Raumordnung und Landesplanung in Deutschland [1 ed.] 9783428478002, 9783428078004

VorwortMehr als ein halbes Jahrhundert nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur hat die in der DDR verbliebe

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Raumordnung und Landesplanung in Deutschland [1 ed.]
 9783428478002, 9783428078004

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Raumordnung und Landesplanung in Deutschland

SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 40

Raumordnung und Landesplanung in Deutschland

Herausgegeben von

Karl Eckart und Isolde Roch

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Raumordnung und Landesplanung in Deutschland / hrsg. von Karl Eckart und Isolde Roch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 40) ISBN 3-428-07800-4 NE: Eckart, Karl [Hrsg.]; Gesellschaft für Deutschlandforschung: Schriftenreihe der Gesellschaft ...

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Werks atz Marschall, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-07800-4

INHALT

Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karl Eckart Einführung in die Thematik des dritten Symposiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ralph Baumheier Neuorientierung der Bundesraumordnung nach der deutschen Vereinigung. . . ..

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Eleonore Irmen/Manfred Sinz Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern . . . . . ..

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Bernd Bodo Beyer Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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!solde Roch Aktuelle Probleme der Landesentwicklung in Sachsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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Klaus Richter Neue Tendenzen in der Landesentwicklungsplanung Nordrhein-Westfalens

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Kurt-Günter Noll Exkursionsbericht: Projekte und Konzepte der Raumordnung im Ruhrgebiet . .. 113 Die Verfasser und Herausgeber ......................................... , 134

VORWORT DER HERAUSGEBER

Am 1. und 2. Oktober 1992 fand an der Universität - Gesamthochschule Duisburg das 3. Symposium der Fachgruppe "Geographie und Raumplanung" der Gesellschaft für Deutschlandforschung e.V. statt. Dabei ging es um aktuelle Probleme und Konzepte der Raumordnung und Landesplanung in Deutschland. Die neuen Bundesländer standen im Mittelpunkt des Interesses. Das Symposium begann mit zwei Vorträgen, die sich mit bundespolitischen Aufgaben bei der Neuorientierung der Bundesraumordnung sowie mit raumordnerischen Entwicklungspotentialen und -strategien in den neuen Bundesländern befaßten. Die anderen Beiträge behandelten Probleme der Landesentwicklungsplanung jeweils aus der spezifischen Sicht eines Bundeslandes. Der zweite Veranstaltungstag bot den Teilnehmern des Symposiums Gelegenheit, im Verlauf einer Ganztagsexkursion Projekte und Konzepte der Raumordnung im Ruhrgebiet kennenzulernen. Diese vorliegende Publikation enthält die Referate und den Exkursionsbericht dieses dritten Symposiums der Fachgruppe Geographie und Raumplanung. Die Gesellschaft für Deutschlandforschung bedankt sich nicht nur bei der Universität - GH - Duisburg, sondern auch beim Kommunalverband Ruhrgebiet. Beide Institutionen haben durch finanzielle und personelle Unterstützung wesentlich zum Gelingen beigetragen. Karl Eckart, Isolde Roch

Karl Eckart EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK DES DRITTEN SYMPOSIUMS Die Gesellschaft für Deutschlandforschung sah bis zur Wende Ende 1989 ihre Aufgabe darin, über Probleme und Entwicklungen in der DDR auf Symposien und mit Publikationen zu informieren. Nach der Wende geht es darum, den Transformationsprozeß, d. h. das Zusammenwachsen von Ost und West, zu behandeln. Es steht wohl außer Frage, daß das Thema Raumordnung und Landesplanung gegenwärtig eines der brennendsten Probleme in Deutschland ist. Erinnern wir uns: Die Raumordnung soll die komplexe räumliche und strukturelle Entwicklung eines Landes und seiner Teilgebiete fördern mit dem Ziel, möglichst gleichwertige Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu schaffen unter Beachtung sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Erfordernisse, Schutz, Pflege und Entwicklung der natürlichen Lebensbedingungen zu sichern und die Gestaltungsmöglichkeiten der Raumnutzung langfristig offenzuhalten. In 40 Jahren haben sich Bundesrepublik Deutschland und DDR in den unterschiedlichsten Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen in unterschiedlicher Weise entwickelt. Bis zur Wende gab es in den beiden deutschen Staaten große regionale und strukturelle Unterschiede: hinsichtlich der Bevölkerungsdichte, hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur und hinsichtlich der allgemeinen Lebensbedingungen. Nach der Wende und der deutschen Vereinigung am 3. Oktober 1990 waren diese unterschiedlichen Räume nicht mehr durch eine Grenze getrennt. Die sehr großen Unterschiede zwischen West und Ost machten sich besonders bemerkbar. Die Aufgabe der Zentralverwaltungswirtschaft und die Einführung der Marktwirtschaft auch im Osten Deutschlands lösten einen kaum in dem Umfang vorhersehbaren Prozeß aus, der heute noch in vollem Gange ist. Nachdem die Kombinate der Treuhand-Verwaltung unterstellt worden waren, begann - entsprechend dem Auftrag dieser größten Holding der Welt - der Umbau der Wirtschaft durch Privatisierung, Liquidierung, Sanierung.

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Karl Eckart

Es begann eine Ent-Industrialisierung. Viele Branchen schrumpften zusammen. Es wandelten sich Raumstrukturen und Standortmuster. Mit der Auflösung der Kombinate begann nicht nur die völlige Umstrukturierung der Industrie, sondern es setzte Arbeitslosigkeit ein. Dieses im Westen seit jeher vorhandene Phänomen war in der DDR fremd. Nun wurde diese Tatsache zu einem kaum zu bewältigenden Problem. Ein Ausweg für viele Arbeitslose war es, sich im Westen eine Arbeitsstelle zu besorgen und entweder zu pendeln oder wegzuziehen. Die Zahl der Pendler zwischen Ost und West nahm innerhalb eines Jahres von 206.000 auf 541.000 zu. Viele aber wanderten ganz ab. Das waren natürlich junge Leute und Fachkräfte. Von 100 aus den neuen Bundesländern 1991 abgewanderten Fachkräften waren z. B. 37 Techniker. Die regionalen und strukturellen Disparitäten nahmen und nehmen durch diese Entwicklung stark zu. Es liegt auf der Hand, daß diese Auslese nicht weitergehen kann. Alle diese Entwicklungen verändern die Raumstrukturen. Raumstrukturelle Entwicklungen müssen aber in geordneten Bahnen verlaufen. Deshalb ist Raumordnung das zentrale Thema. Dazu braucht man eine Landesplanung, die es in den alten Bundesländern ja schon lange gibt. Landesplanung ist die übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende Planung der räumlichen Ordnung und Entwicklung eines Landes. Sie dient der Vorbereitung und Sicherung von Raumordnungsentscheidungen, erarbeitet eigene vorausschauende, zusammenfassende Planungen und stimmt andere raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen aufeinander ab.

Bei der Abstimmung von Planungen hat sie die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Räume sowie die unterschiedlichen Interessen gegeneinander abzuwägen und möglichst weitgehend miteinander in Einklang zu bringen. Dabei ist für eine sparsame Verwendung von Grund und Boden sowie der übrigen natürlichen Lebensgrundlagen Sorge zu tragen. Diese oder ähnliche und z. T. noch weitere Ausführungen zu den Begriffen Raumordnung und Landesplanung enthalten die für jedes Bundesland aufgestellten Gesetze über die Raumordnung, die Landesplanungsgesetze. Inzwischen haben auch schon fast alle neuen Bundesländer Landesplanungsgesetze verabschiedet und Landesentwicklungspläne erarbeitet. In den alten Bundesländern werden schon seit vielen Jahren Landesentwicklungspläne aufgestellt, in den neuen Bundesländern dagegen ist dies ein Novum. Es versteht sich von selbst, daß bisher förderungsbedürftige Teilräume in den alten Bundesländern nun, im Vergleich zu den Regionen in den neuen Ländern,

Einführung

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nicht mehr mit erster Priorität förderungsbedürftig sind. Das bedeutet eine Anpassung der Landesentwicklungspläne an die neuen Gegebenheiten. Unser heutiges 3. Symposium der Fachgruppe Geographie und Raumplanung soll dazu dienen, die gegenwärtig aktuellen Probleme der Raumordnung und Landesplanung zu referieren und zu diskutieren. Bei der Programmzusammenstellung kam es mir darauf an, neben Überblicksreferaten die westllichen und östlichen Bundesländer vorzustellen. So ist ein dichtgedrängtes Programm zustande gekommen.

Ralph Baumheier

NEUORIENTIERUNG DER BUNDESRAUMORDNUNG NACH DER DEUTSCHEN VEREINIGUNG "Neuorientierung der Bundesraumordnung" - das Thema wirft zumindest zwei grundlegende Fragen auf: die Frage, warum eine solche Neuorientierung erforderlich ist sowie die Frage, in welcher Richtung diese Neuorientierung erfolgt. Zunächst zur Frage des "warum", d. h. der kurzen Skizzierung der neuen raumordnungspolitischen Ausgangslage.

I. Veränderte Ausgangslage und neue Rahmenbedingungen

Auch kurz vor dem zweiten Jahrestag der Herstellung der deutschen Einheit in staatsrechtlicher Hinsicht ist die Verwirklichung dieser Einheit nach wie vor die vordringliche innenpolitische Aufgabe. Das gravierende West-Ost-Gefälle in nahezu allen Lebensbereichen stellt vor dem Hintergrund der Leitvorstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen eine Herausforderung nicht zuletzt auch für die Raumordnungspolitik dar. So zeigt der Raumordnungsbericht 1991 u. a. die folgenden großräumigen Disparitäten in Deutschland auf: Bevölkerungsstruktur und -entwicklung in den neuen Ländern weichen deutlich von der Situation im alten Bundesgebiet ab. (Bevölkerungsdichte, Lebenserwartung); In diesem Zusammenhang ist auch die Bevölkerungsentwicklung im vereinten Deutschland anzusprechen, die in kurz- bis mittelfristiger Perspektive geprägt ist durch die Wanderungsbewegungen von den neuen in die alten Länder: derzeit beträgt das jährliche Wanderungsvolumen etwa 200.000 Personen, hinzu kommen ca. 600.000 Fernpendler. Überdurchschnittliche Abwanderungen erfolgen vor allem aus den hochindustrialisierten Regionen in Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie aus dem südöstlichen Grenzgebiet zu Polen und zur CSFR.

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Auch in der Raum- und Siedlungs struktur bestehen erhebliche Unterschiede zwischen "West" und "Ost". Zudem existieren in den neuen Ländern weitere deutliche Unterschiede zwischen dem schwach besiedelten Norden und dem hochverdichteten Süden. Die Infrastruktur in den neuen Ländern weist quasi durchgängig große Qualitäts- und Quantitätsmängel auf. Die Wirtschaftsstruktur der ehemaligen DDR mit ihrer ausgeprägten Überindustrialisierung wirkt noch negativ nach, insbesondere durch die fatale Folge in monostrukturierten Regionen, in denen sektrorale Probleme quasi automatisch zu regionalen Krisen führen. Die Umweltsituation in den neuen Ländern schließlich ist gekennzeichnet einerseits durch außerordentlich ausgeprägte Belastungen - insbesondere im Süden - sowie andererseits herausragende Umweltpotentiale (vorrangig im Norden). Parallel zu dieser veränderten innerdeutschen Ausgangslage führen auch die Entwicklungen in West- und Osteuropa zu neuen Rahrnenbedingungen der Raumordnungspolitik: Der westeuropäische Integrationsprozeß im Rahmen der EG - mit den Stichworten Binnenmarkt und Maastricht - wirkt sich auf die nationale Raumentwicklung auf verschiedenen Ebenen aus: So wirken sich die großräumigen transnationalen Transportkorridore ebenso auf die nationale Raumentwicklung aus wie die verschiedenen, zunehmend detaillierter und intransparenter werdenden Förderrichtlinien und -programme der EG. Insgesamt sind bedeutsame Veränderungen der Standortbedingungen und der Standortgunst von Regionen zu erkennen. Die Öffnung Osteuropas stellt Herausforderungen ganz anderer Art dar: hier stehen eher die großräumigen Wanderungsbewegungen im Vordergrund der räumlichen Auswirkungen. Zielgebiet der Wanderungen stellen vor allem die wachstumsstarken Ballungszentren der alten Länder dar, in denen es insbesondere im Wohnungs- und Verkehrsbereich zu Überlastungserscheinungenkommt. Neben dieser Veränderung der Ausgangslage - wesentlich geprägt durch politische und internationale ökonomische Einflüsse - lassen sich weitere, eher längerfristige Veränderungen der raumrelevanten Rahmenbedingungen erkennen: Der sog. Wertewandel wirkt sich räumlich in einer stärkeren Betonung lokaler und regionaler Bezüge ("Heimat") aus sowie in einer Neubewertung bzw. Erweiterung der Standortfaktoren ("weiche" Standortfaktoren). Damit zusammenhängend ist ein Bedeutungszuwachs von Umweltbelangen insbesondere in Richtung Umweltvorsorge zu erkennen sowie verschiedene Ansätze einer stärker regional ausgerichteten Politik (Stichwort "Regionalisierung der Regionalpolitik").

Neuorientierung der Bundesraumordnung nach der deutschen Vereinigung

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Raumwirksam sind schließlich auch die langfristigen Trends der Bevölkerungsentwicklung, vor allem die Veränderung der Geburtenrate und der gesellschaftliche Alterungsprozeß mit regional teilweise deutlich variierenden Folgewirkungen für die soziale Infrastruktur. Die raumordnungspolitische "Geschäftsgrundlage" ist also durch drei sehr unterschiedliche Entwicklungen in Bewegung geraten: Die deutsche Einheit hat zu einem gravierenden West-Ost-Gefalle geführt mit negativen Auswirkungen auf die - in den alten Ländern bislang weitgehend ausgewogene - Raum- und Siedlungs struktur. Die politisch-ökonomischen Veränderungen in West- und Osteuropa stellen die deutschen Regionen verstärkt in einen internationalen Standortwettbewerb. Beide Entwicklungen wirken zudem verstärkend auf die generellen Trends der Raumentwicklung der letzten Jahre, die mit den Stichworten Internationalisierung (zunehmender, internationaler Standortwettbewerb der Regionen), Zunahme räumlicher Verflechtungen, und deutlicher werdende Überlastungserscheinungen verdichteter Stadtregionen gekennzeichnet werden können.

1/. Neuer raumordnungspolitischer Handlungsbedarf

bei Bund und Ländern

Aus der beschriebenen neuen Ausgangslage resultiert in mehrfacher Hinsicht raumordnungspolitischer Handlungsbedarf sowohl für die Ebene der Länder, die im folgenden nur kurz angesprochen wird, als auch für die Bundesraumordnung. Sozusagen grundlegender Handlungsbedarf bestand - und besteht - in den neuen Ländern in Form der Schaffung rechtlicher Grundlagen der Landesplanung und der Formulierung erster Zielaussagen zur Landesentwicklung in Form von Landesentwicklungs-lRaumordnungsprogrammen und -plänen. Hier ist mittlerweile nach einem turbulenten Jahr 1991 etwas "Beruhigung" eingekehrt, da in allen neuen Ländern zwischenzeitlich erste gesetzliche Grundlagen - teilweise in Form von Vorschaltgesetzen - geschaffen wurden. Ebenfalls beginnt z. Z. die Phase erster Entwürfe von Landesentwicklungsprogrammen, so daß das "Fundament" landesplanerischer Tätigkeit in den neuen Ländern zunehmend gefestigt wird.

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Auf einer anderen Ebene stellt sich der raumordnungspolitische Handlungsbedarf für die alten Länder dar: Direkt "betroffen" von dem Wegfall der innerdeutschen Grenze sind die an dieser Grenze liegenden Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern sowie Hamburg. Die ehemals peripher gelegenen Regionen des Zonenrandgebiets liegen nun mitten in Deutschland, was zweifelsohne grundSätzlich ein Entwicklungspotential darstellt, aber keineswegs eine au~ tomatische Lageverbesserung garantiert. Vielmehr gilt es oftmals, den nun (fast) im Wortsinne "ungebremsten" Transitverkehr zu bewältigen und zu kanalisieren. Aber auch die nicht direkt an der innerdeutschen Grenze gelegenen alten Länder sind durch die Folgen der deutschen Vereinigung berührt, so insbesondere durch die starken Zuwanderungen aus den neuen Ländern (NRW, Baden-Württemberg). Darüber hinaus sind alle alten Länder durch die Neuregelung des gesamtstaatlichen Finanzausgleichs betroffen. Darüber hinaus ergibt sich für die Länder generell raumordnungspolitischer Handlungsbedarf durch die europäische Entwicklung: Die verschiedenen transnationalen Einflüsse wirken sich nicht gleichmäßig auf die einzelnen Regionen des Bundesgebietes aus, die Regionen sind vielmehr sehr unterschiedlich - positiv wie negativ - betroffen. Je nach funktionaler Spezialisierung der einzelnen Regionen, d. h. in Abhängigkeit von den imagebildenden und wirtschaftsstrukturell dominierenden Merkmalen, sind mehr oder weniger starke Einflüsse gegeben: tendenziell positiv sind solche Regionen "betroffen", die eine auch international wettbewerbsfähige Struktur aufweisen, beispielsweise überregional bedeutsame Finanz- und Dienstleistungsstandorte. Mit der internationalen Liberalisierung, dem weitgehenden Wegfall von Grenzen und rechtlich-administrativen Barrieren, wird aber zugleich für diese Regionen eine neue Ebene des Standortwettbewerbs eröffnet. Die langfristigen Chancen in diesem Wettbewerb sind vor allem bestimmt durch die jeweilige regionale Kombination "harter" und "weicher" Standortfaktoren. Die europäische Entwicklung ist zugleich ein wesentlicher Auslöser für die Neuorientierung der Bundesraumordnung, da die Notwendigkeit eines räumlichen Leitbildes für Europa immer deutlicher wird. Hierauf wird später noch einmal einzugehen sein.

III. Neuorientierung der Bundesraumordnung

Über die veränderte Ausgangslage und den grundsätzlich gewachsenen Bedarf an Raumordnungspolitik besteht wohl weitgehend Übereinstimmung. Für

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die Ebene der Landesplanung hat der vorangegangene Abschnitt den raumordnungspoliiischen Handlungsbedarf in groben Zügen umrissen. So wichtig und zentral diese Ebene aber auch im Gesamtsystem der Raumordnung ist, so ist doch festzustellen, daß die neuen Rahmenbedingungen der Raumordnungspolitik zu einem großen Teil das gesamte Staatsgebiet betreffen, d. h. in der Regel ländergrenzenüberschreitende Bezüge aufweisen. Die notwendige raumordnerische Perspektive für die räumliche Entwicklung des Gesamtstaates kann dementsprechend nicht auf der Ebene der Länder entstehen, es bedarf vielmehr einer ländergrenzenüberschreitenden Sichtweise. Die aktuelle Situation hat insofern auch zu einer Neu- und Wiederbelebung der Diskussion um die Rolle des Bundes in der Raumordnung geführt. Was darf der Bund in der Raumordnung? Die Bundesrepublik Deutschland als föderaler Staat kennt keine umfassende zentrale Planungsinstanz, Raumordnungspolitik in Deutschland hat daher Träger auf allen staatlichen Ebenen. Das Grundgesetz weist dem Bund für den Bereich der Raumordnung die Rahmengesetzgebung zu, die mit dem Raumordnungsgesetz ausgefüllt wurde. Innerhalb der Rahmenvorschriften dieses Gesetzes sind die Länder Hauptträger der Raumordnung und Landesplanung. Für den raumordnungspolitischen "Normalfall" - wie er sich in den alten Bundesländern bis zur Herstellung der deutschen Einheit weitgehend darstellte - ist dieses arbeitsteilige Verhältnis zwischen Bund und Ländern auch durchaus als problemangemessen zu bezeichnen. Die beschriebene grundlegende Veränderung der räumlichen Situation Deutschlands durch die Herstellung der deutschen Einheit sowie durch die Umwälzungen in Europa hat jedoch eine stärkere Beteiligung des Bundes über die reine rahmenrechtliche Gesetzgebung hinaus erforderlich gemacht. So aktuell dieses Bedürfnis auch ist - die Legitimation zu einem verstärkten raumordnungspolitischen Engagement des Bundes hat bereits sehr früh eine höchstrichterliche Grundlage erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Jahre 1954 die Rolle des Bundes folgendermaßen gekennzeichnet: "Raumordnung kann nicht an den Grenzen der Länder Halt machen .... Der größte zu ordnende und zu gestaltende Raum (ist) das gesamte Staatsgebiet. Im Bundesstaat muß es also auch eine Raumplanung für den Gesamtstaat geben. Die Zuständigkeit zu ihrer gesetzlichen Regelung kommt nach der Natur der Sache dem Bund als einer ausschließlichen und Vollkompetenz zu" (BVerfGE 3 (1954), Seite 427/428). Von dieser "natürlichen Kompetenz" hat der Bund in der alten Bundesrepublik keinen direkten Gebrauch gemacht. Angesichts der sich überwiegend auf Landesebene stellenden raumordnerischen Aufgaben war dies jedoch auch nicht unbedingt erforderlich.

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Eine Ausnahme hat es allerdings gegeben: der Deutsche Bundestag hat 1969 die Bundesregierung aufgefordert, ein Bundesraumordnungsprogramm im Sinne einer konkreten räumlichen Zielvorstellung zu erarbeiten. Bei der Umsetzung dieses Beschlusses ergab sich schon recht früh eine weitreichende Beteiligung der Länder im Rahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung, die letztlich auch zum Herausgeber dieses ersten und einzigen Bundesraumordnungsprogramms wurde. Das 1975 von der MKRO verabschiedete Programm ist aus heutiger Sicht mit vielfältigen Schwächen behaftet gewesen, die auch dazu geführt haben, daß es nie zu einer - eigentlich vorgesehenen - Fortschreibung dieses Programmes kam. Für die aktuelle Diskussion um ein räumliches Leitbild für die Bundesrepublik ist eine dieser Schwächen besonders wichtig: Von zentraler Bedeutung ist sicherlich das außerordentlich aufwendige und umständliche Erarbeitungs- und - vor allem - Abstimmungsverfahren, das letztlich nur zu einem kleinsten gemeinsamen Nenner der natürlicherweise nicht deckungsgleichen Interessen der einzelnen Länder und des Bundes geführt hat und führen konnte. Die Quintessenz dieses letztlich erfolglosen Versuches einer gemeinsam von Bund und Ländern getragenen Vorstellung der räumlichen Entwicklung des Gesamtraumes Bundesrepublik kann aus heutiger Sicht nur lauten, daß sowohl der Bund als auch die Länder ihre jeweiligen Problemsichten deutlicher formulieren müssen und nicht in einem endlosen Abstimmungsprozeß in einem notgedrungen unzulänglichen Komprorniß quasi "verwischen". In diesem Zusammenhang ist der bisherige Vorsitzende des Beirates für Raumordnung, Herr Professor Göb, zu zitieren, der anläßlich einer Expertenanhörung des Deutschen Bundestages zur Neuorientierung der Raumordnungspolitik im Januar 1992 hierzu folgendes ausführte: "Wenn dieses Vorgehen (gemeint ist die Aufstellung des Bundesraumordnungsprogrammes; R. B.) also auf die heutige Situation übertragen wird ... wird ... die Bundesraumordnung als eigenständiger Politikbereich keine große Zukunft haben. Die Entscheidung über das Verfahren ist bereits eine politische Entscheidung über das Produkt." Diese für den Bund zentrale Einsicht, daß jede Ebene im föderalen System der Raumordnung ihre eigene "Sicht der Dinge" hat und haben muß, hat sich seit Herstellung der deutschen Einheit in mehreren raumordnungspolitischen Initiativen des Bundes niedergeschlagen. Diese Initiativen lassen sich den zwei grundlegenden Funktionen der Bundesraumordnung - abgesehen von der Rahmengesetzgebungskompetenz - zuordnen, d. h. der Informationsfunktion und der Orientierungsfunktion. Die Informationsfunktion der Bundesraumordnung wird in erster Linie erfüllt durch die im Raumordnungsgesetz vorgeschriebene regelmäßige Raumordnungsberichterstattung.

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Der letzte reguläre Raumordnungsbericht erschien im Herbst 1990, wenige Wochen vor dem 3. Oktober. Er war somit zum Zeitpunkt seines Erscheinens zwar keineswegs Makulatur, durch seine Beschränkung auf das alte Bundesgebiet war jedoch von vornherein klar, daß baldmöglichst ein neuer, nunmehr gesamtdeutscher Raumordnungsbericht erarbeitet werden müßte. Nach einer außerordentlich kurzen Entstehungszeit - dieses bitte nicht als Selbstlob, sondern als Anerkennung der Leistung der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung zu verstehen - konnte bereits im August 1991 der Raumordnungsbericht 1991 vorgelegt werden, der eindeutig das Schwergewicht auf die Situation in den neuen Ländern legt und zugleich - wenn auch häufig erst ansatzweise - Rückbezüge und Vergleiche zum alten Bundesgebiet anstellt. In seinem Beschluß zu den Raumordnungsberichten 1990 und 1991 hat der Deutsche Bundestag Mitte Juni im übrigen die Bundesregierung aufgefordert, "angesichts der raschen Veränderungen der räumlichen Entwicklung sowohl im geeinten Deutschland als auch in West- und Osteuropa ... den nächsten Raumordnungsbericht, außerhalb der gesetzlich vorgegebenen vierjährigen Berichtspflicht, bereits 1993 vorzulegen" (BT-Drs 12/2143). Eine zweite Initiative des BMBau, die sich der Informationsfunktion zuordnen läßt, ist in der Arbeitsgruppe Verwaltungshilfe der MKRO zu sehen, die im Jahre 1991 regelmäßig - durchschnittlich einmal pro Monat - zusammentrat. Diese Arbeitsgruppe verstand sich als Informations- und Austauschforum, auf dem konkrete Probleme der täglichen Praxis - insbesondere der Aufbauphase diskutiert und gelöst werden konnten. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe waren neben den neuen Ländern einschließlich Berlins der BMBau sowie die "Altländer" Nordrhein-Westfalen und Bayern. Die Themen der einzelnen Treffen umfaßten ein weites Spektrum von rechtlichen über organisatorische Probleme bis hin zu Aspekten der politischen Akzeptanz raumordnerischer Entscheidungen. Fester Bestandteil der Sitzungen war auch ein Erfahrungsaustausch zwischen den neuen Ländern sowie - im weiteren Verlauf des Jahres 1991 zunehmenddie Treuhandproblematik und die Thematik der Rüstungs- und Standortekonversion. In Fortführung dieses Ansatzes hat der BMBau im vergangenen Jahr verschiedene Workshops finanziert, in denen es um die Vermittlung eines Grundverständnisses von Raumordnung und Landesplanung ging und - zumindest ansatzweise - um Anstöße für eine regionale Entwicklung durch die Initiierung gemeinsamer regionaler Konzeptionen. Die Informationsfunktion des Bundes in der Raumordnung ist insofern deutlich mehr als reine Wissensvermittlung. Anspruchsvoller noch ist die zweite grundlegende Funktion der Bundesraumordnung in einem föderal organisierten System der Raumplanung, nämlich die Orientierungs/unktion für ländergrenzenüberschreitende Problemzusammenhänge.

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Ein erster Ansatz zur Ausfüllung dieser Funktion ist in dem bereits im Frühjahr 1991 vorgelegten "Raumordnerischen Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern" zu sehen. Die Bundesraumordnung hat damit zugleich zu erkennen gegeben, daß die Probleme der neuen Länder einen besonderen Aufgabenschwerpunkt der Bundesraumordnung darstellen. Ausgangspunkt des raumordnerischen Konzeptes ist die Überzeugung, daß in einer ersten Phase der notwendige Aufschwung in den neuen Ländern schwerpunktmäßig von bestimmten Entwicklungsregionen ausgehen wird, die durch eine vergleichsweise günstige Ausgangsposition gekennzeichnet sind. Die in dem Konzept ausgewiesenen zwölf Entwicklungsregionen verteilen sich relativ gleichmäßig auf das Gebiet der neuen Länder, wobei angesichts der Bevölkerungskonzentration der Süden der ehemaligen DDR etwas stärkeres Gewicht erhalten hat. Insgesamt geht es um die Herausbildung und Stärkung attraktiver Regionen, die als "Entwicklungsmotoren" entscheidende Impulse ausstrahlen können. Nicht zuletzt ist es auch als Ziel dieses Konzepts zu sehen, die zu DDR-Zeiten gegebene Fixierung auf Berlin zu durchbrechen und eine dezentrale Raumstruktur zu sichern bzw. aufzubauen. Das raumordnerische Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern ist quasi als erste Stufe eines neuen räumlichen Leitbildes für den Gesamtraum aus Sicht des Bundes zu verstehen. Angesichts der drängenden Probleme in den neuen Ländern ist dieses Vorziehen sicherlich gerechtfertigt, die grundlegend veränderte räumliche Situation bezieht sich aber nicht nur auf die neuen Länder, sondern berührt das gesamte Bundesgebiet. Der Bund ist sich der daraus entstehenden Aufgaben sehr wohl bewußt. Bundesministerin Dr. Schwaetzer hat anläßlich der Ministerkonferenz für Raumordnung im Februar 1992 in Eisenach angekündigt, einen Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen für die Bundesrepublik Deutschland zu erarbeiten. Der Deutsche Bundestag hat in seinem bereits erwähnten Beschluß vom 17. Juni 1992 zu den Raumordnungsberichten 1990 und 1991 ebenfalls die Erarbeitung eines solchen Orientierungsrahmens gefordert und erste inhaltliche Eckpunkte benannt. Danach soll der Orientierungsrahmen "insbesondere das räumliche Leitbild für die Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung ökonomischer wie ökologischer Erfordernisse konkretisieren und fortführen; die im internationalen Vergleich insgesamt günstige dezentrale Raum- und Siedlungsstruktur des Bundesgebietes sichern und weiterentwickeln; einen Beitrag zum Abbau des hohen regionalen Gefälles zwischen dem westlichen und östlichen Teil Deutschlands leisten; die in den alten Bundesländern im allgemeinen guten regionalen Standortqualitäten sichern, weiter ausbauen und in den neuen Bundesländern - vor allem durch die Verbesserung der regionalen Infrastruktur - entwickeln;

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raumordnerische Ansatzpunkte für eine verbesserte Funktionsfahigkeit des Verkehrs systems, vor allem hinsichtlich der Vernetzung der Verkehrsträger und -teilsysteme entwickeln; der neuen Brückenfunktion Deutschlands in Europa sowie den räumlichen Entwicklungen in West- und Osteuropa verstärkt Rechnung tragen." (BTDrs. 12/2143). Ein erster Entwurf des BMBau ist Mitte September 1992 fertiggestellt worden und den Ländern zugegangen. Anfang Oktober hat ein Arbeitskreis des Hauptausschusses der MKRO in einem zweitätigen "Werkstattgespräch" diesen ersten Entwurf beraten. Die Ministerkonferenz für Raumordnung schließlich hat den Orientierungsrahmen in ihrer Sitzung am 27. November 1992 einstimmig als geeignete Grundlage für eine zukunftsgerichtete Raumordnungspolitik verabschiedet. Im folgenden soll die Grundphilosophie und die Funktion dieses Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmens - wie sie sich aus Bundessicht darstellt beschrieben werden. Dazu zunächst in genereller Hinsicht: Der Inhalt dieses aus Bundessicht erarbeiteten Orientierungsrahmens muß zwingend mehr sein als eine schlichte Zusammenführung der einzelnen Landesplanungen. Die spezifische Bundessicht führt daher auch zu entsprechenden Akzentsetzungen. Wäre dies nicht so, so müßte sich der Bund auf eine - weder verfassungsrechtlich noch verfassungspolitisch gewollte - rein notarielle Rolle in der Raumordnung zurückziehen. Als zentrale Aufgabe des Orientierungsrahmens ist die Entwicklung eines neuen tragfahigen Leitbildes für die künftige Raum- und Siedlungsentwicklung zu sehen: Konkret geht es um das Aufzeigen und Bewerten raumwirksamer Trends in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Umwelt sowie um die Erarbeitung zukunfts weisender Strategieansätze. Das neue räumliche Leitbild ist im Orientierungsrahmen auf zwei Ebenen angelegt: zum einen in einer problemorientierten "neuen" Sichtweise der derzeit bestehenden Raum- und Siedlungsstruktur der Bundesrepublik, zum anderen in einer mehr strategischen Formulierung der aus Bundessicht anzustrebenden "idealen" Raumstruktur des Bundesgebietes. Kernaussage zur neuen Sichtweise der bestehenden Raum- und Siedlungsstruktur ist, daß die Bundesrepublik Deutschland ein hochgradig verstädterter Raum ist mit ausgeprägten Verflechtungen und Abhängigkeiten der Räume untereinander. Hieraus resultiert auch eine notwendige Differenzierung des oftmals pauschal als Einheit betrachteten ländlichen Raumes. Vor dem Hintergrund der hohen räumlichen Verflechtungen kann auch nicht mehr von einer generellen Strukturschwäche dieser verschiedenen ländlich geprägten Regionen ausgegangen werden. Auch der - auch im Raumordnungsgesetz festgelegte - recht

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starre Gegensatz zwischen Verdichtung und ländlichem Raum entspricht einer realitäts orientierten Sicht der Raumstruktur keineswegs, er wird daher im Orientierungsrahmen auch nicht fortgeführt. Ziel war es vielmehr, eine neue problemangemessene Raumtypologie zu entwickeln: Ansatzpunkt ist dabei eine stärker funktionale Betrachtungsweise, die besser geeignet scheint, das Verhältnis von Verdichtungsräumen, Zentren und ländlich geprägten Räumen realitätsnah zu erfassen. In funktionaler Betrachtungsweise wird man beispielsweise nicht mehr von Verdichtungsraum und ländlichem Umland sprechen, sondern beides zusammen als - großräumige - Stadtlandschaft begreifen. Hier treffen sich Überlegungen des Bundes teilweise mit denen, die auch in den Landesplanungen, so in Hessen für den Großraum Frankfurt, problematisiert werden. Diese hier nur kurz umrissene "neue Sicht der räumlichen Dinge" ist zugleich Ausgangspunkt für das raumordnungspolitische Leitbild im engeren Sinne, d. h. für strategische Ansätze zur Sicherung und Fortentwicklung der grundsätzlich als positiv beurteilten dezentralen Raum- und Siedlungs struktur in der Bundesrepublik. Vor dem Hintergrund dieser zentralen Zielvorstellung - die Funktionsfähigkeit räumlicher Strukturen zu sichern (vorrangig auf die alten Länder bezogen) bzw. zu entwickeln (im Hinblick auf die neuen Länder) - entwickelt der Orientierungsrahmen strategische Vorstellungen zu den raumordnungspolitischen Zielfeldern Siedlungsstruktur Umwelt und Raumnutzung Verkehr Europa sowie "Ordnung und Entwicklung". Eine detaillierte Vorstellung dieser Leitbilder kann an dieser Stelle nicht erfolgen, möglich ist nur eine stichwortartige Benennung einzelner strategischer Elemente. So schlägt der Orientierungsrahmen beispielsweise vor, die bestehenden räumlichen Vernetzungen durch bewußte Vernetzungsstrategien zu unterstützen bzw. zu ergänzen, damit räumliche Synergieeffekte erreicht werden können; für die neuen Länder - aufbauend auf dem Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern - Städtenetze zu "aktivieren", insbesondere auch als "Brükken" zwischen alten und neuen Ländern; die Raumnutzung insbesondere in den verdichteten Stadtregionen so auszurichten, daß die natürliche Regenerationsfähigkeit der Räume erhalten bleibt (Stichwort "sustainable development").

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Der Orientierungsrahmen gelangt in der Konsequenz zu einer Differenzierung des raumordnungspolitischen Handlungsbedarfs in Ordnungs- und Entwicklungsbedarf. Dabei wird deutlich, daß aus Bundessicht der eindeutige Schwerpunkt der Entwicklungsaufgaben in den neuen Ländern, das Schwergewicht der Ordnungsaufgaben hingegen in den alten Ländern liegt. Angesichts des Ausmaßes des Entwicklungsbedarfs in den neuen Ländern sind entsprechende Maßnahmen in den alten Ländern in sachlicher, zeitlicher sowie finanzieller Hinsicht neu zu überprüfen. Der Orientierungsrahmen plädiert schließlich dafür, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse neu als langfristige Entwicklungsaufgabe zu interpretieren: Gleichwertigkeit bedeutet weder Gleichartigkeit noch begründet sie Ansprüche auf gleiche, undifferenzierte Förderung oder auf eine pauschale Ausgleichsverpfiichtung des Staates. Der Staat kann vielmehr nur in eng umgrenzten Bereichen unmittelbar zur Sicherung der Gleichwertigkeit beitragen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Situation im vereinten Deutschland muß zudem mit deutlich längeren Übergangszeiten in den neuen Ländern gerechnet werden, wie nicht zuletzt der sächsische Ministerpräsident vor einiger Zeit in einer weit beachteten Rede ausgeführt und betont hat; zur Erreichung dieses Zieles deutlich auf die Stärkung regionaler Eigenkräfte zu setzen: Insbesondere in den neuen Ländern kommt es darauf an, daß auch "von unten", von den Regionen initiative Beiträge zur Situationsverbesserung kommen. Durch regionale Entwicklungskonzeptionen - als informelle Ergänzung der formalen Regionalplanung - sind die regionalen Potentiale ebenso wie die Engpässe herauszufinden und konsensorientiert weiterzuentwickeln bzw. zu überwinden; sowie regionale Strukturpolitik mit einem neuen raumordnerischen Verständnis von "Strukturschwäche" zu füllen und deutlicher mit dem Schwerpunktprinzip zu verbinden: Das Ausmaß der räumlichen Ungleichgewichte in Deutschland macht für einen langen Zeitraum eine deutliche Prioritätensetzung der Strukturpolitik für die neuen Länder erforderlich. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Finanzsituation bedeutet dies zum einen, daß es zu einer Verringerung strukturpolitischer Maßnahmen in den alten Ländern kommt, zum anderen aber auch, daß zur Vermeidung von Gießkanneneffekten in den neuen Ländern verstärkt ein entwicklungsorientiertes Schwerpunktprinzip Anwendung finden muß.

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Ralph Baumheier

IV. Ausblick

Die hier nur kurz umrissene Ausrichtung des Orientierungsrahmens deutet bereits darauf hin, daß der Bund eine aktivere Rolle in dem Raumordnungspolitik zu übernehmen bereit ist. Um keine Mißverständnisse dabei aufkommen zu lassen: angestrebt ist keineswegs eine dominierende, zentralstaatliche Superplanung. Die verfassungsmäßigen Rechte und Kompetenzen der Länder werden keineswegs in Frage gestellt oder gar angetastet. Eine aktivere Rolle des Bundes in der Raumordnung ergibt sich auch zwingend - wie schon kurz angesprochen - im Hinblick auf "Europa": So ist für die im 2. Halbjahr 1994 stattfindende deutsche EG-Präsidentschaft die Vorlage eines Europäischen Raumordnungskonzeptes vorgesehen. Auch für dieses auf Europa bezogene Raumordnungskonzept sind aus Sicht der Bundesraumordnung die folgenden Elemente und Aspekte von besonderer Bedeutung: Orientierung am Leitbild eines relativ ausgeglichenen polyzentrischen Siedlungssystems; Unterstützung und Förderung des Zusammenwachsens der Teilräume; Verbesserung der Erreichbarkeiten in der Raumstruktur, auch in die "fläche" hinein. Der Orientierungsrahmen - und künftig das Europäische Raumordnungskonzept - stellen das - durchaus ambitiöse - Unterfangen dar, der Raumordnungspolitik insgesamt neue Impulse und neue Konturen zu geben. Daß der Bund dabei auf ein produktives Verhältnis zu den Ländern besonderen Wert legt, versteht sich wohl eher von selbst. Als sozusagen neues "ceterum conseo" der Bundesraumordnung ist aber abschließend nochmals auf die für die Neuorientierung der Bundesraumordnung grundlegende Sichtweise zu verweisen, daß jede Ebene im föderalen System der Raumordnung ihre spezifische Sichtweise hat und haben muß: Eine Verwischung der verschiedenen Positionen zu einem letztlich konturlosen Komprorniß hilft weder dem Bund noch den Ländern, sondern führt lediglich zu einem - für keine Ebene wünschenswerten - Bedeutungsverlust der Raumordnung insgesamt.

Literatur Baumheier, Ralph: Raumordnungspolitik - Neue Aufgaben im vereinten Deutschland. In: Bundesbaublatt (1991) 2, S. 86-88 Baumheier, Ralph / Wagner, Jörg: Raumordnung in Deutschland - Bestandsaufnahme, Aufgaben, Entwicklungstendenzen -. In: Verwaltungsarchiv (1992) 1, S. 97-118

Neuorientierung der Bundesraumordnung nach der deutschen Vereinigung

25

Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hg.): Raumordnungsbericht 1991 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hg.): Raumordnungspolitischer Orintierungsrahmen (1993) Krautzberger, Michael: Orientierungsrahmen für die Raumordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. In: Die öffentliche Verwaltung (1992) Neuorientierung der Raumordnungspolitik. Themenheft 11/12.1991 der Informationen zur Raumentwicklung (darin u. a. Beiträge von Mehwald, Selke, Irmen / Sinz sowie Abdruck des "Raumordnerischen Konzepts für den Aufbau in den neuen Ländern")

Eleonore Irmen und Manfred Sinz

REGIONALE ENTWICKLUNGS POTENTIALE UND -ENGPÄSSE IN DEN NEUEN LÄNDERN I. Einleitung

Das raumordnerische Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern enthält als wichtiges Element der räumlichen Gliederung und Schwerpunktsetzung die Ausweisung von zwölf Entwicklungsregionen 1. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Entwicklungspotentiale bzw. -engpässe diese und die übrigen Regionen in den neuen Ländern aufweisen, welche regionalen Disparitäten darüber hinaus bestehen und welche Instrumente bzw. Maßnahmen sich zur Nutzung der Potentiale, zur Lösung von Engpaßproblemen sowie zum Abbau vorhandener Disparitäten am besten eignen.

1/. Entwicklungspotentiale und -engpässe Bestimmungsfaktoren der regionalen Entwicklung

Eine gesicherte Theorie zur Erklärung der regionalen Entwicklung gibt es nicht. Versuche, regionale Entwicklungspotentiale empirisch zu messen, müssen sich deshalb einerseits an den in der Literatur vorgestellten Konzepten orientieren und andererseits an Plausibilitätsüberlegungen und Erfahrungswerten. Theoretische Diskussionen zur Identifikation derjenigen Faktoren, die maßgeblich die räumliche (wirtschaftliche) Entwicklung bestimmen, wurden vertieft in den 60er und 70er Jahren geführt. Der Begriff "Entwicklungspotential" wurde 1963 von H. Giersch in die Literatur eingeführt, indem er unternehmensbezogene Produktionsprozesse und regionale Entwicklungsprozesse im Sinne der Produktionstheorie gleichsetzte2 • In den 80er Jahren versuchte G. Strassert, 1 Vgl. Selke, W: Raumordnungspolitische Aufbaustrategie für den Osten Deutschlands. Das raumordnerische Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern. In: Inforrn. z. Raumentwickl. (1991) H. 11/12, S. 747-754. 2 Vgl. Giersch, H: Das ökonomische Grundproblem der Regionalpolitik. In: Jürgensen, H. (Hrsg.): Gestaltungsprobleme der Weltwirtschaft. - Göttingen 1964, S. 386-400

28

Eleonore Irrnen und Manfred Sinz

den Begriff als "modisches Schlagwort" zu enträtseln"3. Er war der Meinung, daß regionale Entwicklungspotentiale - d. h. nach Strassert alle regionalwirtschaftlichen Erfordernisse - durch Begriffe der volks- und betriebswirtschaftlichen Produktions theorie ersetzt werden könnten. Dennoch hat der Begrif "überlebt". Er wurde von verschiedenen Autoren aufgegriffen und in seiner Bedeutung erweitert, indem mehr oder weniger alle regional wirksamen Produktions-(= Entwicklungs-)faktoren als Teilkomponenten des regionalen Entwicklungspotentials bezeichnet wurden4 • Einer regionalwissenschaftlichen und raumordnerischen Betrachtung wird diese Ausweitung des Begriffsinhalts viel eher gerecht. Zusätzliche Bedeutung erhielt der Begriff "Entwicklungspotential" mit der verstärkten Diskussion über die Wirksamkeit der regionalpolitischen Strategien in den 80er Jahren und der Bedeutung endogener regionaler Entwicklungspotentiale für die regionale Entwicklung. D. Biehl hat eine relativ umfassende Analyse der Bestimmungsgründe des regionalen Entwicklungspotentials vorgestellt und operationalisierts. Er versteht unter regionalem Entwicklungspotential: "die maximal mögliche Menge an Gütern und Leistungen, die eine Region bei effizienter Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen (im weitesten Sinne des Wortes) erzeugen kann, oder der potentielle Einkommenswert (Einkommenspotential) dieser Ressourcen selbst. In beiden Fällen ist damit bei realer Betrachtung das potentielle reale Regionalprodukt gemeint; es wird lediglich einmal von der Seite der erziel baren Einkommen und ein anderes Mal von der Seite der erzeugbaren Güter her definiert."6 Biehl versuchte, die Effekte der Bestimmungsfaktoren des Entwicklungspotentials auf das regional erzielbare Einkommen aus den Teilpotentialen Infra3 Vgl. dazu Strassert, G.: Regionales Entwicklungspotential. Ein Versuch der Enträtselung eines Schlagwortes. In: Raumforschung und Raumordnung (1984) H. 1, S. 19-26 4 Strassert analysierte die Definitionen bei Giersch, Biehl u.a., Thoss und Spehl (vgl. dazu Strassert, G., ebd.). Zur Diskussion weiterer Ansätze vgl. Stiens, G.: Regionale Entwicklungspotentiale und Entwicklungsperspektiven. In: Geographische Rundschau, 44. Jg. (1992), H. 3, S. 139-142 5 Vgl. Biehl, D.; Hußmann, E.; Schnyder, S.: Bestimmungsgründe des regionalen Entwicklungspotentials - Infrastruktur, Wirtschaftsstruktur und Agglomeration - .In: Die Weltwirtschaft (1974) H. 1, S. 107-124 Eine Aktualisierung der Indikatoren für den Potentialfaktor Infrastruktur legten Biehl et al. für die Regionen der Europäischen Gemeinschaft einschließlich der Regionen in den neuen Ländern vor. Im europaweiten Vergleich zeigt sich, daß die Regionen in den neuen Ländern - abgesehen von Berlin - im Bereich der untersten Ausstattungsklassen zu finden sind, vergleichbar der Infrastrukturausstattung südeuropäischer Regionen. V gl. dazu: Biehl, D.; Ungar, P.; unter Mitarb. von Lindenau, G.; Prüfer, A.: H1fnann, L.; Niegsch, C.: Kapazitätsausstattung und Kapazitätsengpässe an großräumig bedeutsamer Infrastruktur. In: Raumordnung in Deutschland, Teil 2: Aufgaben und Lösungsansätze. - Bonn 1991. = Materialien zur Raumentwicklung, H. 40, S. 237-284 6 Vgl. dazu Biehl, D.; Hußmann, E.; Schnyder, S.: Bestimmungsgründe des regionalen Wirtschaftspotentials, a.a.O., S. 107

Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

29

struktur, Wirtschafts struktur, Agglomeration und Lage- bzw. Standortpotential zu identifizieren, indem er ein System von Quasi-Produktionsfunktionen zur Schätzung des potentiellen Einkommens erzeugte. Sein breit gefaßter, ressourcenorientierter Ansatz zur Bestimmung des regionalen Entwicklungspotentials belegt die Aussage, daß "das regionale Entwicklungspotential einer Region um so größer ist, je besser die Ausstattung einer Region mit immobilen, unteilbaren, polyvalenten und limitationalen Ressourcen ist"7. Diese Ressourcen sind zum einen regional gebunden (immobil), können nicht beliebig an Nachfrage- oder Angebotsstrukturen angepaßt werden (unteilbar), sind für verschiedene Gütererzeugung alternativ verwendbar (polyvalent) und können nur in begrenztem Umfang durch andere Ressourcen ersetzt werden (limitational). Dem Anspruch, sämtliche regionalen - vor allem auch die endogenen - Entwicklungspotentiale zu erfassen, wird man damit nicht gerecht. Es wird jedoch eine Gruppe von Teilpotentialen angesprochen, die quasi für jede mögliche Form der regionalen Entwicklung bestimmend ist - als notwendige, aber nicht unbedingt hinreichende Bedingung. In den 80er Jahren wurden im Rahmen der Diskussion über Regionalpolitik und endogene Entwicklungskonzepte in zahlreichen Analysen zusätzliche Faktorenbündel identifiziert, die für die regionalen Entwicklungsmöglichkeiten ausschlaggebend sind8 • Als wichtigstes ist die regionale (und unternehmerische) Anpassungs-und Innovationsfähigkeit an sich verändernde technologische und (national- und welt-)wirtschaftliche Strukturen zu nennen. Eine Betrachtung von regionalen Entwicklungspotentialen ist nur sinnvoll, wenn Potentialfaktoren gleichzeitig als potentielle Entwicklungsengpässe diskutiert werden, was auch in der Definition von R. Thoss deutlich wird9 • Er faßt Potentialfaktoren zu drei Gruppen zusammen: Angebotspotential (Arbeitskräfte-, Kapital- und Infrastrukturpotential), Nachfragepotential (Marktpotential) und ökologisches Potential (Umwelt-, Flächen- und Landschaftspotential). Wirtschafts struktur und geographische Lage gehören bei Thoss nicht zu den Po7 Vgl. Biehl, D.: Das Potentialfaktorenkonzept und seine Anwendungsrnöglichkeiten. In: Stadtentwicklung als politischer Prozeß. Beiträge zu den August-Lösch-Tagen 1976. - Heidenheim 1978. = Heidenheimer Schriften zur Regionalwissenschaft, H. 4, S. 91 8 Vgl. dazu Stiens, G.: Regionale Entwicklungspotentiale und Entwicklungsperspektiven, a.a.O., S. 140 ff.; Müller, K.: Langfristige industrielle Entwicklungslinien in der Bundesrepublik Deutschland - der notwendige Strukturwandel des Ruhrgebietes. In: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, 6. Jg. (1985), S. 28-51; Stöhr, w.: Ansätze zu einer neuen Fundierung der Regionalpolitik. In: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, 5. Jg. (1984), S. 7-28; Spehl, H.: Zur Bedeutung der Wirtschaftsstruktur für die Regionalpolitik. In: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, 5. Jg. (1984), S. 75-93 9 Thoss, r.: Potentialfaktoren als Chance selbstverantwortlicher Entwicklung der Regionen. In: Inforrn. z. Raumentwickl. (1984) H. 1/2, S. 21-32

30

Eleonore Innen und Manfred Sinz

tentialfaktoren. Dem kann man entgegnen, daß die Wirtschafts struktur zwar ein Resultat und eine Verwendung von in der Vergangenheit liegenden Entwicklungspotentialen beschreibt, für die zukünftigen Entwicklungschancen einer Region aber durchaus einen Potentialfaktor darstellt, da damit näherungsweise derzeitige regionale strukturelle Anpassungsfähigkeiten charakterisiert werden können. Die starke Einbindung der deutschen Wirtschaft in internationale Handelsverftechtungen - mehr als ein Drittel der Produktion wird exportiert - verursacht in hohem Maße, daß die Rahmenbedingungen und Einftußfaktoren - national und regional - für internationale Wettbewerbsfähigkeit gelten. Dies gilt in Zukunft auch für die Regionen der neuen Länder. Insofern verstehen wir in der folgenden Analyse unter Entwicklungspotentialen bzw. Entwicklungsengpässen solche Faktoren, deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein für eine potentiell vielseitige wirtschaftliche Entwicklung förderlich oder hinderlich ist - auch bei zusätzlichem Vorhandensein und der Nutzung spezifischer endogener Potentiale. Dies entspricht der Forderung nach Polyvalenz der Faktoren im Sinne Biehls. Hohe Entwicklungspotentiale weisen solche Regionen auf, in denen geringe Engpässe für eine vielseitige wirtschaftliche Entwicklung nachzuweisen sind. Entwicklungspotentiale oder -engpässe würden demnach nicht als Differenz zwischen tatsächlichem und potentiellem Wert - d. h. bei gegebener Faktorenkonstellation und herrschenden Rahmenbedingungen maximal möglichem Wert, wie von einigen Autoren vorgeschlagen - verstanden, sondern als Differenz zwischen tatsächlichem Wert und einem Normierungswert. Bei zumindest großenteils unausgeschöpften Potentialen in den neuen Ländern und somit unbekannten Maximalwerten wird als Näherungsgröße für die Normierung bzw. Bewertung der Potentiale bzw. Engpässe der Mittelwert der Regionen insgesamt herangezogen. In Anlehnung an die in der Literatur am häufigsten genannten potential- bzw. engpaßbestimmenden Faktoren werden folgende Teilkomponenten in die Analyse einbezogen: Agglomerationsgrad, Wirtschaftsstruktur, Lage(un)gunst und Infrastruktur, Qualifikationsstrukturen des Humankapitals und Innovationskraft. Die spezielle Situation in den neuen Ländern zeigt jedoch auch, daß neben Entwicklungspotentialen und -engpässen für die regionale wirtschaftliche Entwicklung Rahmenbedingungen eine Rolle spielen, die nicht notwendigerweise in regionaler Verantwortung liegen. Dazu gehören die historischen Rahmenbedingungen ebenso wie die noch nicht voll funktionsfähigen Verwaltungsstrukturen, die hohe Umweltbelastung, die ungeklärten Eigentumsverhältnisse etc.

Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

31

III. Analytisches Konzept

Die Datenlage insbesondere für die neuen Länder erlaubt keine sehr differenzierte Operationalisierung und Bewertung der ausgewählten Faktoren. Es ist jedoch möglich, eine Reihe von Regionalindikatoren mit ausreichender Zuverlässigkeit zu berechnen, die wesentliche Elemente potentialbestimmender Faktoren enthalten bzw. abbilden. Ausgewählt wurden die in der nebenstehenden Übersicht 1 wiedergegebenen elf Indikatoren. Die meisten dieser Indikatoren wurden im Raumordnungsbericht 1991 der Bundesregierung zur Darstellung der räumlichen Ausgangssituation, insbesondere mit Blick auf die neuen Länder, verwendet. Dieser erste Katalog enthält keine Indikatoren zur Bevölkerungsentwicklung, zum Einkommen, zur Arbeitsmarktsituation oder zur Umweltsituation. Die Disparitäten in diesen Bereichen haben zwar ebenfalls Einfluß auf regionale Entwicklungspotentiale bzw. -engpässe, sind aber in erster Linie eine Folge der Nutzung vorhandener primärer Potentiale; d. h. sie zeigen an, wie die regionalen wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden und wie die Bevölkerung und die Umwelt darauf reagieren. Deshalb werden die sozialräumlichen Disparitäten erst in einem zweiten Schritt nach der Potentialanalyse betrachtet. Für Überlegungen zum Einsatz raumwirksamer Mittel sind beide Befunde sowohl die zu den Entwicklungspotentialen bzw. -engpässen als auch die zu den sozialräumlichen Disparitäten - relevant. Die gezielte Förderung erkannter Potentiale und der gleichzeitige Abbau entwicklungshemmender Engpässe kann in bestimmten Situationen ein wirksames Instrument regionaler Strukturpolitik sein. Eine solche Situation ist in den neuen Ländern gegeben (Mittelknappheit; großer Aufholbedarf; Notwendigkeit, rasch spürbare Verbesserungen zu erzielen). Aufgabe von Raumordnungspolitik ist es, verschiedene Fachpolitiken in ein solches Entwicklungskonzept zu integrieren. Gleichzeitig gilt jedoch, daß neben einer wachstumsorientierten Entwicklungspolitik stets auch die Notwendigkeit besteht, für ein Mindestmaß an regionalem Ausgleich unter Berücksichtigung drohender Disparitätenverschärfungen zu sorgen. Deshalb muß bei der konkreten Ausgestaltung raumordnerischer bzw. regionalpolitischer Instrumente neben dem Entwicklungspotential auch die Entwicklungsproblematik von Regionen, die sich in sozialräumlichen Disparitäten ausdrückt, berücksichtigt werden. Dadurch wird der Kern eines Wachstumspolkonzepts nicht beeinträchtigt, wohl aber sozialpolitischen Ausgleichserfordernissen Rechnung getragen.

32

Eleonore Innen und Manfred Sinz

Übersicht 1 Entwicklungspotentiale bzw. -engpässe Indikator

Meßkonzept

Bevölkerung

Einwohnerzahl 1989

Beschäftigung

Erwerbstätigkeil (alle Länder: Erwerbstätige nach Arbeilsstättenzählung 1987: neue Länder: Beschäftigte 1989)

DlenaUelatunglbelatz

Erwerbstätige im tertiären Sektor je 100 Erwerbsfähige (15- bis 65jährige) (alte Länder 1987. neue Länder 1989)

undwlrtlchaftabeaatz

Erwerbstätige im primären Sektor je 100 Erwerbsfähige (15- bis 65jährige) (alte Länder 1987, neue Länder 1989)

Indultrlekonzentratlon

Anteil der Beschäftigten in den drei größten Industriebranchen der jeweiligen Region an den Industriebeschäftigten insgesamt in % 1989

Infraatruktur

Infrastrukturindikator nach Biehl (komplexe Bewertung der Ausstattung in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, Energie, Bildung; EG-Durchschnitt - 100) 1985 Quelle: Blehl, D. U.a.: Kapazllilsausstanung ... [So Anm. (511

Verkehrilage - Straße

Reisezeit zum jeweils nächsten großen Agglomerationsraum in Minuten (Ziele: Hamburg, Bremen. Berlln. Hannover, Duisburg. Dortmund. Essen. Düsseldorf. Köln. Leipzig, Dresden. Frankfurt a.M., Nümberg, Stuttgart. MünChen). o.J.

Forschung und Entwicklung

Anteil der in der Forschung und Entwicklung Beschäftigten an den Beschäftigten der Wirtschaft insgesamt in % (alte Länder 1987. neue Länder 1989)

InnovatIoniberatung

Anzahl der Einrichtungen für Technologie- und Innovationsberatung je Region 1990

Hochqualifizierte

Anteil der Beschäftigten mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluß an den Beschäftigten insgesamt in % 1989

Studentendichte

Studenten am Hochschulort je 1 000 Einwohner 1989

Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

33

IV. Regions- und Zentrenraster

Für die Indikatorenberechnung und -darstellung ist zunächst festzulegen, welche räumlichen Bezugseinheiten zugrunde zu legen sind. Dabei gilt als Restriktion, daß die verfügbaren Basisdaten erst von Kreisebene an aufwärts vorliegen. Die Kreise bzw. kreisfreien Städte selbst erscheinen als Analyseräume ungeeignet, weil zumindest die letzteren als Wirtschaftssubjekte intensive Verflechtungsbeziehungen weit über ihre administrativen Grenzen hinaus aufweisen, die ihr Entwicklungspotential bzw. ihre Entwicklungsprobleme wesentlich mitbestimmen. Gesucht werden räumliche Einheiten, die nach außen abgrenzbare wirtschaftliche Teilräume darstellen und die das Entwicklungspotential ihrer Zentren im wesentlichen prägen. Außerdem müssen diese Einheiten aus Kreisen bzw. kreisfreien Städten zusammensetzbar sein. Diese Kriterien treffen für die Raumordnungsregionen zu, bei deren Abgrenzung für die neuen Länder die zentralörtlichen Verflechtungsräume, die Arbeitsmärkte und die wirtschaftsräumlichen Gegebenheiten berücksichtigt wurden 1O• Die Raumordnungsregionen dienten als Berichtsraster des Raumordnungsberichts 1991 der Bundesregierung. Die inzwischen durch die Landesplanung erarbeiteten Abgrenzungen von zentralörtlichen Verflechtungsbereichen bzw. Planungsregionen in den neuen Ländern entsprechen mit Ausnahme von Brandenburg sehr weitgehend den Raumordnungsregionen. In Brandenburg ist eine zweckmäßige Regionsabgrenzung durch das Land erst möglich, wenn die Frage der Einbeziehung Berlins geklärt ist. Für die Wahl der Raumordnungs- bzw. Planungsregionen als Bezugsraster zur Ermittlung und Bewertung regionaler Entwicklungspotentiale, -engpässe sowie -disparitäten spricht vor allem der Umstand, daß bei ihrer Abgrenzung das zentralörtliche System oberer Stufe (Oberzentren) zugrunde gelegt wurde. Die vorhandenen und auszubauenden Oberzentren sind die wichtigsten und geeignetsten Ansatzpunkte für eine am Wachstumspolkonzept orientierte Entwicklungsstrategie. Sie tragen im wesentlichen die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Verflechtungsbereiche und wirken weit in das ländliche Umland hinein. Zwischen den im raumordnerischen Konzept für die neuen Länder ausgewiesenen Entwicklungsregionen bzw. -zentren und den Oberzentren der Landesplanung in den neuen Ländern besteht eine sehr weitgehende Übereinstimmung. Nur vier von insgesamt 18 Oberzentren sind nicht als Hauptorte von Entwick10 Vgl. Gönnar, W.; Kessler, H.-R.; Kroner, G.; Maciuga, T.: Die Abgrenzung von Raumordnungsregionen und Ennittlung von Zentralen Orten oberer Stufe in den neuen Ländern für die Zwecke der Raumordnungsberichterstattung. In: Raumentwicklung in den alten und neuen Bundesländern. Arbeitsbeiträge zum Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1991. - Bonn 1991. = Materialien zur Raumentwicklung, H. 41, S. 1-9

3 Eckart/Roch

Eleonore Innen und Manfred Sinz

34

Landes kunde

und

Entwicklungspotentiale in den neuen Ulndern

Raum ordnun

Bundesgrenze

landesgrenze Raumordnungsregionsgrenze

Entwicklungsregion



50 km ""'" R~ion,typ.n

S.v&lkerung B.schGftlgung Metropole Berlin

+++

Industrie-

+

ogglomerationen Rostock

Potentlellaktor.n

Wirtschafts- Infr~ struktur Itruktur

+++ +

Röume

Rondröume

++

0 0

+++ ++

+++ .

weit überdurchschnituich

+

überdurchschnittlich dUf'"chschnlttlich unterdurchschnittlich stark unterdurchschnittlich

++

... stark überdurchschnittlich

:=

,. :=

++

++

Mittlere Verdichtungsr/jume U~ndliche

+++

Qualifikation Innovation

Bedeutender Ort (Auswahl)

Quelle:

Laufende Raumbeobachtung der 81l.R und eigene Berechnungen

CI BflR Bonn '992

Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

35

lungsregionen benannt (Brandenburg, Potsdam, Dessau, Gera), wobei Potsdam eigentlich zur Entwicklungsregion Berlin zu zählen ist. Umgekehrt sind überall dort, wo die Landesplanung keine Oberzentren ausweist, auch keine Entwicklungsregionen konzipiert.

V. Entwicklungspotentiale und -engpässe - empirische Ergebnisse

Es wurden verschiedene Verfahren getestet, um die in den Einzelindikatoren enthaltenen Informationen zu einem Gesamtbild des regionalen Entwicklungspotentials bzw. der regionalen Entwicklungsengpässe zusammenzufassen. Dazu gehörten die Mittelwertbildung über Rangziffern sowie über standardisierte Indikatorwerte, aber auch varianzanalytische Verfahren zur Ermittlung von Hauptkomponenten und zur Bildung von Regionsgruppen mit ähnlichen Eigenschaften. Außerdem wurde untersucht, zu welchen impliziten Gewichtungen das Vorhandensein von unterschiedlich starken Korrelationen zwischen den Einzelindikatoren führt und welche Wirkungen eine nach Expertenurteil festgelegte explizite Gewichtung auf das Ergebnis der Indikatorenzusammenfassung hat. Die plausibelste Darstellung von Entwicklungspotentialen in den Regionen der neuen Länder ergibt sich in Form einer Typologie, die Regionen mit ähnlichen Ausprägungen der Potential- bzw. Engpaßfaktoren zusammenfaßt. Es können sechs deutlich voneinander unterscheidbare Regionstypen identifiziert werden:

Übersicht 2 Regionstypen In den neuen Ländern nach Entwicklungspotentialen bzw. -engpässen Bezeichnung

Raumordnungsregion

1 Metropole Berlin

Berlin. angrenzende Landkreise einsehl. krsfr. Stadt Potsdam

2 Indu.trleagglomerationen

Halle. Leipzig und Dresden

3 Ro.tock

Raumordnungsregion Rostock

4 Mittlere Verdichtungsräume

Megdeburg. Dessau. Cottbus. Frankfurt/Oder. MitteIthüringen (Erfurt-Weimar), Ostthüringen (Jena-Gera) und Chemnitz

5 Lindllche Räume

Stralsund-Greifswald. Schwerin, Neubrandenburg, Prignitz, Schwedt-Eberswalde, Altmark und Brandenburg

6 Randräume

Nordthüringen, Südthüringen, Zwiekau-Plauen und Oberlausitz

11_ k_

OIe gNtMen Bezetcl1nungen bei Reglonstyp 2 Und ~-8 beziehen lieh auleln sIeCIlungssIruklUlell.. enarakler1sllkum und

ProbIemcIeIInftlonen dar.

36

Eleonore Innen und Manfred Sinz

Die Regionstypisierung ist Ergebnis einer Clusteranalyse, die die Regionen nach einem Ähnlichkeitskriterium zusammenfaßt. Die Reihenfolge der Regionstypen ist nach einem Gesamtindikator ihres durchschnittlichen Entwicklungspotentials gebildet, der durch eine additive Verknüpfung der elf standardisierten Einzelindikatoren dieses Bereichs entsteht I I. Die Standardisierung bewirkt, daß alle Indikatoren den Mittelwert 0 und die Standardabweichung (Streuungsmaß) 1 aufweisen. Die im folgenden aufgeführten Tabellen (Tabellen 1 und 2) enthalten diese standardisierten Indikatoren und zusätzlich Symbole, mit denen die Abweichung der Regionstypen bzw. der Einzelregionen vom Durchschnittswert des Beitrittsgebiets insgesamt dargestellt wird. Diese Darstellungsform ist auch in der Legende der Karte gewählt, in der die Entwicklungsregionen und ihre Lage in den einzelnen Regionstypen ausgewiesen sind. Zur Vereinfachung sind dabei die elf Einzelindikatoren zur Messung von Entwicklungspotentialen bzw. -engpässen zu vier Gruppen (Bevölkerung/Beschäftigung, Wirtschafts struktur, Infrastruktur, Qualifikation/lnnovation) zusammengefaßt. Die Einzelindikatoren für die Regionstypen und alle Regionen enthalten die Tabellen 3 und 4. Es zeigt sich ein deutliches, aber differenziertes Potentialgefälle von der Metropole Berlin zu den Randräumen. Überdurchschnittliche bzw. stark überdurchschnittliche Entwicklungspotentiale weisen außer Berlin nur Halle/Leipzig, Dresden sowie Rostock auf, das mit seiner Mischung aus sehr günstiger Wirtschafts- und Qualifikations-/lnnovationsstruktur gegenüber einer eher ungünstigen Infrastrukturausstattung sowie Bevölkerungs- bzw. Arbeitsplatzdichte einen Sonderfall darstellt. Die Gruppe der mittleren Verdichtungsräume hat durchschnittliche Potentialwerte, ist aber bezüglich der Ausprägung der Einzelindikatoren z.T. inhomogen; d. h. ihre etwas überdurchschnittlichen Gesamtpotentiale, die eine Ausweisung als Oberzentren und Entwicklungsregionen rechtfertigen, setzen sich unterschiedlich zusammen (vgl. Tab. 1). Außer Dessau sind alle Regionen dieses Typs als Entwicklungsregionen konzipiert. Für Dessau läßt sich aus den analytischen Befunden nicht ableiten, warum es nicht als Hauptort einer Entwicklungsregion gelten sollte. Seine Weglassung könnte nur durch die Lage im Einzugsbereich der größeren Entwicklungsregionen Magdeburg und Halle/Leipzig 11 Zur additiven Verknüpfung der standardisierten Einzelindikatoren muß sichergestellt werden, daß alle dieselbe Wertrichtung haben; d. h. hohe Meßwerte müssen stets hohes Entwicklungspotential bedeuten. Deshalb wird die standardisierte Ausprägung des Indikators "Verkehrslage - Straße", bei dem hohe Werte eine schlechte Erreichbarkeit (lange Reisezeiten zu den großen Agglomerationen) signalisieren, am Mittelwert 0 "gespiegelt". Ebenso wird bei den Indikatoren "Industriekonzentration" und "Landwirtschaftsbesatz" verfahren.

-0.22

6 Randriiume

o

++

+

+++

Ab".

-0.53

-0.07

-0 . 14

0.94

0.34

1. 69

Wert

Wirtschaftsstruktur

o

++

-0.52

-0.38

0.03

-0.86

0.84

2.93

+++

0

++

...

1!+

Abw.

Wert

Abw.

-0.62

- 0.59

0.07

0.72

0.79

3. 00

Wert

Qualifikation, Innovation

Infrastruktur

Quelle: Laufende Raumbeobachtung der BfLR, eigene Berechnungen Anmerkungen: Da es sich um standardisierte Indikatoren handelt, ist der Gesamtmitt~lwort gleich 0, die standardabweichung ist gleich 1. Erläuterung: Abw . : Abweichung vom Gesarntrnittelwert, Wert: Mittelwert des Regionstyps. Die Abweichung wird so bewertet, daß überdurchschnittliche Abweichungen als günstige, unterdurchschnittliche Abweichungen als ungünstige Potentialfaktoren interpretiert werden. Die Abweichung wird in \ der standardabweichung angegeben: +++ weit überdurchschnittlich (Abw. um .indestens 100\ nach oben) ++ stark überdurc.hschnittlich (Abw. zwischen 50 und 100\ nach oben) + überdurchschnittlich (Abw. zwischen 10 und 50\ nach oben) o durchschnittlich (Abw. um bis zu 10\ nach oben und unten) unterdurchschnittlich (Abw. zwischen 10 und 50\ nach unten) stark unterdurchschnittlich (Abw. zwischen 50 und 100\ nach unten) weit unterdurchschnittlich (Abw. um mindestens 100\ nach unten)

-0.56

5 Ländliche Riiume

Verdichtungsräume

-0.06

0

0.44

+

4 Mittlere

4.23

+++

-0.33

Wert

Abw.

Bevölkerung, Beschäftigung

Rostock

2 Industrieagglomerationen

Metropole Berlin

Regionstyp

Tabelle 1: Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern nach Regionstypen: Potentialfaktoren

-.l

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3

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Entwicklungsregion (

Abw.

H'

Wert

4. 2]

Abw.

Wert

Wirtschaftsstruktur

Bevölkerung, Beschli ft igung

•• +

2. 9]

...

Abw.

Wert

Innovation

Abw.

Wert

lnfrastruktur

Strllsund-Greifsw. schwer in schwedt-Eberswalde Neubrandenburg Brlndenburg Altmark Prignitz

76 78 80 79 82 85 81 0

0

0

+

0



-0.10 0.00 -0.32 -0.48

-0.46 -0.34 -0.67 -0.50 -0.64 -0.63 -0.69 0

0

0

0

+





++

-0. ]] 0.30 -0.73 0.07 0 . 24 0.09 -0.22 -0.14



O.lt

0.46 0.5]

Quelle: Laufende Rau_beobachtung der BfLR, eigene Berechnungen An.erkungen siehe Tab. 1.1

90 oberlausitz ~] Zwickau-Plauen 97 SUdthUringen 94 NordthUringen

che .. nitz Frankfurt/Oder o.tthUringen Hlgdeburg HittelthUringen Dessau cottbus

92 83 96 86 95 87 84

77 Rostock

+

91 Dresden 89 Leipzig 88 III11e

•• +

+ ••

7S Berlin

o. ])

-0.40 -0.67 -0.35 -0.71

0.19 0.02 0.01 0.03 -0.25 -0.06 -0.46

-0.18 -0.57 -0.12

-0 . 60 O. ]0 -0.16

0.94

0.27

O. ]8

0.]8

1. 69

•• ••

0

0

+

+ +

0

•••

O.OS -0.10 -1. 48 -0.56

-0 . 92 -0.51 0 . 12 -0.67 0.01 -0.26 -0.46

u

• 0

0

••

0.09 0.38 -0 . 20 -0.49 -0.32 0.44 0.30

-0.86

H'

••

0 . 88 1.11 0 . 54

-0.83 -0.63 -O.le -0.76

-0.07 -0.35 -O.SS -0.59 -0.13 -0.92 -0.91

0.47 0.09 0.20 - 0 . 13 0.19 0.07 -0.39

O. 72

1. ] 5

0.5] 0.48

J. 00

--------------------------- --------------------------- ------ -------------------------------------------------------

Region

., --------------------------------_.---------------------------------------------------"------------------------------

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------. Qualifikation,

Tabelle 2: Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern nach den Regionen: Potentialfaktoren

:r N

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Q.

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Tabelle 3: Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern nach Regionstypen: Einzelindikatoren

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Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

41

erklärt werden. Ähnliches gilt für die beiden Oberzentren Brandenburg und Gera. Brandenburg liegt auf der Achse zwischen Berlin und Magdeburg, Gera zwischen den Entwicklungsregionen Erfurt/Jena und Chemnitz. Die ländlichen Räume weisen bis auf die Wirtschaftsstruktur i. d. R. unterdurchschnittliche bzw. stark unterdurchschnittliche Potentiale auf. Vor allem das Bevölkerungs-/Arbeitsplatzpotential und der Faktor Qualifikation/lnnovation stellen hier Engpaßfaktoren dar. Trotzdem sind auch in diesem Regionstyp Entwicklungsregionen konzipiert (Stralsund/Greifswald, Schwerin, Neubrandenburg). Ihre Ausweisung verfolgt erkennbar das Ziel, die großen Lücken zwischen den vorhandenen starken Entwicklungspolen in der Mitte und im Norden der neuen Länder zu schließen. Es handelt sich demnach um beabsichtigte, noch auszubauende Entwicklungszentren bzw. -regionen. Von den im ländlichen Raum für eine solche Funktion in Frage kommenden Zentren erscheinen die drei ausgewählten am geeignetsten. Nur sie haben den Status landesplanerisch ausgewiesener Oberzentren, und sie nehmen auch in der Bewertung der Potentialfaktoren die oberen Plätze innerhalb des ländlich geprägten Regionstyps ein (vgl. Tab. 2). Besondere Problemregionen stellen die sog. "Randräume" Nord- und Südthüringen sowie Zwickau-Plauen und die Oberlausitz dar. Sie sind bei allen Potentialfaktoren durch erhebliche Engpässe geprägt, die sowohl auf wirtschaftsstrukturelle wie auch auf infrastrukturelle Defizite zurückzuführen sind. Eine wichtige Rolle für diese Defizite dürfte auch ihre Randlage in der ehemaligen DDR gespielt haben.

VI. Sozialräumliche Disparitäten - empirische Ergebnisse

Wie im analytischen Konzept erörtert, ist es notwendig, neben den Entwicklungspotentialen bzw. -engpässen auch die daraus resultierenden sozialräumlichen Disparitäten (Entwicklungsprobleme) in eine raumordnerische Konzeption zum Aufbau in den neuen Ländern einzubeziehen. Die drängendsten Probleme der neuen Länder und gleichzeitig die größten Disparitäten gegenüber den alten Ländern sind z. Z. mit Sicherheit in der Arbeitsmarktsituation und im Umweltbereich zu sehen. Der Problemdruck in beiden Bereichen hat Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung sowie auf die Abwanderungen und damit auch auf die Altersstruktur. Entsprechend ist der Indikatorenkatalog zur Messung sozialräumlicher Disparitäten in den neuen Ländern aufgebaut (s. Übersicht 3). Einkommensindikatoren wie z. B. Bruttoinlandsprodukt oder Löhne und Gehälter, die üblicherweise zu den wichtigsten Anzeigern sozialräumlicher Disparitäten gehören, sind. z. Z. für die neuen Länder nicht zuverlässig berechenbar.

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44

Eleonore Irmen und Manfred Sinz

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Kurzarbeiter je 100 Arbeitnehmer, April 1991

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Anteil der arbeitslosen Frauen an den Arbeitslosen insgesamt in %, April 1991

Frelsetzungsquote Treuhand

Anteil der freigesetzten Beschäftigten in Betrieben der Treuhandanstalt an den Beschäftigten insgesamt in % bis Dez. 1991

Luftbelastung

Schwefeldioxidemissionen in Tonnen je Quadratkilometer (Jahressummenl 1986

Zudem muß bei der Interpretation der Indikatoren berücksichtigt werden, daß die vorhandenen Indikatoren nur eingeschränkt die gesamte Dimension eines Problembereichs widerspiegeln. Beispielsweise kann die Arbeitslosenquote nur einen Teil der Arbeitsmarktprobleme beschreiben. Besonderheiten des Arbeitsmarktes in den neuen Ländern werden dadurch nicht erfaßt: Kurzarbeit, Beschäftigung in vorübergehenden Qualifikationsmaßnahmen, Beschäftigungsgesellschaften etc. Eine Darstellung der standardisierten Indikatorausprägungen nach den sechs Regionstypen des Entwicklungspotentials (vgl. Tab. 5) zeigt, daß Art und Ausmaß sozialräumlicher Disparitäten nicht einfach Art und Ausmaß der Potentialdefizite bzw. Entwicklungsengpässe in den Regionen spiegeln l2 • So weisen beispielsweise viele potentialschwache ländliche Regionen vergleichsweise weniger sozialräumliche Disparitäten auf - gemessen an den hier abgebildeten Problembereichen Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsmarkt und Umwelt - als die Industrieagglomerationen oder einige der mittleren Verdichtungsräume (vgl. Tab. 6). Insgesamt zeigt sich ein deutliches Gefälle der sozialräumlichen Disparitäten zwischen dem dichter besiedelten, industrialisierten Süden der ehemaligen DDR und den dünn besiedelten Regionen der Mitte und des Nordens. Die 12 Diese Beobachtung ist mit Blick auf die alten Bundesländer keineswegs neu, Auch dort gibt es Regionen mit hohen Potentialen und gleichzeitig schwierigen sozialräumlichen Problemen (Beispiel: Ruhrgebiet) sowie relativ potentialschwache Räume mit großer Dynamik und wenig sozialräumlichen Disparitäten (Beispiel: Bodenseeraum).

Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

45

Region Berlin weist im Vergleich der neuen Länder gemessen an den hier verwendeten Indikatoren erwartungsgemäß die geringste Entwicklungsbedürftigkeit auf; die größten Defizite bzw. den höchsten Problemdruck haben ZwickauPlauen, Chemnitz und Leipzig. Betont werden muß der relative Charakter dieser indikatorengestützten Bewertung von Entwicklungsproblemen. Verglichen mit den meisten Regionen in den alten Ländern haben alle Regionen in der ehemaligen DDR große Entwicklungsproblerne. Die hier gewählte Darstellung verdeutlicht lediglich, wo sich diese Probleme bzw. ihr mit den gewählten Indikatoren meßbarer Ausdruck in den neuen Ländern besonders massiv konzentrieren. Es zeigt sich außerdem, daß ein relativ hohes Entwicklungspotential kombiniert mit vergleichsweise niedrigem Problemdruck nur im Großraum Berlin und in der Region Rostock vorliegt. Dabei liegt Rostock allerdings z. T. nur sehr knapp über bzw. unter dem jeweiligen Durchschnittswert der entsprechenden Indikatoren für die neuen Länder. Der industriell geprägte Süden der ehemaligen DDR weist zwar vergleichsweise hohe Entwicklungspotentiale auf, ist aber wegen hoher Umweltbelastung, negativer Bevölkerungs- und Wanderungsentwicklung und teilweise hohen Freisetzungsquoten von Treuhandbeschäftigten einem besonderen Problemdruck ausgesetzt. Die dünn besiedelten ländlichen Räume der Mitte und des Nordens in den neuen Ländern haben erwartungsgemäß niedrige Entwicklungspotentiale, aber auch einen vergleichsweise geringeren Problemdruck als die südlichen Industrieregionen. Von diesen sind die etwas geringer verdichteten peripher gelegenen und/oder stark umweltbelasteten Räume wie Oberlausitz, Zwickau-Plauen oder Süd- bzw. Nordthüringen in einer besonders schwierigen Situation. Sie weisen unterdurchschnittliche Entwicklungspotentiale bei gleichzeitig überdurchschnittlichen sozialräumlichen Disparitäten auf.

VII. Möglichkeiten zur maßnahmenbezogenen Schwerpunktsetzung

Die festgestellten Potentiale, Engpässe und sozialräumlichen Disparitäten weisen in den Regionen bzw. Regionstypen der neuen Länder ein charakteristisches Muster auf (vgl. Übersicht 4). Das Potentialgefälle von der Metropole Berlin zu den Randräumen wird zum einen von den mit dem Agglomerationsgrad eng zusammenhängenden Faktoren bestimmt (Dienstleistungsbesatz, Qualifikationsstruktur, Innovationspotential), zum anderen von Ausstattungsmerkmalen der Infrastruktur und von der Verkehrslage bzw. Erreichbarkeit. Die Engpässe der als Entwicklungsregionen konzipierten Räume bzw. Zentren liegen in ihrer veralteten und verbrauchten Industriestruktur und infrastrukturellen Ausstattungsmängeln, die die Funktionsfähigkeit der Oberzentren als Wirtschafts-

46

Eleonore Innen und Manfred Sinz

und Versorgungszentren eines teilweise sehr ausgedehnten Umlandes beeinträchtigen. Außerhalb der Entwicklungsregionen sind vor allem Engpässe im Qualifikationsbereich und bei der Ausstattung mit zentralörtlichen Funktionen mittlerer bzw. unterer Stufe sowie der dazugehörigen Infrastruktur und Verkehrsanbindung festzustellen. In den Randräumen fallen diese Engpässe mit einer besonders ungünstigen Wirtschafts struktur zusammen; in den ländlichen Regionen werden die Strukturprobleme von geringer Bevölkerungsdichte sowie von mangelnder Produktivität und deshalb notwendigen Freisetzungen im Landwirtschaftssektor geprägt. Die z. Z. feststellbaren sozialräumlichen Disparitäten treten in unterschiedlichen räumlichen Kombinationen auf. Die großen Agglomerationen Halle/Leipzig und Dresden haben ihre Problemschwerpunkte im Umweltbereich und bei der bisherigen Abwanderung der Bevölkerung. Ihre Arbeitsmarktprobleme schlagen sich vor allem in hohen Kurzarbeiterquoten und überdurchschnittlichen Freisetzungsquoten von Treuhandbeschäftigten nieder. Letzteres trifft ganz besonders für den kleinen Agglomerationsraum Rostock zu. Bei den Entwicklungsregionen in den mittleren Verdichtungsräumen ist das Disparitätenmuster gemischt und sowohl durch Arbeitsmarktprobleme als auch durch Abwanderungsprobleme charakterisiert. Die ländlichen Räume haben trotz ihrer Potential schwäche die vergleichsweise geringsten sozialräumlichen Disparitäten innerhalb der neuen Länder aufzuweisen. Dagegen sind in den sog. Randregionen nahezu alle Indikatoren dieses Bereichs - insbesondere aber die Altersstruktur und die Frauenarbeitslosigkeit - ungünstig ausgeprägt. Für Raumordnung und Regionalpolitik stellt sich die Aufgabe, die im Zeitablauf immer deutlicher zutage tretenden Disparitäten abzubauen. Mittel- und langfristig ist dies nur durch Stärkung vorhandener Potentiale und durch die gezielte Beseitigung festgestellter Engpässe möglich. Das Konzept der Entwicklungsregionen stellt eine wirksame Operationalisierung dieses Ansatzes dar. Gleichzeitig und kurzfristig muß jedoch versucht werden, ein Anwachsen der alarmierendsten sozialräumlichen Disparitäten auch dort zu vermeiden, wo die vorhandenen Potential- und Engpaßfaktoren dazu zunächst wenig Ansatzpunkte bieten. Bildhaft ausgedrückt: Wo die Ursachen der Krankheit unbekannt oder vorerst nicht greifbar sind, muß auch an den Symptomen kuriert werden. Unter Effizienzgesichtspunkten stellt dies eine strukturpolitische Gratwanderung dar, die aber nicht zu umgehen ist, wenn tiefgreifende soziale Konflikte vermieden werden sollen. Die gleichen Gründe, die dafür sprechen, knappe Ressourcen räumlich selektiv und konzentriert einzusetzen (Entwicklungspolkonzept), erfordern auch eine fachlich-sektorale Auswahl und Konzentration. Dies bedeutet, daß nicht alle Instrumente der Strukturpolitik gleichzeitig in allen Entwicklungsregionen einzusetzen sind und daß den sozialräumlichen Disparitäten nicht in allen Regionen mit dem gesamten Katalog möglicher Stützungsmaßnahmen zu begegnen ist.

Mittlere Verdichtungsräume - Chemnitz - Frankfurt/O. - Ostthüringen (Jena, - Magdeburg - Mittelthür. (Erfurt) - Dessau - Cottbus

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Übersicht 4 Entwicklungspotentiale und -engpässe sowie sozialräumliche Disparitäten in den neuen Ländern nach Regionstypen

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Übersicht 5 Maßnahmeschwerpunkte in den neuen Ländern nach Regionstypen

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Regionale Entwicklungspotentiale und -engpässe in den neuen Ländern

49

Eine zwingende Herleitung von Maßnahmeschwerpunkten nach den festgestellten Entwicklungspotentialen bzw. -engpässen und nach den Brennpunkten sozialräumlicher Disparitäten mit Ausschließlichkeitsanspruch ist weder möglich noch zweckmäßig. Es können jedoch Bereiche angegeben werden, in denen eine räumlich und fachlich selektive Intervention mit strukturpolitischen Instrumenten sinnvoll erscheint. Übersicht 5 zeigt den Entwurf einer solchen Schwerpunktsetzung. Bei der gegebenen Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen strukturpolitisch zuständigen Bundesressorts einerseits sowie zwischen Raumordnung und Landesplanung andererseits ist die Durchsetzung eines derartigen Schwerpunktkonzepts von oben herab nicht denkbar und vom Verfassungsgeber auch nicht gewollt. Aus der Sicht der Bundesraumordnung ist das vorgestellte strukturpolitische Schwerpunktkonzept ein Orientierungsrahmen, den Landes- und Regionalplanung auszufüllen haben und den die Fachressorts bei der Koordination und Regionalisierung ihrer Maßnahmen berücksichtigen sollen. Gegenüber den Akteuren vor Ort hat ein solcher Schwerpunktkatalog Inforrnations- und Empfehlungscharakter, d. h. er hilft, die eigene Lage im Vergleich zu anderen Regionen realistisch einzuschätzen, die spezifischen Potentiale und Engpässe zu identifizieren und Prioritäten für den Disparitätenabbau zu setzen. Er unterstützt damit die Ausarbeitung regionaler Entwicklungskonzepte und ist gleichzeitig eine Handreichung für Investoren, die damit zu einer besseren Einschätzung von Standortbedingungen und Wettbewerbschancen gelangen können.

4 Eckart/Roch

Bernd Bodo Beyer

AKTUELLE PROBLEME DER LANDESPLANUNG IN THÜRINGEN Im Rahmen unserer heutigen Veranstaltung möchte ich zu ausgewählten Aspekten der Landesplanung Thüringens einige Aussagen machen. Ich sage bewußt zu einigen Aspekten, denn die zur Verfügung stehende Zeit erlaubt es in der Tat nicht, in aller Ausführlichkeit und gebotenen Detailtreue die ganze Breite der Verarbeitung des bis zur Landesgründung Gewachsenen und Entstandenen, des Prozesses des strukturellen und organisatorischen Aufbaus der Landesplanung sowie der Erarbeitung raumordnerischer und landesplanerischer Ziele, darzustellen. Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich mich auf folgende Punkte konzentriere; und die eine oder andere Aussage skizzenhaft untermale. 1. Thüringen in Deutschland und Europa 2. Wenige geographisch-strukturelle Ausgangsbedingungen 3. Rechtliche und organisatorische Grundlagen der Landes- und Regionalplanung in Thüringen 4. Raumstrukturelle Ansatzpunkte für die Erarbeitung des Landesentwicklungsplanes (LEP) und schließlich 5. Aktuelle Probleme im Rahmen der Landes- und Regionalplanung

I. Thüringen in Deutschland und Europa

Mit der Grenzöffnung und der deutschen Einigung ist Thüringen innerhalb Deutschlands und Europas wieder in eine geopolitische Lage gekommen, die zwar im ersten Blick ausschließliche Transitfunktion vermuten läßt, in Wahrheit aber eine Mittelpunktfunktion, eine Verbindungsfunktion in alle Himmelsrichtungen, eine quasi Drehscheibenfunktion oder, wenn Sie so wollen, eine Brükkenfunktion einnimmt, die es für Thüringen - ich spreche jetzt aus etwas lokalpatriotischer Sicht - als Standortfaktor zu nutzen gilt.

4 •

52

Bemd Bodo Beyer

Im Grunde genommen kann man diesen Modellgedanken aus gesamteuropäischer Sicht für die Bundesrepublik insgesamt in Ansatz bringen. Die sich bislang vollzogenen raumstrukturellen Entwicklungen in Westeuropa waren auf eine eindeutige N-S-Orientierung ausgerichtet und wurden auch als sogenannte "europäische Banane" bezeichnet (Abb. 1). Mit der Öffnung Europas nach Osten, Norden und Süd-Osten erhalten plötzlich völlig neue Beziehungen räumliche Wirkungen, von denen auch Thüringen, wir hoffen im positiven Sinne, betroffen sein wird. In der deutschen Raumordnungsstruktur rückte Thüringen als ehemaliges südwestliches Grenzland der DDR in einen räumlichen Mittelpunkt mit nunmehr fünf angrenzenden Bundesländern (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen). Zu dem ehemaligen Grenzland Thüringen einige Ausführungen: Die drei sogenannten Süd-West-Bezirke der DDR Erfurt, Gera und Suhl umfassen etwa 14 % der DDR-Fläche mit ca. 15 % der Einwohner der DDR und besaßen mit etwa 64 % ihrer Außengrenzen eine gemeinsame Grenze zur Bundesrepublik Deutschland, konkret zu den Ländern Bayern, Hessen und Niedersachsen. Auch wenn ein "Zonenrandgebiet" in keinem raumplanerischen Dokument der DDR explizit ausgewiesen war, existierte dieses Randgebiet tatsächlich durch die militärischen Grenzsicherungsanlagen von oft erheblicher räumlicher Tiefe und hatte damit für alle planerischen Prozesse immer einen Sonderstatus. Besonders betroffen waren die Städte in unmittelbarer Grenzlage, wie u. a. Lehesten, Sonneberg, Geisa, Gerstungen, Treffurt, Ellrich usw., die einen besonderen Sicherheitsstatus erhielten und nur mit Sondergenehmigung erreichbar waren. 1975 wurde Sonneberg aus dem Grenzbereich freigegeben. Besonderheiten des Grenzbereiches waren: eine überhöhte Migration z.T. planmäßige Aussiedlungen überdurchschnittliche Auspendlerzahlen totale Unterbrechung von gewachsenen Verkehrsverbindungen nach Westen bzw. Süden "Schutzgebietsfunktionen" nach allen positiven und negativen Richtungen Erschwerniszuschlag pro Einwohner von M 150,00 monatlich Übereinstimmung mit Kriterien "Ländlicher Raum" und "strukturschwache Zonen" punktuelle Förderung von Industrie relativ normale Landwirtschaft. Aus der Sicht der Verteilung von Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen muß man Thüringen insgesamt zu einem ländlichen Raum zählen, "einge-

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

E:::::::::::::::::::::3 etablierte

Wirtschafl~zentren

CJ EG-Aufsteiger

C3 wenig entwickelte Regionen . . . Ost-West-Impulse

- - - - Atlantik-Periphene

lUrtengrundlqe: manqer magazin 311990

Abb. 1.- Die europäischen Wachstumszentren

53

54

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streute" Verdichtungsräume entwickeln sich entlang der Thüringer Städtereihe um die Kerne Erfurt, Jena und Gera. Ich werde auf diese Raumkategorie noch einmal zu sprechen kommen. Großräumige Verkehrsachsen schneiden Thüringen nunmehr mit der gewachsenen Bedeutung der Autobahnen in West-Ost-Richtung (A 4) und Nord-SüdRichtung (A 9). Die geplanten Verkehrsbaumaßnahrnen im Rahmen der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden künftig die bestehenden Verkehrsachsen verstärken bzw. durch weitere ergänzen. Auch dazu noch später einige Aussagen. Soviel kann ich aber an dieser Stelle schon sagen: Transitfunktionen und großräumige Verkehrsachsen werden für Thüringen einen eindeutigen Charakter von Entwicklungsachsen haben, gebündelte Infrastruktur und der entsprechende Zugang in den angelagerten städtischen Knoten bilden das Grundgerüst der räumlichen Entwicklung Thüringens. Dabei spielt die West-Ost-Achse entlang der Thüringischen Städtereihe eine für das ganze Land herausragende Rolle.

11. Wenige geographisch-strukturelle Ausgangsbedingungen

Erlauben Sie mir bitte einen ganz kleinen Ausflug in die Geographie, eigentlich mehr zum Verständnis der einen oder anderen raumordnerischen Schlußfolgerungen, die wir für die Landesentwicklung gezogen haben.

1. Geologie und Baumaterial Das Thüringer Becken wird durch eine Keuperschicht gebildet, die in Verbindung mit Lößablagerungen für die Thüringer Landwirtschaft eine hervorragende Grundlage bildet. Der darumliegende Muschelkalk ist das eigentliche Baumaterial Thüringens, sowohl als Straßen- und Kopfpflaster, Sockel- und Wandmauerwerk, Fachwerkausfachung, bis hin zu Wohn- und Repräsentationsbauten. Er bildet weiterhin die Schichtung mit den Leitfossilien, die Ausgangsbasis für die Kalk- und Zementproduktion und als Verwitterungsschicht einen minderwertigen landwirtschaftlichen Boden. Ebenso bildet der Buntsandstein als ein zweiter Kranz um das Keuperbecken ein wichtiges Baumaterial, einen mittelklassigen Boden und die Unterlage für

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

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größere zusammenhängende Waldbestände. Die geringere Widerstandsfähigkeit des Sandsteins gegen Verwitterung und Erosion verleiht den Geländebewegungen der Buntsandsteingebiete sanfte und gerundete Linien, wohingegen der Muschelkalk oft steil und schroff, sichtbar geschichtet, den Gebieten eine starke Reliefenergie verleiht. Neben den Hartgesteinen in den Auffaltungen des Thüringer Waldes spielt der Schiefer für bestimmte Gebiete eine vordergründige Rolle. Lehesten, Steinach, Unterloquitz als die Abbaustandorte für Spalt-, Griffelund Blockschiefer gaben mit ihrem Baumaterial großen Teilen des Thüringer Waldes, des Schiefergebirges, des Vogtlandes und des Frankenwaldes ihr bis heute eigenes Gepräge.

2. Morphologie Das aufgefaltete Kammrippengebirge des Thüringer Waldes, die vorgeschobenen Randplatten des Schiefergebirges sowie die Formationen des Muschelkalkes geben dem Thüringer Land das morphologische Gesicht. Etwa in der Dreigliederung - unter200m - 200-500m - über500m läßt sich mit der Überlagerung mit den Flußauen die Thüringer Typik erkennen. Als zentraler Raum stellt sich deutlich das Thüringer Becken dar mit einer inneren und einer äußeren Begrenzung. Während die innere Begrenzung im Norden durch Dün, Hainleite, Schmücke, Schrecke, den Kyffhäuser, im Süden durch die Fahnerschen Höhen und den Euersberg gebildet werden, bilden Harz im Norden und Thüringer Wald/Schiefergebirge im Süden die großen Begrenzungen. Der Raum südlich des Thüringer Waldes, zwischen den Gleichbergen und Werratal, zählt schon zum fränkischen Hügelland und zum Einzugsgebiet des Mains.

3. Geographische Verteilung der Siedlungen Insgesamt wird der Thüringer Raum von ca. 4.000 Siedlungen bedeckt, die sich flächendeckend, bis auf das Kammgebiet des Thüringer Waldes und das Zechsteingebirge zwischen Pößneck und Jena, nahezu gleichmäßig verteilen.

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Bemd Bodo Beyer

Stärker besiedelte Flußtalachsen der Gera, Ilm, Saale, Orla, Werra und Elster sind mit der Aneinanderreihung größerer Siedlungen ebenso erkennbar wie die starke Besiedlung der Talausgänge sowohl am nördlichen als auch am südlichen Rand des Thüringer Waldes. Die Siedlungsdichte wird nach Ost-Südost immer höher, die Einwohnerzahl der ländlichen Siedlungen jedoch geringer. Mit einer Durchschnittszahl von 2,8 Siedlungen pro Gemeinde ist auch der administrative Konzentrationsgrad relativ gering.

4. Städte und Dörfer im Netz der Verkehrslinien Derzeit sind die ca. 4.000 Siedlungen Thüringens in 1.693 Gemeinden organisiert, von denen 125 Stadtrecht haben, u. a. Städte über 100 000 Einwohner

50 - unter 100 000 Einwohner

Erfurt

204912

Gera

126521

Jena

100967

Weimar

59106

Gotha

53372

Suhl

53918

Altenburg

47243

Eisenach

44266

Nordhausen

45794

Mühlhausen

39667

20- unter 50 000 Einwohner

15 Städte

3- unter 20 000 Einwohner

83 Städte

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

57

5. Talauen und Flüsse Deutlich erkennt man den Thüringer Wald und das westliche Schiefergebirge als die Wasserscheide für die Abflußrichtungen nach Norden und nach Süden (EIbe und Werra als die Sammelflüsse der thüringischen Flußgebiete). Während nach Norden die Gera, 11m, Loquitz, Sormitz, Schwarza, Saale und Elster die Haupttäler bilden, wird der Thüringer Wald in seiner westlichen Ausdehnung im Norden durch die Hörsei und im Süden durch die Werra beschrieben. Prägend für das nördliche Thüringer Becken ist der Verlauf der Unstrut bis zur Mündung in die Saale zwischen Freiburg und Naumburg, mit dem bemerkenswerten Durchbruch durch die nördliche Gebirgsschwelle, der Thüringischen Pforte. Gerade die tiefeingeschnittenen Kerbtäler der Sormitz, Loquitz, Schwarza, Saale und z.T. der Elster in die vorgeschobenen Randplatten des Schiefergebirges nach Norden bilden den besonderen Reiz der süd-östlichen thüringischen Landschaft, in der u. a. auch die Kaskaden der fünf hintereinander folgenden Saaletalsperren eingebettet sind, von denen die Bleiloch- und die Hohenwartetalsperre die größten sind.

6. Bewaldung Insgesamt sind 36,6 % der Fläche Thüringens bewaldet, das waren 17 % der Waldfläche der DDR. Deutlich zeigt sich aber in der inneren Differenzierung die weitestgehend entblößte thüringische Ackerebene, geologisch: das Keuperbekken, mit den hochwertigen landwirtschaftlichen Böden. Die "echte" thüringische Landschaft stellt eigentlich der Bereich zwischen 200 und 500 m dar, der Wechsel von Feldern, Weiden und Waldflächen auf den Formationen des Buntsandsteins, des Muschelkalks und im Schiefergebirge. Der Harz im Norden und der Thüringer Wald im Süden zeigen sich als kompakte Waldfläche, sicherlich trägt dieses insbesondere zum Begriff "Grünes Herz" mit bei. Der hohe Anteil an Fichtenbeständen insgesamt, besonders aber im Thüringer Wald und im Schiefergebirge, birgt zunehmend ein Schadenspotential; in bestimmten Regionen sind bereits bis zu 60 % geschädigte Bestände nachweisbar. Rund 50 % der Fläche Thüringens sind landwirtschaftliche Nutzfläche, davon wiederum ein rundes Drittel Grünlandanteile.

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Zur Spezifik Thüringens zählt auch eine Reihe von Städten, die weniger als 1.000 Einwohner haben, darunter Neumark, Teichei, Ummerstadt und viele andere, deren historischer Ursprung in der Vielzahl von kleinen Staaten in der jahrhundertelangen Geschichte Thüringens begründet liegt. Auffallend ist die Aneinanderreihung großer Städte in der sogenannten thüringischen Städtereihe (Eisenach - Gotha - Erfurt - Weimar - Jena - Gera), die insgesamt nach Qualität und Quantität das "Rückgrat" Thüringens bilden und im Norden durch Mühlhausen und Nordhausen, im Süden durch Suhl/ZellaMehlis - Meiningen und die Konzentration Saalfeld - Rudolstadt - Bad Blankenburg im Süd-Osten ergänzt werden. In relativ gleichmäßigem Rhythmus von ca. 20 bis 25 km Abständen wird der ländliche Raum von kleineren Kreisstädten erschlossen, wobei die Häufung von kleinen Kreisstädten zwischen Saale und Elster (Eisenberg, Stadtroda, Schleiz, Pößneck, Zeulenroda und Lobenstein) besonders auffällig ist.

Ein dichtes Netz von Fernverkehrsstraßen verbindet alle städtischen Knoten und macht den Rhythmus der gleichmäßigen Abstände noch einmal deutlich. Aus der historischen Entwicklung der Städtestruktur Thüringens stammt auch die besondere Lage der Vielzahl der Kleinstädte im Netz der heutigen Fernverkehrsstraßen. Abstände von 20 bis 25 km integrieren keine Kleinstädte, wird die Entfernung zwischen den größeren Städten mehr als 25 km, liegen die Kleinstädte, beinahe flächendeckend, dazwischen. Trotz dieser günstigen Verkehrslage haben nahezu alle Kleinstädte einen hohen Substanzverlust und zählen heute, neben einigen ländlichen Gemeinden in peripheren Gebieten, zu den Problemkategorien unserer Siedlungsstruktur.

7. Zur Geschichte Thüringens Im 5. und 6. Jahrhundert bildete sich Thüringen als ein Stammesgebiet des Thüringer Königsreiches heraus, ging aber nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit Franken zugrunde. Das Thüringische Landgrafengeschlecht der Ludowinger galt als die Wiederbe gründer Thüringens, in dem sie einheimische Grafenhäuser unter ihre Oberhoheit brachten (Bau der Wartburg 1067 durch Ludwig den Springer, Gründung des Klosters Reinhardsbrunn) 1247 Tod von Heinrich Raspe brachte den Niedergang. 1247 bis 1262 Vorherrschaft der Wettiner und Trennung in eine albertinische und ernestinische Linie, hochgradige Zersplitterung Thüringens durch Erbteilung.

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

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Hinzu kam der Einfluß von Kur-Mainz auf Erfurt und das Eichsfeld, die Selbständigkeit der Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen. Nach dem napoleonischen Krieg 1815 entstanden in der Großprovinz Sachsens thüringische Herrschaftshäuser: Großherzogturn Sachsen-Weimar-Eisenach Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha Herzogtum Sachsen-Meiningen Herzogtum Sachsen-Altenburg Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen Fürstentum Reuss ältere Linie Fürstentum Reuss jüngere Linie Während die Städte Erfurt, Mühlhausen, Nordhausen, das Eichsfeld, Suhl, Ziegenrück zur preußischen Provinz kamen, wurde Schmalkalden an HessenNassau angeschlossen. Diese Gliederung bestand bis 1918 und war das Ergebnis eines Jahrhunderte währenden Prozesses von Teilungen und Zusammenschlüssen mit für uns heute folgenden positiven Folgen: Jedes Herrschaftshaus hatte eine Hauptstadt (Residenz) und einen Herrschaftssitz (Schloß). Diesem Umstand verdanken wir heute eine einmalige Dichte von sogenannten Residenzstädten in Thüringen und ihrem spezifischen Charakter: Das Schloß als städtebaulich integrierter Teil der Stadt. Hervorragende Beispiele dafür sind: Meiningen, Schmalkalden, Hildburghausen, Schleusingen, Rudolstadt, Orlamünde, Arnstadt, Eisenach, Gotha, Weimar, Gera, Greiz, Sondershausen, Ziegenrück, Saalfeld, Weida, Altenburg u. a. Diese Städte mit ihrem bis heute bestimmenden Fluidum einer Residenzstadt zählen zu den endogenen Potentialen für den Tourismus in Thüringen, auch wenn der Bauzustand und die Nutzung nicht immer den Anforderungen entsprechen. 1920 kam der Zusammenschluß der acht kleinen Freistaaten zum Freistaat Thüringen, preußische Teile blieben bis 1944, Coburg schloß sich Bayern an, erst 1945 bestand die volle politische Einheit eines Landes Thüringen. 1952, am 23. Juli, nach dem "Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR", erfolgte die Aufteilung des Landes Thüringen und die Bildung der drei Thüringer Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Die Kreise Altenburg und Schmölln wurden dem Bezirk Leipzig angeschlossen. Mit dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990 erstand Thüringen erneut in seinen alten Grenzen mit nunmehr 35 Landkreisen und 5 kreisfreien

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Städten auf der Grundlage der mit der Verwaltungsrefonn 1952 in der DDR gebildeten Kreisgrenzen. Die dringend notwendig gewordene Verwaltungsrefonn ist derzeit in der "heißen Phase" der politischen Diskussion und orientiert auf eine Reduzierung der Landkreise um etwa 50 %. Noch in diesem Jahr (1992) sollen die entsprechenden Gesetze vorbereitet werden, die bevorstehenden Kommunalwahlen sollen bereits auf der Basis der neuen Strukturen durchgeführt werden. Heute hat Thüringen etwa 2,6 Mio. Einwohner auf einer Fläche von ca. 1.600 km 2 • Es gehört damit zu den kleineren Ländern des vereinten Deutschland. Unter den 16 Ländern nimmt es flächenmäßig die 11. und von der Zahl der Bevölkerung her die 10. Stelle ein. Die Bevölkerungswerte der Tabelle 1 entsprechen einem ca.-Stand von 1990.

Tabelle 1 Land

Bevölkerung (1) (TEW)

Fläche (Tkm2)

Bevölk.-Dichte (Ew/km 2)

Nordrhein-Westfalen

16.744

34,1

491

Bayern

10.950

70,6

155

Baden-Württemberg

9.330

35,8

261

Niedersachsen

7.164

47,4

151

Hessen

5.525

21,1

262

Sachsen

4.966

17,5

285

Rheinland-Pfalz

3.635

Sachsen-Anhalt

3.314

Berlin

3.314

Thüringen

2.668 (10.)

Schleswig-Holstein Brandenburg Mecklenburg

183 23,7

140

0,9

3.682

16,2 (11.)

165 (7.)

2.555

15,7

162

2.463

27,2

91

1.979

23,8

83

Hamburg

1.596

0,8

2.115

Saarland

1.054

2,6

410

659

0,4

1.630

78.221

357,0

219

Bremen Deutschland

61

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

8. Wirtschafts strukturelle Ausgangssituation Zu den Stärken des Thüringer Raumes zählte zweifellos die relativ flächig verteilte Standortstruktur der Industrie. Jede Gemeinde ab einer Größenordnung von etwa 3.000 Einwohnern war Standort von Gewerbe- und Industrieansiedlungen, zwar oftmals in einem größeren Betrieb oder Kombinat organisiert, und wäre im Zuge der Wirtschaftsund Kommunalrefonn als ein wichtiges Potential bei der Erwirtschaftung von Gewerbesteuern und zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen geworden. 9. Beschäftigte nach Wirtschaftsabteilungen 30. November 1990 Tabelle 2

Insgesamt

Beschäftigte 1209080

%-Anteil 100

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei

90078

7,5

Energie- u. Wasserversorgung, Bergbau

53228

4,4

476823

39,4

86793

7,2

103383

8,6

Verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe Handel Verkehr und Nachrichtenübennittlung

70339

5,8

Kreditinstitute und Versicherungsgewerbe

13 221

1, I

Dienstleistungen, soweit von Unternehmen und freien Berufen

63104

5,2

Organisation ohne Erwerbszweck

10 012

0,8

242099

20,0

Gebietskörperschaften und Sozialversicherung

Von so einer Standort- und Branchenverteilung können wir nunmehr nur noch ansatzweise oder überhaupt nicht mehr ausgehen. Nicht ausreichender technologischer Stand, zu geringe Produktivität, und ein oft nicht marktfähiges Produkt, gekoppelt mit Privatisierungsprozessen und dem Absterben des Ostmarktes führten zu einem fast flächendeckenden Zusammenbruch ganzer Branchen und bei stark monostrukturierten Regionen zu einem Zusammenbruch des Arbeitsmarktes. Industriebrachen und Altlastverdachtsflächen, ob aus der Industrie oder ehemaliger militärisch genutzter Standorte, sind gegenwärtig nur wenig geeignet, auf Vorhandenem aufzubauen.

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Von den ca. 10 % in der Landwirtschaft Beschäftigten sind derzeit noch etwa 3 % produktiv, die landwirtschaftliche Nutzfläche wurde um etwa 15 % reduziert, der Tierbestand um rund 50 %. Mit neuen Eigentumsformen, absatzfähigen Produkten und angepaßten Marktstrategien muß sich die Landwirtschaft auf dem deutschen und europäischen Markt künftig behaupten. Das weitestgehend staatlich organisierte Erholungswesen (staatliche Gewerkschaft und Betriebe als Träger) muß sich ebenso marktwirtschaftlichen Prinzipien anpassen, traditionelle Fremdenverkehrs- und Erholungsgebiete müssen den Ansprüchen entsprechend mit qualitativ hochwertiger Infrastruktur ausgestattet und weitere Gebiete völlig neu erschlossen werden. Für naturnahe Erholung und Städte- und Heilkurtourismus hat Thüringen ausreichend endogene Potentiale.

Jll. Rechtliche und organisatorische Grundlagen der Landes- und Regionalplanung in Thüringen Thüringen war das erste der neuen Bundesländer, das auf Grundlage der rahmenrechtlichen Vorgaben des Raumordnungsgesetzes ein eigenes Landesplanungsgesetz erarbeitet hat. Auf Grundlage dieses Landesplanungsgesetzes vom 17. Juli 1991 sind noch im Jahr 1991 drei Rechtsverordnungen erarbeitet worden. die Thüringer Verordnung über die räumliche Abgrenzung der Planungsregionen im Land Thüringen (Landesregionenverordnung - LRegVO) vom 22. August 1991 (Abb. 2) die Thüringer Verordnung über den Landesplanungsbeirat vom 10. September 1991 und die Thüringer Verordnung über die Mustersatzung für Regionale Planungsgemeinschaften vom 19. September 1991. Im Rahmen der Erarbeitung landesplanerischer Rechtsgrundlagen wurden unter Beteiligung bzw. Federführung des Thüringer Ministeriums für Umwelt und Landesplanung als der obersten Landesplanungsbehörde ein gemeinsamer Runderlaß des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft und Forsten, des Thüringer Ministeriums für Umwelt und Landesplanung sowie des Thüringer Innenministeriums in bezug auf die Koordinierung der Bauleitplanung und Flurneuordnung sowie eine Richtlinie über die Verfahrensweise bei großflächigen Einzelhandelsvorhaben im Landesplanungs- und Baurecht geschaffen.

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

63

oberste Landesplanungsbehörde

I l I

stel.all

andere oberste Landesbehörden

l I

Landesplanungsbeirat

II

Landkreise und Gemeinden

J

I regionale Planungs-

I

I kommunale Spitzen-

I

I gemeinschaft

r-

Landesentwicklungsprogramm

I verbände

I sonstige öffentliche

I Planungsträger

I

~ Landesregierung

• •

I

I

beschließt

Bindung aller öffentlichen Planungsträger

Abb. 2: Aufstellung des Landesentwicklungsprogrammes

Bei letzterer handelt es sich um eine gemeinsame Richtlinie des Thüringer Ministeriums für Umwelt und Landesplanung, des Thüringer Innenministeriums und des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr. In Bearbeitung befindet sich zur Zeit ein Erlaß über die Zusammenarbeit zwischen Bergbehörden und den Landesplanungs-, Naturschutz-, Abfall- und Wasserbehörden bei Verfahren nach dem Bundesberggesetz. Für die nähere Zukunft ist die Erarbeitung einer Richtlinie über Form und Inhalt der Regionalen Raumordnungspläne vorgesehen. Weiterhin soll eine Richtlinie über die Durchführung von Raumordnungsverfahren mit integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung erarbeitet werden, wie sie bereits in Hessen bzw. Niedersachsen vorhanden sind. Die Abteilung Raumordnung und Landesplanung ist zur Zeit im wesentlichen mit der Erarbeitung des Landesentwicklungsprogramms beschäftigt, das als Rechtsverordnung der Landesregierung erlassen werden soll. Das Kabinett hat den Entwurf des LEP bereits in einem ersten Kabinettdurchgang zur Kenntnis genommen und die Zuleitung an die Träger öffentlicher Belange zur weiteren Stellungnahme veranIaßt.

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Bemd Bodo Beyer

LAND THÜRINGEN Planungsregionen

o

50 km

Abb. 3,' Land Thüringen - Planungsregionen

Aufgrund der mittlerweile eingegangenen Stellungnahmen, insbesondere der Mitglieder des Landesplanungsbeirats, der Regionalen Planungsgemein schaften, der kommunalen Spitzenverbände sowie sonstiger Träger öffentlicher Belange wird das LEP zur Zeit überarbeitet, um es sodann nach § 14 Abs. 5 Raumordnungsgesetz dem Bund bzw. den obersten Bundesbehörden zur Stellungnahme zuzuleiten. Der Gesetzgeber in Thüringen hat sich mit dem Modell der Durchführung der Regionalplanung durch Planungsgemeinschaften für eine kommunal organisierte Regionalplanung entschieden, wie dies auch in vielen der Altbundesländer (z. B. Bayern, Hessen) der Fall ist. (Abb. 4 und 5) Bei den regionalen Planungsgemeinschaften handelt es sich um die regionsweisen Zusammenschlüsse der Landkreise, kreisfreien Städte und Gemeinden über 20.000 Einwohner. Da nach deren Weisungen die Planentwürfe von der oberen Landesplanungsbehörde erarbeitet werden, wird damit den kommunalen Gebietskörperschaften ein bedeutender Einfluß auf die Regionalplanung einge-

~ ~

l

t

Nord

f

KOMMUNE

I

t

Mitte

RROP

Regionale Planungsgemeinschaften

I

Ost

RROP

..

t

Süd

I----

RROP

--

-

In den kommunalen Bauleitplänen werden die aus den landes- und regionalplanerischen Vorgaben abgeleiteten Ziele zur geordneten Entwicklung innerhalb der Gemeinden dargestellt.

Aus lEP und staatlichen Flächenplänen abgeleitete Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Regionen

Aus den Grundsätzen abgeleitete Ziele der Raumordnung und Landesplanung auf Landesebene

Grundsätze der Raumordnung

Abb. 4: Planungssystem Landes- und Regionalplanung Thüringen

KOMMUNALE PLANUNG

RROP

LANDESENlWICKLUNGSPROGRAMM LEP



Oberste Landesplanunisbehörde (TUM. bt. Landesplanung)

THÜRINGER LANDESPLANUNGSGESETZ ThLPIG



Landesparlament Thüringen

0\

U\

:::

g

::I.

e:

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I

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ö

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cg.

66

Bemd Bodo Beyer

Gebietskörperschaften: - Landkreise - kreisfreie Städte - Gemeinden über 20.000 Einwohner

=Regionale Planungsgemeinschaft

T t

Alhlelung und BeechIuß

obere Landesplanungsbehörde als Planungsstelle benachbarte Träger der Regionalplanung Regionaler Raumordnungsplan

Regionaler Planungsbeirat

sonsti~e berührte öffentliche Planungsträger

......J---1 Öffentlichkeit

L-_ _ _ _ _--.-_ _ _ _ _

r---------------,

obere Landesplanungsbehörde I I _______________ formale Prüfung L J: I

Beanstandung

Beschluß der Landesregierung Verbindlichkeitserklärung durch oberste Landesplanungsbehörde

Bindung aller öffentlichen Planungsträger

Abb. 5: Aufstellung des regionalen Raumordnungsplans

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

67

räumt, der über eine nach § 5 Abs. 3 Raumordnungsgesetz ebenfalls mögliche bloße Beteiligung hinausgeht. Für die Einleitung und Durchführung von Raumordnungsverfahren als der wesentlichsten Vollzugsaufgabe im landesplanerischen Instrumentarium ist nach § 17 Abs. 4 Satz 1 ThLPIG die obere Landesplanungsbehörde, mithin das Thüringer Landesverwaltungsamt, zuständig. Dafür gibt es die Hauptabteilung Umwelt / Regionalplanung mit Sitz in Weimar sowie die Außenstellen mit den Referategruppen Umwelt / Regionalplanung in Gera, Suhl und Sondershausen, den vier Planungsregionen entsprechend. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist mit 3-6 Monaten etwas geringer als in den Altbundesländern. Noch kürzere Fristen der Verfahrensdauer wären durch gesetzgeberische Initiativen nicht zu erreichen; sie gingen im übrigen auf Kosten einer qualitativ hohen Abwägung im Rahmen der landesplanerischen Beurteilung, mit der das jeweilige Raumordnungsverfahren abschließt. In bezug auf die personelle Besetzung im Bereich der Landesplanungsbehörden sei angemerkt, daß für das gesamte Land Thüringen nur ein Jurist existiert, der sich mit Fragen des Raumordnungs- und Landesplanungsrechts befaßt. Während bei den Regierungspräsidien bzw. Bezirksregierungen in den Altbundesländern in den jeweiligen Landesplanungsabteilungen jeweils ein Jurist sitzt, der die Rechtsfragen der Abteilung klärt, sind zur Zeit im Thüringer Landesverwaltungsamt keine Juristen beschäftigt, die sich mit Rechtsfragen aus dem Bereich Raumordnung und Landesplanung auseinandersetzen. Dies hat zur Konsequenz, daß sämtliche juristischen Fragen, die ansonsten bei der oberen Landesplanungsbehörde zu klären wären, an die oberste Landesplanungsbehörde gerichtet werden.

IV. Raumstrukturelle Ansatzpunkte für die Erarbeitung des Landesentwicklungsplanes (LEP) 1. Zentrale Orte Die gewachsene und historisch entstandene stark ausgeprägte dezentrale Siedlungsstruktur wurde mit der Schaffung noch kleinerer Landkreise (1952 durch die Verwaltungsreform) und die damit verbundene Erhöhung der Zahl der Kreisstädte wesentlich verstärkt. 40 Jahre Kreisstadtfunktion bedeutete ein Jahrzehnte andauernder Konzentrationsprozeß von Arbeits- und Versorgungsfunktionen, administrativer und politischer Leitung, das bedeutete erheblicher Arbeitsplatzüberschuß gegenüber dem Umland und damit die Bildung stabiler Arbeitspendlerbeziehungen, das be-

68

Bemd Bodo Beyer

deutete aber auch Vorrang im sozialen Wohnungsbau in diesen Kreisstädten und somit Zunahme der Einwohnerzahl, während das ländliche Umland negative Bevölkerungsentwicklungen zu verzeichnen hatte. Hinzu kam eine relativ sn:enge Ausrichtung von Einzugs- und Versorgungsbereichen für Einrichtungen der Infrastruktur an den jeweiligen Kreisgrenzen, so daß insgesamt jede heute bestehende Kreisstadt für ihren zuständigen administrativen Zugehörigkeitsbereich ein stabiles mittelzentrales Zentrum bildet. Über dieser durchschnittlich kompletten Ausstattung aller Zentren lagen allerdings eine Reihe von Kreisstädten, die mit einer darüber hinausgehenden Ausstattung auch einen über die Kreisgrenze hinausgehenden Verflechtungsbereich versorgten, in der Regel sind das die großen Städte wie z. B. Erfurt, Jena, Gera, etwas abgestuft Weimar, Nordhausen, Suhl/Zella-Mehlis und die Kombination Rudolstadt/Saalfeld sowie Eisenach und Altenburg. Daraus entwickelten wir für die landesbedeutsame Zentrenstruktur ein im Prinzip dreistufiges Zentrensystem, bestehend aus Oberzentren Mittelzentren mit Teilfunktionen von Oberzentren und Mittelzentren, die sich wiederum durch die Größe des Zentrums und die Größe des mittelzentralen Verflechtungsbereiches in große und kleine Mittelzentren unterscheiden. (Abb.6) Unterzentren und Kleinzentren werden in den Regionalen Raumordnungsplänen festgelegt. Somit konnte der besonderen geographisch-räumlichen Struktur und der Unterteilung in Planungsregionen Thüringens weitestgehend entsprochen und eine günstige Zentrenstruktur vorgeschlagen werden. Planungsregion Nordthüringen Mittelzentrum mit Teilfunktionen eines Oberzentrums

- Nordhausen

großes Mittelzentrum

- Mühlhausen - Sondershausen - WorbislLeinefelde

kleines Mittelzentrum

-Artem - Heiligenstadt

Planungsregion Mittelthüringen

Oberzentrum

- Erfurt

Abb. 6: Land Thüringen - Zentrale Orte

Mittelzentrum (groß)

(j)

t

o

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IO

1

20

,

30

,

40

50 km

- - Bundesstraße

----Autobahn

Mittelzentrum (klein)

SACHSEN

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eines O Mittelzentrum mit Teilfunktionen Oberzentrums

Oberzentrum



Zentrale Orte

LAND THÜRINGEN

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Bemd Bodo Beyer

Mittelzentrum mit Teilfunktionen eines Oberzentrums

- Weimar

großes Mittelzentrum

-Apolda -Amstadt - Eisenach -Gotha - Ilmenau -Sömmerda

kleines Mittelzentrum

- Bad Langensalza

Planungsregion Ostthüringen

Oberzentrum

-Gera -Jena

Mittelzentrum mit Teilfunktionen eines Oberzentrums

- Rudolstadt/Saalfeld -Altenburg

großes Mittelzentrum

-Greiz -Pößneck

kleines Mittelzentrum

-Eisenberg -Hermsdorf - Lobenstein - Schleiz -Schmölln - Stadtroda - Zeulenroda

Planungsregion Südthüringen

Mittelzentrum mit Teilfunktionen eines Oberzentrums

- Suhl/Zella-Mehlis

großes Mittelzentrum

- Bad Salzungen - Meiningen -Sonneberg - Schmalkalden - Hildburghausen

kleines Mittelzentrum

- Neuhaus/Rwg.

Aktuelle Probleme der Landesplanung in Thüringen

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2. Entwicklungsachsen Die aus Landessicht bedeutsamen Entwicklungsachsen orientieren sich an den Verkehrsachsen mit großräumiger und überregionaler Bedeutung, sie integrieren im Korridor sowohl die achsenkonstituierenden Elemente Straße und Bahn, vor allem aber auch die eingelagerten städtischen Knoten, so daß eine für Thüringen typische Knoten-Achsen-Struktur entsteht, in der die Knoten sich entwickeln sollen und in den Achsen weitgehend Freiräume erhalten werden sollen. Bandartige Verdichtungen sollen möglichst verhindert werden. Das Grundgerüst bilden die großräumigen Achsen a) in West-Ost-Richtung Süd-Harz-Achse (A 82) Thüringische Städtereihe (A 4) b) in Süd-Nord-Richtung A 73,A81 A9 leE-Strecke Nümberg - Erfurt - Berlin, die durch ein Netz von grenzüberschreitenden überregionalen Entwicklungsachsen ergänzt werden (Abb. 6).

3. Ländliche Räume Ländliche Räume in Thüringen bedeuten nicht homogene und schon gar nicht monostrukturelle landwirtschaftliche Räume. In sicherlich differenzierten Proportionen ist überall eine Gemengelage von flächenorientierter Landwirtschaft, vegetationsbedingter Forstwirtschaft und in dem dichten Netz von Kleinstädten und ländlichen Zentren die gewerbliche Wirtschaft (Industrie, Gewerbe, Kurund Erholungswesen) vertreten. Diese Mischstrukturen sollen neben allen Spender- und ökologischen Ausgleichsfunktionen für den ländlichen Raum erhalten bleiben, die Eigenständigkeit und Vielfalt in der Nutzung soll weiter entwickelt werden. Unabhängig davon sollen aber Teilräume ausgewiesen werden, die aufgrund ihrer besonderen naturräumlichen Eignung für bestimmte Vorrangfunktionen besonders geeignet erscheinen. Das sind a) Räume mit bedeutsamen agrarstrukturellen Aufgaben, wie das Thüringer Becken einschließlich nordostthüringisches Ackerhügelland,

Abb, 7: Land Thüringen - Raumstruktur

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In der Verwaltungsstruktur unterstehen der Obersten Raumordnungs- und Landesplanungsbehörde, der Abteilung Landesentwicklung des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landesentwicklung, die Regierungspräsidien Dresden, Leipzig und Chemnitz mit insgesamt 48 Landkreisen und 6 kreisfreien Städten, denen 1.623 Gemeinden zugeordnet sind. Von den insgesamt 1.623 Gemeinden haben 487 Gemeinden weniger als 500 EW, 820 Gemeinden weniger als 500-2.000 EW, 192 Gemeinden weniger als 2.000-5.000 EW. Nach der Kreisreform werden 23 Landkreise in der nächsten Legislaturperiode ihre Arbeit aufnehmen. Die dringlich erforderliche Gemeindereform wird folgen. Die Landesplanung obliegt laut Landesplanungsgesetz vom 24. Juni 1992 ebenfalls der Obersten Raumordnungs- und Landesplanungsbehörde. Der in der Abteilung Landesentwicklung aufzustellende und fortzuschreibende Landesentwicklungsplan wird durch die Regionalpläne für die 5 Planungsregionen (vgl. Abb. 2) aus geformt und durch konkrete Ziele nach einheitlichen Inhalten und einheitlicher formeller Gestaltung untersetzt. Die Regionalpläne werden von den Regionalplanungsstellen im Auftrag der Verbandsversammlungen der Regionalen Planungsverbände aufgestellt. Die Regionalplanungsstellen werden bei Umweltfachämtern, den neuen sächsischen Behörden, in denen vom "gebündelten Fachwissen" partizipiert werden kann, eingerichtet. Die Regionalen Planungsverbände Oberlausitz/Niederschlesien und Westsachsen sind zusätzlich verpflichtet, als Teil ihres Regionalplanes für jeden Tagebau in den Braunkohlenabbaugebieten einen Braunkohlenplan aufzustellen. Für stillgelegte oder stillzulegende Tagebaue sind Sanierungspläne aufzustellen. In Sachsen umfaßt die Fläche des Braunkohlenbergbaues ca. 10 % der Landesfläche. Von den ausgekohlten Tagebauen wurde ca. 1/3 rekultiviert. Die gegenwärtigen Sanierungsmaßnahmen erfolgen nach dem Prinzip der Gefahrenabwehr und nach einer gemeinsam mit den Nachbarländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg festgelegten Priorität.

11. Das ökologische Konzept der Staatsregierung

Die sächsische Besonderheit und Grundlage aller Planungen mit raumordnerischem Bezug ist die Beurteilung des Naturraumes mit seinen Potenzen sowie die Erfordernisse ihrer Sicherung und die Sanierung von Schäden. Aufbauend auf die Stärken-Schwächen-Analyse des Naturraumes werden Entwicklungser-

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Abb. 2: Freistaat Sachsen - Planungsregionen

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fordernisse für den Landschaftsraum formuliert und territorial abgegrenzt und bei der Aufstellung des Landesentwicklungsplanes, der Regionalpläne und Fachplanungen bereits in der Aufstellungsphase mit den Belangen der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Infrastruktur in das Abwägungsverfahren einbezogen. Damit wird es möglich, frühzeitig Potenzen optimal zu nutzen und Sicherungserfordernisse im Sinne einer Umweltvorsorge und Entwicklungsoptimierung auf lange Sicht erfolgversprechend anzustreben. Bei dieser Primärintegration der Landschaftsplanung werden keine fertigen Fachpläne nebeneinandergelegt und bei Bedarf darauf Bezug genommen. Hier besteht die Pflicht der Erfassung aller naturräumlich und raumordnerisch relevanten Faktoren, der Beachtung aller Wechselwirkungen und Rückkoppelungseffekte aus der Verantwortung der Raumplanung auch für künftige Generationen. Dieses zukunftsweisende ökologische Konzept, das in seinem methodischen Teil gegenwärtig wissenschaftlich bearbeitet wird, stützt sich auf den erklärten Willen des sächsischen Parlamentes und der Staatsregierung. Bezug nehmen die Regierungserklärung von Ministerpräsident Biedenkopf, die Sächsische Verfassung, das "Gesetz über die vorläufigen Grundsätze und Ziele der Siedlungsentwicklung und Landschaftsordnung im Freistaat Sachsen"! und nicht zuletzt das Landesplanungsgesetz, speziell die §§ 2 und 6 mit folgendem Wortlaut: §2

(1) Im Landesentwicklungsplan sind die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung auf der Grundlage einer Bewertung des Zustandes von Natur und Landschaft mit ihrer gewachsenen Siedlungsstruktur aufzustellen für die räumliche Ordnung und Entwicklung des Freistaates Sachsen, insbesondere in den Bereichen der Ökologie, der Wirtschaft, der Siedlung und der Infrastruktur. In den Landesentwicklungsplan ist zugleich das Landschaftsprogramm nach § 5 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. März 1987 (BGBl. I S. 889), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 12. Februar 1990 (BGBl. I S. 205), einbezogen. §6 (1) In den Regionalplänen sind die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landes-

planung auf der Grundlage einer Bewertung des Zustandes von Natur und Landschaft mit ihrer gewachsenen Siedlungsstruktur aufzustellen für die räumliche Ordnung und Entwicklung der Teilräume des Freistaates (Planungsregionen), insbesondere in den Bereichen der Ökologie, der Wirtschaft, der Siedlung und der Infrastruktur. In den Regionalplänen werden die Grundsätze der Raumordnung nach § 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung der Entwicklungspläne räumlich und sachlich ausgeformt. In den Regionalplan ist zugleich der Landschaftsrahmenplan nach § 5 Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung

1 Gesetz über die Vorläufigen Grundsätze und Ziele der Siedlungsentwicklung und Landschaftsordnung im Freistaat Sachsen vom 20. Juni 1991, in: Mitteilung der Sächsischen Staatskanzlei Nr. 9/1991, S. 146 ff.

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Isolde Roch der Bekanntmachung vom 12. März 1987 (BGBl. I S. 889), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 12. Februar 1990 (BGBl. I S. 205), einbezogen.,,2

Die Struktur der Verwaltung folgt diesem Anliegen, zum einen durch die Zuordnung der Abteilung Landesentwicklung auf Staatsebene zum Umweltressort, speziell auch im Aufbau dieser Abteilung mit dem Referat "Ökologische Beurteilung/Landschaftsentwicklung" mit der fachlichen Schlüsselposition neben dem Referat "Landesplanung, Regionalplanung", dem Referat "Raumbedeutsame Fachplanung", dem Referat "Landesstruktur, Raumbeobachtung" und dem Grundsatzreferat sowie zum anderen in der bereits ausgesprochenen lokalen Verquickung der Regionalplanungsstellen mit den Umweltfachämtern. Die Bewährung dieses zukunftsweisenden Konzeptes, das auch für die Entwicklung der europäischen Raumordnung tragfähig sein könnte, wird vor Ort auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Unter dem gegenwärtig starken Investitionsdruck und dem Erfordernis, im Gegenstromverfahren den Landesentwicklungsplan gleichzeitig mit den Regionalplänen, Fachplänen und den Flächennutzungs-, Bebauungs- und Grünordnungsplänen aufstellen zu müssen, sind die Raumplaner mit ihrer Kreativität und Flexibilität, aber besonders auch die Mitarbeiter in den Verwaltungen mit ihrem Durchsetzungsvermögen immens gefordert.

Ilf. Chancen und Erschwernisse bei der Aufbauarbeit

Erste Planungsansätze auf der Grundlage des ökologischen Konzeptes liegen vor für das sächsische Vogtland, erarbeitet im Rahmen des Trilateralen Entwicklungskonzeptes für den Grenzraum Nordost-Bayern, Nordwest-Böhmen und das Sächsische Vogtland als Gutachten 3 im Auftrag der zuständigen Staatsministerien. Im Ergebnis der Stärken-Schwächen-Analyse für diesen sächsischen Teilraum bestätigte sich die Annahme, daß die Chancen für die räumliche Entwicklung vorrangig in 2 Gesetz zur Raumordnung und Landesplanung des Freistaates Sachsen (Landesplanungsgesetz SächsLPIG) vom 24. Juni 1992, in: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 21/1992, S. 260 und 261. 3 Gutachter: Dr. Peter Jurcek, Bayreuth; Dipl.-arch. Richard Mundil, Karlovy Vary; Dr. Isolde Roch, Dresden; vgl. auch: I, Roch: "Konzeptionelle Ansätze einer umweltverträglichen regionalen Entwicklung des sächsischen Vogtlandes in seinen grenzübergreifenden Beziehungen zu Nordostbayern und Nordwestböhmen", Vortrag anläßlich der Jahresschlußveranstaltung der ARL am 26. Nov. 1992 in Dresden.

Aktuelle Probleme der Landesentwicklung in Sachsen

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einem hohen Anteil von Schutzgebieten mit relativ funktionsfähigen Ökosystemen, einer unzersiedelten Landschaft, festen Ortsrändern der Städte und Dörfer ohne nennenswerte Verdichtungsgebiete im unmittelbaren Umfeld der Großstädte, städtebaulich kompletten Ortskernen bei größtenteils schlechtem Bauzustand, in einer Vielzahl von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, insbesondere in mittleren und kleineren Städten und nicht zuletzt in der hohen Motivation und Kreativität bei sich entwickelndem Selbstbewußtsein der Wohnbevölkerung besteht. Erschwernisse sind unübersehbar durch

eine verrottete vorrangig technische Infrastruktur, erhebliche Umweltschäden, insbesondere durch Luftverschmutzung, Waldschäden, Gewässerbelastung und Devastierung von Bergbaugebieten, Arbeitslosigkeit (vgl. Abb. 3) im Zusammenhang mit dem Wegbrechen der Ostmärkte und nicht konkurrenzfähiger Branchen auf dem Weltmarkt ein gestörtes Staatsverständnis der Landes- und Kommunalpolitiker, gepaart mit abgrundtiefem Mißtrauen. Auf die genannten Chancen und Erschwernisse, die sich territorial differenziert stärker oder schwächer auswirken, sollten Handlungskonzepte verbunden mit zielstrebiger Förderung Bezug nehmen im Einklang und zur Umsetzung der klassischen und konzeptionellen Ansätze. Ausgelöst wurde die Formulierung und Abgrenzung der sächsischen Entwicklungsräume durch die Stellungnahme des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landesentwicklung zum Entwurf der raumordnerischen Konzeption für den Aufbau in den neuen Ländern4 .

Iv. Charakteristik der Entwicklungsräume5 Der Abgrenzung der Entwicklungsräume wurden Indikatoren der Bevölkerungsstruktur, der Beschäftigtensstruktur, hier speziell die Erwerbsfähigen- und 4 "Raumordnerisches Konzept für den Aufbau in den neuen Ländern", Bundesbauministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn, Oktober 1991. 5 Bezugnahme auf das Arbeitsmaterial des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landesentwicklung, Abt. 6, vom 28. Oktober 1991, Bearbeiter: Bernd Schlimpert.

Abb. 3: Freistaat Sachsen - Arbeitslosenquote

8,8 - 9,9 10,0 - 11,9 12,0-13,9 14,0 - 15,9 16,0 - 17,9 18,0 - 19,9 über 20

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Arbeitslosenquote nach Kreisen, April 1992

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Arbeitslosenquote, sowie Charakteristika der Wirtschaftsbereiche zugrunde gelegt. Der Entwicklungsraum östliche Oberlausitz umfaßt die Landkreise Weiß wasser, Niesky, Görlitz-Land und die Stadt Görlitz. Charakterisiert wird dieses Gebiet durch eine für Sachsen sehr geringe Bevölkerungsdichte und große Flächenareale mit bergbaulicher und militärischer Nutzung. Wirtschaftsstrukturelle Mängel bestehen durch die absolute Dominanz des existenzgefährdeten Braunkohlebergbaues, der Energieindustrie und der Leichtindustrie. Das zentralörtliche System ist geschwächt durch unzureichende Ausstattung mit Unter- und Kleinzentren. Überregionale Achsen, u. a. von Dresden über Bautzen nach Polen, könnten als Potenzen zur Entwicklung eines wirtschaftsräumlichen Bindegliedes zu Osteuropa beitragen. Fördermaßnahmen sollten vor allem der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur durch Branchenmix dienen und die zentralen Orte stärken. Ähnlich strukturiert wie der Entwicklungsraum südliche Oberlausitz mit den Kreisen Löbau, Zittau, Sebnitz, südlicher Kreis Bautzen ist der Entwicklungsraum Erzgebirge mit den Kreisen Klingenthal, Aue, Schwarzenberg, AnnabergBuchholz, Marienberg, Brand-Erbisdorf, Dippoldiswalde. Neben der Grenzlage sind im letztgenannten Gebiet die topographischen Bedingungen ein immenses Hindernis für die Verkehrserschließung und damit auch für die Versorgung kleiner Gebirgssiedlungen. Die Siedlungsstruktur ist gekennzeichnet durch Waldhufendörfer mit Industriestrukturen und weist im östlichen Teil einen Mangel an tragfähigen Mittel- und Unterzentren auf. Schwächen der Wirtschaftsstruktur durch hohen Verschleiß und niedrige Standards der vorherrschenden Leichtund Textilindustrie schlagen sich in hohen Arbeitslosenquoten nieder (vgl. Abb. 3). Hinzu kommen Beeinträchtigungen durch Umweltschäden, insbesondere durch die großflächigen Immissionsgebiete und den Uranbergbau, die zu Einschränkungen der Nutzung des Naturraumpotentials durch den Tourismus führten. Im Rahmen der Fördermaßnahmen steht die Erweiterung arbeitsintensiver Industriebetriebe, die die Fähigkeiten und Fertigkeiten der bodenständigen Wohnbevölkerung nutzen können, im Vordergrund, einhergehend mit der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur auch für die Nutzung der Erholungsgebiete durch die Bevölkerung der Ballungsräume. Ebenfalls strukturell vergleichbar sind die Entwicklungsräume Riesa mit den Kreisen Riesa und Teilen des Landkreises Oschatz und der Entwicklungsraum Mittelsachsen mit den Kreisen Döbeln, Teilen der Landkreise Meißen und Oschatz. Das mittelsächsische Gebiet verfügt durch seine Zentralität im Schnittpunkt der Verdichtungsräume über eine gute Verkehrserschließung. Durch die historische landwirtschaftliche Nutzung dieser ertragfähigen Lößböden ist die Siedlungsstruktur stark zersplittert, verfügt aber über leistungsfähige Zentren. Infolge langjähriger Wanderungsverluste ist die Bevölkerung stark überaltert

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Isolde Roch

und weist gegenwärtig durch den Abbau landwirtschaftlicher Arbeitsplätze hohe Arbeitlosenquoten auf. Die punktuellen Standorte der Leichtindustrie und des Maschinenbaues sind durch eigene Arbeitsplatzverluste nicht in der Lage, diesen Arbeitskräfteüberschuß zu kompensieren. Fördermaßnahmen sollten sich neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des industriellen Bereiches vor allem auf den Auf- und Ausbau des wirtschaftsnahen Dienstleistungsbereiches konzentrieren sowie auf die Verbesserung der technischen Infrastruktur mit Prioritäten in der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, die auch als Grundlage für die Ausprägung der Wohnfunktion erforderlich ist.

V Gegenwärtige Aufgaben Neben dem Aufbau der Verwaltung und speziell dem Abschluß der Kreisreform stehen für die Raumplaner die Aufstellung des Landesentwicklungsplanes in Form eines politischen Leitbildes mit umfangreichem Kartenmaterial die Aufstellung der Regionalpläne bzw. von Teilplänen im Vordergrund. Weitere wichtige Themenkomplexe sind die Durchführung bzw. Mitwirkung an Raumordnungsverfahren und Fachplanungen sowie die Anfertigung raumordnerischer Stellungnahmen. Bedingt durch die Lage des Freistaates Sachsen an der östlichen EG-Grenze (Abb. 4) gewinnt die grenzübergreifende umweltverträgliche Regionalplanung immer mehr an Bedeutung. Mit den tschechischen Nachbarn werden nach dem Trilateralen Konzept im Gebiet der Euroregion Egrensis territorial angrenzend "Leitlinien und Entwicklungsziele zur umweltschonenden Raumentwicklung des sächsisch-böhmischen Erzgebirges ... " erarbeitet. An diesen Untersuchungsraum schließt das Bearbeitungsgebiet der Euroregion Eibe an, mit dem Ziel, Entwicklungsleitlinien für die Sächsisch-Böhmische-Schweiz vorzulegen. Für den gesamten deutsch-polnischen Grenzraum wird gegenwärtig im Auftrag des Bundesbauministeriums durch eine Arbeitsgemeinschaft von polnischen und deutschen Raumplanern ein Raumordnungsleitbild bei starker Beachtung ökologischer Belange entworfen. Diese Arbeit bezieht die konzeptionellen Entwürfe der berührten Bundesländer bzw. Woiwodschaften ein und vermittelt ebenfalls Ansätze für die regionale Planung und Entwicklung der osteuropäischen Raumstruktur. Im Rahmen dieser genannten Aufgaben, vor allem aber für die praktische Umsetzung der Ergebnisse, ist es erforderlich, durch enge Kooperation mit der Wissenschaft Umweltqualitätsziele für differenzierte Bezugseinheiten zu formulieren und Belastbarkeitsgrenzen für Flächennutzungen zu ermitteln.

Abb, 4: Freistaat Sachsen

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Klaus Richter

NEUE TENDENZEN IN DER LANDESENTWICKLUNGSPLANUNG NORDRHEIN-WESTFALENS

I. Grundlagen der Landesplanung in NRW

1. Land Die Entwicklung der Landesplanung in Nordrhein-Westfalen hat seit der Novelle des Landesplanungsgesetzes 1962 und der erstmaligen Verkündung eines Landesentwicklungsprogramms im Jahre 1964 einen der differenzierten Struktur des Landes entsprechenden Verlauf genommen. Die sachlich inhaltliche Ausgestaltung begann mit dem Landesentwicklungsprogramm 1964, dem ersten Programm dieser Art überhaupt, das für die damals vordringliche Entwicklung der Infrastruktur die Aufstellung der Landesentwicklungspläne I und 11 schon grob skizzierte. Gegenstand des Landesentwicklungsplanes I vom 28. November 1966 war die Einteilung des Landesgebietes in Ballungskerne, Ballungsrandzonen und Ländliche Zonen sowie die Darstellung von Gemeinden und städtischen Verflechtungsgebieten mit zentralörtlicher Bedeutung in den Ländlichen Zonen. Gegenstand des Landesentwicklungsplanes 11 vom 3. März 1970 war die flächendeckende Darstellung eines Systems von Entwicklungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen, auf das die Gesamtentwicklung des Landes ausgerichtet werden sollte. Die Ablösung des ersten Landesentwicklungsprogramms von 1964 durch seine novellierte Fassung in Gestalt des Gesetzes zur Landesentwicklung vom 1. Mai 1974 war zugleich Anlaß für eine grundlegende Überprüfung der Landesentwicklungspläne I und 11, die zu deren Fortschreibung im Rahmen eines zusammengefaßten Landesentwicklungsplanes 1/11 "Raum- und Siedlungsstruktur" führte. Auf der Grundlage des novellierten Landesentwicklungsprogramms von 1974 legte dieser Landesentwicklungsplan 1/11 vom 1. Mai 1979 folgende Ziele der Raumordnung und Landesplanung im einzelnen fest:

Klaus Richter

96 Zeichnerische Darstellung

a) Abgrenzung der Ballungskerne, Ballungsrandzonen, Solitären Verdichtungsgebiete und der Ländlichen Zonen, b) Darstellung der zentralörtlichen Gliederung für das gesamte Landesgebiet, c) Darstellung des Systems von Entwicklungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen. Textliche Darstellung d) Bevölkerungsentwicklung, e) zentralörtliche Arbeitsteilung in Verdichtungsgebieten und Funktion größerer Mittelzentren. Durch die flächendeckende Erfassung des gesamten Landesgebiets sowohl bei der zonalen Darstellung der siedlungsräumlichen Grundstruktur als auch bei der Darstellung der zentralörtlichen Gliederung einschließlich der Versorgungsbereiche sowie der Darstellung des Systems von Entwicklungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen bildete der alle Gemeinden des Landes erfaßten Landesentwicklungsplan 1/11 einen wichtigen Teil für ein in sich geschlossenes flächendeckendes Zielsystem zur Entwicklung der räumlichen Struktur des Landes. Wie bereits im Erläuterungsbericht zum LEP I (1966) und 11 (1970) nachzulesen ist, wurde von vornherein erkannt, daß die Ziel struktur dieser Pläne zwingend durch umweltorientierte Ziele zu ergänzen sei. Die Struktur der einzelnen Landesentwicklungspläne in NRW wurde demnach folgerichtig durch einen weiteren umweltorientierten Plan ergänzt. Die Aufstellung dieses Landesentwicklungsplanes III "Gebiete mit besonderer Bedeutung für Freiraumfunktionen Wasserwirtschaft und Erholung" erfolgte schließlich am 12. April 1976. Der Plan enth.ielt lediglich zeichnerische Darstellungen; er verzichtete auf textliche Zielsetzungen, er enthielt jedoch einen Erläuterungsbericht. Der Plan stellte die großräumigen Gebiete der nach überregionalen Gesichtspunkten verteilten landesplanerischen Funktionszuweisungen hinsichtlich der Wasserwirtschaft und der Erholung, etwa im Sinne von Vorranggebieten (von besonderer Bedeutung), dar. Diese drei Landesentwicklungspläne (I, 11, III) zusammen beruhten auf einer einheitlichen in sich schlüssigen gedanklichen Grundstruktur. Man kann daraus schließen, und bereits der Grundgedanke des Landesentwicklungsprogramms von 1964 läßt sich dahingehend interpretieren, daß der Gesetzgeber vom Grundsatz her gewichtet hat zwischen den für die Landesentwicklung erforderlichen Basisplänen (LEP I, 11 und III) und solchen Plänen, mit denen Einzelprobleme der Landesentwicklung angegangen werden können, wie den Landesentwicklungsplänen IV "Gebiete mit Planungsbeschränkungen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm", LEP V "Gebiete zur Sicherung von Lagerstätten" und LEP VI "Festlegung von Gebieten für flächen-

Neue Tendenzen in der NRW-Landesentwicklungsplanung

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intensive Großvorhaben (einschließlich Standorte für die Energieerzeugung), die für die Wirtschafts struktur des Landes von besonderer Bedeutung sind". Die Pläne 1/11/111 sind die Grundlage einer schwergewichtig ökonomisch orientierten Konzeption einer räumlich funktionalen Arbeitsteilung. Durch das Verständnis von Vorranggebieten für Freiraumfunktionen als notwendige ökologische Infrastruktur zur Ergänzung der Konzeption des LEP 1/11 wird auch dem LEP III '76 indirekt eine ökonomische Begründung gegeben. Allen drei Plänen ist entsprechend der Planungssystematik des Landesplanungsgesetzes NRW eine großräumige Betrachtungsweise eigen, die eine Konkretisierung auf regionaler Ebene erforderlich macht. Neben diesem "Basisplan" oder, um schon die heutige Terminologie vorwegzunehmen, diesem Gesamt-LEP waren, wie bereits ausgeführt, entwicklungspolitisch vorrangige Sachbereiche jeweils in weiteren Landesentwicklungsplänen als sachliche Teilabschnitte zu konkretisieren. Die Grundstruktur der Landesentwicklungsplanung NRW war danach durch "Basispläne" und "Pläne für Sachbereiche" so angelegt, daß die Landesplanung einerseits eine "fundierte Grundlage" besaß, andererseits aber auch durch die Sachbereichspläne zu einzelnen Themen von Landesinteresse die allgemeine politische Diskussion eröffnen konnte. Es sollte damit möglich sein, die Landesentwicklungspolitik in einzelnen herauslösbaren Politikbereichen zu akzentuieren, wenn das politisch und sachlich geboten war. Damit stand der Landesplanung von NRW vom Grundsatz her ein flexibles, planerisches Instrument zur Verfügung, daß es ihr ermöglichen sollte, jederzeit auch für andere Ressorts interessant und politisch wichtig zu sein. Neben dem LEP IV-VI waren so z. B. auch noch solche Sachbereichspläne in der Diskussion wie LEP Landesstraßen, LEP Flughafenkonzeption, LEP Abfallentsorgungsstandorte. Die Pläne für Sachbereiche haben jedoch in der Vergangenheit nicht die erwartete landesplanerische Bedeutung erlangt. Soweit überhaupt ein Erarbeitungsverfahren erfolgreich abgeschlossen werden konnte, entspricht das Ergebnis möglicherweise nicht in vollem Umfang den landesplanerischen Abwägungserfordemissen, oder die Umsetzung in nachgeordnete Ebenen ist nur schwer durchzusetzen. Von der Möglichkeit, über die im LEPro beispielhaft genannten LEP hinaus weitere Landesentwicklungspläne zu erarbeiten (z. B. Landesstraßenkonzeption), wurde kein Gebrauch gemacht. Problem: Die Schwierigkeiten haben insbesondere zwei Gründe: 1. Die angesprochenen Sachbereiche betreffen unmittelbar die fachliche Zuständigkeit anderer Ressorts (z. B. Landesstraßen). Bei der Erarbeitung ent-

7 Eckart/Roch

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sprechender Pläne ist die Landesplanung auf die Zuarbeit und loyale Mitwirkung dieser Fachressorts angewiesen. Hierzu sind die Ressorts jedoch, insbesondere bezüglich des landesplanerischen Abwägungsprozesses, von ihrem Selbstverständnis her nicht in der Lage. 2. Das Erarbeitungsverfahren für die Sachbereichspläne entspricht gemäß Landesplanungsgesetz in vollem Umfang dem der Basispläne. Das bedeutet, daß alle entscheidenden Verfahrensschritte vom Einvernehmen des jeweiligen Fachressorts abhängig sind. Dieses permanente Einvernehmen, das die Zustimmung zu einem landesplanerischen Abwägungsprozeß enthält, ist für die Basispläne sachgerecht und bei der notwendigen Bindungswirkung auch erforderlich. Eine Entfaltung und politische Wirkung der Sachbereichspläne wird für die Landesplanung dadurch jedoch unmöglich gemacht. 2. Regionale Ebene Ausgehend von der Systematik der Landesentwicklungspläne I/II/lII einerseits und der IVNNI (+ sonstige) andererseits wurden für die regionale Ebene Gebietsentwicklungspläne entwickelt, die diese Zielvorgaben ftächendeckend umsetzen und konkretisieren. Im Spannungsfeld zwischen Landesebene und kommunaler Ebene sind hier als Ergebnis des Gegenstromprinzips regionale Ziele der Landesentwicklungsplanung für die Entwicklung der Regierungsbezirke zu formulieren. Die formale und verfahrensmäßige Ausgestaltung des Instruments wurde eng an das BBauG/BauGB angelehnt. Mit Hilfe einer Planzeichenverordnung (3. DVO) wurde ähnlich wie in der Bauleitplanung für die Gebietsentwicklungspläne der Regierungsbezirke ein einheitlicher formaler Rahmen vorgegeben. Die Vergleichbarkeit der Gebietsentwicklungspläne und die Umsetzung ihrer Ziele in die Bauleitplanung sollte hierdurch erleichtert werden. Damit sind aus regionaler Sicht Ziele für die Flächennutzung im Lande nahezu ftächendeckend vorhanden. Die zeichnerischen Darstellungen nehmen das "Darstellungsprivileg" in Anspruch. Das heißt, im Rahmen der Konkretisierung der Zielvorgaben in nachgeordneten Planungsebenen sind alle Nutzungen ausgeschlossen, die entweder nicht den Zielvorgaben entsprechen oder aus ihnen entwickelt werden können. Darüber hinaus sind Abweichungen von den Zielvorgaben der GEP ausschließlich maßstabsbegründet. Die durch die Gebietsentwicklungspläne vorgegebene Zielstruktur hat eine übermäßige Siedlungszersplitterung des Raumes verhindert; soweit das BBauG/ BauGB nicht Ausnahmen zugelassen hat (§ 34/35 BauGB). Die Ausrichtung der Siedlungsstruktur auf Siedlungsschwerpunkte hat sich aus landes- und regionalplanerischer Sicht durchaus bewährt. Andererseits war die Regionalplanung im

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Spannungsfeld recht abstrakter überregionaler Ziele mit allzu allgemeinen umweltpolitischen Vorgaben der Landesplanung auf der einen Seite und konkreten städtebaulichen Entwicklungsvorstellung und teilweise überzogenen Flächenansprüchen auf der anderen Seite nicht in der Lage, diese Ansprüche zurückzuweisen. Die Siedlungsbereichsdarstellungen der Gebietsentwicklungspläne zeichnen sich durch große Flächenreserven aus. Probleme:

Die Regionalplanung hat, ausgehend von der Aufgabe nach dem zweiten Weltkrieg, den Flächenbedarf für Arbeiten, Wohnen und Infrastruktur zu sichern, neue Aufgaben hinzubekommen. Besonders hervorzuheben sind hier die Funktionen des Landschaftsrahmenplanes und des forstlichen Rahmenplans. Diese neuen Funktionen haben zu einem planungssystematischen Widerspruch geführt, der bis heute nicht in vollem Umfang gelöst wurde. Dieser Widerspruch begründet sich im wesentlichen in dem planungsmethodisch unterschiedlichen Verständnis der Gebietskategorien Siedlungsraum einerseits und Freiraum andererseits. Danach werden bei der Darstellung von Siedlungsbereichen im GEP andere Flächenkriterien zugrunde gelegt als bei den Freiraumbereichen. So berücksichtigten die GEP bei den Siedlungsbereichsdarstellungen im Hinblick auf Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz und Artikel 78 Landesverfassung NRW (Planungshoheit der Gemeinden) gemeindliche Entwicklungsspielräume, teilweise bis zu 20 % (sogenannte Auswahlftächen für gemeindliche Planung). Diese regionalen Flächenzuschläge gehen über den langfristigen kommunalen Bedarf hinaus und haben ausschließlich den Zweck, der kommunalen Planung auch Alternativentscheidungen zu ermöglichen. Da dieser Flächenanteil jedoch von vornherein keiner Siedlungsnutzung zugeführt werden soll, geht diese Systematik auf Kosten der Freiraumanteile. Darüber hinaus ist der Gebietsentwicklungsplan in seiner jetzigen Form zu schwerfällig, um notwendige Entwicklungen anzustoßen und voranbringen zu können. Die Planungsgegenstände werden komplexer; technische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern sich in immer kürzeren Zeiträumen. Von der Aufstellung eines Gebietsentwicklungsplanes bis zu seiner Überarbeitung vergehen 10 bis 15 Jahre. Weitere 2 bis 3 Jahre sind für die erforderliche Genehmigung hinzuzurechnen. Innerhalb dieser Zeit werden konkrete Zielaussagen vielfach grundlegend überholt. Bestand haben nur Allgemeinplätze und Lehrformeln. Auch die Prognosefähigkeit der Planung nimmt für derart große Zeiträume ab. Dies gilt für die Bevölkerungsentwicklung ebenso wie für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung. Die wachsende Internationalisierung der Wirtschaft, die Schaffung des EG-Binnenmarktes und die Entwicklung in Osteuropa setzen Umstrukturierungsprozesse in Gang, deren Dimensionen zumin-

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dest für den Planungszeitraum eines Gebietsentwicklungsplanes nicht abzuschätzen sind. Der Wettbewerb der Standorte geht - veraniaßt durch diese Entwicklung - auf den Wettbewerb der Regionen über und verstärkt sich. Dies erfordert neue Formen der Zusammenarbeit und Konsensfindung auf regionaler Ebene. Die mit der Regionalisierung erforderlich gewordene und bezweckte Stärkung regionaler Identität kann durch die Gebietsentwicklungspläne in ihrer jetzigen Form nicht erreicht werden. Die rechtsverbindlichen Ziele eines 15Jahres-Planes sind zu allgemein und zu starr, um sich insbesondere im Bereich der regionalen Strukturpolitik gegen die wachsende Konkurrenz der regionalen Entwicklungskonzepte durchsetzen zu können. In der Diskussion um die Rolle des Gebietsentwicklungsplanes im Zusammenhang mit dem Raumordnungsverfahren hat sich schließlich gezeigt, daß die vorhabenbezogenen Darstellungen des Gebietsentwicklungsplanes relativ geringe Bedeutung besitzen. In der Regel werden insoweit vom Gebietsentwicklungsplan Entscheidungen der Fach- oder Kommunalplanung lediglich nachvollzogen. Die Regionalplanung hat auch hier an Bedeutung eingebüßt, weil die Fachplanung immer umfassendere Wirkungsanalysen mit mehrdimensionalen Abwägungsprozessen wahrnimmt, die früher Aufgabe der Raumplanung waren.

1I. Ansätze für eine Weiterentwicklung des Zielsystems der Landesplanung

Das Jahr 1980 war für die Landesplanung in NRW mit einem tiefgreifenden Umbruch verbunden. Die Landtagswahl hat im Ergebnis zu einer Neuorientierung der Landespolitik geführt. Diese politische Neuorientierung war auch mit einer Neuorientierung in der Umweltpolitik verbunden. Ein neues Ministerium, das Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung mit Minister Dr. Christoph Zöpel an der Spitze, machte deutlich, daß der Umweltschutz zu einer der wichtigsten Aufgaben im Lande NRW gehört. Die Landesplanung wurde in der Folge aus der Staatskanzlei des Landes ausgegliedert und diesem neuen Ministerium zugeordnet. Diese Zuordnung war mit einem neuen Aufgabenverständnis für die Landesplanung verbunden, die ihre Dienste nunmehr verstärkt der Umweltpolitik des Landes zuzuwenden hatte. Das neue Selbstverständnis der Landesplanung wird besonders deutlich in einer Standortbestimmung, die der 1984 förmlich eingeleiteten Fortschreibung des LEP III '76 vorangestellt wurde. Dort wird ausgeführt: ,,zunehmend wird deutlich, daß die Art unseres Wirtschaftens an Grenzen stößt, die durch die Endlichkeit des Raumes, unserer Rohstoffe und fossilen Energiequellen sowie die begrenzte Regenrationsfähigkeit des Naturhaushaltes bestimmt werden. Um in einem dicht besiedelten und hoch belasteten Industrie-

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land wie Nordrhein-Westfalen dem Verfassungsauftrag zur Schaffung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse gerecht werden zu können, muß sich eine an den Zukunftschancen nachfolgender Generationen orientierte Landesund Stadtentwicklungspolitik stärker als bisher an ökologischen Kriterien ausrichten. Eine stärkere Orientierung an ökologischen Erfordernissen setzt in vielen Bereichen ein Umdenken, eine Änderung von Lebens- und Konsumgewohnheiten und damit auch der Produktion und Produktionsweise wie auch der Landes- und Stadtentwicklung voraus. Wichtigste Faktoren einer Raumordnungspolitik müssen der sparsame Umgang mit Freiraum und der Schutz und die Sicherung des Bodens als natürliche Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Pflanzen sein. Schutz und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen von Raumordnung und Landesplanung sind mehr als kurzfristiges Reagieren auf umweltschädigende Maßnahmen. Raumordnung und Landesplanung haben die Aufgabe, vorrangig Umweltvorsorge zu tragen. Eine solche vorausschauende und vorbeugende umweltorientierte Raumordnungspolitik läßt sich nicht durch akute Gefährdung begründen. Umweltorientierte Planung auf allen Ebenen muß von der Tatsache ausgehen, daß die Ursachen für die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen in unterschiedlichen Faktoren zu suchen sind und daß sich Auswirkungen in unterschiedlichen Bereichen zeigen, sich teilweise überlagern oder gegenseitig verstärken. Eine nur sektorale Betrachtungsweise würde Gefahr laufen, den komplexen Zusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen nicht gerecht werden zu können. Vom Flächenbezug ausgehend ist der Landesentwicklungsplan III deshalb ein zentrales und integratives Instrument der Raumordnung und Landesplanung von Nordrhein-Westfalen zur Sicherung von natürlichen Lebensgrundlagen und des Freiraumes." Mit diesem Selbstverständnis löst sich der LEP III '87 klar und eindeutig aus der bisherigen ökonomischen Umklammerung und wird zum ökologischen Instrument einer Landesentwicklungspolitik. Ausgangspunkt war die auf der Grundlage eines "Freiraumberichts" der Landesregierung gewonnene Erkenntnis, daß in Nordrhein-Westfalen die Grenze der vertretbaren Freirauminanspruchnahme erreicht oder bereits überschritten ist. Das Umweltprogramm der Landesregierung folgerte daraus: "Es ist das politische Ziel der Landesregierung, die bestehenden Freiräume zu erhalten, zu schonen oder in Einzelfällen verlorengegangene Freiräume wiederherzustellen. " Mit dem Landesentwicklungsplan III (LEP III '87) hat die Landesregieerung von Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Raumordnung und Landesplanung die Initiative übernommen. Die Problematik und die Möglichkeiten von Freiraumsicherung sind in einem umfangreichen zweistufigen Verfahren mit den Städten, Gemeinden, Kreisen, den kommunalen Spitzenverbänden, den Landschaftsver-

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bänden, den Bezirksplanungsbehörden und den Bezirksplanungsräten, Umweltorganisationen und Industrieverbänden sowie interessierten Bürgern erörtert worden. Die Erfolge dieser Diskussion zeigen sich inzwischen landesweit. Die Notwendigkeit von Freiraumschutz wird von nahezu allen Beteiligten anerkannt; Freiraumberichte oder -bilanzen werden von den verschiedenen Planungsebenen erstellt. Der LEP III '87 geht davon aus, daß der wirksame Schutz des Freiraums von der Landesplanung mehr als allgemeine Aussagen erfordert. Es ist notwendig und der LEP III '87 zieht hieraus die Konsequenzen -, Freiraum im Plan konkret darzustellen und dessen Belange bei der Abwägung mit den Interessen, die auf eine Inanspruchnahme des Freiraums gerichtet sind, zu stärken. Darüber hinaus werden im LEP III '87 zum besseren Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Gebiete für den Schutz der Natur und Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung, Waldgebiete, Grundwasservorkommen sowie die Uferzonen, die sich für die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung eignen, Standorte für geplante Talsperren, sowie die für die Erholung der Bevölkerung bedeutsamen Gebiete planerisch gesichert. Der LEP III '87 fonnuliert Ziele zum Freiraumschutz, die bei der Regionalplanung, Bauleitplanung und Fachplanung zu beachten sind. Danach ist der im Plan zeichnerisch dargestellte Freiraum zu erhalten und in seinen vielfältigen Funktionen zu verbessern. Er darf nur dann für die Planung von Wohnsiedlungen bzw. Gewerbe- oder Industriegebieten in Anspruch genommen werden, wenn die Inanspruchnahme nachprüfbar erforderlich ist. Vor einer Inanspruchnahme muß insbesondere geprüft werden, ob die vorgesehene Nutzung nicht innerhalb von Gebieten möglich ist, die bereits für Wohnsiedlungen bzw. Gewerbe und Industrie ausgewiesen sind. Planerische Vorgaben können zwar dem Freiraumverbrauch Grenzen ziehen, sie wirken aber nicht unmittelbar auf die Ursachen des Freiraumverbrauchs ein. Die Freiraumsicherung durch die Ziele der Raumordnung und Landesplanung muß deshalb durch bestimmte städtebauliche Maßnahmen unterstützt werden. Die Politik des Landes zum Freiraumschutz beruht also auf den landesplanerischen Vorgaben und flankierenden Hilfestellung für die Gemeinden wie z. B. Ankauf brachliegender Gewerbe-, Industrie- und Verkehrsflächen und deren Aufbereitung für eine Wiederverwendung als Gewerbe- und Industriefläche, für Wohnungswohnbebauung oder für Grün- oder Erholungsgebiete durch den "Grundstücksfond Ruhr" und den landes weiten Bodenfond.

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Förderung der unrentierlichen Kosten, die den Gemeinden bei Erwerb und Neuordnung von kleineren Gewerbe- und Industriebrachen entstehen (kleinteiliges Flächenrecyc1ing). Umweltverträgliche Weiterentwicklung von Gewerbe und Industrie in Gemengelagen von Arbeiten und Wohnen durch das "Programm zur Standortsicherung". Einsatz von Städtebauförderungsmitteln zur gebietsbezogenen Wohnumfeldverbesserung und zur Wohnungsmodernisierung sowie zur Verbesserung der stadtökologischen Verhältnisse. Die mit dem LEP III '87 gelegte Grundlage einer engeren Verknüpfung von Landesentwicklungsplanung und Umweltpolitik wird weiter konsequent verfolgt. Mit "Natur 2000", den Leitlinien und Leitbildern für Natur und Landschaft im Jahre 2000, hat die Landesregierung deshalb den Weg zu einem ganzheitlichen Natur- und Landschaftsschutz beschritten. Ziel ist eine landesweite Regeneration natürlicher Landschaftsstrukturen, wobei unter Berücksichtigung anderer Raumansprüche zu differenzieren ist zwischen der flächendeckenden Sicherung und Entwicklung natürlicher Landschaftselemente und der die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes tragenden Landschaftsfaktoren, der Erhaltung und Sanierung von regionalen Grünzügen in den Verdichtungsgebieten, dem besonderen Schutz der Natur und der Extensivierung der Raumnutzung in bestimmten Gebieten, welche die naturräumlichen und geschichtlich gewachsenen Gegebenrnheiten der Landschaft ausreichend repräsentieren sowie der Verknüpfung dieser Gebiete zu einem landes weiten Biotopverbund. Der LEP III '87 schafft die landesplanerischen Voraussetzungen und Vorgaben für die Verwirklichung der Leitlinien und Leitbilder von "Natur 2000" durch entsprechende textliche Darstellungen und durch die zeichnerische Darstellung von Gebieten für den Schutz der Natur, die größer als 75 ha sind und entweder als Naturschutzgebiete festgesetzt sind oder sich nach den bisherigen Erkenntnissen für den Aufbau eines landesweiten Biotopverbundes eignen. Es wird Aufgabe eines zu erarbeitenden Landschaftsprogramms sein, unter Beachtung der Ziele des LEP III '87 die fachlichen Leitbilder und Erfordernisse des Naturschutzes und der Landschaftspflege für die naturräumlichen Regionen Nordrhein-Westfalens weiter auszuarbeiten. Die fachliche Konkretisierung und Ergänzung auf der regionalen Ebene soll in der Landschaftsrahmenplanung erfolgen. Die regionalplanerisch relevanten Inhalte der Landschaftsrahmenplanung wird nach Abwägung mit anderen Raumansprüchen in den Gebietsentwicklungsplänen als Ziele der Raumordnung und Landesplanung dargestellt werden. Die Umsetzung der sachbezogenen

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Ziele der Raumordnung und Landesplanung in entsprechende örtliche Festsetzungen und Maßnahmen obliegt dem Landschaftsplan. Im Rahmen der ökologischen und ökonomischen Erneuerung des Landes kommt auch dem Landesentwicklungsplan VI besondere Bedeutung zu. Dieser LEP VI wurde 1978 aufgestellt und stellt a) Gebiete für fiächenintensive Großvorhaben sowie b) Kraftwerksstandorte dar; er schützt die Flächen vor nicht zielkonformer Inanspruchnahme. Mit dem "Darstellungsprivileg", das nur für fiächenintensive Großvorhaben gilt, sollte die Ansiedlung von Betrieben in einer definierten Größenordnung auf die im LEP VI dargestellten Gebiete gelenkt werden. Der Plan hat die in ihn gesetzten Erwartungen jedoch nicht erfüllt: a) Tatsächlich sind diese Flächen von Industrie nicht angenommen worden. Bundesweit wurden seit Mitte der 70er Jahre nur wenige Großprojekte geplant und realisiert, zum Beispiel Daimler Benz in Raststadt. b) Die insbesondere in Landesentwicklungsplänen darzustellenden Ziele der Landesplanung wurden seinerzeit im § 35 LEPro festgelegt. Seit 1989 sind diese Festlegungen ersatzlos gestrichen. c) Die Notwendigkeit der Akzeptanz vor Ort und in der Region bei derartigen Großprojekten sowie das heutige Planungsverständnis gehen von Konsensbildung und Kooperation aus. Nicht zuletzt belegen die von der Landesregierung initiierten Regionalkonferenzen die Abkehr von der rein staatlichen Vorsorgeplanung und die verstärkte Hinwendung zu interkommunaler Zusammenarbeit. Die Überlegungen für eine Fortentwicklung des LEP VI gehen in die Richtung 1. Dem Gesetzesauftrag (§ 13 Abs. 5 LPIG) der Überprüfung nachzukommen, 2. die Regelungen so zu gestalten, daß der LEP VI als Planungsinstrument angenommen wird und 3. eine Integration in einen beabsichtigten Gesamt-LEP zu gewährleisten. Mit rd. 500 Einwohnern pro km 2 weist NRW eine gegenüber dem Bundesdurchschnitt von ca. 222 Einwohnern pro km 2 mehr als doppelt so hohe Bevölkerungsdichte auf. Daraus resultieren sowohl ein hoher Druck auf die Flächen als auch vielfältige, sich überlagernde Nutzungskonkurrenzen. Die Attraktivität des Wirtschafts standortes NRW im nationalen und internationalen Wettbewerb um die Gunst von zukunftsträchtigen Investitionen zur Bewältigung des angestrebten Strukturwandels sowie der ökologischen und ökonomischen Erneuerung Nordrhein-Westfalens hängt wesentlich auch vom Flächenangebot ab. Der derzeitige LEP VI sichert 14 Flächen von mindestens ca. 200 ha Größe für fiächenintensive Großvorhaben mit einem Mindestbedarf von 150 ha in der Endausbaustufe. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bleibt eine Standortvorsorge dringend geboten.

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Nach derzeitigen Überlegungen sollten für eine Fortentwicklung des LEP VI folgende Eckpunkte gelten: Gegenüber fast allen anderen Bundesländern besitzt NRW den großen Vorteil, durch den LEP VI in Frage kommende Flächen für Flächenintensive Großvorhaben bereits planerisch vor konkurrierender Inanspruchnahme gesichert zu haben. Diese Flächensicherung sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielmehr gilt es, diese Flächen heute unter veränderten ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten erneut zu überprüfen und möglichst weiter zu sichern. Weil es in NRW nur wenige für gewerblich-industrielle Zwecke hervorragend geeignete, große zusammenhängende Gebiete gibt, sollen diese Gebiete nicht wahllos genutzt, sondern nur für Vorhaben mit besonderer Bedeutung in Anspruch genommen werden. Diese Vorhaben müßten für die ökonomische und ökologische Erneuerung des Landes, den Strukturwandel oder auch vor dem Hintergrund des Europäischen Binnenmarktes von besonderer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sein. Die Verbindung von "Darstellungsprivileg" und einer Mindestftächengröße von 150 ha führte dazu, daß das Flächenangebot für nur wenige Projekte überhaupt in Frage kamen. Es wird deshalb daran gedacht, zum einen auf das Darstellungsprivileg zu verzichten und zum anderen die Mindestftächengröße auf 80 ha zu reduzieren. Eine weitere Reduzierung der Flächengröße ist allerdings nicht sinnvoll, weil damit die Bemühungen der öffentlichen Hand um Flächenrecycling, Altlastensanierung und flächenmobilisierung insbesondere in den Verdichtungsgebieten konterkariert würden. Die Aufgabe des Darstellungsprivilegs würde bedeuten, daß Vorhaben mit besonderer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes mit eienr Flächenbeanspruchung von 80 ha auf den LEP-Gebieten realisiert werden können, aber nicht müssen; diese Vorhaben können auch in anderen Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereichen verwirklicht werden. Die LEP VI-Gebiete sind also eine Angebotsplanung des Landes für Vorhaben mit besonderer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Nutzung der 14 LEP-Gebiete soll allerdings vorbildhaft sein. Dazu gehört auch die Anwendung qualitativ hochwertiger, ökologisch ausgerichteter Standards wie z. B. -

eine ökologisch fundierte Gesamtplanung, anspruchsvolle landschaftliche Gestaltung und Einbindung, ökologisch orientiertes Bauen mit wegweisender architektonischer Gestaltung, die Anwendung fortschrittlicher Techniken zum Schutze der Umwelt und Arbeitssicherheit, die besondere Berücksichtigung sozialer Komponenten.

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Unabhängig von den zur Zeit laufenden Vorbereitungen zu einer Überprüfung des LEP 1/11 ist es nunmehr entsprechend einer novellierten Fassung des Landesplanungsgesetzes von 1989 bzw. des Landesentwicklungsgesetzes von 1989 möglich und vorgesehen, die Entfaltung des Landesentwicklungsprogramms in einem Landesentwicklungsplan zusammenzufassen. Folglich soll der überprüfte LEP 1/11 künftig in einem Gesamt-Landesentwicklungsplan integriert werden. Welche sachlichen und formalen Folgerungen sich daraus möglicherweise für die Darstellung der bisher im Plan enthaltenen Ziele zur "Raum- und Siedlungsstruktur" im einzelnen ergeben, ist noch nicht abzusehen. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, daß die in Abschnitt 11 des LEPro festgelegten Allgemeinen Ziele für die räumliche Struktur des Landes auch künftig im Rahmen eines Landesentwicklungsplanes konkretisiert werden.

III. Neue Rahmenbedingungen und neues Selbstverständnis der Raumordnung und Landesplanung

Die Landesregierung hat mit der Regierungserklärung 1985 die ökologische und ökonomische Erneuerung des Landes zum Ziel ihres politischen Handeins erklärt. Die Regierungserklärung 1990 macht deutlich, daß der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden soll. Insbesondere sieht die Landesregierung in dem begonnenen Prozeß der regionalisierten Strukturpolitik den richtigen Weg. NRW hat als erstes Land mit regionalisierter Strukturpolitik begonnen und so die inhaltlichen und die regionalen Schwerpunkte der Landespolitik mit den Entwicklungsperspektiven der Regionen verknüpft. Die Landesregierung hat ihre wirtschafts- und strukturpolitischen Vorstellungen in allen Regionen auf Konferenzen erläutert und die Arbeitsteilung zwischen Land und den Verantwortlichen in den Regionen abgestimmt. In diesen Prozeß sollen die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden und die Bezirksplanungsräte stärker als bisher einbezogen werden. Die Landesplanung hat mit ihren Mitteln Beiträge zur Verwirklichung der landespolitischen Ziele zu leisten. So ist insbesondere die Tatsache von Bedeutung, daß das landesplanerische Grundkonzept mit dem LEP III '87 eine ökologische Basis erhielt, die auch instrumentell neue Wege landesplanerischen Handelns beschreitet. Die Ziele sind umsetzungsorientiert und Grundlage für eine ökologisch und ökonomisch qualitative Verbesserung der Raumnutzung im Lande. Diese ökologische landesplanerische Komponente muß ein tragender Bestandteil des erforderlichen Strukturwandels und Ausgangspunkt für die Fortentwicklung einer Landes- und Regionalplanung sein, die diesen StrukturwandeI unterstützt.

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Für einen Landesentwicklungsplan für NRW sind neuartige Rahmenbedingungen zu beachten. Rahmenbedingungen wie z. B. die demographischen Veränderungen in der Bevölkerungsentwicklung, die Verschiebung der Altersstruktur oder konjunkturbedingte wirtschaftliche Veränderungen sind weiterhin Grundlagenkomponenten der räumlichen Planung. Hinzu kommen jedoch Rahmenbedingungen, die u. a. Ergebnis des europäischen Integrationsprozesses und der Entstehung des EG-Binnenmarktes sowie des Strukturwandels zu einer Informations- und Dienstleistungsgesellschaft sind. Ausdruck hierfür sind die veränderten Standortnachfragen von Industrie und Gewerbe, mit hoher Geschwindigkeit ablaufende wirtschaftliche Umstrukturierungsprozesse mit strukturtypischen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (d. h. in einem Falle Arbeitslosigkeit, im anderen Beschäftigtenmangel), trotz hoher Investitionen im Umweltsektor fortdauernde Umweltbelastungen mit hohem Flächenverbrauch, veränderte Bedarfssituation für Wohnbauflächen. Schließlich werden der deutsche Einigungsprozeß und die Öffnung der Grenzen nach Osten die Rahmenbedingungen nachhaltig beeinflussen. Das grundlegende Zielsystem der Landesplanung, wie es im 1989 novellierten Landesentwicklungsprogramm seinen Ausdruck gefunden hat, bleibt auch unter den neuen Rahmenbedingungen gültig. Ebenso werden sich das zentralörtliche Siedlungssystem und die kommunale Verwaltungs- und Versorgungsstruktur als Ergebnis der kommunalen Neugliederung im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses und des EG-Binnenmarktes als konkurrenzfähig behaupten können. Es deutet sich aber bereits an, daß zusätzlich zu vorhandenen Verwaltungs strukturen und bekannten Verfahrensabläufen neuartige Verwaltungskooperationen und eine anders geartete Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften notwendig werden. Für die dringend notwendige Beschleunigung des Strukturwandels im Lande einerseits und im Hinblick auf die neuen Anforderungen des EG-Binnenmarktes andererseits ist ein Zusammenwirken aller wirtschaftlich relevanten Gruppen erforderlich, das darauf abzielt, Koordinierungs- und Kooperationsformen für eine eigenständige und sich selbst tragende strukturelle Entwicklung im Lande zu finden. Im Hinblick darauf hat die Landesregierung am 16. Oktober 1990 bezüglich der künftigen Ausgestaltung der regionalen Strukturpolitik einen entscheidenden Beschluß gefaßt. Wie darin ausgeführt wird, haben das neu entstandene Verantwortungsbewußtsein der Regionen, die Bereitschaft zur Kooperation und zur Bündelung der regionalen Kräfte entscheidenden Anteil daran, daß NordrheinWestfalen den wirtschaftlichen Aufbruch aus eigener Kraft geschafft hat. Die Anstrengungen zur Mobilisierung der regionalen Kräfte sollen in allen Teilen des Landes fortgesetzt werden. Die Landesregierung verfolgt mit einer Verstetigung und Festigung der regionalisierten Strukturpolitik das Ziel, die regionale Selbstverantwortung weiter zu stärken. Diese Stärkung der Selbstverantwortung

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muß auch im Imstrumentarium der Landesplanung seinen Ausdruck finden. Damit wird auch das Ziel verfolgt, die vorhandenen strukturrelevanten Förderinstrumente noch effizienter und problemorientierter einzusetzen. In dem Beschluß wird auch darauf hingewiesen, daß die Zielvorstellungen der Regierungserklärung deshalb baldmöglichst konkretisiert werden müssen, um insbesondere auch gegenüber den Regionen ein in sich schlüssiges Konzept der Festigung regionaler Strukturpolitik präsentieren und umsetzen zu können. Die im Rahmen der regionalisierten Strukturpolitik von den Regionen zu erstellenden Entwicklungskonzepte werden eigenverantwortlich von den regionalen Kräften erarbeitet. Die Erstellung regionaler Entwicklungskonzepte muß in den demokratisch-legitimierten Gremien der Kreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Kommunen beraten werden. Über die regionalen Entwicklungskonzepte wird in Regionalkonferenzen beraten und möglichst ein Konsens hergestellt. Nach dem Beschluß hilft die Landesregierung den Regionen bei der Erarbeitung regionaler Entwicklungskonzepte; dabei stellt sie, soweit erforderlich, Handlungsempfehlungen zur Verfügung. Ansprechpartner der Regionen sind die Regierungspräsidenten, die in den Regionen wichtige Informations-, Anstoßund Moderationsfunktionen wahrnehmen, um zu einer Festlegung der regionalen Kooperationsbeziehung beizutragen. Die Regierungspräsidenten sollen darauf hinwirken, daß regionale Selbstverantwortung und regionale Eigeninitiative gestärkt werden. Sie haben auch inhaltliche Bündelungsfunktionen. Die regionalen Entwicklungskonzepte dienen in erster Linie dazu, die Eigeninitiative in den Regionen zu wecken und Maßnahmen mit regionseigenen Kräften und Mitteln zu realisieren.

IV. Thesen für eine Fortentwicklung der Landesplanung

Ausgehend von a) den Eckpunkten der Entwicklung der Landesplanung in NRW nach 1945 und b) den neuen Rahmenbedingungen werden für eine Fortentwicklung der Landesplanung folgende Thesen formuliert: 1. Ein LEP für NRW, der zu einer ökologischen und ökonomischen Erneuerung des Landes beitragen soll, muß - einerseits die natürlichen Lebensgrundlagen sichern und ausbauen,

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andererseits die strukturpolitischen Entwicklungsspielräume sinnvoll gestalten, und schließlich die Planungsflexibilität garantieren. 2. Die Landesentwicklungsplanung muß die Leitvorstellungen einer ökologischen und ökonomischen Erneuerung des Landes und die regionalisierte Strukturpolitik des Landes mit landesplanerischen Mitteln unterstützen und akzentuieren. Sie muß auch die aus dem europäischen Integrationsprozeß, den Veränderungen in Osteuropa und im deutschen Einigungsprozeß erwachsenden Rahmenbedingungen mit veränderten Anforderungen an die Leistungsaufgaben der Gemeinden und neuartige Zusammenarbeitsmodelle aufgreifen und in die entsprechenden Verfahren integrieren. 3. Die Reformbestrebungen müssen nachvollziehbar und plausibel sein. Dazu muß die gewachsene Struktur der Landesplanung erhalten, aber den Erfordernissen der neuen Rahmenbedingungen entsprechend fortgeschrieben und modifiziert werden. Die Grundlagen für eine Reform der Landesentwicklungsplanung wurden grundsätzlich durch die Novelle des Landesentwicklungsprogramms vorgegeben. 4. Im Rahmen des Gesamtsystems der Raumordnung NRW bedingen die Instrumente und Methoden der Landes- und regionalen Ebene einander und sind voneinander abhängig. Reformüberlegungen dürfen deshalb nicht nur an einer Planungsebene ansetzen, sondern müssen das Zusammenwirken und die Zusammenhänge von Landes- und Regionalplanung sehen. 5. Es muß sichergestellt sein, daß eine fortentwickelte landesplanerische Konzeption ein flexibles Handeln auf Landes- und regionaler Ebene zuläßt. Die zu formulierenden landesplanerischen Vorgaben und Ziele für eine ökologische und ökonomische Erneuerung des Landes müssen Grundlagen für Veränderungsprozesse schaffen und ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten initiieren. Planung, die solche Prozesse unterstützen soll, muß vorsorgend tätig werden und in dem Sinne zielgerichtet operieren, daß sie neben unmittelbar räumlich bindenden Vorgaben Entscheidungskriterien für den Abwägungsprozeß formuliert. Dementsprechend müssen Rahmenbedingungen, die vom Land für eine solche handlungsorientierte Politik gesetzt werden, um ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten zu ermöglichen, der Eigeninitiative und der Eigenverantwortung der Regionen breiten Raum lassen. 6. Die Zielformulierung muß so ausgestaltet werden, daß überkommunale Zusammenarbeit verstärkt angestoßen wird. Das Entwicklungspotential in den Teilräumen Nordrhein-Westfalens muß stärker mobilisiert werden. Es ist deshalb erforderlich, Lösungsstrategien zu finden, die eine Zusammenarbeit der Gemeinden für alle Beteiligten einsichtig und notwendig macht.

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V. Anforderungen an die Landesplanung aus dem politischen Raum

Vor dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen und der drängenden Zukunftsaufgaben zur Bewältigung des Strukturwande1s im Lande kommt auch aus dem politischen Raum die Aufforderung, die Landesplanung möge mit ihrem Instrumentarium zu diesem Strukturwandel beitragen. So wird im April 1991 ein Antrag der Fraktion der CDU mit dem Titel "Landesplanung zeitgemäß und zukunftsweisend" vorgelegt. Die CDU stellt in diesem Antrag fest, daß das Land Nordrhein-Westfalen in Europa mit seinem gemeinsamen Binnenmarkt eine große und zentrale Bedeutung hat. Damit seien neue Herausforderungen verbunden und die Regionen mit Hilfe einer zeitgemäßen und zukunftsweisenden Landesplanung rechtzeitig zu stärken. Die CDU-Fraktion stellt fest, daß das Instrument der Landesplanung in Teilen überholt ist und daß dringend Handlungsbedarf besteht. Die CDU-Landtagsfraktion fordert daher: 1. die 6 Landesentwicklungspläne aufzugeben. Statt dessen soll ein einheitlicher Landesentwicklungsplan aufgestellt werden. 2. Das Raumordnungsverfahren ist in Verbindung mit der vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung als integrierter Teil in das vorhandene Planungsschema einzuführen. Eine neue Planungsebene soll nicht eingeführt werden. 3. Das Verhältnis von Raumordnung und Landesplanung zur Gebietsentwicklungsplanung ist eindeutig zu klären. Die Gebietsentwicklungsplanung ist dabei zu stärken. 4. Auf allen Planungsebenen wird die bestehende überzogene Regelungsdichte abgebaut. Ebenso wie die Fraktion der CDU fordert auch die Fraktion der SPD in einem Antrag vom Juni 1991 mit dem Titel "Landesentwicklungsplan - Neue Aufgaben/ Neue Wege" die Landesregierung auf, die Landesplanung zur Unterstützung des Strukturwandels einzusetzen. Die Fraktion der SPD stellt fest, daß der Landtag die Politik der ökonomischen und ökologischen Erneuerung des Landes unterstützt und daß die Raumordnung und Landesplanung mit ihren Mitteln zur Verwirklichung dieses Konzept beizutragen habe. Die SPD-Fraktion begrüßt die Absicht der Landesregierung, einen Landesentwicklungsplan zu schaffen. Sie weist darauf hin, daß dabei neue Rahmenbedingungen zu beachten sein werden, die unter dem Stichwort "Deutsche Einheit, europäische Integration und Europa der Regionen" zusammengefaßt werden können. Insbesondere als Antwort auf die neuen Konkurrenten des Binnenmarktes und im Hinblick auf steigende Anforderungen des Umweltschutzes wird mehr denn je die Zusammenarbeit von Regionen oder Teilregionen notwendig wer-

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den. Die Landes- und Regionalplanung - so fordert die SPD-Fraktion - muß dieser Zusammenarbeit Platz einräumen und selbst als Motor zu dieser Entwicklung beitragen. Es wird vorgeschlagen, daß der Landtag die Landesregierung deshalb bittet, bei der Fortentwicklung der Landesplanung folgendes zu beachten (Zitat): ,,1. Ein Landesentwicklungsplan für Nordrhein-Westfalen, der die ökonomische und ökologische Erneuerung des Landes unterstützen soll, muß - einerseits die natürlichen Lebensgrundlagen sichern und ausbauen und - andererseits die Entwicklungsspielräume und die Planungsflexibilität der Gemeinden erhalten und erhöhen. 2. Bei den Reformüberlegungen ist zu beachten, daß sich die auf der gegebenen Siedlungsstruktur Nordrhein-Westfalens beruhende zentralörtliche Gliederung im Prinzip bewährt hat, das System der Entwicklungsachsen unter den neuen Rahmenbedingungen überprüft werden muß, die landespolitisch bedeutsamen, großräumigen Sicherungsaufgaben sowohl in strukturpolitisch-ökonomischer Sicht als auch in ökologischer Hinsicht erfüllt werden, eine interkommunale und regionale Zusammenarbeit stärker als bisher möglich wird. 3. Ein künftiger Landesentwicklungsplan für Nordrhein-Westfalen sollte sich auf zwei Schwerpunkte ausrichten: a) auf die räumliche Struktur des Landes wie sie das LEPro vorgibt mit Siedlungsraum, Freiraum, zentralörtlliche Gliederung, Einteilung des Landes in Zonen. b) auf wenige, aber entwicklungsorientierte qualitative Zielbereiche zur Erfüllung von Zukunftsaufgaben. 4. Entwicklungsorientierte Zielbereiche sollen für landespolitisch bedeutsame Aktionsfelder der Raumordnung entwickelt werden. 5. Die Konkretisierung der entwicklungs orientierten Zielbereiche geschieht über die Regionalplanung. Die Inhalte der Gebietsentwicklungspläne müssen überprüft und auf den notwendigen Umfang reduziert werden. 6. Mit der bundesrechtlich verpflichtenden Einführung des Raumordnungsverfahrens ist das Verhältnis von Gebietsentwicklungsplanung und raumordnerische Projektprüfung neu zu bestimmen. Zwischen der Gebietsentwicklungsplanung, die die raumbezogene Gesamtperspektive und Zielsetzung zu vermitteln hat und dem Raumordnungsverfahren, das zu Aussagen über die raumordnerische Realisierungsfähigkeit eines bestimmten Vorhabens führt,

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muß eine klare Arbeitsteilung gefunden werden, wobei Mehrfachprüfungen und Verfahrensdoppelungen zu vermeiden sind."

VI. Eckpunkte für eine grundlegende Fortentwicklung der Landesplanung in NRW Der Landesentwicklungsplan in NRW sollte in Zukunft von drei wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkten getragen werden. Der erste inhaltliche Schwerpunkt des Plans wird in modifizierter Form weiterhin die großräumige räumlich-funktionale Arbeitsteilung mit der Ausrichtung auf die räumliche Grundstruktur des Landes ein. Der zweite inhaltliche Schwerpunkt des neuen Gesamt-LEP ist unter dem Stichwort ökologisch + ökonomische Verbesserung der Flächennutzung zusammenzufassen. Dahinter verbirgt sich der Keminhalt des LEP III '87 mit der Einteilung des Landes in Freiraum und Siedlungsraum und dem Grundsatz des schonenden Umgangs mit Freiraum. Der dritte inhaltliche Schwerpunkt wird sich schließlich den neuen Aufgaben und den neuen Rahmenbedingungen widmen. Er soll gefüllt werden mit um setzungsorientierten Instrumenten der Raumordnung als Ausdruck einer ökologischen und ökonomischen Betrachtungsweise, mit Aktionsfeldern, die sich auszeichnen durch "entwicklungsorientierte Zielbereiche" mit umsetzungsbezogenen Abwägungs- und Verfahrenskriterien. a) Bei den "entwicklungsorientierten Zielbereichen" handelt es sich materiell um wenige ausgesuchte Aktionsfelder der Raumordnung, die l.raumrelevant sind und 2.in besonderer Weise eines Anstoßes bedürfen. Aktionsfelder könnten z. B. sein: Aktivierung des Gewerbeftächenpotentials, qualitative und quantitative Verbesserung der Wohnstandorte, Optimierung der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur, Ausbau der Freizeitinfrastruktur. b) Es ist daran gedacht, daß die auf oberster Ebene mit Qualitäts- und Verfahrensvorgaben formulierten Ziele mit neuartigen Verfahren auf der Regierungsbezirksebene umgesetzt werden. In diesen Prozeß werden die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden und die Bezirksplanungsräte stärker als bisher einbezogen. Gleichzeitig wird hierbei mit dem landes- und regionalplanerischen Instrumentarium der begonnene Prozeß der regionalisierten Strukturpolitik des Landes unterstützt.

Kurt-Günter Noll

EXKURSIONSBERICHT Exkursionsprogramm: Start

Duisburg Hauptbahnbof, Bushalt Mercatorstraße

08.00 Uhr

Fahrtroute: A 59, A 42, A 45 Verschiedene Aspekte raumordnerischer Problemstellungen in der Emscherregion

1. Halt

Technologiepark Dortmund

09.00 Uhr

Beispiel für innovativen Technologietransfer zwischen Forschung (Universität) und Wirtschaft

2. Halt

Ansiedlungen großflächigen Einzelhandels

11.15 Uhr

an der Peripherie von Oberzentren (nur Besichtigung mit allgemeinen Erläuterungen)

3. Halt

2. Beispiel: Ruhrpark Einkaufszentrum

Leitung: Frau Blank, Technologiezentrum Dortrnund

1. Beispiel: Dortmund-Oespel an der A 430 11.30 Uhr

Bochum-Kornharpen an der A 430

Mittagsimbiß im Revierpark Gysenberg auf Einladung der Revierpark GmbH Im Verlauf der Mittagspause - Kurze Information über die Konzeption der Revierparks Leitung: Graf v. Schmettow, Geschäftsführer Revierpark GmbH 4. Halt 14.00 Uhr

RohstoJfrückgewinnungszentrum Ruhrgebiet Probleme der Abfallwirtschaft im Ruhrgebiet Leitung: Herr Fiolka, Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet mbH (AGR)

5. Halt 16.00 Uhr

Emscher Landschaftspark Konzept und Gestaltungselemente im Bereich des Regionalen Grünzugs C Leitung: Herr Schwarze-Rodrian, Abt. Planung, Kommunalverband Ruhrgebiet

8 Eckart/Roch

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Kurt-Günter Noll Thematische Dokumentation der Exkursionsschwerpunkte

TECHNOLOGIEPARK DORTMUND Aus: Technologiepark Dortmund, Hrsg. Stadt Dortmund, o. Jg.

Der Rahmen

für die Konzeption des Technologieparks Dortmund ist von vornherein durch seinen Inhalt bestimmt. Das Projekt ist eingebettet in die Umgestaltung und Entwicklung des gesamten Universitätsviertels in Dortmund und ein integraler Bestandteil. Als Teil des "neuen Universitätsviertels" genießt der Technologiepark gegenüber den anderen Gewerbegebieten der Stadt eine besondere Stellung. Hier sind Voraussetzungen und Möglichkeiten, einen hohen stadtentwicklungspolitischen Anspruch zu stellen, besonders günstig. Trotz mancher Besonderheiten ist die Konzeption für den Technologiepark von allgemeiner Bedeutung. Denn hier ist die These durch Erfahrung bestätigt, daß die sogenannten weichen Standortfaktoren, wie anspruchsvolle Stadtgestalt, grünes und gesundes Arbeitsumfeld, imageträchtige Lage usw. einen hohen Beitrag zur Wirtschaftsförderung leisten. Im Universitätsviertel werden ausschnitthaft die Perspektiven einer Stadtentwicklungspolitik anschaulich, die versucht, die Förderung nach einem ausgewogenen Nebeneinander von wirtschaftlichem Umstrukturierungsprozeß, ökologischer Erneuerung und gestalterischer Aufwertung einzulösen. Damit sollen im Universitätsviertel seinem "Geist" als Experimentierfeld gemäß Vorlagen entwickelt werden, die auf andere, problembeladene Bereiche in der Stadt ausstrahlen. Es geht nicht nur darum, wie vielerorts den Austausch zwischen Universität und Wirtschaft als Transfervorgang ablesbar zu machen, sondern die hochtechnologischen Vorgänge und Produktionen durch ökologisch bewußtes Planen und Gestalten zu ergänzen.

Der Anspruch

der Konzeption des Technologieparks besteht darin, neben der Universität einen vorbildlichen Arbeitsort zu entwickeln, dessen Aufbau, Gestalt und Durchgrünung Muster und Orientierung für die Neu- und Umgestaltung anderer Dortmunder Gewerbegebiete sein kann.

Exkursionsbericht: Raumordnung im Ruhrgebiet

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Der Technologiepark nutzt das Transferpotential der Universität Dortmund als Standortvorteil, um den wirtschaftlichen Strukturwandel konkret zu machen: Die ingenieurwissenschaftIichen Fachbereiche und Institute der Universität setzen im Vergleich zu anderen Hochschulen ihre Forschungsergebnisse besonders anwendungsbezogen um; das bestätigt der Meinungsspiegel von Wissenschaftlern und Unternehmern. Zugleich besteht eine große Bereitschaft von Unternehmern aus der Region, mit der Universität zusammenzuarbeiten. Das "Dortmunder Modell", die ausgeprägte Kooperationsbereitschaft aller für den Strukturwandel relevanten Kräfte aus Politik, Verwaltung, Universität, örtlicher und regionaler Wirtschaft und bewährte Basis des bundesweit beispielhaften Technologiezentrums, ist das ideelle Fundament auch des Technologieparks. Bundesweit verfügt keine andere Stadt über ein vergleichbares Flächenangebot in unmittelbarer Nachbarschaft einer Universität. Die zeitweilig umstrittene Entscheidung, die Dortmunder Universität vor den Toren der Stadt zu errichten, erfährt damit heute ihre Rechtfertigung. Das "neue Universitätsviertel" mit seinem außerordentlichen Standortpotential und seinen Imagevorteilen ist zu einem Motor der Stadtentwicklung geworden. Die Einmaligkeit dieses Potentials und die darin liegenden Chancen für die Stadtentwicklung fordern zu einer kommunalen Städtebau-, Liegenschafts- und Vermarktungspolitik heraus, die das Potential des Standorts neben der Universität wirksam in Realität umsetzt. Dazu gehören Qualitätsansprüche an die städtebauliche und ökologische Gestaltung des ,,neuen Universitätsviertels": Besonders städtebauliche Gestaltungsansprüche an die Gebäude sollen über Wettbewerbe, präzise Festsetzungen in Bebauungsplänen und differenzierte Angebote in Baugestaltungshinweisen realisiert werden. Landschaftliche und ökologische Ziele sind nicht Beiwerk, sondern von vornherein wesentlicher Bestandteil des Planens. Charakteristische Landschaftselemente werden berücksichtigt, naturnahes Grün gesichert und geschaffen, Bodenversiegelungen so weit wie möglich vermieden. Arbeitsphysiologische Aspekte werden beachtet: "Neues Arbeiten" in den und mit den "Neuen Technologien" stellt besondere qualitative Ansprüche an die Gestaltung der Arbeitsplätze, der Gewerbegebäude und des Umfeldes. Sie wirken sowohl auf die landschafts- als auch auf die stadtgestalterischen Vorstellungen ein. Vielfach kann ohnehin Übereinstimmung festgestellt werden. Die Grundstücke im Technologiepark werden nicht aus kurzfristig orientierten Erfolgserwägungen an beliebige Betriebe, sondern nur an ausgewählte technologieorientierte Unternehmen veräußert, die die Kooperation mit der Universität sicherstellen und deren Produkt- oder Leistungsschwerpunkte in

8 •

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Kurt-Günter Noll den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik, Chemie- und Umwelttechnik sowie in deren Schnittfeldern liegen.

Diese Ansprüche kennen kaum Vorbilder. Die Stadt Dortmund sucht damit einen neuen Weg, fernab der üblichen Praxis, bei der Entwicklung von Gewerbegebieten, die vielerorts städtebauliche Niemandsländer entstehen ließ, die durch weitgehende gestalterische Beliebigkeit, überdimensionierte Straßen und trostlose Asphaltflächen zwischen Rest- und Abstandsgrün gekennzeichnet sind.

Das Konzept

für den Technologiepark nutzt die Standortpotentiale: die unmittelbare Nachbarschaft der Universität, der freien Landschaft und hochwertiger Wohngebiete, die Lage an der Bundesstraße 1, dem Orientierung gebenden Rückgrat des Straßennetzes im Ruhrgebiet, die direkte Anbindung an überregionale Autobahnen und an die regionalen Strecken der S-Bahn sowie die Tatsache, daß an dieser Stelle knapp 30 Hektar städtischer Grundbesitz verfügbar sind. Anders als es der Begriff "Park" suggerieren mag, orientiert sich das Leitbild für das städtebauliche Konzept des Technologieparks an dem eher städtischen Siedlungs typ des Baublocks, wie man ihn zum Beispiel aus gründerzeitlichen Wohn- und Villengebieten kennt. Der Baublock ist vom öffentlichen Raum umgeben, der die Erschließung gewährleistet, birgt aber in seinem Inneren teils individuell, teils gemeinschaftlich nutzbare Grünflächen. Die Gebäude halten sich zu den Straßen hin an eine vereinbarte Gestaltkonvention und zeigen deshalb ein einheitliches Gesicht. Eine regelmäßige Parzellen struktur unterstreicht die geschlossene Wirkung. Für die Rückseiten bleiben aber vielfältige Gestaltungsspielräume offen. Die Planung übernimmt und schafft städtebauliche Verbindungen zur Universität, zu den umliegenden Ortschaften, zur Landschaft sowie zur Autobahn und Bundesstraße 1. Sie orientiert sich an vorhandenen Straßen, Wegen und Grünräumen und verknüpft sie zu einem Netz, das etwa gleichwertige Baublöcke umspannt. Jeder Baublock ist von drei Seiten erschlossen und öffnet sich auf der vierten zum Grünraum. Einheitliche Baufluchten, Geschoßzahlen, Traufhöhen, Gebäudebreiten, seitliche Gebäudeabstände sowie Vorschriften über Baumaterialien bilden den baugestalterischen Rahmen. Die Straße gewinnt als öffentlicher Raum, weil sich die Gebäude mit ihren Büro- und Dienstleistungsräumen nach vorne orientieren, während Produktion dem rückwärtigen Teil zugeordnet wird.

Exkursionsbericht: Raumordnung im Ruhrgebiet

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Die Bewegung der natürlichen Landschaft wird sich in der Dachlandschaft abbilden, weil für jedes an der Straße liegende Gebäude eine einheitliche Trauthöhe über Gelände (drei Vollgeschosse) vorgeschrieben ist. Vorleistungen an die Qualität des Gebietes sind die öffentlichen Räume, die jeweils im inneren Bereich der Baublöcke vorgeschriebenen Gemeinschaftsgrünflächen, der Grünzug zur Universität sowie die Alleen mit festen Baumabständen. Die Bündelung der begrünten Grundstücksteile zu einer ungeteilten gemeinschaftlichen Grünfläche der Betriebe ergibt einen lebensfahigen Grünraum auch in den Blockinnenbereichen. Normierte Grundstücksbreiten und festgelegte Grundstückszufahren sorgen dafür, daß die Alleen geschlossen bleiben, da kein Baum einer Zufahrt zum Opfer fallen muß. Die Konzeption für den Technologiepark vereinigt städtebauliche und stadträumliche Ordnung und Geschlossenheit mit individueller Gestaltungs- und Nutzungsvielfalt, gute verkehrliehe Erschließung mit Anschluß an die Grünräume, kleinteilige Baustrukturen mit dem Angebot, mehrere Gebäude zusammenzufassen.

Der öffentliche Raum

Der öffentliche Raum prägt wesentlich den ersten Eindruck eines Gebietes. Ausstrahlung und Funktionalität von Straßen, Wegen, Plätzen und Grünräumen einschließlich der Vorzonen von Gebäuden gestalterisch in Einklang zu bringen, zählt zu den wichtigsten, beinahe ,,klassischen" Aufgaben der Stadtplanung. Der gestaltete öffentliche Raum bildet den Rahmen für die Bebauung. Er ist eine wesentliche öffentliche Vorleistung zur Aufwertung von Standorten. Zugleich ist er jedoch ein städtebauliches Gestaltmittel, um ein architekturunempfindliches Gefüge in der Stadt zu schaffen, das durch einzelne "Gestaltausrutscher" im Kern nicht beeinträchtigt werden kann. Ein Gestaltungskonzept für den öffentlichen Raum muß beide Aufgaben beachten. So sind trotz der gestalterischen Qualitätsanforderungen an die neuen Gebäude die auffallendsten Teile des Technologieparks die öffentlichen Räume: die als Alleen gestalteten Straßen, der breite Grünzug zur Universität und zur Landschaft sowie die gemeinschaftlichen Grünflächen in jedem Baublock. Die öffentlichen, vorwiegend grünen Räume sichern die Erschließung des Technologieparks, erleichtern die Orientierung im Inneren, gliedern den Technologiepark in gleich große und gleichwertige Baublöcke,

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Kurt-Günter NoH verknüpfen das Gebiet mit der umgebenden Landschaft, mit den umliegenden Ortschaften und mit der Universität, vermitteln zwischen den Bereichen unterschiedlicher Gestalt, garantieren gestalterische Qualität in diesem neuen Gebiet, integrieren die notwendigen Verkehrsfunktionen, mildem ab, was durch den Eingriff in das bisherige Ackerland durch Bauten und neue Nutzungen an natürlichen Potentialen des Raumes verloren geht, sorgen für ein behagliches Kleinklima, mildem die Sonnenhitze, filtern den Staub, erzeugen ein angenehmes Arbeitsumfeld mit hoher Aufenthaltsqualität, verschaffen dem Technologiepark eine "gute Dortmunder Adresse".

Die Hauptstraßen haben dreistreifige Fahrbahnprofile. Der mittlere Streifen dient als Verfügungsspur für Linksabbieger an Kreuzungen und Grundstückszufahrten und bietet Raum für Mittelinseln und Querungshilfen. Nach diesem Prinzip können die Alleen auch in den Kreuzungsbereichen gradlinig gepflanzt werden. Standortgerechte, heimische Bäume wie Linde, Ahorn und Kastanie bilden die Alleen an den Hauptstraßen, Vogelkirsche und Eberesche an den Nebenstraßen. Da die Lage der Grundstückszufahrten von vornherein festliegt, können die Alleen von Anfang an lückenlos gepflanzt werden. Die Vorgärten enthalten weder Stellplätze noch Vorfahrten, sondern sind mit Stauden und Kletterpflanzen bepflanzt. Lediglich die maximal drei Meter breiten Gehwege zu den Gebäuden und die maximal fünf Meter breiten, mit dem Nachbarn gemeinsam zu nutzenden Grundstückszufahrten durchschneiden die Vorgärten. Der beidseitig von Stieleichen begleitete Grünzug, mit seinen Wiesen, Baumgruppen und kleinen Wassermulden führt Fußgänger und Radfahrer direkt ins Herz der Universität mit Forum, Mensa und Bibliothek oder hinaus in die freie Landschaft. Seine Wege haben ausschließlich wassergebundene Decken und sind mit Naturstein eingefaßt. Um die Sicht auf private Zufahrten und Stellplätze in den Blockinnenbereichen zu vermeiden, werden die beiden Reihen der Stieleichen mit Sträuchern umpflanzt. Die mit Bäumen, wie Stieleiche, Winterlinde, Feldahorn, Vogelkirsche, Eberesche und Sträuchern bepflanzten zusammenhängenden Grünflächen im Innern der Baublöcke entstehen als Summe der für die rückwärtigen Grundstücksteile vorgeschriebenen Grünanteile. Sie sind jeweils Gemeinschaftsflächen, die nicht durch Mauem und Zäune unterteilt werden dürfen. Auch hier gibt es Wassermulden, die von der Dachentwässerung der Gebäude gespeist werden. Punktuelle Geteinsschüttungen, Ablagerungen von Stapel- oder Moderholz unterstützen die Entwicklung einer vielfältigen Fauna.

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FREIZEITANLAGEN IM RUHRGEBIET - DIE REVIERPARKS Aus: Freizeitanlagen für das Ruhrgebiet, Heinz Amo Mittelbach und Hanskarl Schönfeld, Bauwelt 14/1969 (Auszug mit Ergänzungen)

Konzeption

Das vom SVR (heute Kommunalverband Ruhrgebiet KVR) entwickelte System von Freizeitzentren und Freizeitparks soll dazu beitragen, die wachsenden Freizeitbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und diese zu möglichst aktiven Betätigungen anregen. Als regionaler Effekt sollen der wachsende Freizeitund Erholungsverkehr dezentralisiert und gleichzeitig die Fahr- und Gehentfernungen verkürzt werden. Aus der regionalen Sicht des SVR sind besonders im Inneren des Reviers (in der Emscherzone zwischen Dortmund im Osten und Duisburg im Westen) zusätzliche Freizeiteinrichtungen erforderlich, die der aktiven Freizeitgestaltung und Erholung dienen können. Die Idee ,Freizeitpark' hat zum Ziel, das Innere des Reviers zu bereichern und die Nah- und Nächsterholung, also die Wochenend- und Tageserholung, in den Emscherstädten zu fördern. Sie ist darauf gerichtet, zur aktiven Betätigung auch außerhalb des Schul- und Vereinssports durch ein großes und mannigfaches Angebot von Sport-, Spiel-, Schwimm- und Badeeinrichtungen für jung und alt, für ganze Familien und für einzelne Menschen anzuregen. Sie ist ferner darauf gerichtet, auch die ,Nicht-Aktiven', die aber ,sehen' oder ,gesehen' werden wollen, durch attraktivere Einrichtungen anzusprechen und zum Promenieren und Spazierengehen anzuregen. Es ist die Zielsetzung des SVR, daß mehrere, wenigstens aber fünf, Freizeitparks geschaffen werden, die verkehrs- und siedlungsgeographisch so gelegen sind, daß ein additiver und regionaler Effekt erreicht wird. In den Einzugsbereichen sollen möglichst viele Menschen wohnen, im 15-Minuten-Gehbereich mindestens 25.000-50.000, im 20-Minuten-Fahrbereich mindestens 1/2-1 Million Menschen. Jeder Park soll wenigstens für 3-4 Städte in einer vertretbaren Zeit gut erreichbar sein. In der Emscherzone wurden insgesamt 9 Standorte, die für Freizeitparks in Frage kommen, eingehend untersucht. Ein Standort im Raum Bochum-Nord/ Herne (Gysenberg) ist besonders günstig, weil er an eine ausgedehnte Frei- und Grünzone angelehnt ist, die sich von Castrop-Rauxel bis nach Bochum erstreckt. Das Parkgelände grenzt unmittelbar an ein 55 ha großes Wald gelände mit einem Tierpark und einem Wildgehege. Ebenfalls günstig, wenn auch nicht in so reizvoller Landschaft wie das Herner Gelände, liegt ein Standort im Raum

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Kurt-Günter Noll

Essen-Nord/Gelsenkirchen. Als Teilfläche des regionalen Grünzuges, der sich von Essen über Gelsenkirchener Gebiet bis nach Gladbeck hinzieht, grenzt das Parkgelände an einen gestalteten Bereich der stillen Erholung, den NienhauserBusch mit 34 ha Waldfläche. Nach Osten schließen vorhandene städtische Grünanlagen an, die bis in das Kemgebiet der Stadt Gelsenkirchen reichen. Die Planung sieht eine Fortsetzung des Grünflächensystems nach Westen in die dichtbesiedelten Wohnbezirke des Essener Nordens vor.

Das Leitprogramm für Freizeitparks Um ein Leitbild und ein Leitprogramm für die Ausgestaltung und Ausstattung des Freizeitparks entwickeln zu können, wird vom SVR ein Beraterkreis für Freizeitparks berufen, dem u. a. Städtebauer, Architekten und Gartenarchitekten, Vertreter der Medizin, der Hygiene und des Sports, Vertreter des Arbeitskreises für Freizeit und Erholung, der Deutschen Olympischen Gesellschaft, der Deutschen Bädergesellschaft und des Instituts für Sportstättenbau in Köln-Müngersdorf angehören. Das entwickelte Leitprograrnm umfaßt: 1. die Zugänge und Verkehrsplätze (öffentliche Parkplätze, private Einstellplätze, Abstellplätze für Räder aller Art), 2. die Haupteingangszone mit Freizeithaus, Informations- und Parkverwaltung, 3. eine Badezone, 4. eine öffentliche Park- und Spielzone, 5. eine gewerblich betriebene Spiel- und Schauzone, 6. eine gewerblich betriebene Restaurationszone bei einer Geselligkeitszone, 7. eine Tierzone, 8. eine Promenade. Nach dem Leitprograrnm soll der größte Teil des Gesamtparks der öffentlichen Park- und Spielzone vorbehalten sein. Die Benutzung des größten Teils des Freizeitparks soll kostenlos sein, nur für die Badezone und die gewerblichen Anlagen sind Entgelte vorgesehen. Je nach den örtlichen Verhältnissen und nach den gemeindlichen Wünschen soll das Leitprogramm zu konkreten Bauprogrammen abgewandelt werden.

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Der Revierpark Gysenberg Der erste Freizeitpark wurde unter dem Namen ,REVIERPARK GYSENBERG' im Grenzraum von Herne und Bochum fertiggestellt. Grundgedanke der Planung war es, unter Beachtung und Erhaltung der vorhandenen Landschaftswerte eine stark durchgrünte Freizeitparkanlage mit einer heiteren Atmosphäre zu schaffen. Die Hangzone, insbesondere der Bereich der südlichen Einbuchtung in den Gysenberger Wald, ist landschaftlich besonders reizvoll. Dieser Bereich ist von jeglicher Bebauung freigehalten worden. Die Gebäudekomplexe liegen am äußeren Rand des Parkgeländes, so daß ein großräumiger Freiraum entstand, der als Park- und Spielzone gestaltet ist. Während der Planung fand sich eine private Gesellschaft, die in Anlehnung an den Freizeitpark eine Eissporthalle bauen und betreiben wollte, wodurch eine Umplanung erforderlich wurde. Der Haupteingang zum Park wurde mit dieser Sporthalle verbunden, das Freizeithaus wurde weiter in den Park hinein verlegt, so daß zwischen Haupteingang und Freizeithaus die Geselligkeitszone entstand. Der Revierpark Gysenberg wird durch mehrere Eingänge erschlossen, die an den Hauptstraßen liegen und gute Beziehungen zu den Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel haben. Da der Park frei zugänglich ist, sind keine Kassenanlagen vorgesehen. Insgesamt sind in den Zugangsbereichen rund 900 Parkplätze für Pkw's, ferner zahlreiche Abstellplätze für Mopeds und Fahrräder, insbesondere am Freibad, vorhanden. Der Park unmfaßt eine Fläche von rd. 24 ha, auf der u. a. folgende Anlagen errichtet wurden. Das Fr e i z e i t hau s für jung und alt mit Halle, Saal und Bühne, mit Lese-, Gruppen- und Werkstatträumen sowie mit Urnkleide- und Waschräumen für die Freizeithaus- und Parkbesucher. Ferner sind dem Freizeithaus die Räume für die Parkverwaltung mit Information und Ausgabe von Sport- und Spielgeräten eingegliedert. Das Weil e n fr e i bad mit temperiertem Wasser und Wärmehalle. Insgesamt sind 2.500 Gardeobeneinheiten in Form von verschließbaren Schrankgarderoben vorhanden, davon sind rd. 500 Schränke in der Kühlwettereinheit, dem beheizbaren Garderobenteil, untergebracht. Das Badrestaurant steht in räumlicher Verbindung mit der Wärmehalle, so daß nach Bedarf eine Erweiterung in diesen Bereich möglich ist. Ein Gastraum ist von außen her zugänglich und zur Park- und Spielzone hin orientiert. Die Par k - und S pie 1z 0 n e mit mehreren Bereichen, die mannigfachen Nutzungen dienen. Die Kinderspielbereiche sind nach Anlagen für Kinder der verschiedenen Altersstufen gegliedert. Diese Spielplätze sind mit Einrichtungen und Geräten ausgestattet, die das aktive Spielverhalten durch Anregungen zum

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Laufen, Werfen, Klettern, Kriechen und Bilden fördern. Eine besondere Attraktion ist der Wasserspielplatz in Anlehnung an das Freibad. Familienspielbereiche mit Rasenflächen, Hartplätzen, Sandkästen und Sitzplätzen, Ballspielbereiche für Jugendliche und Erwachsene vervollständigen die öffentliche Park- und Spielzone. An der Promenade sind Sitz- und Ruheplätze sowie Schach- und Skatecken angelegt. Zwischen dem Freizeithaus und dem Haupteingang befindet sich der Geselligkeitsbereich mit Wasserspielen, gärtnerischen Anlagen, einem Musikpavillon und einer Tanzfläche. (Auch die Revierparks Nienhausen in Gelsenkirchen, Wischlingen in Dortmund, Mattlerbusch in Duisburg und Von der Ort in Oberhausen sind inzwischen mit großer Akzeptanz in Betrieb.)

RZR - ROHSTOFFRÜCKGEWINNUNGS-ZENTRUM RUHR Aus: RZR-Herten, Hrsg.: AGR Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet mbH, 1992 Entstehung Das RZR wurde Anfang der 70er Jahre konzipiert, als Öffentlichkeit und Wirtschaft unter dem Eindruck der Ölkrise und des Rohstoffschocks standen. Die seinerzeit als umfassende Lösung begrüßte Idee, aus Abfällen in großem Umfang Wertstoffe herauszusortieren und die verbleibenden Bestandteile unter Gewinnung von Dampf und Strom zu verbrennen, gab der Anlage in Herten, Kreis Recklinghausen, ihren Namen: Rohstoffrückgewinnungs-Zentrum Ruhr. Die ursprünglichen Vorstellungen wurden im Zuge der Planungen aus technischen und wirtschaftlichen Gründen modifiziert. Energie- und Rohstoffe standen wieder ausreichend zur Verfügung. Kernstück der Konzeption wurde deshalb die Verarbeitung von rund 300.000 t Hausmüll jährlich zu einem ,Brennstoff aus Müll' (BRAM). Die Reststoffe und Sperrmüll sollten in einer Verbrennungsanlage energetisch verwertet werden. Außerdem sah das Konzept den Bau von Sonderabfallverbrennungsanlagen für Industrieabfälle und Krankenhausabfälle vor.

Die erste Ausbaustufe 1978 wurde das RZR mit zwei Anlagen für die Abfallsortierung und -aufbereitung zur Herstellung eines Brennstoffes, kurz: ASA, mit zwei Siedlungsab-

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fallverbrennungsanlagen und zwei SonderabfallverbrennungsaIilagen planfestgesteIlt. Nach der Grundsteinlegung 1979 wurden bis 1982 die ASA und je eine Siedlungsabfall- und eine Sonderabfallverbrennungsanlage errichtet und in Betrieb genommen. Das RZR mußte sich während der Bauphase veränderten technischen Konzeptionen und abfallwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen. Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen und öffentlichen Diskussionen haben das Bild der AGR lange Zeit belastet.

Das RZR 1990 Das Abfallgesetz von 1986 fordert, daß Abfälle vor der Ablagerung auf Deponien thermisch oder anderweitig behandelt werden. Um auch langfristig zur Entsorgungssicherheit der Region Ruhrgebiet beizutragen, hat sich die AGR nach Inkrafttreten des Abfallgesetzes 1986 entschlossen, die bereits 1978 behördlich genehmigte zweite Sonderabfallverbrennungsanlage zu errichten. Der Auftrag hierzu wurde 1987 erteilt. Im April 1990 ist diese Verbrennungsanlage in Betrieb gegangen. Organische Abfälle, und dazu gehört auch der Hausmüll, sollen zukünftig nicht mehr deponiert werden. Aus diesem Grunde entschied sich die AGR 1987, auch die ebenfalls bereits planfestgestellte zweite Siedlungsabfallverbrennungsanlage zu errichten. Diese Anlage hat 1990 ihren Betrieb aufgenommen. Im RZR werden häusliche Abfälle und Sonderabfälle themisch-oxidativ verwertet und damit gleichzeitig entsorgt. Die Vorteile der Verbrennung sind: Volumenreduktion auf etwa ein Zehntel des Ausgangsvolumens Gewichtsreduktion auf etwa ein Drittel des Ausgangsvolumens schädliche organische Bestandteile der Abfälle werden a) vernichtet, b) in einen hygienischen und c) wasserunlöslichen Zustand überführt. Dampferzeugung für die Produktion von Strom und Fernwärme Abscheidung und Verwertung des Schrotts aus der Schlacke aufgearbeitete Schlacken finden als Baustoffe Verwendung von Schwankungen der Sekundär-Rohstoffmärkte unabhängige Entsorgungstechnik ausgereifte und erprobte Technik Ausbau nach dem jeweiligen Stand der Technik möglich Deponievolumen wird geschont.

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Kurt-Günter Noll Entsorgung in der Diskussion

Nach dem Stand der Technik betriebene Abfallverbrennungsanlagen weisen gegenüber anderen Entsorgungsverfahren unbestreitbare Vorteile auf. Trotzdem finden sich diese Anlagen in der öffentlichen Diskussion wieder. Eines der Hauptargumente: Durch Abfallvermeidung und stoffliche Verwertung seien Abfallverbrennungsanlagen überflüssig. Das mag, wenn alle von den Kommunen und Kreisen angestrebten Vermeidungs- und Verwertungsstrategien in die Tat umgesetzt sind - auf den häuslichen Abfall bezogen -, in der Zukunft weitgehend zutreffen. Doch bis dahin werden noch Jahrzehnte vergehen und von der Theorie werden die heutigen Abfallberge nicht kleiner. Die bestehenden und geplanten Verbrennungsanlagen dienen dazu, die vorhandenen und zu erwartenden Abfälle zu entsorgen. Wer die Vorteile unserer hochentwickelten Industrie- und Konsumgesellschaft in Anspruch nimmt, muß auch realisieren, daß dabei Abfallprodukte entstehen. Wenn sich für diese aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen keine Weiter- oder Wiederverwendung findet, ist deren Verbrennung und die Nutzung der dabei freiwerdenden Heizenergie die umweltgerechteste Form der Verwertung. Ein weiteres Thema in der öffentlichen Diskussion von Abfallverbrennungsanlagen sind die in die Luft abgegebenen Emissionen. Die für das RZR Herten einzuhaltenden Grenzwerte werden im Planfeststellungsbeschluß von 1989 definiert. In Einzelbereichen liegen diese Werte erheblich unter den Anforderungen der 'Technischen Anleitung Luft 1989'. Alle zu beachtenden Emissionsgrenzwerte werden im RZR Herten eingehalten. Untersuchungen durch unabhängige Gutachter haben nachgewiesen, daß dem RZR kein nennenswerter Beitrag an der Luftbelastung in der Umgebung der Anlage beizumessen ist.

Das Stichwort: Dioxine Einen besonderen Stellenwert in der Auseinandersetzung um Abfallverbrennungsanlagen nimmt die Dioxin- und Furanproblematik ein. Kein ernstzunehmender Betreiber einer solchen Anlage wird diese Emissionen bestreiten. Zum Gefahrenpotential der von Abfallverbrennungsanlagen in geringsten Mengen emittierten Dioxine und Furane haben in der Vergangenheit eingehende Untersuchungen stattgefunden. Eine von der Umweltministerkonferenz zuletzt 1988 einberufene Expertenkommission kommt zu dem Ergebnis, daß ,ein signifikantes Wirkungsrisiko

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durch Dioxin-Emission aus Abfallverbrennungsanlagen, die entsprechend dem Stand der Technik betrieben werden, für die Bevölkerung nicht erkennbar ist'. Auch das Umweltbundesamt ist der Auffassung: ,Nach dem derzeitigen Stand der Technik ist die Sonderabfallverbrennung das einzige großtechnisch verfügbare Verfahren, bei dem die synthetisch-organischen Anteile der Sonderabfälle thermisch zerstört werden und damit deren Gefährdungspotential weitgehend reduziert wird. Unter diesem Gesichtspunkt steht der eher hypothetischen Gesundheitsgefährdung durch die Sonderabfallverbrennung eine reale Umweltgefährdung durch unbehandelte Sonderabfälle gegenüber'. Insgesamt gesehen sind in der Diskussion um die Dioxin-Problematik noch viele Fragen offen, so z. B., von welchem Verursacher (Industrie, Abfallverbrennung, Autoverkehr) welche Anteile stammen. So wird z. B. die noch Mitte der 80er Jahre vertretene Auffassung, daß eine Verbrennung bei höchsten Temperaturen der sicherste Weg zur Dioxinvermeidung sei, heute schon wieder in Frage gestellt.

Die Siedlungsabfallverbrennung Im RZR werden zur Zeit Siedlungsabfälle aus dem Kreis Recklinghausen, der Stadt Herne und Teilen des Ennepe-Ruhr-Kreises entsorgt. Der häusliche Abfall wird durch Sammelfahrzeuge angefahren und in Bunkern entleert. Von dort aus wird der Abfall mit großen Polypgreifern in den Feuerungsraum (Mindestverbrennungstemperatur 800°C) aufgegeben. Wegen seines Heizwertes verbrennt der zugegebene Hausmüll ohne Zusatzfeuerung selbständig. Die bei der Verbrennung anfallende Schlacke wird über einen Naßentschlakker abgezogen und über Förderbänder in Container befördert. Die Schlacke wird auf der Zentraldeponie Emscherbruch als Baumaterial eingesetzt. Zukünftig soll die Schlacke teilweise aufbereitet werden. Der Wärme gehalt der heißen Rauchgase wird zur Darnpferzeugung genutzt. Im anschließenden Elektrofilter werden die Rauchgase entstaubt und gelangen nach einer weiteren, intensiven Reinigung in der zweistufigen nassen Rauchgaswäsche zu dem 100 m hohen Schornstein.

Die Sonderabfallverbrennung Sonderabfälle werden im RZR in Drehrohröfen mit einem Manteldurchmesser von ca. 4,40 m und einer Länge von 12 m verbrannt. Der Abfall gelangt über die Stirnwand des Drehrohres in den Verbrennungsraum und wird durch die

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Kurt-Günter Noll

Neigung und Drehbewegung des Rohres weitertransportiert. Drehrohröfen sind für die Verbrennung von schadstoffbelasteten Abfällen besonders geeignet, weil die feuerfeste Ausmauerung der Öfen hohe Verbrennungstemperaturen zuläßt, gleichzeitig die ständige Umwälzung und lange Verweilzeit der Abfälle einen nahezu vollständigen Ausbrand sichert. Feste Abfälle werden dem Drehrohr aus dem Bunker über Kran und Kassettenbeschicker zugeführt. Fässer und Gebinde bis zu 200 I Inhalt gelangen über einen Faßaufzug in die Beschickungseinrichtung des Drehrohres. Schlämme und flüssige Abfälle dagegen werden über Schlammlanzen bzw. Mehrstoffbrenner in das Drehrohr eingedüst. Das bei der Verbrennung des Sonderabfalls entstehende Rauchgas gelangt nach Austritt aus dem Drehrohrofen in den Nachverbrennungsraum, der als feuerfester Schacht ausgelegt ist. Die im Nachverbrennungsraum herrschende Temperatur von mehr als 90°C bis 1.200 °C wird im Bedarfsfall durch Leichtölbrenner aufrechterhalten. Die beim Verbrennungsprozeß entstehenden Schlacken fallen durch einen nach unten geschlossenen Schacht in ein wassergefülltes Schlackenbad. Über Förderbänder gelangt die Schlacke in Container und wird auf der AGR Zentraldeponie Emscherbruch als Baumaterial eingesetzt. Die aus dem Nachbrennraum austretenden Rauchgase durchströmen den Kessel und geben über Wärrnetauscher ihre Energie an den Wasserdampfkreislauf ab. Anschließend passieren die Rauchgase Elektrofilter, in denen der Staubgehalt wesentlich reduziert wird. Die weitere Verringerung des Staubgehaltes auf weniger als 20 mg/m 3 erfolgt durch die zweistufige Rauchgaswäsche. Schließlich werden die Rauchgase mit einer Temperatur von ca. 65°C über einen 100 m hohen Schornstein ins Freie geführt. Alle im RZR anfallenden Prozeßwässer werden gesammelt, ggf. neutralisiert, gemeinsam mit dem schadstoffbehafteten Waschwasser aus der Rauchgasreinigung einer Schwermetallfällung unterzogen und anschließend eingedampft. Die verbleibenden Reststoffe bzw. Rückstände Filterkuchen und Salze werden deponiert, die anfallende Kalziumchlorid-Salzlösung einer Verwertung zugeführt. Das gesamte RZR arbeitet mit geschlossenem Prozeßwasserkreislauf und leitet keine betrieblichen Abwässer in die Kanalisation ein.

Die Energiegewinnung Der erzeugte Dampf (ca. 25 Tonnen/Stunde und Anlage, Druck 32 bar, Temperatur 320°C) wird zur Gewinnung von Strom über zwei Turbinen geleitet. Der nicht für den Eigenverbrauch benötigte Strom wird in das Netz der Stadt-

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werke Herten abgegeben. Das Industriegebiet Herten-Süd wird vom RZR mit Fernwärme versorgt.

Aktivkoksreinigung Sämtliche vier Abfallverbrennungsanlagen des RZR verfügen über modernste Rauchgasreinigungsanlagen mit mehrstufigen Elektrofiltern und zweistufigen Rauchgaswäschen. Hierfür wurden in den letzten Jahren erhebliche Investitionsmittel aufgewendet. Insgesamt hat die AGR zum Schutz der Umwelt im Zeitraum zwischen 1987 und 1990 rund 150 Millionen DM in das RZR investiert. Für den Zeitraum bis 1994 sind weitere ca. 200 Millionen DM Investitionen im RZR geplant. Um die Emissionswerte noch weiter zu verringern und insbesondere zur Stickoxid- und Rest-Dioxinminderung untersucht die AGR bereits seit Jahren weitergehende Maßnahmen zur Rauchgasnachreinigung. Die Vorarbeiten zur Entwicklung eines neuen Stands der Technik für die Rauchgasnachreinigung bei Sonderabfallverbrennungsanlagen begannen 1988. Für die vorhandene Sonderabfallverbrennungsanlage I, die zweite war noch im Bau, konnte im April 1989 die Genehmigung zur Realisierung einer Rauchgasnachreinigungsanlage auf Aktivkoksbasis beantragt werden. Diese Genehmigung wurde am 30. Juli 1990 erteilt. Die Anlage ist im Herbst 1991 in Betrieb gegangen. Die Planungen, auch die anderen drei Verbrennungsanlagen des RZR Herten mit dieser oder einer gleichwertigen Rauchgasreinigungstechnik auszurüsten, sind aufgenommen. Die AGR erwartet aus dem Bau und Betrieb der Rauchgasreinigungsanlage auf Aktivkoksbasis Erfahrungen, die ein zügiges Nachrüsten der drei weiteren Verbrennungsanlagen zulassen. Mit dieser Technik wird der zu erwartende Grenzwert für Dioxine und Furane im Abgas sicher eingehalten werden können.

Entsorgungsnachweisverfahren Eine thermische Behandlung von Sonderabfällen im RZR ist nur zulässig, wenn für den zu entsorgenden Sonderabfall die notwendigen und vorgeschriebenen behördlichen Genehmigungen vorliegen. Grundsätzlich begleitet jede Anlieferung, außer der Beförderungsgenehmigung, das ,Entsorgungsnachweisverfahren' . Diesem geht, neben einer Prüfung

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auf die möglicherweise anderweitige Verwertung der Abfalle, eine umfassende Kontrolle und Analyse der anzuliefernden Abfälle voraus.

EMSCHER LAND SCHAffS PARK Emscher Landschaftspark Leitplan Zwischenbericht, Hrsg. Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen 1992 (Auszüge)

Dimensionen und Planungsveifahren des Emscher Landschaftsparks Der Emscher Landschaftspark ist die konkrete Vision vom Wiederaufbau von Landschaft im nördlichen Kern des Ballungsraumes Ruhrgebiet. Die Entwicklung der Landschaft und ihre Integration und dauerhafte Sicherung in einem regionalen Park ist in dem traditionell besonders belasteten Emscherraum vordringlich und räumlich möglich. Zusammen mit dem Umbau des Emschersystems kann der Emscher Landschaftspark das ökologische Fundament für den ökonomischen Strukturwandel der Region bilden. Die bestehenden Freiräume in den Regionalen Grünzügen sollen umfassend qualifiziert, räumlich ergänzt und mit einem neuen Ost-West-Grünzug zu einem zusammenhängenden Parke -system) von europäischer Bedeutung vernetzt werden. In der Entwicklung hoher urbaner Landschaftsqualität wird ein wichtiger Entwicklungsfaktor für die Zukunft von Industrieregionen gesehen. Der Emscher Landschaftspark erstreckt sich über eine Fläche von rund 320 km2 und reicht vom Rhein bei Duisburg über Dortmund bis nach Kamen. Er hat die Figur eines doppelten Kammes, der die nord-süd-ausgerichteten Regionalen Grünzüge umfaßt und sie in der Mitte mit einem neuen grünen Rückgrat verbindet. Der geplante Ost-West-Grünzug begleitet die Emscher, die 3 Kanäle (Rhein-Herne-, Dortmund-Ems-, Datteln-Hamm-Kanal) und die Seseke. Ca. 70 km mißt die Ost-West-Ausdehnung des Emscher Landschaftsparkes und zwischen 200 m an den Engstellen und bis zu 14 km in den Regionalen Grünzügen schwankt seine Nord-Süd-Ausdehnung. Der Emscher Landschaftspark verbindet lokale stadtnahe Freiräume und naturnah geprägte Landschaftsräume zu einem regionalen Parksystem. Zu ihm zählen die Parkanlagen, Kleingärten und Grabeländer, die Brachftächen auf ehemaligen Industriec und Zechenftächen und die künstliche Landschaft der Halden, der Kanal- und Emscherufer sowie der Feuchtgebiete in den Bergsenkungsbereichen ebenso wie die vorhandenen Wälder, die Flußauen und die Landwirtschaftsftächen zwischen den Städten oder am nord-östlichen Ballungsrand.

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Der Emscher Landschaftspark ist ebenso vielfaltig wie die Städtelandschaft des Emscherraumes. Er führt nicht zu einem Park aus einem Guß, der bestehende Qualitäten nivellieren würde, sondern zu einer Qualifizierung seiner Teile und zu ihrer Zusammenführung zu einem Ganzen mit einer erlebbaren urbanen Landschaftsvielfalt. Die Integration der Einzelteile in das Parksystem erfolgt durch die Herstellung eines funktionsfähigen Flächenverbundes - eines Biotopverbundes für die Pflanzen und Tiere und eines Verbundes der Erholungsräume. Von zentraler Bedeutung für den Gesamtpark ist daher der neue Ost-WestGrünzug und der Aufbau einer Parkinfrastruktur, die auf den Umweltverbund (ÖPNV, Radfahrer und Fußgänger) setzt. Die Realisierung des Emscher Landschaftsparkes ist nur als ein schrittweises und regionales Kooperationsprojekt vorstellbar. Die Idee setzt dabei auf die endogenen Potentiale der Region, d. h. auf die kurz- und mittelfristige Mobilisierbarkeit und Entwicklungsfähigkeit der Parkflächen, auf die regionale und interkommunale Zusammenarbeit und auf die politische Kraft der Kommunen bei der Realisierung ihres jeweiligen Parkteiles. Der Emscher Landschaftspark ist heute ein Herzstück der Freiraumpolitik des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR) für das gesamte Ruhrgebiet. Diese Freiraumpolitik kann zurückgreifen auf das angewandte Know-how des Verbandes auf dem Gebiet der Freiraumsicherung und -entwicklung. Hierzu zählen u. a. die erprobte Kooperation mit den Verbandsmitgliedern, das Regionale Freiraumsystem Ruhrgebiet (RFR), die Landschaftsplanung, die Planung, der Bau und der Betrieb von Erholungseinrichtungen in den Revierparks und Freizeitzentren, die Forstwirtschaft in den verbandseigenen Wäldern, die Liegenschaftspolitik im Interesse der Freiraumsicherung sowie schließlich die technologischen Ressourcen der verbandseigenen Kartographie und digitalen Luftbildinterpretation. Der Emscher Landschaftspark kann in räumlicher Hinsicht zu einem wichtigen Kooperationsfeld der regionalen Freiraumpolitik mit dem kommunalen Städtebau werden. Die polyzentrische Struktur des Ruhrgebietes bildet zusammen mit ihren dezentralen Entwicklungspotentialen konkrete und interessante Ansätze für die Stadt-Landschaft des 21. Jahrhunderts. Damit stellt sie eine Alternative zu der ausufernden und ihre Stadtfunktionen verlierenden Teppichstadt (z. B. Sprawl-City in Nordamerika) ebenso dar, wie zu den alten monozentrischen europäischen Metropolen mit ihren Wachstumsproblemen (z. B. London, Paris, Frankfurt a.M., Berlin). Die Qualifizierung und Inwertsetzung des Freiraumes im regionalen Parksystem soll in der Konsequenz auch zu einer wirksamen Begrenzung seiner Verfügbarkeit für andere Nutzungen führen. Dieser bewußt "restriktive" Umgang mit Freiraum sollte als qualitative Herausforderung für die Innenentwicklung erkannt werden und könnte zusammen mit einer städtebaulichen Qualifizie-

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rungsoffensive in den Emscherstädten zu einem integrierten Regionalmodell der Siedlungsentwicklung weiterentwickelt werden.

Regionale Dimensionen des Parkkonzeptes

Der Emscher Landschaftspark ist zentraler Bestandteil einer integrierten Erneuerungsstrategie für die Zukunft des Ruhrgebietes. Ziel dieser Strategie ist es, alle (und hier insbesondere die weichen) Standortfaktoren des Ballungsraumes auf das, für den europäischen Wettbewerb der Regionen erforderliche hohe Niveau zu bringen und zugleich die Lebensbedingungen der rd. 2 Mio Einwohner des Emscherraumes deutlich zu verbessern. Der erforderliche differenzierte ökonomische Strukturwandel bedarf einer soliden ökologischen Grundlage und kann sich nicht mehr allein auf die vorhandene und traditionelle Standortgunst des Raumes - zentrale Lage, hervorragende Fernverkehrsverbindungen, beste Infrastrukturausstattung, qualifizierte Arbeitskräfte und riesiger Absatzmarkt vor der Haustür - stützen. Der Wiederaufbau von Landschaft im Rahmen des Emscher Landschaftsparkes und des ökologischen Umbaus des Emschersystems sind als ergänzende Säulen einer erfolgreichen ökonomischen Zukunfts bewältigung unverzichtbar. Eine Politik, die Teilräume des Ballungskernes bei dieser Aufgabe vernachlässigt, wäre ebenso unverantwortlich wie ein Strukturmodell der internen räumlichen Arbeitsteilung zwischen den Städten der Region - hier neue HighTech-Entwicklung, dort Abfallbeseitigung. Diese durchaus aktuelle Version der einseitigen Versorgungsfunktion des Emscherraumes für den Rest des Ruhrgebietes (z. B. als "Entsorgungspark" entlang der Emscher und Kanäle) käme einer langfristigen Fixierung der überkommenen Strukturen gleich. Auf der Grundlage der Erkenntnis, daß Landschaft quantitativ und qualitativ der Minimumfaktor der Emscherregion ist und ein weiterer Landschaftsverbrauch unterbunden werden muß, konkretisiert sich der Untertitel des IBA Leitprojektes und der Auftrag zum "Wiederbaufbau der Landschaft". Die kritische Beschreibung der Emscherlandschaft als Verbrauchslandschaft ist bis heute noch gültig. Sie stellt sich in weiten Teilen auf den ersten Blick als hoch belastete Industrielandschaft mit einzelnen Reststücken der historischen Kulturlandschaft dar. Sie setzt sich zusammen aus ökologisch, sozial und ästhetisch vernachlässigten und vielfach isolierten oder zerschnittenen Freiräumen zwischen oder hinter Siedlungs-, Infrastruktur-, Gewerbe- und Verkehrsnutzungen. Das Landschaftsbild wird von Siedlungsrändern, Hochspannungsleitungen, Industriekulissen, Verkehrs bändern sowie kleinteiligen Freiflächennutzungen von der Weide über Kleingärten und Grabeland bis zum Stadtrandpark geprägt.

Exkursionsbericht: Raumordnung im Ruhrgebiet

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Geruchs- und insbesondere Lännimmissionen vennindern vielfach die Aufenthalts- und Erholungsqualitäten der Landschaft. Bei näherer Betrachtung fallen die stadtökologischen Qualitäten der Natur aus zweiter Hand wie z. B. die hohe Naturschutzbedeutung vieler altindustrieller Brachflächen und Halden sowie die sozialen Nischen und der lokale Gebrauchswert der Emscherlandschaft für die Bevölkerung ins Auge. Der ästhetische Reiz und die erheblichen industriekulturellen Qualitäten der Emscherlandschaft erschließen sich heute oft erst auf den zweiten Blick oder nur den suchenden Augen der Experten und Liebhaber. Die räumliche Nachbarschaft vieler Einzelflächen als bedeutendes Verbundpotential zu erkennen, erfordert die Vogelperspektive des Luftbildes und die Neugier des Pfad-Finders ebenso wie die kritische PTÜfung der vorhandenen Barrieren - oft noch ungeübte Fonnen der Wahrnehmung auch der Fachleute.

Ost-West-Grünzug Angelehnt an die prägenden linearen Leitstrukturen des Raumes - die Kanäle, die Emscher und die Seseke - stellt der neue Ost-West-GTÜnzug das Rückgrat des Emscher Landschaftsparkes dar. Er bildet das räumlich neue Element der Freiraumentwicklung im Ruhrgebiet, mit dem die nord-süd ausgerichteten Regionalen GTÜnzüge zu einem vernetzten Parksystem verknüpft werden. Der Ost-West-GTÜnzug erstreckt sich quer durch den Emscher Landschaftspark von Kamen bis zur Ruhr- und Rheinaue bei Duisburg. Seine konkrete Fonn folgt den Gewässern und gliedert sich daher auf mehrere Strecken und z.T. in parallele Bänder auf. Der Ost-West-GTÜnzug hat eine max. Ausdehnung von 68 km und er deckt dabei eine Fläche von 84 km2 ab. Die anliegenden Siedlungs- und Landschaftsstrukturen bestimmen die Art und Dringlichkeit des Handlungsbedarfes. Im östlichen Abschnitt - von Kamen bis Dortmund - stehen kanäle- und sesekebegleitend die Aufgaben einer Qualifizierung und Gewährleistung eines funktionalen Verbundes in der Landschaft im Vordergrund. Im mittleren und westlichen Teil des Ost-West-GTÜnzuges von Castrop-Rauxel bis Duisburg - gilt es dagegen eine Vielzahl von Barrieren, infrastruktur- und Verkehrstrassen und kritischen Engpässen zu überwinden bzw. in einem voraussichtlich mittel- bis langfristigen Prozeß Freiraum neu zu schaffen. Im Ost-West-GTÜnzug liegen die dringlichsten Projekte des Wiederaufbaus der Landschaft ebenso wie die meisten Maßnahmen der Flächensicherung, der Kooperation und der Integration. Neben der räumlichen Verbund- und Entwicklungsfunktion kommt dem OstWest-GTÜnzug auf weiten Strecken auch die strategische Aufgabe zu, die Flä-

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Kurt-Günter Noll

chenpotentiale für den ökologischen Umbau der Emscher zu sichern. Hier liegen die beiden Leitprojekte der IBA Emscher Park unmittelbar beieinander und können sich gegenseitig unterstützen. Der gewässerbezogene und uferbegleitende Flächenanspruch einer naturnah gestalteten Emscher in der Ballungskernzone ist erheblich und bietet, ggf. verbunden mit der wasserbaulich möglichen Umgestaltung der Kanäle zu einer gemeinsamen Wasserlandschaft, interessante Perspektiven für den Emscher Landschaftspark. Die zeitliche Reihenfolge des gesamten Umbaus des Emschersystems - an den Nebenläufen beginnend und die Umgestaltung der eigentlichen Emscher erst als langfristigen und "letzten" Schritt betreibend - kann leicht zu einer Verdrängung der Dringlichkeit vorbereitender Maßnahmen in der Fläche führen. Der aktuellen Diskussion um den Ost-West-Grünzug im Emscher Landschaftspark kommt daher auch die Aufgabe zu, Sensibilität für die räumlichen Perspektiven des ökologischen Emscherumbaus zu wecken.

Erfahrungen mit dem Planungsverfahren - Zwischenbilanz Das arbeitsteilige und kooperative Planungsverfahren für den Emscher Landschaftspark hat sich insgesamt sowie auf den einzelnen Ebenen bewährt und grundlegend neue Perspektiven für die Freiraumpolitik im Ruhfgebiet eröffnet. Es wird deshalb empfohlen, das Planungsverfahren als Koordierungsinstrument für die Realisierung des Emscher Landschaftsparkes auch über das IBA-Berichtsjahr 1994/95 hinaus fortzuführen. Die Erfahrungen mit dem Planungsverfahren in den ersten 2 Jahren zeigen die Wichtigkeit aller 3 Ebenen und der auch weiterhin notwendigen offenen und gleichberechtigten Zusammenarbeit. Der Emscher Landschaftspark ist zu groß und seine Eckpunkte liegen aus lokaler Sicht zu weit auseinander, um nur dezentral entwickelt und umgesetzt werden zu können. Seine räumliche Größe und lokale Vielseitigkeit würden ebenso eine zentrale, allein regionale Planung und Realisierung scheitern lassen. Die praktischen Koordinierungsmöglichkeiten der Leitplanung sind in dieser Phase z. T. auch an ihre Grenzen gestoßen. Die Anzahl der Beteiligten und die Gleichzeitigkeit und Gleichberechtigung von Leit- und Rahmenplanung bilden ein kreatives Potential und haben sich für den Emscher Landschaftspark als sehr sinnvoll erwiesen. Sie erfordern von der Leitplanung jedoch zugleich eine hohe Präsenz und Steuerungsqualität in 7 Regionalen Grünzügen, die neben der eigenen planerischen Arbeit für das Gesamtprojekt zu leisten ist. Die Regionalen Grünzüge haben eine unerwartete Renaissance bei den beteiligten Planungsfachleuten erfahren. Sie sind auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse heute eine detailliert begründete, örtliche Entwicklungsperspektive.

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Zusammen mit dem neu aufzubauenden Ost-West-Grünzug entlang der Emscher, der Kanäle und der Seseke bilden sie die materielle Grundlage für den Emscher Landschaftspark.

DIE VERFASSER UND HERAUSGEBER

Ralph Baumheier, Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Deichmanns Aue, 53179 Bonn Dr. Bernd Bodo Beyer, Leiter des Referates für Raumplanung im Thüringer Umweltministerium, 99096 Erfurt

Prof. Dr. Karl Eckart, Universität GH Duisburg, Fachbereich 6 / Fach Geographie, Lotharstraße 1,47057 Duisburg Dr. Eleonore Irmen, Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, Am Michaelshof 8, 53177 Bonn

Dipl.-Ing./Dipl.-Geogr. Kurt-Günter Noll, Leiter der Gruppe Regionale Freiraumentwicklung Kommunalverband Ruhrgebiet, Kronprinzenstraße 35, 45128 Essen Ministerialrat Dipl.-Ing. Klaus Richter, Referent für Methoden der Landesund Regionalplanung, Siedlungsökologie im Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, 40489 Düsseldorf Dr. [solde Roch, Forschungsbereichsleiterin im Institut für ökologische Raumentwicklung e.V., Weberplatz 1, 01217 Dresden

Dipl.-Ing. Manfred Sinz, Leiter der Abteilung Information bei der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, Am Michaelshof 8, 53177 Bonn