recht übertragen werden, als den Individuen zusteht, die sich zusammengeschlossen haben. Daraus folgt, daß der naturrechtIiche Freiheitsbereich auch die Grenze der staatlichen Gewaltbefugnisse sein muß33 • So verkürzt Lockes Staatstheorie notwendigerweise dargestellt werden mußte, kann doch für die hier interessierende Problemstellung eines festgehalten werden: Schutzverpflichtung des Staates und Abwehrrecht des Bürgers haben eine einheitliche Ouelle, nämlich die naturrechtliche Freiheit des einzelnen; beide Komponenten haben gleichen Rang, eher scheint sogar der

30 Locke, Two Treatises of Government 11, § 4 (S. 277): .... we must eonsider what State all Men are naturally in, and that is, aState of perfeet Freedom to order their Actions, and dispose of their Possessions, and Persons as they think fit, within the bounds of the Law of Nature, without asking leave, or depending upon the Will of any other Man·. 31 Locke, Two Treatises of Government 11, § 6 (S. 288f): ·But though this be aState of Liberty, yet it is not aState of Lieenee ... Tbe State of Nature has a Law of Nature to govern it, which obliges every one: And Reason, whieh is that Law, teaches all Mankind, who will but consult it, that being all equal and independent, no one ought to harm another in his Life, Health, Liberty, or Possession·. 32 Locke, Two Treatises of Government 11, § 123 (S. 368): .... the enjoyment of the property he has in this state is very unsafe, very unsecure. Tbis makes hirn willing to quit a Condition, which however free, is full of fears and continual dangers: And 'tis not without reason, that he seeks out, and is willing to joyn in Society with others who are al ready united, or have a mind to unite for the mutual Preservation of their Lives, Liberties and Estates, which I call by the general Name, Property". 33 Locke, Two Treatises of Government 11, § 135 (S. 375): ·For it being but the joynt power of every Member of the Society given up to that Person, or Assembly, which is Legislator, it can be no more than those persons had in aState of Nature before they enter'd into Society, and gave up to the Community. For no Body can transfer to another more power than he has in hirnself, or over any other, to destroy his own Life, or take away the Life or Property of another·.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grund rechtlichen Schutzpflicht

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Schutzcharakter im Vordergrund zu stehen34 • Die Schutzverpflichtung des Staates ist nicht bloßer Staatszweck, schlichte Aufgabe des Gemeinwesens ohne Bezug zu abwehrrechtlich gedachten Grundrechten3S• Vielmehr sind Schutz und Abwehr Teile und Ausprägung einer einheitlichen Idee "natürlicher" Grundrechte. b) Lockes Ideen finden sich nahezu unverfälscht in der ersten gesamthaften und verfassungskräftigen Positivierung der modernen Grundrechte36, in den nordamerikanischen Rechteerklärungen des späten 18. Jahrhunderts wieder37• Beispielhaft sei hier die "Virginia Bill of Rights" vom 12. Juni 1776 herausgegriffen, die als Vorbild für alle nachfolgenden Rechteerklärungen einschließlich der Unabhängigkeitserklärung angesehen werden kann38• Dort heißt es: "That all men are by nature equally free and independent and have certain inherent rights, of which, when they enter into a state of society, they cannot be any compact deprive or divest their posterity; namely the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and possessing property and pursuing and obtaining happiness and safety".

34 Der Zusammenhang zwischen Abwehr und Schutz findet sich mehr oder weniger ausgeprägt auch bei den deutschen Vertretern der Naturrechtslehre, z. B. Samuel Pufendorf, Christian Thomasius und Christian Wolff; vgl. hierzu v. a. Bracher, ZfP 26 (1979), 109, 121; Oestreich, Geschichte, S. 47ff; Zippelius, Geschichte, S. 132ff. 3S Auf den sicherlich bestehenden Zusammenhang zwischen der geschichtlichen Entwicklung der Grundrechte und den allgemeinen Staatsideen weisen hin: Grabitz, Freiheit, S. 137f; Hermes, Grundrecht, S. 146; Karpen, in: Umweltschutz im Recht, S. 9, 11f; Pieroth, Jura 1984, 568,570; Starck, GS für Sasse, S. 779ff; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 33; Stern, PS für Eichenberger, S. 197ff; allerdings darf von der - unbestrittenen - Aufgabe des Staates, seine Bürger zu schützen, nicht auf einen entsprechenden Schutzauftrag in den Grundrechten geschlossen werden, so zurecht Böckenförde, Diskussionsbeitrag, WDStRL 42 (1984), S. 108ff; Klein, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 30 (1972), S. 170f; insoweit sind die Ausführungen von Hermes, a. a. 0., S. 148ff, zwar interessant, geben aber für die Grundrechtsauslegung wenig her. 36 Pieroth, Jura 1984,568,571.

37 Der maßgebliche Einfluß Lockes ist heute unbestritten, vgl. Grabitz, Freiheit, S. 145ff. Zu der Bedeutung des Beitrags der deutschen Naturrechtslehre, der neuerdings eher skeptisch beurteilt wird, vgl. Welzel, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 238ff, v. a. S. 243ff, einerseits und Link, Herrschaftsordnung, S. 144ff; Klippei, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, S. 92ff, andererseits. 38 Grabitz, Freiheit, S. 145f; Pieroth, Jura 1984,568,572.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Und später: "That government is or ought to be instituted for the common benefit, protection and security of the people, nation or community; .. ."~. In der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 werden diese beiden Gedanken zusammengefaßt: "That to secure these rights, governments are instituted among men',40. Dem Menschen stehen also von Natur Rechte zu, deren Erhaltung und Sicherung als Zweck und Grundlage der staatlichen Ordnung begriffen werden41 • Dies schließt damit beide Funktionen der Grundrechte mit ein: Respektierung und Schutz der Freiheit des Bürgers durch den Staat42• Es gilt hier allerdings festzustellen, daß jeder monokausale Erklärungsversuch43 für die Entstehung dieser Grundrechte wichtige Einflüsse ab~ "Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte, deren sie, wenn sie den Status einer Gesellschaft annehmen, durch keine Abmachung ihre Nachkommenschaft berauben oder entkleiden können, und zwar den Genuß des Lebens und der Freiheit, und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen" - Art. 1 der "Virginia Bill of Rights". "Die Regierung ist oder sollte eingerichtet sein für das gemeinsame Beste, für den Schutz und die Sicherheit des Volkes, der Nation oder Allgemeinheit; ...• - Art. 3 der "Virginia Bill of Rights·. Die Texte und Übersetzungen der 'Virginia Bill of Rights" und der "Declaration des droits de I'homme et du citoyen' finden sich bei Hartung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von lTI6 bis zur Gegenwart, S. 40ff und 44ff. 40 "Um diese Rechte zu schützen, ist der Staat unter den Menschen eingesetzt". 41 Grabitz, Freiheit, S. 146. 42 Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 941; Wahl, Der Staat 18 (1979), 321; ähnlich Jellinek, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 1, 31, allerdings unter Betonung des negatorischen Charakters; a. A. Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 257f, der sowohl Lockes Ideen als auch die "Virginia Bill of Rights" lediglich abwehrrcchtlich interpretiert; ähnlich Starck, JuS 1981, 237, 244 FN 103, für die amerikanischen Rechteerklärungen. 43 Solche Versuche unternehmen z. B. Jellinek, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 1, 39ff: Religionsfreiheit als alleiniger Ausgangspunkt; Kriele, FS für Scupin, S. 187,204; ähnlich Bracher, ZfP 26 (1979), 109, 115: Habeas Corpus Act als Ausgangspunkt; kritisch zu diesen Ansätzen, Hofmann, JuS 1988, 841, 845. Nicht unterschätzt werden sollte jedoch - entgegen neueren UntersUChungen - der Beitrag des Kampfes um die Religionsfreiheit, er schuf "gewissermaßen die Temperatur, die Weißglut der Leidenschaften, ohne die es unmöglich gewesen wäre, das starre System des fürstlichen Absolutismus zum Schmelzen zu bringen", Ritter, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 202, 211; Saladin, Grundrechte, S. 3. Dies darf aber nicht dazu führen, über die Religionsfreiheit wieder den Abwehrcharakter der Grundrechte in den Vordergrund zu stellen, skeptisch bezüglich der Religionsfreiheit Kriele, a. a. 0., S. 195ff.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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leugnen muß und daher wenig befriedigt44 • Insbesondere haben neben der naturrechtlichen Lehre auch die Standesrechte der englischen Rechtstradition erheblichen Einfluß gehabt45 • Daraus darf aber seinerseits nicht gefolgert werden, daß die Grundrechte der nordamerikanischen Rechteerklärungen als Abwehrrechte im Sinne der bloßen Ausgrenzung eines staatsfreien Raumes verstanden werden müßten46 • Im Gegenteil: Wenn die Rechteerklärungen die alten Rechte - teilweise wörtlich - übernahmen, rührt dies daher, daß sie als Bestandteil des "Law of Reason" angesehen wurden47, also als Ausgestaltung des "natural law", das dem einzelnen einen Freiheitsbereich gegen jegliche Eingriffe von seiten des Staates oder von Dritten gewährleisten sollte. c) Neben den amerikanischen Rechteerklärungen können die Menschenrechtserklärungen im Zuge der Französischen Revolution als Vorläufer aller modernen Grundrechte gelten. Auch sie sind deutlich von naturrechtlichen Ideen beeinflußt, wobei sich die enge Verbindung zu der nordamerikanischen Entwicklung sowohl sachlich als auch personell nachweisen läßt48 • Daß sich die naturrechtliche Betrachtungsweise in Frankreich nicht in derselben Handgreiflichkeit findet, liegt vor allem darin begründet, daß in Amerika die naturrechtliche Staatsidee beinahe uneingeschränkt auf die reale Situation übertragen werden konnte. Staatlichkeit wurde dort buchstäblich neu geschaffen, die Bürger schlossen von ihrem Selbstverständnis her tatsächlich einen Gesellschaftsvertrag durch die Verfassung49 • Anders in Frankreich: Dort sollte zwar das gesellschaftliche System umgestaltet werden, man war sich aber bewußt, in der ursprünglichen Staatlichkeit zu verbleiben. Trotzdem läßt sich erkennen, daß - ähnlich wie in Amerika - bei der Positivierung von Grundrechten nicht nur die Abwehr staatlicher EinSo schon Boutmy, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 78, 83. Oestreich, Geschichte, S. 42ff, 6Of; Pieroth, Jura 1984,568,572; dies vernachlässigt jedoch Hemles, Grundrecht, S. 17lf. 46 So aber z. B. Erichsen, Staatsrecht, S. 40. 47 Grabitz, Freiheit, S. 150f. 44

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48 Hofmann, JuS 1988, 841, 844; Pieroth, Jura 1984, 568, 573; dazu auch schon lellinek, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 1, 9ff, besonders interessant die Gegenüberstellung auf S. 20ff; vgl. auch die Rolle des Marquis de Lafayene, eines Freundes und Mitstreiters George Washingtons; auch Thomas lefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, war 1789 als Gesandter in Paris und wirkte ebenfalls bei ersten Entwürfen einer Menschenrechtserklärung mit, dazu Kriefe, PS für Scupin, S. 187, 191; Oestreich, Geschichte, S. 68; Starck, JZ 1989, 601. Anders Boutmy, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 78, 84ff. 49 Pieroth, Jura 1984,568,571; Starck, JZ 1989, 601, 602.

Dirnberger 9

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

griffe im Vordergrund stand, sondern Programmnormen geschaffen werden sollten, die in gleicher Weise auch den Staat verpflichteten, materielle Freiheitsbereiche des einzelnen zu schützen. In Art. 2 der "Declaration de droits de l'homme et du citoyen" vom 26. August 1789 heißt es: "Le but de toute association politique est la conservation des

droits naturel et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont la liberte, la propriete, la surete et la resistance a l'oppression"so. Das Gesetz hat die Aufgabe, diese Freiheitsbereiche zu schützen, gleichzeitig zieht die Freiheit die Grenzen für die staatlichen Eingriffsbefugnisse. "La liberte consiste a pouvoir faire tout ce, qui ne nuit pas a autrui: ainsi l'exercise des droits naturel de chaque homme n'a de bornes que celles, qui assurent aux autres membres de la societe la jouissance de ces meme droits. Ces bornes ne peuvent etre determinees que par la 10i"sl. "La loi n'a le droit de defendre que les actions nuisibles a la soeiete. Tout ce, qui n'est pas defendu par la loi, ne peut etre em peche, et nul ne peut etre contraint a faire ce qu'elle n'ordonne pas"S2.

Schutz und Abwehr bilden also den untrennbaren Inhalt aller "droits fundamentaux"; auch die Grundrechte der Französischen Revolution dürfen daher nicht als bloße Abwehrrechte gegen den Staat gedeutet werdenS3 • so "Der Endzweck aller politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unabdingbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit, der Widerstand gegen Unterdrückung". 51 "Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. Also hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen keine Grenzen als jene, die den übrigen Gliedern der Gesellschaft den Genuß dieser nämlichen Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden" - Art. 4 der "Dec1aration". 52 "Das Gesetz hat nur das Recht, solche Handlungen zu verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind. Alles, was durch das Gesetz nicht verboten ist, kann nicht verhindert werden, und niemand kann genötigt werden, zu tun, was das Gesetz nicht verordnet" - Art. 5 der "Dec1aration". S3 So aber v. a. Jellinek, Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. 1, 7f: Die "Dec1aration" ziehe "die ewigen Scheidelinien zwischen Staat und Individuen". Die Ansicht von Leisner, Grundrechte, S. 22ff, der die Grundrechte der "Dec1aration" als nicht ausschließlich "staatsgerichtet" verstanden wissen will, führt allerdings zu weit. Der Staat sollte zwar für eine gerechte Ordnung unter den Bürgern sorgen und diese bewahren; eine unmittelbare Grundrechtsgeltung in Privatrechtsverhältnissen kann der "Dec1aration" aber nicht entnommen werden; wie hier Böckenförde, in: Freiheit in der sozialen Demokratie, S. 77, 79f; Grabitz, Freiheit, S. 152ff; Hermes, Grundrecht, S. 173; lsensee, Grundrecht, S. 14f.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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d) Diese gleichrangige Bedeutung von Schutz- und Abwehrfunktion wird in der deutschen Grundrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert mehr und mehr verschüttet zugunsten einer eindeutigen Betonung des negatorischen Charakters. Einer der Hauptgründe dafür dürfte darin liegen, daß in den deutschen Staaten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Grundrechte nicht durch revolutionären Umsturz erkämpft, sondern unter grundsätzlicher Wahrung der Herrschaftsverhältnisse dem Bürger gewährt wurden54 • Es ging also niemals darum, Staatlichkeit neu zu begründen oder auch nur wesentlich umzugestalten. Vielmehr wurden innerhalb der bestehenden Ordnung den Bürgern Rechte zugebilligtss . Dem entspricht auch, daß die Grundrechte nicht als Rechte des Volkes, sondern als Rechte der Untertanen angesehen wurden; Freiheit existierte nicht als eine naturrechtlich vorstaatliche Kategorie, sondern bestand nur in dem Umfang, wie sie vom Staat gewährleistet war. Dabei stand notwendig nicht der Schutz materieller Freiheit vor privaten Beeinträchtigungen im Blickfeld, dieser Aufgabe kam das Gemeinwesen ja zudem meist in ausreichender Weise nach, sondern die Abwehr willkürlicher Eingriffe durch den Staat selbst. Die Schutzfunktion der Grundrechte, das Recht auf Sicherheit, rückte als Selbstverständlichkeit in den Hintergrund. Trotzdem kann allerdings auch der Schutzcharakter bei genauerer Betrachtung noch entdeckt werden. Insbesondere ein Blick auf die rechtliche Wirkung dieser Grundrechte erschließt die Tatsache, daß ihnen (auch) wenigstens verdeckt die Funktion innewohnte, einen materiellen Freiheitsbereich in jeder Hinsicht zu sichern. Das den Grundrechten nicht entsprechende einfache Gesetzesrecht war nicht automatisch nichtig; vielmehr stellte - auch überkommenes - einfaches Recht ohne weiteres eine Schranke der Grundrechte dar. Hauptfunktion der 54

Starck, JZ 1989, 601, 607.

B&kenförde, JuS 1971,560,563,565; Grabitz, Freiheit, S. 159f; Krebs, Jura 1979,304; Piera/h, Jura 1984,568,572; Pietzcker, JuS 1979, 710, 712. Deutlich beispielsweise der 'Vorspruch" der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818 (Bayer. Gesetzblatt 1818, S. lOHt): Die Grundrechte sind "das Werk Unseres (Maximilian Joseph, König von Baiern) ebenso freyen als festen Willens" in einer "aus Unserem freyen Entschlusse euch gegebenen Verfassung"; näher zu den süddeutschen Verfassungen v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus; Schulze, in: Grundrechte im 19. Jahrhundert, S. 85ff. Weitere Unterschiede zwischen der französischen und deutschen Entwicklung zeigt Starck, JZ 1989, 601, 603, auf. 55

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Grundrechte konnte es damit lediglich sein, die staatliche Gewalt in Richtung auf eine möglichst weitgehende Verwirklichung der Grundrechte hin zu dirigieren56• Schutz durch (neue) Gesetze, durch staatliches Handeln, nicht Gewährleistung einer staatsfreien Sphäre war also Aufgabe und Inhalt der Grundrechte57• Daß dem einzelnen nach damaliger Ansicht kein subjektiv öffentliches Recht auf diesen Schutz zukam, und daß insbesondere der Schutz vor polizeistaatlichen Übergriffen, also staatlichen Maßnahmen, im Vordergrund stand, kann dabei nicht bestritten werden. Trotzdem erschöpfte sich Freiheit nicht in einem umfassenden Abwehrrecht, sondern bedeutete vor allem auch Ausgestaltung und Sicherung positiver Freiheitspositionen. Diese Funktion kam auch in der damaligen staatsrechtlichen und -philosophischen Literatur immer wieder zum Ausdruck58• Neben der Pflicht des Staates, "sich der selbsteigenen Eingriffe in die Freiheitsrechte seiner Angehörigen (zu) enthalten", stand die Aufgabe, "dieselben (!) auch gegen diejenigen zu schirmen, womit sie in ihrer Wechselwirkung untereinander selbst bedroht sein mögen"S9. Zwar war dem Bürger an Freiheit nur das "residuum" belassen, das ihm nach Abzug der vom Staatszweck geforderten Schranken verblieb. Der Regent hatte aber die Pflicht, "diese Rechte der Unterthanen anzuerkennen und zu schützen,,60. Auch vor 1848 war also der Schutzgedanke nicht völlig aus den Grundrechten verbannt. Die Residualidee und die Einbettung dieser Rechte in die konstitutionelle Monarchie legten aber den Grundstein dafür, daß Grundrechte immer mehr als Abwehrrechte angesehen wurden.

56 Bleckmann, DVBI. 1988, 938,940; Pieroth, Jura 1984,568,573; Schmidt, Jura 1983, 169, 173; Wahl, Der Staat 18 (1979), 321, 328ff.

57 Es ging dabei insbesondere um den Abbau ständisch-feudaler Rechte, speziell z. B. der Gewerbeschranken, Schmidt, Jura 1983, 169, 173. 58 Dort wird vor allem die naturrechtliche Idee wachgehalten, vgl. die Darstellungen bei Hermes, Grundrecht, S. 175ff; Oestreich, Geschichte, S. 86ff; Scheuner, FS für Huber, S. 146ff. 59 V. Rotteck / Welcker, in: Staats-Lexikon, Bd. 6, S. 60, 70 (Klammerzusatz vom Verf.). 60 Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, S. 81f; diese Recht entsprechen inhaltlich weitgehend den modemen Grundrechten, vgl. Maurenbrecher, a. a. 0., S. 79ff; vgl. auch Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, S. 367: "Da kann es zunächst nur Aufgabe des Staates sein, diese Privatfreiheit gegen widerrechtliche Angriffe zu schützen, aber der Staat darf sie nicht selber zurückhalten und drücken"; ders., Allgemeines Staatsrecht, S. 626: •... die individuelle Freiheit aber hat der Staat ... zu achten und zu schützen·; S. 627f: ·Es ist daher ein Grundsatz des natürlichen Rechtes, dass der Staat verpfliChtet ist, die Existenz der Personen ... gegen fremden unberechtigten Angriff zu schützen".

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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e) Diese Entwicklung konnte durch die Revolution von 1848 und die Paulskirchenverfassung kaum verändert werden. Wenn auch vieles dafür spricht, daß dort bei der Grundrechtspositivierung verstärkt naturrechtliche Gedanken im Sinne vorstaatlicher Freiheiten eine bedeutende Rolle gespielt haben6 t, so konnten sich diese Ideen in der Folgezeit nicht durchsetzen62• Zwar wurden in die Verfassungen der Länder verstärkt Grundrechte aufgenommen. Es herrschte dabei aber die Sichtweise vor, daß diese Rechte vom Staat gewährt wurden. Der Staat beläßt eine gewisse staatsfreie, individuelle Sphäre, indem er seine Allmacht nicht in vollem Umfang ausübt 63• Der natur rechtliche Ansatz der Grundrechte und damit ihre Doppelfunktion geraten in Vergessenheit. Grundrechte haben nur mehr die Aufgabe, den Bürger vor ungesetzlichen Maßnahmen der Verwaltung zu schützen64 • Gesellschaftlicher Nährboden für diesen Prozeß war das Arrangement des Bürgertums mit dem monarchischen Staat. Nachdem die ständisch-feudalen Rechte weitgehend beseitigt waren, ging es vor allem um den Ausbau einer liberalen Wirtschaftsordnung, in der eine weitgehend ungehinderte, "staatsfreie" Entfaltung möglich sein sollte. Staatliche Maßnahmen auf diesem Gebiet wurden nunmehr als Beschränkungen angesehen6S • Dieser gesellschaftlichen Entwicklung entsprach die spät-konstitutionelle Staatstheorie, die mit der Vorstellung des Staates als juristischer Person das Souveränitätsproblem - Monarch oder Volk - zu lösen versuchte66• Der Staat wurde alleiniger Beziehungspunkt für das Recht. Etwaige vorstaatliche Rechte erschienen systemwidrig. Die Grundrechte verengten sich zu bloßen 61 Vgl. v. a. Franke, Das Wesen der Frankfurter Grundrechte von 1848/1849 im System der Entwicklung der Menschen- und Grundrechte, S. 74ff; dazu auch Oestreich, Geschichte, S. 93ff; Schellner, FS für Huber, S. 148f; zusammenfassend die Dokumentation von Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche. 62 Pieroth, Jura 1984,568,573; SChmidt, Jura 1983, 169, 173. Nachdem der Grundrechtsteil am 27. Dezember 1848 in Kraft gesetzt worden war, wurde er bereits am 23. August 1851 durch Beschluß des Bundesrats wieder aufgehoben. Für die Grundrechte des Grundgesetzes ist die Paulskirchenverfassung jedoch von größerer Bedeutung, da sich teilweise wörtliche Anknüpfungen finden. 63 Giese, Die Grundrechte, S. 57ff. 64 Grabitz, Freiheit, S. 175; Hermes, Grundrecht, S. 180. Interessant ist, das sei nur nebenbei erwähnt, daß sich die Gleichsetzung von Freiheit und Gesetzmäßigkeit schon bei Nicolaus Cusanlls (1401 - 1464) findet: "Frei ist der Mensch erst, wenn er nicht mehr Menschen, sondern nur noch Gesetzen zu gehorchen hat"; vgI. Menger, Verfassungsgeschichte, S. 82. 6S Pieroth, Jura 1984,568,574. 66 Grabitz, Freiheit, S. 176; Oestreich, Geschichte, S. 102; zum Souveränitätsproblem ausführlich Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 482ff.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Begrenzungen der Staatsgewalt, da allein diese Seite juristisch faßbar erschien. Das Bemühen, die Grundrechte zu subjektiven Rechten zu machen, verstärkte diese Tendenz noch, da die Abwehrseite viel eher als andere Grundrechtsdimensionen rechtlich umgesetzt werden konnte61• Folgerichtig degenerierten die Freiheitsrechte zu Rechten des Untertanen auf "Anerkennung der freien, d. h. nichtstaatlichen Seite der Persönlichkeit". Sie sind "nur Negationen und Zurückweisungen der Staatsgewalt in die Gränzen (sie!) ihrer Befugnisse; sie sind nur die Schranken der Rechte des Monarchen vom Gesichtspunkte der Unterthanen aus betrachtet,,68. An diese Ansicht von Gerber knüpfen direkt die Arbeiten Georg Jellineks an. Freiheit reduziert sich auf die Abwehr staatlicher Übergriffe, auf die Abwesenheit ungesetzlichen Zwangs69 • f) Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann die Auffassung des rein negatorischen Charakters der Grundrechte als absolut herrschend bezeichnet werden10 • In dieser Form wurde sie auch für die Interpretation der Grundrechte in der Weimarer Reichsverfassung herangezogenl1 • Während der Weimarer Zeit beginnt jedoch bereits eine vorsichtige Entwicklung, die sich wieder auf die verloren geglaubte Schutzpflicht besinnt. Zum einen sei auf die Arbeiten von RudolJ Smend verwiesen, der in den Grundrechten verfassungsrechtliche Absicherungen eines Wertsystems sah, eine Ansicht, die über eine lediglich abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte hinausgeht72 • Zum anderen finden sich auch in der übrigen staatsrechtlichen Literatur hie und da Ansätze, das rein formale Abwehrrecht mit materiellem Gehalt anzurei-

61 Jarass,

AöR 110 (1985), 363, 373. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 78f. 69 Eindeutig Jellinek, System, z. B. S. 103; aus dieser verengten Sichtweise heraus schrieb Je/linek auch seine schon mehrfach zitierte Geschichte der Grundrechte. 10 In der damaligen Literatur finden sich auch noch - allerdings vereinzelt - Hinweise auf eine Schutzpflicht aus den Grundrechten, vgl. dazu Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 223f, und eingehend Hermes, Grundrecht, S. 180f. 71 Vgl. nur Thoma, in: Anschütz, S. 619f: "Allgemeiner Rechtsanspruch auf gesetzmäßige Freiheit". Bezeichnend ist, daß in der WRV der Schutz bestimmter Freiheitsbereiche besonderen - von den eigentlichen Freiheitsrechten geschiedenen - Vorschriften anvertraut ist. Daran zeigt sich deutlich, daß den Grundrechten nach damaliger Auffassung ein rein negatorischer Charakter zugemessen wurde, vgl. dazu Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 93f. 72 Smend, VVDStRL 4 (1928), 44, v. a. 46, 52; ders., in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119, 26Off; vgI. auch den Diskussionsbeitrag von Triepel ebenfalls auf der Münchner Staatsrechtslehrertagung, VVDStRL 4 (1928), 89f; besonders interessant ist die Ähnlichkeit dieser Auffassung mit der Rspr. des BVerfG zur "objektiven Wertordnung", beispielsweise BVerfGE 7,198,205. 68

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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chern73 • Beispielhaft sei hier auf eine Arbeit E. R. Hubers aus dem Jahre 1933 verwiesen, deren dogmatische Ansätze geradezu modern anmuten74 • Diese tastenden Versuche fanden naturgemäß ihr Ende, als mit der nationalsozialistischen Machtergreifung die Weimarer Reichsverfassung faktisch außer Kraft gesetzt wurde. g) Bei Zusammenfassung der Betrachtung der Geschichte der Grundrechtsidee läßt sich damit in stark vergröberter Näherung folgende Entwicklungslinie ausmachen: Zunächst steht der Schutz des einzelnen vor Übergriffen anderer im Vordergrund; um diese Aufgabe erfüllen zu können, hat der Staae5 die unbeschränkte Gewalt übertragen erhalten. Dieser Sicherungszweck wird immer selbstverständlicher, man erkennt, daß der als "Freiheit" zu bezeichnende Lebensbereich auch vor dem Staat geschützt werden muß; schließlich - unter Leugnung vorstaatlicher Freiheitsbereiche - rückt ausschließlich das Abwehrrecht gegen den Staat ins Blickfeld. Während also die Frühgeschichte der Grundrechte und ihre naturrechtliche Herkunft eher für einen Schutzgehalt auch der Bonner Grundrechte sprechen, so deutet vor allem die Entwicklung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert bis zur Weimarer Reichsverfassung auf eine Betonung des Abwehrcharakters hin, was insbesondere deshalb bedeutungsvoll ist, weil das Grundgesetz an die Weimarer Grundrechte textlich, aber auch inhaltlich angeknüpft hat. Trotzdem darf diese letzte Schlußfolgerung nur mit äußerster Vorsicht in die Argumentation einbezogen werden76• Die Entstehung des Grundgesetzes und die Einfügung der Grundrechte, ihre Bindungswirkung für alle staatlichen Gewalten, stellen - wie oben schon erwähnt - in der deutschen Verfassungsgeschichte ein ganz singuläres Ereignis dar. 3. Die Entstehung des Grundgesetzes Dadurch rückt ein Interpretationskriterium ins Blickfeld, dessen besondere Bedeutung nicht nur durch die eben getroffene Feststellung begründet 73 Vgl. Hensel, in: Anschütz, S. 313, 316 Anm. 2; darauf weist Lübbe-Wolff hin, Eingriffsabwehrrechte, S. 28 Anm. 53. 74 Huber, AöR 23 (1933), 1, 79ff. 75 "Staat" wohlgemerkt nicht im Sinne einer abstrakten juristischen Person, sondern im Sinne der konkreten Person des Herrschers. 76 Starck, JuS 1981, 237, 240; ähnlich Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 189.

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werden kann: die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes (genetische Interpretation), die Äußerungen, die von den "Vätern des Grundgesetzes" selbst stammen77. a) Die Frage einer Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten wurde offensichtlich bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat nicht als Problem angesehen. Jedoch findet man - wenn auch nur vereinzelt - Stellungnahmen von Mitgliedern, die eindeutig zu belegen scheinen, daß die Grundrechte auch als Schutzverpflichtung für den Staat gegen Eingriffe von privater Seite aufzufassen seien. So sei es Aufgabe des Staates, die Grundrechte "zu schützen und zu wahren"78. Letztlich sei der Staat dazu da, "die äußere Ordnung zu schaffen, derer die Menschen zu einem auf der Freiheit des Einzelnen beruhenden Zusammenlebens bedürfen"79. Man darf diese Äußerungen jedoch nicht aus ihrem wörtlichen und historischen Zusammenhang reißen. Als Gefahren, denen gegenüber der Staat Schutz gewähren müsse, wurden vor allem wieder staatliche Aktivitäten angesehen. Insbesondere wurde der Grundrechtskatalog als Antwort auf die Menschenrechtsverletzungen im Dritten Reich durch das Gemeinwesen verstandenBO • b) Auch wenn man aber diese scheinbar so eindeutigen Aussagen relativieren muß, bietet die Genese trotzdem deutliche, jedoch versteckte Ansätze dafür, daß die Grundrechte nach dem Willen der Verfassungsväter nicht nur Abwehrrechte darstellen und nicht allein eine staatsfreie Sphäre gewährleisten sollten. Denn im Parlamentarischen Rat war man sich einig, daß Grundrechte vorstaatliche - also natürliche - Rechte des Menschen 77 Vgl. dazu eine Stellungnahme des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt in seinem ·schriftlichen Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland" (Drucksachen Nr. 850, 854), S. 5: "Bei wohl kaum einem anderen Teil des Grundgesetzes ist· die Entstehungsgeschichte von ähnlicher Wichtigkeit wie bei dem Grundrechtsteil". Zum Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rats allgemein vgl. Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386ff. 78 Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Süsterhenn, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 42.

79 Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Schmid, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 47.

80 Wieder der Abgeordnete Dr. Süsterhenn in der gleichen Stellungnahme wie in FN 78: Die menschliche Freiheit befinde sich in einer ähnlichen Gefährdungssituation wie zur Zeit des fürstlichen Absolutismus, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 42. Besonders deutlich - um nur eine Stimme herauszugreifen - der Abgeordnete Dr. v. Mangoldt als Berichterstatter für den Grundrechtsteil in der Schlußsitzung des Parlamentarischen Rats vom 6. Mai 1949: "Vielmehr sahen die Beteiligten ihre Aufgabe darin, die Grundrechte im Sinne der alten klassischen Grundrechte zu gestalten. Nach einer Zeit fortgesetzter Bedrückung und schwerster Mißachtung der Menschenwürde mußte es als unerläßlich erscheinen, ... die alten Freiheitsrechte zu sichern. In den Grundrechten sollten also ... der Allmacht des Staates Grenzen gesetzt werden, damit der Mensch in seiner Würde wieder anerkannt werde·, ·schriftlicher Bericht· (Drucksachen Nr. 850, 854), S. 5; dazu auch Roth-Stie/ow, EuGRZ 1980, 386, 387.

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seien, die nicht vom Staat durch Rechtsetzung verliehen würden8!. Ruft man sich nun die oben dargestellte geistesgeschichtliche Entwicklung der Grundrechte ins Gedächtnis, so bedeutet dies nichts anderes, als daß die Väter des Grundgesetzes bewußt eine Abkehr von der deutschen, positivistischen Grundrechtstheorie des 19. Jahrhunderts vollziehen und den Grundrechten wieder ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgeben wollten, wie sie in den amerikanischen und französischen Rechteerklärungen ihren stärksten Ausdruck gefunden hat. Grundrechtliche Freiheit erschöpft sich daher nach dem Willen des Verfassungsgebers nicht in bloßer Abwesenheit des Staates, sondern beinhaltet die Gewährung realer Freiheit durch Achtung und Schutz der Grundrechte.

III. Systematische Interpretation 1. Ausdrücklich normierte Schutzpflichten

Von einigen Autoren wird vorgebracht, daß die Grundrechte schon deshalb keine Schutzpflicht enthalten könnten, da es im Grundrechtsteil ausdrückliche Erwähnungen solcher Pflichten gebe. E contrario sei dem zu entnehmen, daß die übrigen Grundrechte auf einen rein negatorischen Charakter beschränkt seien. In diesem Zusammenhang wird vor allem auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG und auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG hingewiesen82• Diese Argumentation greift aber zu kurz. a) Art. 1 GG ist die Fundamentalnorm des Grundgesetzes, sie ist für das Grundrechtsverständnis wie für das Staatsverständnis der Verfassung von 81 Vgl. die Stellungnahmen der Abgeordneten Dr. Schmid, Dr. Süsterhenn, Dr. Bergsträsser und Dr. v. Mangoldt, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 42f, 48, und die Äußerung des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt in seinem "schriftlichen Bericht" (Drucksachen Nr. 850, 854), S. 6: "Wenn in den Grundrechten im Hinblick auf die noch jüngst gemachten Erfahrungen der Akzent stark auf der Freiheit von staatlichem Zwang liegt, so bedeuten sie auf der anderen Seite doch eine Fortentwicklung des ... Freiheitsbegriffs, der die Teilnahme des Einzelnen am Staat in sich mit erfaßt". Vgl. auch Soell, NuR 1985, 205, 206, unter Hinweis auf die Rezipierung dieser grundrechtlichen Traditionsschicht durch Art. 1 Abs. 1 GG; ähnlich Hofmann, JuS 1988, 841. Diesen Aspekt verkennt Thiele, DÖV 1979, 236, 238, der den Verfassungsvätern unterstellt, sie hätten nur Abwehrrechte schaffen wollen; auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 58, ist der Meinung, daß GG habe die Verbindung zur vorhergehenden geistesgeschichtlichen Entwicklung "weitgehend gekappt". 82 Goerlich, DÖV 1982, 631, 633; wohl auch Starck, JuS 1981, 237, 244; die Schwäche eines solchen "e contrario"-Arguments betont z. B. Rupp-v. Brüneck, PS für Arndt, S. 349, 364.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

elementarer Bedeutung, sie gehört zu den tragenden Konstitutionsprinzipien, die alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrschen83 • Daß diesem Grundwert eine ausdrückliche Schutzverpflichtung des Staates beigegeben wurde, ist beinahe eine Selbstverständlichkeit und gibt nichts für die Problematik her, ob bei den nachfolgenden Grundrechten gleiches oder ähnliches gilt. Der Schutz des Individuums soll durch Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG mit Sicherheit verstärkt und nicht verringert werden84 • Ganz im Gegenteil kann aus der Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eher auf eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht geschlossen werden. Nach ganz allgemeiner Meinung beinhaltet Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG den Schutz der Menschenwürde gerade vor nichtstaatlichen, also privaten Beeinträchtigungen&5. Die Freiheitsrechte werden gerade wegen der Menschenwürde gewährt, sie dienen nach Art. 1 Abs. 2 GG in erster Linie ihrem Schutz. Wenn nun das Grundgesetz davon ausgeht, daß die Würde des Menschen auch von außerstaatlichen Kräften angegriffen und beeinträchtigt werden kann, wäre es unlogisch, eine solche Bedrohung und als Reaktion darauf eine Schutzverpflichtung nicht auch für die Freiheitsrechte anzunehmen. Freiheit und Würde sind aber nicht nur verfassungssystematisch (Art. 1 Abs. 2 GG), sondern auch - als Grundbedingungen des Gelingens der Selbstdarstellung des Menschen als individueller Persönlichkeit - anthropologisch und soziologisch untrennbar miteinander verknüpftB6• Angesichts dieses engen Zusammenhangs liegt es daher nicht fern, auch gegenüber den Grundrechten eine ähnliche Schutzverpflichtung wie gegenüber der Menschenwürde zu postulieren87• 83 BVerfGE 6,32,36; v. Münch, GG-Komm., Art. 1, Rz. 1; Dürig, in: M / D / H, GGKomm., Art. 1, Rz. 14. Zur weiteren Bedeutung des Art. 1 GG für die Auslegung der Grundrechte vgl. unten IV. 2. 84 So auch Murswiek, Verantwortung, S. 125f, der zurecht darauf hinweist, daß die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Bereiche umfassen kann, bei denen die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht versagen würde, insbesondere dort, wo eine Einwilligung des Dritten in den Eingriff vorliegt. &5 BVerfGE 1, 97, 104; Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 2f; ders., AöR 81 (1956),117,118; v. Münch, GG-Komm., Art. 1, Rz. 28; diese Auslegung wird im übrigen auch durch die Entstehungsgeschichte des Art. 1 GG gestützt; im Parlamentarischen Rat ging man selbstverständlich davon aus, daß die Menschenwürde gegenüber außerstaatlichen Kräften zu schützen sei, vgl. JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 48ff, v. a. S. 51 (Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Süsterhenn). B6 Auf die verfassungsrechtliche Verbindung weist BVerfGE 5, 85, 204, hin; zur anthropologisch-soziologischen Komponente eingehend Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 53ff, bes. 6 Uf. 87 Grabitz, Freiheit, S. 203; ähnlich Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 942.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grund rechtlichen Schutzpflicht

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b) An. 6 Abs. 1 GG stellt die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift spricht indizieIl für eine "allgemeine" grundrechtliche Schutzpflicht, der für diesen speziellen Bereich eine "besondere" zur Seite gestellt wurde. An. 6 Abs. 4 GG gibt der Mutter einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch die Gesellschaft. Beide Normen haben aber gegenüber der hier vertretenen Sicht der Schutzpflicht einen darüber hinausgehenden Bedeutungsgehalt. So beinhaltet Art. 6 Abs. 1 GG - zumindest was die Familie betrifft88 - eine Förderpflicht des Staates. Die Vorschrift enthält zudem eine Institutsgarantie89• Art. 6 Abs. 4 GG stellt zwar in erster Linie einen Auftrag an den Gesetzgeber dar, Frauen gegenüber Männern in besonderer Weise zu behandeln, soweit und solange dies aus Gründen des Mutterschutzes nötig ist; dabei geht es vor allem um den Bereich des Arbeitsrechts, also tatsächlich um den Schutz vor nichtstaatlichen Beeinträchtigungen durch den Arbeitgeber von (werdenden) Müttern. Art. 6 Abs. 4 GG muß dabei aber als unmittelbar wirkendes, subjektives Recht der einzelnen Mutter angesehen werden. Ein vollziehendes Gesetz wäre - anders als bei der "allgemeinen" grundrechtlichen Schutzpflicht nicht mehr notwendig90 • So kann aus Art. 6 Abs. 4 GG beispielsweise auch ein Anspmch gegen den Staat auf die Erbringung von Fürsorgeleistungen abgeleitet werden. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang vor allem die Tradition, in der die genannten Vorschriften stehen. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG stimmen weitgehend mit Art. 119 Abs. 1 S. 1, 3 und 5 WRV überein. Wie aus den Beratungen im Parlamentarischen Rat hervorgeht, waren sich die Verfassungsväter nicht dessen bewußt, daß mit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG und der damit verbundenen Aufnahme einer ausdrücklichen Schutzpflicht eine den übrigen Grundrechten fremde Funktion ausnahmsweise einer Vorschrift zukommen sollte. Vielmehr wurde in dieser Beziehung unreflektiert der Wortlaut des Art. 119 WRV übernommen9 \ 88 Für eine Förderpflicht nur zugunsten von Familien mit gewichtigen Argumenten Soell, in: I-Ianburger Protokoll '84, S. 11, 23ff; eine weitgehende Gleichbehandlung der Ehe und der Familie bezüglich der Förderpflicht findet sich z. B. in BVerfGE 6, 55, 72ff. Zu dem Problem vgl. auch v. Campenhausen, VVDStRL 45 (1987), 7, 25ff; Steiger, VVDStRL 45 (1987), 55, 84ff. 89 Zu den unterschiedlichen Inhalten des Art. 6 Abs. 1 GG vgI. E. M. v. Münch, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rz.5ff. 90 Maunz, in: M / D / 1-1, GG-Komm., Art. 6, Rz. 41; die verschiedenen Bedeutungsgehalte beschreibt E. M. v.Münch, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rz. 34ff. 91 Vgl. JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 92ff.

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Man kann 1m Gegenteil durchaus davon sprechen, daß hier eine den Grundrechten ganz allgemein innewohnende Funktion in einem Spezialgrundrecht ausdrücklich textlich aufgenommen wurde, um in dem sehr sensiblen Bereich des Ehe- und Familienschutzes "besonders" auf die staatliche Schutzpflicht hinzuweisen92• Ausdrücklich angeordnete Schutzpflichten stellen demnach keinen Systembruch dar, sondern sind nur punktuelle Verstärkungen und Hervorhebungen eines allgemeinen Prinzips93. 2. Die Differenziertheit des Themenkatalogs Ein auf den ersten Blick verblüffendes Argument für eine grundrechtliche Schutzpflicht stellt die bloße Existenz von Grundrechten dar. Eine rein negatorische Sichtweise bräuchte keine Mehrzahl von Freiheitsrechten. Freiheit - verstanden als Abwehrrecht gegenüber staatlichem Zwang - existiert nur in der Einzahl, es ist ein einheitlicher status negativus94 • Die Differenziertheit des Themenkatalogs gibt daher bereits einen Hinweis darauf, daß ihr Bedeutungsgehalt sich nicht in einem einzigen Prinzip erschöpft95• Nun mag man dagegen einwenden, daß die Unterschiedlichkeit der Freiheitsrechte lediglich darauf beruhe, daß ihre Einschränkbarkeit in differenzierter Weise gestaltet werden müsse96• Einige Grundrechte seien vorbehaltlos gewährleistet, einige enthielten einen qualifizierten, einige einen unbeschränkten Gesetzesvorbehalt. Es würden je nach Bedeutung des Grundrechtsguts dem Gesetzgeber unterschiedlich hohe Schranken auferlegt, auf 92 Dabei bedeutet die Formulierung "besonderer Schutz" eben keinen materiell stärkeren Schutz, sondern sie stellt einen gesonderten Hinweis auf die an sich schon bestehende Verpnichtung des Staates dar; i. E. wie hier, aber etwas mißverständlich, Maunz, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 6, Rz. 8. 93 Robbers, Sicherheit, S. 187, der als Beispiele noch Art. 16 Abs. 2 S. 2 und Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nennt; zur analogen Problematik des Art. 16 Abs. 2 GG auch Isensee, Grundrecht, S. 3Of. 94 Ausdrücklich Jellinek, System, S. 103f: es sei "juristisch nicht korrekt, von Freiheitsrechten zu reden, es ist vielmehr nur die Freiheit im Singular vorhanden .. .". 95 Grabitz, Freiheit, S. 204; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 438f. 96 Daß die Differenziertheit des Grundrechtskatalogs historisch bedingt sei, ist hingegen kein stichhaltiges Gegenargument, in diesem Sinne kann allerdings Dürig, in: M / D / H, GGKomm., Art. 2 Abs. 1, Rz. 8, verstanden werden; gerade die geschichtliche Entwicklung zeigt ja, daß Grundrechte auch Schutzverpnichtungen enthalten.

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einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt im Sinne einer Schutzverpflichtung könne also nicht geschlossen werden. Dieses Gegenargument enthält aber bereits die eigene Unschlüssigkeit in sich selbst. Wenn darauf abgestellt wird, daß bestimmte Freiheitsbereiche Regelungen des Gesetzgebers im Normalfall nicht unterliegen bzw. bei anderen solche Normierungen geradezu notwendig sein sollen, wird damit gleichzeitig ein materialer Freiheitsbegriff unterstellt, der über die negatorische Freiheit von staatlichem Zwang hinausgehen muß. Diese Freiheitssicht wird - obzwar teilweise versteckt - auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichtbar. Als Beispiel sei hier, da sie besonders instruktiv ist, die "Lüth"-Entscheidung und die darin erstmals benutzte "Wechselwirkungstheorie" herausgegriffen97• Dem negatorischen Ansatz verpflichtet geht das Bundesverfassungsgericht zunächst richtig davon aus, daß die Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze beschränkt werden könne. Dann allerdings kommt das Grundrecht noch einmal ins Spiel: bei der Auslegung der allgemeinen Gesetze müsse die wertsetzende Bedeutung der Meinungsfreiheit berücksichtigt werden98• In dem Grundrecht muß also mehr stecken als ein bloßes Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen. Ob man diesen zusätzlichen Gehalt nun objektive Wertordnung nennt99 oder mit einem doppelten Begriff der Freiheit arbeitet 100, ist für die hier interessierende Frage letztlich belanglos. Gibt es eine über das Abwehrrecht, also über die Pflicht des Staates, die Grundrechte zu achten, hinausgehende Grundrechtsfunktion, und unterstellt man, daß diese Funktion auch bestimmte rechtliche Folgen auslöst, so kann dies nur die Verpflichtung des Staates sein, die materialen Freiheitsbereiche die objektive Wertordnung - zu schützen. Ob und inwieweit dieser Ver97 BVerfGE 7, 198ff; auf BVerfGE 7, 3n, 405ff; 13, 97, l04ff, und die darin enthaltene "Drei-Stufen-Theorie" als weiteres Beispiel neben der Wechselwirkungslehre weist Grabitz, Freiheit, S. 214ff, hin. 98 BVerfGE 7,198,209. 99 So das BVerfG z. B. in BVerfGE 7, 198,205; zur Rspr. des BVerfG und zu dessen teilweise unterschiedlicher Terminologie eingehend und umfassend Jarass, AöR 110 (1985), 363, 369ff; kritisch zum Begriff der "Wertordnung" z. B. ForstMff, Der Staat 2 (1963), 385, 388ff; Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, passim; Grabitz, Freiheit, S. 217ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 286ff: "Nebelbegriff". Mittlerweile hat das BVerfG durch seine kontinuierliche und konkretisierende Rspr. seinen Kritikern den Wind weitgehend aus den Segeln genommen, vgl. Hesse, Grundzüge, Rz. 299. An dem angeführten Beispiel wird überdies deutlich, daß die Entscheidungen des BVerfG zur grundrechtlichen Schutzpflicht nur eine folgerichtige Weiterentwicklung der "objektiven Wertordnung" waren. 100 Grabitz, Freiheit, S. 213.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

pflichtung eine subjektive Position des einzelnen korrespondiert, braucht an dieser Stelle noch nicht entschieden zu werden. 3. Das Argument der Gesetzesvorbehalte Die eben behandelte Argumentation führt zu einem weiteren systematischen Gesichtspunkt, der für die Frage der Grundrechtsfunktionen Bedeutung gewinnen kann, nämlich zu der Einschränkung von Grundrechten durch Gesetzesvorbehalte. a) So hat Herzog aus Art. 5 Abs. 2 GG, der dem Staat unter anderem die Pflicht auferlegt, die Ehre zu schützen, a maiore ad minus abgeleitet, dies müsse umso mehr für das Rechtsgut "Leben" gelten, das im Rang klar über dem Rechtsgut "Ehre" stehe lol • Dieses Argument ist allerdings für den hier gewählten, umfänglicheren Ansatz der grundrechtlichen Schutzpflicht nur beschränkt tragfähig. Allerdings zeigt es wieder, daß den Grundrechten insgesamt ein Rechtsgutschutz keineswegs fremd ist. Gesetzesvorbehalte sind sinnvollerweise nur dort angebracht, wo ohne sie Freiheit herrschen würde; anders ausgedrückt: werden durch Gesetzesvorbehalte bestimmte Rechte oder Betätigungen zur Disposition des Gesetzgebers gestellt, müssen sie grundsätzlich Bestandteil des Grundrechts sein J02 • Insoweit führt die Betrachtung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte jedoch tatsächlich nicht weiter. Es läßt sich aus ihnen nicht entnehmen, ob die grundrechtliche Schutzpflicht per Gesetz eingeschränkt werden kann, also auch private Beeinträchtigungen zugelassen werden sollenlO3 , oder ob sich

101 Herzog, JR 1969,441,443; zust. Lang-Hinrichsen, FamRZ 1974, 497, 500; kritisch zu diesem Argument Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 237. 102 Vgl. die Argumentation des BVerfG im "Elfes"-Urteil, wo der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG von seinen Schranken her bestimmt wird, BVerfGE 6, 32, 36; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 52. 103 So daß auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG anwendbar wäre; dies nehmen für das Atomrecht an Hinz, in: Viertes Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 165, 169; Theuerkaufer, Klagebefugnis, S. 84; ebenso Hofmann, Rechtsfragen, S. 31lff, der zwar von der grund rechtlichen Schutzpflicht ausgeht, a. a. 0., S. 309, dann aber die atomrechtlichen Genehmigungsnormen wegen ihres "konzessionsartigen Charakters" als staatliche Eingriffe ansieht. Das BVerfG ist jetzt offenbar der Auffassung, daß bei der gesetzlichen Zulassung privatverursachter Eingriffe in Grundrechtsgüter das Zitiergebot nicht gelten soll, anders kann BVerfGE TI, 170, 225, nicht interpretiert werden; demgegenüber noch ausdrücklich BVerfGE 49,89,141; vgI. auch BVerfGE 52,131,175.

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alle Gesetzesvorbehalte ausschließlich auf staatliche Eingriffe beschränken lO4 • b) Indizwirkung für eine grundrechtliche Schutzpllicht haben die Gesetzesvorbehalte aber aus einem anderen Grund. Zweifellos sind sie Bejugnisnormen für den Gesetzgeber, Grundrechte einschränken zu können. Da jedwede Grundrechtseinschränkung aber in irgendeiner Weise einen verfassungsrechtlich zulässigen Zweck verfolgen mußlOS, kann hinter dieser Befugnis eine Aufgabe vermutet werden lO6 • Der Verfassungsgeber hat gesehen, daß in vielen Bereichen Kollisionssituationen zwischen Grundrechten existieren. Deren Lösung ist durch den Gesetzesvorbehalt dem Gesetzgeber überantwortet. Viele Gesetze, die auf den ersten Blick lediglich Grundrechtseingriffe darstellen, sind teilweise oder gar überwiegend zum Schutz privater Rechtsgüter erlassen worden lO7 • Gerade der Katalog der Grundrechtsgüter ist es aber, den es namentlich zu schützen gile OB • Die auf der Anerkennung von Menschenrechten basierende Staats idee wertet diese Rechte als Konstituens des Staatsaufbaus; sie sind Ziel und Grundlage der staatlichen OrdnunglO9 und nicht nur Schranken einer ursprünglich unbeschränkten Staatsgewalt l1O • Nun mag man einwenden, die Befugnis zum Schutze eines Grundrechtsguts bedeute nicht gleichzeitig die Pllicht 111 ; dieser Einwand ist in der Tat schwer zu entkräften. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß es syste104 So Götz, in: Viertes Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 177, 184f; Nolte, Rechtliche Anforderungen, S. 119f. lOS Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Gesetzgeber jeweils eine verfassungsrechtliche Legitimation vorweisen muß, vielmehr genügt es, wenn seine Zwecksetzung nicht willkürlich ist und nicht gegen verfassungsrechtliche Positionen verstößt. 106 Eine ähnliche Situation findet sich auch im Sicherheitsrecht, wo der Schluß von der Befugnis auf die Aufgabe als zulässig erachtet wird. Bei diesem Argument handelt es sich nicht um ein spezifisch sicherheitsrechtliches; vielmehr steckt darin die allgemeine Erkenntnis, daß Befugnisnormen als minus die entsprechende Aufgabe innewohnt. 107 Vgl. dazu allgemein und umfassend, aber sehr weitgehend Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 18Off; zustimmend Scheuner, DÖV 1971, 505, 510; rechtspolitisch SUM, in: Soziale Grundrechte, S. 111, 114. Diese gesetzgeberische Aufgabe wird auch von den Gegnern der institutionellen Grundrechtstheorie nicht bestritten. lOB Ausdrücklich sind Grundrechtsgüter z. B. in dem schon erwähnten Art. 5 Abs. 2 GG bzw. in Art. 13 Abs. 3 GG enthalten. 109 Grabitz, Freiheit, S. 199f; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43, 103; für das Rechtsgut "Leben" Herzog, JR 1969, 441, 443f. 110 Kägi, FS für Giacometti, S. 107, 136f. 111 Hermes, Grundrecht, S. 126.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

matisch trotzdem zumindest naheliegt, den Grund für die Notwendigkeit von Gesetzesvorbehalten auch darin zu sehen, daß der Staat verpflichtet ist, die Grundrechtsgüter vor privaten Beeinträchtigungen zu bewahren1l2• W. Teleologische Interpretation

1. Die Suche nach einem teleologischen Anknüpfungspunkt

Bei der teleologischen Exegese113 der Grundrechte in bezug auf die Frage, ob sie Schutzpflichten enthalten, steht der Interpret im ersten Moment vor einem Dilemma. Er muß den Sinn und Zweck der Grundrechtsbestimmungen ermitteln, den er aber erst auf dem Wege der Interpretation gewinnen kann. Auf den ersten Blick ein klassischer Zirkelschluß. Was bei einfachen Gesetzen also relativ unproblematisch ist, nämlich eine an dem umfassenden Normzweck orientierte Auslegung der einzelnen Regelung zu finden, scheint bei der Suche nach den Funktionen - also dem "telos" - der Grundrechte unmöglich zu sein. Die Schutzrichtung der Grundrechte kann keinesfalls gleichzeitig als Basis und als Ergebnis der Argumentation dienen 114. Hilfen scheinen sich dort anzubieten, wo Auslegungskriterien herangezogen werden, die sich von überverfassungsrechtlichen Prinzipien herleiten lassen. Richtig daran ist, daß nur unter Bezugnahme auf solche "topoi" eine wirklich aussagekräftige teleologische Interpretation gefunden werden kann, wobei allerdings zum einen die Tragfähigkeit der Auslegungsmittel sorgfältig geprüft und die Gefahr einer petitio principii keinen Augenblick außer acht gelassen werden darf. Sicherlich nicht weiterführend - jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang und für sich allein genommen - ist die These, daß bei den Grundrechten jeweils die Auslegung zu wählen sei, die deren juristische Wirkungskraft

112 Bleckmann / Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 376. Nicht verwechselt werden darf dieses systematische Argument mit dem Versuch von Seewald, den Gesetzesvorbehalten unmittelbar in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip Pflichten des Gesetzgebers zu entnehmen, Seewald, Gesundheit, S. 79f, 141ff. 113 Allgemein zur teleologischen Interpretation vgI. Larenz, Methodenlehre, S. 322ff. 114 Auf den logischen Zirkel weist auch Alexy hin, Theorie, S. 509, 515; Hermes, Grundrecht, S. 198f, scheint dieser Gefahr zu unterliegen.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrecht lichen Schutzpflicht

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am stärksten entfaltellS , überspitzt formuliert also das Prinzip "in dubio pro libertate". Diese Formel mag dort ihre Bedeutung haben, wo sich lediglich staatlicher Zwang und individuelle Freiheit gegenüberstehen. Bei der grundrechtlichen Schutzpflicht geht es aber um staatliche Tätigkeiten in mehrpoligen Verhältnissen, in einem außerordentlich differenzierten System sich wechselseitig begrenzender und überschneidender Freiheitsgewährleistungen und -beschränkungen. Was hier dem einen an Freiheit mehr gewährt wird, bedeutet für den anderen Einschränkung seiner Möglichkeiten und umgekehrt 116. Durch die Vermutung für die Freiheit darf also keinesfalls einem ungezügelten Individualismus das Wort geredet werden, der die Gemeinschaftsbezogenheit des einzelnen völlig übersähe117• Herausragende Bedeutung für die teleologische Interpretation hätte eine allgemeine, über bloß formale Anknüpfungspunkte hinausgehende Grundrechtstheorie, also eine "systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte"118. Es spricht jedoch viel dafür, daß eine solche allgemeine Theorie der Grundrechte, die sich auf eine Grundthese, ein Grundprinzip zurückführen ließe, nicht existiert. Entweder müßte sie so allgemein gehalten werden, daß konkrete Auslegungsergebnisse nicht oder wieder nur durch Interpretation erhalten werden könnten 119, oder aber sie wird aus Text 115 So schon Tlwma, in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, S. 1, 9, der allerdings nur die heute obsolet gewordene Frage beantworten wollte, ob den Grundrechten Programmcharakter oder verpflichtende Wirkung zukommen sollte; als Auslegungsregel für den Inhalt der speziellen Grundrechtsnorm wollte er den Satz ausdrücklich nicht verstanden wissen, a. a. 0., S. 13f; in diesem Sinne jedoch v. Mangoldt / Klein / Starck, GGKomm., Art. 1, Rz. 105; Ossenbühl, DÖV 1965, 649, 657f; Schneider, VVDStRL 20 (1963), 1, 3lf; ähnlich BVerfGE 6, 55, 72; 7, 377, 403; 13, 97, 105; 32, 54, 72; 39, 1, 38; differenzierend v. Münch, GG-Komm., Vorb. Art. 1-19, Rz. 51; kritisch dazu beispielsweise Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 88. 116 Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 95; Jsensee, Grundrecht, S. 47; Pestaloua, Der Staat 2 (1963), 425, 445f; SChmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221, 226; Seholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 130; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 62f; Wahl, JuS 1984, 577, 578. 117 Vgl. nur BVerfGE 4,7, 15f; 6, 389,422. 118 Böckenförde, NJW 1974, 1529; ausführlich dazu auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 288ff; Stein, Staatsrecht, S. 385ff; Böckenförde stellt fünf Grundrechtstheorien vor: die liberale Theorie, die institutionelle Theorie, die Wert theorie, die demokratisch-funktionale Theorie und die sozialstaatliche Theorie, a. a. 0., S. 153Off; ähnlich Kröger, Grundrechtstheorie als Verfassungsproblem, S. 15ff; teilweise werden auch andere Einteilungen vorgenommen, vgl. die Nachweise bei Bethge, AöR 104 (1979), 54, 6Off, und Alexy, Theorie, S. 510 FN 136; Thiele, DÖV 1979, 236, 238, spricht von einer "Inflation der Grundrechtstheorien". 119 Alexy, Theorie, S. 29; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 5; ablehnend hienu auch v. Mangoldt / Klein / Starek, GG-Komm., Art. 1, Rz. 106. Dimberger 10

146

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

und Genese der Grundrechte abgeleitet, was aber insofern nicht weiterführt, als ja gerade wegen der Offenheit dieser Bestimmungen eine materiale Grundrechtstheorie gefordert wird; stützt sich die Theorie schließlich auf außerhalb der Verfassung wurzelnde Staats- oder Gesellschaftstheorien, sieht sie sich wieder dem Einwand des Zirkelschlusses ausgesetze 20• Richtig dürfte demgegenüber sein, den Grundrechten nicht ein allgemeingültiges Prinzip zu unterstellen, sondern mit einem Bündel unterschiedlicher "topoi" zu arbeiten, die von Fall zu Fall differieren können l21 • Vorliegend heißt dies also, nach Prinzipien der Grundrechte zu suchen, die jenen vorgelagert und übergeordnet sind und von daher deren Auslegung determinieren können. Andererseits muß deshalb die Untersuchung nicht unbedingt bei jedem einzelnen Grundrecht ansetzen l22 ; vielmehr gibt es für alle Grundrechte gemeinsame Strukturen und interpretationserhebliche Leitlinien, die bei der Auslegung keinesfalls ausgespart werden dürfen 123 • 2. Die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG a) Eine entscheidende Funktion bei der Beantwortung der Frage nach einer allgemeinen grundrechtIichen Schutzpflicht kommt zweifelsohne Art. 1 GG zu. Sowohl weite Teile des Schrifttumsl24 als auch das BundesverfasTheorie, s. 514f. geht im übrigen auch das BVerfG vor, vgI. BVerfGE 50,290,337: liberale Theorie; BVerfGE 12, 205, 259ff: institutionelle Theorie; BVerfGE 7, 198,205: Werttheorie; BVerfGE 42, 163, 170f: demokratische Theorie; BVerfGE 33, 303, 33Off: sozialstaatliche Theorie; kritisch dazu Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530, 1536ff; wie hier Alexy, Theorie, S. 516ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 5ff; SUhr, EuGRZ 1984, 529; ähnlich Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 288ff, der allerdings nur durch Weiterentwicklung der liberalen Theorie zu diesem Ergebnis kommt, a. a. 0., S. 308; kritisch zur sozialstaatlichen und demokratischen Theorie Soell, Aspekte, S. 8ff, 16ff; kritisch zur Grundrechtstheorie insgesamt Fiedler, JZ 1979, 417, 420. Die hier angewandte Interpretationsweise darf nicht mit der "topischen" Auslegungsmethode von Hesse veIWechselt werden, Grundzüge, Rz. 6Off; dies tut offensichtlich Böckenförde, a. a. O. , S. 1537. 122 So aber wohl Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 7; auch die Sichtweise der Grundrechte als "punktuelle Gewährleistungen" bei Hesse, Grundzüge, Rz. 300, deutet in diese Richtung. Dieselbe Vorgehensweise findet sich im übrigen praktisch durchgängig in der Literatur bei der Suche nach grundrechtlichen Schutzpflichten. 123 Zurecht Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 57. 124 In der Literatur veIWeisen u. a. auf Art. 1 Abs. 1 GG: Engelhardt, FamRZ 1963, I, 3; Hmnes, Grundrecht, S. 194ff; Isensee, Grundrecht, S. 33; Klein, FS für Weber, S. 643, 651; Ossenbühl, DÖV 1981, 1,4; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 229ff; Soell, NuR 1985, 205, 206; Steiger, Mensch, S. 35ff, u. a. m. 120 Alexy,

121 So

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpllicht

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sungsgeriche 25 weisen in diesem Zusammenhang häufig auf die Menschenwürdegarantie hin. Dabei muß aber zunächst sorgsam zwischen der eigenständigen Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG und der Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG für die Herleitung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht unterschieden werden. Soweit der Menschenwürdekern der Einzelgrundrechte berührt ist, gilt ohne Einschränkung die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG I26 • Diese Schutzpflicht kann aber bei weitem nicht den gesamten Anwendungsbereich einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht abdecken. Nicht jede Verletzung beispielsweise sogar des Rechtsguts "Leben" und noch weniger des Rechtsguts "körperliche Unversehrtheit" oder gar des Rechtsguts "Eigentum" stellt gleichzeitig und notwendig eine Verletzung der Menschenwürde dar 127• Diese tritt erst ein, wenn besondere, eben "unwürdige" Begleitumstände hinzutreten. Im übrigen sollte mit der Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG wie auch mit der unmittelbaren Anwendung der Menschenwürdegarantie insgesamt eher zurückhaltend operiert werden: die Menschenwürde darf nicht zur "kleinen Münze" degradiert werden; sie ist ein zu erhabenes und zu abstraktes, im Ergebnis also auch ein zu unhandliches Instrument zur Lösung von ganz konkreten Konfliktsituationen l28 • Was bleibt ist aber die Funktion des Art. 1 Abs. 1 GG als "tragendes Konstitutionsprinzip" der Verfassung, das alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht und das dessen Interpretation maßgeblich beeinfluße 29 • Als Fundamentalnorm für die gesamte Verfassung, die nicht einmal durch 125 Das BVerfG zieht in seinen Entscheidungen zur Schutzpllicht Art. 1 Abs. 1 GG zunächst neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG heran, BVerfGE 39, 1, 41; dann verbindet sich Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit Art. 1 Abs. 1 GG, BVerfGE 46, 160, 164; in der "Kalkar"-Entscheidung wird Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG nur noch nebenbei erwähnt, BVerfGE 49,89, 14lf; während in der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidungjeder Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 GG fehlt, BVerfGE 53, 30, 57; so auch BVerfGE 56, 54, 73; zuletzt BVerfGE 77,170,214, und BVerfGE 79,174, 20lf. 126 Zu dieser Schutzpllicht vgI. beispielsweise BVerwGE 64, 274, 278; v. Münch, GGKomm., Art. 1, Rz. 28; v. Mangoldt I Klein I Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 23ff. 127 Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 179; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 230f, 239; Stern, FS für Scupin, S. 627,633; für das Rechtsgut "Leben" wohl anders BVerfGE 39, 1,

41. 128 Steiger, Mensch, S. 35, wendet zurecht die Menschenwürde unmittelbar nur bei fast schon existenzvernichtenden, katastrophenartigen Zuständen an. 129 BVerfGE 6, 32, 36, 4Of; seitdem st. Rspr.; umfangreiche Nachweise bei Stern, FS für Scupin, S. 627, 632 FN 23. Aus der Literatur vgI. Benda, in: Handbuch, S. 107, 108; Hesse, Grundzüge, Rz. 116; Krawietz, GS für Klein, S. 245ff; v. Münch, GG-Komm., Art. 1, Rz. 1; Nipperdey, in: Die Grundrechte, S. 1, 2; SCholz, Koalitionsfreiheit, S. 69ff; Starck, JZ 1981, 457ff.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Grundgesetzänderung beseitigt werden könnte, muß sie die Auslegung der grundrechtlichen Bestimmungen entscheidend determinieren. Der Schutz der Menschenwürde ist letzter Zweck der ganzen Verfassungsordnung nicht vom Staat gewährt, sondern ihm vorausgesetze 3O -, so daß sich hier tatsächlich der "telos" des Grundgesetzes verorten läßt. Letztlich - und das macht das besondere Gewicht der Menschenwürdegarantie für die Grundrechtsexegese deutlich - leiten sich alle Spezialgrundrechte von der Idee der Menschenwürde ab, sie bildet Ausgangspunkt und Kern des gesamten Grundrechtssystems l3l • Nicht verwunderlich ist daher, daß die große Mehrheit der Autoren, die sich mit der Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten auseinandersetzen, auf Art. 1 Abs. 1 GG verweist 132, wenn auch eine eingehende und systematische Beschäftigung mit dieser Problematik häufig fehlt. Was bedeutet nun die Menschenwürdegarantie für die staatliche Schutzpflicht aus den Grundrechten? Zunächst wurde durch Art. 1 GG ein ganz bestimmtes Bild des Menschen und insbesondere seines Verhältnisses zu Staat und Gemeinschaft in die Verfassung implementiert. Für den Staat folgt aus dieser Norm in erster Linie, daß er nicht um seiner selbst willen existiert, sondern als Grundvoraussetzung des menschlichen Daseins, das er als menschenwürdig sichern und schützen muß. Der Staat ist also nicht Selbstzweck, er hat bei allen seinen Handlungen das von der Verfassung vorausgesetzte Menschenbild nicht nur zu achten, sondern er ist zusätzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß sich dieses Bild möglichst entfalten kann, also eine Ordnung bereitzustellen, die diese "Zwecksetzung" verwirklicht 133 • Menschliche Personalität erschöpft sich dabei aber nicht in seiner Indivi130 Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 1; Nipperdey, in: Die Grundrechte, S. 1, 2; Stern, FS für Scupin, S. 627, 630(; instruktiv auch der Streit im Parlamentarischen Rat um die "Gottgegebenheit" der auf der Menschenwürde fußenden Freiheitsrechte, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 52f. Kritisch zu einer außerrechtlichen Verortung der Menschenwürde Krawietz, GS für Klein, S. 245, 262ff. Der Streit verliert deshalb an Relevanz, weil auch die Befürworter der Rezipierung eines vorverfassungsrechtIichen Würdebegriffs einräumen, daß durch Interpretation ein spezifisch verfassungsrechtIicher Begriff gewonnen werden muß, vgI. v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 2. 131 Gal/was, Faktische Beeinträchtigungen, S. 57; Stern, FS für Scupin, S. 627, 638. 132 Vgl. die in FN 124 genannten Autoren. 133 In diesem Sinn BVerfGE 20, 162, 178; Arndt, FS für Leibholz, S. 179, 183; Coing, Grundsätze, S. 39ff; Nipperdey, in: Die Grundrechte, S. 1, 9ff; Stern, FS für Scupin, S. 627, 634. Art. 1 Abs. 1 des HChE lautete noch: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen". Gegen die Auffassung einer Implementierung eines bestimmten Menschenbildes Suhr, EuGRZ 1984, 529, 531: "rechtsdogmatisches Prokrustesbett".

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

149

dualität, sondern umfaßt auch den Kontakt zu anderen Menschen, den Gemeinschaftsbezug, das soziale Personensein l34 • Gerade hier aber kommt die Bedeutung der Grundrechte wieder ins Spiel. Sie sind die Instrumente, die das im Menschen angelegte SpannungsverhäItnis von personaler Entfaltungsfreiheit und gesellschaftlichem Anspruch auszugleichen vermögen l35 • Insoweit sind Personalität und Würde der "Urgrund" für die Gewährung von Grundrechten l36 • Von daher wird deutlich, daß sich der Bedeutungsgehalt der Grundrechte unmöglich in bloßer Abwesenheit von staatlicher Gewalt erschöpfen kann. Sie umgrenzen einen Bereich von Vorgängen, die dem Staat nicht mehr gleichgültig sein dürfen 137, selbst wenn es lediglich um Konflikte zwischen Privaten geht. b) Kann man nun die in den Grundrechten verankerte Schutzpflicht von der Menschenwürde her begründen, stellt sich sofort die Frage, ob sich daraus nicht gleichzeitig eine sachliche und personelle Einschränkung des Geltungsbereichs ergibt. So will vor allem Hermes die Schutzpflicht auf die Grundrechte reduzieren, die "eine besondere Nähe zur Würde" aufweisen. Zu diesen Grundrechten sollen Art. 2 Abs. 1 GG, soweit die engere persönliche Lebenssphäre gewährleistet ist, und die Art. 2 Abs. 2 S. 1, 4 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 13 Abs. 1 GG gehören l38 • Eine solche Sichtweise würde die Schutzpflicht aber unzulässig verengen. Die dem Art. 1 GG "nachfolgenden" Grundrechte sind insgesamt gesehen eine Ausprägung der Menschenwürde 139 • Jedes Grundrecht weist insoweit eine "personale Komponente" auf; ob es sich um die geistige Entfaltungsfreiheit - z. B. bei Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, oder Art. 8 und Art. 10 GG - handelt oder um die ökonomische - bei 134

ßVerfGE4, 7, 15f.

Deutlich Pietzcker, PS für Bachof, S. 131: Art. 1 GG bestimme "die Grundrechte zu Grundlage und Ziel des verfaßten Gemeinwesens"; kritisch Bettermann, Hypertrophie, S. 9f. 136 Coing, Grundsätze, S. 43; ähnlich Grimm, NVwZ 1985, 865, 867; Wintrich, Zur Problemalik der Grundrechte, S. 13ff; vgl. auch Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 1, Rz. 6ff; Nipperdey, in: Die Grundrechte, S. 1, 8ff; Zeidler, VVDStRL 19 (1961), 208, 226f. 137 Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 57f. 138 Hermes, Grundrecht, S. 196, dessen Untersuchung sich aber weitgehend auf Art. 2 Abs. 2 GG beschränkt. Ähnlich Soel/, NuR 1985, 205, der fordert, daß die Grundrechte eine "personale Grundbeziehung" sichern wollen; Soel/ zählt aber zurecht Art. 14 GG zu diesen Rechten; enger Starck, JZ 1981, 457, 459. 139 V. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 107. Den Bezug von Art. 12 und Art. 14 GG zur Menschenwürde betont auch Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 85; auf den "personalen Bezug" von Art. 14 GG weisen darüber hinaus hin Bryde, in: v. Münch, GGKomm., Art. 14, Rz. 3, m. w. N.; Hesse, Grundzüge, Rz. 442; Soel/, DVBI. 1983,241,242. Vgl. auch ßVerfGE 49,252,257; BVerwGE 32,173,179; 54, 211, 222f; 59, 253, 26Off. \35

150

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Art. 9, 12 oder 14 GG -, immer ist Bezugs- und Anknüpfungspunkt das Individuum, um dessen möglichst freier Entfaltung willen alle Grundrechte gleichermaßen gewährt sind. Eine Differenzierung zwischen Grundrechten mit Würdebezug und "würdelosen" Grundrechten ist daher abzulehnen; alle diese Rechte dienen der Verwirklichung der Personalität des Menschen l40 • Dieses Verbot der Unterscheidung folgt auch daraus, daß die Verfassung eine "harte" Rangfolge unter den Grundrechten, d. h. einen ausnahmslosen Vorrang bestimmter Schutzgüter vor anderen l41 , gerade nicht kenne 42, was ein je differenzierendes Verhältnis eines Grundrechts zu Art. 1 GG nahelegen, ja geradezu fordern würde. c) Die überragende Bedeutung der Menschenwürde für die grundrechtliehe Schutzpflicht deutet darauf hin, diese auf natürliche Personen zu beschränken, da nach ganz allgemeiner Auffassung auf juristische Personen Art. 1 GG "seinem Wesen nach" nicht anwendbar ise 43 • Aber auch dies würde eine ungerechtfertigte Reduktion der Schutzpflicht bedeuten. Der Grundrechtsschutz der juristischen Person läßt sich auf den Schutz von natürlichen Personen zurückführeni.... Aus der Erkenntnis, daß bestimmte Betätigungen vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet von Einzelpersonen nicht oder nicht in gleichwertiger Weise durchgeführt werden können, hat die Rechtsordnung die Figur der juristischen Person geschaffen. Sie ist nicht 140 Von dieser Erkenntnis müssen allerdings zwei Fragen sorgsam unterschieden werden: Zum einen bedeutet natürlich nicht jede Grundrechtsberuhrung eine Beeinträchtigung der Menschenwürde. Art. 1 GG ist zwar Ausgangspunkt der Grundrechte, deren Gewährleistungsbereich ist aber deutlich weiter. Zum zweiten bedeutet diese These nicht die Gleichsetzung der positivierten Grundrechte des Grundgesetzes mit den naturrechtlichen Menschenrechten, vgl. dazu Isensee, in: Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, S. 70, 71; Stern, FS für Scupin, S. 627, 64lf. 141 Vgl. BVerfGE 35, 202, 225; dies bedeutet allerdings nicht, daß dem Grundrechtskatalog keine ·weiche" Rangordnung zugrunde läge; richtigerweise kommt bestimmten Schutzgütern wie z. B. Leben und körperlicher Unversehrtheit - eine "prima facie-Präferenz· zu; so zurecht Alexy, Theorie, S. 142, 143ff; in diesem Sinn kann auch z. B. BVerfGE 39, 1, 42, verstanden werden. 142 Müller, Die Einheit der Verfassung, S. 204ff; anders, auf die "Stärke" der Gesetzesvorbehalte abstellend Berg, Konkurrenzen, S. 99ff; vgl. auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 304ff; differenzierend Blaesing, Grundrechtskollisionen, S. 391. 143 Vgl. nur v. Münch, GG-Komm., Art. 1, Rz. 9; Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 35; das Problem, welche Bedeutung dieser Befund auf die über Art. 1 GG begründete Schutzpflicht hat, wird - soweit ersichtlich - nicht erörtert. 144 Instruktiv auch die Äußerungen im Parlamentarischen Rat, die belegen, daß der Schutz juristischer Personen immer mit Bezug auf die diese Organisation bildenden Individuen hergeleitet wurde, vgl. die Stellungnahmen des AbgeOrdneten Dr. v. Mangoldt, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 180f.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

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Selbstzweck, nicht Wert an sich, sondern nur Hilfsmittel zur Erreichung bestimmter anderer Zwecke durch Individuen. Ihr Grundrechtsschutz ist quasi derivativ; der Schutz des einzelnen wäre unvollkommen, wenn nicht neben das Recht, verselbständigte organisatorische Einheiten zu bilden, die grundrechtliche Gewährleistung träte, die auch diese Betätigung individueller Freiheit umfaßte l45 • Insoweit gehört zur Grundrechtsanwendung neben dem Abwehrbereich eben auch die Schutzverpflichtung. Ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG ein Grundrecht auf juristische Personen anwendbar, dann in seinem gesamten Gehalt, in jeder seiner Funktionen. Zusammenfassend läßt sich also dem Auslegungsmaßstab des Art. 1 GG ein deutlicher Hinweis auf eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht entnehmen. 3. Die grundrechtlich gewährte Freiheit Einen weiteren teleologischen Anknüpfungspunkt der Grundrechtsexegese stellt der "topos der Freiheit" dar. An dieser Stelle kann nun eines sicherlich nicht geleistet werden, nämlich das dem Grundgesetz zugrunde liegende Paradigma der Freiheit eindeutig und allgemeingültig zu bestimmenl46 • Es ist an dieser Stelle auch wenig hilfreich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich die Situation der Grundrechtsträger und die Bedrohung der Grundrechte in der heutigen Zeit gegenüber der Zeit ihrer Positivierung im 19. Jahrhundert geändert haben und sich daraus ein anderes Verständnis der Freiheit bzw. der Grundrechtsinterpretation ergibe 47• 145 Vgl. z. B. BVerfGE 21, 362, 369; 45, 63, 79; a. A. Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 38; v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19, Rz. 29ff; insoweit wie hier: Ladeur, in: AK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 22; eingehend Rupp-v. Brüneck, PS für Arndt, S. 349, 358f. Von dieser Ansicht muß die sogenannte Durchgriffstheorie unterschieden werden, vgl. Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. Hf; SChmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen, S. 28ff. 146 V gl. dazu Alexy, Theorie, S. 194ff: Freiheit als "Handlungsalternative"; Grabitz, Freiheit, passim; Hofmann, GS für Küchenhoff, S. 23Hf; Klein, Grundrechte, S. 53ff: Freiheit als "Möglichkeit zur Selbstbestimmung"; Suhr, Entfaltung, passim; ders., EuGRZ 1984, 529ff: "neues Paradigma der Freiheit", Freiheit als "Teilhabe". 147 So z. B. Rupp, AöR 101 (1976), 161, 163ff; ähnlich Erbguth, Umweltrecht, S. 338f; Geist· Schell, Verfahrensfehler, S. 74ff; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 70; Hesse, PS für Smend, S. 71, 85f; Scheuner, DÖV 1971, 505, 511; anders Saladin, Grundrechte, S. 308; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 223; vgl. auch die Ausführungen zur ideengeschichtlichen Entwicklung der Grundrechte, oben 11. 2., und die kurze Darstellung oben, § 10 I.

152

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Und schließlich soll noch einmal auf die Gefahr des Zirkelschlusses hingewiesen werden, die einer Zugrundelegung eines bestimmten Freiheitsbegriffs innewohnt. Trotzdem können Rückschlüsse auf die richtige Grundrechtsauslegung dadurch gewonnen werden, daß man gedanklich unterstellt, Freiheit erschöpfe sich in Abwesenheit des Staates, und man die sich daraus ergebenden Mißverhältnisse herausarbeitd 48• Führt eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht dazu, diese DefIzite zu vermeiden, wäre das ein weiteres Indiz für ihre grundrechtlich begründete Existenz. Freiheit als bloßer status negativus bedeutet anders gewendet individuelle Willkür des einzelnen und konsequent weitergedacht tendenzielle Anarchie. Das Individuum - von staatlicher Gewalt befreit - fällt der privaten zum Opfer 149 • Die Grundrechte - verstanden tatsächlich als Grundnormen des Staates - werden pervertiert. Wie Suhr eindrucksvoll nachweiseso, wird mit Hilfe dieser einseitigen Sichtweise der Staatsabwehrdoktrin die Freiheit vom staatlichen Eingriff zur Freiheit zum privaten Eingriff "umdogmatisiert". Der private Eingreifer A kann seinen Mitmenschen 0 belasten, ohne daß dem 0 grundrechtliche Ansprüche zustünden. Wenn der Staat hingegen den A an seinen Tätigkeiten hindern will, steht diesem sein grundrechtlicher status negativus zur Verfügung, mit dem er jede (übermäßige oder auch ansonsten rechtswidrige) Einschränkung abwehren kann. Dieses Bild zeigt, daß die zweipolige Sichtweise der Grundrechte nur in ganz seltenen Fällen die reale Situation in ausreichender Weise zu beschreiben vermag. Staatliche Freiheitsbeschränkungen begünstigen - fInal oder auch nur tatsächlich - Dritte; was dem einen an Freiheit genommen wird, steht dem anderen als Mehr an Entfaltungsmöglichkeit zur Verfügung. Das grundrechtliche Panorama weitet sich zum DreieckisI. Und noch eines kommt hinzu: der Staat ist dazu verpflichtet, private Gewalt zu verbieten; aus diesem Gewaltmonopol folgt aber gleichzeitig, daß der Staat auch Regeln zur Verfügung stellen muß, um private Konflikte zu 148 Freiheit als bloße Ausgrenzung einer staats- und rechtsfreien Sphäre versteht noch Forsthoff, VVDStRL 12 (1954), 8, 18. 149 Hesse, FS für Smend, S. 71,85; Isensee, Grundrecht, S. 32. ISO Suhr, JZ 1980, 166ff; ders., Entfaltung, insbes. S. 105ff; ders., in: Rechtsschutz für den Wald, S. 45ff; ähnlich Baumann, BayVBI. 1982,292, 293f; Hofmann, Rechtsfragen, S. 322f. Die Lösung, die Suhr anbietet, kommt der These von der Ausweitung des Abwehrrechts von Schwabe und Murswiek nahe, teilweise weist sie auch Ähnlichkeiten mit der Auffassung Häber/es auf. Sie begegnet daher den gleichen Bedenken, die gegenüber diesen Meinungen zurecht vorgebracht werden. 151" Vgl. Gal/was, Grundrechte, S. 62ff; Isensee, Grundrecht, S. 34.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

153

entscheiden, und Instrumente, um "privates Recht" durchzusetzen!52. Daher kann er sich nicht auf bloße Abwesenheit beschränken, sondern muß die Rechtssphären der Bürger voneinander abgrenzen und bei Verletzung dieser Sphären dem Betroffenen (Rechts-)Schutz gewährenlS3. Hier trifft sich die Argumentation wieder mit der oben erläuterten Bedeutung des Art. 1 GG und der Grundrechte. Die von den Grundrechten geschützten Bereiche sind die Individualgüter, die das Grundgesetz dem einzelnen kraft seines Menschseins gegeben hat; die Grundrechte konkretisieren die Rechtssphären, die der Staat zu achten, aber auch zu schützen hae S4 • Nun folgt aus alledem sicherlich noch nicht zwingend eine Auslegung, die den Grundrechten eine Schutzpflicht zuweist. Es sind eine ganze Reihe anderer Deutungen möglich, die die grundrechtliche Asymmetrie des Dreiecksverhältnisses vermeiden würdenISS. Eins steht jedoch fest: status negativus und Schutzpflicht zusammengenommen beschreiben die dargestellte Dreieckssituation. Die grundrechtliche Schutzpflicht zeichnet als dogmatischer Schenkel einen Teil des realen Dreiecks Staat-Störer-Dritter nach, sie ist die Gegenleistung für das staatliche Gewaltmonopoll56. Ohne also letztlich klären zu müssen, was Freiheit bedeutet, ergibt sich aus obiger Betrachtung, daß ohne die Schutzpflicht dogmatische Mißverhältnisse entstehen, die durch sie - ohne auf Einzelheiten eingehen zu können - beseitigt oder zumindest weitgehend kompensiert werden würden.

v. Zusammenfassung Eine an den herkömmlichen Interpretationskriterien orientierte Auslegung ergibt, daß den Grundrechten grundsätzlich eine staatliche Schutzpflicht gegenüber privaten Beeinträchtigungen als allgemeine Funktion entnommen werden kann. Wortlaut und systematischer Zusammenhang der Grundrechtsbestimmungen legen ein solches Ergebnis bereits nahe. 152 Isensee, 153 Isensee,

Grundrecht, S. 23f; Murswiek, Verantwortung, S. l02ff. Grundrecht, S. 46.

Verantwortung, S. 107f. Vgl. die oben § 10 dargestellten Versuche.

1S4 Murswiek, 155

156 Dabei muß bereits hier festgehalten werden, daß die Konturen und Inhalte der Schutzpflicht unterschiedlich bestimmt werden müssen, je nachdem gegen welche staatliche Gewalt sie sich richtet; dazu näher unten § 16 11.

154

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Eine Untersuchung der grundrechtlichen Ideengeschichte zeigt, daß in der Frühzeit der historischen Entwicklung die Schutzkomponente zumindest gleichwertig neben der Abwehrkomponente stand; zwar rückte diese Funktion in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr in den Hintergrund. Für die Bonner Grundrechte ist jedoch von besonderer Bedeutung, daß deren naturrechtliche Herkunft vom Verfassungsgeber gesehen und in das Grundgesetz rezipiert wurde. Die teleologische Auslegung bestätigt schließlich die Verortung einer allgemeinen Schutzpflicht in den Grundrechten. Vor allem die Garantie der Menschenwürde und die Grundentscheidung der Verfassung für den Schutz materieller Freiheit lassen eine auf den bloß negatorischen Charakter reduzierte Sicht der Grundrechte nicht zu.

§ 15: Die Schutzpflicht als allgemeine Grundrechtsfunktion

I. Dogmatische Einwände gegen eine allgemeine

gmndrechtliche Schutzpflicht

Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß in Rechtsprechung und Literatur die Existenz einer grundrechtlichen Schutzpflicht im Grundsatz anerkannt wird. Trotzdem findet sich teilweise noch Kritik.

1. Die Schutzpflicht als zusätzliche Eingriffslegitimation a) Als Haupteinwand wird von den Gegnern der Schutzpflicht, oder wenigstens ihrer Ausweitung, vorgetragen, daß über diese Grundrechtsfunktion eine unterschwellige Umwandlung der Grundrechte in Grundpflichten erfolgen könnte, indem dem Staat eine zusätzliche und verstärkte Eingriffslegitimation an die Hand gegeben würde. Die Aufgabe der Grundrechte, Freiheit zu sichern, verkehrte sich dadurch in ihr Gegenteil1S7• lS7 So v. a. GOl!rlich, NJW 1981, 2616; dm., DÖV 1982, 631, 632; Mülll!r, NJW 1979, 2378, 2379. Tendenziell ähnlich Denningl!r, in: AK, GG-Komm, vor Art. 1, Rz. 34; dl!rs., KritV 1986, 291, 297; Heinz, DÖV 1978, 398, 400; HOhmann, Der Staat 27 (1988), 589, 592f; Rauschning, DVBI. 1980, 831, 833; Soell, ZfA 1981,509, 513f; Thiele DÖV 1979, 236, 242, und die abw. M. der Richter Rupp-v. Brüneck und Simon, in: BVerfGE 39, 68, 73f. Bedenken im übrigen auch schon bei Forstho/f, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 151.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grund rechtlichen Schutzpflicht

155

b) Diese Gefahr bestünde tatsächlich, wenn die Schutzpflicht zu Eingriffen legitimieren würde, die die Grundrechte der "Störer" übermäßig belasten würden. Das ist aber nicht der Fall. Die Schutzpflicht wendet sich in erster Linie an den Gesetzgeber, er übernimmt die Ausformung der (positiven) Freiheit, die die Schutzpflicht verlangess . Das Gesetz unterliegt aber als Eingriff den Schranken des Grundrechts, das der "Störer" für sich in Anspruch nehmen kann, insbesondere auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Eine zusätzliche materielle Eingriffslegitimation kann der Schutzpflicht also nicht entnommen werden i59 • Die Schutzpflicht ist Anlaß, aber nicht Befugnis zum Eingriff. Dies scheint allerdings bei gesetzgeberischen Eingriffen in vorbehaltlos gewährte Grundrechte anders zu sein, da hier die grundrechtliehe Schutzpflicht als ein mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswert die Beschränkung erst ermögliche 60• Dieses Argument hat aber seinen Ursprung wieder in der einseitigen, bloß abwehrrechtlichen Charakterisierung der Grundrechte. In Wirklichkeit hat in diesem Fall die Verfassung selbst bereits das "schrankenlose" Grundrecht eingeschränke 61 • Der Gesetzgeber zieht diese (Trennungs-)Linie lediglich nach und wird dabei vom Bundesverfassungsgericht insoweit in vollem Umfang überprüft. Auch hier also keine zusätzliche Befugnis, auch hier ist der Staat allen sich aus der Verfassung ergebenden Bindungen unterworfen. 2. Die Zweipoligkeit der Grundrechte a) Ein weiterer grundsätzlicher Einwand gegen eine Verortung staatlicher Schutzpflichten in den Grundrechten setzt bei deren Funktion an l62 • Sie seien - so wird eingewandt - von vornherein auf das zweipolige Verhältnis NuR 1985, 205, 207; differenzierend Jarass, AöR 110 (1985), 363, 385. Hermes, Grundrecht, S. 208; lsensee, Grundrecht, S. 44ff; allgemein zur benachbarten Problematik der Grundpflichten Götz, VVDStRL 41 (1983), 7ff; Hofmann, VVDStRL 41 (1983),42, v. a. 68ff. 160 Vgl. zur Beschränkbarkeit ·schrankenloser· Grundrechte BVerfGE 30, 173, 193ff; 32, 98, 107ff; 47, 327, 367ff; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 258ff. ISS Soell,

159

161 Vgl. für viele Hesse, Grundzüge, Rz. 312; aus der Rspr. beispielsweise BVerfGE 12,1,4; 19, 135, 138. 162 Wichtigster Vertreter dieser Ansicht ist Schuppen, Grenzen, S. 4lff; ähnlich Ossenbühl, DÖV 1982,833, 836f; SChmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 208, 216, und die abw. M. der Richter Simon und Rupp-v. Brüneck, BVerfGE 39, 68, 7lf.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

freiheitsbeschränkender Staat - abwehrender Bürger zugeschnitten. Hier träfen lediglich "Gemeinschaftsbelange und grundrechtsbewehrte Einzelinteressen" aufeinander. Maßstab zur Bewältigung dieser Konstellation sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip. In diesem Fall ließe sich die Lösung "mit einem hohen Grad an Plausibilität als durch die Verfassung vorentschieden durch Interpretation ermitteln"I63. Grundrechtskollisionen verlangten hingegen nach konfliktlösender, eher politischer Gestaltungsfreiheit. Den Grundrechten könnten daher Lösungsdirektiven insoweit nicht mehr entnommen werden. b) Dieser Argumentation kann aber ebenfalls nicht gefolgt werden. Unstimmigkeiten finden sich vor allem an zwei Punkten l64 • Zunächst ist bereits die Unterscheidung einerseits Abwehr - also eindimensionales Freiheitsproblem - andererseits Schutz - also mehrdimensionales Freiheitsproblem - nur bedingt einleuchtend. Auf seiten der den Eingriff rechtfertigenden Interessen können durchaus neben öffentlichen auch private Belange einzelner stehen l65 , wobei hier fließende Übergänge möglich sind. Hinter fast jedem öffentlichen Interesse verbirgt sich die Summierung von privaten Belangen l66 • Aber auch bei dem den Eingriff abwehrenden Bürger können öffentliche Interessen zusätzlich dessen Position stärken l67 • Spätestens bei der Angemessenheitsprüfung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind also komplexe Wertungsvorgänge zu bewältigen, bei denen öffentliche und private Interessen gewichtet, gegeneinander abgewogen und zum Ausgleich gebracht werden müssen. In Wahrheit existiert also keine Trennlinie zwischen abwehr- und schutzbezogenen Fragestellungen, was die Vorentscheidung durch die Verfassung betrifft; die Instrumente und die inhaltlichen Direktiven bleiben dieselben. Schließlich ist es auch ganz allgemein betrachtet ungenau, wenn man von der "Dimensionalität des Freiheitsproblems" auf die Komplexität der zugrundeliegenden Fragestellungen schließen will. Es gibt rein abwehrrechtliehe Probleme, die zu tiefgreifenden dogmatischen Diskussionen geführt ha163

Schuppen, Grenzen, S.41.

164

Vgl. dazu eingehend Alay, Theorie, S. 424ff.

DVerfGE 49, 24, 53ff; 52, 214, 219f; Alay, Theorie, S. 424; Gal/was, Grundrechte, S. 62f; Seewald, Gesundheit, S. 92ff; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 457. 166 Für eine Verschränkung von öffentlichen und privaten Belangen Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, insbes. S. (i)ff, 525ff; Leisner, DÖV 1970, 217, 219f; Kopp, DayVDI. 1980,263,265; a. A. noch Dürig, FS für Nawiasky, S. 157, 172 FN 30. 167 Alay, Theorie, S. 425, unter Bezug auf BVerfGE 53,30, 57f. 165

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht

157

ben, während die Lösung einiger schutzrechtlicher Fragen verfassungsrechtlich auf der Hand liegtl68. II. Grundrechte ohne Schutzpflicht als Ausnahme

Nimmt man die bisher aufgeführten Argumente in ihrer Zusammenschau, so zeigt sich, daß die Pflicht des Staates, die Grundrechtsgüter zu schützen, eine ganz allgemeine, den Grundrechten schlechthin innewohnende Funktion darstellt. Diese Erkenntnis macht deutlich, daß viele Untersuchungen zur grundrechtlichen Schutzpflicht einen ungenauen Ausgangspunkt gewählt haben, nämlich das einzelne Spezialgrundreche~. Richtig ist dagegen, den umgekehrten Weg zu wählen und zu prüfen, welchen Grundrechten ausnahmsweise keine staatliche Schutzpflicht innewohnt. 1. Nur vom Staat "bedrohte" Grundrechte

Eine solche Ausnahme gilt nun selbstverständlich für die Grundrechte, die von privater Seite schon aus tatsächlichen Gründen keinen Beeinträchtigungen ausgesetzt sein können, weil sie ein Schutzgut enthalten, das sich einer Beeinflussung durch Dritte entzieht. Dies gilt in erster Linie und vorrangig für die justiziellen Grundrechte der Art. 101 Abs. 1 S. 1, Art. 102, Art. 103 Abs. 2 bzw. Abs. 3 und Art. 104 GG 170 • Wie sollte das Verbot der Todesstrafe, die nur durch den Staat verhängt werden könnte, durch Private beeinträchtigt werden. Dasselbe gilt für die Grundsätze des "nullum crimen sine lege" oder des "ne bis in idem". Nicht zu dieser Gruppe gehört aber jedenfalls Art. 4 GG 171 • 168 Afexy, Theorie, S. 426, der auf das Demonstrationsrecht einerseits und den Schutz vor Körperverletzungen durch Strafrechtsnormen andererseits hinweist. I~ Dies führt dann teilweise dazu, nur bestimmten Grundrechten und hier v. a. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Schutzpflicht zuzuweisen, vgI. Lücke, DÖV 1976, 289, 290, 293; Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 273; ähnlich Herzog, JR 1%9, 441, 444; Zuck, MDR 1987, 988, 989; wie hier dagegen Robbers, Sicherheit, S. 187; beiläufig auch Afexy, Theorie, S. 410. 170 Böcken!örde, in: Freiheit in der sozialen Demokratie, S. 77, 81; Robbers, Sicherheit, S. 187. Zu Art. 104 GG vgl. auch BVerfGE 10, 302ff. 171 Jeffinek, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. Hf, scheint dies jedoch anzunehmen; anders zurecht v. Mangoldt / Klein / Starck, GG.-Komm., Art. 4, Rz. 11, 17; vgl. auch die noch deutlichere Formulierung in Art. 135 S. 2 WRV.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

2. Schutzpflicht für das Eigentum? a) Problematisch scheint die Annahme einer Schutzpflicht auch bei der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zu sein. Man könnte nämlich argumentieren, daß durch die Befugnis des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums festzulegen, diesem insoweit "plein pouvoir" gegeben sei, den Umfang des grundrechtlichen Eigentumsschutzes selbst erst zu bestimmen. Mit dieser Defmitionsmacht des Gesetzgebers scheint eine von außen herangetragene Schutzpflicht in der Tat unvereinbar zu sein172• Diese Ansicht begegnet aber aus mehreren Gründen Bedenken. b) Der Gesetzgeber ist bei der normativen Formung dessen, was Eigentum sein soll, nicht völlig frei, sondern an bestimmte veifassungsrechtliche Direktiven gebunden. Nun ist es zwar keinesfalls so, daß das Grundgesetz von einem bestimmten, insbesondere zivilistisch geprägten Begriff eines umfassenden, quasi naturrechtlichen Volleigentums i. S. d. § 903 BGB ausgehen; vielmehr ist der Eigentumsschutz normgeprägt, Eigentum setzt begrifflich eine bestimmte rechtliche Ordnung voraus 174 , die der Gesetzgeber bereitstellen muß. Eigentum ist also nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze - seien sie privat- oder öffentlichrechtlich - gewährt 17S • Trotz dieses Befundes muß der Eigentumsbegriff aber aus der Verfassung selbst gewonnen werden176• Dies ist wohlgemerkt kein gedanklicher Zirkel. Das einfache, eigentumsgestaltende Gesetz hat die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis ebenso zu respektieren, wie es der Sozialbindung des Eigentums nach dem Maß der sozialen Funktion des konkreten Eigentums172 In diese Richtung gehen die Ausführungen von Broß, DÖV 1978, 283, 284f; ähnlich Thie/e, DÖV 1979, 236, 239f; Wasmuth, NVwZ 1988, 322, 323, jeweils zum Nachbarschutz aus Art. 14 GG. Ohne weiteres gehen von einer Schutzpflicht beispielsweise aus Soell, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S.3, 23, 25; Steiger, in: Grundzüge des Umwelt-

rechts, S. 21, 45. 173 So aber wohl die Rspr. des BGH, z. B. BGHZ 60, 126ff; BGH NJW 1978, 2290, 2291 (= der Vorlagebeschluß des BGH, aufgrund dessen die "Naßauskiesungs"-Entscheidung des BVerfG erging); Baur, NJW 1982, 1734ff; Jauemig, BGB-Komm., Vom. § 854, I. 3. Die Aussage des BVerfG, der Begriff des Eigentums sei so zu verstehen, wie ihn "das Bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben", BVerfGE 1, 264, 278; 11,64, 70; 19, 354,370, ist überholt; ausdrücklich Böhmer, DÖV 1982, 87, 88, der als Verfassungsrichter die eigentumsrechtliche Dogmatik des BVerfG entscheidend mitgeprägt hat. 174 Herzog, in: PS für Zeidler, S. 1415, 1418; dazu auch Majewski, Auslegung der Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht?, S. 103f.

175 BVerfGE 58, 300, 336; Leisner, DVBI. 1983, 61, 63; Papier, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 14, Rz. 38. 176 BVerfGE 58,300,335; Leisner, DVBI. 1983,61,64; Weyreuther, NuR 1980, 137, 138f.

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grundrecht lichen Schutzpflicht

159

objekts gerecht werden muß177• Bereichsweise kann sich die Pflicht des Gesetzgebers sogar stärker verdichten, so daß er eine verfassungsrechtlich relativ bestimmte Gestaltung der Rechtsordnung schuldet 178• An dieser Stelle braucht auf Einzelheiten allerdings nicht eingegangen zu werden 179 , da der oben dargestellte Befund für die Feststellung genügt, daß auch im Bereich des Art. 14 GG der Verfassung selbst materielle Leitlinien für eine Schutzverpflichtung zugunsten des Eigentums entnommen werden können. c) Im übrigen ist auch einigen anderen Grundrechten eine gewisse Normgeprägtheit nicht fremd. Zwar sind ihre Schutzobjekte teilweise der Tatsachenwelt entnommen und damit der Defmitionsmacht des Gesetzgebers weitgehend entzogen; man denke beispielsweise an das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder an die Freiheit der Meinungsäußerung, die jeglicher staatlicher Reglementierung in der Realität vorgegeben sind. Andere Schutzgüter verdanken aber ihre Existenz erst einer vorherigen rechtlichen Formung. Dies gilt insbesondere für Art. 16 Abs. 1 GG (Staatsangehörigkeit), Art. 9 Abs. 3 GG (Tarifautonomie) und Art. 6 Abs. 1 GG (Ehe)IBO. Mögen die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber quantitativ bedeutender sein als beim Eigentum, die qualitative Notwendigkeit einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieser Grundrechte bleibt die gleiche l8l •

177 Soel/, DVBI. 1983, 241, 243f; Wahl, NVwZ 1984, 401, 404; diese Sichtweise stützt sich auf eine kontinuierliche Rspr. des BVerfG, begonnen mit BVerfGE 21, 73, 82ff, und weitergeführt insbesondere mit BVerfGE 24, 367, 388ff; 45, 297, 324ff, und 58, 300, 335ff. 178 Vgl. Robbers, Sicherheit, S. 135, unter Hinweis auf BVerfGE 31,229,239,243, eine Entscheidung zum Urheber- und Patentschutz, in der festgestellt wird, daß Art. 14 GG grundsätzlich dem Urheber den Nutzen seiner Arbeit zuordne. 179 Interessant, hier aber nicht weiter zu verfolgen, ist auch die Konzeption verfassungsrechtlicher Direktiven des Eigentumsschutzes bei Herzog, in: PS für Zeidler, S. 1415, 1423ff, der auf den Wesensgehalt und die Rolle des Erwerbsgrundes hinweist. 180 Für Art. 16 Abs. 1 GG vgl. beispielsweise Herzog, in: PS für Zeidler, S. 1415, 1417; für Art. 9 Abs. 3 GG vgl. Isensee, NJW 1977, 545, 547; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 129; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 107f; für Art. 6 Abs. 1 GG vgl. Friauf, NJW 1986, 2995, 2601; Heyde, in: PS für Zeidler, S. 1429, 1430; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 97; Wahl, NVwZ 1984, 401, 405 FN 34; enger Lecheler, DVBI. 1986, 905, 906, 909; vgl. auch BVerfGE 31, 58, 68, und 53, 224, 245, mit jeweils schwächerer bzw. stärkerer Betonung der "Rechtserzeugtheit" des Ehebegriffs. Auch die Rundfunk- und Pressefreiheit enthält neben der negatorischen Komponente die Notwendigkeit einer einfach gesetzlichen Ordnung, vgl. BVerfGE 12, 205, 259f; 20, 162, 175; 57, 295, 320. 181 Die hier vertretene Auffassung muß deutlich von der Grundrechtssicht von Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 180ff, unterschieden werden, der alle Grundrechte institutionell deuten und diese Funktion der individuellen sogar eher überordnen will; dazu schon oben § 10 III.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Gerade die letztgenannte Vorschrift gewinnt im vorliegenden Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Trotz der Normprägung des Begriffs der Ehe hat der Verfassungsgeber selbst in Art. 6 Abs. 1 GG diesem Grundrechtsgut eine Schutzverpflichtung des Staates zur Seite gestellt. Daran wird deutlich, daß normative Ausgestaltungsbedürftigkeit des Schutzbereichs eines Grundrechts und Schutzpflicht keinesfalls unvereinbare Gegensätze darstellen. Zum einen ist der Gesetzgeber an - jeweils unterschiedlich intensive - verfassungsrechtliche (Schutz-) Vorgaben gebunden, zum anderen hat auch die Exekutive das jetzt einfachgesetzlich ausgeformte Grundrechtsgut allerdings gerade wegen der grundrecht/ich verorteten Pflicht zu schützenl82 • Normprägung und Schutzpflicht schließen sich daher ganz allgemein und insbesondere bei Art. 14 GG nicht aus. 3. Grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG?

In der Literatur zu grundrechtlichen Schutzpflichten sucht man häufig vergeblich eine Beschäftigung mit der Frage, ob denn auch die allgemeine Handlungsfreiheit eine solche Schutzpflicht enthalten könne; dieses Defizit resultiert vor allem aus der bereits angesprochenen, meist auf ein Spezialgrundrecht verengten Problemstellung der Arbeiten. Findet man jedoch Erwägungen zu dieser Frage, so münden diese meist in das Ergebnis, daß wegen seiner tatbestandlichen Offenheit aus Art. 2 Abs. 1 GG keine Schutzpflicht abgeleitet werden könne. Es sei unmöglich, vom Staat zu verlangen, er müsse jede denkbare menschliche Betätigung schützen; dies führe in ein Chaos l83 • Der einzelne könne nicht beliebige Interessen zu seinen eigenen machen und dafür grundrechtlich begründeten, staatlichen Schutz einfordern. Nun ist es sicherlich nicht so, daß eine fehlende Schutzpflicht bei Art. 2 Abs. 1 GG den im übrigen allgemeinen, alle anderen Grundrechte erfassenden Charakter dieser Figur in Frage stellen würde. Trotzdem muß die Rele182

Zu den verschiedenen Funktionen der Schutzpllicht je nach Adressat vgl. unten § 16 11.

SChwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 10; ablehnend auch Breuer, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 616; Jarass, NJW 1983, 2844, 2847; KIoepfer, Umwehrecht, S. 44; Seho/z, 183

JuS 1976, 232, 235; etwas offener dann ders., DB-Beil., 10/79, S. 17f; a. A. soweit ersichtlich nur Robbers, Sicherheit, S. 199ff. Soell, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S. 3, 23, bezeichnet das Problem als "klärungsbedürftig".

5. Kapitel: Begründung einer allgemeinen grund rechtlichen Schutzpflicht

161

vanz der Schutzpflicht für die allgemeine Handlungsfreiheit als ein entscheidendes Kriterium für das Verständnis und die Bedeutung dieser Grundrechtsfunktion angesehen werden l84 . Gerade das letzte der oben angeführten Argumente gegen eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG führt aber zur richtigen Behandlung dieses Problems. Der Bürger kann nicht bestimmte Verhaltensweisen bzw. Rechtsgüter kraft eigenen Willens über das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit zu verfassungsrechtlich geschützten Positionen machen. Umgekehrt muß vielmehr die Verfassung selbst bestimmen, was zu diesen besonders geschützten Positionen gehören soll. Dies hat sie zunächst mit dem Katalog der Spezialgrundrechte getan. Sollte es darüber hinaus aber möglich sein, aus dem Art. 2 Abs. 1 GG gegebenenfalls in Verbindung mit anderen Verfassungsbestimmungen abgegrenzte, den Spezialgrundrechten ähnliche, neue "Nominatfreiheiten" zu entwickeln, so hätten diese auch an der Schutzfunktion teil. An dieser Stelle soll die Behauptung ausreichen, daß dies möglich und in der Verfassungswirklichkeit auch schon durchgeführt wurde1&5. Auf welchem Wege und unter welchen Voraussetzungen eine solche Ausformung "neuer" Grundrechte geschehen kann, und vor allem, wer dazu berufen ist, soll erst im dritten Abschnitt dieser Arbeit am Beispiel des Rechts auf Erholung in Natur und Landschaft dargestellt werden. Vorerst bleibt festzuhalten, daß auch Art. 2 Abs. 1 GG unter bestimmten Bedingungen eine Schutzpflicht enthält, daß also das allgemeine Prinzip auch vor dem "Hauptfreiheitsrecht"l86 bestehen kann. III. Zusammenfassung

Die gegen eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht vorgebrachten Einwände vermögen also nicht zu überzeugen. Die Schutzpflicht stellt insbesondere keine zusätzliche materielle Eingriffslegitimation dar. Auch sind die Grundrechte nicht nur auf zweipolige Rechtsverhältnisse zugeschnitten; 184 Auch Robbers, Sicherheit, S. 195, ist der Auffassung, die grundrechtliche Schutzpflicht müsse sich "besonders an Art. 2 Abs. 1 GG legitimieren". 1&5 Vorerst soll ganz kursorisch auf das aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht, seit BVerfGE 13, 334, st. Rspr., vgI. z. B. BVerfGE 27, 1, 6; 34, 269, 281, oder auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, BVerfGE 65, 1, 4lff, hingewiesen werden. 186 Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1, Rz. 6.

Dimberger 11

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

vielmehr liegen den meisten staatlichen Aktivitäten letztlich mehrseitige Konstellationen zugrunde, auf die aus den Grundrechten Antworten abgeleitet werden müssen. Entgegen der herkömmlichen Vorgehensweise muß daher geprüft werden, welche Grundrechte ausnahmsweise keine Schutzpflicht enthalten. In erster Linie sind dies Gewährleistungen, deren Schutzgüter von privater Seite gar nicht beeinträchtigt werden können, wie z. B. die justizicllen Grundrechte. Demgegenüber ist Art. 14 GG trotz seiner Normgeprägtheit eine grundrechtliche Schutzpflicht zu entnehmen. Auch der allgemeinen Handlungsfreiheit korrespondiert - allerdings unter bestimmten Voraussetzungen - eine staatliche Schutzpflicht.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht • insbesondere für den Drittschutz § 16: Grundsätzliche Aspekte der grundrechtlichen Schutzpflicht

Nachdem nun feststeht, daß die Verpflichtung zum Schutz von Grundrechtsgütern durch den Staat gegen private Beeinträchtigungen ein den Grundrechten allgemein innewohnender Bedeutungsgehalt ist, stellt sich sofort die Frage, inwieweit diese Funktion Auswirkungen für den Drittschutz gewinnen kann.

1. Anspruch auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen als Folge des Schutzstatus? Daß der Abwehrstatus der Grundrechte zu einem Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen führt, wurde oben gezeigt. Man könnte nun annehmen, daß die gleiche Folge von einer Beeinträchtigung der Schutzfunktion der Grundrechte ausgelöst wird. Jede "Grundrechtstangierung" auch von privater Seite wäre dann einer objektiven Rechtskontrolle unterworfen). Diese Gleichsetzung von Abwehr- und Schutzfunktion ist aber nicht möglich. Dadurch würde die oben begründete Unterscheidung zwischen privat vermittelten und staatlich unmittelbaren Eingriffen wieder beseitigt, so daß alle Einwände, die gegen eine strikt effektbezogene Charakterisierung der Grundrechtsgeltung vorgebracht werden, in gleicher Weise gelten. Insbesondere würde ignoriert, daß eben auch auf seiten der angegriffenen Maßnahme Grundrechte stehen. Zudem taucht auch hier wieder die Gefahr eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruches auf. Die oben herausge) In diesem Sinne aber Hofmann, UPR 1984, 73, 82; Papier, in: Bitburger Gespräche 1981,

S. 81, 95.

164

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

arbeitete Differenzierung der beiden Grundrechtsfunktionen wurde ja gerade unter dem Gesichtspunkt getroffen, daß bei privatverursachten Beeinträchtigungen der herkömmliche Abwehrmodus der Grundrechte nicht zu angemessenen Problemlösungen führen würde. Il. Funktionsbereiche gnmdrechtlicher Schutzpflichten

1. Schutzpflicht und Gesetzgeber

Um zu einer richtigen Behandlung der Schutzfunktion der Grundrechte für den Bereich des Drittschutzes zu gelangen, ist es notwendig, einen Blick auf die allgemeine Bedeutung der Schutzpflicht zu werfen. a) Eine erste Annäherung soll dadurch versucht werden, daß die Schutzfunktion in ihrem Gegensatz zur Abwehrfunktion betrachtet wird. Abwehr hat als Ziel durchweg die Unterlassung einer Handlung oder Beeinträchtigung2 • Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat einzusetzen - und nur der Staat ist ja Adressat der Grundrechte - bedeutet also eine Unterlassung des Staates anzustreben. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob es nun um eine Maßnahme der Legislative - ein Gesetz -, der Exekutive - beispielsweise einen belastenden Verwaltungsakt - oder der Judikative - ein Urteil - geht, immer ist logisch eine Handlung des Staates Voraussetzung, um das Abwehrrecht zu aktivieren. Ganz anders bei der Schutzpflicht; hier wird aus dem Abwehrrecht gegen Eingriffe staatlicher Organe eine Pflicht zur Eingriffsabwehr durch diese Organe3 • Im Vordergrund steht also keine Unterlassung des Staates, sondern in erster Linie aktives Tun im weitesten Sinne. Dies bedeutet gleichzeitig, daß das Schutzmittel je nach Adressat und den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterschiedlich sein muß. Von der Gesetzgebung wird die Pflicht durch den Erlaß normativer Schutzregelungen erfüllt, bei Exekutive und Legislative kann sich der Schutz weitgehend nur in der Anwendung dieser Gesetze realisieren. Eine Ausnahme könnte dort gelten, wo der Gesetzgeber keine oder nicht ausreichend Normen zur Verfügung gestellt hat. Die Schutzgewährung durch Exekutive und Judikative muß hier 2 Vgl. zur normlogischen Struktur der Abwehrrechte die sehr instruktive Darstellung von Alexy, Theorie, S. 174ff. 3 Herdegen, in: Gegenwartsfragen des Offentliehen Rechts, S. 161, 176.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

165

aber die äußerste Ausnahme bleiben, da Schutzgewährung im Regelfall eine Grundrechtseinschränkung desjenigen bedeutet, demgegenüber Schutz begehrt wird4 • Vorrangig ist also Adressat der grundrechtlichen Schutzverpflichtung der Gesetzgebel. b) Diese grundrechtlich verortete Schutzpflicht verlöre jedoch dann ihre Bedeutung völlig, wenn folgende Annahme zuträfe: der Gesetzgeber sei, wenn er Regelungen erlasse, die private Beziehungen untereinander beträfen, an Grundrechte überhaupt nicht gebunden, müsse also auch eine grundrechtliche Schutzpflicht nicht berücksichtigen. Diese Argumentation taucht vor allem bei der Privatrechtsgesetzgebung auf, wird aber auch auf das öffentliche Recht angewendet, soweit es sich um Regeln für drittrelevantes privates Verhalten handelt. Auf den ersten Blick scheint diese Auffassung im Ergebnis so abwegig zu sein, daß sich eine Beschäftigung mit ihr nicht lohnt. Jedoch ist die dazu führende Argumentation von so "augenscheinlicher Plausibilität,,6, daß jedenfalls ein kurzes Eingehen darauf erforderlich ist. Grundrechte - so wird eingewandt - bänden nur den Staat und nicht private Dritte; wenn dies aber so sei, dürften für den Gesetzgeber, soweit er das Verhalten der Staatsbürger untereinander regele, die Grundrechte ebenfalls nicht gelten, denn "andernfalls wäre er ja gezwungen, gegenüber dem Privatmann gerade jene Grundsätze durchzusetzen, an die dieser für sich genommen nicht gebunden ist,,7. Durch die Hintertür wäre damit im Ergebnis die Drittwirkung der Grundrechte eingeführt. Handgreiflichster Einwand gegen diese Auffassung ist zunächst Art. 1 Abs. 3 GG, aus dem sich die Bindung auch des Gesetzgebers an die Grundrechte ausdrücklich ergibt8 • Wollte man für Regelungen, die (auch) das Rechtsverhältnis von Privaten untereinander betreffen, eine Ausnahme zulassen, würde der Staat weitgehend von grundrechtlichen Zwängen befreit. Prinzipiell könnte der Gesetzgeber alles anordnen, was sich zugunsten 4 Dies ist aber jedenfalls wegen des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes im allgemeinen nicht möglich. Ein Beispiel bietet die wohl zu weit gehende Rechtsprechung des BGH im Fall der Schmerzensgeldgewährung beim Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht, vgl. BGHZ 26, 349, 354ff; 39, 124, 13Off; BVerfGE 34,269, 279ff. S Soell, NuR 1985, 205, 207. 6 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 176. 7 Herzog, JR 1%9, 441, 443; ähnlich Bettermann, Hypertrophie, S. 6. 8 Insoweit anders Grabitz, Freiheit, S. 48.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

von Privaten auswirkte, selbst wenn dies andere Private belastete. Und Verwaltung und Gerichte müßten diesem Recht zur Durchsetzung verhelfen, ohne grundrechtliehe Einwände berücksichtigen zu können9 • Ein solches Szenario führt schon allein eine eingeschränkte Grundrechtsbindung ad absurdum. Dieses eher praktische Argument wird durch ein rechtliches ergänzt. Art. 1 Abs. 3 GG bedeutet eben nicht, daß der Gesetzgeber so verfahren müßte, als gälten die Grundrechte auch unter PrivateniO • Vielmehr hat er sich bei seinen Regelungen nur so zu verhalten, daß er die Freiheitsbereiche der Betroffenen jeweils nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, gleichzeitig aber den Grundrechtsgütern ausreichend Schutz gewährt. c) Der Gesetzgeber wird also dann seiner Schutzpflicht gerecht, wenn er rechtliche Regelungen bereitstellt, die die grundrechtlichen Freiheiten der Bürger möglichst weitgehend zur Entfaltung kommen lassen. Diese Normen stellen Abgrenzungen der jeweils zunächst unbeschränkt gedachten, individuellen Grundrechtssphären dar. Grundrechtskollisionen ll werden unter Beachtung von Optimierungsgrundsätzen harmonisiert und miteinander zum Ausgleich gebracht. Damit wird die Bedeutung der Grundrechte in diesem Bereich klar. Soweit für einen bestimmten Lebenssachverhalt, einem Grundrechtskonflikt, grundrechtlich geschützte Güter gefährdet oder beeinträchtigt werden und zur Lösung dieses Konflikts keine oder nicht genügend12 rechtliche Regelungen zur Verfügung stehen, hat der Gesetzgeber die Pflicht, tätig zu werden. Dabei steht ihm naturgemäß ein weiter Gestaltungsspielraum zu, mit welchen Mitteln er den Freiheitskonflikt lösen bzw. wo genau die Trennlinie zwischen den Freiheitssphären verlaufen soll13. Erläßt der Gesetzgeber dann eine entsprechende Norm, so stellt diese Maßnahme für diejenigen, deren Grundrechtsbereich geschmälert wird, eIßen Eingriff dar und aktiviert den Abwehrmodus der Grundrechtel4 • 9

Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 236; ders., AöR 100 (1975), 442, 444 FN 8a. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 177.

10

11 Der Terminus "Grundrechtskollision" ist sprachlich deshalb ungenau, weil staatsgerichtete Grundrechte rein begrifflich nicht miteinander kollidieren können; vgl. schon Kloepfer, Entstehenssicherung, S. 20 FN 82; genauer wäre es, von "Freiheitsbereichskollision" zu sprechen. Wegen der Griffigkeit des Begriffs und seiner weiten Verbreitung mag er trotzdem Verwendung finden. 12 Die Pflicht des Gesetzgebers zur Nachbesserung ist weitgehend anerkannt; vgl. z. B. BVerfGE 25, 1, 13; 49, 89, 13Of; 56, 54, 78f; Roßnagel, JZ 1985, 714, 715. 13 Soell, NuR 1985, 205, 207. 14 Vgl. BVerfGE 56,54,71.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

167

d) Ein Beispiel mag den Mechanismus dieses Instrumentariums verdeutlichen. Gesetzt es gäbe keine rechtliche Regelung, die sich mit der Immission gefährlicher Stoffe durch Industriebetriebe befassen würde. Dann würden sich die als (noch) unbegrenzt aufzufassenden Freiheitsbereiche der Betroffenen überschneiden. Der Schutzbereich der Grundrechte des Emittenden stößt an den Schutzbereich des Nachbarn, der von seiner ebenfalls grundsätzlich unpräformierten Freiheit her jede Immission nicht zu dulden brauchte, sei es über Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 14 oder auch Art. 2 Abs. 1 GG; eine Situation, die offensichtlich einer rechtlichen Regelung bedarf. Hier greift die Schutzpflicht des Gesetzgebers ein. Die Grundrechtsgüter "Gesundheit" bzw. "Eigentum" des belasteten Nachbarn, aber auch das Grundrechtsgut "Eigentum" des Emittenden verlangen Schutz. Der Erlaß einer Regelung bedeutet aber für beide Seiten einen Eingriff, da danach zum einen der Anlagenbetreiber Emissionsbegrenzungen, der Nachbar ein bestimmtes Maß an Immissionen hinnehmen muß. Trotzdem würde die Abwehrfunktion der Grundrechte gegen diesen legislativen Eingriff allein nicht ausreichen, da die Reaktion auf den Abwehranspruch nur die Unterlassung der Regelung wäre, also die Wiederherstellung des ursprünglichen Grundrechtskonflikts. Daraus folgt, daß derjenige, der gegen eine übermäßig belastende Grenzwertfestsetzung vorgeht das kann der immissionsbelastete Nachbar, aber auch der Anlagenbetreiber sein - nicht nur abwehrt, sondern gleichzeitig Schutz in Form einer neuen, andersgearteten Grenzziehung begehrt. Diese Grundkonstellation wird in der Praxis deshalb kaum deutlich, weil im Normalfall ein neues Gesetz grundrechtliche Freiheiten nicht erstmals voneinander scheidet, sondern nur bereits vorhandene normative Bedingungen umgestaltet. Dabei wird - anders als bei der gedachten rechtlichen "Urregelung" - nur eine der an dem Grundrechtskonflikt beteiligten Parteien belastet, z. B. bei einer Verschärfung der Grenzwerte der Betreiber einer Anlage. Diesem genügt die Abwehrfunktion der Grundrechte, da durch Unterlassen der Neuregelung der rechtliche Altzustand restauriert würde. Und umgekehrt geht es, wenn bestehende rechtliche Regelungen zur Harmonisierung von Grundrechtskonflikten, also zum Schutz von Grundrechtsgütern, nicht (mehr) ausreichen, lediglich um die Schutzfunktion der Grundrechte, also beispielsweise wenn die Nachbarn die bestehenden Grenzwerte für zu hoch halten.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

2. Schutzpflicht und Exekutive bzw. Legislative Aber nicht nur der Gesetzgeber, auch die Verwaltung und die Rechtsprechung sind Adressaten der grundrechtlichen Schutzpfliche5• Dies ergibt sich schon aus Art. 1 Abs. 3 GG. Wenn - wie gezeigt - die Schutzpflicht eine allgemeine Grundrechtsfunktion darstellt, haben alle staatlichen Gewalten diese in gleicher Weise zu berücksichtigen. Im übrigen müssen die dem Schutz dienenden Gesetze auch vollzogen werden. Daraus folgt, daß auch Behörden und Gerichte an die Schutzverpflichtung gebunden sind l6 • Dieser Pflicht werden sie in erster Linie durch Anwendung der grundrechtsschützenden Gesetze gerecht. Insbesondere bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, bei der Ausübung des Ermessens 17 und bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips spielt die grundrechtliche Schutzpflicht als Direktive eine erhebliche Rolle. Verwaltung und Rechtsprechung haben im Einzelfall die vom Gesetzgeber in abstracto gefundene Kollisionslösung zu konkretisieren und den Konflikt der betroffenen grundrechtlichen Schutzgüter möglichst harmonisch zum Ausgleich zu bringen. Die grundrechtliche Schutzpflicht hat aber in diesem Bereich nicht nur Bedeutung dafür, wie eine Vorschrift angewendet wird, sondern auch daß sie richtig angewendet wird. Nun mag man einwenden, daß diese Funktion überflüssig sei, da nach Art. 20 Abs. 3 GG Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden, also sowieso verpflichtet seien, das gesamte geltende Recht zu beachten. Die grundrechtliche Schutzpflicht - und dies ist der entscheidende Punkt für den Drittschutz - bewirkt aber, daß neben das objektive Prinzip der Bindung an das Gesetz, die subjektiv öffentliche Berechtigung des einzelnen tritt, die Anwendung einer bestimmten Vorschrift gegenüber Behörden und Gerichten verlangen und durchsetzen zu können. Die Norm des einfachen Gesetzes wird zum subjektiv öffentlichen Reche 8 •

15 A. A. eindeutig Scherzberg, Jura 1988,455,456; Steinberg, NJW 1984,457,459; wohl auch Müller, NJW 1979, 2378, 2379; Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 836f. 16 Murswiek,

WiVerw 1986,179, 197ff; Robbers, Sicherheit, S. 125.

Einen Beispielsfall erwähnt Soell, NuR 1985, 205, 207; vgl. auch Grabitz, Freiheit, S. 18; Steiger, Mensch, S. 59. 17

18 Eine Verbindung zwischen Drittschutz und Schutzpflicht sieht auch Murswiek, WiVerw 1986, 179, 200, allerdings ohne auf dogmatische Einzelheiten einzugehen.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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IIl. Die "Resubjektivierung" der grundrechtlichen Schutzpflicht

1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Die gerade angesprochene Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht muß den Kenner der Rechtsprechung und der h. M. überraschen. Die Schutzpflicht wird ganz allgemein als jedenfalls primär objektiv-rechtlich verstanden. Wie soll eine objektiv-rechtliche Grundrechtsfunktion eine einfachgesetzliche Norm zu einem subjektiv öffentlichen Recht des einzelnen transformieren können? Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage nach dem subjektivrechtlichen Charakter der grundrechtlichen Schutzpflicht lange Zeit nicht eindeutig beantwortee9 • Die Entscheidungen, die sich mit der allgemein, vor allem aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableitbaren Schutzpflicht befassen, sind allerdings von der Zweiteilung der Grundrechtsfunktionen in ein subjektives Abwehrrecht und objektivrechtlichen Schutzpflichten beherrscht und stehen einem subjektiv öffentlichen Recht eher skeptisch gegenüber2O • Nichtsdestoweniger geht das Gericht bezüglich Schutzpflichten aus Art. 1 bzw. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG ganz unbefangen von korrespondierenden Ansprüchen aus21 • Daraus folgt zwar einerseits, daß Schutzansprüche keine Fremdkörper in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darstellen; andererseits kann daraus aber auch eine gewisse Abneigung hinsichtlich des subjektiven Charakters der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht abgeleitet werden. Wenig aussagekräftig ist hingegen das Argument, das auf die Behandlung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden bei einigen Schutzpflichtentscheidungen hinweist 22• Das Bundesverfassungsgericht 19 Vgl. die Analysen der Rspr. bei Alexy, Theorie, S. 41lff, und sehr eingehend Robbers, Sicherheit, S. 13Iff. Zu Unrecht interpretiert Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 8, die Entscheidungen des Gerichts dahingehend, daß der objektiven Schutzverpflichtung ein subjektives Schutzrecht entspreche. 20 BVerfGE 49, 89, 140; 53, 30, 57; 56, 54, 73; BVerfG NJW 1983, 2931. Ausdrücklich offengelassen wurde die Frage von BVerfGE 39, 1, 4lff, obwohl sich dort die aber wohl nur nebenbei verwendete Formulierung "Recht des Ungeborenen" findet, a. a. 0., S. 50. 21 Vgl. BVerfGE 45, 187, 239: Anspruch auf Resozialisierung; BVerfGE 37, 121, 125; 55, 157f: Anspruch auf Mutterschutz; zuletzt BVerfGE 76, 1, 49ff: Berücksichtigung von ehelichen und familiären Bindungen beim Familien- und Ehegattennachzug. 22 So z. B. BVerfGE 46, 16Off: Verfassungsbeschwerde zulässig; BVerfGE 53,30, 48ff: Verfassungsbeschwerde zulässig; andererseits BVerfGE 56, 54, 70ff: Zulässigkeit wird nicht abschließend geprüft.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

nimmt in ständiger Rechtsprechung für sich die Befugnis in Anspruch, im Rahmen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde unabhängig von subjektiven Rügebefugnissen seine Entscheidung auch auf den Verstoß gegen bloß objektives Verfassungsrecht zu stützen23 • Neuerdings scheint sich das Bundesverfassungsgericht aber eindeutig für einen subjektiven Charakter der Schutzpflicht entschieden zu haben, allerdings nur bei ihrer evidenten Verletzung24 • 2. Der Ursprung des objektiv-rechtlichen Verständnisses der grundrechtlichen Schutzpflicht Die richtige Antwort auf die Frage nach der "Resubjektivierung" der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht setzt bereits bei ihrer Prämisse an. In Wirklichkeit handelt es sich bei der grundrechtlichen Schutzpflicht gar nicht um ein lediglich objektiv-rechtliches Instrument, sondern wie beim Abwehrrecht um eine subjektive Berechtigung, die dem einzelnen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch einräumt. Um diese These zu belegen, muß zunächst danach geforscht werden, woher die Einordnung der Schutzpflicht als nur objektives Recht rührt. Dabei trifft man vor allem auf Unbehagen, was ein subjektives Recht gegenüber dem Gesetzgeber ganz allgemein betrifft2S• Zwei Argumente werden in diesem Zusammenhang genannt: die Erfüllung der Schutzpflicht stehe im Ermessen des Gesetzgebers; in Ermangelung konkreter, aus der Verfassung zu entwickelnder Maßstäbe und Direktiven könne es einen justiziablen Anspruch gegen den Gesetzgeber nicht geben26• Darüber hinaus würde ein 23 Robbers, Sicherheit, S. 133; die Argumentation von Alexy, Theorie, S. 412f, überzeugt demgegenüber nicht. 24 BVerfGE 77, 170, 214; in der abw. M. des Richters Mahrenholz erging diese Entscheidung insoweit bereits "in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts", a. a. 0., S. 235.

2S Dies dürfte mit der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Ansicht zusammenhängen, daß es keinen Anspruch auf Normerlaß geben könne. Diese Auffassung kann wohl mittlerweile als überwunden bezeichnet werden, vgl. Henke, DÖV 1984, 1, 10; Lerche, AöR 90 (1965), 341,350ff. 26 Vgl. z. B. Isensee, Grundrecht, S. 50; Klein, FS für Weber, S. 643, 652; Rupp, JZ 1971, 401, 402f; ders., Wirtschaftsverfassung, S. 12ff; Sailer, DVBI. 1976, 521, 529; Seholz, DB-Beil. 10/79, S. 16; ders., JuS 1976, 232, 236. Diese Autoren räumen dem einzelnen allenfalls in extremen Ausnahmesituationen ein Klagerecht ein. Vgl. demgegenüber Soell, NuR 1985, 205, 207f, der die Bindung des Gesetzgebers an eine ganze Reihe von Direktiven betont.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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grundrechtliches Recht auf Schutzgewährung die Kompetenzabgrenzung zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgerichtsbarkeit verschieben und letztlich gegen gewaltenteilerische Grundsätze verstoßen27• Beide Argumentationslinien meinen im Grunde genommen dasselbe. Ohne bindende, justiziable Verfassungsaufträge bleibt der Schutz von Grundrechtsgütern eine politische Aufgabe, der zwar eine Verpflichtung, insbesondere des Gesetzgebers, keinesfalls aber ein gerichtlich durchsetzbares Recht des einzelnen korrespondieren könne. Es wäre vorschnell, demgegenüber einzuwenden, daß das hier behandelte Problem nur die Bedeutung der Schutzpflicht zur Versubjektivierung einfachen Rechts bei dessen Anwendung betreffe. Zwar sind die oben angesprochenen Argumente auf der Ebene von Verwaltung und Gerichten nicht einschlägig; die Qualität einer Grundrechtsfunktion ist aber nicht teilbar28, so daß sich die Behauptung, grundrechtliche Schutzpflichten gewännen Bedeutung bei der Beurteilung und Zumessung subjektiv öffentlicher Rechte, auf dem Prüfstand des Anspruchs gegen den Gesetzgeber bewähren muß. Beschäftigt man sich aber mit den erwähnten Einwänden genauer, so zeigt sich, daß sie einem subjektiv öffentlichen Recht nicht im Wege stehen. Die Argumentation ist schon insoweit angreifbar, als sie von einer "überschießenden" Tendenz des objektiven Rechts ausgeht29 • In diesem Sinne muß wohl auch das Bundesverfassungsgericht verstanden werden, das bei Verfassungsbeschwerden gegen gesetzgeberisches Unterlassen erst dann eingreifen will, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletzt hat 3O • Diese Position ist aber inkonsequent. Wenn eine Pflicht des Gesetzgebers existiert und aus der Verfassung abgeleitet werden kann, dann kann auch ihre geringfügige Verletzung vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft werden, ja muß es sogar, wenn es im Rahmen eines objektiven Kontrollverfahrens angerufen wird, beispielsweise einer konkreten Normenkontrolle3!. 27 Hesse, FS für Huber, S. 261, 270; Steinberg, NJW 1984, 457, 461; ähnlich auch Manens, VVDStRL 30 (1972), 7, 35ff; Ridder, DuR 1978, 42, 44; für den Nachbarschutz Thie/e, DÖV 1979, 236, 241. 28 So wohl Badura, FS für Eichenberger, S. 481; ausdrücklich Hermes, Grundrecht, S. 209; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205, 217; a. A. Steinberg, NJW 1984, 457, 459. 29 Vgl. Häher/e, VVDStRL 30 (1972), 43, 122, 186f, einerseits und Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 205ff, andererseits. 30 Vgl. beispielsweise BVerfGE 56, 54, SO. 31 Die Normenkontrolle dürfte auch dann zulässig sein, wenn eine Norm deshalb als verfassungswidrig angesehen wird, weil sie der Nachbesserung bedarf.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Es ist kaum einsehbar, eine Überprüfungsmöglichkeit wegen einer grundrechtlichen Schutzpflicht gerade demjenigen zu versagen, der Träger des entsprechenden Schutzguts ist. Das bedeutet, daß die Argumentation mit der mangelnden Konkretheit einer grundrecht lichen Schutzpflicht kein Spezifikum des subjektiven Rechts ist, sondern bereits das Bestehen der Pflicht selbst betrifft. Verfassungsrechtliche "Naturalobligationen" stellen in einem System lückenloser Verfassungsgerichtsbarkeit jedenfalls einen Fremdkörper dar, dessen Existenz einer besonderen Rechtfertigung bedarf2• 3. Die identische Situation von Achtungs- und Schutzpflicht in bezug auf ihre J ustiziabilität a) Nun ist mit der Feststellung, daß die Schwierigkeiten bei der Justiziabilität kein Problem der Subjektivität der Schutzpflicht sind, wenig gewonnen, wenn man zwar einräumt, Pflicht und Recht seien kongruent, die Verpflichtung des Gesetzgebers entspreche aber gerade deswegen keiner "Pflicht" in diesem Sinne, sondern müsse eher als politische Aufgabe verstanden werden. Es ist also unumgänglich, sich mit den Argumenten der Ansicht genauer auseinanderzusetzen, die dem subjektiven Charakter der grundrechtlichen Schutzpflicht ablehnend gegenüberstehen. Dabei soll noch einmal das Bundesverfassungsgericht zu Wort kommen33 : Ein Anspruch auf gesetzgeberisches Tätigwerden bestehe nur dann, "wenn sich der Beschwerdeführer auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im wesentlichen bestimmt". Diese Voraussetzung sei nicht gegeben, wenn der Gesetzgeber es unterlassen habe, "solchen Handlungs- und Schutzpflichten nachzukommen, die erst im Wege der Verfassungsinterpretation aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen herleitbar sind .... Denn gerade hier hängt die Entscheidung, ob und mit welchem Inhalt ein Gesetz zu erlassen ist, von mannigfaltigen wirtschaftlichen, politischen und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten ab, die sich richterlicher Nachprüfung im allgemeinen entziehen". Während das Bundesverfassungsgericht einen Anspruch des Bürgers allerdings nicht völlig ausschließen, sondern in Ausnahmefällen anerkennen Grundrechtsdogmatik, S. 206. BVerfGE 56, 54, 70f.

32 Schwabe, 33

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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will, ist die Literatur teilweise konsequenter. Ein verfassungsgerichtlich durchsetzbares Recht des Bürgers, müsse abgelehnt werden. Es wecke Erwartungen, die vom Gericht enttäuscht würden, und schwäche damit die Glaubwürdigkeit und letztendlich auch die Geltungskraft der Verfassung, und es verwische die politische Verantwortung für die dem Gesetzgeber obliegende Wahrnehmung seiner Schutzpflichten34 • Und noch ein Beispiel für einen literarischen Nebelwurf, der die Sicht auf das eigentliche Problem erschwert: Der Anhänger eines Anspruchs auf legislatorische Aktivitäten "überschätzt nicht nur die 'Problemlösungskapazität' der Gerichte und der (Verfassungs)-Rechtsordnung", sondern er "verkennt vielmehr auch die ... sachstrukturellen Grenzen des Individualschutzes" und er "negiert die faktischen Zwangsmomente, die historischen und politischen Dimensionen sowie die komplexen und unentrinnbaren Verstrickungen" der jeweiligen Problematik3s• b) Obwohl dies selbstverständlich kein unüberwindliches Argument darstellt und möglicherweise seinerseits verfassungsrechtlich bedenklich sein mag, sei darauf hingewiesen, daß das Bundesverfassungsgericht häufig alle diese Bedenken beiseite schiebt und sehr wohl höchst komplexe, "rechtsgestaltende" Erwägungen anstellt. In Appellentscheidungen hat das Gericht dem Gesetzgeber mehrfach Vorgaben gemacht, die eine verfassungskonforme Norm zu berücksichtigen habe36• Man denke auch an die genauen "Anweisungen", die dem Gesetzgeber hinsichtlich der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs mit auf den Weg gegeben wurden37 • Und schließlich leitet das Gericht aus den Bestimmungen der Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5 GG, aber auch aus Art. 5 Abs. 3 oder Art. 19 Abs. 4 GG sehr wohl Gesetzgebungsaufträge ab, obgleich sich aus dem 34 Steinberg, NJW 1984, 457, 461; eindeutig gegen ein subjektives Recht neuerdings auch Karpen, in: Umweltschutz im Recht, S. 9, 15. 35 Breuer, DVBI. 1986, 849, 853; demgegenüber sei auf die klare und logische Problemdar-

stellung beiA/ery, Theorie, S. 420ff, verwiesen.

Vgl. dazu eingehend Rupp-v. Brüneck, FS für Müller, S. 355ff. BVerfGE 39, 1, 49ff. Es ist recht amüsant, die Argumentation des BVerfG zu verfolgen: Die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs sei bei einer Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit der Schwangeren verfassungsrechtlich gefordert. Im übrigen stehe "es dem Gesetzgeber frei", auch bei anderen außergewöhnlichen Belastungen, die ähnlich schwer wögen, den Schwangerschaftsabbruch straffrei zu lassen. Dann folgt die eingehende Aufzählung der ethischen, sozialen und Notlagenindikation nebst genauer Erläuterung, was darunter zu verstehen sei. In allen anderen Fällen - so das BVerfG - "bleibt der Schwangerschaftsabbruch strafwürdiges Unrecht"; insgesamt eine höchst merkwürdige Interpretation der "Freiheit" des Gesetzgebers. 36 37

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Wortlaut dieser Vorschriften kaum bestimmtere Direktiven ableiten lassen als aus den anderen Grundrechten38• c) Das Problem läßt sich also auf die Frage verdichten, ob sich der aus den Grundrechten entwickelten Schutzpflicht hinreichend bestimmte Leitlinien entnehmen lassen, die eine verfassungsgerichtliche Überprüfung ermöglichen. Sicherlich unterscheidet sich die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts, wenn es existierende Normen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin untersucht, von der Kontrolle gesetzgeberischen Unterlassens. Diese Unterschiede sind aber nicht so beschaffen, daß eine Justiziabilität von vornherein ausgeschlossen wäre. In beiden Fällen überprüft das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit einer Normsituation in bezug auf die Realität. Ausgangspunkt bleibt die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Grundrechtsgüter. Dieses grundsätzliche Ziel darf also auch vom Gesetzgeber nicht in Frage gestellt werden. Schwierigkeiten ergeben sich nur daraus, daß zum einen dem Gesetzgeber verschiedene Wege offenstehen, das Schutzziel zu erreichen, deren Eignung er überdies noch prognostizieren muß, und daß zum anderen die Erreichung des jeweiligen Schutzziels nicht absolute Priorität genießen kann, weil auch andere schützenswerte Verfassungsprinzipien berücksichtigt werden müssen. All dies ist aber kein Spezifikum einer Klage auf gesetzgeberisches Tätigwerden39 • Das Problem der Kontrolle gesetzgeberischer Prognoseentscheidungen findet sich naturgemäß auch bei Abwehrklagen, denn ein verfassungswidriger Grundrechtseingriff liegt sicher auch dann vor, wenn offensichtlich eine zur Zweckerreichung gleichgeeignete Maßnahme existiert, die aber das Grundrechtsgut des belasteten Beschwerdeführers weniger beeinträchtigt40 • Und genauso müssen bei der Abwehrfunktion der Grundrechte im Rahmen der Prüfung des Übermaßverbots Erwägungen zur Angemessenheit eines Gesetzes angestellt werden. Dies beinhaltet auch die Überprüfung der Abwägungs38 Vgl. BVerfGE 52, 357, 365ff; 55, 154, 157f; zur Hochschulorganisation BVerfGE 35, 79, 114f, 123ff; zum Justizgewährungsanspruch BVerfGE 36,264,275; dazu auch Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 273ff. 39 Murswiek, WiVerw 1986, 179, 192f; bezeichnend ist auch, daß das BVerfG zur Begründung des eingeschränkten Priifungsumfangs auf eine Entscheidung (BVerfGE 50, 290, 332 Mitbestimmung) verweist, der die Überprüfung eines Eingriffs zugrunde lag, BVerfGE 77, 170,214. 40 Vgl. beispielsweise BVerfGE 38, 61, 87f; 50, 290, 332f; eingehend zur "Einschätzungsprärogative" des Gesetzgebers Gerantas, BayVBI. 1981, 618ff; Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz I, S. 458ff; Stettner, NVwZ 1989, 806, 808f, jeweils m. w. N.

6. Kapitel: Die Funktion der grund rechtlichen Schutzpflicht

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entscheidung des Gesetzgebers, ob also in dieser bestimmten Situation einem Schutzgut der Vorzug gegenüber einem anderen gegeben werden durfte41 • Daß das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich im Sinne eines "judicial self restraint'042 agieren muß, soll nicht verhehlt werden. Allerdings ist diese Problematik eben keine Besonderheit bei gesetzgeberischem Unterlassen; es handelt sich vielmehr um die ganz allgemeine Frage verfassungsgerichtlicher Befugnis gegenüber dem Gesetzgeber, die für Abwehr- und Schutzbegehren in gleicher Weise beantwortet werden muß. Es mag zutreffen, daß sich beim Recht auf Schutz Abwägungs- und Prognoseprobleme im Durchschnitt häufiger stellen und ihre Lösung manchmal schwieriger ist, es läßt sich aber aus dieser eher statistischen Erwägung jedenfalls kein qualitativer Unterschied zwischen den beiden Grundrechtsfunktionen ableiten, so daß die Schwierigkeit der Justiziabilität kein Argument gegen ein subjektiv öffentliches Recht auf Schutz darstellt43 • Häufig44 wird es zwar dabei bleiben, daß das Bundesverfassungsgericht sich darauf beschränken muß, die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Normsituation lediglich festzustellen, während konkrete Maßnahmen dem Gesetzgeber - gegebenenfalls unter Beachtung bestimmter verfassungsrechtlicher Direktiven - überlassen bleiben müssen. Daß deshalb ein Anspruch des einzelnen auf diese Feststellung nicht bestehen soll, ist das grundlegende Mißverständnis der Lehre von der mangelnden Justiziabilität der Schutzpflicht. d) Nicht in dieses Bild paßt allerdings eine Formulierung in der bislang letzten zur grundrechtlichen Schutzpflicht ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nicht nur dem Gesetzgeber - heißt es da -, sondern auch der vollziehenden Gewalt stehe bei Erfüllung der Schutzpflichten

41

Vgl. z. B. BVerfGE 7,377, 406ff.

BVerfGE 36, 1, 14; damit wird die Justiziabilität "politischer" Entscheidungen nicht generell geleugnet, denn "Verfassungsstreitigkeiten sind immer politiSChe Streitigkeiten. In dieser Tatsache liegt das Problematische der ganzen Einrichtung", Triepel, VVDStRL 5 (1929), S. 2, 28 LS 2. Ob das BVerfG dabei auf eine absolute Evidenzkontrolle beschränkt ist, ganz eng z. B. BVerfGE 77, 170, 215, oder ob eine intensivierte inhaltliche Kontrolle, vgl. z. B. BVerfGE 7,377,415; 39,1, 5lff; 45, 187, 238, oder wenigstens eine erhöhte Kontrolldichte im Sinne einer Vertretbarkeitsprüfung möglich ist, vgl. BVerfGE 76, 1, 49ff, kann vorliegend dahinstehen; vgl. dazu Soell, Ermessen, S. 102f; das., ZfA 1981, 509, 525f; das., in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S. 3, 26. 43 Wie hier Alety, Theorie, S. 422ff, der die Argumentation normlogisch untermauert. 42

44 Eine Ausnahme gilt dann, wenn beim Gesetzgeber eine Ermessensreduzierung auf Null eintritt; vgl. BVerfGE 77,170,215.

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ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum ließe, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen, und der von den Gerichten nur in begrenztem Umfang überprüft werden könne45 • Weites Ermessen und begrenzte Kontrolle werden damit zum Spezifikum der grundrechtlichen Schutzpflicht. Ganz anders hat das Gericht in den frühen Entscheidungen die Frage der Schutzpflicht und das Problem des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums sauber voneinander getrennt46 • Dies ist auch richtig; der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers resultiert nicht aus dem Wechsel der Grundrechtsfunktion, dies schon deshalb, weil jedes schützende Gesetz in der Regel auch eingreift. Andererseits ist ebenfalls richtig, daß der Verwaltung die Aufgabe zukommt, Gesetze im konkreten Fall auszulegen und dabei - bei der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe, beim Ermessen und bei der Anwendung des Übermaßverbots - "konkurrierende öffentliche und private Interessen" miteinzubeziehen. Dieser "Gestaltungsspielraum" der Verwaltung, der im übrigen von den Gerichten im Grundsatz sehr wohl voll überprütbar ist, gilt aber im gesamten exekutivischen Bereich und hängt nicht davon ab, ob die Verwaltung eingreift oder schützt, zumal da - wie gezeigt - in polygonalen Verhältnissen in jeder Verwaltungsmaßnahme beides steckt. Ein darüber hinausgehender, spezifisch auf die Schutzpflicht bezogener Ermessensspielraum der vollziehenden Gewalt im Bereich der gesetzesakzessorischen Verwaltung existiert nicht47 • Eher wirkt die Schutzpflicht, wenn der Verwaltung vom Gesetzgeber ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde, im Gegenteil als Auslegungs- und Ermessensdirektive, als zusätzliche Bindung.

45 BVerfGE 77,170, 214f, mit bezeichnendem Hinweis auf BVerfGE 50,290,332, wo es gerade um den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum ging; bestätigt von BVerfGE 79,174,201. 46 Vgl. Z. B. BVerfGE 39, 1, 44; ganz eindeutig BVerfGE 56, 54, 81: Die "Begrenzung der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung erscheint deshalb geboten, weil es regelmäßig eine höchst komplexe Frage ist, wie eine positive staatliche Schutz- und Handlungspflicht ... durch aktive gesetzgeberische Maßnahmen zu verwirklichen ist ... Die Entscheidung ... gehört nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip in die Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers und kann vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt nachgeprüft werden" (Hervorhebungen vom Verf.). 47 Dezidiert auch Murswiek, WiVerw 1986, 179, 184; ein "politischer" Gestaltungsspielraum der Verwaltung, wie sie die Schutzpflicht zu erfüllen hat, liegt ausnahmsweise bei Entscheidungen der Regierung, wie sie beispielsweise im "Schleyer"-Fall (BVerfGE 46, 160ff) zu treffen waren, und bei der nicht gesetzesakzessorischen Verwaltung (vgl. BVerfG NJW 1987, 2287f - AIDS) vor.

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4. Subjektivität der Schutzpflicht als Folge des individuellen Charakters der Grundrechte Befreit vom Ballast der Fixierung der Problematik auf das gesetzgeberische Unterlassen und der Frage nach einem Recht auf Tätigwerden gegenüber dem Gesetzgeber läßt sich nun vorbehaltsfrei das Vorhandensein eines subjektiven Rechts auf Schutz untersuchen. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß die Grundrechte eine "objektive Wertordnung" darstellen, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beanspruche48 • Daß die subjektiven Abwehrrechte dieser Funktion entspringen, ist eine Selbstverständlichkeit. Dem subjektiven Abwehrrecht liegt die objektive Grundrechtsnorm49 zugrundeso. Aus eben dieser Grundrechtsnorm leitet sich aber nicht nur die staatliche Achtungspflicht, sondern auch die Schutzpflicht ab51 • Es ist daher zumindest merkwürdig, daß der einen Funktion ohne Begründung ganz selbstverständlich ein subjektiver Charakter zugemessen wird, während bei der anderen ein erheblicher Aufwand notwendig scheint52• In Wahrheit ist über die Subjektivität einer Grundrechtsfunktion überhaupt nichts ausgesagt, wenn auf ihren selbstverständlichen Ursprung in der objektiven Grundrechtsnorm verwiesen wird53 • Es geht also mit Sicherheit nicht um eine "Resubjektivierung" der Schutzpflicht, was implizieren würde, daß zunächst ein subjektives Recht vorgelegen hätte (das Abwehrrecht?), daraus eine objektive Komponente entwickelt worden wäre54 (das WertVgl. nur BVerfGE 7,198,205; 39, 1, 4lf. Objektives Recht wohlgemerkt nicht verstanden als Gegensatz zum subjektiven Recht, sondern als die gesamte bestehende Rechtsordnung, vgi. Enneccerus / Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 428; Scherzberg, DVBI. 1988, 129, 130. so Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 260; Scherzberg, DVBI. 1989, 1128, 1133; vgi. z. B. BVerfGE 6, 32, 40; 35, 79, 114; mißverständlich BVerfGE 6, 55, 72, wo Grundsatznorm und Abwehrrecht eher als sich entgegengesetzt dargestellt werden. 51 Zumindest mißverständlich das BVerfG, das zwischen "Grundrechte(n) oder objektivrechtliche(n), aus der Grundrechtsordnung henuleitende(n) Schutzpflichten" unterscheidet, BVerfGE 49,89, 140 (Hervorhebung vom Verf.). 52 Ähnlich Robbers, Sicherheit, S. 142f. 48

49

53 Eingehend dazu Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 286ff; vgl. auch Friesenhahn, Festvortrag, G 4. 54 Vgi. Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2101: Der "subjektiv-rechtlichen Komponente der Grundrechte hat das BVerfG schon recht früh eine objektiv-rechtliche Komponente hinzugefügt".

Dirnberger 12

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

system?, die Schutzpflicht?), die schließlich versubjektiviert werden müßte. Richtig ist eben, bei der sicherlich objektiven Grundrechtsnorm anzusetzen und die davon abgeleiteten Funktionen auf ihre Subjektivität hin zu untersuchen, wobei man wegen des grundsätzlich individuellen Charakters der Grundrechte von einer Vermutung zugunsten eines subjektiven Rechts auszugehen hat. Ein nochmaliger Blick auf die Grundrechtsgeschichte ruft in Erinnerung, daß Abwehr und Schutz gltichzubehandelnde Teile eines einheitlichen Rechts waren und sind. Es besteht keine Veranlassung, die Schutzpflicht als "Ausfaltung"SS des ursprünglichen grundrechtlichen Sinngehalts hinsichtlich der Subjektivität anders zu behandeln als das Abwehrrecht. Im Gegenteil muß die Diskussion um die Frage der Subjektivierung der Schutzpflicht vor diesem Hintergrund eher überraschen. Wenn Abwehr und Schutz nur zwei Seiten einer Medaille sind, gibt es keinen einleuchtenden Grund, sie hinsichtlich ihres Charakters unterschiedlich aufzufassen. Natürlich differieren sie, was ihren Inhalt, ihre konkrete Ausformung betrifft; dies wurde oben schon klargestellt. In dem Umfang aber, in dem den Grundrechten Schutzpflichten entnommen werden können, entsprechen diesen Pflichten subjektiv öffentliche Rechte des einzelnen. Die Schutzpflicht darf nicht vom Grundrecht isoliert gesehen werden56 • Grundrechte stellen primär individuelle Rechte dar; auch das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, daß der objektiv-rechtliche Gehalt die individuelle Komponente nur verstärke, ergänze und stütze, er seine Wurzeln in dieser primären Bedeutung habe57• Daraus folgt, daß lediglich die möglichst weitgehende Subjektivierung grundrechtlicher Funktionen dem "ursprüngliche(n) und bleibende(n) Sinn der Grundrechte" als individueller Rechte gerecht wird58• Wie anders könnte diese individuelle Richtung der Grundrechte realisiert werden, als durch die Möglichkeit, das, was in ihnen steckt, auch durchsetzen zu könnenS'}. Hinter der grundrechtlichen Schutzpflicht steht das grundrechtliche Schutzgut, das in erster Linie dem einzelnen zugeordnet ist und erst bei massenhafter Betroffenheit auch zu einem Allge55 Robbers,

Sicherheit, S. 121.

AöR 106 (1981), 205, 217; Soell, NuR 1985, 205, 207; ders., in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S. 3, 26. 56 Schmidt-Aßmann,

BVerfGE 50,290, 337; 57, 295, 320. Theorie, S. 414; Klein, NJW 1989, 1633, 1637; vgl. auch Kriele, JZ 1975, 222, 224. S'} Vgl. Lorenz, AöR 105 (1980), 623, 627f.

57

58 Alexy,

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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meinbelang wird. Die Grundrechtsnormen erkennen den einzelnen Grundrechtsbegünstigten als Subjekt, als Inhaber und eigenverantwortlichen Träger des Freiheitsrechts und nicht nur als bloß reflexartig an einer objektivrechtlichen Begünstigung partizipierendes Objekt an60 • Dies gilt sowohl für die abwehrrechtliche als auch für die schutzrechtliche Komponente des Grundrechts. Deutet man die objektivrechtliche Schutzpflicht auch als subjektiv öffentliches Recht, erledigt sich auch der Einwand in der Literatur, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei ein Schritt in Richtung "Institutionalisierung" der Freiheit, die Grundrechte verlören ihren subjektiven Bezug61 • Vielmehr verstärkt die Schutzfunktion den Individualcharakter der Grundrechte. Soweit daher die grundrechtliche Schutzpflicht reicht, muß ihr ein subjektives Recht des einzelnen korrespondieren62• Iv. Zusammenfassung

In erster Linie richtet sich die grundrechtliche Schutzpflicht an den Gesetzgeber. Er hat durch Bereitstellung von Normen die sich überschneidenden und damit kollidierenden Grundrechtssphären abzuteilen und den Konflikt zu harmonisieren. Regelungen, die eine solche Trennlinie bilden, die also aufgrund der Schutzpflicht erlassen wurden und Freiheitsbereiche voneinander abgrenzen, sind drittschützend. Die Schutzpflicht bewirkt auf der Ebene von Verwaltung und Rechtsprechung primär und vorrangig die Pflicht zur Anwendung und Einhaltung dieser Normen; dieser Pflicht korrespondiert wegen ihres spezifisch grundrechtlichen Charakters durchweg ein subjektiv öffentliches Recht.

60 Rupp,

AöR 101 (1976), 161, 166.

Steiger, in: Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 255, 263, 265; vgl. auch Soell, ZfA 1981, 509, 513. 61

62 Dieses Ergebnis scheint sich auch in der Literatur durchzusetzen, vgl. beispielsweise Benda, et 1981, 868, 869; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 284f; Murswiek, Verantwortung, S. 216ff; ders., WiVetw 1986,179, 199f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

§ 17: Schutznorm und Schutzpflicht I. Gnmdrechtliche Schutzpflichten und die herkömmliche Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht

1. Der Zusammenhang zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht und einfachem Gesetz a) Die Diskussion um subjektiv öffentliche Rechte des Bürgers - gekleidet in immer wieder wechselnde Fragestellungen - ist seit den Tagen des grundlegenden Werks von Bühler aus dem Jahre 1914 nicht mehr abgerissen63 • Die vorliegende Arbeit will und kann schon angesichts ihrer eingeschränkten Problemstellung keine neue, gleichsam revolutionäre Konzeption des subjektiv öffentlichen Rechts vorstellen. Vielmehr soll nur deutlich gemacht werden, wie in Verschränkung von Verfassung und einfachem Gesetz, von grundrechtlicher Schutzpflicht und einfachrechtlicher Schutznorm der richtige Weg zur Bewältigung dieser Problematik gefunden werden kann. Daß die grundrechtliche Schutzpflicht in irgendeiner Weise Bedeutung für den Drittschutz haben muß, liegt nach der hier vertretenen Ansicht auf der Hand. Sie ist die Grundrechtsfunktion, die bei Beeinträchtigungen von privater Seite angesprochen ist, und genau um diese Konstellation geht es bei den problematischen Drittschutzfällen, und insbesondere bei den Verwaltungsakten mit "Drittwirkung". Betrachtet man die dogmatische Situation bei der Behandlung dieser Problematik, so stellt man einen eigentümlichen "Dualismus" zwischen Verwaltungs- und Verfassungsrecht fest 64 • Während die herkömmliche Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht in Gestalt der Schutznormtheorie die verwaltungsrechtliche Drittschutzdiskussion beherrscht, werden im Verfassllngsrecht vergleichbare Problemstellungen mit Hilfe ganz anderer dogmatischer Kategorien angegangen, etwa dem bereits angesprochenen "EingriffsbegrifC' 63 Bühler, GS für JelIinek, S. 269, 273, konstatiert 1955, "daß die Ära der subjektiven öffentlichen Rechte erst jetzt so recht begonnen hat".

64 Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 132; ders., DVBI. 1986, 208, 212f; Pietzcker, JuS 1982,106,109, stellt fest, daß über die "Einbindung (der Grundrechte) in die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht ... bislang keine hinreichende Klarheit und keine Übereinstimmung erzielt worden ist" (Klammerzusatz vom Verf.).

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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bzw. der Figur der "faktischen" oder "mittelbaren" Grundrechtsbeeinträchtigungen. Nur ganz selten finden sich Versuche, die ursprünglich einheitliche Konzeption65 des subjektiv öffentlichen Rechts wiederherzustellen66 • Natürlich wird von Rechtsprechung und Lehre ein endgültiger Bruch zwischen diesen Linien nicht vollzogen und kann es unter der Ägide des Grundgesetzes auch nicht: In den allgemeinen Grundrechtslehren figurieren die Grundrechte selbstverständlich als subjektive Rechte67 , während die primär verwaltungsrechtliche Anschauung auch die Bedeutung der Grundrechte unterstreicht68 • Meist bleibt es aber bei vagen Andeutungen, und es werden selten dogmatisch konturierte Rechtsfolgen aus der jeweiligen Einordnung abgeleitet. Die Grundrechte bleiben in der jeweiligen Argumentation häufig "isolierte Fremdkörper"69. Lösungen werden häufig nur im Verfassungs- bzw. nur im Verwaltungsrecht gesucht. b) Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem subjektiv öffentlichen Recht bleibt für den Bereich des Schutzes vor privaten Beeinträchtigungen das einfache Gesetz. Nur es kann Grundlage eines subjektiv öffentlichen Rechts sein70 • Hier drängt sich natürlich sofort ein Einwand auf: Einfache Gesetze sind dem Verfassungsrecht und insbesondere den Grundrechten untergeordnet. Geht man aber vom Primat des einfachen Rechts bei der Suche nach subjektiven Berechtigungen des Bürgers aus, so wäre Grundrechtsschutz nur nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. Die Rangfolge des Rechts hätte sich umgekehrt. Vielmehr müßten doch auch bei der Frage des Drittschutzes die Grundrechte direkt angewendet werden7!. 65 Gerade Bühler bezog die Grundrechte selbstverständlich in seine Konzeption mit ein, Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 6lff. Allerdings waren sie wegen ihrer eingeschränkten Bedeutung von vornherein eher im Verwaltungsrecht angesiedelt, vgl. Biihlcr, a. a. 0., S. 128f; Bomhak, Preußisches Staatsrecht, S. 295: Die Grundrechte seien "ihrem Inhalte nach ... gar kein Gegenstand des Verfassungsrechtes, sondern des Verwaltungsrechtes", sie seien "verwaltungsrechtlicher Natur". 66 Dies gilt v. a. für die Autoren, die eine Beeinflussung der Schutznormtheorie über die Grundrechte annehmen. 67

Statt vieler v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 122ff.

Ebenfalls statt vieler Kopp, VwGO, § 42, Rz. 62ff; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 127ff. 69 Berger, Nachbarklagen, S. 35. 68

70 SChmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 121, der den Vorrang des einfachen Rechts mißverständlich auch "für abwehrrechtliche Situationen, und hier insbesondere für den Drittschutz" postuliert. 71 Tendenziell Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 133, der befürchtet, daß eine solche Betrachtung "in letzter Konsequenz auf die längst überwundenen Positionen der Jahrhundertwende zurückführen" würde.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Zunächst sei vorausgeschickt, daß mit Schlagworten wie "Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht"n oder "Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht,,73 wenig gewonnen ist. Vielmehr muß das Verhältnis von Grundrechten zu einfachem Recht an der jeweiligen konkreten Situation bestimmt werden74 • Oben wurde gezeigt, daß beim "Adressaten" die Grundrechte unmittelbar als Grundlage des subjektiv öffentlichen Rechts eingesetzt werden können, während die einfachen Gesetze - soweit sie verfassungsgemäß sind - nur Inhalt und Reichweite bestimmen. Ganz anders ist die Situation hingegen bei privat vermittelten Beeinträchtigungen. Die Grundrechte sind ausschließlich staatsgerichtet. Nur über diesen "Umweg" vermögen sie Wirkungen gegenüber privat verursachten Eingriffen zu zeitigen. Diese Beeinträchtigungen stammen von anderen Bürgern, also anderen Grundrechtsträgern, und haben als Basis deren zunächst unbeschränkt gedachte Freiheit. Aus dieser Problemstruktur folgt notwendig, daß erst gesetzgeberische Maßnahmen zur Freiheitsbereichsabgrenzung erfolgen müssen, um rechtliche Positionen des einzelnen gegenüber den Freiheiten seiner Mitbürger zu konkretisieren. Grundrechtsschutz ist hier zunächst gesetzesmediatisiert. Das bedeutet aber nicht, daß die Grundrechte damit lediglich nach Maßgabe des einfachen Gesetzesrechts gelten würden. Vielmehr haben die Grundrechte auch im Bereich des Drittschutzes zweierlei Bedeutung. Zum einen wirken sie auf das einfache Gesetz dergestalt ein, daß es, wenn es bei objektiver Betrachtungsweise einem grundrechtlichen Schutzgut nützt, wegen der Grundrechte zwingend drittschützend ist, es also auf den Willen des Gesetzgebers nicht mehr ankommen kann. Zum anderen werden sie in den Situationen wirksam, in denen zum Schutz eines Grundrechtsguts keine oder nicht ausreichend Regelungen zur Verfügung stehen, die Drittschutz gewährleisten könnten. Dann steht den Grundrechtsträgern der bereits oben begründete Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Erlaß oder Nachbesserung schützender Rechtsnormen zu. 72 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, Vorwort zur 3. Aufl.; BühJer, GS für Jellinek, S. 269, 271, hat auch unter Hinweis auf diese Formulierung seine Konzeption des subjektiv öffentlichen Rechts unter der Geltung des Grundgesetzes gerechtfertigt. Dabei war sich auch Duo Mayer der Abhängigkeit des Verwaltungsrechts vom Verfassungsrecht sehr wohl bewußt, darauf weist Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193, 204f, hin.

73 So der Titel des Aufsatzes von Wemer, DVB!. 1959, 527ff.

Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193,195. Dazu daß es eine Vielzahl ganz unterschiedlicher subjektiv öffentlicher Rechte und daran sich anschließender Problemstellungen gibt, Alcxy, Theorie, S. 168ff. 74

6. Kapitel: Die Funktion der grund rechtlichen Schutzpflicht

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2. Die Auswirkungen der Verfassung auf den verwaltungsrechtlichen Begriff des subjektiv öffentlichen Rechts a) Die bisherigen Erwägungen haben den DriUschutz einfacher Normen gleichsam "von oben", von der Verfassung her begründet. In gleicher Weise kann aber auch "von unten", vom verwaltungsrechtlichen "Begriff' des subjektiv öffentlichen Rechts her vorgegangen werden, wobei man unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Modifikationen zu den gleichen Ergebnissen gelangen kann. Als Definition des subjektiv öffentlichen Rechts wird auch heute noch weitgehend auf den von Bühler entwickelten Begriff zurückgegriffen75• Ein subjektiv öffentliches Recht liegt danach vor, wenn ein Rechtssatz des öffentlichen Rechts dem Staat oder einem sonstigen Verwaltungsträger Verhaltenspflichten auferlegt (zwingender Rechtssatz), dieser Rechtssatz zumindest auch der Befriedigung von Einzelinteressen (Individualinteressen) zu dienen bestimmt ist, also nicht lediglich die Verwirklichung öffentlicher Interessen (Interessen der Allgemeinheit) bezweckt und dem einzelnen die Rechtsrnacht eingeräumt ist, die normgeschützten Interessen gegenüber dem durch Rechtssatz Verpflichteten auch durchzusetzen76• b) Das erste und dritte Merkmal wurde allerdings unter der Geltung des Grundgesetzes sehr bald modifiziert und der Verfassungsrechtslage angepaßt. Das Kriterium des "zwingenden Rechtssatzes" hatte ursprünglich zwei Funktionen: zum einen sollte klargestellt werden, daß Grundlage des subjektiven Rechts nur ein Satz des objektiven Rechts sein konnten. Zum anderen sollten bestimmte Funktionsbereiche der Verwaltung von einer gerichtlichen Kontrolle freigestellt werden, soweit ihnen freies Ermessen eingeräumt war78• Daß diese letzte Einschränkung unter der Ägide des Grundgesetzes nicht mehr haltbar ist, hat früh Bachof gezeigt79 • Im Bereich der ge75 Bühler, Die subjektiv öffentlichen Rechte, S. 21; ders., GS für Jellinek, S. 269, 274. Dazu schon oben § 4 I. 76 Erichsen / Martem, in: Erichsen / Martens, Allgemeines VelWaltungsrecht, S. 151; Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. l3lff. n Vgl. Giese, Die Grundrechte, S. 62f.

78 Bühler, Die subjektiv öffentlichen Rechte, S. 2Uf; interessant ist, daß schon Bühler das Vorliegen eines "zwingenden Rechtssatzes" dann annimmt, wenn sich für die VelWaltungsentscheidung aus dem zugrundeliegenden Gesetz Direktiven herausarbeiten lassen, a. a. 0., S. 24ff; v. a. geht es Bühler hierbei jedoch um das Problem der unbestimmten Rechtsbegriffe. 79 Bachof, GS für Jellinek, S. 2137, 294f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

setzesakzessorischen Verwaltung ist die Exekutive dem Gesetzgeber vollkommen untergeordnet; auch bei der Ermessensausübung ist die Entscheidung durch die Gesetzeszwecke determiniert. Sie sind nicht Schranke, sondern Maßstab für die GesetzesanwendungllO • Hinzu kommen als weitere inhaltliche Direktiven die Grundrechte selbst, deren Gewährleistungen es zu achten und zu schützen gilt. Der Begriff des freien Ermessens hat damit in der grundgesetzlichen Rechtsordnung keinen Platz mehr. In der Literatur und der Rechtsprechung ist denn auch ein subjektiv öffentliches Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch anerkannt 81 • Man sollte daraus die Konsequenz ziehen und insoweit nur noch das Vorliegen einer Norm objektiven Rechts verlangen. Ganz anders geht neuerdings Robbers vor 82 • Nicht das objektive Recht sei Grundlage für das subjektive, vielmehr seien die subjektiven Positionen dem objektiven Recht vorgegeben. Objektives Recht weise nicht, sondern ordne nur zu. Es bestehe insofern ein sowohl existenzieller wie legitimatorischer Primat des subjektiven Rechts. An dieser Stelle ist eine erschöpfende Beschäftigung mit den Thesen von Robbers nicht möglich. Zwei Einwände seien indes gestattet. Wenn Robbers zur Bestimmung, was subjektives Recht sein soll, auf quasi vorrechtliche Gegebenheiten zurückgreift, bleibt ihm nichts anderes übrig als naturrechtliche Kategorien zu bemühen83 • Das Naturrecht ist aber ein sehr unsicherer Kantonist, wenn es darum geht, konkrete Folgen für die Rechtsanwendung zu finden und zu bestimmen84 • Bei Schutzgütern, die durch das objektive Recht erst geschaffen und ausgestaltet werden wie Ehe und Eigentum, muß Robbers denn auch auf außerverfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte zurückgreifen, die zumindest zweifelhaft sind, nämlich auf das "Bedürfnis der Einzelbeziehung zwischen Mann und Frau" sowie das "nach Verfügungsbefugnis über Sachmittel zur Freiheitsentfaltung"ss. 110

Soe/l, Ermessen, S. 116ff.

Vgl. z. B. Pietzcker, JuS 1982, l06ff; Randelzlw!er, BayVBI. 1975, 573ff. Bei dem subjektiv öffentlichen Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch handelt es sich nicht, wie man einzelnen Stellungnahmen in der Literatur entnehmen könnte, um eine eigenständige Untergruppe des subjektiv öffentlichen Rechts, sondern eben nur um eine Modifikation im Hinblick auf den zwingenden Charakter des Rechtssatzes. 82 Robbers, Sicherheit, S. 148ff. 81

Das gesteht Robbers selbst zu, Sicherheit, S. 154. BVerfGE 10, 59, 81; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 57; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 89. ss Robbers, Sicherheit, S. 149; kritisch dazu Scherzberg, DVBI. 1989, 1128, 1133f FN 61. 83 84

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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Im übrigen erinnert die Streitigkeit über den Primat des subjektiven oder objektiven Rechts in fataler Weise an die Frage nach der Henne und dem Ei und dürfte von ähnlich praktischer Relevanz sein. Ohne die Wichtigkeit rechtsphilosophischer Problemstellungen bestreiten zu wollen, müssen sich diese aber in den Niederungen des dogmatischen Alltags bewähren. Untersucht man die Konsequenzen, die Robbers aus seiner Konstruktion zieht, findet man jedoch kaum Positionen, die mit Hilfe der herkömmlichen Auffassung nicht auch begründbar gewesen wären86• Ohne Not sollte die überkommene Dogmatik, soweit sie sich bewährt hat, aber nicht beiseite geschoben werden. c) Auch das Kriterium der Rechtsmacht hat seine Bedeutung weitgehend verloren. Daß dieses Merkmal schon zu Zeiten von Bühler und Jellinek umstritten war, sei nur am Rande angemerkt 87• Soweit es die Klagbarkeit der geschützten Interessen meint, hat Art. 19 Abs. 4 GG sichergestellt, daß es subjektive Rechte ohne gerichtliche Durchsetzbarkeit nicht geben kann 88 • Dieser Verfassungsbestimmung entsprechen für die hier vor allem interessierenden Verwaltungsakte mit Drittwirkung insbesondere die Regelungen der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, die die rechtspraktische Klagemöglichkeit des Bürgers anordnen. Eine gesonderte Rechtsmacht muß daher nicht mehr nachgewiesen werden. d) Es bleibt das Problem, wann ein objektiver Rechtssatz auch den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmt ist, was die h. M. - wie dargestellt mit Hilfe der "Schutznormtheorie" zu lösen sucht. Hier trifft sich nun die verwaltungsrechtliche Theorie mit dem Verfassungsrecht. Denn das Vorliegen einer Schutzpflicht ist das ausschlaggebende Kriterium, das die Unterscheidung von Allgemein- und Individualinteressen ermöglicht. Existiert ein grundrechtliches Schutzgut, so ist damit eine Pflicht des Gesetzgebers verbunden, dieses schützende Regelungen zu erlassen. Solche Regelungen dienen gleichzeitig dem Schutz von Individualinteressen im Sinne der Definition des subjektiv öffentlichen Rechts. Hier wird deutlich, warum es dabei 86 So auch Hohmann, Der Staat 27 (1988), 589, 592; als Beispiel sei die "Vennutungslehre" genannt, die auch ohne "Primat des subjektiven Rechts" bereits auf der Grundlage der herrschenden Dogmatik angesprochen wurde und weiterentwickelt werden kann, vgl. Robbers, Sicherheit, S. 153. Dazu näher unten 11. 2. 87 VgI. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 79. 88 Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 146; Lorenz, Rechtsschutz, S. 56ff; vgl. auch schon Bachof, GS für Jellinek, S. 287, 300. Auf den Streit, ob der Begriff des subjektiv öffentlichen Rechts KIagbarkeit voraussetzt oder nicht, kommt es daher insoweit nicht mehr an, dazu Robbers, Sicherheit, S. 157ff.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

auf den Willen des Gesetzgebers gerade nicht ankommen kann. Die Grundrechte ordnen bestimmte Rechtsgüter und Freiheitsbetätigungen dem einzelnen zu, ohne daß der Gesetzgeber befugt wäre, diese Zuordnung zu lösen oder abzuändern89 • Dienen Vorschriften des einfachen Rechts dem Schutz der grundrechtlichen Freiheitsbereiche, sind diese auf Geheiß der Verfassung individualschützend. Diese Erkenntnis ist nun beileibe nicht neu9O , aber zum einen sind in der Vergangenheit geäußerte Ansichten nicht per se falsch, zum anderen soll hier nur das grundrechtliche Korsett, in dem diese Auffassung steckt, verdeutlicht, verstärkt und mit der modernen Grundrechtsentwicklung verbunden werden. Schwierigkeiten bereitet indes die Feststellung, wann eine Norm objektiv dem Schutz von Grundrechtsgütern dient. In gewisser Weise ist ja die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung am Grundrechtsschutz beteiligt. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen91 • Ein Landwirt erhält für den Bau eines Stalles eine Genehmigung, die gegen Vorschriften zur Tierhaltung nach dem TierSchG verstößt. Unterstellt, die mißachteten Normen seien bloß objektiver Natur, so nützt deren Einhaltung objektiv trotzdem nachbarlichen Interessen, insbesondere dem Eigentum, da bei Einhaltung der Vorschriften die Genehmigung nicht erteilt worden wäre und demnach das Vorhaben auch keine nachteiligen Auswirkungen auf Nachbargrundstücke äußern könnte. In diesem Sinn kann also objektives Nützen nicht gemeint sein. Die richtige Lösung findet sich, wenn man sich noch einmal die Funktion der Schutzpflicht vergegenwärtigt. Sie greift ein, wenn sich Freiheitsbereiche überschneiden. Gesetzliche Regelungen, die diese Kollision auflösen, sind daher per se individualschützend; Regelungen, die sich dem Grundrechtskonflikt gegenüber neutral verhalten, sind nicht drittschützend92 • Entschei89 Aus diesem Grund ist die herkömmliche Interpretationsmethode bei der Frage nach dem subjektiven Charakter einer Norm ausnahmsweise nicht angebracht, dies verkennt Baller, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113, 129f, unter Berufung auf Schmidt, NJW 1967,1635,1638; wie hier Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 29. 90 Ähnlich schon Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 151; Lorenz, Rechtsschutz, S. 63; Seholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 125; zustimmend Sailer, BayVBI. 1975, 405, 407f; vgl. auch Breuer, WiVerw 1981, 219, 225; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 175; ders., DVBI. 1982, 144, 147f. Auch das BVerfG hat sich insoweit schon eindeutig geäußert, BVerfGE 53,30,31 LS 6, 65f. 91 Ein anderes Beispiel findet sich bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 186.

92 Ganz ähnlich Breuer, DVBI. 1983, 431, 437; ders., DVBI. 1986, 849, 854, der Normen dann Drittschutzcharakter zuspricht, wenn sie "den nachbarlichen Interessenkonflikt durch Postulate der Zuordnung, Verträglichkeit und Abstimmung benachbarter Nutzungen regeln und zu einem Ausgleich bringen", zust. Albers, FS für Simon, S. 519, 537 FN 99; Steinberg, NJW 1984,457,460; Wahl, JuS 1984,577,585. Dazu schon oben § 5 11. 2.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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dend dabei ist der objektive Normzweck93 • An dem obigen Beispiel wird diese Differenzierung klar.

objektives Recht Trennlinie Allgemeininieresse·lndividualioieresse

Staat Bürger

Bürger

geselZgeberische Kollisionsenischeidung drittschülZende Normen Trennlioie Individualinleressen . Individualinleresseo Abb.3

Wenn in dem dargestellten nachbarlichen Verhältnis "Grundrechtskollisionen" auftauchen, handelt es sich um den Konflikt zwischen den jeweiligen Eigentumspositionen94 • Regelungen, die sich beispielsweise mit dem Tierschutz beschäftigen, geben für die Lösung dieses Konflikts nichts her; sie ziehen keine Trennlinie zwischen den Freiheitsbereichen der Bürger, sondern nur zwischen individuellen Interessen und Allgemeinbelangen. Man kann im übrigen den Drittschutzcharakter einer Norm auch mit Hilfe einer Abstrahierungsmethode ermitteln. Denkt man sich die zu untersuchende Regelung weg und ist dann das grundrechtliche Schutzgut weniger oder gar nicht mehr geschützt, müßte also der Gesetzgeber wegen seiner grundrechtlichen Schutzpflicht sofort dieselbe oder eine andere Regelung erlassen, stellt diese ein subjektiv öffentliches Recht dar95 • Man beachte, daß der hier gebrauchte Begriff der Norm nicht mit der einzelnen Gesetzesbe93

Vgl. Marburger, Gutachten, C 35.

In bestimmten Fällen können auch andere grund rechtliche Schutzgüter betroffen sein, z. B. aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, aber auch aus Art. 4 GG, vgl. BVerwGE 10, 91, 92. 94

95 Ähnlich Hermes, Grundrecht, S. 276, der insoweit von gemäß dem Grundrecht "notwendigem Recht" spricht.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

stimmung gleichgesetzt werden darf. Gemeint ist vielmehr ein bestimmtes Gebot oder Verbot, von denen eine Vorschrift durchaus mehrere enthalten kann96• Die Abstrahierungsmethode bezieht sich immer nur auf ein Gebot oder Verbot. Die Darstellung in Abb. 3 zeigt auch noch einmal deutlich den Grund für die unterschiedliche Behandlung von "Adressat" und "Drittbetroffenen" bezüglich des Prüfungsmaßstabs. Geht ersterer gegen eine ihn belastende Maßnahme vor, prüft das Gericht nach, ob die "Trennlinie" zwischen Staat und Bürger eingehalten wurde. Bei gedacht unbeschränkter Freiheit des einzelnen und beschränkter Kompetenz des Staates handelt es sich bei dieser Trennlinie um die Einhaltung des gesamten objektiven Rechts. Anders ist die Situation bei privat vermittelten Beeinträchtigungen, hier geht es nur um die "Trennlinie" zwischen den Grundrechtssphären der Bürger, und diese Trennlinien werden von den kollisionslösenden Regelungen des Gesetzgebers gezogen, auf deren Nachprüfung das Gericht beschränkt ist97 • d) Abschließend sei noch kurz das Problem angesprochen, das sich steIlt, wenn keine oder nicht ausreichend kollisionslösende Normen bei der Rechtsanwendung zur Verfügung stehen. Dieser Fall dürfte höchst selten eintreten, wenn man die Einwirkung der Grundrechte auf das einfache Recht bedenkt und die Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung berücksichtigt. Ist aber ausnahmsweise ein solches Vorgehen nicht möglich, dürfen die Grundrechte unmittelbar nur in extremen Ausnahmesituationen herangezogen werden. Ebensowenig wie sie der Exekutive zusätzliches objektives Recht, also über die Gesetze hinausgehende zusätzliche Eingriffsbefugnisse vermitteln können, können sie neue, unmittelbar geltende, konkrete Kollisionslösungen bei Grundrechtskonflikten bereitstellen. Dies ergibt sich gerade aus der Natur der Grundrechtskollision. Für sich betrachtet überschneiden sich die Freiheitsbereiche; die Kollisionslösung obliegt daher 96 Ein Beispiel ist § 34 BauGB, der unter anderem das Gebot des "Sich-Einfügens" oder das der "gesicherten Erschließung" enthält. Zu diesem Beispiel noch näher unten 11. 2.

97 In eine ganz ähnliche RiChtung geht die Lösung von Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 199ff; sie geht davon aus, daß in einer Drittschutzkonstellation nur dann ein Grundrechtseingriffvorliegt, wenn eine Norm des einfachen Rechts verletzt ist, die einer objektiven Pflicht zum Schutze der Grundrechte des betroffenen Dritten dient. Lübbe- Wolff erzielt damit die gleichen Ergebnisse, wie sie hier vertreten werden, allerdings zu dem Preis, daß sie die herkömmliche Zweiteilung der Prüfung einer Grundrechtsverletzung - Eingriff in den Schutzbereich + verfassungsrechtliche Rechtfertigung - aufgibt und das Eingriffsmerkmal nur bei ungerechtfertigten Maßnahmen als erfüllt ansieht. Im übrigen muß auch sie mit der Schutzfunktion der Grundrechte bei der Bestimmung der Vorschriften arbeiten, die der Maßnahme bei Verletzung Eingriffsqualität verleihen soll, vgl. a. a. 0., S. 119, 136ff.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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dem Gesetzgeber; erst wenn ein Grad der Schutzgutsbeeinträchtigung erreicht ist, der evident ungerechtfertigt ist, darf die Exekutive bzw. die Judikative die Grundrechte als Eingriffslegitimation heranziehen. Dieser Fall dies sei nochmals herausgestellt - wird in der Praxis kaum vorkommen98•

I/. Überobligationsmäßige Erfüllung der Schutzpflicht

durch den Gesetzgeber

Aus dem Ineinandergreifen von grundrechtlicher Direktive und gesetzgeberischem Ermessen bei der Lösung von Grundrechtskollisionen ergibt sich aber sofort ein weiteres Problem. Was soll gelten, wenn der Gesetzgeber über den grundrechtlich absolut notwendigen Mindeststandard hinaus dem Belasteten einfachgesetzlich bestimmte Positionen zugewiesen hat. Nehmen auch diese Regelungen am verfassungsrechtlichen Schutz teil und erhalten dadurch Subjektivität oder reicht der grundrechtlich gebotene Drittschutz nur bis zu diesem Minimum, während es darüber hinaus auf den Willen des Gesetzgebers ankäme?99

1. Der Grundsatz: Drittschutz für die ganze Norm a) Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Der Gesetzgeber ist wegen der grundrechtlichen Schutzpflicht dazu verpflichtet, Grundrechtsgüter von privaten Beeinträchtigungen freizuhalten, indem er andere Grundrechte einschränkt. Bei dieser Abscheidung der Grundrechtssphären zieht die Verfassung nur absolute Grenzen; darüber hinaus kommt dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Trennlinie ein weiter Ermessensspielraum zu. Verpflichtet ist der Gesetzgeber, nur das absolute Minimum zu gewährleisten. Man könnte also a maiore ad minus argumentieren, daß er, wenn er über diesen Mindeststandard hinausgeht, der damit gewährten materiellen 98 Man denke hier auch an die polizeirechtliche Generalklausel, die in diesen Situationen meist tragende Legitimationsgrundlage für staatliche Eingriffe sein wird. Zur Rechtsprechung des BVerwG bezüglich der ·unmittelbaren" Heranziehung von Art. 14 GG bei "schwerer und unzumutbarer" Eigentumsbeeinträchtigung, vgl. unten § 18 I. 99 Daß der Gesetzgeber über das Mindestmaß hinaus einfachgesetzlich mehr subjektiv öffentliche Rechte gewähren kann, scheint unbestritten zu sein, vgl. Gassner, DÖV 1981, 615, 616; Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 13; Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 885.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Rechtsposition objektiven Charakter einräumen könnte, ohne ihr Drittschutz beigeben zu müssen. Er hätte ja, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen, dieses "Mehr" an Schutz überhaupt nicht zu geben brauchen 100 •

mögliche gesetzgeberische Kollisionsentscheidungen

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Grundr~cht

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Grundrecht

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Abb.4

b) Diese Sichtweise sieht sich allerdings verschiedenen Einwänden ausgesetzt. Zunächst finden sich schon in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Hinweise darauf, daß einfachgesetzliche Rechtspositionen, auf die verfassungsrechtlich kein Anspruch besteht, gleichwohl von der Gewährleistung der jeweiligen Grundrechtsbestimmung, deren Schutz sie dienen, mitumfaßt sein können, wenn sie einmal eingeräumt worden sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein mehrstufiger Instanzenzug von den Grundrechten und insbesondere von Art. 19 Abs. 4 GG nicht gefordereol . Habe der Gesetzgeber allerdings mehrere Instanzen bereitgestellt, müßten diese Vorschriften wegen der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts möglichst weit, in einer das Grundrecht optimal zur Geltung bringenden Weise ausgelegt werden. Ein Rechtsmittel sei deshalb schon dann zuzulassen, wenn die Interpretation der Verfahrensvorschriften dies ermögliche. Dies müsse sogar dann gelten, wenn zwar nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift die Zulassung nicht begründet 100

In diese Richtung geht die Argumentation bei Berger, Nachbarklagen, S. 178f, und

Send/er, BauR 1970, 4, 7.

101 BVerfGE 4, 74, 94f; seither sI. Rspr.; so auch die h. M. in der Lehre, vgl. SchmidtAßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 179, m. w. N.; a. A. Lorenz, Rechtsschutz, S. 188f, 244f.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrecht lichen Schutzpnicht

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werden könne, aber eine analoge Anwendung in Frage komme l02 • Offenbar stellt das Bundesverfassungsgericht also an die norm konkretisierende Tätigkeit der Rechtsprechung wegen der Grundrechte höhere Anforderungen als an die norm setzende Tätigkeit des Gesetzgebers lO3 • Jedenfalls wird aber eine Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf einfachgesetzliche Normen, auch soweit sie über den verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard hinausgehen, angenommen. Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich in der Entscheidung über den Gegendarstellungsanspruch im NDR-StaatsvertraglO4 • Auch hier geht das Gericht davon aus, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht die einfachgesetzliche Einräumung eines Gegendarstellll:ngsanspruchs nicht gebiete. Bestehe aber ein solcher, diene er dem von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mitumfaßten Schutz der Selbstbestimmung des einzelnen über die Darstellung der eigenen Person. Die einfachgesetzliche Berechtigung wandele sich damit zur materiellen GrundrechtspositionlOs. Auch hier ist also nach Ansicht des Gerichts eine an sich verfassungsrechtlich nicht geforderte Norm einfachen Rechts in die grundrechtliche Schutzpflicht miteinbezogen. c) Der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermag allerdings allein eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht dafür zu geben, warum die Grundrechtswirkung die überobligationsmäßige Erfüllung der Schutzpflicht durch den Gesetzgeber mitumfassen soll. Gewichtige Gründe sprechen aber für diese Sichtweise. Zunächst spielt auch hier der Vergleich mit der rechtlichen Stellung des "Adressaten" eine Rolle. Für ihn wird nirgends erwogen, daß sein grundrechtlicher Anspruch auf Genehmigungserteilung dort ende, wo der grui1drechtlich gewährleistete Mindeststandard aufhöre. Für ihn besteht die Möglichkeit, bis an die Grenze der einfachgesetzlich zulässigen Freiheitsbetätigungen zu gehen. Dasselbe sollte für den Drittbetroffenen gelten, der sich gleichsam "von der anderen Seite" grenzziehenden Normen nähert; auch sein Grundrechtsschutz endet nicht an einem gedachten Minimalstan102 BVerfGE 60, 96, 99; 61,78,80; vgl. auch schon BVerfGE 40, 272, 274f; 41, 23, 26; 49, 252, 256f; 54, 277, 293; anders wohl BVerfGE 65,317,323. 103 Kritisch dazu Amdt, Praktikabilität und Effizienz, S. 145f; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 122. 104 BVerfGE 63, 131ff. 105

Eindeutig BVerfGE 63,131, 142f.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

dard, sondern dort, wo der Gesetzgeber die Trennlinie zwischen den Grundrechtssphären eingezogen hat. Damit wird der verfassungsrechtlich begründete Unterschied zwischen Adressat und Drittbetroffenem hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs gerade nicht eingeebnet, dort, wo aber Gesetze Freiheitsbereiche zwischen den Bürgern abtrennen, wird die Nachprüfungsmöglichkeit harmonisiert. Die äußerste Grenze, die den Grundrechtsschutz in jedem Fall aktiviert, gilt nur für den Gesetzgeber. Hat er diese Grenze allerdings materiell konkretisiert, so hat sich der Schutz insoweit grundrechtlich verfestigt. Diesem Schutz muß auch eine prozessuale Position zur Seite stehen. Diese Auffassung darf nun keinesfalls mit der institutionellen Deutung der Grundrechte bei Häber/e gleichgesetzt und deshalb von vornherein abgelehnt werden lO6• Vorliegend geht es nur um die Lösung von Grundrechtskollisionen, zu der der Gesetzgeber jedenfalls berufen ist. Seine Regelung gewährt aber rechtlich keine zusätzlichen Freiheiten, sondern sie schränkt Freiheiten in beiden Richtungen ein, sie harmonisiert und bringt zum Ausgleich. Die Bereiche diesseits und jenseits der Trennlinie bleiben daher grnndrechtlich gewährleistet; sie werden vom Gesetzgeber nicht originär eingeräume 07 • Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß sich der Gesetzgeber dem Einwand des "venire contra factum proprium" aussetzt, wenn er einerseits eine bestimmte Grenzlinie zwischen den Grundrechtssphären für geboten hält, andererseits aber den subjektiven Charakter der Norm nicht zugestehen will. Es gibt keinen sachlichen und einleuchtenden Grund, die materielle Kollisionslösung nicht auch für beide Seiten gleichmäßig justiziabel zu machen. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, daß Drittschutz nicht "durch die Norm hindurchgehen" kann 108• Hat sich das Gesetz für eine bestimmte Grenzziehung entschieden, bleibt die entsprechende Regelung we106 Vgl.

dazu oben § 10 III.

Etwas anderes scheint für Art. 14 GG zu gelten, dessen Schutzbereich weitgehend erst durch Gesetze konstituiert wird. Trotzdem kollidieren auch hier die Grundrechtssphären miteinander (Beispiel Wohnnutzung - emittierender Industriebetrieb), auch hier zieht der Gesetzgeber eine harmonisierende Trennlinie, Parodi, BauR 1985, 415, 423ff. 108 Es sei nochmals auf den oben erläuterten Begriff der Norm hingewiesen. Durch die einzelne Gesetzesbestimmung, wenn sie mehrere Gebote oder Verbote enthält, kann Drittschutz sehr wohl "hindurchgehen". 107

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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gen des Grundrechtsschutzes insgesamt ein subjektiv öffentliches Recht des einzelnen109. d) Diese Zusammenschau von Grundrecht und einfachem Gesetz bedeutet natürlich nicht, daß dem grundrechtsschützenden Recht Verfassungsrang zukäme mit der Folge, daß es nur unter den Voraussetzungen des Art. 79 GG geändert werden könnte llo • Grundrecht und einfaches Recht müssen in dieser Beziehung strikt getrennt werden, sie äußern nur gegenseitige Wirkungen. Grundrechtskollisionen müssen durch Gesetz aufgelöst werden, das einfache Recht wird unter Berücksichtigung der Grundrechte ausgelegt und angewendet. 2. Die "Vermutung" für den Drittschutz a) Nun kann natürlich der Fall eintreten, daß beispielsweise eine Grenzwertfestsetzung des Normgebers "weit auf der sicheren Seite" liegt, daß also auch bei deutlichem Überschreiten mit keiner Gefahr für das jeweils betroffene Grundrechtsgut zu rechnen ist l11 • Man sollte sich bei der Festlegung von Sicherheitsstandards durch den Gesetzgeber aber immer vergegenwärtigen, daß diese "nur in mehr oder minder großer Entfernung von der prinzipiell nicht erreichbaren absoluten Sicherheit" fixiert werden können ll2• Schadstoffe bleiben auch in geringen Konzentrationen Schadstoffe. Natur109 Anden. das interessante "trialistische" Schutznonnmodell von Alexy, DÖV 1984, 953, 96lf, der zwischen abstrakt drittschützenden, abstrakt nicht drittschützenden und potentiell drittschützenden Nonnen unterscheidet. Bei letzteren geht der Drittschutz durch die Nonn hindurch. Die These leidet jedoch unter der Schwäche, daß neben den mit der Schutznonntheorie verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten neue, zusätzliche hinzukommen. Letztlich wird wieder die Rspr. dazu ennächtigt, die Trennlinie des Drittschutzes innerhalb der Nonn festzulegen, wenn der Gesetzgeber schweigt. Unsicher für § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG auch das BVerwG. Zunächst postulierte es für diese Nonn uneingeschränkten Drittschutz, BVerwG DVBI. 1980, 1001, 1002; in BVerwGE 61, 256, 264, wurde der Drittschutz nur noch "jedenfalls insoweit" zugebilligt, als die Vorschrift den einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren wolle; zust. Sendler, UPR 1981, 1,7; anden. wohl Bender, NJW 1979, 1425, 1432f. Vgl. auch BVerwG NVwZ 1987, 409, 410: Drittschutz einer Nonn nur, "wenn eine bestimmte Schwelle der Beeinträchtigungen erreicht wird". llO Zumindest mißven.tändlich Ronellenfitsch, in: Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 13, 28; ähnlich Isensee, Grundrecht, S. 50f. 111 Das nimmt für die Werte der Strahlenschutzverordnung an, Berger, Nachbarklagen, S. 178; zurecht zweifelnd Czajka, et 1981, 537, 540; vgl. zu dieser Problematik auch Send/er, UPR 1981,1,5. 112 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 123; zust. Hofmann, Rechtsfragen, S. 324; ähnlich Soell, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S. 3, 28.

Dimberger 13

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

wissenschaftliche Untersuchungen können nur feststellen, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt einzelne Schadstoffe in bestimmten Konzentrationen zu bestimmten Wirkungen an wiederum bestimmten Leitorganismen führen können. Die Ermittlung des "Schwellenwertes" für einen Stoff geschieht durch Hochrechnung von an Tieren gewonnenen Ergebnissen unter Einbeziehung eines "Sicherheitsfaktors". Indirekte Wirkungen, Synergismen und Stoffanreicherungen werden im Experiment nicht erfaßt 113 • Das gleiche gilt im Prinzip auch für radioaktive Strahlung114 • Trotzdem ist es denkbar, daß ein Grenzwert aus Vorsorgegesichtspunki:en auf einem sehr niedrigen Level gehalten ist, um beispielsweise planerische Freiräume für noch hinzukommende Schadstoffemissionen zu erhalten 115 • Aus dieser Konstellation allein folgt aber nicht automatisch, daß für den subjektiven Charakter der Norm etwas anderes gelten würde. Ein Beispiel 116 soll klarmachen, daß eine Sonderbehandlung dieser Fälle zu unangemessenen Ergebnissen führen würde. 113 Eingehend zur naturwissenschaftlichen Problematik von Schwellenwerten Projekt Herbizide, Die Problematik von Wirkungsschwellenwerten in Pharmakologie und Toxikologie, bei-

spielsweise S. 26ff (Synergistische Effekte), S. 28ff (Variabilität der Individuen), S. 42ff (Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen); vgl. zu diesem Problemkreis auch Bick, NuR 1985, 258ff; v. Lersner, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, S. 257,258; Wagener, NuR 1988, 71, 72f. 114 Während für ionisierende Strahlung Dosis-Wirkungsbeziehungen für den Menschen weitgehend bekannt sind, vgl. dazu No/te, Rechtliche Anforderungen, S. 23ff, liegen gesicherte Erkenntnisse für - insbesondere krebserregende - Chemikalien kaum vor. Wissenschaftler des Instituts für Toxikologie der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung untersuchen derzeit ein Verfahren zur Quantifizierung der von diesen Stoffen ausgehenden Risiken. Dabei scheint sich zu bestätigen, daß ebenso wie bei ionisierenden Strahlen die Dosis-Wirkungsbeziehung linear verläuft, ein "Schwellenwert" daher kaum festgesetzt werden kann, vgl. SZ vom 12.10.1989. Darüber hinaus gibt es praktisch keine Untersuchungen über die Überkreuzwirkung von verschiedenen Schadstoffen und über chronische Wirkungen bei langfristiger Exposition und geringen Dosen, vgI. Deiseroth, Großkraftwerke, S. 273ff; v. Lersner, in: Freiheit und Verantwortung, S. 257, 259ff. 115 Dies wird z. B. für § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vertreten, Enge/hardt, NuR 1984, 87, 90; Fe/dhaus, DVBI. 1980, 133, 135; Sel/ner, NJW 1980, 1255, 1257; Soel/, ZRP 1980, 105, 106; anders - Gebot einer gefahrunabhängigen Risikovorsorge - v. a. Breuer, DVBI. 1978, 829, 836; ders., WiVerw 1981,219, 234ff; - mehrfunktionales Gebot - Grabitz, WiVerw 1984, 232, 238; Jarass, BImSchG, § 5, Rz. 26; Marburger, Gutachten, C 59f; wohl auch BVerwGE 69, 37, 42ff. 116 Das folgende Beispiel soll nur der Illustration dienen und hält naturwissenschaftlichen Einwänden sicherlich nicht stand. Konkrete Grenzwertfestsetzungen werden nach der derzeitigen Systematik des BImSchG in Verordnungen oder in Verwaltungsvorschriften getroffen. Das BImSchG geht auch von der Unterscheidung zwischen Immissionsgrenzwerten, die dem Schutzprinzip zugeordnet werden, und Emissionsgrenzwerten, die der Vorsorge dienen, aus. Nichtsdestoweniger könnte der Gesetzgeber seiner Aufgabe auch mit Hilfe nur einer dieser beiden Methoden gerecht werden. Grenzwerte werden hier deshalb verwendet, weil die Problematik hieran sehr anschaulich dargestellt werden kann. Zu einem praktiSChen Beispiel nämlich nach der hier vertretenen Auffassung § 8 BNatSchG - vgl. unten § 28 I.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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Gesetzt eine Norm legte für einen bestimmten Schadstoff einen Grenzwert von 50 mg/m 3 fest. Von der grundrechtlichen Schutzpflicht seien hingegen nur 60 mg/m 3 gefordert l17 • Aus den oben genannten Gründen wäre die Norm auch im Bereich zwischen 50 und 60 mg/m 3 drittschützend. Soll dann im Grundsatz etwas anderes gelten, wenn der Gesetzgeber den Wert auf 20 mg/m3 festgesetzt hat? Ließe man hier Individualschutz nur innerhalb des grundrechtlichen Mindeststandards zu - also nur bei Überschreiten der 60 mg-Grenze - wäre der Betroffene hinsichtlich der Klagbarkeit umso schlechter gestellt, je niedriger der Grenzwert vom Gesetzgeber angesetzt würde. b) Allerdings darf dabei der grundrechtliche Ansatz nicht vergessen werden, der zur Subjektivität der Norm führt. In dem Bereich, in dem der Schutz des Grundrechtsguts nicht mehr unbedingt verfassungsrechtlich gefordert ist, ist auch die Entscheidung des Gesetzgebers mitzuberücksichtigen. Zwei Voraussetzungen müssen dabei aber erfüllt sein. Zum einen muß der Wille des Gesetzgebers, wenn er objektiv ein "Mehr" an Schutz gibt als grundrechtlieh erforderlich, darauf gerichtet sein, mit diesem "Mehr" nicht das Grundrechtsgut auch vor eher fernliegenden Gefahren zu schützen, sondern allgemeinen Belangen zu dienen; zum anderen - und das ist das Entscheidende - muß dieser Wille ausdrücklich in der Norm enthalten sein, so daß also eine Umkehrung des herkömmlichen Vorgehens bei der Ermittlung des Drittschutzes einer Norm angebracht ist. Läßt sich einer objektiv einem grundrechtlichen Schutzgut zugute kommenden Norm ein ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen, stellt sie ein subjektiv öffent1iches Recht dar, selbst wenn sie weit über das hinausgeht, was in bezug auf das Grundrechtsgut gefordert gewesen wäre; nicht dagegen muß in dieser Situation danach geforscht werden, ob der Gesetzgeber tatsächlich ein solches Bestreben hatte. Der Norm muß also nicht Drittschutz, sondern/eh/ender Drittschutz entnommen werden. c) Mit dieser Überlegung wird eine Anschauung aktualisiert, die schon sehr früh 118 in die Diskussion um das subjektiv öffentliche Recht - allerdings 117 Diese Grenze dürfte im übrigen in der Praxis nur schwer zu ziehen sein, vgl. Send/er, UPR 1981, 1,5. 118 Bereits Bühler erkennt an, daß man den Gesetzesmaterialien bezüglich des Individualschutzes "sehr häufig ... etwas Bestimmtes nicht entnehmen" könne, so daß man "im Zweifel wohl anzunehmen (hat), dass ein Rechtssatz, der faktisch Individualinteressen zugute kommt, ... auch den Zweck hat, ihnen zu dienen, und dass er daher geeignet ist, ... subjektive öffentliche Rechte ... hervorzubringen", Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 45.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

in unterschiedlichen Varianten - eingebracht worden ist, nämlich die "Vermutungslehre"119. Zwischen diesen überkommenen Ansätzen und der hier vertretenen Funktion der Vermutung besteht allerdings ein beachtenswerter Unterschied: In der Literatur wird die Vermutung dazu benutzt zu entscheiden, ob bestimmte Interessen dem einzelnen rechtlich zugeordnet werden sollen oder nicht; im Zweifel sei ein Rechtssatz, der faktisch einem Interesse zugute komme, auch dazu bestimmt, diesem Interesse zu dienen l2O • Diese Pauschalierung sieht sich zurecht dem Einwand ausgesetzt, daß in polygonalen Verhältnissen, in einem System sich vielfältig überschneidender Freiheitsgewährleistungen eine "allgemeine Freiheitsvermutung" nicht weiterhelfen kann l21 • Im übrigen bleibt auch die Vermutungslehre eine Aussage darüber schuldig, wann ein Rechtssatz faktisch einem Interesse zugute kommt; wie oben gezeigt, kann dies letztlich für die gesamte Rechtsordnung gelten l22 • Vorliegend wird die Vermutung demgegenüber ganz punktuell eingesetzt, nachdem die Entscheidung über die rechtliche Zuordnung des Interesses bereits gefallen ist. In dem Bereich, in dem der Gesetzgeber die Trennlinie zwischen den Grundrechtssphären nach Ermessen ziehen kann, wo also Grundrechtsschutz verfassungsrechtlich nicht geboten ist, muß der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck bringen und begründen, daß insoweit kein Grundrechtsschutz (mit-)beabsichtigt war. Im gegenteiligen Fall führt die Vermutung zu einem subjektiv öffentlichen Recht. d) Abschließend sei - wegen der Problemstellung der Arbeit nur ganz kurz und umrißhaft - diese abstrakte Darstellung an einem Beispiel konkretisiert, nämlich an § 34 BauGB und dort an dem Gebot des "Sich-Einfügens". Diese Norm grenzt objektiv (auch) Grundrechtssphären voneinander ab, nämlich die Baufreiheit auf der einen und die Eigentümerfreiheit des Nachbarn auf der anderen Seite. Gebäude, die sich nicht in die Umgebung "einfügen", können auch Auswirkungen auf Nutzungsfähigkeit und Wert 119 Vgl. Baehot. GS für Jellinek, S. 287, 296, 301, 303; ders., DVBI. 1961, 128, 130; Lal/binger, Doppelwirkung, S. 24f; Rupp, Grundfragen, S. 246ff; Wiedenbrüg, Sozialstaatsprinzip, S. 376ff; neuerdings wieder Bleekmann, VBIBW 1985, S. 36lf; Jaeob, BauR 1984, I, 6 FN 67; Robbers, Sicherheit, S. 153. Auch das BVerfG hat zunächst diese Tendenz unterstützt, vgl. BVerfGE 15, 275, 28lf, mit ausdrücklichem Verweis auf Baehot Später hat das Gericht diese Auffassung - soweit ersichtlich - nicht bestätigt. Das BVerwG ist dem BVerfG insoweit ebenfalls nicht gefolgt, vgl. BVerwG, NJW 1968, 2393, 2394. 120 Baehot, GS für Jellinek, S. 287, 296. 121 Seholz, 122 ..

Wirtschaftsaufsicht, S. 130; kritisch auch Evers, JuS 1962, 87, 89.

Ahnlich Bleekmann, VBIBW 1985, 361.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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nachbarlicher Grundstücke äußern. Daß Art. 14 GG in hohem Maße normgeprägt ist und Inhalt des Eigentums, also der Schutzbereich, vom Gesetzgeber erst bestimmt wird, ändert an der grundsätzlichen Abgrenzungsfunktion der Legislative nichts. Auch und gerade hier haben die einfachgesetzlichen Bestimmungen am Grundrechtsschutz teil123 • Denkt man sich - nach der Abstrahierungsmethode - das Einfügungsgebot in § 34 BauGB weg, so bleibt der nachbarliche Eigentumskonflikt ungeregelt, die Schutzpflicht wird - wenn überhaupt - nur erheblich schlechter erfüllt. Daraus folgt, daß das Einfügungsgebot ein subjektiv öffentliches Recht des Nachbarn darstellt. Unbestreitbar hat der Gesetzgeber mit dieser Norm mehr getan, als wozu er grundrechtlich verpflichtet gewesen wäre. Trotzdem geht der Drittschutz nicht "durch die Norm hindurch", da sich aus ihr ausdrücklich nicht entnehmen läßt, daß und inwieweit sie dem Schutz von Grundrechtsgütern gerade nicht dienen soll. Aus der lapidaren Verpflichtung, daß sich Vorhaben in die Umgebung einzufügen haben, läßt sich nichts ableiten. Die Vermutung zugunsten eines subjektiv öffentlichen Rechts wird daher wirksam. Im Ergebnis ist das Einfügungsgebot in § 34 BauGB daher insgesamt eine drittschützende Norm l2A • I/I. Zusammenfassung

Der grundrechtlichen Schutzpflicht kommt die entscheidende Funktion für die Beantwortung der Frage zu, wann eine Norm einfachen Rechts drittschützend ist. Der einzelne hat einen Anspruch darauf, daß die Regelungen, die als Abgrenzungslinien grundrechtliche Freiheitsbereiche voneinander trennen, deren Anwendung also objektiv, d. h. ohne daß es auf den Willen des Gesetzgebers ankäme, seinen Grundrechtsgütern nützt, auch eingehalten werden. Anders formuliert: Kann die zu untersuchende Vorschrift nicht hinweggedacht werden, ohne daß der die Freiheitsbereiche abtrennende bzw. grundrechtsschützende Erfolg ganz oder teilweise entfiele, stellt sie ein subjektiv öffentliches Recht dar. 123

..

Broß, DOV 1978, 283, 285; Parodi, BauR 1985, 415, 424.

12A Anders Alexy, DÖV 1984, 953, 962, der § 34 BauGB zwar für eine ·potentiell" drittschützende Norm hält; aktualisiert werde dieser Schutz aber nur insoweit, als das Gebot der Rücksichtnahme auf nachbarliche Interessen reiche.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Dies gilt auch dann, wenn das Gesetz mehr an Schutz enthält, als die Verfassung gebietet. Grundrecht und Norm bilden insoweit eine Einheit. Der Drittschutz geht nicht "durch die Norm hindurch". Lediglich dann, wenn der Gesetzgeber in der Vorschrift eindeutig zu erkennen gibt, daß nicht der Schutz von Grundrechtsgütern, sondern von Allgemeinbelangen von der Norm intendiert ist, und der grundrechtliehe Mindeststandard gewahrt bleibt, kann diese Absicht berücksichtigt werden. Als Grundregel gilt daher, daß objektiv grundrechtsschützenden Vorschriften nicht Drittschutz, sondern fehlender Drittschutz entnommen werden muß. § 18: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

l. Rücksichtnahmegebot und "schweres und unerträgliches" Betroffensein

Das gerade angeführte Beispiel lenkt den Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, zu der abschließend einige Bemerkungen gemacht werden sollen. § 34 BauGB - aber auch andere Normen des Baurechts - werden von dem Gericht ja als nicht drittschützend angesehen. Um die Belange des Nachbarn trotzdem angemessen berücksichtigen zu können, behilft man sich vor allem mit den Konstruktionen des "Rücksichtnahmegebots" und des "schweren und unerträglichen Betroffenseins"I25. Diese beiden Formen der Gewährung von Rechtsschutz werden nach der hier vertretenen Auffassung überflüssig. Da gerade nicht mehr nach dem Willen des Gesetzgebers oder nach einem sich aus dem Gesetz ergebenden, abgrenzbaren Personenkreis, den die Vorschriften schützen sollen, gefragt wird, sondern nur nach deren objektiver Bedeutung für die Schutzpflicht, erhalten eine ganze Reihe von Normen subjektiven Charakter, den sie nach der herkömmlichen Auffassung nicht hätten. So können beispielsweise über § 34 und § 35 BauGB bei verfassungskonformer Auslegung all diejenigen Interessen subjektiviert werden, die bislang über das arg gekünstelte Instrument des Rücksichtnahmegebots, das zumindest "praeter legern" entwickelt worden ise 26, rechtlich handhabbar gemacht wurden. Das heißt nun nicht, daß die materiell wertvollen Ergeb125 Vgl. die oben § 411. dargestellte Rechtsprechung des BVerwG. 126 So v.

a. Peine, DÖV 1984, 963, 966ff; ähnlich Breuer, DVBI. 1983,431,438.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

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nisse, die das Bundesverwaltungsgericht dem Rücksichtnahmegebot abgewonnen hat, beiseite gewischt werden, vielmehr werden sie nur auf grundrechtliches Geheiß in das einfache Recht "inkorporiert"lV. Das bedeutet, daß sich das Rücksichtnahmegebot, so wie es hier verstanden wird, entgegen verschiedener Stimmen in der Literatur l28 und der Rechtsprechungl29 sehr wohl in der Verfassung verorten läßt. Nicht der Bauherr ist dabei der Adressat, sondern die Behörde, die wegen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht bei Auslegung und Anwendung der Normen des einfachen Rechts "Rücksicht" auf die Grundrechtspositionen der betroffenen Dritten zu nehmen hat, auch wenn es um Vorschriften geht, deren Inhalt den Schutzbereich des Art. 14 GG erst festlegen. Die Normen, die die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich bringen, sind drittschützend. Auch zu der Problematik des "schweren und unerträglichen Betroffenseins" mögen einige kurze Anmerkungen genügen. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich diesen ersten Versuch einer Erweiterung des Nachbarschutzes recht bald zugunsten des Rücksichtnahmegebots weitgehend zurückgestelle3O • Das Gericht selbst gibt für die Begrenzung des Grundrechtsschutzes bei Drittklagen auf die Fälle "schweren und unerträglichen Betroffenseins" keine Begründung. Entsprechend vielfältig und unterschiedlich sind denn auch die Deutungen und Lösungsversuche in der Literaturm. Mit einiger IV Alexy, DÖV 1984, 953, 956f; ähnlich Parodi, BauR 1985, 415, 417; das BVerwG scheint jetzt dieser Auffassung zuzuneigen, vgl. BVerwG NVwZ 1987, 409; entgegen BVerwGE 27, 29, 33; 32, 173, 177; a. A. Peine, DÖV 1984, %3, %7f; Wasmuth, NVwZ 1988, 322, 323. 128 Vgl. Berger, Nachbarklagen, S. 121; Breuer, DVBI. 1982, 1065, 1069; Dürr, NVwZ 1985, 719, 722; Schenke, NuR 1983, 81, 82; Schlichter, DVBI. 1984, 875, 876; entgegen Weyreuther, BauR 1975, 1; ders., Außenbereich, S. 31Of, der das Rücksichtnahmegebot v. a. an Art. 14 Abs. 2 GG anknüpft. 129 Vgl. BVerwG NVwZ 1987, 409.

Zu einer Ausnahme, der "Krabbenfischer"-Entscheidung sogleich unten III. Hier nur eine kleine Auswahl: Wahl, JuS 1984, 577, 583, hält die Formel für eine Abgrenzung zwischen Enteignung und Sozialbindung des Eigentums; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 7, sieht darin die Konsequenz der Einordnung der Drittklage bei der Schutzdimension der Grundrechte; Krebs, PS für Menger, S. 191, 207, erkennt die Tendenz zur Reduktion des Eingriffsbegriffs bei mittelbaren Beeinträchtigungen; Schenke, NuR 1983, 81, 88, hält die Einschränkung insgesamt für ungereChtfertigt, da es um einen Grundrechtseingriff gehe; interessant, aber weniger überzeugend ist die Deutung von Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 191ff; ähnlich Pietzcker, PS für Bachof, S. 131, 142; Sendler, BauR 1970, 74, 78f: das schwere und unerträgliche Betroffensein markiere die Grenze, ab wann ein Vorhaben, das keinerlei physische Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück habe, sondern nur dessen Umgebung verändere, als Einwirkung auf das Eigentum begriffen werden könne. Es ist allerdings kaum nachvollziehbar, daß der Schutzbereich (!) des Art. 14 GG erst bei schwerem und unerträglichem Betroffen(!)sein berührt sein soll. 130 131

200

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Wahrscheinlichkeit hat die einschränkende Tendenz ihren Ursprung darin, daß das Bundesverwaltungsgericht unterbewußt bei privat vermittelten Beeinträchtigungen die Grundrechte erst ab der Überschreitung einer gewissen Grenze einsetzen zu können glaubt. Die Rechtsprechung des Gerichts findet damit ihre Entsprechung in der Auffassung, daß auch zur Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht eine bestimmte Schwelle überstiegen werden müsse 132• Hier ist nicht der richtige Ort, um tiefgehende Überlegungen zu dieser "Schwellentheorie" anzustellen. Es sei aber darauf hingewiesen, daß sie ihre dogmatische Verortung bei der Frage finden muß, ob und wann der Gesetzgeber dazu verpflichtet werden kann, Schutzmaßnahmen für Grundrechtsgüter zu ergreifen133 • Grund für diese Grenzziehung ist also letztlich eine gewaltenteilerische Erwägung im Konfliktfeld politische Entscheidung des Gesetzgebers - verfassungsrechtliche Überprüfung durch die Rechtsprechung. Was aber bei Legislativakten durchaus Legitimation besitzt, darf nicht ohne weiteres auf die Ebene der Rechtsanwendung übertragen werden. Hier ist die Kollisionslösung normalerweise - und im Baurecht zum al - bereits einfachgesetzlich getroffen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß Drittschutz nur im Bereich des grundrechtlichen Minimalstandards gewährt wird, daß er also wieder "durch die Norm hindurchgeht". Daß das Gericht diese Konsequenz nicht am einfachen Recht anknüpft, sondern unmittelbar am Grundrecht, ändert daran nichts, vielmehr stellt sich das zusätzliche Problem, wie denn die Rechtswidrigkeit beim "schweren und unerträglichen Betroffensein" beschaffen sein muß. Genügt jeder Gesetzesverstoß oder muß wieder eine spezifische Normverletzung vorliegen, um dem Nachbarn einen Aufhebungsanspruch zu verleihen? Das Bundesverwaltungsgericht äußert sich dazu nicht eindeutig, wohl auch deshalb, weil es das Problem des "schweren und unerträglichen Betroffenseins" in erster Linie bei der Klagebefugnis, also bei der Zulässigkeit ansiedelt. All diese Schwierigkeiten tauchen nicht auf, wenn man die hier vertretene Auffassung zugrunde legt. Verfassungskonform bestimmter, einfachgesetzlicher Drittschutz auf der einen und grundrechtlicher Drittschutz auf der anderen Seite sind kongruent l34 , einer schwierig zu bestimmenden Schwelle für den 132 Vgl. Breuer, 25 Jahre BVerwG, S. 89, 94, 109; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 179f; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981),205, 209; Scholz, DB-Beil. 10/79, S. 16; Soell, NuR 1985,205,208; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 33ff; ders., Mensch, S. 52. 133 Dazu schon oben § 16 111.

134 ..

Ahnlieh Berger, Nachbarklagen, S. 128f.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

201

Drittschutz bedarf es nicht mehr, die Frage nach dem Prüfungsmaßstab wird eindeutig beantwortet. Il. Alt. 2 Abs. 1 GG als subjektiv öffentliches Recht die "Geretsried"-Entscheidung

Einer Beschäftigung wert ist auch die Behandlung des Art. 2 Abs. 1 GG als subjektiv öffentliches Recht durch das Bundesverwaltungsgericht. In der "Geretsried"-Entscheidung stellt es fest, daß sich auf Art. 2 Abs. 1 GG eine Nachbarklage grundsätzlich nicht stützen lasse. Es sei Sache des Gesetzgebers, die Rechtssubjekte mit subjektiven Rechten auszustatten und damit zu entscheiden, wer berufen sein solle, etwaige Unrechtmäßigkeiten zur gerichtlichen Kontrolle zu stellen. Nicht Art. 2 Abs. 1 GG schaffe die für eine gerichtliche Kontrolle unerläßliche rechtliche Beziehung zwischen dem Kläger und der begehrten Kontrolle, sondern Art. 2 Abs. 1 GG setze voraus, daß sich eine solche Beziehung aus der sonstigen Rechtsordnung ergebe 135 • Gegen diese Auffassung spricht offensichtlich, daß sie Art. 2 Abs. 1 GG zu einem Grundrecht minderer Qualität macht, zu einem Freiheitsrecht nach Maßgabe der Gesetze. Freiheit scheint danach nicht vom Gesetzgeber eingeschränkt, sondern erst gewährt zu werden l36 • Ein Bild, das mit der Funktion des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht, als Schlußstein grundrechtlicher Freiheitsgewährleistung schwerlich vereinbar ist. Andererseits steht einer ausgedehnten Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG die Gefahr eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchs entgegen 137 • Jedermann könnte über Art. 2 Abs. 1 GG Interessen zu seinen eigenen machen, ohne daß sie ansonsten rechtlich als ihm zugehörig festgelegt wären l38 • Die Einordnung des Drittschutzes bei der Schutzpflicht löst auch diesen Widerspruch auf und weist den Weg zum richtigen Umgang mit Art. 2 135 BVerwGE 54, 211, 221; die Entscheidung hat in der Literatur überwiegend Zustimmung erfahren, vgl. BTeuer, DVBI. 1983,431,436; ders., DVBI. 1986,849,854; Schlichter, NVwZ 1983, 641,642; ders., PS für Scupin, S. 881, 884f; Stüer, NuR 1981, 149, 155. 136 Beckmann, Rechtsschutz, S. 187f. 137 Vgl. nur SChmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 122; Seho/z, WDStRL 34 (1976), 141, 200 FN 227. 138 Vgl. Pietzcker, PS für Bachof, S. 131,147; ähnliche Bedenken äußern Henke, PS für Weber, S. 495, 510f; LoTenz, Rechtsschutz, S. 65f. Eyermann, BayVBI. 1974,237,242, erfüllt diese Vorstellung gar "mit Schaudern".

202

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Abs.l GG. Wie oben angesprochen, lassen sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen neue "Nominatfreiheiten" entwickeln, deren Schutzgut auch eine Schutzpflicht entspricht. Art. 2 Abs. 1 GG ist also nicht - wie das Bundesverwaltungsgericht anzunehmen scheint - völlig gesetzesabhängig, er transformiert aber auch nicht im Bereich nichtstaatlicher Beeinträchtigungen jeden Gesetzesverstoß zu einer Grundrechtsverletzung. Soweit aber durch Art. 2 Abs. 1 GG bestimmte, "neue" Schutzgüter gewährleistet sind, erhalten die diesem zugute kommenden Regelungen den Charakter eines subjektiv öffentlichen Rechts. Damit wird sowohl die Überordnung der Grundrechte über das einfache Gesetz sichergestellt, als auch die Gefahr eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchs gebannt.

III. Die "Krabbenfischer"-Entscheidung Welche Blüten die Drittschutzkonstruktion der Rechtsprechung treiben kann, zeigt der Fall eines Krabbenfischers, der sich gegen eine aufgrund Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG l39 erteilte Genehmigung zur Dünnsäureverklappung in drei Instanzen l40 - schließlich erfolgreich - gewehrt hat. Alle drei Begründungswege für den Drittschutz - Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG als Schutznorm l41 , Rücksichtnahmegeboe 42, unmittelbare Heranziehung von Grundrechten143 - wurden von den Gerichten in unterschiedlichen Varianten angeboten. Die letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hält dann noch eine ganz besondere Delikatesse bereit. Die Begründungslinie 139 Gesetz zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abf.iIIen durch Schiffe und Luftfahrzeuge - Einbringungsgesetz - vom 1l.2.19n (BGBI. 11 S. 165). 140 VG Hamburg DVBI. 1981, 269f; OVG Hamburg JZ 1981, 70lff; BVerwGE 66, 307ff; ausführlich dazu Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 149ff. Ansonsten haben die Entscheidungen überraschenderweise wenig Nachhall gefunden, vgl. Peters, Anm. zu VG Hamburg, DVBI. 1981, 27lf; Kunig, Anm. zu OVG Hamburg, NuR 82, 25f; ders., JZ 1981, 295ff; Gündling, NuR 1982, SOff; Kloep[er, Rechtsschutz, S. 47f; das., Umweltrecht, S. 264f. 141 So das VG Hamburg DVBI. 1981, 269, 270; ablehnend BVerwGE 66, 307, 308; gegen eine drittschützende Wirkung des Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG auch Salzwedel, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 569, 625. 142 So das OVG Hamburg JZ 1981, 701, 703; ablehnend wieder BVerwGE 66, 307, 308f. 143 So das BVerwG, BVerwGE 66, 307, 309; das VG Hamburg erwähnt - soweit veröffentlicht - bezeichnenderweise Art. 14 GG mit keinem Wort.

6. Kapitel: Die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht

203

des Gerichts sei hier kurz dargestellt: Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG sei zwar keine drittschützende Norm, dem Krabbenfischer könne aber trotzdem aus verfassungsrechtlichen Gründen Drittschutz zustehen. "Die Fanggründe und der dortige Fischreichturn gehören allerdings nicht in der Weise zu dem durch Art. 14 GG geschützten Eigentum, daß ihre bloße - auch schwere Beeinträchtigung schon einen Eingriff in den Gewerbebetrieb darstellen würde. Sie vermitteln insoweit nur bloße Erwerbsmöglichkeiten oder Chancen, die eigentumsrechtlich nicht gesichert sind ... Wenn diese Chance aber objektivrechtlich geschützt ist und der Kl. als Berufsfischer auf dieser Chance seinen Gewerbebetrieb aufgebaut hat, darf sie ihm nicht in gesetzund damit rechtswidriger Weise durch eine Maßnahme der Verwaltung entzogen werden, wenn dies zur Folge hat, daß sein Gewerbebetrieb 'schwer und unerträglich' oder 'der Bestand seines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ernsthaft in Frage gestellt' wird."I44. Eine doch recht eigenwillige Konstruktion. Die einfachgesetzliche Genehmigungsvorschrift stellt kein subjektiv öffentliches Recht dar, die Position des Krabbenfischers ist auch nicht verfassungsrechtlich gewährleistet, sondern gehört zum nur objektivrechtlich geschützten Vorhof des Grundrechts. Kommt beides zusammen, ergibt sich daraus plötzlich Drittschutz, wobei völlig offen bleibt, ob unmittelbar das Grundrecht oder doch Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG das subjektiv öffentliche Recht darstelle 45 • So sonderbar der Begründungsweg des Bundesverwaltungsgerichts auch ist, der Sache nach weist er durchaus Strukturen auf, die der hier vertretenen Auffassung entsprechen. Existiert eine grundrechtliche Schutzpflicht hier aus Art. 14 GG - und erläßt der Gesetzgeber eine diese Pflicht nachzeichnende Norm, ist diese drittschützend, auch wenn sie mehr gewährt, als grundrechtlich gefordert ist, wenn sie also eine bloße Chance schützt. Noch deutlicher wird dies, wenn man den weiteren Ausführungen des Gerichts folgt. Es erkennt nämlich, daß insoweit die Situation des Krabbenfischers der des Verklappungsunternehmers entspricht. Auch dieser "hat - eigentumsrechtlich gesehen - kein Recht, sondern nur eine Chance", daß er Abfälle auf hoher See beseitigen dürfe. "Soweit diese Chance nach Maßgabe der einschlägigen Gesetzesregelung aber besteht, darf sie (dem Verklappungsunternehmer) nicht in rechtswidriger Weise vorenthalten werden". Insoweit stünde ihm auch gegen die Ablehnung der Verklappungsgenehmi144 BVetwGE 66,307,309. 145

Vgl. auch Kloepfer, VerwArch 1985, 371, 383f.

204

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

gung eine Klagebefugnis ZUI46. Es überschneiden sich also die zunächst unpräformierten Freiheitsbereiche der Meeresnutzer, die auch die "Chancen" zur jeweiligen Nutzung mitbeinhalten. Zieht der Gesetzgeber die Trennlinie zwischen diesen Grundrechtssphären, können die Betroffenen "von beiden Seiten her" die Einhaltung der Grenzziehung nachprüfen lassen. Richtigerweise stellt also bereits Art. 2 Abs. 2 Hohe-See-EinbrG ein subjektiv öffentliches Recht dar. Der gewundenen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hätte es nicht bedurft.

146

BVerwGE 66,307, 309f (Klammerzusatz vom Verf.).

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten § 19: Allgemeine Abgrenzung von Abwehr und Schutz

I. Fonnen staatlicher Einflußnahme

Mit dem oben gefundenen Ergebnis einer grundsätzlichen Trennung von Abwehr- und Schutzdimension der Grundrechte, je nachdem, ob die Beeinträchtigung von einem Privaten oder vom Staat herrührt, ist die Problematik allerdings noch nicht vollständig geklärt. Denn trotz der grundsätzlichen Erkenntnis, daß private Handlungen dem Staat nicht automatisch zugerechnet werden können, etwa weil er sie duldet oder weil er sie durch einen behördlichen Akt gestattet hat, ist eine saubere Abscheidung in private bzw. staatliche Tätigkeit in vielen Fällen nicht möglich. Der Staat nimmt auf vielerlei Gebieten und in mannigfaltiger Weise qualitativ und quantitativ unterschiedlich Einfluß auf das Handeln der Bürger!. Dies kann beispielsweise in der bloßen finanziellen Unterstützung eines bestimmten Projektes bestehen: Forschungsvorhaben können bezuschußt bzw. völlig vom Staat finanziert werden2, zur Erreichung bestimmter wirt! Vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 58f; allgemein Grawert, FS für Broermann, S. 457, 465ff. Für den Bereich des europäischen Gemeinschaftsrechts bestimmt Art. 2 der Richtlinie der Kommission der europäischen Gemeinschaften über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten und den öffentlichen Unternehmen vom 25. Juni 1980 (80/723/EWG), daß als öffentliches Unternehmen jedes Unternehmen zu gelten hat, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann, ABI. 1980 Nr. L 195/35. 2 So wendete die öffentliche Hand 1985 ca. 40 Milliarden DM für Forschungsvorhaben auf. Von 1956 bis 1976 wurde die Entwicklung der Kernenergie mit über 17 Milliarden DM gefördert, vgl. Jarass, Der Staat 17 (1978), 507, 514. Noch 1984 finanzierte allein der Bund Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Kernenergie in Höhe von knapp 1,6 Milliarden DM, vgl. BT-DrS. 10/5298; vgl. auch den Bundesbericht Forschung 1988, hrsg. vom Bundesminister für Forschung und Technologie. Zum Bereich der Umweltforschung eingehend Soell, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1989, S. 3ff.

206

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

schafts- oder auch allgemeinpolitischer Zwecke können Steuererleichterungen gewährt oder Subventionen gegeben werden. Neben dieser finanziellen Förderung ist aber auch möglich, daß der Staat Hilfen in personeller bzw. sachlicher Hinsicht zur Verfügung stelle. Insgesamt ist eine Fülle von Maßnahmen der öffentlichen Hand denkbar und auch in der Praxis realisiert, die hier auch in groben Zügen nicht wiedergegeben werden kann. Jedenfalls ist leicht einzusehen, daß die Steuerung privatautonomer Entscheidungen durch den Staat in einer Weise möglich wird, die von der Zurverfügungstellung einer bloß zusätzlichen Handlungsmöglichkeit bis nahe an ein staatliches Gebot heranreichen kann; letzteres z. B. wenn durch die Förderung die Konkurrenzsituation eines Wirtschaftssektors so verändert wird, daß die Nichtinanspruchnahme der staatlichen Leistung einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil mit sich bringen würde4 • Neben dieser Möglichkeit "interventionistischer" Einflußnahme durch Hilfen und Anregungen nimmt der Staat aber auch selbst "als Privater" am Wirtschaftsleben teil. Verselbständigte juristische Personen des Privatrechts, die sich zu 100 % in staatlicher Hand befinden oder auch nur mehrheitlich vom Staat beherrscht werden, sind keine Seltenheits. Häufig sind auch verschiedene juristische Personen des öffentlichen Rechts an einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft beteiligt, z. B. Bund, Länder und Gemeinden an Energieversorgungsunternehmen6 • Wie ist es schließlich zu beurteilen, wenn eine Privatperson durch ein staatliches Gebot automatisch Beeinträchtigungen ausgesetzt wird, die ebenfalls von privater Seite herrühren; man denke nur an einen zum Ver3 Eine solche Verflechtung mit privatrechtlichen Organisationsformen findet sich z. B. bei der ausländischen Kulturpolitik, so sind das Goethe-Institut oder der Deutsche Akademische Austauschdienst als eingetragene Vereine organisiert; in allen maßgeblichen Gremien dieser Vereine befinden sich Vertreter des Bundes. 4 VgI. zu dem Komplex Subventionen und Grundrechtsrelevanz sehr eingehend LübbeWolf!, Eingriffsabwehrrechte, S. 205ff, m. v. w. N. Man denke auch an die faktische Abhängigkeit von Rüstungsunternehmen und Straßenbaufirmen, die auf staatliche Aufträge angewiesen sind. Angesichts der speziellen Fragestellung dieser Arbeit kann auf die sehr interessante Problematik "Leistung und Grundrechtseingriff" nicht eingegangen werden. S Eine eindrucksvolle Aufzählung des Umfangs der Beteiligung von Bund, Ländern und Gemeinden an solchen Organisationsformen findet sich bei Eh/ers, Verwaltung, S. 15ff. Die Terminologie ist uneinheitlich, meist wird von Eigenbetrieben, gemischt öffentlichen und gemischt wirtschaftlichen Unternehmen gesprochen, vgl. z. B. !arass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 216f; teilweise werden publizistische und gemischt publizistische Vereinigungen unterschieden, so Eh/ers, a. a. 0., S. 9f. 6 Zur Einflußnahme des Staates auf die Energiewirtschaft vgI. allgemein !arass, Der Staat 17 (1978), 507ff.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

207

kehrsunterricht vorgeladenen Bürger, der durch andere rauchende Teilnehmer belästigt wird7 • Einige dieser Fallgruppen können vorweg als relativ unproblematisch ausgeschieden werden. Gehen die Beeinträchtigungen zwar von Privaten aus, sind jedoch diese Beeinträchtigungen staatlich geboten, müssen sie auch dem Staat zugerechnet werden. Der Bürger ist hier nur "Werkzeug" der öffentlichen Hand8 • Hierher gehört sicherlich auch der Fall der Beleihung, wenn also ein Privater hoheitliche Aufgaben erfüllt, er im Dienst und im Auftrag des Staates tätig wird9 • Zu dieser Gruppe kann auch das obige Beispiel einer zwangsläufigen Beeinträchtigung durch Private aufgrund eines staatlichen Gebots gezählt werden10 • In all diesen Fällen muß die private Tätigkeit dem Staat zugerechnet werden. Die Grundrechte der Betroffenen sind in ihrer Abwehrfunktion angesprochen. Einer darüber hinausgehenden Schutzpflicht des Staates bedarf es nicht. Andererseits darf auch nicht von einer irgendwie gearteten staatlichen Einflußnahme sofort auf eine Zurechnung der privaten Tätigkeit geschlossen werden. Wie erwähnt, ist der Staat in mannigfaltiger Weise durch Anregungen, Hilfen, Förderungen, Erlaubnissen, Beteiligungen u. ä. an privaten Handlungen beteiligt. Wollte man die Grundrechte hier in jedem Fall als Abwehrrechte aktivieren, würde der Eingriffsbegriff ungerechtfertigt aufgebläht und verlöre jegliche Kontur l1 . Vor allem ließe man aber die grundrechtliche Berechtigung der Privaten völlig außer acht.

7 Zum Streit um die Bedeutung der Grundrechte im Konflikt Raucher - Nichtraucher vgl. Sehelz, JuS 1976, 232ff; ders., DB-Beil. 10/79; Ule, DVBI. 1977, 488f. 8 Murswiek, Verantwortung, S. 59f; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 182; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 32. 9 Dies wird _ soweit ersichtlich - nicht bestritten, vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 123f, 174, m. w. N; Schmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 56. 10 Hermes, Grundrecht, S. 83; Losehelder, ZBR 1977, 337, 339; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 216, der mit Hilfe dieses Beispiels bezeichnenderweise eine umfassende Zurechnung privater Tätigkeit begründen will; vgl. dazu auch OLG Hamm NJW 1983, 583f; VG Schleswig NJW 1975, 275. 11 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 215; anders Eiberle-Herm, DuR 1987, 264, 266, der dem Staat, der neue Techniken zuläßt und fördert, eine allgemeine Mitverantwortung für die daraus resultierenden Gefährdungen zuweist. Über diesen Weg wäre man wieder bei der These von Schwabe angelangt, daß jegliche private Tätigkeit kraft staatlicher Duldung den Abwehrbereich der Grundrechte anspreche, dazu schon oben § 9 III.

208

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

11. Abgrenzungsversuche in der "Grauzone"

Es verbleibt also eine weite Grauzone, in der eine eindeutige Zuordnung - private Tätigkeit oder staatliche Zurechnung - häufig nicht möglich ist. Obgleich in Literatur und Rechtsprechung diese Verschränkung zwischen staatlicher und privater Tätigkeit recht selten problematisiert, insbesondere ihre Bedeutung für die Grundrechte der betroffenen Bürger kaum untersucht wird, finden sich doch einige Vorschläge zu einer Trennung dieser bei den Gruppen l2 • 1. Die Vorschläge in der Literatur a) Hennes 13 stellt beispielsweise darauf ab, ob der staatliche Akt konstitutiv für die Beeinträchtigung ist; allein seine Unterlassung müsse die Beeinträchtigung durch den Dritten unmöglich machen, die staatliche Maßnahme müsse also conditio sine qua non sein. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht in seiner "Pershing"-Entscheidung ein ganz ähnliches Kriterium herangezogen: Die Bedrohung von Leben und Gesundheit durch die Gefahr eines atomaren Krieges gehe von einem fremden Staat aus; ein sowjetischer Kernwaffenangriff sei auch ohne die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Boden denkbar. Daher handele es sich dabei nicht um einen ge zielten und unmittelbaren Eingriff in Grundrechte durch die staatliche Gewale 4 • So einleuchtend und vor allem so eindeutig der Abgrenzungsmaßstab von

Hennes auch zunächst zu sein scheint, er kann trotzdem nicht in jeder Hin-

sicht überzeugen. Zunächst: welche Art von Unmöglichkeit soll denn gefordert werden? Eine tatsächliche Unmöglichkeit - so wie sie wohl das Bundesverfassungsgericht vor Augen hatte - wäre zu eng und ist von Hennes auch gar nicht gemeint. Deutlich wird dies an dem von Hennes gewählten Beispiel für eine solche Unmöglichkeit: die Produktion von Kriegswaffen sei gemäß Art. 26 Abs. 2 GG grundsätzlich von einer Zustimmung der bundes12 Häufig wird dabei aber nicht deutlich gemacht, welche unterschiedlichen Rechtsfolgen an eine staatliche Zurechnung privater Tätigkeit geknüpft werden müssen. 13 Hermes, Grundrecht, S. 82. 14 BVerfGE 66, 39, 59f; kritisch zur Heranziehung dieser Entscheidung bei "privatvermittelten" Handlungen des Staates Bleckmann / Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 377.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

209

deutschen Staatsorgane abhängig; ihre Herstellung sei also dem Staat zuzurechnen l5 • Waffen können tatsächlich auch ohne Zustimmung produziert werden. Führt also eine rechtliche Unmöglichkeit zum Ziel? Damit würde aber qua Genehmigungsakt wieder eine umfassende Einstandspflicht des Staates begründet. Dagegen spricht sich auch Hennes dezidiert aus 16• Also eine verfassungsrechtliche Unmöglichkeit? Dort wo der Staat eine verfassungsrechtlich "an sich" verbotene, also auch von den Grundrechten nicht umfaßte Freiheitsbetätigung "freigibt", würde sie zur staatlichen. Dies beschränkt aber die Zurechnung privater Tätigkeit auf einige wenige, besonders gelagerte Ausnahmefälle. Eine solche Verengung schlösse auch ein staatliches Einstehen für Lärm- und Schadstoffemissionen aus, die von Straßenbenutzungen ausgehen. Diese will Hennes aber dem Staat gerade zurechnen!1. Also doch eine tatsächliche Unmöglichkeit? Allerdings ist es nicht denkunmöglich, daß auch Private Straßen bauen. Also eine tatsächliche Unmöglichkeit, bei der die staatliche Bedingung hinweggedacht, aber keine andere (private) hinzugedacht werden dürfte? Das wäre konsequent, würde aber dazu führen, jede - auch eine ganz geringfügige - staatliche Kausalität für die Zurechnung genügen zu lassen. Selbst wenn der Staat beispielsweise ein Forschungsvorhaben nur teilweise finanziert und der Geförderte auch ohne Zuschuß mit Hilfe anderer (privater) Geldgeber oder eigener Mittel seinen Plan realisiert hätte, müßte die Durchführung als staatliches Handeln qualifiziert werden. Auch für die Fälle der staatlichen "Eigenbetätigung" bietet die Auffassung von Hennes keine griffige und dem Einzelfall entsprechende Lösung an. All dies zeigt, daß die conditio-sine-qua-non-These in dieser Schärfe nicht haltbar ist; jedoch bleibt eine Situation, in der die staatliche Beteiligung für private Vorhaben konstitutiv ist, jedenfalls ein gewichtiges Indiz für eine Zurechnung der Beeinträchtigungen, die davon ausgehen. b) Eine andere Abgrenzung versuchen Bleckmann und Eckhoff ausgehend von einer ganz prinzipiellen Umorientierung im Hinblick auf den Eingriffsbegrife s. Eine "privatvermittelte" Grundrechtsbeeinträchtigung soll dem Staat einmal dann zugerechnet werden, wenn diese Beeinträchtigung das Ziel staatlichen Handelns gewesen ist. Zum anderen soll Zurechenbar15 Hermes,

Grundrecht, S. 86.

Hermes, Grundrecht, S. 88. 17 Hermes, Grundrecht, S. 84.

16

IS Bleckmann /

Dimberger 14

Eckhof{, DVBI. 1988, 373ff.

210

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

keit dann gegeben sein, wenn "die an das Grundgesetz gebundene staatliche Gewalt, nicht aber ... eine Privatperson kraft ihrer eigenen 'natürlichen' Handlungsfreiheit den maßgeblichen Einfluß" auf die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung ausübe 9 • Wann dieser maßgebliche Einfluß allerdings vorliegt, wird nicht näher ausgeführt. Angesichts der oben angesprochenen vielfältigen Einflußformen und der unterschiedlichen Stärke der staatlichen Einflußnahme dürfte jedoch gerade in der Bestimmung der Maßgeblichkeit die entscheidende Schwierigkeit liegen. Insoweit führt der Ansatz von B/eckmann und Eckhoff nicht sehr viel weiter20• Deutlich wird aber vor allem eines. Eine in jeder Hinsicht befriedigende Patentformel scheint nicht zu existieren. Nur eine ganz am Einzelfall orientierte Vorgehensweise kann richtige und gerechte Ergebnisse herbeiführen. c) Dies bedeutet allerdings nicht, daß überhaupt keine Hilfsmittel vorhanden sind, die eine angemessene Einordnung ermöglichen; sowohl die "conditio"-These von Hennes als auch die Kriterien von B/eckmanll und Eckhoff sind wichtige Anhaltspunkte bei der Beantwortung der Frage, ob eine Freiheitsbeeinträchtigung die Grundrechte in ihrer Abwehr- oder in ihrer Schutzdimension anspricht. Man darf nur keine für alle Fallkonstellationen geltende Einheitslösung erwarten. 2. Die eigene Lösung - Grundrechtsgeltung für die Begünstigten? An dieser Stelle sollte man sich noch einmal die dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung vergegenwärtigen: wann kann ein "drittbetroffener" Bürger mit Erfolg eine Genehmigung angreifen, die gegen § 8 BNatSchG verstößt? Wie gezeigt hat er diese Möglichkeit jedenfalls dann, wenn den Gerichten als Prüfungsmaßstab das gesamte objektive Recht zur Verfügung steht, wenn der Bürger also sein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang einsetzen kann. Von diesem Ansatz ausgehend soll hier nur die Konstellation bei einer vorher erteilten Kontrollerlaubnis untersucht werden und die Frage, inwieweit allein "faktische" Einflußnahme zur staatlichen Zurechnung privater Tätigkeit führt, beiseite gelassen werden. Die Situation des Bürgers läßt sich vereinfacht graphisch so darstellen: 19 Bleckmann

20

/ Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 378.

Dies kritisiert auch Schwabe, DVBI. 1988, 1055, 1056.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

211

Staat Grundrechte als ,/ Schutzrechte, / / , , /

/

/

/

Bürger

Beeinträchtigung

Bürger

als Genehmigungsadressat

als Drittbetroffener

Abb.5

Die Konstellation, in der die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte realisiert werden, und dem Bürger einen Anspruch auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang geben, sieht hingegen so aus:

Staat

+

Beeinträchtigung

I

Grundrechte als Abwehrrechte

Bürger Abb.6

Ausschlaggebend für die jeweilige Grundrechtsfunktion ist also, ob die Beeinträchtigungssituation einem Dreieck oder einer Strecke gleicht. Problematisch sind vor allem die Fälle, die sich in der "Grauzone" zwischen Dreieck und Strecke befinden, in denen Genehmigungsadressat und Genehmigungsbehörde in einem besonderen Verhältnis zueinander stehen. Entscheidend dafür, ob sich die Strecke "Bürger - Staat" zu einem Dreieck aufspreizt, ist die Beantwortung der Frage, inwieweit einmal der Genehmigungsadressat Grundrechte betätigt, er also selbst Grnndrechtsträ-

212

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

ger gegenüber dem Staat als Genehmigungsbehörde ise 1• Zum anderen muß

untersucht werden, ob die angestrebte Tätigkeit des Privaten überhaupt als

Ausfluß einer grnndrechtlichen Freiheit angesehen werden kann, oder ob

nicht der Staat letztendlich die Verantwortung dafür an sich gezogen hat und den Privaten nur als durchführendes Organ einsetzt, ob also die Belastung des Bür;ers "originär-grundrechtlich" oder "derivativ-staatlich" ist.

Staat Grundrechte,' , '

Bürger

Abb.7

Davon zu trennen ist die Problematik, ob der betroffene Bürger auch gegenüber dem Genehmigungsadressaten Grundrechte (als Abwehrrechte) geltend machen kann, ob also der Genehmigungsadressat seinerseits grnndrechtsgebunden ist 22 • Die Bedeutung der Grundrechtsbindung sollte nicht überschätzt werden. Es ist durchaus denkbar, daß auch Grundrechtsadressaten - man denke nur an Universitäten - in eine klassische Dreieckssituation eingebunden sind Z3 • 21 Nur dann ist die staatliche Entscheidung eine grundrechtliche Kollisionslösung, vgl. Degenhart, DVBI. 1981, 201, 202f; BVerfGE 53, 30, 57f. Auf die Bedeutung der Grundrechte des Genehmigungsadressaten als Legitimationsgrundlage der Schutznormtheorie weisen z. B. Berger, Nachbarklagen, S. 99, und Löwer, DVBI. 1981,528,533, hin. 22 Zur Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand in Privatrechtsform Eltlers, Verwaltung, S. 212ff, m. w. N. Z3 Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 38; vgl. z. B. BVerfGE 15, 256, 262 (Universität); BVerfGE 61, 82, 102; hier sind die Organisationsformen gerade um der Unabhängigkeit vom Staat willen geschaffen worden; Grundrechtssubjektivität und Grundrechtsbindung gleich setzen zu Unrecht z. B. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 82f; Erbguth, Umweltrecht, S. 159; Rupp, AöR 101, (1976), 161, 167 FN 23; vgl. dazu auch BGH DVBI. 1984, 1118, 1119.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

213

II/. Zusammenfassung

Angesichts der Fülle unterschiedlicher staatlicher Einflußnahmen im weitesten Sinne auf private Tätigkeiten ist eine Abgrenzung, wann die Schutz- und wann die Abwehrdimension der Grundrechte herangezogen werden muß, schwierig und stets am konkreten Fall zu beurteilen. Bei staatlichen Erlaubnissen ist entscheidend, ob sich die zugrunde liegende Konstellation als Dreieck Behörde - Genehmigungsadressat - Dritter darstellt oder ob dieses Dreieck zur Strecke schrumpft. Ausschlaggebend ist dabei, ob der Genehmigungsadressat bei der angestrebten Betätigung von seinen Grundrechten Gebrauch macht und ob die Tätigkeit überhaupt als Bestandteil der grundrechtlichen Freiheit angesehen werden kann.

§ 20: Die praktische Anwendung der Abgrenzung

von Abwehr und Schutz

Diese relativ abstrakten Erwägungen sollen nun an hand von drei Beispielen erörtert und konkretisiert werden. Betrachtet werden soll eine fernstraßenrechtliche Planfeststellung nach § 17 BFStrG, eine atomrechtliche Genehmigung nach § 7 AtomG und eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 5 BlmSchG.

/. Die Planfeststellung nach § 17 BFStrG

Zunächst sei an dieser Stelle in gebotener Kürze die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anfechtung24 von fernstraßenrechtlichen Planfeststellungen durch "DriUbetroffene" dargestellt. Das Gericht unterscheidet bezüglich des Prüfungs umfangs zwischen zwei Personengruppen. Kläger, deren Grundstücke für die Straßenbaumaßnahme in Anspruch genommen würden, wobei die Planfeststellung dazu dienen könne, das Eigentum notfalls im Wege der Enteignung zu entziehen, könnten unmittelbar aus Art. 14 GG ein subjektiv öffentliches Recht ableiten, nur in gesetzmäßi24 Einhellig wird auch die gemeinnützige Planfeststellung als Verwaltungsakt angesehen, gegen den mit der Anfechtungsklage nach §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgegangen werden muß; vgl. schon oben § 2 I.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

ger Weise enteignet zu werden. Einer Verletzung spezieller Schutznormen bedürfe es nicht 25• Nachbarn der geplanten Straße, die sich lediglich gegen Lärm, Staub und Abgase zur Wehr setzen wollten, deren Grundeigentum aber nicht entzogen werde, stehe lediglich ein subjektiv öffentliches Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen Belange mit entgegenstehenden anderen Belangen zu, jedoch nicht ein Recht darauf, daß diese "fremden" Belange gerecht abgewogen sind bzw. daß die Planung insgesamt objektiv rechtmäßig ist26• Gegen diese Entscheidungen sind in der Literatur erhebliche Bedenken angemeldet worden, die sich aber häufig in Detailfragen erschöpfen und den fehlerhaften Grundansatz übersehen27• Beide Entscheidungen - und im übrigen fast die gesamte restliche Rechtsprechung28 - legen ohne den leisesten Zweifel beim Fernstraßenbau eine klassische Dreieckssituation zugrunde. Dies setzte aber voraus, daß die dem Bürger auferlegte Belastung von anderen Privaten herrührte. Nun könnte man ganz einfach argumentieren und darauf verweisen, daß Lärm und Abgase von den überwiegend privaten Verkehrsteilnehmern stammen, die von ihrer grundrechtlich verbürgten Fortbewegungsfreiheit Gebrauch machen. Bereits oben wurde aber darauf 25 BVerwGE 67, 74, 76; anders noch die Vorinstanz OVG Münster, Urteil vom 7. Juni 1979, IX A 1920/78; die wichtigsten Passagen dieses Urteils sind abgedruckt bei Stüer, NuR 1981, 149 FN 2. Die Entscheidung des BVerwG bedeutete entgegen eigener Beteuerungen, a. a. 0., S. 74 - 1. Leitsatz -, S. 78f, eine Korrektur der Entscheidung in BVerwGE 48, 56ff. Auch dort wurden Teilflächen des klägerischen Grundstücks in Anspruch genommen, vgl. BVerwG DVBI. 1975,713, no, insoweit in BVerwGE 48, 56ff, nicht abgedruckt; vgl. Löwer, DVBI. 1981, 528, 531; Schwabe, DVBl. 1984, 140, 141. Die vom BVerwG genannten "Ausnahmen" des Erfordernisses einer objektiv rechtmäßigen Planfeststellung sind entweder Selbstverständlichkeiten (mangelnde Betroffenheit des Rechtsinhabers) oder im Rahmen planerischer Abwägung kaum vorstellbar (mangelnde Auswirkung der Fehlgewichtung von Drittbelangen), Erbguth, Umweltrecht, S. 335f. 26 BVerwGE 48, 56, 66; 67, 74, 75.

27 Vgl. Blümel, DVBI. 1975,695,707; Gassner, DVBI. 1981,4, 8f; Papier, NJW 1977, 1714, 1719f; Ramsauer, DÖV 1981, 37, 40; Rehbinder, ZRP 1976, 157, 159; Schwabe, NJW 1976, 159; ders., DVBI. 1984, 140ff; Steinberg, UPR 1984, 350, 357f; meist wird auf die Unmöglichkeit einer isolierten Betrachtungsweise der einzelnen Belange hingewiesen; dem BVerwG insoweit zust. Löwer, DVBI. 1981, 528, 532; Weyreuther, DÖV 1977, 419, 425f. Es sei hier nur angemerkt, daß das BVerwG selbst der Meinung ist, daß bei einer Planfeststellung die Interessen "meist in eigentümlicher Weise miteinander verschränkt sind, sodaß dem einen Interesse nichts zugestanden werden kann, ohne in einer Art Kettenreaktion zahlreiche andere Interessen zu berühren", BVerwG NJW 1969, 1868, 1869. 28 Von einer Dreieckssituation gehen offensichtlich aus z. B. BVerfG UPR 1987, 343; OVG Münster, NJW 1981, 701; VGH Mannheim UPR 1985, 376f; anders zurecht wohl BGH DVBI. 1977,523,524; VGH Mannheim, NVwZ 1986, 62ff.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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hingewiesen, daß private Handlungen dann dem Staat zugerechnet werden müssen, wenn er als "Zweckveranlasser" tätig geworden ist, wenn der Staat also eine Anlage bereitstellt, von der bei bestimmungsgemäßer Nutzung durch die Privaten die Belastungen in vorhersehbarer Weise ausgehen. Genau so liegt es aber bei der Straße. Die "Privatheit" der Straßenbenutzer führt nicht zum Dreieck29 • Bleibt die Frage, ob eine Dreieckskonstellation deshalb vorliegt, weil formal auch bei der straßenrechtlichen Planfeststellung drei "Parteien" vorhanden sind: die planfeststellende Behörde, der Träger der Baumaßnahme und der durch die Straße belastete Bürger. Der Träger der Baumaßnahme, der jeweilige vom Landesrecht bestimmte Baulastträger, ist aber keine, nicht einmal formal verselbständigte privat- oder öffentlichrechtliche Organisationsform, sondern wieder nur eine Behörde, die keinesfalls Grundrechtsträger sein kann. Materiellrechtlich liegt daher überhaupt kein Dreieck, sondern eine Strecke vor. Der Planfeststellungsbeschluß richtet sich mit seinen Rechtswirkungen nach außen genaugenommen an die durch die Maßnahme betroffenen Bürger. Ihnen wird final und um die Terminologie der h. M. zu benutzen - unmittelbar eine Duldungspflicht jedenfalls der von der Straße ausgehenden Immissionen auferlegt. Sie sind daher nur "geographisch" Drittbetroffene. Gleichgültig, ob aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses das "Säuleneigentum" betroffen ist oder ob nur andere Eigentumspositionen eingeschränkt werden30 oder ob gar "nur,,3! das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Nachbarn in Rede steht, die Betroffenen sind allesamt "Adressaten,,32 der staatlichen Verfügung und können rechtswidrigen Planfeststel29 Vgl. Hermes, Grundrecht, S. 84; Kölble, in: Individalrecht, S. 47f; Murswiek, Verantwortung, S. 60; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 182. Genausowenig käme jemand ernsthaft auf die Idee, die Durchführung einer Straßenbaumaßnahme durch eine private Baufirma mache die Straße zu einer privaten Anlage. 30 In diesem Sinn Bender, DVBI. 1984,301, 308f, 317. 3! Die Ansicht des BVerwG führt tatsächlich zu einer Bevorzugung des Eigentums gegenüber der Gesundheit bei lediglich objektiver Rechtswidrigkeit des Pianfeststellungsbeschlusses, vgl. Gassner, DVBI. 1981, 4, 9; die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betont auch Erbguth, Grundfragen, S. 318; zurückhaltend Broß, DÖV 1985, 513, 514f.

32 Diese Ansicht scheint sich in der Literatur durchzusetzen; vgl. LöH/er, DVBI. 1981, 528, 534; ihm zust. Hufen, Fehler, S. 131 FN 231; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 238; Steinberg, UPR 1984, 350, 357; Wahl, in: Handwörterbuch des Umweltrechts, Bd. 2, Sp. 176. Stüer, NuR 1981, 149, 150, beschränkt die AdressatensteIlung auf die durch den Plan betroffenen Grundstückseigentümer, die individuell feststehen; einschränkend auch Kodal / Krämer, Straßenrecht, S. 1054f. Achterberg, DVBI. 1981, 278, 282, gesteht zwar den Planbetroffenen die AdressatensteIlung zu, will aber für sie wegen der Gefahr einer Popularklage die "Adressatentheorie" nicht anwenden. Dies verkennt die grund rechtliche Situation völlig, vgl. auch unten § 22.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

lungsbeschlüssen ihre Grundrechte in der Abwehrdimension entgegenhalten33 ; jede objektive Rechtsverletzung führt daher zur Aufhebung dieser Entscheidungen. Nicht nur die zu laute Straße, auch die laute Straße, die zwar die Grenzwerte einhält, aber aus anderen Gründen rechtswidrig ist, kann verhindert werden. Legt man diese Auffassung zugrunde, so erledigt sich auch eine andere dogmatische Unstimmigkeit, die aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt. Allenthalben wird auf den besonderen Rechtscharakter der Planfeststellung im Gegensatz zur klassischen Kontrollerlaubnis hingewiesen34 • Die Planfeststellung verortet ein komplexes Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung, indem sämtliche für und gegen die Maßnahme sprechenden Belange in einem komplizierten Verfahren gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Notwendigerweise kommt daher der entscheidenden Behörde ein breiter Gestaltungsspielraum zu, der sich bereits schwer mit der Vorstellung eines grundrechtlichen Genehmigungsanspruchs verträgt. Insoweit rückt die Planfeststellung in die Nähe einer normativen Entscheidung35 • So hat der Gesetzgeber dem Bebauungsplan, der der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung materiell, sowohl was den Aufstellungsvorgang als auch was die rechtlichen Wirkungen betrifft, entspricht, den Charakter einer Satzung verliehen. Mit dieser - man ist versucht zu sagen - willkürlichen Einordnung ist aber hinsichtlich des Rechtsschutzes und insbesondere des Prüfungsumfanges eine bedeutende Folge verbunden: Nach § 47 VwGO unter-

49.

33 Hoppe

/ Beckmann, Umweltrecht, S. 58; Steiner, in: Speyerer Forschungsberichte, S. 35,

34 Wahl, DVBI. 1982, 51, 53ff, m. w. N.; vgl. auch Pietzcker, JZ 1985, 209, 211; Ramsauer, DÖV 1981, 37, 40. 35 Demgegenüber finden sich in der Literatur häufig Stimmen, die den Charakter der Planfeststellung als "Unternehmergenehmigung" betonen, vgl. Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 168; Löwer, DVBI. 1981, 528, 529; Kodal / Krämer, Straßenrecht, S. 909; zurückhaltender Badura, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 409ff. Dagegen unterstreicht Wahl, DVBI. 1982,51, 53ff, zurecht die Unterschiede zwischen Kontrollerlaubnis und Planfeststellung: Bei der Planfeststellung steht nicht ein "Anspruch" beispielsweise der Straßenbaubehörde auf Durchführung des Vorhabens im Vordergrund, sondern die objektiv riChtige Abgewogenheit des Projekts. Es mag Fälle geben, in denen die Träger eines Vorhabens ihr Recht auf Erlaß eines (gemeinnützigen) Planfeststellungsbeschlusses notfalls gerichtlich erstreiten, vgl. Kodal / Krämer, a. a. 0., S. 1056, so z. B. beim Bau von Gemeindestraßen oder bei Planfeststellungen für Abfallbeseitigungsanlagen durch rechtlich verselbständigte Rechtsträger. Allerdings können sich diese Antragsteller keinesfalls auf Grundrechte berufen. Fraglich ist sogar, ob die Grundrechte rein privater Unternehmen bei gemeinnützigen Planfeststellungen zu einem Anspruch führen, zweifelnd allerdings VGH Kassel NuR 1979, 68, 69.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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liegen Bebauungspläne der Normenkontrolle, für die den Gerichten - Zulässigkeit der Klage vorausgesetzt - als Prüfungsmaßstab das gesamte objektive Recht zur Verfügung steht36• Bei der Fernstraßenplanung tritt die Ungereimtheit noch offener zutage: gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 BFStrG ersetzt ein Bebauungsplan den Planfeststellungsbeschluß37• Je nachdem also wie rechtstechnisch beim Bau einer Fernstraße vorgegangen wird, ergeben sich für den klagenden Bürger unterschiedliche Erfolgsaussichten. Der gegen Naturschutzrecht verstoßende Bebauungsplan wird aufgehoben, der an demselben Mangel leidende Planfest stellungsbeschluß bleibt bestehen. Gesteht man dem Gesetzgeber bei der Formenwahl deshalb einen gewissen Ermessensspielraum zu, weil die Gestaltungsfunktionen der Verwaltung in einem modernen Staat oft nicht mehr den klassischen Handlungsinstrumenten Verwaltungsakt oder Rechtsnorm zuzuordnen sind, so darf dies aber jedenfalls nicht dazu führen, daß mit der formalen Einordnung materielle Nachteile für den Bürger einhergehen38• Erkennt man aber, daß der fernstraßenrechtliche Planfeststellungsbeschluß - insoweit normähnlich ohne (beachtliche) zwischengeschaltete Privatentscheidung direkt in Grundrechte der Betroffenen eingreift, ergibt sich die Rechtsschutzharmonisierung mit Bebauungsplänen und § 47 VwGO von selbst. Steht erst einmal die Betroffenheit durch die Straße und den von ihr ausgehenden Belastungen fest, hat der Bürger ein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang, das Gericht hebt den Planfeststellungsbeschluß bei jeder Rechtswidrigkeit auf. Nun mag man - jedenfalls für die Duldungspflicht der Nachbarn bezüglich Lärm und Abgasen - daran zweifeln, daß bereits der Planfeststellungs36 Dieser umfängliche Prüfungsmaßstab rührt jedenfalls auch daher, daß bei der Norm die Grundrechte immer als Abwehrrechte eingesetzt werden. Die Norm als solche ist staatlicher Akt; die durch sie helVorgerufenen Belastungen (insbesondere Duldungspflichten) werden nicht privat vermittelt; anders Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 53: der objektive Kontrollmaßstab resultiere aus der Vielzahl der mit einer Norm verbundenen Rechtsbelastungen. 37 Die Ähnlichkeit zwischen Planfeststellung und Bebauungsplan unter Hinweis auf § 17 Abs. 3 S. 1 BFStrG sprechen an Gassner, DVBI. 1981,4,5; Meyer, in: Meyer / Borgs, VwVfG, § 72, Rz. 6; Wolff / Bachof, Verwaltungrecht 111, S. 358. Vgl. auch Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 239; LadeuT, UPR 1984, 1,6; Ramsauer, DÖV 1981, 37, 40. 38 So ausdrücklich für vorliegenden Fall Papier, in: Bitburger Gespräche 1981, S. 81, 95; vgl. auch Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245, 282f; Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 53f; ders., Umweltrecht, S. 275; Seholz, VVDStRL 34 (1976), 145, 187ff; eine unterschiedliche Behandlung von Norm und PIanfeststellungsbeschluß versucht Stüer, NuR 1981, 149, 150f, zu rechtfertigen.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

beschluß selbst den staatlichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstellt, und auf die noch nachfolgende Widmung hinweisen39• Eine solche Argumentation ist aber zu formal und berücksichtigt nicht, daß die eigentliche Hauptentscheidung durch den Planfeststellungsbeschluß getroffen wird. Ebenso wie eine Vorwirkung dieses Beschlusses für die Enteignung bejaht werden muß40, gibt es eine Vorwirkung im Verhältnis Planfeststellung Widmung. 11. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG

Die zivile Nutzung der Kernenergie durch Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen scheint auf den ersten Blick ein Paradebeispiel für ein dreipoliges Verhältnis und für die Geltung des Schutzprinzips der Grundrechte zu sein. Beteiligt sind die Genehmigungsbehörden - in Bayern das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr - § 24 Abs. 2 AtomG, § 1 AtZustV -, der Betreiber der Anlage - im Normalfall ein Energieversorgungsunternehmen in Form einer juristischen Person des Privatrechts - und schließlich der die Genehmigung anfechtende Bürger. Trotzdem ergeben sich erhebliche Zweifel, ob es sich bei dieser Situation tatsächlich um ein Dreiecksverhältnis handelt oder ob die Grundrechte nicht doch als Abwehrrechte wirken können, wenn man die oben gefundenen Unterscheidungskriterien anwendet. 1. Grundrechtsträgerschaft der Betreibergesellschaften atomarer Großanlagen? a) Atomare Anlagen werden - sieht man einmal von reinen Forschungsanlagen ab - durchweg von Energieversorgungsunternehmen betrieben. Diese Unternehmen sind meist in privatrechtlicher Form organisiert, in der Regel als Aktiengesellschaften, wie z. B. die Bayernwerk AG. Eine Grundrechtsträgerschaft dieser Gesellschaften scheint angesichts Art. 19 Abs. 3 39 BGH NJW 1980, 582f; Schwabe, DVBI. 1984, 140, 143; Sieder / Zeit/er, BayStrWG, 2. Aufl., Art. 38, Rz. 26; anders jetzt wohl die 3. Aufl., Art. 38, Rz. 210. 40 Vgl. nur Blümel, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, S. 23, 73f, unter Hinweis auf BVerfGE 45,297, 319f, und 56, 249.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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GG relativ unproblematisch zu sein41 • Die privatrechtliche Organisationsform darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich praktisch alle Energieversorgungsunternehmen ganz oder überwiegend in staatlicher Hand befinden. 1987 wurden 10,5 % des Stroms von öffentlichen Unternehmen mit einem Kapitalanteil von mehr als 95 % des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Unternehmen in öffentlicher Hand) erzeugt. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen mit einem Kapitalanteil der öffentlichen Hand von mehr als 25 % produzierten weitere 72 %. Nur rund 17 % der Stromerzeugung entfielen auf überwiegend private Unternehmen42 • Die Eigentumsverhältnisse sind häufig recht verwickelt, und es sind größtenteils auch mehrere "öffentliche Hände" - also Bund, Länder und Kommunen - an solchen Gesellschaften beteiligt. 58,3 % der Bayernwerk AG-Anteile beispielsweise befinden sich im Besitz des Freistaats Bayern; die zu 38,8 % beteiligte VIAG gehört zu 83,5 % dem Bund; 2,9 % der Anteile werden von den bayerischen Regierungsbezirken gehalten43 • Bei den Unternehmen im Bereich der Energieversorgung handelt es sich daher ganz überwiegend nicht um private Wirtschaftssubjekte, sondern um "öffentliche Wirtschaftseinheiten" in Privatrechtsform44 • b) Grundsätzlich ist die Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen des Privatrechts in öffentlicher Hand bzw. von juristischen Personen des öffentlichen Rechts streitig und ungeklärt. In Literatur und Rechtsprechung findet man eine ganze Reihe von Meinungen, die oft nur in Einzelheiten voneinander abweichen4s • Folgende Hauptgruppen lassen sich unterscheiden: Ein Teil der Literatur wählt eine rein fonnale Anknüpfung. Handele es sich bei der gebildeten juristischen Person um eine solche des Privatrechts 41 Als Grundrechte der Betreiber kommen Art. 14, Art. 12, und Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht, vgl. Hofmann, Rechtsfragen, S. 295; Roßnagel, Grundrechte, S. 41f. 42 Hofmann, Privatwirtschaft, S. 31. Erbguth, Umweltrecht, S. 156, spricht sogar von einem Anteil von 97 % der öffentlichen und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Regionaler Energieversorgungsunternehmen e. V. (ARE) war die öffentliche Hand 1980 am Grundkapital der ARE-Mitgliedsunternehmen mit 63 % beteiligt, davon entfielen 43 % auf die Kommunen, vgl. Lerche, Kernkraft, S. 29 FN 68. 43 Hofmann, Privatwirtschaft, S. 31.

Hofmann, Privatwirtschaft, S. 32; Jarass, Der Staat 17 (1978), 507, 520. Die wohl umfassendste Darstellung des Problemkreises findet sich bei v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 78ff, dessen Auffassung im Ergebnis allerdings nicht gefolgt werden kann. Eine Übersicht über die Vielfalt der Meinungen findet sich auch bei Bleckmann, Staatsrecht 11, S. l08ff. 44

4S

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

müsse von einer grundsätzlichen Grundrechtsfähigkeit ausgegangen werden46 • Wenn der Staat eine privatrechtliche Organisationsform wähle, "in Zivil" gehe (Walter Jellinek), unterwerfe er sich den Regeln des Privatrechts; dann müsse er aber auch dessen Vorteile einschließlich der Grundrechtsgeltung für sich in Anspruch nehmen dürfen. Diese Ansicht muß aber schon aufgrund einer ganz einfachen Überlegung abgelehnt werden. Der Staat hätte es ansonsten in der Hand, sich durch den bloßen Wechsel der Organisationsform in den Genuß der Geltung der Grundrechte zu bringen. Es kann daher nicht darauf ankommen, ob die staatliche Tätigkeit in die Rechtsform der juristischen Person des privaten oder des öffentlichen Rechts gekleidet ist47• Eine andere Auffassung legt eine funktionale Betrachtungsweise zugrunde. Potentielle Grundrechtsträgerschaft für den Staat liege nur dann vor, wenn er bei der Tätigkeit der juristischen Person keine öffentlichen Aufgaben wahrnehme. Nur dann dürfe er ausnahmsweise wie ein Privater behandelt werden48 • Diese auf der heute weitgehend obsolet gewordenen Fiskustheorie beruhende Anschauung verkennt und verzeichnet deren ursprünglich bürgerorientierte und rechtsschutzfreundliche Funktion, wenn sie dazu verwandt wird, dem privatrechtlich handelnden Staat Grundrechtsschutz zuzuschlagen49 • Daneben liegt die Schwäche dieser Ansicht vor allem in der Schwierigkeit der Abgrenzung, wann schon öffentliche Aufgaben verfolgt werden50 • Sollen nur die Tätigkeiten darunterfallen, die unter dem Begriff der "Daseinsvorsorge" verstanden werden, würde sich der Bereich der Grundrechtsgeltung unberechtigt stark ausweiten; im übrigen ist die Festlegung, was dann zur "Daseinsvorsorge" gehören soll, kaum weniger 46 Eindeutig für Energieversorgungsunternehmen Löffler, Parlamentsvorbehalt im Kemenergierecht, S. 47 FN 35; ähnlich weit Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 14; Fuss, DVBI. 1958,739, 74Off; Kriegbaum, BayVBI1972, 481, 486ff. 47 BVerfGE 21, 362, 370; 45, 63, 80; 75, 192, 197; Bethge, AöR 104 (1979), 263, 272f; Eh/ers, DVBI. 1983, 422, 424; Erbguth, Umweltrecht, S. 157; Grziwotz, AöR 113 (1988), 213, 249; Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 39; Murswiek, Verantwortung, S. 234; v. Mutius, Jura 1983, 30,41. 48 Z. B. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu, § 90, Rz. 32; unsicher Erbguth, Umweltrecht, S. 158f; eine Übersicht findet sich bei v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 84; 49 Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 65; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 120. 50 Vgl. Emmerich, JuS 1970, 332, 335f; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 144; Matthiesen, Staatliche Einwirkung, S. 80; v. Münch, in: Erichsen / Martens, S. 30; Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384, 40lf. Probleme beim Begriff der "Daseinsvorsorge" erkennt auch Erbguth, Umweltrecht, S. 158.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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problematisch. Faßt man das Feld der öffentlichen Aufgaben weiter, gelangt man im Ergebnis zu einer umfassenden Ablehnung der Grundrechtsgeltung selbst dort, wo eine solche zurecht praktisch unstreitig ist. Auch die Universitäten beispielsweise nehmen im Bildungsbereich überragend wichtige Gemeinschaftsaufgaben wahr, sind aber - sogar als juristische Personen des öffentlichen Rechts - doch Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG 51 • Damit führt auch das funktionale Abgrenzungskriterium nicht weiter. Außerdem ist nicht recht einzusehen, warum der Staat gerade dort, wo er keine öffentlichen Aufgaben mehr wahrnimmt, er also seinen eigentlichen Funktionsbereich verläßt, privilegiert sein sollte. Vorgeschlagen wird teilweise, staatlichen Einrichtungen - gleichgültig ob des öffentlichen oder des privaten Rechts - dann Grundrechte zuzugestehen, wenn sie ihrerseits dem Staat wie ein Bürger ausgeliefert seien, wenn sie sich also in einer "grundrechtsälmlichen Gefährdungs/age" befänden52• Dies sei vor allem bei fiskalischen Tätigkeiten des Staates der Fall. Insoweit trifft sich diese Ansicht mit der gerade erörterten funktionalen Abgrenzung. Auch diese Auffassung vermag aber nicht zu überzeugen53 • Selbst bei fiskalischen Hilfsgeschäften nehmen juristische Personen des Privatrechts in öffentlicher Hand gegenüber rein Privaten eine Sonderstellung ein. Sie sind der öffentlichen Gewalt eben nicht in gleicher Weise unterworfen wie ein Bürger54 • Auch wenn der Staat sich privatrechtlichen Regelungen unterstellt, wird er nicht zum Bürger; er verändert sich nicht in seiner Struktur und Substanz, sondern er bleibt, was er ist: der in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtete Staat. Er ist damit, gleich in welcher Form er tätig wird und was er auch tut, niemals Privatmann; er hat keine persönlichen Angelegenheiten, keine Persönlichkeit, die er "frei entfalten" könnte55• Ein mit der Situation "Bürger - Staat" vergleichbarer Interessenwiderstreit kann bei staat51 BVerfGE 15, 256, 262; Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 38b; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 5, Rz. 257. 52 Bettermann, PS für Hirsch, S. 1, 7ff; ders., NJW 1%9, 1321, 1324; Hendrichs, in: v. Münch, GG-Komm., Art. 19, Rz. 39; v. Mutius, Jura 1983, 30, 41; ders., in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 107ff, 114. 53 Ablehnend jetzt auch BVerfGE 61,82, 105f, 108f. 54 Vgl. die Beispiele bei Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 46, und bei Grziwotz, AöR 113 (1988), 213, 252. 55 Mal/mann, VVDStRL 19 (1%1), 165, 197; ähnlich Ehlers, DVBI. 1983, 422, 424; Emmerich, Wirtschaftsrecht, S. 88f; Zeidler, VVDStRL 19 (1961), 208, 230ff; Zeidler bezieht in seine Konstruktion ausdrücklich juristische Personen des öffentlichen Rechts in Privatrechtsform ein, vgl. a. a. 0., S. 251, 252 (Diskussionsbeitrag).

222

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

lieh beherrschten Organisationen auch deshalb niemals vorliegen, da über die staatsinterne Willensbildung jederzeit mannigfaltige Einflußmöglichkeiten vorhanden sind56• Die Entscheidungen dieser juristischen Personen sind eben nicht privatautonom, sondern staatlich. Streitigkeiten sind keine Grundrechtskollisionen, sondern Kompetenzkonflikte. Dabei sollte man sich aber immer vergegenwärtigen, daß die Beachtung der Gesetze bei "Eingriffen" auch gegenüber staatlichen Institutionen außer Frage steht. Problematisch ist eben nur, ob ihnen Grundrechtsschutz zukommen muß. Das Bundesverfassungsgericht engt denn auch die Anwendung von Grundrechten zugunsten juristischer Personen in öffentlicher Hand stark ein57 • Dabei seien Privatrechtsvereinigungen den juristischen Personen des öffentlichen Rechts - jedenfalls soweit es um Daseinsvorsorge geht - gleichzustellen58• Eine Grundrechtsträgerschaft komme nur dort in Frage, wo die "Bildung und Betätigung einer juristischen Person Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen sind,,59. c) Dieser Rechtsprechung ist im Grundsatz zu folgen. Ausgangspunkt dafür, ob eine juristische Person Träger von Grundrechten sein kann, ist auch im staatlichen Bereich Art. 19 Abs. 3 GG. Es geht also darum, ob die oder einzelne Grundrechte "ihrem Wesen nach" auf staatlich beherrschte juristische Personen anwendbar sind. Daher ist es auch zu kurz argumentiert, wenn auf die fehlende Differenzierung zwischen juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts in Art. 19 Abs. 3 GG verwiesen wirdliO • Grziwotz, AöR 1988, 213, 251ff. z. B. BVerfGE 21,362, 369f; 25, 198,205; 26, 228, 244; 35, 263, 271; 39,302, 312ff; 45, 63, 79f; jüngst 75, 192, 197f. 58 BVerfGE 45, 63, 79f; BVerfG NJW 1980, 1093; Ehlers, Verwaltung, S. 84, und Bethge, AöR 104 (1979), 263, 273ff, weisen zurecht darauf hin, daß es auf die Art der AufgabensteIlung dabei aber nicht ankommt. Auch das BVerfG hat sich jetzt der Auffassung angeschlossen, daß das Kriterium der öffentlichen AufgabensteIlung unerheblich ist, BVerfGE 61, 82, 108; 75, 192, 200; anders noch Knüppel, DÖV 1981, 19f. 59 BVerfGE 21, 362, 369; 61, 82, 101; 75, 192, 1%. Ein Beispiel, in dem dieses Kriterium ausnahmsweise erfüllt ist, bietet BVerfGE 70, 1, 20; dort war eine Handwerksinnung ausschließlich in ihrer Funktion als Vertretung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder betroffen. liO Vgl. Dreier, FS für Scupin, S. 81, 85; richtig demgegenüber Dürig, in: M / D / H, GGKomm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 35. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift enthält schwache Anhaltspunkte dafür, daß sich Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts beziehen sollte, vgl. die Anmerkung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 25. 1. 1949, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 183; zu Unrecht hält Bettermann, FS für Hirsch, S. 1, 10; ders., NJW 1%9, 1321, 1324, die eher beiläufige Aussage für "eindeutig"; ähnlich Dreier, a. a. 0., S. 87f; vorsichtiger Broß, VerwArch 77 (1986), 65, 72f. 56

57 Vgl.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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Gebietet das "Wesen" der Grundrechte eine Anwendung auf Personenvereinigungen, darf eine diesbezügliche Unterscheidung tatsächlich nicht erfolgen. Bei der Beantwortung dieser Frage muß aber der grundsätzlich vorhandene qualitative Unterschied zwischen juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts Berücksichtigung finden61 • Maßgeblich für ihre Anwendung sind die Grundrechte selbst, und hier muß zunächst festgehalten werden, daß sie Gewährleistungen individueller Freiheit darstellen, daß also der einzelne Mensch im Vordergrund steht. Soweit juristische Personen geschützt sind, geschieht dies wegen der hinter ihnen stehenden Einzelpersonen62 • Von daher können der Staat oder von ihm rechtlich abgegrenzte Teile grundsätzlich keine Grundrechtsträger sein63 • Vom Bürger her gesehen sind die einzelnen Organisationsformen lediglich Untergliederungen einer einheitlichen Staatsgewalt64 • Ihr Verhältnis untereinander, das mitunter durch ein Gefälle von Abhängigkeit und Gewaltunterworfenheit charakterisiert sein mag, kann keinen Grundrechtsstatus begründen. Nur dort, wo die Verfassung selbst Grundrechtsschutz für staatliche Einheiten reklamiert oder impliziert, weil sich ausnahmsweise Individualschutz über staatliche Organisationsformen vollzieht, sind die Grundrechte auf diese anwendbar. Insofern ist die Grundrechtsfähigkeit der Kirchen (Art. 4 GG), der Rundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und der Universitäten 61

BVerfGE 21,362, 368f; Bethge, AöR 104 (1979), 54, 97ff.

VgI. dazu schon § 14 IV. 2. und die dort aufgeführten Belege. Grundsätzlich anders v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 23ff, m. v. w. N., der für eine "originäre" Grundrechtssubjektivität juristischer Personen eintritt; ähnlich Bettermann, z. B. NJW 1%9, 1321, 1324; an dieser Stelle ist eine erschöpfende Beschäftigung mit diesem Grundproblem nicht möglich. 63 Das sog. "Identitäts-, Konfusions- oder Konfundierungsargument", der Staat könne nicht gleichzeitig Grundrechtsverpflichteter und Grundrechtsberechtigter sein, vgl. BVerfGE 15, 256,262; 21,362, 369f, kann für sich allein allerdings nicht überzeugen; kritisch Bettermann, NJW 1%9, 1321, 1323: .... die Konfusionslehre ist eben konfus"; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 112; Dreier, FS für Scupin, S. 81, 86; Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 35; v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 92ff; richtig ist vielmehr, daß zwar von fehlender Grundrechtsgebundenheit auf die Grundrechtsträgerschaft geschlossen werden kann und von fehlender Grundrechtsträgerschaft auf die Grundrechtsgebundenheit, nicht hingegen von Grundrechtsgebundenheit auf fehlende Grundrechtsträgerschaft und von Grundrechtsträgerschaft auf fehlende Grundrechtsgebundenheit. 62

64 Bethge, AöR 104 (1979), 54, 105; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 113. Daß die staatliche Einflußnahme manchmal realiter nicht optimal funktioniert, weil sich die staatlichen Anteilseigner wegen teilweise gegenläufiger Interessen gegenseitig "neutralisieren", vgl. !arass, Der Staat 17 (1978), 507, 520, ähnlich Deiseroth, Großkraftwerke, S. 63, kann selbstverständlich nicht zu einer Grundrechtsgeltung führen.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

(Art. 5 Abs. 3 GG) grundgesetzlich vorbestimmt6S• Dies bedeutet nicht, daß Grundrechtsobjekt und Grundrechtssubjekt unkritisch vermengt oder gar verwechselt werden66• Nicht das Einzelgrundrecht vermittelt unmittelbar die Grundrechtsfähigkeit, sondern Art. 19 Abs. 3 GG bleibt Ausgangspunkt. Diese Vorschrift bestimmt aber das Wesen der Grundrechte zum entscheidenden Kriterium. Wie gezeigt, verbieten die grundsätzliche Funktion und Struktur der Grundrechte ihre Anwendung auf den Staat im Regelfall. Ausnahmen können daher nur den Einzelgrundrechten entnommen werden67• d) Diese abstrakte Erkenntnis kann nun auf Energieversorgungsunternehmen angewandt werden. Wie oben angesprochen, sind diese Gesellschaften zwar häufig juristische Personen des Privatrechts, befinden sich aber ganz oder überwiegend in öffentlicher Hand. Die ganz h. M. geht meist ohne das Problem überhaupt zu erörtern - davon aus, daß Energieversorgungsunternehmen grundrechtsfähig seien68• Nur ganz vereinzelt finden sich ablehnende Stellungnahmen(9. Das Bundesverfassungsgericht hat sich entgegen der Auffassung in der Literatur - zu dieser Thematik noch nicht eindeutig geäußert70 • In diesem Zusammenhang werden vor allem die "Kalkar"- und die "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung herangezogen7l • Allein daraus, daß diese Entscheidungen von der grundrechtlichen Schutzpflicht 6S Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang davon, daß die juristische Person unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten "Lebensbereich" zuzuordnen sei, BVerfGE 61,82,102; 75, 192, 196; 78, 101, 102. 66 Das wenden v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 98, und Schalz, Koalitionsfreiheit, S. 142, ein. 67 .. AhnIich Starck, JuS 1977, 732, 734. 68 Fischerhaff, Atomgesetz, § 1, Rz. 3; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 383; Kramer, NJW 1981, 260, 26lf; Lukes / Backherms, AöR 103 (1978), 334, 346f; Mahlmann, in: 1. Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 269, 273; Nolte, Rechtliche Anforderungen, S. 61; Erwägungen finden sich bei Theuerkaufer, Klagebefugnis, S. 89ff; Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 243ff; Wagner, in: Wagner / Ziegler / Closs, Risikoaspekte, S. 150f. Ausdrücklich offengelassen wird die Frage von Murswiek, Verantwortung, S. 234, und Ossenbühl, in: Blümel / Wagner, Technische Risiken und Recht, S. 45, 47. (9 Erbguth, Umweltrecht, S. 155ff; Gleim / Winter, NJW 1980, 1088, 1089; Hofmann, BayVBI. 1983, 33f; ders., Privatwirtschaft, passim; Winter, NJW 1979, 393, 399f; de Witt, in: Kläger, Technik, Recht, S. 44, 50f. Unsicher Degenhart, Kernenergierecht, S. 186 FN 150: "Eine Abschwächung grundrechtlicher Positionen kann ... für Energieversorgungsunternehmen, die sich ganz überwiegend im Besitz von Gebietskörperschaften befinden, nicht ausgeschlossen werden", S. 187: "Die Grundrechte der Betreiber erweisen sich ... als materielle Entscheidungskriterien von nur begrenzter Aussagekraft"; vgl. auch Lerche, Kernkraft, S. 28. 70 Z. B. Murswiek, Verantwortung, S. 90f FN 4; vgl. jetzt aber BVerfG NJW 1990, 1783 (Kammerentscheidung), wo das BVerfG die hier vertretene Ansicht im Grundsatz teilt. 7l BVerfGE 49, 89ff, und 53, 3Off.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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her aufgebaut sind und daß diese Grundrechtsfunktion definitionsgemäß nur bei privaten Beeinträchtigungen wirksam wird, kann jedoch nicht zwingend geschlossen werden, das Bundesverfassungsgericht gehe von einer Grundrechtsträgerschaft der die Anlagen betreibenden Energieversorgungsunternehmen aus. Die Terminologie des Gerichts ist insoweit recht uneinheitlich. In der Entscheidung, die gemeinhin als "Geburt" der Schutzpflicht Rechtsprechung betrachtet wird, dem "§ 218"-Urteil, findet sich die Formulierung, daß die Schutzpflicht "nicht nur - selbstverständlich - unmittelbare staatliche Eingriffe" verbiete, sondern dem Staat auch gebiete, das Grundrechtsgut "vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren"n. Der Begriff der Schutzpflicht scheint also der Oberbegriff für alle Grundrechtsfunktionen zu sein, die sich auf das Grundrechtsgut beziehen, und wird nicht spezifisch für von Privaten ausgehende Beeinträchtigungen gebraucht. In der "Kalkar"-Entscheidung weist das Bundesverfassungsgericht bei der Frage, aus welchem Grund die von der objektiven Wertentscheidung ausgehende Schutzpflicht herangezogen wird, darauf hin, daß es bei den Regelungen des § 7 AtomG lediglich um Grundrechtsgefährdungen und nicht um unmittelbare Grundrechtsverletzungen gehe73 • Die Schutzpflicht erscheint hier also als Grundrechtsfunktion im Vorfeld der Grundrechtsverletzung, als Instrument, um schon Grundrechtsgefährdungen einzudämmen. An anderer Stelle in der Entscheidung tauchen als möglicher Prüfungsmaßstab zwar die Grundrechte aus Art. 12 und Art. 14 GG auf. Das Bundesverfassungsgericht braucht sich aber mit der Problematik der Grundrechtsträgerschaft nicht auseinanderzusetzen, da es einen Verfassungsverstoß bezeichnenderweise wegen der "Sonderstellung" des Atomrechts ablehne4 • Erwägungen zur Grundrechtsträgerschaft von Energieversorgungsunternehmen finden sich auch in der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung nicht. Eher ganz beiläufig erwähnt das Gericht mögliche Grundrechtspositionen der Betreiber - allerdings ganz allgemein bezogen auf die Interessenausgleichsfunktion eines Genehmigungsverfahrens75 • Sofort anschließend daran betont es die "Mitverantwortung" des Staates für die von atomaren Anlagen n BVerfGE 39, 1, 42; zur begrifflichen Einordnung der Schutzpflicht in der Rspr. des BVerfG vgl. schon oben § 13. 73 BVerfGE 49, 89, 14lf; ähnlich BVerfGE 56, 54, 78; dies betont auch Luckow, Brennstoffkreisläufe, S. 285. 74 BVerfGE 49,89, 144ff. 75 BVerfGE 53,30, 57f. Dimberger 15

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

ausgehende Gefährdung unter Hinweis auch auf das Allgemeininteresse an der Energieversorgung. Mag man diesen Entscheidungen auch eine unterschwellige Tendenz entnehmen, daß das Bundesverfassungsgericht einer Grundrechtsfähigkeit von Energieversorgungsunternehmen zuneigt, so ist jedenfalls eine eindeutige Aussage noch nicht getroffen. e) Nach richtiger Ansicht scheiden aber Energieversorgungsunternehmen, jedenfalls soweit sie sich zu 100 % in staatlicher Hand befinden, als Grundrechtsträger aus76• Der Verfassung ist nicht ZU entnehmen, daß die Grundrechte aus Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG ausnahmsweise staatlichen Untergliederungen zugute kommen sollen. Es fehlt auch der Schutz individueller Freiheit einzelner, der Bezug zum Freiheitsraum natürlicher Personen, die hinter der juristischen Person stehen77• Es bleibt also beim Grundsatz, daß sich innerhalb des Staatsbereichs Grundrechte nicht auswirken. Eine andere Betrachtungsweise könnte jedoch bei gemischt-wirtschaftlichen Organisationsformen gefordert sein, weil hier eben doch - zumindest auch - privates Kapital und damit private Interessen beteiligt sind78 • Gehören natürliche Personen zu den Anteilseignern, so steht hinter der Tätigkeit der juristischen Person in gewissem Sinn ein "personales Substrat", ein individuelles Interesse, das auch grundrechtlich zu schützen wäre. Aber auch hier muß eine Grundrechtssubjektivität der juristischen Person abgelehnt werden, wenn die staatliche Beteiligung ein Maß erreicht hat, das es der öffentlichen Hand erlaubt, das Unternehmen zu beherrschen79 • Ansonsten könnte Grundrechtsschutz dadurch herbeigeführt werden, daß Privaten eine - wenn auch geringe - Beteiligungsmöglichkeit eingeräumt wird, während die Einflußmöglichkeit auf die unternehmerischen Entscheidungen realiter 76 Insoweit im übrigen auch das BVerfG, vgI. BVerfGE 45, 63, 80 - Stadtwerke Hameln AG; BVerfG NJW 1980, 1093 - Technische Werke der Stadt Stuttgart. 77 Im übrigen nehmen die Energieversorgungsunternehmen öffentliche Aufgaben wahr, so daß auch die oben angeführte funktionale Abgrenzung zu einer fehlenden Grundrechtsträgerschaft führen müßte, anders Erbguth, Umweltrecht, S. 158. 78 In diesem Sinne die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum, vgl. beispielsweise Ehlers, Verwaltung, S. 85; Emmerich, JuS 1970, 332, 334f; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 219f; Kloepfer, Umweltrecht, S. 42; Kluth, in: Wirtschaft und Recht, S. 117, 127; Knüppel, DÖV 1981,19,20; Matthiesen, Staatliche Einwirkung, S. 29f. 79 Tendenziell ähnlich Schmidt.Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 58; vgl. dazu auch VVDStRL 19 (1961), 253f (Diskussionsbeiträge von Zeidler, Dürig, Scheuner und Bettermann), ähnlich jetzt auch BVerfG NJW 1990,1783.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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nicht geschmälert werden und in vollem Umfang in der Hand der staatlichen Mitträger verbleiben. Die persönliche Freiheit des privaten Anteilseigners erschöpft sich dann in der Entscheidung, ob er sich beteiligt; eine darüber hinausgehende Mitwirkungsmöglichkeit, die Ausfluß seiner grundrechtlichen Freiheit wäre, existiert nicht; die Entscheidungen innerhalb des Unternehmens bleiben staatlich beherrscht. Erst dann, wenn die private Beteiligung so gestaltet ist, daß sie auch privatautonome Unternehmenspolitik gewährleistet, darf eine gemischt-wirtschaftliche juristische Person des Privatrechts als grundrechtsfähig angesehen werdenBO • Noch darüber hinaus scheint Erbguth gehen zu wollen; er nimmt an, daß Grundrechtsfähigkeit lediglich das Spiegelbild fehlender Grundrechtsbindung sei. Da es bei letzterer jedoch nicht auf die Mehrheitsverhältnisse der juristischen Person mit Beteiligung der öffentlichen Hand ankäme, also auch Minderheitsbeteiligungen zur Grundrechtsbindung führen würden, sei eine Differenzierung auch bei der Grundrechtsträgerschaft nicht statthaft81 • Diese Argumentation überzeugt jedoch aus zwei Gründen nicht. Zum einen ist auch für die Grundrechtsbindung die beherrschende Stellung der öffentlichen Hand ausschlaggebend82• Zum anderen darf zwischen Grundrechtsträgerschaft und -bindung kein so enges Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit hergestellt werden, wie es Erbguth tut; es ist sehr wohl denkbar, daß eine juristische Person in öffentlicher Hand sowohl grundrechtsgebunden als auch Grundrechtsträger ist83 • Energieversorgungsunternehmen sind daher weitgehend keine Träger von Grundrechten. Dies schließt nicht aus, daß ihnen bestimmte andere BO Ähnlich Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 66 FN 142; Bult, Staatsaufgaben, S. 98 FN 49; Emmerich, Wirtschaftsrecht, S. 92f. Diese Autoren nehmen an, daß mit steigender Staatsbeteiligung die Intensität des Grundrechtsschutzes abnehme, eine kaum praktikable Abgrenzung, so zurecht Brenner, BB 1962, 727, 729; v. Mutius, in: BK, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 147; ders., Jura 1983, 30, 42. Eine Abgrenzung nach dem Maß der prozentualen Beteiligung der öffentlichen Hand ist für sich allein genommen im übrigen ungenügend. So werden zwar 62 % des Kapitals der RWE, des größten bundesdeutschen Stromerzeugers, von Privaten gehalten, die öffentliche Hand besitzt aber ein 20-faches Stimmrecht, Hofmann, Privatwirtschaft, S. 32; vgl. auch Deiseroth, Großkraftwerke, S. 63; zur Beteiligungssituation bei den RWE Kluth, in: Wirtschaft und Recht, S. 117, 13lf; Matthiesen, Staatliche Einwirkung, S. 66; geeignet zur Abgrenzung ist allerdings die Vennutung in Art. 2 der EG-Richtlinie (80/723/EWG), ABI. 1980 Nr. L 195/35.

81

Erbguth, Umweltrecht, S. 159f, der die Frage dann aber doch offenläßt.

V. Mangoldt I Klein I Starck, GG-Komm. Art. 1, Rz. 145; anders wohl BVerwGE 56, 110, 119; zu Unrecht beruft sich Erbguth in diesem Zusammenhang auf Maunz, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 45. 83 Vgl. dazu schon oben FN 63. 82

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Rechtspositionen zukommen können. Die justiziellen Grundrechte als objektive Verfahrensgarantien dürfen auch von ihnen geltend gemacht werden84 • Auch das Rechtsstaatsprinzip&5 bzw. das allgemeine Prinzip von Treu und Glauben86 können in bestimmten Fällen zugunsten der juristischen Person in öffentlicher Hand herangezogen werden. Grundrechte sind aber nicht einschlägig. Die Lage des Bürgers gegenüber diesen Organisationen entspricht damit keiner Dreieckssituation. Die Grundrechte wirken als Abwehrrechte. Eine Berufung auf die staatliche Schutzpflicht entfällt. 2. Die friedliche Nutzung der Kernenergie als Betätigung privatautonomer , grundrechtlicher Freiheit Ganz abgesehen vom Problem der Grundrechtsträgerschaft wäre die typische Dreieckssituation dann zweifelhaft, wenn der Betrieb kerntechnischer Anlagen nicht aufgrund grundrechtlicher Betätigungsfreiheit erfolgen würde, sondern vom Staat - ähnlich der Beleihung - "konzessioniert" wäre; die Frage lautet also, ob die Nutzung der Kernenergie als "originär-grundrechtlieh" oder als "staatlich-derivativ" einzuordnen ist. Nun kann man dem Grundgesetz sicherlich nicht entnehmen, es habe die Nutzung der Kernenergie von vornherein aus dem Katalog grundrechtlicher Freiheiten herausnehmen wollen. Man kann zwar davon ausgehen, daß bestimmte "gemeinschädliche" Verhaltensweisen nicht mehr in den Schutzbereich der Grundrechte fallen 87, jedoch vermag die bloße Gefährlichkeit einer grundrechtlichen Betätigung - selbst wenn diese außerordentlich hoch ist für sich allein die Gemeinschädlichkeit nicht zu begründen. Damit erschöpft sich der Problembereich aber noch nicht. Eine Zurechnung privater Tätigkeit an den Staat muß auch dann erfolgen, wenn der 84 Vgl. beispielsweise BVerfGE 61, 82, 104; Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3, Rz. 54; für Art. 19 Abs. 4 GG Lerche, Kernkraft, S. 29.

&5 Vgl. z. B. BVerfGE 35,263,272.

86 So

Grziwotz, AöR 113 (1988), 213, 254ff.

Dieses negative Tatbestandsmerkmal dürfte allen Grundrechten als ungeschriebenes beigegeben sein, a. A. Schwabe, Grundrechtsdogrnatik, S. 142; wie hier v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 1, Rz. 203; Starck, JuS 1981, 237, 245f; vgl. BVerfGE 12, 1,4 (zu Art. 4 GG); 20,351, 355ff (zu Art. 14 GG); BVerwGE 22, 286, 287ff (zu Art. 12 GG). Bei Gemeinschädlichkeit ist aber jeglicher Grundrechtsschutz ausgeschlossen, auch der aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Gemeinschädlichkeit stellt jedoch nur eine äußerste Grenze dar, Scholz, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 12, Rz. 28; dazu auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 862. 87

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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Staat ein Tätigkeitsgebiet zwar nicht selbst besetzt, er aber dafür einen Privaten nur "zwischenschaltet", der gar nicht aufgrund eigener Privatautonomie handelt, sondern dessen Verhalten vom Staat herbeigeführt, kontrolliert und gesteuert wird88• Es stellt sich damit die Frage, welche Besonderheiten gegenüber "normaler" privatwirtschaftlicher Tätigkeit der Sektor der Nutzung der Kernenergie aufweist89 • Bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie stand praktisch von Anfang an die Initiierung und Förderung dieser Technologie durch den Staat und nicht die sicherheitsrechtliche Kontrolle einer staatlich vorgefundenen, privaten Tätigkeit im Vordergrund. Während sich die Energiewirtschaft zwar zunächst in fast euphorischer Weise allerdings unter völliger Verkennung des zu erwartenden Investitionsaufwands90 bzw. der Gewinnentwicklung für die Kernenergienutzung engagierte, wuchs die Skepsis sehr bald, als den Unternehmen die technischen und vor allem finanziellen Risiken bewußt wurden. Ohne erhebliche staatliche Intervention hätten die Energieversorgungsunternehmen den in jeder Hinsicht gefahrvollen Weg nicht weiter beschritten91 ; nicht großindustrielle Selbstverwaltung, sondern staatliche Aktivität prägte also die Situation in diesem Bereich92 • So steht denn im Atomgesetz auch der Förderzweck - wenigstens regelungstechnisch - vor dem 88 Vgl. dazu die für diesen Problemkreis äußerst instruktive Entscheidung BVerfGE 10, 302ff, in der es um freiheitsentziehende Maßnahmen eines Vormunds gegenüber seinem Mündel und die Grundrechtsgeltung in diesem Bereich geht. In bezeichnender Unsicherheit schwankt dort das Gericht zwischen der Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertentscheidung (= Schutzpflicht, vgl. a. a. 0., S. 322) und der Frage der Zurechnung privaten Verhaltens an den Staat (= Abwehrrecht, vgl. z. B. a. a. 0., S. 324). Im Ergebnis kommt das Gericht zu einer solchen Zurechnung; als Kriterien werden dafür angelegt: öffentliche Aufgabe ("stark öffentlich-rechtlicher Einschlag der Vormundschaft"), weitreichende Aufsichts- und Kontrollbefugnisse des Staates und obrigkeitliche "Bestellung" des Vormunds. Die Entscheidung zeigt, daß ganz allgemeingültige Kriterien für eine Zurechnung nicht bereitstehen, sondern daß verschiedene Anhaltspunkte in ihrer Zusammenschau für den konkreten Fall das richtige Ergebnis liefern; kritisch zu dieser Entscheidung Schwabe, AöR 100 (1975), 442, 453ff. 89 Zum folgenden vgl. insbesondere Hofmann, Privatwirtschaft, S. 15ff; Preuss, FS für Simon, S. 553, 557ff; andeutungsweise auch Baumann, JZ 1982, 749, 754. 90 1955 veranschlagte das Bundesfinanzministerium das erforderliche Geschäftskapital des späteren Milliardenunternehmens Kernforschungszentrum Karlsruhe auf 5 Mio. DM, vgl. Radkau, Aufstieg, S. 134 mit FN 707. 91 Vgl. ausführlich Radkau, Aufstieg, S. 132ff; dazu auch Hofmann, Privatwirtschaft, S. 16; Preuss, FS für Simon, S. 553, 558ff. 92 Symptom hierfür ist auch das 1955 ins Leben gerufene Atomministerium, ein "Unikum unter den Ressorts der Regierung Adenauer", Radkau, Aufstieg, S. 137.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Schutzzweck93 • Im Zeitpunkt des Erlasses des Atomgesetzes war jedenfalls jegliche Betätigung auf dem Gebiet der Atomtechnik und -wirtschaft verboten94• Der Bereich der Kernenergienutzung wurde der Privatwirtschaft erst konstitutiv eröffnet; es ging im Atomgesetz um die Zulassung einer neuen Technologie, die dann der Normstruktur nach als Betätigungsfeld für Private ausgestaltet, die aber ipso iure nicht als frei angesehen wurde95 • Regelungstechnisch ging der Gesetzgeber zwar wie im herkömmlichen Gewerberecht vor und gestaltete § 7 AtomG als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Davon abzuleiten, es habe sich also um grundsätzlich erlaubte Tätigkeit gehandelt96, wäre aber zu kurz gedacht. Die Verwendung dieses gesetzgebungstechnischen Instruments erfüllt lediglich die Aufgabe sicherzustellen, daß von Anlagen keine Gefahren ausgehen. Damit ist keineswegs entschieden, ob der Staat materiell nur grundrechtlich vorgefundene Freiheit kontrolliert oder ob er bislang nicht vorhandene Handlungsmöglichkeiten zuteilt. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes wird vielmehr deutlich, daß der Gesetzgeber materiell den Tätigkeitsbereich der Kernenergienutzung erst freigeben wollte97• Diese Sichtweise wird auch dadurch bestätigt, daß an Plutonium 239 bzw. an natürlichem und angereichertem Uran kein Privateigentum begründet werden kann. Nach Art. 86 iVm. Art. 197 Nr. 1 des Euratomvertrags stehen diese spaltbaren Materialien im Eigentum der Europäischen Gemeinschaft, eine in der bundesdeutschen Rechtsordnung wohl singuläre Situation98• Neben haftungsrechtlichen Besonderheiten des Atomrechts99 weist die Regelungsstruktur des Atomgesetzes, was die Genehmigung von Anlagen 93 Materiell hat nach der Rspr. des BVerwG der Schutzzweck den Vorrang, BVerwG DVBI. 1972, 678, 680; zweifelnd Hofmann, Rechtsfragen, S. 227f; dann schärfer ders., BayVBI. 1983,33,36; Preuss, FS für Simon, S. 553, 56lf. 94 Mit Ausll4lhme von aufgrund vorläufiger Landesregelungen erlaubten Tätigkeiten, vgl. Kimminich, Atomrecht, S. 34f. 95 Degenhan, Kemenergierecht, S. 184 mit FN 146; Hofmann, Privatwirtschaft, S. 16; Luckow, Brennstoffkreisläufe, S. 81. 96 Mah/mann, in: 1. Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 269, 270; ähnlich Rauschning, DVBI. 1980,831,832; Wagner, in: Wagner / ZiegIer / Closs, Risikoaspekte, S. 101. 97 Hinz, in: 4. Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 165, 168. 98 Darauf weist auch das BVerfG hin, BVerfGE 49, 89, 146; anders Wagner, in: Wagner / Ziegler / Closs, Risikoaspekte, S. 102. 99 Vgl. Hofmann, Privatwirtschaft, S. 18ff; sie können allerdings keine staatliche Zurechnung begründen, da bei diesen Vorschriften der Opferschutz im Vordergrund steht, der auch und gerade von der grundrechtlichen Schutzpllicht umfaßt wird.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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nach § 7 AtomG betrifft, einen weiteren bedeutenden Unterschied zu anderen gewerberechtlichen Normen auf. Die Vorschrift gibt der zuständigen Behörde selbst bei Vorliegen der sehr unbestimmt gehaltenen Voraussetzungen ein Versagungsermessen lOO • Die klassische gewerbepolizeiliche Erlaubnis ist eine gebundene, der Staat fungiert nur als sicherheitsrechtliche Kontrollinstanz, die gewährleistet, daß keine Gefahren von der privaten Tätigkeit für Dritte ausgehen. Sind die von dem Sicherheitsgesetz festgelegten Tatbestandsmerkmale erfüllt, öffnet sich das Tor zur ursprünglich vorhandenen (grundrechtlichen) Freiheit. Der Antragsteller hat einen Rechtsanspruch auf die Genehmigungserteilung. Diese Konstruktion ist verfassungs- und genauer grundrechtlich geboten101 • Anders bei § 7 AtomG. Hier behält sich die Exekutive die Letztentscheidung vor; die Erlaubnis wandelt sich zur Konzession l02 , die der Staat verleiht und die dem Adressaten eine besondere Rechtsstellung einräumt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorliegen eines Ermessensspielraums auch nicht beanstandet und ihn mit der "Sonderstellung" des Atomrechts begründd 03 • Im Hintergrund der Begründung des Gerichts steht letztlich die Erkenntnis, daß bei Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen eben nicht mehr von gnmdrechtlicher Freiheit Gebrauch gemacht wird lO4 • Hinzu kommt als weiteres Indiz die Entwicklungsoffenheit bzw. die Entwicklungsbedürftigkeit des Atomrechts, die insbesondere durch den Verweis auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG deutlich wird. Dadurch daß der Exekutive in diesem Bereich eine so bedeutende Rolle zugewiesen wird, zeigt sich, daß sich deren Tätigkeit nicht mehr in bloßer "gewerbepolizeilicher" Überwachung erschöpft, sondern daß 100 Anders noch zu Unrecht Mahlmann, in: Erstes Deutsches Atomrechts-Syrnposium, S. 269, 270ff, und Schmitt-Glaeser, Der Landkreis 1976, 442, 443, unter Verweis auf BVerwGE 18, 247, 250, die den Antragstellern auch im Atomrecht einen Genehmigungsanspruch gerade wegen ihrer Grundrechte zubilligen. Umfassend zum atomrechtlichen Versagungsermessen Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 350ff. 101 BVerfGE 8, 71, 76; 20, 150, 158; 34, 165, 200; 41, 378, 399; 46, 120, 157; 49, 89, 145. 102 So auch Hofmann, Privatwirtschaft, S. 23. 103 BVerfGE 49,89, 144ff. 104 Das wird deutlich, wenn man die Begründung des BVerfG genauer analysiert; die "Sonderstellung des Atomrechts und ihre Gründe lassen es gereChtfertigt erscheinen, unter bestimmten Voraussetzungen von Grundsätzen abzuweichen, die auf anderen Rechtsgebieten anerkannt sind. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor", BVerfGE 49, 89, 146. Die für den Antragsteller aus der Einräumung des Ermessens resultierende Rechtsunsicherheit halte sich in "rechtsstaatlich (nicht etwa grundrechtlich!, Anm. des Verf.) hinnehmbaren Grenzen", a. a. 0., S.147.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

deren Funktion auch in der Mitgestaltung der Bedingungen der Kernenergienutzung, vor allem in der Erarbeitung sicherheitstechnischer Konzeptionen besteheos. Zusammenfassend zeigt sich also, daß - ganz abgesehen von der Frage der Grundrechtsfähigkeit von Energieversorgungsunternehmen - insbesondere die Errichtung und der Betrieb kerntechnischer Anlagen "derivativstaatlich" ist; die Grundrechte können dagegen bereits in ihrer Funktion als Abwehrrechte ins Feld geführt werden. 3. Das Problem der Interesseneinheit von Betreibern und Exekutive Teilweise wird in der Literatur vertreten, daß ein Grundrechtsschutz von Energieversorgungsunternehmen deshalb nicht in Betracht komme, weil die Interessen der Beteiligten bei einem Genehmigungsverfahren nicht dreigeteilt seien. Behörden und Betreiber auf der einen Seite stünden den betroffenen Bürgern auf der anderen gegenüber. Es fehle damit an einer "grundrechtstypischen Interessenpolarität zwischen privatnütziger wirtschaftlicher Betätigung und staatsseitiger Inpflichtnahme"I06. In der Tat stellt sich das atomrechtliche Genehmigungsverfahren für einen objektiven Beobachter häufig als "In-sieh-Geschäft" der öffentlichen Hand dar. Die Durchsetzung des Projekts findet in enger Zusammenarbeit zwischen Antragsteller und Behörde statt lO7 • Die AntragsteIlung und die Genehmigung werden von Behörden und Betreibern vorab genau besprochen, die Verhandlungen dabei ähneln eher dem Aushandeln eines verwaltungsrechtlichen Vertrags als einer staatlichen Prüfung. Der atomrechtliche Erörterungstermin vollzieht sich formal, aber auch inhaltlich meist nicht als kontradiktorisches lOS Degenhart, et 1981, 203, 206, der daraus allerdings einen gerichtlich nicht nachprüfbaren Gestaltungsspielraum der Verwaltung ableiten will. 106 Degenhan, Kernenergierecht, S. 186; ihm zust. Hofmann, BayVBI. 1983, 33, 35; ähnlich Winter, NJW 1979, 393, 399f; de Witt, DVBI. 1980, 1006, 1008; zweifelnd auch Hennecke, DÖV 1988,768, n3. 107 Symptomatisch dafür ist, daß die prozessuale Konstellation praktisch ausschließlich die der Nachbarklage ist. Soweit ersichtlich wird nur über einen einzigen Fall der Anfechtungsklage eines Betreibers berichtet, vgl. Kuhnt, in: 5. Deutsches Atomrechts-Symposium, S. 33. Zur "Solidargemeinschaft" zwischen Betreibern und Behörden vgl. auch Degenhan, AöR 106 (1981), 633, 647f; Preuss, in: FS für Simon, S. 553, 576. Allgemein zur "informalen" Vorgehensweise der Behörden bei Genehmigungsentscheidungen Bohne, Der informale Rechtsstaat, S.49ff, 144ff; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, v. a. S. 142ff.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

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Verhandeln vor der Behörde, sondern als Gewährung rechtlichen Gehörs für die BetroffenenlO8• Überdies gibt es auch personelle Verklammerungen zwischen Genehmigungsbehörden und Energieversorgungsunternehmen 109. Soweit diese Argumentation dazu dient, den Einfluß des Staates auf die Atomwirtschaft deutlich zu machen und aufzuzeigen, daß die Betätigung auf diesem Gebiet nicht mehr Ausfluß grundrechtlicher Freiheit ist, mag sie ihre Berechtigung haben. Die Interessenidentität für sich allein vermag allerdings Grundrechtsschutz nicht zu beseitigen. An der Durchführung vieler privater Projekte hat der Staat oftmals ein erhebliches Interesse. Man denke nur an Investitionsmaßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen. Wollte man immer dann, wenn öffentliche Belange für ein privates Vorhaben streiten, den Grundrechtsschutz des Antragstellers mindern oder gar aufheben, würden diese - insbesondere der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit dienenden - Rechte in hohem Maße entwertet. Im übrigen kommen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten hinzu, ab wann sich öffentliche und private Interessen (ganz oder teilweise) decken, noch dazu da die Übergänge teilweise fließend sind. Die derzeitige Verfahrenspraxis einer engen Kooperation von Behörden und Vorhabensträgern nicht nur im Atomrecht mag aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich sein, zu einer Relativierung des Grundrechtsschutzes kann sie nicht führen, falls den Antragstellern Grundrechte wirklich zustehen. III. Die Genehmigung nach § 5 BlmSchG

Bei der Betrachtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 5 BImSchG scheint nun endgültig der Sektor des grundrechtlichen Abwehrbereichs verlassen zu sein, soweit nicht als Vorhabensträger wieder Energieversorgungsunternehmen auftreten, für deren Grundrechtssubjektivität das oben Ausgeführte gilt. Im übrigen liegt auf den ersten Blick eine klassische Dreieckssituation vor. Die Beeinträchtigungen der Grundrechtsgüter des Nachbarn werden von privaten Tätigkeiten verursacht. 108

40,41.

Winter, NJW 1979, 393, 399; Hofmann, Privatwirtschaft, S. 1; Meyer-Abich, ZRP 1984,

109 Vgl. Hofmann, Privatwirtschaft, S. 34f, der als Beispiel den Aufsichtsratsvorsitzenden der Badenwerk AG anführt, der zum Zeitpunkt der AntragsteIlung für das KKW Wyhl gleichzeitig Ministerpräsident von Baden-Württemberg war. Später wurde er durch den baden-württembergischen Wirtschaftsminister ersetzt, also den Chef der Genehmigungsbehörde.

234

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Dagegen wird allerdings eingewandt, daß eine Genehmigung nach § 5 BImSchG nicht nur faktische Immissionen nach sich ziehe, sondern daß sie auch rechtliche Wirkungen für Dritte zeitige. Brächten Drittbetroffene ihre (auch privatrechtlichen) Einwendungen im Genehmigungsverfahren nicht vor, seien diese präkludiert, § 10 Abs. 3 BImSehG. Nach § 14 BImSchG würden durch die Genehmigung ferner privatrechtliche Unterlassungsansprüche der Nachbarn nach §§ 906ff BGB ausgeschlossen, soweit sie nicht auf besonderen Titeln beruhtenl1O • Diese Rechtsfolgen gingen von der Genehmigung unmittelbar aus, sie seien nicht privat vermittelt, sondern allenfalls aufgrund einer privaten Entscheidung herbeigeführt. Die dadurch bewirkte Verschlechterung des Rechtskreises der Nachbarn müsse damit bereits den Abwehrbereich der Grundrechte aktivieren und den insoweit Betroffenen einen Anspruch auf objektive Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung geben. Der Nachbar erhebe - um einmal in der Terminologie der h. M. zu bleiben - genaugenommen eine AdressatenklagellI. Die Behandlung der so Betroffenen als "Dritte" rechtfertigt sich zwar noch nicht dadurch, daß die entsprechenden privaten Rechte meist bescheiden sind, weshalb sich die wirkliche Belastung für den Dritten als faktische Folge der Genehmigung darstelle und nicht als Kürzung privater Rechte ll2 • Denn ist einmal festgestellt, daß ein Bürger unmittelbar - verstanden als nicht privatvermittelt - durch eine staatliche Maßnahme belastet ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob diese Belastung "bescheiden" ist. Sie muß, um emer Klage des Betroffenen standzuhalten, in jeder Hinsicht rechtmäßig sem. Die Gründe, warum eine Genehmigung nach § 5 BImSchG nur die Schutzfunktion der Grundrechte auslösen kann, liegen dogmatisch tiefer. Der Gesetzgeber hat mit seiner in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG vorgenommenen Zweiteilung von Schutz- und Vorsorgeprinzip eine Lösung gefunden, die grundrechtlich vorgezeichnet ist und letztlich auch den Inter110 Diese Rechtsfolge wird auch durch eine atomrechtliche Genehmigung herbeigeführt, § 7 Abs. 6 AtomG; die damit zusammenhängende Frage wird bei § 14 BImSchG diskutiert,

weil dadurch erheblich mehr Genehmigungen betroffen sind und eine staatliche Zurechnung im Atomrecht auch aus anderen Gründen erfolgen kann; vgl. auch § 11 LuftverkehrsG; anders bei der Baugenehmigung, die unbeschadet Rechte Dritter erteilt wird. 111 Skouris, Verletztenklagen, S. 203; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 187f. Auch Breuer, DVBI. 1986, 849, 858, geht davon aus, daß Zulassungsakte, die rechtsgestaltende Wirkung haben, Eingriffscharakter aufweisen. 112 So aber Jarass, NJW 1983, 2844, 2845.

7. Kapitel: Abwehr oder Schutz bei staatlichem Einfluß auf private Tätigkeiten

235

essen der Beteiligten entspricht. Solange es um die Gefährdung grundrechtlicher Schutzgüter geht, ist nach dem insoweit auch beachtlichen Willen des Gesetzgebers nur der Schutzgrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG angesprochen. Diese Regelung teilt die Freiheitsbereiche der Betroffenen voneinander ab. Beim Vorsorgegrundsatz geht es gerade nicht mehr um Grundrechtsschutz, sondern in erster Linie um die Freihaltung planerischer Freiräume. Diese - zulässige - Unterscheidung würde überspielt, wenn man dem Nachbarn über die Rechtsminderung etwa gemäß § 14 BlmSchG objektive Kontrollmöglichkeiten einräumte. Entscheidend ist aber, daß im Immissionsschutzrecht im Gegensatz zu den vorher geschilderten Fällen tatsächlich eine Dreieckskonstellation vorliegt. Der Anlagenbetreiber macht von seiner grundrechtlich gewährleisteten Freiheit Gebrauch, wenn er eine ihm erteilte Genehmigung ausnützt. Diese Situation ist eindeutig der Schutzdimension der Grundrechte zuzuordnen. Daran ändert auch die "unmittelbare" Rechtswirkung des § 14 BlmSchG nichts. Der Nachbar geht, wenn er eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung angreift, genaugenommen nicht gegen die Belastung aus § 14 BlmSchG vor, die ihm zugegebenermaßen nicht durch private Vermittlung auferlegt wird; es geht ihm also nicht darum, seine privat rechtlichen Unterlassungsansprüche wiederzuerhalten, sondern er möchte von den Immissionen verschont bleiben, die von der Anlage ausgehen. Diese Belastungen sind aber privaten Ursprungs und haben mit der Wirkung des § 14 BlmSchG nichts zu tun. Es wäre ein die grundrechtliche Konstellation negierender, dogmatischer Trick, die Abwehrkomponente der Grundrechte gegenüber Beeinträchtigungen einzusetzen, die privat vermittelt sind, mit der Begründung, der Bürger werde durch den Staat einer unmittelbaren Belastung ausgesetzt, gegen die er sich aber gar nicht wehrt.

W. Zusammenfassung Die Grundrechte können bei gemeinnützigen Planfeststellungen, insbesondere der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung, bereits in ihrer abwehrrechtlichen Dimension eingesetzt werden. Genehmigungsadressat ist hier der Staat. Ein dreipoliges Verhältnis liegt nur in formaler Hinsicht vor.

236

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

Gleiches gilt für die Fälle, in denen Energieversorgungsunternehmen Genehmigungsadressaten sind, gleichgültig ob sie als juristische Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts auftreten, soweit sie von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Ihnen kommt keine Grundrechtssubjektivität zu. Gegenüber den Beeinträchtigungen durch diese Unternehmen wirken die Grundrechte der Bürger ebenfalls als Abwehrrechte. Keine Dreieckssituation liegt weiter bei einer Genehmigung nach § 7 AtomG vor, ohne daß es auf die Grundrechtsfähigkeit der Antragsteller ankäme. In diesem Bereich konzessioniert der Staat Tätigkeiten, die nicht Ausdruck grundrechtlicher Freiheit sind. Auch insoweit werden die Grundrechte der Drittbetroffenen als Abwehrrechte eingesetzt. Trotz ihrer auch rechtlichen Beeinträchtigungen - vgl. § 14 BImSchG - ist jedoch bei Genehmigungen nach § 5 BImSchG nicht mehr die Abwehr-, sondern die Schutzfunktion der Grundrechte angesprochen; ansonsten würde die vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise geschaffene Zweiteilung von Schutz- und Vorsorgeprinzip überspielt, die Grundrechte der Genehmigungsempfänger blieben unberücksichtigt. Insgesamt läßt sich aber feststellen, daß der Bürger in weit größerem Umfang, als es die h. M. zulassen will, die Möglichkeit hat, lediglich objektiv rechtswidrige Maßnahmen abzuwehren. Soweit in den oben angesprochenen Situationen bei einer Genehmigung gegen die Eingriffsregelung nach § 8 BNatSchG verstoßen wurde, führt dies auf Anfechtung eines Nachbarn zur Aufhebung.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers § 21: Die heiden Legitimationslinien für die Einschränkung

von Klagemöglichkeiten

I. Die Gefahr der Popularklage und die Grundrechte des Begünstigten

Die eben getroffene Feststellung birgt allerdings ein weiteres Problem in sich: wer gehört zu dem Kreis der "Nachbarn", die dazu berechtigt sein sollen, staatliche Maßnahmen nachprüfen zu lassen? Zunächst sollte man sich jedoch vom Begriff des "Nachbarn" ein für allemal trennen!. Er mag in der Frühzeit des Drittschutzes im Baurecht wegen seiner Handgreiflichkeit von Nutzen gewesen sein. Mittlerweile beschränkt sich aber Drittschutz längst nicht mehr auf die Personen, die im allgemeinen Sprachgebrauch als "Nachbarn" bezeichnet werden. Insofern sollte durchweg der Ausdruck "Betroffene" Verwendung finden. Vielleicht trägt diese begriffliche Genauigkeit auch zu einer inhaltlichen Klärung des Problems bei. Um die Frage nach der Bestimmung der Betroffenen zu beantworten, sollte man sich als erstes die Legitimation, den eigentlichen Grund dafür vergegenwärtigen, warum die Klagemöglichkeit auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist. Zunächst denkt man in diesem Zusammenhang sofort an die Gefahr einer Popularklage. Ein solche Klageform würde bedeuten, daß der "quivis ex populo", also jedermann zur Anfechtung staatlicher Maßnahmen berechtigt wäre, ohne Rücksicht darauf, ob er zum Anfechtungsgegenstand in irgendeiner Beziehung stünde, ob er durch den Akt in seinen Rechten oder Interessen beeinträchtigt, beschwert, betroffen, belastet oder berührt wäre. Es spielte keine Rolle, ob der Kläger eigene oder fremde, private oder öffentli! Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, S. 265; Marburger, Gutachten, C 28f; Weyreuther, Außenbereich, S. 308.

238

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

ehe, wirkliche oder nur vermeintliche Interessen geltend machte2• Die Popularklage ist der deutschen Rechtsordnung weitgehend fremd3, und das mit gutem Grund. Eine Popularklage, deren Kehrseite notwendigerweise ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch wäre, würde die Gerichte überlasten und im Ergebnis die Arbeit der Exekutive lahmlegen4 • Sie würde zudem zu unerträglichen Rechtsunsicherheiten führens. Das Gespenst der Popularklage wird jedoch häufig auch dort beschworen, wo es um die Einschränkung der Klagebefugnis schlechthin geht; demgegenüber muß festgehalten werden, daß damit nur solche Kläger ausgeschlossen werden sollen, die in keiner Beziehung zu der angefochtenen staatlichen Maßnahme stehen. Neben der Frage der Popularklage wird eine zweite Legitimation für die Einschränkung der Klagebefugnis häufig übersehen: es sind dies die Grundrechte der durch die angefochtene staatliche Maßnahme Begünstigten6 • Zunächst ist die Einhaltung des Rechts eine "Angelegenheit" zwischen dem Staat und dem um die Begünstigung nachsuchenden Bürger. Dritte sollen sich in dieses Verhältnis nicht einmischen, solange und soweit es sie "nichts angeht". Selbst wenn beispielsweise eine Genehmigung rechtswidrig erteilt wurde, sollen andere Bürger diese Genehmigung nicht beseitigen dürfen, wenn sie kein besonderes Interesse daran haben. Nun mag man sofort dagegen einwenden, daß auch der Begünstigte aus seinen Grundrechten keinen Vertrauensschutz auf den Bestand rechtswidriger Verwaltungsakte herleiten könne. Diese Behauptung stimmt aber jedenfalls in dieser Pauschalität niche. Richtig ist zwar, daß ein fehlerhafter Akt dem Begünstigten eine un2 Skouris, Verletztenklagen, S. 7f; vgl. auch Bettermann, in: Staatsbürger und Staatsgewalt 11, S. 449, 457. 3 Lediglich das Petitionsrecht nach Art. 17 GG, Art. 115 BV und die weitgehend nicht normierten Möglichkeiten der Remonstration bzw. (Dienst-)Aufsichtsbeschwerden sehen den Popular als beschwerdebefugt an. Dieser weiten Befugnis entspricht aber die fehlende Funktion jener Maßnahmen als Rechtsschutzmittel. Der einzelne hat nach h. M. nur einen Anspruch auf Bescheidung. In Bayern existiert allerdings die Popularverfassungsbeschwerde nach Art. 98 S. 4 BV, Art. 2 Nr. 7, 53 VerfGHG. 4 Vgl. beispielsweise Eyermann, BayVBI. 1974,237, 243; ders., GewArch 1974, 42, 47: "Querulanten, Eigenbrötler und Selbstsüchtige neben Phantasten (würden) das Hauptkontingent der Kläger stellen"; anders, einer Popularklage positiv gegenüberstehend, beispielsweise Gierth, DÖV 1980,893, 897f.

S

Vgl. Bettermann, GS für Imboden, S. 37,40.

6 Vgl.

z. B. BVerwG DÖV 1980, 690, 691; aus der Literatur weisen etwa auf die Grundrechte der Begünstigten hin Berger, Nachbarklagen, S. 99; Degenhan, DVBI. 1981, 201, 202; Löwer, DVBI. 1981,528,533; ansatzweise auch SChwerdtfeger, NVwZ 1983, 199,200. 7 Vgl. allgemein zum Verhältnis Grundrechte und Vertrauensschutz Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, S. 212, m. v. w. N.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

239

gerechtfertigte Ausweitung seiner Rechtsposition verleiht, daraus folgt aber nicht notwendigerweise die Beseitigung dieser Maßnahme inklusive aller damit verbundenen Folgen. Vielmehr können die Grundrechte und das daraus abgeleitete Verhältnismäßigkeitsprinzip eine flexiblere und weniger einschneidende Behandlung verlangen8 • Dem entspricht im übrigen auch die Regelung des § 48 VwVfG, der sich mit der Rücknahme rechtswidriger, aber bestandskräftig gewordener Verwaltungs akte beschäftigt. Bei schutzwürdigem Vertrauen auf den Bestand ist der Behörde wegen der Grundrechte des Betroffenen unter Umständen eine Aufhebung des Verwaltungsakts nicht mehr möglich9 • Beruht nun die Fehlerhaftigkeit einer Maßnahme auf Normen lediglich objektiven Rechts, so vollzieht sich die Ausweitung der Rechtsposition des Begünstigten nicht auf Kosten der (Grund-)Rechtspositionen Dritter; der Dritte hat kein Recht, die auf staatlicher Erlaubnis fußende Freiheitsbetätigung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Il. Subjektiv öffentliche Rechte und Betroffenheit

Dieser "zweifachen Legitimation" muß auch ein unterschiedlicher Anknüpfungspunkt bei der Einschränkung der Klagemöglichkeit entsprechen. Geht es um die Grundrechte des Begünstigten, so ist damit offensichtlich die Frage des Priifungsumfangs angeschnitten. Der Bürger soll nur die Einhaltung der Vorschriften verlangen können, die auch seinen Freiheitsbereich schützen, die auch ihn "angehen". Hier handelt es sich damit um das oben dargestellte Problem des subjektiv öffentlichen Rechts. Dort, wo keine Grundrechte eines Begünstigten zu berücksichtigen sind, wo also der Staat unmittelbar belastet, entfällt diese Legitimation zur Einschränkung der Klagemöglichkeit. Dort, wo allerdings wirklich Dreieckskonstellationen vorliegen, ist die Einengung des Prüfungsmaßstabs geboten. Es geht also genaugenommen um die Abgrenzung der Interessenten)O von der Verletztenklage 11 • Greift der Staat unmittelbar in die Freiheit seiner Bürger ein, 8 Degenhart,

DVBI. 1981, 201, 202f. BayVBI. 1980,38, 39f; anders Becker, DÖV 1973, 379, 380, m. w. N. 10 Bei der Interessentenklage ist anfechtungsberechtigt, wer an der Aufhebung des Verwaltungsakts ein eigenes Interesse hat, wem die Kassation einen meßbaren Vorteil im weitesten Sinne bringt, Skouris, Verletztenklagen, S. 11. 11 Bei der Verletztenklage ist nur deIjenige anfechtungsberechtigt, in dessen Rechte die Behörde mit ihrer Verfügung eingegriffen hat. Allein die Beeinträchtigung subjektiver Rechte legitimiert damit zur Anfechtung des Verwaltungsakts, Skouris, Verletztenklagen, S. 10. 9 Kopp,

240

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

verletzt jede Rechtswidrigkeit das oben abgeleitete subjektiv öffentliche Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen; ist die Belastung privatvermittelt, führt nur die Verletzung von Vorschriften, die Freiheitssphären voneinander abteilen, zur Aufhebung der staatlichen Maßnahme. Bloßes Interesse reicht also nach der hier vertretenen Konzeption in keinem Fall aus, notwendig ist immer die Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts. Der gesamte Problemkreis ist primär bei der Begründetheit einer Klage angesiedelt. Damit richtet sich der Blick auf die zweite Legitimationsquelle, nämlich auf die Notwendigkeit der Verhinderung einer Popularklage, auf das faktische Betroffensein. Hier geht es nicht mehr um die Eingrenzung des materiellen Prüfungs umfangs, sondern um das eher prozessuale Problem der Beschwer, um die tatsächliche Frage nach der faktischen Beziehung zum Streitgegenstand, also um die Abgrenzung der Popularklage von der "Interessentenklage"12, die durch das oben entwickelte Verfahren bereits notwendig als Verletztenklage ausgestaltet ist. Ein Problem, das damit zur Zulässigkeit einer Klage gehört. Bei der Feststellung, wer letztlich zur Anfechtung berechtigt sein soll, muß diese Zweiteilung von einerseits Vorliegen eines subjektiv öffentlichen Rechts und andererseits Betroffenheit streng beachtet werden. Dies bedeutet, daß das Kriterium der Betroffenheit schon dann als erfüllt angesehen werden muß, wenn der Kläger ein eigenes Interesse an der Aufhebung der Maßnahme besitzt, wenn er also in einer besonderen Beziehung dazu steht. § 22: Die Betroffenheit im "Dreieck"

I. Notwendigkeit einer nonnativen Betroffenheit

Die strenge Trennung zwischen diesen beiden Legitimationslinien muß allerdings sogleich wieder modifiziert werden und zwar für die Fälle, in denen tatsächlich eine Dreieckssituation vorliegt, in denen es also um die Überprüfung lediglich drittschützenden Rechts geht. Hier befindet sich die 12 Ungenau häufig die Literatur, vgI. beispielsweise Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 202, wonach jemand bereits dann Popularklage erhebt, wenn er "nicht geltend macht oder nicht geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten (!) verletzt zu sein" (Klammerzusatz vom Verf.); riChtig demgegenüber z. B. Weyreuther, FS für Menger, S. 681, 689.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

241

faktische Betroffenheit in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu dem als verletzt gerügten subjektiv öffentlichen Recht in dem Sinne, daß die Norm auch über die Betroffenheit entscheidet. Dies liegt allerdings in der Natur der Sache. Die als drittschützend einzustufenden Normen - dies wurde schon mehrfach hervorgehoben - teilen Freiheitsbereiche voneinander ab. Daraus folgt, daß auch nur diejenigen, deren Freiheitsbereiche durch diese Regelungen eingegrenzt werden, von deren Vollzug insoweit "betroffen" sind. Damit genügt faktische Betroffenheit im Sinne einer Beeinträchtigung eines wie auch immer gearteten Interesses nicht. Die besondere Beziehung zum Streitgegenstand muß gerade darin liegen, daß der Kläger in dem grundrechtlichen Schutzgut betroffen ist, das von der Norm geschützt werden soll, deren Verletzung er rügt. Die bloße Addition von faktischem Betroffensein und Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts reicht also nicht aus 13 • Ein einfaches Beispiel soll diese Situation verdeutlichen: § 5 Abs. 1 NT. 1 BImSchG ist - nicht nur nach der hier vertretenen Auffassung - eine drittschützende Norm l4 • Sie dient dem Gesundheits- und Eigentumsschutz und ist daher "in Erfüllung" der grundrechtlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 GG erlassen worden. Wollte man die Trennung der beiden Legitimationslinien streng durchführen, so könnte bei Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG jeder, der ein Interesse an der Beseitigung der Anlage hätte, also "faktisch" von ihr betroffen wäre, die Aufhebung der Genehmigung verlangen, beispielsweise auch ein Konkurrent des Betreibers. Dies würde dem subjektiven Charakter unseres Rechtsschutzsystems allerdings nicht gerecht, da der Konkurrent nicht in seinem subjektiv öffentlichen Recht betroffen wäre. Vielmehr bestimmt sich auch die faktische Betroffenheit nach der zugrundeliegenden Norm: Faktisch betroffen sind nur diejenigen, deren Gesundheit oder Eigentum durch den Betrieb der Anlage und den davon ausgehenden Immissionen beeinträchtigt werden könnten. Die tatsächliche Betroffenheit wandelt sich damit zur normativen Betroffenheie 5 • 13 Dies bringt auch der Wortlaut des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO deutlich zum Ausdruck; der Vetwaltungsakt muß rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt sein, vgl. Bettermann, in: Staatsbürger und Staatsgewalt 11, S. 449, 452; Skouris, Verletztenklagen, S. 10; Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 882; Weyreuther, FS für Menger, S. 681, 682f. 14 Vgl. für viele Jarass, BImSchG, § 5, Rz. 45; Marburger, Gutachten, C 57; BVerwGE 68, 58, 59; dazu schon unten § 4 I. 15 Vgl. Marburger, Gutachten, C 37; ähnlich Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 891.

Dimberger 16

242

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

II. Das Problem des abgegrenzten Personenkreises 1. Grundsatz

Wenn nun der Kreis der Betroffenen der Norm selbst entnommen werden soll, nähert man sich einer weiteren Problematik, die im Zusammenhang mit der Schutznormtheorie häufig erörtert wird: Zum Schutznormcharakter einer Regelung - so wird gefordert - gehöre die Nennung eines abgegrenzten oder wenigstens abgrenzbaren, also bestimmbaren Personenkreises16• Oben wurde gezeigt, daß die subjektive Qualität einer Norm nicht von einer solchen Voraussetzung abhängig gemacht werden darf, es vielmehr lediglich darauf ankommt, ob sie objektiv dem Schutz von Grundrechtsgütern bzw. Freiheitsbereichen dient. Soll aber der Kreis der Betroffenen durch die Norm selbst bestimmt werden, so scheint das Kriterium der Abgegrenztheit "durch die Hintertür" wieder eingeführt zu werden, zwar nicht als materielle Voraussetzung für das Vorliegen einer Schutznorm, so doch als Eingrenzung für die Betroffenheit. Ein solches Vorgehen und mithin auch die These von der Bestimmtheit des Personenkreises vertauschen allerdings Ursache und Wirkung. Nicht der Charakter als subjektiv öffentliches Recht folgt aus der Nennung eines abgrenzbaren Personenkreises in der Norm, vielmehr muß umgekehrt der Betroffenenkreis durch Auslegung der Regelung ermittelt werden, nachdem feststeht, daß sie ein subjektiv öffentliches Recht darstellt 17• Denn die Schutzwürdigkeit ändert sich nicht, gleich ob in der Norm ein abgrenzbarer Personenkreis genannt wird oder niche 8 • Dies bedeutet, daß jeder Norm, die nach den obigen Kriterien Schutznormcharakter aufweist, durch interpretatorische Anstrengung die Entscheidung über die Betroffeneneigenschaft abgewonnen werden muß. Das mag im Einzelfall schwierig sein, ein Blick 16 Das BVerwG forderte lange Zeit, daß die Nonn "einen bestimmten und abgrenzbaren, d. h. individualisierbaren und nicht übennäßig weiten Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen" lassen müsse, BVerwGE 52,122, 129; vgI. schon BVerwGE 27, 29, 33; 32, 173, 177; zuletzt wohl BVerwGE 67,334,339. Zust. für das Baurecht Berger, Nachbarklagen, S. 102; Jacob, BauR 1984, 1, 8; Sendler, BauR 1970, 74, 76. Degenhan, JuS 1984, 187, 188, hält die Abgrenzbarkeit sogar für "das wichtigste Kriterium"; Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 882, sieht darin eine "Auslegungshilfe". Diese Rspr. wurde mittlerweile aufgegeben, wenn das BVerwG selbst auch nur von einer ModiflZierung spricht, BVerwG NVwZ 1987, 409; auch Goerlich, JZ 1988,405, hält die Entscheidung für eine "Wende". 17 Erbguth, Umweltrecht, S. 331; Sailer, DVBI. 1976,521,531; Wahl, JuS 1984,578,585. 18 Wasmuth, NVwZ 1988, 322, 324.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

243

auf die bereits derzeit praktizierte Rechtsprechung zeigt jedoch, daß es jedenfalls nicht unmöglich ist. 2. Die Rechtsprechung von Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof a) So ist auch das Bundesverwaltungsgericht mehr und mehr von der Forderung nach einem abgegrenzten Personenkreis abgerückt und hat - vom Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der drittschützenden Norm häufig im Stich gelassen - schöpferisch eigene Kriterien zur Betroffenheit entwickelt. Das Gericht hält zwar noch daran fest, daß aus den individualisierenden Tatbestandsmerkmalen einer Norm selbst ein Personenkreis entnommen werden müsse, der sich von der Allgemeinheit unterscheide; die Norm müsse aber keine räumliche Abgrenzung dieses Personenkreises enthalten, dies sei praktisch z. B. bei Immissionsbelastungen gar nicht normierbar l9 • Auch die zur Subjektivierung des Rücksichtnahmegebots erarbeiteten Kriterien des "Betroffenseins in individualisierter und zugleich qualifizierter Weise,,20 lassen erkennen, daß die Rechtsprechung durchaus in der Lage wäre, Leitlinien für die Ermittlung des Betroffenseins im konkreten Fall zu entwickeln. Im Ergebnis arbeitet die Judikative in diesem Bereich also bereits heute mit einer Fiktion: Wortlaut und Genese einer Norm geben oftmals kaum etwas für die nähere Bestimmung des Betroffenseins her - man denke nur an den lapidaren Begriff der "Nachbarschaft" in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG; trotzdem wird dem Gesetz der geschützte Personenkreis durch teleologische Auslegung entnommen. Etwas anderes wird aber auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht verlangt. b) Auch der BGH hatte sich bei dem parallelen Problem im Zivilrecht, nämlich ob eine Rechtsnorm "Schutzgesetz" iSd. § 823 Abs. 2 BGB ist, mit der Frage des abgrenzbaren Personenkreises auseinanderzusetzen21 • Obgleich das Gericht die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Formu-

19

BVetwG NVwZ 1987,409; zust. Hahn, JuS 1987,536,537.

20 Vgl. dazu BVetwGE 52,122,129, m. N. zur st. Rspr. des Gerichts; BVetwG DVBI. 1981,

928, 930; Berger, Nachbarklagen, S. 102; siehe auch schon oben § 4 11. 2. 21 Auf die Parallelität dieser Problemkreise weisen hin Konrad, BayYBI. 1984, 33, 37; Marburger, Gutachten, C 33f; Rupp, DYBI. 1982, 144, 147.

244

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

lierung übernimmt, die Norm müsse das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der geschützten Personen hinreichend klarstellen und bestimmen22, geht es im konkreten Fall weit weniger einschränkend vor23 • So wird beispielsweise das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 S. 1 StV0 24 als Schutzgesetz angesehen, obgleich sich dieser Norm mit Sicherheit kein "abgrenzbarer" Personenkreis - so wie ihn sich das Bundesverwaltungsgericht vorstellt - entnehmen läßt. Ähnliches gilt nach Ansicht des BGH auch für Geschwindigkeitsbegrenzungen25 oder Halteverbote26• Eines wird dabei deutlich: Ob eine Norm "Schutzgesetz" ist - also Drittschutz vermittelt - richtet sich nicht danach, ob die Norm quantitativ eine bestimmte Anzahl von Menschen aus der Allgemeinheit herausschneidet; gleichgültig ist auch, daß der Personenkreis nicht ein für allemal feststeht; ausschlaggebend ist einzig und allein der Schutz eines individuell zugeordneten Rechtsguts, also die qualitative Differenzierung gegenüber der Allgemeinheit. Eine Eingrenzung erfolgt nicht auf der Ebene der Bestimmung des subjektiv öffentlichen Rechts, sondern bei der konkreten Betroffenheit27 • 3. Massenhaftes Betroffensein und Popularklage In diesem Zusammenhang muß auch nochmals - obwohl dies im Schrifttum schon mehrfach getan wurde 28 - eine grundsätzliche Mißdeutung angesprochen werden, die sich leider immer wieder findet. Nicht mehr nur Abgrenzbarkeit des Personenkreises wird da für das Vorliegen eines subjektiv öffentlichen Rechts verlangt, sondern sogar zahlenmäßige Begrenztheit29 • Vgl. z. B. BGHZ 40,306,307. VgI. die umfangreiche Liste von "Schutzgesetzen" beispielsweise bei Thomas, in: Palandt, BGB-Komm., § 823, Anm. 9. f). 24 Zugunsten des Überhol- und Gegenverkehrs, BGH NJW 1981, 2301. 25 BGH VersR 1972, 558, 559; BGH NJW 1985, 1950f. 26 BGH NJW 1983, 1326, 1327; OLG München NJW 1985, 98lf. 27 Erbguth, Umweltrecht, S. 331; Marburger, Gutachten, C 34; für das Parallelproblem des § 823 Abs. 2 BGB vgl. Larenz, Schuldrecht 11, S. 621; Teichmann, in: Jauemig, BGB-Komm., § 823, Anm. 111. 2. b) bb). 22

23

28 Vgl. z. B. Baumann, BayVBI. 1982, 257,265; Beckmann, Rechtsschutz, S. 183; Kloepfer, Umweltrecht, S. 266; Pietzcker, FS für Bachof, S. 131, 143; Sailer, DVBI. 1976,521, 530f; Steinberg, UPR 1984, 350, 356; aus der Rspr. vgl. OVG Lüneburg DVBI. 1984, 887, 888. 29 VgI. z. B. Degenhart, Kernenergierecht, S. 161; ders., DVBI. 1983,926; SChmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, S. 123; SChmitt-Glaeser, AöR 107 (1982), 337, 376; Simon, BayVBI. 1974,601,604; BayVGH et 1979, 490, 492.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

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Würde - so wird eingewandt - beispielsweise bei der Klage gegen em Kernkraftwerk Personen die Anfechtungsberechtigung zugestanden, die in sehr großer Entfernung von der Anlage wohnten3O, entfiele augenscheinlich die individuelle Betroffenheit. Wo Millionen Bürger gleichermaßen in ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gefährdet seien, könne individuelle Betroffenheit nicht mehr ausgemacht werden. Da die Gefährdung somit nur noch die Allgemeinheit beträfe, käme es zu einer Popularklage31 • Diese Argumentation geht aber schon am Begriff der Popularklage vorbei. Die Popularklage impliziert ja das Fehlen einer besonderen, qualitativen Beziehung zum Anfechtungsgegenstand32• Über die Anzahl der Anfechtungsberechtigten ist damit nichts ausgesagt. Es ist daher durchaus denkbar, daß eine sehr große Zahl von Bürgern, ja die gesamte Bevölkerung, qualitativ gegenüber einer gedachten quantitativen Allgemeinheit herausgehoben ist. Auch massenhaft gleichförmige Betroffenheit bleibt im Ansatz gebündelte individuelle Betroffenheie3• Die Gleichungen beschränkte Zahl Anfechtungsberechtigter = Interessenten- bzw. Verletztenklage, allgemeines Betroffensein = Popularklage mögen im Baurecht mit seinen naturgemäß räumlich begrenzten Wirkungen berechtigt gewesen sein. Dort, wo über große Entfernungen viele Menschen gleichermaßen betroffen sind, stimmen sie nicht mehr. Andernfalls käme man zu dem absurden Ergebnis, daß je höher das Gefährdungspotential einer Anlage wäre, je gravierender damit die möglichen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit, desto höher die Anforderungen an die Klagebefugnis anzusetzen seien34 • Konsequenterweise könnte dann gegen eine Maßnahme, die die gesamte Bevölkerung in hohem Maße bedroht, niemand mehr vorgehen. Ein eklatanter Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG und natürlich auch zu den materiellen Grundrechten der Betroffenen35 •

30 BVeIWG, Beschluß vom 3.2.1967, zit. bei Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 891 FN 44: 375 km; OVG Lüneburg OVBI. 1975, 190, 192: mehr als 100 km; vgl. auch Winters, OÖV 1978, 265, 268, mit zahlreichen Beispielen aus der Rspr. 31 Ossenbühl, OÖV 1981, 1, 7; ähnlich Brohm, OÖV 1982, 1,9; ders., NJW 1984, 8, 13; Lerche, Kernkraft, S. 30; Schmidt, NJW 1978,1769,1774. 32 Beckmann, Rechtsschutz, S. 188; Skouris, Verletztenklagen, S. 7f. 33 Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 45.

Hermes, Grundrecht, S. 217f. Baumann, BayVBI. 1982,257,265; Beckmann, Rechtsschutz, S. 171; Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 27. 34 35

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

IIf. Der ''Einwirkungsbereich " des Vorhabens Zurück zur Bestimmbarkeit des zur Klage befugten Personenkreises. Daß es hier zu Schwierigkeiten kommen kann, wurde bereits oben kurz angesprochen. Es wird häufig eine Frage des Einzelfalls sein, ob ein Beteiligter zum konkreten Betroffenenkreis gehört oder nicht. Gerade auf diesem Feld ist aber die Rechtsprechung gefordert, dort ist ihr ureigener Entscheidungsbereich. Trotzdem gibt es auch dogmatische Stützen, die als Hilfen für die Bestimmung dieses Personenkreises herangezogen werden können. Ausgangspunkt muß auch hier die (objektive) Funktion der Schutznorm sein, nämlich der Schutz eines oder auch mehrerer Grundrechtsgüter bzw. Freiheitsbereiche. Auf der anderen Seite steht das angegriffene private Vorhaben, das auf diese Grundrechtsgüter in irgendeiner Form einwirkt, sie gefährdet oder beeinträchtigt. Gegen eben diese Einwirkungen soll die Einhaltung der drittschützenden Norm die Betroffenen ja gerade bewahren. Es kommt damit auf den - in einem weiten Sinn verstandenen - "Einwirkungsbereich" des Vorhabens an36• Dieser Begriff ist vor allem im Immissionsschutzrecht bekannt und bezeichnet in ganz handgreiflicher Weise, welchen räumlichen Bereich eine Anlage mit ihren Immissionen erreiche7• Anlagen und andere Vorhaben wirken aber auch in ganz anderer Weise auf die "Nachbarschaft", also auf die Grundrechtsgüter der Betroffenen ein. Bauvorhaben, die sich nicht in die Umgebung "einfügen", haben Auswirkungen auf das Grundeigentum in näherer und weiterer Umgebung und sei es nur in Form von Wertminderungen der Grundstücke38• Der Betrieb eines Kernkraftwerks bewirkt sowohl im Normalbetrieb als auch, was mögliche Störfälle betrifft, eine Erhöhung des Risikos für Leben und Gesundheit derjenigen, die sich in einer bestimmten räumlichen Nähe zu der Anlage bzw. für eine gewisse

36 Kloepfer, 37

Rechtsschutz, S. 30, 45; ähnlich Schlichter, FS für Scupin, S. 881, 891. Vgl. z. B. Jarass, BImSchG, § 3, Rz.57ff; BVerwGE 28, 131, 134.

38 Zum "Einwirkungsbereich" baulicher Anlagen vgl. Kübler / Speidei, Handbuch des Baunachbarrechts, S. 74ff, m. v. w. N.; vgI. auch BVerfGE 70, 35, 53, wo das BVerfG Wertminderungen eines Grundstücks prinzipiell dem Eigentumsschutz unterstellt und die Interessen der Eigentümer insoweit als rechtlich geschützt ansieht; dazu auch Kübler / Speidei, a. a. 0., S. 52; Soell, WiVerw 1986, 205,215. Zur Eingrenzung des "Nachbarn" im Gewerberecht vgl. Frers, GewArch 1989,73.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

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Dauer in oder bei der Anlage aufhalten39 • Richtig ist, daß diese Wirkungen mit zunehmender Entfernung und zeitlicher Verkürzung immer mehr "ausdünnen" und daher die Bestimmung der Schwelle schwierig ist, ab wann jemand wirklich in einer qualifizierten Beziehung zu dem Vorhaben steht. Notwendig ist dabei sicherlich ein gewisses Gewicht der nachteiligen Auswirkungen; die Beeinträchtigungen dürfen nicht nur ganz geringfügig sein40 • Hier muß aber die Rechtsprechung unter besonderer Berücksichtigung des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Auswirkungen auf das in Rede stehende Grundrechtsgut des Klägers, je nach dem zugrundeliegenden Rechtsgebiet zu differenzierenden Lösungen kommen41 • Bedeutung mögen dabei je nach dem Charakter des Vorhabens - räumliche, aber auch sachlich/zeitliche Gesichtspunkte haben, eine für alle Fälle passende Einheitslösung gibt es nicht42• Lediglich die Eckpunkte liegen fest: es kommt darauf an, ob sich der Kläger - räumlich, sachlich, zeitlich43 - im Hinblick auf die Grundrechtsgüter, die durch die als verletzt gerügte Norm geschützt werden sollen, im "Einwirkungsbereich" der Anlage befindet44 • W. Zusammenfassung

In tatsächlichen Dreieckskonstellationen muß der Betroffenenkreis der als verletzt gerügten Norm entnommen werden, die das jeweilige Grund39 Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei der Klage gegen ein Kernkraftwerk allerdings genaugenommen um eine Adressatenklage, vgl oben § 20 11. 40 Wahl, JuS 1984, 577, 586, mit einem instruktiven Beispiel für das "Einfügungsgebot" nach § 34 BBauG a. F.; vgl. auch Berger, Nachbarklagen, S. 157. 41 Marburger, Gutachten, C 29; Kloepfer, Rechtsschutz, S. 30, 45; vgl. für das BlmSchG sehr instruktiv OVG Lüneburg GewArch 1978, 341, 342f; BVerwG UPR 1983, 69, 70; für § 34 BBauG a. F. vgl. den wohl geglückten Versuch des VGH Mannheim VBIBW 1981, 219f: Rechtswidrig zu groß gebautes Haus verdeckt den Blick auf den Sonnenuntergang. 42 Für den bestimmungsmäßigen Betrieb einer genehmigungspflichtigen Anlage nach dem BImSchG wird man in typischen Sachverhaltsgestaltungen zur räumlichen Abgrenzung auf das Beurteilungsgebiet nach 2. 2. 6. 2. der TA Luft 1983 abstellen dürfen, vgl. OVG Lüneburg NVwZ 1985, 357; a. A. Enge/hardt, NuR 1984, 87, 9Of; Jarass, NJW 1983, 2844, 2847; ders., BImSchG, § 3, Rz. 57; wie hier Kloepfer, Umweltrecht, S. 266; Marburger, Gutachten, C 87. Für den Störfall lassen sich keine allgemeingültigen Grenzen bestimmen. 43 Vgl. näher zu diesen Kriterien Breuer, DVBI. 1986, 849, 857; Steiger, Mensch, S. 38f. 44 Daraus folgt, daß zur konkreten Anfechtungslegitimation notwendig auch die tatsächliche Betroffenheit des Klägers gehört, anders Jacob, BauR 1984, 1, 2; Winter, NJW 1979, 393, 395, 397; wie hier Berger, Nachbarklagen, S. 157; Breuer, DVBI. 1983, 431, 437; Laubinger, Doppelwirkung, S. 48ff; Marburger, Gutachten, C 36; Sening, BayVBI. 1978, 205, 206; ders., BayVBI. 1979,492,493.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

rechtsgut schützt. Unter Berücksichtigung der - in einem weiten Sinne verstandenen - "Einwirkungen" des Vorhabens auf die geschützten Grundrechtsgüter kann ein räumlicher/sachlicher/zeitlicher Bereich abgegrenzt werden, innerhalb dessen sich die zur Anfechtung legitimierten Personen befinden müssen. Auf die Anzahl der so Betroffenen kommt es jedoch nicht an. Die Entscheidung, wie ein solcher Einwirkungsbereich abstrakt zu bestimmen ist, hängt von der zugrundeliegenden Norm des einfachen Rechts und vor allem von ihrer objektiven Bedeutung für den Schutz von Grundrechtsgütern ab. Eine Einheitslösung existiert nicht. Die Bestimmung des klagebefugten Personenkreises im Einzelfall richtet sich entscheidend nach den konkreten Auswirkungen der Maßnahme auf die geschützten Grundrechtsgüter. § 23: Die BetrolTenheit beim Recht auf Freiheit

von ungesetzlichen Beeinträchtigungen

I. Eingrenzung über die Faktizität des Betroffenseins

Die Bestimmung des Personenkreises, der gegen eine nicht privat vermittelte Beeinträchtigung klagebefugt sein soll, scheint in eine Aporie einzumünden. Das verletzte, einfache Recht und sein objektiver Schutzzweck helfen hier nicht weiter. Da jeder Rechtsfehler gleichzeitig eine Verletzung des subjektiv öffentlichen Rechts auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen auslöst, ist eine Eingrenzung von daher unmöglich45 • Über Art. 2 Abs. 1 GG würden damit aber praktisch alle staatlichen Maßnahmen, soweit sie eben nicht lediglich private "Eingriffe" erlauben, rügefähig. Jeder Regierungswechsel könnte umfassend auf seine Recht- und Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden. Selbst das Mitansehenmüssen von Unrecht würde über den prinzipiell unbegrenzten Freiheitsbegriff der Grundrechte zu einer subjektiven Position des einzelnen46• Eine Situation, die tatsächlich ausweglos erscheint. 45 Hier liegt der eigentliche Grund für die Inkonsequenz der h. M., bei Anfechtungsklagen eines formell verstandenen Adressaten ohne weiteres von einem subjektiv öffentlichen Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen auszugehen. Die h. M. bleibt insoweit im Bannkreis der Popularklage; soweit lediglich Adressaten anfechten, droht sie nicht, und es besteht kein Grund, sich weitere Gedanken zu machen, vgl. Henke, Recht, S. 67. 46 Diese Beispiele führt Pietzcker, FS für Bachof, S. 131, 147, an.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

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Hier hilft allerdings die Rückbesinnung auf die beiden Legitimationslinien der Einschränkung von Klagemöglichkeiten weiter: Über das Kriterium der Betroffenheit muß nämlich die Abgrenzung einer drohenden Popularklage, eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchs von der allein zulässigen Interessentenklage erfolgen. Notwendig ist also eine qualifizierte Beziehung des Klägers zur angefochtenen staatlichen Maßnahme, die ihn von der Betroffenheit als bloßes Mitglied der Allgemeinheit heraushebt. Die Feststellung dieser Beziehung - so wird eingewandt - sei aber wieder unmöglich. Nur der Gesetzgeber könne eine zur Überprüfung der Maßnahme berechtigende Verbindung zwischen Streitgegenstand und Betroffenem herstellen. Bloß faktisches Betroffensein könne nicht ausreichen und sei auch nicht denkbar, nur das einfache Recht bestimme jedenfalls im Bereich des Art. 2 Abs. 1 GG, welche Interessen dem einzelnen zugeordnet seien. Betroffensein sei daher immer im normativen Sinne, nie im faktischen Sinne zu verstehen47• Die Argumentation entspricht der oben erwähnten zur Bestimmbarkeit des Personenkreises als Voraussetzung eines subjektiv öffentlichen Rechts. Ihre Brauchbarkeit ist ähnlich. Nicht die Schwierigkeiten bei der Feststellung der möglichen Klagebefugten lassen das subjektiv öffentliche Recht entfallen, sondern das Vorliegen eines subjektiv öffentlichen Rechts verlangt die Bestimmung eines Personenkreises, der im konkreten Fall rügeberechtigt ist, auch wenn dies mit größeren dogmatischen Anstrengungen verbunden sein sollte. Il. Beispiele für die Existenz faktischer Abgrenzungen

1. Das "interet pour agir" beim "recours pour exces de pouvoir" Nun ist es zunächst sicherlich nicht so, daß eine Begrenzung des Betroffenenkreises ohne Zuhilfenahme rechtlich zugeordneter Positionen oder gar subjektiv öffentlicher Rechte denkunmöglich wäre. Ein Blick auf das französische System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zeigt, daß ein solches Vorgehen wenigstens nicht unumgänglich zur Popularklage führen 47 Vgl. Gassner, DÖV 1981, 615, 618; Lorenz, Rechtsschutz, S. 65ff; Pietzcker, FS für Bachof, S. 131, 146; Rupp, DVBI. 1982, 144, 148 FN 27; Schlichter, PS für Scupin, S. 881, 884f; SChmidt-Aßmann, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rz. 122; Scho/z, AöR 100 (1975), SO, 11Hf FN 174; ders., VVDStRL 34 (1976),141, 200 FN 227; Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5,10.

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2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

muß48 • Der französische "recours pour exces de pouvoir" ist als Interessentenklage ausgestaltet49 • Sein Erfolg hängt davon ab, daß der angefochtene Administrativakt rechtswidrig ist und der Kläger an dessen Aufhebung ein eigenes Interesse hat. Dabei fehlt die Verbindung zwischen objektiver Rechtswidrigkeit und subjektiver Rechtsverletzung. Das Gericht hebt die behördliche Maßnahme wegen jeder Rechtsfehlerhaftigkeit auf. Die Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts wird nicht verlangt. Insoweit ist die Situation in Frankreich mit dem hier dargestellten Recht auf Gesetzmäßigkeit der Verwaltung identisch. Hier führt jede Gesetzwidrigkeit zu einer Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts, dort ist eine solche Verletzung nicht notwendig. Das Problem der Eingrenzung des Betroffenenkreises stellt sich aber in gleicher Weise. Da in Frankreich normative Richtlinien für die Bestimmung der Anfechtungslegitimation fehlen, kommt der Rechtsprechung des Conseil d'Etat herausragende Bedeutung zuso . Das Gericht versucht das Anfechtungsrecht des einzelnen über den Begriff des "interet pour agir" zu bestimmen: der Kläger müsse ein eigenes persönliches Interesse an der Beseitigung des Verwaltungsakts haben; er müsse einem Personenkreis angehören, der sich in irgendeiner Form von der Allgemeinheit abhebe51 • Eine abstrakte Beschreibung des Interesses sei dabei nicht möglich; es komme immer auf den Einzelfall an52• Daß der Conseil d'Etat dabei sehr weit geht und sich mit jedem halbwegs vernünftigen Anhaltspunkt zufriedengibt, der den Anfechtenden vom Popular unterscheidet53, macht die Konstruktion per se nicht unbrauchbar. Es soll hier auch keinesfalls der Versuch gemacht werden, den französischen Begriff des "interet" materiell auf das deutsche Verwaltungsrecht zu 48 Auf die Rechtslage in Frankreich weisen in diesem Zusammenhang hin Bleckmann, VBlBw 1985, 361; Brohm, WDStRL 30, 245, 273f FN SO. 49 Allgemein dazu Bleckmann, VerwArch 49 (1958), 213ff; Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage, S. 85ff; Skouris, Verletztenklagen, S. 97ff; Weinhardt, Die Klagebefugnis des Konkurrenten, S. 130ff. so Skouris, Verletztenklagen, S. 97. 51 52

Auby / Drago, Cotentieux administratif, Rz. 1040; Skouris, S. 100. Vgl. Laubadere, Droit Administratif, Rz. 910.

53 Der C. E. neigt dazu, auch mittelbare, mögliche und künftige Interessen als Legitimation zur Klageerhebung ausreichen zu lassen; so hat er beispielsweise die Anfechtungsbefugnis eines Hotelbesitzers gegen die Verkürzung der Sommerferien zugelassen; teilweise - nämlich auf Kommunal- und Departementsebene- soll sogar der Steuerzahler Administrativakte angreifen können, die zur Erhöhung der öffentlichen Ausgaben beitragen können; vgl. die geschilderten Fallgruppen bei Auby / Drago, Contentieux administratif, Rz. 911ff; Laubadere, Droit administratif, Rz. 1042; Skouris, Verletztenklagen, S. 99ff.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

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übertragen. Vielmehr soll mit diesem Vergleich nur bewiesen werden, daß die Rechtsprechung durchaus in der Lage wäre, insbesondere durch Fallgruppenbildung, den zur Anfechtung Legitimierten vom "quivis ex populo" zu scheiden. 2. Das Selbstbetroffensein bei der Verfassungsbeschwerde Aber auch der deutschen Jurisdiktion ist das Problem der faktischen Betroffenheit nicht fremd. Bei der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde muß das Bundesverfassungsgericht nämlich entscheiden, ob der Bürger bezüglich der angefochtenen Maßnahme auch beschwerdebdugt ist54 • Wegen der umfassenden Freiheitsverbürgung der Grundrechte - insbesondere des Art. 2 Abs. 1 GG - und des sich daraus ergebenden ebenso umfassenden Prüfungsmaßstabes steht das Gericht, auch wenn dies expressis verbis wohl niemals angesprochen wurde, vor dem Problem, die Anfechtungslegitimation lediglich nach tatsächlichen Gesichtspunkten zu bestimmen. Dazu hat es schon sehr früh55 den Kriterientrias des eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenseins entwickelt, mit dessen Hilfe ausdrücklich56 der Gefahr der Popularbeschwerde begegnet werden sollte. Selbstbetroffenheit soll nach Ansicht des Gerichts dann vorliegen, wenn die staatliche Maßnahme durch die angeordnete Rechtsfolge in die grundrechtlieh geregelte Rechtssphäre des Bürgers eingreife51, aber auch schon dann, wenn der Beschwerdeführer in einer "besonderen Beziehung zum Sachverhalt" stehe58• Die letztgenannten Entscheidungen hatten wohlgemerkt Eingriffsgesetze zum Prüfungsgegenstand, so daß eine einfachgesetzliche Einräumung von Rechtspositionen selbstredend nicht zur Grundlage der Anfechtungslegitimation gemacht werden konnte. Aber gerade deshalb ist die Judikatur hierzu auf das Recht auf Gesetzmäßigkeit übertragbar. Hier wie dort wird die Beeinträchtigung "unmittelbar" durch den Staat herbeigeführt, es geht um 54 Auf die Rspr. des BVerfG weisen in diesem Zusammenhang hin Brohm, VVDStRL 30 (1972),245, 273f FN SO, allerdings unter Anbindung an das Kriterium des "unmittelbaren" Betroffenseins; Wiebel, Wirtschaftslenkung, S. 81ff, m. w. N. 55 Erstmals wohl BVerfGE 1,97, 101.

56 Vgl. BVerfGE 1, 97, 102; 13, 1, 9; dazu auch Erichsen, Staatsrecht, S. 6; Spanner, in: BVerfG und GG I, S. 374f; Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rz. 13. 51 Z. B. BVerfGE 6,273,278. 58 BVerfGE 16, 25, 27; vgl. auch BVerfGE 13, 230, 233; 18, 1, 12f; eingehend dazu Wiebel, Wirtschaftslenkung, S. 83.

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

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einen Eingriff in Rechtspositionen des Bürgers durch den Staat, nicht um Schutz vor privaten Belastungen. Der Prüfungsumfang ist damit uneingeschränkt. Festgestellt werden muß nur, ob der Beschwerdeführer sich in einer qualifizierten, "besonderen Beziehung" zum Streitgegenstand befindet, um die Popularklage zu verhindern. Entscheidend für die Betroffenheit ist somit die faktische Situation, nicht die rechtliche Zuweisung von geschützten Interessen an den Bürger. IIf. Abgrenzungskriterien für die faktische Betroffenheit

Notwendig ist nach alledem, daß sich der Anfechtende durch ein ihm anhaftendes Merkmal legitimiert, das ihn einerseits von der Allgemeinheit unterscheidet und auf das andererseits die staatliche Maßnahme gerade spürbare Auswirkungen haben muß. Mit dieser Eingrenzung wird die oben angesprochene Gefahr offenkundig gebannt, der einzelne könne sich zum Sachwalter fremden Interesses machen und z. B. Regierungsumbildungen und anderen zugefügtes Unrecht anfechten. Hier fehlt es schon an einem Merkmal, das den Kläger von der Allgemeinheit abgrenzen würde. Mit dieser Definition wird aber beispielsweise auch klar, warum diejenigen, die herkömmlich - also in formaler Hinsicht - als Adressaten bezeichnet werden, zu dem Personenkreis gehören, dem ein Recht auf Gesetzmäßigkeit zusteht. Durch die adressathafte Auferlegung eines staatlichen Gebots oder Verbots wird die besondere Beziehung zum Anfechtungsgegenstand gleichsam automatisch hergestellt. Allerdings kommt es dabei entscheidend nicht auf die formale Adressatenposition an, sondern darauf, daß der Staat einer konkreten Person eine bestimmte POichtigkeit auferlegt. Noch ein weiteres Beispiel soll die Situation verdeutlichen. Wie oben dargestellt59, ist die straßenrechtliche Planfeststellung eine "unmittelbar" alle Straßennachbarn belastende staatliche Maßnahme, der gegenüber ebenfalls das Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Belastungen besteht. Auch hier ist es also nötig, einen Betroffenenkreis abzugrenzen, der zur Anfechtung berechtigt sein soll. In qualifizierter Beziehung zu dieser Straße stehen aber sicherlich diejenigen, die den von der Straße ausgehenden Emissionen Lärm, Staub, Abgase - ausgesetzt sind. Für die faktische Betroffenheit kommt es jedoch nicht darauf an, daß Schwellenwerte überschritten werden, 59

Vgl. oben § 20 I.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

253

die die Grenze der Unzumutbarkeit nachzeichnen, deren Nichteinhaltung also für sich genommen bereits zur Rechtswidrigkeit der Planfeststellung führen würde. Ausreichend ist vielmehr, daß die Belastungen für die Straßennachbarn noch spürbar, d. h. nicht ganz unerheblich sind. Die per se zumutbaren - also die Grenzwerte beispielsweise für Lärm nicht überschreitenden - Wirkungen der Straße bleiben - falls Vorschriften gleich welcher Art verletzt worden sind - rechtswidrig und brauchen nicht geduldet zu werden. Für die Betroffenheit durch fernstraßenrechtliche Planfeststellungen zu berücksichtigen wäre also vor allem die räumliche und zeitliche Nähe zu dem Vorhaben, die zu spürbaren Auswirkungen durch den Betrieb der Straße führt. Auch hier gibt es allerdings eine Schwelle im Sinne eines "minima non curat praetor", bei der die Wirkungen auf den einzelnen so gering sind, daß eine qualifizierte Beziehung zum Streitgegenstand nicht mehr angenommen werden kann. Wieder ist damit die Rechtsprechung gefordert, die im Einzelfall die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Klage zu treffen hat. Die obige Definition der Betroffenheit bedarf allerdings noch einer Ergänzung vor allem für die Fälle, in denen so gefährliche und wirkungsstarke Maßnahmen angefochten werden sollen, die dadurch jeden faktisch betreffen. Hier steht der einzelne nicht als Glied der Allgemeinheit, sondern als Individuum in einer besonderen Beziehung zu dem staatlichen Vorhaben. In einer solchen Konstellation muß es also genügen, wenn sich spürbare Auswirkungen auf ein grundrechtlich geschütztes Gut oder einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich ergeben, auch wenn diese Auswirkungen die gesamte Bevölkerung in gleicher Weise erreichen. In diesen Fällen wechselt die faktische Betroffenheit wieder zur normativen; die Grundrechte machen das Vorhaben wieder zu einer Sache, die den Kläger "angeht". Häufig werden beide Kriterien - Personenkreis, der sich von der Allgemeinheit abhebt, und Betroffenheit in einem Grundrechtsgut - übereinstimmend vorliegen; man denke nur an das obige Beispiel des Straßenlärms. Aber nur beide Varianten zusammengenommen vermögen alle schutzwürdigen Betroffenheitssituationen vollständig zu beschreiben. Es sei zum Abschluß nochmals deutlich gemacht, daß der Rechtsprechung im Bereich der Bestimmung des Betroffenenkreises bei der hier vertretenen Auffassung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Dies ist aber keine Verschiebung innerhalb der Funktionen der staatlichen Gewalten. Vielmehr gehörte es von jeher zur Aufgabe der Judikative, Recht auf den konkreten Fall anzuwenden, abstrakte Entscheidungen des Gesetzgebers

254

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

und der Verfassung zu konkretisieren. Die faktische Betroffenheit kann von der Natur der Sache her allgemein gar nicht letztentscheidend bestimmt werden. Sie differiert je nach konkretem Fall und zugrundeliegendem Rechtsgebiet. Die entstehende Rechtsunsicherheit, die aus einer Hervorhebung der Einzelfallentscheidung notwendig resultiert, könnte - ebenso wie dies im französischen Recht mit Hilfe des Begriffs des "interet" geschehen ist - durch Fallgruppenbildung erheblich gemildert werden. Dies soll allerdings nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein; es genügt die Feststellung, daß auch insoweit unüberwindliche Schwierigkeiten nicht entstehen und die Unsicherheiten sicherlich geringer sein werden als bei der derzeitigen Kasuistik zur herkömmlichen Schutznormtheorie60 • IV. Zusammenfassung Beim Recht auf Gesetzmäßigkeit ist - zur Abgrenzung gegenüber der Popularklage - eine qualifIzierte Beziehung des Anfechtenden zum Streitgegenstand notwendig. Wegen der umfassenden "Versubjektivierung" einfachen Rechts über den Abwehrmodus der Grundrechte steht dabei nicht eine normative, sondern eine faktische Betroffenheit im Vordergrund. Anfechtungsbefugt ist danach, wer sich durch ein bestimmtes Merkmal von der Allgemeinheit abhebt, auf das die staatliche Maßnahme gerade spürbare Auswirkungen ausübt. Bei allgemeiner und gleichförmiger Betroffenheit genügt es allerdings, wenn sich diese spürbaren Wirkungen auf ein spezielles Grundrechtsgut bzw. einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich beziehen; hier wandelt sich die faktische wieder zu einer normativen Betroffenheit. Die Ermittlung dieser qualifIzierten Beziehung, also des anfechtungsberechtigten Personenkreises im konkreten Fall ist in erster Linie eine Aufgabe der Rechtsprechung, die vor allem durch Bildung von Fallgruppen auch im Hinblick auf Gesichtspunkte der Rechtssicherheit bewältigt werden kann. Beispiele hierfür bieten die Abgrenzungen mit Hilfe des "interet pour agir" beim "recours pour exces de pouvoir" im französischen Verwaltungsrecht und mit Hilfe des Selbstbetroffenseins bei der Verfassungsbeschwerde.

60

Siehe dazu oben § 4 I. und die Kritik an der Schutznormtheorie § 5 I.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

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§ 24: Die eingeschränkte Bestandskraft von Verwaltungsakten

als Einwand gegen die Ausweitung von Klagemöglichkeiten I. Der grundsätzliche Einwand

Es ist offensichtlich, daß nach der hier entwickelten Konzeption erheblich mehr Anfechtungsberechtigte für einen Verwaltungsakt existieren, als dies nach herkömmlicher Auffassung der Fall ist. Durch den teilweisen Verzicht auf das Merkmal der Abgegrenztheit wird es für die Behörde auch häufig nicht einfach sein, den klagebefugten Personenkreis abschließend festzustellen. Dies führt zu einer praktischen Schwierigkeit: Das System der VwGO rüstet den Verwaltungsakt aus Gründen der Rechtssicherheit mit Bestandskraft aus. Nach einer bestimmten Zeit sollen alle Beteiligten - und insbesondere ein Begünstigter - davon ausgehen dürfen, daß die Exekutivrnaßnahme, selbst wenn sie rechtswidrig sein sollte, von Dritten nicht mehr angegriffen werden kann. Zu diesem Zweck ordnet § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO an, daß Widersprüche nur innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden können. Diese Frist gilt allerdings nur, wenn der Verwaltungsakt dem Betroffenen mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung bekanntgegeben wurde, § 70 Abs. 2, 58 Abs. 1 VwGO. Fehlt diese Belehrung verlängert sich die Frist auf ein Jahr, § 58 Abs. 2 VwGO. Wird der Verwaltungsakt dem Betroffenen amtlicherseits überhaupt nicht zur Kenntnis gebracht, scheinen keine Fristen zu laufen. Angesichts der oben geschilderten Tatsache, daß der Behörde häufig eine ordnungsgemäße Zustellung an alle Beteiligten gar nicht möglich ist, läßt sich die Bestandskraft in diesen Fällen anscheinend überhaupt nicht mehr präzise feststellen, die Interessen beispielsweise der Genehmigungsadressaten würden unangemessen beeinträchtigt, genehmigte Vorhaben stünden praktisch andauernd unter dem Damoklesschwert einer möglichen Anfechtung61, wirtschaftlich oftmals weitreichenden Dispositionen könnte jederzeit der rechtliche Boden entzogen werden6l ; Planungen würden möglicherweise deshalb nicht angegangen, selbst wenn ihre Ausführung rechtmäßig wäre,

Siegmund-Schu/tze, DVBI. 1964,950,952; Simon, BayVBI. 1974,601,604. Diese Gesichtspunkte werden z. B. auch angesprochen von BVerwGE 27,29,33; 32, 173, 175; 52, 122, 129; dazu auch Wahl, JuS 1984, 5n, 580f. 61

62

256

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

weil die Vorhabensträger die Rechtsunsicherheit und den Zeitverlust, den ein Rechtsstreit mit sich bringt, scheuen63• Gegen diese Argumentation - dies wurde oben schon angesprochen kann nicht die fehlende Schutzwürdigkeit des Vertrauens in rechtswidrige Verwaltungsakte eingewandt werden. Die Regelungen zur Bestandskraft dienen gerade dazu, auch bei rechtswidrigen Maßnahmen einen Zeitpunkt zu sichern, ab dem ein für allemal die Wirksamkeit des Verwaltungsakts feststehen soll. Dies gilt im übrigen auch - wenn auch in eingeschränktem Maß - bei Genehmigungsakten innerhalb der staatlichen Sphäre also etwa im Atomrecht oder bei straßenrechtlichen Planfeststellungen. Hier streiten zwar nicht die Grundrechte für einen Vertrauensschutz der Begünstigten, jedoch haben auch der Staat und seine Organisationseinheiten ein legitimes Interesse daran, daß eine Maßnahme inhaltlich bestehen bleibt und nicht mehr angefochten werden kann. Auch wenn in diesem Zusammenhang das Argument des Investitionsrisikos und der Höhe der wirtschaftlichen Aufwendungen häufig überstrapaziert wurde, bleibt als Tatsache bestehen, daß bei Projekten mit Staatsbeteiligung wie z. B. bei der Errichtung von Kernkraftwerken und beim Bau von Straßen immense Summen aufgewendet werden. Der Einsatz finanzieller Mittel muß auch für den Staat kalkulierbar bleiben, er muß sich ab einem gewissen Zeitpunkt auf den Bestand seiner Maßnahmen verlassen können. Il. Die Gegenargumentation

All diese Gesichtspunkte vermögen die hier vertretene Position allerdings nicht zu verändern. Den aufgezeigten Schwierigkeiten wird zum einen bereits durch den Einsatz einfachrechtlicher Bestimmungen begegnet, zum anderen kann dort, wo solche Regelungen (noch) nicht existieren, das Instrument der Verwirkung eingesetzt werden. Gerade auf Rechtsgebieten, bei denen sich größere Schwierigkeiten bei der Ermittlung und Abgrenzung des klagebefugten Personenkreises ergeben, hat der Gesetzgeber Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung der Gestattungsentscheidungen aufgenommen, so beispielsweise für die fernstraßenrechtliche Planfeststellung in § 18 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 BFStrG, für genehmigungspflichtige Anlagen nach dem Immissionsschutzrecht 10 63

Dies räumt auch Sening, Erholungslandschaft, S. 123f, ein.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

257

§ 10 Abs. 8 BImSchG und für atomare Anlagen in § 7 Abs. 4 AtomG 64 • Mit

der öffentlichen Bekanntmachung der Entscheidung nebst einer Rechtsbehelfsbelehrung gilt sie als allen Betroffenen zugestellt mit der Folge, daß die Widerspruchsfrist in jedem Fall nach einem Monat abläuft65 • Damit wird gewährleistet, daß trotz einer Vielzahl von möglichen Widerspruchsführern und Klägern ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand und ohne Letztentscheidung über den anfechtungsberechtigten Personenkreis die Bestandskraft des Verwaltungsakts herbeigeführt werden kann. Die Interessen der Rechtssicherheit und die Belange des Begünstigten bleiben gewahrt66• Soweit solche Instrumente nicht vorhanden sind - wie z. B. für baurechtliche Genehmigungen -, aber trotzdem erforderlich wären, führt ihr Fehlen allerdings nicht zur Notwendigkeit der Eingrenzung des Kreises der Anfechtungsberechtigten, sondern umgekehrt ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei Bedarf ähnliche Bestimmungen, wie sie oben dargestellt wurden, zu schaffen67• Solange und soweit allerdings die Legislative nicht gehandelt hat, kann die Figur der Verwirkung wenigstens grobe Unbilligkeiten beseitigen helfen 68• Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Dritten, der sichere Kenntnis vom Erlaß eines Verwaltungsakts erlangt hat, bzw. hätte erlangen müssen, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Berufung auf die fehlende amtliche Bekanntmachung versagt und die Widerspruchsfrist nach §§ 70, 58 Abs. 2 VwGO ab Kenntnisnahme (bzw. deren Fiktion) berechnd9 • In besonders gelagerten Ausnahmefällen - so das Gericht - könne sogar vor Ablauf der Jahresfrist Verwirkung eintreten70 • Gerade bei Großprojekten, bei 64 Darauf weisen hin SaUer, BayVBI. 1975, 405, 409; Sening, BayVBI. 1978, 205, 206; vgl. auch § 74 Abs. 4 und Abs. 5 VwVfG. 65 Vgl. für das Straßenrecht beispielsweise Ficken, Planfeststellung für den Straßenbau, S. 493f; Kodal / Krämer, Straßenrecht, S. 1025; für das Immissionsschutzrecht !arass, BImSchG, § 10, Rz. 78; für die Plan feststellung allgemein Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 100ff; zu den Problemen bei Massenverfahren eingehend Bambey, DVBI. 1984, 374ff. 66 Vgl. BVerfG NJW 1985, 729. 67 Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, S. 89f; Sailer, NuR 1987, 207, 213 FN 52a; Sening, Erholungslandschaft, S. 124. 68 Vgl. Parodi, BauR 1985, 417, 424. (J) BVerwGE 44, 294, 298ff; BVerwG DVBI. 1987, 1276, 12TI; OVG Lüneburg NVwZ 1985, 506,507; zust. Kopp, VwGO, § 74, Rz. 19; Redeker / v. Oertzen, VwGO, § 70, Rz. 2a; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 228; kritisch Menger, VerwArch 66 (1975), 85, 87ff; Mittenzwei, NJW 1974, 1884f. 70 BVerwGE 44,294,302.

Dimberger 17

258

2. Abschnitt: Das System des Drittschutzes

denen sich das Problem der Abgrenzbarkeit des Personenkreises am ehesten stellt, wird man davon ausgehen dürfen, daß diejenigen, die in räumlicher bzw. sachlicher Nähe dazu stehen, sich - häufig durch die öffentliche Diskussion in den Medien - zu einem relativ frühen Zeitpunkt von der Planung Kenntnis verschaffen können. Mit einem differenzierten und behutsamen Einsatz des Instruments der Verwirkung wird es daher in vielen Fällen gelingen, einerseits den berechtigten Interessen der Drittbetroffenen Rechnung zu tragen, andererseits das Verfahren in einer dem Vorhabensträger zumutbaren Zeitspanne zum Abschluß zu bringen. Folgende Gedanken sollten in diesem Zusammenhang noch bedacht werden. Bei Projekten, die in einem besonderen öffentlichen Interesse stehen bzw. bei denen das Interesse des Begünstigten in hohem Maße überwiegt, hat die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung der von Dritten eingelegten Rechtsbehelfe entfallen zu lassen. Dabei wird zwar das finanzielle Risiko des Vorhabensträgers bei rechtswidriger Genehmigungserteilung nicht geringer; da aber mit der Zahl der Anfechtungsberechtigten auch die Wahrscheinlichkeit wächst, daß die behördliche Entscheidung tatsächlich angegriffen wird, kann dieses Instrument als Regulativ für einen weiten Kreis von Klageberechtigten insoweit eingesetzt werden, als bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit der Genehmigung primär "inhibitorische" Rechtsbehelfe ohne Wirkung bleiben. Vergegenwärtigen sollte man sich auch immer, daß Klagen auch bei einer großen Zahl von dazu Legitimierten nur bei Rechtswidrigkeit des Streitgegenstands erfolgreich sein können, so daß bei rechtmäßigem Vorgehen der Exekutive die Menge der Klagebefugten keinerlei Einfluß auf die Wirksamkeit der Maßnahme hat: Rechtswidrige Genehmigungen werden aufgehoben, auch wenn nur ein einziger Kläger vorhanden ist, rechtmäßige Genehmigungen bleiben auch im Massenverfahren bestehen7!. Abschließend läßt sich daher feststellen, daß die durch einen großen Kreis von Anfechtungsberechtigten hervorgerufene Schwächung der Steilung des Begünstigten weitgehend durchaus der zugrundeliegenden Interessensituation entspricht. Sowohl Rechtssicherheit als auch Einzelfallgerechtigkeit werden in hinreichendem Maß berücksichtigt.

7!

Beckmann, Rechtsschutz, S. 191; ansatzweise auch Wahl, JuS 1984, 577, 581.

8. Kapitel: Die Betroffenheit des Bürgers

259

III. Zusammenfassung

Alle Einwände gegen einen zu weit gezogenen Kreis der Anfechtungslegitimierten hinsichtlich der Position des Begünstigten stellen die dargestellte Auffassung nicht in Frage. Ausreichende Regulative sind insoweit die Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung von Verwaltungsentscheidungen und der Einsatz des Instruments der Verwirkung durch die Rechtsprechung.

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht 9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz § 25: Grundrechtliche Anknüpfungspunkte für Naturschutz

und Landschaftspflege l. Allgemeines

Nachdem nun allgemein gezeigt worden ist, auf welchem Weg die Grundrechte das Vorliegen eines subjektiv öffentlichen Rechts determinieren, kann die konkrete Anwendung der gefundenen Ergebnisse im Bereich des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege angegangen werden. Dabei ist zunächst eines klar: soweit der Betroffene seine Grundrechte als Abwehrrechte geltend machen kann, ist das Naturschutzrecht genauso zu behandeln wie alle anderen Normen des objektiven Rechts. Wegen des umfassenden Anspruchs auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen führt jeder Rechtsverstoß zur Aufhebung der Verwaltungsmaßnahme. Das gesamte Naturschutzrecht ist "versubjektiviert"l. Anders ist es bei den Beeinträchtigungen, die privatvermittelt sind, bei denen also die Schutzfunktion der Grundrechte angesprochen ist. Drittschützende Normen existieren ja nur dort, wo sie entsprechende Freiheitsbereiche nachzeichnen, gesetzgeberische Kollisionslösungen von Grundrechtskonflikten darstellen. Soll dabei der zu untersuchende § 8 BNatSchG eine Rolle spielen, müßte es ein "Grundrecht auf Naturschutz" geben, dessen Wirkung einfachrechtliche Normen zu subjektiv öffentlichen Rechten transformieren könnte. Im folgenden wird nun untersucht werden, ob das Grundgesetz einen entsprechenden grundrechtlichen Anknüpfungspunkt enthält.

1 Vgl. dazu oben

§ 7 und § 8.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

261

II. Das allgemeine Umweltgrnndrecht Sicherlich auch den Naturschutz umfassen würde ein allgemeines Umweltgrundrecht, ein Recht des einzelnen auf Schutz und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Auf den ersten Blick scheint der Grundrechtskatalog der Verfassung in dieser Beziehung ohne Relevanz zu sein. Trotzdem entstand in den 70er Jahren eine Strömung im Schrifttum, die dem Grundgesetz de constitutione lata ein solches Umweltgrundrecht entnehmen wollte2• Die dafür angeführten Begründungen sind recht uneinheitlich; teilweise wird Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herangezogen, häufig in Verbindung mit Art. 1 GG3, aber auch auf Art. 2 Abs. 1 GG4 und das Sozialstaats-5 bzw. das Rechtsstaatsprinzip6 wird hingewiesen. Zudem taucht der Gedanke des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes auf. Oft vermengen sich auch die Argumente für eine Ableitung eines solchen Grundrechts aus dem Grundgesetz mit rechtspolitischen Erwägungen8 • Die Rechtsprechung9 und die ganz überwiegende Ansicht in der Lehre 10 sind dieser Auffassung zurecht allerdings nicht gefolgt. Es muß schon bedenklich stimmen, daß bei den Autoren, die ein Umweltgrundrecht in der Verfassung verortet sehen, ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber herrschen, was von diesem Recht erfaßt sein soll. Man spricht von einem

2 Als erster wohl Rehbinder, ZRP 1970, 250, 252; in der Folgezeit beispielsweise Maus, JA 1979,287,289; Külz, DVBI. 1975, 189f; Lücke, DÖV 1976, 289ff; Mayer-Tasch, BayVBI. 1974, 515ff; Rupp, JZ 1971, 4Olff; Sai/er, DVBI. 1976, 521ff; Sening, BayVBI. 1979, 492; Weber, DVBI. 1971, 806ff; zurückhaltender neuerdings Stober, JZ 1988, 426ff, der aus dem Grundgesetz zwar ein "Umweltschutzprinzip" (S. 427), aber kein "Umweltschutzgrundrecht" (S. 430) ableiten will. 3 Külz, DVBI. 1975, 189; Lücke, DÖV 1976, 289, 29Off. 4 Maus, JA 1979, 287, 288f; Rupp, JZ 1971, 401,402; wohl auch Mayer-Tasch, BayVBI. 1974, 515,519. 5 Maus, JA 1979, 287, 289; Weber, DVBI. 1971,406. 6 Sening, BayVBI. 1978,205,206.

DÖV 1976, 289, 290; Sai/er, DVBI. 1976,521, 53Of. Zur neueren Entwicklung de constitutione ferenda vgl. Czajka, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 143ff; KJoepfer, DVBI. 1988,305, 311ff; Peters, NuR 1987, 293. 7 Lücke,

8

BVerwGE 54,211,219; BVerwG NJW 1975, 2355, 2356. BB 1978, 130, 131; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 517; Hofmann, ReChtsfragen, S. 304; Kirchhof, et 1980,500,501; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 158; Mayer, BayVBI. 1975, 664, 665; v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 61; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, In; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 29; Stüer, NuR 1981, 149, 155. 9

10 Baltes,

262

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

"Grundrecht auf unschädliche Umwelt"ll, einem "Grundrecht auf angemessene Umwelt,,12, einem "Grundrecht als Verbot unzumutbarer Eingriffe in die menschliche Umwelt,,13 oder von einem "Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt,,14. Diese begriffliche Unsicherheit zeigt bereits, daß einem Umweltgrundrecht jegliche Kontur fehlen würde, um im Einzelfall entscheiden zu können, ob es verletzt ises. Diese Einsicht führt zu einem weiteren Argument. Ein allgemeines Umweltgrundrecht ist gerade wegen seiner Unschärfe auf den Vollzug durch den Gesetzgeber angewiesen. Dies bedeutet vor allen Dingen Schwierigkeiten bei der Justitiabilität, die gegenüber den übrigen Grundrechten notwendig eingeschränkt wäre l6• Als "soziales" Grundrecht paßte es zudem nicht in das System der auf Individualschutz ausgerichteten Freiheitsgarantien des Grundgesetzes17, so daß schon die rechtspolitische Wünschbarkeit eines Umweltgrundrechts fraglich ist; umso mehr muß dies für den Versuch gelten, bereits den bestehenden Gewährleistungen ein Recht des einzelnen auf Umweltschutz zu entnehmen. Es bleibt also dabei, daß nur Teilbereiche des Umweltschutzes, soweit nämlich Gesundheits- oder Eigentumsbeeinträchtigungen zu erwarten sind, grundrechtlich als erfaßt angesehen werden können l8 • Darüber hinaus gewährleisten die Grundrechte zumindest einen Anspruch auf das ökologische Existenzminimum, ein Mindestmaß an materiellen und immateriellen Umweltverhältnissenl9 • Ein umfassendes Grundrecht auf Umweltschutz, das II

Rupp, JZ 1971, 401, 402; Weber, DVBI. 1971,806. JZ 1973, 712.

12 Rehbinder, 13 ..

Lücke, DOV 1976, 289, 29lf.

14 Vgl. Klein, FS für Weber, S. 643. IS Vgl. Czajka, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 143, 150f; SCholz, DB-Beil. 10/79, S. 13. Baltes, BB 1978, 130, 131, spricht von einem "Nebelbegriff"; vorsichtiger Soell, NuR 1985, 205,209. 16 Ausführlich Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung, S. 179(f; vgl. auch Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167, 178; Soell, NuR 1985, 205, 209f; Ule, DVBI. 1972,437,438. Diese Schwierigkeit wird teilweise auch von den Befürwortem eines Umweltgrundrechts erkannt, die dann konsequent auf eine Justitiabilität verzichten, vgI. Rehbinder, ZRP 1970, 250, 252; Rupp, JZ 1971, 401, 402; Weber, DVBI. 1971,806. 17 Vgl. Buchner, BayVBI. 1984, 385,386; Dellmann, DÖV 1975, 588, 589; Klein, FS für Weber, S. 643, 654f; Soell, NuR 1985, 205, 210; ders., WiVerw 1986, 205. 18 Ausführlich Karpen, in: Umweltschutz im Recht, S. 9, 13ff; Kloepfer, DVBI. 1988, 305, 309f; Soell, NuR 1985, 205, 206ff. 19 Begriffsbildend Steiger, Mensch, S. 54; vgI. auch Kloepfer, DVBI. 1988, 305, 310 mit FN 54; Roßnagel, Grundrechte, S. 18, 48f; SCholz, JuS 1976, 232, 234.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

263

auch den Naturschutz und die Landschaftspflege einschließen würde, existiert allerdings nicht 20 • IIl. Tatbestandliche Eingrenzung auf ein Grundrecht auf Naturgenuß

Mit der letzten Feststellung ist aber nicht jegliche grundrechtliche Anknüpfung des Naturschutzes ausgeschlossen worden; vielmehr sind damit lediglich zwei Einsichten verbunden. Erstens ist punktuell die spezialgrundrechtliche Gewährleistung der einzige Ansatz, der zu einer Schutzpflicht für Natur und Landschaft führen kann. Zweitens - und dies ist von größerer Bedeutung - muß der Bereich des Schutzes enger gefaßt werden. Da Grundrechte per se personale Rechte darstellen, muß sich der Schutz auf ein dem Individuum zugeordnetes Gut beziehen und nicht - wie beim Umweltgrundrecht - auf die Umweltmedien. Dies scheint bei Natur und Landschaft als öffentlichen Gütern par excellence21 auf den ersten Blick unmöglich zu sein22• Dabei wird aber der jedenfalls denkbare personale Bezug des Individuums zu diesen Umweltkomponenten völlig unterschlagen23 • Es gehört sicherlich zu den dem Menschen als Einzelperson zugeordneten Bereichen, mit der Natur in Kontakt zu treten, sie zu genießen, sich in ihr zu erholen, ohne daß dadurch bereits ein darauf gerichtetes (Grund-)Recht korrespondieren müßte. Schutzgüter eines solchen Rechts - wenn es denn existierte - wären aber jedenfalls nicht Natur und Landschaft als solche, sondern nur die Gewährleistung der individuellen Möglichkeit, sie sinnlich zu erfahren. Es liegt nahe, diese Vorgehensweise als dogmatischen Trick abzuqualifizieren; in Wirklichkeit solle doch über den Individualschutz nur Grundrechtsschutz für die Umweltmedien erreicht werden24 • Dieser Einwand überzeugt jedoch aus zwei Gründen nicht. Zum einen ist sowohl der Schutz 20 Obwohl EntwickIungstendenzen in dieser Beziehung zu erkennen sind, gibt es zur Zeit auch im Völkerrecht kein ökologisches Grundrecht, vgI. Rauschning, PS für Weber, S. 719ff; Soell, NuR 1985, 205, 209. 21 Soell, NuR 1985, 205, 208f; ders., WiVerw 1986, 205. 22 So z. B. auch Friesenhahn, Festvortrag, G 25. 23 Dies betont auch Steiger, Mensch, S. 37ff; vgl. auch Devolve, in: Individualrecht, S. 98; Fleiner, ebd., S. 101. 24 So wohl Rausch, in: Individualrecht, S. 175.

264

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

von Individualinteressen über den Sachgüterschutz als auch der umgekehrte Weg, nämlich mittelbarer Schutz von Allgemeingütern durch Individualschutz, den Grundrechten nicht fremd. Im ersten Fall denke man an Art. 13 oder Art. 14 GG, bei denen Wohnung und Eigentum nur wegen ihrer Funktion für die persönliche Freiheit grundrechtlich garantiert sind25; im zweiten Fall sei an Regelungen zur Luftreinhaltung gedacht, die sicherlich in erster Linie dem Gesundheitsschutz dienen, mittelbar aber auch notwendig dem Allgemeingut und Umweltmedium "Luft" zugutekommen. Zum anderen muß der "mittelbare" Effekt des Grundrechtsschutzes auf den Schutz der Umweltmedien völlig außer Betracht bleiben, falls es eine individuelle grundrechtliche Gewährleistung auf diesem Gebiet gibt. Die Frage des Grundrechtsschutzes ist vorrangig und kann nicht mit dem Hinweis auf etwaige zusätzliche positive Wirkungen abgetan werden. Man darf auch nicht übersehen, daß die Nutzung von Umweltmedien schon bislang in einer Beziehung zu individualgrundrechtlichen Gewährleistungen stand. Ohne Luft und Gewässer wäre in weiten Bereichen gewerbliche Tätigkeit, die durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützt ist, nicht möglich. Abgase und Abwässer müssen - zumindest nach dem heutigen Stand der Technik - an die Umweltmedien abgegeben werden; die Umweltmedien werden also auch hier - allerdings verbrauchend - genutzt. Das Grundrecht auf Naturgenuß weicht insoweit also gar nicht von den herkömmlichen Freiheitsgewährleistungen ab, als es ebenfalls nur unter Verwendung der Umweltmedien ausgeübt werden kann. Zwei grundsätzliche Unterschiede bestehen allerdings, die jedoch ganz und gar nicht gegen die Existenz eines Grundrechts auf Naturgenuß sprechen: Die Umweltmedien werden durch gemeinverträgliche - Nutzung nicht geschädigt und - wichtiger - zur Nutzung sind intakte Umweltmedien erforderlich. Während bislang also grundrechtlich die Chancen an der Umweltbelastung im Vordergrund standen, rücken jetzt die Chancen an der Teilhabe an intakter Natur ins Blickfeld. Beide Male geht es aber um die Verteilung der Möglichkeiten zur Nutzung der Umweltmedien26• Insoweit wäre auch das Recht auf Naturgenuß rein individualrechtlich konzipiert. Allein ausschlaggebend ist also, ob das Grundgesetz ein solches Recht auf Naturgenuß, auf Erholung in Natur und Landschaft enthält oder nicht.

25

Steiger, Mensch, S. 38. Zacher, VVDStRL 38 (1980), 349 (Diskussionsbeitrag).

26 Ähnlich

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

265

Wo Das Recht auf Naturgenuß und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

1. Die Bestimmung des Begriffs "körperliche Unversehrtheit" Eine erste ganz naheliegende Anknüpfung für ein Recht auf Erholung in Natur und Landschaft stellt die Garantie der körperlichen Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. Entscheidend für die Bedeutung dieser Gewährleistung im Zusammenhang mit einem Recht auf Naturgenuß ist fraglos die Bestimmung des Schutzbereichs, also die Beantwortung der Frage, was unter körperlicher Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verstanden werden muß. a) Völlige Einigkeit herrscht darüber, daß davon jedenfalls die Gesundheit in einem biologisch-physiologischen Sinn umfaßt istZ7 • Körperliche Unversehrtheit bedeutet danach die Negation pathologischer Zustände28• Unklar und streitig ist hingegen, inwieweit in den Begriff der körperlichen Unversehrtheit das geistige und das soziale Wohlbefinden miteinbezogen werden kann. Sollte der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dahingehend ausgedehnt werden können, würde dessen Gewährleistung ein Recht auf Naturgenuß größtenteils einschließen. Ein solch weiter Begriff der Gesundheit liegt der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugrunde. Gesundheit ist danach ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht lediglich das Freisein von Krankheiten und Gebrechen29 • Vereinzelte Stimmen im Schrifttum möchten diese Sichtweise ganz oder teilweise der Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugrunde legen, meist jedoch ohne eine Begründung für dieses extensive Verständnis zu geben3O • Wenn sich ArZ7 Für viele v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 53; vgl. auch die immer noch Bestand habende Einteilung bei Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2, Rz. 30. 28 SChmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 209; SCholz, DB-Beil. 10/79, S. 16. 29 "Health is astate of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of desease or infinnity", Präambel Abs. 2 der "Constitution of the World Health Organization of April 7, 1948", in: Peaslee, International Governmental Organizations, Bd. 2, S. 188lff; zu den Problemen mit der nicht authentischen Übersetzung v. a. beim Begriff des "well-being" vgl. Jung, Gesundheit, S. 67 FN 43; Rosenberg, Möglichkeiten der Refonn des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland, S. 5 mit FN 1. 30 Vgl. Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 141, 142; auf die psychische Komponente beschränkt Kloepfer, DVBI. 1988, 305, 310; Seewald, Gesundheit, S. 44ff; Steiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 21, 31; zuneigend wohl auch Hermes, Grundrecht, S. 223ff; Soell, NuR 1985, 205, 208.

266

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

gumente finden, wird auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer weiten Auslegung aller Freiheitsrechte und auf Art. 1 Abs. 1 GG hingewiesen, der eine Ausdehnung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG jedenfalls auf Fälle geistig-seelischer Beeinträchtigungen gebiete31 • Das Bundesverfassungsgericht setzte sich in seiner "Düsseldorf-Lohausenil-Entscheidung im Rahmen der Prüfung von Fluglärmwirkungen mit dem Begriff der körperlichen Unversehrtheit auseinander, ließ das Ergebnis jedoch offen. Fluglärm - so das Gericht - erschöpfe sich nicht in einer Beeinträchtigung des psychischen oder sozialen Wohlbefindens, sondern zeitige Einwirkungen auch auf die - eng verstandene - körperliche Unversehrtheit zumindest in Form von Schlafstörungen32• Dem Duktus der Entscheidung ist jedoch wohl eine gewisse Sympathie für eine vorsichtige Erweiterung des Gesundheitsbegriffs auf den geistig-seelischen Bereich zu entnehmen33 • Die herrschende Ansicht in der Literatur klammert allerdings das soziale und weitgehend auch das psychische Wohlbefinden aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zurecht aus34 • b) Zunächst bezieht sich der Wortlaut der Vorschrift relativ eindeutig auf somatische Beeinträchtigungen. Zwar ist die Wortauslegung nur ein Indiz, bei dem die richtige Interpretation nicht stehenbleiben darf; die Beschränkung auf die körperliche Unversehrtheit deutet aber darauf hin, daß psychisches oder soziales Wohlbefinden grundsätzlich nicht zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gehören soll. Die Genese der Vorschrift gibt in verschiedener Hinsicht Hinweise auf eine engere Auslegung. Die Definition der WHO war beim Entstehen des Grundgesetzes bereits bekannt; trotzdem wählte der Parlamentarische Rat statt des Begriffs der Gesundheit den der körperlichen Unversehrtheit, so daß man von einer bewußten Abgrenzung gegenüber dem weiten Verständnis der Weltgesundheitsorganisation ausgehen muß3S• Wie aus den Be31

32

Z. B. Seewald, Gesundheit, S. 44f. BVerfGE 56, 54, 76.

33 Zu Unrecht meint Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5, 10, das BVerfG habe den Begriff der körperlichen U nversehrtheit "klargestellt".

34 Z. B. Baltes, BB 1978, 130, 132; Hofmann, Rechtsfragen, S. 308; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 130; Rauschning, VVDStRL 38 (1980),167,179. 3S Dies deutet auch das BVerfG an, BVerfGE 56, 54, 74; vgl. auch Steiger, Mensch, S. 34. Allerdings ist - soweit ersichtlich - bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates von der WHO-Definition - und damit auch von ihrer ausdrücklichen Ablehnung - nirgends die Rede.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

267

ratungen im Parlamentarischen Rat deutlich wird, sollte Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Antwort auf die Übergriffe des nationalsozialistischen Systems darstellen36• Als typische Anwendungsbereiche der Vorschrift wurden "Euthanasie, Zwangssterilisation und dgl." angesehen37• Man war darauf bedacht, den Inhalt des Grundrechts möglichst konkret zu halten38• Körperliche Unversehrtheit sollte deshalb bedeuten, daß das Wohlbefmden nicht gestört werden dürfe, soweit es körperlich in Erscheinung trete39 • Die Defmition der WHO ist auch von ihrer Intention her ungeeignet, Auswirkungen auf die Interpretation einer Verfassungsbestimmung abzuleiten4O • Es sollte - obwohl von einem Grundrecht des Menschen auf den bestmöglichen Gesundheitszustand die Rede ist - kein individuell einklagbarer Anspruch geschaffen werden, vielmehr sollten die WHO-Mitgliedsstaaten zu einem an diesem Ziel orientierten Verhalten angehalten werden41 • Folgerichtig wurde der Begriff bewußt weit und offen gehalten42; insbesondere das soziale, aber auch das geistig-seelische Wohlbefinden ist jedoch in einem Maß subjektiv geprägt, das rechtlich nicht mehr faßbar und praktikabel gemacht werden kann43 • Der Begriff der körperlichen Unversehrtheit würde sich in Beliebigkeit auflösen44 • Praktisch jede Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit, die dem einzelnen lediglich unangenehm wäre, müßte dann als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit aufgefaßt werden, die Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG würde enorm ausgeweitet und damit völlig verkehrt. Andererseits ist eine ausnahmslose Trennung von körperlicher und geistig-seelischer Sphäre weder rechtlich noch tatsächlich möglich. Auch das 36 vgl. Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2, Rz. 8; Leisner, in: Das Recht auf Leben, S. 9,52; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 206; siehe auch die Stellungnahme des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 60. 37 Stellungnahme des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 56. 38 Schriftlicher Bericht des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt, Drucksachen Nr. 850/854, S. 7. 39 Vgl. Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386, 387, und das dort angeführte Zitat des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt. 40 Ähnlich v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 130; Steiger, Mensch, S. 34. 41 Jung, Gesundheit, S. 67f. 42 Bezeichnend ist, daß die Definition der WHO durch das Internationale Arbeitsamt (IAA) noch um das berufliche Wohlbefinden ergänzt wurde, vgl. Psclryrembel, Klinisches Wörterbuch, S. 411. 43 Baltes, BB 1978, 130, 132; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 130; vgl. auch Laufs, FS für Weitnauer, S. 363, 365f. 44 SChmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 209.

268

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Grundgesetz sieht den Menschen als eine Einheit von Physis und Psyche45 • Was immer man genau unter der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG verstehen mag, sie impliziert ein Bild des Menschen als ganzheitliches Wesen, als eine untrennbare Verschmelzung von Leib und Geist, in der Beeinträchtigungen der einen Komponente Auswirkungen auch auf die andere haben können. Dies wird auch durch die modernen Erkenntnisse der psychosomatischen Medizin bestätigt, die zeigen, daß auch in naturwissenschaftlicher Sicht Vernetzungen zwischen geistig-seelischem und körperlichem Befinden existieren46• Daraus folgt, daß auch seelische Qualen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten können, selbst wenn damit keine erkennbaren physiologischen Folgen verbunden sind47• Auch hier unterstützt ein Blick auf die historische Funktion der Vorschrift diese Sichtweise. Wenn Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Konsequenz auf nationalsozialistische Grausamkeiten in das Grundgesetz eingefügt wurde, so muß auch der Schutz gegenüber psychischen Folterungen und seelischen Quälereien in den Gewährleistungsbereich einbezogen werden48• Andererseits kann nicht jede geistig-seelische Beeinträchtigung gleichzeitig und notwendig als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit qualifiziert werden. Nur solche nichtkörperlichen Einwirkungen, die ihrer Wirkung nach einem körperlichen Eingriff gleichzusetzen sind, also alles, was das psychische Befinden eines Menschen in einer Weise verändert, die der Zufügung von Schmerz entspricht, sind vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt49 • Die geistig-seelische Komponente des menschlichen Daseins ist damit weitgehend nicht von diesem Grundrecht garantiert50 ; dies heißt aber wohlgemerkt nicht, daß deshalb dafür jeglicher Grundrechtsschutz entfiele51 •

45

Dies deutet auch das BVerfG an, BVerfGE 56, 54,75.

Eingehend Mitscherlich, in: Der Kranke in der modemen GeseIlschaft, S. 140ff; vgl. auch ScluJefa, in: Handbuch der Sozialmedizin, Bd. 3, S. 15, 25ff m. w. N. 47 Zu eng deshalb Leisna, in: Das Recht auf Leben, S. 9,56f; Scho/z, DB-Beil. 10/79, S. 16. Zeigen sich auf psychische Einwirkungen somatische Folgen, ist jedenfalls ein Eingriff in die 46

körperliche Unversehrtheit gegeben. 48 Vgl.

BVerfGE 56,54,74.

BVerfGE 56, 54, 74; v. Münch, GG-Komm., Art. 2, Rz. 55; ähnlich schon KI!T'n, in: Die Grundrechte 11, S. 51, 60. 49

50

So auch Steiga, Mensch, S. 35.

51

Dazu näher unten § 26 und § 27.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

269

2. Die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für ein Recht auf Naturgenuß Was bedeutet jetzt die gefundene Konkretisierung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für ein Recht auf Naturgenuß? Sicherlich steht die Erholung in Natur und Landschaft in einer Beziehung zur körperlichen Unversehrtheit. Zurecht wird auf die Zunahme zivilisationsbedingter Krankheiten hingewiesen, die ihre Ursache auch in einer der Natur entfremdeten Lebensweise haben können52• Ein verstärkter Aufenthalt in naturnahen Räumen mag dazu beitragen, solchen Zivilisationsschäden vorzubeugen oder sie sogar zu behandeln53 ; auch für die körperliche Regeneration ist der Genuß der Schönheit von Natur und Landschaft sicherlich ein wichtiger Faktor. Trotzdem sind durch die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit nur Extremsituationen erfaßt54 • Im NormalfaU wird ein Eingriff in Natur und Landschaft keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit des einzelnen haben und daher den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht berühren55 • Ein Recht auf Naturgenuß - so wie es hier verstanden wird - geht damit in zweifacher Beziehung über das Recht auf körperliche Unversehrtheit hinaus. Bei Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG handelt es sich um ein "zustandsbezogenes" Grundrecht, d. h. geschützt wird in erster Linie eine dem Individuum zugeordnete Befindlichkeit. Die Möglichkeit, sich zu erholen, wird innerhalb dieses Grundrechts nur als Voraussetzung zum Erhalt oder zur Herbeiführung dieses Zustands geschützt, nicht aber als Modalität "Genuß von Natur und Landschaft" als solche. Eingriffe liegen daher erst dann vor, wenn der Zustand beeinträchtigt wird, nicht aber schon, wenn eine bestimmte Art des Naturgenusses erschwert oder unmöglich gemacht wird56• Demgegenüber 52 Vgl. Buchwatd / Engethardt, Landschaftspflege, S. 3Off; Lochner, in: Erholung und Artenschutz, S. 85; Sening, Erholungslandschaft, S. 18; ders., BayVBI. 1979, 491, 492; Stumpf, Leben und Überleben, S. 45. 53 Vgl. Franke, in: Der vorzeitig verbrauchte Mensch, S. 317, 336f; Soell, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 673. 54 So wohl auch Rauschning, VVDStRL 32 (1980), 345 (Diskussionsbeitrag); weiter Häberte, ebd., S. 340 (Diskussionsbeitrag). 55 Soell, WiVerw 1986, 205, 214, hält bereits eine Situation für gegeben, bei der jeder weitere naturschädigende Eingriff den Kembereich des Art. 141 Abs. 3 S. 1 BV - das in Bayern ausdrücklich gewährleistete Recht auf Naturgenuß - berührt; dann liegt allerdings auch eine Tangierung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht mehr fern. 56 Zum Problem der "anderweitigen Erholungsmöglichkeit" vgI. unten § 28 11. 2.

270

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

stellt das Recht auf Erholung in Natur und Landschaft ein "handlungsbezogenes" Grundrecht dar, von der Struktur her ähnlich beispielsweise der Freiheit der Meinungsäußerung. Der Schutz eines solchen Rechts setzt damit bereits bei einer Beeinträchtigung der Freiheitsbetätigung als solcher an51• Darüber hinaus darf das Recht auf Naturgenuß nicht auf eine rein körperliche Betrachtung reduziert werden. Vielmehr geht es dabei auch und vor allem um geistige, seelische und nicht zuletzt ästhetische Momente58, deren physischer Bezug kaum faßbar ist und die daher vom Begriff der körperlichen Unversehrtheit gerade nicht mehr erfaßt werden können. Angesprochen ist hier der Schutz des Individuums als Persönlichkeit, dessen Gewährleistung nicht mehr bei Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern bei Art. 2 Abs. 1 GG anzusiedeln istS9 • Wie gezeigt werden wird, bedeutet die Einordnung des Schutzes der geistig-seelischen Komponente des Daseins bei der "allgemeinen Handlungsfreiheit" nicht notwendig einen gegenüber dem körperlichen Element verminderten Schutzstatus. § 26: Entwicklung neuer Nominatfreiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG

/. Die Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG im Grundrechtssystem 1. Art. 2 Abs. 1 GG als auch materielles Grundrecht

Übrig bleibt also für eine grundrechtliche Anknüpfung eines Rechts auf Erholung in Natur und Landschaft die Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Die Grundsätzlichkeit der Fragestellung, ob und wie aus Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt Schutzpflichten abgeleitet werden können, verlangt es, sich zunächst mit der allgemeinen Bedeutung dieser Grundrechtsbestimmung näher auseinanderzusetzen. Oben wurde bereits eingehend dargestellt, daß 51 Zur Unterscheidung von zustands- und handlungsbezogenen Grundrechten - allerdings bei den unbenannten Freiheitsrechten des Art. 2 Abs. 1 GG -Alexy, Theorie, S. 332ff.

58 Die ästhetische Komponente will zu Unrecht aus dem Begriff des NaturerIebens ausklammern OVG Lüneburg, NuR 1989, 45, 46. S9 So auch Steiger, Mensch, S. 35.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

271

Art. 2 Abs. 1 GG als SchIußstein innerhalb des Grundrechtssystems den Abwehrmodus dieser Rechte komplettiert60• Als "allgemeine Handlungsfreiheit" umfaßt er sämtliche denkbaren menschlichen Handlungsweisen, Zustände und Positionen61 • In dieser Funktion steht eine "formale" Betrachtungsweise der Freiheit im Vordergrund. Da tatbestandlieh eine inhaltliche Bewertung der jeweiligen Freiheitsbetätigung (oder Unterlassung derselben) nicht in Frage kommt, rückt die Betrachtung der staatlichen Einschränkung in den Vordergrund. Jede Einschränkung der persönlichen Freiheit bedarf eines Grundes, einer Legitimation; grundsätzlich unbeschränkte persönliche Freiheit steht grundsätzlich beschränkter staatlicher Kompetenz gegenüber. Die Grundrechte als Abwehrrechte können damit als die Freiheit von unberechtigten staatlichen Beeinträchtigungen verstanden werden, als allgemeine Eingriffsfreiheit. Eine solch rein formale Betrachtungsweise beschreibt allerdings die Problematik auch im grundrechtlichen Abwehrbereich nur unzureichend62• Um einen staatlichen Eingriff in individuelle Freiheit zu legitimieren, ist ein Abwägungsvorgang der den Eingriff erfordernden Belange gegenüber den individuellen Positionen des Betroffenen notwendig. Dies scheint nun in eine Aporie zu münden. Wie sollen aus dem formalen Prinzip der Eingriffsfreiheit materielle Kriterien abgeleitet werden, die bei der Angemessenheitsprüfung in die Abwägung einfließen können? Bei den benannten Grundrechten tritt diese Schwierigkeit nicht in dieser Schärfe auf, da dabei bestimmte abgegrenzte Handlungsgruppen bzw. Positionen vom Verfassungsgeber selbst eine materielle Verfestigung erhalten haben, die eine Gewichtung im Abwägungsprozeß ermöglicht63• Anders ist dies aber bei Art. 2 60

V g1. oben § 7.

Erstmals BVerfGE 6,32, 36ff; jüngst wieder bestätigt in BVerfGE SO, 137, 152f. AöR 100 (1975), SO, 98, stellt die beiden Funktionen des Art. 2 Abs. 1 GG - formelle Eingriffsfreiheit und materielles Freiheitsrecht - zu Unrecht in ein Verhältnis des "entweder-oder". Das BVerfG geht dagegen davon aus, daß die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit sich nicht in der allgemeinen Handlungsfreiheit (als materielles Grundrecht) erschöpfe, sondern in der grundgesetzlichen Ordnung auch den grundrechtlichen Anspruch umfasse, nicht mit verfassungswidrigen Nachteilen belastet zu werden (= allgemeine Eingriffsfreiheit), BVerfGE 9, 83, 88; 19,206,215. 63 Genaugenommen stellt sich das Problem aber auch bei den benannten Freiheitssrechten wenigstens in abgeschwächter Form; die Verfassung mag bestimmten Tätigkeiten und Zuständen durch ihre Benennung als Einzelgrundrecht materielles Gewicht beigemessen haben; angesichts der Fülle von Modalitäten der Grundrechtsbetätigung ist die Bewertung und Gewichtung im konkreten Fall durch die Verfassung ebensowenig determiniert wie bei Art. 2 Abs. 1 GG, ähnlich schon Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1, Rz. 5; vgl. auch Grabitz, Freiheit, S. 120. 61

62 Seho/z,

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Abs. 1 GG, wenn man die Vorschrift als allgemeine Handlungsfreiheit ansieht. Die Bewertung der einzelnen, aus Art. 2 Abs. 1 GG fließenden Freiheitspositionen durch die Verfassung selbst scheint nicht mehr möglich, eine Heranziehung außerrechtlicher Kategorien nicht statthaft zu sein64 • Diese auf den ersten Blick ausweglose Situation dürfte die Ursache für die Versuche gewesen sein, den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG einzuengen65 • Diese Auffassungen lösen jedoch die Problematik nicht, sondern verlagern sie nur vom Bereich der Abwägung auf die tatbestandliehe Ebene. Auch sie müssen mit Hilfe materieller Kriterien ermitteln, welche konkreten Freiheitsbetätigungen grundrechtlichen Schutz bzw. Vorrang gegenüber anderen grundrechtlichen Positionen genießen sollen und welche nicht. Der entscheidende Nachteil dieser Schutzbereichseinengungen ist dabei ihr "Alles oder Nichts"-Prinzip. Fällt eine bestimmte Modalität aus dem Gewährleistungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG heraus, bleibt für eine Abwägung kein Raum mehr, auf die speziellen Probleme des Einzelfalls wird keine Rücksicht genommen. Stellt man aber bei der Schutzbereichsbestimmung den konkreten Sachverhalt in den Vordergrund, ist gegenüber der Ansicht einer umfassenden Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG mit nachfolgender Abwägung auf der Schrankenebene schlechterdings kein Unterschied mehr zu erkennen. Das Problem des Art. 2 Abs. 1 GG stellt sich bei der Schutzfunktion in noch prägnanterer Weise. Bei der Schutzpflicht sind schon tatbestandlieh notwendig materielle Grundrechtspositionen angesprochen. Da definitionsgemäß die Schutzpflicht bei einer Beeinträchtigung eines grundrechtlichen Schutzguts durch andere Private aktualisiert wird, geht es durchweg um "Grundrechtskollisionen", es stehen sich die persönlichen Freiheiten zweier (oder mehrerer) Individuen gegenüber. Die grundrechtliche Schutzpflicht muß daher von vornherein materiellen Charakter aufweisen. Der grundrechtliche Schutz jeglicher menschlicher Verhaltensweisen durch den Staat ist aber bereits vom Ansatz her denkunmöglich66 • Die Unlösbarkeit der da64

Vgl. auch die Erläuterungen von Alexy, Theorie, S. 315ff, zur "Substanzlosigkeitsthese".

Z. B. Schmidt, AöR 91 (1966), 47, 51; Wertenbruch, DVBI. 1958, 481, 486; neuerdings wieder die abw. M. des Richters Grimm, BVerfGE SO, 164, 166. 65

66 Vgl. dazu v. Mangoldt I Klein I Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 113, wo darauf hingewiesen wird, daß sich ansonsten jegliche Beziehung zwischen den Menschen "vergrundrechtlichen" würde. Teilweise bedenklich weit gehen Stimmen im Schrifttum, die ohne Begründung Schutzpllichten oder Regelungsaufträge aus Art. 2 Abs. 1 GG ableiten, vgl. z. B. Schwenzer, JZ 1988, 781,782; Lieb, in: Vhdlg. d. 57. DIT, A 27; ähnlich wohl Steiger, VVDStRL 45 (1987), 55, 78f, für die Regelung der Rechtsverhältnisse nichtehelicher Lebensgemeinschaften; vgl. auch Merlen, JuS 1976, 345: Art. 2 Abs. 1 GG wird "bis zur Gefahr der Grundrechtsermüdung strapaziert und als ... Notnagel für Grundrechtserfindungen begriffen".

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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mit verbundenen Fragen kann durch ein ganz einfaches Beispiel belegt werden: Die grundrechtliche Schutzpflicht kann auch schrankenlos gewährte Grundrechte einschränken. Eine umfassende Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG würde damit zu einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt für alle Grundrechte führen und das Grundrechtssystem über das Prinzip der Einheit der Verfassung pervertieren. Aber auch das andere Extrem - keine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG - kann nicht überzeugen67• Art. 2 Abs. 1 GG würde sich dann tatsächlich auf eine allgemeine Eingriffsfreiheit reduzieren, aus dem Hauptfreiheitsrecht68, dem Muttergrundrecht(9, entstünde eine "Gewährleistung zweiter Klasse"'lQ. Der richtige Weg zur Lösung dieses Problems führt über die Konkretisierung der Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG. Grundlegend dafür ist das Verständnis dieser Norm als "Auffanggrundrecht". Dort wo spezielle Gewährleistungen fehlen, gleichwohl aber Grundrechtsschutz erforderlich ist, kann und muß Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen werden. Dabei sind - und dies ist ganz entscheidend - die unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen streng voneinander getrennt zu halten. Soweit es um die Abwehrkomponente der Grundrechte geht, muß eine tatbestandliehe Eingrenzung nicht erfolgen; Art. 2 Abs. 1 GG "fängt" alle Freiheitsbetätigungen "auf', ohne daß spezielle "Schutzbereiche" aus Art. 2 Abs. 1 GG herausgearbeitet werden müßten. Dies folgt aus der möglichst weitgehenden Freiheitsvermutung des Grundgesetzes; eine materielle Einschränkung auf der Schutzbereichsebene ist nicht notwendig und daher auch nicht zulässig. Ganz anders ist es jedoch, wenn die Schutzfunktion der Grundrechte angesprochen ist. Auch hier dient Art. 2 Abs. 1 GG als "Auffangnorm", jedoch nicht im Sinne eines umfassenden Schutzes jeglicher Betätigung, sondern als Gewährleistung bestimmter, den benannten Grundrechten gleichwertiger Schutzpositionen. Daraus folgt aber notwendig, daß bei der Entwicklung "neuer" Grundrechte, die in jeder Beziehung - Schutzpflicht, Legitimation zur Einschränkung schrankenloser Grundrechte - benannten Freiheitsrechten gleichgestellt sind, besondere Anforderungen erfüllt werden müssen. 67 Gegen jede Ableitung einer Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG z. B. Scholz, JuS 1976, 232,235; SChwerdtfeger, NVwZ 1982,5, 10; vorsichtiger Scholz, DB-Beil. 10/79, S. 17f; zu eng auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 229, der aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG nur

bezüglich des Menschenwürdekems Schutzpflichten ableiten will. 68 Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1, Rz. 6. (9 Nipperdey, in: Die Grundrechte IV, S. 741, 759. 'lQ .. AhnIich Sening, BayVBI. 1978, 205. Dirnberger 18

274

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

2. Gesellschaftliche Dynamik und statische Verfassung Bevor diese Kriterien herausgearbeitet werden, soll noch kurz auf ein anderes Problem eingegangen werden. Wenn "neue Nominatfreiheiten", aus denen sich konkrete Rechtsfolgen ergeben, aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt werden können, scheint die Gefahr zu bestehen, daß das Grundgesetz ganz umfassend gesellschaftlichen Wandlungen unterworfen wird, daß also Änderungen der Realität Änderungen des Verfassungsrechts herbeiführen. Diese Konsequenz wird teilweise in der Literatur offensichtlich als wünschenswert angesehen71 • Bereits bei der Begründung einer allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht hat sich aber gezeigt, daß man einem "Wandel der Grundrechte" eher skeptisch, wenn nicht mißtrauisch gegenüberstehen muß72• Die Verfassung als "versteinerte Politik"n stellt der Dynamik des gesellschaftlichen Prozesses das für ein funktionierendes Staatswesen notwendige statische Element gegenüber. Bestimmte Fundamentalnormen sollen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht oder nur unter engen Voraussetzungen zugänglich sein74 • Daraus folgt, daß Veränderungen der Realität nicht "automatisch" Änderungen des Grundrechtsverständnisses herbeiführen können. Andererseits stehen Recht und Wirklichkeit unleugbar in einem gegenseitigen Bedingungszusammenhang, in einem kybernetischen Regelkreis75• Gesetztes Recht kann, soll und wird die Realität beeinflussen. Normen des Rechts existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern sollen in gelebte Wirklichkeit umgesetzt werden76; dies gilt in besonderem Maße auch für die Grundrechte als Fundamentalnormen für Staat und Gesellschaft. Andererseits wirkt die Realität auf die Gestaltung und die Interpretation des Rechts zurück. Von der Wirklichkeit wird die Umsetzung des normativ Gesollten in gelebte Ordnung gesteuert, insbesondere durch Auslegung des Rechts77• Diese Erkenntnis mag banal klingen, nichtsdestoweniger ist sie wahr.

71 Sehr weitgehend z. B. Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 69ff; ders., ZfP 21 (1974), 111, 114ff; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 163ff. 72 Vgl. dazu oben § 10.

Leisner, Der Staat 7 (1968), 137, 140. VgJ./sensee, NJW 1977, 545, 548. 75 Vgl. Friesenhahn, Festvortrag, G 2. '13

74

76

Vgl. Müller, Normativität, S. 114ff; Rupp, Wirtschaftsverfassung, S. 18.

77 Rupp,

Wirtschaftsverfassung, S. 19; vgl. auch Häberle, JZ 1975, 297, 299f.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

275

Eine Antwort auf das Problem der wechselseitigen Abhängigkeit stellt nach dem Willen der Verfassungsväter auch Art. 2 Abs. 1 GG dar. Der Katalog der Grundrechte wurde bewußt offengehalten, um Raum für zukünftige, noch nicht erkennbare Entwicklungen zu lassen78• Wenn also "neue" Nominatfreiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt werden, wandelt sich nicht die Verfassung, sondern es wird ein der Verfassung schon immanenter Bedeutungsgehalt lediglich konkretisiert79, nämlich vor neuartigen Bedrohungen und Gefährdungen individueller Freiheiten zu schützen, die dem Verfassungsgeber (noch) nicht bekannt gewesen sind oder sein konnten. Bei den Kriterien für die Herausarbeitung neuer Nominatfreiheiten muß diese Ambivalenz - dynamischer Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung und statischer Faktor der Verfassung - allerdings Berücksichtigung finden. Mit dieser Feststellung ist damit nur der Ausgangspunkt der eigentlichen Problemstellung definiert. Geklärt werden muß nun, auf welchem Wege aus Art. 2 Abs. 1 GG "neue Nominatfreiheiten" entwickelt werden können80 und wer zu dieser Aufgabe berufen ist, wenn auch die oben konkretisierte Prämisse den Keim zur Beantwortung dieser Fragen bereits in sich trägt. 3. Der materielle Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich diesem Problem bereich im übrigen nicht verschlossen, obwohl dies in den einschlägigen Urteilsbegründungen nicht immer sofort ins Auge fällt. Dies liegt daran, daß das Gericht nur selten "komplette" Nominatfreiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG ableiten mußte und es häufig bei einem geringeren Konkretisierungsgrad sein Bewenden lassen konnte, da je nach Problemstellung eine 78 Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386, 387. Vgl. die Stellungnahme des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt in seinem "Schriftlichen Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundes-

republik Deutschland" (Drucksachen Nr. 850/854), S. 5: Eine Feststellung "dürfte für die spätere Auslegung von Bedeutung sein", nämlich daß aufgrund des vorstaatlichen Charakters der Grundrechte "die gerade für sie so wichtige Anpassungsfähigkeit an fortschreitende Entwicklungen in besonderem Maße gesichert" sei. Vgl. auch die Äußerungen der Abgeordneten Dr. v. Mangoldt und Dr. Bergsträsser, JöR n. F., Bd. 1 (1951), S. 5Of. 79 Häberle, ZfP 21 (1974), 111, 129f. 80 Vgl. schon SChmidt, AöR 91 (1966),42, 75: "Die Kriterien und das Ausmaß seiner materiellrechtlichen Ausfüllung mit einem neuen Freiheitsrecht sind das eigentliche Auslegungsproblem des Art. 2 Abs. 1 GG".

276

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

materielle Anreicherung der allgemeinen Handlungsfreiheit in unterschiedlicher Weise notwendig wird. Die beiden Eckpunkte der inhaltlichen Konkretisierung des Art. 2 Abs. 1 GG wurden bereits genannt. Wird das Grundrecht als Abwehrrecht eingesetzt, ist eine Bewertung der materiellen Interessen des Bürgers erst bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nötig. Die materielle Position braucht dabei nicht bis zum Grad einer neuen Nominatfreiheit ausdifferenziert zu werden; es genügt daher, wenn das Gericht auf rechtliche und tatsächliche Faktoren hinweist, die das Gewicht des in Rede stehenden individuellen Freiheitsbereichs des Bürgers verdeutlichen. Das bekannteste Beispiel hierfür stellt wohl die "Elfes"-Entscheidung aus dem Jahr 1957 dar 8 t, in der das Bundesverfassungsgericht den umfassenden Charakter des Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit erstmals herausgearbeitet hat, bei der Abwägungsentscheidung aber - allerdings kaum merklich - mit der materiellen Position der Ausreisefreiheit als Spezialfall des Art. 2 Abs. 1 GG arbeitet82 • Soll aus der allgemeinen Handlungsfreiheit eine staatliche Schutzpflicht abgeleitet werden, sind die Anforderungen an die tatbestandliche Konkretisierung naturgemäß erheblich höher. Hier soll ja der neuen Nominatfreiheit die gleiche Funktion zukommen wie einem benannten Grundrecht. Aber auch solche Fälle hatte das Bundesverfassungsgericht bereits zu entscheiden. Zu denken ist vor allem an den schon vorgestellten ISoraya"-Fall83. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte Persönlichkeitsrecht enthält nach Ansicht des Gerichts die Verpflichtung der staatlichen Organe, Verletzungen auch von privater Seite zu verhindern bzw. zu sanktionieren84 • Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist damit das Paradebeispiel für eine aus Art. 2 Abs. 1 GG herausgearbeitete, neue Nominatfreiheit. Zwischen diesen Eckpunkten - materieller Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG als Abwägungsmaterial einerseits und Art. 2 Abs. 1 GG als neues Grundrecht andererseits - liegt eine Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts, in der es ebenfalls um die Konkretisierung des Tatbestands der allgemeinen 81

BVerfGE 6, 32ff.

BVerfGE 6, 32, 4lf. Deutlich wird der materielle Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG neuerdings wieder in BVerfGE SO, 367, 375f. 83 BVerfGE 34, 269ff; dazu auch VG Schleswig NJW 1975, 275 (Schutzpflicht aus Art. 2 Abs.l GG zugunsten des Nichtrauchers). 84 BVerfGE 34, 269, 281. 82

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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Handlungsfreiheit geht. Das Gericht ist dabei der Auffassung, daß die Schranken der Vorschrift für bestimmte Modalitäten des Schutzbereichs unangemessen weit und zu unbestimmt seien. Obwohl man sich hier noch völlig im Abwehrbereich bewegt, also eine tatbestandliche Eingrenzung nicht erforderlich wäre, meint das Gericht, daß zu bestimmten Spezialfällen des Schutzbereichs auch bereichsspezifische Schranken erarbeitet werden müßten&5. Aus der Notwendigkeit, dem Gesetzgeber genauere und bestimmtere Grenzen seiner Tätigkeit aufzuzeigen, folgt die Spezifizierung des Tatbestands. So ging das Gericht auch im "Volkszählungs"-Urteil aus dem Jahr 1983 vor86• Es leitete aus Art. 2 Abs. 1 GG - genauer aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht - ein Recht des einzelnen ab, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Zur Bejahung eines Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG wären diese umfangreichen Erwägungen zum Schutzbereich an sich nicht notwendig gewesen. Ein Hinweis darauf, daß die Datenweitergabe eine denkbare menschliche Betätigungsform ist, hätte genügt. Nur die Erkenntnis, daß spezielle Lebenssachverhalte auch speziellen Einschränkungen unterworfen werden müssen, führte das Gericht zu der geschilderten Vorgehensweise. Der Leser mag bei der Darstellung der Rechtsprechung bislang Auskünfte darüber vermißt haben, auf welchem Weg die jeweiligen Entscheidungen zu einer tatbestandlichen Konkretisierung des Art. 2 Abs. 1 GG gelangen. Dieses Defizit resultiert daraus, daß das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich dieser Aufgabe - wie gezeigt - in unterschiedlicher Schärfe gefordert wird und daher die Vorgehensweise manchmal unsystematisch und oberflächlich erscheint. Im folgenden sollen die Kriterien, die zur Entwicklung einer neuen Nominatfreiheit von Bedeutung sind, dargestellt und überall dort, wo das Bundesverfassungsgericht in ähnlicher Weise argumentiert, auf die jeweiligen Entscheidungen hingewiesen werden. Als besonders ergiebige Fundgrube wird sich dabei insbesondere das schon angesprochene "Volkszählungs"-Urteil erweisen.

&5 Ein Beispiel für eine Schrankenanpassung findet sich in BVerfGE 27, 344, 351: Eingriffe in die Privatsphäre des Bürgers müßten unter Beachtung der Grundsätze geprüft werden, "die das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung über die verfassungsrechtliche Zu lässigkeit von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit entwickelt hat". 86 BVerfGE 65, Hf.

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Il. Kriterien für die Entwicklung neuer Nominatfreiheiten

Die Erkenntnis, daß allen benannten Freiheitsrechten grnndsätzlich auch eine staatliche Schutzpflicht korrespondiert, weist den Weg zum Ausgangspunkt für die Ableitung neuer Nominatfreiheiten. Diese müssen von ihrem Wesen und von ihrer Struktur her den benannten Grundrechten vergleichbar sein87, ihnen in den Punkten entsprechen, die zur Konkretisierung jener als Nominatgrundrechte geführt haben. Streng genommen ist damit der Bereich der herkömmlichen Verfassungsauslegung verlassen; trotzdem können und müssen auch insoweit die entscheidenden Interpretationsrichtlinien dem Grundgesetz selbst entnommen werden. 1. Die faktisch-funktionale Komponente

a) Unbestritten stellen die Nominatfreiheiten historisch gewachsene Antworten auf Gefährdungen bestimmter Freiheitsbereiche dar88• Man denke nur an die Entstehung der Religionsfreiheit als Reaktion auf staatliche Repressionen89 • Dies bedeutet, daß eine "neue" Nominatfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Schutzgut beinhalten muß, das qualitativ und quantitativ einer Gefahrensituation ausgesetzt ist, die der einer benannten Freiheit entspricht. Es muß also - erstens - um einen wichtigen Sektor individueller Lebensgestaltung gehen, der - zweitens - staatlichen, aber auch privaten Beeinträchtigungen in einem Maße ausgesetzt ist, das grundrechtlichen Schutz erforderlich macht, was dem Verfassungsgeber - drittens - bei der Statuierung der Nominatfreiheiten nicht bekannt gewesen ist bzw. sein konnte90• 87 Andeutungsweise

schon Schmidt, AöR 91 (1966), 42, 78. Vgl. BVerfGE 50, 290, 337; Alexy, Theorie, S. 335; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43,70; ähnlich Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 92; Scheuner, DÖV 1971,505,509, der allerdings deshalb die Möglichkeit ablehnt, "neue" Grundrechte durch Auslegung zu entwickeln. 89 Eingehend schon JeJlinek, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. Hf. 90 Ähnlich Alexy, Theorie, S. 335; Dürig, in: M / D / H, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1, Rz. 33; Mattner, DÖV 1989, 621, 623; Steiger, Mensch, S. 35; vgl. auch die abw. M. des Richters Grimm, BVerfGE SO, 164, 167. Auf ein viertes Merkmal soll nur kurz hingewiesen werden: Das neue Freiheitsrecht muß einen den Spezialgrundrechten vergleichbaren Abstraktionsgrad aufweisen; dem genügt sicherlich beispielsweise das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vgJ. deutlich BVerfGE 54, 148, 153, wo das Gericht zwischen Grundrecht (= allgemeines Persönlichkeitsrecht) und dessen "Ausprägungen" unterscheidet; einen ungenügenden Abstraktionsgrad besitzt hingegen das Recht auf "Füttern der Tauben auf Straßen und Anlagen", vgl. BVerfGE 54, 143, 146. 88

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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b) Die Ermittlung, ob eine solche Gefährdungssituation vorliegt, scheint zunächst ausschließlich eine Frage des Faktischen zu sein. In der Tat spielt es eine entscheidende Rolle, ob ein bestimmter Bereich der Individualsphäre real gefährdet ist, nur ist diese Feststellung tatsächlich häufig sehr schwer zu treffen. Es handelt sich dabei in erster Linie um Fragen natur- oder sozialwissenschaftlicher Natur, die am konkreten Fall näherer Untersuchung bedürfen. Das Hauptproblem dürfte dabei sein, daß über die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen und die heutigen Freiheitsgefährdungen sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen91 • Trotzdem lassen sich sicherlich zumindest Grundströmungen ausmachen, die dann in die grundrechtliche Interpretation einfließen können. So stellt auch das Bundesverfassungsgericht im "Volkszählungs"-Urteil entscheidend auf das Vorliegen einer Gefährdungssituation ab. Unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung - so führt das Gericht aus - bedürfe der Bürger in besonderem Maße des Schutzes. Personenbezogene Daten seien technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen abrufbar. Sie könnten darüber hinaus - vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysterne - mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren könne92• Die Vision des "gläsernen Menschen" führt das Gericht also zu einer Konkretisierung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG. Auch was die Wichtigkeit des Schutzguts für das Individuum betrifft, finden sich im "Volkszählungs"-Urteil Ausführungen. Ausgangspunkt der Argumentation des Gerichts ist dabei die essentielle Bedeutung der individuellen Selbstbestimmung. Die Entscheidungsfreiheit des einzelnen über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen sei aber eingeschränkt, wenn er nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen könne, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt seien. Die individuelle Selbstbestimmung sei darüber hinaus auch "eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens,,93 . Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 78. BVerfGE 65, 1,42. 93 BVerfGE 65,1,43. 91

92

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

c) Ob eine Gefährdungssituation vorliegt und vor allem ob das gefährdete Schutzgut einen wichtigen Bestandteil der individuellen Lebensgestaltung darstellt, ist häufig von subjektiven Einschätzungen abhängig. Daraus folgt, daß die Bewertung der Situation durch die und in der Gesellschaft von besonderer Wichtigkeit ist94 • Gesellschaftlicher Konsens über die Schutzwürdigkeit und SchutzbedÜfftigkeit bestimmter Freiheitsbetätigungen ist damit ein wesentliches Indiz für die verfassungsrechtliche Fundierung "neuer" Grundrechte. Daß dabei in die Interpretation der Verfassung gesellschaftliche Anschauungen einfließen, steht - wie oben schon angedeutet dem kategorischen Geltungsanspruch des Grundgesetzes nicht entgegen95• Die Verfassung trägt selbst die Entwicklungsoffenheit und das Angewiesensein auf gesellschaftlichen Konsens in sich. "Einfallstore" für gesellschaftliche Veränderungen stellen insbesondere die Interpretation des Sozialstaatsprinzips und die Garantie der Menschenwürde dar96• Das bedeutet allerdings keinesfalls, daß beispielsweise Art. 1 Abs. 1 GG in einem rein dynamischen Sinn verstanden werden dürfte, der von der Beliebigkeit einer gesellschaftlichen Mehrheitsentscheidung abhinge. Vielmehr enthält auch die Menschenwürdegarantie als verfassungsrechtliche Verfestigung einer geistesgeschichtlichen Entwicklung und eines christlich-humanistisch geprägten Menschenbilds eine stark statische Komponente97 • Aus der wechselseitigen Beeinflussung dieser beiden Strömungen, die nicht immer gegenläufig sein müssen, entsteht die "richtige" Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG98• Auch Art. 2 Abs. 1 GG ist ein solcher Angelpunkt der Verfassung, der die Statik des Grundgesetzes und die Dynamik gesellschaftlicher Prozesse zu Vgl. dazu auch Häber/e, JZ 1975, 297, 303f. Anders Isensee, NJW 19n, 545, 550: "Dilemma", "Aporie"; Befürchtungen auch bei B/eckmann, Staatsrecht 11, S. 80; Isensees Bild von Buridans Esel, der zwischen zwei gleich großen Heuhaufen verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann, wird der kybernetischen Regelkreisstruktur des Verhältnisses von Recht und Wirklichkeit nicht gerecht. 96 Die Rückkopplung zwischen Geltungsanspruch und gesellschaftlicher Entwicklung durch Verfassungsinterpretation betont auch Häber/e, JZ 1989, 913, 918f. Vgl. auch Scheuner, DÖV 1971,505,511. Auch das BVerfG begegnet Veränderungen in der Sozialsphäre durch Interpretation der Grundrechte, vgI. BVerfGE 21,245,251 (Anforderungen der "industriellen Massengesellschaft"); 27,71,81 (Anforderungen der "modemen Industriegesellschaft"); 65, 1,41. 97 Vgl. ausführlich Starck, JZ 1981, 457, 459ff. 98 Zur "Wandelbarkeit" des Menschenwürdebegriffs vgl. OVG Berlin NJW 1980, 2484, 2485: Veränderung des Verständnisses einer "menschenwürdigen" Unterbringung von den Nachkriegsjahren bis zur Zeit einer heute "materiell weitgehend gesättigten Gesellschaft"; Häber/e, Rechtstheorie 11 (1980),389,423. 94

95

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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einer Synthese vereint. Nicht zuletzt wird diese zentrale Funktion auch durch die Tatsache verdeutlicht, daß der Verfassungsgeber selbst dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG die in diesem Sinne "dynamische" Schranke des Sittengesetzes99, aber auch die weit verstandene Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung beigegeben hat; gerade letztere kann über parlamentarische Mehrheitsentscheidungen gesellschaftliche Überzeugungen in die Verfassung einbringen. Solchermaßen gesellschaftlich geprägte Schranken deuten auch auf einen gesellschaftlichen Anschauungen offenstehenden Schutzbereich hin. c) Neben den faktischen Indizien für das Vorliegen einer Gefährdungssituation gibt es aber auch solche rechtlicher Natur. Hier kann insbesondere ein (grund-)rechtsvergleichender Blick in andere Verfassungen hilfreich sein. Einerseits stehen dabei die Länderverfassungen im Vordergrund, dies wegen der sachlichen, räumlichen und personellen Teilidentität der Lage eines Landes mit der im Bund100• Aber auch wenn ausländische Verfassungen bestimmte Gefährdungssituationen "vergrundrechtlichen", kann dies für die Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG eine Rolle spielen, insbesondere bei Ländern, deren wirtschaftliche, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen mit denen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar sind. Es geht wohl etwas zu weit, wenn man die Gesellschaft der GrundgesetzinterpretenlOI auf die "Familie der Verfassungsstaaten" ausdehnt und die "konstitutionelle Komparistik" als fünftes Element dem herkömmlichen Interpretationskanon der Verfassung hinzufügen möchte l02 • Gerade da aber, wo die Verfassung gesellschaftliche Entwicklungen aufzunehmen bereit ist, läßt eine anderweitige verfassungsrechtliche Verfestigung eines bestimmten Freiheitsbereichs gewisse Rückschlüsse für dessen Schutz99 Darauf weisen auch hin Isensee, NJW 1977,545,546, und Schmidt, AöR 91 (1966),42,78; vgl. dazu BVerfGE 6, 389, 434ff, und umfassend Erbet, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, S. 186ff. A. A. - Sittengesetz als unveränderbarer Kodex von Regeln - beispielsweise BGHSt 6, 46, 52, und eine nicht unerhebliche Auffassung im Schrifttum, vgl. die Nachweise bei Erbet, a. a. 0., S. 3lff. 100 Bei dieser Betrachtungsweise wird Art. 31 GG nicht angetastet; es geht nicht um eine unmittelbare "Änderung" des Grundgesetzes durch Länderverfassungsrecht, sondern darum, daß eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung durch Vergrundrechtlichung auf landesebene sichtbar und für die Interpretation des Grundgesetzes fruchtbar gemacht werden kann. Ländergrundrechte können grundsätzlich ein "Mehr" an Schutz gewähren, soweit sie Bundesgrundrechten nicht widersprechen, vgl. HessStGH JZ 1982, 463, 464; SaariVerfGH NVwZ 1983, 604, 606. 101 Vgl. dazu Häherte, JZ 1975, 297ff. 102 So aber Häberte, JZ 1989, 913, 917; ähnlich Bteckmann, Staatsrecht 11, S. 59.

282

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

würdigkeit und Schutzbedürftigkeit auch auf der Ebene des Grundgesetzes ZUI03.

Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang im übrigen auch neuen

Kompetenzbestimmungen im Grundgesetz zukommen, die als Anhalt für

neue Gefährdungssituationen angesehen werden können. Die Diskussion um den Beitrag von Kompetenznormen für die Grundrechtsinterpretation hat sich vor allem an Art. 74 Nr. 11 a GG entzündet, aus dem das Bundesverfassungsgericht zumindest die grundsätzliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung von Kernenergie abgeleitet hae 04 • Ohne diesen Streit endgültig entscheiden zu müssen, kann man feststellen, daß die Aufnahme einer Vorschrift über die Gesetzgebungszuständigkeit jedenfalls den Schluß zuläßt, daß der Verfassungsgeber ein bestimmtes Gebiet für regelungsbedürftig hält 105•

Indizfunktion kann darüber hinaus auch dem einfachen Recht zukommen. Soweit dadurch individuelle Positionen oder Handlungsweisen geschützt werden, deutet dies darauf hin, daß es sich um einen Bereich handelt, der für die individuelle Lebensgestaltung von besonderer Bedeutung ist. Diese Erkenntnis dürfte auch den materiell-grundrechtlichen Hintergrund der Bachofschen Vermutungslehre darstellen lO6: Überall dort, wo einfaches Recht den Interessen des einzelnen faktisch zugute kommt, sind diese Interessen prima facie auch rechtlich geschützt und in den grundrechtlichen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG einbezogen. Diese Argumentationslinie muß allerdings mit Vorsicht und unter Betonung ihres bloßen Indizcharakters behandelt werden. Der einfache Gesetzgeber hat sicherlich nicht die Befugnis letztentscheidend festzustellen, welche Individualpositionen grundrechtlieh - insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 GG - geschützt sein sollen. Damit würde man Grundrechtsschutz von der Geltung einfachen Rechts abhängig machen107• Soweit aber die Legislative gesellschaftliche Entwicklungen verrechtlicht, kann diesem Recht seinerseits ein Hinweis auf grundrechtliehe Schutzwürdigkeit bzw. -bedürftigkeit entnommen werden. 103 Auch das BVerfG zieht gelegentlich ausländische Verfassungen zur Interpretation des Grundgesetzes heran, vgJ. BVerfGE 12, 45, 50f; 18, 112, 117f; 28, 243, 258f. 104 BVerfGE 53, 30, 56; vgJ. auch 12,45, SOff (Wehrpflicht); 26, 1, 8 (Gewerbesteuer); 41, 205, 218 (Gebäudeversicherungsmonopole); aus der Lit. zust. beispielsweise Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 89. 105 Czajka, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 143, 146f; Hofmann, JZ 1988, 265, 273. 106 Zur "Vermutungslehre" vgl. schon § 1711.2. 107 Dazu oben § 10 IIl. zur Auffassung Häberles.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

283

e) Neben der Gefährdung eines für den einzelnen wichtigen Schutzguts ist es notwendig, daß diese spezifische Situation dem Verfassungsgeber nicht bekannt war bzw. bekannt gewesen sein konnte. Diese an sich selbstverständliche Beschränkung auf neue Entwicklungen trägt der Überlegung Rechnung, daß bei der Statuierung von Nominatfreiheiten dem Verfassungsgeber die "Vorhand" eingeräumt werden muß. Hat er sehenden Auges einen bestimmten Lebenssachverhalt als nicht schutzwürdig oder nicht schutzbedürftig angesehen, bedeutete bei unverändertem Fortbestand der ursprünglichen Verhältnisse die GrundrechtsqualifIzierung eine Verfassungsänderung auf kaltem Wege. Auch das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt im "Volkszählungs"-Urteil diese Einsicht, indem es auf "moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen" moderner Datenverarbeitung hinweise 08• 2. Die inhaltliche Komponente Neben diesen eher faktischen Kriterien der Gefährdungssituation, die das dynamische Element der gesellschaftlichen Entwicklung verkörpern, muß zur Herausarbeitung eines neuen Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG auch das "konservative" Element der Verfassung berücksichtigt werden. Dies bedeutet, daß sich innerhalb des bestehenden Verfassungsrechts Anknüpfungspunkte finden lassen müssen, daß die neue Freiheit also insbesondere eine gewisse "Nähe" zu bereits bestehenden grundrechtlichen Gewährleistungen aufweisen muß. Dabei können grundsätzlich zwei Argumentationsmuster unterschieden werden, ein vertikales und ein horizontales. a) Eine ganz entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG zu. Wie schon oben erwähnt, leiten sich alle grundrechtlichen Gewährleistungen von der Idee der Menschenwürde ab!(l9. Freiheit und Menschenwürde sind untrennbar miteinander verbunden l1O • Genauso wie der formale Freiheitsbegriff, also die 108 109

BVerfGE 65, 1,41. Vgl. oben § 14 IV. 2.

110 BVerfGE 45, 187,227; bereits Kant bezeichnet die "Autonomie" als "Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur", Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 60 (S. 436 der Orginalausgabe). Ganz ähnlich Maihofer, in: Die Würde des Menschen 11, S. 12: "Menschenwürde manifestiert sich in der Schaffung eines möglichst weiten individuellen Autonomiebereichs". Den Zusammenhang zwischen Freiheit und Menschenwürde betonen auch A/exy, Theorie, S. 321ff; Dürig, AöR 81 (1956), 117, 125; Stern, FS für Scupin, S. 627, 632.

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

grundsätzlich unbeschränkte Befugnis des einzelnen zu jeglicher Handlung und Unterlassung, die ihre Schranke nur an verfassungs- und rechtmäßigen Eingriffen des Staates fmdet, Ausfluß des Prinzips der Menschenwürde ist 111, wird dadurch auch die Entwicklung und Gewährleistung materieller Freiheit beeinflußt. Die Konkretisierung der Menschenwürdegarantie und insbesondere ihre Bedeutung für die Interpretation der Grundrechte ist eines der vor allem wegen der Abstraktheit der Problemstellung schwierigsten Aufgaben innerhalb des Verfassungsrechts. Über eines besteht allerdings Einigkeit: dort, wo es um Freiheitsbetätigungen geht, die auf die Würde des Menschen bezogen sind, die für sie essentiell sind, die damit zu den "elementaren Bedürfnissen" des einzelnen zählenll2, hat Art. 1 Abs. 1 Bedeutung; und so wie diese Vorschrift die Gewichtung individueller Positionen innerhalb eines benannten Freiheitsrechts, das ja gerade wegen der Menschenwürde gewährleistet ist, beeinflußt 113, führt sie dazu, daß aus dem Bündel möglicher Handlungsalternativen des Art. 2 Abs. 1 GG einzelne herausgegriffen werden, die sich als Spezialgrundrecht "materialisieren". Eine Einheitslösung, ab wann Art. 1 Abs. 1 GG einer bestimmten Freiheitsbetätigung Grundrechtsqualität verleiht, existiert allerdings nicht; dies hat vor allem zwei Gründe: zum einen ist die Frage des "Menschenwürdebezugs" ein höchst komplexes Problem, das nur an Hand des konkreten Falls gelöst werden kannll\ zum anderen ist die Verbindung des Art. 2 Abs. 1 GG zu Art. 1 Abs. 1 GG nur eines mehrerer Kriterien, die kumulativ vorliegen müssen, um ein "neues" Grundrecht zum Entstehen bringen zu können. Das Bundesverfassungsgericht ist den Weg über Art. 1 Abs. 1 GG insbesondere bei der Herausarbeitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der jenes konkretisierenden Sphärentheorie gegangen1I5• Schon in der "EIfes"-Entscheidung bringt das Bundesverfassungsgericht die allgemeine Handlungsfreiheit mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung. Art. 1 GG - so das III

Anschaulich Alay, Theorie, S. 324f.

Vgl. BVerfGE 27, 71, 81; dazu auch Mattner, DÖV 1989, 621, 623; Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 67f; Sening, BayVBI. 1978, 205, 206. 112

113 Grimm, NVwZ 1985, 865, 867; Nipperdey, in: Die Grundrechte 11, S. 1, 12; Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, S. 13. 114 Zum Grundrecht auf Naturgenuß vgI. unten § 27.

1I5 Ausführlich dazu Alay, Theorie, S. 327ff; Jarass, NJW 1989, 857ff; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 64ff; Roh//. Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 70ff; Scholz, AöR 100 (1975), 265ff; kritisch zu der Unterteilung in Sphären Alay, a. a. 0., S. 329f; Merten, JuS 1976, 345, 349; Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 67; Schwabe, Grundrechtsdogrnatik, S. 314ff.

9. Kapitel: Grundrechte und Natum:hutz

285

Gericht - beherrsche als tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung auch Art. 2 Abs. 1 GG 116• Später hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung immer mehr ausdifferenziert: In einer innersten Sphäre eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung sei ein Eingriff des Staates schlechthin unzulässig117• Im Bereich der weiteren Privatsphäre seien Regelungen nur "unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips" möglich118, während im Bereich der Sozialsphäre in weiterem Umfang Einschränkungen denkbar seien119• Das Bundesverfassungsgericht wollte mit dieser Aufteilung sicher nicht drei unterschiedliche Grundrechte mit je unterschiedlichen Schranken bilden. Vielmehr macht das Gericht deutlich, daß je intensiver der Bezug einer Freiheitsbetätigung zur Menschenwürde ist, desto höher auch die Anforderungen an die den Eingriff rechtfertigenden Gründe angesetzt werden müssen l20 • In einem letzten unantastbaren Kernbereich sind höherwertige Interessen von vornherein undenkbar, im übrigen gilt das Übermaßverbot, wobei mit abnehmendem "Würdebezug" Beschränkungen in steigendem Maße möglich werden l21 • Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang immer als Grundlage für das allgemeine Persönlichkeitsrecht "Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG"I22 anführt, liegt der eigentliche Schutz in Art. 2 Abs. 1 GG begründet, der durch Art. 1 Abs. 1 GG lediglich beeinflußt und verstärkt wird123 • Wollte man das allgemeine Persönlichkeitsrecht als primär durch die Menschenwürdegarantie geschützt ansehen, könnte diese Position schwerlich durch Gesetz eingeschränkt werden, was aber notwendig ist und in der Praxis auch durchgeführt wird l24 • Von besonderem Interesse ist in diesem Kontext wieder das "Volkszählungs"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Während bis dahin das Gericht 116

BVerfGE 6,32,36.

Vgl. z. B. BVerfGE 6, 32, 41; 6, 389, 433; 27, 1, 6ff; 27, 344, 351; 32, 373, 379; 34, 238, 245; 54, 143, 146; 75, 369, 380; zuletzt BVerfGE SO, 367, 373; Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, S. 15f. 117

118

Vgl. BVerfGE 27,1, 7f; 27, 344, 350; 33, 367, 375; 34, 238, 246; 35, 202, 220.

119

Vgl. BVerfGE 17, 306, 313f; dazu v. a. Scholz, AöR 100 (1975), 265, 273ff.

120

Eindeutig z. B. BVerfGE 6, 389, 433; SO, 367, 374; Hufen, JZ 1984, 1072, 1074. Theorie, S. 327ff.

121 Alexy,

122 Vgl. z. B. BVerfGE 34, 238, 245; jüngst BVerfGE 72, 155, 170; 79, 256, 268; ungenau ("Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG") z. B. BVerfGE 35,202,244; vgI. auch BGHZ 98,94,97. 123 Eindeutig der Duktus der Entscheidung BVerfGE 27, 344, 350f; unklar insoweit Hufen, JZ 1984, 1072, 1073f. 124 Jarass,

NJW 1989, 857; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2, Rz. 39.

286

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

mit seiner Sphärentheorie gleichsam konzentrische Kreise mit unterschiedlichen Schutzprofllen um den Kern der Persönlichkeit gelegt hatte, wird hier das Schutzgut "informationelle Selbstbestimmung" verselbständigt und realiter neben die benannten Freiheiten gestelle 25• Der Schritt zum eigenständigen, "neuen" Grundrecht ist vollzogen l26• b) Neben der vertikalen Anknüpfung an Art. 1 Abs. 1 GG ist auch die horizontale "Nähe" zu anderen benannten Grundrechten von Bedeutung. Dabei existiert der Bezug zu den "Nachbargrundrechten" in ganz unterschiedlicher Weise. Die eine Möglichkeit besteht darin, daß eine bestimmte Freiheitsbetätigung aus dem Schutzbereich eines Grundrechts fällt, obwohl diese Modalität von Struktur und Inhalt her thematisch zu diesem Freiheitsrecht gehört und - was Schutzwürdigkeit bzw. -bedürftigkeit anlangt - von gleicher oder ähnlicher Wertigkeit ist 127• Beispiele aus der Rechtsprechung stellen etwa das Recht auf Auswanderung und Ausreise dar, das das Bundesverfassungsgericht offensichtlich nur deshalb nicht dem Art. 11 GG zuordnet, weil ihm die Schranken dieses Rechts unpassend erscheinenl28, oder die Befugnis, öffentlich-rechtlichen Vereinigungen fernzubleiben, die das Gericht - allerdings aus kaum nachvollziehbaren Gründen - nicht von Art. 9 Abs. 1 GG als gewährleistet ansiehe 29• Ähnliches dürfte für die Wettbewerbsfreiheit gelten, die das Bundesverfassungsgericht zwar nicht in Art. 12 bzw. Art. 14 GG verortet, aus diesen Vorschriften aber materielle Leitlinien auch für den Schutz innerhalb des Art. 2 Abs. 1 GG gewinne 3O• Symptomatisch für diese Kategorie ist im übrigen, daß der vom Bundesverfassungsgericht dem Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnete Freiheitsbereich im Schrifttum häufig bereits jeweils bei den Spezialgrundrechten angesiedelt wird l3l •

125 Hufen,

JZ 1984, 1072, 1074. Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht Jarass, NJW 1989, 857, 858; für ein "Recht auf individuelle Freizeitgestaltung" Mattner, DÖV 1989, 621, 622; für ein "Recht auf Fortpflanzung" Ramm, JZ 1989, 861, 870ff, 874. 127 Vgl. B/eekmann, Staatsrecht 11, S. 90. 128 Vgl. BVerfGE 6,32,35. 126

Vgl. BVerfGE 10, 89, 102; 10,354, 36lf; 12,319, 323f; 15,235,239; 38, 281, 297f. Vgl. BVerfGE 8, 274, 328; 10, 89, 99, 102; 10, 354, 362; 12, 319, 323; 15, 235, 239ff; 18, 315, 327; 21, 245, 249ff; 32, 54, 64ff; 32, 311, 316ff. 13l Für die negative Vereinigungsfreiheit vgl. Selro/z, Koalitionsfreiheit, S. 270ff; ders., AöR 100 (1975), SO, 124f; für die Wettbewerbsfreiheit Selro/z, NJW 1969, 1000f; ders., AöR 100 (1975), SO, 128f; Schwabe, DÖV 1973, 623, 628; vgJ. auch BVerfGE 30, 292, 312; 32, 311, 317f. 129 130

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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Art. 2 Abs. 1 GG kann auch dadurch materielle Bezüge empfangen, daß ein an sich einheitliches Schutzgut in Teilbereichen von Spezialgrundrechten erfaßt wird und sich kein einleuchtender Grund für einen geringeren Schutzstatus bezüglich der verbleibenden Modalitäten finden läßt. Dies gilt z. B. für die Vertragsfreiheit, deren berufsbezogene bzw. ökonomische Komponente nach richtiger Ansicht von Art. 12 und Art. 14 GG, und deren vereins- und gesellschaftsrechtliche Seite von Art. 9 Abs. 1 GG geschützt wird 132• Der Restbereich unterfällt Art. 2 Abs. 1 GG, erhält aber materiellen Gehalt auch durch die Nähe zu den genannten Spezialgrundrechten133 • Eine weitere Möglichkeit horizontaler Anreicherung des Art. 2 Abs. 1 GG kann darin gesehen werden, daß das "neue" Grundrecht Bereiche schützt, die als Voraussetzung für die Ausübung anderer Freiheiten notwendig sind, von deren Schutzbereichaber nicht mehr um faßt werden l34 • So stellt das Bundesverfassungsgericht - wieder in der "Volkszählungs"-Entscheidung - die Überlegung an, daß eine umfassende Registrierung einer Teilnahme des Bürgers an Versammlungen oder Bürgerinitiativen diesen veranlassen könnte, auf eine Ausübung der Grundrechte aus Art. 8 und Art. 9 GG zu verzichten 13S• Grundrechtsvoraussetzungsschutz in einem weiter verstandenen Sinn also als Kriterium für die Entwicklung "neuer" Grundrechte. Verläßt man den Bereich der vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Horizontalwirkungen, lassen sich beinahe unbegrenzt weitere Anwendungsformen dieser Methode finden. Als Beispiel sei lediglich auf das "Recht" auf Kunstgenuß hingewiesen, das zwar nicht von Art. 5 Abs. 3 GG erfaßt wird l36, von dieser Vorschrift aber sicherlich materielle Bezüge empfangen kann. Wenn die Verfassung Werk- und Wirkbereich der Kunst einen 132

vgl. Mmen, JuS 1976, 345, 350; Scholz, AöR 100 (1975), SO, 129. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 124.

133 Vgl. 134 ..

Ahnlich Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 90. BVerfGE 65, I, 43; kritisch zu diesem Argument Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 92. 136 Innerhalb des ·Wirkbereichs· sind zwar richtigeIWeise die Vermittlertätigkeiten noch von Art. 5 Abs. 3 GG umfaßt, nicht hingegen die Rezipierung der Kunst als solche, vgl. BVerfGE 30,173, 189ff; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 5, Rz. 190; Scholz, in: M / 0 / H, GG-Komm., Art. 5, Rz. 36; a. A. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 746. Teilweise wird die Rezeption der Kunst von Art. 5 Abs. 1 GG (Informationsfreiheit) geschützt sein; dies gilt aber nicht, wenn das Kunstwerk - wie z. B. ein Musikstück - keine Information im engeren Sinn enthält, bzw. wohl auch für den Bereich des ästhetischen Genusses, auch hier muß wieder Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen werden. 135

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

hohen Wert beimißt, muß auch die Rezeption der Kunst, ohne die Kunst teilweise gar nicht möglich ist, besonderen Schutz genießen 137• Zwei Dinge seien zu diesem letzten Argumentationskomplex - materielle Anreicherung des Art. 2 Abs. 1 GG durch die horizontale "Nähe" zu anderen Grundrechten - klargestellt: Erstens ist ein Bezug zu einem benannten Grundrecht für sich allein niemals entscheidend, sondern kann nur als zusätzliches Indiz herangezogen werden138• Zweitens - und dies ist besonders wichtig - besteht die Gefahr, daß mit dieser Methode das grundrechtIiche Gewährleistungssystem überspielt wird. Ist eine bestimmte Freiheitsbetätigung nach dem Willen der Verfassungsväter gerade nicht mehr vom Schutzbereich eines Spezialgrundrechts erfaßt, darf über den Umweg der allgemeinen Handlungsfreiheit keinesfalls ein identischer Schutzstatus hergestellt werden. Gerade auf diese Überlegung wird beim noch näher zu behandelnden Recht auf Naturgenuß zurückzukommen sein.

III. Die Befugnis zur Konkretisierong des Art. 2 Abs. 1 GG Nach der FestIegung, auf welchem Wege neue Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet werden können, wird der Blick auf das Problem gelenkt, wer zu dieser tatbestandlichen Konkretisierung der allgemeinen Handlungsfreiheit berufen ise 39 • Zunächst bieten sich drei verschiedene Instanzen an: der Verfassungsgeber, der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht, wobei der erste sofort schon deshalb ausscheidet, weil - wie gezeigt - die Verfassung die "neuen" Grundrechte ja bereits enthält und diese nur sichtbar und handhab137 Dies gilt sicherlich bezüglich der Gewichtung des Kunstgenusses bei der Abwägungsentscheidung im Rahmen eines Eingriffs. Ein komplettes "Grundrecht auf Kunstgenuß" bedürfte einer erheblich eingehenderen Begründung. 138 Die materielle Anreicherung von Art. 2 Abs. 1 GG über die horizontale Nähe der Freiheitsbetätigung zu einem Spezialgrundrecht dürfte v. a. bei der Angemessenheitsprüfung Bedeutung haben. 139 In der Literatur herrscht denn auch - wenn die Frage überhaupt angesprochen wird bezeichnende Unsicherheit. Symptomatisch beispielsweise Grabitz, Freiheit, S. 248: Konkretisierung "obliegt ... primär dem Gesetzgeber", a. a. 0., S. 250: Konkretisierung durch "richterliche Rechtsfortbildung"; Seho/z, AöR 100 (1975), 80, 99: "Maßgebende Instanzen für diesen Vorgang permanent neuer Rechtskonkretisierung sind die unterverfassungsrechtliche Rechtssetzung ebenso wie die (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit", a. a. 0., S. 100: "maßgebender Gestalter der allgemeinen Handlungsfreiheit ist also der verfassungsmäßig agierende Gesetzgeber".

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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bar gemacht werden müssen. Ansonsten scheint es hier um ein ganz grundsätzliches Problem im Spannungsfeld Legislative - Verfassungsrechtsprechung, juristische Verfassungsauslegung - politische Leitentscheidung zu gehen l40 • Die richtige Lösung muß ihren Ausgangspunkt bei der Erkenntnis nehmen, daß in Art. 2 Abs. 1 GG die "neuen" Nominatfreiheiten bereits angelegt sind. Dies bedeutet, daß die Konkretisierung des Tatbestands der allgemeinen Handlungsfreiheit ein Problem der Grundrechtsintetpretation darstellt. In erster Linie scheint also das Bundesverfassungsgericht als letztentscheidende Instanz für die Auslegung des Grundgesetzes auch für die Entwicklung "neuer" Grundrechte zuständig zu seinl41 • Das Gericht ist allerdings nur ein Reaktionsorgan im Verfassungsleben, d. h. es wird nicht von sich aus gestaltend tätig, sondern es muß angerufen werden. Das bedeutet, daß bevor das Bundesverfassungsgericht entscheiden kann, sich ein "Aktionsorgan" der Verfassung in irgendeiner Weise eine Funktion des "neuen" Grundrechts zunutze gemacht haben muß, sei es daß sie der Gesetzgeber als Legitimation für einen Eingriff in anderweitige grundrechtliche Freiheiten heranzieht, sei es daß der Bürger für den Spezialausschnitt der allgemeinen Handlungsfreiheit Schutz einfordere 42 • Aber diese Überlegung allein vermag die reale Situation in diesem Problembereich nicht zu beschreiben. Wie oben gezeigt, stehen Recht und Wirklichkeit in einem Verhältnis positiver Rückkopplung. Ein neuer Spezialfall der allgemeinen Handlungsfreiheit ist nicht von einem "deus ex machina" plötzlich in das Grundgesetz eingefügt worden, so daß er vom Bundesverfassungsgericht nur noch deklaratorisch festgestellt werden müßte. Ein "neues" Grundrecht steht im Gegenteil am Ende einer gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen Entwicklung. Alle an diesem Prozeß beteiligten Organe und Gruppen gehören damit zu den "Geburtshelfern" der neuen Nominatfreiheit. Insbesondere kommt hier der Gesetzgebung eine ganz wichtige Aufgabe zu; sie muß Veränderungen in der Realität, neue Gefährdungen individueller Freiheit erkennen, bei ihrem Handeln berücksichtigen und möglicherweise neu entstandene grundrechtliche Spannungslagen in einem Abwägungsprozeß harmonisieren. Vgl. dazu Rupp, Wirtschaftsverfassung, S. 17ff. In diesem Sinn, aber zu undifferenziert Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 131. 142 Vgl. Häberle, JZ 1989, 915, 918. 140 141

Dirnberger 19

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

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In diesem Kontext wird aber eine Instanz häufig ganz oder wenigstens weitgehend143 übersehen, obwohl ihr gerade hier eine ganz entscheidende Funktion zukommt: die Rechtswissenschaft. Einerseits selbst der gesellschaftlichen Sphäre zugehörig, kann sie wichtige Impulse für die Verfassungsrechtsprechung liefern, weil sie bildlich gesprochen, aber nichtsdestoweniger treffend die "Hand am Puls" der grundrechtlichen Entwicklung hat. Sie stellt quasi die Brücke zwischen gesellschaftlichem Prozeß und dessen "Vergrundrechtlichung" dar, indem sie Probleme erkennt, sich ihrer annimmt, sie rechtlich strukturiert und diskutiere44 • Die Rechtswissenschaft beobachtet und beeinflußt damit den oben beschriebenen kybernetischen Mechanismus zwischen Recht und Wirklichkeit. Die die Verfassung ausfüllenden Organe - also vor allem Legislative und Bundesverfassungsgericht können und werden von dieser Vordenkerfunktion der Rechtswissenschaft in hohem Maße profitieren. Einerseits ist also das Bundesverfassungsgericht zur verbindlichen Auslegung des Grundgesetzes und damit zur Ableitung spezieller Bereiche aus Art. 2 Abs. 1 GG zuständig; andererseits sind an der Entwicklung eines solchen neuen Grundrechts notwendigerweise eine ganze Reihe von "Verfassungsinterpreten" beteiligt, die erst zusammengenommen die Grundlage für die Entscheidung der Verfassungsgerichtsbarkeit schaffen. W. Zusammenfassung Art. 2 Abs. 1 GG erschöpft sich nicht in einer formellen Eingriffsfreiheit, sondern kann und muß materiell angereichert werden. Bereits bei Eingriffen ist die jeweils betroffene Freiheitsbetätigung im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips materiell zu bewerten. Darüber hinaus ist es möglich, aus Art. 2 Abs. 1 GG neue, selbständige, den Nominatfreiheiten in jeder Hinsicht gleichwertige Grundrechte zu entwickeln, aus denen auch Schutzpflichten abgeleitet werden können. Diese neuen Nominatfreiheiten müssen den benannten Grundrechten funktional vergleichbar sein, d. h. es muß sich dabei um einen wichtigen Bereich individueller Lebensgestaltung handeln, der neuartigen Beeinträchti143 Andeutungen 144

finden sich bei Häberle, JZ 1975, 297, 299, 304f.

So mag auch die vorliegende Arbeit ihren bescheidenen Beitrag zur Grundrechtsent-

wicklung leisten.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

291

gungen oder Gefährdungen in einem Maß ausgesetzt ist, das grundrechtlichen Schutz erforderlich macht. Ob dies der Fall ist, ist vor allem eine Frage des Faktischen, insbesondere der gesellschaftlichen Überzeugungen, denen gegenüber die Verfassung - auch und gerade über Art. 2 Abs. 1 GG - offen ist. Rechtliche Indizien für diese faktische Entwicklung stellen "Vergrundrechtlichungen" von Gefährdungssituationen in anderen Verfassungen dar. Auch die Einfügung neuer Kompetenzbestimmungen in das Grundgesetz und sogar die Einräumung individueller Positionen durch den einfachen Gesetzgeber lassen gewisse Rückschlüsse auf mögliche neue Nominatfreiheiten in Art. 2 Abs. 1 GG zu. Neben dieser faktisch-funktionalen Komponente, die das dynamische Element der gesellschaftlichen Entwicklung verkörpert, ist zur Herausarbeitung eines neuen Grundrechts auch die Statik der Verfassung, die inhaltliche Nähe der Teilfreiheit zu bereits bestehenden grundrechtlichen Gewährleistungen von großer Bedeutung. Dabei spielt zunächst der Bezug zur Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG eine entscheidende Rolle. Aber auch die Spezialfreiheiten des Grundgesetzes vermögen in unterschiedlicher Weise den Art. 2 Abs. 1 GG mit materiellem Gehalt anzureichern. Zur Entwicklung neuer Nominatfreiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG ist in erster Linie das Bundesverfassungsgericht als letztverbindliche Auslegungsinstanz der Verfassung berufen. Angesichts der Tatsache, daß ein neues Grundrecht am Ende eines langdauernden Prozesses steht, wirken bei der Entstehung aber eine ganze Reihe von "Verfassungsakteuren" mit, neben dem Gesetzgeber auch der einzelne Bürger und nicht zuletzt die Verfassungslehre. § 27: Ableitung eines Grundrechts auf Naturgenuß

I. Die faktisch-funktionale Komponente des Rechts auf Naturgenuß

Grundvoraussetzung der Ableitung eines neuen Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ist - wie gezeigt - vor allen Dingen eine reale und neuartige Bedrohung eines wichtigen Bereichs individueller Freiheit durch staatlichbzw. privatverursachte Beeinträchtigungen in einem Maß, das mit der Lage

292

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

bei benannten Grundrechten vergleichbar ist. Auf die vielschichtigen Schwierigkeiten bei der Ermittlung, ob eine solche Situation tatsächlich vorliegt, wurde bereits hingewiesen. An dieser Stelle muß es daher genügen, Argumentationslinien aufzuzeigen, deren Gewicht und Stringenz eine grundrechtlich verfestigte Position des einzelnen, sich in Natur und Landschaft erholen zu können, jedoch in hohem Grade wahrscheinlich macht. 1. Die tatsächliche Situation a) Sozialwissenschaftliche bzw. psychologische Untersuchungen, welche Bedeutung der Naturgenuß für den Menschen hat, liegen - soweit ersichtlich - nicht oder nur zu wenigen Teilgebieten vor l45 • Trotzdem lassen sich gleichsam mittelbare Schlüsse vor allem aus dem Freizeitverhalten der Bürger für das Gewicht ziehen, daß dem Naturgenuß von der Gesellschaft und dem einzelnen beigemessen wird. Nach Angaben der WTO (World Tourism Organization) stieg der internationale Tourismus in den letzten Jahrzehnten rapide an. Während man beispielsweise 1950 noch 40 Mio. grenzüberschreitende Reisende zählte, ist diese Zahl im Jahr 1985 auf 330 Mio. angewachsen l46 • Auch der Ausflugsverkehr nahm in den letzten Jahren enorm zu. Allein 1986 haben 54 Mio. Bundesbürger 1,2 Mrd. Ausflüge gemacht und dabei 160 Mrd. Pkw-Kilometer zurückgelege47 • Sicherlich spielen für diese Expansion viele Gründe eine Rolle: die Zunahme der real verfügbaren Einkommen insbesondere in den Industriestaatenl48, die gestiegene Mobilität der Bevölkerung durch verbesserte Verkehrsinfrastruktur bzw. vermehrten Gebrauch privater KfZ l49 und nicht zuletzt die Zunahme der Freizeie so . 145 Häufig wird ohne Begründung ein Grundbedürfnis des Menschen nach Erholung unterstellt, vgl. z. B. Lochner, in: Erholung und Artenschutz, S. 85. 146 Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588. 147 Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588; ähnliche Zahlen finden sich bei Lochner, in: Erholung und Artenschutz, S. 85, 86. 148 Seit 1950 stieg in der BRD das Realeinkommen um mehr als das Vierfache, die Ausgaben für Freizeit seit 1965 um 430%, vgl. Agricola, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 579, 580. 149 1950 waren noch 0,5 Mio. Pkw in der BRD zugelassen, 1982 waren es schon 24 Mio., vgl. Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588. ISO Die Jahresarbeitszeit ging von ca. 2500 Std. im Jahr 1950 auf ca. 1900 Std. im Jahr 1982 zurück, vgl. die allerdings etwas voneinander abweichenden Zahlen bei Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588, und Lochner, in: Erholung und Artenschutz, S. 85, 87.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

293

Richtig ist weiter, daß sich nicht alle Urlaubs- bzw. Tourismusaktivitäten darauf richten, sich in Natur und Landschaft zu erholen. Das Motiv, die Natur zu genießen, scheint aber doch häufig im Vordergrund zu stehen. Dies wird vor allem durch eine nähere Untersuchung der Gründe für das Reisen belegt. Vorzugsweise werden dabei genannt der Wunsch, "aus dem Alltag und aus der verschmutzten Umwelt herauszukommen", "reinere Luft und sauberes Wasser zu haben" und "Naturerleben"l5l. Unterstrichen wird dieses Streben nach Naturgenuß auch durch die im Urlaub am häufigsten ausgeübten Aktivitäten: ganz oben stehen dabei Schwimmen (75%) und Wandern (55%)152, also Modalitäten, die bevorzugt oder nur in der freien Natur ausgeübt werden. Auch unternehmen Großstadtbewohner deutlich mehr Ausflüge als die Bevölkerung von Ortschaften unter 100 000 Einwohnern i53 . Diese Zahlen lassen sich nicht allein durch die gestiegene Beweglichkeit oder die verbesserte materielle Ausstattung der Bürger erklären, sondern haben ihre eigentliche Ursache vielmehr in einem dem Menschen von Natur aus innewohnenden Bedürfnis, in Kontakt mit der Natur zu bleiben. Je technisierter und zivilisierter die menschliche Umwelt wird, desto stärker wird auch der Drang, einen Ausgleich dafür in der Natur zu finden. Der Mensch ist immer noch Teil der Natur l54 • Die vor dem Hintergrund der Menschheitsgeschichte verschwindend geringe Zeit, in der er sich mit der modernen Technik beschäftigt, kann seine in Hunderttausenden von Jahren geschaffene Bindung an die Natur nicht löseniss; vielmehr wird das städtische Wohnumfeld und die industrielle Arbeitswelt bewußt, aber noch stärker unbewußt im wahrsten Sinne des Wortes als "unnatürlich" empfunden l56 • Zwar von der Rationalität des Bewußtseins überlagert, sind die Sinne des Menschen immer noch auf die Farben und Formen der natürlichen Umwelt ausgerichtet. Wir empfinden "grün" und "blau" ganz "natürlich" als angenehm, werden aber mit den weißen und grauen Tönen von Beton und As151

Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588.

152 Hamele,

591.

in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588,

Hamele, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 588. Instruktiv dazu Bockemühl, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 183ff. ISS Vgl. Halliday, in: Der Kranke in der modernen Gesellschaft, S. 159, 165f; Sehae/er, in: Folgen der Zivilisation, S. 22, 23f; Schöfberger, Naturgenuß, S. 69; Sening, Erholungslandschaft, S. 17. 156 Vgl. Buchwald / Engelhardt, Landschaftspflege, S. 29f; Franke, in: Der vorzeitig verbrauchte Mensch, S. 1, 2, 15. 153

154

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

phalt, mit gelbem und rotem Kunstlicht überflutet. An Stelle der runden, unsymmetrischen, vielfältigen Formen natürlicher Umgebung tritt immer mehr die eckige, gegliederte, einförmige Symmetrie unserer künstlich geschaffenen Bauwerke1S7• Während man das Rauschen eines Baches als beruhigend empfmdet, führt dauernder Verkehrslärm nicht nur zu psychischen, sondern im Extremfall sogar zu physischen Schädigungen. Und jeder hat wohl schon bei der Betrachtung eines schönen Landschaftsbildes oder auch nur des Formenreichturns eines alten Baumes ein Gefühl der Verbundenheit mit der Natur, der inneren Ruhe gespürt, das andeutet, wie tief die Zusammenhänge zwischen der Psyche auch des zivilisierten Menschen und der Natur reichen158• Naturerleben erschöpft sich nicht in einem rational-kognitiven Element, sondern erweist sich als emotional-ganzheitliches Bedürfnis 159 • Der Mensch kann sein in Tausenden von Generationen erworbenes Erbe nicht in wenigen Jahrzehnten abschütteln. Die Natur hat sein Wesen unauslöschlich geformt und geprägt. Naturerleben gehört daher zu den elementaren Bestandteilen menschlichen Daseins. b) Dieser außerordentlich wichtige Bereich individueller Freiheit wird nun in der Realität zunehmend bedroht und gefährdet. Immer mehr Flächen gehen durch Siedlungstätigkeit und den Bau von Straßen und Industrieanlagen verloren160 • Durch Anreicherung von Schadstoffen in Luft, Boden und Gewässern werden trotz in den letzten Jahren verstärkter Umweltschutzbemühungen immer mehr Natur und Landschaft gestört, beeinträch157

17ff.

vgl. Buchwald / Engelhardt, Landschaftspflege, S. 33f; Sening, Erholungslandschaft, S.

158 Zu den Besonderheiten der Wahrnehmung und des "Erkennens" in Natur und Landschaft vgI. Bockemühl, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 183, 186ff. 159 Agricola, in: Schriftenreihe des Deutschen Rats für Landespflege, Heft 57 (1989), S. 579, 584; ähnlich Soel/, ebd., S. 673. 160 1978 waren schon 14,7% der Fläche der Bundesrepublik überbaut, Umweltgutachten 1978, BT-DrS. 8/1938, S. 392f; vgl. auch die schon oben § 1 I. genannten Zahlen. Nach Feststellungen des UBA waren 1988 in der Bundesrepublik noch 296 unzerschnittene verkehrsarme Räume mit einer Fläche von mehr als 100 km2 vorhanden; diese Gebiete nehmen eine Gesamtfläche von 48 731,2 km 2 ein; innerhalb dieser Flächen können Tageswanderungen unternommen werden, die vom Verkehr weder akustisch noch visuell beeinträchtigt werden; s0mit stellen sie einen Gradmesser für den Erholungswert eines Gebiets dar. Diese Räume sind regional sehr unterschiedlich verteilt, während in Bayern ca. 1/3 der Landesfläche unzerschnitten ist, existieren in Nordrhein-Westfalen gerade noch 19 Räume, die eine Fläche von 7 % des Bundeslandes einnehmen. Im Saarland gibt es überhaupt keine unzerschnittenen Räume mehr. Zum Vergleich die Zahlen von 1921: Im Bundesgebiet fanden sich noch 349 Räume mit einer Gesamtfläche von 56 184,7 km , vgI. Daten zur Umwelt 1988/89, S. 156f. Nach Angaben von Sening waren schon 1979 nur noch 11,2 % der Fläche Bayerns und nur noch 2 % der Fläche des Saarlandes als Erholungsgebiete geeignet, Sening, BayVBI. 1979,491.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

295

tigt oder sogar irreparabel vernichtet. Die naturnahen Räume für Erholungszwecke werden immer weiter eingeengt, der Druck auf die verbleibenden Flächen wird immer größer, so daß die Befriedigung des Erholungsbedürfnisses letztlich dessen eigene Grundlage schädigt und zerstöre 61 • Zwar ist die menschliche Geschichte seit jeher mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden, deren Folgen auch schon in früheren Zeiten katastrophal waren, man denke beispielsweise nur an die Entwaldung des Apennin l62 • Trotzdem hat sich die heutige Situation zumindest in zweifacher Weise qualitativ verschärft. Während früher auch bei schweren Eingriffen in Natur und Landschaft die "Kultivierung" im Vordergrund stand, man also die bearbeitete Natur immer noch als Lebenselement ansah, wird die Natur heute - auch in der Landwirtschaft - weitgehend industriell ausgebeutet, sie wird nur noch als bloßer Rohstoff behandele63 • Daneben hat sich auch die Eingriffsgeschwindigkeit so beschleunigt, daß die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Umweltelemente den menschlichen Anforderungen nicht mehr standhält. Man kann daher davon ausgehen, daß heute qualitativ und quantitativ die Erholungsmöglichkeiten des Bürgers in einer Weise bedroht sind, die beispielsweise der Situation vergleichbar ist, die bei der Statuierung der Meinungs- oder Pressefreiheit diesen Rechten gegenüber vorlag. Daß dort die Beeinträchtigungen vor allem von staatlicher Seite ausgingen und Eingriffe in Natur und Landschaft überwiegend durch Private ausgeführt werden, ändert nichts an dem grundrechtlichen Bezug dieser Sachlage. Das Bedürfnis nach Grundrechtsschutz, verstanden als Schutz materieller Freiheitsbereiche, darf nicht - wie oben gezeigt - hinsichtlich der Herkunft der Beeinträchtigungen unterscheiden. Und dieses Bedürfnis ist umso drängender, als das Grundrechtssubstrat, also Natur und Landschaft, kein beliebig vermehrbares Gut darstellt, so daß wirksamer Schutz schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Gefährdung einsetzen muß. 2. Rechtliche Anknüpfungspunkte Auch das Recht hat sich der Erkenntnis nicht verschlossen, daß Erholung in Natur und Landschaft einen Kernbereich individueller Bedürfnisse dar-

162

Lochner, in: Erholung und Artenschutz, S. 85, 87. Vgl. Hofmann, JZ 1988, 265, 266f.

163

Steiger, Mensch, S. 23f.

161

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

stellt, den es zu schützen und bei staatlichen Entscheidungen zu berücksichtigen gilt. a) § 1 Abs. 1 BNatSchG stellt klar, daß der Schutz von Natur und Landschaft seine Legitimation auch und gerade als Voraussetzung für die Erholung des Menschen findet. Zu verweisen ist auch auf die Grundsätze des § 2 Abs. 1 Nrn. 2, 11, und 12 BNatSchG, die die Bedeutung der Erholung nochmals unterstreichen. Zwar ist gegenüber dieser Argumentation Vorsicht geboten, da die Frage des Vorliegens einer grundrechtlichen Gewährleistung nicht in den Verfügungsbereich der Legislative gehören kann. Jedoch wurde bereits oben gezeigt, daß Entscheidungen des demokratisch legitimierten und damit auch gesellschaftlich determinierten Gesetzgebers Rückschlüsse auf Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit individueller Positionen auch im Grundrechtsbereich zulassen. Mißt der einfache Gesetzgeber den Erholungsbelangen einen bestimmten Schutzstatus zu, so streitet eine Vermutung dafür, daß hinter dieser Gewährleistung ein grundrechtlicher Anknüpfungspunkt steht. b) Indizwirkung mag in diesem Zusammenhang auch der Versuch der sozialliberalen Koalition vom Jahre 1970 haben, die Rahmenzuständigkeit des Bundes in eine Vollkompetenz umzuwandeln und gleichzeitig ein umfassendes Bundesnaturschutzgesetz durchzusetzen, was allerdings letztlich am Widerstand des Bundesrates scheiterteHi4 • Der fortschreitende Verlust an Natur und Landschaft - auch als Grundlage für die Erholung des Menschen schien damals also in verstärktem Maß als bedrückend und regelungsbedürftig empfunden worden zu sein. c) Eine besonders große Bedeutung auf der Suche nach einem bundesrechtlichen Grundrecht auf Naturgenuß muß offensichtlich Art. 141 Abs. 3 BV aufweisen l65 • Dort heißt es: "Der Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wild164 Vgl. dazu Hofmann, JZ 1988, 265, 275; Kolodziejok / Recken, Naturschutz, Vorbemerkungen, Rz. 10ff; Soell, in: Grundzüge des Umwelt rechts, S. 481, 49lf; Wey, Umweltpolitik in Deutschland, S. 212r. 165 Die anderen Länderverfassungen enthalten keine dem Art. 141 Abs. 3 BV vergleichbare Vorschrift. Die Förderung des Naturgenusses sprachen aber noch Art. 119 der Verfassung des früheren Landes Württemberg-Hohenzollem vom 20. Mai 1947 und Art. 33 eines Entwurfs der badischen Verfassung aus dem Jahre 1947 an, jeweils zit. bei Hofmann, JZ 1988, 265, 274 mit FN 116.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

297

wachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet." Dies bedeutet nichts anderes, als daß auf der Ebene der bayerischen Verfassung ausdrücklich ein Grundrecht auf Naturgenuß existiert, das inhaltlich und funktional dem hier zu entwickelnden Teilbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit in vollem Umfang entspricht. Es soll hier nicht mehr grundsätzlich auf die vor allem in den 70er Jahren geführte Kontroverse in Literatur und Rechtsprechung eingegangen werden, ob Art. 141 Abs. 3 BV nur ein Recht auf Betreten der gerade vorhandenen Natur enthält oder ob er darüber hinaus ein Abwehrrecht gegen rechtswidrige Veränderungen von Natur und Landschaft gewähre 66• Nach der hier vorgestellten Konzeption ist die Antwort darauf klar. Dem Art. 141 Abs. 3 BV, dessen Grundrechtsqualität im übrigen unstreitig ise 67, korrespondiert eine staatliche Schutzpflicht, die den Vorschriften des einfachen Rechts subjektive Qualität verleiht, die dem Schutzgut - also der Erholung in Natur und Landschaft - nützlich sind. Davon wird auch die Eingriffsregelung zumindest des bayerischen Naturschutzgesetzes erfaßt. Eine besondere Herleitung eines Grundrechts auf Naturgenuß ist damit im Geltungsbereich der bayerischen Verfassung entbehrlichl68• Die Existenz dieses Grundrechts auf Naturgenuß kann aber auch die Interpretation des Grundgesetzes beeinflussen. Es zeigt sich zunächst, daß dem Verfassungsrecht ein Individualrecht auf Erholung nicht wesensfremd ist, daß sich eine solche Position durchaus in grundrechtliche Form gießen läßt. Weiter wird deutlich, daß bei Entstehung der bayerischen Verfassung 166 Gegen ein Abwehrrecht BayVGH BayVBI. 1975, 419, 420; BayVBI. 1976, 83; BayVerfGH BayVBI. 1977, 208, 209, mit abw. Meinung von Hoegner (!), S. 210f; Bartlsperger, FS für Obermayer, S. 3, 11ff; Benermann, DVBI. 1975, 845ff; Marburger, Gutachten, C 85; Sehö/berger, Naturgenuß, S. 199; für ein Abwehrrecht wohl schon BayVGH BayVBI. 1973, 211; eindeutig BayVGH BayVBI. 1974, 220, 22lf; VG München BayVBI. 1974, 198, 199; BayVBI. 1974, 226,228; BayVBI. 1975, 421, 423; BayVBI. 1975, 425, 428; Hofmann, JZ 1988, 265, 274; Meder, Die Verfassung des Freistaats Bayern, Art. 141, Rz. 8; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 178f; Sailer, BayVBI. 1975,405, 406ff; Sening, BayVBI. 1976,72, 73ff; Weinzierl/ Hofmann, BayVBI. 1977, 211. Die restriktive Rechtsprechung wurde vom BayVerfGH auch nach der Neufassung des Art. 141 BV wiederholt bestätigt, vgI. BayVerfGH BayVBI. 1985, 683, 684f; BayVBI. 1986,298, 300; BayVBI. 1986, 618, 619; BayVBI. 1986, 750, 751; kritisch zu dieser Rechtsprechung Soell, WiVerw 1986, 205, 212ff. 167 Für viele BayVerfGH 3, 2f, seitdem st. Rspr.; Soell, WiVerw 1986, 205, 211. 168 Zur Frage, inwieweit Landesverfassungsrecht gegenüber Bundesrecht ein "Mehr" an subjektiven Rechten einräumen könnte, vgl. BayVGH BayVBI. 1976, 83, 85. Das Problem stellt sich nach der hier vertretenen Auffassung nicht, da danach auch das Grundgesetz ein Grundrecht auf Naturgenuß enthält.

298

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

das Schutzgut Erholung in Natur und Landschaft als elementarer Bereich individueller Lebensgestaltung angesehen wurde. Der Schluß liegt zumindest nicht fern, daß dies nicht nur für die Bürger Bayerns, sondern auch für die Bewohner des übrigen Bundesgebiets gelten muß. d) Der Gedanke des Art. 141 Abs. 3 BV führt allerdings zu einem Einwand, dem man einer Entwicklung eines neuen Grundrechts auf Bundesebene entgegenhalten könnte. Dem Verfassungsgeber müsse - so könnte man argumentieren - die Vorschrift der bayerischen Verfassung bekannt gewesen sein. Da er eine inhaltsgleiche Bestimmung in das Grundgesetz nicht aufgenommen habe, müsse man davon ausgehen, daß er sich bewußt gegen ein Grundrecht auf Naturgenuß entschieden habe. Dieser Wille der Väter der Verfassung dürfe nicht über eine "Auslegung" des Art. 2 Abs. 1 GG unterlaufen werden. Dieser Einwand greift jedoch aus zwei Gründen nicht durch. Zum einen fand - soweit ersichtlich - bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat nirgends die Vorschrift des Art. 141 Abs. 3 BV Erwähnung; der Parlamentarische Rat hat sich mit einem Grundrecht auf Erholung schlicht nicht befaßt. Er hat also ein solches Grundrecht weder in das Grundgesetz einführen wollen, noch eine dahingehende Weiterentwicklung ausgeschlossen. Zum anderen hat sich die reale Situation im Vergleich zum Jahr 1949 doch erheblich verändere(9. Erst in den 60er Jahren wuchs in der Bundesrepublik Deutschland auch das Bewußtsein für die Umwelt, und gerade der kaum gebremste Wiederaufbau nach dem Krieg war und ist für viele der Probleme in diesem Zusammenhang mitverantwortlich. An verschiedener Stelle wurde in dieser Arbeit bereits auf die verschärfte Bedrohungssituation für Natur und Landschaft hingewiesen, hier seien nur nochmals die Stichworte Expansion der Großstädte, Industrialisierung und ausufernde Zersiedlung der Landschaft genannt. Wie oben schon angesprochen, kumulieren heute diese Beeinträchtigungen in einem Maß, daß von einer qualitativ und quantitativ neuartigen Bedrohung des Freiheitsbereichs "Erholung in Natur und Landschaft" gesprochen werden kann.

1(9 So auch Hofmann, JZ 1988, 265, 274; Sailer, BayVBI. 1975, 405, 406. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 141 Abs. 3 BV spricht dafür, daß die Vorschrift ursprünglich nicht als Antwort auf die zunehmende Verknappung der Natur gedacht war, sondern als Schutz der Naturfreunde vor den Ausschließungsrechten der "Geldprotzen" (Hoegner), vgl. dazu Sailer, a. a. 0., S. 405; Schöfberger, Naturgenuß, S. 3ff.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

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3. Zusammenfassung Die Möglichkeit, sich in Natur und Landschaft zu erholen, erweist sich somit bei zusammenfassender Betrachtung der tatsächlichen Situation und ihrer rechtlichen Behandlung als zentraler Bestandteil individueller Lebensgestaltung, der durch zunehmenden Landschaftsverbrauch und wachsender Belastung von Natur und Landschaft in besonderer Weise als gefährdet angesehen werden muß.

Il. Die ''Nähe'' des Rechts auf Naturgenuß zu anderen Grundrechten

1. Erholung in Natur und Landschaft und Menschenwürde Die oben dargestellte, eher psychologische Begründung für die Existenz eines Grundbedürfnisses auf Naturgenuß findet ihre Entsprechung auch in der Verfassung und hier insbesondere bei der Garantie der Menschenwürde. Art. 1 Abs. 1 GG betrachtet den Menschen als ganzheitliches Wesen; er erkennt die menschliche Existenz als die Summe von Körper, Seele und Geist und deren wechselseitiger Aufeinanderbezogenheit. Gerade dadurch wird die Parallele von Menschenwürde und Erholung in Natur und Landschaft deutlich. Auch das Naturerleben erfaßt den Menschen als ganzen, es ist mehr als die Addition der dabei vorgenommenen, "körperlichen" Handlungenl'70. Sinnliche Wahrnehmung der Natur und ästhetischer Genuß vereinen sich mit physischem Wohlbefinden und bilden als Gesamtheit das, was man als Erholung bezeichnen kann. Ohne Natur verkümmert der Mensch körperlich, aber zunächst und zuvörderst psychisch171 • An dieser Überlegung zeigt sich auch, warum eine isolierte Anknüpfung an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dem Inhalt und der Funktion des Rechts auf Naturgenuß nicht gerecht wird. Angesprochen ist die Persönlichkeit des Menschen insgesamt, nicht die Facette der körperlichen Unversehrtheit; grundrechtliche Anbindung ist daher Art. 2 Abs. 1 GG, der von Art. 1 Abs. 1 GG her materiell Sinn und Kontur empfängt. 170

Vgl. hierzu Steiger, Mensch, S. 22f.

Ähnlich Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, S. 3Of; Sening, Erholungslandschaft, S. 18ff. Vgl. auch VG München BayVBI. 1974,421,423. 171

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

300

2. Das Recht auf Naturgenuß und andere Freiheitsrechte a) Die obigen Ausführungen lassen als horizontale Anknüpfung zu benachbarten Freiheitsrechten zunächst Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ins Blickfeld treten. Das Recht auf Naturgenuß befmdet sich offensichtlich in einem sehr nahen Verhältnis zum Recht auf körperliche Unversehrtheit. Es schützt Bereiche, die gleichsam als Voraussetzung für die Gesunderhaltung dienen; es verlängert darüber hinaus das Schutzgut "Gesundheit" in den geistig-seelischen Bereich. Wie oben angesprochen ist eine saubere Trennlinie zwischen körperlicher und psychischer Befmdlichkeit nicht zu ziehen, ein qualitativer Unterschied in der Wertigkeit dieser Schutzgüter ist andererseits auch nicht zu erkennen. Da jedoch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf die physische Komponente menschlicher Existenz beschränkt ist, erscheint es nur konsequent, für das geistig-seelische Element eine Parallele in Art. 2 Abs. 1 GG zu suchen. Allerdings befindet man sich mit dieser Argumentation auf einem schmalen Grat. Unzulässig wäre es nämlich, den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG über Art. 2 Abs. 1 GG auf Situationen auszudehnen, die qualitativ dem Schutzgut "körperliche Unversehrtheit" zuzuordnen sind, quantitativ aber die Schwelle zum Grundrechtseingriff nicht überschreiten. Eine solche Vorgehensweise verließe den Bereich der Grundrechtsinterpretation und bedeutete genau besehen eine Verfassungsänderung. So läge es in der Tat, wenn man gegenüber bloßen Belästigungen, die noch keine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit bedeuten würden, einen identischen Schutzstatus annehmen würde. Auf den ersten Blick scheint dies beim Recht auf Naturgenuß der Fall zu sein, weil auch solche Maßnahmen einbezogen werden, die zwar als unangenehm empfunden werden, aber noch keine Gesundheitsbeschädigung auslösen172• Tatsächlich bedeutet das Grundrecht auf Naturgenuß aber keine lediglich quantitative Erweiterung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach "unten", sondern es beinhaltet ein gegenüber der körperlichen Unversehrtheit qualitativ anderes Schutzgut, das sich nur teilweise mit dessen Schutzbereich überdeckt. Eine Situation, wie sie die nachfolgende Abbildung zeigt, ist dem Grundrechtssystem auch im übrigen nicht fremd. Ein Beispiel bildet das 172

In diesem Sinn wohl Rauschning, WDStRL 38 (1980), 167, 180; ähnlich UZe, DVBI.

1m, 488, 489.

9. Kapitel: Grundrechte und Naturschutz

301

Verhältnis von körperlicher Unversehrtheit zur Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Auch hier fällt kurzzeitiges Eingesperrtsein in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, obwohl es an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gemessen eine bloße Belästigung darstellt; und auch hier kann langdauernde Isolationshaft, also ein extremer Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, auch eine Gesundheitsbeschädigung auslösen. Die Gewährleistungsbereiche beider Grundrechte stehen also weitgehend nebeneinander, überschneiden sich nur teilweise, und ein Grundrecht erfaßt Bereiche, die unterhalb der Eingriffsschwelle des anderen liegen. Die Liste solcher und ähnlicher Beispiele ließe sich beinahe beliebig fortsetzen: Man denke nur an das Verhältnis von körperlicher Unversehrtheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, und dabei vor allem dem Schutz der Intimsphäre; auch da sind Überlappungen denkbar.

teilweise Überdeckung des Schutzbereichs

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

I I

l~

Grundrecht auf Naturgenuß

________________~

Belästigungen ohne Gesundheitsschäden

teilweiser Schutz vor Belästigungen

Abb.8

Das Recht auf Naturgenuß steht damit qualitativ neben dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, kann aber wegen der geschilderten "Nähe" der beiden Gewährleistungen zueinander materielle Anreicherungen von jenem erhalten. b) Neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG lassen sich jedoch noch andere Grundrechte finden, die in einem horizontalen Näheverhältnis zum Recht auf Naturgenuß stehen. Zunächst ist an die in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte

302

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Kunstfreiheit ZU denken. Naturerleben und Kunstschaffen stehen in einem ganz engen Zusammenhang173 • Es ist hier nicht der richtige Ort, um im einzelnen zu untersuchen, welche Bedeutung der Naturgenuß für die schöpferische Entfaltung des Menschen aufweist 174• Sicher ist aber, daß der Ursprung aller Kunst die Betrachtung der Natur und die Beschäftigung mit ihr war. Kreativität ist ohne Kontakt mit der Natur nicht denkbar. Die Natur war und ist Anlaß und Gegenstand der Kunst zugleich. Ihre sinnliche Wahrnehmung weckt das genuin Schöpferische im Menschen; gleichzeitig stellt die Natur den Stoff, das Sujet zur Verfügung, mit dem sich der Künstler auseinandersetzen kann. In ganz ähnlicher Form steht die Wissenschaftsfreiheit mit dem Recht auf Naturgenuß in Verbindung. Auch hier war die Betrachtung der Natur Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Behandlung der wahrgenommenen Erscheinungen175• Und schließlich gibt es auch Beziehungen zwischen dem Recht auf Naturgenuß und der Gewährleistung der Religionsfreiheit l76 • Auch religiöse Empfindungen können Anregungen aus dem Naturerleben gewinnen. Der Kontakt mit Natur und Landschaft ermöglicht es, die Schönheit und Vollkommenheit göttlicher Schöpfung zu erkennen und zu erfahren. 3. Zusammenfassung Das bei der faktisch-funktionalen Betrachtungsweise gefundene Ergebnis wird also bei einer Untersuchung der vertikalen und horizontalen "Nähe" des Rechts auf Naturgenuß zu anderen Grundrechten bestätigt. Über Art. 1 Abs. 1 GG erhält Art. 2 Abs. 1 GG insbesondere die Funktion, den ganzen Menschen, seine Persönlichkeit und sein geistig-seelisches Wohlbefinden vor besonderen Gefährdungen zu schützen. Materielle Anreicherungen, Kontur und Legitimation erhält das Recht auf Naturgenuß überdies durch seine Nähe zu dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, aber auch zu den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 GG. 173 Hinweise darauf finden sich bei Buchwald / Engelhardt, Landschaftspflege, S. 37; Sening, BayVBI. 1976,72,76; ders., Erholungslandschaft, S. 117. 174 Den Zusammenhang zwischen Kunst und Landschaft stellt z. B. Noir[alise, Paysages, S. 13f, dar. 175 Vgl. Hofmann, JZ 1988, 265, 267f. 176 Andeutung

bei Bockemühl, in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 183, 194.

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht § 28: EingrifTsregelung und grundrecbtlicbe Scbutzpflicbt

l. Grundsätzliche Erwägungen

Wie oben gezeigt\ ist für den subjektiven Charakter einer Norm des einfachen Rechts entscheidend, daß sie auf einer grundrechtlichen Schutzpflicht beruht. Schutzgesetze sind danach gesetzgeberische Kollisionsentscheidungen im Hinblick auf sich überschneidende Freiheitsbereiche. Legt man diese Erkenntnis zugrunde, so zeigt sich, daß auch die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG ein subjektiv öffentliches Recht darstellt. Die grundrechtlich geschützten Erholungsinteressen konfligieren mit ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten Belangen anderer Bürger, die auch Natur und Landschaft in bestimmter Weise - etwa gewerblich oder landwirtschaftlich nutzen wollen. § 8 BNatSchG markiert nun - im Bereich des allgemeinen Gebietsschutzes - die Trennlinie zwischen den grundrechtlichen Positionen; die Vorschrift teilt die entsprechenden Freiheitsbereiche - Grundrecht auf Naturgenuß einerseits und Art. 14 bzw. Art. 12 GG andererseits - voneinander ab. Diese Funktion beruht schon auf dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen, der in § 1 BNatSchG zum Ausdruck kommt; danach sind Natur und Landschaft auch als Voraussetzung für die Erholung des Menschen zu schützen. Nur nebenbei sei deshalb erwähnt, daß es dieser ausdrücklichen Aufnahme der Erholungsinteressen in das Bundesnaturschutzgesetz nicht bedurft hätte, um den grundrechtsschützenden Charakter der entsprechenden Vorschriften zu begründen. Drittschutz wird schon dann ausgelöst, wenn Normen des einfachen Rechts dem Schutz eines Grundrechtsguts objektiv zugute kommen. Insoweit bedeutet Naturschutz und Landschaftspflege notwendig und veifassungsrechtlich gefordert immer auch den Schutz 1 Vgl.

oben 6. Kapitel, insbesondere § 17.

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

304

von Erholungsinteressen, unabhängig davon, ob dies vom Gesetzgeber beabsichtigt worden ist oder nicht. Auch bei Anwendung der oben dargestellten "Abstrahierungsmethode"2 wird der Befund eines subjektiven Charakters der Eingriffsregelung bestätigt. Denkt man sich die Norm weg, existiert im Bereich des allgemeinen Gebietsschutzes keine Vorschrift, die Natur und Landschaft schützen und so die Erholungsbelange der Menschen bei behördlichen Entscheidungen einbringen könnte. Die aus dem Grundrecht auf Naturgenuß fließende Schutzpflicht würde damit erheblich schlechter erfüllt werden. § 8 BNatSchG dient allerdings nicht nur den Erholungsinteressen des Bürgers, sondern schützt die Naturfaktoren und deren Wechselwirkung auch aus anderen GrÜnden3 • Man könnte also zweifeln, ob die Eingriffsregelung auch dann als drittschützend anzusehen ist, wenn im konkreten Fall bei ihrer Anwendung nicht die Erholungsbelange im Vordergrund stehen, sondern andere Komponenten wie z. B. der Artenschutz. Hier hilft die oben gewonnene Erkenntnis weiter, daß Drittschutz grundsätzlich nicht "durch die Norm hindurchgeht''''. § 8 BNatSchG bildet eine einheitliche Regelung zum Schutz von Natur und Landschaft; man kann ihn nicht in einzelne Gesetzesbefehle unterteilen, von denen nur einer spezifisch den Schutz von Erholungsbelangen bezweckte. Abgesehen davon, daß eine solche Trennung wegen der sachlichen Verzahnung von Erholung und Naturschutz faktisch kaum möglich wäres, liegt sie aber der gesetzgeberischen Entscheidung im Naturschutzrecht gerade nicht zugrunde. Auch wenn die Eingriffsregelung qualitativ und quantitativ der Natur stärkeren Schutz gewährt, als dies isoliert für die Erholung notwendig wäre, greift die Vermutung, daß die Vorschrift zur Gänze Ausfluß der grundrechtlichen Schutzpflicht ist. Die Situation ist daher dem obigen Beispiel eines Grenzwerts vergleichbar, der "weit auf der sicheren Seite" liegt. Auch hier wird mehr getan als grundrechtlich unbedingt nötig, trotzdem ist die Norm im Zweifel - also bei Fehlen einer anderweitigen und eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers - insgesamt drittschützend. § 8 BNatSchG stellt also ein subjektiv öffentliches Recht dar. 2 Vgl.

oben § 17 1.2.

Zu den Legitimationsgründen für Naturschutz und Landschaftspflege Soel/, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 488ff; zu dem neuerdings aufgeflammten Streit um die Notwendigkeit einer Abkehr von der Anthropozentrik im Naturschutzrecht vgI. Neue Leitbilder im Naturschutzrecht, Anhörung des AKUR zur Anthropozentrik und Ökozentrik. 4 Vgl. oben § 1711. 3

5

Vgl. Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 168f.

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

305

11. Die Einwände gegen den subjektiven Charakter des Naturschutzrechts 1. Das Argument der "Konsequenz"

Wenn man die Erwägungen betrachtet, die gegen eine naturschutzrechtliche Klagemöglichkeit vorgebracht werden, findet sich häufig die unterschwellig, aber auch ausdrücklich geäußerte Befürchtung, daß dadurch in (Grund-)Rechte anderer in zu starkem Maße eingegriffen würde. Die Kläger hätten es dann in der Hand, die Belange des Umweltschutzes gegenüber anderen, möglicherweise ebenso wichtigen, aber nicht mit Verfassungs- und Grundrechtsschutz versehenen Belangen durchzusetzen6; sie könnten - so liest man - verhindern, daß aus "freier Natur" jemals Bauland würde7 • Der Schutz der Umwelt sei ein Wert, der in eine Gesamtgewichtung aller betroffenen Interessen einzustellen sei; dabei gebe es kein absolutes "Richtig" oder "Falsch", sondern nur eine politisch verantwortete Lösung des Konflikts 8 • In diese Richtung geht auch die Argumentation des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der Art. 141 Abs. 3 BV unter anderem deshalb eine weitergehende Bedeutung abspricht, weil ansonsten die Grenze von Inhaltsbindung des Eigentums zur Enteignung überschritten werde9 • Alle diese Ansätze leiden allerdings unter einem gravierenden Mißverständnis. Sie übersehen, daß ein Kläger nur dann Erfolg haben wird, wenn die angefochtene Maßnahme tatsächlich gegen Naturschutzrecht verstößt. Die von den Kritikern eingeforderte, politische KonfliktIösung, also der Ausgleich aller - auch grundrechtIich - geschützten Belange des einzelnen und der Allgemeinheit, ist durch die naturschutzrechtlichen Vorschriften ja bereits erfolgt. Die Klage eines betroffenen Erholungssuchenden führt also keinesfalls zu einer Vorrangstellung des Natur- bzw. Umweltschutzes gegenüber anderen Interessen, sondern bewirkt nur, daß die Rechtsprechung nachprüfen kann, ob die Exekutive dem Naturschutz den Rang eingeräumt hat, den er nach der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung einnimmt, der ihm aber häufig in der Praxis nicht zugemessen wird. 6 Czajka,

in: Natur- und Umweltschutzrecht, S. 143, 149. BayVBI. 1974,237,243.

7 Eyermann,

Thieme, NJW 1976, 705; ähnlich wohl Schlichter, PS für Scupin, S. 881, 884. BayVerfGH BayVBI. 1m, 208, 210; vgI. auch BayVGH BayVBI. 1976, 83, 84; zust. beispielsweise Bartlsperger, PS für Obermayer, S. 3, 10. 8

9

Dimberger 20

306

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Es kann auch keineswegs die Rede davon sein, daß die Klagemöglichkeit etwa die Ausweisung von Bauland verhindern könne. Soweit sie rechtmäßig zustandekommt, kann sie gerichtlich nicht beanstandet werden; ist sie hingegen rechtswidrig, ist ein schutzwürdiges Interesse weder auf seiten der Grundstückseigentümer, noch auf seiten der Exekutive auszumachen. Ähnliches gilt im übrigen auch für das Argument, ein Klagerecht könne die Grenze von Inhaltsbindung zur Enteignung überschreiten. Die Aufhebung rechtswidriger, nicht bestandskräftiger Maßnahmen auf Klage der Betroffenen kann keinen enteignungsrechtlich relevanten Eingriff in Eigentumspositionen darstellen10 • Der Einwand der Kritiker beruht letztlich auf einer gedanklichen Unschärfe, die nicht zwischen Entscheidungen des Gesetzgebers und der Verwaltung differenziert. Während die Legislative eine nur beschränkt überprütbare Kollisionslösung widerstreitender Interessen zu finden hat, die allerdings auch den rechtsstaatlichen Optimierungsgrundsätzen entsprechen muß, hat die Exekutive diese Setzungen zu beachten und umzusetzen. Ein "politischer" Wertungsspielraum existiert nur in ganz wenigen Fällen, und auch da führt dies nur dazu, daß sich der Prüfungsumjang der Gerichte auf bestimmte Fehler reduziert, nicht aber dazu, daß insoweit rechtswidrige Entscheidungen nicht aufgehoben werden könnten. 2. Das Argument der "anderweitigen Erholungsmöglichkeit" a) Verschiedentlich wird im Schrifttum und auch in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, daß eine Klagemöglichkeit in bezug auf Erholungsbelange solange nicht bestehen könne, als dem Bürger noch ausreichend Möglichkeiten zur Erholung in Natur und Landschaft zur Verfügung stünden, als er noch in zumutbarer Weise sein Recht auf Naturgenuß in der freien Natur ausüben könne 11 • Erst wenn sich die vorgegebene Situation nachhaltig verändere und eine weitere Verschlechterung den Erholungssuchenden "schwer und unerträglich" treffe, dürfe insoweit ein subjektiv öffentliches Recht angenommen werden l2 • Um sich mit der dargestellten Auffassung näher aus10

11

Soell, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 481, 494; ders., WiVerw 1986, 205, 212. Vgl. z. B. Bartlsperger, PS für Obermayer, S. 3, 8; Dageförde, NuR 1980, 150, 152f; Bay-

VerfGH BayVBI. 19TI, 208, 210.

12 BayVGH BayVBI. 1976, 83. Soell, WiVerw 1986, 205, 214, erwägt, ob eine solche Extremsituation durch die Häufung z. T. irreparabler Eingriffe in die Natur nicht schon eingetreten ist; ähnlich Sening, BayVBI. 1978, 205; ders. BayVBI. 1979, 49lf.

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

307

einandersetzen ZU können, ist es notwendig, nach den Wurzeln dieser Argumentation zu forschen. Dabei bieten sich zwei Anknüpfungspunkte an. b) Die Formel des "schweren und unerträglichen" Betroffenseins wird wie bereits oben angesprochen13 - vom Bundesverwaltungsgericht dazu benutzt, den grundrechtlichen Drittschutz aus Art. 14 GG einzuengenl4 . In ganz ähnlicher Weise scheint diese Beschränkung auch auf das Grundrecht auf Naturgenuß angewendet zu werden. Für diesen Versuch gilt jedoch das zur Rechtsprechung bezüglich Art. 14 GG Ausgeführte in entsprechender Weisels. Die "Schwellentheorie" hat ihre Berechtigung bei Ansprüchen gegenüber dem Gesetzgeber. Ihm kommt - wie bereits wiederholt deutlich gemacht - die Pflicht zu, Grundrechtskonflikte zu lösen und dabei einfachgesetzliche Trennlinien zwischen Freiheitsbereichen zu ziehen. Dabei besitzt er naturgemäß einen weiten Einschätzungsspielraum, wie er die Kollisionsentscheidung trifft; das gleiche gilt aber auch für die Frage, ab wann er tätig werden muß. Hier erhält die Errichtung einer Schwelle ihre Legitimation, die ihre Quelle letztlich in der Gewaltenteilung und im Demokratieprinzip findet. Eine Übertragung dieser Überlegungen auf die Rechtsanwendung ist damit ausgeschlossen. Die Exekutive hat die Entscheidung der Legislative zu vollziehen und muß sich von den Gerichten überprüfen lassen, soweit dabei grundrechtliche Positionen des einzelnen in Rede stehen. Die Frage der Intensität der Beeinträchtigung darf dabei keine Rolle spielen. Für das Grundrecht auf Naturgenuß und die Einhaltung des § 8 BNatSchG bedeutet dies, daß jede Verletzung der Schutznorm die Verletzung des subjektiv öffentlichen Rechts auslöst, ohne Rücksicht darauf, ob noch anderweitige Erholungsmöglichkeiten vorhanden sind oder nicht. c) Das Argument der "anderweitigen Erholungsmöglichkeit" erinnert jedoch noch an eine andere Konstruktion, die zu einer Einschränkung grundrechtlichen Schutzes führt. So vertritt vor allem F. Müllerl6 die These, daß der Normbereich der Grundrechte nur insoweit verbürgt sei, als es um Ausübungsmodalitäten gehe, für die eine individuelle, dem Grundrecht sachs pezifische Notwendigkeit bestehe17• Als Beispiel führt Müller das Malen eines 13

Vg1. oben § 4 11. 1.

Z. B. BVerwGE 32, 173, 179. IS V g1. oben § 18 I.

14

16 Vgl.

Müller, Positivität, v. a. S. 87ff; ders., Freiheit der Kunst, v. a. S. 63ff; zust. Friesen-

hahn, Festvortrag, G 10, 28; Hesse, Grundzüge, Rz. 310 mit FN 7; Majewski, Auslegung der

Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht, S. 68ff. 17 Vgl. Müller, Positivität, z. B. S. 74, 93, 98ff; ders., Freiheit der Kunst, S. 65.

308

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Bildes auf einer belebten Straßenkreuzung an18• Diese Aktionsmöglichkeit gehöre nicht mehr zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG, da sie keine "spezifische Sachhaltigkeit künstlerischer Art" aufweise l9 • Soweit Handlungsmodalitäten "austauschbar" seien, gehörten sie nicht zum sachspezifisch Erforderlichen, so daß bestimmte Alternativen, auf die der Grundrechtsträger nicht unbedingt angewiesen sei, nicht grundrechtlich geschützt seien20 • Auf das Grundrecht auf Naturgenuß übertragen hieße dies, daß der grundrechtliche Normbereich auf das zur Erholung Notwendige beschränkt wäre, so daß bei Existenz anderweitiger Erholungsmöglichkeiten kein Grundrechtseingriff vorläge. Müllers Konzeption ist aber entschieden abzulehnen21 • Zunächst muß bereits bezweifelt werden, ob Müller wirklich dahingehend verstanden werden

muß, daß er immer dann Grundrechtsschutz ablehnt, wenn es möglich ist, die angestrebte Modalität an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit oder auf eine andere Weise vorzunehmen. Vielmehr scheint es Müller um den Ausschluß strukturell atypischer Ausübungen eines Grundrechts zu gehen22• Insoweit könnte der Erholungssuchende nicht auf anderweitige Möglichkeiten verwiesen werden, da er, wenn er die Verkürzung seiner Betätigungsfreiheit rügt, immer in einer grundrechtsspezifischen Modalität eingeschränkt wird, soweit er Natur und Landschaft gemeinverträglich nutzt. Allerdings deuten einige Formulierungen Müllers darauf hin, daß er Betätigungsformen in der Tat aus dem Schutzbereich herausnehmen will, wenn "gleichwertige, austauschbare ... spezifische Möglichkeiten"Z3 offenbleiben24 • Eine so verstandene Schutzbereichsbestimmung würde aber den Grundrechtsschutz in nicht zu rechtfertigender Weise verengen. Es gehört zu den wesentlichen Positionen eines Grundrechtsträgers, zu dessen Würde und Autonomie, nicht nur darüber zu entscheiden, ob er seine Grundrechte betätigt, sondern auch wie er das tutlS • Die These von der Austauschbarkeit 18 Vgl.

Müller, Positivität, S. 64, 73; ders., Freiheit der Kunst, S. 56f. Freiheit der Kunst, S. 65.

19 Müller, 20 Müller,

Positivität, S. 99, 101.

Vgl.Alexy, Theorie, S. 280ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 155ff; Schwacke, Grundrechtliche Spannungslagen, S. 124ff; Wiehert, Das Problem der Kunstfreiheitsgarantie, S. 40ff. 21

22

Vgl. Müller, Positivität, S. 99; ders., Freiheit der Kunst, S. 64.

24

So interpretiert ihn auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 159ff.

Z3 Müller, Positivität, S. 101; vgl. auch die Beispiele in ders., Freiheit der Kunst, S. 102f, 128.

2S Alexy,

Theorie, S. 285; Schmiu-Glaeser, Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung 7 (1974),107, 119f; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 161.

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

309

der Modalitäten würde im Ergebnis zur Aufhebung jeglichen Grundrechtsschutzes führen, da praktisch für jede konkrete Freiheitsbetätigung auch eine andere denkbar wäre, auf die der Grundrechtsträger verwiesen werden könnte. Richtig ist demgegenüber, die Lösung auf der Schrankenebene zu suchen. Eine zunächst innerhalb des Schutzbereichs liegende Ausübungsmodalität kann dann beschränkt werden, wenn sich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips andere Interessen als höherwertig erweisen26• Notwendig ist also eine Abwägung mit den materiellen Belangen des Betroffenen, die in der konkreten Situation selbstverständlich zu einer Verengung des effektiven Garantiebereichs seines Grundrechts führen kann, so wie im Beispiel des Straßenmalers die Kunstfreiheit durch die Individualgrundrechte anderer und das Kollektivgut der Sicherheit des Verkehrs beschränkbar ist. Vor diesem Hintergrund löst sich auch die Frage der "anderweitigen Erholungsmöglichkeiten". Sind diese noch in ausreichendem Maße vorhanden, kann dies bedeuten, daß die Entscheidung der Exekutive, in Natur und Landschaft einzugreifen und dabei die Belange der Erholungssuchenden hintanzustellen, materiell als rechtmäßig anzusehen ist. Keinesfalls darf diese Überlegung dazu benutzt werden, dem Betroffenen von vornherein das Klagerecht abzuschneiden, also zu verhindern, daß die behördliche Entscheidung daraufhin untersucht wird, ob sie die Interessen des einzelnen hinreichend berücksichtigt. Und noch weniger darf sie dazu dienen, rechtswidrige Entscheidungen vor gerichtlicher Kontrolle zu schützen und sie der Aufhebung zu entziehenZ7 • § 29: Die Betroffenheit durch den naturschädigenden Eingriff l. Die Ennittlung des Betroffenenkreises als Prüfstein für ein

subjektiv öffentliches Recht auf Naturgenuß

Wie bereits oben dargelegt, ist die Existenz eines subjektiv öffentlichen Rechts keinesfalls davon abhängig, daß sich ein abgegrenzter Kreis von Berechtigten aus der fraglichen Norm zweifelsfrei ergibt28• Vielmehr muß um26

So auch Alexy, Theorie, S. 285; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 163.

DVBI. 1970, 850, 854. Vgl. oben 8. Kapitel.

Z7 Hofmann-Becking, 28

310

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

gekehrt, wenn der subjektive Charakter der Regelung festgestellt wurde, die Frage der Betroffenheit durch interpretatorische Anstrengung beantwortet werden. Sicherlich ist aber eines richtig: die Ermittlung des Kreises der Betroffenen stellt einen ganz entscheidenden Prüfstein dar, an dem sich das vorher gefundene Ergebnis bewähren muß29• So liegt es auch bei § 8 BNatSchG. Der Norm kann ausdrücklich keine Personengruppe entnommen werden, der das subjektiv öffentliche Recht auf ihre Einhaltung zustehen soll3O. In der Tat wird die Schwierigkeit bei der Ermittlung eines abgrenzbaren Betroffenenkreises immer wieder als Haupteinwand gegen ein Grundrecht auf Naturgenuß angeführei. Dabei drohen die Kritiker vor allem mit dem "Schreckgespenst" des Urlaubers, der zwar in großer räumlicher Entfernung vom Eingriffsort lebe, aber allein aus der Tatsache heraus, sich in einem bestimmten Gebiet erholen zu wollen, dann für sich ein Klagerecht ableiten könne, und dies - wegen fehlender Zustellung einer etwaigen Genehmigung - noch Jahre nach dem eigentlichen Eingriff in Natur und Landschafe2• Es soll nun im folgenden versucht werden, Kriterien für die Lösung dieses Problems zu finden, wobei die geschilderten Einwände berücksichtigt werden müssen. II. Die Stimmen im Schrifttum

Naturgemäß finden sich im Schrifttum nur höchst vereinzelt Vorschläge, wie die personale Abgrenzung eines Rechts auf Naturgenuß und Erholung in der freien Natur erfolgen soll. Wer schon die Existenz eines solchen Rechts verneint, braucht sich notwendig nicht mit der Folgefrage der Betroffenheit zu beschäftigen. Einige Autoren messen aber - wie schon erwähnt - auch naturschutzrechtlichen Normen Drittschutz zu und sehen sich deshalb mit dem Problem des Betroffenenkreises konfrontiert. Beckmann, der aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang ableitee3, versucht den ideellen Nachteil einer Beeinträchti29

Dies gibt auch Sailer, BayVBI. 1975,405,408, zu.

So im übrigen sogar Sening, NuR 1979, 9, 10f. 31 Vgl. z. B. Pietzcker, PS für Bachof, S. 131, 148. 32 Besonders prägnant Forster, Diskussionsbeitrag, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 130; vgI. auch Bauer, Diskussionsbeitrag, ebd. 33 Beckmann, Rechtsschutz, S. 184ff. 30

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

311

gung der freien Landschaft mit der Freiheit des einzelnen in eine konkrete Beziehung zu setzen, indem er die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht heranzieht. Das Gericht ist dort in der Tat der Ansicht, daß eine Grünanlage räumlich die Grundstücke iSd. § 127 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BBauG (= § 127 Abs. 2 Nr. 4 2. Alt. BauBG) erschließt, die von ihr nicht weiter als 200 m Luftlinie entfernt liegen34 • Was für den Erschließungsbeitrag, der als Ausgleich für den Vorteil der nahen Grünanlage erhoben werde, recht sei, müsse umgekehrt - so Beckmann - für die Erholungslandschaft billig sein3S • Nun kann man schon daran zweifeln, ob Entscheidungen auf dem Gebiet des Erschließungsbeitragsrechts grundsätzlich Bedeutung für die ganz anders geartete Materie der Betroffenheit des einzelnen durch Maßnahmen, die gegen Naturschutzrecht verstoßen, haben können. Sicherlich wird aber der im Beitragsrecht notwendige, rigide Maßstab der räumlichen Entfernung der Problematik eines Grundrechts auf Naturgenuß nicht gerecht. Man wird den Vorschlag von Beckmann auch eher als Hinweis darauf verstehen müssen, daß es der Rechtsprechung offensichtlich möglich ist, ideelle Betroffenheiten in objektive Maßstäbe umzusetzen. Beckmann bleibt allerdings eine genauere Eingrenzung dieser Kriterien schuldig; er scheint dabei zwar vom "Einzugsbereich des Erholungsgebiets" auszugehen36, konkretisiert diesen durchaus erwägenswerten Ansatz aber nicht weiter. Mit dem Problem der Betroffenheit durch rechtswidrige Eingriffe in Natur und Landschaft setzen sich auch SaUer und Sening auseinander, die - wie erwähnt - aufgrund unterschiedlicher Erwägungen § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht behandeln wollen. Im Gegensatz zu Beckmann wird allerdings von beiden Autoren ein bedeutend flexiblerer Anknüpfungspunkt gewählt. SaUer stellt darauf ab, ob das betroffene Gebiet zum Lebenskreis des Klägers gehöre37• Dabei sei die Bedeutsamkeit des Landschaftsteils entscheidend; je überregionaler er genutzt werde, desto mehr Menschen könnten ihn zu ihrem Lebenskreis rechnen; dies gelte nicht nur für Anlieger, sondern auch für regelmäßige Besucher des Gebiets. Eine damit verwandte Abgrenzung versucht auch Sening; er verlangt zur Bejahung der Betroffenheit eine konkrete, durch die Lebenssituation des Klägers geprägte Bezie34

vgl. z. B. BVelWG DVBI. 1985, 1175, 1176.

3S Beckmann,

Rechtsschutz, S. 190.

36 Beckmann,

Rechtsschutz, S. 190.

37

Sailer, BayVBI. 1975,405,409; ders., DVBI. 1976,521,531; ders., NuR 1987, 207, 213.

312

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

hung ZU der streitgegenständlichen Naturschönheit38 bzw. eine persönliche Bindung an das jeweilige Naturobjekt39• Die Kriterien von SaUer und Sening leiden unter dem entscheidenden Mangel fehlender Griffigkeit. Die Notwendigkeit, daß der Kläger zu der angefochtenen Maßnahme in einer qualifIZierten Beziehung steht, wohnt dem Betroffenheitsmerkmal ganz allgemein inne4O• Die Schwierigkeit besteht ja gerade darin, diese Qualifizierung näher ZU konkretisieren; Eingrenzungen wie Zugehörigkeit zum Lebenskreis oder persönliche Beziehung geben keinerlei materielle Anhaltspunkte, wie diese unbestimmten Begriffe inhaltlich auszugestalten sind. Die Vorschläge von Sening und SaUer sind demnach nicht falsch, aber zu wenig konkret; sie sind weiterentwicklungsfähig, aber auch weiterentwicklungsbedürftig. Abschließend soU noch auf einen beachtenswerten Versuch von Steiger hingewiesen werden, der eine personale Abgrenzung für ein allgemeines Umweltgrundrecht herausarbeitet. Er setzt die natürlichen Lebensgrundlagen in eine funktionale Beziehung zur Existenz des einzelnen Menschen. Dort, wo er auf sie tatsächlich, unabdingbar und notwendig angewiesen sei, begründe diese faktische Bezogenheit auch eine rechtliche41 • Steiger gesteht zwar selbst Schwierigkeiten bei dieser Bestimmung zu, möchte aber den Grenzfällen dadurch beikommen, daß er nur "evidente" Verstöße klagbar stellen und die genaue Abgrenzung der Rechtsprechung überlassen wi1l42• Wenn Steigers Vorschlag auch nicht unmittelbar auf ein Recht auf Naturgenuß übertragen werden kann, ist sein Ansatz auch im vorliegenden Zusammenhang brauchbar: grundlegend muß auch hier eine sachlich-funktional verstandene Bezogenheit des einzelnen zur angefochtenen Maßnahme sein, und wegen der Vielgestaltigkeit der denkbaren Anwendungsfälle muß der Rechtsprechung eine bedeutende Funktion bei der Bestimmung der konkreten Betroffenheit zukommen.

39

38 Sening, BayVBI.

1978,205,206; ders., BayVBI. 1979,492,493; ders., NuR 1980, 102, 108. Sening, BayVBI. 1976, 72, 74; ders., Erholungslandschaft, S. 121.

40

VgI. oben § 22.

Steiger, Mensch, S. 38. 42 Steiger, Mensch, S. 39.

41

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

313

111. Kriterien zur Bestimmung des Betroffenenkreises 1. Vorüberlegung

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Betroffenenkreises ist - wie oben dargestellt - der "Einwirkungsbereich" der angefochtenen Maßnahme43 • Betroffenheit bedeutet insoweit, daß zwischen dem Kläger und dem Vorhaben eine spezifische Beziehung bestehen muß, wobei diese Spezifität - und das ist ganz entscheidend - von dem Grundrechtsgut geprägt wird, das von der als verletzt gerügten Norm des einfachen Rechts geschützt wird. Vorliegend geht es um das Recht auf Naturgenuß, dessen Schutz (auch) durch die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG gewährleistet wird. Die Betroffenheit bestimmt sich also danach, ob und inwieweit die angegriffene Maßnahme auf die Möglichkeit, sich in Natur und Landschaft zu erholen, "einwirkt". Es müssen daher Kriterien festgelegt werden, die diese Einwirkung näher konkretisieren. 2. Die Bedeutung der räumlichen Entfernung a) Bei den "herkömmlichen" Bereichen des Drittschutzes, bei denen es insbesondere um die Schutzgüter "Gesundheit" und "Eigentum" geht, ist die räumliche Nähe des Grundrechtsträgers zur angefochtenen Maßnahme ein ganz entscheidender Faktor. Es scheint daher nahe liegend, dieses Kriterium auch beim Recht auf Naturgenuß fruchtbar zu machen. Dabei übersähe man allerdings einen entscheidenden qualitativen Unterschied zwischen diesem Recht und dem "üblichen" Drittschutz. Durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG beispielsweise sollen Leben, Gesundheit, aber auch Eigentum der Nachbarschaft vor Immissionen von Schadstoffen oder Lärm geschützt werden. Die von der Anlage abgegebenen Emissionen dünnen sich naturgemäß mit zunehmender Entfernung aus, so daß ab einer bestimmten, von Fall zu Fall differierenden Distanz eine Einwirkung auf die Grundrechtsgüter und daher eine Betroffenheit nicht mehr vorliegt. Ganz ähnlich auch im Baurecht: Zwar gehen von einem sich nicht in die Umgebung einfügenden Bauwerk keine wägbaren Emissionen aus, trotzdem wirkt auch hier das Vorhaben auf seine Umgebung ein und beeinträchtigt durch seine räumliche 43

Vgl. oben § 22 III.

314

3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

Nähe das Eigentum der Nachbarschaft. Auch hier schwächt sich diese Wirkung mit zunehmender Entfernung ab, bis sie schließlich überhaupt nicht mehr spürbar ist. b) Im Gegensatz dazu existiert beim Recht auf Naturgenuß kein Automatismus zwischen räumlicher Distanz und Betroffenheit. Von einem naturschädigenden Eingriff gehen keine wägbaren oder unwägbaren Emissionen aus, die sich "naturgemäß" mit wachsender Entfernung immer mehr ausdünnen; vielmehr muß für den Betroffenenkreis zweierlei bestimmend sein: die Bedeutung des Gebiets, in dem der Eingriff vorgenommen wird, für die Erholung und die Nutzung dieses Gebiets durch den Anfechtenden zu Erholungszwecken. 3. Konkretisierung der Kriterien Was die Bedeutung des Gebiets für die Erholung betrifft, kann und muß diese allerdings wieder mit einem räumlichen Faktor korreliert werden44 • Je wichtiger die durch den Eingriff in Mitleidenschaft gezogene Natur für die Erholung ist, desto weiter reicht auch ihr Einzugsbereich, also der Umkreis, innerhalb dessen die Menschen leben, die das Gebiet gewöhnlich zur Erholung nutzen. Die Schwierigkeit besteht natürlich in erster Linie wieder darin, diesen Einzugsbereich näher zu bestimmen; jedoch stehen dem Richter, dem diese Funktion übertragen ist, durchaus Hilfen rechtlicher Natur zur Verfügung. Da ist zum einen die Landschaftsplanung, zu deren Aufgabe es gehört, die bestehenden natürlichen Funktionen von Flächen zu beschreiben und zu bewerten. Das beinhaltet notwendig auch die Festlegung, welche Bedeutung bestimmten Gebieten auch für die Erholung zukommt. Interessant ist auch ein Blick in das Landesentwicklungsprogramm Bayern, in dem teilweise ganz konkret Naherholungsgebiete mit Siedlungsschwerpunkten verbunden werden4s• Natürlich können diese Gesichtspunkte nur einen Anhalt bei der Einzelfallentscheidung über die Betroffenheit geben, trotzdem muß die 44 Anders _ allerdings für Art. 141 Abs. 3 BV - SChöfberger, Naturgenuß, S. 133f, der auf eine räumliche Begrenzung völlig venichten will. 4S Vgl. LEP Bayern, Teil B, VII., S. 82ff mit Karte 52 (= räumliche Bestimmung von Naherholungsgebieten um Verdichtungsräume), bzw. die in Teil C konkret genannten regionalen Beispiele, S. 131, 144, 156, 168, 180, 192, 203f, 216, 227, 239f, 252, 266, 279, 293, 305, 318, 330, 343.

10. Kapitel: § 8 BNatSchG als subjektiv öffentliches Recht

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Rechtsanwendung hinsichtlich des räumlichen Kriteriums offensichtlich nicht in einem völlig rechtsfreien Raum operieren. Der von der Bedeutung des Raums für die Erholung abhängige Einzugsbereich ist allerdings nur ein Indiz für die Betroffenheit der in diesem Gebiet lebenden Menschen. Anders als beispielsweise bei der Emission von Schadstoffen, bringt die Zugehörigkeit zur räumlichen Nachbarschaft keine zwangsläufige Beeinträchtigung des Rechts auf Naturgenuß mit sich. Hinzu kommen muß, daß der Kläger das betreffende Gebiet auch tatsächlich zu Erholungszwecken nutzt. Insoweit kommt dem Kriterium der Entfernung jedoch die Funktion zu, eine Vennutung dahingehend auszulösen, daß der innerhalb des Einzugsbereichs lebende Kläger sich in dem Gebiet auch erholt. Dies gilt sicherlich für die Beziehung zwischen Naherholungsgebiet und zugehörigem Siedlungsschwerpunkt. Je überregional bedeutender eine Fläche aber ist und in je größerer Entfernung vom Eingriffsort der Kläger lebt, desto höher werden die Anforderungen an die Substantiierungslast sein, die an den Kläger hinsichtlich seiner tatsächlichen Erholungsnutzung gestellt werden. Legt man diese Überlegung zugrunde, verliert auch das Beispiel des Urlaubers viel von seinem Schrecken. Die Abwegigkeit der Vorstellung einer "popularklageähnlichen" Klagebefugnis für einen weit von der angefochtenen Maßnahme entfernt Wohnenden entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Folge einer einseitigen Fixierung auf herkömmliche Drittschutzbereiche, in denen nur der räumliche Faktor über die Betroffenheit entscheidet. Auch der Kurgast kann im Einzelfall seine spezielle Beziehung zu der angefochtenen Maßnahme aus besonderen Umständen herleiten, die er allerdings näher substantiieren muß; auch sein Recht auf Naturgenuß kann durch einen naturschädigenden Eingriff innerhalb seines bevorzugten Erholungsgebiets beeinträchtigt werden46• Was bleibt, ist die bereits oben angesprochene Problematik47 der Rechtsunsicherheit, die sich daraus ergibt, daß räumlich weit entfernt Wohnende keine Kenntnis von der Maßnahme erlangen und ihnen gegenüber keine Rechtsmittelfristen zu laufen beginnen48• Allerdings wird diese Schwierigkeit 46 So auch Sailer, Diskussionsbeitrag, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 131. 47 Vgl. oben § 24. 48 Bedenken z. B. bei Forster, Diskussionsbeitrag, in: Wahrnehmung von Naturschutzinteressen in gerichtlichen Verfahren, S. 131. Aus der Rspr. BayVGH BayVBI. 1975,419,420.

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3. Abschnitt: Drittschutz im Naturschutzrecht

kaum praktisch werden. Der Gesetzgeber geht selbst von einer Frist von einem Jahr nach Bekanntgabe als einer aus Rechtssicherheitsgründen hinnehmbaren Zeitspanne aus. Das Bundesverwaltungsgericht - und insoweit wird man ihm zustimmen müssen - setzt die Kenntnisnahme oder das Kennenmüssen der Bekanntgabe gleich49• Der Urlauber, der erst Jahre nach dem Eingriff diesen wahrnimmt, wird kaum eine besondere Beziehung zu dem betreffenden Raum hinreichend einleuchtend behaupten können. Nur wer sich häufiger in dem Gebiet zu Erholungszwecken aufhält, kann überhaupt zu dem funktional bestimmten Betroffenenkreis zählen. Daraus folgt, daß man relativ bald nach Beginn des Vorhabens auch vom Beginn des Laufs der Rechtsmittelfristen ausgehen kannso. W. Zusammenfassung

Auch bei § 8 BNatSchG und dem dadurch geschützten Recht auf Naturgenuß kann ein sich von der Allgemeinheit abhebender Personenkreis ermittelt werden. Betroffen ist, wer durch den Eingriff in seinem Recht auf Naturgenuß in besonderer Weise eingeschränkt wird. Dabei kann die räumliche Entfernung des Wohnorts vom Eingriffsort nicht allein ausschlaggebend sein. Ansatzpunkte sind die Bedeutung des Raums für die Erholungsnutzung, also das Einzugsgebiet, und die tatsächliche Nutzung durch den Kläger. In grober Näherung kann man davon ausgehen, daß die Substantiierungslast des Klägers mit zunehmender Entfernung vom Eingriffsort in dieser Beziehung immer größer wird. Die Frage der Betroffenheit ist allerdings immer stark von den Umständen des Einzelfalls geprägt, insoweit kommt der Rechtsprechung eine ganz entscheidende Rolle zu.

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gen.

BVerwGE 44, 294, 298ff, und die weiteren im 8. Kapitel FN 69 genannten Entscheidun-

so Vgl. dazu auch VG München BayVBI. 1975,421,424.

Zusammenfassung in Thesenform

Zu § 1 [So 15ff]

Die Zerstörung von Natur und Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland hält weiter an. Dafür sind sowohl DefIZite und Mängel im Bereich des geltenden Naturschutzrechts als auch der häufig unzureichende Vollzug der bestehenden Vorschriften verantwortlich. Hauptursache für das Vollzugsdeflzit ist wenigstens im Bereich des Naturschutzrechts das weitgehende Fehlen von Rechtsschutzgewährung. Neben der rechtspolitischen Diskussion um die Möglichkeiten einer erweiterten lustiziabilität von naturschutzrechtlichen Regelungen insbesondere durch Einführung der Verbandsklage sollte auch auf diesem Feld die Funktion der Individualklage nicht unterschätzt werden. Bedenken gegen einen ausufernden Rechtsschutz müssen hier zurücktreten. Zu § 2 [So 26ff]

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Fragestellung, inwieweit der Verstoß gegen § 8 BNatSchG, die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, bei der Erteilung einer staatlichen Kontrollerlaubnis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Erfolg vom Bürger gerügt werden kann. Dabei muß zunächst ein allgemeines System des Drittschutzes konzipiert werden, das dann auf das Naturschutzrecht angewendet werden soll. Zu § 3 [So 35ff]

Die Geschichte des Drittschutzes beginnt in Deutschland mit der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Drittschutzproblematik wurde allerdings nicht als eigenständiges Problem angesehen, sondern allgemein bei der Frage des subjektiv öffentlichen Rechts eingeordnet. Vor allem Jellinek und Bühler entwickelten

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Zusammenfassung in Thesenform

um die Jahrhundertwende eine einheitliche Konzeption des subjektiv öffentlichen Rechts, die im Grundsatz auch heute noch Gültigkeit besitzt. Zu § 4 [So 42ff] Nach herrschender Ansicht ist die Schutznormtheorie das entscheidende Instrument zur Lösung des Drittschutzproblems. Danach liegt eine Verletzung eigener Rechte des Klägers dann vor, wenn Normen nicht beachtet werden, die nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz der Interessen des Nachbarn zu dienen bestimmt sind, wobei die Abgrenzbarkeit des geschützten Interesses und des Betroffenenkreises ein wichtiges Kriterium darstellen soll. Auf dieser Grundlage entwickelte das Bundesverwaltungsgericht eine umfängliche Kasuistik. Welche Vorschriften im einzelnen Schutznormcharakter aufweisen, ist in Literatur und Rechtsprechung allerdings stark umstritten. Dem Naturschutzrecht wird allgemein eine nachbarschützende Wirkung abgesprochen. Um grobe Unbilligkeiten zu vermeiden, wurden vom Bundesverwaltungsgericht auch andere Instrumente zur Begründung von Drittschutz eingesetzt. So zieht es mitunter auch Grundrechte heran. Bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen sollen Art. 14 und Art. 2 Abs. 2, nicht aber Art. 2 Abs. 1 GG Drittschutz vermitteln können. Vor allem im Baurecht, zunehmend aber auch auf anderen Gebieten wird vom Bundesverwaltungsgericht Nachbarschutz auch mit Hilfe des Gebots der Rücksichtnahme begründet. Zu § 5 [So 5lff] Im Schrifttum gab und gibt es Kritik an der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts und der herrschenden Ansicht. Der Schutznormtheorie wird vor allem vorgeworfen, daß sie verfassungsrechtlich bedenklich sei und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führe. Die in der Literatur vorgeschlagenen Alternativkonzeptionen vermögen jedoch bei näherer Betrachtung nicht zu überzeugen. Zu § 6 [So 63ff] Entscheidend für die Lösung des Drittschutzproblems sind die Grundrechte. Dabei muß zwischen ihrer Abwehr- und ihrer Schutzfunktion unterschieden werden.

Zusammenfassung in Thesenform

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Zu § 7 [So 68ff]

Die Grundrechte bilden als Abwehrrechte mit Art. 2 Abs. 1 GG als Schlußstein ein geschlossenes System, das jegliche denkbare Freiheitsbetätigung umfaßt. Dieser allgemeinen Handlungsfreiheit entspricht auch eine allgemeine Eingriffsfreiheit. Soweit daher die Grundrechte vom Bürger in ihrer Funktion als Abwehrrechte eingesetzt werden können, vermitteln sie ein subjektiv öffentliches Recht auf objektive Gesetzmäßigkeit der staatlichen Freiheitsbeschränkung, also ein Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem dem Grundgesetz zugrundeliegenden Prinzip von zunächst unbeschränkt gedachter Freiheit des einzelnen und beschränkter Kompetenz des Staates. Zu § 8 [So 75ff]

Weder die Theorie der "faktischen Beeinträchtigung" noch die herkömmliche "Adressatentheorie" vermögen den Personenkreis hinreichend zu beschreiben, dem das Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Beeinträchtigungen zusteht. Ausgangspunkt für die richtige Abgrenzung ist die Verortung dieses Rechts bei der Abwehrdimension der Grundrechte. Da sich Grundrechte nur gegen den Staat richten, kann nur derjenige, der sich gegen unmittelbar staatliche Belastungen zur Wehr setzt, ein subjektives Recht auf objektive Gesetzmäßigkeit ins Feld führen. Geht die Freiheitsbeeinträchtigung hingegen von einem Privaten aus, ist sie also Ausfluß grundrechtlicher Freiheit, können die Grundrechte nicht als Abwehrrechte eingesetzt werden; daher existiert gegen solche Belastungen auch kein Recht auf Gesetzmäßigkeit. Zu § 9 [So 83ff]

Alle Versuche, diese grundsätzliche Abgrenzung in Frage zu stellen und privatverursachte Beeinträchtigungen weitgehend dem Staat zuzurechnen, sind nicht überzeugend. Die Erteilung einer - auch rechtswidrigen - staatlichen Kontrollerlaubnis im Einzelfall durch die Exekutive oder die Bereitstellung von Rechtsnormen insbesondere des Instruments des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt - durch den Gesetzgeber ändern nichts dar an, daß die Beeinträchtigungen, gegen die sich der Bürger zur Wehr setzt, von Privaten ausgehen und auf ihrer, im

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Ansatz unbegrenzten, grundrechtlichen Freiheit und nicht auf staatlicher Zuteilung beruhen. Ebensowenig kann eine Verantwortungsübernahme des Staates über das den Bürgern auferlegte Selbsthilfeverbot konstruiert werden. Schon der dogmatische Ansatz dieser Auffassung ist fragwürdig; überdies entstehen bei konsequenter Anwendung neue Ungereimtheiten, die sich nicht oder nur mit erheblichem Begründungsaufwand beseitigen lassen. Zu § 10 [So 98ft] Neben der Abwehrdimension enthalten die Grundrechte weitere Funktionen, die auch für den Drittschutz von Bedeutung sind. Die in der Literatur teilweise diagnostizierte Notwendigkeit eines "Wandels" im Sinne einer völligen Umwertung der Grundrechte ist allerdings nicht vonnöten. Insbesondere sind die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung und die Auffassung abzulehnen, die allen Grundrechten ein institutionelles Element beilegen will. Vielmehr kann auf einen verschütteten Bedeutungsgehalt der Grundrechte zurückgegriffen werden, der die Pflicht des Gemeinwesens begründet, die in den Grundrechten enthaltene Freiheitsordnung auch vor Angriffen von dritter Seite zu schützen. Zu § 11 [So lO8t] Schon relativ früh lassen sich Ansätze im Schrifttum entdecken, den Grundrechten auch eine Pflicht zum Schutz der durch diese gewährleisteten Güter und Freiheitsbereiche zu entnehmen. Zu § 12 [So 109ft] Auch das Bundesverfassungsgericht bekennt sich unter fast durchgängiger Zustimmung in der Literatur in einer Reihe von Entscheidungen zu einer grundrechtlichen Schutzpflicht. Allerdings fehlt in den entsprechenden Äußerungen eine dogmatisch saubere und ausführliche Herleitung dieser Grundrechtsfunktion. Das Gericht stellt vor allem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in den Vordergrund, hält aber bei genauerer Betrachtung der einschlägigen Entscheidungen die Schutzpflicht anscheinend für einen den Grundrechten allgemein innewohnenden Bedeutungsgehalt. Nach Ansicht des Gerichts muß die grundrechtliche Schutzpflicht auch mit der Drittschutzproblematik in Verbindung gebracht werden.

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Zu § 13 [So 117f]

Der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht wird in Rechtsprechung und Schrifttum uneinheitlich gebraucht. Nach richtiger Ansicht werden davon alle staatlichen Maßnahmen erfaßt, die dazu dienen, Grundrechtsgüter und Freiheitsbereiche der Bürger vor Beeinträchtigungen von privater Seite zu bewahren. Zu § 14 [So 119ff]

Eine am herkömmlichen Interpretationskanon orientierte Auslegung der Grundrechte ergibt, daß die Schutzpflicht eine allgemeine Grundrechtsfunktion darstellt. Aus dem Wortsinn läßt sich keine eindeutige Antwort gewinnen, wobei einige Indizien schon für eine grundrechtliche Schutzpflicht sprechen. Jedenfalls aber deckt der Textbefund noch eine entsprechende Auslegung. Die gerade bei den Grundrechten wichtige Betrachtung der Ideengeschichte bietet zunächst ein zwiespältiges Bild. Während die naturrechtliche Herkunft der Grundrechte und deren Verständnis in den amerikanischen und französischen Rechteerklärungen darauf hindeuten, daß die Grundrechte neben der Achtungs- auch eine Schutzverpflichtung des Staates enthalten, gerät diese Seite in der staatsrechtlichen Entwicklung in Deutschland während des 19. Jahrhunderts bis zur Weimarer Zeit immer mehr in Vergessenheit. Grundrechte werden schließlich nur noch als Abwehrrechte verstanden. Die Väter des Grundgesetzes sahen die Grundrechte jedoch als vorstaatliche, natürliche Rechte an und betonten damit ihre ursprüngliche, naturrechtliche Abkunft. Sie sollten nicht nur eine staatsfreie Sphäre, sondern materielle Freiheitsbereiche gewährleisten. Die Entstehungsgeschichte der Bonner Grundrechte indiziert also eine allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht. Auch die systematische Interpretation unterstützt dieses Ergebnis. Ansatzpunkte sind hier die Differenziertheit des grundrechtlichen Themenkatalogs und die den Grundrechten beigegebenen Gesetzesvorbehalte. Die teleologische Auslegung entscheidet schließlich zugunsten der Verortung einer allgemeinen Schutzpflicht in den Grundrechten. Vor allem die Garantie der Menschenwürde als tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung determiniert auch die Interpretation der Einzelgrundrechte. Vor

Dimberger 21

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diesem Hintergrund kann sich deren Bedeutungsgehalt keinesfalls auf die bloße Abwesenheit von staatlicher Gewalt beschränken, sondern muß den Schutz materieller Freiheit mitumfassen. Dies gilt grundsätzlich für alle Grundrechte in gleicher Weise und auch für den Schutz juristischer Personen, deren Bildung und Existenz nur wegen der Freiheit der hinter ihnen stehenden Einzelpersonen garantiert sind. In eine ähnliche Richtung geht die Überlegung, daß das Grundgesetz eine Grundentscheidung für den Schutz materieller Freiheit getroffen hat, die allein durch die Abwehrfunktion der Grundrechte nicht gewährleistet werden könnte. Zu § 15 [So 154ff] Die gegen die Allgemeinheit der Schutzpflichtfunktion vorgebrachten Einwände überzeugen nicht. Insbesondere stellt die Schutzpflicht keine zusätzliche Legitimation für staatliche Grundrechtseingriffe dar. Ebensowenig sind die Grundrechte von ihrer Intention her auf eine zweipolige Sichtweise reduziert; vielmehr liegen staatlichen Maßnahmen ganz überwiegend mehrpolige Verhältnisse zugrunde. Daraus folgt, daß grundsätzlich alle Grundrechte auch eine Schutzpflicht beinhalten. Eine Ausnahme gilt nur für Grundrechte, deren Gewährleistungsbereich denknotwendig nur vom Staat bedroht werden kann, wie z. B. bei den justiziellen Grundrechten. Demgegenüber existiert trotz dessen Normgeprägtheit eine Schutzpflicht bezüglich Art. 14 GG und unter bestimmten Voraussetzungen auch bezüglich Art. 2 Abs. 1 GG. Zu § 16 [So 163ff] Die Schutzfunktion der Grundrechte unterscheidet sich in mehrfacher Weise von der Abwehrfunktion. Ihr entspricht kein Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen. Die Schutzpflicht richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber. Er hat die Aufgabe, die Grundrechtskollisionen, die dadurch entstehen, daß sich die zunächst unpräformierten Freiheitssphären überschneiden, einem harmonischen Ausgleich zuzuführen, also Trennlinien zwischen den Grundrechtsbereichen der Bürger zu ziehen. Daneben sind aber auch Exekutive und Legislative Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht. Sie spielt dabei eine Rolle, wie eine Norm des einfachen Rechts angewendet wird, aber auch ob der einzelne ihre Anwendung verlangen kann.

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Dieser letzten Funktion steht nicht entgegen, daß die grundrechtliche Schutzpflicht primär objektiv-rechtlich verstanden werden müßte, so wie dies weitgehend das Bundesverfassungsgericht und große Teile der Literatur tun. Diese Einordnung rührt daher, daß bei der Erfüllung der Schutzpflicht häufig der Gesetzgeber gefordert und ihm vom Bundesverfassungsgericht bei seiner Tätigkeit ein Abwägungs- und Prognosespielraum eingeräumt ist, der nur beschränkt überprüft werden kann. Eingeschränkte Justiziabilität ist damit kein Spezifikum der Schutzpflicht. Vielmehr korrespondiert auch der Schutzpflicht durchweg ein subjektiv öffentliches Recht. Achtungs- und Schutzpflicht beruhen gleichermaßen auf einer einheitlichen grundrechtlichen Wertentscheidung. Nur durch möglichst weitgehende Subjektivierung kann man dem Sinn der Grundrechte als individueller Rechte gerecht werden. Zu § 17 [So 180ff]

Der grundrechtlichen Schutzpflicht kommt die entscheidende Funktion bei der Beantwortung der Frage zu, wann eine Norm einfachen Rechts drittschützend ist. Gesetzgeberische Kollisionslösungen bezüglich sich überschneidender Freiheitsbereiche haben individualschützenden Charakter. Dabei ist nicht der Wille des Gesetzgebers entscheidend, sondern ob die Norm objektiv betrachtet auf der grundrechtlichen Schutzpflicht beruht, ob also bei Hinwegdenken der Regelung der grundrechtsschützende Effekt ganz oder teilweise entfiele. Der drittschützende Charakter der Norm bleibt auch dann erhalten, wenn sie mehr an Schutz enthält, als die Verfassung gebietet. Schutzpflicht und Norm bilden eine Einheit. Der Drittschutz geht nicht "durch die Norm hindurch". Ein anderweitiger gesetzgeberischer Wille kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der grundrechtliche Mindeststandard gewahrt bleibt und der Gesetzgeber eindeutig zu erkennen gibt, daß die Vorschrift dem Schutz von Allgemeinbelangen und nicht von Grundrechtsgütern dienen soll. Objektiv grundrechtsschützende Normen enthalten daher eine "Vermutung" für den Drittschutz. Zu § 18 [So 198ff]

Vor diesem Hintergrund wird die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum grundrechtlichen Drittschutz und zum Nachbarschutz mit Hilfe des Rücksichtnahmegebots obsolet. Schon die verfassungskonform aus-

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gelegten Normen des einfachen Rechts haben in den vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Fällen jeweils drittschützenden Charakter. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, Art. 2 Abs. 1 GG könne keinen Drittschutz vermitteln, muß ebenfalls relativiert werden. Soweit aus Art. 2 Abs. 1 GG in bestimmter Weise neue, verfestigte, den Spezialgrundrechten entsprechende Freiheiten entwickelt werden können, erhalten Regelungen, die diesen neuen Schutzgütern zugute kommen, subjektiv rechtlichen Charakter. Zu § 19 [So 205ff]

Der Staat nimmt in vielfältiger Form und mit unterschiedlicher Intensität Einfluß auf private Tätigkeiten. Dies reicht von finanzieller, sachlicher oder personeller Unterstützung privater Vorhaben bis zur Teilnahme verselbständigter juristischer Personen des Privatrechts in öffentlicher Hand am Wirtschaftsleben. Aus diesem Grund ist eine Abgrenzung, wann bei staatlicher Beteiligung an der privatvermittelten Beeinträchtigung des Dritten die Schutz- oder die Abwehrdimension der Grundrechte angesprochen ist, schwierig und am konkreten Fall zu beurteilen. Bei der Erteilung von staatlichen Kontrollerlaubnissen ist ausschlaggebend, ob die Tätigkeit des Genehmigungsadressaten auf seiner grundrechtlichen Freiheit beruht, ob er also Grundrechtsträger gegenüber der Genehmigungsbehörde ist, bzw. ob die angestrebte Betätigung überhaupt als Ausfluß grundrechtlicher Freiheit angesehen werden kann, anders ausgedrückt, ob nur ein zweipoliges Verhältnis (Bürger - Staat) oder ein mehrpoliges Verhältnis (Behörde - Genehmigungsadressat - betroffene Dritte) vorliegt. Zu § 20 [So 213ff]

Der Bürger kann in weit größerem Umfang, als es die h. M. zulassen will, seine Grundrechte als Abwehrrechte einsetzen. Dies gilt zunächst gegenüber gemeinnützigen Planfeststellungen wie der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung nach § 17 BFStrG. Hier sind lediglich formal drei Parteien am Genehmigungsverfahren beteiligt. Materiell richtet sich der Planfeststellungsbeschluß in seinen Rechtswirkungen nach außen nur an die durch die Maßnahme betroffenen Bürger.

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Soweit juristische Personen - beispielsweise Energieversorgungsunternehmen - Genehmigungsadressaten sind, fehlt ihnen die Grundrechtssubjektivität nicht nur dann, wenn sie sich zu 100 % in staatlicher Hand befinden, sondern auch wenn sie vom Staat beherrscht werden. Gegenüber Beeinträchtigungen, die von solchen Unternehmen ausgehen, wirken die Grundrechte damit als Abwehrrechte. Das gleiche gilt ganz allgemein bei Genehmigungen nach § 7 AtomG, ohne daß es auf die Grundrechtsträgerschaft des Genehmigungsadressaten ankäme. Dabei führt die faktische Interesseneinheit von Betreibern und Genehmigungsbehörde für sich genommen noch nicht zu einer Relativierung des Grundrechtsschutzes. Der Staat hat jedoch den Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie insgesamt an sich gezogen; Betätigungen auf diesem Gebiet sind daher nicht Ausfluß grundrechtlicher Freiheit, sondern staatlich konzessioniert. Anders liegt die Situation bei Genehmigungen nach § 5 BlmSchG. Sie äußern zwar auch - nicht privatvermittelt, sondern unmittelbar - nachteilige Wirkungen für Dritte, vgl. vor allem über § 14 BlmSchG. Es liegt aber trotzdem ein dreipoliges Verhältnis vor. Der Bürger wehrt sich nicht gegen die staatliche Beeinträchtigung, sondern gegen die privatverursachte Belastung; es geht um Schutz, nicht um Abwehr. Zu § 21 [So 237ff] Es existieren zwei Legitimationslinien zur Einschränkung der Individualklagemöglichkeit. Zum einen sollen, um eine Popularklage zu verhindern, nur die von der staatlichen Maßnahme tatsächlich betroffenen Bürger eine Anfechtungsbefugnis besitzen; zum anderen sind die Grundrechte des Genehmigungsadressaten zu berücksichtigen. Dieser zweifachen Legitimation entspricht eine unterschiedliche Anknüpfung für die Einschränkung der Klagebefugnis: im ersten Fall geht es um das faktische Betroffensein, also um die Abgrenzung der Popular- von der Interessentenklage; im zweiten Fall geht es um das Problem des subjektiv öffentlichen Rechts, also um die Abgrenzung der Interessenten- von der Verletztenklage. Zu § 22 [S.240ff] Bei mehrpoligen Konstellationen ist der Betroffenenkreis der jeweils als verletzt gerügten, drittschützenden Norm zu entnehmen. Dabei ist es nicht

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notwendig, daß die Vorschrift selbst ausdrücklich einen bestimmbaren Personenkreis enthält; vielmehr muß nach Feststellung ihres subjektiven Charakters durch interpretatorische Anstrengung der Norm die Entscheidung über die Betroffeneneigenschaft abgewonnen werden. Die Abgrenzbarkeit des Personenkreises durch die Norm ist also nicht Voraussetzung für ihre subjektive Qualität; auf die Anzahl der Betroffenen kommt es nicht an. Entscheidend ist, ob sich der Kläger - räumlich/sachlich/zeitlich - im Hinblick auf die Grundrechtsgüter, die durch die als verletzt gerügte Norm geschützt werden sollen, im "Einwirkungsbereich" des angefochtenen Vorhabens befmdet. Eine konkrete Abgrenzung ist nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls möglich. Zu § 23 [So 248ff]

Beim Recht auf Freiheit von gesetzwidrigen Beeinträchtigungen steht die faktische Betroffenheit im Vordergrund. Zur Abgrenzung von der Popularklage ist es notwendig, daß der Kläger in einer qualifizierten Beziehung zum Streitgegenstand steht. Ausschlaggebend ist also, ob sich der Anfechtende durch ein bestimmtes Merkmal, auf das die Maßnahme gerade spürbare Wirkungen ausübt, von der Allgemeinheit abhebt. Bei allgemeiner und gleichförmiger Betroffenheit genügt es allerdings, daß diese spürbaren Auswirkungen ein spezielles Grundrechtsgut oder einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich tangieren. Die Ermittlung dieser qualifizierten Beziehung im konkreten Fall ist in erster Linie eine Aufgabe der Rechtsprechung, die vor allem durch Bildung von Fallgruppen auch im Hinblick auf Gesichtspunkte der Rechtssicherheit bewältigt werden kann. Beispiele hierfür bieten die Abgrenzungen mit Hilfe des "interet pour agir" beim "recours pour exces de pouvoir" im französischen Verwaltungsrecht und mit Hilfe des Selbstbetroffenseins bei der Verfassungsbeschwerde. Zu § 24 [So 255ff]

Gegenüber der Konzeption eines relativ weit gezogenen Kreises von Anfechtungsberechtigten kann nicht eingewendet werden, daß sich die Bestandskraft von Genehmigungen nicht immer eindeutig feststellen ließe, weil häufig mangels Zustellung keine Rechtsmittelfristen für Drittbetroffene zu

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laufen begännen. Auf vielen wichtigen Gebieten stellt sich dieses Problem wegen der Existenz von Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung von Verwaltungsentscheidungen nicht. Im übrigen kann der Einsatz des Instruments der Verwirkung unbillige Härten vermeiden. Zu § 25 [So 260ff] Soweit die Grundrechte als Abwehrrechte eingesetzt werden können, wird das gesamte objektive Recht und damit auch § 8 BNatSchG versubjektiviert. Gegenüber Beeinträchtigungen, die privatverursacht sind, muß nach einer spezialgrundrechtlichen Anknüpfung gesucht werden. Eine solche Anknüpfung muß von einem dem Individuum zugeordneten Rechtsgut ausgehen; in Frage käme ein Recht auf Naturgenuß und Erholung. Ein allgemeines Umweltgrundrecht, das auch den Naturschutz umfassen würde, kann dem Grundgesetz de constitutione lata nicht entnommen werden. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit umfaßt in erster Linie die Gesundheit in einem biologisch-physiologischen Sinn, darüber hinaus aber auch solche nichtkörperlichen Ein- und Auswirkungen, die das psychische Empfinden eines Menschen in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerz entspricht. Die Definition der WHO ist der Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aber nicht zugrunde zu legen. Der so bestimmte Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit kann daher nur Extremfälle eines Rechts auf Naturgenuß erfassen. Zu § 26 [So 270ff] Auch aus Art. 2 Abs. 1 GG können neue Spezialgrundrechte entwickelt werden, denen eine Schutzpflicht entspricht. Sie können die einfachgesetzlichen Normen, die die entsprechenden Freiheitsbereiche schützen, zu subjektiv öffentlichen Normen transformieren. Für ihre Herleitung ausschlaggebend ist, daß diese neuen Grundrechte einen wichtigen Bereich individueller Lebensgestaltung betreffen, der neuartigen Bedrohungen oder Beeinträchtigungen in einem Maß ausgesetzt ist, das grundrechtlichen Schutz notwendig macht. Das Vorliegen einer solchen Situation hängt vor allem von den gesellschaftlichen Überzeugungen ab, die

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über Art. 2 Abs. 1 GG in die Verfassung aufgenommen werden können. Rechtliche Anhaltspunkte sind dabei die "Vergrundrechtlichung" des entsprechenden Lebensbereichs in anderen Verfassungen, die Einfügung neuer Kompetenzbestimmungen in das Grundgesetz oder auch die Einräumung von Individualpositionen durch den einfachen Gesetzgeber. Daneben muß sich das neue Freiheitsrecht in einem inhaltlichen Näheverhältnis zu bereits bestehenden grundrechtlichen Gewährleistungen befinden. Von besonderer Bedeutung ist dabei der vertikale Bezug zur Menschenwürdegarantie. Aber auch die horizontale Nähe zu anderen Grundrechten kann in unterschiedlicher Form zur Herausarbeitung von neuen Spezialfreiheiten beitragen. Zuständig zur Entwicklung neuer Nominatfreiheiten ist zunächst das Bundesverfassungsgericht als letztentscheidende Instanz der Grundrechtsinterpretation. Da sich eine solche Auslegung als Prozeß im Spannungsfeld von gesellschaftlicher Dynamik und statischer Verfassung vollzieht, sind auch andere Akteure des Verfassungslebens mitbeteiligt, insbesondere der einfache Gesetzgeber, aber auch der einzelne Bürger und nicht zuletzt die Rechtswissenschaft. Zu § 27 [So 291ft] Aufgrund dieser Kriterien läßt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Naturgenuß und Erholung ableiten. Die Möglichkeit, sich in Natur und Landschaft zu erholen, stellt einen zentralen Bestandteil individueller Lebensgestaltung dar, der durch den immer mehr zunehmenden Landschaftsverbrauch und die vielfältigen Belastungen der Natur hochgradig gefährdet ist. Rechtliche Indizien für diese Gefährdungssituation stellen vor allem die Verrechtlichung der Erholungsinteressen im Bundesnaturschutzgesetz und Art. 141 Abs. 3 BV dar. Als Bedürfnis, das den Menschen als ganzheitliches Wesen erfaßt, steht die Erholung in Natur und Landschaft in einem engen Verhältnis zur Menschenwürde, über die Art. 2 Abs. 1 GG zu einem Schutzinstrument für die geistig-seelische Befindlichkeit und die Persönlichkeit des Menschen wird. Materielle Anreicherungen gewinnt das Recht auf Naturgenuß vor allem durch seine Nähe zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG; jedoch auch Art. 5 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 GG stehen mit diesem Recht in Verbindung.

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Zu § 28 [So 303ff]

Über das Grundrecht auf Naturgenuß erhält § 8 BNatSchG subjektiven Charakter. Obwohl die Vorschrift über den grundrechtlich geforderten Mindeststandard hinausgeht, ist sie in vollem Umfang drittschützend. Der Einwand, eine solche Sichtweise würde die Grundrechte der Vorhabensträger, insbesondere Art. 14 GG, unzulässig einschränken, geht fehl, da nur rechtswidrige Entscheidungen erfolgreich angegriffen werden können. Der Kläger muß sich auch nicht auf anderweitige Erholungsmöglichkeiten verweisen lassen. Dieser Punkt mag bei der Frage der materiellen Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in Natur und Landschaft, vor allem bei der Abwägong nach § 8 Abs. 3 BNatSchG Bedeutung gewinnen, sobald der Eingriff aber gegen § 8 BNatSchG verstößt, verletzt er auch das Grundrecht auf Naturgenuß. Zu § 29 [So 309ff]

Die Frage der Betroffenheit durch den naturschädigenden Eingriff kann nur unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden; insoweit kommt der Rechtsprechung eine erhebliche Aufgabe zu. Die räumliche Entfernung des Wohnorts vom Eingriffsort allein kann nicht entscheidend sein. Ein wichtiges Kriterium ist jedoch die Bedeutung des betroffenen Raums für die Erholungsnutzung, also sein Einzugsgebiet; hierfür lassen sich auch rechtliche Konkretisierungen finden, z. B. in den Landschaftsplänen. Ein anderes Kriterium ist die tatsächliche Nutzung des Raums zur Erholung durch den Kläger.

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