Quantenmechanik 1: Pfadintegralformulierung und Operatorformalismus 9783486717365

Einzigartiges Konzept, das zwei Zugänge zur Quantenmechanik verbindet. Dieses Lehrbuch gibt eine moderne Einführung in

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German Pages 568 [570] Year 2012

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Quantenmechanik 1: Pfadintegralformulierung und Operatorformalismus
 9783486717365

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Quantenmechanik 1 Pfadintegralformulierung und Operatorformalismus von

Prof. Dr. Hugo Reinhardt

Oldenbourg Verlag München

Prof. Dr. Hugo Reinhardt studierte Physik an der TU Dresden und promovierte am Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf. Nach der Promotion arbeitete er auf dem Gebiet der Kern- und Teilchenphysik in Dubna, Russland und weiterhin in Rossendorf. Seit 1990 ist er ordentlicher Professor für Theoretische Physik an der Universität Tübingen und seit 2006 Direktor des dortigen Instituts für Theoretische Physik. Titelbild Trajektorien der eindimensionalen Bewegung bei fest vorgegebenen Anfangs- und Endpunkten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Kristin Berber-Nerlinger Herstellung: Constanze Müller Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Grafik & Druck GmbH, München Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-71516-3 eISBN 978-3-486-71736-5

Vorwort Das Buch gibt eine moderne Einf¨ uhrung in die Quantentheorie. Ausgehend vom Experiment werden die Grundlagen der Quantentheorie mittels des Feynman’schen Funktionalintegral-Zuganges entwickelt. Aus dem fundamentalen Prinzip der Quantenmechanik, dem Prinzip der interferierenden Alternativen, wird die Schr¨odinger-Gleichung abge” leitet“. Daran anschließend wird die mehr traditionelle Operatorformulierung der Quantenmechanik entwickelt, wobei von Zeit zu Zeit immer wieder auf den FunktionalintegralZugang zur¨ uckgegriffen wird, um dessen Eleganz und Vorz¨ uge zu demonstrieren. Der konzeptionelle Vorteil dieses Zuganges besteht darin, dass die Grundgleichung der Quantentheorie, die Schr¨ odinger-Gleichung, nicht vom Himmel f¨allt“, sondern sich zwangs” l¨ aufig aus dem Prinzip der interferierenden Alternativen ergibt. Der FunktionalintegralZugang hat jedoch nicht nur konzeptionelle Vorteile, er erleichtert auch gleichzeitig den sp¨ ateren Einstieg in die Quantenfeldtheorie, wo er unumg¨anglich ist. Neben dem traditionellen Stoff, der u ¨blicherweise in einen Quantenmechanik-Kurs eingeht, gibt das Buch, insbesondere der Band 2, bereits eine Einf¨ uhrung in Basiskonzepte der Quantenfeldtheorie, wie z.B. die Methode der Zweiten Quantisierung. Dar¨ uber hinaus sind einige modernere Entwicklungen in dieses Buch eingeschlossen, die u ¨blicherweise noch nicht Gegenstand von Lehrb¨ uchern sind, wie z.B. der Zusammenhang zwischen Spin und Geometrie oder die sogenannte Berry-Phase, die den Bohm-AharanovEffekt in einen allgemeineren Kontext stellt und gleichzeitig das quantenmechanische Analogon der Wess-Zumino-Witten-Wirkung aus der Quantenfeldtheorie repr¨asentiert. Die entsprechenden Kapitel sind mit einem Stern (*) versehen und k¨onnen bei einer ersten Ber¨ uhrung mit der Quantenmechanik u ur das ¨bergangen werden. Sie sind f¨ Verst¨andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich, gew¨ahren jedoch einen tieferen Einblick in die Wesensz¨ uge der Quantentheorie. Das vorliegende Buch ist aus Vorlesungen entstanden, die der Autor an der TU Dresden und vor allem an der Universit¨ at T¨ ubingen gehalten hat. Das Buch wurde zun¨achst als Vorlesungsskript an die Zuh¨ orer der Vorlesung ausgegeben. Die vielf¨altigen R¨ uckfragen, Anregungen und Kommentare seitens der Studenten haben kontinuierlich zur Vervollst¨andigung und Verbesserung des Skriptes beigetragen. Schließlich hat ihre positive Resonanz mich ermutigt, das Skript als Buch zu ver¨offentlichen. Allen Studenten, die mit ihren Anregungen und konstruktiver Kritik zur Verbesserung dieses Buches beigetragen haben, sei an dieser Stelle gedankt, auch wenn es unm¨oglich ist, sie alle namentlich zu erw¨ ahnen. Unerw¨ ahnt bleiben soll allerdings nicht Herr Stefan Haag, der große Teile des Skriptes aus der Sicht eines Studenten auf Verst¨andlichkeit gelesen hat und zur Vereinheitlichung der Notation beigetragen hat, Herr Dr. Davide Campagnari, der einen großen Teil der Abbildungen angefertigt hat, sowie meine Sekret¨arin, Frau Ingrid Estiry, die in m¨ uhevoller Kleinarbeit das LATEX-Manuskript inklusiver Abbil-

VI

Vorwort

dungen erstellt hat. Ihnen sei allen herzlich f¨ ur ihre M¨ uhen und ihr Engagement gedankt. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Priv. Doz. Dr. Markus Quandt, der das gesamte Manuskript im Endstadium gelesen hat und zahlreiche wertvolle Hinweise bzw. Verbesserungsvorschl¨ age gegeben hat. Schließlich danke ich dem Verlag f¨ ur die angenehme Zusammenarbeit. Tubingen, im Mai 2012 ¨

Hugo Reinhardt

Inhaltsu¨bersicht Band 1 1 Einf¨ uhrung 2 Teilchen-Welle-Dualismus 3 Der Einfluss der Messung 4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude 5 Die Wellenfunktion 6 Der klassische Grenzfall 7 Unendlich große Potentialspr¨ unge 8 Die Schr¨odinger-Gleichung 9 Die eindimensionale station¨ are Schr¨ odinger-Gleichung 10 Eindimensionale Streuprobleme 11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik 12 Axiomatische Quantenmechanik 13 Der harmonische Oszillator 14 Periodische Potentiale: Das B¨ ander-Modell des Festk¨orpers 15 Drehimpuls und Spin (Heuristische Behandlung)* 16 Der Drehimpuls 17 Axialsymmetrische Potentiale 18 Kugelsymmetrische Potentiale (Zentralpotentiale) 19 Das Wasserstoff-Atom 20 Algebraischer Zugang zur Quantenmechanik* 21 St¨orungstheorie *Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

VIII

Inhalts¨ ubersicht 22 Das Ritz’sche Variationsverfahren 23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld Anhang A: Die Dirac’sche δ-Funktion Anhang B: Gauß-Integrale Anhang C: Funktionen von Operatoren Anhang D: Basiselemente der Variationsrechnung

Band 2 24 Formale L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung 25 Zeitabh¨ angige Prozesse 26 Streutheorie 27 Gemischte Zust¨ ande: Statistisches Ensemble 28 Relativistische Quantenmechanik 29 Vielteilchensysteme 30 Die Zweite Quantisierung 31 Koh¨arente Zust¨ ande 32 Kontinuierliche Symmetrietransformationen 33 Die Wigner’schen D-Funktionen 34 Symmetrien und Erhaltungss¨ atze 35 Die Berry-Phase Anhang E: Das Wick’sche Theorem Anhang F: Grundz¨ uge der Gruppentheorie

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

1

Einf¨ uhrung

1

1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3

Historische Experimente zum Nachweis der Quantennatur der Materie . . Die Hohlraumstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der fotoelektrische Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Compton-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 8 9

2

Teilchen-Welle-Dualismus

2.1

Klassische Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2

Wasserwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.3

Lichtwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.4

Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

3

Der Einfluss der Messung

3.1

Experiment zur Bestimmung des vom Elektron passierten Spaltes . . . . . . 19

3.2

Problematik des Messprozesses in der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . 21

3.3

Alternativen und Unsch¨ arferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

4

Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

4.1

Die Struktur der Wahrscheinlichkeitsamplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4.2

Der Zerlegungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.3

Vergleich mit der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.4

¨ Die explizite Form der Ubergangsamplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

4.5

Phasenraumdarstellung des Propagators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.6

Der Propagator eines freien Teilchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

4.7

Energiedarstellung des Propagators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

4.8

Der Propagator einer Punktmasse in drei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

11

19

27

X

Inhaltsverzeichnis

5

Die Wellenfunktion

51

5.1

¨ Wellenfunktion und Ubergangsamplitude. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5.2

Die Wellenfunktion des freien Teilchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

5.3

Wellenpakete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

5.4

Materiewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

5.5

Erwartungswerte und Unsch¨ arfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

5.6

Der Impulsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

5.7

Messgr¨ oßen als Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

6

Der klassische Grenzfall

6.1

Die station¨ are Phasenapproximation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

6.2

Asymptotische Darstellung der δ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

6.3

Der klassische Grenzwert des Propagators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

6.4

Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

6.5

Die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

6.6

Beweis der Poisson-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

7

Unendlich große Potentialspr¨ unge

7.1 7.1.1 7.1.2

Die unendlich hohe Potentialkante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Der Propagator bei Anwesenheit einer unendlich hohen Potentialwand . . 97 Interpretation des Propagators: Die Spiegelladungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

7.2 7.2.1 7.2.2

Der unendlich hohe Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Bestimmung des Propagators mittels der Spiegelladungsmethode . . . . . . . 106 Physikalische Interpretation des Propagators: Energieeigenzust¨ande . . . . 110

8

Die Schr¨ odinger-Gleichung

8.1

Die zeitabh¨ angige Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

8.2

Station¨ are L¨ osungen der Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4

Das Ehrenfest-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zeitentwicklung von Erwartungswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analogie zur klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der quantenmechanische Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.4

Die Schr¨ odinger-Gleichung als Euler-Lagrange-Gleichung∗ . . . . . . . . . . . . . . 128

8.5

Die Kontinuit¨ atsgleichung: Teilchendichte und Stromdichte . . . . . . . . . . . . . 130

73

97

113

119 120 122 124 125

Inhaltsverzeichnis

XI

8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3

Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivation von Potentialspr¨ ungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten der Wellenfunktion an Potentialspr¨ ungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion in drei Dimensionen∗ . . . . . . . .

134 134 136 139

9

Die eindimensionale station¨ are Schr¨ odinger-Gleichung

147

9.1

Qualitative Diskussion der Wellenfunktion: Gebundene Zust¨ande . . . . . . . 147

9.2

Die Wellenfunktion in Abh¨ angigkeit von der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

9.3

Strenge Eigenschaften der eindimensionalen Schr¨odinger-Gleichung . . . . . 154

9.4

Symmetrische Potentiale: Die Parit¨ at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

9.5

Der unendlich hohe Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

9.6

Das δ-Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

10

Eindimensionale Streuprobleme

169

10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3

Streuung an einer Potentialstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streuzust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transmission und Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilchenenergie unterhalb der Potentialschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169 170 174 177

10.2 10.2.1 10.2.2

Streuung am Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Streuzust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

10.3 10.3.1 10.3.2

Gebundene Zust¨ ande im endlichen Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Transmissionskoeffizienten f¨ ur gebundene Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Die gebundenen Zust¨ ande des endlichen Potentialtopfes . . . . . . . . . . . . . . . . 189

10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.4.5

Die Potentialbarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantentunnelung durch die Potentialbarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Quantentunnelung mittels der Unsch¨arferelation . . . . . Große Potentialbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontinuierliche Potentialberge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Form des Transmissionskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.5

Pfadintegralberechnung des Transmissionskoeffizienten∗ . . . . . . . . . . . . . . . . 204

10.6

Feldemission von Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

11

Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

11.1

Der Hilbert-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

11.2

Operatoren im Hilbert-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

11.3

Matrixdarstellung linearer Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

11.4

Die Dirac-Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

194 195 199 200 201 203

213

XII

Inhaltsverzeichnis

11.5

Eigenschaften hermitescher Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

11.6

Projektionsoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

11.7

Das Tensorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

12

Axiomatische Quantenmechanik

12.1

Grundpostulate der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

12.2

Vertr¨aglichkeit von Observablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

12.3

Pr¨aparation eines Quantensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

12.4

Allgemeine Unsch¨ arferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

12.5

Minimum der Unsch¨ arfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

13

Der harmonische Oszillator

13.1

Pfadintegralbehandlung des harmonischen Oszillators∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

13.2

Der Quantenoszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

13.3

Algebraische Diagonalisierung des Hamilton-Operators . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

13.4

Der Besetzungszahloperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

13.5

Das Spektrum des harmonischen Oszillators. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

13.6

Unsch¨ arferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

13.7

Besetzungszahldarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

13.8

Ortsdarstellung der Energieeigenfunktionen: Die Hermite-Polynome . . . . 284

13.9

Der dreidimensionale harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

13.10

Das unendlich schwere Teilchen∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

13.11

Koh¨arente Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

14

Periodische Potentiale: Das B¨ ander-Modell des Festk¨ orpers

14.1

Der Translationsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

14.2

Das Bloch’sche Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

14.3

Qualitative Beschreibung der Energieb¨ander∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4

Strenge quantenmechanische Behandlung des periodischen Potentials . . . Periodische Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Energieeigenzust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energieb¨ ander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metalle, Isolatoren und Halbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

267

301

311 311 313 315 319

Inhaltsverzeichnis

XIII

15

Drehimpuls und Spin (Heuristische Behandlung)∗

15.1

Einf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

15.2

Geometrische Interpretation von Drehimpuls und Spin . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

15.3

Physikalische Konsequenzen des geometrischen Bildes vom Drehimpuls . 332

16

Der Drehimpuls

16.1

Einf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

16.2

Die Eigenwerte des Drehimpulses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

16.3

Geometrische Interpretation des Drehimpulses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

16.4

Matrixdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

16.5

Konstruktion der Eigenfunktionen des Drehimpulses im Ortsraum . . . . . . 349

16.6

Zusammenhang mit den Legendre-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

16.7

Vektoraddition von Drehimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

16.8

Explizite Konstruktion der gekoppelten Drehimpulseigenzust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

17

Axialsymmetrische Potentiale

17.1

Die kinetische Energie in Zylinderkoodinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

17.2

Die Zylinderfunktionen∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

17.3

Die zylindrische Box . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

17.4 17.4.1 17.4.2

Der zweidimensionale rotationssymmetrische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Algebraische Diagonalisierung des Hamilton-Operators . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Analytische L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

18

Kugelsymmetrische Potentiale (Zentralpotentiale)

18.1

Die kinetische Energie in Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

18.2

Kugelsymmetrische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

18.3

Bindungszust¨ ande: Grenzverhalten der Radialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

18.4 18.4.1 18.4.2 18.4.3

Radialwellenfunktion des freien Teilchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sph¨ arische Besselfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der ebenen Wellen nach Kugelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kugelwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.5

Die sph¨ arische Box . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

18.6 18.6.1 18.6.2 18.6.3

Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . L¨osung der Radialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiespektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wellenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

335

365

383

391 392 400 402 407 407 410 413

XIV

Inhaltsverzeichnis

19

Das Wasserstoff-Atom

415

19.1

Das Zweik¨ orperproblem: Separation in Schwerpunkts- und Relativbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

19.2

Qualitative Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

19.3

Strenge quantenmechanische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

19.4

Spektrum des Wasserstoff-Atoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426

19.5

Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

19.6

Warum das Coulomb-Problem exakt l¨osbar ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

20

Algebraischer Zugang zur Quantenmechanik∗

20.1

Bestimmung des Spektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

20.2

Beziehung zur Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

20.3

Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454

21

St¨ orungstheorie

21.1

Station¨ are St¨ orungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

21.2

St¨orungstheorie f¨ ur zwei dicht benachbarte Niveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

21.3

Anwendung der St¨ orungstheorie: Grundzustandsenergie des Helium-Atoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

22

Das Ritz’sche Variationsverfahren

22.1

Variationsverfahren zur Berechnung der Energieeigenzust¨ande . . . . . . . . . . 473

22.2 22.2.1 22.2.2 22.2.3

Beispiele zum Ritz’schen Variationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Grundzustand des Wasserstoff-Atoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variationsabsch¨ atzung der Helium-Gundzustandsenergie . . . . . . . . . . . . . . .

22.3

Allgemeines Variationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483

23

Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

23.1

Klassische Ladungen im ¨ außeren elektromagnetischen Feld . . . . . . . . . . . . . 487

23.2

Quantenmechanische Ladungen im ¨außeren elektromagnetischen Feld . . . 491

23.3 23.3.1

Ladung im homogenen Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Der Zeeman-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

23.4 23.4.1 23.4.2

Die Landau-Niveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Eichinvariante Diagonalisierung des Hamiltonians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Diagonalisierung des Hamiltonians in der Coulomb-Eichung . . . . . . . . . . . . 504

23.5

Ableitung des Hamilton-Operators einer Punktladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510

443

459

473 476 476 479 480

487

Inhaltsverzeichnis

XV

A

Die Dirac’sche δ-Funktion

515

A.1

Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

A.2

Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

A.3

Ableitung, Stammfunktion und Hauptwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

A.4

Mehrdimensionale δ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

B

Gauß-Integrale

525

C

Funktionen von Operatoren

529

C.1

Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

C.2

Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

C.3

N¨ utzliche Operatoridentit¨ aten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

C.4

Die Green’sche Funktion des Laplace-Operators im

D

Basiselemente der Variationsrechnung

D.1

Definition von Funktionalen und ihren Variationsableitungen . . . . . . . . . . . 539

D.2

Funktional u ¨ber einen Hilbert-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544

Index

Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 539

549

∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

1

Einfu¨hrung

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine Reihe von qualitativ neuen Experimenten durchgef¨ uhrt, deren Ergebnisse sich nicht mehr im Rahmen der bis dahin bekannten klassischen Physik erkl¨ aren ließen. Die Analyse dieser Experimente zeigte, dass Licht und Elektronen sich in gewissen Experimenten wie Wellen, in anderen wie Teilchen verhalten. Dieser im Rahmen der klassischen Physik bestehende Widerspruch wurde 1926/27 durch die Quantenmechanik aufgel¨ost. Diese neue Theorie zeigte, dass in Experimenten im atomaren Bereich prinzipiell nicht alle aus der klassischen Physik bekannten Gr¨oßen gleichzeitig exakt bestimmbar bzw. vorhersagbar sind, sondern dass nur Wahrscheinlichkeitsaussagen m¨ oglich sind. Dar¨ uber hinaus zeigte es sich, dass Wahrscheinlichkeiten in der Quantenmechanik anders summiert werden m¨ ussen als in der klassischen Mechanik. Die Gesetze der Quantenmechanik gehen jedoch in die der klassischen Physik u ¨ber, wenn die betrachteten Objekte makroskopische Gr¨oße erlangen. Als Geburtsstunde der Quantenmechanik wird i.A. die Entdeckung der Planck’schen Strahlungsformel im Jahre 1900 angesehen.

1.1

Historisch grundlegende Experimente zum Nachweis der Quantennatur der Materie

1.1.1

Die Hohlraumstrahlung

Bei hohen Temperaturen gl¨ uhen Festk¨ orper bekanntlich. Sie emittieren dabei sichtbares Licht, d.h. elektromagnetische Wellen. Bei niedrigeren Temperaturen geben sie W¨armestrahlung in Form unsichtbarer elektromagnetischer Wellen im Infrarot-Bereich ab. Da beide Formen der Strahlung gleichen elektromagnetischen Ursprungs sind, m¨ ussen sie durch dieselben Gesetze beschreibbar sein. Wir werden deshalb generell von W¨armestrahlung sprechen, auch wenn sie sich im sichtbaren Bereich befindet. Die erste systematische Theorie der W¨ armestrahlung wurde 1859 von G. Kirchhoff aufgestellt. Dazu f¨ uhrte er die mathematische Idealisierung eines Schwarzen K¨orpers“ ” ein, der s¨amtliche auf ihn einfallende Strahlung absorbiert1 . In guter N¨aherung l¨ asst sich ein Schwarzer K¨orper durch einen Hohlraum mit einem ¨ kleinen Loch als Offnung realisieren. Dieses Loch ist ein fast idealer Absorber. Die aus ihm heraustretende Strahlung ist weitgehend identisch mit der W¨armestrahlung, welche zwischen den Innenw¨ anden des Hohlraumes ausgetauscht wird. 1 Ideale Schwarze K¨ orper“ sind die sogenannten Schwarzen L¨ ocher“ im Makrokosmos. Sie absor” ” bieren nicht nur alles einfallende Licht (elektromagnetischer Wellen), sondern sie verschlingen“ auch ” alle sich in der N¨ ahe befindende Materie.

2

1 Einf¨ uhrung T

L

L

L Abb. 1.1: Stehende Welle in einem Hohlraum.

In einem Hohlraum mit dem Volumen V = L3 und der Temperatur T soll ein Strahlungsgleichgewicht herrschen (Abb. 1.1). Die W¨ande sollen aus einem ideal leitenden Metall bestehen. Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass das elektrische Feld in einem idealen Leiter verschwindet. Die Metallw¨ ande sind deshalb f¨ ur elektromagnetische Wellen ideal reflektierende W¨ ande, auf denen E(x) = 0 gilt.2 Die L¨osungen der MaxwellGleichungen f¨ ur das Vakuum im Hohlraum sind deshalb durch stehende Wellen E(x, t) = e−iωt E0 (x) , |E0 (x)| ∼ sin(k1 x1 ) sin(k2 x2 ) sin(k3 x3 ) gegeben, welche Knoten an den W¨ anden besitzen. Dazu muss in jede der drei Richtungen des Hohlraumes L3 gerade ein Vielfaches der halben Wellenl¨angen λi passen (Abb. 1.1), d.h.: ni

λi =L, 2

ki =

ni = 1, 2, . . . ,

2π π = ni , λi L

i = 1, 2, 3 ,

k = (k1 , k2 , k3 ) .

Bei stehenden Wellen k¨ onnen wir uns auf positive Wellenzahlen ki > 0 beschr¨anken (ki → −ki f¨ uhrt zu keiner neuen stehenden Welle). Demzufolge sind die m¨oglichen kWerte durch diskrete Punkte im Oktanten des k-Raumes mit ki > 0 gegeben, die einen 2 Streng genommen gilt diese Randbedingung nur f¨ ur elektromagnetische Wellen, deren Wellenvektor senkrecht auf der Wand steht. Die genaue Form der Randbedingungen ist aber f¨ ur die nachfolgenden ¨ Uberlegungen irrelevant.

1.1 Historische Experimente

3

¯ der Wellenvektor-Punkte Abstand π/L voneinander besitzen (Abb. 1.2). Die Anzahl dN k mit Betr¨agen k = |k| im Intervall [k, k + dk] ist demnach durch ¯= dN

1 8

Volumen der k-Raum-Kugelschale (k, dk) Volumen pro Punkt im k-Raum

(1.1)

gegeben, wobei 1/8 von der Beschr¨ ankung auf den Oktanten mit ki > 0 herr¨ uhrt. Eine Kugelschale mit (innerem) Radius k und infinitesimaler Dichte dk besitzt das Volumen dV (k) = 4πk 2 dk ,

(1.2)

wobei 4πk 2 die Oberfl¨ ache der Kugelschale ist. Dasselbe Ergebnis erh¨alt man nat¨ urlich auch durch Bildung des Differentials des Volumens der Kugel mit Radius k V (k) =

4π 3 k . 3

(1.3)

Das Volumen pro Punkt (erlaubter Wellenzahl) im k-Raum betr¨agt wie oben festgestellt (π/L)3 . Beachten wir noch, dass eine elektromagnetische Welle bei gegebenem Wellenvektor k zwei Polarisationsrichtungen besitzt, so erhalten wir f¨ ur die Anzahl der stehenden Wellen mit |k| im Intervall [k, k + dk]:3 ¯ =2· dN = 2dN

1 4πk 2 dk 4πk 2 dk = 2· 3 3 . 8 (π/L) (2π/L)

(1.4)

Ferner gilt f¨ ur elektromagnetische Wellen die Dispersionsbeziehung ω(k) = ck , wobei c die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet. Damit gibt dN auch die Zahl der Wellen mit einer Frequenz im Intervall [ω, ω + dω] an. Mittels der Dispersionsbeziehung l¨asst sich dN durch ω statt k ausdr¨ ucken: dN =

L3 2 ω dω , π 2 c3

dω = c dk .

(1.5)

Die stehenden elektromagnetischen Wellen im Hohlraum sollen sich nun im thermodynamischen Gleichgewicht mit den W¨ anden des Kastens befinden. Dies bedeutet insbesondere, dass im Hohlraum die gleiche Temperatur wie auf den W¨anden herrscht, die als W¨armereservoir (oder W¨ armebad) f¨ ur den Hohlraum dienen. Die mittlere Energiedichte eines klassischen Oszillators im thermodynamischen Gleichgewicht mit einem W¨ armebad der Temperatur T ist durch kB T gegeben (kB = 1, 3807 · 10−23 J/K ist die 3 Das hier gewonnene Ergebnis ist nicht auf stehende Wellen begrenzt, falls wir die Einschr¨ ankung ki > 0 fallen lassen. Ber¨ ucksichtigen wir, dass 4πk 2 dk das Volumen der Kugelschale im k-Raum ist, so zeigt (1.1), dass jede Welle (fester Polarisation) ein Volumen (2π/L)3 im k-Raum einnimmt.

4

1 Einf¨ uhrung k2

π/L

 k

dk



k1

π/L Abb. 1.2: Wellenvektor-Punkte im Oktanten des k-Raumes.

Boltzmann-Konstante).4 Man beachte, dass diese Energie unabh¨angig von der Frequenz ω des Oszillators ist und allein durch die Temperatur des Bades bestimmt ist. F¨ ur die Energie dE der stehenden Wellen mit Frequenzen im Intervall [ω, ω + dω] erhalten wir deshalb: 4 Dieses Ergebnis erh¨ alt man wie folgt: Im thermodynamischen Gleichgewicht ist die Wahrscheinlichkeit ω(E), ein System mit der Energie E anzutreffen, durch die Boltzmann-Verteilung

ω(E) =

e−βE ∞ R

,

dE ′ e−βE ′

β=

1 kB T

(1.6)

0

gegeben, wobei der Nenner gew¨ ahrleistet, dass die Verteilung ω(E) korrekt normiert ist Z∞

dEω(E) = 1 .

(1.7)

0

¯ eines Systems im thermodynamischen Gleichgewicht mit einer Umgebung F¨ ur die mittlere Energie E der Temperatur T finden wir deshalb ¯= E

Z∞

dEEω(E) = −

0

∂ ln Z(β) , ∂β

(1.8)

1 β

(1.9)

wobei wir die Zustandssumme Z(β) =

Z∞

dEe−βE =

0

eingef¨ uhrt haben. Einsetzen in (1.8) liefert ¯ = 1 = kB T . E β

(1.10)

1.1 Historische Experimente

5

dE = dN kB T . Mit (1.5) finden wir hieraus f¨ ur die zugeh¨ orige Energiedichte e := E/V (Energie pro Volumen) mit V = L3 de(ω) =

dE kB T dE = 3 = 2 3 ω 2 dω =: u(ω) dω . V L π c

Dies liefert f¨ ur die Energiedichte pro Frequenzeinheit, also die spektrale Energiedichte, das Rayleigh-Jeans’sche Strahlungsgesetz de(ω) kB T = 2 3 ω2 . dω π c

u(ω) =

(1.11)

Dieses im Rahmen der klassischen Elektrodynamik gewonnene Ergebnis stimmt f¨ ur kleine ω sehr gut mit dem Experiment u uhrt jedoch bei Integration u ¨berein, f¨ ¨ber den gesamten Frequenzbereich zur sogenannten Ultraviolett-Katastrophe“ ” Z

de =

Z∞ 0

dω u(ω) ∼

Z∞ 0

dω ω 2 = ∞ .

Der Hohlraum m¨ usste demzufolge eine unendlich große Energiedichte e besitzen. Dieses unsinnige Resultat zeigt, dass die spektrale Energiedichte f¨ ur große Frequenzen einem anderen Gesetz gehorchen muss. F¨ ur große ω fand W. Wien durch Kombination von Thermodynamik und der elektromagnetischen Theorie des Lichtes das empirisch best¨atigte Verhalten u(ω) = ω 3 f

ω  T

.

(1.12)

Misst man die spektrale Energiedichte u(ω) bei verschiedenen Temperaturen T , so findet man f¨ ur u(ω)/ω 3 als Funktion von ω/T jeweils dieselbe Kurve f (ω/T ). Ferner konnte Wien unter gewissen Annahmen zeigen, dass diese Funktion f¨ ur ω → ∞ die asymptotische Gestalt f

ω T

∼ e−gω/T ,

g = const

besitzt, was im Experiment verifiziert wurde. Berechnen wir die zum Wien’schen Gesetz geh¨ orende Gesamtenergiedichte

e=

Z∞ 0

dω u(ω) ,

(1.13)

6

1 Einf¨ uhrung

so finden wir nach Variablensubstitution x = ω/T : e=T

4

Z∞ 0

dx x3 f (x) = T 4 · const .

Dies ist das empirisch gut best¨ atigte Stefan-Boltzmann-Gesetz (1884). F¨ ur das Maximum ω ¯ der spektralen Energiedichte finden wir aus der Wien’schen Verteilung (1.12) die Bestimmungsgleichung: h ω ω du(ω) ¯ ω ¯3 ′  ω ¯ ′ ω ¯ ¯ i ¯ ω 2 2 3f + = ω ¯ + =0. f f = 3¯ ω f dω ω¯ T T T T T T

Hieraus ergibt sich mit Hilfe von (1.13) f¨ ur die Lage des Maximums ω ¯: ω ¯ = T · const . Dies ist das Wien’sche Verschiebungsgesetz.

¨ M. Planck fand schließlich 1900 aufgrund thermodynamischer Uberlegungen eine Interpolationsformel, welche beide Gesetze als Grenzfall enth¨alt und f¨ ur alle ω mit dem Experiment u ¨bereinstimmt (Abb. 1.3):

u(ω) =

~ π 2 c3

ω3 e~ω/kB T

−1

.

(1.14)

Hierbei ist ~ eine Konstante mit der Dimension einer Wirkung, f¨ ur die experimentell der Wert ~ = 1, 0546 · 10−34 J/s ermittelt wurde und die sp¨ ater als Planck’sches Wirkungsquantum bezeichnet wurde. Wie wir sp¨ater sehen werden, ist ~ die minimale Einheit der Wirkung. Planck gelang es auch, diese Formel unter der Hypothese abzuleiten, dass Energie von den W¨anden des Hohlraumes an die Strahlung nur in Vielfachen von ~ω, d.h. in sogenannten Strahlungsquanten, abgegeben wird. Dies war der erste deutliche Hinweis auf die Quantisierung der Strahlungsenergie. Das elektromagnetische Strahlungsfeld muss also quantisiert sein: Es besteht aus Strahlungsquanten mit der Energie ~ω, die als Photonen bezeichnet werden. An dieser Stelle sei betont, dass bei der Ableitung des Rayleigh-Jeans’schen Strahlungsgesetzes die klassische Thermodynamik zugrunde gelegt wurde, nach der jeder Oszillator im thermodynamischen Gleichgewicht eine Energie kB T besitzt. Jede im Hohlraum stehende, elektromagnetische Welle tr¨ agt damit dieselbe Energie zur Gesamtenergie des Hohlraumes bei, unabh¨ angig von ihrer Frequenz oder Wellenzahl. Vergleichen wir nun diese Situation mit dem Planck’schen Strahlungsgesetz: Die klassische Energie kB T des

1.1 Historische Experimente

7

Abb. 1.3: Die spektrale Energiedichte u(ω) (1.14): Angegeben sind die Gesetze f¨ ur die Grenzf¨ alle ω → 0 und ω → ∞.

Rayleigh-Jeans’schen Gesetzes (1.11) ist im Planck’schen Strahlungsgesetz (1.14) durch den Ausdruck kB T →

~ω e~ω/kB T

−1

=: E(ω)

ersetzt. Beachten wir nun noch, dass ~ω die Energie eines Photons mit der Frequenz ω ist, so m¨ ussen wir n(ω) =

1 e~ω/kB T

−1

(1.15)

als die Anzahl der Strahlungsquanten oder Photonen mit der Frequenz ω = c|k| bzw. Wellenzahl |k| betrachten, die im thermodynamischen Gleichgewicht bei der Temperatur T angeregt sind. Diese Zahl divergiert f¨ ur ω → 0. Im thermodynamischen Gleichgewicht sind also unendlich viele Photonen mit k = 0 bzw. ω = 0 angeregt. Obwohl ihre Anzahl unendlich groß ist, liefern sie insgesamt nur einen endlichen Beitrag zur thermodynamischen Energie: lim E(ω) = lim

ω→0

ω→0

~ω ~ω = lim = kB T . e~ω/kB T − 1 ω→0 1 + ~ω/kB T + · · · − 1

Dieser entspricht gerade der mittleren Energie eines klassischen Oszillators im thermodynamischen Gleichgewicht. F¨ ur ~ω ≫ kB T ergibt sich aus (1.15) die klassische Boltzmann-Statistik: n(ω) ∼ e−~ω/kB T .

8

1 Einf¨ uhrung E

Licht e− Ee ~ω 0

W

Metallfolie Abb. 1.4: Der fotoelektrische Effekt.

1.1.2

Der fotoelektrische Effekt

Wird Licht mit der Frequenz ω (gew¨ ohnlich UV-Strahlung, bei Alkali-Metallen gen¨ ugt auch Licht im sichtbaren Bereich) auf eine Metallfolie oder Metalloberfl¨ache gestrahlt (H. Hertz 1887, P. Lenard 1902), treten Elektronen aus der Metalloberfl¨ache. Nach der klassischen Physik sollte die kinetische Energie der Elektronen Ee =

m 2 v 2 e

nur von der Intensit¨ at des eingestrahlten Lichtes abh¨angen, nicht aber von der Frequenz. Insbesondere sollte es keine untere Grenzfrequenz f¨ ur das Licht geben, um Elektronen herauszul¨osen. Man beobachtet aber, dass die Elektronen mit einer maximalen kinetischen Energie von Ee = ~ω − W aus der Metalloberfl¨ ache austreten, wobei W die Austrittsarbeit ist (Abb. 1.4). Die Energie der Elektronen h¨ angt also entgegen der klassischen Erwartung von der Frequenz des Lichtes ab, und es gibt eine Grenzfrequenz ω0 mit ~ω0 = W , unterhalb der keine Elektronen herausgel¨ ost werden. Die Erkl¨arung dieses fotoelektrischen Effektes erfolgte 1905 durch A. Einstein. Seine Erkl¨arung basiert auf der Hypothese, dass Licht aus Energiequanten der Energie ~ω besteht, die, wie oben bereits erw¨ ahnt, als Photonen bezeichnet werden. Die Elektronen werden demzufolge durch einzelne Photonen aus der Metalloberfl¨ache geschlagen. Ein

1.1 Historische Experimente

9

im Metall gebundenes Elektron kann nur dann aus der Oberfl¨ache austreten, wenn die Energie des Photons die Austrittsarbeit des Elektrons u ¨bertrifft. Wir kommen also zu folgendem Schluss: 1) In einigen Experimenten zeigt sich, dass Licht aus Photonen mit der Energie E = ~ω besteht. 2) In anderen Experimenten erweist sich Licht als klassische elektromagnetische Welle, die sich mit der Lichtgeschwindigkeit c in Richtung von k ausbreitet und der Dispersionsbeziehung ω = c|k|

(1.16)

gen¨ ugt. Benutzen wir beide Ergebnisse, so finden wir f¨ ur die Energie der Photonen: E = ~c|k| . Die elektromagnetischen Wellen gehorchen der relativistischen Physik, in der f¨ ur Energie und Impuls folgende Beziehung gilt: p E = c m2 c2 + p 2 . Der Transport physikalischer Gr¨ oßen wie der Energie erfolgt in einer Welle bekanntlich mit der Gruppengeschwindigkeit (siehe auch Abschnitt 5.4) v=

pc ∂E ! = |v|ˆ v. = p ∂p m2 c2 + p 2

Da sich die Lichtwellen mit der Geschwindigkeit |v| = c ausbreiten, k¨onnen diese Beziehungen nur erf¨ ullt sein, wenn die Photonen masselos sind: m = 0. Damit finden wir durch Vergleich obiger Ausdr¨ ucke f¨ ur den Impuls der Photonen die Beziehung |p| = ~|k| . Da k und p in einer Welle parallel zueinander sind, folgt f¨ ur den Impuls und die Energie der Photonen: p = ~k

1.1.3

,

E = ~ω .

Der Compton-Effekt

Ein weiteres Experiment, das die korpuskulare Natur des Lichtes zeigt, ist der ComptonEffekt. R¨ontgen-Strahlung bzw. sehr kurzwelliges Licht trifft auf ein Elektron, das als

10

1 Einf¨ uhrung γ′

γ

θ

e− Abb. 1.5: Der Compton-Effekt.

ruhend angenommen werden soll. Bei dem elastischen Stoß zwischen Elektron und Photon bleiben Energie und Impuls erhalten. Da das Elektron kinetische Energie gewinnt, muss sich die Energie des Photons verringern. Wegen E = ~ω heißt das aber, dass ω und nach (1.16) auch die Wellenzahl |k| = 2π/λ kleiner wird. Die Wellenl¨ange des gestreuten Lichtes wird also gr¨ oßer. Dies wird in der Tat im Experiment beobachtet. Die Abnahme der Energie l¨ asst sich aus Energie- und Impulserhaltung berechnen. Wird der Streuwinkel zwischen auslaufendem und einfallendem Photon mit θ bezeichnet, so erh¨alt man E′ =

E , 1 + E(i) (1 − cos θ)/mc2

wobei E ′ und E die Energien von auslaufendem und einfallendem Photon sind und m ¨ die Elektronenmasse ist. F¨ ur die Anderung der Wellenl¨ange findet man λ′ − λ = 4πλc sin2

θ , 2

(1.17)

wobei λc = ~/mc = 3, 86 × 10−13 m die Compton-Wellenl¨ange des Elektrons ist. Die in den oben beschriebenen Experimenten f¨ ur das Licht gefundene Teilchen-WellenDualit¨at werden wir im folgenden Kapitel auch f¨ ur massive Teilchen wie die Elektronen feststellen.

2

Teilchen-Welle-Dualismus

Im Folgenden wollen wir einige Experimente analysieren, die den wesentlichen Unterschied zwischen Teilchen und Wellen verdeutlichen.

2.1

Klassische Teilchen

Mit einer Schrotflinte schießen wir auf eine Wand mit zwei Spalten, die wir mit 1 und 2 bezeichnen. Hinter der Wand befindet sich ein Absorber, der die durch die Spalte geflogenen Schrotkugeln auff¨ angt. Auf dem Absorber tragen wir die x-Achse auf und teilen diese in Intervalle der L¨ ange δx ein, welche wir mit dem Index i durchnumerieren (Abb. 2.1). Wiederholen wir den Versuch gen¨ ugend oft, so finden wir, dass die Kugeln mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit w(xi ) im Intervall [xi , xi + δx] auftreffen. Schließen wir einen der beiden Spalte, z.B. Spalt 2, so finden wir die Wahrscheinlichkeit w1 (xi ). Da die Spalte nicht infinitesimal klein sind, kommt es zur Streuung der Schrotkugeln an den Spaltr¨andern, und die Wahrscheinlichkeitsverteilungen wk (x) haben nicht die Form einer scharfen Spitze. Experimentell finden wir vor, was mit unserer Alltagserfahrung u ¨bereinstimmt: Die Gesamtwahrscheinlichkeit w12 (x) setzt sich aus der Summe der Wahrscheinlichkeiten w1 (x) und w2 (x) zusammen und die Kugeln sind entweder durch Spalt 1 oder Spalt 2 zum Ort x gelangt. Wir erhalten damit die Beziehung w12 (x) = w1 (x) + w2 (x) ,

(2.1)

welche ausdr¨ uckt, dass es keinerlei Interferenz zwischen den durch Spalt 1 bzw. Spalt 2 gelaufenen Kugeln gibt. Wir betrachten nun einen analogen Versuch mit Wasserwellen. x

x

x w1 (x)

1 2

Abb. 2.1: Doppelspalt-Experiment mit Schrotkugeln.

δx

w2 (x)

w12 (x)

12

2 Teilchen-Welle-Dualismus x

I

I1 (x)

I2 (x)

Abb. 2.2: Doppelspalt-Experiment mit Wasserwellen.

2.2

Wasserwellen

Ein periodisch in eine Wasseroberfl¨ ache eintauchender Stift erzeugt kreisf¨ormige Wasserwellen, welche auf eine Wand mit zwei Spalten treffen (Abb. 2.2). An einem dahinter befindlichen reflexionsfreien Absorber messen wir die Intensit¨at der Wellenbewegung am Punkt x, indem wir dort das zeitgemittelte Quadrat der Auslenkung bestimmen. Wir nehmen dazu an, die Welle habe die Form y(x, t) = ymax (x) sin(ωt) und erhalten somit: 1 I(x) = T

ZT

dt y 2 (x, t)=

0

1 |ymax (x)|2 . 2

(2.2)

Nach dem Huygens’schen Prinzip sind die Punkte einer Wellenfront Ausgangspunkt von Elementarwellen, die sich zu einer Gesamtwelle u ¨berlagern. Sind die Spalte klein genug, k¨onnen wir sie in der Bildebene idealisiert als punktf¨ormig ansehen und jeder Spalt ist dann Ausgangspunkt einer neuen Kreiswelle. Schließen wir einen der beiden Spalte, so erhalten wir eine Intensit¨ atsverteilung, welche dieselbe Form besitzt wie die Wahrscheinlichkeitsverteilung im Falle der Schrotkugeln, wenn einer der beiden Spalte geschlossen ist. Sind beide Spalte jedoch ge¨ offnet, erhalten wir bei den Wasserwellen eine Intensit¨atsverteilung, die v¨ ollig verschieden ist von der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Schrotkugeln. Es treten jetzt f¨ ur Wellen typische Interferenzerscheinungen in der Intensit¨atsverteilung auf, und insbesondere gilt: I(x) 6= I1 (x) + I2 (x) . Das ist auch anschaulich klar. Denn es addieren sich ja die Auslenkungen, y(x, t) = y1 (x, t) + y2 (x, t) ,

2.3 Lichtwellen

13 E

B E⊥B k

E, B ⊥ k

Abb. 2.3: Illustration einer elektromagnetischen Welle.

und nicht die Intensit¨ aten. F¨ ur die Gesamtintensit¨at ben¨otigen wir nach (2.2) das Quadrat der Auslenkung: y 2 (x, t) = y12 (x, t) + y22 (x, t) + 2y1 (x, t)y2 (x, t) 6= y12 (x, t) + y22 (x, t) .

2.3

Lichtwellen

Dasselbe Experiment l¨ asst sich mit Lichtwellen wiederholen. Die Lichtquelle sei gen¨ ugend weit von der Wand mit den beiden Spalten entfernt, sodass die Wellenfront des Lichtes beim Erreichen der Wand als eben angenommen werden kann. Hinter der Wand stellen wir einen Bildschirm auf, welcher den Absorber des vorherigen Experimentes ersetzt. Eine genauere Auswertung der Experimente l¨asst sich erreichen, wenn der Bildschirm durch einen Detektor mit Fotozellen ersetzt wird. Decken wir eine der beiden Spalte ab, so erhalten wir eine Intensit¨ atsverteilung, welche von der, die man f¨ ur klassische korpuskulare Teilchen erwartet, nur durch Beugungseffekte abweicht. L¨asst man das Licht durch beide Spalte laufen, findet man dieselben Interferenzeffekte wie bei den Wasserwellen. Dies ist auch nicht verwunderlich, da wir aus der Elektrodynamik wissen, dass Licht elektromagnetische Wellen eines bestimmten Wellenl¨angenbereiches verk¨orpert. In diesen Wellen stehen das elektrische und das magnetische Feld senkrecht aufeinander und beide wiederum senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung, welche durch den Wellenvektor k repr¨ asentiert wird (Abb. 2.3): k ∼E×B . Elektromagnetische Wellen sind spezielle L¨ osungen der Maxwell-Gleichungen im ladungsfreien Raum. Wegen der Linearit¨ at der Maxwell-Gleichungen werden die elektromagnetischen Felder zweier Wellen nach dem Superpositionsprinzip addiert. E (1) und E (2) m¨ogen die elektrischen Anteile der elektromagnetischen Wellen bezeichnen, deren Quelle im Spalt 1 bzw. 2 liegt. Das Gesamtfeld ergibt sich dann zu: E(x, t) = E (1) (x, t) + E (2) (x, t) .

(2.3)

14

2 Teilchen-Welle-Dualismus

Der Einfachheit halber setzen wir voraus, dass das Licht monochromatisch ist, d.h. eine feste Frequenz ω besitzt. F¨ ur eine solche Welle hat das elektrische Feld die Gestalt  (2.4) E(x, t) = Re E0 (x)e−iωt = Re {E0 (x)} cos(ωt) + Im {E0 (x)} sin(ωt) ,

wobei E0 (x) eine komplexe, periodische Ortsfunktion ist. Analog sind die beiden aus Spalt 1 bzw. Spalt 2 herauslaufenden Wellen durch o o n n (2) (1) (2.5) E (1) (x, t) = Re E0 (x)e−iωt , E (2) (x, t) = Re E0 (x)e−iωt gegeben und das Gesamtfeld (2.3) ergibt sich zu: o n  (1) (2) E(x, t) = Re E0 (x, t) + E0 (x, t) e−iωt .

Die Energiestromdichte des elektromagnetischen Feldes ist (im Heavyside-Lorentz-Maßsystem mit c = 1) durch s = |E × B|

(2.6)

gegeben. F¨ ur elektromagnetische Wellen im Vakuum gilt außerdem, dass das elektrische und magnetische Feld den gleichen Betrag besitzen: |E| = |B| . Daher reduziert sich die Energiestromdichte (2.6) auf: s(x, t) = E 2 (x, t) . Benutzt man f¨ ur die elektromagnetischen Wellen die Darstellung (2.4) mit komplexer Amplitude E0 , so ist die Energiestromdichte durch s(x, t) = [Re {E0 (x)}]2 cos2 (ωt) + [Im {E0 (x)}]2 sin2 (ωt) + 2Re {E0 (x)} Im {E0 (x)} sin(ωt) cos(ωt) gegeben. Die Intensit¨ at einer Welle ist definiert als die u ¨ber eine Periode T gemittelte Energiestromdichte: 1 I(x) = T

ZT

dt s(x, t) ,

T =

2π . ω

0

Diese Definition ist konsistent mit der oben benutzten Definition der Intensit¨at einer Wasserwelle, wenn man ber¨ ucksichtigt, dass |E| = |B| die Amplitude der elektromagnetischen Welle ist. Benutzt man 1 2π

Z2π 0

1 dϕ sin ϕ = 2π 2

Z2π 0

1 dϕ cos ϕ = , 2 2

Z2π 0

dϕ sin ϕ cos ϕ = 0 ,

2.4 Elektronen

15

so erh¨alt man durch Ausf¨ uhrung der Mittelung u ur die Intensit¨at einer ¨ber die Zeit f¨ elektromagnetischen Welle: i 1h (Re {E0 (x)})2 + (Im {E0 (x)})2 2 1 ∗ 1 = E0 (x) · E0 (x) = |E0 (x)|2 . 2 2

I(x) =

Berechnen wir hieraus nun die Intensit¨ at zweier u ¨berlagerter monochromatischer Wellen mit derselben Frequenz ω, so erhalten wir: 2 1 (1) (2) E0 (x) + E0 (x) 2 ∗   1  (1) (2) (1) (2) E0 (x) + E0 (x) · E0 (x) + E0 (x) = 2  1 (1) 2 (2) 2 (1)∗ (2) (1) (2)∗ = E0 (x) + E0 (x) + E0 (x) E0 (x) + E0 (x) · E0 (x) 2 = I1 (x) + I2 (x) + ∆I(x) .

I12 (x) =

Wir sehen, dass die Intensit¨ at der beiden u ¨berlagerten Wellen nicht gleich der Summe der Intensit¨aten der beiden einzelnen Wellen ist, sondern sich um einen Interferenzterm ∆I(x) von der Summe unterscheidet. Das Doppelspalt-Experiment mit Lichtwellen zeigt das, was wir auch schon bei den Wasserwellen festgestellt haben: Bei Wellen d¨ urfen nicht die Intensit¨ aten, sondern m¨ ussen die Wellenamplituden u ¨berlagert werden. Die Wellenintensit¨at entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass wir ein von Null verschiedenes elektromagnetisches Feld in der Welle antreffen. Analog entspricht die Wellenamplitude der Wahrscheinlichkeitsamplitude. Dies bedeutet: ¨ Die Interferenzen entstehen durch Uberlagerungen der phasenbehafteten Wahrscheinlichkeitsamplituden, nicht durch Addition von positiv-definiten Wahrscheinlichkeiten.

2.4

Elektronen

Im vorangegangenen Experiment ersetzen wir die Lichtstrahlen durch Elektronenstrahlen. Ein Elektronenstrahl bestimmter Energie trifft auf eine Wand mit zwei Spalten. Auf einem dahinter befindlichen Absorber stellen wir mit einem Z¨ahlrohr fest, ob im Intervall [xi , xi + δx] ein Elektron auftrifft oder nicht. Da die Elektronen korpuskulare Teilchen sind, w¨ urde man erwarten, dass man ¨ahnliche Messergebnisse wie bei den Schrotkugeln findet, d.h. eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die keine Interferenz zeigt. Experimentell findet man jedoch folgenden Sachverhalt:

16

2 Teilchen-Welle-Dualismus

1) Die Elektronen kommen als einheitliche, identische Partikel“ (Korpuskel) ” an, was durch Ansprechen des Detektors angezeigt wird. Diese Ereignisse k¨onnen wir w¨ahrend einer Zeiteinheit abz¨ahlen und daraus die Wahrscheinlichkeit w(xi ) f¨ ur das Auftreffen eines Elektrons im Intervall [xi , xi + δx] bestimmen. 2) Schließen wir einen der beiden Spalte, so finden wir eine Wahrscheinlichkeitsverteilung wie bei den klassischen Schrotkugeln. Die Elektronen verhalten sich also wie Teilchen. 3) Sind jedoch beide Spalte ge¨offnet, finden wir ein Interferenzbild wie bei Wellen vor. Die Gesamtwahrscheinlichkeit setzt sich also nicht additiv aus den Teilwahrscheinlichkeiten zusammen: w(xi ) 6= w1 (xi ) + w2 (xi ) .

Zusammenfassend k¨ onnen wir feststellen: Die Elektronen verhalten sich – je nach experimenteller Situation – zum einen wie Teilchen, zum anderen wie Wellen. Diese Tatsache wird als Teilchen-Welle-Dualismus bezeichnet. Das Doppelspaltexperiment wurde mit Elektronen zuerst im Jahre 1961 von Claus J¨onssen unter Anleitung seines Doktorvaters Gottfried M¨ollenstedt in T¨ ubingen durchgef¨ uhrt. Es ist eines der wichtigsten (und sch¨onsten1 ) Experimente zum Nachweis der Wellennatur von Materieteilchen und damit eines der fundamentalen Experimente zur Best¨atigung der physikalischen Grundlagen der Quantentheorie. In dem Experiment gelang es J¨ onssen, die Elektronenquelle schwach genug zu w¨ahlen, so dass die Elektronen einzeln (zeitlich nacheinander) registriert wurden. Damit wurde gezeigt, dass die Inferenzerscheinung nicht durch das gleichzeitige Zusammenspiel mehrerer Elektronen, sondern durch einzelne Elektronen hervorgerufen wird. Aufgrund des Interferenzverhaltens der Elektronen k¨onnen wir schließen, dass sich die Elektronen ¨ahnlich wie elektromagnetische Wellen durch eine Wahrscheinlichkeitsamplitude K beschreiben lassen m¨ ussen. Die Wahrscheinlichkeit ergibt sich dann auch hier aus der Wahrscheinlichkeitsamplitude durch Bildung des Absolutbetrages: w = |K|2 .

(2.7)

Bezeichnen wir mit K1 die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ ur, dass das Elektron durch Spalt 1 l¨auft, und entsprechend die Amplitude, dass das Elektron durch Spalt 2 l¨auft, mit K2 , so ist die Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude durch K = K1 + K2 1 In einer Umfrage der Physics World“ im Jahre 2002 wurde dieses Experiment zum sch¨ onsten ” ” physikalischen Experiment aller Zeiten“ gew¨ ahlt.

2.4 Elektronen

17

gegeben. Hierbei haben wir vorausgesetzt, dass – wie bei den elektromagnetischen Wellen – das Superpositionsprinzip f¨ ur Wahrscheinlichkeitsamplituden gilt. Dieses Prinzip wird wie gezeigt durch das Experiment best¨ atigt. Aus der G¨ ultigkeit des Superpositionsprinzips folgt bereits, dass die Gleichung, welche K beschreibt, linear in K sein muss. F¨ ur die Gesamtwahrscheinlichkeit |K|2 erhalten wir wieder ein ¨ahnliches Ergebnis wie bei den elektromagnetischen Wellen.

3

Der Einfluss der Messung

Das Doppelspalt-Experiment mit Elektronen l¨asst sich offenbar nicht im Rahmen der klassischen Physik erkl¨ aren. Die beobachteten Interferenz-Erscheinungen sind nicht kompatibel mit der Annahme, dass ein bestimmtes Elektron entweder nur durch Spalt 1 oder nur durch Spalt 2 l¨ auft. Denn ginge ein Elektron z.B. nur durch Spalt 1 – woher w¨ usste es, dass Spalt 2 auch ge¨ offnet ist und dass es Interferenzfiguren erzeugen muss? Das Doppelspalt-Experiment bestimmt zudem gar nicht, durch welchen Spalt das Elektron geht. Wir k¨onnen jedoch ein Experiment durchf¨ uhren, das feststellt, durch welchen Spalt das Elektron fliegt.

3.1

Experiment zur Bestimmung des vom Elektron passierten Spaltes

Das Licht einer starken Lichtquelle, z.B. R¨ ontgen-Strahlen, wird von Elektronen gestreut (Compton-Effekt). Diesen Effekt k¨ onnen wir benutzen, um festzustellen, durch welchen Spalt das Elektron geht, indem wir eine solche Lichtquelle hinter die Wand zwischen die beiden Spalte setzen (Abb. 3.1). Die Lichtquelle sei so aufgebaut, dass das Licht in vertikaler Richtung (nach oben bzw. unten) parallel zum Schirm ausgesandt wird. Fliegt ein Elektron durch einen Spalt, so wird das Licht am vorbeifliegenden Elektron gestreut. Ist die Elektronenquelle schwach genug, so k¨ onnen wir f¨ ur jedes einzelne Elektron, das vom Z¨ahler registriert wird, experimentell durch den beobachteten Lichtblitz nachweisen, durch welchen Spalt es gekommen ist. Registrieren wir alle Elektronen, welche auf den Schirm gefallen sind und bei denen der Lichtblitz hinter Spalt 1 erfolgte, so erhalten wir die Verteilung w1 (Abb. 3.1). Diese Verteilung erh¨alt man unabh¨angig davon, ob Spalt 2 geschlossen oder ge¨ offnet ist. Das oben beschriebene Experiment wurde erstmals 1995 von Chapman durchgef¨ uhrt. Wir k¨onnen in diesem Experiment eindeutig feststellen, durch welchen Spalt das Elektron geflogen ist. F¨ ur jedes Elektron, das auf dem Schirm auftrifft, beobachten wir einen Lichtblitz entweder hinter Spalt 1 oder hinter Spalt 2. Da wir f¨ ur jedes Elektron eindeutig feststellen, durch welchen Spalt es gekommen ist, finden wir zwei disjunkte Verteilungen w1 und w2 vor. Ein Elektron geh¨ort entweder zu w1 , wenn es durch Spalt 1 gekommen ist, oder zu w2 , wenn es durch Spalt 2 gekommen ist, niemals aber zu beiden Verteilungen zugleich. Damit muss die Gesamtelektronenverteilung die Summe von w1 und w2 sein:

20

3 Der Einfluss der Messung x

w1 (x)

x

w12 (x)

e− -Quelle

w2 (x)

Lichtquelle Abb. 3.1: Doppelspalt-Experiment mit Elektronen: Bestimmung des Spalts, durch den das Elektron l¨ auft.

w12 = w1 + w2 = |K1 |2 + |K2 |2 . Diese Verteilung zeigt nat¨ urlich keine Interferenz. Schalten wir nun das Licht aus, beobachten wir wieder die urspr¨ ungliche Interferenzkurve w = |K1 + K2 |2 . Das Ergebnis h¨ angt also davon ab, ob wir beobachten, durch welchen Spalt das Elektron geht. Durch die Lichtquelle (den Messapparat) wird das Messergebnis offenbar ver¨andert. Das Licht muss folglich die Elektronen in ihrer Bahn st¨oren, d.h. mit ihnen wechselwirken. In der Tat wissen wir bereits aus der klassischen Elektrodynamik, dass das elektromagnetische Feld der Lichtwellen auf die Elektronen eine Kraft F aus¨ ubt (Lorentz-Kraft): F = q(E + v × B) . Durch den Stoß mit dem Lichtquant wird das Elektron in seiner Bahn ver¨andert und kann auch an Stellen der Interferenzminima auf den Schirm treffen. Das obige Experiment zeigt: Wenn wir durch Beobachtung des Zustandes bzw. des Ortes des Teilchens dessen Bewegung von der Quelle zum Schirm beeinflussen, bevor sie abgeschlossen ist, dann st¨oren wir die Interferenz. K¨onnen wir die St¨ orung der Elektronen durch die Lichtquelle (das Messger¨at) nicht ausschalten? Man k¨ onnte eine schw¨achere Lichtquelle, d.h. eine Lichtquelle mit niedrigerer

3.2 Problematik des Messprozesses in der Quantenmechanik

21

Intensit¨at, benutzen, um die Interferenz nicht zu sehr zu st¨oren. Da aber das Licht aus kleinsten Teilchen, den Photonen, besteht und sich die Streuung des Lichtes durch die Streuung der einzelnen Photonen vollzieht, sieht man die gestreuten Lichtblitze von gleicher St¨arke, nur nicht mehr so oft. Bei geringer Intensit¨at der Lichtquelle treffen dann auch Elektronen auf den Detektor, ohne dass Licht vorher an ihnen gestreut wurde, d.h. ohne dass festgestellt wurde, ob sie durch Spalt 1 oder Spalt 2 gekommen sind. Diese Ereignisse liefern wieder eine Verteilung von der Form w mit Interferenz-Strukturen. Die absolute Gr¨oße dieser Verteilung ist aber etwas geringer als die von w, da die Elektronen, welche durch das Licht gestreut wurden, von dieser Verteilung ausgeschlossen sind. Letztere liefern hingegen wieder eine Verteilung ohne Interferenzerscheinungen. Die Gesamtverteilung aller Elektronen weist nat¨ urlich einen Interferenzcharakter auf. Die Interferenzstrukturen sind jedoch weniger ausgepr¨agt, da nicht alle Elektronen an der Interferenz teilnehmen. Die Interferenzstrukturen werden durch die u ¨ber ComptonStreuung beobachteten Elektronen ausgewaschen. Das Ergebnis ist also nachvollziehbar: Haben wir das Elektron gesehen, haben wir es bei der Interferenz gest¨ ort. Je st¨ arker die Lichtquelle ist, desto mehr Elektronen werden am Licht gestreut und es wird somit festgestellt, durch welchen Spalt sie laufen. Entsprechend wird die Wahrscheinlichkeitsverteilung immer mehr der von w12 ¨ahneln. Umgekehrt trifft bei einer schwachen Lichtquelle die Mehrheit der Elektronen auf den Schirm, ohne gestreut zu werden, und f¨ uhrt deshalb zur Interferenz, d.h. liefert eine Verteilung der Form w. Ein alternativer Versuch, die St¨ orung der Elektronen durch das Licht zu verringern, w¨ are, nicht die Intensit¨ at des Lichtes, sondern den Impuls bzw. die Frequenz der Photonen zu verringern. Dies entspricht einer Vergr¨oßerung der Wellenl¨ange. Auch dies ist nicht beliebig m¨oglich, da eine Lichtquelle, welche Licht der Wellenl¨ange λ emittiert, sich im Raum nicht mit einer Ungenauigkeit kleiner als λ lokalisieren l¨asst. Dies wird ersichtlich, wenn man sich vorstellt, dass die Lichtwelle durch einen Wellenresonator erzeugt wird. Dieser muss mindestens λ/2 beherbergen“ k¨onnen. Wird also die Wel” lenl¨ange des Lichtes zu groß, so k¨ onnen wir nicht mehr feststellen, ob das gestreute Licht von einem Elektron hinter Spalt 1 oder hinter Spalt 2 resultiert. Zusammenfassend k¨ onnen wir feststellen: Jeder Messprozess, dessen Ziel es ist zu bestimmen, durch welchen Spalt das Elektron geht, wird zwangsl¨aufig das Elektron gen¨ ugend stark st¨oren, sodass die Interferenz zerst¨ ort wird und die Verteilung w in w12 = w1 + w2 u ¨bergeht. Das Doppelspalt-Experiment zeigt in sehr anschaulicher Weise die Problematik des Messprozesses in der Quantenmechanik.

3.2

Die Problematik des Messprozesses in der Quantenmechanik

Der Messprozess beinhaltet eine Wechselwirkung des zu messenden Systems mit der Messapparatur. In der klassischen Physik sind die Messobjekte makroskopische Systeme und die Messapparatur kann so konstruiert werden, dass das zu messende System durch den Messprozess, d.h. durch die Wechselwirkung mit dem Messger¨at, nicht wesentlich beeinflusst oder ver¨ andert wird. Beispielsweise ver¨andert eine L¨angenmessung

22

3 Der Einfluss der Messung

eines makroskopischen Gegenstandes nicht dessen physikalischen Zustand. In klassischen Systemen besitzen die Observablen eine gewisse absolute Bedeutung: Die physikalischen Gr¨oßen nehmen einen bestimmten Wert an, unabh¨angig davon, ob wir ihn messen oder nicht. Die Messung atomarer Systeme erfolgt ebenfalls mit makroskopischen Apparaturen. Wir k¨onnen nur u ate mit dem Mikrokosmos kommunizieren, ¨ber makroskopische Ger¨ da wir selbst makroskopische Dimensionen besitzen. Im Messprozess findet deshalb eine Wechselwirkung des zu messenden atomaren Systems mit dem makroskopischen Messapparat statt. Im Ergebnis der Messung entsteht eine f¨ ur uns wahrnehmbare (ma¨ kroskopische) Anzeige, also eine Anderung eines makroskopischen Parameters. Spricht man also von dem Wert einer physikalischen Gr¨oße, so schließt dies immer einen Messprozess ein, der uns diesen Wert in Form einer makroskopischen Anzeige vermitteln kann. Dieser makroskopische Prozess kann (wegen der notwendigen Wechselwirkung im Messprozess) nicht ohne R¨ uckwirkung auf das zu messende mikroskopische System sein und muss Letzteres beeinflussen bzw. ver¨ andern. Dadurch besitzen nur diejenigen physikalischen Gr¨oßen einen bestimmten Wert, welche wir gerade messen, w¨ahrend wir den u oßen i.A. keinen bestimmten Wert zuordnen k¨onnen, da die¨brigen physikalischen Gr¨ se durch den Messprozess teilweise auf unkontrollierbare Weise gest¨ort werden. Dieser Zusammenhang zwischen Messprozess und Messergebnis bzw. die hier zutage tretenden Grenzen der Messbarkeit im atomaren Bereich wurden zuerst von W. Heisenberg erkannt und als Unsch¨arfeprinzip1 bezeichnet. Dieses Prinzip beinhaltet: In einem Prozess, in dem es mehrere Alternativen gibt, f¨ uhrt die Bestimmung der Alternative, die realisiert ist, zur Ausl¨oschung der Interferenz zwischen den Alternativen.

Wir unterscheiden zwei Arten von Alternativen: 1) Exklusive bzw. sich ausschließende Alternativen: Spalt 1 oder Spalt 2 bilden Exklusiv-Alternativen, wenn entweder einer der beiden Spalte geschlossen ist oder ein Messapparat eindeutig bestimmt, durch welchen Spalt das Elektron geht. 2) Interferierende Alternativen: Spalt 1 und Spalt 2 bilden interferierende Alternativen, wenn erstens beide Spalte ge¨ offnet sind und zweitens kein Versuch unternommen wird, zu bestimmen, durch welchen Spalt das Elektron geht. Jede Alternative i ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit realisiert und wird deshalb durch eine Wahrscheinlichkeitsamplitude Ki beschrieben. F¨ ur interferierende Al1 In der klassischen Physik ist die Trajektorie (Bahn) eines Teilchens experimentell bestimmbar. Damit lassen sich Ort und Impuls des Teilchens gleichzeitig messen. In der Quantenmechanik hingegen k¨ onnen Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden, wie wir im Folgenden noch explizit sehen werden.

3.3 Alternativen und Unsch¨ arferelation

23 x

x

p1 −

e -Quelle p′1

A

B

∆p1

anstatt

C

Abb. 3.2: Doppelspalt-Experiment mit Elektronen.

ternativen ist dann die Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude K durch die Summe der Amplituden der einzelnen Alternativen Ki gegeben: K=

X

Ki .

i

Dies kann als das Grundpostulat der Quantentheorie bezeichnet werden. Aus ihm lassen sich die Gesetze der Quantentheorie ableiten, was in den nachfolgenden Kapiteln durchgef¨ uhrt wird.

3.3

Alternativen und Unsch¨arferelation

Wenn das Elektron durch einen der beiden Spalte geht, wird es i.A. an dem Spalt gestreut und die vertikale Komponente seines Impulses wird dabei ver¨andert. Diese Impuls¨anderung ∆p ist f¨ ur ein Elektron, das durch Spalt 1 geht, verschieden von der Impuls¨anderung, die ein Teilchen am Spalt 2 erf¨ahrt. Zur Messung dieser Impuls¨anderung bringen wir die Wand mit den beiden Spalten so an, dass sie in vertikaler Richtung (reibungslos) beweglich ist (Abb. 3.2). ¨ Wegen der Impulserhaltung kann die Anderung der vertikalen Komponente des Elektronenimpulses beim Durchgang durch einen der Spalte nur durch eine betragsm¨aßig gleich große, entgegengesetzt gerichtete Impuls¨ anderung der Wand kompensiert werden. Ein Elektron, das durch Spalt 2 l¨ auft, wird nach oben abgelenkt, und folglich muss die Wand sich geringf¨ ugig nach unten bewegen. Umgekehrt wird ein Elektron, das durch Spalt 1 geht, nach unten reflektiert und die Wand muss sich folglich nach oben bewegen. Eine eindeutige Bestimmung des Spaltes, durch welchen das Elektron geht, verlangt hier eine Messung des Impulses der Wand mit einer Genauigkeit von mindestens ∆p = |∆p|. Nehmen wir nun an, die Messapparatur ist so eingerichtet, dass sie diese Genauigkeit erlaubt. Wir h¨atten dann eine eindeutige Bestimmung des Spaltes, durch welchen das

24

3 Der Einfluss der Messung

Elektron l¨auft und sollten, wenn das obige Resultat universell g¨ ultig ist, die f¨ ur klassische Teilchen charakteristische Wahrscheinlichkeitsverteilung w12 aus Gl. (2.1) ohne Interferenzstrukturen bekommen (Abb. 3.2). Wie kommt hier diese Wahrscheinlichkeitsverteilung zustande? Um die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf dem Schirm C (Detektor) pr¨azise angeben zu k¨onnen, m¨ ussen wir die vertikale Position der Spalte in B genau kennen. Wir m¨ ussen daher nicht nur den Impuls, sondern auch die Position der Wand B genau bestimmen. Wenn die Interferenzfigur w gemessen werden soll, muss die Position der Wand B genauer als d/2 bestimmt werden, wobei d der Abstand zweier Interferenzmaxima ist. Falls die vertikale Position von B nicht mit dieser Genauigkeit bekannt ist, sondern nur mit einer Genauigkeit ∆x > d2 , so kann auch ein Punkt auf der Elektronenverteilung auf C nicht mit gr¨ oßerer Genauigkeit als ∆x > d/2 angegeben werden, da der Schirm C an der Wand B kalibriert werden muss. Deshalb muss der Wert der Verteilung w(x) an einem bestimmten Punkt x u ¨ber alle Werte von Punkten innerhalb einer Entfernung ∆x > d/2 von x gemittelt werden. Die Interferenzstrukturen werden dabei offensichtlich ausgel¨oscht und es entsteht die klassische Verteilung w12 . Man k¨onnte versuchen, Kenntnis u ¨ber die genaue Position des Detektors (Bildschirm) C relativ zur Wand B mit den beiden Spalten zu bekommen, indem man den Detektor starr mit der Wand verbindet. Da der Detektor aber ein makroskopisches Messger¨at ist, besitzt er eine makroskopische Masse, die sehr groß im Vergleich zur Elektronenmasse ist. Als Folge w¨ urde das Gesamtsystem Wand - Detektor durch die Ablenkung des Elektrons einen vernachl¨ assigbar kleinen, experimentell nicht-registrierbaren R¨ uckstoß erhalten, und wir k¨ onnten nicht mehr feststellen, durch welchen Spalt das Elektron geflogen ist. Gleichg¨ ultig, welche raffinierten experimentellen Anordnungen man sich ausdenkt, um den Spalt, durch den das Elektron geht, zu bestimmen, ohne die Interferenzen zu zerst¨oren – man wird immer an der makroskopischen Gr¨oße der Messapparatur scheitern. Versuchen wir nun eine quantitative Beschreibung dieses Resultates zu finden. Interferenzph¨anomene sind bekanntlich an Wellen gebunden. Deshalb k¨onnen wir statt Elektronen auch Lichtquellen in dem Experiment benutzen, wie wir es fr¨ uher bereits gemacht haben. Wir k¨ onnen deshalb unsere Kenntnisse aus der Optik zur quantitativen Beschreibung des Experimentes benutzen. Aus der Optik wissen wir, dass Interferenzmaxima dann auftreten, wenn die beiden interferierenden Lichtstrahlen Wegstrecken zur¨ ucklegen, welche sich um ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenl¨ange λ voneinander unterscheiden (siehe Abb. 3.3). Da die Wegstrecken Q1 A und Q2 A gleich lang sind, tritt in A stets ein Interferenzmaximum auf. Das benachbarte Interferenzmaximum soll in B auftreten. Dazu muss die Strecke Q2 B um λ gr¨oßer sein als die Strecke Q1 B

!

Q2 B − Q1 B = λ .

(3.1)

3.3 Alternativen und Unsch¨ arferelation Q1

25

p α1

∆p1

B

a

d A

C Q2

∆p2 α2 p l

Abb. 3.3: Geometrie zur Auswertung des Doppelspalt-Experimentes. Die Positionen der beiden Spalten, Q1 und Q2 , liegen spiegelsymmetrisch zur Achse durch A, siehe Text.

Aus dem Pythagoras-Satz folgt f¨ ur diese Strecken s r  2 2 a a d Q1 B = l 2 + −d =l 1+ − 2 2l l s r 2  2 a d a 2 +d =l 1+ + Q2 B = l + . 2 2l l

(3.2)

F¨ ur d ≪ l und a ≪ l k¨ onnen wir die Wurzeln entwickeln. In f¨ uhrender Ordnung liefert dies # "  2 d 1 a + ··· − Q1 B ≃ l 1 + 2 2l l " #  2 1 a d Q2 B ≃ l 1 + + ··· (3.3) + 2 2l l und somit ad . l Vergleich mit (3.1) liefert die Beziehung Q2 B − Q1 B ≃

(3.4)

d λ ≃ . l a

(3.5)

26

3 Der Einfluss der Messung

Aus der Abbildung 3.3 ist außerdem ersichtlich, dass folgende Beziehungen gelten |∆p1 | = tan α1 = |p| |∆p2 | = tan α2 = |p|

a 2 a 2

−d , l +d . l

(3.6)

F¨ ur die Gesamtimpulsunsch¨ arfe ∆p = |∆p1 | + |∆p2 |

(3.7)

erhalten wir folglich (p = |p|) a ∆p = . p l

(3.8)

Da in dem (in Abb. 3.2 gezeigten) Experiment keine Interferenzformen auftreten, muss die Ungewissheit ∆x in der Messung der vertikalen Position des Schirmes B gr¨oßer als d/2 sein, d.h. mit (3.5) bzw. (3.8 ) ∆x ≥

d λ p =l =λ . 2 2a 2∆p

(3.9)

Beachten wir, dass f¨ ur Photonen der Impuls p mit der Wellenzahl k = 2π/λ u ¨ber p = ~k = ~

2π λ

(3.10)

verkn¨ upft ist, so finden wir aus (3.9) die Beziehung ∆x · ∆p > h/2 ,

(3.11)

die zuerst von W. Heisenberg gefunden wurde und als Heisenberg’sche Unsch¨arferelation bezeichnet wird.2 Diese Beziehung werden wir sp¨ater noch in allgemeinerer Form streng beweisen. Bisher gibt es keine experimentellen Hinweise auf eine Verletzung dieser Beziehung. Wie wir sp¨ ater sehen werden, wird diese Unsch¨arferelation auch von der formalen Quantentheorie gefordert.

2 Streng genommen steht in der Heisenberg’schen Unsch¨ arferelation ~ = h/2π statt h. Der Unterschied ist durch unsere N¨ aherungen entstanden.

4

Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

Vom physikalischen Standpunkt aus sind die zwei Wege, welche das Elektron entweder durch Spalt 1 oder Spalt 2 beschreiten kann, unabh¨angige Alternativen. Dennoch ist die Gesamtwahrscheinlichkeit u ¨ber beide Alternativen nicht die Summe der Einzelwahr¨ scheinlichkeiten. Ahnlich wie bei dem elektrischen Feld von interferierenden Lichtwellen m¨ ussen wir die Wahrscheinlichkeit als Quadrat einer Wahrscheinlichkeitsamplitude berechnen und daher die Wahrscheinlichkeitsamplituden von interferierenden Prozessen zur Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude addieren. Wenn wir ein Ereignis oder einen Prozess vor seinem Abschluss durch eine Messung eines Zustandes des Teilchens, z.B. des Ortes des Elektrons, unterbrechen, so st¨oren wir die Konstruktion der Gesamtamplitude. Wenn wir z.B. ein Teilchen in einem bestimmten Zustand beobachten, dann schließen wir die M¨oglichkeit aus, dass es sich in irgendeinem anderen Zustand befindet. Die Amplituden der ausgeschlossenen Zust¨ande k¨ onnen dann nicht l¨ anger zur Gesamtamplitude beitragen und m¨ ussen deshalb bei der Berechnung der Gesamtamplitude ausgeschlossen werden. Wenn wir z.B. mit Hilfe eines Messger¨ates bestimmen, dass das Elektron durch Spalt 1 geht, dann ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ ur, dass das Elektron am Punkt x auf dem Schirm auftritt, gerade K1 und die Amplitude K2 f¨ ur den Durchgang durch den Spalt 2 kann nicht zur Gesamtamplitude beitragen. Dabei ist es unwichtig, ob wir tats¨achlich das Ergebnis der Messung aufzeichnen oder zur Kenntnis nehmen. Solange nur die Messapparatur in Betrieb ist, k¨onnten wir, falls wir wollten, das Ergebnis der Messung erfahren. Allein das Betreiben der Messapparatur ist ausreichend, um das System zu st¨oren und die Wahrscheinlichkeitsamplitude zu ver¨ andern.

4.1

Die Struktur der Wahrscheinlichkeitsamplitude

Die Wahrscheinlichkeitsamplitude (bzw. kurz Amplitude) f¨ ur ein Ereignis ist die Summe aller Amplituden f¨ ur die m¨ oglichen alternativen Wege, durch welche das Ereignis realisiert werden kann. Bei einem physikalischen Prozess gibt es i.A. sehr viele Alternativen. Dies erkennen wir sofort, wenn wir mehrere W¨ande mit mehreren L¨ochern zwischen Quelle und Detektor aufstellen. Verschiedene Wege sind f¨ ur das Elektron m¨oglich und zu jeder dieser Alternativen geh¨ ort eine andere Amplitude. Das Ergebnis eines Experimentes, in dem all diese L¨ ocher offen sind, entsteht durch Addition der Amplituden s¨ amtlicher m¨oglicher alternativer Wege (Abb. 4.1). Wir k¨onnen mehr und mehr L¨ ocher in die vorhandenen W¨ande bohren, bis sie schließlich nur noch aus L¨ochern“ bestehen (Abb. 4.2). Die Summe u ¨ber alle Alternativen wird ” dann ein mehrfaches Integral, f¨ ur jede Wand eine Integration u ¨ber die vertikale Koordinate, welche die alternativen H¨ ohen beschreibt, in denen das Elektron die Wand“ ”

28

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

Abb. 4.1: Interferierende Alternativen bei mehreren W¨ anden mit mehreren L¨ ochern.

xb

xc

xd

xe

y

b

c

d

e

Abb. 4.2: Interferierende Alternativen bei v¨ olliger Entfernung der W¨ ande an den Positionen yb , yc , yd .

passiert: K(xe ) =

Z

dxb

Z

dxc

Z

dxd K(xe , xd , xc , xb ) .

Wir k¨onnen diese Prozedur fortsetzen und mehr und mehr W¨ande zwischen Quelle und Detektor setzen und immer mehr L¨ ocher in die W¨ande bohren, bis nichts mehr von den W¨anden u ahrend dieses Prozesses verfeinern wir st¨andig den Weg ¨brig bleibt. W¨ der Elektronen, bis wir schließlich zu unendlich vielen Trajektorien x(y) der Elektronen kommen, wobei x die H¨ ohe des Elektrons u ¨ber der Entfernung y von der Quelle angibt (Abb. 4.3). W¨ahrend dieser Verfeinerung behalten wir das Konzept der Summation u ¨ber unabh¨angige Alternativen (Superpositionsprinzip) bei, sodass wir schließlich zur

4.1 Die Struktur der Wahrscheinlichkeitsamplitude

29 x

y

Abb. 4.3: M¨ ogliche Wege, auf denen das Elektron von der Quelle zum Detektor gelangen kann.

Summe u oglichen Trajektorien der Elektronen kommen: ¨ber alle m¨ X X K[x(y)] . K= K[Wege x(y)] =

(4.1)

{x(y)}

Anstatt die Bahnen des Teilchens durch die vertikale Koordinate x als Funktion der horizontalen Koordinate y anzugeben, k¨ onnen wir die Teilchentrajektorie auch durch einen Parameter, z.B. durch die Zeit t, parametrisieren: x(t), y(t). Analog kennzeichnen wir eine Trajektorie im dreidimensionalen Raum durch einen Vektor r(t) = (x(t), y(t), z(t)) oder x(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t)) . In der obigen Ableitung der Wahrscheinlichkeitsamplitude haben wir die verschiedenen Alternativen der Teilchen durch Trajektorien beschrieben. Eine Trajektorie beinhaltet aber eine eindeutige Festlegung des Ortes als Funktion der Zeit x(t), und damit des Im˙ ˙ pulses p(t) = mx(t), sofern x(t) existiert. Ort und Impuls des Teilchens sind deshalb auf einer einzelnen Trajektorie scharf. Dies widerspricht jedoch nicht der Unsch¨arferelation (3.11), da diese sich auf die Gesamtheit der interferierenden Alternativen bezieht. Die als interferierende Alternativen erhaltenen Trajektorien x(t) m¨ ussen nicht der klassischen Bewegungsgleichung gen¨ ugen und k¨ onnen deshalb beliebig gezackt“ sein. ” Bisher haben wir immer die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur das Ereignis betrachtet, dass ein Teilchen von einer Quelle im Koordinatenursprung ausgeht und nach einer Zeit t mit einem Detektor an einem bestimmten Ort gemessen wird. Ganz allgemein ¨ k¨ onnen wir nach der Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur den Ubergang eines Teilchens von einem Punkt xa zum Zeitpunkt ta zu einem anderen Punkt xb zum Zeitpunkt tb fragen (Abb. 4.4). Die m¨ oglichen Teilchentrajektorien x(t) m¨ ussen dann offenbar den Randbedingungen x(ta ) = xa

,

x(tb ) = xb

(4.2)

30

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude (xb , tb ) x(t) (xa , ta )

0 Abb. 4.4: Teilchentrajektorie x(t) von Ereignis (xa , ta ) zu Ereignis (xb , tb ).

¨ gen¨ ugen. Da diese Amplitude die Wahrscheinlichkeit f¨ ur den Ubergang des Teilchens ¨ von einem Punkt im Raum zu einem anderen beschreibt, wird sie auch als Ubergangsamplitude bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur eine einzelne Trajektorie x(t) schreiben wir als: K[x(t)](xb , tb ; xa , ta ) . ¨ Die Gesamt¨ ubergangsamplitude f¨ ur den Ubergang von (xa , ta ) nach (xb , tb ) erh¨alt man dann nach (4.1), indem man u ber die Amplituden aller Trajektorien x(t) summiert, die ¨ den entsprechenden Randbedingungen (4.2) gen¨ ugen: X K[x(t)](xb , tb ; xa , ta ) (4.3) K(xb , tb ; xa , ta ) = Trajektorien x(t) x(ta )=xa , x(tb )=xb

Zur Vereinfachung der Notation f¨ uhren wir folgende Bezeichnungen ein: a := (xa , ta )

,

b := (xb , tb ) ,

sowie X

{x(t)}

X

:=

.

Trajektorien x(t) x(ta )=xa , x(tb )=xb

¨ Gl. (4.3) f¨ ur die Ubergangsamplitude schreibt sich dann in der kompakten Form X K[x(t)](b, a) . K(b, a) = {x(t)}

¨ F¨ ur eine eindimensionale Bewegung sind die Trajektorien, welche zur gesamten Ubergangsamplitude beitragen und die entsprechenden Randbedingungen erf¨ ullen, in Abb. 4.5 illustriert.

4.2 Der Zerlegungssatz

4.2

31

Der Zerlegungssatz

¨ Im Folgenden wollen wir die Ubergangsamplitude K(b, a) explizit berechnen. Der Einfachheit halber betrachten wir zun¨ achst nur eindimensionale Bewegungen. Wir inte¨ ressieren uns f¨ ur die Ubergangsamplitude des Prozesses, in dem das Teilchen sich zum Zeitpunkt ta am Ort xa befindet und nach der Zeit tb − ta den Ort xb erreicht. Wir betrachten nun einen Zwischenzeitpunkt tc (Abb. 4.6). An einem solchen intermedi¨aren Zeitpunkt kann das Teilchen alle m¨ oglichen Koordinatenwerte x(tc ) annehmen. Zu jedem Koordinatenwert x(tc ) = xc geh¨ oren alternative Wege, auf denen das Teilchen von (xa , ta ) nach (xb , tb ) gelangen kann. Nach dem Superpositionsprinzip, welches bekanntlich das Grundprinzip der gesamten Quantenmechanik ist, m¨ ussen die Amplituden u ¨ber alle alternativen Wege bzw. Ereignisse summiert werden. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass u aren Ort xc des Teilchens zum Zeitpunkt t = tc ¨ber den intermedi¨ zu integrieren ist. Die Gesamt¨ ubergangsamplitude erhalten wir demzufolge, indem wir zun¨achst die Amplitude vom Ausgangspunkt a zum intermedi¨aren Punkt c ≡ (xc , tc ) ¨ betrachten und diese mit der Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur den Ubergang des Teilchens aus dem intermedi¨ aren Punkt c in den Endpunkt b multiplizieren und nach dem Superpositionsprinzip u aren Koordinaten xc integrieren, d.h.: ¨ber alle intermedi¨

K(b, a) =

Z

dxc K(b, c)K(c, a) .

(4.4)

Diese Beziehung wird als Zerlegungssatz bezeichnet und stellt eine Integralgleichung f¨ ur ¨ die Ubergangsamplitude dar. Der Zerlegungssatz ist sozusagen das Huygens’sche Prinzip der Quantenmechanik. In der klassischen Optik kann jeder Punkt einer Wellenfront als Ausgangspunkt einer neuen Kugelwelle betrachtet werden. Damit ist die Wellenfront in einzelne Teilwellen aufspaltbar, deren Summe bzw. Integral wieder die urspr¨ ungliche Welle ergibt. Genauso wird ¨ hier die Ubergangsamplitude an einem intermedi¨aren Zeitpunkt in Teil¨ ubergangsamplituden aufgespalten. ¨ Der Zerlegungssatz (4.4) ist eine nicht-lineare Beziehung f¨ ur die Ubergangsamplitude K: Auf der rechten Seite steht ein Produkt von zwei Amplituden, w¨ahrend auf der linken Seite nur eine steht. Diese Gleichung legt deshalb die Normierung der Amplitude K fest. In der Tat ersetzen wir im Zerlegungssatz K durch αK (α = const), so erhalten wir: 2

αK(b, a) = α

Z∞

dxc K(b, c)K(c, a) .

−∞

Dieser Ausdruck stimmt nur f¨ ur α = 1 mit dem Zerlegungssatz u ¨berein. Der Zerlegungssatz legt jedoch nicht nur die Normierung fest: F¨ uhren wir in der Gleichung des

32

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

Zerlegungssatzes den Grenz¨ ubergang tc → tb durch, so finden wir: Z∞

dxc

−∞



 lim K(xb , tb ; xc , tc ) K(xc , tb ; xa , ta ) = K(xb , tb ; xa , ta ) .

tc →tb

Der Limes tc → tb l¨ asst sich im zweiten Faktor problemlos nehmen, f¨ uhrt jedoch auf eine gleichzeitige“ Amplitude im ersten Faktor, die m¨oglicherweise singul¨ar ist, weshalb wir ” den Limes hier noch nicht vollzogen haben. Diese Beziehung muss f¨ ur beliebige ¨außere Koordinaten xa und xb gelten. Sie kann deshalb nur erf¨ ullt sein, wenn f¨ ur eine beliebige Funktion f (x) gilt: Z∞

dxc lim K(xb , tb ; xc , tc )f (xc ) = f (xb ) . tc →tb

−∞

Dies ist aber gerade die Definition der δ-Funktion (siehe Anhang A) Z∞

−∞

dxc δ(xb − xc )f (xc ) = f (xb ) .

¨ Folglich ist die Ubergangsamplitude f¨ ur gleiche Zeitargumente identisch mit der δFunktion im Ortsraum: lim K(xb , tb ; xc , tc ) ≡ δ(xb − xc ) .

tc →tb

(4.5)

Integrieren wir diese Gleichung u ¨ber dieREndkoordinate x = xb des Teilchens, so erhalten ∞ wir mit tb = t, tc = t − ε, xc = x′ und −∞ dx δ(x − x′ ) = 1: lim

Z∞

ε→0 −∞

dx K(x, t; x′ , t − ε) = 1 .

Diese Beziehung, welche die Normierung der Amplitude festlegt, hat eine anschauliche physikalische Bedeutung und beinhaltet die Erhaltung der Materie bzw. der Wahrscheinlichkeit: Ein Teilchen, das sich zur Zeit t − ε am Ort x′ befand, muss sich zur Zeit t irgendwo im Raum befinden. Wenn wir die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur diesen ¨ Ubergang u ussen wir wieder den ¨ber alle Endkoordinaten summieren bzw. integrieren, m¨ Wert 1 finden, da sich das Teilchen irgendwo befinden muss. Wir k¨onnen nun fortfahren, den Zerlegungssatz (4.4) auf die Teilamplituden f¨ ur die Bewegung von a nach c und von c nach b anzuwenden, indem wir das Zeitintervall [ta , tc ] und [tc , tb ] weiter in kleinere Zeitintervalle [ta , td ] ∪ [td , tc ] bzw. [tc , te ] ∪ [te , tb ] unterteilen (Abb. 4.7). Nach dem Superpositionsprinzip muss sich die Gesamtamplitude wieder durch Summation der Amplituden der alternativen Ereignisse gewinnen lassen, d.h. es muss die Beziehung gelten: Z Z Z K(b, a) = dxd dxc dxe K(b, e)K(e, c)K(c, d)K(d, a) .

4.2 Der Zerlegungssatz

33

x

xb

xa

ta

tb

t

Abb. 4.5: Trajektorien der eindimensionalen Bewegung bei fest vorgegebenen Anfangs- und Endpunkten.

Diese sukzessive Zerlegung der Zeitintervalle k¨ onnen wir fortsetzen, bis wir das gesamte Zeitintervall [tb , tb ] in N (→ ∞) infinitesimal kleine Intervalle der L¨ange ε (→ 0) zerlegt haben: tb − ta = N ε , t0 = ta x0 = xa

tk = t0 + kε xk

tN = tb , xN = xb ,

k = (xk , tk ) . Nach dem Superpositionsprinzip ergibt sich die Gesamtamplitude wieder durch Multiplikation aller Teilamplituden f¨ ur die infinitesimalen Intervalle und anschließender Integration u ¨ber die Koordinaten des Teilchens zu den intermedi¨aren Zeiten. Die Gesamtamplitude l¨asst sich also schreiben als: K(b, a) =

Z

K(N, N − 1)

N −1 Y k=1

dxk K(k, k − 1) .

(4.6)

Interpretieren wir nun die intermedi¨ aren Koordinaten xk als Teilchenkoordinaten auf einer Trajektorie x(t), d.h. xk ≡ x(tk )

(4.7)

und nehmen den Limes N → ∞, so erzeugt die Integration u ¨ber die intermedi¨aren Koordinaten xk gerade die Summation u ¨ber alle Trajektorien x(t), und wir erhalten

34

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude x

xb

xc xa

ta

tc

tb

t

Abb. 4.6: Trajektorien, die zu einem Zwischenzeitpunkt tc durch einen festen Punkt xc laufen.

f¨ ur die Gesamtamplitude das bereits fr¨ uher intuitiv aus dem Experiment gefundene Resultat X K[x(t)](b, a) . K(b, a) = {x(t)}

Die Gesamtamplitude l¨ asst sich wiederum als Summe u ¨ber die Amplituden aller m¨oglichen Teilchentrajektorien schreiben, welche den vorgegebenen Anfangs- und Endbedingungen x(ta ) = xa bzw. x(tb ) = xb gen¨ ugen (Abb. 4.5). Ferner finden wir aus (4.6), dass die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur eine einzelne Trajektorie x(t) durch das Produkt der Amplituden f¨ ur die infinitesimalen Zeitintervalle ε = tk − tk−1 gegeben ist: K[x](b, a) =

N Y

k=1

K(k, k − 1) .

(4.8)

Dieses intuitiv klare Ergebnis ist in Einklang mit der Wahrscheinlichkeitstheorie, wenn man beachtet, dass eine einzelne Trajektorie x(t) aus einer Folge von sich einander bedingenden Ereignissen der Evolution auf den infinitesimalen Zeitabschnitten tk − tk−1 von xk−1 nach xk besteht. Die Wahrscheinlichkeit einer Folge von sich einander bedingenden Ereignissen ist bekanntlich durch das Produkt der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Teilereignisse gegeben. (Dasselbe Multiplikationsgesetz gilt nat¨ urlich auch f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplituden.)

4.3

Vergleich mit der klassischen Mechanik

¨ Die quantenmechanische Ubergangsamplitude K(xb , tb ; xa , ta ) erhalten wir, indem wir die Wahrscheinlichkeitsamplitude aller m¨ oglichen Trajektorien x(t) summieren, welche

4.3 Vergleich mit der klassischen Mechanik

35

x

xk

xb

xa

tk

ta

t tb

Abb. 4.7: Trajektorien, welche in (infinitesimal) kleine Zeitintervalle zerlegt sind.

den Randbedingungen x(ta ) = xa und x(tb ) = xb gen¨ ugen (Abb. 4.5). Die Betonung liegt hier auf alle m¨oglichen Trajektorien. Diese Trajektorien k¨onnen ein beliebiges Zeitverhalten besitzen. Sie k¨ onnen beliebig zackig sein, m¨ ussen jedoch stetig sein und d¨ urfen wegen der Kausalit¨ at nur eine Bewegung in positiver Zeitrichtung beschreiben. Vergleichen wir diese Situation mit der klassischen Mechanik. Hier bewegt sich ein Teilchen nur entlang der Trajektorie minimaler Wirkung. Die Wirkung ist durch

S[x] =

Ztb

ta

dt L(x(t), x(t), ˙ t)

gegeben, wobei die Lagrange-Funktion f¨ ur die Bewegung eines (Punkt-)Teilchens der Masse m in einem Potential V (x) die Form

L(x, x) ˙ =

m 2 x˙ − V (x) 2

(4.9)

besitzt. An dieser Form der Lagrange-Funktion kann man schon erkennen, dass die klassische Trajektorie nicht zackig“, sondern relativ glatt sein wird. Ein Knick in der ” Trajektorie w¨ urde bedeuten, dass x˙ (unendlich) groß und damit S ebenfalls sehr groß w¨ are. Die klassische Trajektorie ist jedoch die mit minimalem S. Extremieren wir die Wirkung (siehe Gl. (D.18)), δS[x] ! =0, δx(t)

36

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

unter den vorgegebenen Randbedingungen x(ta ) = xa

,

x(tb ) = xb ,

so erhalten wir die bekannte Euler-Lagrange-Gleichung d ∂L ∂L − =0. ∂x dt ∂ x˙

F¨ ur eine Lagrange-Funktion der Form (4.9) erhalten wir aus der Euler-Lagrange-Gleichung die Newton’sche Bewegungsgleichung m¨ x=−

∂V (x) . ∂x

Multiplizieren wir die Newton-Gleichung mit der Geschwindigkeit x, ˙ m¨ xx˙ = −x˙

∂V (x) , ∂x

so finden wir die Energieerhaltung  d m 2 d x˙ + V (x) = E = 0 . dt 2 dt

Die Energieerhaltung ist also eine Konsequenz der Stationarit¨at der Wirkung. ¨ In der Quantenmechanik tragen beliebige Trajektorien zur Ubergangsamplitude bei. Diese Trajektorien extremieren i.A. die Wirkung nicht, und folglich bleibt die (klassische) Energie entlang dieser Trajektorien nicht erhalten. Wir werden sp¨ater jedoch sehen, dass die Energie zumindest im Mittel erhalten bleibt. Zusammenfassend k¨onnen wir als Unterschied zwischen klassischer und Quantenmechanik festhalten: In der klassischen Mechanik erfolgt die Bewegung (bei vorgegebenen Randbedingungen) auf einer Trajektorie extremaler (gew¨ohnlich minimaler) Wirkung, entlang der die (klassische) Energie erhalten bleibt. Dem gegen¨ uber erfolgt die Bewegung in der Quantenmechanik auf allen m¨oglichen Trajektorien, die den vorgegebenen Randbedingungen gen¨ ugen. Entlang dieser Trajektorien ist die Energie i.A. nicht erhalten.

4.4

¨ Die explizite Form der Ubergangsamplitude

Wie im Falle der Amplituden der elektromagnetischen Felder, welche wir in der Ein¨ leitung behandelt haben, m¨ ussen wir erwarten, dass auch die Ubergangsamplitude der

¨ 4.4 Die explizite Form der Ubergangsamplitude

37

quantenmechanischen Teilchen i.A. eine komplexe Zahl sein wird. Dies gilt sowohl f¨ ur die Amplitude einer Trajektorie x(t) des gesamten Zeitintervalls, K[x](b, a) = A[x](b, a)eiφ[x](b,a) ,

(4.10)

als auch f¨ ur die Teilamplitude eines infinitesimalen Zeitintervalls: K(k, k − 1) = A(k, k − 1)eiφ(k,k−1) . In den obigen Gleichungen bezeichnet jeweils A = |K| den Betrag und φ die (reelle) Phase der Amplitude. Aus Gl. (4.8) folgt, dass die folgenden Beziehungen gelten m¨ ussen: A[x](b, a) =

N Y

k=1

A(k, k − 1)

,

φ[x](b, a) =

N X

k=1

φ(k, k − 1) .

Die letzte Gleichung bedeutet insbesondere, dass die Phase der Amplitude eine additive Gr¨oße ist und sich aus der Summe der Phasen der einzelnen Teilabschnitte der Trajektorien zusammensetzt. Die bisher unbekannte Phase der Amplitude einer Trajektorie muss also eine additive Gr¨oße sein, welche die Trajektorie des Teilchens charakterisiert. Die einzige additive Gr¨ oße1 dieser Art, die wir aus der klassischen Physik kennen, ist die Wirkungsfunktion S[x](b, a) ≡ S[x] (xb , tb ; xa , ta ) =

Ztb

ta

dt L(x, x, ˙ t) ,

die sich unter Benutzung der Definition des Riemann-Integrals (L(x(t), x(t), ˙ t) ≡ L(t)), Ztb

ta

dt L(t) = lim ε ε→0

N X

k=1

L(tk )

(4.11)

und der Ableitung x(t ˙ k ) = lim

ε→0

x(tk ) − x(tk−1 ) xk − xk−1 = lim ε→0 ε ε

(4.12)

schreiben l¨asst als: S[x](a, b) = lim

ε→0

wobei

N X

k=1

S(k, k − 1) ,

  xk − xk−1 S(k, k − 1) := ǫL (x(tk ), x(t ˙ k ), tk ) = ǫL xk , , tk ǫ

(4.13)

(4.14)

1 Die L¨ ange des Weges w¨ are nat¨ urlich auch eine additive Gr¨ oße. Diese spielt jedoch keine besondere Rolle in der klassischen Mechanik. In der relativistischen Physik jedoch ist die Wirkung einer (klassischen) Punktmasse bis auf einen Proportionalit¨ atsfaktor gerade durch die L¨ ange des Weges im vierdimensionalen Minkowski-Raum gegeben.

38

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

die Wirkung des infinitesimalen Teilabschnittes (k, k − 1) der Trajektorie x(t) ist. Die Wirkung einer Trajektorie ist demnach gleich der Summe der Wirkungen der Teilabschnitte der Trajektorie und wir erwarten deshalb, dass die Phase φ der Amplitude mit der Wirkung verkn¨ upft ist2 . Wegen der Additivit¨at beider Gr¨oßen muss ein Zusammenhang zwischen ihnen linear sein. Da außerdem die Phase dimensionslos sein muss, schreiben wir sie in der Form φ(k, k − 1) =

1 S(k, k − 1) + φ0 , η

wobei φ0 eine dimensionslose Konstante und η eine Konstante von der Dimension der Wirkung sein muss. Der numerische Wert dieser Konstanten l¨asst sich nur aus dem Experiment bestimmen. Es zeigt sich, dass diese gerade durch das Planck’sche Wirkungsquantum ~ gegeben ist: η ≡ ~. Den Wert der Konstante φ0 bestimmen wir weiter unten. Damit nimmt die Amplitude f¨ ur einen infinitesimalen Zeitabschnitt der Trajektorie folgende Gestalt an:   i iφ0 K(k, k − 1) = A(k, k − 1)e exp S(k, k − 1) . (4.15) ~ F¨ ur die Amplitude (4.8) der gesamten Trajektorie x(t) erhalten wir mit (4.13): ˜ a)e ~i S[x](b,a) , K[x](b, a) = A(b, wobei ˜ a) = A(b, a)eiN φ0 A(b, komplex ist. Im Folgenden zeigen wir, dass mit Kenntnis der Phase der Amplitude ihr Betrag durch den in Abschnitt 4.2 erhaltenen Zerlegungssatz eindeutig bestimmt ist. Dazu nehmen ¨ wir in der Ubergangsamplitude f¨ ur ein infinitesimales Zeitintervall (4.15) K(k, k − 1) ≡ K (xk , tk ; xk−1 , tk − ǫ)

(4.16)

den gleichzeitigen Limes ǫ → 0. Mit (4.5) liefert das h i 1 lim K(k, k − 1) = lim A(k, k − 1)eiφ0 e ~ S(k,k−1) = δ (xk − xk−1 ) , (4.17) ǫ→0

ǫ→0

wobei die Wirkung f¨ ur ein infinitesimales Zeitintervall, S(k, k − 1), in Gl. (4.14) gegeben ist. Nehmen wir an, dass die Lagrange-Funktion die u ¨bliche Form L(x(t), x(t)) ˙ =

m 2 x˙ (t) − V (x(t)) 2

(4.18)

2 Diese Wahl erscheint hier vielleicht etwas willk¨ urlich. Man k¨ onnte ja auch beliebige neue additive Gr¨ oßen definieren. Aber wir werden sp¨ ater sehen, dass sich allein mit der Annahme, dass die Wirkung die gesuchte additive Gr¨ oße ist, die Schr¨ odinger-Gleichung ableiten“ l¨ asst. Zum anderen wird die ” Phase eindeutig als die Wirkung identifiziert, wenn wir fordern, dass f¨ ur makroskopische Objekte, d.h. f¨ ur Objekte mit einer großen Wirkung, die Quantenmechanik in die bekannte klassische Mechanik u ater explizit zeigen werden. ¨bergeht, wie wir sp¨

¨ 4.4 Die explizite Form der Ubergangsamplitude

39

besitzt, so finden wir f¨ ur diese Gr¨ oße "

m S(k, k − 1) ≡ S (xk , tk ; xk−1 , tk − ǫ) = ǫ 2



xk − xk−1 ǫ

2

#

− V (xk ) .

(4.19)

Setzen wir diesen Ausdruck in (4.17) ein, so erhalten wir lim K(xk , tk ; xk−1 , tk − ε)

ε→0

"

i ε = lim A(xk , tk ; xk−1 , tk − ε)eiφ0 exp ε→0 ~

m 2



xk − xk−1 ε

2

!#

− V (xk )

=δ(xk − xk−1 ) . F¨ ur ε → 0 divergiert der kinetische Term im Exponenten wie 1/ε, w¨ahrend der PotentialTerm gegen Null geht. Damit reduziert sich obige Beziehung auf:   im 2 ˜ lim A(xk , tk ; xk−1 , tk − ε) exp (4.20) (xk − xk−1 ) = δ(xk − xk−1 ) . ε→0 ~ 2ε Benutzen wir die Darstellung der δ-Funktion, r   λ 2 λ exp i x , δ(x) = lim λ→∞ i2π 2

(4.21)

welche in Abschnitt 6.2 bewiesen wird, mit λ = m/ε~ und x = xk − xk−1 , so erhalten wir r   m im 2 δ(xk − xk−1 ) = lim exp (xk − xk−1 ) . ε→0 i2π~ε ~ 2ε ¨ Der Vergleich mit Gl. (4.20) zeigt, dass der Vorfaktor der Ubergangsamplitude f¨ ur infinitesimale Zeiten ε → 0 durch r m ˜ k , t; xk−1 , t − ε) = A(k, k − 1)eiφ0 ≡ A(x i2π~ε ¨ gegeben ist. Somit ergibt sich die Ubergangsamplitude f¨ ur ein infinitesimal kleines Zeit3 intervall (4.15) zu: !# " r  2 m i m xk − xk−1 K(k, k − 1) = − V (xk ) . (4.23) exp ε i2π~ε ~ 2 ε 3 Der aufmerksame Leser mag sich hier fragen, weshalb wir den Potentialterm ǫV (k) im Exponenten von K(k, k − 1) beibehalten, da er im spter zu verwendenden Limes ǫ → 0 verschwindet. Der Grund ist, dass es im Ausdruck (4.8) f¨ ur die Gesamtamplitude f¨ ur ein endliches Zeitintervall, K(b, a), unendlich viele solcher Terme gibt, die sich im Limes ǫ → 0 zum Rieman-Integral

lim ǫ

ǫ→o

N X

k=1

V (xk ) =

Ztb

dtV (x(t))

ta

aufsummieren und den Potentialanteil der Wirkung ergeben.

(4.22)

40

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

F¨ ur kleine, aber endliche ε liefert Gl. (4.23) eine ausgeschmierte“ δ-Funktion der Breite ” ¨ ε. Dementsprechend ist die Ubergangsamplitude K(x, t; x′ , t − ε) f¨ ur kleine (endliche) Zeitintervalle ε nur f¨ ur Trajektorien zwischen nahe beieinanderliegenden Orten x und x′ wesentlich von Null verschieden. Gl. (4.23) setzen wir jetzt in den Ausdruck (4.6) f¨ ur die Gesamt¨ ubergangsamplitude K(b, a) des endlichen Zeitintervalls [ta , tb ] ein. Bei der Zerlegung des endlichen Zeitintervalls in kleine Zeitintervalle hatten wir vorausgesetzt, dass die Intervalll¨ange ε infinitesimal klein ist. Wir m¨ ussen daher noch den Limes ε → 0 bzw. N → ∞ nehmen und erhalten schließlich f¨ ur die Gesamtamplitude: Z K(b, a) = lim dxN −1 . . . dx1 ε→0 (N →∞) | {z } Summation (Integration) u ¨ ber alle Wege

r

m i2π~ε

|

N

"

N

i X ε exp ~

k=1

m 2 {z



xk − xk−1 ε

Gewicht eines Weges

2

!#

− V (xk )

.

(4.24)

}

F¨ ur ε → 0 geht die Anzahl der Zeitintervalle N gegen unendlich. Im Exponenten k¨onnen wir diesen Grenz¨ ubergang explizit ausf¨ uhren und erhalten nach Gln. (4.11) und (4.12) die klassische Wirkung

S[x](b, a) =

Ztb

dt

ta

m 2

 x˙ 2 − V (x)

(4.25)

zur¨ uck. Ferner ist es bequem, den Ausdruck

lim dxN −1 . . . dx1

ε→0 (N →∞)

r

m i2π~ε

N

=: Dx(t)

(4.26)

als funktionales Integrationsmaß (im Unterschied zum Riemann’schen Integrationsmaß) ¨ zu definieren. Der Ausdruck f¨ ur die Ubergangsamplitude (4.24) nimmt dann folgende Form an:

K(b, a) =

x(tZ b )=xb

x(ta )=xa

i

Dx(t) e ~ S[x](b,a) .

(4.27)

4.5 Phasenraumdarstellung des Propagators

41

die als Funktionalintegral bezeichnet wird. Das Funktionalintegral ist hier eine kompakte Schreibweise f¨ ur die Summation u ¨ber alle Trajektorien und wird deshalb h¨aufig als Pfadintegral bezeichnet4 . Im Gegensatz zum gew¨ohnlichen Riemann-Integral wird hier nicht u ¨ber eine Variable summiert, sondern u ¨ber alle Funktionen x(t), die den vorgegebenen Randbedingungen x(ta ) = xa und x(tb ) = xb gen¨ ugen. Das Funktionalintegral ist damit ein unendlich-dimensionales Riemann-Integral. Wir k¨onnen es jedoch stets auf ein viel-dimensionales Riemann-Integral zur¨ uckf¨ uhren, indem wir das Zeitintervall diskretisieren, d.h. in infinitesimale Zeitintervalle unterteilen, was uns auf den Ausdruck ¨ (4.24) f¨ ur die Ubergangsamplitude zur¨ uckf¨ uhrt. Diese Darstellung des Funktionalinte¨ grals erlaubt uns insbesondere eine explizite Berechnung der Ubergangsamplitude. In einigen F¨allen lassen sich diese Integrale explizit ausf¨ uhren, so z.B. f¨ ur ein freies Teilchen, bei dem das Potential verschwindet. F¨ ur andere, kompliziertere F¨alle werden wir ¨ effizientere Methoden kennen lernen, die Ubergangsamplitude zu bestimmen, ohne das ¨ Funktionalintegral explizit berechnen zu m¨ ussen. Da die Ubergangsamplitude die Ausbreitung des quantenmechanischen Teilchens von einem Ort xa zum Zeitpunkt ta zu ¨ einem anderen Ort xb zur Zeit tb beschreibt, wird diese Ubergangsamplitude auch als Ausbreitungsfunktion oder Propagator bezeichnet.

4.5

Phasenraumdarstellung des Propagators

Die klassische Mechanik kann entweder im Lagrange-Formalismus oder im kanonischen bzw. Hamilton-Formalismus formuliert werden. Die Wirkung ist im HamiltonFormalismus durch die Gleichung Z S[p, x] = dt (px˙ − H(p, x)) (4.28) definiert. Hierbei ist H(p, x) =

p2 + V (x) 2m

die klassische Hamilton-Funktion. Im Hamilton-Formalismus haben wir anstatt Koordinate und Geschwindigkeit nun Koordinate und Impuls als unabh¨angige Variablen5 , welche gemeinsam den Phasenraum aufspannen. Extremieren wir die kanonische Form der Wirkung (4.28) bez¨ uglich der unabh¨ angigen Variablen p und x, so erhalten wir die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen p˙ = −

∂V ∂x

,

x˙ =

p . m

Diese beiden Gleichungen sind offenbar der Euler-Lagrange-Gleichung bzw. der Newton’schen Bewegungsgleichung ¨ aquivalent. 4 Die Pfadintegral-Formulierung der Quantenmechanik geht auf P. Dirac zur¨ uck. Sie wurde von R. Feynman vervollst¨ andigt und auf die Quantenfeldtheorie angewandt. 5 Der Ubergang ¨ von dem Lagrange-Formalismus zum Hamilton-Formalismus erfolgt durch eine Legendre-Transformation von den Geschwindigkeiten x˙ zu den Impulsen p als unabh¨ angige Variable.

42

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

Auch der quantenmechanische Propagator l¨ asst sich entweder im Lagrange- oder Hamilton-Formalismus darstellen. Im Folgenden transformieren wir die oben abgeleitete Lagrange-Form des quantenmechanischen Propagators in die kanonische Form. Dazu benutzen wir die Identit¨ at r   m im exp (xk − xk−1 )2 i2π~ε ~ 2ε   Z∞ i p2 i dpk = exp − ε k + pk (xk − xk−1 ) . (4.29) 2π~ ~ 2m ~ −∞

Diese Identit¨at ergibt sich sofort, wenn man auf der rechten Seite das Quadrat vervollst¨andigt und das entstehende Gauß-Integral6 ausf¨ uhrt. Setzen wir diese Beziehung in Gl. (4.24) ein, so erhalten wir f¨ ur den Propagator: Z dp1 dx1 dpN dpN −1 dxN −1 ... K(b, a) = lim ε→0 2π~ 2π~ 2π~ "  2 # N  X xk − xk−1 pk i ε pk − + V (xk ) . (4.30) × exp ~ ε 2m k=1

Im Limes ε → 0 geht der Ausdruck im Exponenten in die kanonische Form der klassischen Wirkung (4.28) u ¨ber. Definieren wir das Integrationsmaß des unendlich dimensionalen Riemann-Integrals u ¨ber Koordinaten und Impulse wieder als Funktionalintegrationsmaß,

lim

ε→0

Z

dpN 2π~

Z Z NY −1 dpk dxk =: Dp(t) Dx(t) , 2π~ k=1

so erhalten wir f¨ ur die Phasenraumdarstellung des quantenmechanischen Propagators: K(b, a) = ≡

Z

Z

Dp(t) Dx(t) exp

  Z i dt (px˙ − H(p, x)) ~

i

Dp(t) Dx(t) e ~ S[p,x] .

Diese Darstellung besagt, dass wir den quantenmechanischen Propagator erhalten, ini dem wir u ¨ber alle Trajektorien des Phasenraumes mit dem Gewicht e ~ S[p,x] der klassischen Wirkung summieren, wobei S[p, x] die kanonische Form (4.28) der klassischen 6 Streng genommen handelt es sich hier um ein Gauß-Integral mit imagin¨ aren Exponenten, welches auch als Fresnel-Integral bezeichnet wird. Durch analytische Fortsetzung l¨ asst es sich offenbar in ein gew¨ ohnliches Gauß-Integral (mit reellen Exponenten) u uhren, siehe Anhang B. Wir werden das ¨berf¨ Fresnel-Integral explizit in Abschnitt 6.1 berechnen und damit die Identit¨ at (4.29) reproduzieren, siehe Gl. (6.3).

4.6 Der Propagator eines freien Teilchens

43

Wirkung ist. In Analogie zur Darstellung des quantenmechanischen Propagators im i Ortsraum k¨onnen wir deshalb e ~ S[p,x] als klassischen Propagator bzw. Propagator entlang der klassischen Phasenraumtrajektorie bezeichnen: Z i K(b, a) = Dp(t) Dx(t) K[p(t), x(t)] , K[p(t), x(t)] = e ~ S[p,x] . Bemerkungen: 1) In der Phasenraumdarstellung des Propagators (4.30) tr¨agt jeder Freiheitsgrad, welcher durch jeweils eine Koordinate und einen Impuls charakterisiert ist, zum Integrationsmaß einen Faktor 1/2π~ bei. Die physikalische Interpretation dieses Faktors wird sp¨ ater gegeben. 2) In der Funktionalintegral-Darstellung des Propagators wird u ¨ber den Endimpuls pN ≡ p(tN ) der Phasenraumtrajektorie, nicht aber u ¨ber die Endkoordinate xN integriert. Diese Koordinate wird durch die ¨außere Randbedingung xN = xb vorgegeben. Der ¨ außere Impuls, d.h. der Endimpuls l¨asst sich jedoch nicht gleichzeitig mit der Endposition des Teilchens vorgeben, sondern es wird bei vorgegebenen Ort u ¨ber den Impuls integriert, d.h. der Impuls des Teilchens am Ende der Trajektorie, wo der Ort fest vorgegeben ist, ist v¨ollig ¨ unbestimmt. Dies ist in Ubereinstimmung mit der Unsch¨arferelation (3.11): ∆x → 0

4.6



∆p → ∞ .

Der Propagator eines freien Teilchens

Im Folgenden wollen wir den quantenmechanischen Propagator f¨ ur ein freies Teilchen (V (x) = 0) in der Phasenraumdarstellung explizit berechnen. Die Hamilton-Funktion besitzt hier die einfache Gestalt H(p, x) =

p2 . 2m

Setzen wir diese Form in die Phasenraumdarstellung des Propagators ein, so erhalten wir: " # Z Z NY N  −1 dpN xk − xk−1 p2k i X dpk dxk . exp ε pk − K(b, a) = 2π~ 2π~ ~ ε 2m k=1

k=1

Die Impulsintegrale sind Gauß-Integrale und k¨ onnten im Prinzip unmittelbar ausgef¨ uhrt werden. Dies w¨ urde uns auf die Lagrange-Darstellung des Propagators f¨ uhren. Es ist jedoch einfacher, zuerst die Integrale u uhren. Dazu sortieren ¨ber die Ortsvariablen auszuf¨ wir zun¨achst die Exponenten nach den Ortskoordinaten xk . Integrieren wir nun z.B.

44

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

u ¨ber x1 , so erhalten wir die Fourier-Darstellung der δ-Funktion7 : Z∞

dx1 e

i ~ x1 (p1 −p2 )

=~

Z∞

−∞

−∞

dz eiz(p1 −p2 ) = 2π~δ(p1 − p2 ) .

Anschließende Integration u ¨ber p1 liefert: Z∞

−∞

dp1 2π~δ(p1 − p2 ) exp 2π~



i p21 i ε − x0 p1 ~ 2m ~



 2   p i ε 2 + p2 x0 . = exp − ~ 2m

F¨ uhren wir jetzt die Integration u ¨ber x2 aus, erhalten wir: Z∞

−∞

i

dx2 e ~ x2 (p2 −p3 ) = 2π~δ(p2 − p3 ) .

Aufgrund der entstehenden δ-Funktion l¨ asst sich nun das Integral u ¨ber den Impuls p2 in trivialer Weise ausf¨ uhren. Wir erhalten:   dp2 i p22 i 2π~δ(p2 − p3 ) exp − 2ε − x0 p2 2π~ ~ 2m ~ −∞    p23 i 2ε + x0 p3 . = exp − ~ 2m Z∞

Dieses Spiel der sukzessiven Ausintegration von Ort- und Impulsvariable l¨asst sich fortf¨ uhren, bis zum Schluss nur noch das Integral u ¨ber den Endimpuls des Teilchens u ¨brig bleibt: K(b, a) =

Z∞

−∞

  dpN i p2 i exp − N ε N + pN (xN − x0 ) . 2π~ ~ 2m ~

Beachten wir, dass x0 = xa und xN = xb und bezeichnen die verbleibende Impulsvariable mit p, so erhalten wir f¨ ur den Propagator schließlich die Darstellung K(xb , tb ; xa , ta ) =

Z∞

−∞

  i p2 i dp exp − (tb − ta ) + p(xb − xa ) . 2π~ ~ 2m ~

(4.31)

Die obige Ableitung des quantenmechanischen Propagators des freien Teilchens zeigt: Durch Integration u aren Koordinaten xi = x(ti ) des Teilchens (d.h. ¨ber die intermedi¨ 7 Bei Anwesenheit eines Potentials l¨ asst sich die Integration u ¨ber den Ort i.A. nicht in geschlossener Form durchf¨ uhren. Ausnahmen sind Potentiale der Gestalt V (x) = a2 x2 + a1 x + a0 mit beliebigen reellen Koeffizienten a2 , a1 , a0 . Jedoch f¨ uhrt in diesem Fall die Integration u ¨ber den Ort nicht zur Impulserhaltung. (Im ortsabh¨ angigen Potential sind die Impulse nat¨ urlich nicht erhalten.)

4.6 Der Propagator eines freien Teilchens

45

durch die Summation u ¨ber alle Trajektorien im Ortsraum) hat das freie Teilchen einen wohldefinierten, intermedi¨ aren Impuls pi erhalten, der in der Zeitentwicklung erhalten bleibt. Die Gesamt¨ ubergangsamplitude setzt sich aus den Beitr¨agen von allen beliebigen (zeitlich erhaltenen) Impulsen zusammen. In der Tat zeigt (4.31), dass der Propagator ¨ durch eine Uberlagerung von ebenen Wellen mit der Wellenzahl k=

p , ~

−∞ < k < ∞

und der Frequenz ω=

E , ~

E=

p2 2m

¨ gegeben ist. W¨ahrend Anfangs- und Endkoordinate der Trajektorien, die zur Ubergangsamplitude beitragen, fixiert sind, ist der erhaltene Impuls v¨ollig unbestimmt. Dies ist in ¨ Ubereinstimmung mit der Heisenberg’schen Unsch¨arfebeziehung: Geben wir Anfangsund Endkoordinaten des Ortes vor, so ist der Ort exakt bekannt, d.h. die Unsch¨arfe verschwindet: ∆x = 0. Demzufolge muss der Impuls absolut unscharf sein. Dies dr¨ uckt sich durch die Integration u ¨ber die Impulse, d.h. durch die Summation u ¨ber die Trajektorien mit allen m¨oglichen Impulsen aus. Formal ist (4.31) ein gew¨ ohnliches Fourier-Integral K (xb , tb ; xa ta ) =

Z∞

−∞

dp i p(xb −xa ) K (tb , ta ; p) . e~ 2π~

(4.32)

Hierbei ist   i p2 (tb − ta ) K (tb , ta ; p) = exp − ~ 2m

(4.33)

offenbar die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur die Ausbreitung des Teilchens w¨ahrend der Zeit tb − ta mit konstantem Impuls p. Das in (4.31) verbleibende Impulsintegral l¨ asst sich nat¨ urlich ausf¨ uhren. Wir erhalten dann die Lagrange-Darstellung des Propagators:

K(xb , tb ; xa , ta ) =

r

m exp i2π~(tb − ta ) i

≡ A(tb − ta )e ~ S(b,a) .



i m (xb − xa )2 ~ 2 tb − ta



(4.34)

Der Exponent ist wieder durch die klassische Wirkung 2

S(b, a) =

m (xb − xa ) m = v 2 (tb − ta ) , 2 tb − ta 2

v=

xb − xa tb − ta

(4.35)

46

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

gegeben, welche die Propagation des freien Teilchens mit konstanter Geschwindigkeit v beschreibt. Dr¨ ucken wir diese Wirkung in der kanonischen Form ¯ b − ta ) , S(b, a) = p¯(xb − xa ) − E(t

p¯ = mv ,

2 ¯ = p¯ E 2m

nach (4.28) aus, so erhalten wir f¨ ur den Propagator des freien Teilchens:

K(xb , tb ; xa , ta ) =

r

m exp i2π~(tb − ta )



 i ¯ i p¯(xb − xa ) − E(tb − ta ) . ~ ~

(4.36)

Vergleichen wir diese Darstellung mit (4.31), so stellen wir folgenden Unterschied fest: W¨ahrend in (4.31) die quantenmechanische Amplitude durch Superposition der Ami plituden e ~ S aller m¨ oglichen Trajektorien zu den vorgegebenen Randpunkten gegeben ist, die sich in den Impulsen p unterscheiden, wird in (4.36) dieselbe Amplitude allein durch den Beitrag der station¨ aren Trajektorie p¯ = mv, welche die Wirkung minimiert, gegeben. Anstatt des Integrals u ¨ber p, d.h. der Summation u ¨ber alle p Trajektorien mit p = const (ebenen Wellen), haben wir hier jedoch einen Vorfaktor m/(2iπ~(tb − ta )), der offenbar den Effekt der Summation u ¨ber die verschiedenen p-Trajektorien und damit die Quanteneffekte enthalten muss8 . Dies wird besonders deutlich, wenn man beachtet, dass f¨ ur das Gauß-Integral u ¨ber p die station¨are Phasenapproximation (siehe Abschnitt 6.1) exakt ist. Die station¨ are Trajektorie, die den Exponenten von (4.31) bez¨ uglich p extremiert, ist in der Tat die klassische Trajektorie p¯ = mv, v = (xb − xa )/(tb − ta ), und das Integral u ¨ber die Impulsfluktuationen p′ = p − p¯ liefert gerade den Vorfaktor in (4.36). Die Darstellung (4.36) zeigt, dass der quantenmechanische Propagator des freien Teilchens durch eine ebene Welle mit zeitabh¨angiger Amplitude gegeben ist. Letztere beschreibt den Effekt der Quantenfluktuationen des Teilchens um die klassische Trajektorie. Lassen wir im Propagator (4.34) die Endzeit gegen die Anfangszeit streben und beachten, dass K nur von der Zeitdifferenz abh¨ angt, so finden wir mit (6.5): lim K(xb , tb ; xa , ta ) = lim K(xb , ε; xa , 0) = δ(xb − xa ) .

tb →ta

ε→0

Dieses Ergebnis hatten wir bereits fr¨ uher f¨ ur den Propagator eines Teilchens in einem beliebigen Potential gefunden (siehe Gl. (4.5)). Abschließend bemerken wir noch, dass der Propagator des freien Teilchens (4.34) korrekt normiert ist: Z∞

dxb K(xb tb ; xa ta ) = 1 .

−∞

8 Es ist eine Besonderheit des freien Teilchens, dass alle Quanteneffekte in einem Vorfaktor enthalten sind. Dies ist i.A. nicht der Fall!

4.7 Energiedarstellung des Propagators

4.7

47

Energiedarstellung des Propagators

¨ ¨ Die oben in den Abschnitten 4.1, 4.2, 4.3, 4.4 angestellten Uberlegungen zur Ubergangsamplitude gelten f¨ ur beliebige zeitabh¨ angige Potentiale. Im vorliegenden Abschnitt wollen wir uns auf Potentiale beschr¨ anken, die nicht von der Zeit abh¨angen. F¨ ur zeitunabh¨angige Potentiale ist die Energie eines klassischen Teilchens erhalten. Wegen der Homogenit¨at der Zeit darf f¨ ur solche Potentiale der Propagator K(x, t; x′ , t′ ) nur von ′ der Zeitdifferenz t − t abh¨ angen.

Der quantenmechanische Propagator K(x, t; x′ , t′ ) beschreibt die Ausbreitung des Teilchens von (x′ , t′ ) nach (x, t). Wie wir fr¨ uher gesehen hatten, erfolgt diese Ausbreitung auf allen m¨oglichen Trajektorien zwischen den vorgegebenen Randpunkten. Diese Trajektorien haben eine beliebig komplizierte Gestalt und bei der Bewegung des Teilchens auf einer solchen Trajektorie bleibt deshalb die Energie i.A. nicht erhalten, sodass das quantenmechanische Teilchen (selbst im zeitunabh¨angigen Potential) w¨ahrend seiner Zeitevolution keine scharfe Energie besitzt. Wir k¨onnen jedoch den vollen Propagator mittels Fourier-Transformation nach Komponenten mit scharfer Energie entwickeln (analog zur Fourier-Zerlegung des Propagators des freien Teilchens (4.32) in Komponenten mit scharfem Impuls): ′



K(x, t; x , t ) =

Z∞

−∞

dE − i E(t−t′ ) K(x, x′ ; E) . e ~ 2π~

Der Propagator zur festen Energie E ist dann durch die inverse Fourier-Transformation ′

K(x, x ; E) =

Z∞

i

dT e ~ ET K(x, t; x′ , t′ )

(4.37)

−∞ ′

mit T = t − t gegeben. Setzen wir hier auf der rechten Seite den Propagator des freien Teilchens (4.31) ein und benutzen die Fourier-Darstellung der δ-Funktion (A.17), so erhalten wir f¨ ur den freien Propagator mit fester Energie ′

K(x, x ; E) =

Z∞

−∞

  ′ i p2 . dp e ~ p(x−x ) δ E − 2m

(4.38)

Dieser Propagator gibt die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur die Ausbreitung des freien Teilchens mit Energie E von x′ nach x an. Zum Integral tragen nur solche Impulse √ p = ± 2mE (4.39) bei, f¨ ur welche das klassische Teilchen die vorgegebene Energie E besitzt. Unter Benutzung von (A.11) und (A.14) finden wir nach Ausf¨ uhren des Integrals r  √ ′ i 2m  i √2mE(x−x′ ) K(x, x′ ; E) = (4.40) + e− ~ 2mE(x−x ) e~ E ¨ Dies ist eine Uberlagerung von ebenen Wellen mit den bei vorgegebener Energie E klassisch erlaubten Impulsen (4.39).

48

4 Die Wahrscheinlichkeitsamplitude

4.8

Der Propagator einer Punktmasse in drei Dimensionen

Die obigen Betrachtungen lassen sich unmittelbar auf die Bewegung eines Teilchens in mehreren Dimensionen verallgemeinern. Hierzu sind lediglich die Koordinaten und Impulse durch die entsprechenden Vektoren zu ersetzen x→x

p → p.

(4.41)

b = (xb , tb )

(4.42)

,

Mit der angepassten Notation a = (xa , ta )

findet man f¨ ur den quantenmechanischen Propagator einer Punktmasse m im

K(b, a) =

x(tZ b )=xb

i

Dx(t)e ~ S[x](b,a) ,

R3 (4.43)

x(ta )=xa

wobei das Pfadintegral u amtliche Trajektorien x(t) summiert, die den Randbedin¨ber s¨ gungen x(ta ) = xa

,

x(tb ) = xb

(4.44)

gen¨ ugen und S[x](b, x) die klassische Wirkung dieser Trajektorien ist. Zerlegen wir das Zeitintervall tb − ta wieder in infinitesimale Abschnitte ε und definieren tk = ta + kε

,

xk = x(tk ) ,

(4.45)

so ist mit9 d3 xk = d(xk )1 d(xk )2 d(xk )3 das funktionale Integrationsmaß durch (vergl. (4.26))

d3 xN −1 · · · d3 x1 Dx(t) := lim ε→0 (N →∞)

 m 3N/2 i2π~ε

(4.46)

gegeben. F¨ ur ein freies Teilchen l¨ asst sich das Funktionalintegral (4.43) analog zum eindimensionalen Fall in geschlossener Form ausf¨ uhren und man erh¨alt (vergl. Gln. (4.31) und (4.34)) 9 (x ) , (x ) , (x ) k 1 k 2 k 3

bezeichnen die kartesischen Koordinaten des Vektors xk .

4.8 Der Propagator einer Punktmasse in drei Dimensionen

  d3 p i p2 i exp − (t − t ) + p(x − x ) b a b a (2π~)3 ~ 2m ~ −∞ " # 3 r 2 i m (xb − xa ) m exp , = i2π~(ta − ta ) ~ 2 tb − ta

K(b, a) =

49

Z∞

(4.47)

wobei wir im letzten Ausdruck die Integrationen u ¨ber die kartesischen ImpulskompoR∞ R∞ R∞ R∞ 3 dp3 ausgef¨ uhrt haben. dp2 dp1 d p= nenten −∞

−∞

−∞

−∞

5

Die Wellenfunktion

5.1

¨ Wellenfunktion und Ubergangsamplitude

¨ Der bisher betrachtete quantenmechanische Propagator (d.h. die Ubergangsamplitude) K(b, a) = K(xb , tb ; xa , ta ) gibt die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur das Ereignis an, dass sich ein Teilchen, welches sich zum Zeitpunkt t = ta am Ort x = xa befand, nach dem Zeitintervall tb − ta am Ort x = xb befindet. Dementsprechend ist |K(xb , tb ; xa , ta )|2

(5.1)

die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen zur Zeit t = tb am Ort x = xb anzutreffen, falls es zur Zeit t = ta am Ort x = xa registriert wurde. Im Sinne der Wahrscheinlichkeitstheorie ist dies eine sogenannte bedingte Wahrscheinlichkeit: |K(b, a)|2 ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur, dass das Ereignis b = (xb , tb ) eintritt, falls das Ereignis a = (xa , ta ) eingetreten ist. Im atomaren Bereich lassen sich jedoch in einem Experiment i.A. nicht die bedingten Wahrscheinlichkeiten |K(b, a)|2 bestimmen, sondern nur die unbedingten (echten) Wahrscheinlichkeiten, ein Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt t = tb am Ort x = xb zu finden. Diese unbedingte Wahrscheinlichkeit wollen wir mit w(xb , tb ) bezeichnen und die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeitsamplitude mit ψ(xb , tb ), sodass gilt: w(xb , tb ) = |ψ(xb , tb )|2 .

(5.2)

Die unbedingte Wahrscheinlichkeit w(xb , tb ) wird auch als Aufenthaltswahrscheinlich” keit“ bezeichnet, da sie die Wahrscheinlichkeit angibt, ein Teilchen zum Zeitpunkt t = tb am Ort x = xb zu registrieren. Da sich das betrachtete Teilchen irgendwo im Raum aufh¨alt, muss die Aufenthaltswahrscheinlichkeit zu einem beliebigen Zeitpunkt t offensichtlich der Normierungsbedingung Z∞

dx w(x, t) = 1

(5.3)

−∞

gen¨ ugen. Dr¨ ucken wir hier die Aufenthaltswahrscheinlichkeit w(x, t) nach (5.2) durch ihre Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x, t) aus, so lautet die Normierungsbedingung (5.3) Z∞

−∞

2

dx |ψ(x, t)| =

Z∞

−∞

dx ψ ∗ (x, t)ψ(x, t) = 1 .

(5.4)

52

5 Die Wellenfunktion

Wir wollen jetzt untersuchen, wie sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit w(x, t) bzw. ihre Amplitude ψ(x, t) im Verlaufe der Zeit ver¨andert. Dazu nehmen wir an, wir h¨atten zum Zeitpunkt t = t0 eine Ortsmessung des Teilchens durchgef¨ uhrt und das Teilchen am Ort x = x0 registriert. Zu einem sp¨ ateren Zeitpunkt ta > t0 besitzt das Teilchen keinen scharf bestimmten Ort mehr, denn eine Ortsmessung zum Zeitpunkt t = ta w¨ urde uns die Verteilung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit w(xa , ta ) = |K(xa , ta ; x0 , t0 )|2

(5.5)

¨ liefern1 . In diesem Fall stimmt die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(xa , ta ) mit der Ubergangsamplitude K(xa , ta ; x0 , t0 ) u berein, wie ein Vergleich von (5.2) und (5.5) zeigt: ¨ ψ(xa , ta ) ≡ K(xa , ta ; x0 , t0 ) .

(5.6)

Messen wir den Ort des Teilchens nicht zur Zeit t = ta , sondern erst zu einer sp¨ateren Zeit t = tb > ta , so gilt analog zu (5.6): ψ(xb , tb ) = K(xb , tb ; x0 , t0 ) .

(5.7)

¨ Die in Gl. (5.5) und (5.7) auftretenden Ubergangsamplituden K(xa , ta ; x0 , t0 ) und K(xb , tb ; x0 , t0 ) sind u ¨ber den Zerlegungssatz (4.4) miteinander verbunden: Z K(xb , tb ; x0 , t0 ) = dxa K(xb , tb ; xa , ta )K(xa , ta ; x0 , t0 ) . (5.8) Hieraus erhalten wir mit Gln. (5.6) und (5.7) eine analoge Beziehung f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x, t):

ψ(xb , tb ) =

Z

dxa K(xb , tb ; xa , ta )ψ(xa , ta ) .

(5.9)

Dies ist das gesuchte Evolutionsgesetz f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x, t). Es besitzt eine sehr anschauliche Interpretation: Die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(xb , tb ) zu einem Zeitpunkt tb ergibt sich aus der Amplitude ψ(xa , ta ) eines fr¨ uheren Zeitpunk¨ tes ta < tb , indem wir entsprechend dem Superpositionsprinzip die Ubergangsamplitude K(b, a) mit dem Gewicht ψ(xa , ta ) u ¨ber alle Anfangskoordinaten xa summieren bzw. integrieren. Die Gr¨oße ψ(xb , tb ) enth¨ alt keinerlei Referenz mehr zum Anfangszeitpunkt ta oder zur Anfangskoordinate xa , wohl aber noch Information dar¨ uber. Sie wird nat¨ urlich durch die Anfangsverteilung ψ(xa , ta ) und damit durch die Vorgeschichte mitbestimmt. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(xb , tb ) wird als Wellenfunktion bezeichnet, da sich ihre Evolutionsgleichung (5.9) in eine Wellengleichung umwandeln l¨asst, wie wir sp¨ater noch sehen werden. 1 In Abschnitt 5.2 werden wir sehen, dass eine scharfe Lokalisierung im Ortsraum auf eine nichtnormierbare Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x, t) f¨ uhrt (siehe Gl. (5.17)). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung (5.5) bzw. die Wahrscheinlichkeitsamplitude (5.7) ist deshalb nicht normierbar.

5.2 Die Wellenfunktion des freien Teilchens

53 xb

xa

ψ(xa , ta )

ta

K

tb

ψ(xb , tb )

Abb. 5.1: Evolution der Wellenfunktion.

5.2

Die Wellenfunktion des freien Teilchens

Ist die Wellenfunktion f¨ ur einen beliebigen Zeitpunkt t0 bekannt, also ψ(x, t = t0 ) = ψ0 (x) ,

(5.10)

so l¨asst sich aus Gl. (5.9) und der Kenntnis der expliziten Form des Propagators (4.31) die Wellenfunktion des freien Teilchens f¨ ur einen beliebigen sp¨ateren Zeitpunkt gewinnen. Einsetzen von (4.31) und (5.10) in (5.9) liefert: ψ(x, t) =

Z∞

dp exp 2π~

−∞



i p2 i px − t ~ ~ 2m

 Z∞

i



dx′ e− ~ px ψ0 (x′ ) .

(5.11)

−∞

Hierbei haben wir der Einfachheit halber die Anfangszeit t0 = 0 gesetzt. Das Ortsintegral liefert gerade die Fourier-Transformierte der Anfangswellenfunktion ψ0 (p) ≡

Z∞

i



dx′ e− ~ px ψ0 (x′ ) ,

(5.12)

−∞

sodass ψ(x, t) =

Z∞

−∞

   p2 i dp px − exp t ψ0 (p) . 2π~ ~ 2m

Wir betrachten nun einige Beispiele f¨ ur die Anfangsverteilung der Teilchen.

(5.13)

54

5 Die Wellenfunktion

1) Zum Zeitpunkt t = 0 habe die Wellenfunktion die Form einer ebenen Welle mit Impuls p0 : i

ψp0 (x) = e− ~ p0 x .

(5.14)

Setzen wir diesen Ausdruck in (5.12) ein, so finden wir f¨ ur die FourierTransformierte eine δ-Funktion im Impulsraum: ψp0 (p) = 2π~δ(p − p0 ) . F¨ ur die zeitabh¨ angige Wellenfunktion (5.13) erhalten wir dann offenbar wieder eine ebene Welle mit Impuls p0 :   i i p20 ψp0 (x, t) = exp p0 x − t . (5.15) ~ ~ 2m Dies zeigt, dass eine ebene Welle auch in der Zeitentwicklung eine ebene Welle bleibt, was auch anschaulich v¨ ollig klar ist: Eine Teilchenverteilung, die bereits gleichm¨ aßig u ¨ber den gesamten Raum verteilt ist, kann sich nicht noch weiter ausbreiten. Ohne Einfluss eines lokalisierten Potentials, d.h. einer ¨außeren Kraft, kann sie sich auch nicht im Raum lokalisieren. ¨ F¨ ur das sogenannte Uberlappungsintegral zweier Wellenfunktionen (5.15) mit Impulsen p1 und p2 finden wir: Z∞

−∞

dx ψp∗1 (x, t)ψp2 (x, t) = 2π~δ(p1 − p2 ) .

(5.16)

Lassen wir hier p1 gegen p2 gehen, so stellen wir fest, dass das Normierungsintegral (5.16) f¨ ur die Wellenfunktion (5.15) divergiert (→ 2π~δ(0)). Die Wellenfunktion (5.14) kann also kein einzelnes Teilchen beschreiben. Eine ebene Welle mit einer von Null verschiedenen Amplitude kann deshalb nur ein Ensemble von (unendlich vielen) freien Teilchen mit demselben Impuls beschreiben. 2) Die Wellenfunktion sei zum Zeitpunkt t0 = 0 im Ortsraum am Punkt x = x0 lokalisiert und durch ψx0 (x) = δ(x − x0 )

(5.17)

gegeben. Die Fourier-Transformation der δ-Funktion liefert: i

ψx0 (p) = e− ~ px0 . Setzen wir dieses Ergebnis in Gl. (5.13) ein, so erhalten wir: ψx0 (x, t) =

Z∞

−∞

dp exp 2π~



 i p2 i i px − t e− ~ px0 . ~ ~ 2m

5.3 Wellenpakete

55

Die Ausf¨ uhrung des Impulsintegrals liefert den bereits fr¨ uher gewonnenen ¨ Ausdruck f¨ ur die Ubergangsamplitude eines freien Teilchens (4.34), das sich zum Zeitpunkt t = 0 am Ort x0 befand: r   i m (x − x0 )2 m . (5.18) exp ψx0 (x, t) = i2π~t ~ 2 t Mit der Beziehung (6.5) zeigt man leicht, dass diese Wellenfunktion f¨ ur t → 0 die Anfangsbedingung (5.17) erf¨ ullt: lim ψx0 (x, t) = δ(x − x0 ) .

t→0

F¨ ur t > 0 beschreibt diese Wellenfunktion offenbar eine in der Zeit zerfließende δ-f¨ormige Verteilung, siehe Abb. 5.2. Wir beobachten hier, dass ein im Ort lokalisiertes Teilchen in der Quantenmechanik kein station¨ arer Zustand ist und dass das Teilchen mit wachsender Zeit sich mehr und mehr im Raum ausbreitet, was durch das Zerfließen der ¨ Wellenfunktion zum Ausdruck kommt. Berechnen wir das Uberlappungsintegral zweier Wellenfunktionen (5.18), welche zum Zeitpunkt t = 0 an den Orten x1 und x2 lokalisiert sind, so finden wir: Z∞

dx ψx∗1 (x)ψx2 (x)

−∞

   i m x22 − x21 im x(x1 − x2 ) exp dx exp ~ t ~ 2 t −∞   i m x22 − x21 =δ(x1 − x2 ) exp = δ(x1 − x2 ) . ~ 2 t m = 2π~t

Z∞



F¨ ur x1 → x2 finden wir f¨ ur das Normierungsintegral δ(0) → ∞. Die Wellenfunktionen (5.18) sind also nicht normierbar. Auch die δ-Funktion kann also kein einzelnes Teilchen beschreiben.

5.3

Wellenpakete

Die beiden oben betrachteten Wellenfunktionen stellen mathematische Idealisierungen dar, die in der Natur nicht realisierbar sind. Die ebene Welle (5.14) besitzt einen scharfen Impuls p0 und muss deshalb nach dem Unsch¨arfeprinzip eine unendlich große Ortsunsch¨arfe besitzen (die ebene Welle ist im ganzen Raum ausgebreitet). Umgekehrt besitzt die im Ortsraum lokalisierte δ-Funktion einen scharfen Ort (∆x = 0) und demzufol-

56

5 Die Wellenfunktion

Re ψx0 (x, t)

t x0 Abb. 5.2: Realteil der Wellenfunktion (5.18) f¨ ur verschiedene Zeiten.

ge eine unendlich große Impulsunsch¨ arfe (∆p → ∞). In der Tat tragen zur δ-Funktion s¨amtliche Fourier-Komponenten (Impulse) bei. Ein in der Natur realisiertes Teilchen wird hingegen sowohl eine endliche Orts- als auch Impulsunsch¨arfe in Einklang mit der Unsch¨arferelation (∆p ∆x & ~/2) besitzen, die wir in Abschnitt 12.4 noch streng ableiten werden. Betrachten wir deshalb nun eine im Ort lokalisierte Wellenfunktion mit einer endlichen Ortsunsch¨arfe. Dazu verschmieren“ wir die δ-Funktion etwas, was uns auf eine Gauß” Verteilung   1 (x − x0 )2 C √ exp − 2 a2 2πa

(5.19)

f¨ uhrt, wobei wir hier eine zun¨ achst beliebige komplexe Konstante C eingef¨ uhrt haben. Diese Funktion ist ebenfalls bei x = x0 lokalisiert, besitzt jedoch eine endliche Breite a, die wir als Ortsunsch¨ arfe interpretieren k¨ onnen. Im Limes a → 0 geht sie f¨ ur C = 1 in δ(x−x0 ) u ¨ber. Die Wellenfunktion (5.19) beschreibt ein um x = x0 lokalisiertes Teilchen mit verschwindendem mittleren Impuls (hpi = 0). Um ein sich bewegendes Teilchen zu erhalten, multiplizieren wir die Funktion (5.19) noch mit einer ebenen Welle:   i C 1 (x − x0 )2 ψ0 (x) = √ exp − e ~ p0 x . 2 2 a 2πa

(5.20)

Diese Wellenfunktion beschreibt ein am Ort x0 mit einer Unsch¨arfe ∆x ∼ a lokalisiertes Teilchen mit mittlerem Impuls hpi = p0 . Bestimmen wir auch f¨ ur diese Anfangswellenfunktion ihre zeitliche Entwicklung. Dazu berechnen wir zun¨achst wieder ihre

5.3 Wellenpakete

57

Fourier-Transformierte (5.12): C ψ0 (p) = √ 2πa

Z∞

dx e

− ~i x(p−p0 )

−∞

  1 (x − x0 )2 exp − . 2 a2

Das hier auftretende Ortsintegral ist ein gew¨ ohnliches Gauß-Integral, welches wir durch Vervollst¨andigung des Quadrates berechnen:   i (x − x0 )2 dx e− ~ (x−x0 )(p−p0 ) exp − 2a2 −∞   i 1 (p − p0 )2 = Ce− ~ (p−p0 )x0 exp − . (5.21) 2 (~/a)2

i C e− ~ (p−p0 )x0 ψ0 (p) = √ 2πa

Z∞

Die Fourier-Transformierte ψ0 (p) enth¨ alt zwar wieder eine ebene Welle im Impulsraum; diese ist jedoch mit einer Gaußverteilung der Breite ~/a gewichtet, die große Abweichungen |p − p0 | ≫ ~/a des Impulses p vom mittleren Impuls p0 stark unterdr¨ uckt. Die Breite der Impulsverteilung repr¨ asentiert offenbar die Impulsunsch¨arfe. Man beachte hierbei jedoch, dass die Breiten der Wellenfunktionen √ ψ sich von den Breiten der Wahrscheinlichkeitsverteilungen |ψ|2 um einen Faktor 2 unterscheiden. In der Tat besitzt die Wahrscheinlichkeitsverteilung im Ortsraum   |C|2 (x − x0 )2 |ψ0 (x)|2 = exp − 2πa2 a2 √ die Breite ∆x = a/ 2, w¨ ahrend die Wellenfunktion ψ0 (x) aus (5.20) selbst die Breite a besitzt. In analoger Weise besitzt die Wahrscheinlichkeitsverteilung im Impulsraum   (p − p0 )2 |ψ0 (p)|2 = |C|2 exp − (~/a)2 √ die Breite ∆p = ~/a 2. Die Unsch¨ arfe bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeitsverteilungen, sodass ~ ~ a ∆p ∆x = √ √ = 2 a 2 2 gilt. Setzen wir die Fourier-Transformierte ψ0 (p) aus (5.21) in Gl. (5.13) ein, so erhalten wir: ψ(x, t) = C

Z∞

−∞

    i i p2 1 (p − p0 )2 dp i px (p−p )x − o 0 exp − . e ~ exp − t e ~ 2π~ ~ 2m 2 (~/a)2

(5.22)

¨ Solche Uberlagerungen von ebenen Wellen mit Gauß’scher Gewichtsfunktion werden als Gauß’sche Wellenpakete bezeichnet. Das verbleibende Gauß-Integral u ¨ber dem Impuls

58

5 Die Wellenfunktion

l¨asst sich am einfachsten durch Verschiebung der Integrationsvariablen p → p − p0 = p′ berechnen:   i i p20 p0 x ~ ψ(x, t) = Ce exp − t ~ 2m " " #  2  # Z∞ ~t p′  p0  1 p′ dp′ 2 a +i exp i (x − x0 ) − t exp − 2π~ 2 ~ m ~ m −∞

 −1/2   i i p20 t~ = Ce ~ p0 x exp − t 2π a2 + i ~ 2m m ! 2 1 [(x − x0 ) − p0 t/m] exp − 2 a2 + i(t~/m)   i i p20 p0 x ~ exp − ≡ Ap0 (x, t)e t . ~ 2m

(5.23)

F¨ ur die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des Teilchens mit dieser Wellenfunktion erhalten wir mit (α, u, v-reell)     α α exp = exp (u − iv) u + iv u2 + v 2  2    α α ⇒ exp u + iv = exp u2 + v 2 2u

eine Gauß-Verteilung: 2

w(x, t) = |ψ(x, t)| =

|C|2

1/4  2π a4 + (t~/m)2

  1 [(x − x0 ) − (p0 /m)t]2 , (5.24) exp − 2 b2 (t)

deren Breite b(t) durch "  2 # 1 2 t~ 2 b (t) = a + 2 ma

(5.25)

gegeben ist. Sie w¨ achst mit der Zeit an. Die Wellenfunktion beschreibt deshalb eine zerfließende Gauß-Verteilung, deren Schwerpunkt sich auf der Trajektorie eines freien klassischen Teilchens gem¨ aß x0 +

p0 t m

mit der Geschwindigkeit p0 /m ausbreitet. Die Breite b(t) (5.25) der Gauß-Verteilung (5.24) schreiben wir in der Form s  2 t~ , b(t) = b0 1 + 2mb20

(5.26)

5.4 Materiewellen

59 ReΨ(x, t = fest)

x

x0

Abb. 5.3: Realteil des Gauß’schen Wellenpaketes (5.23). Die einh¨ ullende gestrichelte Kurve gibt den Realteil von ±Ap0 (x, t) an.

√ wobei b0 = a/ 2 die Breite zum Zeitpunkt t = 0 bezeichnet. Die Zeit td , nach der sich die Breite verdoppelt hat (d.h. b(td ) = 2b0 ), ist nach (5.26) durch  2 √ 2mb20 td ~ ! 1+ =4 ⇒ td = 3 2 2mb0 ~ gegeben.

A

F¨ ur ein Elektron mit einer Anfangsbreite b0 = 0, 5 betr¨agt diese Zeit etwa td ≃ 10−18 s, w¨ahrend f¨ ur ein klassisches Teilchen der Masse m = 1 g mit b0 = 1 mm diese etwa td ≃ 1018 Jahre betr¨ agt.

5.4

Materiewellen

¨ Allgemein versteht man unter Wellenpaketen Uberlagerungen von ebenen (station¨aren) Wellen eikx , k = p/~, mit beliebiger Amplitude A(k) und Frequenz ω(k):

ψ(x, t) =

Z∞

−∞

′ ′ dk ′ A(k ′ )eik x−iω(k )t . 2π

(5.27)

In vielen F¨allen, wie z.B. beim Gauß’schen Wellenpaket, ist die Amplitude A(k ′ ) nur in einer kleinen Umgebung einer mittleren Wellenzahl k wesentlich von Null verschieden. Zum Integral (5.27) tr¨ agt dann nur ein kleines Intervall um k wesentlich bei und die Frequenzverteilung kann durch die (Taylor-)Entwicklung dω(k ′ ) ′ ω(k ) = ω(k) + (k ′ − k) dk ′ k′ =k

60

5 Die Wellenfunktion A(k ′ )

k′ k Abb. 5.4: Amplitudenfunktion eines Wellenpaketes.

ersetzt werden. Das Wellenpaket (5.27) l¨ asst sich dann in Form einer ebenen Welle ψ(x, t) = Ak (x, t)eikx−iω(k)t

(5.28)

mit orts- und zeitabh¨ angiger Amplitude (k¯ := k ′ − k) Z∞

Ak (x, t) =

−∞

   ¯ exp ik¯ x − dω(k) t dk¯ A(k + k) dk

(5.29)

schreiben.2 Die Wellenfronten der Tr¨agerwelle ei(kx−ω(k)t) = eik(x−

ω(k) k t

),

definiert durch eik(x−

) = const. =⇒ x − ω(k) t = const. k

ω(k) k t

(5.30)

breiten sich mit der Phasengeschwindigkeit

vph =

ω(k) k

(5.31)

aus. F¨ ur die Fronten konstanter Amplituden, definiert durch A(x, t) = const.,

(5.32)

2 F¨ ur das in Gl. (5.22) definierte Gauß’sche Wellenpaket ist nach Gl. (5.13) ω(k) = ~k 2 /2m, die Amplitude A(k) durch ψ0 (p) (5.21) gegeben und nach Gl. (5.23) die Darstellung (5.28) exakt.

5.4 Materiewellen

61

gilt nach (5.29) x−

dω(k) t = const. dk

(5.33)

Sie breiten sich deshalb mit der Gruppengeschwindigkeit vg =

dω dk

(5.34)

aus. F¨ ur die modulierte Welle (5.28) ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit ω(x, t) = |ψ(x, t)|2 = |Ak (x, t)|2

(5.35)

allein durch die Amplitude gegeben, die sich mit der Gruppengeschwindigkeit ausbreitet. Materieteilchen breiten sich deshalb stets mit der Gruppengeschwindigkeit aus, w¨ ahrend mit der Phasengeschwindigkeit keine Ausbreitung von physikalischer Information verkn¨ upft ist. F¨ ur ein Teilchen ist die Frequenz ω(k) durch seine Energie und die Wellenzahl k durch seinen Impuls gegeben: E = ~ω(k) ,

p = ~k ,

so dass vph =

E , p

vg =

∂E ∂p

(5.36)

gilt. Ein nichtrelativistisches freies Teilchen besitzt die (kinetische) Energie E=

p2 2m

(5.37)

und somit die Phasengeschwindigkeit vph =

p , 2m

w¨ ahrend seine Gruppengeschwindigkeit vg =

p m

betr¨agt. Das durch das Wellenpaket beschriebene, im Ort und Impuls lokalisierte Teilchen breitet sich demnach mit der Gruppengeschwindigkeit vg = p/m aus. F¨ ur das nicht-relativistische Teilchen ist die Gruppengeschwindigkeit doppelt so groß wie die Phasengeschwindigkeit.3 3 Dies gilt nat¨ urlich insbesondere f¨ ur das in Abb. 5.3 dargestellte Gauß’sche Wellenpaket. Demnach breitet sich die einh¨ ullende gestrichelte Kurve mit der Gruppengeschwindigkeit vg = p/m aus, w¨ ahrend sich die rasch oszillierende Tr¨ agerwelle mit der Phasengeschwindigkeit vph = p/2m fortbewegt.

62

5 Die Wellenfunktion

Ein relativistisches Teilchen besitzt die Energie p E = c (mc)2 + p2

und eine Phasengeschwindigkeit (5.36) s  2 mc vph = c 1 + ≥c. p

Dies ist kein Widerspruch zur Relativit¨ atstheorie, da sich das Teilchen mit der Gruppengeschwindigkeit (5.36) p vg = c p ≤c (mc)2 + p2

(5.38)

ausbreitet, die f¨ ur ein masseloses Teilchen m = 0 mit der Lichtgeschwindigkeit c zusammenf¨allt, f¨ ur massive Teilchen jedoch stets kleiner als c ist. Sowohl f¨ ur die nichtrelativistische, als auch f¨ ur die relativistische Punktmasse f¨allt die Gruppengeschwindigkeit vg mit der klassischen Geschwindigkeit v zusammen. F¨ ur das nichtrelativistische Teilchen ist dies offensichtlich, da p/m = v. Ein relativistisches Teilchen, welches sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, besitzt den Impuls bzw. die Energie mc2 mv , E=q . (5.39) p= q 2 2 1 − vc2 1 − vc2 Hieraus ergibt sich unmittelbar f¨ ur die Gruppengeschwindigkeit (5.38) vg = v.

5.5

Erwartungswerte und Unsch¨arfe

Die Wellenfunktion ψ(x, t) ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ ur, dass das Teil¨ chen sich zur Zeit t am Ort x aufh¨ alt. (Sie wurde als spezielle Ubergangsamplitude K(x, t; x0 , t0 ) definiert, bei welcher der Anfangszustand (x0 , t0 ) des Teilchens als irrelevante Information unber¨ ucksichtigt bleibt.) Demzufolge ist die Gr¨oße

w(x, t) = |ψ(x, t)|2 = ψ ∗ (x, t)ψ(x, t)

(5.40)

die Wahrscheinlichkeitsdichte bzw. Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte im Ortsraum, siehe Gl. (5.2). Die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen im Intervall dx um x zu finden, ist dann durch dWx = w(x, t) dx gegeben (Abb. 5.5).

5.5 Erwartungswerte und Unsch¨ arfe

63

w(x′ )

dx x′

x Abb. 5.5: Wahrscheinlichkeitsdichte im Ortsraum.

Die Gesamtaufenthaltswahrscheinlichkeit (d.h. die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen irgendwo im Ortsraum anzutreffen) erhalten wir, indem wir u ¨ber alle infinitesimalen Wahrscheinlichkeiten dW summieren, also u ¨ber den gesamten Ortsraum integrieren: Z

dWx =

Z∞

−∞

dx |ψ(x, t)|2 = 1 .

Diese Wahrscheinlichkeit muss 1 sein, da das Teilchen sich irgendwo im Ortsraum aufhalten muss. Obige Bedingung legt die Normierung der Wellenfunktion ψ(x, t) fest. F¨ ur die Dimension der Wellenfunktion k¨ onnen wir in einer Raumdimension folgern:

D=1 :

1 [ψ] = p . [L]

In drei Raumdimensionen ist die Wellenfunktion eine Funktion des Ortsvektors x: ψ = ψ(x, t). Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur, dass das Teilchen sich in einem Raumelement d3 x um den Vektor x aufh¨alt, durch dWx = w(x, t) d3 x = |ψ(x, t)|2 d3 x gegeben. Die Normierungsbedingung der Wellenfunktion lautet dann: Z

dWx =

Z

3

d x w(x, t) =

Z

d3 x |ψ(x, t)|2 = 1

und wir finden f¨ ur die Dimension der Wellenfunktion:

64

5 Die Wellenfunktion

D=3 :

[ψ] =

1 3/2

[L]

.

Die Wellenfunktion als Aufenthaltswahrscheinlichkeitsamplitude dr¨ uckt aus, dass in der Quantenmechanik i.A. der Ort eines Teilchens nicht exakt bekannt ist, so dass wir nur die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur angeben k¨onnen, dass das Teilchen sich an einem bestimmten Ort x aufh¨ alt. Wir k¨ onnen jedoch den Mittelwert einer (unendlichen) Serie von Ortsmessungen angeben. Dieser Wert wird als Erwartungswert bezeichnet und l¨asst sich durch Z Z 3 hxi = d x w(x, t)x = d3 x ψ ∗ (x, t)xψ(x, t) (5.41) definieren. Dieser Erwartungswert l¨ asst sich jedoch nicht nur f¨ ur den Ort des Teilchens berechnen, sondern in analoger Weise f¨ ur jede beliebige Observable A(x), die eine Funktion des Ortes ist: Z Z 3 hA(x)i = d x w(x, t)A(x) = d3 x ψ ∗ (x, t)A(x)ψ(x, t) . (5.42) Gelegentlich werden wir hAiψ statt hAi schreiben um anzugeben, mit welchem Zustand ψ der Erwartungswert gebildet wird. Betrachten wir als Spezialfall A(x) = 1 , so erhalten wir die Normierung der Wellenfunktion: Z Z 3 h1i = d x w(x, t)1 = d3 x ψ ∗ (x, t)1ψ(x, t) . Von Interesse ist nicht nur der Erwartungswert (Mittelwert), sondern auch, wie wahrscheinlich Abweichungen von diesem Erwartungswert sind, d.h. wie gut die Wahrscheinlichkeitsverteilung w(x, t) um den Erwartungswert lokalisiert ist. Eine charakteristische Gr¨oße hierf¨ ur ist die mittlere quadratische Abweichung bzw. das mittlere Schwankungsquadrat E Z D 2 2 2 (∆A) := [A(x) − hA(x)i] = d3 x w(x, t) [A(x) − hA(x)i] ≥ 0 , das in der Statistik als Varianz bezeichnet wird. Diese Gr¨oße ist offenbar positiv definit. Elementare Rechnung liefert: E E D D 2 2 [A(x) − hA(x)i] = A2 (x) − 2A(x)hA(x)i + (hA(x)i) = hA2 (x)i − 2hA(x)ihA(x)i + (hA(x)i) 2

= hA2 (x)i − (hA(x)i) ≥ 0 .

2

5.6 Der Impulsraum

65

Die Wurzel aus dieser Gr¨ oße rD E q (∆A) = [A(x) − hA(x)i]2 = hA2 (x)i − (hA(x)i)2

bezeichnet man als Unsch¨arfe oder in der Statistik als Standardabweichung der Variable A(x) von ihrem Erwartungswert hAi. Sie charakterisiert die Breite der Wahrscheinlichkeitsverteilung. Zur Illustration betrachten wir eine auf 1 normierte (zeitunabh¨angige) Wellenfunktion in einer Raumdimension:   1/4  1 (x − x0 )2 ψ(x) = exp − . 2πa2 4a2 Eine einfache Rechnung zeigt: hxi = x0

5.6

,

(∆x) = a .

Der Impulsraum

Wie bereits in Abschnitt 5.3 bemerkt, besitzt eine beliebige Wellenfunktion i.A. keinen wohldefinierten Impuls. Wir k¨ onnen jedoch jede Wellenfunktion mittels FourierZerlegung nach ebenen Wellen entwickeln, die bekanntlich einen wohldefinierten Impuls besitzen: Z i d3 p (5.43) e ~ p·x ψ(p, t) . ψ(x, t) = 3 (2π~) Die Fourier-Koeffizienten ψ(p, t) sind durch die inverse Fourier-Transformation definiert: Z i ψ(p, t) = d3 x e− ~ p·x ψ(x, t) . (5.44) Sie geben das Gewicht an, mit dem eine bestimmte ebene Welle mit Impuls p in der Wellenfunktion ψ(x, t) enthalten ist. Unter Benutzung von Z ′ i d3 x e ~ x·(p−p ) = 2π~δ(p − p′ ) erhalten wir das Parseval-Theorem der Fourier-Transformation Z Z d3 p 3 2 |ψ(p, t)|2 . d x |ψ(x, t)| = (2π~)3 Die Fourier-Transformierte ψ(p, t) hat deshalb im Impulsraum dieselbe Normierung wie die Wellenfunktion im Ortsraum. Wir k¨ onnen daher w(p, t) ≡ |ψ(p, t)|2

1 (2π~)3

66

5 Die Wellenfunktion p3

d3 p

p p2

p1 Abb. 5.6: Illustration des Volumenelementes d3 p im Impulsraum.

in Analogie zu (5.40) als die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des Teilchens im Impulsraum interpretieren und ψ(p, t) als die Wellenfunktion im Impulsraum bezeichnen. Dementsprechend gibt dWp = w(p, t) d3 p = |ψ(p, t)|2

d3 p (2π~)3

die Wahrscheinlichkeit an, dass das Teilchen einen Impuls aus dem Volumenelement d3 p besitzt, welches bei p lokalisiert ist (siehe Abb. 5.6). Analog zur Definition des Erwartungswertes des Ortes im Ortsraum (5.41) k¨onnen wir den Erwartungswert des Impulses definieren: hpi =

Z

3

d p w(p, t)p =

Z

d3 p ψ ∗ (p, t)pψ(p, t) . (2π~)3

(5.45)

Setzen wir hier die Definition der Fourier-Transformierten der Wellenfunktion ψ(p, t) (5.44) ein, so erhalten wir: hpi =

Z

d3 p (2π~)3

Z

i

d3 y e ~ p·y ψ ∗ (y, t)p

Z

Um das Impulsintegral ausf¨ uhren zu k¨ onnen, benutzen wir: i ~ i pe− ~ p·x = − ∇e− ~ p·x , i

i

d3 x e− ~ p·x ψ(x, t) .

5.6 Der Impulsraum

67

wobei ∇ ≡ ∇x . F¨ uhren wir noch die partielle Integration Z   ~ i − d3 x ∇e− ~ p·x ψ(x, t) i Z i ~Z h i i ~ d3 x ∇ e− ~ p·x ψ(x, t) + d3 x e− ~ p·x ∇ψ(x, t) =− i i

durch und beachten, dass der Randterm Z I i h i i 3 − ~ p·x ψ(x, t) = d x∇ e dfx e− ~ p·x ψ(x, t)

R

3



R

3

aufgrund der Normierbarkeit der Wellenfunktion verschwinden muss (ψ(x, t) ∼ 1/|x|2+ε , ε > 0 f¨ ur |x| → ∞), so erhalten wir f¨ ur den Erwartungswert des Impulses im Ortsraum:   Z Z Z d3 p i ~ ~ p·(y−x) ψ ∗ (y, t) hpi = d3 y d3 x e ∇ x ψ(x, t) (2π~)3 i | {z } =

Z

d3 x ψ ∗ (x, t)



=δ(y−x)

 ~ ∇x ψ(x, t) . i

Wir haben damit den Erwartungswert des Impulses in die oben durch (5.42) angegebene allgemeine Form des Erwartungswertes einer Observablen in der Ortsdarstellung gebracht. Aus diesem Grunde m¨ ussen wir den Differentialoperator pˆ =

~ ∇x i

(5.46)

als den Impulsoperator in der Ortsdarstellung interpretieren. ¨ Beim Ubergang in den Impulsraum durch Fourier-Transformation geht dieser Operator in die Impulsvariable p u ussen wir p als die Impulsdarstellung ¨ber. Dementsprechend m¨ des Impulsoperators bezeichnen: pˆ ≡ p . In analoger Weise ist ˆ≡x x die Ortsraumdarstellung des Ortsoperators. Wir haben oben durch Einsetzen der inversen Fourier-Transformierten (5.44) in (5.45) die Darstellung des Impulsoperators im Ortsraum (5.46) gefunden. In ¨ahnlicher Weise k¨ onnen wir (5.43) in (5.41) einsetzen und finden f¨ ur die Impulsraumdarstellung des Ortes: ˆ = i~∇p . x Der Ort ist im Impulsraum durch einen analogen Differentialoperator gegeben wie der Impuls im Ortsraum.

68

5.7

5 Die Wellenfunktion

Messgr¨oßen als Operatoren

Wir haben im vorherigen Abschnitt am Beispiel von Ort und Impuls gesehen, dass die aus der klassischen Mechanik bekannten physikalisch messbaren Gr¨oßen (Observablen) in der Quantenmechanik durch Operatoren repr¨asentiert werden, die auf die Wellenfunktion wirken: ˆ x→x

p → pˆ .

,

Dasselbe gilt f¨ ur andere Observablen A(x) (wie z.B. die potentielle Energie) oder A(p) (wie z.B. die kinetische Energie): ˆ A(x) → A(x)

,

ˆ . A(p) → A(p)

So erhalten wir beispielsweise f¨ ur den Operator Tˆ der kinetischen Energie im Ortsraum: pˆ2 ~2 2 ~2 Tˆ = =− ∇ =− ∆, 2m 2m 2m w¨ahrend das Potential im Ortsraum die aus der klassischen Mechanik bekannte Funktion des Ortes ist: ˆ = V (x) . Vˆ = V (x) Probleme bekommen wir bei Observablen, die vom Produkt p · x abh¨angen. W¨ahrend in der klassischen Mechanik die Reihenfolge von p und x keine Rolle spielt, muss man diese in der Quantenmechanik beachten. Als Beispiel betrachten wir die Observable A(p, x) = px. Schauen wir uns im Ortsraum die Wirkung zweier m¨oglicher zugeh¨origer Operatoren auf eine Testfunktion“ f (x) an: ” ~ ~ d ~ d (xf (x)) = f (x) + x f (x) , pˆx ˆf (x) = i dx i i dx ~ d xˆpˆf (x) = x f (x) . i dx Es ist also f¨ ur f (x) 6= 0: (ˆ pxˆ − xˆpˆ)f (x) =

~ f (x) 6= 0 . i

Man sagt, die zwei Gr¨ oßen vertauschen nicht miteinander bzw. kommutieren nicht. Allgemein nennt man ˆ B] ˆ := AˆB ˆ −B ˆ Aˆ [A, ˆ F¨ den Kommutator von Aˆ und B. ur pˆ und xˆ haben wir oben gefunden: [ˆ p, x ˆ]f (x) =

~ f (x) . i

(5.47)

5.7 Messgr¨oßen als Operatoren

69

Diese Gleichung l¨ asst sich unabh¨ angig von der Testfunktion f (x) als Operatoridentit¨at schreiben: [ˆ p, x ˆ] =

~ˆ 1, i

(5.48)

wobei ˆ1 der Einheitsoperator ist, dessen Wirkung durch ˆ1f (x) = f (x) definiert ist. Im Folgenden werden wir jedoch den Einheitsoperator, wenn er multiplikativ auftritt, weglassen. Es ist leicht einzusehen, dass die Verallgemeinerung von (5.48) auf drei Dimensionen [ˆ pk , xˆl ] =

~ δkl i

(5.49)

lautet, da die verschiedenen Raumrichtungen nat¨ urlich unabh¨angig voneinander sind. Als Ergebnis der Wirkung eines Operators auf eine Wellenfunktion wird diese i.A. ver¨andert. Die Wirkung des Operators einer physikalischen Observablen auf einen Zustand ist der mathematische Ausdruck f¨ ur die Messung der entsprechenden Observablen an dem durch die Wellenfunktion beschriebenen System. Wie wir bereits bei der Diskussion des Doppelspaltexperimentes in Abschnitt 3.2 feststellten, wird bei der Messung eines quantenmechanischen Systems dessen Zustand i.A. durch den Messprozess ver¨andert. Zust¨ande, welche sich bei Messung einer Observablen A nicht ¨andern, werden als Eigenzust¨ande von A bezeichnet und sind durch die Eigenfunktionen fa (x) des Operators gegeben: ˆ a (x) = afa (x) . Af

(5.50)

ˆ Ahnlich ¨ a heißt Eigenwert von A. wie eine Matrix durch ihre Eigenwerte und Eigenvektoren bestimmt ist, kann ein Operator durch seine Eigenwerte und Eigenfunktionen charakterisiert werden. Wir werden sp¨ ater sehen, dass sich Operatoren durch (i.A. unendlich dimensionale) Matrizen darstellen lassen. Als Beispiel wollen wir wieder den Orts- bzw. Impulsoperator im Ortsraum betrachten: 1) Impulsoperator: Die Eigenwertgleichung lautet: pˆϕp (x) = pϕp (x) .

(5.51) i

L¨osung ist offenbar die ebene Welle ϕp (x) = e ~ px .

70

5 Die Wellenfunktion

2) Ortsoperator: Die Eigenwertgleichung lautet: x ˆξx′ (x) = x′ ξx′ (x) .

(5.52)

Hier ist wegen x ˆ = x die L¨ osung die δ-Funktion ξx′ (x) = δ(x − x′ ).

Die Eigenfunktionen von Ort- und Impulsoperator sind offensichtlich nicht normierbar. Wir werden sp¨ater sehen, wie solche “uneigentlichen” Eigenfunktionen zu interpretieren sind. Der quantenmechanische Messprozess in der Operatorsprache wird ausf¨ uhrlicher in Kapitel 12 diskutiert. Die Eigenwertgleichung (5.50) legt die Eigenfunktion nur bis auf eine komplexe konstante Amplitude fest, deren Betrag gew¨ ohnlich durch Normierung fixiert wird. Außerdem ist zu bemerken, dass eine konstante Phase eiα , α = const, der Wellenfunktion ψ bei der Bildung des Erwartungswertes (5.42) (und damit auch aus der Aufenthaltswahrscheinlichkeit w(x, t) = |ψ(x, t)|2 ) herausf¨allt. Die Wellenfunktionen sind also nur bis auf eine willk¨ urliche konstante Phase bestimmt, die keinerlei Einfluss auf physikalische, d.h. messbare Gr¨oßen besitzt.

Abschließend sollen noch einige Eigenschaften des Kommutators (5.47) angegeben werden, welche unmittelbar aus seiner Definition folgen. Offenbar ist diese Gr¨oße antisymmetrisch:

ˆ B] ˆ = −[B, ˆ A] ˆ . [A,

Der Kommutator hat ¨ ahnliche Eigenschaften wie ein Differentialoperator. So ist er linear, d.h. es gilt f¨ ur beliebige, komplexwertige Zahlen β, γ:

ˆ βB ˆ + γ C] ˆ = β[A, ˆ B] ˆ + γ[A, ˆ C] ˆ . [A,

5.7 Messgr¨oßen als Operatoren

71

Ferner gilt die Produktregel“ ” ˆ B ˆ C] ˆ = [A, ˆ B] ˆ Cˆ + B[ ˆ A, ˆ C] ˆ , [AˆB, ˆ C] ˆ = A[ ˆ B, ˆ C] ˆ + [A, ˆ C] ˆB ˆ [A,

und die Jacobi-Identit¨at

ˆ [B, ˆ C]] ˆ + [B, ˆ [C, ˆ A]] ˆ + [C, ˆ [A, ˆ B]] ˆ = ˆ0 . [A,

(5.53)

6

Der klassische Grenzfall

Durch die Entdeckung der Quantenmechanik wurde die klassische Mechanik nicht falsifiziert, sondern nur in ihrem G¨ ultigkeitsbereich eingeschr¨ankt. Im Folgenden zeigen wir, dass f¨ ur Systeme mit einer sehr großen Wirkung S im Limes ~/S → 0 die Quantenmechanik in die klassische Mechanik u ¨bergeht. Bewegungen, die mit einer sehr großen, aber endlichen Wirkung S ≫ ~ verlaufen, werden als semiklassisch oder quasiklassisch bezeichnet. Um den Limes ~ → 0 im Funktionalintegral durchf¨ uhren zu k¨onnen, wird im n¨achsten Abschnitt erst eine gen¨ aherte Methode zur Berechnung von Integralen rasch oszillierender Funktionen vorgestellt.

6.1

Die station¨are Phasenapproximation

Im Folgenden wollen wir eine Methode zur gen¨ aherten Berechnung von einer Klasse von Integralen kennenlernen, die h¨ aufig in der Quantenmechanik auftreten, aber auch f¨ ur andere Gebiete der Physik relevant sind. Wir entwickeln diese Methode hier f¨ ur eindimensionale Integrale; sie l¨ asst sich jedoch unmittelbar auf mehrdimensionale Integrale verallgemeinern. Wir betrachten das Integral

F (λ) =

Zy2

dy g(y)eiλf (y) ,

(6.1)

y1

wobei y eine reelle Variable und λ ein reeller Parameter ist. Ferner sei g eine glatte, langsam ver¨anderliche Funktion. Wir wollen dieses Integral f¨ ur den Grenzfall λ → ∞ berechnen. Wegen eiλf (y) = cos(λf (y)) + i sin(λf (y)) stellt der Integrand f¨ ur λ → ∞ eine rasch oszillierende Funktion dar. Deshalb liefern benachbarte y-Werte Beitr¨ age zum Integral mit zuf¨allig verteilten Vorzeichen und l¨ oschen sich somit i.A. aus. Eine Ausnahme bilden die y-Werte in der N¨ahe eines station¨ aren Punktes des Exponenten (Station¨ are Punkte sind Extrema der Funktion f (y), siehe Abb. 6.1). Der Grund daf¨ ur ist, dass in der N¨ahe eines extremalen Punktes die Funktion sich in erster Ordnung nicht ¨ andert und somit benachbarte Punkte koh¨arente Beitr¨age (d.h. Beitr¨ age mit demselben Vorzeichen) zum Integral liefern.

74

6 Der klassische Grenzfall

f (x)

cos(λf (x)) a

λ=5

λ = 10

λ = 15

Abb. 6.1: Illustration der Phasenausl¨ oschungen und der koh¨ arenten Beitr¨ age in der N¨ ahe des station¨ aren Punktes y = a.

Nehmen wir an, die Funktion f (y) habe innerhalb des Integrationsintervalles (y1 , y2 ) eine Extremstelle bei y = a, d.h.: df =0. (6.2) dy y=a

Wir k¨onnen dann die Funktion in der Umgebung der Extremstelle in eine Taylor-Reihe entwickeln, 1 f (y) = f (a) + f ′′ (a)(y − a)2 + . . . , 2 ¨ wobei der lineare Term wegen (6.2) fehlt. Ahnlich k¨onnen wir auch die Funktion g(y) entwickeln: g(y) = g(a) + g ′ (a)(y − a) + . . . . Da nur y-Werte in der N¨ ahe des station¨ aren Punktes a zum Integral beitragen, k¨onnen wir die Taylor-Entwicklungen jeweils nach dem ersten nicht-trivialen Term abbrechen. Aus demselben Grund k¨ onnen wir die Integrationsgrenzen y1,2 nach ±∞ verlegen: Zy2

y1

dy

−→

Z∞

−∞

dy .

6.1 Die station¨are Phasenapproximation

75

Setzen wir die obigen Taylor-Entwicklungen in (6.1) ein und verschieben die Integrationsvariable um den station¨ aren Punkt (z = y − a), so finden wir: Z∞

F (λ) =

−∞

  1 ′′ 2 dz (g(a) + g (a)z + . . .) exp iλ f (a) + f (a)z + . . . . 2 



Der erste Summand f¨ uhrt auf ein sogenanntes Fresnel-Integral, welches wir nach Regularisierung durch ein D¨ ampfungsglied λ → λ + iε, ε → 0, Z∞

−∞

    Z∞ f ′′ (a) 2 f ′′ (a) 2 dz exp iλ =: I , z = lim dz exp i(λ + iε) z ε→0 2 2 −∞

auf ein Gauß-Integral (mit komplexem Koeffizienten im Exponenten) zur¨ uckf¨ uhren k¨ onnen:1   1 dz exp − (ε − iλ)f ′′ (a)z 2 ε→0 2 −∞ s s 2π i2π = lim = . ′′ ε→0 (ε − iλ)f (a) λf ′′ (a)

I = lim

Z∞

(6.3)

Der zweite Summand f¨ uhrt auf ein Integral der Form Z∞

dz zeiλf

′′

(a)z 2

=0,

−∞

das aus Symmetriegr¨ unden verschwindet. Damit erhalten wir im Grenzfall λ → ∞ den folgenden Ausdruck f¨ ur das urspr¨ ungliche Integral (6.1): Zy2

y1

dyg(y)eiλf (y) ≃ g(a)eiλf (a)

s

i2π , λf ′′ (a)

λ→∞.

Je gr¨oßer λf ′′ (a), desto kleiner ist der Betrag des Integrals F (λ). Dieses Ergebnis ist anschaulich klar: Je gr¨ oßer die Kr¨ ummung“ f ′′ (a) desto enger ist die Extremstelle ” (Abb. 6.1). Desto kleiner ist also auch der y-Bereich um y = a, in dem es nicht zur Phasenausl¨oschung kommt und der somit einen von Null verschiedenen Beitrag zum Integral liefert. Eine Vergr¨ oßerung von λ schr¨ ankt diesen Bereich ebenfalls ein, da mit gr¨ oßerem λ die Phasenausl¨ oschung zunimmt. 1 Wir setzen hier f ′′ (a) > 0 voraus. Im umgekehrten Fall wird λ → λ − iǫ ersetzt. Das Ergebnis (6.3) gilt sowohl f¨ ur f ′′ (a) > 0 als auch f ′′ (a) < 0.

76

6 Der klassische Grenzfall

Der Ausdruck vor der Wurzel ist gerade der Integrand genommen am station¨aren Punkt (Extremum). Die Wurzel entsteht von der Integration u ¨ber die unmittelbare Umgebung ¨ des Extremums. Sie kann oftmals f¨ ur qualitative Uberlegungen vernachl¨assigt werden, so dass Zy2

y1

dy g(y)eiλf (x) ∼ g(a)eiλf (a) ,

λ → ∞.

(6.4)

Dieser N¨aherungsausdruck ist allein durch das Extremum bestimmt. Besitzt die Funktion f (y) im Exponenten innerhalb der Integrationsgrenzen mehrere Extremalstellen an den Punkten y = an , an ∈ (y1 , y2 ), n = 1, 2, 3, . . . , dann erhalten wir koh¨arente Beitr¨ age von den Umgebungen der einzelnen Extremstellen und die Verallgemeinerung der obigen Beziehung lautet: Zy2

y1

dy g(y)eiλf (y) ≃

X

eiλf (an )

n

s

i2π g(an ) , λf ′′ (an )

λ→∞.

Diese N¨aherungsmethode der station¨ aren Phase l¨asst sich unmittelbar auf mehrdimensionale Integrale bzw. Funktionalintegrale verallgemeinern.

6.2

Asymptotische Darstellung der δ-Funktion

Im Folgenden beweisen wir mittels der station¨aren Phasenapproximation die folgende Darstellung der δ-Funktion r λ i(λ/2)x2 δ(x) = lim e , (6.5) λ→∞ i2π die bereits in Gl. (4.21) benutzt wurde. Der Limes ist hier im Sinne der Distributionen als “schwacher Grenzwert” zu verstehen. Bekanntlich ist die δ-Funktion durch folgende Beziehungen definiert: Z∞

dx δ(x − x0 ) = 1 ,

(6.6)

Z∞

dx δ(x − x0 )f (x) = f (x0 ) ,

(6.7)

−∞

bzw.

−∞

6.3 Der klassische Grenzwert des Propagators

77

wobei die Beziehung (6.6) aus (6.7) f¨ ur f (x) = 1 folgt. Die Funktion r λ i(λ/2)x2 F (λ, x) = e i2π erf¨ ullt offenbar die Normierungsbedingung (6.6) f¨ ur jedes λ, denn es gilt: Z∞

dx F (λ, x) =

−∞

r

λ i2π

Z∞

dx e

i(λ/2)x2

−∞

=

r

λ i2π

r

i2π =1, λ

(6.8)

wobei wir das Fresnel-Integral (6.3) benutzt haben. Die Beziehung (6.7) l¨ asst sich ebenso schnell beweisen, wenn man beachtet, dass F (λ, x) f¨ ur λ → ∞ eine rasch oszillierende Funktion von x darstellt, siehe Abb. 6.2, sodass sich das Integral lim

Z∞

λ→∞ −∞

dx F (λ, x − x0 )f (x)

mittels der Methode der station¨ aren Phase berechnen l¨asst. Die Phase von F (λ, x − x0 ) ist station¨ar bei x = x0 , sodass wir lim

λ→∞

r

λ i2π

= f (x0 ) lim

λ→∞

Z∞

dx f (x)ei(λ/2)(x−x0 )

−∞

r

λ i2π

Z∞

2

2

dx ei(λ/2)(x−x0 ) = f (x0 )

−∞

erhalten, wobei wir (6.8) benutzt haben. Man beachte, dass im vorliegenden Fall keine Taylor-Entwicklung der Phase (Exponenten) vorgenommen werden musste, da diese bereits quadratisch in der Integrationsvariable ist. Ferner sei betont, dass die station¨ are Phasenapproximation im Limes λ → ∞ exakt wird, sodass Gl. (6.5) eine exakte Darstellung der δ-Funktion ist.

6.3

Der klassische Grenzwert des Propagators

Aus der Funktionalintegral-Darstellung (4.27) ist zu erkennen, dass zum quantenmechanischen Propagator zun¨ achst alle Trajektorien beitragen. Die Gr¨oße des Beitrages einer Trajektorie x(t) wird durch ihre klassische Wirkung S[x] festgelegt. F¨ ur makroskopische Systeme ist die klassische Wirkung (auf makroskopischen Zeitskalen) aber sehr groß im Vergleich zur atomaren Wirkungseinheit ~: S[x] ≫ ~ .

78

6 Der klassische Grenzfall

Abb. 6.2: Grafische Darstellung von Re{exp(iλx2 /2)} = cos(λx2 /2) f¨ ur verschiedene Werte des Parameters λ = 4, 8, 16, 32. In der Abbildung w¨ achst λ von oben nach unten.

¨ Die Phase der Ubergangsamplitude (Propagator) ist dann sehr groß im Verh¨altnis zu 1: S[x] ≫1. ~ Somit ist der Integrand des Funktionalintegrals eine rasch oszillierende Funktion der Trajektorie:      Z Z i S[x] S[x] + i sin . (6.9) K = Dx(t) e ~ S[x] = Dx(t) cos ~ ~ ¨ Andern wir nun die Trajektorie x(t) um einen kleinen Beitrag δx(t), der klein auf der makroskopischen Skala ist, aber dennoch makroskopische Dimensionen besitzen muss ¨ (damit wir diese Anderung der Trajektorie wahrnehmen k¨onnen), so ¨andert sich auch

6.3 Der klassische Grenzwert des Propagators

79

x

xb

δx(t)

x ˜(t)

δx(t)

xa

ta

tb

t

¨ Abb. 6.3: Anderung δx(t) der Trajektorie x(t).

die Wirkung um einen kleinen, aber dennoch makroskopischen Beitrag: S[x] → S[x + δx] = S[x] + δS ,

δS ∼ δx .

(6.10)

¨ Diese makroskopische Anderung der Wirkung ist jedoch groß gegen¨ uber ~: δS ≫ ~



δS ≫1. ~

¨ Eine kleine makroskopische Anderung in der Trajektorie wird deshalb zu enorm großen ¨ Anderungen in der Phase S[x]/~ f¨ uhren. Der Integrand des Funktionalintegrals wird ¨ deshalb bei der Anderung von x, siehe Gl. (6.10), sehr viele Oszillationen durchlaufen. Die benachbarten Trajektorien werden daher i.A. Beitr¨age mit zuf¨allig verteilten ¨ Vorzeichen zur Ubergangsamplitude liefern, sodass diese sich gegenseitig ausl¨oschen und kein Gesamtbeitrag u ¨brigbleibt (siehe die in Abschnitt 6.1 gegebene Ableitung der station¨aren Phasenapproximation). Wir brauchen somit solche Trajektorien, die sich ¨ von ihren benachbarten Trajektorien in einer makroskopischen Anderung der Wirkung unterscheiden, nicht zu ber¨ ucksichtigen. Eine Ausnahme bilden die klassischen Trajektorien x ˜(t), welche die Wirkung extremieren: δS[x] =0. (6.11) δx(t) x=˜x(t) In der N¨ahe eines Extremums ¨ andert sich die Wirkung in 1. Ordnung nicht: Z 1 δ 2 S[x] ′ S[˜ x + δx] = S[˜ x] + δx(t′ ) + . . . . dt dt δx(t) 2 δx(t) δx(t′ ) x=˜x

Trajektorien, benachbart zur klassischen Trajektorie x ˜(t), geben deshalb Beitr¨age mit ann¨ahernd gleicher Phase, die sich koh¨ arent u ¨berlagern. Somit liefern nur Trajektorien

80

6 Der klassische Grenzfall

in der N¨ahe der klassischen Trajektorie einen wesentlichen Beitrag zum Funktionalintegral und im Limes ~/S[x] → 0 brauchen wir nur die klassischen Trajektorien x ˜(t) zu ber¨ ucksichtigen. Auf diese Art gehen die klassischen Gesetze im Grenzfall ~ → 0 aus den quantenmechanischen Gesetzen hervor2. F¨ ur Systeme mit makroskopischen Wirkungen S[x] ≫ ~ k¨onnen wir offenbar das Funk¨ tionalintegral der Ubergangsamplitude in der station¨aren Phasenapproximation berechnen, die im Grenzfall ~ → 0 exakt wird. In der N¨aherung unterster Ordnung, siehe Gl. (6.4), finden wir dann aus (6.9)

i

K(b, a) ∼ e ~ S[˜x](b,a) ,

(6.12)

wobei x ˜(t) die klassische Trajektorie ist, die durch (6.11) definiert ist. Die Variation der Wirkung δS/δx(t) = 0 bei festgehaltenen Randpunkten der Trajektorie (d.h. δx(ta ) = δx(tb ) = 0) liefert bekanntlich die Euler-Lagrange-Gleichung ∂L d ∂L − =0, ∂x dt ∂ x˙ die sich f¨ ur die Bewegung einer Punktmasse m im Potential V (x) auf die Newton’sche Bewegungsgleichung m¨ x = −V ′ (x) reduziert. Im klassischen Grenzfall S[x] ≫ ~ ist der Propagator K(b, a) deshalb allein durch die klassische Trajektorie x ˜(t) bestimmt, welche der klassischen (Newton’schen) Bewegungsgleichung zusammen mit den vorgegebenen Randbedingungen x(ta ) = xa , x(tb ) = xb gen¨ ugt. Dasselbe Ergebnis erh¨alt man auch, wenn man die explizite Definition des Funktionalintegrals (4.26), (4.27) benutzt: Das Funktionalintegral des Propagators K(b, a) ist als N -dimensionales Vielfachintegral u aren Koordinaten der Teilchentrajektorien de¨ber die intermedi¨ finiert (N → ∞, ε → 0): " !# N  2 r Z NY N −1 i X m xk − xk−1 m exp ε − V (xk ) . K(b, a) = dxk i2π~ε ~ 2 ε k=1

k=1

F¨ ur ~ → 0 sind die Integranden s¨ amtlich rapide oszillierende Funktionen dieser Koordinaten, und wir k¨ onnen diese Integrale deshalb in der station¨aren Phasenapproximation auswerten. Ein einzelnes Integral hat die Gestalt #) ( " r  2  2 ! Z xk − xk−1 xk+1 − xk m i m − V (xk ) . + ε dxk exp 2π~iε ~ 2 ε ε 2 Den Grenzfall ~/S[x] → 0 werden wir, wie in der Literatur ublich, der Einfachheit halber als ¨ ~ → 0 bezeichnen. Gemeint ist aber stets, dass die Wirkung S[x] sehr groß gegen¨ uber ~ wird, was aus mathematischer Sicht dem Limes ~ → 0 entspricht.

6.3 Der klassische Grenzwert des Propagators

81

Die relevanten xk -abh¨ angigen Terme im Exponenten lauten: i hm  x2k − xk (xk+1 + xk−1 ) − V (xk ) =: f (xk ) , ε 2 ε

sodass die relevanten Integrale im Funktionalintegral die Form   r Z i m 1 F = dxk e ~ f (xk ) ~ i2π~ε

haben. F¨ ur 1/~ → ∞ k¨ onnen wir diese Integrale mittels der station¨aren Phasenapproximation berechnen. Die station¨aren Phasenpunkte df (xk )/dxk = 0 liefern: m

dV (xk ) xk+1 − 2xk + xk−1 + =0. ε2 dxk

(6.13)

Beachten wir, dass 1 xk+1 − 2xk + xk−1 = lim lim 2 ε→0 ε→0 ε ε



xk+1 − xk xk − xk−1 − ε ε



≡x ¨(tk )

die diskretisierte Form der 2. Ableitung darstellt, so erkennen wir, dass die station¨are Phasenbedingung (6.13) gerade die Newton’sche Bewegungsgleichung liefert (tk → t): m¨ x(t) = −

∂V (x) . ∂x

(6.14)

F¨ ur ~ → 0 (d.h. im Geltungsbereich der station¨aren Phasenapproximation) kommen also die dominierenden Beitr¨ age zum Funktionalintegral in der Tat von den klassischen Trajektorien, welche die Newton’sche Bewegungsgleichung erf¨ ullen und den Randbedingungen x(ta ) = xa , x(tb ) = xb gen¨ ugen.

Wegen (5.7) erhalten wir aus (6.12) auch f¨ ur die Wellenfunktion im Limes ~ → 0 i

ψ(xb , tb ) ∼ e ~ S[˜x](b,a) ,

~→0.

(6.15)

F¨ ur die Wellenfunktion ψ(xb , tb ) ist dabei a ≡ (xa , ta ) ein irrelevanter, bis auf die Kausalit¨at (ta < tb ) beliebig w¨ ahlbarer Anfangspunkt. Um Aufschluss u ¨ber die Form der Wellenfunktionen zu erhalten, gen¨ ugt es deshalb, die Wirkung als Funktion der Endkoordinate b ≡ (xb , tb ) = (x, t) zu untersuchen: i

ψ(x, t) ∼ e ~ S[˜x](x,t;xa ,ta ) .

¨ F¨ ur kleine Anderungen der Endkoordinate und Endzeit, (x, t) → (x + δx, t + δt) ,

(6.16)

82

6 Der klassische Grenzfall x

x

δx

x

δt

x

xa

xa t

ta

(a)

ta

(b)

t

t

¨ Abb. 6.4: Anderung der klassischen Trajektorie eines Teilchens (a) bei Variation der Endkoordinate x → x + δx bei festgehaltener Endzeit t und (b) bei Variation der Endzeit t → t + δt und festgehaltener Endkoordinate x.

¨ k¨onnen wir die Wirkung nach den Anderungen der Raum- und Zeitkoordinate entwickeln und erhalten: S[˜ x](x + δx, t + δt; xa , ta ) = S[˜ x](x, t; xa , ta ) ∂S[˜ x](x, t; xa , ta ) ∂S[˜ x](x, t; xa , ta ) δx + δt + . . . . + ∂x ∂t Beachten wir, dass die Ableitung der Wirkung nach der Endkoordinate den Impuls am Ende der klassischen Trajektorie, d.h. zur Zeit t liefert (siehe Abb. 6.4(a)), ∂S[˜ x](x, t; xa , ta ) = p(t) , ∂x und weiterhin nach der Hamilton-Jacobi’schen Differentialgleichung ∂S[˜ x](x, t; xa , ta ) = −H(p, x) ∂t

(6.17)

die Ableitung der Wirkung nach der Zeit (siehe Abb. 6.4 (b)) die auf der klassischen Trajektorie erhaltene Energie H(p, x) = E des Teilchens liefert, so finden wir schließlich f¨ ur die Wellenfunktion (6.16): i

ψ(x + δx, t + δt) ≃ ψ(x, t)e ~ (p δx−E δt) .

(6.18)

Die Wellenfunktion eines quasiklassischen Teilchens (f¨ ur das S[x] ≫ ~ gilt) verh¨alt sich ¨ also f¨ ur kleine Anderungen der Argumente von Ort und Zeit wie eine fortschreitende ebene Welle, deren Wellenzahl k durch den klassischen Impuls und deren Frequenz ω durch die klassische Energie gegeben sind: k=

p ~

,

ω=

E . ~

6.3 Der klassische Grenzwert des Propagators

83

Dasselbe Verhalten hatten wir bereits f¨ ur die Wellenfunktion des freien Teilchens gefunden. Die Wellennatur der Teilchenpropagation im semiklassischen Bereich (S[x] ≫ ~) tritt besonders klar hervor, wenn man die kanonische (Hamilton-)Form der Wirkung S[p, x] =

Ztb

ta

dt (px˙ − H(p, x))

(6.19)

benutzt, wobei H(p, x) =

p2 + V (x) 2m

die klassische Hamilton-Funktion ist. F¨ ur konservative Systeme ist die Hamilton-Funktion der klassischen Trajektorie, d.h. der Trajektorie, die den kanonischen Bewegungsgleichungen p˙ = −

∂V ∂x

,

x˙ =

p m

gen¨ ugt, gleich der klassischen Energie (H(p, x) = E), die l¨angs der klassischen Trajekonnen wir die Wirkung der klassischen Trajektorie mit Rtorie erhalten bleibt. R Damit k¨ dt x(t)p(x(t)) ˙ = dx p(x) schreiben als: S[˜ x](b, a) =

Zxb

xa

dx p(x) − E(tb − ta )

und die Wellenfunktion (6.16) nimmt im klassischen Grenzfall die Gestalt   x  Z i ψ(x, t) = C exp   dx′ p(x′ ) − Et ~

(6.20)

x0

an, wobei wir die irrelevante Abh¨ angigkeit von der Anfangszeit t0 = ta bzw. der Anfangskoordinate x0 = xa durch die Konstante C ausgedr¨ uckt haben. ¨ Betrachten wir nun die Wellenfunktion f¨ ur eine kleine Anderung der Koordinate x → x+ δx bzw. der Zeit t → t+ δt, so finden wir unmittelbar das bereits in (6.18) gefundene Ergebnis   i i p(x)δx − E δt . ψ(x + δx, t + δt) = ψ(x, t) exp ~ ~ F¨ ur eine klassische konservative Bewegung (E = const) ist der Impuls auf der klassischen Trajektorie durch den Energiesatz gegeben: p (6.21) p(x) = 2m(E − V (x)) .

84

6 Der klassische Grenzfall

F¨ ur ein konstantes Potential verschwindet die Kraft und der Impuls bleibt erhalten. Die Wellenfunktion nimmt dann f¨ ur V < E die Gestalt einer ebenen Welle an. F¨ ur eine klassische Bewegung im nicht-trivialen, d.h. ortsabh¨angigen Potential V (x) ist dagegen der lineare Impuls nicht erhalten, sondern ebenfalls ortsabh¨angig, wie aus Gl. (6.21) ersichtlich ist. Die Wellenfunktion (6.20) repr¨asentiert dann nur lokal eine ebene Welle, i

ψ(x + ∆x, t) = ψ(x, t)e ~ p(x) ∆x , ¨ kann jedoch f¨ ur gr¨ oßere Anderungen des Ortes infolge der Ortsabh¨angigkeit p(x) wesentlich von der ebenen Welle abweichen. Die Wellenfunktion im klassischen Grenzfall (6.20) faktorisiert in einen orts- und zeitabh¨angigen Teil:

ψ(x, t) = e

− ~i Et

ϕ(x) ,



i ϕ(x) = C(x0 , t0 ) exp  ~

Zx

x0



dx′ p(x′ ) .

(6.22)

Diese Faktorisierung ist, wie wir sp¨ ater sehen werden, nicht auf den klassischen Grenzfall beschr¨ankt, sondern gilt allgemein f¨ ur sogenannte station¨are Prozesse, bei denen die Lagrange- bzw. Hamilton-Funktion nicht explizit von der Zeit abh¨angt. ϕ(x) wird die station¨are Wellenfunktion genannt. F¨ ur station¨are Prozesse ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit zeitunabh¨ angig: w(x, t) = |ψ(x, t)|2 = |ϕ(x)|2 . Die oben durchgef¨ uhrte Auswertung des Funktionalintegrals (6.9) f¨ ur die Wellenfunktionsmittel der station¨ aren Phasenapproximation wird als quasiklassische oder semiklassische N¨aherung bezeichnet3 .

6.4

Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung

Wir betrachten ein Teilchen mit Masse m in einem anziehenden (zeitunabh¨angigen) Potential V (x). Die klassische Wirkung des Teilchens sei hinreichend groß (S[x] ≫ ~), sodass die semiklassische N¨ aherung anwendbar ist. Die klassische Bewegung verl¨auft 3 Streng

genommen sollte man unterscheiden zwischen quasiklassisch und semiklassisch: Wird die station¨ are Phasenapproximation nur in nullter Ordnung durchgef¨ uhrt, d.h. das Funktionalintegral durch seinen Integranden am station¨ aren Punkt (klassische Trajektorie x ˜(t)) ersetzt, wie wir das oben getan haben, so sollte man dies als quasiklassische N¨ aherung bezeichnen, w¨ ahrend der Begriff semiklassische N¨ aherung f¨ ur die volle station¨ are Phasenapproximation vorbehalten sein sollte, in der auch das Gauß’sche Funktionalintegral u ˜(t) mit eingeschlos¨ber die Fluktuationen um die Klasse Trajektorie x sen wird. Wir werden jedoch dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend beide Termini als Synonyme betrachten.

6.4 Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung

85

zwischen den Umkehrpunkten, die durch die Beziehung V (x) = E definiert sind, und ist deshalb periodisch. Wir interessieren uns hier f¨ ur den Propagator zur festen Energie K(xb , xa ; E) (4.37). Benutzen wir f¨ ur K(xb , tb ; xa , ta ) die semiklassische N¨aherung (6.12), so erhalten wir K(xb , xa ; E) =



Z∞

−∞ Z∞

−∞

i

dT e ~ ET K(xb , T ; xa , 0)  i˜ i dT exp ET + S(xb , xa ; T ) , ~ ~ 

(6.23)

wobei wir zur Abk¨ urzung der Notation ˜ b , xa ; T ) = S[˜ S(x x](xb , T ; xa , 0)

(6.24)

gesetzt haben. F¨ ur eine semiklassisch verlaufende Bewegung (S˜ ≫ ~) k¨onnen wir auch das Integral u aren Phasenapproximation berechnen. Der ¨ber die Zeit T in der station¨ Exponent in Gl. (6.23) wird station¨ ar bez¨ uglich der Zeit T f¨ ur E+

˜ b , xa ; T ) ∂ S(x = 0. ∂T

(6.25)

Nach der Hamilton-Jacobischen Diffentialgleichung (6.17) ist aber −

˜ b , xa ; T ) ∂ S(x = H[T ] ∂T

(6.26)

gerade die Energie, die das Teilchen auf der klassischen Trajektorie x˜(t) besitzt, die in der Zeit T von xa nach xb l¨ auft. Damit lautet die station¨are Phasenbedingung (6.25) E = H[T ] .

(6.27)

F¨ ur vorgegebene Energie E w¨ ahlt diese Bedingung die Zeitdauer T , die das Teilchen auf der Trajektorie x˜(t) von xa nach xb ben¨ otigt, so aus, dass die zugeh¨orige erhaltene Energie H[T ] mit der von außen vorgegebenen Energie E u ¨bereinstimmt. Benutzen wir die kanonische Form der Wirkung (6.19), so erhalten wir f¨ ur die Phase des Integranden (6.23) am station¨ aren Punkt den Ausdruck ˜ b , xa ; T ) = T H + W (T ) := T E + S(x

ZT 0

dt (px˙ − H) =

ZT

dt px˙ .

(6.28)

0

Hierbei ist p(x) der Impuls des Teilchens auf der klassischen Trajektorie als Funktion des Ortes, Gl. (6.21). Die (zeitlich erhaltene) klassische Energie H[T ] ist eindeutig durch die Zeitdauer T festgelegt, die das Teilchen zum Durchlaufen der Trajektorie x ˜(t) von xa nach xb ben¨otigt. Die Umkehrung gilt jedoch nicht:

86

6 Der klassische Grenzfall

Unter den klassischen Trajektorien, die f¨ ur eine vorgegebene Energie E von xa nach xb laufen, gibt es eine, die auf direktem (k¨ urzestem) Weg von xa nach xb l¨auft, sowie weitere Trajektorien, die erst u ¨ber einen oder beide Umkehrpunkte den Punkt xb erreichen. Dar¨ uber hinaus gibt es noch Trajektorien, die von xa beginnend erst nach n zus¨atzlichen (geschlossenen) Uml¨ aufen den Ort xb erreichen. Um die Situation zu vereinfachen, betrachten wir den Fall4 xb = xa . Es tragen dann nur solche Trajektorien bei, die wieder zum Ausgangspunkt zur¨ uckkehren. Neben der trivialen “Trajektorie”, bei der das Teilchen einfach am Ort xa verharrt, gibt es dann noch die Trajektorien, auf denen das Teilchen n geschlossene Uml¨ aufe vollzieht, um von xa nach xa zu kommen. In einem anziehenden Potential kann sich ein klassisches Teilchen mit einer Energie E, die gr¨oßer als das Potentialminimum ist, nur w¨ ahrend der Zeitdauer T = 0 an einem Ort xa aufhalten. Ist τ die Zeit, die das Teilchen mit der Energie E f¨ ur einen geschlossenen Umlauf ben¨otigt, so ben¨ otigt das Teilchen f¨ ur n geschlossenen Uml¨aufe die Zeitperiode Tn = nτ .

(6.29)

Hierbei geh¨ort n = 0 zu der trivialen “Trajektorie”. Man beachte, dass n beliebige ganzzahlige Werte annehmen kann. (Negative n entsprechen Uml¨aufe des Teilchens auf der durch die Energie E fixierte Trajektorie in negativer Zeitrichtung.) Da all diese Trajektorien zu verschiedenen n dieselbe Energie besitzen, erf¨ ullen sie alle die station¨are Phasenbedingung (6.27) und liefern somit station¨are Punkte, die in der station¨aren Phasenapproximation ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. (Wir erinnern daran, dass in der station¨aren Phasenapproximation u ¨ber die Beitr¨age von allen station¨aren Punkten zu summieren ist.) Deshalb erhalten wir f¨ ur den Propagator (6.23) in der untersten Ordnung station¨arer Phasenapproximation K(xa , xa ; E) ≃

∞ X

i

e ~ W (Tn ) .

(6.30)

n=−∞

F¨ ur die zugeh¨origen station¨ aren Phasen W (Tn ) (6.28) finden wir mit den Randbedingungen x(0) = xa und x(Tn ) = xa W (Tn ) =

ZTn

dt p(t)x(t) ˙ =

Znτ

dt p(t)x(t) ˙ =n

0

0

I

dx p(x) ,

(6.31)

wobei I

dx p(x) =



dt x(t)p(x(t)) ˙

(6.32)

0

der Beitrag von einem vollen Umlauf im Potential (z.B. von xa nach xa ) ist. Einsetzen von (6.31) in (6.30) liefert   I ∞ X i exp n K(xa , xa ; E) = dx p . (6.33) ~ n=−∞ 4 Den allgemeinen Fall x 6= x werden wir explizit in Abschnitt 7.2 f¨ ur den unendlich hohen Potena b tialtopf behandeln.

6.4 Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung

87

Die verbleibende Summe k¨ onnen wir mit Hilfe der Poisson-Formel, ∞ X

einx = 2π

n=−∞

∞ X

n=−∞

δ(2πn − x) ,

(6.34)

die in Abschnitt 6.6 bewiesen wird, umformen zu K(xa , xa ; E) =

∞ X

n=−∞

2π~ δ(2π~n −

I

dx p) .

(6.35)

Dieser Propagator ist nur f¨ ur solche Energien von Null verschieden, f¨ ur welche die folgende Beziehung gilt: I

!

dx p(x) = 2π~n , n ∈

Z.

(6.36)

Dies ist die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung. Das Wirkungsintegral auf der linken Seite stellt die Fl¨ ache dar, welche die klassische Trajektorie im Phasenraum einschließt. Physikalisch beinhaltet deshalb die obige Bedingung f¨ ur eine quasiklassisch verlaufende Bewegung (S[x] ≫ ~): Aus dem Kontinuum von periodischen klassischen Trajektorien bleiben nur solche u ¨brig, bei denen die eingeschlossene Phasenraumfl¨ache ein Vielfaches von 2π~ ist (siehe Abb. 6.5(b)).

Setzen wir nun f¨ ur p(x) den Energiesatz (6.21) ein, so lautet die Quantisierungsbedingung: I p dx 2m(E − V (x)) = 2π~n . F¨ ur ein gegebenes n ist diese Bedingung nur f¨ ur eine diskrete Energie E ≡ En erf¨ ullt. Die Energie eines quantenmechanischen Teilchens, welches in einem Potential V (x) eingeschlossen ist, kann also nicht kontinuierlich variieren (wie in der klassischen Mechanik), sondern nur diskrete, d.h. quantisierte Werte annehmen (siehe Abb. 6.5(a)). Die Energien, f¨ ur welche die Quantisierungsbedingung erf¨ ullt ist, werden als Quanten(energie)zust¨ande bzw. station¨are Quantenzust¨ande des Teilchens bezeichnet. Benachbarte Quantenzust¨ ande unterscheiden sich durch eine Fl¨ache von 2π~ im Phasenraum. N Zust¨ande besetzen damit ein Phasenraumvolumen von 2π~N .

88

6 Der klassische Grenzfall E

(a)

V (x)

E3 E2 E1

x

p (b)

n=3 n=2

2π~

n=1

x

Abb. 6.5: (a) Die quantisierten Energien eines Teilchens im anziehenden Potential V (x) in semiklassischer N¨ aherung. (b) Die zu den quantisierten Energien geh¨ origen Phasenraumtrajektorien: Die von den Phasenraumtrajektorien benachbarter Quantenzust¨ ande eingeschlossenen Fl¨ achen unterscheiden sich um eine Fl¨ ache 2π~.

Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung (6.36) garantiert auch, dass nach einem Umlauf des Teilchens auf der geschlossenen (periodischen) Trajektorie die station¨are Wellenfunktion ϕ(x) aus (6.22) ihren urspr¨ unglichen Wert wiedererlangt. Bei der Ableitung der Bohr-Sommerfeld’schen Quantisierungsbedingung hatten wir vorausgesetzt, dass die Wirkung groß gegen¨ uber ~ ist. Deshalb kann diese Beziehung nur f¨ ur große n eine quantitativ gute Beschreibung liefern. Bei der praktischen Anwendung dieser Beziehung zeigt sich jedoch, dass sie auch in vielen F¨allen f¨ ur kleine n eine sehr brauchbare qualitative Beschreibung liefert. Im klassischen Grenzfall S[x]/~ → ∞ (d.h. n → ∞) wird der Abstand zwischen zwei benachbarten Phasenraumtrajektorien beliebig klein, und wir erhalten die kontinuierliche Mannigfaltigkeit von periodischen klassischen Trajektorien. Als einfaches illustratives Beispiel betrachten wir einen rechteckigen Potentialtopf (siehe Abb. 6.6).

6.4 Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung

89

V (x)

(a) V0

x −a

a p

(b) √ 2mE x √ − 2mE −a

a

Abb. 6.6: (a) Rechteckiger Potentialtopf. (b) Phasenraumtrajektorie eines Teilchens im Potentialtopf.

F¨ ur E < V0 findet die entsprechende klassische Bewegung nur innerhalb des Potentialtopfs mit konstantem Impuls statt und die Potentialw¨ande bei x = ±a sind die Umkehrpunkte der Bewegung, in denen der Impuls sein Vorzeichen wechselt: √ p = ± 2mE . Im vorliegenden Fall ist der Impuls also st¨ uckweise konstant und wir erhalten f¨ ur das Wirkungsintegral (6.32) I dx p = |p|2L , wobei L = 2a die Breite des Potentialtopfs und somit 2L die L¨ange der klassischen Trajektorie ist, siehe Abb. 6.6. Die Quantisierungsbedingung (6.36) liefert dann: |p| =

nπ~ 2π~ n= =: pn . 2L L

(6.37)

90

6 Der klassische Grenzfall

Die Impulse eines quantenmechanischen Teilchens im Potentialtopf sind also quantisiert, genau wie die Energien En =

p2n 1 = 2m 2m



nπ~ L

2

.

(6.38)

F¨ ur einen konstanten Impuls |p| stellt die station¨are Wellenfunktion ϕ(x) (6.22) eine ebene Welle der Form ϕ(x) ∼ e±i|p|x/~ dar. Die Wellenl¨ angen λn =

2π 2π~ 2L = = kn pn n

sind nach der Quantisierungsbedingung (6.37) so beschaffen, dass gerade ein Vielfaches der Wellenl¨ange auf die periodische (geschlossene) Trajektorie passt (Abb. 6.7), d.h.: 2L = nλn .

n=3

n=5

n=8

Abb. 6.7: Illustration der de Broglie’schen Quantisierungsbedingung.

Dies ist die de Broglie-Quantisierungsbedingung, die offenbar eine Folge der Bohr-Sommerfeld’schen Quantisierungsbedingung ist. F¨ ur den rechteckigen Potentialtopf bedeutet sie offenbar, dass f¨ ur einen station¨ aren Quantenzustand ein Vielfaches der halben Wellenl¨ange in den Potentialtopf passen muss (siehe Abb. 6.8). Nach der de Broglie’schen Quantisierungsbedingung sind die station¨aren Bahnen durch stehende Wellen gegeben. Dies ist physikalisch sofort einsichtig. Nicht-stehende Teilchenwellen w¨ urden sich durch destruktive Interferenz nach einigen Uml¨aufen ausl¨oschen. Die de Broglie’sche Bedingung scheint damit auch das konzeptionelle Problem der Energieabstrahlung der Elektronen im Bohr’schen Atommodell zu kl¨aren: Ein auf einer geschlossenen Bahn umlaufendes Elektron ist eine beschleunigte Ladung (die gen¨ahert als ein schwingender Dipol betrachtet werden kann) und muss nach den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik Energie abstrahlen, kann also keinen station¨aren Zustand

6.5 Die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich

91 n=3

n=2

n=1

Abb. 6.8: Wellenfunktionen der station¨ aren Zust¨ ande im eindimensionalen Potentialtopf in semiklassischer N¨ aherung.

bilden. Demgegen¨ uber kann eine stehende Welle auch in der klassischen Elektrodynamik strahlungsfrei existieren. Im Falle eines unendlich hohen Potentialtopfes besitzen die stehenden Wellen Knoten an den Potentialw¨ anden, wie sp¨ ater eine strenge quantenmechanische Behandlung zeigen wird. Bemerkenswert ist, dass die semiklassische Quantisierungsbedingung f¨ ur den rechteckigen Potentialtopf, solange die Energie E < V0 ist, keine Information u ¨ber die H¨ ohe V0 des Potentialtopfes enth¨ alt. Dies ist eine (inkorrekte) Besonderheit der hier benutzten semiklassischen N¨ aherung. Wie wir sp¨ater sehen werden, h¨angt die exakte Energie des quantisierten Zustandes von V0 ab und der semiklassische Ausdruck (6.38) wird nur im Grenzfall V0 → ∞ exakt. Hieraus k¨onnen wir schließen, dass die semiklassische N¨aherung gut f¨ ur Energien E, die sehr viel kleiner als V0 sind, ist, aber ungenau wird, wenn E in die N¨ ahe der Potentialkante V0 kommt. F¨ ur E > V0 ist die klassische Bewegung nicht mehr gebunden. Das Phasenraumintegral I

dx p(x)

¨ divergiert dann: Schon mit einer infinitesimalen Anderung von E bzw. von p 2m(E √ − V0 ) , |x| > a |p| = 2mE , |x| ≤ a H l¨ asst sich das Phasenraumvolumen dx p(x) um 2π~ vergr¨oßern und somit die BohrSommerfeld’schen Quantisierungsbedingung erf¨ ullen. F¨ ur E > V0 k¨onnen daher E und p beliebige kontinuierliche Werte annehmen und die Zust¨ande sind nicht quantisiert.

92

6 Der klassische Grenzfall V (x)

E

x

x0 Abb. 6.9: Potential mit klassisch verbotenem Bereich x > x0 .

6.5

Die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich

Der quasiklassische Ausdruck f¨ ur die Wellenfunktion (6.20) wurde unter der alleinigen Voraussetzung abgeleitet, dass S[˜ x] ≫ ~. In diesem Limes tragen zur Wellenfunkti¨ on (bzw. Ubergangsamplitude) nur Trajektorien bei, welche die Wirkung extremieren. Aus mathematischer Sicht m¨ ussen diese Extrema nicht notwendigerweise zu klassisch realisierten Trajektorien geh¨ oren, sondern k¨ onnen auch im klassisch verbotenen Energiebereich E < V (x) liegen. Bei der Ableitung von (6.20) wurden insbesondere keine Voraussetzungen u ¨ber den Wertebereich von x gemacht. Dieser Ausdruck sollte deshalb auch im klassisch verbotenen Bereich gelten (Abb. 6.9). In diesem Bereich wird der Impuls rein imagin¨ar: p p(x) = ±i|p(x)| = ±i 2m(V (x) − E) .

Prinzipiell k¨onnen aus mathematischer Sicht beide Wurzeln auftreten: p(x) = ±i|p(x)|. Eine der beiden Wurzeln w¨ urde jedoch zu einer exponentiell anwachsenden Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens unterhalb des Potentials, d.h. im klassisch verbotenen Bereich f¨ uhren, was aus physikalischer Sicht auszuschließen ist, da im klassischen Limes S/~ → ∞ das Teilchen sich nicht im klassisch verbotenen Gebiet aufhalten darf. Deshalb ist das Vorzeichen stets so zu w¨ ahlen, dass die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Gebiet exponentiell abklingt. Aus Gl. (6.20) finden wir dann f¨ ur x > x0 : 

ψ(x, t) = ψ(x0 , t) exp −

Zx

x0



dx′ |p(x′ )| ,

wobei x0 der klassische Wendepunkt bezeichnet, bei dem p(x0 ) = 0, siehe Abb. 6.9.

6.6 Beweis der Poisson-Formel

93

Dasselbe Verhalten finden wir damit f¨ ur die Aufenthaltswahrscheinlichkeit:   Zx |ψ(x, t)|2 = |ψ(x0 , t)|2 exp −2 dx′ |p(x′ )| , x > x0 . x0

W¨ ahrend f¨ ur ein klassisches Teilchen mit der Energie E der Potentialbereich E < V (x) streng verboten ist, kann ein quantenmechanisches Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in dieses klassisch verbotene Gebiet eindringen. Diese Wahrscheinlichkeit bzw. die Wellenfunktion f¨ allt jedoch exponentiell mit der Eindringtiefe ab. F¨ ur die Wellenfunktion eines quasiklassischen Teilchens (d.h. mit einer Wirkung S[x] ≫ ~) in einem Potentialtopf erhalten wir damit das in Abb. 6.10 skizzierte Verhalten: Im klassisch erlaubten Gebiet E > V (x) oszilliert die Wellenfunktion mit der lokalen Wellenzahl“ ” k(x) = p(x)/~ und f¨ allt im klassisch verbotenen Gebiet E < V (x) exponentiell mit der Eindringtiefe ab.

V (x) E

[Reϕ(x)]2

x

Abb. 6.10: Illustration der station¨ aren Wellenfunktion ϕ(x) eines Teilchens im Potential V (x) in semiklassischer N¨ aherung (6.22). Im klassisch erlaubten Bereich E > V (x) verh¨ alt sich die Wellenfunktion lokal wie eine ebene Welle, w¨ ahrend sie im klassisch verbotenen Gebiet exponentiell abklingt.

6.6

Beweis der Poisson-Formel

Zur Ableitung der Bohr-Sommerfeld’schen Quantisierungsbedingung (6.36) benutzten wir die Poisson-Formel ∞ X

n=−∞

einx = 2π

∞ X

k=−∞

δ(x − 2πk) ,

(6.39)

waren deren Beweis jedoch schuldig geblieben. Wir wollen ihn nun nachholen: Wir nehmen zun¨achst x > 0 an. Zur Berechnung der auf der linken Seite stehenden Summe

94

6 Der klassische Grenzfall Im{z}

C 1 + iǫ

2 + iǫ Re{z}

−2

−1

0

1

2

Abb. 6.11: Illustration des geschlossenen Integrationsweges C f¨ ur x > 0.

u ucken wir diese durch ein Konturintegral (geschlossenes Kur¨ber die ganzen Zahlen dr¨ venintegral) in der komplexen Ebene aus (ε > 0): I ∞ X inx e = lim dz eizx gε (z) , (6.40) ε→0

n=−∞

C

wobei gε (z) =

1 1−

e−i2π(z−iε)

und die Integrationskontur C in Abb. 6.11 dargestellt ist. Zum Beweis von (6.40) verwenden wir, dass die Funktion gε (z) Pole bei z = zn ≡ n + iε besitzt, wobei n eine ganze Zahl ist. Die zugeh¨ origen Residuen sind: Res gε (z)|z=zn =

1 . 2πi

Benutzt man den Residuensatz I

dz f (z) = 2πi

X

Res f (z)|z=zk

k

und beachtet  Res eizx g(z)|z=zk = eizk x Res g(z)|z=zk ,

so produziert das Integral auf der rechten Seite von (6.40) gerade die Summe auf der linken Seite, wenn wir ε → 0 gehen lassen. (Die Einf¨ uhrung von ε war n¨otig, damit keine

6.6 Beweis der Poisson-Formel

95

Singularit¨aten auf der Integrationskontur liegen, was Voraussetzung f¨ ur Anwendung des Residuensatzes ist.) Jetzt erinnern wir uns, dass wir uns auf x > 0 beschr¨ankt hatten. Dann ist die Funktion eizx f¨ ur Im(z) > 0 eine in der oberen komplexen Halbebene regul¨are Funktion, die f¨ ur |z| → ∞ exponentiell abklingt. In diesem Gebiet ist auch die Funktion gε=0 (z) regul¨ar und klingt f¨ ur |z| → ∞ exponentiell ab. Wir k¨onnen deshalb den oberen Teil der Integrationskontur in der komplexe Ebene verschieben zu einem im Unendlichen verlaufenden Halbkreis. Das Integral u ¨ber diesen Halbkreis verschwindet, da die Funktion dort u agt deshalb nur der Integrationsweg entlang ¨berall verschwindet. Zum Integral tr¨ der reellen Achse von −∞ bis +∞ bei, und wir erhalten: ∞ X

e

inx

=

n=−∞

Z∞

dzeizx gε=0 (z) .

−∞

Die Funktion gε (z) l¨ asst sich als unendliche geometrische Reihe darstellen: gε (z) =

1 1 − e−i2π(z−iε)

=

∞ X

e−i(z−iε)2πk .

k=0

Setzen wir diese Darstellung in das obige Integral ein und benutzen die Fourier-Darstellung der δ-Funktion (A.17), so finden wir im Limes ε → 0: ∞ X

e

inx

=

n=−∞

Z∞

−∞

dz

∞ X

eiz(x−2πk) = 2π

k=0

∞ X

k=0

δ(x − 2πk) .

(6.41)

Da f¨ ur x > 0 und k < 0: δ(x − 2πk) = δ(x + 2π|k|) = 0 , k¨ onnen wir auf der rechten Seite von (6.41) die Summation u ¨ber k bis nach −∞ erstrecken, ohne dabei den Wert der Summe zu ver¨andern. Damit erhalten wir das gesuchte Ergebnis (6.39) f¨ ur den Fall x > 0. In analoger Weise beweist man die Poisson-Formel f¨ ur den Fall x < 0. F¨ ur x = 0 divergieren beide Seiten von Gl. (6.39).

7

Unendlich große Potentialspru¨nge

7.1

Die unendlich hohe Potentialkante

Bisher haben wir eine strenge quantenmechanische Behandlung nur f¨ ur das freie Teilchen durchgef¨ uhrt. Im Folgenden soll als erstes nicht-triviales Beispiel die Bewegung eines quantenmechanischen Teilchens bei Anwesenheit einer unendlich hohen Potentialkante betrachtet werden, die sich bei x = 0 befindet und in das Gebiet negativer x-Werte erstreckt. Die Behandlung der unendlich hohen Potentialkante ist Voraussetzung f¨ ur den sp¨ ater zu behandelnden unendlich tiefen Potentialtopf. Die Potentialkante ist durch  ∞ , x≤0 V (x) = 0 , x>0 definiert. Die unendlich hohe Potentialkante ist eine mathematische Idealisierung, die in der Natur nicht existiert. Wir k¨ onnen dieses Potential nur als Grenzfall eines sich sehr rapide andernden Potentials betrachten, das schnell gegen eine Konstante V0 strebt (Abb. ¨ 7.1).

7.1.1

Der Propagator bei Anwesenheit einer unendlich hohen Potentialwand

Wir betrachten zuerst die Wellenfunktion bei einem endlichen Potentialsprung. Wir setzen voraus, dass der asymptotische Wert V0 des Potentials f¨ ur x → −∞ sehr groß gegen¨ uber der Energie E des Teilchens ist. Trotzdem soll diese Energie groß genug sein, dass eine semiklassische Behandlung m¨ oglich wird. In Abschnitt 6.3 (vgl. Gl. (6.20)) fanden wir in der semiklassischen N¨aherung f¨ ur die Ortsabh¨angigkeit des Propagators: 

i K(x, t; x′ , t′ ) ∼ exp  ~

Zx

x′



dy p(y)

(7.1)

p mit p(x) = 2m(E − V (x)). Wir betrachten jetzt einen Weg, der von einem Ort x′ im klassisch erlaubten Bereich u x) = 0) ¨ber den klassischen Umkehrpunkt x¯ (bei welchem p(¯

98

7 Unendlich große Potentialspr¨ unge Vb (x)

V0

b

lim Vb (x) = V (x)

b→0

E x 0

x ¯

Abb. 7.1: Die unendlich scharfe Potentialkante als Grenzwert eines sich rasch ¨ andernden Potentials.

hinaus in das klassisch verbotene Gebiet x < x ¯ f¨ uhrt. Nach Gl. (7.1) k¨onnen wir wegen Zx

dy p(y) =

x′

Zx

dy p(y) +

Zx¯

dy p(y)

x′

x ¯

den Propagator in der Form 

i K(x, t; x′ , t′ ) ∼ exp  ~

Zx x ¯



dy p(y) K(¯ x, t; x′ , t′ )

schreiben. Im klassisch verbotenen Gebiet x < x ¯ (mit V (x) > E) ist p(x) = ±i|p(x)| und wir finden: x  Z p 1 x, t; x′ , t′ ) . K(x, t; x′ , t′ ) ∼ exp − dy 2m(V (y) − E)  K(¯ ~ 

x ¯

Unter der Voraussetzung einer sehr hohen und steilen Potentialkante, V0 ≫ E ,

b→0,

x ¯→0,

7.1 Die unendlich hohe Potentialkante

99

k¨ onnen wir die Energie gegen¨ uber dem Potential im Ausdruck f¨ ur den Impuls vernachl¨assigen, V (y) − E ≃ V0 , und finden f¨ ur die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Gebiet:   1p ′ ′ ψ(x, t) ∼ K(x, t; x , t ) ∼ exp − 2mV0 |x| K(0, t; x′ , t′ ) . ~ F¨ ur eine unendlich hohe Potentialstufe V0 → ∞ verschwindet damit der Propagator bzw. die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Gebiet.  K(x, t; x′ , t′ ) = 0 , x ≤ 0 , V0 → ∞ . (7.2) ψ(x, t) =0

Durch die unendlich hohe Potentialwand wird die Bewegung des Teilchens auf das Gebiet x > 0 eingeschr¨ ankt. Deshalb nimmt der Zerlegungssatz (4.4) hier die Gestalt K(b, a) =

Z∞

dxc K(b, c)K(c, a)

(7.3)

0

an, wobei betont sei, dass sich die Integration u ¨ber die intermedi¨are Koordinate xc hier nur u ¨ber das (klassisch) erlaubte Gebiet xc > 0 erstreckt. Bezeichnen wir den gleichzeitigen Limes des Propagators mit1 lim K(xb , tb ; xc , tc ) =: f (xb , xc )

tc →tb

(7.4)

und nehmen im Zerlegungssatz (7.3) den Limes ta → tc → tb , so erhalten wir: f (xb , xa ) =

Z∞

dxc f (xb , xc )f (xc , xa ) .

0

Diese Gleichung besitzt die L¨ osung f (xb , xa ) = δ(xb − xa ) ∓ δ(xb + xa ) ,

(7.5)

wovon man sich leicht u ¨berzeugt, wenn man die Beziehung Z∞ f (xb , xa ) = dxc [δ(xb − xc ) ∓ δ(xb + xc )]f (xc , xa ) 0

=



∓f (−xb , xa ) , xb < 0 f (xb , xa ) , xb > 0

1 Wegen der Homogenit¨ at der Zeit kann der Propagator K(b, a) bei Abwesenheit (explizit) zeitabh¨ angiger Kr¨ afte bzw. Potentiale nur von der Zeitdifferenz tb − ta abh¨ angen und sein gleichzeitiger Limes muss zeitunabh¨ angig sein.

100

7 Unendlich große Potentialspr¨ unge

benutzt und beachtet, dass f¨ ur die in (7.5) definierte Funktion ∓f (−xb , xa ) = f (xb , xa ) gilt. Da der Propagator bei Anwesenheit der unendlich hohen Potentialkante bei x = 0 verschwinden muss, kommt nur das obere Vorzeichen in Frage, und wir erhalten damit die asymptotische Form lim K(xb , tb ; xc , tc ) = δ(xb − xc ) − δ(xb + xc ) .

tc →tb

(7.6)

Wie f¨ ur eine nicht-eingeschr¨ ankte Bewegung k¨onnten wir aus dem Zerlegungssatz und der Annahme, dass die Phase des Propagators durch die klassische Wirkung gegeben ist, die explizite Form des Propagators bei Anwesenheit der Potentialwand bestimmen. Im vorliegenden Falle empfiehlt es sich jedoch, einen einfacheren heuristischen Weg zu beschreiten. Das Teilchen kann sich rechts der Wand (d.h. f¨ ur x > 0) frei bewegen. Es liegt also nahe, von der L¨ osung f¨ ur das freie Teilchen auszugehen und dort die Randbedingung (7.2) einzuarbeiten. Der Propagator des freien Teilchens ohne Wand ist in der kanonischen Formulierung durch den Ausdruck (4.31) ′



K0 (x, t; x , t ) =

Z∞

−∞

  dp i p(x−x′ ) i p2 ′ exp − e~ (t − t ) 2π~ ~ 2m

(7.7)

gegeben. Zerlegen wir hier die ortsabh¨ angige Exponentialfunktion in Real- und Imagin¨arteil,  px   px  i + i sin , e ~ px = cos ~ ~ so nimmt der Propagator folgende Gestalt an: K0 (x, t; x′ , t′ ) =

Z∞

−∞

 ′  ′   px   px  px px dp h cos cos + sin sin 2π~ ~ ~ ~ ~   i p2 (t − t′ ) . exp − ~ 2m

Hierbei wurde benutzt, dass die gemischten Terme der Form sin(px/~) cos(px′ /~) aus Symmetriegr¨ unden nichts zum Integral beitragen. Wie wir oben gesehen haben, muss ¨ bei Anwesenheit der unendlich hohen Potentialwand die Ubergangsamplitude K bei x = 0 verschwinden. Deshalb k¨ onnen nur die Sinuswellen zum Propagator beitragen, der dann offenbar die Gestalt ′



K(x, t; x , t ) = C

Z∞

−∞

 px  dp sin sin 2π~ ~



px′ ~



  i p2 ′ exp − (t − t ) (7.8) ~ 2m

besitzen muss. Hierbei ist C eine Normierungskonstante, die eingef¨ uhrt wurde, da sich durch Weglassen der geraden Kosinuswellen die Normierung des Propagators ¨andert.

7.1 Die unendlich hohe Potentialkante

101

Die Normierungskonstante l¨ asst sich aus dem bereits bekannten gleichzeitigen Limes lim K(x, t; x′ , t′ )

t′ →t

bestimmen (siehe Gl. (7.6)). Bevor wir diesen Limes betrachten, empfiehlt es sich, die Darstellung (7.8) noch etwas umzuformen. Die Sinusfunktionen stellen wir wieder durch Exponentialfunktionen dar, sin

 px  ~

=

 i 1  i px e ~ − e− ~ px , 2i

und erhalten: C K(x, t; x , t ) = − 4 ′



Z∞

−∞

 i ′  ′ i i dp  i px e ~ − e− ~ px e ~ px − e− ~ px 2π~

  i p2 (t − t′ ) · exp − ~ 2m C = 4

C = 2

Z∞

−∞

Z∞

−∞

 ′ ′ ′ i i i dp  i p(x−x′ ) + e− ~ p(x−x ) − e ~ p(x+x ) − e− ~ p(x+x ) e~ 2π~   i p2 (t − t′ ) · exp − ~ 2m    ′ i p2 i dp  i p(x−x′ ) − e ~ p(x+x ) exp − e~ (t − t′ ) , 2π~ ~ 2m

(7.9)

wobei wir im letzten Schritt im zweiten und vierten Term die Integrationsvariable p zu −p umbenannt haben. Nehmen wir hier den gleichzeitigen Limes t′ → t, so erhalten wir: lim K(x, t; x′ , t′ ) =

t′ →t

C [δ(x − x′ ) − δ(x + x′ )] , 2

wobei die Fourier-Darstellung der δ-Funktion (A.17) benutzt wurde. F¨ ur C = 2 reproduziert dieser Ausdruck das korrekte Ergebnis (7.6). Damit finden wir f¨ ur den Propagator bei Anwesenheit der Potentialwand: ′



K(x, t; x , t ) = 2

Z∞

−∞

 ′    px  dp px i p2 ′ sin exp − (t − t ) sin 2π~ ~ 2m ~ ~

(7.10)

102

7 Unendlich große Potentialspr¨ unge

−Q

Q>0

−x

x

E=0 Abb. 7.2: Das zur unendlich hohen Potentialwand analoge Randwertproblem aus der Elektrostatik: Punktladung vor unendlich ausgedehnter ebener Metallplatte.

oder aus (7.9) mit C = 2: ′



K(x, t; x , t ) =

Z∞

−∞

   ′ ′ i p2 i i dp ′ exp − (t − t ) e ~ p(x−x ) − e ~ p(x+x ) 2π~ ~ 2m

= K0 (x, t; x′ , t′ ) − K0 (x, t; −x′ , t′ ) .

(7.11)

Wir k¨onnen also den Propagator K bei Anwesenheit der Wand durch den des freien Teilchens, K0 (7.7) ausdr¨ ucken. In dieser Form ist es offensichtlich, dass K(x, t; x′ , t′ ) der Randbedingung (7.6) gen¨ ugt, da lim K0 (x, t; x′ , t′ ) = δ(x − x′ )

t′ →t

gilt, siehe Gl. (4.5).

7.1.2

Interpretation des Propagators: Die Spiegelladungsmethode

Die Darstellung (7.11) besitzt eine sehr anschauliche Interpretation: Der Propagator bei Anwesenheit der Wand l¨ asst sich interpretieren, als sei zum Zeitpunkt t′ neben dem tats¨achlich am Ort x′ vorhandenem Teilchen noch ein weiteres Teilchen, spiegelbildlich zum ersten Teilchen, am Ort −x′ , mit der entgegengesetzten Phase eiπ = −1 installiert ¨ worden, siehe Abb. 7.3(a). Durch die Interferenz der freien Ubergangsamplituden vom urspr¨ unglichen Teilchen bei x′ und von dem bei −x′ induziertem Spiegelteilchen entsteht ¨ die exakte Ubergangsamplitude bei Anwesenheit der unendlich hohen Potentialwand. Das hier erhaltene Ergebnis besitzt ein klassisches Analogon in der Elektrostatik (siehe Abb. 7.2): Befindet sich eine Punktladung vor einer unendlich ausgedehnten, ideal leitenden Metallplatte, so entsteht ein elektrisches Feld, das genau die Gestalt besitzt, als ob

7.1 Die unendlich hohe Potentialkante

103

sich hinter der ideal leitenden Metallplatte, spiegelbildlich zur urspr¨ unglichen Ladung, eine entgegengesetzte Ladung, die sogenannte Spiegelladung, bef¨ande. Die tats¨achliche Ladung induziert auf der Metallplatte Oberfl¨ achenladungen, die dasselbe Feld erzeugen wie die fiktive Spiegelladung2 . Diese Methode der Spiegelladung, bei der die Oberfl¨ achenladung der Metallplatte durch induzierte Spiegelladungen imitiert werden, hat sich in der Elektrostatik als ¨ außerst bequem erwiesen. Derselben Methode k¨onnen wir uns offenbar auch hier bedienen, um Randwertprobleme in der Quantenmechanik zu l¨ osen. Da der freie Propagator ′ ′

K0 (x, t; x t ) =

r

m exp i2π~(t − t′ )



i m (x − x′ )2 ~ 2 2(t − t′ )



(7.12)

nur von |x − x′ | abh¨ angt, gilt K0 (x, t; −x′ , t′ ) = K0 (−x, t; x′ , t′ ) und wir k¨onnen (7.11) in ¨ aquivalenter Form schreiben: K(x, t; x′ , t′ ) = K0 (x, t; x′ , t′ ) − K0 (−x, t; x′ , t′ ) .

(7.13)

Durch diese Umformung haben wir das Spiegelteilchen vom Anfang der Bewegung (−x′ , t′ ) (siehe Abb. 7.3(a)) zum Ende der Bewegung (−x, t) (siehe Abb. 7.3(b)) verlagert. Der volle quantenmechanische Propagator eines freien Teilchens (7.12) l¨asst sich eindeutig durch die (geradlinige) klassische Trajektorie charakterisieren, die von (x′ , t′ ) nach (x, t) l¨auft (Genauer gesagt h¨ angt K(x, t; x′ t′ ) nur von der L¨ange L = |x − x′ | dieser Trajektorie und der Zeitdauer T = t − t′ ab, die das Teilchen zum Durchlaufen dieser Trajektorie ben¨otigt.). Der Propagator bei Anwesenheit der unendlich hohen Potentialwand l¨asst sich dann wie folgt interpretieren: Der direkte Term K0 (x, t; x′ , t′ ) beschreibt die freie Evolution des Teilchens von x′ → x, so als ob u ¨berhaupt keine Potentialwand vorhanden w¨are. Der Spiegelterm K0 (−x, t; x′ , t′ ) entspricht der Propagation von x′ zum Ort des Spiegelteilchens −x. Spiegeln wir den hinter der Wand gelegenen Teil dieser Trajektorie an der Potentialwand, so erhalten wir die in Abb. 7.3(b) gestrichelt dargestellte Trajektorie, die am Ort x des tats¨ achlichen Teilchens endet. Diese Spiegelung ¨andert weder die L¨ange der Trajektorie L = |x − x′ | noch die Zeitdauer T = |t − t′ | und somit auch 2 Dieses Ph¨ anomen besitzt folgende mikroskopische Erkl¨ arung: In der ideal leitenden Metallplatte sind die elektrischen Ladungstr¨ ager (Elektronen) frei beweglich. Wird die Metallplatte in ein ¨ außeres elektrisches Feld gebracht, z.B. indem Ladungen in die N¨ ahe der Platte gebracht werden, so verschiebt das ¨ außere Feld die Elektronen der Metallplatte relativ zu den positiv geladenen Atomr¨ umpfen. Durch diese Ladungstrennung entstehen Influenzladungen, die ein Gegenfeld aufbauen, welches das ¨ außere Feld kompensiert. Dadurch kann kein elektrisches Feld in einen idealen Leiter eindringen und die elektrischen Feldlinien m¨ ussen stets senkrecht auf der Leiteroberfl¨ ache stehen. Im vorliegenden Beispiel induziert die Ladung vor der Metallplatte Ladungen auf der Metalloberfl¨ ache, die dasselbe Feld erzeugen, wie die fiktive Spiegelladung hinter der Metallplatte, siehe Abb. 7.2.

104

7 Unendlich große Potentialspr¨ unge (a) (x, t)

t p t′

(−x′ , t′ )

(x′ , t′ )



x



−x

x

(b)

t

(−x, t)

(x, t) p

t′

(x′ , t′ ) x′

−x

x

0 Abb. 7.3: Geometrische Interpretation des quantenmechanischen Propagators bei Anwesenheit einer unendlich hohen Potentialbarriere bei x = 0 mittels eines Spiegelteilchen. Die eingezeichneten Strecken repr¨ asentieren jeweils die freie Propagation vom Anfangs- zum Endpunkt der Strecke. In Abb. (a) wurde die Anfangs-, in Abb. (b) die Endkoordinate des Teilchens gespiegelt. Die gestrichelten Linien entstehen durch Zur¨ uckklappen der Spiegelteilchentrajektorien in den klassisch erlaubten Bereich.

nicht den zugeh¨ origen freien Propagator K0 . Mit der gespiegelten Trajektorie (x′ , p, x) ist somit der gleiche Propagator wie mit der urspr¨ unglichen Trajektorie des Spiegelteilchens, (x′ , p, −x), verbunden. Deshalb k¨ onnen wir den Spiegelterm K0 (−x, t; x′ , t′ ) auch interpretieren als die freie Ausbreitung des Teilchens von x′ bis zur Potentialwand, wo es elastisch reflektiert wird und sich anschließend wieder frei bis zum Endpunkt x ausbreitet. Das negative Vorzeichen von K0 (−x, t; x′ , t′ ) in (7.13) l¨asst sich dann als Konsequenz des Phasensprunges π (eiπ = −1) erkl¨aren, der bei einer Reflexion am festen Ende auftritt. Andererseits wissen wir, dass sich der volle quantenmechanische Propagator K0 (x, t; x′ , t′ ) durch Summation u amtliche (i.A. klassisch nicht-erlaubte) Trajektorien ergibt, die ¨ber s¨ in der vorgegebenen Zeit t − t′ zwischen den Randpunkten x′ und x verlaufen.

7.2 Der unendlich hohe Potentialtopf

105 t

x ¯(t)

x¯(t)

−x

x′

x

Abb. 7.4: Ausl¨ oschung von Trajektorien, die auf die Wand treffen.

Durch die Anwesenheit des freien Propagators zum gespiegelten Teilchen, K0 (−x, t; x′ , t′ ), gibt es zu jeder zum freien Propagator K0 (x, t; x′ , t′ ) beitragenden Trajektorie x ¯(t), die von x′ ausgeht, auf die Potentialwand trifft und am Punkt x endet, eine zugeh¨orige Trajektorie x¯(t), die bis zur Potentialwand denselben Verlauf nimmt, dann aber spiegelsymmetrisch zu x ¯(t) weiterl¨ auft und somit am gespiegelten Punkt −x endet (siehe Abb. 7.4). Es ist aber f¨ ur jede Trajektorie x ¯(t), die unterwegs“ die Potentialwand trifft: ” ¯](−x, t; x′ , t′ ) = K0 [¯ K 0 [x x](x, t; x′ , t′ ) , da die Amplitude K0 [¯ x](x, t; x′ , t′ ) einer einzelnen (nicht notwendig klassisch erlaubten) Trajektorie x¯(t) allein durch die klassische Wirkung S[¯ x] bestimmt ist und diese f¨ ur ¨ tats¨achliche und gespiegelte Trajektorien dieselbe ist. Da die Ubergangsamplitude der ¯(t) nach (7.13) von der der urspr¨ gespiegelten Trajektorie x unglichen Trajektorie abgezogen wird, l¨oschen sich die Beitr¨ age beider Trajektorien zur Gesamt¨ ubergangsamplitude K aus. Der gespiegelte Propagator bewirkt also, dass jede Trajektorie, die auf die Wand ¨ trifft, keinen Beitrag zur Ubergangsamplitude liefert. Die Potentialwand wirkt damit auf die Trajektorien wie ein Quantenfilter“, der alle auffallenden Trajektorien verschluckt, ” ahnlich wie ein schwarzer K¨ orper alle auffallenden Strahlen verschluckt. Diese Feststel¨ lung ist ¨aquivalent zu unserer Beobachtung, dass zu dem Propagator bei Anwesenheit der Wand nur die Sinuswellen beitragen (siehe Gl. (7.10)), w¨ahrend die Kosinuswellen, welche eine endliche Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens an der Potentialwand liefern w¨ urden, nicht in den Propagator eingehen.

7.2

Der unendlich hohe Potentialtopf

In Abschnitt 6.4 haben wir den eindimensionalen Potentialtopf f¨ ur eine semiklassisch verlaufende Bewegung untersucht. Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung f¨ uhrte dabei auf quantisierte Energien, bei denen sich das Teilchen im Potentialtopf aufh¨alt. Im Folgenden wollen wir eine strenge quantenmechanische Behandlung des Potentialtopfes durchf¨ uhren, ohne auf die semiklassische N¨aherung zur¨ uckzugreifen.

106

7 Unendlich große Potentialspr¨ unge Platte 1

−2L

Platte 2

Q

−Q

Q

−Q

x − 2L

−x

x

2L − x

−L

0

L

Q

2L

−Q

3L

Abb. 7.5: Zum Teilchen im unendlich hohen Potentialkasten ¨ aquivalentes elektrostatisches Randwertproblem: Punktladung zwischen zwei parallelen, ideal leitenden Metallplatten bei x = 0 bzw. x = L.

Dabei werden wir uns der Einfachheit halber auf einen unendlich hohen Potentialtopf beschr¨anken. Das Potential ist deshalb durch  0 , 0 t0 eindeutig durch eine Anfangsverteilung ψ(x, t0 ) bestimmt ist. 2) Da die Gleichung linear in der Wellenfunktion ist, gilt das Superpositionsprinzip: Jede Linearkombination von L¨osungen ist wieder eine L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung. Dies bedeutet insbesondere, dass Interferenzeffekte analog zur Optik auftreten4 . Die Linearit¨ at bzw. G¨ ultigkeit des Superpositionsprinzips ist nicht verwunderlich, da wir den Zerlegungssatz aus dem Superpositionsprinzip gewonnen hatten und die Schr¨ odinger-Gleichung unter Benutzung des Zerlegungssatzes abgeleitet wurde. 3) Die Gleichung ist homogen, d.h. sie enth¨alt keinen Term, der unabh¨angig von der Wellenfunktion ist. Aufgrund dieser Eigenschaft bleibt die Wahrscheinlichkeit (Normierung) Z Z d3 x |ψ(x, t)|2 = d3 x w(x, t) = const ,

8.1 Die zeitabh¨angige Schr¨ odinger-Gleichung

117

w¨ahrend der Zeitentwicklung erhalten, wie wir sp¨ater noch explizit zeigen werden.

Aus der Ableitung der Schr¨ odinger-Gleichung wird klar, dass nicht nur die Wellenfunk¨ tion, sondern auch die Ubergangsamplitude K(x, t; x′ , t′ ) f¨ ur t ≥ t′ der Schr¨odingerGleichung gen¨ ugt: [i~∂t − H(x, t)]K(x, t; x′ , t′ ) = 0 ,

t ≥ t′ .

(8.10)

Ferner erf¨ ullt der Propagator die Anfangsbedingung lim K(x, t; x′ , t′ ) = δ(x − x′ ) .

t→t′

(8.11)

Gleichungen (8.10) und (8.11) definieren ein Anfangswertproblem, welches eine eindeutige L¨osung besitzt. Diese L¨ osung ist durch die Funktionalintegral-Darstellung (4.27) des Propagators gegeben5 . Die Berechnung des Propagators ist damit ¨ aquivalent zur L¨osung der Schr¨odingerGleichung. Kennen wir in der Tat den Propagator und eine Wahrscheinlichkeitsverteilung zu einem Anfangszeitpunkt t = t0 , ψ(x, t0 ) = ψ0 (x), so k¨onnen wir unmittelbar die Wellenfunktion ψ(x, t) zu einem beliebigen sp¨ateren Zeitpunkt angeben (siehe Abschnitt 5.1): Z ψ(x, t) = dx0 K(x, t; x0 , t0 )ψ(x0 , t0 ) . Im Allgemeinen ist jedoch der exakte quantenmechanische Propagator nicht bekannt und man wird die Schr¨ odinger-Gleichung direkt f¨ ur die Wellenfunktion ψ statt f¨ ur den Propagator K l¨osen, da die L¨ osung einer Differentialgleichung i.A. einfacher als die Berechnung eines Funktionalintegrals ist6 . Wir werden sp¨ater jedoch sehen, dass auch aus Kenntnis der Wellenfunktion der Propagator gewonnen werden kann. F¨ ur den unendlich hohen Potentialtopf haben wir diesen Zusammenhang bereits in Gl. (7.22) kennengelernt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Schr¨ odinger-Gleichung eine Differentialgleichung ist, zu deren L¨osung Anfangs- bzw. Randbedingungen ben¨otigt werden, die im Propagator bereits enthalten sind. 4 Auch 5 Aus

in der Optik folgen die Interferenzeffekte aus der Linearit¨ at der Maxwell-Gleichungen. mathematischer Sicht repr¨ asentiert die Gr¨ oße    G x, t; x′ , t′ = K x, t; x, t′ Θ t − t′

die Green’sche Funktion der Schr¨ odinger-Gleichung (8.10), welche der Beziehung [i~∂t − H(x, t)] G(x, t; x′ , t′ ) = δ(t − t′ )

gen¨ ugt. 6 In der Quantenfeldtheorie, wo die Schr¨ odinger-Gleichung zur Funktionalgleichung wird, erweist sich jedoch die numerische Berechnung des Funktionalintegrals gew¨ ohnlich als einfacher als die L¨ osung der entsprechenden Schr¨ odinger-Gleichung.

118

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

F¨ ur das freie Teilchen haben wir K bereits explizit berechnet und kennen somit die L¨osung der Schr¨ odinger-Gleichung. Benutzt man die explizite Form von K (4.31) ′



K(x, t; x , t ) =



Z∞

−∞ Z∞

−∞

dp exp 2π~



 i p2 i p(x − x′ ) − (t − t′ ) ~ ~ 2m

dp ψp (x − x′ , t − t′ ) , 2π~

so l¨asst sich leicht nachpr¨ ufen, dass K in der Tat die Schr¨odinger-Gleichung erf¨ ullt. Da letztere linear ist, gen¨ ugt es, dies f¨ ur eine einzelne Fourier-Komponente   i i p2 ψp (x, t) = exp px − t ~ ~ 2m zu zeigen. Dass ψp (x, t) der Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur ein freies Teilchen der Masse m gen¨ ugt, ist leicht zu verifizieren.

8.2

Stationa¨re L¨osungen der Schr¨odinger-Gleichung

Unsere bisherigen Betrachtungen u ¨ber die Zeitevolution quantenmechanischer Systeme gelten allgemein f¨ ur beliebige zeitabh¨ angige Hamilton-Operatoren, also insbesondere f¨ ur beliebige zeitabh¨ angige Potentiale. Im Folgenden wollen wir uns nun auf zeitunabh¨angige Hamilton-Operatoren beschr¨ anken. Falls der Hamilton-Operator H nicht explizit von der Zeit abh¨angt, l¨ asst sich die Schr¨ odinger-Gleichung durch Separation der Zeit- und Ortsvariablen l¨osen. Dazu schreiben wir die Wellenfunktion als: ψ(x, t) = f (t)ϕ(x) . Einsetzen dieses Ansatzes in die Schr¨ odinger-Gleichung (8.8) liefert nach Division durch f (t)ϕ(x): 1 ∂f (t) 1 i~ = H(x)ϕ(x) . f (t) ∂t ϕ(x) Da die linke Seite dieser Gleichung nur von t, die rechte hingegen nur von x abh¨angt, die Gleichung aber f¨ ur alle Orte und Zeiten g¨ ultig ist, m¨ ussen beide Seiten gleich einer Konstanten sein, die wir mit E bezeichnen. F¨ ur die zeitabh¨angige Funktion f (t) erhalten wir dann die Differentialgleichung i~

∂f (t) = Ef (t) , ∂t

deren L¨osung durch Separation der Variablen mit i

f (t) = f (0)e− ~ Et

8.3 Das Ehrenfest-Theorem

119

gegeben ist. F¨ ur den ortsabh¨ angigen Teil erhalten wir entsprechend die Beziehung

H(x)ϕ(x) = Eϕ(x) .

(8.12)

Diese Gleichung stellt ein Eigenwertproblem f¨ ur den Hamilton-Operator H dar: ϕ(x) muss eine Eigenfunktion des Hamilton-Operators zum Eigenwert E sein. Da H der Operator der Energie ist, m¨ ussen wir E als die Energie des Teilchens im Zustand ϕ(x) interpretieren. Gleichung (8.12) wird als station¨are (zeitunabh¨angige) Schr¨odinger-Gleichung bezeichnet. W¨ahlen wir die Integrationskonstante7 f (0) = 1, so lautet die L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur zeitunabh¨ angiges H: i

ψ(x, t) = e− ~ Et ϕ(x) .

Solche L¨osungen werden als station¨are Zust¨ande bezeichnet, da die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsdichten |ψ(x, t)|2 = |ϕ(x)|2 unabh¨angig von der Zeit sind.

8.3

Das Ehrenfest-Theorem

In der klassischen Mechanik sind die physikalisch beobachtbaren Gr¨oßen Funktionen von Ort und Impuls, d.h. Phasenraumfunktionen A(p, x). Im Prinzip stellt jede Phasenraumfunktion eine physikalisch messbare Gr¨oße dar. Wie wir jedoch bei der expliziten Behandlung des Impulses kennengelernt hatten, werden in der Quantenmechanik physikalische beobachtbare Gr¨ oßen nicht durch einfache Phasenraumfunktionen gegeben, sondern i.A. durch Operatoren repr¨ asentiert. F¨ ur den Impuls hatten wir z.B. den Differentialoperator p = ~i ∇ gefunden. Ferner hatten wir gesehen, dass f¨ ur die Messung einer physikalischen Observablen A eines Systems im Zustand ψ(x) i.A. keine absoluten Vorhersagen des Messergebnisses Ai gemacht werden k¨onnen. Wir k¨onnen lediglich den Erwartungswert Z hAi = d3 x ψ ∗ (x)A(x)ψ(x) angeben, der den mittleren Wert repr¨ asentiert, der sich nach einer großen Anzahl N von Messungen (nach dem Gesetz der großen Zahlen“ f¨ ur N → ∞) einstellt, wenn das ” 7 Alle

konstanten Faktoren k¨ onnen in ϕ(x) ber¨ ucksichtigt werden.

120

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

System jeweils vor der Messung im Zustand ψ(x) pr¨apariert wurde: hAi =

N 1 X Ai , N i=1

N →∞.

Im Folgenden wollen wir die zeitliche Ver¨ anderung eines solchen Erwartungswertes untersuchen.

8.3.1

Die Zeitentwicklung von Erwartungswerten

Wir betrachten den Erwartungswert einer beliebigen physikalischen Observable A(x, t), welche explizit von der Zeit abh¨ angen kann, im Zustand ψ(x, t): Z hAi = d3 x ψ ∗ (x, t) A(x, t) ψ(x, t) . (8.13) Dieser wird sich im Laufe der Zeit ver¨ andern, da sich i.A. sowohl der Operator A als ¨ auch die Wellenfunktion ψ im Laufe der Zeit ver¨andern. F¨ ur die zeitliche Anderung finden wir durch Differentiation nach der Zeit mit Anwendung der Produktregel:  Z ∂hAi ∂A(x, t) ∂ψ ∗ (x, t) = d3 x ψ ∗ (x, t) ψ(x, t) + A(x, t)ψ(x, t) ∂t ∂t ∂t  ∂ψ(x, t) + ψ ∗ (x, t)A(x, t) . (8.14) ∂t Die letzten beiden Terme k¨ onnen wir in eine kompaktere Form bringen: Die Zeitableitung der Wellenfunktion formen wir mit Hilfe der Schr¨odinger-Gleichung und ihrem komplex konjugierten ~2 ∂ψ = Hψ = − ∆ψ + V ψ , ∂t 2m   ∗ ∂ψ ∗ ~2 ∂ψ −i~ = (Hψ)∗ = − = i~ ∆ψ ∗ + V ψ ∗ ∂t ∂t 2m i~

(8.15) (8.16)

um, wobei wir voraussetzen, dass das Potential V reell ist. Zweimalige partielle Integration des dabei entstehenden Terms mit ∆ψ ∗ liefert: Z Z Z d3 x (∆ψ ∗ )Aψ = d3 x ∇ · [(∇ψ ∗ )Aψ] − d3 x (∇ψ ∗ ) · ∇(Aψ) Z Z 3 ∗ = d x ∇ · [(∇ψ )Aψ] − d3 x ∇ · [ψ ∗ ∇(Aψ)] Z + d3 x ψ ∗ ∆(Aψ) Z Z Z 3 3 = d x ∇ · C1 − d x ∇ · C2 + d3 x ψ ∗ ∆(Aψ) , (8.17)

8.3 Das Ehrenfest-Theorem

121

wobei wir C1 (x, t) = (∇ψ ∗ (x, t))A(x, t)ψ(x, t) , C2 (x, t) = ψ ∗ (x, t)∇(A(x, t)ψ(x, t))

(8.18) (8.19)

gesetzt haben. Die in (8.17) auftretenden totalen Ableitungen k¨onnen mit Hilfe des Gauß’schen Satzes in Oberfl¨ achenintegrale umgewandelt werden: Z Z d3 x ∇ · Ck (x, t) = dfx · Ck (x, t) , k = 1, 2 . (8.20) V

∂V

Damit der Erwartungswert (8.13) existiert, muss der Integrand f¨ ur |x| → ∞ schneller als ∼ |x|−3 abfallen. Die Vektorfelder C1 (x, t), C2 (x, t) enthalten gegen¨ uber dem Integranden von (8.13) eine zus¨ atzliche Ableitung, was f¨ ur |x| → ∞ auf eine zus¨atzliche 1/|x|-Abh¨angigkeit f¨ uhrt. Damit fallen die in Gln. (8.18) und (8.19) definierten Vektorfelder Ck (x, t) (k = 1, 2) f¨ ur |x| → ∞ schneller als |x|−2 ab und die Oberfl¨achenintegrale (8.20) in (8.17) verschwinden, da sich die Integration u ¨ber den gesamten dreidimensionalen Raum erstreckt und folglich die Oberfl¨ achenintegrale bei |x| → ∞ zu nehmen sind. Wir finden deshalb: Z Z d3 x (∆ψ ∗ (x, t))A(x, t)ψ(x, t) = d3 x ψ ∗ (x, t)∆(A(x, t)ψ(x, t)) . (8.21) Setzen wir (8.21) unter Ber¨ ucksichtigung von (8.15) und (8.16) in (8.14) ein, so erhalten wir: Z ∂hAi ∂A = d3 x ψ ∗ ψ ∂t ∂t     Z i ~2 ~2 3 ∗ + − ∆+V A−A − ∆+V ψ. d xψ ~ 2m 2m Diese Beziehung k¨ onnen wir auf folgende kompakte Form bringen: ∂hAi = ∂t



∂A ∂t



+

i h[H, A]i . ~

(8.22)

Wir finden, dass neben einer expliziten Zeitabh¨angigkeit des Operators A eine zeitli¨ che Anderung seines Erwartungswertes durch seinen Kommutator mit dem HamiltonOperator verursacht wird. F¨ ur Observablen A, die nicht explizit von der Zeit abh¨angen ¨ (∂A/∂t = 0), ist damit der Kommutator [H, A] die einzige Quelle der zeitlichen Anderung des Erwartungswertes. Der Hamilton-Operator wird deshalb auch als Generator der Zeitevolution bezeichnet. F¨ ur zeitunabh¨angige Observablen A, die mit dem Hamilton-Operator kommutieren ∂A =0 ∂t

,

[H, A] = 0 ,

122

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

bleibt offenbar der Erwartungswert A w¨ ahrend der zeitlichen Entwicklung des Systems konstant. Eine physikalische Observable A, f¨ ur die ∂hAi =0 ∂t gilt, wird Erhaltungsgr¨oße genannt.

8.3.2

Beispiele

Im Folgenden betrachten wir die zeitliche Entwicklung der Erwartungswerte einiger relevanter Observablen. 1) Erhaltung der Norm: Der einfachste Operator ist durch den Einheitsoperator gegeben: A≡ˆ 1. Die zugeh¨ orige Observable ist die Gesamtwahrscheinlichkeit oder Normierung. Ihr Erwartungswert ist die Norm der Wellenfunktion: Z hˆ 1i = d3 x ψ ∗ (x, t)1ψ(x, t) . Da der Einheitsoperator ˆ 1 zeitunabh¨angig ist und außerdem mit allen Operatoren kommutiert, muss die Norm offenbar erhalten bleiben: ∂hˆ 1i =0. ∂t

(8.23)

2) Erhaltung der Energie: Wir setzen A≡H und betrachten die Zeitentwicklung des Erwartungswertes des HamiltonOperators, welcher die Energie des Systems darstellt. Da der HamiltonOperator mit sich selbst kommutiert, bleibt die Energie dann erhalten, wenn der Hamilton-Operator nicht explizit von der Zeit abh¨angt: ∂H =0 ∂t



∂hHi =0. ∂t

3) Der Erwartungswert des Impulses: Wir identifizieren jetzt den Operator A mit dem Impulsoperator: A≡p=

~ ∇. i

8.3 Das Ehrenfest-Theorem

123

F¨ ur den Kommutator des Impulses mit dem Hamilton-Operator finden wir:   2 ~ p + V (x), p = [V (x), p] = − ∇V (x) . [H, p] = 2m i Dies liefert f¨ ur den Erwartungswert des Impulses: ∂hpi = −h∇V (x)i ≡ hF (x)i . ∂t

(8.24)

Der Erwartungswert des Impulses bleibt erhalten, falls der Erwartungswert der Kraft F (x) = −∇V (x) verschwindet. 4) Der Erwartungswert des Ortes: Wir identifizieren jetzt den Operator A mit dem Ort x: A≡x. Der relevante Kommutator lautet:  2  p 1 1 [H, x] = ,x = [pk pk , x] = (pk [pk , x] + [pk , x]pk ) , 2m 2m 2m wobei Summation u ¨ber gleiche Indizes (Einstein’sche Summenkonvention) vorausgesetzt und die Beziehung (5.53) benutzt wurde. Benutzen wir den Kommutator (5.49) [pk , xl ] = −i~δkl , so finden wir: [H, x] =

1 ~ p. mi

Einsetzen dieser Beziehung in die Gleichung f¨ ur den Erwartungswert liefert: 1 ∂hxi = hpi . ∂t m

(8.25)

Die Gln. (8.24) und (8.25) sind den kanonischen Bewegungsgleichungen sehr ¨ahnlich. Sie unterscheiden sich von den letzteren nur durch die Bildung des Erwartungswertes. In der Quantenmechanik werden also die klassischen kanonischen Bewegungsgleichungen im Mittel erf¨ ullt. Dies ist die Aussage des sogenannten Ehrenfest-Theorems. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Bewegungsgleichungen f¨ ur die Erwartungswerte erf¨ ullt sind. Damit dies der Fall w¨ are, m¨ usste es m¨ oglich sein, den Erwartungswert der Kraft hF (x)i durch die Kraft am Erwartungswert des Ortes, F (hxi), zu ersetzen. Dass dies i.A. nicht

124

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

erlaubt ist, zeigt eine Entwicklung der Kraft F (x) um den Erwartungswert von x: 1 F (x) = F (hxi)+∇i F (hxi)(xi −hxi i)+ (∇i ∇j F (hxi)(xi −hxi i)(xj −hxj i)+. . . . 2 F¨ ur den Erwartungswert der Kraft erhalten wir mit hxi − hxi ii = hxi i − hxi i = 0 die Beziehung hF (x)i = F (hxi) +

1 [∇i ∇j F (hxi)] h(xi − hxi i)(xj − hxj i)i + . . . . 2

Wir k¨onnen offenbar nur dann den Erwartungswert der Kraft durch die Kraft am Erwartungswert des Ortes ersetzen, wenn die zweiten und h¨oheren Ableitungen der Kraft oder die zweiten und h¨ oheren Momente des Ortes verschwinden. Dies ist nur der Fall f¨ ur die Bewegung des freien Teilchens (V (x) = 0), f¨ ur eine konstante Kraft (V (x) ∼ x) und f¨ ur den harmonischen Oszillator (V (x) ∼ x2 ). F¨ ur ein freies Teilchen verschwindet die Kraft und aus (8.24) folgt, dass der Erwartungswert des Impulses erhalten bleibt.

8.3.3

Analogie zur klassischen Mechanik

Die Evolutionsgleichung des Erwartungswertes einer Observablen (8.22) hat eine sehr ahnliche Form wie die entsprechende Gleichung in der klassischen Mechanik. Dort wer¨ den Observablen durch Phasenraumfunktionen A(p, x, t) der verallgemeinerten Koordinaten x und Impulse p beschrieben. F¨ ur ihre zeitliche Evolution gilt8 : ∂A(p, x, t) d A(p, x, t) = + {A(p, x, t) , H(p, x, t)} , dt ∂t

(8.26)

wobei die geschweifte Klammer die Poisson-Klammer

{A, B} :=

∂A ∂B ∂B ∂A − ∂x ∂p ∂x ∂p

bezeichnet und H die klassische Hamilton-Funktion ist. Der Vergleich von (8.22) und (8.26) zeigt, dass in der klassischen Mechanik der Kommutator durch die Poisson-Klammer ersetzt ist: 1 [H, A] → {H, A} . i~ 8 Wir benutzen hier das Symbol d/dt f¨ ur die totale Zeitableitung, die neben der expliziten Zeitabh¨ angigkeit (die durch den Operator ∂/∂t erfasst wird) noch die implizite Zeitabh¨ angigkeit auf¨ grund der zeitlichen Anderung der klassischen Koordinaten x(t) und Impulse p(t) ber¨ ucksichtigt. Wir weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Quantenmechanik die oben eingef¨ uhrten Operatoren der Koordinaten x ˆ und Impulse pˆ nicht zeitabh¨ angig sind.

8.3 Das Ehrenfest-Theorem

125

Tabelle 8.1: Vergleich von Poisson-Klammer- und Kommutator-Algebra.

Antisymmetrie Trivialit¨at Linearit¨at Distributivit¨at Jacobi-Identit¨ at Beispiele

Poisson-Klammer-Algebra {A, B} = −{B, A} {A, const} = 0 {f (A), A} = 0 {A, B + C} = {A, B} + {A, C} {A, BC} = B{A, C} + {A, B}C {A, {B, C}} + {B, {C, A}} +{C{A, B}} = 0

Kommutator-Algebra [A, B] = −[B, A] [A, const] = 0 [f (A), A] = 0 [A, B + C] = [A, B] + [A, C] [A, BC] = B[A, C] + [A, B]C [A, [B, C]] + [B, [C, A]] +[C, [A, B]] = 0

{xi , pj } = δij {xi , xj } = {pi , pj } = 0

[xi , pj ] = i~δij [xi , xj ] = [pi , pj ] = 0

Diese Korrespondenz kann nur dann gelten, wenn im klassischen Grenzfall ~ → 0 der Kommutator [H, A] von der Ordnung ~ und außerdem rein imagin¨ar ist. Die Poisson-Klammer { , } definiert eine mathematische Abbildung zwischen zwei Phasenraumfunktionen A und B, { , } : A, B → {A, B} , welche eine sehr ¨ahnliche Struktur besitzt wie die Abbildung, die durch den Kommutator zwischen zwei Operatoren vermittelt wird: [ , ] : A, B → [A, B] . Dies wird durch Tabelle 8.1 verdeutlicht.

8.3.4

Der quantenmechanische Virialsatz

In der klassischen Mechanik l¨ asst sich eine einfache Beziehung zwischen dem Wert des Potentials entlang einer klassischen Trajektorie und der kinetischen Energie angeben, wenn das Potential eine homogene Funktion9 der Koordinaten ist. Sie wird als Virialsatz bezeichnet. Dieser Satz besitzt ein quantenmechanisches Analogon, das wir im Folgenden kurz behandeln wollen. Wir setzen voraus, dass der Hamilton-Operator die u ¨bliche Form H=

p2 + V (x) = T + V (x) 2m

9 Eine Funktion heißt homogen vom Grad α, wenn bei proportionaler Anderung ¨ aller Variablen um andert: den Faktor c sich der Funktionswert um den Faktor cα ¨

f (cx1 , . . . , cxn ) = cα f (x1 , . . . , xn ) .

126

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

besitzt, und bilden den Kommutator mit dem Operator x · p. Unter Ausnutzung des Distributiv-Gesetzes [A, BC] = [A, B]C + B[A, C]

(8.27)

liefert dies [H, x · p] = [H, x] · p + x · [H, p] = −i~



 p2 − x · ∇V (x) . m

(8.28)

Wir bilden den Erwartungswert dieser Gleichung in einem Eigenzustand ϕ(x) des Hamilton-Operators: Hϕ(x) = Eϕ(x) .

(8.29)

F¨ ur den Erwartungswert der linken Seite der obigen Gleichung h[H, x · p]iϕ = hH(x · p)iϕ − h(x · p)Hiϕ

(8.30)

finden wir im zweiten Term unter Ausnutzung der Eigenwertgleichung (8.29): h(x · p)Hiϕ = Ehx · piϕ .

(8.31)

Im ersten Term finden wir nach zweimaliger partieller Integration und unter Beachtung, dass die dabei auftretenden Randterme verschwinden   Z ~2 ~ ~ h(x · p)iϕ = d3 xϕ∗ (x) − ∇ · ∇ + V (x) x · p ϕ(x) 2m    Z ~2 ~ ~ ∇ · ∇ + V (x) ϕ∗ (x) x · p ϕ(x) = d3 x − 2m = =

Z

Z

 ∗  ~2  ~ ~ d3 x − ∇ · ∇ϕ(x) + V (x)ϕ(x) x · p ϕ(x) 2m ∗

d3 x [H(x)ϕ(x)] x · p ϕ(x) .

(8.32)

Benutzen wir auch hier die Schr¨ odinger-Gleichung (8.29) und beachten, dass die Energie E reell ist, so erhalten wir schließlich h(x · p)iϕ = Ehx · piϕ

(8.33)

und mit (8.31) h[H, x · p]iϕ = 0 .

(8.34)

8.3 Das Ehrenfest-Theorem

127

Der Erwartungswert der rechten Seite der Gleichung (8.28) liefert damit: 1 2 hp iϕ = hx · ∇V (x)iϕ m

(8.35)

Diese Gleichung ist das quantenmechanische Analogon des Virialsatzes. F¨ ur Potentiale, die homogene Funktionen vom Grade α sind, gilt ~ (x) = αV (x) , x · ∇V

(8.36)

so dass der quantenmechanische Virialsatz (8.35) die Gestalt 1 2 hp iϕ = αhV (x)iϕ m

(8.37)

annimmt. Zur Illustration wenden wir diesen Satz auf den harmonischen Oszillator und das Coulomb-Potential an: Das harmonische Oszillatorpotential V (x) =

1 mω 2 x2 2

ist eine homogene Funktion vom Grade α = 2, da x·∇(x2 ) = 2x2 und somit x·∇V (x) = 2V (x). F¨ ur α = 2 liefert (8.37) hT iϕ = hV iϕ .

(8.38)

Das Coulomb-Potential V (x) =

α |x|

ist eine homogene Funktion vom Grade α = −1, da x · ∇(1/|x|) = −1/|x| und somit x · ∇V (x) = −V (x). Der Virialsatz (8.37) liefert deshalb 1 hT iϕ = − hV iϕ . 2

(8.39)

Wir erhalten damit f¨ ur die Erwartungswerte von kinetischer Energie und Potential denselben Zusammenhang wie zwischen der kinetischen Energie und potentiellen Energie entlang einer klassischen Trajektorie. Man beachte, dass das Virialtheorem (8.35) und damit die Beziehungen (8.38), (8.39) nur f¨ ur exakte Energieeigenzust¨ ande des Hamilton-Operators gelten, da zur Ableitung von (8.35) die Eigenwertgleichung (8.29) benutzt wurde.

128

8.4

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

Die Schr¨odinger-Gleichung als Euler-Lagrange-Gleichung∗

Die Wellenfunktion ψ(x, t) definiert ein klassisches, zeitabh¨angiges Feld ¨ahnlich wie die elektromagnetischen Felder in der klassischen Elektrodynamik. Die den MaxwellGleichungen entsprechende Feldgleichung f¨ ur ψ(x, t) ist die Schr¨odinger-Gleichung. Im Gegensatz zu den elektromagnetischen Feldern ist das Schr¨odinger-Feld ψ(x, t) jedoch komplex. Wir werden jetzt zeigen, dass sich auch die Schr¨odinger-Gleichung, ¨ahnlich wie die Maxwell-Gleichungen, mittels des Prinzips der minimalen Wirkung aus einem Wirkungsfunktional als Euler-Lagrange-Gleichung gewinnen l¨asst. Differentialgleichungen lassen sich oftmals numerisch einfacher u ¨ber ein ¨aquivalentes Variationsproblem l¨ osen. Auch die Schr¨ odinger-Gleichung l¨asst sich als L¨osung eines Variationsproblems gewinnen, und zwar durch Variation (siehe Anhang D) der Wirkung



S[ψ, ψ ] =

Z

=:

Z

dt

Z

dt

Z

d3 x ψ ∗ (x, t)[i~∂t − H(x, t)]ψ(x, t) d3 x L(x, t) .

(8.40)

Diese Wirkung definiert ein Funktional des komplexen Feldes (Wellenfunktion) ψ(x, t). Statt Real- und Imagin¨ arteil des Feldes k¨ onnen wir auch ψ(x, t) und ψ ∗ (x, t) als unabh¨angige Felder betrachten. ¨ Wir betrachten die Wirkung (8.40) unter einer beliebigen Anderung der Wellenfunktion ¨ ψ → ψ + δψ. F¨ ur infinitesimale δψ ist die Anderung der Wirkung durch δS[ψ, ψ ∗ ] = S [ψ + δψ, ψ ∗ + δψ ∗ ] − S[ψ, ψ ∗ ]   Z Z δS δS ∗ 3 δψ(x, t) + δψ (x, t) = dt d x δψ(x, t) δψ ∗ (x, t)

(8.41)

gegeben. Aus der expliziten Form der Wirkung (8.40) finden wir unmittelbar: δS = (i∂t − H) ψ δψ ∗

,

δS = (−i∂t − H) ψ ∗ . δψ

(8.42)

Am station¨aren Punkt (Extremum) m¨ ussen die ersten Ableitungen (8.42) verschwinden und wir erhalten die Schr¨ odinger-Gleichung (und ihr Adjungiertes).

∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

8.4 Die Schr¨odinger-Gleichung als Euler-Lagrange-Gleichung∗

129

Wir k¨onnen uns leicht davon u ¨berzeugen, dass die Schr¨odingerGleichung tats¨ achlich die gew¨ ohnlich Euler-Lagrange-Gleichung (siehe Abschnitt 4.3) des komplexen Feldes ψ(x, t) zur Wirkung (8.40) ist: F¨ ur ein Teilchen im Potential V (x, t) lautet die in Gl. (8.40) definierte Lagrange-Funktion   Z Z ~2 d3 x L = d3 x ψ ∗ i~∂t ψ − (∇ψ ∗ ) ∇ψ − V ψ ∗ ψ , 2m

wobei wir im zweiten Term eine partielle Integration durchgef¨ uhrt haben und wie u ¨blich vorausgesetzt haben, dass der dabei entstehende Oberfl¨ achenterm verschwindet. Betrachten wir, wie in der nichtrelativistischen Physik u ¨blich, L als Funktion von ψ und ∂t ψ (und entsprechend von ψ ∗ und ∂t ψ ∗ ), so lauten die Euler-Lagrange-Gleichungen des nicht-relativistischen komplexen Feldes ψ(x): ∂L ∂L ∂L ∂L − ∂t − ∂t =0 , =0. ∗ ∂ψ ∂(∂t ψ) ∂ψ ∂(∂t ψ ∗ )

(8.43)

In diesem Fall m¨ ussen wir bei der Variation nach den Feldern auch die r¨aumlichen Gradienten ∇ψ bzw. ∇ψ ∗ ber¨ ucksichtigen. Mit ∂L ~2 ∂L = i~∂t ψ − =0 (−∆)ψ − V ψ = (i~∂t − H)ψ , ∗ ∂ψ 2m ∂∂t ψ ∗ erhalten wir aus der zweiten Gl. in (8.43) unmittelbar die Schr¨odingerGleichung  2  −~ i~∂t ψ(x, t) = ∆ + V (x, t) ψ(x, t) . 2m Die erste Gl. in (8.43) liefert das komplex Konjugierte der Schr¨odingerGleichung  2  −~ ∗ −i~∂t ψ (x, t) = ∆ + V (x, t) ψ ∗ (x, t) . (8.44) 2m Betrachten wir alternativ – wie in der relativistischen Feldtheorie u ¨blich – L als Funktion von ψ, ∂t ψ und ∇ψ, so lauten die Euler-LagrangeGleichungen: ∂L ∂L ∂L − ∂t − ∇i =0, ∂ψ ∂(∂t ψ) ∂(∇i ψ) ∂L ∂L ∂L − ∂t − ∇i =0. ∂ψ ∗ ∂(∂t ψ ∗ ) ∂(∇i ψ ∗ )

(8.45)

In diesem Fall d¨ urfen die Gradiententerme nur in den Ableitungen ∂L/∂(∇i ψ) und ∂L/∂(∇i ψ ∗ ), nicht jedoch bei ∂L/∂ψ und ∂L/∂ψ ∗ ber¨ ucksichtigt werden. Die Euler-Lagrange-Gleichungen (8.45) liefern nat¨ urlich auch in diesem Fall die bekannte Schr¨odinger-Gleichung.

130

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

In der Elektrodynamik gelingt es, aus den Bewegungsgleichungen des Feldes, den Maxwell-Gleichungen, eine Bilanzgleichung f¨ ur die (lokale Erhaltung der) elektrischen Ladung abzuleiten. Eine a ¨hnliche Bilanzgleichung wollen wir in Abschnitt 8.5 aus der Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur die Teilchendichte des Schr¨odinger-Feldes gewinnen.

8.5

Die Kontinuita¨tsgleichung: Teilchendichte und Stromdichte

In der klassischen Mechanik besitzt ein punktf¨ormiges Teilchen am Orte x′ die Dichteverteilung ρx′ (x) = δ(x − x′ ) = δ(x1 − x′1 )δ(x2 − x′2 )δ(x3 − x′3 ) .

(8.46)

In der Quantenmechanik entspricht diese Gr¨oße einem Operator, welchen wir aus der klassischen Observablen erhalten, indem wir die x-Koordinate durch den Operator des ˆ ersetzen. Dies liefert den Dichteoperator: Ortes x ˆ = δ(x ˆ − x′ ) . ρˆx′ (x)

(8.47)

ˆ identisch mit der klassischen KoordiIn der Ortsdarstellung ist jedoch der Operator x nate x, sodass der quantenmechanische Operator (8.47) sich auf die klassische Gr¨oße (8.46) reduziert. F¨ ur den Erwartungswert dieses Operators in einem Zustand ψ(x, t) finden wir: ˆ t ρ(x′ , t) ≡ hˆ ρx′ (x)i Z Z = d3 x ψ ∗ (x, t)ˆ ρx′ (x)ψ(x, t) = d3 x ψ ∗ (x, t)δ(x − x′ )ψ(x, t) = ψ ∗ (x′ , t)ψ(x′ , t) = w(x′ , t) .

(8.48)

In der Quantenmechanik f¨ allt also die Teilchendichte ρ(x, t) mit der Wahrscheinlichkeitsdichte w(x, t) zusammen. ¨ F¨ ur die zeitliche Anderung des Erwartungswertes des Dichteoperators (8.47) erhalten wir aus der allgemeinen Beziehung (8.22): ∂ρ(x′ , t) ∂hˆ ρx′ it i = = h[H, ρˆx′ ]it . ∂t ∂t ~

(8.49)

Hierbei haben wir benutzt, dass der Dichteoperator (8.47) nicht explizit von der Zeit abh¨angt, falls x′ zeitunabh¨ angig ist, was wir voraussetzen. Der Dichteoperator (8.47) als Funktion der Ortsvariablen kommutiert mit dem Potential, sodass der Kommutator auf der rechten Seite von (8.49) sich auf den Kommutator mit der kinetischen Energie reduziert:  2  pˆ 1 [H, ρˆx′ ] = , ρˆx′ = (p[p, ρˆx′ (x)] + [p, ρˆx′ (x)]p) , 2m 2m

8.5 Die Kontinuit¨ atsgleichung: Teilchendichte und Stromdichte

131

wobei (mit ∇′ ≡ ∇x′ ) [p, ρˆx′ (x)] =

~ ~ ∇δ(x − x′ ) = − ∇′ δ(x − x′ ) . i i

Setzen wir dieses Ergebnis in Gl. (8.49) ein, so erhalten wir: ∂ρ(x′ , t) 1 =− ∇′ · ∂t 2m

Z

d3 x ψ ∗ (x, t) [pδ(x − x′ ) + δ(x − x′ )p] ψ(x, t) . (8.50)

Zu beachten ist hier, dass der Impulsoperator p = ~i ∇ auf alle rechts von ihm stehenden Funktionen wirkt. Im ersten Term auf der rechten Seite von (8.50) f¨ uhren wir deshalb zun¨achst eine partielle Integration durch und benutzen den Gauß’schen Integralsatz: Z d3 x ψ ∗ (x, t)pδ(x − x′ )ψ(x, t) Z Z ~ d3 x ∇ [ψ ∗ (x, t)δ(x − x′ )ψ(x, t)] − d3 x (pψ ∗ (x, t))δ(x − x′ )ψ(x, t) = i I Z ~ ∗ ′ dfx ψ (x, t)δ(x − x )ψ(x, t) − d3 x (pψ ∗ (x, t))δ(x − x′ )ψ(x, t) . = i Das Oberfl¨achenintegral erstreckt sich u ¨ber den Rand des dreidimensionalen Raumes, auf welchem der Integrand verschwindet. F¨ ur endliche x′ und |x| → ∞ verschwindet der Integrand aufgrund der δ-Funktion, w¨ ahrend f¨ ur |x′ | → ∞ nur die Punkte |x| → ∞ beitragen, f¨ ur welche die Wellenfunktion verschwindet. Damit erhalten wir: Z ∂ρ(x′ , t) 1 ′ =− ∇ · d3 x [−(pψ ∗ (x, t))δ(x − x′ )ψ(x, t) + ψ ∗ (x, t)δ(x − x′ )pψ(x, t)] . ∂t 2m Das verbleibende Integral l¨ asst sich wegen der δ-Funktion elementar ausf¨ uhren: ∂ρ(x′ , t) 1 =− ∇′ · [− (pψ ∗ (x′ , t)) ψ(x′ , t) + ψ ∗ (x′ , t)pψ(x′ , t)] . ∂t 2m Diese Beziehung l¨ asst sich in Form einer Kontinuit¨atsgleichung schreiben, ∂ρ(x, t) + ∇ · j(x, t) = 0 , ∂t

(8.51)

wenn wir

j(x, t) :=

i 1h ∗ p p ψ (x, t) ψ(x, t) − ψ(x, t) ψ ∗ (x, t) 2 m m

(8.52)

132

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

als die Stromdichte der Materie bzw. des Schr¨ odinger’schen Materiefeldes interpretieren. Da die Dichte ρ(x, t) die Aufenthaltswahrscheinlichkeit repr¨asentiert, m¨ ussen wir j(x, t) als die Stromdichte der Wahrscheinlichkeit interpretieren. Zur Unterst¨ utzung dieser Interpretation formen wir den Ausdruck (8.52) unter Benutzung der Produktregel der Differentiation um zu: p ~ j(x, t) = ψ ∗ (x, t) ψ(x, t) − ∇ρ(x, t) . (8.53) m 2mi Der erste Term hat die typische Form einer Stromdichte1010 . Der zweite Term garantiert, dass Gradienten in der Wahrscheinlichkeitsdichte nicht notwendigerweise zu einem Teilchenstrom f¨ uhren. Besitzt das Teilchen eine elektrische Ladung, so erh¨alt man seine elektrische Ladungsbzw. Stromdichte, indem man seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit (8.48) bzw. die zugeh¨orige Stromdichte (8.52) mit seiner Ladung multipliziert. Bemerkungen: 1) Die Stromdichte (8.52) verschwindet f¨ ur reelle Wellenfunktionen. Die Str¨omung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens erfordert offenbar ein komplexes Schr¨ odinger-Feld. Selbst f¨ ur Wellenfunktionen der Form ψ(x, t) = f (t)ϕ(x) mit komplexem f (t) aber reellem ϕ(x) verschwindet die Stromdichte. 2) Integrieren wir die Kontinuit¨ atsgleichung (8.51) u ¨ber ein Volumen V mit Oberfl¨ache S(V ) und benutzen den Gauß’schen Satz, so erhalten wir: Z I ∂ dfx · j(x, t) = 0 . (8.54) d3 x ρ(x, t) + ∂t V

S(V )

Beachten wir, dass die Stromst¨ arke durch eine Fl¨ache F durch Z IF (t) = dfx · j(x, t) F

gegeben ist, so erkennen wir, dass das Oberfl¨achenintegral in (8.54) den Wahrscheinlichkeitsstrom durch die Oberfl¨ ache S(V ) aus dem Volumen V darstellt. Lassen wir das Volumen V → ∞ gehen, so muss dieser Strom f¨ ur normierbare Wellenfunktionen offenbar verschwinden: I dfx · j(x, t) → 0 , V → ∞ . S(V )

10 Dieser Term hat die gleiche Struktur wie die Stromdichte in der klassischen Mechanik j(x, t) = ρ(x, t)v = ρ(x, t)p/m, wobei ρ die klassische Teilchendichte ist.

8.5 Die Kontinuit¨ atsgleichung: Teilchendichte und Stromdichte

133

Wir erhalten dann aus Gl. (8.54): Z Z ∂ ∂ d3 x ρ(x, t) = d3 x ψ ∗ (x, t)ψ(x, t) = 0 . ∂t ∂t Diese Gleichung beschreibt die Erhaltung der Norm w¨ahrend der zeitlichen Entwicklung des quantenmechanischen Systems und stimmt mit dem bereits fr¨ uher gewonnenen Ergebnis (8.23) u ¨berein. Die Erhaltung der Norm, die durch Mittelung der Kontinuit¨atsgleichung u ¨ber den gesamten Raum erfolgt, entspricht der globalen Teilchenzahlerhaltung in der nicht-relativistischen Quantenmechanik, d.h. ein Teilchen, das irgendwo im Raum ist, muss f¨ ur alle Zeiten irgendwo existieren. Demgegen¨ uber beschreibt die Kontinuit¨ atsgleichung die lokale Erhaltung der Teilchenzahl bzw. der Materie: Wenn sich in einem infinitesimal kleinen Gebiet die Materiedichte zeitlich ¨ andert, so kann dies nur durch Zufluss aus bzw. Wegfluss in die Umgebung erfolgen. 3) Die Kontinuit¨ atsgleichung ist zwar eine unmittelbare Folge der Schr¨odingerGleichung. Sie ist jedoch nicht mehr ¨aquivalent zu dieser. Durch die Mittelung (d.h. Bildung des Erwartungswertes) ensteht ein Informationsverlust. Sie enth¨alt nur noch die zeitliche Entwicklung der Teilchendichte. Insbesondere haben wir beobachtet, dass das Potential aus der Kontinuit¨atsgleichung herausf¨allt. Die Kontinuit¨ atsgleichung beschreibt also nur generelle Eigenschaften des Schr¨ odinger’schen Materiefeldes, die nicht von den Details der Bewegung abh¨ angen, welche durch das Potential bestimmt wird. Die durch diese Gleichung beschriebene Materieerhaltung ist damit unabh¨angig von der Anwesenheit eines Potentials g¨ ultig.

Integrieren wir die Stromdichte (8.53) u ¨ber den gesamten Raum und benutzen den Gauß’schen Satz f¨ ur das Integral u ¨ber den zweiten Term, so finden wir: Z Z I 1 ~ d3 x j(x, t) = dfx ρ(x, t) (8.55) d3 x ψ ∗ (x, t)pψ(x, t) − m 2mi V

S(V )

Das hier entstehende Oberfl¨ achenintegral u ur V → ∞ ver¨ber S(V ) muss jedoch f¨ schwinden, wenn die Wellenfunktion ψ normierbar sein soll. In der Tat verlangt die Normierbarkeit der Wellenfunktion: Z d3 x ψ ∗ (x, t)ψ(x, t) < ∞ . Dies impliziert f¨ ur das asymptotische Verhalten der Wellenfunktion f¨ ur |x| → ∞: |ψ(x, t)|2 ∼

1 , |x|3+ε

|x| → ∞ ,

ε>0.

134

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

Hieraus folgt f¨ ur das Oberfl¨ achenintegral f¨ ur V → ∞ mit |dfx | = |x|2 dΩ (dΩ ist das Raumwinkelelement): I I I 2 dfx |ψ(x, t)|2 < |dfx | |ψ(x, t)|2 ∼ dΩ |x| → 0 , |x| → ∞ . 3 |x|

Damit ist f¨ ur normierbare Wellenfunktionen der Gesamtstrom (8.55) durch den Erwartungswert der Geschwindigkeit Z 1 d3 x j(x, t) = hpit m gegeben.

8.6

Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

¨ Ahnlich wie die elektromagnetischen Felder an den Grenzfl¨achen zwischen verschiedenen Medien gewissen Grenzfl¨ achenbedingungen gen¨ ugen, erf¨ ullt auch die Wellenfunktion an den Grenzfl¨achen zwischen verschiedenen Potentialgebieten gewisse Stetigkeitsbedingungen, die wir im Abschnitt 8.6.2 ableiten.

8.6.1

Motivation von Potentialspru ¨ngen

Wir betrachten die Bewegung eines Elektrons in einem Festk¨orper. Die potentielle Energie V (x) ist durch das skalare Potential Φ(x) des elektrischen Feldes gegeben: V (x) = qΦ(x) , wobei q die Ladung des Elektrons bezeichnet. Der Festk¨orper soll aus zwei verschiedenen, aneinander grenzenden Dielektrika bestehen. F¨ ur verschwindendes elektrisches Feld E = −∇Φ(x) muss das skalare Potential Φ(x) und damit die potentielle Energie im Inneren der Dielektrika konstant sein. Der konstante Potentialwert wird jedoch in den verschiedenen Dielektrika i.A. verschieden sein. ¨ Beim Ubergang von einem Medium zum anderen nimmt die Konzentration des einen Stoffes kontinuierlich ab und die des anderen entsprechend kontinuierlich zu, sodass sich das Potential stetig u ¨ber eine Grenzschicht der Breite b vom Potentialwert des einen Mediums auf den des anderen Mediums ¨ andert (siehe Abb. 8.1(a)). Den detaillierten Potentialverlauf in der Grenzschicht kennen wir jedoch i.A. nicht und es w¨are a¨ußerst schwierig, bei der Beschreibung eines Elektrons in einem solchen Festk¨orper den genauen Potentialverlauf explizit zu ber¨ ucksichtigen. Die theoretische Beschreibung l¨ asst sich wesentlich vereinfachen, wenn die Wellenl¨ange des Elektrons groß gegen¨ uber der Ausdehnung b der Grenzschicht ist. In diesem Fall k¨onnen wir die Breite der Grenzschicht b gegen Null gehen lassen, b → 0. Bei dieser mathematischen Idealisierung wird aus der Grenzschicht eine Grenzfl¨ache (siehe Abb. 8.1(b)). Das idealisierte Potential besitzt dann an der Grenzfl¨ache einen Sprung, falls die Potentialwerte der beiden Dielektrika verschieden sind. Wir betonen jedoch, dass die

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

135

V (x) (a) V2 V1 x

b

V (x) b→0

(b)

V2 V1 x a ¨ Abb. 8.1: (a) Potentialverlauf im Ubergangsgebiet zwischen zwei verschiedenen Dielektrika. Das Potential ¨ andert sich stetig in einer Grenzschicht der Breite b von seinem Wert im Medium 1 auf seinen Wert in Medium 2. (b) Zugeh¨ orige mathematische Idealisierung, bei der die Breite der Grenzschicht b → 0 geht und somit die Grenzschicht zur Grenzfl¨ ache (bei x = a) schrumpft.

Unstetigkeiten allein durch die mathematische Idealisierung entstehen, die tats¨achlichen physikalischen Felder hingegen stetig sind. Wir interessieren uns hier f¨ ur das Verhalten der Wellenfunktion an einem solchen Potentialsprung. In dem realistischen, stetigen Potential ist die Wellenfunktion sicherlich stetig. Durch die mathematische Idealisierung, der Ersetzung der Grenzschicht durch eine Grenzfl¨ache, k¨ onnte die Wellenfunktion jedoch, ¨ahnlich wie das Potential, einen Sprung erfahren. Die Wellenfunktion ist prinzipiell als L¨ osung der Schr¨odinger-Gleichung definiert. Da diese eine partielle Differentialgleichung ist, k¨onnen wir sie jedoch nicht unmittelbar f¨ ur unstetige Potentiale V (x) l¨ osen. Wir k¨ onnen jedoch die Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur das realistische, stetige Potential l¨ osen und erhalten dann eine Wellenfunktion ψb (x, t), welche von der Breite b der Grenzschicht abh¨ angt. In der nun bekannten Wellenfunktion ψb (x, t) k¨onnen wir dann die Breite der Grenzschicht gegen Null gehen lassen, b → 0. Die dabei entstehende Wellenfunktion ψb=0 (x, t) wird dann (¨ahnlich wie das Potential

136

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

Vb=0 (x)) m¨oglicherweise einen Sprung oder Knick besitzen (d.h. an der Grenzfl¨ache nicht stetig oder nicht differenzierbar sein), sie wird aber auf jeden Fall beschr¨ankt bleiben: |ψ(x, t)| < ∞ . Eine unbeschr¨ankte Wellenfunktion ließe sich auch nicht als Wahrscheinlichkeitsamplitude interpretieren. Der Einfachheit halber betrachten wir im Folgenden eine zeitunabh¨angige Grenzschicht (was der realistischen Situation entspricht). Die Zeitabh¨angigkeit der Wellenfunktion ist ¨ dann f¨ ur die nachfolgenden Uberlegungen irrelevant, sodass wir uns auf die station¨are Schr¨odinger-Gleichung beschr¨ anken k¨ onnen. Die station¨are Wellenfunktion ϕ(x) muss nat¨ urlich ebenfalls beschr¨ ankt sein |ϕ(x)| < ∞ .

8.6.2

(8.56)

Verhalten der Wellenfunktion an Potentialspru ¨ngen

Wir wollen jetzt untersuchen, wie sich die Wellenfunktion an Potentialspr¨ ungen verh¨alt. Dabei beschr¨anken wir uns zun¨ achst auf eine eindimensionale Potentialbewegung, da hier bereits alle wesentlichen Eigenschaften der Wellenfunktionen zu Tage treten, diese aber einfacher zu behandeln ist als der dreidimensionale Fall, der in Abschnitt 8.6.3 betrachtet wird. Wir beginnen mit der Betrachtung einer endlichen Potentialstufe, die wir ohne Einschr¨ankung der Allgemeinheit in der Form V (x) = V0 Θ(x − a)

(8.57)

w¨ahlen k¨onnen. Beim Auftreten von Potentialspr¨ ungen w¨ urde man zun¨achst erwarten, dass auch die Wellenfunktion m¨ oglicherweise Sprungstellen besitzt. Hierzu bemerken wir jedoch Folgendes: Eine stetige Funktion ϕ(x) besitzt nicht notwendigerweise eine stetige Ableitung ϕ′ (x). Umgekehrt gilt jedoch: Besitzt eine Funktion ϕ(x) eine stetige Ableitung, dann ist sie selbst stetig, wie man sofort aus der Integraldarstellung ϕ(x) =

Zx

dyϕ′ (y) + ϕ(x0 )

(8.58)

x0

erkennt. Bei der Anwesenheit von Potentialstufen in V (x) k¨onnen wir deshalb davon ausgehen, dass diese in der Schr¨ odinger-Gleichung ϕ′′ (x) =

2m (V (x) − E) ϕ(x) ~2

(8.59)

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

137

zu Stufen in ϕ′′ (x) f¨ uhren. ϕ′′ (x) wird deshalb eine st¨ uckweise stetige Funktion mit endlichen Spr¨ ungen sein, die nat¨ urlich integrierbar ist und auf eine stetige erste Ableitung ′

ϕ (x) =

Zx

dyϕ′′ (y) + ϕ′ (x0 )

(8.60)

x0

f¨ uhrt. Dies tritt umittelbar zu Tage, wenn wir die Schr¨odinger-Gleichung (8.59) u ¨ber ein infinitesimales Intervall der L¨ ange 2ε integrieren, welches die Sprungstelle x = a des Potentials (8.57) enth¨ alt 2m ϕ (a + ε) − ϕ (a − ε) = 2 ~ ′



a+ε Z dx (V (x) − E) ϕ(x) .

(8.61)

a−ε

F¨ ur beschr¨ankte Wellenfunktionen |ϕ(x)| < ∞ verschwindet im Limes ε → 0 das Integral proportional zur Energie E und wir erhalten

2m lim [ϕ (a + ε) − ϕ (a − ε)] = 2 lim ε→0 ~ ε→0 ′



a+ε Z dx V (x)ϕ(x) .

(8.62)

a−ε

Ist außerdem V (x) beschr¨ ankt, |V (x)| < ∞, (was auch f¨ ur endliche Potentialspr¨ unge gilt), so verschwindet auch das verbleibende Integral und wir erhalten die Stetigkeit der Ableitung lim ϕ′ (a + ε) = lim ϕ′ (a − ε) .

ε→0

ε→0

(8.63)

F¨ ur stetiges ϕ′ (x) finden wir dann aber aus Gl. (8.58) auch eine stetige Wellenfunktion ϕ(x). Damit gelangen wir zu dem wichtigen Ergebnis: F¨ ur beschr¨ankte Potentiale und damit insbesondere an endlichen Potentialstufen sind die Wellenfunktion ϕ(x) und ihre erste Ableitung ϕ′ (x) stetig.

An einer endlichen Sprungstelle x = a des Potentials gelten deshalb die Anschlussbedingungen ϕ1 = ϕ2 , ϕ′1 = ϕ′2 ,

(8.64) (8.65)

138

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

wobei ϕ1 = lim ϕ(a − ε)

,

ε→0

ϕ2 = lim ϕ(a + ε) ε→0

(8.66)

die Wellenfunktion links bzw. rechts von der Sprungstelle x = a bezeichnet. Falls ϕ(x) an der Sprungstelle x = a des Potentials nicht verschwindet, lassen sich die beiden Bedingungen (8.64), (8.65) zur Stetigkeit der logarithmischen Ableitung zusammenfassen: (ln ϕ1 )′ = (ln ϕ2 )′ .

(8.67)

Aus dieser Beziehung fallen die Normierungskonstanten heraus. Man u ur unendlich große Potentialspr¨ unge (8.57) V0 → ∞ ¨berzeugt sich leicht, dass f¨ die Stetigkeitsbedingung an die Wellenfunktion (8.64) erhalten bleibt, w¨ahrend die Stetigkeit der Ableitung (8.65) nicht mehr gilt: F¨ ur ein unendlich großen Potentialsprung m¨ ussen wir davon ausgehen, dass ϕ′′ (x) ebenfalls einen unendlich großen Sprung besitzt. In diesem Fall k¨ onnen wir aus Gln. (8.60) bzw. (8.62) nicht mehr auf die Stetigkeit von ¨ ϕ′ (x) schließen.11 Aus diesen Uberlegungen k¨onnen wir schlussfolgern, dass an einem unendlich großen Potentialsprung die Ableitung der Wellenfunktion ϕ′ (x) nicht stetig sein wird, sondern einen endlichen Sprung besitzt. Es folgt dann aber nach wie vor aus Gl. (8.58), dass die Wellenfunktion ϕ(x) selbst an der unendlichen Sprungstelle des Potentials stetig ist. Wie wir bereits in Abschnitt 7.1 (siehe Gl. (7.2)) gezeigt haben, muss die Wellenfunktion in (ausgedehnten) Gebieten V unendlich hoher Potentiale verschwinden ϕ(x) = 0 f¨ ur x ∈ V mit V (x) = ∞ .

(8.71)

Dies ist auch unmittelbar aus der Schr¨ odinger-Gleichung (8.59) zu erkennen: F¨ ur endliche Energien E und unendlich großem Potential in einem ausgedehnten Gebiet ist ϕ(x) = 0 die einzig m¨ ogliche L¨ osung. Die Schr¨odinger-Gleichung erlaubt jedoch nicht-verschwindene L¨osungen ϕ(x), falls das Potential nur an isolierten Punkten singul¨ ar ist. Der Prototyp eines solchen Potentials 11 Dies

wird klar, wenn man sich an die Definition des Riemann-Integrals erinnert: F (x) =

Zx

dx′ f (x′ ) = lim ε ε→0

x0

X

f (xk ) ,

(8.68)

k

wobei wir x − x0 = N · ε

,

xk = x0 + kε

(8.69)

gesetzt haben. F¨ ur endliche Funktionswerte f (xk ) gilt lim εf (xk ) = 0 ,

ε→0

(8.70)

was die Stetigkeit der Stammfunktion F (x) selbst bei endlichen Spr¨ ungen der Funktion f (x) garantiert. An Stellen xk = a, an denen die Funktion einen unendlich großen Sprung besitzt, ist ihr Funktionswert f (xk ) notwendigerweise unendlich und die Bedingung (8.70) ist verletzt, was zu einem endlichen Sprung der Stammfunktion F (x) bei xk = a f¨ uhrt.

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

139

l¨ asst sich durch die δ-Funktion darstellen V (x) = Cδ(x − a) .

(8.72)

Setzen wir dieses Potential in die Schr¨ odinger-Gleichung ein ϕ′′ (x) =

2m (Cδ(x − a) − E) ϕ(x) , ~2

(8.73)

so k¨onnen wir wie oben bei den unendlichen Potentialspr¨ ungen argumentieren, dass die δ-f¨ormige Singularit¨ at nur durch ϕ′′ (x) kompensiert werden kann. Ist aber f¨ ur x ≃ a ϕ′′ (x) ∼ δ(x − a) ,

(8.74)

so muss nach Gl. (8.60) die Ableitung der Wellenfunktion ϕ′ (x) bei x = a einen endlichen Sprung besitzen und aus Gl. (8.58) folgt dann, dass die Wellenfunktionen ϕ(x) selbst bei x = a stetig ist: lim ϕ(a − ε) = lim ϕ(a + ε) .

ε→0

(8.75)

ε→0

Setzen wir das Potential (8.72) in Gl. (8.62) ein, so erhalten wir f¨ ur den Sprung der Ableitung der Wellenfunktion: lim [ϕ′ (a + ε) − ϕ′ (a − ε)] =

ε→0

2m Cϕ(a) . ~2

(8.76)

Gl. (8.75) und (8.76) sind die Anschlussbedingungen an die Wellenfunktion am Ort der δ-f¨ormigen Singularit¨ at im Potential. W¨ ahrend die Wellenfunktion selbst stetig ist, besitzt ihre Ableitung an der Singularit¨ at des Potentials einen Sprung, der durch die St¨ arke des Potentials und den Wert der Wellenfunktion an der Sprungstelle gegeben ist.

8.6.3

Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion in drei Dimensionen∗

¨ Die obigen Uberlegungen zum Verhalten der Wellenfunktion an Sprungstellen des Potentials lassen sich unmittelbar auf drei Dimensionen verallgemeinern. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Potentialspr¨ unge an Grenzfl¨achen ausgedehnter dreidimensionaler Gebiete auftreten. F¨ ur realistische Probleme werden die Grenzfl¨achen die Oberfl¨achen endlicher Volumina sein. Um das Verhalten der Wellenfunktion an diesen Grenzfl¨achen zu bestimmen, bedienen wir uns ¨ ahnlicher Techniken, wie wir sie bereits aus der Elektrodynamik kennen. Dazu schreiben wir die Schr¨odinger-Gleichung, die eine Differentialgleichung zweiter Ordnung bez¨ uglich des Ortes ist, in ein System aus zwei Differentialgleichungen erster Ordnung um. Der Gradient der Wellenfunktion A = ∇ϕ

(8.77)

∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

140

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

definiert ein rotationsfreies Vektorfeld A(x): ∇ × A(x) = 0 .

(8.78)

Die Divergenz dieses Vektorfeldes ist durch die (station¨are) Schr¨odinger-Gleichung gegeben, ∇ · A(x) = ∆ϕ(x) =

 2m V (x) − E ϕ(x) =: g(x) , 2 ~

(8.79)

wobei E wie u ¨blich den Energieeigenwert bezeichnet. Nach dem Zerlegungssatz12 ist das Vektorfeld A(x) damit eindeutig bestimmt. In Abb. 8.2(a) ist das Verhalten dieses Vektorfeldes in der Grenzschicht illustriert. In dem realistischen, stetigen Potential V (x) ¨andert sich dieses Vektorfeld stetig in der Grenzschicht. Kontrahieren wir die Grenzschicht jetzt zu einer Grenzfl¨ ache, so kann (analog zum eindimensionalen Fall) an der entstehenden Grenzfl¨ ache S das Potential Spr¨ unge und das Vektorfeld A(x) Unstetigkeitsstellen aufweisen (Abb. 8.2(b)). Die Rotation von A(x) verschwindet im gesamten Raum unabh¨angig vom Potential. Wir betrachten eine beliebige Fl¨ ache S im 3 und integrieren Gl. (8.78) u ¨ber eine Stokes’sche Fl¨ache F , ein kleines Rechteck, das die Fl¨ache S senkrecht schneidet (siehe Abb. 8.3). Unter Benutzung des Stokes’schen Integralsatzes Z Z df · (∇ × A) = dx · A(x) (8.80)

R

F

finden wir: I

∂F

∂F

     b b ˆ −A x− n ˆ +U = 0, dx · A(x) = t · A x + n 2 2

(8.81)

wobei |t| = t die Breite der Stokes’schen Fl¨ ache und tˆ ein Tangentialvektor der betrachteten Fl¨ache S ist, der in der Stokes’schen Fl¨ache liegt, siehe Abb. 8.3. ¨ Wir haben hierbei verwendet, dass f¨ ur gen¨ ugend kleine t die Anderung von A(x) parallel zur Fl¨ache S vernachl¨ assigt werden kann. Ferner ist U ∼ b der Beitrag von den beiden ˆ Im Limes b → 0 verschwindet U und wir erhalten aus Wegabschnitten parallel zu n. (8.81) die Stetigkeit der Tangentialkomponenten tˆ · A2 = tˆ · A1 , wobei wir A1/2

  b ˆ = lim A x ∓ n b→0 2

(8.82)

(8.83)

gesetzt haben. Gl. (8.82) l¨ asst sich mit (8.77) auch in der Form ˆ × ∇ϕ2 = n ˆ × ∇ϕ1 n

(8.84)

12 Der Zerlegungssatz besagt, dass jedes Vektorfeld A eindeutig durch seine Quellen ∇ · A und Wirbel ∇ × A bestimmt ist.

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion (a)

141 (b) S

2

2

1

1

b→0

b

Abb. 8.2: (a) Stetiges Verhalten eines physikalischen Vektorfeldes in einer Grenzschicht. (b) Dasselbe Vektorfeld nach der mathematischen Idealisierung b → 0, in der die Grenzschicht durch eine Grenzfl¨ ache S ersetzt wurde. An der Grenzfl¨ ache weist das Vektorfeld i.A. Unstetigkeitsstellen auf.

mit   b ˆ ϕ1/2 = lim ϕ x ∓ n b→0 2

(8.85)

schreiben. Damit sind die Tangentialkomponenten von ∇ϕ(x) beim Durchgang durch beliebige Fl¨achen stetig unabh¨ angig vom Verhalten des Potentials. Um das Verhalten der Komponenten A(x) = ∇ϕ normal zu einer Fl¨ache S zu bestimmen, integrieren wir die Gleichung (8.79) f¨ ur die Divergenz von A(x) u ¨ber ein kleines Volumen ∆V , das die Grenzfl¨ ache einschließt (Gauß’sches K¨astchen), siehe Abb. 8.4: Z Z d3 x ∇ · A(x) = d3 x g(x) . ∆V

∆V

Zweckm¨aßigkeitshalber w¨ ahlen wir dieses Volumen in der Form eines Zylinders, dessen Zylinderachse senkrecht auf der Grenzfl¨ ache steht (Abb. 8.4). Wir legen den Zylinder so in die Fl¨ache, dass die untere H¨ alfte des Zylinders im Gebiet 1, die obere H¨alfte ˆ im in Gebiet 2 liegt. Die Zylinderachse wird damit durch die Grenzfl¨achennormale n Zylindermittelpunkt festgelegt. Benutzen wir den Gauß’schen Satz, so erhalten wir: Z I dfx · A(x) = d3 x g(x) . (8.86) ∂(∆V )

∆V

¨ W¨ ahlen wir das Gauß’sche K¨ astchen klein genug, so k¨onnen wir die Anderung des Vektorfeldes A(x) und seiner Divergenz g(x) u ¨ber die Stirnfl¨achen ∆F des Zylinders vernachl¨assigen. (Beide Gr¨ oßen k¨ onnen sich jedoch drastisch beim Durchgang durch die

142

8 Die Schr¨odinger-Gleichung S ˆ n

2

tˆ b

t

1

Abb. 8.3: Stokes’sche Fl¨ ache (Rechteck) im Grenzgebiet zweier Medien. Der Normalenvektor ˆ der Grenzfl¨ n ache S liegt in der Stokes’schen Fl¨ ache. tˆ bezeichnet einen Tangentialvektor der Fl¨ ache S, der ebenfalls in der Stokes’schen Fl¨ ache liegt.

Fl¨ache S ¨andern, falls das Potential auf der Fl¨ache S Spr¨ unge aufweist oder singul¨ar ist.) Unter dieser Voraussetzung erhalten wir f¨ ur das Volumenintegral Z

3

d x g(x) = ∆F

∆V

Zb/2

ˆ) . dl g(x + ln

(8.87)

−b/2

bzw. f¨ ur das Oberfl¨ achenintegral:      I b b ˆ −A x− n ˆ ˆ · A x+ n ∆F + M , dfx · A(x) = n 2 2

(8.88)

∂(∆V )

ˆ der Normalenvektor der Grenzfl¨ wobei n ache ist, der auf der der Zylinderachse liegt und von Gebiet 1 nach Gebiet 2 zeigt, siehe Abb. 8.4. Ferner bezeichnet M den Beitrag vom Zylindermantel zum Oberfl¨ achenintegral. Dieser Beitrag muss offensichtlich proportional zur H¨ ohe des Zylinders b sein (M ∼ b). M enth¨alt nur die Tangentialkomponente von A(x), die, wie oben gezeigt, beim Durchqueren einer beliebigen Fl¨ache stetig bleibt, siehe Gl. (8.82). Deshalb verschwindet im Limes b → 0 der Beitrag von der Mantelfl¨ache: lim M = 0 .

b→0

Setzen wir (8.88) und (8.87) in Gl. (8.86) ein, so finden wir nach Grenzwertbildung b → 0 ˆ · A an der Grenzschicht die Beziehung f¨ ur die Normalkomponente des Vektorfeldes n ˆ · (A2 (x) − A1 (x)) = lim n

Zb/2

b→0 −b/2

ˆ ) = lim dl ∇ · A(x + ln

Zb/2

b→0 −b/2

ˆ) . dl g(x + ln

(8.89)

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

143 S

ˆ n

2

b ∆F 1

Abb. 8.4: Gauß’sches K¨ astchen (Zylinder) in der Grenzschicht zwischen den beiden Medien.

Setzen wir hier f¨ ur die Divergenz von A den expliziten Wert ein, der durch die Schr¨odingerGleichung (8.79) gegeben ist, so erhalten wir schließlich: 2m ˆ · (A2 (x) − A1 (x)) = 2 lim n ~ b→0

Zb/2

ˆ ) − E)ϕ(x + ln ˆ) . dl (V (x + ln

(8.90)

−b/2

Im Limes b → 0 verschwindet der Term proportional zur Energie E. Beachten wir, dass ˆ ·A= n

∂ϕ ∂n

(8.91)

ˆ ist, so erdie Richtungsableitung der Wellenfunktion entlang der Fl¨achennormalen n halten wir schließlich die Grenzfl¨ achenbedingung ∂ϕ1 2m ∂ϕ2 − = 2 lim ∂n ∂n ~ b→0

Zb/2

ˆ )ϕ(x + ln ˆ) , dl V (x + ln

(8.92)

−b/2

wobei ϕ1 und ϕ2 die Wellenfunktionen an der Fl¨ache S im Gebiet 1 bzw. 2 bezeichnet, siehe Gl. (8.85). F¨ ur ein nicht-singul¨ ares Potential verschwindet das Integral auf der rechten Seite von (8.92) im Limes b → 0 und wir finden: ∂ϕ2 ∂ϕ1 = . ∂n ∂n

(8.93)

Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Potential auf der Fl¨ache S nur endliche Spr¨ unge besitzt. Damit ist die Richtungsableitung der Wellenfunktion (in Richtung der Fl¨achennormalen) an den Fl¨ achen endlicher Potentialspr¨ unge stetig. Die Bedingung (8.93) ist das dreidimensionale Analogon der Stetigkeitsbedingung (8.65).

144

8 Die Schr¨odinger-Gleichung

Zusammen mit der oben gezeigten Stetigkeit der Tangentialkomponente von ∇ϕ folgt, dass ∇ϕ(x) in Gebieten nicht-singul¨ arer Potentiale und damit insbesondere auf Fl¨achen endlicher Potentialspr¨ unge stetig ist. Wie im eindimensionalen Fall folgt aus der Stetigkeit von ∇ϕ(x) auch die Stetigkeit von ϕ(x): ϕ1 = ϕ2 .

(8.94)

Falls die Wellenfunktion an der Grenzfl¨ ache nicht verschwindet, lassen sich beide Bedingungen (8.94) und (8.93) wieder zur Stetigkeit der logarithmischen Ableitung zusammenfassen: ∂ ln ϕ2 ∂ ln ϕ1 = . ∂n ∂n

(8.95)

Damit das Integral auf der rechten Seite von (8.92) einen von Null verschiedenen Wert ergibt, muss das Potential im Integrationsgebiet singul¨ar werden. Dies ist offensichtlich der Fall f¨ ur unendlich große Potentialspr¨ unge auf der Grenzschicht. An unendlich großen Potentialspr¨ ungen ist deshalb die Richtungsableitung der Wellenfunktion nicht stetig. Wie im eindimensionalen Fall ist aus der Schr¨odinger-Gleichung (8.79) ersichtlich, dass in ausgedehnten Gebieten V, in denen das Potential unendlich groß wird, die Wellenfunktion verschwinden muss ϕ(x) = 0 f¨ ur x ∈ V mit V (x) = ∞ .

(8.96)

Dies gilt jedoch nicht, wenn das Potential nur isolierte singul¨are Stellen besitzt oder singul¨ar auf einer zwei- oder eindimensionalen Untermannigfaltigkeit des 3 ist. Ist das Potential z.B. singul¨ ar auf einer Fl¨ ache S und hat dort eine δ-f¨ormige Singularit¨at

R

V (x) = f (x⊥ )δ(l) ,

(8.97)

wobei x⊥ die Koordinaten der Fl¨ ache S und l die Koordinate entlang der Fl¨achennormalen ist und den Wert l = 0 auf S annimmt, so finden wir aus (8.92): ∂ϕ1 2m ∂ϕ2 − = f (x⊥ )ϕ(x⊥ , l = 0) . ∂n ∂n ~

(8.98)

Die Normalkomponente des Vektorfeldes ∇ϕ kann demnach an einer Fl¨ache zwischen zwei Gebieten einen Sprung aufweisen, falls V (x) dort gen¨ ugend stark divergiert. Wie im eindimensionalen Fall bleibt die Wellenfunktion ϕ(x) stetig selbst bei endlichen Spr¨ ungen von ∇ϕ(x). Die obigen Betrachtungen eines Vektorfeldes an einer Grenzschicht gelten allgemein f¨ ur beliebige Vektorfelder. Abschließend wollen wir sie auf die Teilchenstromdichte anwenden. F¨ ur praktische Anwendungen der Quantenmechanik ist es ¨außerst interessant zu wissen, wie sich ein Teilchenstrom an einer Grenzfl¨ache verh¨alt, an der sich das Potential abrupt ¨andert. Die Teilchenstromdichte j(x, t) (8.52) definiert ein Vektorfeld, dessen Divergenz durch die Kontinuit¨atsgleichung (8.51) ∂ρ +∇·j =0 ∂t

8.6 Grenzfl¨achenverhalten der Wellenfunktion

145

gegeben ist, wobei ρ(x, t) = |ψ(x, t)|2 die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte ist. Nach ¨ Vergleich mit (8.79) finden wir aus (8.89) f¨ ur die Anderung der Teilchenstromdichte an der Grenzfl¨ache: ˆ · (j2 (x) − j1 (x)) = − lim n

Zb/2

b→0 −b/2

dl

∂ ˆ) . ρ(x + ln ∂t

Im hier betrachteten station¨ aren Fall ist |ψ(x, t)|2 = |ϕ(x)|2 , sodass ∂ρ/∂t = 0 und wir erhalten: ˆ · j2 (x) = n ˆ · j1 (x) . n Damit bleibt die Normalkomponente des Teilchenstromes beim Durchgang durch eine Grenzschicht selbst bei unstetigem Potential bzw. singul¨aren Potentialspr¨ ungen erhalten.

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

Im Folgenden werden wir zun¨ achst einige allgemeine Eigenschaften der Wellenfunktion diskutieren, die sich unmittelbar aus der mathematischen Struktur der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung als Differentialgleichung zweiter Ordnung ergeben und unabh¨angig von den Details des Potentials sind. Zur Illustration dieser Eigenschaften wird die Schr¨odinger-Gleichung am Ende dieses Kapitels f¨ ur zwei Potentiale, den unendlich hohen Potentialtopf und das δ-Potential, explizit gel¨ost. Dabei werden die in Abschnitt 8.6.2 abgeleiteten Stetigkeitsbedingungen an die Wellenfunktion zum Tragen kommen.

9.1

Qualitative Diskussion der Wellenfunktion: Gebundene Zust¨ande

Wir betrachten ein Teilchen mit der Masse m, das sich in einem Potential V (x) bewegen soll. Die zugeh¨orige Schr¨ odinger-Gleichung lautet:   ~2 d2 − + V (x) ϕ(x) = Eϕ(x) , (9.1) 2m dx2 bzw. nach Multiplikation mit −2m/~2: ϕ′′ (x) =

2m (V (x) − E)ϕ(x) . ~2

F¨ ur eine feste Energie E ist die Kr¨ ummung der Wellenfunktion |ϕ′′ (x)| offenbar durch die St¨arke des Potentials gegeben. Je gr¨ oßer die Differenz |V (x) − E|, desto gr¨oßer die Kr¨ ummung. Das Potential habe die in Abb. 9.1 dargestellte, recht allgemeine Form. Das Potential besitzt ein Minimum und wird f¨ ur x → ±∞ asymptotisch flach, d.h. strebt gegen endliche Grenzwerte V∓∞ . F¨ uhren wir in der station¨ aren Schr¨ odinger-Gleichung (9.1) wieder die (hier ortsabh¨angige!) Wellenzahl k(x) ein u ¨ber p = ~k und T =

p2 ~2 k 2 = =E−V , 2m 2m

d.h. k 2 (x) =

2m (E − V (x)) , ~2

148

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung V∞

V (x)

V−∞

E

x Abb. 9.1: Asymptotisch konstantes Potential. Gebundene Zust¨ ande existieren nur unterhalb der gestrichelten Linie (E < V−∞ ).

so nimmt diese die Gestalt ϕ′′ (x) = −k 2 (x)ϕ(x) an. Bez¨ uglich der Energie k¨ onnen wir drei verschiedene Potentialgebiete unterscheiden: 1)

E > V (x)

klassisch erlaubtes Gebiet,

2)

E = V (x)

Umkehrpunkte der klassischen Bewegung,

3)

E < V (x)

klassisch verbotenes Gebiet.

Im Folgenden wollen wir die jeweiligen Gebiete separat betrachten.

1) Klassisch erlaubtes Gebiet: In diesem Gebiet haben wir: E > V (x)

,

T >0

,

k2 > 0 .

Die Wellenzahl ist in diesem Gebiet rein reell. Wegen ϕ′′ (x) = −k 2 (x)ϕ(x) haben ϕ′′ und ϕ entgegengesetztes Vorzeichen. F¨ ur positive ϕ ist ϕ′′ negativ und die Wellenfunktion ist konkav. Umgekehrt ist f¨ ur negative ϕ die zweite Ableitung ϕ′′ positiv und die Wellenfunktion ϕ ist konvex. Damit ist die Wellenfunktion ϕ(x) in diesem Gebiet stets zur x-Achse hingekr¨ ummt, siehe Abb. 9.2. Schneidet die Wellenfunktion die x-Achse, d.h., hat sie eine Nullstelle, so ist dies wegen ϕ′′ = 0 stets ein Wendepunkt von ϕ(x). Damit kann die Wellenfunktion in diesem Gebiet nur ein oszillierendes Verhalten besitzen.

9.1 Gebundene Zust¨ ande

149 V (x)

E

x ϕ(x)

x

Abb. 9.2: Das Verhalten der Wellenfunktion in den verschiedenen Potentialgebieten in Abh¨ angigkeit vom Wert der Wellenfunktion.

150

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

2) Umkehrpunkte der klassischen Bewegung: F¨ ur die Umkehrpunkte gilt: E = V (x)

,

T =0

,

k=0.

Hier verschwindet die zweite Ableitung der Wellenfunktion (ϕ′′ = 0). An den klassischen Umkehrpunkten besitzt deshalb die Wellenfunktion stets Wendepunkte (siehe Abb. 9.2). 3) Klassisch verbotenes Gebiet: In diesem Bereich haben wir: E < V (x)

,

T 0 .

ϕ′′ und ϕ haben deshalb in diesem Gebiet gleiches Vorzeichen und zeigen das in Abb. 9.2 dargestellte qualitative Verhalten. Die Wellenfunktion ist hier stets von der x-Achse weggekr¨ ummt, sie kann daher kein oszillierendes Verhalten zeigen, sondern nur exponentiell anwachsen oder exponentiell abklingen. Auch in diesem Bereich sind Nullstellen der Wellenfunktion gleichzeitig Wendepunkte.

Betrachten wir nun die Konsequenzen dieser Analyse f¨ ur die m¨oglichen Energieeigenzust¨ande. Wir beginnen mit dem Energiebereich unterhalb des Potentialminimums Vmin . F¨ ur diese Energien E < Vmin befindet sich die gesamte x-Achse im klassisch verbotenen Bereich. Die Wellenfunktion steigt deshalb f¨ ur |x| → ∞ exponentiell an (da sie in diesem Gebiet von der x-Achse weggekr¨ ummt ist) und folglich gibt es keine normierbaren L¨ osungen der Schr¨ odinger-Gleichung in diesem Energiegebiet. Wir betrachten jetzt die Energien zwischen dem Potentialminimum und der unteren Potentialkante: Vmin < E < V−∞ .

(9.2)

F¨ ur diese Energien ist ein klassisches Teilchen in diesem Potential gebunden, es f¨ uhrt eine periodische Bewegung zwischen den Umkehrpunkten aus, kann aber die Potentialmulde ohne a ¨ußere Einwirkungen nicht verlassen. Wir erwarten, dass es a¨hnliche gebundene Zust¨ ande f¨ ur ein quantenmechanisches Teilchen in diesem Energiebereich gibt. In der Quantenmechanik besitzt ein Teilchen i.A. keinen wohldefinierten Ort und wir k¨onnen nur die Wahrscheinlichkeit w(x) dx = |ϕ(x)|2 dx angeben, mit der sich das Teilchen in einem Intervall dx um den Ort x aufh¨alt. Wir k¨onnen deshalb in der Quantenmechanik ein an ein Raumgebiet gebundenes Teilchen nur durch eine in diesem

9.1 Gebundene Zust¨ ande

151

Gebiet lokalisierte Wahrscheinlichkeitsverteilung, d.h. durch eine lokalisierte Wellenfunktion, charakterisieren. Da die Gesamtwahrscheinlichkeit das Teilchen irgendwo im Raum anzutreffen eins sein muss, Z∞

−∞

dx w(x) =

Z∞

−∞

!

dx |ϕ(x)| = 1 ,

k¨ onnen gebundene Teilchen nur durch normierbare Wellenfunktionen, Z∞

−∞

dx |ϕ(x)|2 < ∞ ,

beschrieben werden. L¨ osungen der station¨ aren Schr¨odinger-Gleichung, welche ein im Raum lokalisiertes Teilchen beschreiben und folglich normierbar sind, werden als gebundene Zust¨ande bezeichnet. Betrachten wir die L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung im Energiebereich (9.2), so finden wir, dass nicht f¨ ur jede Energie normierbare L¨osungen m¨oglich sind (Abb. 9.3). Eine normierbare Wellenfunktion muss asymptotisch exponentiell abfallen, d.h. sich an die x-Achse anschmiegen. Damit dies eintritt, muss die Wellenfunktion am klassischen Umkehrpunkt eine ganz bestimmte Kr¨ ummung aufweisen. Ist die Kr¨ ummung zu schwach (Abb. 9.3), w¨achst die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich exponentiell an und ist daher nicht normierbar. Ist umgekehrt die Kr¨ ummung zu stark, kreuzt die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich die x-Achse und w¨achst mit negativem Vorzeichen wieder exponentiell an und ist damit ebenfalls nicht normierbar. Nur bei einer ganz bestimmten Kr¨ ummung f¨ allt die Wellenfunktion exponentiell f¨ ur x → ∞ ab und ist normierbar. Sie f¨ uhrt dann auf einen gebundenen quantenmechanischen Zustand. E > V (x)

E < V (x) nicht normierbar

normierbar

nicht normierbar

Abb. 9.3: Normierbarkeit der Wellenfunktion.

152

9.2

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

Die Wellenfunktion in Abh¨angigkeit von der Energie

Im Folgenden bezeichnen wir die klassischen Umkehrpunkte mit x1 und x2 , d.h. es gilt: V (x1,2 ) = E , wobei x2 > x1 ist. Wir nehmen an, dass die station¨are Schr¨odinger-Gleichung mit der korrekten Asymptotik im klassisch verbotenen Gebiet x1 > x → −∞ gel¨ost wurde, ϕ(x) ∼ eκx ,

x → −∞ ,

κ=

1p 2m(V−∞ − E) , ~

und untersuchen, wie sich die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Gebiet f¨ ur x2 < x → ∞ verh¨alt. Wir betrachten zun¨ achst eine Energie E ′ , die nur geringf¨ ugig u ¨ber dem Potentialminimum liegt, siehe Abb. 9.4. Der klassisch erlaubte Bereich ist dann sehr klein und reicht nicht aus zur Ausbildung eines oszillierenden Verhaltens der Wellenfunktion. In der Abb. 9.4(a) ist dieser Bereich so klein, dass nicht einmal eine halbe Wellenl¨ange im klassisch erlaubten Gebiet Platz findet. Die Kr¨ ummung der Wellenfunktion im klassisch erlaubten Bereich ist so gering, dass nach dem Wendepunkt die Wellenfunktion konvex wird und f¨ ur große x exponentiell anw¨achst. Eine solche Wellenfunktion ist nicht normierbar, und es kann sich kein station¨arer Zustand mit normierbarer Wellenfunktion, d.h. mit endlicher lokalisierter Aufenthaltswahrscheinlichkeit, ausbilden (Abb. 9.4(a)). Vergr¨oßern wir nun die Energie E, so nimmt die Kr¨ ummung der Wellenfunktion im klassisch erlaubten Bereich zu. Bei einer bestimmten Energie E = E0 ist die konkave Kr¨ ummung von ϕ(x) ausreichend, um f¨ ur x > x2 ein korrektes exponentielles Abfallen der Wellenfunktion f¨ ur x → ∞ zu gew¨ ahrleisten. Wir erhalten dann eine normierbare Wellenfunktion, folglich einen station¨ aren Quantenzustand (Abb. 9.4(b)). Bei einer weiteren Steigerung der Energie vergr¨oßert sich der erlaubte klassische Bereich und gleichzeitig nimmt die Wellenzahl zu. Die Wellenfunktion wird deshalb mehr und mehr gekr¨ ummt und beginnt schließlich zu oszillieren, d.h. es entsteht eine erste Nullstelle der Wellenfunktion (Abb. 9.4(c)). Die Kr¨ ummung der Wellenfunktion reicht jedoch noch nicht aus, um die korrekte Asymptotik f¨ ur x → ∞ zu erzeugen. Erst bei einer weiteren Vergr¨ oßerung der Energie auf E = E1 ist die Kr¨ ummung groß genug, sodass die Wellenfunktion normierbar wird und sich ein station¨arer Zustand ausbildet. Dieser Zustand ist der erste angeregte Zustand. Er besitzt einen Knoten (Abb. 9.4(d)). Auf diese Weise k¨ onnen wir fortfahren und die Energie st¨andig vergr¨oßern, dabei nimmt die Kr¨ ummung im klassisch erlaubten Bereich st¨andig zu. Die Wellenfunktion entwickelt dann im klassisch erlaubten Bereich einen zweiten Knoten und bei einer bestimmten Energie E = E2 wird dieser Zustand normierbar und damit zu einem lokalisierten gebundenen Zustand. Wir k¨ onnen dieses Verfahren offenbar fortf¨ uhren, bis die Energie die Potentialkante V−∞ erreicht. Wir stellen fest, dass normierbare Wellenfunktionen nur bei ganz bestimmten diskreten Energien auftreten. Diese diskreten Energien sind die Eigenwerte des HamiltonOperators und die zugeh¨ origen Wellenfunktionen seine normierbaren Eigenfunktionen.

9.2 Die Wellenfunktion in Abh¨ angigkeit von der Energie

153 V (x) E1 E ′′

ϕ(x) E′

(a)

x1

E0 bei E ′ zu geringe Kr¨ ummung

x

x2

ϕ(x) bei E0 station¨arer Zustand

(b)

x1

x

x2

ϕ(x) bei E ′′ zu starke Kr¨ ummung

(c)

x

x1

ϕ(x)

x2

bei E1 erster angeregter Zustand

(d)

x

x1

Knoten

Abb. 9.4: Wellenfunktion f¨ ur unterschiedliche Energien.

x2

154

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

Diese beschreiben offenbar im Ort lokalisierte Aufenthaltswahrscheinlichkeiten und damit gebundene Teilchen und werden folglich als gebundene Zust¨ande bezeichnet. ¨ Unsere obigen qualitativen Uberlegungen haben auch gezeigt, dass die Wellenfunktion des Grundzustandes keinen Knoten hat, die des ersten angeregten Zustandes besitzt einen Knoten, die des zweiten einen zweiten Knoten usw. Diese qualitativ gefundenen Ergebnisse sind offenbar eine Folge der mathematischen Struktur der Schr¨odingerGleichung und sollen im Folgenden streng bewiesen werden.

9.3

Strenge Eigenschaften der eindimensionalen Schr¨odinger-Gleichung

Aus der Tatsache, dass die station¨ are Schr¨ odinger-Gleichung eine lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung ist, folgen bereits einige sehr weitreichende Aussagen u ¨ber die Eigenschaften der Wellenfunktionen. Dazu wollen wir zun¨achst einige Ergebnisse der Theorie der Differentialgleichungen benutzen. Der Einfachheit halber setzen wir im Folgenden voraus, dass das Potential V (x) nur endliche Unstetigkeitsspr¨ unge aufweist. ϕ1 und ϕ2 seien zwei station¨ are L¨ osungen der Schr¨odinger-Gleichung zu Energien E1 und E2 . Dann gilt: ϕ′′1 (x) + k12 (x)ϕ1 (x) = 0 ϕ′′2 (x) + k22 (x)ϕ2 (x) = 0 , wobei 2 (x) = k1/2

 2m E1/2 − V (x) . 2 ~

Multiplizieren wir die erste Gleichung mit ϕ2 , die zweite mit ϕ1 und bilden die Differenz, so erhalten wir: ϕ′′2 ϕ1 − ϕ′′1 ϕ2 = (k12 − k22 )ϕ1 ϕ2 2m = 2 (E1 − E2 )ϕ1 ϕ2 . ~

(9.3)

Den Ausdruck auf der linken Seite dieser Gleichung formen wir um zu: ϕ′′2 ϕ1 − ϕ′′1 ϕ2 = ϕ′′2 ϕ1 + ϕ′2 ϕ′1 − (ϕ′′1 ϕ2 + ϕ′2 ϕ′1 ) d ′ = (ϕ ϕ1 − ϕ′1 ϕ2 ) dx 2 Er stellt ein totales Differential der Gr¨ oße ϕ1 (x) ϕ2 (x) W (ϕ1 , ϕ2 ; x) = ′ ϕ1 (x) ϕ′2 (x)

(9.4)

(9.5)

9.3 Strenge Eigenschaften

155

ϕm (x) x x′

x′′

Abb. 9.5: Wellenfunktion zwischen zwei benachbarten Nullstellen.

dar, die als Wronskian bzw. Wronski-Determinante der (homogenen) Differentialgleichung zweiter Ordnung bezeichnet wird. Durch Integration von (9.3) u ¨ber x von x′ bis ′′ x und Benutzung von (9.4) und der Definition des Wronskian erhalten wir: Z x′′ 2m ′′ ′ W (ϕ1 , ϕ2 ; x ) − W (ϕ1 , ϕ2 , x ) = 2 (E1 − E2 ) dx ϕ1 (x)ϕ2 (x) . (9.6) ~ x′ Mittels dieser Beziehung k¨ onnen wir einige allgemeine Eigenschaften der L¨osungen der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung angeben, die allein aus ihrer mathematischen Struktur folgen:

1) Die Zust¨ande des diskreten Spektrums der eindimensionalen Schr¨odingerGleichung sind s¨amtlich nicht entartet, d.h. zu einem festen E gibt es immer nur eine linear unabh¨angige Eigenfunktion ϕ(x). Wir f¨ uhren den Beweis indirekt. Seien ϕ1 und ϕ2 zwei verschiedene, linear unabh¨angige L¨ osungen1 der station¨ aren Schr¨odinger-Gleichung zur selben Energie E. Aus (9.6) folgt, dass ihr Wronskian eine von x unabh¨angige Konstante ist. Da ϕ1 und ϕ2 normierbare L¨ osungen der station¨aren Schr¨odingerGleichung sein sollen, m¨ ussen sie f¨ ur |x| → ∞ asymptotisch verschwinden, ϕ1 (x), ϕ2 (x) → 0. Damit verschwindet der Wronskian f¨ ur alle x: W (ϕ1 , ϕ2 ; x) = 0 . Aus der Definition des Wronskians folgt dann die Beziehung ϕ′ ϕ′1 − 2 =0 ϕ1 ϕ2 die sich zu d ln dx



ϕ1 ϕ2



=0



d d ln ϕ1 − ln ϕ2 = 0 , dx dx

156

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

umformen l¨ asst. Integrieren wir diese Gleichung, so finden wir:   ϕ1 ln = const ≡ ln C , ϕ2 bzw.: ϕ1 = Cϕ2 . Die beiden Wellenfunktionen sind also linear abh¨angig und stellen somit bis auf eine Normierung dieselbe Eigenfunktion dar. Dies steht im Widerspruch zu unserer Annahme, dass ϕ1 und ϕ2 zwei verschiedene, d.h. linear unabh¨angige Funktionen sind. Damit ist die Behauptung bewiesen.2 2) Knotensatz in einer Dimension: Die Wellenfunktion des n-ten angeregten Zustandes hat genau n Knoten. Dieser Sachverhalt ist umittelbar aus den vorangegangenen qualitativen Diskussionen klar. Zum Beweis nehmen wir an, dass ϕn (x) und ϕm (x) reelle Eigenfunktionen mit Eigenwerten En > Em sind. Ferner seien x′ und x′′ zwei benachbarte Nullstellen von ϕm (x), d.h.: ϕm (x′ ) = ϕm (x′′ ) = 0 .

(9.7)

Dann hat ϕm (x) f¨ ur alle x ∈ (x′ , x′′ ) ein und dasselbe Vorzeichen und f¨ ur die Ableitungen gilt (siehe Abb. 9.5): ϕ′m (x′ )ϕ′m (x′′ ) < 0 .

(9.8)

Ohne Beschr¨ ankung der Allgemeinheit (o.B.d.A.) k¨onnen wir annehmen, dass: ϕm (x) > 0 ,

x ∈ (x′ , x′′ ) .

(9.9)

F¨ ur die Ableitungen gilt dann: ϕ′m (x′ ) > 0 ,

ϕ′m (x′′ ) < 0 .

(9.10)

Wegen (9.7) und (9.9), (9.10) gilt: ′′

′′

W (ϕn , ϕm ; x)|xx′ = ϕn (x)ϕ′m (x)|xx′ = ϕn (x′′ )ϕ′m (x′′ ) − ϕn (x′ )ϕ′m (x′ ) = − (ϕn (x′′ )|ϕ′m (x′′ )| + ϕn (x′ )|ϕ′m (x′ )|) . Einsetzen dieses Ausdruckes in (9.6) liefert: 2m − (ϕn (x′′ )|ϕ′m (x′′ )| + ϕn (x′ )|ϕ′m (x′ )|) = 2 (En − Em ) ~

Zx′′

dx ϕn (x)ϕm (x) .

x′

(9.11)

9.3 Strenge Eigenschaften

157

Nach Gl. (9.9) ist ϕm (x) > 0 f¨ ur alle x ∈ (x′ , x′′ ). Falls ϕn (x) ebenfalls ′ ′′ im Intervall (x , x ) keine Nullstellen besitzt, so hat ϕn (x) ein und dasselbe Vorzeichen f¨ ur alle x ∈ (x′ , x′′ ). Die rechte Seite der obigen Gl. (9.11) hat dann f¨ ur En > Em dasselbe Vorzeichen wie ϕn (x), w¨ahrend die linke Seite das entgegengesetzte Vorzeichen besitzt. Dies ist ein Widerspruch, der sich nur beseitigen l¨ asst, wenn ϕn (x) im Intervall zwischen x′ und x′′ das Vorzeichen mindestens einmal ¨ andert, d.h. ϕn muss mindestens einen Knoten in (x′ , x′′ ) besitzen. Ferner wissen wir, dass die normierbaren Eigenfunktionen ϕn (x) und ϕm (x) f¨ ur x → ∞ gegen Null gehen m¨ ussen. Die m Knoten von ϕm (x) unterteilen die x-Achse in m + 1 Abschnitte, in denen die Wellenfunktion ϕm (x) das Vorzeichen nicht ¨ andert. Nach dem oben bewiesenen Satz muss in jedem dieser Abschnitte ϕn (x) mindestens eine Nullstelle besitzen. Damit hat ϕn (x) mindestens m + 1 Knoten. W¨ahlen wir n := m+1 und benutzen die Methode der vollst¨andigen Induktion, so ist der Knotensatz bewiesen, vorausgesetzt wir k¨onnen noch zeigen: 3) Die Wellenfunktion des Grundzustandes besitzt keine Knoten. Dieser Satz ist ebenfalls unmittelbar klar aus den oben gegebenen qualitativen Betrachtungen, siehe Abschnitt 9.2, und gilt auch in mehr als einer Dimension. Er beinhaltet, dass die Wellenfunktion f¨ ur kein endliches x verschwindet, d.h. keine Knoten besitzt. Die Wellenfunktion besitzt deshalb im gesamten Raum ein und dasselbe Vorzeichen. 4) Die Grundzustandswellenfunktion ϕ0 ist auch in mehr als einer Dimension nicht entartet. Den Beweis f¨ uhren wir wieder indirekt. Nehmen wir an, es existieren zwei (2) (1) urfen dann entartete Grundzustandswellenfunktionen ϕ0 und ϕ0 . Beide d¨ keine Knoten besitzen. Nach dem Superpositionsprinzip ist dann (3)

(1)

(2)

ϕ0 = C1 ϕ0 + C2 ϕ0

ebenfalls L¨ osung der station¨ aren Schr¨ odinger-Gleichung zur selben Energie und sollte als Grundzustandswellenfunktion knotenfrei sein. Durch geeignete (3) Wahl der Koeffizienten C1 und C2 kann man jedoch erreichen, dass ϕ0 in einem beliebigem Punkt einen Knoten besitzt. Dies ist ein Widerspruch zur Annahme, der sich nur dadurch aufl¨ osen l¨asst, dass der Grundzustand nicht entartet ist. 5) Verl¨auft die Bewegung in einem durch eine unendlich hohe Potentialbarriere r¨aumlich begrenzten Gebiet (siehe z.B. den unendlich hohen Potentialtopf ), so muss auf dem Rand des Gebietes die Wellenfunktion f¨ ur alle Zust¨ande verschwinden, d.h. ϕn (x) = 0 f¨ ur alle n. Dies wurde bereits in den Abschnitten 7.1 und 8.6.2 gezeigt.

158

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

6) Bei Vergr¨oßerung der Ausdehnung des Gebietes, in welchem die Bewegung verlaufen kann, werden alle Energieniveaus abgesenkt. Diese Aussage l¨ asst sich streng mit Hilfe des Variationsprinzips zeigen, da die Anzahl der Zust¨ ande mit wachsender Ausdehnung des Gebietes zunimmt. Diese Aussage ist auch bereits aus dem Beispiel des unendlich hohen Potentialkastens bekannt. Dort hatten wir gefunden, dass die Energie proportional zu 1/L2 ist, w¨ ahrend der Impuls proportional zu 1/L ist. Allgemein folgt aus der Unsch¨arfebeziehung, dass mit wachsender Ausdehnung des Kastens die Impulsunsch¨ arfe und damit die Energie abnimmt und somit mehr Zust¨ande mit Energien unterhalb einer Schwelle in den Kasten passen. Dasselbe Ergebnis erh¨alt man bereits in einer semiklassischen Analyse.

9.4

Symmetrische Potentiale: Die Parit¨at

Im Folgenden wollen wir Potentiale betrachten, die symmetrisch bez¨ uglich Raumspiegelung sind: V (−x) = V (x) . F¨ ur solche Potentiale ist der Hamilton-Operator H(x) = −

~2 d2 + V (x) 2m dx2

ebenfalls invariant unter Raumspiegelung x → (−x): H(−x) = H(x) . Wegen der Spiegelsymmetrie von H darf sich bei der Raumspiegelung x → (−x) die Wellenfunktion h¨ochstens um einen (nicht beobachtbaren) konstanten Phasenfaktor ¨andern. Um dies zu zeigen, unterwerfen wir die station¨are Schr¨odinger-Gleichung H(x)ϕ(x) = Eϕ(x)

(9.12)

der Raumspiegelung x → (−x) und erhalten: H(−x)ϕ(−x) = Eϕ(−x) . Wegen der Spiegelsymmetrie von H folgt hieraus: H(x)ϕ(−x) = Eϕ(−x) . 1 Zwei Funktionen ϕ (x) und ϕ (x) sind genau dann linear unabh¨ angig, wenn die Gleichung 1 2 C1 ϕ1 (x) + C2 ϕ2 (x) = 0 mit beliebigen x nur die L¨ osung C1 = C2 = 0 besitzt. 2 Wir haben oben gesehen, dass aus W (ϕ , ϕ ; x) = 0 die lineare Abh¨ angigkeit ϕ2 ∼ ϕ2 folgt. Auch 1 2 die Umkehrung dieser Aussage ist offensichtlich. Damit gilt: Der Wronskian verschwindet genau dann nicht W (ϕ1 , ϕ2 ; x) 6= 0, wenn die beiden Funktionen ϕ1 und ϕ2 linear unabh¨ angig sind.

9.4 Symmetrische Potentiale: Die Parit¨ at

159

Vergleichen wir diesen Ausdruck mit (9.12) und beachten, dass die Wellenfunktionen f¨ ur eine eindimensionale Potentialbewegung nicht entartet sind, so finden wir, dass ϕ(−x) und ϕ(x) sich h¨ochstens um einen konstanten Faktor C unterscheiden d¨ urfen: ϕ(−x) = Cϕ(x) . Zweimalige Anwendung dieser Beziehung f¨ uhrt auf: ϕ(x) = Cϕ(−x) = C 2 ϕ(x) , woraus folgt: C2 = 1



C = ±1 .

Damit finden wir, dass f¨ ur symmetrische Potentiale die Wellenfunktionen gerade oder ungerade Funktionen sind: ϕ(−x) = ±ϕ(x) . Wie wir oben allgemein gezeigt haben, sind die station¨aren (gebundenen) Zust¨ande des eindimensionalen Hamilton-Operators niemals entartet, der Grundzustand besitzt keinen Knoten (d.h. die Grundzustandswellenfunktion hat keine Nullstelle) und die Wellenfunktion des n-ten angeregten Zustandes besitzt n Nullstellen. F¨ ur symmetrische Potentiale folgt hieraus, dass die Grundzustandswellenfunktion eine symmetrische Funktion des Ortes und die Wellenfunktionen der angeregten Zust¨ande alternierend ungerade und gerade Funktionen des Ortes sind. F¨ ur sp¨atere Betrachtungen f¨ uhren wir den Operator der Raumspiegelung Π ein, der offenbar durch Πϕ(x) := ϕ(−x) definiert ist und als Parit¨atsoperator bezeichnet wird. Die zugeh¨orige Eigenwertgleichung lautet: Πϕ(x) = πϕ(x) , wobei π den Eigenwert des Parit¨ atsoperators bezeichnet. Zweimalige Anwendung des Parit¨ atsoperators auf die Wellenfunktion liefert: Π2 ϕ(x) = Πϕ(−x) = ϕ(x) ,

(9.13)

woraus wir mit Π2 ϕ(x) = π 2 ϕ(x) schließen k¨onnen, dass die Eigenwerte des Parit¨atsoperators Π, kurz als Parit¨at bezeichnet, durch π = ±1

160

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

gegeben sind. Dieses Ergebnis folgt unmittelbar aus (9.13), wonach das Quadrat des Parit¨atsoperators offenbar gleich dem Einheitsoperator ist: Π2 = ˆ 1. Der Parit¨atsoperator l¨ asst sich nat¨ urlich unmittelbar auf drei Dimensionen verallgemeinern Πϕ(x) = ϕ(−x) .

(9.14)

Sein Eigenwert, die Parit¨ at, nimmt offensichtlich auch hier die Werte Π = ±1 an.

9.5

Der unendlich hohe Potentialtopf

Im atomaren Bereich gibt es viele Beispiele, in denen die Teilchen auf einen Raum beschr¨ankt sind, sich aber innerhalb dieses Raumes frei bewegen k¨onnen. Hierbei sind vor allem die Elektronen in Metallen oder die Nukleonen innerhalb des Atomkerns zu nennen. Die Teilchen werden durch die Wirkung einer Kraft auf ein r¨aumliches Gebiet eingeschr¨ ankt. Diese Kraft l¨ asst sich i.A. durch den Gradienten eines Potentials darstellen. In vielen praktischen Problemen ist f¨ ur ein zu untersuchendes Ph¨anomen nur die Bewegung der Teilchen in einer einzigen Dimension relevant. Ein typisches Beispiel hierf¨ ur sind die Elektronen in einem sehr d¨ unnen Draht, der zwischen zwei idealen Isolatorplatten eingespannt ist (Abb. 9.6). K¨ onnen wir den Querschnitt des Drahtes gegen¨ uber seiner L¨ange vernachl¨ assigen, wird das Problem eindimensional. Im idealen Leiter k¨ onnen sich die Leitungselektronen frei bewegen. Das Potential muss folglich im Leiterinneren konstant sein, und wir k¨onnen den Wert dieses Potentials willk¨ urlich auf Null setzen. Da die Elektronen nicht in die Isolatorplatten eindringen k¨onnen, m¨ ussen diese f¨ ur die Elektronen eine unendlich hohe Potentialwand darstellen (Abb. 9.7)3 .

idealer Isolator

Draht Abb. 9.6: D¨ unner Draht zwischen zwei Isolatorplatten. 3 Bei tiefen Temperaturen k¨ onnen die Elektronen den Draht nicht verlassen und die Enden des Drahtes repr¨ asentieren bereits eine unendlich hohe Potentialwand. Die Isolatorplatten k¨ onnen dann entfallen.

9.5 Der unendlich hohe Potentialtopf

161 V (x) unendlich hohe Potentialwand

x −L/2

+L/2

Abb. 9.7: Idealisiertes Potential der Elektronen im d¨ unnen Leiter: Der unendlich hohe Potentialtopf.

Legen wir den d¨ unnen Draht der L¨ ange L parallel zur x-Achse und symmetrisch zum Koordinatenursprung, so hat das Potential der Elektronen in diesem Leiter die Gestalt ( 0 , |x| < L/2 V (x) = . ∞ , |x| ≥ L/2 F¨ ur dieses Potential haben wir bereits in Abschnitt 7.2 den vollen quantenmechanischen Propagator und damit die Wellenfunktionen s¨amtlicher Energieeigenzust¨ande aus dem Funktionalintegral bestimmt. Im Folgenden wollen wir diese Energieeigenzust¨ande durch L¨osen der Schr¨ odinger-Gleichung gewinnen. Da dieses Potential zeitunabh¨ angig ist, gen¨ ugt es, die station¨are Schr¨odinger-Gleichung Hϕ = Eϕ mit dem Hamilton-Operator H=

p2 + V (x) 2m

f¨ ur eine endliche Energie E zu l¨ osen. F¨ ur |x| ≥ L/2 ist die rechte Seite der station¨ aren Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur jede normierbare Wellenfunktion und jede endliche Energie E endlich. Die linke Seite kann wegen V0 → ∞ nur endlich bleiben, wenn die Wellenfunktion in diesem Bereich verschwindet. Damit erhalten wir: ϕ(x) = 0 ,

|x| ≥

L . 2

162

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

F¨ ur |x| < L/2 reduziert sich die Schr¨ odinger-Gleichung mit V = 0 auf die Differentialgleichung −

~2 d2 ϕ(x) = Eϕ(x) . 2m dx2

(9.15)

Da die Wellenfunktion selbst bei unendlich großen Potentialspr¨ ungen stetig ist (siehe Abschnitt 8.6), muss ϕ(x) den Randbedingungen     L L ϕ − =ϕ =0 (9.16) 2 2 gen¨ ugen. Zur L¨osung der Differentialgleichung (9.15) f¨ uhren wir die Wellenzahl k = p/~, k2 =

2mE , ~2

(9.17)

des sich f¨ ur |x| < L/2 frei bewegenden Teilchens ein. Damit nimmt die Schr¨odingerGleichung (9.15) die Gestalt ϕ′′ (x) + k 2 ϕ(x) = 0 . an. Dies ist die aus der Mechanik bekannte Gleichung eines harmonischen Oszillators. Die allgemeine L¨ osung dieser linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten hat die Form ϕ(x) = A cos(kx) + B sin(kx) , wobei die Koeffizienten A und B durch die Randbedingungen (9.16) bestimmt sind. Diese f¨ uhren auf das folgende System von linearen Gleichungen f¨ ur die Koeffizienten A und B:     L L + B sin k =0, A cos k 2 2     L L − B sin k =0. A cos k 2 2 Durch Addition und Subtraktion der beiden Gleichungen erhalten wir:     L L A cos k =0 , B sin k =0. 2 2 Dieses System hat zwei L¨ osungen: B=0,

k

π L =n , 2 2

n = 1, 3, 5, . . . ,

A=0,

k

L π =n , 2 2

n = 0, 2, 4, . . . .

9.5 Der unendlich hohe Potentialtopf

163

F¨ ur alle L¨osungen muss also kL = nπ ,

n = 0, 1, 2, . . .

gelten. Diese Bedingung beinhaltet, dass die Wellenzahl nur diskrete Werte kn =

nπ L

(9.18)

annehmen kann. Damit lauten die L¨ osungen: ϕn (x) = A cos(kn x) ,

n = 1, 3, 5, . . . ,

ϕn (x) = B sin(kn x) ,

n = 0, 2, 4, . . . .

Physikalisch beinhaltet die Quantisierungsbedingung (9.18), dass ein Vielfaches der halben Wellenl¨ange λ/2 = π/k gerade in die Box passt: n

λ =L. 2

Dies ist aber gerade die de Broglie-Quantisierungsbedingung, die wir bereits in Abschnitt 6.4 aus der Bohr-Sommerfeld’schen Quantisierungsbedingung abgeleitet hatten. Im vorliegenden Fall resultiert diese Quantisierungsbedingung aus der Randbedingung (9.16) an die Wellenfunktion. Die Energieeigenwerte k¨ onnen damit ebenfalls nur die diskreten Werte

En =

~2 kn2 ~2 π 2 2 ~2  nπ 2 = n = 2m 2m L 2mL2

(9.19)

annehmen. Fordern wir noch, dass die zugeh¨ origen Eigenfunktionen von H korrekt auf 1 normiert sind L/2 Z

!

dx |ϕn (x)|2 = 1 ,

−L/2

so finden wir f¨ ur die normierten Wellenfunktionen: r

 nπx  2 , cos L L r  nπx  2 ϕn (x) = , sin L L

ϕn (x) =

n = 1, 3, 5, . . . ,

(9.20)

n = 2, 4, 6, . . . ,

(9.21)

164

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

E

E

ϕ5 (x)

|ϕ5 (x)|2

ϕ4 (x)

|ϕ4 (x)|2

ϕ3 (x)

|ϕ3 (x)|2

ϕ2 (x)

|ϕ2 (x)|2

ϕ1 (x)

|ϕ1 (x)|2

−L/2

L/2

−L/2

L/2

Abb. 9.8: Wellenfunktionen ϕn (x) und Aufenthaltswahrscheinlichkeiten |ϕn (x)|2 der f¨ unf untersten Eigenzust¨ ande des unendlich hohen Potentialtopfes.

wobei die Normierungsbedingung die L¨ osung mit n = 0 ausschließt. Im Zustand ϕn=0 (x) ≡ 0 verschwindet die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens u ¨berall, d.h. es existiert in diesem Zustand nicht. Die Energieeigenzust¨ande (9.20), (9.21) hatten wir bereits in (7.23) aus dem Propagator gefunden.

Bemerkungen: 1) Der Zustand n = 0 mit der Energie E = 0 ist schon wegen der Unsch¨arferelation verboten. Da das Teilchen sich im Inneren der Box frei bewegt, besitzt es einen festen Impuls, der in diesem Falle verschwindet (p = 0). Hieraus folgt, dass auch die Impulsunsch¨arfe in diesem Zustand verschwindet (∆p = 0). Nach der Unsch¨ arferelation (3.11) muss dann aber die Unsch¨arfe im Ort ∆x unendlich groß werden, d.h. das Teilchen h¨atte eine unendlich große Ortsunsch¨ arfe, was aber f¨ ur das Teilchen in der Box nicht m¨oglich ist, da die Unsch¨ arfe auf jeden Fall nicht gr¨oßer als die Breite der Box sein kann (∆x ≤ L). 2) Die Eigenfunktionen mit ungeradem bzw. geradem n sind symmetrisch bzw. antisymmetrisch bez¨ uglich der Raumspiegelung x → (−x), wie wir dies auf¨ grund unserer in Abschnitt 9.4 gegebenen allgemeinen Uberlegungen f¨ ur symmetrische Potentiale erwarten. Ferner besitzt die Wellenfunktion des n-ten

9.6 Das δ-Potential

165

¨ angeregten Zustandes ϕn+1 (x) gerade n Nullstellen (f¨ ur |x| < L/2) in Ubereinstimmung mit dem Knotensatz. 3) Mit wachsender Potentialbreite L nehmen die Energieeigenwerte En ∼ 1/L2 ab und das Spektrum wird dichter. Im Limes L → ∞ erhalten wir das kontinuierliche Spektrum des freien Teilchens mit nicht-normierbaren Wellenfunktionen.

9.6

Das δ-Potential

Ist die Wellenl¨ange λ eines Teilchens sehr groß gegen¨ uber der Ausdehnung b des Potentials (λ ≫ b), so sprechen wir von einem kurzreichweitigen Potential. Sehr kurzreichweitige Potentiale k¨ onnen in guter N¨ aherung durch ein δ-Potential approximiert werden4 : V (x) = Cδ(x) ,

(9.22)

wobei C eine (reelle) Konstante ist, welche die St¨arke des Potentials charakterisiert. Da δ(x) die Dimension 1/L¨ ange besitzt, muss die Konstante C die Dimension Energie × L¨ ange haben. Die Wellenl¨ ange λ eines Teilchens ist sehr groß, wenn seine Energie sehr klein ist: E=

p2 , 2m

p = ~k ,

k=

2π . λ

Wellenl¨angen, die groß im Vergleich zur Ausdehnung des Potentials sind, treten daher bei der Streuung von niederenergetischen Teilchen auf. Ein relevantes Beispiel hierf¨ ur ist die Streuung langsamer Neutronen an Festk¨orpern. F¨ ur gebundene Teilchen kann die Wellenl¨ ange sicherlich nicht groß gegen¨ uber der Ausdehnung des Potentials werden, z.B. f¨ ur ein Teilchen im unendlich hohen Kastenpotential kann die Wellenl¨ ange h¨ ochstens die doppelte Ausdehnung des Kastens erreichen. Dennoch lassen sich in vielen F¨ allen qualitativ n¨ utzliche Aussagen gewinnen, indem man ein realistisches Potential durch ein δ-f¨ ormiges Potential ersetzt. Eine ganze Reihe von sehr erfolgreichen Modellen in der Festk¨ orper- und Kernphysik basieren auf dieser Ersetzung. Ein klassisches Teilchen mit einer Energie E < 0 wird durch ein anziehendes δ-Potential (9.22), C < 0, am Ort x = 0 lokalisiert. Wir wollen jetzt untersuchen, ob ein anziehendes δ-Potential in der Lage ist, auch ein quantenmechanisches Teilchen einzufangen, d.h. zu binden. 4 Damit das Potential (z.B. Kastenpotential) f¨ ur b → 0 einen nicht-verschwindenen Effekt auf das Teilchen hat, muss die H¨ ohe des Potentials gleichzeitig mit 1/b → ∞ gehen.

166

9

Die eindimensionale station¨are Schr¨odinger-Gleichung

V (x)

b→0 ∼ 1/b

b x 0

Abb. 9.9: Approximation eines sehr kurzreichweitigen Potentials durch eine (regularisierte) δ-Funktion.

Das δ-f¨ormige Potential verschwindet f¨ ur alle x 6= 0 und die station¨are Schr¨odingerGleichung   ~2 d2 + Cδ(x) ϕ(x) = Eϕ(x) (9.23) − 2m dx2 reduziert sich f¨ ur x 6= 0 auf die freie Schr¨ odinger-Gleichung. F¨ ur negative Energien E < 0 wird die Wellenzahl (9.17) rein imagin¨ ar (k = iκ) und die L¨osung der Wellenfunktion f¨ ur x 6= 0 lautet damit: ϕ(x) = Aeκx + Be−κx . Da die Funktion nur normierbar ist, wenn sie f¨ ur x → ±∞ abf¨allt, folgt:  Aeκx , x < 0 ϕ(x) = . Be−κx , x > 0

(9.24)

Dabei ist: E=−

~2 κ2 0, ~2

C 0 .

(10.1)

Wir wollen nun die Bewegung eines Teilchens in einem solchen Potential untersuchen. Um eine physikalische Vorstellung zu bekommen, betrachten wir zun¨achst statt des quantenmechanischen Teilchens die Ausbreitung von Lichtwellen in einer analogen Si¨ tuation. Die Potentialstufe entspricht dabei dem Ubergang von einem optisch d¨ unneren Medium mit Brechungsindex n1 zu einem optisch dichteren Medium mit einem Brechungsindex n2 > n1 . F¨ allt eine Lichtwelle von links senkrecht auf die Grenzfl¨ache (Potentialschwelle) vom optisch d¨ unneren zum optisch dichteren Medium, so wird ein Teil des Lichtes an der Grenzfl¨ ache reflektiert, w¨ahrend der Rest des Lichtes seinen Weg durch das optisch dichtere Medium mit einer kleineren Geschwindigkeit c2 = c1 n1 /n2 fortsetzt.1 (Da das Licht senkrecht auf die Grenzfl¨ache f¨allt, erfolgt keine Ablenkung). Wir sollten ein ¨ahnliches Ph¨ anomen auch bei der Bewegung eines quantenmechanischen Teilchens beobachten, da dieses bekanntlich Wellencharakter besitzt. Betrachten wir eine von links in das Gebiet 1 einfallende ebene Materiewelle, so wird diese durch den Potentialsprung gest¨ ort. Ist die Energie der Welle E > V0 , so sollte genau wie im Falle des Lichtes ein Teil der Welle am Potentialsprung reflektiert werden, w¨ahrend der restliche Teil mit ver¨ anderter, dem neuen Potential angepasster Wellenl¨ange nach rechts weiterlaufen sollte. Dieses aufgrund der Analogie mit den Lichtwellen zu erwartende Verhalten sollte aus der Schr¨ odinger-Gleichung folgen.

10.1.1

Streuzust¨ande

Wir legen den Potentialsprung in x = 0 und betrachten zun¨achst die station¨are Schr¨odinger-Gleichung in den beiden Gebieten konstanten Potentials x < 0 und x > 0 getrennt. Nach Einf¨ uhrung der Wellenzahl lautet die Schr¨odinger-Gleichung in diesen beiden Gebieten: d2 ϕ1 = −k12 ϕ1 , dx2 d2 ϕ2 = −k22 ϕ2 , dx2

1√ 2mE , ~ 1p k2 = 2m(E − V0 ) , ~ k1 =

x0.

Die fundamentalen L¨ osungen dieser Schwingungsgleichungen sind durch ebene Wellen ϕ1,2 (x) = e±ik1,2 x gegeben. Dementsprechend setzen wir die allgemeine L¨osung in der Form an, ϕ1 (x) = Aeik1 x + Be−ik1 x , ϕ2 (x) = Ce

ik2 x

+ De

−ik2 x

,

x0,

1 Wir haben hier den aus der Elektrodynamik bekannten Zusammenhang zwischen der Lichtgeschwindigkeit c in und dem Brechnungsindex n eines Mediums c ∼ 1/n benutzt.

10.1 Streuung an einer Potentialstufe

171

V (x)

eik1 x Ceik2 x

V0 Be−ik1 x x=0

x

Abb. 10.2: Illustration der verschiedenen Bestandteile der Wellenfunktion beim eindimensionalen Streuprozess.

wobei A, B, C und D komplexe Konstanten sind. Ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit k¨ onnen wir die Amplitude der einfallenden Welle2 A = 1 w¨ahlen. Da wir uns auf eine von links einlaufende ebene Teilchenwelle beschr¨ankt haben und voraussetzen, dass das Potential f¨ ur x > 0 konstant ist, gibt es keinen Mechanismus, der eine im rechten Raum nach links laufende Welle erzeugen k¨ onnte (vergleiche wieder das analoge Experiment mit Lichtwellen). Deshalb k¨ onnen wir D = 0 setzen. Dann lautet die Wellenfunktion (siehe Abb. 10.2): ϕ1 (x) = eik1 x + Be−ik1 x , ϕ2 (x) = Ce

ik2 x

,

x0.

(10.3)

Die Wellenfunktionen im linken und rechten Gebiet, ϕ1 und ϕ2 , sind jedoch nicht ¨ unabh¨angig voneinander, sondern m¨ ussen, wie wir fr¨ uher aus allgemeinen Uberlegungen gefunden hatten, gewisse Stetigkeitsbedingungen bzw. Grenzfl¨achenbedingungen erf¨ ullen. Wie in Abschnitt 8.6 gezeigt wurde, muss die Wellenfunktion an Potentialspr¨ ungen immer stetig sein. In unserem Fall muss deshalb gelten: ϕ1 (0) = ϕ2 (0) .

(10.4)

Setzen wir weiterhin voraus, dass der Potentialsprung endlich ist (V0 < ∞), so muss auch die erste Ableitung der Wellenfunktion an dem Potentialsprung stetig sein: ϕ′1 (0) = ϕ′2 (0) .

(10.5)

2 Die Interpretation von exp [ ± ikx] als nach rechts (links) laufende Welle basiert auf ihrem Impuls ( ) p = ±~k, erfordert aber streng genommen die Restoration des zeitabh¨ angigen Teils der Wellenfunktion e−iω(k)t , womit die Welle exp [ (±)ikx] eine positive (negative) Phasengeschwindigkeit (±)ω(k)/k erh¨ alt. Weiterhin erfordert die Beschreibung eines realistischen Streuexperimentes die Benutzung von Wellenpaketen statt ebenen Wellen, siehe Abschnitt 5.3. Wegen des Superpositionsprinzips nimmt aber jede einzelne Welle des Wellenpaketes unabh¨ angig von den u ¨brigen Wellen am Streuprozess teil. Dies rechtfertigt die station¨ are Betrachtungsweise des Streuexperimentes.

172

10 Eindimensionale Streuprobleme

Setzen wir die explizite Form der Wellenfunktion (10.3) in die beiden Grenzfl¨achenbedingungen (10.4) und (10.5) ein, so erhalten wir: 1+B =C

k1 (1 − B) = k2 C .

,

(10.6)

Dies ist ein inhomogenes Gleichungssystem f¨ ur die beiden unbekannten Koeffizienten B und C, das sich in trivialer Weise aufl¨ osen l¨ asst: B=

k1 − k2 k1 + k2

,

C=

2k1 . k1 + k2

(10.7)

Setzen wir hier die expliziten Ausdr¨ ucke (10.2) f¨ ur die Wellenzahlen k1 und k2 ein, erhalten wir: p 1 − 1 − V0 /E 2 p p , C= . (10.8) B= 1 + 1 − V0 /E 1 + 1 − V0 /E

F¨ ur gegebenes Potential V0 sind diese Koeffizienten allein eine Funktion der Energie E. Bei Streuung an einer positiven Potentialstufe V0 > 0 (siehe Abb. 10.3(a)) und E > V0 sind diese Koeffizienten reell und positiv. Durchlaufende und reflektierte Welle besitzen damit am Potentialsprung dieselbe Phase wie die einlaufende Welle (deren Amplitude wir o.B.d.A. auf A = 1 gesetzt hatten). Bei der Streuung an einer negativen Potentialstufe V0 < 0 (siehe Abb. 10.3(b)) und E > 0 sind die Koeffizienten B, C ebenfalls reell, jedoch w¨ ahrend C > 0 ist B < 0. In diesem Fall ist am Potentialsprung V0 < 0 die reflektierte Welle um eiπ = −1 phasenverschoben gegen¨ uber der einfallenden Welle, w¨ahrend die durchgehende Welle in Phase mit der einlaufenden Welle ist. Wir kommen damit zu folgendem Ergebnis: Bei der Streuung von Teilchen an einer Potentialstufe (mit Teilchenenergien oberhalb der Potentialstufe) ist die durchlaufende Welle stets in Phase mit der einfallenden Welle, w¨ahrend die reflektierte Welle bei einer positiven Potentialstufe in Phase mit der einlaufenden Welle, bei einer negativen Potentialstufe um eiπ = −1 phasenverschoben gegen¨ uber der einlaufenden Welle ist. Die physikalische Bedeutung der Koeffizienten B und C wird offensichtlich, wenn wir die Wahrscheinlichkeitsstromdichten in den beiden Gebieten konstanten Potentials berechnen. Die Stromdichte ist durch (8.52) 1 (ϕ∗ (x)pϕ(x) − ϕ(x)pϕ∗ (x)) 2m ~ (ϕ∗ (x)∇ϕ(x) − ϕ(x)∇ϕ∗ (x)) = 2mi ~ = Im{ϕ∗ (x)∇ϕ(x))} m

j(x) =

gegeben. Sie ist offensichtlich stets reell. Eine ebene (eindimensionale) Welle ϕ(x) = Aeikx

10.1 Streuung an einer Potentialstufe

173

Streuung an Potentialstufe: V0 > 0 Reϕein Reϕrefl Reϕtrans

V0 > 0 x

(a) Streuung an Potentialstufe: V0 < 0 Reϕein Reϕrefl Reϕtrans

x V0 < 0 (b) Abb. 10.3: Verhalten des Realteils der Wellenfunktion an einer (a) positiven (V0 > 0) bzw. (b) negativen (V0 < 0) Potentialstufe. Wegen der Stetigkeit der Wellenfunktion am Potentialsprung ist dort die Summe der (vorzeichenbehafteten) Amplituden von einlaufender und reflektierter Welle gleich der Amplitude der durchgehenden Welle.

174

10 Eindimensionale Streuprobleme

liefert die Stromdichte j=

~k 2 |A| . m

Demzufolge erhalten wir f¨ ur die einfallende Welle ϕ(x) = eik1 x bzw. die reflektierte −ik1 x Welle ϕ(x) = Be die Stromdichten jein =

~k1 m

jref l = −

,

~k1 |B|2 . m

(10.9)

Sie besitzen entgegengesetzte Vorzeichen. Die einfallenden Teilchen fließen in Richtung positiver x-, die reflektierten in negative x-Richtung. Folglich erhalten wir f¨ ur die Teilchenstromdichte im Gebiet 1 (x < 0): j1 =

~k1 (1 − |B|2 ) = jein + jref l = |jein | − |jref l | . m

(10.10)

Sie setzt sich aus der einfallenden und reflektierten Teilchenstromdichte zusammen.3 Letztere wird auch als Reflexionsstrom(dichte) bezeichnet. In analoger Weise finden wir f¨ ur den Teilchenstrom im Gebiet 2 (x > 0), wo ϕ2 (x) = Ceik2 x : j2 =

~k2 |C|2 = jtrans . m

(10.11)

Dieser Strom repr¨ asentiert den Anteil der von links einfallenden Teilchen, welcher durch den Potentialsprung zwar gest¨ ort wird, aber seine Bewegung nach rechts fortsetzt. Er wird als Transmissionsstrom bezeichnet.

10.1.2

Transmission und Reflexion

Zur Charakterisierung des reflektierten und durchgehenden Teilchenstroms f¨ uhren wir den Reflexionskoeffizienten4 R=

−jref l = |B|2 jein

und den Transmissionskoeffizienten T =

k2 jtrans = |C|2 jein k1

(10.12)

ein. Setzen wir hier die expliziten Werte von B und C (10.7) ein, so finden wir: R=

(k1 − k2 )2 (k1 + k2 )2

,

T =

4k1 k2 . (k1 + k2 )2

(10.13)

3 Der Interferenzterm zwischen einfallender und reflektierter Welle f¨ allt bei der Berechnung der Stromdichte j1 heraus. 4 Man beachte, dass j ref l negativ ist.

10.1 Streuung an einer Potentialstufe

175

Diese Koeffizienten erf¨ ullen offenbar die Beziehung R+T =1.

(10.14)

Diese Identit¨at dr¨ uckt die Teilchenzahlerhaltung an der Potentialstufe aus. In der Tat k¨ onnen wir die Stromdichten im linken und rechten Gebiet, Gln. (10.10) und (10.11), mittels der Reflexions- und Transmissionskoeffizienten schreiben als: j1 =

~k1 (1 − R) m

,

j2 =

~k1 T . m

Mit der Identit¨at (10.14) folgt dann: j1 = j2 und mit Gln. (10.10), (10.11) ergibt sich hieraus: jein = |jref l | + jtrans . Diese Gleichung besagt, dass die einfallende Stromdichte gleich der Summe der reflektierten Stromdichte und der durchgehenden Stromdichte ist. Die Erhaltung des Teilchenflusses in beliebigen Potentialen hatten wir bereits fr¨ uher in Abschnitt 8.6 allgemein bewiesen. Sie war eine Folge der Schr¨ odinger-Gleichung. Ein von links auf die Potentialstufe auftreffendes Teilchen wird also mit der Wahrscheinlichkeit R an dem Potentialsprung reflektiert. Klassisch hingegen g¨abe es keine Reflexion an dem Potentialsprung, solange die Energie E gr¨oßer als V0 ist. Das Teilchen w¨ urde sich einfach mit kleinerer Geschwindigkeit rechts von der Potentialschwelle weiter bewegen. Diese Reflexion ist ein typisches Wellenph¨anomen analog zur Reflexion von Licht an Grenzfl¨achen zwischen zwei Medien mit unterschiedlichen Brechungsindizes. Im Limes E → ∞, also E ≫ V0 , sollte der Einfluss des Potentials und damit die Reflexion verschwinden. In der Tat erhalten wir f¨ ur E → ∞ (d.h. k2 → k1 ) aus (10.13) R = 0 und reproduzieren das klassische Resultat. Da hier eine unendlich scharfe Potentialkante vorliegt, wird der klassische Grenzfall erst f¨ ur unendlich große Energien bzw. Wellenzahlen (k → ∞), d.h. f¨ ur verschwindende Wellenl¨angen (λ → 0) erreicht. Der Grund hierf¨ ur ist, dass bei Fourier-Zerlegung der scharfen Potentialstufe (10.1) (Θ-Funktion) unendlich hohe Wellenzahlen wesentlich beitragen. (Ihre Fourier-Transformierte f¨allt nur mit 1/k ab, siehe Anhang A.3.). F¨ ur eine kontinuierliche Potentialschwelle der Breite b (siehe Abb. 10.1) laufen Teilchen mit Wellenzahlen k ≫ 1/b (d.h. λ ≪ b) praktisch vollst¨andig durch die Schwelle, d.h. sie werden nicht mehr reflektiert und verhalten sich wie klassische Teilchen. Lassen wir die Breite der Potentialschwelle gegen Null gehen (b → 0), so finden wir aus dieser Beziehung wieder, dass erst f¨ ur k → ∞ das Teilchen die endliche Potentialstufe nicht mehr sp¨ urt. Es ist sehr aufschlussreich, den Reflexionskoeffizienten und den Transmissionskoeffizienten als Funktion der Energie E > V0 zu betrachten. Hierzu w¨ahlen wir die Variable r k2 V0 = 1− , E > V0 . k1 E

176

10 Eindimensionale Streuprobleme

1

T

0.8 0.6 0.4 R 0.2 0

0 E = V0

0.2

0.4

0.6

0.8

k2 /k1

1 E→∞

Abb. 10.4: Transmissions- und Reflexionskoeffizient.

T und R als Funktion dieser Variablen k2 /k1 (siehe Gl. (10.13)),  2 1 − k2 /k1 k2 /k1 R= , T =4 1 + k2 /k1 (1 + k2 /k1 )2 sind in Abb. 10.4 dargestellt. Dieses Bild ¨ ahnelt sehr den Kurven f¨ ur Reflexions- und ¨ Transmissionskoeffizienten des Lichtes beim Ubergang von Luft (V = 0) in ein optisch dichteres Medium wie Glas (V = V0 > 0). Schließlich wollen wir die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in den beiden Raumgebieten berechnen. F¨ ur das linke Raumgebiet erhalten wir aus (10.3) (da B (10.8) reell ist): |ϕ1 (x)|2 = 1 + B 2 + 2B cos(2k1 x) , w¨ahrend wir im rechten Raumgebiet |ϕ2 (x)|2 = |C|2 = const finden. Beachten wir Beziehung (10.6) C = B + 1, so k¨onnen wir die Aufenthaltswahrscheinlichkeit im linken Gebiet durch die im rechten ausdr¨ ucken (B > 0): |ϕ2 (x)|2 = B 2 + 2B + 1 ,

|ϕ1 (x)|2 = |ϕ2 (x)|2 − 2B(1 − cos(2k1 x)) .

W¨ahrend die Aufenthaltswahrscheinlichkeit im rechten Gebiet konstant ist, ist sie links des Potentialsprungs eine oszillierende Funktion, siehe Abb. 10.5. Dieses Oszillieren kommt durch Interferenz der einfallenden und der reflektierten Welle zustande. Bemerkenswert ist, dass durch die Oszillation die Aufenthaltswahrscheinlichkeit links der

10.1 Streuung an einer Potentialstufe

177

Potentialstufe geringer ist als im Gebiet des von Null verschiedenen Potentials. Im rechten Gebiet fließen zwar weniger Teilchen, sie fließen aber langsamer als im linken Gebiet (k2 < k1 ⇒ v2 < v1 ) und alle in dieselbe Richtung. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, ein (langsameres) Teilchen rechts anzutreffen, gr¨oßer als diejenige, ein schnellfließendes Teilchen links zu finden. |ϕ(x)|2 |C|2

0

x

V0 > 0 x

Abb. 10.5: Aufenthaltswahrscheinlichkeit als Funktion des Ortes f¨ ur die eindimensionale Streuung an einer Potentialstufe f¨ ur E > V0 .

10.1.3

Teilchenenergie unterhalb der Potentialschwelle

Wir wollen jetzt ein von links einfallendes Teilchen mit einer Energie E < V0 betrachten. Die L¨osung der Schr¨ odinger-Gleichung im Gebiet 1 bleibt dabei offensichtlich unver¨andert. Im Gebiet 2 wird jedoch die Wellenzahl jetzt rein imagin¨ar: 1p k2 = iκ , κ = 2m(V0 − E) . (10.15) ~

Die L¨osung in diesem Gebiet klingt deshalb exponentiell ab: ϕ2 (x) = Ce−κx .

Bezeichnen wir im Gebiet 1 die Wellenzahl mit k1 = k, so nehmen Reflexions- und Transmissionsamplituden die Gestalt an: B=

k − iκ k + iκ

,

C=

2k . k + iκ

Hieraus folgt wegen |k − iκ| = |k + iκ|: B = e−i2 arctan(κ/k)

(10.16)

178

10 Eindimensionale Streuprobleme

und somit R = |B|2 = 1 , wie wir es vom klassischen Standpunkt aus auch erwarten w¨ urden. Der einfallende Teilchenstrom wird damit vollst¨ andig reflektiert (Totalreflexion). Wegen C 6= 0 dringen die Teilchen zwar bis zu einer Tiefe d ∼ 1/κ in die Potentialstufe ein, es findet aber kein Teilchenfluss nach rechts statt: Da die Ortsabh¨angigkeit der Wellenfunktion ϕ2 in diesem Gebiet rein reell ist, verschwindet der zugeh¨orige Teilchenstrom j2 (x) und damit der Transmissionskoeffizient: j2 (x) = 0

,

T = 0.

Die gesamte Wellenfunktion ϕ(x) ist in Abb. 10.6 dargestellt. Wir betrachten den Koeffizienten der reflektierten Welle B als Funktion der Potentialh¨ohe V0 . Mit r κ V0 = −1 k E erhalten wir aus (10.16): B = exp −i2 arctan

r

! V0 −1 . E

Im Allgemeinen ist B komplex und die reflektierte Welle ist somit gegen¨ uber der einlaufenden Welle phasenverschoben. F¨ ur eine Energie an der Potentialschwelle (E = V0 ) folgt B = 1 und die reflektierte Welle ist in Phase mit der einfallenden Welle. Die Wellenfunktion in Gebiet 1 ist dann: ϕ1 (x) = 2 cos(kx) . F¨ ur E = V0 ist wegen (10.15) κ = 0 die Wellenfunktion im Gebiet 2 eine Konstante (sie klingt also nicht exponentiell ab, siehe Abb. 10.7) und der Teilchenstrom verschwindet wie f¨ ur E < V0 . (Erst f¨ ur E > V0 fließen Teilchen durch das Gebiet 2.). F¨ ur V0 /E → ∞, insbesondere im Grenzfall einer unendlich hohen Potentialschwelle (V0 → ∞), finden wir mit arctan(∞) = π/2 f¨ ur die Amplituden der reflektierten und durchgehenden Welle B = −1 und C = 0. Die reflektierte Welle ist also um die Phase π gegen¨ uber der einlaufenden verschoben. In diesem Limes nehmen die Wellenfunktionen folgende Gestalt an: ϕ1 (x) = 2i sin(kx)

,

ϕ2 (x) = 0 .

Dieses Verhalten hatten wir bereits fr¨ uher f¨ ur die Wellenfunktion an einer unendlich hohen Potentialkante bzw. in einem unendlich hohen Potentialkasten gefunden. Die Wellenfunktion im klassisch erlaubten Energiebereich hat die Form einer stehenden Welle, die einen Knoten am Potentialsprung besitzt und im Gebiet des unendlich großen

10.1 Streuung an einer Potentialstufe

179

Streuung an Potentialkante: E = 0.2V0 ↔ κ/k = 2 Re ϕ(x) Im ϕ(x) x

Streuung an Potentialkante: E = 0.5V0 ↔ κ/k = 1.4 Re ϕ(x) Im ϕ(x) x

Streuung an Potentialkante: E = 0.8V0 ↔ κ/k = 0.5 Re ϕ(x) Im ϕ(x)

x

Streuung an Potentialkante: E = 0.95V0 ↔ κ/k = 0.23 Re ϕ(x) Im ϕ(x)

x

Abb. 10.6: Real- und Imagin¨ arteil der Wellenfunktion f¨ ur die Streuung an der eindimensionalen Potentialstufe mit 0 < E < V0 .

180

10 Eindimensionale Streuprobleme Streuung an Potentialkante: E = V0



κ=0

ϕ(x)

x

Abb. 10.7: Die Wellenfunktion f¨ ur Streuung an einer Potentialkante f¨ ur E = V0 .

ϕ1 (x)

x 0 Abb. 10.8: Die Wellenfunktion am unendlich hohen Potentialsprung.

Potentials verschwindet (Abb. 10.8). Der unendlich große Potentialsprung wirkt also auf die Materiewellen wie ein festes Ende einer schwingenden Saite. Betrachten wir schließlich Transmissions- und Reflexionskoeffizienten f¨ ur ein endliches V0 u ¨ber den gesamten Energiebereich von E = 0 bis E = ∞, so finden wir das in Abb. 10.9 dargestellte Verhalten. Die obigen Betrachtungen bleiben nat¨ urlich alle richtig f¨ ur eine Potentialstufe mit V0 < 0, f¨ ur welche die Wellenfunktion in Abb. 10.3 (b) gezeigt wurde. Durch Kombinieren der beiden Potentialstufen mit V0 > 0 und V0 < 0 lassen sich beliebig komplizierte (st¨ uckweise konstante) Potentialformen konstruieren, insbesondere der rechteckige (endliche) Potentialtopf und der rechteckige Potentialwall, die wir im Folgenden untersuchen wollen. Die Untersuchung dieser mathematischen Idealisierungen erlauben bereits ein qualitatives Verst¨ andnis des quantenmechanischen Streuprozesses. Die oben bei der Teilchenstreuung an der Potentialstufe (Abb. 10.3) beobachteten Ph¨anomene sind wohl bekannt von der Ausbreitung von Lichtwellen, was aufgrund des Wellencharakters der Teilchen in der Quantentheorie nicht u ¨berraschen sollte. Der Po-

10.2 Streuung am Potentialtopf 1

181

R

T

0.8 0.6 0.4 0.2 0

0

0.5

1

1.5

2 2.5 ε = E/V0

3

3.5

4

Abb. 10.9: Reflexions- und Transmissionskoeffizienten als Funktion der Energie f¨ ur die Streuung an einer endlichen Potentialstufe der H¨ ohe V0 .

¨ tentialsprung entspricht in der Optik einer abrupten Anderung des Brechungsindex. Der ¨ positive Potentialsprung (V0 > 0) entspricht dem Ubergang vom optisch d¨ unneren Medium zum optisch dichteren, entsprechend der negative Potentialsprung (V0 < 0) dem ¨ Ubergang vom optisch dichteren zum optisch d¨ unneren Medium. Der Fall E > V0 > 0 entspricht in der Optik der Situation, in welcher beide Medien reelle Brechungsindizes besitzen. Der abrupte Anstieg des Brechungsindex ruft hier bei x = 0 eine teilweise Reflexion des von links einfallenden Lichtes hervor. F¨ ur V0 > E > 0 ¨andert sich der Brechungsindex bei x = 0 abrupt von einem reellen Wert (im Gebiet x < 0) in einen imagin¨aren Wert (im Gebiet x > 0) und es findet eine Totalreflexion des Lichtes bei x = 0 statt.

10.2

Streuung am Potentialtopf

Im Folgenden betrachten wir die Bewegung eines quantenmechanischen Teilchens in dem in Abb. 10.10 dargestellten rechteckigen Potentialtopf:  −V0 , |x| < a V (x) = (10.17) 0 , |x| ≥ a F¨ ur E > 0 w¨ urde ein klassisches Teilchen, das von links in das Potentialgebiet einl¨auft, lediglich durch den Potentialsprung seine kinetische Energie vergr¨oßern, mit gr¨oßerer Geschwindigkeit u ur x > a mit seiner ¨ber dem Potential entlanglaufen und schließlich f¨ urspr¨ unglichen Geschwindigkeit seine Bewegung fortsetzen. Aus der Untersuchung der Streuung eines Teilchens an der Potentialstufe wissen wir jedoch bereits, dass an den beiden Potentialspr¨ ungen jeweils ein Teil der einlaufenden Welle reflektiert wird. Dies impliziert, dass auch ein Teil der bei x = a reflektierten Welle bei x = −a wieder in zwei Teile aufgespalten wird. Wir haben es deshalb mit einem komplizierten Vielfachstreumechanismus zu tun, der sich in interessanten Interferenzeffekten ¨außern sollte. F¨ ur E < 0 ist das Teilchen im Potentialtopf eingefangen

182

10 Eindimensionale Streuprobleme

Reϕ(x) Imϕ(x)

−a

a x

−V0 Abb. 10.10: Streuung am endlichen Potentialtopf. Neben dem Potential sind Real- und Imagin¨ arteil der zugeh¨ origen Wellenfunktion (10.19) gezeigt.

und es wird bei gewissen Energien zur Ausbildung von gebundenen Zust¨anden kommen, die wir in Abschnitt 10.3 untersuchen werden.

10.2.1

Streuzust¨ande

Die allgemeine L¨ osung der station¨ aren Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur ein Teilchen im Potentialtopf (10.17) k¨ onnen wir wieder aus den bekannten L¨osungen in den Gebieten konstanten Potentials konstruieren, indem wir die Wellenfunktion der Teilgebiete und ihre ersten Ableitung an den Sprungstellen des Potentials stetig fortsetzen. F¨ uhren wir wieder die Wellenzahlen 1p 1√ 2mE , k2 = 2m(E + V0 ) ~ ~ ein, so hat die Wellenfunktion die Gestalt k1 =

  Aeik1 x + Be−ik1 x , x < −a ϕ(x) = F eik2 x + Ge−ik2 x , |x| < a .  ik1 x Ce + De−ik1 x , x > a

(10.18)

(10.19)

Hierbei sind die in der Wellenfunktion auftretenden Konstanten A, B, . . . durch die Anschlussbedingungen der Wellenfunktionen an den Potentialspr¨ ungen bestimmt. Die Anschlussbedingungen bei x = −a lauten: Ae−ik1 a + Beik1 a = F e−ik2 a + Geik2 a ,

ik1 (Ae−ik1 a − Beik1 a ) = ik2 (F e−ik2 a − Geik2 a ) .

(10.20)

10.2 Streuung am Potentialtopf

183

Diese Stetigkeitsbedingungen f¨ ur die Wellenfunktion und ihre erste Ableitung stellen ein lineares, homogenes Gleichungssystem f¨ ur die Koeffizienten dar. F¨ uhren wir die Matrix  ikx  e e−ikx E(k, x) = ikx ke −ke−ikx ein, so l¨asst sich dieses Gleichungssystem schreiben als:     F A . = E(k2 , −a) E(k1 , −a) G B

(10.21)

Die Determinante und das Inverse der Koeffizientenmatrix E sind durch det E(k, x) = −2k ,   1 e−ikx k1 e−ikx −1 E (k, x) = 2 eikx − k1 eikx gegeben. Die Matrix E ist also regul¨ ar f¨ ur alle nicht-verschwindenden Wellenzahlen k. Wir k¨onnen deshalb Gl. (10.21) schreiben als:     F A , (10.22) = M (k1 , k2 , −a) G B wobei die hier auftretende Matrix M durch M (k1 , k2 , x) := E −1 (k1 , x)E(k2 , x)

(10.23)

¨ definiert ist. Ahnlich zur oben abgeleiteten Gl. (10.21) erhalten wir aus den Anschlussbedingungen der Wellenfunktion bei x = a die Beziehung     C F , = E(k1 , a) E(k2 , a) D G die wir wieder umformen zu:       C C F . ≡ M (k2 , k1 , a) = E(k2 , a)−1 E(k1 , a) D D G

(10.24)

Durch Einsetzen dieser Beziehung in die Anschlussbedingungen bei x = −a, Gl. (10.22), k¨ onnen wir die Koeffizienten F und G eliminieren und erhalten:     C A . (10.25) = M (k1 , k2 , −a)M (k2 , k1 , +a) D B Die explizite Rechnung zeigt, dass die Matrix M (10.23) durch      1 + kk12 e−i(k1 −k2 )x 1 − kk21 e−i(k1 +k2 )x  1  M (k1 , k2 , x) =      2 k2 k2 i(k1 +k2 )x i(k1 −k2 )x 1 + k1 e 1 − k1 e

(10.26)

184

10 Eindimensionale Streuprobleme

gegeben ist. F¨ ur das homogene Gleichungssystem (10.25) erhalten wir dann die explizite Form A B

!

=



 cos(2k2 a) − 2i α sin(2k2 a) ei2k1 a i 2β

sin(2k2 a)



− 2i β sin(2k2 a)

 cos(2k2 a) + 2i α sin(2k2 a) e−i2k1 a

!

C D

!

(10.27)

Hierbei haben wir folgende Abk¨ urzungen eingef¨ uhrt: α=

k2 k1 k 2 + k12 + = 2 k1 k2 k1 k2

,

β=

k2 k1 k 2 − k12 − = 2 . k1 k2 k1 k2

(10.28)

Der Einfachheit halber nehmen wir nun an, dass die Teilchen von links in das Potentialgebiet einlaufen sollen, dann k¨ onnen wir wieder D = 0 setzen. Das obige Gleichungssystem (10.27) vereinfacht sich dann zu:   i i (10.29) A = C cos(2k2 a) − α sin(2k2 a) ei2k1 a , B = C β sin(2k2 a) 2 2 Berechnen wir wieder die Stromdichte von einfallender, reflektierter und durchgehender Welle, so finden wir: ~k1 2 |A| , m ~k1 |B|2 , jref l (x) = − m ~k1 |C|2 . jtrans (x) = m jein (x) =

(10.30) (10.31)

Den bereits fr¨ uher eingef¨ uhrten Transmissionskoeffizienten k¨onnen wir dann sofort aus (10.29) ablesen und erhalten:  −1    jtrans C 2 α 2 2 T = − 1 sin (2k2 a) = = (1 + χ)−1 , = 1+ jein A 2

(10.32)

wobei die hier definierte Gr¨ oße χ unter Benutzung von (10.28) als χ=

(k12 − k22 )2 sin2 (2k2 a) = 4k12 k22

 2 β sin2 (2k2 a) 2

(10.33)

geschrieben werden kann. F¨ ur E > 0 sind k1 und k2 reell und damit χ ≥ 0. Der Transmissionskoeffizient ist deshalb beschr¨ ankt (0 ≤ T ≤ 1). Den Reflexionskoeffizienten jref l B 2 = R= jein A

(10.34)

.

10.2 Streuung am Potentialtopf

185

formen wir um zu: 2 2 2 B C B R = = T . C A C

(10.35)

Aus (10.29) finden wir:

2  2 B = β sin2 (2k2 a) = χ , C 2

(10.36)

wobei wir die Definition (10.33) von χ benutzt haben. Mit (10.32) erhalten wir f¨ ur den Reflexionskoeffizienten (10.35): R=

χ . 1+χ

(10.37)

Offenbar gilt: R+T =1. Diese Gleichung dr¨ uckt wieder die Erhaltung des Teilchenstromes beim Durchlaufen des Potentialgebietes aus.

10.2.2

Resonanzen

Der explizite Ausdruck des Transmissionskoeffizienten (10.32) mit χ gegeben durch Gl. (10.33), "

T = 1+



k12 − k22 2k1 k2

2

2

#−1

sin (2k2 a)

,

(10.38)

zeigt, dass dieser eine oszillierende Funktion von k2 und damit von der Energie E ist. In Abb. 10.11 ist T als Funktion der dimensionslosen Energie ε = E/V0 f¨ ur verschiedene St¨ arken des Potentials ap γ= 2m|V0 | (10.39) ~

dargestellt. In diesen dimensionslosen Variablen nimmt der Transmissionskoeffizient die Gestalt √ −1 sin2 (2γ ε + 1) T = 1+ 4ε(ε + 1) 

(10.40)

an. F¨ ur schwache Potentiale γ ≪ 1 ¨ andert sich das Argument der Sinusfunktion erst u ¨ber große Energiebereiche und die Oszillationen werden aufgrund des d¨ampfenden

186

10 Eindimensionale Streuprobleme

T

1

1

0.8

0.8

0.6

T γ=1

0.4

γ=8

0.4

0.2 0

0.6

0.2 0

1

2

3

4

0

5

0

1

2

ε

T

1

1

0.8

0.8

0.6

T γ = 16

0.4

4

5

4

5

0.6 γ = 32

0.4

0.2 0

3 ε

0.2 0

1

2

3

4

5

ε

0

0

1

2

3 ε

Abb. 10.11: Der Transmissionskoeffizient in Abh¨ angigkeit von der (dimensionslosen) Energie ε = E/V0 f¨ ur verschiedene Potentialst¨ arken γ.

Vorfaktors [4ε(ε+1)]−1 ausgewaschen. F¨ ur gen¨ ugend starke Potentiale (γ ≫ 1) hingegen zeigt T als Funktion von ε ausgepr¨ agte Oszillationen. Aus Gl. (10.38) ist ersichtlich, dass f¨ ur gewisse Energien E = E (R) , f¨ ur die 2k2 a = nπ

,

n∈

Z

(10.41)

gilt, der Transmissionskoeffizient sein Maximum T = 1 annimmt. Dr¨ ucken wir diese Bedingung durch die Wellenl¨ ange λ aus, so finden wir f¨ ur die Lage der Maxima T = 1 die Bedingung n

λ = 2a , 2

λ=

2π . k2

(10.42)

Der Transmissionskoeffizient wird also 1, wenn ein Vielfaches der halben Wellenl¨ange gleich der Breite des Potentialtopfes L = 2a ist. Die Energieeigenzust¨ande, bei denen der Transmissionskoeffizient ein Maximum besitzt, werden als Resonanzen bezeichnet. Bei diesen Resonanzen verschwindet die Reflexion und das Potential wird absolut durchl¨assig f¨ ur das quantenmechanische Teilchen (T = 1). Anschaulich l¨asst sich das Auftreten der Resonanzen wie folgt verstehen: Die von links einlaufende ebene Welle wird am Potentialsprung bei x = −a in eine weiterlaufende und eine reflektierte Welle aufgeteilt. Die weiterlaufende Welle wird am

10.2 Streuung am Potentialtopf

187

1′′

1

1′

2

1′′′

2′′

2′

3

2′′′

3′′

d = nλ/2

3′

3′′′

Abb. 10.12: Illustration der Lichtwege beim Fabry-Perot-Interferometer.

zweiten Potentialsprung bei x = +a ebenfalls aufgespalten in eine weiterlaufende Welle, die Transmissionswelle, und eine reflektierte Welle. Das Auftreten der Resonanzen basiert auf einer destruktiven Interferenz zwischen der direkt bei x = −a reflektierten Welle (Be−ik1 x ) und der bei x = +a reflektierten Welle (Ge−ik2 x ). Bei x = −a unterscheiden sich die dort direkt reflektierte Welle von der von x = +a zur¨ uckkommenden Welle durch die Wegdifferenz 2 · 2a um eine Phase 2 · 2ak2 . Diese ist f¨ ur die durch Gl. (10.42) definierte Resonanz aber gerade 2πn. Außerdem unterscheiden sich diese beiden Wellen noch um eine Phase π, da die am negativen Potentialsprung bei x = −a reflektierte Welle gegen¨ uber der einlaufenden Welle um eiπ = −1 phasenverschoben ist, w¨ ahrend die an der positiven Potentialstufe bei x = +a reflektierte Welle in Phase mit der einfallenden Welle ist (siehe Kap. 10.1). Damit besitzen die direkt (bei x = −a) reflektierte Welle und die von x = +a zur¨ uckkommende Welle bei den Resonanzenergien E (R) gerade einen Gesamtphasenunterschied von (2n + 1)π und l¨oschen sich somit aus. Diese destruktive Interferenz der reflektierten Wellen f¨ uhrt auf eine v¨ollige Transparenz des Potentials und ist somit verantwortlich f¨ ur die Ausbildung der Resonanzen mit T = 1. Ein analoges Ph¨anomen wird bei Lichtwellen beobachtet, und zwar beim Fabry-PerotInterferometer. Dieser besteht aus zwei sich gegen¨ uber stehenden parallelen, halbdurchl¨ assigen Spiegeln (Abb. 10.12) mit T ≪ 1. Licht, welches senkrecht auf einen der beiden Spiegel trifft, wird vollst¨ andig durch den Spiegel durchgelassen (T = 1), wenn der Abstand der beiden Spiegel ein Vielfaches der halben Wellenl¨ange des Lichtes betr¨agt. Dieses Ph¨anomen tritt selbst bei Spiegeln mit Reflexivit¨at R = 1 auf. Denn je gr¨oßer die Reflexivit¨at ist, desto gr¨ oßer ist auch die Zahl der interferierenden Strahlen. Aus dem Energiesatz im Gebiet |x| < a, E + V0 =

~2 k22 , 2m (R)

und (10.42) folgt, dass die Energien En , bei denen Resonanz auftritt, gerade durch die

188

10 Eindimensionale Streuprobleme

Eigenenergien des Potentialtopfes der Breite 2a mit unendlich hohen W¨anden gegeben sind:

En(R)

1 = −V0 + 2m



nπ~ 2a

2

.

(10.43)

10.3

Gebundene Zust¨ande im endlichen Potentialtopf

10.3.1

Transmissionskoeffizienten fu ¨r gebundene Zust¨ande

Unsere bisherige mathematische Behandlung der Streuung an einem Potentialtopf war sehr allgemein gehalten und nicht auf positive E > 0 beschr¨ankt. Wir k¨onnen deshalb untersuchen, wie sich der Transmissionskoeffizient verh¨alt, wenn wir Energien im Potentialtopf −V0 < E < 0 betrachten. In diesem Bereich kann der Transmissionskoeffizient, wie er eingef¨ uhrt wurde – als das Verh¨ altnis von durchgehendem Strom zum einfallenden Strom – keine direkte physikalische Bedeutung besitzen, da f¨ ur Energien E < 0 kein Teilchenfluss stattfindet. Nichtsdestotrotz macht es Sinn, die analytischen Eigenschaften des Transmissionskoeffizienten in diesem Energiebereich zu untersuchen. F¨ ur Energien im Bereich −V0 < E < 0 bleibt die Wellenzahl k2 reell, w¨ahrend die Wellenzahl k1 rein imagin¨ar wird: 1√ k1 = 2mE = iκ . (10.44) ~ Setzen wir den Transmissionskoeffizienten (10.38) zu rein imagin¨aren k1 -Werten fort, so finden wir: " #−1  2 2 κ + k22 2 T = 1− sin (2k2 a) . 2κk2 Der Transmissionskoeffizient hat offenbar Pole, falls κ2 + k22 sin(2k2 a) = ±1 2κk2

(10.45)

erf¨ ullt ist. Wie wir im Folgenden zeigen werden, wird diese Bedingung gerade an den Energien der gebundenen station¨ aren Zust¨ ande im Potentialtopf erf¨ ullt. In Abb. 10.13 ist der Transmissionskoeffizient als Funktion der dimensionslosen Energie ε = E/V0 f¨ ur ein Potential der St¨ arke (10.39) γ = 2 dargestellt. Das Potential besitzt f¨ ur −V0 < E < 0 gebundene Zust¨ ande, bei denen der Transmissionskoeffizient divergiert.

10.3 Gebundene Zust¨ ande im endlichen Potentialtopf ε1

189

ε2

2 1.5 1 0.5 T

0 −0.5

γ=2

−1 −1.5 −2 −1 −0.5

0

0.5

1 ε

1.5

2

2.5

3

Abb. 10.13: Der Transmissionskoeffizient als Funktion der (dimensionslosen) Energie ε = E/V0 bei Anwesenheit von gebundenen Zust¨ anden. In der Abbildung sind zwei gebundene Zust¨ ande bei den Energien ε1 und ε2 vorhanden.

10.3.2

Die gebundenen Zusta¨nde des endlichen Potentialtopfes

Zur Bestimmung der Energieeigenzust¨ ande des endlichen Potentialtopfes k¨onnen wir auf ¨ unsere fr¨ uheren, die Wellenfunktion betreffenden Uberlegungen zur¨ uckgreifen. Die Form der Wellenfunktion und die Anschlussbedingungen an den beiden Potentialspr¨ ungen bei x = ±a bleiben richtig, wenn wir die Wellenzahl k1 f¨ ur |x| > a gem¨aß Gl. (10.44) zu rein imagin¨aren Werten fortsetzen. Die allgemeine Form der Wellenfunktionen war in Gl. (10.19) gegeben. Aus den Anschlussbedingungen an die Wellenfunktion und ihre erste Ableitung hatten wir die Beziehungen   α A = C cos(2k2 a) − i sin(2k2 a) ei2k1 a , (10.46) 2 β (10.47) B = Ci sin(2k2 a) 2 gewonnen, wobei die hier auftretenden Gr¨ oßen α und β f¨ ur k1 = iκ durch     k2 k2 k1 k1 κ κ k2 k2 α= , β= + = −i − = −i − + k1 k2 κ k2 k1 k2 κ k2

(10.48)

gegeben sind. F¨ ur gebundene Zust¨ ande E < 0 muss die Wellenfunktion f¨ ur |x| → ∞ exponentiell abklingen. Mit der analytischen Fortsetzung der Wellenzahl k1 (Gl. 10.44) wird aus der fr¨ uher f¨ ur E > 0 einfallenden Welle Aeik1 x eine f¨ ur x → −∞ exponentiell ansteigende Funktion, w¨ahrend reflektierte Welle“ Beκx und durchgehende Welle“ Ce−κx f¨ ur ” ” x → −∞ bzw. x → ∞ exponentiell abklingen. Da die Wellenfunktion eines gebundenen Zustandes normierbar sein muss, muss offenbar der Koeffizient A f¨ ur gebundene Zust¨ande verschwinden. F¨ ur A = 0 (und C 6= 0) divergiert aber der Transmissionskoef-

190

10 Eindimensionale Streuprobleme

fizient (10.32). Setzen wir A = 0 in Gl. (10.46), so finden wir die Bedingung cos(2k2 a) = i

α sin(2k2 a) . 2

(10.49)

In K¨ urze werden wir sehen, dass jede L¨ osung dieser Gleichung auch tats¨achlich die Polbedingung (10.45) erf¨ ullt. Die Polbedingung (10.45) ist etwas weniger restriktiv als Gl. (10.49), da sie im Gegensatz zu (10.49) auch unphysikalische L¨osungen zu den Energien der Bindungszust¨ ande besitzt, die auf exponentiell anwachsende (d.h. nichtnormierbare) Wellenfunktionen f¨ uhren (siehe Gl. (10.53)). Bei der Diskussion der allgemeinen Eigenschaft der Schr¨odinger-Gleichung hatten wir u.a. festgestellt, dass f¨ ur symmetrische Potentiale (siehe Abschnitt 9.4) V (−x) = V (x) die Wellenfunktion entweder gerade oder ungerade sein muss: ϕ(−x) = ±ϕ(x) . Aus dem fr¨ uher angegebenen Ausdruck (10.19) f¨ ur die Wellenfunktion mit A = D = 0 ist ersichtlich, dass diese nur dann gerade bzw. ungerade sein kann, wenn B = ±C gilt. Setzen wir diese Bedingung in Gl. (10.47) ein, so finden wir: i

β sin(2k2 a) = ±1 . 2

(10.50)

Mit dem expliziten Wert von β (10.48) ist dies gerade die Polbedingung (10.45) des Transmissionskoeffizienten. Das positive (negative) Vorzeichen in der Polbedingung geh¨ort deshalb zu den Zust¨ anden positiver (negativer) Parit¨at. Wie wir oben gesehen haben, ist die Polbedingung (10.45) bzw. (10.50) wegen B = ±C aquivalent zu Gl. (10.47). Ferner haben wir oben gesehen, dass Gl. (10.46) sich f¨ ur ¨ gebundene Zust¨ ande (A = 0) auf Gl. (10.49) reduziert. Zur Bestimmung der Energieniveaus im endlichen Potentialtopf haben wir deshalb (neben der Polbedingung) noch Gl. (10.49) zu l¨osen. Dazu benutzen wir die Additionstheoreme der Winkelfunktionen sin(2x) = 2 sin x cos x

,

cos(2x) = cos2 x − sin2 x

und schreiben diese Gleichung als: cos2 (k2 a) − sin2 (k2 a) = iα sin(k2 a) cos(k2 a) . Dividieren wir diese Gleichung durch sin(k2 a) cos(k2 a), so erh¨alt sie die Gestalt k2 κ 1 , − tan(k2 a) = iα = − tan(k2 a) κ k2

10.3 Gebundene Zust¨ ande im endlichen Potentialtopf

191

wobei wir f¨ ur α den expliziten Wert (10.48) eingesetzt haben. Diese Gleichung besitzt zwei L¨osungen (genauer: L¨ osungs¨ aste bzw. Dispersionsbeziehungen) κ , k2 k2 tan(k2 a) = − . κ

(10.51)

tan(k2 a) =

(10.52)

Man u osung dieser Gleichung auch der Polbedingung ¨berzeugt sich leicht, dass jede L¨ (10.45) gen¨ ugt. Dazu formen wir letztere um zu:    κ k2 sin k2 a cos k2 a = ± sin2 k2 a + cos2 k2 a + k2 κ   κ k2 1 ⇒ . + = ± tan k2 a + k2 κ tan k2 a Diese Gleichung hat offensichtlich die L¨ osungen tan(k2 a) = ±

κ k2

,

tan(k2 a) = ±

k2 , κ

(10.53)

welche insbesondere die obigen L¨ osungen (10.51), (10.52) der Gl. (10.49) (A = 0) beinhalten. Die beiden u osungen folgen aus (10.51) und (10.52) durch die Erset¨brigen L¨ zung κ → (−κ) und sind unphysikalisch, da sie auf nicht-normierbare Wellenfunktionen f¨ uhren. Damit haben wir gezeigt: Der Transmissionskoeffizient besitzt Pole bei den Energien der gebundenen Zust¨ande.

Dies ist eine allgemeine Eigenschaft, die nicht auf den rechteckigen Potentialtopf beschr¨ankt ist. Wie oben gezeigt, geh¨ ort das positive (negative) Vorzeichen in der Polbedingung (10.45) bzw. in den Gln. (10.53) zu den Zust¨ anden positiver (negativer) Parit¨at. Damit liefern die L¨osungen von Gln. (10.51) bzw. (10.52) Zust¨ande mit positiver bzw. negativer Parit¨ at. Die Bestimmungsgleichungen (10.51) und (10.52) f¨ ur die gebundenen Zust¨ande sind transzendente Gleichungen, die sich nicht analytisch l¨osen lassen. Zur grafischen L¨osung dieser beiden Gleichungen f¨ uhren wir die dimensionslosen Gr¨oßen ξ := k2 a

,

η := κa

(10.54)

ein. Benutzen wir die Definition der Wellenzahlen, so finden wir, dass die Gr¨oße   2m 2m 2m|V0 |a2 2 2 2 ξ +η =a = γ2 (V0 − |E|) + |E| = ~ ~ ~2

192

10 Eindimensionale Streuprobleme

unabh¨angig von der Energie ist und mit der dimensionslosen Potentialst¨arke γ 2 (10.39) zusammenf¨allt. Aus diesem Grunde formen wir die beiden Dispersionsbeziehungen (10.51) und (10.52) wie folgt um: Gl. (10.51) lautet in den Variablen (10.54): tan ξ =

η ξ

bzw.

ξ sin ξ = η cos ξ .

(10.55)

Quadrieren dieser Gleichung liefert mit sin2 ξ = 1 − cos2 ξ: ξ 2 (1 − cos2 ξ) = η 2 cos2 ξ und mit der Definition von γ 2 (10.39): ξ 2 = γ 2 cos2 ξ , woraus wir f¨ ur den ersten L¨ osungsast die Bedingung ± cos ξ =

ξ γ

(10.56)

erhalten. Durch das obige Quadrieren der Gleichung geht Information u ¨ber das Vorzeichen verloren. Aus der urspr¨ unglichen (unquadrierten) Gleichung (10.55) folgt wegen ξ, η > 0: tan ξ > 0 ,

(10.57)

was wir als zus¨ atzliche Bedingung an die L¨osungen von (10.56) stellen m¨ ussen. Die L¨osungen der Gl. (10.56), die der Nebenbedingung (10.57) gen¨ ugen, definieren als L¨osungen von (10.51) die Energien der positiven Parit¨atszust¨ande. In ¨ahnlicher Weise formen wir die Gl. (10.52) um zu: ± sin ξ =

ξ γ

,

tan ξ < 0 .

(10.58)

Die L¨osungen dieser Gleichung definieren die Energien der negativen Parit¨atszust¨ande. Die grafische L¨osung von Gl. (10.56) und (10.58) ist in der Abb. 10.14 dargestellt. Es gibt immer mindestens einen gebundenen Zustand mit positiver Parit¨at. Je gr¨oßer γ ist, desto st¨arker ist das Potential und desto mehr gebundene Zust¨ande gibt es. F¨ ur sp¨atere Betrachtungen wollen wir schließlich noch untersuchen, f¨ ur welche Potentialst¨arken γ (10.39) der rechteckige Potentialtopf einen (quasi-) gebundenen“ Zustand ” mit der Energie E = 0 besitzt. F¨ ur E → −0 lauten die Wellenzahlen (10.18), (10.44): √ 2mV0 k2 = , κ=0. ~ Ferner gilt dann: ak2 = γ

10.3 Gebundene Zust¨ ande im endlichen Potentialtopf

cos ξ

sin ξ − cos ξ





ξ/γ

− sin ξ



193







ξ

Abb. 10.14: Grafische L¨ osung der Dispersionsbeziehungen. Die durch einen fetten Punkt bzw. einen Kreis markierten Schnittpunkte geh¨ oren zu den station¨ aren L¨ osungen positiver Parit¨ at (10.56) bzw. negativer Parit¨ at (10.58). Man beachte, dass nicht s¨ amtliche Schnittpunkte den Nebenbedingungen tan ξ ≷ 0 gen¨ ugen, die f¨ ur L¨ osungen erf¨ ullt sein m¨ ussen.

und die Bestimmungsgleichungen (10.51) bzw. (10.52) f¨ ur die gebundenen Zust¨ande positiver bzw. negativer Parit¨ at reduzieren sich auf: tan γ = 0

bzw.

tan γ = −∞ .

Folglich treten Bindungszust¨ ande“ bei der Energie E = 0 mit positiver Parit¨at f¨ ur ” γ = nπ (10.59) und mit negativer Parit¨ at f¨ ur γ = (2n + 1)

π 2

(10.60)

auf. Da γ ≥ 0 (siehe Gl. (10.39)), folgt n ≥ 0. F¨ ur n = 0 in (10.59) verschwindet das Potential (γ = 0) und der Zustand mit E = 0 ist der Beginn des positiven Energiekontinuums von ungebundenen Zust¨ anden mit E ≥ 0. Der durch Gl. (10.60) mit n = 0 gegebene E = 0-Zustand negativer Parit¨ at ist der erste angeregte Zustand des betreffenden Potentials (der St¨ arke γ = π/2). F¨ ur γ = π/2 schneidet die Gerade ξ/γ in Abb. 10.14 die Kurve sin ξ bei ξ = π/2. Wie aus dieser Abbildung ersichtlich, gibt es dann

194

10 Eindimensionale Streuprobleme

noch einen tiefer liegenden gebundenen Zustand positiver Parit¨at mit E < 0, der dem Schnittpunkt der Geraden ξ/(π/2) mit der Kurve cos ξ entspricht und folglich durch die L¨osung der Gleichung cos ξ =

2 ξ π

gegeben ist. Der Grundzustand eines spiegelsymmetrischen Potentials besitzt immer positive Parit¨at. Falls Gl. (10.60) f¨ ur n > 0 erf¨ ullt ist, so gibt es neben dem quasigebundenen Zustand E = 0 noch (2n + 1) gebundene Zust¨ ande, von denen (n + 1) Zust¨ande positive und n Zust¨ande negative Parit¨ at besitzen. (Die positiven und negativen Parit¨atszust¨ande treten in alternierender Folge auf.) Dies ist unmittelbar aus Abb. 10.14 ersichtlich, wenn man beachtet, dass die Gerade ξ ξ ≡ γ (2n + 1) π2

(10.61)

die Funktion sin ξ f¨ ur gerades n und bzw. die Funktion − sin ξ f¨ ur ungerades n bei ξ = (2n + 1)π/2 schneidet und somit f¨ ur diesen ξ-Wert Gl. (10.58) erf¨ ullt ist. Die Gerade (10.61) besitzt dann noch (n + 1) Schnittpunkte mit den Funktionen ± cos ξ bzw. n Schnittpunkte mit den Funktionen ± sin ξ bei ξ < (2n + 1)π/2, die zu den gebundenen Zust¨ anden positiver bzw. negativer Parit¨at geh¨oren.

10.4

Die Potentialbarriere

Unsere bisherigen Betrachtungen in diesem Kapitel waren so allgemein gehalten, dass sie auch f¨ ur negative V0 gelten. Ersetzen wir im Potential (10.17) V0 durch (−V0 ), V0 > 0, so geht der Potentialtopf in eine Potentialbarriere u ¨ber. Alle oben abgeleiteten Resultate, insbesondere die Ausdr¨ ucke f¨ ur Transmissions- und Reflexionskoeffizienten, bleiben dabei g¨ ultig. Durch die Ersetzung V0 → (−V0 ) wird aus der Wellenzahl k2 (10.18): k2 =

1p 2m(E − V0 ) , ~

w¨ahrend sich die Wellenzahl im Gebiet verschwindenden Potentials k1 nat¨ urlich nicht andert. Mit dieser Ersetzung von k2 bleibt der Ausdruck (10.38) f¨ ur den Transmissi¨ onskoeffizienten g¨ ultig.In den dimensionslosen Variablen ε=

E V0

,

lautet er (vergl. Gl. (10.40))

γ=

ap 2mV0 ~

(10.62)

10.4 Die Potentialbarriere

195

√ −1 sin2 2γ ε − 1 T = 1+ . 4ε(ε − 1) 

(10.63)

F¨ ur E > V0 ist k2 reell und wir werden nichts prinzipiell Neues gegen¨ uber der oben behandelten Streuung am Potentialtopf erhalten: Eine von links einfallende Welle wird an den beiden Potentialspr¨ ungen bei x = ∓a in jeweils eine durchgehende und eine reflektierte Welle aufgespalten, siehe Abb. 10.15. Das Transmissionsverhalten wird wieder durch das Interferenzverhalten von der bei x = −a und x = +a reflektierten Welle bestimmt. Wenn die Potentialbreite ein Vielfaches der halben Wellenl¨ange λ/2 ist, kommt es wieder zur Ausbildung von Resonanzen, bei denen das Potential v¨ollig durchl¨assig wird (T = 1). Die Resonanzen treten wieder bei den Energieeigenwerten des unendlich hohen Potentialtopfes (¨ uber V0 > 0 aufgetragen) auf: En(R) = V0 +

10.4.1

1 2m



nπ~ 2a

2

.

Quantentunnelung durch die Potentialbarriere

Ein qualitativ neues Quantenph¨ anomen tritt f¨ ur 0 < E < V0 auf. In diesem Energiebereich wird der Wellenvektor k2 rein imagin¨ ar: 1p 2m(V0 − E) . k2 = iκ , κ = ~ Ein klassisches Teilchen w¨ urde f¨ ur E < V0 an der Potentialbarriere vollst¨andig reflektiert werden. Bei der quantenmechanischen Behandlung der Potentialstufe haben wir jedoch schon beobachtet, dass die Wellenfunktion im klassisch verbotenen Bereich des Potentials nicht verschwindet, sondern exponentiell abklingt. Ein quantenmechanisches Teilchen kann also bis zu einer gewissen Tiefe d in die Barriere eindringen; diese Tiefe ist aufgrund der Unsch¨ arferelation durch d∼

1 ~ = p κ 2m(V0 − E)

gegeben. Ist die Potentialbarriere schmaler als die Eindringtiefe d des Teilchens, 2a < d, so m¨ ussen wir erwarten, dass das Teilchen zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Potentialbarriere durchdringen kann, dass es also die Potentialbarriere durchtunnelt. Da f¨ ur E < V0 die Wellenzahl k2 rein imagin¨ ar ist, muss die Wellenfunktion im Bereich der Barriere exponentiell abklingen oder ansteigen (Abb. 10.16, siehe auch Abschnitt 10.2.2). Ersetzen wir k2 = iκ im Ausdruck f¨ ur den Transmissionskoeffizienten (10.38) und ber¨ ucksichtigen sin(ix) = i sinh x ,

196

10 Eindimensionale Streuprobleme Reϕ(x) Imϕ(x)

V0

−a

a

x

|ϕ(x)|2

V0

−a

a

x

Abb. 10.15: Real- und Imagin¨ arteil (oben) und Betragsquadrat (unten) der Wellenfunktion bei Streuung an einer rechteckigen Potentialbarriere mit Energie E > V0 .

so finden wir: "

T = 1+



k1 2 + κ2 2k1 κ

2

2

#−1

sinh (2κa)

.

(10.64)

Dr¨ ucken wir wieder T durch die dimensionslosen Variablen ε, γ (10.62) aus. F¨ ur ε < 1 erhalten wir aus (10.63) √ −1 sinh2 2γ 1 − ε T = 1+ 4ε(1 − ε) 

(10.65)

Da der Transmissionskoeffizient auch f¨ ur E < V0 (ε < 1) von Null verschieden ist, findet eine klassisch nicht erlaubte Transmission statt, die als Quantentunnelung oder Tunneleffekt bezeichnet wird.

10.4 Die Potentialbarriere

197 V0 Reϕ(x) Imϕ(x)

x

|ϕ(x)|2

V0

x Abb. 10.16: (oben) Real- und Imagin¨ arteil der Wellenfunktion bei Streuung an einer rechteckigen Potentialbarriere mit Energie E < V0 . (unten) Aufenthaltswahrscheinlichkeit f¨ ur einen von links auf die rechteckige Potentialbarriere treffenden Teilchenstrom. Der konstante Tunnelstrom rechts von der Barriere ist exponentiell klein und damit in der maßstabsgetreuen Abbildung nicht sichtbar.

Abb. 10.17 zeigt den Transmissionskoeffizienten als Funktion der dimensionslosen Energie ε = E/V0 f¨ ur zwei verschiedene Potentialst¨arken. Man beachte, dass der Trans¨ missionskoeffizient beim Ubergang vom klassisch verbotenen (E < V0 ) zum klassisch erlaubten (E > V0 ) Bereich stetig ist. Offenbar ist T ≤ 1, wobei T = 1 (f¨ ur ε < 1) nur bei verschwindender Potentialbarriere (γ → 0) erreicht wird (siehe (10.65)). F¨ ur γ 6= 0 erreicht der Transmissionskoeffizient der Tunnelung sein Maximum f¨ ur ε → 1, d.h. f¨ ur E → V0 . Wegen lim

x→0

sinh x =1 x

erhalten wir: T (E = V0 ) = [1 + γ 2 ]−1 .

198

10 Eindimensionale Streuprobleme

1 0.8

T R

0.6 γ=1

0.4 0.2 0

0

1

2

3

4

5

4

5

ε 1 0.8

T R

0.6 γ=2

0.4 0.2 0

0

1

2

3 ε

Abb. 10.17: Der Transmissions- und Reflexionskoeffizient f¨ ur die rechteckige Potentialbarriere der H¨ ohe V0 und Breite 2a als Funktion der (dimensionslosen) Energie ε = E/V0 f¨ ur √ verschiedene St¨ arken des Potentials γ = a 2mV0 /~.

Das Teilchen durchtunnelt die Potentialbarriere. Dieser Tunneleffekt ist ein typischer Welleneffekt, der bei korpuskularen Teilchen nicht auftreten kann und ein Analogon bei den Lichtwellen besitzt, die frustrierte innere Totalreflexion: Ein Lichtstrahl f¨ allt senkrecht auf eine Prismenkathete, sodass er an der Innenfl¨ache der Hypothenuse total reflektiert wird (Abb. 10.18(a)). Aus der Elektrodynamik wissen wir jedoch, dass das elektromagnetische Feld der Lichtwelle außerhalb des Prismas nicht identisch Null ist, sondern exponentiell abklingt. Die Eindringtiefe dieses Feldes in das Vakuum (bzw. in die Luft) ist etwa von der Ordnung der Wellenl¨ange λ des Lichtes. Wenn ein zweites Prisma in einem kleinen Abstand d vom ersten Prisma entfernt angebracht wird, so ist das elektrische Feld am zweiten Prisma noch nicht auf Null abgeklungen, sondern besitzt eine endliche Amplitude, mit der sich die Welle dann im zweiten Prisma ausbreitet (Abb. 10.18(b)). Auf diese Weise erfolgt partielle Transmission des Lichtes durch den Spalt zwischen den Prismen, obwohl aufgrund der Strahlgeometrie totale Reflexion erfolgen sollte. Diese Erscheinung wird als frustrierte (oder behinderte) innere Totalreflexion bezeichnet. F¨ ur d < λ kann die Welle fast ungehindert den Luftspalt passieren.

10.4 Die Potentialbarriere

(a)

199

(b)

d Abb. 10.18: (a) Totale innere Reflexion in einem Prisma, (b) Frustrierte innere Totalreflexion f¨ ur λ < d.

10.4.2

Interpretation der Quantentunnelung mittels der Unsch¨arferelation

Anschaulich l¨asst sich das Durchtunneln des Teilchens durch die Barriere wie folgt verstehen: Neben der Unsch¨ arferelation zwischen Ort und Impuls, ∆x ∆p & ~ (siehe Gl. (3.11)), gibt es eine ¨ ahnliche Unsch¨ arferelation zwischen Zeit und Energie, ∆t ∆E & ~, wie wir in Abschnitt 12.4 streng zeigen werden. Danach treten Fluktuationen in der Energie eines Teilchens von der Gr¨ oße ∆E in Zeitskalen der Ordnung ∆t ≃ ~/∆E auf. Eine gen¨ ugend starke Fluktuation in der Energie mit E + ∆E > V0 erlaubt dem Teilchen, die Barriere zu u ¨berqueren, vorausgesetzt das Zeitintervall ∆t ist groß genug, sodass das Teilchen die Barriere in dieser Zeit u ¨berfliegen kann. Deshalb darf die Barriere nicht zu breit sein, damit substantielle Tunnelung auftreten kann. W¨ahrend also die Breite der Barriere eine gen¨ ugend lange Zeitperiode ∆t verlangt, erfordert die H¨ ohe der Barriere eine gen¨ ugend große Energiefluktuation ∆E, damit das Teilchen die Barriere u arfeprinzips k¨onnen aber ∆E und ∆t nicht ¨berwinden kann. Wegen des Unsch¨ beliebig groß gew¨ ahlt werden. Entscheidend f¨ ur die Tunnelwahrscheinlichkeit ist damit das Produkt aus Breite und H¨ ohe der Barriere. Die Tunnelung des Teilchens durch die Barriere muss mit einem Teilchenstrom verbunden sein. Nach Gl. (10.19) ist die Wellenfunktion unterhalb der Barriere durch einen exponentiell ansteigenden und einen exponentiell abfallenden Ast gegeben. Damit ein Teilchenfluss durch die Barriere str¨ omt, muss die Ortsabh¨angigkeit der Wellenfunktion komplex sein. F¨ ur D = 0 (kein von rechts eintreffendes Teilchen) erh¨alt man aus Gl. (10.24) mit Gl. (10.26) nach elementarer Rechnung f¨ ur die Wellenfunktion im Gebiet der Barriere (k2 = iκ):      1 ik1 a k1 k1 κ(a−x) −κ(a−x) . (10.66) ϕ2 (x) = Ce e + 1+i e 1−i 2 κ κ Die Wellenfunktion ist in der Tat wesentlich komplex, und zwar gerade durch die Anwesenheit des exponentiell ansteigenden Terms (∼ eκx ). W¨are dieser exponentiell ansteigende Teil nicht vorhanden, so enthielte die Wellenfunktion nur eine irrelevante komplexe Konstante und die Stromdichte w¨ urde verschwinden. F¨ ur die fr¨ uher betrachtete Potentialstufe mussten wir den exponentiell ansteigenden Zweig ausschließen, da dieser zur Divergenz der Wellenfunktion f¨ ur x → ∞ f¨ uhrte. Die Potentialbarriere hat hinge-

200

10 Eindimensionale Streuprobleme

gen eine endliche Breite, sodass der exponentiell ansteigende Ast nicht zur Divergenz f¨ uhren kann. Der exponentiell ansteigende Ast ist hier erforderlich, damit die beiden vorgegebenen Randbedingungen an die Wellenfunktion und ihre ersten Ableitung erf¨ ullt werden k¨onnen. Die Randbedingungen aber garantieren gerade wie wir bei ihrer Herleitung gesehen haben, dass der Teilchenstrom an dem Potentialsprung erhalten bleibt. In der Tat u uft man leicht mit den oben gegebenen Ausdr¨ ucken, dass der von ¨berpr¨ der Wellenfunktion ϕ2 (Gl. (10.66)) unterhalb der Barriere beschriebene Teilchenstrom derselbe ist wie der Strom rechts von der Barriere. Der oben behandelte Tunneleffekt ist die Ursache f¨ ur eine Reihe von interessanten Ph¨anomenen, wie den radioaktiven α-Zerfall oder die Kernspaltung. Auch die Ausbildung von Energieb¨ andern der Elektronen im Festk¨orper, die in Kapitel 14 behandelt wird, beruht auf dem Tunneleffekt. Ferner stellt der Tunneleffekt die Grundlage f¨ ur eine Reihe wichtiger technologischer Anwendungen dar, wie z.B. der feldinduzierten Emission von Elektronen aus Metallen, welche in der Elektronenmikroskopie benutzt wird.

10.4.3

Große Potentialbarrieren

In vielen praktischen Anwendungen sind die Potentialbarrieren groß, sodass die Transmission klein ist. F¨ ur gen¨ ugend breite Barrieren ist die charakteristische Wellenl¨ange λ sehr klein gegen¨ uber der Breite der Barriere, d.h. aκ ≫ 1. Wir k¨onnen dann die 1“ im ” Ausdruck f¨ ur den Transmissionskoeffizienten (10.64) gegen¨ uber dem Term ∼ sinh2 (κa) vernachl¨assigen. Ferner brauchen wir f¨ ur aκ ≫ 1 nur den positiven Exponenten der sinh-Funktion zu behalten, d.h. sinh x ≃ ex /2. Der Ausdruck f¨ ur den Transmissionskoeffizienten reduziert sich dann auf:  2 2k1 κ T =4 e−4κa . k12 + κ2

Dr¨ ucken wir hier wieder die Wellenzahlen k1 und κ durch die Energie E und H¨ohe der Potentialbarriere V0 aus, so erhalten wir:   ap 4E(V0 − E) T =4 2m(V − E) . exp −4 0 V02 ~ Ziehen wir den Vorfaktor mit in den Exponenten,    16E(V0 − E) ap 2m(V0 − E) + ln , T = exp −4 ~ V02

so erkennen wir, dass dieser f¨ ur hohe Potentiale, d.h. große V0 , klein gegen¨ uber dem ersten Term ist und deshalb in vielen Anwendungen vernachl¨assigt werden kann. F¨ ur gen¨ ugend hohe und breite Potentiale finden wir also f¨ ur den Transmissionskoeffizienten:    p 2|¯ p|L a ≡ exp − . (10.67) T = exp −4 2m(V0 − E) ~ ~

Dabei ist L = 2a die Breite der rechteckigen Potentialbarriere und p¯ der zu imagin¨aren Werten fortgesetzte klassische“ Impuls: ” p p = i¯ p , p¯ = ± 2m(V0 − E) . (10.68)

10.4 Die Potentialbarriere

201

V (x)

(a) E

x

−V (x)

xa

xb x

(b) −E

Abb. 10.19: (a) Approximation eines kontinuierlichen Potentials durch eine Folge von diskreten Potentialbarrieren. (b) Umgeklapptes Potential (−V (x)), in welchem das urspr¨ unglich in V (x) f¨ ur die Energie E klassisch verbotene Gebiet zum klassisch erlaubten Gebiet f¨ ur ein Teilchen mit der Energie (−E) wird.

10.4.4

Kontinuierliche Potentialberge

In realistischen Anwendungen des Tunneleffektes hat man es i.A. nicht mit einer stufenf¨ormigen Potentialbarriere, sondern mit glatten Potentialformen zu tun. Wir k¨onnen diese jedoch stets durch eine Summe von rechteckigen Potentialstufen beliebig genau approximieren in derselben Weise, wie man ein Riemann-Integral numerisch auswertet (Abb. 10.19). Die Gesamttunnelwahrscheinlichkeit l¨ asst sich dann gen¨ahert durch Multiplikation der Tunnelwahrscheinlichkeiten f¨ ur den Durchgang durch die infinitesimalen Potentialstufen berechnen, vorausgesetzt, die einzelnen Tunnelwahrscheinlichkeiten sind hinreichend klein, sodass wenig Reflexion der durchtunnelnden Welle im Inneren des Potentials erfolgt. In der Tat l¨ asst sich von der expliziten Form der Wellenfunktion im Tunnelgebiet (10.66) ablesen, dass die vorw¨ arts- und r¨ uckw¨arts laufenden Wellen einen Amplitu-

202

10 Eindimensionale Streuprobleme

denfaktor eκa bzw. e−κa enthalten. Damit ist die Amplitude der reflektierten Welle gegen¨ uber der Amplitude der durchgehenden Welle exponentiell unterdr¨ uckt, und wir k¨onnen die Reflexion vernachl¨ assigen. Multiplikation der Tunnelwahrscheinlichkeiten der N infinitesimalen Barrieren mit Breite ε liefert:   N N Y Y 2ε p exp − Ti (ε) = T ≃ 2m(V (xi ) − E) ~ i=1 i=1 ! N X 2ε p = exp − 2m(V (xi ) − E) . (10.69) ~ i=1 Wir haben hier das Symbol ≃“ anstatt =“ benutzt, um darauf hinzuweisen, dass ” ” dieser Ausdruck aufgrund der Vernachl¨ assigung der Reflexion nur gen¨ahert gilt. Im Limes N → ∞ (ε → 0) wird aus dem Exponenten ein Riemann-Integral u ¨ber die Trajektorie des Teilchens im umgeklappten Potential:     Zxb Zxb p 2 2 dx 2m(V (x) − E) ≡ exp − dx |¯ p(x)| . (10.70) T ≃ exp − ~ ~ xa

xa

Hierbei ist

p p¯(x) = ± 2m(V (x) − E)

(10.71)

der zu imagin¨aren Werten fortgesetzte klassiche“ Impuls (p(x) = i¯ p(x)). Ferner be” zeichnen xa und xb (xb > xa ) die klassischen Umkehrpunkte eines Teilchens, das sich mit der Energie (−E) im umgeklappten Potential (−V (x)) bewegt (siehe Abb. 10.19(b)). Interpretieren wir ±¯ p(x) (10.71) als den Vorzeichen behafteten Impuls der klassischen Bewegung in diesem umgeklappten Potential, so k¨onnen wir den Exponenten in (10.70) als Phasenraumintegral entlang der zugeh¨ origen geschlossenen Trajektorie schreiben, 2

Zxb

xa

dx |¯ p(x)| =

I

dx p¯(x) ,

und erhalten f¨ ur den Transmissionskoeffizienten einer kontinuierlichen Potentialbarriere:   I 1 T ≃ exp − dx p¯(x) . (10.72) ~ Der Transmissionskoeffizient ist damit durch das Phasenraumintegral f¨ ur eine klas” sische“ Bewegung unterhalb der Potentialbarriere gegeben.5 Wir betonen hier jedoch, dass in der klassischen Mechanik eine solche Bewegung nicht stattfinden kann. Wie wir sp¨ater sehen werden, l¨ asst sich dieses Resultat durch semiklassische Betrachtungsweisen mathematisch strenger begr¨ unden. Die Formel (10.70) wurde unter Benutzung des gen¨aherten Ausdruckes (10.67) f¨ ur den Transmissionskoeffizienten abgeleitet. 5 Diese Bewegung l¨ asst sich auch als eine klassisch erlaubte“ Bewegung im umgeklappten Potential ” (−V (x)) interpretieren.

10.4 Die Potentialbarriere

203

Dieser gen¨aherte Ausdruck galt jedoch nur f¨ ur Wellenl¨angen, die klein gegen¨ uber der Breite der Potentialbarriere sind (λ ≪ a). Sehr breite Potentialbarrieren wiederum implizieren eine kleine Tunnelwahrscheinlichkeit, was gerade die Voraussetzung f¨ ur die Ableitung der Formel (10.70) war. Schließlich bedeutet eine kleine Wellenl¨ange eine große Wellenzahl k = 2π/λ und Teilchen mit großen Wellenzahlen verhalten sich quasiklassisch. Wir erwarten deshalb, dass der Ausdruck f¨ ur die Tunnelwahrscheinlichkeit (10.70) f¨ ur eine quasiklassische Bewegung g¨ ultig ist, was wir im Folgenden zeigen.

10.4.5

Allgemeine Form des Transmissionskoeffizienten

¨ Bei unseren fr¨ uheren Uberlegungen hatten wir den Transmissionskoeffizienten f¨ ur einen rechteckigen Potentialtopf (-barriere) eingef¨ uhrt als das Verh¨altnis von (durch das Potentialgebiet) durchgehendem Teilchenstrom jtrans zum (in das Potentialgebiet) einfallenden Teilchenstrom jein (siehe Gl. (10.12)): T =

jtrans . jein

Vor und nach dem Potentialgebiet bewegen sich die Teilchen frei. F¨ ur eine freie Bewegung mit Wellenzahl k hat die Wellenfunktion die Gestalt ϕ(x) = Aeikx und der zugeh¨orige Teilchenstrom lautet: j(x) = ~k|A|2 .

(10.73)

Hierbei ist |A|2 die Aufenthaltswahrscheinlichkeit. F¨ ur den Transmissionskoeffizienten finden wir aus (10.73): T =

|Atrans |2 , |Aein |2

(10.74)

wobei Aein bzw. Atrans die Amplitude der einfallenden bzw. durchgehenden Welle ist (Die Teilchen besitzen vor und nach Durchlaufen des Potentialgebietes dieselbe Wellenzahl und somit dieselbe Energie.). Der Transmissionskoeffizient (10.74) ist offenbar das Verh¨altnis der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten der Teilchen vor und nach dem Durchlaufen des Potentialgebietes. Allgemein ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens am Ort x f¨ ur eine station¨ are Bewegung, d.h. bei konstanter Energie, durch das Betragsquadrat der station¨ aren Wellenfunktion |ϕ(x)|2 gegeben. In Analogie zu (10.74) k¨ onnen wir deshalb den Transmissionskoeffizienten f¨ ur das Durchlaufen eines beliebigen Potentialgebietes von xa nach xb durch ein Teilchen mit der Energie E durch ϕ(xb ) 2 T = ϕ(xa )

(10.75)

definieren. Hierbei ist ϕ(x) die L¨ osung der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung zur vorgegebenen Energie E. Um analytische Aussagen u ur beliebige Po¨ber den Transmissionskoeffizienten (10.75) f¨ tentiale zu gewinnen, benutzen wir f¨ ur die station¨are Wellenfunktion die quasiklassische

204

10 Eindimensionale Streuprobleme

N¨aherung (6.22) 

Hierbei ist

i ϕ(x) = ϕ(x0 ) exp  ~ p(x) =

Zx

x0



dx′ p(x′ ) .

p 2m(E − V (x))

der Impuls entlang der klassischen Trajektorie mit Energie E, die zwischen den Koordinaten x0 und x verl¨ auft. Nach Gl. (10.75) erhalten wir die Tunnelwahrscheinlichkeit eines Teilchens mit gegebener Energie E durch eine Potentialbarriere, wenn wir f¨ ur xa und xb die durch V (xa,b ) = E definierten klassischen Umkehrpunkte setzen. Die klassische Trajektorie“, welche die beiden Umkehrpunkte xa und xb verbindet ” (Abb. 10.20), verl¨ auft im klassisch verbotenen Bereich unterhalb der Potentialbarriere, wo der Impuls rein imagin¨ ar ist: p p = i¯ p , p¯(x) = 2m(V (x) − E) . F¨ ur die Wellenfunktion erhalten wir deshalb (xb > xa ):   Zxb 1 ϕ(xb ) = ϕ(xa ) exp − dx p¯(x) , ~ xa

und damit f¨ ur die Tunnelwahrscheinlichkeit (10.75):     Zxb I 1 2   dx p¯(x) ≡ exp − dx p¯(x) , T = exp − ~ ~

(10.76)

xa

H

wobei dx das Linienintegral entlang der geschlossenen klassischen“ Trajektorie un” terhalb der Potentialbarriere bezeichnet. Diesen Ausdruck hatten wir auf alternative Weise bereits in Gl. (10.72) gefunden.

10.5

Pfadintegralberechnung des Transmissionskoeffizienten∗

Wie soeben gezeigt repr¨ asentiert der Transmissionskoeffizient die Wahrscheinlichkeit f¨ ur den Durchgang des Teilchens durch das Potentialgebiet. Wir hatten fr¨ uher einen ¨ allgemeinen Ausdruck f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur einen beliebigen Ubergang eines Teilchens von einem Ort xa zum Zeitpunkt ta zu einem anderen Ort xb zum ∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

10.5 Pfadintegralberechnung des Transmissionskoeffizienten

205

V (x)

E

x xa

xb

Abb. 10.20: Durchtunneln der Potentialbarriere bei konstanter Energie E zwischen den klassischen Umkehrpunkten xa und xb .

Zeitpunkt tb abgeleitet. Diese Wahrscheinlichkeitsamplitude war durch die Summation i mit dem Gewicht e ~ S[x] u ¨ber alle Trajektorien x(t), die zum Zeitpunkt ta am Ort xa beginnen und zum Zeitpunkt tb > ta am Ort xb enden, gegeben, wobei S[x] die klassische Wirkung der Trajektorie x(t) ist. Die Summation u ¨ber alle Trajektorien wurde mittels eines Pfadintegrals ausgef¨ uhrt und die Amplitude war durch K(xb , tb ; xa , ta ) =

x(tZ b )=xb

i

Dx(t) e ~ S[x](xb ,tb ;xa ,ta )

(10.77)

x(ta )=xa

gegeben. Wir hatten bereits fr¨ uher gefunden, dass diese Wahrscheinlichkeitsamplitude ¨ oder Ubergangsamplitude nur von der Zeitdifferenz tb − ta abh¨angt, falls das Potential V (x) nicht explizit zeitabh¨ angig ist: K(xb , tb ; xa , ta ) = K(xb , tb − ta ; xa , 0). Aus diesem allgemeinen Ausdruck f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude sollte es jetzt sehr einfach sein, die Wahrscheinlichkeit f¨ ur den Durchgang des Teilchens durch eine Potentialbarriere (Tunnelwahrscheinlichkeit) zu berechnen. Dazu brauchen wir nur xa und xb als die klassischen Umkehrpunkte des Teilchens zu ¨ w¨ ahlen, bei denen V (x) = E ist. Die Wegintegraldarstellung der Ubergangsamplitude i.A. und insbesondere der Tunnelamplitude (10.77) zeigt auch, dass in der Summe u ¨ber alle Trajektorien stets auch solche darunter sind, deren Energie gr¨oßer als die Potentialbarriere ist. Hieraus ist ersichtlich, dass ein quantenmechanisches Teilchen eine Potentialbarriere mit einer endlichen Wahrscheinlichkeit u ¨berqueren kann. ¨ Die Gr¨oße K(xb , τ ; xa , 0) stellt die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur den Ubergang des Teilchens von xa nach xb w¨ ahrend einer Zeit τ dar. Zur Berechnung des Transmissionskoeffizienten interessieren wir uns jedoch nicht f¨ ur die Wahrscheinlichkeit, die Barriere in einer vorgegebenen Zeit τ zu durchtunneln, sondern f¨ ur die Tunnelwahrscheinlichkeit bei vorgegebener Energie E. Wir ben¨ otigen also die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur

206

10 Eindimensionale Streuprobleme

¨ den Ubergang von xa nach xb mit fester Energie E. Diese Wahrscheinlichkeitsamplitude haben wir bereits in Gl. (4.37) eingef¨ uhrt. Sie ergibt sich durch Fourier-Transformation bez¨ uglich der Zeit K(xb , xa ; E) =

Z∞

i

dτ e ~ Eτ K(xb , τ ; xy , 0).

(10.78)

−∞

Wir haben oben große Potentialbarrieren betrachtet. F¨ ur solche Potentiale wird auch die klassische Wirkung sehr groß werden, d.h. die Bewegung verl¨auft semiklassisch: S[x] ≫ ~ . Wie wir bereits fr¨ uher gesehen haben, k¨ onnen wir in diesem Fall das Funktionalintegral mittels der Methode der station¨ aren Phase berechnen. In einfachster N¨aherung ist dann die Wahrscheinlichkeitsamplitude durch (6.12) i

K(xb , τ ; xa , 0) ≃ e ~ S[˜x](xb ,xa ;τ ) , S[˜ x](xb , xa ; τ ) := S[˜ x](xb , τ ; xa , 0)

(10.79)

gegeben, wobei x ˜ die klassische Trajektorie f¨ ur die Bewegung zwischen den Umkehr¨ punkten xa und xb f¨ ur vorgegebene Zeit τ ist. Wir erhalten die Ubergangsamplitude zur vorgegebenen Energie, indem wir die semiklassische N¨aherung (10.79) in den Ausdruck (10.78) einsetzen und u ¨ber alle Zeiten τ integrieren. Auch die Wirkung am station¨aren Punkt wird sehr groß gegen¨ uber ~ sein, sodass wir auch dieses Integral mittels der Methode der station¨ aren Phasenapproximation ausf¨ uhren k¨onnen. Die Phase des τ -Integrals (bis auf einen Faktor 1/~), W (τ ) = S[˜ x](xb , xa ; τ ) + Eτ ,

(10.80)

wird station¨ar f¨ ur: dW ∂S[˜ x](xb , xa ; τ ) = +E =0. dτ ∂τ

(10.81)

Die Ableitung der Wirkung einer klassischen Trajektorie nach der Zeit (Periode) τ , die das Teilchen zum Durchlaufen der klassischen Trajektorie zwischen festen Anfangs- und Endkoordinaten xa und xb ben¨ otigt, ist nach der Hamilton-Jacobi’schen Differentialgleichung (6.17) ∂S[˜ x](xb , xa ; τ ) = −H[τ ](p, x) ∂τ gleich der negativen klassischen Energie H[τ ], die entlang der klassischen Trajektorie erhalten bleibt. Damit lautet die station¨ are Phasenbedingung (10.81): E = H[τ ](p, x)

(10.82)

Die station¨are Phasenbedingung im τ -Integral pickt“ damit aus allen m¨oglichen klas” sischen Trajektorien (d.h. mit allen m¨ oglichen Perioden τ ), die zwischen xa und xb

10.5 Pfadintegralberechnung des Transmissionskoeffizienten

207

verlaufen, diejenige heraus, f¨ ur welche die zugeh¨orige klassische Energie H[τ ](p, x) gerade mit der von außen vorgegebenen Energie E u ¨bereinstimmt. Die Periode τ der so herausgepickten klassischen Trajektorie ist somit durch die von außen vorgegebene Energie E bestimmt: τ = τ (E) . In unterster Ordnung station¨ arer Phasenapproximation erhalten wir damit f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude (10.78) i

K(xb , xa ; E) ≃ e ~ W (E) , wobei W (E) die Phase (10.80) am station¨ aren Punkt (10.82) ist.6 W (E) = (S[˜ x](xb , xa ; τ ) + H[τ ](˜ p.˜ x)τ )|τ =τ (E) .

(10.83)

Benutzen wir f¨ ur die Wirkung der klassischen Trajektorie x ˜(t) die Hamilton-Form, S[˜ x](xb , xa ; τ ) =

Zτ 0

dt (˜ px ˜˙ − H(˜ p, x˜)) ,

so finden wir W (E) =

τZ(E)

dt p˜(t)x ˜˙ (t) =

Zxb

dx p˜(x) .

xa

0

Damit erhalten wir f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass das Teilchen mit vorgegebener Energie E von xa nach xb l¨ auft:   x Zb i dx p˜(x) . K(xb , xa ; E) ≃ exp  ~ xa

Die hier auftretende Gr¨ oße p p˜(x) = 2m(E − V (x))

ist der klassische Impuls, der f¨ ur eine Bewegung unterhalb des Potentialberges (E < V (x)) rein imagin¨ ar wird: p˜(x) = i¯ p(x) ,

p¯(x) =

p 2m(V (x) − E) .

6 Aus mathematischer Sicht ist die Phase (10.83) gerade die Legendre-Transformation der klassischen Wirkung S[˜ x](xa , xb ; τ ) bez¨ uglich der Zeit τ , die das Teilchen entlang der klassischen Trajektorie x ˜(t) von xa nach xb ben¨ otigt, zur (erhaltenen) Energie E = H[τ ], welche das Teilchen auf dieser Trajektorie besitzt.

208

10 Eindimensionale Streuprobleme

Damit erhalten wir schließlich f¨ ur die gesuchte Wahrscheinlichkeitsamplitude:   Zxb 1 K(xb , xa ; E) ≃ exp − dx p¯(x) , ~ xa

wobei die xa,b nach wie vor die durch V (xa,b ) = E definierten klassischen Umkehrpunkte eines Teilchens mit Masse m und Energie E im Potential V (x) sind. Aus dieser Wahrscheinlichkeitsamplitude erhalten wir wie gew¨ohnlich die Wahrscheinlichkeit selbst, die hier den Transmissionskoeffizienten repr¨asentiert, durch Bildung des Betragsquadrates:   Zxa 2 T = |K(xb , xa , E)|2 ≃ exp − dx p¯(x) . (10.84) ~ xb

Dieser Ausdruck stimmt mit dem fr¨ uher gewonnenen Ergebnis (10.76)   I 1 T = exp − dx p¯(x) ~ u ¨berein. Die obige Pfadintegralableitung dieses Ergebnisses zeigt, dass dieser Ausdruck f¨ ur T nur f¨ ur eine semiklassisch verlaufende Bewegung g¨ ultig ist, d.h. f¨ ur große Potentialbarrieren, bei denen die Wirkung groß gegen¨ uber ~ ist. Bei der fr¨ uheren Ableitung kam die semiklassische N¨ aherung dadurch ins Spiel, dass wir beim Durchgang durch die Potentialbarriere nur den durchlaufenden Teil der Wellenfunktion ber¨ ucksichtigt haben, w¨ahrend wir den reflektierten Teil v¨ ollig vernachl¨assigten. Wie jedoch die Unterteilung des Potentialberges in infinitesimal kleine rechteckige Potentialbarrieren gezeigt hat, findet bei einem kontinuierlichen Potential eine Aufspaltung der Welle in einen durchgehenden und einen reflektierten Teil an jedem beliebigen Ort statt, an dem das Potential nicht konstant ist. Die an verschiedenen Orten reflektierten Wellen u ¨berlagern sich und f¨ uhren zu Interferenzerscheinungen, die wir in der semiklassischen N¨aherung vernachl¨assigt haben.

10.6

Feldemission von Elektronen

Als illustratives Beispiel f¨ ur den Tunneleffekt wollen wir die Feldemission der Elektronen aus einer Metalloberfl¨ ache betrachten. Durch die elektrostatische Wechselwirkung mit den positiv geladenen Atomkernen k¨ onnen die Elektronen i.A. bei Zimmertemperatur den Festk¨orper nicht verlassen. In elektrischen Leitern wie Metallen sind die Elektronen jedoch im Inneren frei beweglich und das Potential kann in guter N¨aherung innerhalb des Festk¨orpers als konstant betrachtet werden, w¨ahrend es an der Oberfl¨ache eine Potentialbarriere enthalten muss, um die Elektronen ins Innere des Festk¨orpers zu binden. Das Potential der Elektronen im Festk¨ orper hat deshalb qualitativ das in Abb. 10.21(a) dargestellte Verhalten.

10.6 Feldemission von Elektronen

209

V (x)

W

εF

V0

(a)

x

e− x (b) Abb. 10.21: Qualitative Form des Elektronenpotentials im Festk¨ orper: (a) bei Abwesenheit, (b) bei Anwesenheit eines von außen angelegten elektrischen Feldes. In (b) k¨ onnen die Elektronen e− die Potentialbarriere durchtunneln.

Der Einfachheit halber k¨ onnen wir annehmen, dass der Festk¨orper den Halbraum x < ullt, d.h. in y-, z- und negativer x-Richtung unendlich ausgedehnt ist 0 des 3 ausf¨ und seine Oberfl¨ache durch x = 0 (y-z-Ebene) gegeben ist. Die station¨aren Zust¨ande der Elektronen in diesem Potential sind deshalb ebene Wellen in y- und z-Richtung und stehende Wellen in x-Richtung. Nach dem sogenannten Pauli-Prinzip, welches in Band 2 hergeleitet wird, besetzen die Elektronen (bei Temperatur Null) sukzessive alle station¨aren Zust¨ ande jeweils einfach bis zu einer maximalen Energie εF , die als Fermi-Energie oder Fermi-Kante bezeichnet wird. Die Differenz dieser Energie zur H¨ohe der Potentialbarriere V0 ist die Energie, welche n¨otig ist, um ein Elektron aus der Metalloberfl¨ache herauszuschlagen, und wird als Austrittsarbeit W bezeichnet.

R

Das Elektronenpotential hat dann die Form einer Potentialstufe:  0 , x 0 Damit das Elektron die Metalloberfl¨ ache verlassen kann, muss es durch Energiezufuhr angeregt werden. Dies kann einmal geschehen, indem das Metall aufgeheizt wird. Die Elektronen erhalten dann eine zus¨ atzliche kinetische Energie und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist diese Energie gr¨ oßer als die Austrittsarbeit, sodass statistisch die Elektronen das Metall verlassen k¨ onnen. Zur thermischen Emission der Elektronen

210

10 Eindimensionale Streuprobleme

E

Abb. 10.22: Schematische Darstellung der Versuchsanordnung zur Feldemission von Elektronen.

muss der Festk¨orper auf sehr hohe Temperaturen aufgeheizt werden. Bei Zimmertemperaturen ist die thermische Emission vernachl¨assigbar. F¨ ur kleine Temperaturen kann man die Elektronen aus dem Metall schlagen durch Anlegen eines ¨außeren elektrischen Feldes, das zur Metalloberfl¨ ache hin gerichtet ist. Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass das elektrische Feld in einem idealen Leiter verschwindet, E = 0. Deshalb m¨ ussen die Feldlinien senkrecht auf der Metalloberfl¨ache stehen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass ein konstantes ¨ außeres elektrisches Feld vorliegt. Dieses l¨asst sich z.B. ahnlich wie in einem Plattenkondensator erzeugen. Wir schließen die Metalloberfl¨ache ¨ an den negativen Pol einer Spannungsquelle und bringen in einem gewissen Abstand zur Metalloberfl¨ ache eine Metallplatte parallel zur Oberfl¨ache des Festk¨orpers an und schließen sie an den positiven Pol (siehe Abb. 10.22). Die Feldlinien laufen dann von der zweiten Metallplatte senkrecht zur Metalloberfl¨ache. Das elektrische Feld hat damit die Gestalt E = −|E|ex ≡ Ex ex . Das elektrostatische Feld l¨ asst sich durch ein elektrisches Potential Φ(x) erzeugen: E(x) = −∇Φ(x). Integrieren wir diese Gleichung u ur das zugeh¨orige Potential: ¨ber den Ort, so finden wir f¨ Φ(x) − Φ(x0 ) =

Zx

dx′

x0

dΦ(x′ ) =− dx′

Zx

x0

dx′ Ex (x′ ) = x|E| − x0 |E| .

Der Einfachheit halber legen wir den Nullpunkt des elektrostatischen Potentials bei x = 0 fest: Φ(x = 0) = 0



Das Potential nimmt damit die Gestalt Φ(x) = x|E|

Φ(x0 ) = x0 |E| .

10.6 Feldemission von Elektronen

211

an. Eine Ladung q = −e besitzt im elektrostatischen Potential Φ(x) die potentielle Energie U (x) = qΦ(x) = −eΦ(x) ,

e>0,

die wir zum Potential des Festk¨ orpers hinzuaddieren m¨ ussen. Damit lautet das Potential der Elektronen im Festk¨ orper bei Anwesenheit des ¨außeren Feldes: V (x) = V0 − xe|E| .

(10.85)

Dieses Potential ist in Abb. 10.21(b) dargestellt. Durch Anlegen des ¨außeren Feldes wird die (im Gebiet x > 0) unendlich ausgedehnte Potentialstufe abgesenkt und die Elektro¨ nen werden von dem Außeren der Metalloberfl¨ache nur durch eine endliche Potentialbarriere getrennt. Diese k¨ onnen sie durchtunneln. F¨ ur ein Elektron mit der Energie E ist die Breite der Barriere x ¯ durch den klassischen Umkehrpunkt E = V (¯ x) = V0 − x ¯e|E|

(10.86)

gegeben, d.h. x¯ =

V0 − E W = , e|E| e|E|

(10.87)

wobei W = V0 − E wiederum die Austrittsarbeit f¨ ur ein Elektron der Energie E ist. Setzen wir die explizite Form des Potentials V (x) (10.85) und der Energie des Elektrons E (10.86) in den Ausdruck f¨ ur den Transmissionskoeffizienten (10.84) ein, so finden wir:     Zx¯ Zx¯ p p 2 2 x)) T = exp − dx 2m(V (x) − E) = exp − dx 2m(V (x) − V (¯ ~ ~ 0 0     Zx¯ p 2 3/2 2p 2   x − x)e|E| = exp − 2me|E| x = exp − dx 2m(¯ . ¯ ~ ~ 3 0

Nach Einsetzen von (10.87) erhalten wir f¨ ur den Transmissionskoeffizienten: ! √ 4 2m W 3/2 T = exp − . 3 e~ |E|

(10.88)

Die Tunnelwahrscheinlichkeit der Elektronen durch die Barriere ist umso kleiner, je gr¨ oßer die erforderliche Austrittsarbeit W ist. Setzt man f¨ ur die Naturkonstanten e, m und ~ ihre numerischen Werte ein, so findet man f¨ ur die Tunnelwahrscheinlichkeit: !  3/2 V/m W 9 . T = exp −6, 83 · 10 eV |E| Die Austrittsarbeit betr¨ agt in typischen Metallen 2 - 6 eV. Um eine Tunnelwahrscheinlichkeit von der Ordnung 1 zu erhalten, ben¨ otigen wir daf¨ ur eine elektrische Feldst¨arke |E| ≃ 1010 V/m .

212

10 Eindimensionale Streuprobleme

Feldst¨arken dieser Gr¨ oßenordnung lassen sich i.A. nur sehr schwer mit planaren Leiterplatten erreichen. Man kann diese großen Feldst¨arken jedoch sehr einfach in der N¨ahe von Metallspitzen erzeugen, wo aufgrund der großen Kr¨ ummung die Dichte der Feldlinien sehr groß und das Feld damit sehr stark wird. Ferner sei bemerkt, dass die Tunnelwahrscheinlichkeit i.A. wegen Oberfl¨ acheneffekten gr¨oßer ist als Gl. (10.88) besagt: An nicht-planaren Metalloberfl¨ achen ist die elektrische Feldst¨arke lokal wesentlich gr¨oßer als der als konstant angenommene mittlere Wert. Die durch das ¨außere Feld induzierte Tunnelung der Elektronen aus der Metalloberfl¨ache ist die Grundlage f¨ ur die Feldemissionsmikroskopie bzw. Tunnelrastermikroskopie. Bei diesen Verfahren gelingt es, ein vergr¨ oßertes Bild der Metalloberfl¨ache zu erreichen und Feinheiten bzw. Unregelm¨ aßigkeiten auf der Oberfl¨ache sichtbar zu machen. V (r)

E

R

r

Abb. 10.23: Qualitativer Verlauf des Potentials eines α-Teilchens in einem bez¨ uglich α-Zerfall instabilen Atomkern. R ist der Kernradius. Wegen der kurzen Reichweite der Kernkr¨ afte ist das Potential im Außenraum allein durch das Coulomb-Potential der Protonen des Atomkerns gegeben.

Ein weiteres Anwendungsbeispiel der Tunnelung eines Teilchens durch eine Barriere stellt der radioaktive α-Zerfall dar. Ein α-Teilchen (Helium-Kern) im Kern sp¨ urt zum einen die abstoßende langreichweitige Coulomb-Wechselwirkung mit dem Rest des Atomkerns, zum anderen die attraktive kurzreichweitige starke Wechselwirkung, auf welche wir hier nicht n¨ aher eingehen wollen. Das Gesamtpotential hat qualitativ die in Abb. 10.23 dargestellte Gestalt. Durch Wechselspiel von Coulomb- und Kernkr¨aften kommt es zur Ausbildung einer Barriere, die das α-Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durchtunneln kann. Ein ¨ ahnliches Potential liegt bei der Kernspaltung schwerer Atomkerne vor.

11

Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

In der klassischen Mechanik l¨ asst sich jede physikalische Gr¨oße (Observable) als Funktion der (verallgemeinerten) Orts- und Impulsvariablen schreiben. Eine physikalische Observable stellt hier somit eine Phasenraumfunktion A(x, p) dar. Ferner legt ein Punkt (x, p) im Phasenraum eindeutig den Zustand eines klassischen Systems fest. Einen klassischen Zustand k¨ onnen wir also durch einen Punkt im Phasenraum Π = (x, p) , definieren. Die zeitliche Entwicklung des Phasenraumpunktes wird dann durch die kanonischen Bewegungsgleichungen x˙ =

∂H ∂p

,

p˙ = −

∂H ∂x

beschrieben. Dies sind Differentialgleichungen erster Ordnung, die bei gegebenen Anfangsbedingungen f¨ ur x und p, d.h. f¨ ur einen gegebenen Anfangszustand Π(t = t0 ), den sp¨ ateren Zustand Π(t > t0 ) eindeutig festlegen. In der Quantenmechanik hatten wir hingegen gefunden, dass Ort und Impuls nicht gleichzeitig scharf messbar sind. Wir hatten auch bereits festgestellt, dass die Unsch¨arfe eines Messergebnisses durch die Einwirkung des Messapparates auf das zu messende Objekt hervorgerufen wird. Der Messprozess zur Bestimmung einer Observablen ver¨andert i.A. den Zustand des Systems1 (was wir ausf¨ uhrlicher in Kap. 12 besprechen werden). ¨ Die zugeh¨orige Anderung der Wellenfunktion kann nur durch die Wirkung eines Operators erreicht werden. Folglich m¨ ussen in der Quantenmechanik Observable durch Operatoren repr¨asentiert werden. Dies haben wir bereits explizit f¨ ur den Impuls und die Energie gefunden. Eine besondere Rolle spielen die Zust¨ ande ψ, die durch den Messprozess (bis auf Normierung) nicht ver¨andert werden, d.h. bei Wirkung des Messoperators A auf den Zustand ψ wird dieser bis auf einen numerischen Faktor a reproduziert: Aψ = aψ . Solche Zust¨ande ψ heißen Eigenzust¨ande des Messoperators A. Die zugeh¨orige Observable hat dann einen wohldefinierten Wert, den Eigenwert a des Operators A. Wiederholung der Messung liefert denselben Wert. Die quantenmechanische Vorhersage der 1 In der klassischen Mechanik ist der Einfluss der Messapparatur auf das zu messende Objekt vernachl¨ assigbar.

214

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Messung besitzt dann nicht mehr Wahrscheinlichkeitscharakter, sondern liefert einen determinierten Wert. Im Allgemeinen lassen sich jedoch nur f¨ ur einige Observablen gleichzeitig scharfe Messwerte angeben. F¨ ur die u ¨brigen sind nur Wahrscheinlichkeitsaussagen m¨oglich; f¨ ur eine zu der gemessenen Observablen konjugierte Observable, wie zum Ort der Impuls, werden wir eine unendliche Unsch¨arfe erhalten. Wir definieren deshalb einen (reinen) quantenmechanischen Zustand als einen maximalen Satz von vertr¨aglichen Messwerten, d.h. von gleichzeitig messbaren Eigenschaften des quantenmechanischen Systems. Die quantenmechanischen Zust¨ande, insbesondere ihre Ver¨anderung infolge eines Messprozesses werden ausf¨ uhrlicher in Kap. 12 besprochen. Bei der Untersuchung der Erwartungswerte von physikalisch messbaren Gr¨oßen haben wir festgestellt, dass sich sowohl die Wellenfunktion als auch die zu den physikalischen Observablen geh¨ orenden Operatoren als Funktionen entweder des Ortes oder des Impulses ausdr¨ ucken lassen. Dies hatten wir als Orts- bzw. Impulsraumdarstellung bezeichnet. Ausgehend von dieser Feststellung k¨ onnen wir vermuten, dass eine allgemeine Darstellung und abstrakte Formulierung der Quantenmechanik m¨oglich ist, in der Orts- und Impulsraum nur zwei konkrete Realisierungen der Darstellungen sind. Eine solche abstrakte Formulierung gelingt mittels der Theorie des Hilbert-Raumes. Ein Hilbert-Raum ist ein spezieller komplexer Vektorraum, dessen Elemente (Vektoren) Funktionen sind und der deshalb auch als Funktionenraum bezeichnet wird. Jedes quantenmechanische System wird durch einen Hilbert-Raum beschrieben und die Wellenfunktionen sind Vektoren dieses Hilbert-Raumes.

Wie wir fr¨ uher auch bereits gesehen haben, besitzen physikalische Observablen wie Ort und Impuls in verschiedenen Darstellungen unterschiedliche Operatorrealisierungen. Der Ortsoperator ist trivial im Ortsraum, wo er durch die Ortskoordinate gegeben ist; er wird aber im Impulsraum zum Differentialoperator. Je nach physikalischer Fragestellung ist es deshalb zweckm¨ aßig, diese oder jene Darstellung zu benutzen, und eine allgemeine Darstellungstheorie der Quantenmechanik scheint daher sinnvoll. Diese soll im Folgenden entwickelt werden.

11.1

Der Hilbert-Raum

Die Theorie des Hilbert-Raumes bildet das mathematische Ger¨ ust f¨ ur die Quantentheorie. Sie erlaubt eine darstellungsunabh¨ angige Formulierung der Quantenmechanik. Jedes Quantensystem wird durch einen Hilbert-Raum beschrieben. Die Wellenfunktionen (Zust¨ande) sind Elemente (Vektoren) des Hilbert-Raumes. Physikalische Observablen werden durch Operatoren auf dem Hilbert-Raum repr¨asentiert, die auf die Wellenfunktionen (Zust¨ande) wirken. Im Folgenden werden die wesentlichen Eigenschaften des Hilbert-Raumes zusammengestellt, die f¨ ur die Quantenmechanik relevant sind.

11.1 Der Hilbert-Raum

215

Definition des Hilbert-Raumes Eine Menge von abstrakten Elementen ϕ, ψ, χ, . . . nennt man einen Hilbert-Raum , wenn folgende Axiome gelten:

H

H ist ein linearer Raum 2) H ist ein unit¨arer Raum 3) H ist vollst¨andig

1)

Im Folgenden sollen diese Begriffe n¨ aher erl¨ autert werden.

H H

1) ist ein linearer Raum, d.h. ein komplexer Vektorraum: Auf sind die Operationen der Vektor-Addition und der Multiplikation mit komplexen Zahlen definiert, und diese Operationen gen¨ ugen den gew¨ohnlichen Regeln der Vektoralgebra: ϕ, ψ ∈

H,

c1 , c2 ∈

C



c1 ϕ + c2 ψ ∈

H.

• Diese beiden Verkn¨ upfungen sind i) kommutativ: ϕ+ψ ii) assoziativ: ϕ + (ψ + χ) bzw. transitiv: c1 (c2 ϕ) iii) distributiv: c(ϕ + ψ) (c1 + c2 )ϕ

= = = = =

 ψ+ϕ   (ϕ + ψ) + χ   ∀ϕ, ψ, χ ∈ (c1 c2 )ϕ ∀c, c1 , c2 ∈   cϕ + cψ   c1 ϕ + c2 ϕ

• Unter Multiplikation mit dem Einselement von reproduziert: 1ϕ = ϕ

∀ϕ ∈

C wird jeder Vektor aus H

H.

• Ferner existiert ein neutrales Element o ∈ schaft: ϕ+o =ϕ ,

H, C.

∀ϕ ∈

H, der Nullvektor , mit der Eigen-

H.

H existiert ein inverses Element −ϕ ∈ H, sodass gilt: ϕ + (−ϕ) = o , ∀ϕ ∈ H .

• Zu jedem Element ϕ ∈

216

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Aus diesen Axiomen ergeben sich unmittelbar folgende Eigenschaften:  co = o  ∀ϕ ∈ , 0ϕ = o ∀c ∈ . (−1)ϕ = −ϕ 

H C

Eine Menge von Elementen ϕ1 , ϕ2 , . . . , ϕn ∈ hung n X

H heißt linear unabh¨angig, falls die Bezie-

ci ϕi = 0

i=1

C

mit ci ∈ sich nur mit den Koeffizienten ci = 0 (f¨ ur alle i = 1, 2, . . . , n) erf¨ ullen l¨asst. Anderenfalls heißen die Elemente ϕi linear abh¨angig. Die maximale Anzahl von linear unabh¨angigen Elementen in bezeichnet man als die Dimension von (vergleiche mit dem dreidimensionalen Vektorraum 3 ). In der Quantenmechanik haben wir es meistens mit (abz¨ ahlbar) unendlich dimensionalen Hilbert-R¨aumen zu tun.

H

2)

H

R

H ist ein unit¨arer Raum, d.h. ein linearer Raum mit einem Skalarprodukt: • Ein Skalarprodukt oder inneres Produkt ist eine Abbildung H × H 7→ C, die jedem Paar von Elementen ϕ, ψ ∈ H eine komplexe Zahl (ϕ, ψ) ∈ C zuordnet, wobei die folgenden Eigenschaften erf¨ ullt sein m¨ ussen:

Hermitizit¨ at : (ϕ, ψ) = (ψ, ϕ)∗  Linearit¨ at im zweiten : (ϕ, a ψ) = a (ϕ, ψ) ii) Argument : (ϕ, ψ + χ) = (ϕ, ψ) + (ϕ, χ) iii)

i)

iv)

Positive Definitheit

:

(ϕ, ϕ) ≥ 0

Aus i) und ii) bzw. aus i) und iii) folgt unmittelbar: ) (cϕ, ψ) = c∗ (ϕ, ψ) ∀ϕ, ψ, χ ∈ (ϕ + ψ, χ) = (ϕ, χ) + (ψ, χ) ∀c ∈ .

C

und (ϕ, ϕ) = 0

=⇒

ϕ = o.

H,

Damit ist das Skalarprodukt antilinear im ersten Argument. Man nennt ein Skalarprodukt daher auch eine Sesquilinearform bzw. eine Bilinearform im Fall reeller Vektorr¨aume. Desweiteren impliziert i), dass: (ϕ, ϕ) ∈

R.

Da 0 ϕ = o in jedem Vektorraum, folgt weiterhin aus ii): (ϕ, o) = 0 .

11.1 Der Hilbert-Raum

217

Bemerkung: Das eben eingef¨ uhrte Skalarprodukt ist eine direkte Verallgemeinerung des aus der linearen Algebra bekannten (euklidischen) Skalarproduktes zwischen zwei Vektoren a und b eines reellen Vektorraumes (z.B. des n ),

R

(a, b) ≡ a · b =

n X

ai b i ,

i

auf einen komplexen Vektorraum. Mittels des Skalarproduktes k¨onnen wir bekanntlich die L¨ ange oder die Norm von Vektoren im n definieren, √ kak ≡ |a| = a · a ,

R

die hier auch als Betrag bezeichnet wird. Ferner definiert die Norm auch den Abstand zweier Vektoren im n als |a − b| .

R

Analog hierzu induziert das Skalarprodukt auf nat¨ urliche Weise eine Norm f¨ ur Elemente ϕ∈ ,

H

kϕk :=

p (ϕ, ϕ) .

(11.1)

Nach Regel iv) f¨ ur Skalarprodukte ist das Argument der Wurzel niemals negativ. Mit Hilfe der Norm l¨asst sich der Abstand zweier Elemente ϕ, ψ ∈ definieren als:

H

kϕ − ψk .

H

Diese Definition erf¨ ullt die Rechenregeln einer Metrik und macht somit zum topologischen Raum. Ein Vektor ϕ ∈ heißt normiert oder Einheitsvektor, wenn gilt:

H

kϕk = 1 . Zwei Vektoren ϕ, ψ ∈

H heißen orthogonal, wenn ihr Skalarprodukt verschwindet,

(ϕ, ψ) = 0 . Man schreibt in diesem Fall auch ϕ ⊥ ψ. F¨ ur das Skalarprodukt zweier Vektoren ϕ, ψ ∈ gilt die Schwarz’sche Ungleichung

H

|(ϕ, ψ)| ≤ kϕk kψk .

(11.2)

Gleichheit gilt genau dann, wenn ϕ und ψ linear abh¨angig (parallel) sind, d.h. ψ = c ϕ mit c ∈ .

C

218

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Bemerkung:

R

ur das Skalarprodukt zweier Vektoren a und b Im 3 gilt bekanntlich f¨ die Beziehung a · b = |a| |b| cos γ , wobei γ der zwischen den beiden Vektoren aufgespannte Winkel ist. Mit | cos γ| ≤ 1 folgt hieraus unmittelbar die Schwarz’sche Ungleichung.

Beweis der Schwarz’schen Ungleichung: Gl. (11.2) ist offenbar erf¨ ullt f¨ ur ϕ = o, da (o, ψ) = 0 und kok = 0. F¨ ur ϕ 6= o zerlegen wir ψ in einen Anteil parallel zu ϕ und einen Anteil orthogonal zu ϕ: ψ = cϕ + χ

,

(ϕ, χ) = 0 .

(11.3)

Es folgt: (ϕ, ψ) = (ϕ, cϕ + χ) = c(ϕ, ϕ) + (ϕ, χ) = c(ϕ, ϕ) und damit finden wir f¨ ur den Entwicklungskoeffizienten die bereits aus der linearen Algebra bekannte Beziehung c=

(ϕ, ψ) . (ϕ, ϕ)

(11.4)

Berechnen wir die Norm von ψ, so erhalten wir mit Gl. (11.3): (ψ, ψ) = (c ϕ + χ, c ϕ + χ) = (c ϕ + χ, c ϕ) + (c ϕ + χ, χ) = (c ϕ, c ϕ) + (χ, c ϕ) + (c ϕ, χ) + (χ, χ) = c∗ c (ϕ, ϕ) + (χ, χ) ≥ |c|2 (ϕ, ϕ) , wobei das Gleichheitszeichen nur f¨ ur χ = o gilt. Setzen wir f¨ ur c den expliziten Wert aus (11.4) ein, erhalten wir: |(ϕ, ψ)|2 ≤ (ϕ, ϕ) (ψ, ψ) , oder nach Ziehen der Wurzel die zu beweisende Beziehung (11.2). Das Gleichheitszeichen gilt offenbar nur, wenn ψ = cϕ, d.h. ψ und ϕ linear abh¨angig sind. 

11.1 Der Hilbert-Raum

219

Aus der Schwarz’schen Ungleichung folgt die Dreiecksungleichung kϕ + ψk ≤ kϕk + kψk ,

(11.5)

wie sich leicht zeigen l¨ asst: kϕ + ψk2 = (ϕ + ψ, ϕ + ψ) = (ϕ, ϕ) + (ψ, ψ) + (ϕ, ψ) + (ψ, ϕ) = kϕk2 + kψk2 + 2Re{(ϕ, ψ)} ≤ kϕk2 + kψk2 + 2|(ϕ, ψ)|

(11.2)

≤ kϕk2 + kψk2 + 2kϕk kψk = (kϕk + kψk)2 .

¨ Ahnlich beweist man die sog. Dreiecksregel nach unten: kϕk − kψk ≤ kϕ + ψk .

Aus der Dreiecksungleichung folgt unmittelbar f¨ ur drei Vektoren ϕ1 , ϕ2 , ϕ3 ∈

H:

kϕ1 − ϕ3 k ≤ kϕ1 − ϕ2 k + kϕ2 − ϕ3 k . Die Dreiecksungleichung gilt also auch f¨ ur die Abst¨ande, so dass die Abstandsfunktion tats¨achlich eine Metrik definiert. Zum Beweis setzen wir kϕ1 − ϕ3 k = k(ϕ1 − ϕ2 ) + (ϕ2 − ϕ3 )k in die Dreiecksungleichung (11.5) ein.

Bemerkung: Wir haben oben gesehen, dass das Skalarprodukt auf nat¨ urliche Weise eine Norm in induziert. In unit¨aren R¨aumen gilt allerdings auch die Umkehrung, d.h. das Skalarprodukt kann durch die Norm mit Hilfe der sog. Polarisationsgleichung ausgedr¨ uckt werden:2

H

(ϕ, ψ) =

o 1n kϕ+ψk2 −kϕ−ψk2 +i ki ϕ+ψk2 −i ki ϕ−ψk2 . (11.6) 4

Man k¨onnte vermuten, dass durch diese Gleichung in jedem normierten Raum ein Skalarprodukt definiert werden k¨onnte, d.h. dass Norm und Skalarprodukt a ¨quivalente Begriffe sind. Diese Vermutung ist jedoch falsch, denn die durch die rechte Seite von Gl. (11.6) definierte Abbildung erf¨ ullt i.a. nicht die Axiome eines Skalarproduktes. Offenbar haben Normen, die aus einem Skalarprodukt abgeleitet sind, zus¨atzliche

220

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Eigenschaften. So gilt etwa in einem unit¨aren Raum die ParallelogrammGleichung: kϕ + ψk2 + kϕ − ψk2 = 2kϕk2 + 2kψk2 .

(11.7)

Diese Relation gilt f¨ ur allgemeine Normen nicht. Umgekehrt kann man zeigen, dass in einem normierten Raum, dessen Norm Gl. (11.7) erf¨ ullt, mittels Gl. (11.6) tats¨ achlich ein Skalarprodukt definiert und der normierte Raum somit unitarisiert werden kann.

3)

H ist ein vollst¨andiger Raum:

Grundlage der Analysis in Hilbert-R¨ aumen ist der Begriff des Grenzwertes einer Folge von Vektoren, der wie u ¨blich u ¨ber die Metrik bzw. Norm definiert wird: • Eine Folge {ϕn } in

H konvergiert gegen ϕ ∈ H, falls

lim kϕn − ϕk = 0 .

n→∞

Dieses Kriterium erfordert allerdings eine Information, die nicht in der Folge selbst enthalten ist, n¨amlich die Kenntnis des potentiellen Grenzwertes ϕ. Eine grenzwertfreie Definition von Konvergenz geht davon aus, dass sich die Folgeglieder in konvergenten Folgen asymptotisch immer ¨ ahnlicher werden: • Eine Folge {ϕn } heißt daher in sich konvergent oder Cauchy-Folge, falls zu jedem ε > 0 ein N (ε) ∈ existiert, so dass

N

kϕn − ϕm k < ε ,

∀ n, m > N (ε)

gilt. Jede konvergente Folge ist auch eine Cauchy-Folge, allerdings gilt die Umkehrung i.A. der rationalen Zahlen zeigt nicht, wie das Beispiel (1 + 1/n)n im Raum  n 1 lim 1 + (11.8) = e 6∈ . n→∞ n

Q

Q

Es gibt also Folgen rationaler Zahlen, die in sich konvergent sind, aber deren Grenzwert selbst liegt; in diesem Sinne ist nicht vollst¨andig. Umgekehrt wird ein nicht in Raum wie die reellen Zahlen , in dem jede Cauchy-Folge einen Grenzwert hat, als vollst¨andig bezeichnet:

Q

R

Q

2 Man uberzeugt sich leicht, dass f¨ ur die u ¨ ¨ber das Skalarprodukt definierte Norm (11.1) diese Gleichung identisch erf¨ ullt ist.

11.1 Der Hilbert-Raum

221

H H

H

• Ein Hilbert-Raum ist vollst¨andig, d.h. jede Cauchy-Folge {ϕn } in konvergiert gegen ein Element ϕ ∈ . Mit anderen Worten: Falls eine Folge {ϕn } von Elementen aus der Bedingung

H

kϕn − ϕm k → 0 f¨ ur m, n → ∞ gen¨ ugt, so existiert ein Element ϕ ∈

H mit:

kϕn − ϕk → 0 . Aus der Vollst¨andigkeit l¨ asst sich die Existenz einer Basis folgern, die hier wie folgt definiert ist:

H

• Eine Folge von paarweise orthogonalen Vektoren {ϕ1 , ϕ2 , ϕ3 , . . . } in heißt nur der Nullvektor orthogonal Hilbert-Basis (oder einfach Basis), wenn in zu allen Folgenmitgliedern ist:

H

(ϕi , ψ) = 0 ,

∀i ∈

N

=⇒

ψ=o.

Eine Hilbert-Basis besteht somit stets aus linear unabh¨angigen Vektoren, ist aber nicht maximal im algebraischen Sinne, da nicht alle Vektoren aus als endliche Linearkombinationen der Basiselemente (d.h. Linearkombinationen endlich vieler Basiselemente) darstellbar sein m¨ ussen. Die M¨achtigkeit (d.h. die Anzahl der Basisvektoren) jeder (Hilbert-)Basis in ist gleich und entspricht der oben algebraische definierten Dimension von . In der Quantentheorie werden wir es meistens mit unendlich dimensionalen Hilbert-R¨aumen zu tun haben.

H

H

H

Hilbert-Basen werden auch vollst¨andige Orthogonalsysteme genannt. Der Begriff der Vollst¨andigkeit bedeutet hier, dass jedes Element ψ ∈ nach der Basis zerlegt werden kann: X (11.9) ψi ϕi , ψi ∈ , ψ=

H

C

i

H

wobei h¨ochstens abz¨ ahlbar viele Koeffizienten ψi 6= 0 sind. Jedes Element ψ ∈ wird vollst¨andig durch seine Entwicklungskoeffizienten ψi ∈ bez¨ uglich einer vollst¨andigen Basis {ϕi } bestimmt. In Anlehnung an die lineare Algebra bezeichnen wir ein Element ψ ∈ als Hilbert-Vektor und die Entwicklungskoeffizienten ψi als seine Koordinaten bez¨ uglich der Basisvektoren {ϕi }.

C

H

Entfernt man einige Elemente aus einer vollst¨ andigen Basis eines unendlich dimensionalen Hilbert-Raumes, so verbleiben i.A. immer noch unendlich viele Basiselemente, aber die Restmenge muss nicht mehr vollst¨ andig sein.

222

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Beispiel: Der Raum der u ¨ber dem Intervall −1 ≤ x ≤ 1 stetigen Funktionen mit dem Skalarprodukt (ϕ, ψ) =

Z1

dx ϕ∗ (x)ψ(x)

−1

ist ein Hilbert-Raum; eine vollst¨ andige Basis ist durch die Funktionen ϕ2n (x) = cos(nπx) , ϕ2n−1 (x) = sin(nπx) ,

n = 0, 1, 2, . . . n = 1, 2, 3, . . .

gegeben. Jede auf [−1, 1] stetige Funktion ϕ l¨asst sich nach dieser Basis entwickeln. Entfernt man z.B. die Sinusfunktionen ϕ2n+1 , so bleiben immer noch abz¨ ahlbar unendlich viele Basiselemente ϕ2n u ¨brig, die Restmenge ist jedoch nicht mehr vollst¨andig, da sich die ungeraden Funktionen ϕ(−x) = −ϕ(x) nicht durch die geraden Kosinusfunktionen ausdr¨ ucken lassen.

Entwicklung nach einem vollst¨andigen orthonormierten System Die Elemente einer Hilbert-Basis {ϕi } k¨ onnen o.B.d.A. als orthonormiert angenommen werden (ϕi , ϕk ) = δik ,

(11.10)

da sich jede Menge linear unabh¨ angiger Vektoren mittels des Gram-Schmidt’schen Verfahrens orthonormieren l¨ asst. Eine normierte Hilbert-Basis wird als vollst¨andiges Orthonormalsystem (VONS) bezeichnet. In einem solchen VONS nehmen die Koordinaten ψi des Hilbert-Vektors ψ eine besonders einfache Gestalt an. Bilden wir das Skalarprodukt des Basisvektors ϕk mit ψ (11.9) und benutzen die Orthonormierungsbedingung (11.10), so finden wir: X X X ψi δki = ψk . ψi (ϕk , ϕi ) = ψi ϕi ) = (ϕk , ψ) = (ϕk , i

i

i

Die Koordinaten sind deshalb durch ψk = (ϕk , ψ) gegeben und der Hilbert-Vektor ψ besitzt die Zerlegung X ψ= (ϕk , ψ)ϕk .

(11.11)

(11.12)

k

Aufgrund der Vollst¨ andigkeit des Hilbert-Raumes handelt es sich hierbei um eine konvergente Reihe, d.h. h¨ ochstens abz¨ ahlbar viele Koordinaten (11.11) sind von Null verP schieden, und es gilt i |ψi |2 < ∞. Genauer gilt f¨ ur jedes Orthonormalsystem (ONS)

11.1 Der Hilbert-Raum

223

die Bessel’sche Ungleichung X X |ψk |2 = |(ϕk , ψ)|2 ≤ kψk2 k

k

∀ψ ∈

H.

(11.13)

Das ONS ist vollst¨ andig (also eine Hilbert-Basis), wenn in (11.13) das Gleichheitszeichen steht, d.h. wenn die Parseval’sche Gleichung gilt, X kψk2 = |(ϕk , ψ)|2 ∀ψ ∈ . (11.14)

H

k

F¨ ur die Quantenmechanik ist besonders relevant der Hilbert-Raum tegrablen Funktionen, f¨ ur welche Z∞

−∞

L2 der quadratin-

dx |ϕ(x)|2 < ∞

gilt. F¨ ur diesen Raum ist das Skalarprodukt durch

(ϕ, ψ) :=

Z∞

dx ϕ∗ (x)ψ(x)

−∞

definiert, wobei das Integral im Lebesgue’schen Sinn zu verstehen ist und fast u ¨berall gleiche Funktionen zu identifizieren sind. Man u uft leicht, dass alle in der Defini¨berpr¨ tion des Hilbert-Raumes spezifizierten Bedingungen an das Skalarprodukt durch obige Definition erf¨ ullt werden. In der Quantenmechanik wird dieses Skalarprodukt f¨ ur zwei ¨ (verschiedene) Wellenfunktionen auch als Uberlappungsintegral bezeichnet. Bemerkung: 1) In der Quantenmechanik fordert man gew¨ohnlich noch zus¨atzlich, separabel ist, d.h. besitzt eine abz¨ahldass ein Hilbert-Raum bar dichte Teilmenge B = {ϕn }. Dies bedeutet, dass die Teilmenge B jedem Hilbert-Vektor ϕ ∈ beliebig nahe kommt: zu jedem ε > 0 existiert ein ϕn ∈ B so dass kϕn − ϕk < ε. In separablen Hilbert-R¨ aumen hat jede Basis eine abz¨ahlbare Anzahl von Elementen. Zusammen mit der Tatsache, dass Hilbert-R¨aume gleicher Dimension isomorph sind, folgt also, dass es bis auf Isomorphie nur zwei Hilbert-R¨ aume mit unendlicher Dimension gibt: (i) separable Hilbert-R¨ aume mit abz¨ ahlbar unendlicher Dimension und (ii) nicht-separable Hilbert-R¨ aume mit nicht-abz¨ahlbar unendlicher Dimension.

H

H

H

224

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

2) Etwas allgemeiner als der Hilbert-Raum ist der sog. Banach-Raum ¨ , also ein vollst¨ andiger normierter Raum. Die einzige Anderung gegen¨ uber einem Hilbert-Raum besteht darin, dass die Norm nicht von einem Skalarprodukt stammen muss, d.h. die Parallelogrammgleichung (11.7) muss im Banach-Raum nicht gelten und kein Skalarprodukt muss definiert sein. Das Axiom 2) des Hilbert-Raumes ( ist ein unit¨ arer Raum) wird dann durch die schw¨achere Forderung 2’) ersetzt:

B

H

2’)

B ist ein normierter Raum, d.h. jedem Element ϕ ∈ B ist eine

nicht-negative reelle Zahl kϕk, seine Norm, zugeordnet, sodass gilt:  i) kϕ + ψk ≤ kϕk + kψk  ∀ ϕ, ψ ∈ , ii) kcϕk = |c| kϕk ∀c ∈ .  iii) kϕk = 0 ⇒ ϕ = o

C

B

Jeder Hilbert-Raum ist ein Banach-Raum, aber die Umkehrung gilt nicht. Ein Beispiel f¨ ur einen Banach-Raum ist der Raum der p-integrierbaren Funktionen p6=2 :

L

Z∞

−∞

11.2

dx |ϕ(x)|p < ∞ .

Operatoren im Hilbert-Raum

Wir haben bereits fr¨ uher festgestellt, dass physikalische Observablen, wie z.B. der Impuls, in der Quantenmechanik durch Operatoren dargestellt werden. Aus theoretischer Sicht entspricht die Messung einer physikalischen Observablen an einem durch die Wellenfunktion ψ beschriebenen System der Wirkung des zugeh¨origen Operators auf die Wellenfunktion. So wie eine Messung den Zustand eines quantenmechanischen Systems ver¨andert, wird auch die Wirkung des Operators auf die Wellenfunktion diese ver¨andern. Wir wollen jetzt diese Operatoren etwas genauer aus mathematischer Sicht untersuchen. Da die Theorie linearer Operatoren auf Hilbert-R¨aumen recht umfangreich ist, sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Resultate ohne Beweis zusammengestellt werden.

Definition der Operatoren Unter einem Operator A versteht man eine Abbildungsvorschrift, die jedem Element ϕ aus einer Teilmenge DA ⊆ eines Raums , dem Definitionsbereich, eindeutig ein Element ψ aus einer Teilmenge WA ⊆ eines zweiten Raums ,

H

H K

K

11.2 Operatoren im Hilbert-Raum

225

dem Wertebereich, zuordnet: A : DA → WA , Hierbei wird

ϕ 7→ ψ = Aϕ .

H als Definitionsraum und K als Werteraum bezeichnet.

Zwei Operatoren A1 und A2 sind identisch, A1 = A2 , wenn sie denselben Definitiur Summen von onsbereich besitzen und A1 ϕ = A2 ϕ f¨ ur alle ϕ ∈ DA1 = DA2 gilt. F¨ Operatoren gilt das Distributivgesetz: (A1 + A2 )ϕ = A1 ϕ + A2 ϕ ,

∀ϕ ∈ DA1 ∩ DA2 .

Außerdem wirken sie transitiv: (A1 A2 )ϕ = A1 (A2 ϕ) ,

∀ϕ ∈ DA2 ,

WA2 ⊆ DA1 .

Das Kommutativgesetz gilt bei Operatoren i.A. nicht, wie wir fr¨ uher bereits gefunden haben. Sofern WA ⊆ DA kann man Operatorpotenzen An bilden, und die Operatormultiplikation ist stets assoziativ, A(BC) = (AB)C ≡ ABC auf DABC . Oft werden der Definitionsraum und der Werteraum identisch sein; man spricht dann von Operatoren in . Andererseits gibt es auch wichtige Operatoren bei denen ein Funktionenraum und der Raum der reellen oder komplexen Zahlen ist; solche Operatoren → nennt man Funktionale (siehe Anhang D). Spezielle Operatoren in jedem Raum sind der Null- und der Einsoperator:  ˆ 0ϕ =o Nulloperator: ∀ϕ ∈ . ˆϕ =ϕ Einsoperator: 1

H K H

H K

H

K

H

H

F¨ ur die Quantenmechanik sind i.A. nur die linearen Operatoren relevant.

Lineare Operatoren Ein Operator A heißt linear, wenn sein Definitionsbereich DA ein linearer Teilraum von ist und er außerdem additiv und homogen ist, d.h. es gilt:  additiv: A(ϕ1 + ϕ2 ) = Aϕ1 + Aϕ2 ∀ϕ, ϕ1 , ϕ2 ∈ DA , homogen: Acϕ = cAϕ ∀c ∈ .

H

C

Ein linearer Operator ist z.B. der Impulsoperator pˆ =

~ d , i dx

(11.15)

226

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

denn f¨ ur ihn gilt: ~ ′ (ϕ + ϕ′2 ) = pˆϕ1 + pˆϕ2 , i 1 ~ ~ pϕ . pˆcϕ = (cϕ)′ = c ϕ′ = cˆ i i pˆ(ϕ1 + ϕ2 ) =

Ein Beispiel f¨ ur einen nicht-linearen Operator wird durch die (punktweise) Beziehung Aϕ(x) := ϕ(x)2 definiert.

Adjungierter Operator: Der lineare Operator A† mit Definitionsbereich DA† heißt zu A adjungiert, wenn f¨ ur alle ϕ ∈ DA und ψ ∈ DA† gilt: (A† ψ, ϕ) = (ψ, Aϕ) .

(11.16)

Die Definition des zu A adjungierten Operators A† ist damit an die Definition eines Skalarproduktes gebunden. Aus (11.16) und der Eigenschaft i) des Skalarproduktes folgt (ψ, Aϕ)∗ = (ϕ, A† ψ) .

(11.17)

F¨ ur das Produkt zweier Operatoren A, B finden wir wegen (ψ, ABϕ) = (A† ψ, Bϕ) = (B † A† ψ, ϕ) und (ψ, ABϕ) = ((AB)† ψ, ϕ) die Beziehung (AB)† = B † A† ,

(11.18)

die bereits aus der linearen Algebra f¨ ur Matrizen bekannt ist. Ist c eine komplexe Zahl und A ein Operator, so folgt aus (11.17) (cA)† = c∗ A† .

11.2 Operatoren im Hilbert-Raum

227

Hermitescher (selbstadjungierter) Operator: Ein linearer Operator A heißt hermitesch oder selbstadjungiert, wenn A† = A. Dies impliziert DA = DA† = und es gilt:

H

Aϕ = A† ϕ ,

∀ϕ ∈

H.

Aus Gl. (11.16) folgt, dass f¨ ur hermitesche Operatoren A offenbar (Aψ, ϕ) = (ψ, Aϕ) ,

∀ϕ, ψ ∈

H

gilt. Ein Beispiel f¨ ur einen hermiteschen Operator ist der Impulsoperator (11.15).

Inverser Operator: Der zu einem Operator A auf DA inverse Operator A−1 ist durch den Definitionsbereich DA−1 = WA und die Operationsvorschrift A−1 (Aϕ) = ϕ ,

∀ϕ ∈ DA

definiert, die wir als Operatorgleichung A−1 A = AA−1 = ˆ 1

(11.19)

schreiben k¨onnen. Die Existenz eines Inversen ist i.A. nicht garantiert. Falls jedoch A−1 existiert, so ist WA−1 = DA und es gilt (A−1 )−1 = A .

(11.20)

Ist A linear, so gilt dies auch f¨ ur A−1 . F¨ ur lineare Operatoren kann man die Existenz des inversen Operators einfach am Kern ablesen. Der Kern eines Operators A , ker(A), ist durch die Menge aller Vektoren ϕ ∈ DA definiert, die durch A annihiliert werden: ker(A) := {ϕ ∈ DA | Aϕ = o} .

(11.21)

Ein linearer Operator ist genau invertierbar, wenn sein Kern verschwindet A − invertierbar ⇐⇒ ker(A) = {o} .

(11.22)

Existiert zu zwei Operatoren A auf DA und B auf DB der jeweils inverse Operator, und ist ferner AB erkl¨ art, so besitzt auch AB ein Inverses mit (AB)−1 = B −1 A−1 .

228

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Ferner zeigt man leicht aus ihren Definitionen, dass die Operation der hermiteschen Konjugation mit der Inversion vertauscht werden kann, sofern A u ¨berall definiert und invertierbar ist, und auch A† auf ganz definiert ist:

H

(A−1 )† = (A† )−1 .

(11.23)

In der Tat gilt per Definition (11.19) f¨ ur alle ϕ, ψ ∈  ψ, A−1 Aϕ = (ψ, ϕ) .

H:

Zweifache Benutzung von (11.16) liefert: (A† (A−1 )† ψ, ϕ) = (ψ, ϕ) .

Diese Gleichung kann nur dann f¨ ur s¨ amtliche ϕ und ψ aus

H gelten, wenn

A† (A−1 )† = ˆ 1, woraus (11.23) folgt. Ferner folgt aus (11.23) unmittelbar, dass der inverse Operator A−1 hermitesch ist, falls der Operator A selbst hermitesch ist.

Unita¨rer Operator: Ein linearer Operator U auf einem Hilbert-Raum 1) ¨ uberall definiert ist, DU = 2) surjektiv ist, WU =

H heißt unit¨ar, falls er

H

H

3) L¨angen und Winkel erh¨alt, d.h. (U ψ, U ϕ) = (ψ, ϕ)

,

∀ϕ, ψ ∈

H.

(11.24)

Hat U nur die Eigenschaften 1) und 3), so heißt U eine Isometrie.

F¨ ur ψ = ϕ folgt aus (11.24) kU ϕk = kϕk

∀ϕ ∈

H.

(11.25)

Unter Benutzung der Definition des adjungierten Operators erhalten wir aus (11.24)  ψ, U † U ϕ = (ψ, ϕ)

(11.26)

11.2 Operatoren im Hilbert-Raum und, da diese Beziehung f¨ ur alle ϕ, ψ ∈

229

H gilt, die Operatoridentit¨at3

U †U = 1 .

(11.27)

Ein unit¨arer Operator ist damit invertierbar und sein Inverses ist durch sein Adjungiertes gegeben U −1 = U † .

(11.28)

Mit (U † )† = U erhalten wir aus der letzten Beziehung, dass U −1 ebenfalls unit¨ar ist (U −1 )† = U .

(11.29)

Beschra¨nkter Operator und Operatornorm Ein Operator A auf DA ⊆ gibt, so dass

H heißt beschr¨ankt, wenn es eine Zahl r ∈ R

kAϕk ≤ r kϕk

f¨ ur alle ϕ ∈ DA .

Die Kleinste der Zahlen r heißt Norm des Operators A, kAk ≡ sup

ϕ∈DA

kAϕk . kϕk

Ein Operator ist beschr¨ankt, wenn er eine endliche Norm besitzt.

Falls die Operatornorm existiert ist sie offenbar reell und positiv. Der Nulloperator ˆ 0 : ϕ 7→ o (und nur dieser) hat Norm 0. Ferner folgt aus der Dreiecksungleichung in unmittelbar

H

kA + Bk ≤ kAk + kBk ,

kcAk = |c| kAk

f¨ ur c ∈

C

sofern die genannten Operatoren existieren. Somit gelten also in der Tat die u ¨blichen Rechenregeln f¨ ur eine Norm. Beispiele f¨ ur beschr¨ankte Operatoren sind: 1) Unit¨are Operatoren sind beschr¨ ankt, da sie die Norm kU k = 1

(11.30)

besitzen, wie unmittelbar aus (11.25) folgt. 2) Im P

Rn mit2 der u¨blichen euklidischen Norm hat eine Matrix Aik die Norm kAk2 =

ik

|Aik | < ∞ und ist damit automatisch beschr¨ankt.

3 Speziell f¨ ahrend f¨ ur Isometrien nur U U † ⊆ ur unit¨ are Operatoren gilt auch U U † = 1, w¨ ist hier der Projektor auf den Bildraum WU von U .

1 gilt; U U †

230

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

In der Quantenmechanik sind besonders die linearen Operatoren von besonderem Interesse. F¨ ur diese gilt

H

• Sind A und B linear-beschr¨ankt (also linear, auf ganz definiert und dort beschr¨ankt), so gilt dies auch f¨ ur (A+B), cA, sowie f¨ ur das Produkt AB. Auch P n allgemeinere Potenzreihen von A sind bildbar, z.B. exp(cA) = n cn! An .

• Ist A linear-beschr¨ ankt und kAk < 1, so existiert auch (ˆ1 − A)−1 , ist linearbeschr¨ankt, und es gilt (ˆ 1 − A)−1 = 1 + A + A2 + · · · =

∞ X

An ,

n=0

wobei die Reihe im Sinne der Operatornorm konvergiert.

Gleichzeitig weisen wir schon jetzt darauf hin, dass die meisten in der Quantenmechanik auftretenden physikalischen (d.h. linear und hermiteschen) Operatoren nicht beschr¨ankt sind. Insbesondere werden wir in Abschnitt 12.4 zeigen (Satz von Wielandt und Wintner): Es gibt kein Paar linear-beschr¨ankter Operatoren A, B, die die kanonische Vertauschungsrelation [A, B] = c ˆ1 mit beliebigem komplexen c 6= 0 erf¨ ullen. Diese Vertauschungsrelation lassen sich damit auch nicht mit endlichdimensionalen Matrizen (die immer beschr¨ ankt sind) erf¨ ullen, d.h. man ist in der Quantenmechanik auf unendlich-dimensionale Hilbert-R¨ aume angewiesen.

Stetiger Operator

H

Ein Operator A auf DA ⊆ heißt stetig an der Stelle ϕ ∈ DA , falls f¨ ur jede gegen ϕ (in der Norm) konvergente Folge {ϕn } ⊆ DA gilt lim Aϕn = A lim ϕn .

n→∞

n→∞

(11.31)

F¨ ur lineare Operatoren ist Beschr¨anktheit ¨ aquivalent zur Stetigkeit, d.h. die stetigen linearen Operatoren (und nur diese) haben endliche Norm. In Abschnitt 12.4 werden wir sehen, dass physikalische Observablen i.A. unbeschr¨ankt und daher auch nicht stetig sind.

11.2 Operatoren im Hilbert-Raum

231

Eigenwerte von Operatoren Von besonderem Interesse sind in der Quantenmechanik die Vektoren, die bei Anwendung eines linearen Operators A bis auf eine komplexe Zahl a reproduziert werden, Aϕ = aϕ ,

ϕ 6= o ,

(11.32)

d.h. A f¨ uhrt den Vektor ϕ in einen parallelen Vektor u ¨ber. Solche Vektoren heißen Eigenvektoren oder Eigenfunktionen von A und a heißt der Eigenwert von A. Die Gesamtheit der Eigenwerte {a(A)} wird als das Spektrum von A bezeichnet. Bemerkung: Genauer gesagt bilden die Eigenwerte von A das sogenannte Punktspektrum, w¨ahrend zum gesamten Spektrum auch kontinuierliche Bereich geh¨ oren k¨ onnen, die als kontinuierliches bzw. Streckenspektrum von bezeichnet werden. F¨ ur a aus dem kontinuierlichen Spektrum gibt es keinen zugeh¨ origen Eigenvektor ϕ ∈ , der im Hilbert-Raum liegt. Die Eigenwertgleichung (11.32) kann jedoch in einem schw¨acheren Sinn mit ϕ aus dem gr¨ oßeren Raum der Distributionen erf¨ ullt werden (s. Anhang A). Man nennt ϕ dann Eigendistribution. Beispiele f¨ ur Eigendistributionen sind die ebenen Wellen des Impulsoperators, oder die δ-Funktionen f¨ ur den Ortsoperator, siehe Gln. (5.51), (5.52).

C

H

Geh¨oren zu einem Eigenwert a mehrere linear unabh¨angige Eigenfunktionen, so heißt der Eigenwert entartet: Aϕi = aϕi ,

i = 1, . . . N .

Die maximale Anzahl N der linear unabh¨ angigen Eigenfunktionen zum selben Eigenwert wird als Entartungsgrad bezeichnet. Jede Linearkombination der entarteten Eigenfunktionen ist wieder ein Eigenzustand zum selben Eigenwert. Die Gesamtheit der linear unabh¨angigen Eigenzust¨ ande spannt einen Unterraum von DA ⊆ , den Eigenraum von a auf, dessen Dimension der Entartungsgrad ist.

H

Als Beispiel wollen wir einen unit¨ aren Operator U n¨aher betrachten. Eine kleine Rechnung zeigt, dass die dazugeh¨ origen Eigenwerte u durch eine komplexe Phase eiφ gegeben sind, deren Betrag also identisch 1 ist. In der Tat, ist u ∈ ein Eigenwert von U zum Eigenvektor ϕ,

C

U ϕ = uϕ , so gilt nach der Definition des unit¨ aren Operators (11.24) !

(U ϕ, U ϕ) = (uϕ, uϕ) = |u|2 (ϕ, ϕ) = (ϕ, ϕ) .

Wegen ϕ 6= o ist auch (ϕ, ϕ) > 0 und es folgt |u|2 = 1 ,

womit die Behauptung gezeigt ist.

232

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

11.3

Matrixdarstellung linearer Operatoren Es sei {ϕk } ein vollst¨ andiges Orthonormalsystem im Hilbert-Raum H. Wie wir oben bereits gesehen haben, k¨ onnen wir jeden Vektor ψ ∈ H nach dieser Basis zerlegen: ψ=

X

ψk ϕk ,

ψk = (ϕk , ψ) ,

(11.33)

k

C

wobei ψk ∈ die Entwicklungskoeffizienten von ψ nach den Basisfunktionen ϕk sind. Diese Koeffizienten ψk charakterisieren eindeutig den Vektor ψ in ¨ahnlich wie die Koordinaten eines Vektors im 3 bez¨ uglich eines Basissystems eindeutig diesen Vektor bestimmen. Deshalb werden die ψk als Koordinaten oder Komponenten von ψ bez¨ uglich der Basis ϕk bezeichnet. Wir betrachten nun einen linearen Operator A in . Es gilt:

R

H

H

Aψ = φ f¨ ur ein φ ∈ zerlegen:

(11.34)

H. Wir k¨onnen auch φ nach dem vollst¨andig orthonormierten System φ=

X

φk ϕk ,

φk = (ϕk , φ) .

(11.35)

k

Setzen wir die Entwicklung (11.33) und (11.35) in die Operatorgleichung (11.34) ein, so finden wir:4 X X ψk Aϕk = φk ϕk . (11.36) k

k

Bilden wir nun das Skalarprodukt von (11.36) mit ϕi und benutzen die Orthonormalit¨at der Basisvektoren, so finden wir die Matrixgleichung X (ϕi , Aϕk )ψk = φi . k

Die Matrixelemente Aik ≡ (ϕi , Aϕk ) definieren die Matrixdarstellung des linearen (beschr¨ankten) Operators A in der vollst¨andigen orthonormierten Basis {ϕk }. Auf diese Weise haben wir die Operatorgleichung (11.34) auf ein (unendlich dimensionales) algebraisches Gleichungssystem X Aik ψk = φi k

4 In dieser Gleichung haben wir die Summation mit der A-Operation vertauscht. Dies setzt nat¨ urlich die Linearit¨ at von A voraus, in unendlich-dimensionalen Hilbert-R¨ aumen aber zus¨ atzlich die Beschr¨ anktheit von A, da der Limes k → ∞ mit der A-Operation vertauscht werden muss. Somit gilt (11.36) und die daraus folgende Matrixdarstellung streng genommen nur f¨ ur lineare beschr¨ ankte Operatoren A.

11.3 Matrixdarstellung linearer Operatoren

233

reduziert, das nat¨ urlich der urspr¨ unglichen Operatorgleichung (11.34) v¨ollig a¨quivalent ist:      φ1 ψ1 A11 A12 . . .  ψ2  φ2  A21 A22 (11.37)   =  .  .. .. .. .. . . . . Diese Matrixdarstellung demonstriert sehr anschaulich, dass der Hilbert-Raum ein Vektorraum ist. Die Matrix Aik hat hat i.a. unendlich viele Eintr¨age, von denen aber nur abz¨ahlbar viele von Null verschieden sind (in separablen Hilbert-R¨aumen ist das automatisch der Fall). Dar¨ uber hinaus m¨ ussen die Matrixelemente mit zunehmendem Index klein” werden, um die Konvergenz der Matrixdarstellung zu gew¨ahrleisten, ” XX kAk = |Aik |2 < ∞ . i

k

Ansonsten hat die Matrix Aik dieselben Eigenschaften wie der Operator A bez¨ uglich Hermitizit¨at, Unitarit¨ at etc. Ist A z.B. ein hermitescher Operator, so ist die Matrix Aik ebenfalls hermitesch, A∗ik = Aki , wovon man sich leicht u ¨berzeugt: A∗ik = (ϕi , Aϕk )∗ = (Aϕk , ϕi ) = (ϕk , A† ϕi ) = (ϕk , Aϕi ) = Aki . Bilden die Eigenvektoren eines Operators A Aϕi = ai ϕi , eine vollst¨andige orthonormierte Basis, dann ist die zugeh¨orige Matrix Aik diagonal und durch seine Eigenwerte ai gegeben: Aik = ai δik . Wie aus der linearen Algebra bekannt, sind hermitesche Matrizen diagonalisierbar. Beschr¨ankte hermitesche Operatoren sind deshalb ebenfalls diagonalisierbar. Die Spur Sp A eines Operators A ist durch die Spur der zugeh¨origen Matrixdarstellung Aik definiert, d.h. es gilt: X X (ϕi , Aϕi ) , Aii = Sp A := i

i

sofern diese Reihe existiert. Man sagt in diesem Fall, dass A zur Spurklasse geh¨ort. Wie f¨ ur Matrizen ist die Spur eines Operators unabh¨angig von der benutzten Basis und f¨ ur diagonalisierbare Spurklasse-Operatoren durch die Summe seiner Eigenwerte gegeben: X ai . Sp A = i

234

11.4

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Die Dirac-Notation

Es ist oft zweckm¨ aßiger, aber auch u ¨bersichtlicher und eleganter, eine Theorie unabh¨angig vom Basissystem zu formulieren. Dies ist wohlbekannt aus der linearen Algebra und der klassischen Mechanik. Zum Beispiel ist ein Vektor x im 3 ,

R

x = xi ei , unabh¨angig vom Koordinatensystem, nur seine Koordinaten xi = x · ei h¨angen von der Wahl des Koordinatensystems (also der Basisvektoren ei ) ab. In kartesischen Koordinaten haben wir z.B.:         1 x1 0 0 , e1 = 0 , e2 = 1 , e3 = 0 . x = x2  0 0 x3 1

¨ Beim Ubergang von einem Koordinatensystem zu einem neuen Bezugssystem durch Drehung der Basisvektoren {ei } → {e′i } ¨ andern sich i.A. die Koordinaten von x: x = x′i e′i ,

x′i = e′i · x 6= xi .

¨ Der Vektor x bleibt hingegen unver¨ andert. Ahnlich ist es zweckm¨aßig, im Hilbert-Raum eine Darstellung zu benutzen, die unabh¨ angig von der verwendeten Basis ist, wie in der Operatorgleichung (11.34) bereits zum Ausdruck kommt. Die ¨aquivalente algebraische Gleichung (11.37) legt es nahe,    (ϕ1 , ψ) ψ1 ψ2  (ϕ2 , ψ)   = .. .. . . 

,

   (ϕ1 , φ) φ1 φ2  (ϕ2 , φ)   = .. .. . . 

als Vektoren im Hilbert-Raum unabh¨ angig von ihren Koordinaten zu betrachten. Im Unterschied zur linearen Algebra bezeichnen wir diese Vektoren nicht mit einem Pfeil, sondern benutzen die von P. Dirac eingef¨ uhrte Notation ψ → |ψi ,

H

die andeutet, dass ein Vektor ψ ∈ auf der rechten Seite eines Skalarproduktes eingesetzt werden kann. Summen von Zustandsvektoren |ψi, |ϕi und Multiplikationen mit komplexen Zahlen α, β lassen sich dann wie in der linearen Algebra schreiben als: |αψ + βϕi = α|ψi + β|ϕi .

11.4 Die Dirac-Notation

235

Ebenfalls wie in der linearen Algebra f¨ uhren wir den zu  ψ1   ψ → ψ2  → |ψi .. . 

adjungierten oder dualen Vektor hψ| ein: ψ ∗ → (ψ1∗ , ψ2∗ , . . . ) → hψ| .

H

H

Der Raum der dualen Vektoren {hψ|} ist der zu duale Raum ∗ . Man beachte: W¨ ahrend der Vektor |ψi in der Basis {ϕi } die Koordinaten (ϕi , ψ) = ψi besitzt, hat der zugeh¨orige duale Vektor hψ| die Koordinaten (ψ, ϕi ) = (ϕi , ψ)∗ = ψi∗ . Aus der Eigenschaft des Skalarproduktes (cψ, ϕ) = c∗ (ψ, ϕ) ,

∀c ∈

C

folgt, dass im dualen Raum Multiplikation mit komplexen Zahlen auf hcψ| = c∗ hψ| ,

∀c ∈

C

f¨ uhrt. Der duale Raum ist damit ein konjugiert linear (oder antilinearer oder semilinearer) Raum, f¨ ur den gilt: hαϕ + βψ| = α∗ hϕ| + β ∗ hψ| . Aus der oben angegebenen Definition des (zum linearen Operator A) adjungierten Operators A† folgt, dass dieser eine lineare Abbildung im dualen Raum ∗ vermittelt,

H

hφ| → hA† φ| , ahnlich wie A eine lineare Abbildung im ¨

H definiert.

Wie in der linearen Algebra k¨ onnen wir das Skalarprodukt eines dualen Vektors hφ| mit einem Vektor |ψi einf¨ uhren, das wir mit hφ| |ψi oder einfach mit hφ|ψi bezeichnen wollen:   ψ1 ψ2  ∗ ∗ hφ|ψi = (φ1 , φ2 , . . . )   = φ∗1 ψ1 + φ∗2 ψ2 + . . . . .. .

(11.38)

236

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

¨ Uber das Skalarprodukt hφ|ψi definiert jedes Element des dualen Vektorraumes hφ| ∈ ∗ ein linear-stetiges Funktional Fφ , das jedem Vektor ψ ∈ eine komplexe Zahl hφ|ψi, das Skalarprodukt, zuordnet:

H

H

Fφ [ψ] = hφ|ψi .

(11.39)

Diese Funktionale sind in der Tat linear, Fφ [c1 ψ1 + c2 ψ2 ] = c1 Fφ [ψ1 ] + c2 Fφ [ψ2 ] , was unmittelbar aus der Definition des Skalarproduktes folgt. Bemerkung: Umgekehrt kann jedes linear-stetige Funktional F [ψ] in der Form (11.39) mit einem eindeutig bestimmten Vektor φ ∈ dargestellt werden (Riesz’scher Darstellungssatz). Es gibt somit eine bijektive Abbildung zwischen den Vektoren |ψi ∈ , und den linear-stetigen Funktionalen u asentiert durch duale Vektoren hφ| ∈ ∗ . Ein Hilbert-Raum ¨ber , repr¨ ist demnach selbstdual, = ∗ .

H

H H H

H

H

Unter Verwendung der Definition der Komponenten von |ψi und hφ| finden wir mit (11.38): X (φ, ϕi )(ϕi , ψ). (11.40) hφ|ψi = i

Benutzen wir X

(φ, ϕi )(ϕi , ψ) =

i

X i

(φ, (ϕi , ψ)ϕi ) ≡ (φ,

X

ψi ϕi )

i

und die Vollst¨andigkeit von {ϕi }, so erhalten wir mit Gl. (11.33): hφ|ψi = (φ, ψ) , d.h. das hier eingef¨ uhrte Skalarprodukt hφ|ψi ist gleich dem oben bereits eingef¨ uhrten gew¨ohnlichen Skalarprodukt im Hilbert-Raum (φ, ψ). Speziell f¨ ur die Koordinaten oder Komponenten des Vektors ψ haben wir in dieser Notation: ψi = (ϕi , ψ) = hϕi |ψi und die Orthonormalit¨ at des Basissystems schreibt sich als: (ϕi , ϕk ) = hϕi |ϕk i = δik .

11.4 Die Dirac-Notation

237

F¨ ur die Zust¨ande eines Funktionensatzes {ϕi }, welche durch einen Index unterschieden werden, werden wir oftmals die abgek¨ urzte Notation |ϕi i → |ii benutzen. In dieser Notation lauten die letzten beiden Beziehungen: ψi = hi|ψi

hi|ki = δik .

,

Bezugnehmend auf das englische Wort bracket“ f¨ ur Klammer“ wird die Notation hψ|φi ” ” nach Dirac als bra-c-ket-Darstellung bezeichnet, genauer: hψ|

bra-Vektor ∈

H∗ ,

|φi

ket-Vektor ∈

H.

Im Folgenden wollen wir das Skalarprodukt zwischen einem Vektor ψ und einem Eigenzustand des Ortsoperators x ˆ berechnen. Es sei ξx′ die Eigenfunktion zum Eigenwert x′ des Ortsoperators, xˆξx′ = x′ ξx′ , die in der Ortsdarstellung durch ξx′ (x) = δ(x − x′ )

(11.41)

gegeben ist. In der bracket-Notation bezeichnen wir den Eigenvektor“ (bzw. die Eigen” distribution) des Ortsoperators xˆ zum Eigenwert x mit |xi, d.h.: xˆ|xi = x|xi . Berechnen wir das Skalarprodukt des Eigenvektors |xi von x ˆ zum Eigenwert x mit einem beliebigen Vektor |ψi, so finden wir: Z Z ′ ∗ ′ ′ hx|ψi = (ξx , ψ) = dx ξx (x )ψ(x ) = dx′ δ(x − x′ )ψ(x′ ) = ψ(x) . Die Wellenfunktion ψ(x) ist also durch das Skalarprodukt des Vektors ψ ∈ Ortseigenvektor zum Eigenwert x gegeben: ψ(x) = hx|ψi .

H mit dem (11.42)

Speziell die Basisfunktionen ϕk (x) k¨ onnen wir in dieser Notation schreiben als: ϕk (x) = hx|ϕk i = hx|ki .

(11.43)

238

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Die Dirac-Notation macht aber auch deutlich, dass die Verwendung quadratintegrabler Funktionen im Ortsraum nur eine von vielen m¨oglichen Darstellungen des (abstrakten) Zustands |ϕi eines Quantensystems ist. Da letztlich alle Hilbert-R¨aume gleicher Dimension ¨aquivalent sind, kann man hier eine beliebige Wahl treffen. Geht man z.B. von einer vollst¨andigen Eigenbasis {ϕi (x)} eines selbstadjungierten Operators A (siehe Abschnitt 11.5) aus (und unterscheidet in der Notation Aϕi (x) = ai ϕi (x) nicht zwischen Punktspektrum und kontinuierlichem Spektrum), so kann ein beliebiger Zustand ψ(x) aquivalent in der A-Darstellung ausgedr¨ uckt werden, ¨ Z Z ψ(x) 7→ ψ(i) ≡ hi | ψi = dxhi | xihx | ψi = dx ϕ∗i (x) ψ(x) . Im Falle der Impulsdarstellung ψ(p) reduziert sich dieser Basiswechsel auf die u ¨bliche Fouriertransformation. In der bracket-Notation ist die Wirkung eines Operators A auf einen Vektor ψ (in basisunabh¨angiger Form) offenbar durch A|ψi = |Aψi gegeben. Hieraus folgt, dass die Matrixelemente eines Operators sich schreiben lassen als: Aik = (ϕi , Aϕk ) = hϕi |Aϕk i = hϕi |A|ϕk i = hi|A|ki . Die Beziehung (11.16) lautet in der bracket-Notation hA† ψ|ϕi = hψ|Aϕi ≡ hψ|A|ϕi .

(11.44)

Bilden wir das konjugiert Komplexe dieser Beziehung und beachten, dass hϕ|ψi∗ = hψ|ϕi, so folgt hϕ|A† ψi ≡ hϕ|A† |ψi = hAϕ|ψi .

(11.45)

Da †

hAϕ| = (|Aϕi) ≡ (A|ϕi)† und ψ-beliebig, finden wir aus (11.45)

(11.46)

11.5 Eigenschaften hermitescher Operatoren

(A|ϕi)† = hϕ|A† .

239

(11.47)

Die Dirac’sche Notation versteckt viele Subtilit¨aten der zugrundeliegenden HilbertRaum-Theorie, macht aber andererseits den Umgang mit Zust¨anden und Operatoren sehr intuitiv und bequem. Sie ist in der physikalischen Literatur heute die Standardnotation der Quantenmechanik.

11.5

Eigenschaften hermitescher Operatoren

F¨ ur die Quantenmechanik sind die linearen hermiteschen Operatoren von besonderer Bedeutung, da alle physikalischen Observablen durch solche Operatoren repr¨asentiert werden.5 Wir wollen deshalb einige Eigenschaften von hermiteschen Operatoren untersuchen. Insbesondere sollen die wichtigsten Spektraleigenschaften hermitescher (d.h. selbstadjungierter) Operatoren angegeben werden. 1) Erwartungswerte hermitescher Operatoren sind reell. In der Tat, f¨ ur ϕ, ψ ∈ DA = DA† folgt wegen A = A† : hϕ|A|ψi = hϕ|Aψi = hA† ϕ|ψi = hψ|A† ϕi∗ = hψ|A|ϕi∗ . Setzen wir hierin ψ = ϕ, so erhalten wir das gew¨ unschte Resultat hϕ|A|ϕi∗ = hϕ|A|ϕi . 2) Eigenwerte hermitescher Operatoren sind reell. Die Eigenwerte a eines Operators A k¨ onnen wir schreiben als: a=

hϕ|A|ϕi , hϕ|ϕi

wobei ϕ die zugeh¨ orige Eigenfunktion ist. Da Z¨ahler und Nenner reell sind, muss auch a reell sein. Wir sehen, dass f¨ ur normierte Eigenfunktionen der Eigenwert gleich dem Erwartungswert ist. 3) Eigenzust¨ande hermitescher Operatoren sind orthogonal. Per Definition haben wir: A|ϕi i = ai |ϕi i 5 Allerdings werden die physikalischen Observablen gew¨ ohnlich durch nicht-beschr¨ ankte und daher auch nicht-stetige Operatoren beschrieben. Wegen des Satzes von Hellinger und Toeplitz k¨ onnen diese Operatoren deshalb nicht auf dem gesamten Hilbert-Raum definiert sein.

240

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

und somit: hϕk |A|ϕi i = ai hϕk |ϕi i . Da außerdem A hermitesch ist und folglich seine Eigenwerte reell sind, gilt auch: hϕk |A|ϕi i = hA† ϕk |ϕi i = hAϕk |ϕi i = hak ϕk |ϕi i = a∗k hϕk |ϕi i = ak hϕk |ϕi i . Ziehen wir die letzten beiden Gleichungen voneinander ab, so finden wir: 0 = (ak − ai )hϕk |ϕi i , woraus wegen ai 6= ak die Behauptung hϕk |ϕi i = 0 folgt. Bemerkung: Der Beweis gilt nur f¨ ur je zwei verschiedene Eigenwerte. Innerhalb eines Eigenraumes (d.h. im Unterraum der zu einem entarteten Eigenwert geh¨ orenden linear unabh¨ angigen Eigenfunktionen) k¨onnen wir jedoch die Eigenfunktionen orthogonalisieren.

4) Die Eigenzust¨ande eines hermiteschen Operators bilden eine vollst¨andige orthogonale Basis (VONS) f¨ ur den Definitionsbereich dieses Operators im HilbertRaum6 .Auf den Beweis soll hier verzichtet werden, da Vollst¨andigkeit nicht sehr einfach zu zeigen ist. In der Dirac-Notation lautet die Koordinatendarstellung (11.40) des Skalarproduktes: X X hφ|iihi|ψi . hφ|ϕi ihϕi |ψi ≡ hφ|ψi = i

i

Beachten wir, dass hφ|ψi ≡ hφ|ˆ 1|ψi , so erhalten wir: hφ|ˆ 1|ψi =

X i

hφ|iihi|ψi = hφ|

X i

!

|iihi| |ψi .

11.5 Eigenschaften hermitescher Operatoren

Da diese Beziehung f¨ ur beliebige ψ, φ ∈ gelten: X ˆ1 = |iihi| .

241

H gilt, muss sie auch als Operatoridentit¨at (11.48)

i

Dies ist die Vollst¨andigkeitsrelation, d.h. die Spektraldarstellung des Einsoperators: Der Einsoperator ˆ 1 ist demnach durch die Summe der Projektoren Pi = |iihi| auf den eindimensionalen Unterraum jedes Hilbert-Basisvektors |ii gegeben (und i.A. auch durch ein Integral u ¨ber den kontinuierlichen Teil des Spektrums. Das Produkt |ϕihψ| . aus einem ket- |ϕi und einem bra-Vektor hψ| wird als dyadisches Produkt bezeichnet. Das dyadische Produkt ist ein Operator im Hilbert-Raum mit der Eigenschaft (|ϕihψ|)† = |ψihϕ| , ˆ folgt. F¨ die aus (11.18) und (11.47) (mit A = 1) ur ϕ = ψ repr¨asentiert das dyadische Produkt |ϕihψ| einen hermiteschen Operator, f¨ ur ψ 6= ϕ einen nicht-hermiteschen. F¨ ur seine Spur gilt: Sp(|ϕihψ|) = hψ|ϕi.

(11.49)

Letztere Beziehung beweist man durch Einsetzen eines vollst¨andigen Basissystems (11.48): Sp(|ϕihψ|) =

X i

hi|ϕihψ|ii =

X i

hψ|iihi|ϕi = hψ|

X i

 |iihi| |ϕi = hψ|ˆ1|ϕi = hψ|ϕi .

Multiplizieren wir einen beliebigen Operator A von rechts und links mit dem Einsoperator (11.48), so erhalten wir: A = ˆ1Aˆ 1= =

XX i

k

X i

!

|iihi| A

|iihi|A|kihk|

X k

|kihk|

!

Wir nehmen nun an, dass A hermitesch ist und der Einfachheit halber ein reines Punktspektrum (diskretes Spektrum) besitzen m¨ oge. Folglich k¨onnen wir die Eigenvektoren von A als Basis w¨ ahlen, d.h.: A|ii = ai |ii . 6 Neben dem diskreten (Punkt-)Spektrum muss (falls vorhanden) auch der kontinuierliche Teil des Spektrums ber¨ ucksichtigt werden.

242

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Benutzen wir die Orthonormiertheit der Basis, hi|ki = δik , so erhalten wir: A=

X i

|iiai hi| .

(11.50)

Dies ist die sogenannte Spektraldarstellung des Operators A. Sie dr¨ uckt A durch seine Eigenwerte ai und Eigenfunktionen |ii aus. Die Gesamtheit der Eigenwerte {ai } von A wird bekanntlich als das Spektrum von A bezeichnet, wobei die Summe u ¨ber die Projektoren |iihi| in (11.50) i.A. auch ein Integral u ¨ber den kontinuierlichen Teil des Spektrums enthalten kann . Die Vollst¨ andigkeitsrelation (11.48) ist offenbar die Spektraldarstellung des Einheitsoperators. Die Matrixelemente des ˆ 1-Operators in der Ortsdarstellung sind durch Z hx′′ |ˆ 1|x′ i = hx′′ |x′ i = (ξx′′ , ξx′ ) = dx δ(x − x′′ )δ(x − x′ ) = δ(x′′ − x′ ) gegeben. In der Dirac-Notation erhalten wir deshalb f¨ ur die δ-Funktion (siehe Anhang A) die Darstellung hx|x′ i = δ(x − x′ ) .

(11.51)

Setzen wir jetzt f¨ ur den Einheitsoperator die Vollst¨andigkeitsrelation (11.48) ein, so erhalten wir mit (11.43): hx|x′ i = hx|ˆ 1|x′ i =

X i

hx|iihi|x′ i =

X

ϕi (x)ϕ∗i (x′ )

(11.52)

i

Damit lautet die Vollst¨ andigkeitsrelation in der Koordinatendarstellung: X i

ϕi (x)ϕ∗i (x′ ) = δ(x − x′ ) .

(11.53)

In ¨ahnlicher Weise erhalten wir f¨ ur die Matrixelemente eines beliebigen Operators A in der Ortsdarstellung aus der Spektraldarstellung (11.50): hx|A|x′ i =

X i

hx|iiai hi|x′ i =

X

ϕi (x)ai ϕ∗i (x′ ) .

(11.54)

i

Wie bereits oben bemerkt, die Eigenwerte ai eines Operators A m¨ ussen nicht notwendigerweise nur diskrete Werte annehmen, sondern k¨onnen auch kontinuierlich u ¨ber ein Intervall verteilt sein. In diesem Fall ist der “Index“ i, den wir oben zur Numerierung

11.5 Eigenschaften hermitescher Operatoren

243

der Eigenwerte eingef¨ uhrt haben, eine kontinuierliche Variable und statt der Summation u ¨ber i haben wir dann eine Integration u ¨ber i: X

Z

−→

i

.

i

Um Operatoren mit diskretem und kontinuierlichem Spektrum gemeinsam behandeln zu k¨onnen, f¨ uhrt man weiterhin das Symbol Z X

(11.55)

i

ein, das, je nachdem ob i eine diskrete oder kontinuierliche Variable ist, Summation oder Integration u ¨ber i bedeutet. Ein Beispiel f¨ ur ein Operator mit einem kontinuierlichen Spektrum ist der Impuls eines freien Teilchens, dessen Eigenfunktionen (in der Ortsdarstellung) ϕp (x) = hx|pi wir i bereits als die ebenen Wellen ϕp (x) = e ~ px identifiziert hatten. Die Fourier-Zerlegung der δ-Funktion ′

δ(x − x ) =

Z∞

dp i p(x−x′ ) e~ 2π~

−∞

besitzt in der Dirac’schen bracket-Notation (11.51) die Form ′

hx|x i =

Z∞

−∞

dp hx|pihp|x′ i 2π~

(11.56)

mit i

hx|pi = ϕp (x) = e ~ px

,

hp|xi = hx|pi∗ = ϕ∗p (x)

(11.57)

den Impulseigenfunktionen im Ortsraum: pˆ|pi = p|pi ,

pˆ =

~ d . i dx

(11.58)

Wir haben hier, wie allgemein u ¨blich, den Faktor 1/2π~ mit in das Integrationsmaß einbezogen. (Ansonsten w¨ u rden die ebenen Wellen hx|pi, hp|xi einen zus¨atzlichen Nor√ mierungfaktor 1/ 2π~ enthalten.) Dieser Faktor tritt dann auch in der Normierung der

244

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Impulseigenzust¨ ande auf: ′

hp|p i ≡ (ϕp , ϕp′ ) = Z∞

=

−∞

Z∞

dx ϕ∗p (x)ϕp′ (x)

−∞



dx hp|xihx|p i =

= 2π~δ(p − p′ ) .

Z∞

i



dx e− ~ x(p−p )

−∞

(11.59)

Aus (11.56) lesen wir mit hx|x′ i ≡ hx|ˆ 1|x′ i den Einheitsoperators in der Impulsdarstellung ab: ˆ1 =

Z∞

−∞

dp |pihp| . 2π~

(11.60)

In analoger Weise lesen wir mit hp|p′ i ≡ hp|ˆ1|p′ i aus (11.59) die Ortsdarstellung des Einheitsoperators ab: ˆ1 =

Z∞

−∞

dx |xihx| .

(11.61)

Mit der Beziehung (11.60) und der Eigenwertgleichung (11.58) erhalten wir die Spektraldarstellung des Impulsoperators: pˆ =

Z∞

−∞

dp |piphp| . 2π~

Hieraus ergibt sich f¨ ur dessen Matrixelemente in der Ortsdarstellung: ′

hx|ˆ p|x i =

Z∞

−∞

dp hx|piphp|x′ i . 2π~

(11.62)

Dr¨ ucken wir hier die Impulsvariable p als Ableitung der ebenen Welle hx|pi nach dem Ort aus, phx|pi =

~ d i px e ~ = pˆhx|pi , i dx

und benutzen (11.56), so erhalten wir schließlich f¨ ur die Matrixelemente des Impulsoperators in der Ortsdarstellung:

11.5 Eigenschaften hermitescher Operatoren

hx|ˆ p|x′ i = pˆhx|x′ i =

245

~ d δ(x − x′ ) . i dx

(11.63)

Man beachte, dass die Differention bez¨ uglich dem linken Argument zu nehmen ist. F¨ ur die Wirkung des Impulsoperators pˆ auf einem beliebigen Zustandsvektor |ϕi finden wir mit (11.61) das bekannte Resultat hx|ˆ pϕi = hx|ˆ p|ϕi = hx|ˆ pˆ 1|ϕi = =

Z∞

~ dx i ′

−∞



Z∞

−∞

dx′ hx|ˆ p|x′ ihx′ |ϕi

 Z∞ d ~ d ′ ′ δ(x − x ) ϕ(x ) ≡ dx′ δ(x − x′ )ϕ(x′ ) dx i dx −∞

~ d ϕ(x) = pˆϕ(x) . i dx Schließlich betrachten wir noch die Matrixelemente eines Potentials V (x) in der Ortsdarstellung. Unter Benutzung der Eigenfunktionen des Ortsoperators (11.41) erhalten wir: Z∞ ′ hx|V |x i = dx′′ ξx∗ (x′′ )V (x′′ )ξx′ (x′′ ) =

=

−∞ Z∞

−∞

dx′′ δ(x′′ − x)V (x′′ )δ(x′′ − x′ )

= V (x)δ(x − x′ ) .

(11.64)

Bemerkung: Orts- und Impulseigenfunktionen sind streng genommen keine Elemente des Hilbert-Raumes 2 , sondern Eigendistributionen, vgl. Abschnitt ¨ 11.2. Elemente des Hilbert-Raumes 2 lassen sich jedoch durch Uberlagerungen von Orts- bzw. Impulseigenfunktionen formen. So bilden z.B. die Ortsfunktionen  1/4   1 (x − xi )2 hx|xi ia = , exp − πa 2a

L

L

welche Gauß’sche Wellenpakete darstellen, hx|xi ia =

Z∞

−∞

 i  a dp exp − 2 p2 e ~ p(x−xi ) , 2π~ 2~

246

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

normierte Zust¨ ande des Hilbert-Raumes a hxi |xi ia

L2,

=1,

die sich im Limes a → 0 auf die Ortseigenfunktionen reduzieren: lim hx|xi ia = δ(x − xi ) .

a→0

Abschließend wollen wir noch eine wichtige Eigenschaft von hermiteschen Operatoren zeigen: 5) Zwei hermitesche Operatoren A, B sind genau dann vertauschbar [A, B] = 0, wenn jede Eigenfunktion von A auch Eigenfunktion von B ist und umgekehrt, d.h. ein vollst¨andiges orthogonales System von gemeinsamen Eigenfunktionen von A und B existiert. Dieser Satz gilt auch f¨ ur Funktionen f (A) und g(B) von hermiteschen Operatoren A und B, siehe Anhang C.1. Der Beweis ist in beide Richtungen zu f¨ uhren, wobei wir der Einfachheit halber davon ausgehen, dass A und B ein rein diskretes Spektrum besitzen und auf ganz definiert sind:

H

1) Wir nehmen an, dass A und B gemeinsame Eigenfunktionen besitzen: A|φn i = an |φn i

,

B|φn i = bn |φn i .

Wirken wir von links auf diese beiden Gleichungen mit B bzw. A, so erhalten wir: BA|φn i = an B|φn i = an bn |φn i , AB|φn i = bn A|φn i = bn an |φn i . Subtraktion dieser beiden Gleichungen voneinander liefert: [A, B]|φn i = o . Da die φn Eigenfunktionen eines hermiteschen Operators sind, bilden sie ein vollst¨andiges Funktionensystem, nach dem wir eine beliebige Funktion ψ entwickeln k¨ onnen. Damit gilt f¨ ur beliebige ψ ∈ :

H

[A, B]|ψi = o , was [A, B] = ˆ 0 impliziert.

11.5 Eigenschaften hermitescher Operatoren

247

2) Wir setzen jetzt voraus, dass A und B kommutieren, AB = BA ,

(11.65)

und die φn Eigenfunktionen von A sind: A|φn i = an |φn i . Wenden wir den Operator B auf diese Eigenwertgleichung an, BA|φn i = an B|φn i ,

(11.66)

erhalten wir mit Gl. (11.65): A(B|φn i) = an (B|φn i) .

(11.67)

Wir erkennen, dass B|φn i ebenfalls Eigenvektor von A zum Eigenwert an ist. Wir setzen zun¨ achst voraus, dass die Eigenwerte von A nicht entartet sind. Dann m¨ ussen Bφn und φn denselben Eigenvektor von A repr¨asentieren, d.h. Bφn und φn d¨ urfen sich nur um eine komplexe Zahl bn unterscheiden: B|φn i = bn |φn i. Damit ist aber φn auch Eigenvektor von B mit Eigenwert bn und der Satz ist bewiesen. Sind die Eigenwerte von A entartet, d.h. es existieren mehrere φni , i = 1, . . . , Nn , zum selben Eigenwert an , A|φni i = an |φni i ,

i = 1, . . . Nn ,

so k¨onnen wir die φni dennoch als linear unabh¨angig annehmen. Andernfalls w¨are der Entartungsgrad kleiner als Nn . Wir k¨onnen deshalb die linear unabh¨angigen Eigenfunktionen orthonormieren: hφni |φnk i = δik . Das Analogon der obigen Gleichung (11.67) lautet jetzt: AB|φni i = an B|φni i . Aus dieser Gleichung folgt, dass die Zust¨ande B|φni i vollst¨andig im Unterraum der φni liegen m¨ ussen, d.h. der Operator B f¨ uhrt nicht aus dem Eigenraum des Eigenwertes an heraus. Somit gilt die Zerlegung X X (n) |φni iBik . |φni ihφni |B|φnk i =: B|φnk i = i

i

248

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

(n)

Die hierbei auftretenden Entwicklungskoeffizienten Bik sind die Matrixelemente von B im Eigenraum von an . Diese stellen wegen B † = B eine hermitesche Matrix dar, (n)∗

Bik

(n)

= Bki ,

die wir im Eigenraum von an diagonalisieren k¨onnen: B (n) |χnm i = bnm |χnm i . Die Funktionen |χnm i =

X i

|φni ihφni |χnm i

sind dann Eigenfunktionen sowohl von A als auch von B. Falls die Eigenwerte bnm nicht entartet sind, sind die χnm zu verschiedenem m automatisch orthogonal. Andernfalls sind sie zumindest linear unabh¨angig und k¨onnen orthogonalisiert werden. Damit ist der Satz bewiesen.

Der hier angegebene Beweis setzt nicht voraus, dass die beiden Operatoren A und B tats¨achlich hermitesch, sondern lediglich diagonalisierbar sind. Eine beliebige Funktion f (A) eines hermiteschen Operators A = A† ist offenbar ebenfalls diagonalisierbar, auch wenn f (A) i.A. nicht hermitesch sein wird. Dies folgt aus der Definition von f (A) durch seine Taylor-Entwicklung (siehe Anhang C.1). Eine Eigenfunktion von A zum Eigenwert a ist auch Eigenfunktion von f (A) zum Eigenwert f (a). Deshalb gilt der obige Satz auch f¨ ur zwei Funktionen f (A) und g(B) von hermiteschen Operatoren A und B.

11.6

Projektionsoperatoren

Bei einer reduzierten Beschreibung eines quantenmechanischen Systems in einem Unterraum ∈ ist es oft zweckm¨ aßig, Projektionsoperatoren zu benutzen. Projektionsoperatoren sind durch die Bedingung

P H

P2 = P

(11.68)

definiert. Solche Operatoren heißen auch idempotent. Man sieht leicht, dass Projektionsoperatoren nur die Eigenwerte 0 und 1 besitzen k¨onnen. In der Tat, wenden wir den Projektionsoperator P auf die Eigenwertgleichung P |ϕi = λ|ϕi an, so erhalten wir: P 2 |ϕi = λ2 |ϕi

11.6 Projektionsoperatoren

249

und mit (11.68): P 2 |ϕi = P |ϕi = λ|ϕi .

(11.69)

Subtraktion der beiden Gleichungen liefert (da ϕ 6= o): λ2 − λ = λ(λ − 1) = 0 , was λ = 0, 1 impliziert. Ist der Projektionsoperator P außerdem selbstadjungiert (hermitesch) P † = P , so wird er als Orthogonalprojektor bezeichnet. Im Folgenden werden wir uns auf Orthogonalprojetoren beschr¨ anken, sie der Einfachheit halber aber h¨aufig nur Projektoren nennen. Ein Orthogonalprojektor projiziert jeden Vektor ϕ ∈ WP = {P ϕ, ϕ ∈

H in seinen Wertebereich

H}

(11.70)

und gestattet, jeden Vektor in einen Teil ϕk ∈ WP und einen zu WP senkrechten Teil ϕ⊥ zu zerlegen ϕ = P ϕ + (ϕ − P ψ) ≡ ϕk + ϕ⊥ .

(11.71)

Aus der Definition der Projektoren ergeben sich unmittelbar folgende Eigenschaften: • Das Produkt zweier Projektoren P1 P2 ist genau dann ein Projektor, falls [P1 , P2 ] = 0. In diesem Fall projiziert P1 P2 die Vektoren ϕ ∈ auf den Durchschnitt der Bildr¨aume, WP1 ∩ WP2 , und P1 P2 = 0 impliziert, dass WP1 ⊥ WP2 .

H

• Die Summe P1 + P2 ist genau dann ein Projektor, falls P1 P2 = P2 P1 = 0. Ein h¨aufig auftretendes Beispiel eines Orthogonalprojetors ist das dyadische Produkt eines normierten Vektors ϕ mit sich selbst: Pϕ := |ϕihϕ| ,

kϕk2 = hϕ|ϕi = 1 .

Dieser Operator projiziert einen beliebigen Zustand ψ auf die Richtung des Vektors ϕ: Pϕ ψ = |ϕihϕ|ψi = hϕ|ψi|ϕi . Einen Projektionsoperator erh¨ alt man auch, wenn man in der Spektraldarstellung des Einheitsoperators die Summation u ¨ber das vollst¨andige Funktionensystem auf ein Teilsystem einschr¨ankt: P =

X′ i

|iihi| =

X′ i

Pi ,

Pi = |iihi| ,

250

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

wobei der Strich am Summationszeichen die eingeschr¨ankte Summation bezeichnet. Die einzelnen Summanden Pi sind nat¨ urlich selbst auch Projektionsoperatoren. Die Spur dieses Projektors (vgl. (11.49)) Sp P =

X′

Sp(|iihi|) =

X′ i

i

hi|ii =

X′

1 =: d

i

liefert die Dimension d des Unterraumes, der durch das Teilsystem {|ii} aufgespannt wird.

11.7

Das Tensorprodukt

Der Produkt-Hilbert-Raum F¨ ur die quantenmechanische Beschreibung von zusammengesetzten Systemen, insbesondere von Vielteilchensystemen wird das Tensorprodukt von Hilbert-R¨aumen ben¨otigt, das im Folgenden definiert wird.

H1 und H2 seien zwei Hilbert-R¨aume mit vollst¨andigen Orthonormalsystem (VONS), 7 {ϕi∈I } bzw. {ϕk∈K }. Aus den Basisvektoren ϕi und ηk bilden wir formal alle Paare ψl ≡ ϕi ⊗ ηk := (ϕi , ηk )

(11.72)

l = (i, k) ∈ Λ = I × K ,

(11.73)

mit

wobei Λ das kartesische Produkt der beiden Indexmengen I und K ist. Das Symbol ⊗“ ” definiert hier eine formale Verkn¨ upfung von zwei Elementen ϕi und ηk aus verschiedenen R¨aumen 1 und 2 zu einem Paar (ϕi , ηk ) =: ϕi ⊗ ηk , die als Tensorprodukt bezeichnet wird.

H

H

F¨ ur das Tensorprodukt sind folgende Rechenregeln vereinbart (ϕ + ϕ′ ) ⊗ η = ϕ ⊗ η + ϕ′ ⊗ η ϕ ⊗ (η + η ′ ) = ϕ ⊗ η + ϕ ⊗ η ′ cϕ ⊗ η = c(ϕ ⊗ η) = ϕ ⊗ cη , c ∈

(11.74) (11.75) (11.76)

C.

Die Vektorpaare (11.72) bilden die Basis f¨ ur den (Tensor-)Produktraum wie folgt definiert ist: Die Gesamtheit der Linearkombinationen X XX ψ= cl ψl = c(k,i) ϕi ⊗ ηk l∈Λ

i∈I k∈K

,

H1 ⊗ H2 , der

cl = c(k,i) ∈

C

(11.77)

7 Das Symbol ( , ) steht hier nicht f¨ ur das Skalarprodukt, sondern f¨ ur Paare von Elementen aus zwei verschiedenen Mengen.

11.7 Das Tensorprodukt

251

mit h¨ochsten abz¨ahlbar vielen cl bzw. c(k,i) von Null verschieden, bildet einen linearen Raum, der durch das Skalarprodukt X (ψ, ψ ′ ) = c∗l cl (11.78) l∈Λ

unit¨ar wird und den Produkt-Hilbert-Raum X X = 1 ⊗ 2 = {ψ = c(k,i) ϕi ⊗ ηk , mit |c(k,i) |2 < ∞}

H H H

i,k

(11.79)

i,k

definiert. Die Dimension des Produktraumes ergibt sich offenbar als das Produkt der Dimensionen der einzelnen Faktoren.8

H

(11.79) Das oben in Gl. (11.78) definierte Skalarprodukt des Tensorproduktraumes ergibt sich zwangsl¨ aufig, wenn das Skalarprodukt f¨ ur die Tensorprodukte durch (ϕ ⊗ η, ϕ′ ⊗ η ′ ) = (ϕ, ϕ′ )1 (η, η ′ )2 definiert wird, wobei ( , )1 und ( bezeichnen. In diesem Fall gilt

,

H2 die Skalarprodukte in H1

ϕ, ϕ′ ∈ )2

H1

(ϕi ⊗ ηk , ϕi′ ⊗ ηk′ ) = (ϕi , ϕi′ )1 (ηk′ ηk′ )2 = δii′ δkk′ und das oben eingef¨ uhrte Skalarprodukt (11.78) in gung (11.77).

,

η, η ′ ∈

(11.80) bzw.

H2

(11.81)

H folgt zwangsl¨aufig aus der Zerle-

Als Beispiel w¨ahlen wir

H1 = H2 = L2 (R) , (11.82) ur den Raum, der u ¨ber R quadratintegrablen Funktionen. In diesem Fall erhalten wir f¨ den Produktraum (11.79)

den u ¨ber (x1 , x2 ) ∈

L2 (R) ⊗ L2(R) = L2 (R2) ,

(11.83)

X

(11.84)

R22 quadratintegrablen Funktionen von zwei reellen Variablen f (x1 , x2), mit R , da diese sich durch Linearkombinationen der Form f (x1 , x2 ) =

aik ϕi (x1 )ηk (x2 )

i,k

darstellen lassen, wobei ϕi (x1 ) ∈ Funktionen sind.

H1 und ηk (x2 ) ∈ H2 die u¨ber R quadratintegrablen

8 Das Tensorprodukt ist streng zu unterscheiden vom sogenannten direkten Produkt (auch direkte L Hi , also der Menge der (Linearkombinationen von) Tupel mit Komponenten Summe genannt) H = aus Hi , versehen mit komponentenweisen Vektorraumoperationen und dem Skalarprodukt X (ϕ, ψ) = (ϕi , ψi ) , ϕi , ψi ∈ Hi . i

L Hi ist die Summe der Einzeldimensionen der Die Dimension von Unterschied zwischen R ⊕ R ⊕ R ≃ R3 und R ⊗ R ⊗ R ≃ R klar.

Hi . Man mache sich besonders den

252

11 Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

Operatoren auf Produkt-Hilbert-R¨aumen

H

Wir betrachten zwei Operatoren A und B, die in verschiedenen Hilbert-R¨aumen A bzw. B definiert sind. Wir k¨ onnen die Operatoren A und B zu Operatoren in dem Produkt-Hilbert-Raum

H

HA ⊗ HB

(11.85)

erheben, indem wir sie tensoriell mit dem Einheitsoperator des jeweiligen anderen Raumes multiplizieren A →A⊗ˆ 1B

B→ˆ 1A ⊗ B ,

,

H

(11.86)

H

ˆB die Einheitsoperatoren in A bzw. B sind. Da die Operatoren wobei ˆ1A bzw. 1 auf der rechten Seite der Pfeile im selben Hilbert-Raum definiert sind, k¨onnen sie auf gew¨ohnliche Weise addiert werden. F¨ ur die in unterschiedlichen Hilbert-R¨aumen definierten Operatoren A und B definieren wir deshalb ihre Summe durch A + B := A ⊗ ˆ 1B + ˆ 1A ⊗ B .

(11.87)

¨ In Ubereinklang mit den oben angegebenen Rechenregeln f¨ ur das Tensorprodukt definieren wir die Wirkung von Operatoren A und B in den Hilbert-R¨aumen A bzw. B f¨ ur das Tensorprodukt der Zust¨ ande dieser R¨aume ϕA ∈ A und ϕB ∈ B durch

H

(A ⊗ B) (|ϕA i ⊗ |ϕB i) = A|ϕA i ⊗ B|ϕB i .

H H

H

(11.88)

Nun seien |ϕa i und |ϕb i Eigenfunktionen der Operatoren A und B A|ϕa i = a|ϕa i, |ϕa i ∈ B|ϕb i = b|ϕb i, |ϕb i ∈

HA HB .

(11.89)

Es ist dann leicht zu sehen, dass das Tensorprodukt |ϕa i ⊗ |ϕb i

(11.90)

Eigenfunktion der Operatorsumme A+B (11.87), die im Produkt-Hilbert-Raum (11.85) definiert ist, mit dem Eigenwert a + b ist, wie man leicht unter Anwendung der Regeln (11.88) und (11.76) zeigt  (A + B)|ϕa i ⊗ |ϕb i = A ⊗ ˆ 1B + ˆ1A ⊗ B |ϕa i ⊗ |ϕb i ˆB |ϕb i + 1ˆA |ϕa i ⊗ B|ϕb i = A|ϕa i ⊗ 1 = a|ϕa i ⊗ |ϕb i + |ψa i ⊗ b|ϕb i =(a + b)|ϕa i ⊗ |ϕb i .

(11.91)

Zur Vereinfachung der Notation werden wir, falls Verwechslung ausgeschlossen ist, das Symbol f¨ ur das Tensorprodukt ⊗“ gew¨ ohnlich weglassen. Die Eigenwertgleichung ” (11.91) lautet dann in dieser vereinfachten Schreibweise (A + B)|ϕa i|ϕb i = (a + b)|ϕa i|ϕb i .

(11.92)

12

Axiomatische Quantenmechanik

Bei der Entwicklung der Quantenmechanik sind wir vom Experiment ausgegangen. Interferenzerscheinungen beim Doppelspalt-Experiment deuten auf den Wellencharakter von quantenmechanischen Teilchen hin. Eine detailliertere Analyse dieses Experimentes zeigte, dass im atomaren Bereich ein Teilchen sich nicht nur auf der klassischen Trajektorie bewegen kann, welche die Wirkung minimiert, sondern auf allen m¨oglichen Trajektorien. Die verschiedenen Trajektorien stellen Alternativen f¨ ur das Teilchen dar. Wir hatten gesehen, dass ein quantenmechanisches Teilchen von allen m¨oglichen Alternativen Gebrauch macht. Aufgrund der Wellennatur des quantenmechanischen Teilchens hatten wir geschlossen, dass ein quantenmechanischer Prozess durch eine Wahrscheinlichkeitsamplitude charakterisiert wird und dass wegen des bei Wellen realisierten Superpositionsprinzips die Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude durch die Summe der Wahrscheinlichkeitsamplituden der einzelnen Trajektorien gegeben sein muss: X K[x(t)](b, a) . K(b, a) = {x(t)}

Durch konsequente Weiterentwicklung bzw. Verfeinerung des Doppelspalt-Experimentes hatten wir ein Additionstheorem f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsamplituden gefunden, den sogenannten Zerlegungssatz Z K(b, a) = dxc K(b, c)K(c, a) . Wir hatten gesehen, dass die Phase der Amplitude eine additive Funktion der Trajektorie sein muss. Durch Identifizierung dieser additiven Funktion mit der klassischen Wirkung S[x], i

K[x](b, a) ∼ e ~ S[x](b,a) , gelang es uns dann, aus dem Additionstheorem f¨ ur Amplituden die zeitabh¨angige Schr¨odinger-Gleichung abzuleiten: i~

∂ψ = Hψ . ∂t

Zu diesem intuitiven Zugang zur Quantenmechanik, der ausgehend vom Experiment nur wenig Annahmen erfordert, gibt es einen alternativen axiomatischen Zugang, der von einigen Grundpostulaten der Quantenmechanik ausgeht. In diesem axiomatischen Zugang wird kein Versuch unternommen, das zentrale Evolutionsgesetz der Quantenmechanik, die Schr¨odinger-Gleichung, unter m¨ oglichst wenigen Voraussetzungen abzuleiten, sondern sie wird als das Evolutionsgesetz postuliert. Auch die Grundpostulate der axiomatischen Quantenmechanik basieren nat¨ urlich auf unseren experimentellen Erfahrungen.

254

12 Axiomatische Quantenmechanik A

a1 a2 |ak i

|ψi ak

Abb. 12.1: Schematische Darstellung eines quantenmechanischen Messprozesses.

Jedoch wird in diesem Zugang nicht deutlich, an welcher Stelle welche experimentellen Informationen benutzt werden. Aus diesem Grunde ist der von uns beschrittene intuitive Weg sicherlich transparenter und anschaulicher und erm¨oglicht einfacher den konzeptionellen Einstieg in die Quantenmechanik. Nachdem wir die charakteristischen Z¨ uge der Quantenmechanik bereits kennengelernt haben, erscheinen uns die Grundpostulate der Quantenmechanik sehr plausibel, und sie sollen deshalb im Folgenden nur kurz abgehandelt werden.

12.1

Grundpostulate der Quantenmechanik

Der axiomatische Zugang zur Quantenmechanik l¨asst sich in folgenden Postulaten zusammenfassen: 1) Die Zust¨ande eines quantenmechanischen Systems k¨onnen eindeutig den Strahlen eines Hilbert-Raumes zugeordnet werden. Unter einem Strahl versteht man die Gesamtheit der nicht-verschwindenden Vielfachen eines Elementes des Hilbert-Raumes. Ein Strahl ist offenbar der kleinste Unterraum des Hilbert-Raumes. Die Zuordnung von quantenmechanischen Zust¨anden den Strahlen des Hilbert-Raumes impliziert, dass ein Hilbert-Vektor und ein beliebiges komplexes Vielfaches von ihm denselben quantenmechanischen Zustand beschreiben. Die Normierung des Vektors im Hilbert-Raum ist damit irrelevant f¨ ur die zu beschreibende Physik und kann demzufolge beliebig gew¨ahlt werden. Es reicht deshalb aus, sich auf einen geeigneten, z.B. auf 1 normierten Vektor des Strahles zu beschr¨ anken und diesen mit dem Zustand schlechthin zu identifizieren. In diesem Sinne werden die quantenmechanischen Zust¨ande durch Vektoren des Hilbert-Raumes repr¨ asentiert.

12.1 Grundpostulate der Quantenmechanik

255

2) Die physikalischen Observablen (messbare Gr¨oßen) entsprechen linearen hermiteschen Operatoren, die im Hilbert-Raum der Zustandsvektoren wirken. 3) Bei einer (Ideal-)Messung der Observablen A findet man einen Eigenwert ai (A). Bei einer solchen Messung geht das System in den zu ai geh¨origen Eigenzustand |ai i von A u ¨ ber. Dieses Axiom dr¨ uckt insbesondere den Einfluss des Messapparates auf das zu messende Objekt aus. Zur Illustration dieses Axioms nehmen wir an, dass das System sich im Zustand |ψi befindet. Wenden wir den Operator A auf diesen Zustand an und benutzen die Spektraldarstellung1 (11.50), X |ai iai hai |ψi , A|ψi = i

so sehen wir, dass die Messapparatur (der Operator A) eine Zerlegung des Zustandes |ψi in Komponenten entlang der Eigenzust¨ ande |ai i von A bewirkt. Bei der eigentlichen Messung der Observablen A wird aus dieser Spektralzerlegung eine Komponente |ak i, d.h. eine Eigenfunktion von A herausgefiltert und die Messung liefert als Ergebnis den zugeh¨origen Eigenwert ak . Bei der Messung kommt es also zu einer Zustandsreduktion ( Kollaps der Wellenfunktion“). Aus der Gesamtheit der Alternativen, die durch die ” einzelnen Eigenzust¨ ande |ai i von A gegeben sind und in der Wellenfunktion |ψi urspr¨ unglich, d.h. vor der Messung, enthalten waren, wird durch die Messung eine einzige Komponente |ak i, ein Eigenzustand von A, herausprojiziert (siehe Abb. 12.1): A|ψi

−→

ak |ak ihak |ψi ∼ |ak i

(12.1)

was der Wirkung des Projektors Pk = |ak ihak |

(12.2)

auf die Wellenfunktion entspricht |ψi

−→

Pk |ψi = |ak ihak |ψi ∼ |ak i .

(12.3)

Damit verliert der Zustand durch den Messprozess einen Großteil seiner komplexen Struktur. Dieses Ergebnis hatten wir bereits beim Doppelspalt-Experiment gesehen. Solange wir nicht den Spalt bestimmen, durch den das Teilchen hindurchl¨auft, d.h. seinen Ort bestimmen, zeigt das Teilchen Interferenz, wenn man das Experiment nur oft genug durchf¨ uhrt. Es muss also prinzipiell beide Spalten benutzen. Stellen wir jedoch durch das Experiment fest, durch welchen Spalt es gelaufen ist, nehmen wir dem Teilchen die M¨oglichkeit, auch durch den anderen Spalt zu gehen, und schr¨anken damit seinen Zustand ein. Hat der Zustand des Teilchens vorher die Alternative Spalt 1 und Spalt 2 enthalten, so ist der Zustand des Teilchens nach der Messung auf eine der beiden M¨oglichkeiten beschr¨ ankt. Diese Zustandsreduktion ist eine der konzeptionellen Hauptprobleme der Quantenmechanik und ist bis heute nicht in aller Konsequenz verstanden. 1 Der

Einfachheit halber setzen wir hier voraus, dass A nur ein diskretes Spektrum besitzt.

256

12 Axiomatische Quantenmechanik

4) Wird ein System im Zustand |ψi einer Messung der Observablen A unterworfen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert ai gemessen wird, d.h. das System sich nach der Messung im zugeh¨origen Eigenzustand |ai i befindet, durch wi = |hai |ψi|2 ,

hai |ai i = 1 ,

hψ|ψi = 1 .

(12.4)

gegeben. Hierbei ist vorausgesetzt, dass die Wellenfunktionen |ai i und |ψi korrekt auf 1 normiert sind.

Diese Aussage ist ¨ aquivalent der alternativen Formulierung: Wird die Messung von A an einem im Zustand |ψi pr¨aparierten System gen¨ ugend oft wiederholt, so ist der Mittelwert von A N 1 X A¯ = lim aik N →∞ N

(12.5)

k=1

(aik bezeichnet den Eigenwert der k-ten Messung) durch den Erwartungswert von A im Zustand |ψi gegeben: hAi = hψ|A|ψi = A¯ . In der Tat, benutzen wir die Spektraldarstellung (11.51) von A, X |ai iai hai | , A= i

so erhalten wir f¨ ur den Erwartungswert X X X wi ai , ai |hai |ψi|2 = hψ|ai iai hai |ψi = hAi = i

i

i

der durch die Wahrscheinlichkeiten wi (12.4) festgelegt wird. Letztere lassen sich auch durch die Norm des Vektors (12.3) ausdr¨ ucken, der als Ergebnis (der Zustandsreduktion) des Messprozesses entsteht wi = kPi |ψik2 = k |ai ihai |ψik2 .

(12.6)

Dieses Postulat beinhaltet, dass die Quantenmechanik i.A. (¨ahnlich wie die statistische Mechanik) nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gestattet: Falls sich ein System nicht in einem Eigenzustand der zu messenden Observablen A befindet, kann die Messung prinzipiell jeden Eigenwert von A liefern. Die Quantenmechanik gestattet es lediglich, die Wahrscheinlichkeit anzugeben, mit der ein einzelner Messwert, d.h. ein Eigenwert ai ,

12.2 Vertr¨aglichkeit von Observablen

257

gemessen wird. In der klassischen Mechanik hingegen l¨asst sich bei Kenntnis der Anfangsbedingung eines Systems aus den Bewegungsgleichungen der Messwert einer physikalischen Gr¨oße zu einem beliebigen sp¨ ateren Zeitpunkt exakt vorhersagen. In diesem Sinne bezeichnet man die Quantenmechanik oft als nicht-deterministische Theorie, da das Ergebnis einer Messung a priori nicht vorhersagbar ist. Wir sagen deshalb auch, dass die physikalischen Gr¨ oßen i.A. unscharf sind, d.h. eine Unsch¨arfe besitzen, welche die mittlere Schwankung der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Observablen um ihren Erwartungswert angibt. 5) Die zeitliche Evolution der Wahrscheinlichkeitsamplitude (Wellenfunktion) ψ ist durch die Schr¨odinger-Gleichung gegeben: i~

12.2

∂ψ = Hψ ∂t

Vertra¨glichkeit von Observablen

Durch die Wechselwirkung der Messapparatur mit dem zu messenden Objekt wird der Zustand des zu messenden Systems beeinflusst, bzw. ver¨andert. Wie wir oben gesehen haben, kommt es zu einer Zustandsreduktion. Befindet sich das System in einem Eigenzustand einer Observablen A und f¨ uhren wir anschließend eine Messung einer anderen Observablen B durch, so wird i.A. der Eigenzustand von A zerst¨ort. Die beiden Observablen A und B sind dann nicht gleichzeitig messbar, sie sind nicht miteinander vertr¨aglich. F¨ uhren wir zuerst die Messung von B und anschließend die Messung von A durch, so treten die Messergebnisse mit einer anderen Wahrscheinlichkeit auf als bei umgekehrter Messreihenfolge. Die beiden zugeh¨origen Operatoren sind offenbar nicht vertauschbar, [A, B] 6= ˆ 0. Als Beispiel betrachten wir ein freies Teilchen, das sich in einem Zustand ψ(x) befinden soll. Dieser Zustand kann z.B. ein Wellenpaket repr¨asentieren. F¨ uhren wir eine Ortsmessung des Teilchens durch, so geht der Zustand |ψi in einen Eigenzustand des Ortes |x0 i u ¨ber: |ψi

−→

|x0 i .

Der als Resultat der Ortsmessung entstehende Ortseigenzustand

hx|x0 i = δ(x − x0 ) =

Z∞

dp i p(x−x0 ) e~ 2π~

−∞

ist eine Superposition von ebenen Wellen, in der jede Welle mit gleichem Gewicht vorkommt. Der entstehende Zustand ist damit v¨ollig unscharf im Impuls. F¨ uhren wir jetzt anschließend eine Impulsmessung durch, so projiziert die Messapparatur aus dieser

258

12 Axiomatische Quantenmechanik A

A|ψi

B B|ak i

a1

|ψi

b1 |bi i

|ak i

ak

bi

Abb. 12.2: Schematische Darstellung der nacheinander durchgef¨ uhrten Messungen zweier unvertr¨ aglicher Observablen.

¨ Uberlagerung von ebenen Wellen eine einzelne Welle mit Impuls p0 heraus: |x0 i =

Z∞

−∞

dp |pihp|x0 i 2π~

−→

|p0 i ,

p ∈ (−∞, ∞)

−→

p0 .

Der Ortseigenzustand |x0 i geht dabei in einen Impulseigenzustand |p0 i (ebene Welle) i

hx|p0 i = e ~ p0 x u ¨ber, der u ¨ber den gesamten Ortsraum ausgebreitet ist und somit v¨ollig unscharf im Ort ist. Durch die vorherige Ortsmessung wird der anschließend zu messende Impuls v¨ollig unbestimmt. Die Impulsmessung ihrerseits macht den Ort unscharf. Ort und Impuls sind damit nicht vertr¨ aglich, d.h. nicht gleichzeitig scharf messbar. Andererseits ist eine Impulseigenfunktion f¨ ur das freie Teilchen auch gleichzeitig Eigenfunktion der Energie bzw. des Hamilton-Operators. Folglich wird durch die Impulsmessung das Ergebnis einer nachfolgenden Energiemessung v¨ ollig vorhersagbar. Energie und Impuls sind deshalb f¨ ur das freie Teilchen miteinander vertr¨ aglich. Wir k¨onnen deshalb die Messung einer Observablen A in der Quantenmechanik schematisch wie folgt darstellen (siehe Abb. 12.1): X |ai iai hai |ψi −→ |ak i . |ψi → A|ψi = i

F¨ ur zwei aufeinanderfolgende Messungen nicht-kompatibler Observablen erhalten wir dann folgendes Schema (siehe Abb. 12.2): |ψi → A|ψi −→ |ak i → B|ak i −→ |bi i ,

|bi i 6∼ |ak i .

Messung von A f¨ uhrt das System aus dem Zustand |ψi in einen Eigenzustand |ak i u ¨ber. Durch anschließende Messung der Observablen B wird dieser Eigenzustand zerst¨ort und

12.2 Vertr¨aglichkeit von Observablen

259

A

A|ψi |ψi

B

a1 a2 |ak i

ak

B|ak i

bk

|ak i

Abb. 12.3: Schematische Darstellung der nacheinander durchgef¨ uhrten Messungen zweier vertr¨ aglicher Obsevablen.

wiederum nur die Komponente des ket-Vektors |ak i parallel zum Vektor |bi i herausprojiziert, d.h.: B|bi i = bi |bi i . Damit haben A und B keine gemeinsamen Eigenfunktionen, und wie wir oben gesehen haben, k¨onnen sie deshalb nicht kommutieren, [A, B] 6= ˆ0.

F¨ ur zwei aufeinander folgende Messungen kompatibler Observablen A und B erhalten wir dagegen folgendes Schema (siehe Abb. 12.3):

|ψi → A|ψi −→ |ak i → B|ak i = bk |ak i . Nachdem die Messung von A das System aus dem Zustand ψ in den Zustand |ak i u uhrt hat, ver¨ andert die nachfolgende Messung der Observablen B (d.h. die Wir¨berf¨ kung von B auf |ak i) h¨ ochstens die L¨ ange des Vektors |ak i, zerst¨ort aber nicht mehr seine Zusammensetzung, bzw. ver¨ andert nicht seine Richtung im Hilbert-Raum2 . Dies bedeutet, dass der Eigenvektor von A ebenfalls Eigenvektor zur Observablen B ist. Das Ergebnis der Messung von A und B h¨ angt hier nicht von der Reihenfolge der Messungen ab und die beiden zugeh¨ origen Operatoren m¨ ussen miteinander kommutieren, [A, B] = ˆ0. In der Tat m¨ ussen A und B kommutieren, da sie dieselben Eigenfunktionen besitzen, was wir im Abschnitt 11.5 allgemein f¨ ur hermitesche Operatoren gezeigt haben. Abschließend illustrieren wir noch die Messung nicht-kompatibler Observablen anhand eines einfachen Beispiels. Dazu betrachten wir ein quantenmechanisches System, dessen Hilbert-Raum durch den 2 gegeben ist. Da die Eigenvektoren eines hermiteschen Operators eine vollst¨ andige orthogonale Basis bilden, wird jeder hermitesche Operator dieses Hilbert-Raumes durch ein orthonormiertes Zweibein charakterisiert, dessen

R

2 Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass nach Postulat 1 quantenmechanische Zust¨ ande Strahlen, d.h. Richtungen im Hilbert-Raum, zugeordnet sind, sodass die L¨ ange des Zustandsvektors irrelevant ist.

260

12 Axiomatische Quantenmechanik

Basisvektoren die normierten Eigenvektoren des betrachteten Operators sind. In Abb. 12.4 sind die Eigenvektoren |ai=1,2 i und |bi=1,2 i zweier Operatoren A und B angegeben, wobei ai=1,2 und bi=1,2 die Eigenwerte von A und B bezeichnen, d.h. es gilt: A|ai i = ai |ai i

,

B|bi i = bi |bi i ,

i = 1, 2 .

Das betrachtete System befinde sich in einem Zustand |ψi. Bei einer Messung der Observablen A wurde der Eigenwert a1 erhalten. Das System befindet sich dann nach dieser Messung im Zustand |a1 i. Anschließende Messung von B soll den Eigenwert b2 liefern. Dabei geht das System in den Zustand |b2 i u ¨ber: |ψi

A

−→

|a1 i

B

−→

|b2 i .

(12.7)

F¨ uhren wir die Messungen in umgekehrter Reihenfolge durch und erhalten dabei dieselben Messwerte b2 und a1 , so haben wir: |ψi

B

−→

|b2 i

A

−→

|a1 i .

(12.8)

Die beiden Messfolgen (12.7) und (12.8), obwohl sie dieselben Messwerte von A und B liefern, bringen das System nicht nur in unterschiedliche Endzust¨ande, sondern sind auch mit verschiedener Wahrscheinlichkeit realisiert. Die Wahrscheinlichkeit bei der Messung von A und nachfolgender Messung von B, die Messwerte a1 und b2 zu erhalten (Messfolge (12.7)) ist (siehe (12.6)): w(a1 , b2 ) = k |b2 ihb2 |a1 iha1 |ψik2 = |ha1 |ψi|2 |hb2 |a1 i|2 = |OA1 |2 |OP2 |2 , w¨ahrend die Wahrscheinlichkeit f¨ ur die Messfolge (12.8) w(b2 , a1 ) = k |a1 iha1 |b2 ihb2 |ψik2 = |hb2 |ψi|2 |ha1 |b2 i|2 = |OB2 |2 |OP1 |2 betr¨agt. Zwar gilt: |OP2 | ≡ |hb2 |a1 i| = |ha1 |b2 i| ≡ |OP1 | , jedoch ist i.A.: |OA1 | ≡ |ha1 |ψi| 6= |hb2 |ψi| ≡ |OB2 | .

12.3

Pr¨aparation eines Quantensystems

Da als Resultat einer Messung immer ein Eigenwert der gemessenen Observablen erhalten wird und das quantenmechanische System dabei in den zugeh¨origen Eigenzustand dieser Observablen u ¨bergeht, impliziert die Pr¨aparation eines quantenmechanischen Systems immer einen Messprozess und der Zustand, in welchem ein System pr¨apariert wird, ist durch den in der Messung erhaltenen Eigenwert spezifiziert. Die vollst¨andige Spezifikation eines Zustandes erfordert gew¨ ohnlich die Messung mehrerer (kommutierender) Observablen und erst durch die Messung eines maximalen Satzes von kommutierenden Observablen ist das quantenmechanische System eindeutig pr¨apariert und sein Zustand eindeutig durch die gemessenen Eigenwerte spezifiziert. Dies legt die folgende Definitionen nahe:

12.3 Pr¨aparation eines Quantensystems |a2 i

261

|b2 i B2 |ψi

P2 |b2 ihb2 |a1 iha1 |ψi

O

P1

|a1 i

A1

|a1 iha1 |b2 ihb2 |ψi |b1 i Abb. 12.4: Illustration der Messung zweier nicht-kompatibler Operatoren f¨ ur ein System, dessen Hilbert-Raum durch den 2 gegeben ist.

R

1) Vollst¨andiger Satz kommutierender Observablen: Eine Menge von kommutierenden Observablen A1 , . . . , An mit [Ak , Al ] = ˆ 0,

f¨ ur alle k, l = 1, . . . , n

heißt vollst¨ andiger Satz, wenn es genau ein System von gemeinsamen Eigenzust¨anden |a1 . . . an i, Ak |a1 . . . ak . . . an i = ak |a1 . . . ak . . . an i , gibt. Dies bedeutet, dass nicht zwei gemeinsame Eigenfunktionen existieren, f¨ ur welche die Eigenwerte ai s¨ amtlicher Observablen Ai entartet sind. Die Eigenwerte eines vollst¨ andigen Satzes von kommutierenden Observablen beinhalten die maximale Information u ¨ber das betrachtete System. Jeder weitere Operator B, der mit s¨ amtlichen Ak kommutiert, l¨asst sich vollst¨andig durch die Ak ausdr¨ ucken.

F¨ ur ein Punktteilchen bilden die drei Komponenten des Ortsoperators x ˆi oder die drei Komponenten des Impulsoperators pˆi einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observablen.

262

12 Axiomatische Quantenmechanik

2) Quantenmechanischer Zustand: Ein quantenmechanischer Zustand |ψi ist durch die Eigenwerte a, b, c, . . . eines vollst¨andigen Satzes von kommutierenden (d.h. gleichzeitig messbaren) Observablen A, B, C, . . . spezifiziert: |ψi = |abc . . . i . Er wird also durch die Eigenwerte einer maximalen Anzahl von gleichzeitig messbaren Observablen festgelegt.

12.4

Allgemeine Unsch¨arferelation

Wie wir oben festgestellt haben, entscheidet der Kommutator zweier Operatoren dar¨ uber, ob die beiden entsprechenden Observablen miteinander vertr¨aglich sind oder nicht. Der Kommutator sollte deshalb auch die Unsch¨arfe dieser beiden Observablen festlegen, was wir im Folgenden explizit zeigen wollen. Wir betrachten dazu zwei hermitesche Operatoren A, B und subtrahieren jeweils zweckm¨aßigerweise ihre Mittelwerte: A′ = A − hAi

B ′ = B − hBi .

,

Die verschobenen Operatoren sind offenbar auch hermitesch. Mit ihnen erhalten wir f¨ ur das mittlere Schwankungsquadrat im Zustand |ψi: (∆A)2 = hψ|(A − hAi)2 |ψi = hψ|(A′ )2 |ψi .

Benutzen wir die Hermitizit¨ at der Operatoren A′ und B ′ , so k¨onnen wir die mittleren Schwankungsquadrate als (∆A)2 = hψ|A′ A′ |ψi = hA′ ψ|A′ ψi = kA′ ψk2 ,

(∆B)2 = kB ′ ψk2

schreiben. Mit Hilfe der Schwarz’schen Ungleichung (11.2) finden wir deshalb f¨ ur das Produkt der Schwankungsquadrate: (∆A)2 (∆B)2 ≥ |hA′ ψ|B ′ ψi|2 = |hψ|A′ B ′ |ψi|2 .

(12.9)

Das Operatorprodukt AB zerlegen wir jetzt in symmetrischen und antisymmetrischen Anteil mittels der Beziehung AB =

1 1 {A, B} + [A, B] , 2 2

(12.10)

wobei {A, B} =: AB + BA den Antikommutator (nicht wie bisher die Poisson-Klammer!) bezeichnet. F¨ ur hermitesche Operatoren A und B ist wegen (AB)† = B † A† der Antikommutator hermitesch, w¨ahrend der Kommutator antihermitesch ist: {A, B}† = {A, B}

,

[A, B]† = −[A, B] .

12.4 Allgemeine Unsch¨ arferelation

263

Demzufolge ist der Erwartungswert des Antikommutators reell, w¨ahrend der des Kommutators rein imagin¨ ar ist. Die letzte Eigenschaft folgt aus der Tatsache, dass ein antihermitescher Operator sich schreiben l¨ asst als das Produkt von i und einem hermiteschen Operator. Gl. (12.10) zerlegt damit den Erwartungswert von AB in Real- und Imagin¨arteil: hψ|AB|ψi =

1 hψ|{A, B} + [A, B]|ψi ≡ Re{hψ|AB|ψi} + iIm{hψ|AB|ψi} . 2

Nach Bildung des Betragsquadrates finden wir deshalb: |hψ|AB|ψi|2 =

1 1 |hψ|{A, B}|ψi|2 + |hψ|[A, B]|ψi|2 . 4 4

(12.11)

Vernachl¨assigen wir hier den positiv definiten Beitrag vom Antikommutator, |hψ|AB|ψi|2 ≥

1 |hψ|[A, B]|ψi|2 , 4

(12.12)

und setzen diese Relation mit der Ersetzung A → A′ , B → B ′ in Gl. (12.9) ein, so erhalten wir: ∆A ∆B ≥

1 |hψ|[A′ , B ′ ]|ψi| 2

(12.13)

und mit [A′ , B ′ ] = [A, B] schließlich den gesuchten Zusammenhang ∆A ∆B ≥

1 |hψ|[A, B]|ψi| . 2

(12.14)

Diese Gleichung dr¨ uckt die Unsch¨ arfe zweier beliebiger Observablen durch den Kommutator der beiden zugeh¨ origen hermiteschen Operatoren aus. Es sei betont, dass diese allgemeine Unsch¨ arferelation allein eine Folge der Schwarz’schen Ungleichung ist und somit durch die der Quantenmechanik zugrunde liegenden Hilbert-Raumstruktur bestimmt ist. Setzen wir als Beispiel f¨ ur A und B den Orts- und Impulsoperator ein, A = xi

,

B = pk ,

(12.15)

welche der Kommutationsbeziehung [xi , pk ] = i~δik gen¨ ugen, so erhalten wir die bekannte Unsch¨ arferelation ∆xi ∆pk ≥

~ δik . 2

(12.16)

Eine ¨ahnliche Unsch¨ arferelation existiert auch zwischen der Zeit und der Energie. Beachten wir, dass nach der Schr¨ odinger-Gleichung der Operator der Energie in der Zeit” darstellung“ durch H = i~∂t

264

12 Axiomatische Quantenmechanik

gegeben ist und w¨ ahlen wir in (12.14) A=t

,

B = i~∂t ,

so finden wir mit E = hHi = hi~∂t i: ∆t ∆E ≥

1 ~. 2

(12.17)

Die Gr¨oße der Unsch¨ arfe h¨ angt nach Gl. (12.14) nicht nur von dem Kommutator, sondern auch von der expliziten Form der Wellenfunktion ab. F¨ ur spezielle Wellenfunktionen kann die rechte Seite von Gl. (12.14) verschwinden. Dies ist offenbar dann der Fall, wenn die Wellenfunktion |ψi Eigenfunktion zu einer der beiden Operatoren ist. In der Tat, ist |ψi Eigenfunktion einer der beiden hermiteschen Operatoren A, B, z.B. A|ψi = a|ψi



hψ|A = hψ|a ,

so verschwindet die rechte Seite von Gl. (12.14): hψ|[A, B]|ψi = hψ|(AB − BA)|ψi = hψ|aB − Ba|ψi = 0 .

(12.18)

Die linke Seite von Gl. (12.14) verschwindet ebenfalls, da in diesem Fall hAi = hψ|A|ψi = a

,

(A − hAi)|ψi = o

und folglich ∆A = 0 ist. Als Beispiel f¨ uhren wir die station¨aren Zust¨ande (8.12) an, die als Eigenzust¨ ande des Hamiltonoperators eine scharfe Energie und damit eine verschwindende Energieunsch¨ arfe, ∆E = 0, besitzen. Aus (12.17) folgt, dass diese Zust¨ande unendlich lange leben, ∆t = ∞. Ferner kann der Kommutator z.B. nur in einem Unterraum des gesamten HilbertRaumes verschwinden. In diesem Unterraum besitzen dann A und B gemeinsame Eigenfunktionen und die Unsch¨ arfe verschwindet in diesen Eigenzust¨anden.

In den obigen Betrachtungen wurde implizit stets vorausgesetzt, dass die betrachtete Wellenfunktion |ψi normierbar ist, denn f¨ ur nicht-normierbare Wellenfunktionen existieren die Erwartungswerte hAi, hBi und damit die Unsch¨arfen ∆A, ∆B nicht. Aus der allgemeinen Unsch¨ arferelation (12.14) l¨ asst sich unmittelbar der folgende Satz beweisen: Zwei hermitesche Operatoren A, B, deren Kommutator [A, B] = cˆ 1 6= ˆ 0

(12.19)

eine nicht-verschwindene (i.A. komplexe) Konstante c ist, besitzen keine normierbaren Eigenfunktionen. Wir f¨ uhren den Beweis indirekt: Aus (12.19) folgt f¨ ur jede normierbare Funktion |ψi 6= o und damit auch f¨ ur normierbare Eigenfunktionen von A oder B: |hψ|[A, B]|ψi| = |c|hψ|ψi = |c|kψk2 > 0 .

12.5 Minimum der Unsch¨ arfe

265

Diese Beziehung steht aber im Widerspruch zu Gl. (12.18) und zur Unsch¨arferelation (12.14), da die Unsch¨ arfe ∆A einer Observablen A in jedem ihrer (normierbaren) Eigenzust¨ande verschwindet (∆A = 0). Die Beziehung (12.19) l¨ asst sich insbesondere nicht durch endlich-dimensionale hermitesche Matrizen realisieren, da diese zwangsl¨aufig normierbare Eigenvektoren besitzen. Damit ist der Hilbertraum der Quantenmechanik notwendigerweise unendlichdimensional.

12.5

Minimum der Unscha¨rfe

Abschließend wollen wir untersuchen, f¨ ur welche Zust¨ande die Unsch¨arfe zweier Operatoren minimal wird. In der Schwarz’schen Ungleichung (12.9) gilt das Gleichheitszeichen, wenn die beiden Hilbert-Vektoren A′ |ψi und B ′ |ψi zueinander proportional sind, d.h. B ′ |ψi = αA′ |ψi ,

(12.20)

wobei α eine i.A. komplexe Zahl ist. In Gl. (12.12) gilt das Gleichheitszeichen, wenn der Erwartungswert des Antikommutators verschwindet: hψ|{A′ , B ′ }|ψi = 0 .

(12.21)

Somit wird die Unsch¨ arfe minimal, wenn die beiden Bedingungen (12.20) und (12.21) erf¨ ullt sind. Setzen wir (12.20) in (12.21) ein, so erhalten wir mit hψ|{A′ , B ′ }|ψi = hψ|A′ B ′ + B ′ A′ |ψi = hψ|A′ B ′ |ψi + hψ|A′ B ′ |ψi∗ 2

2

und hψ|A′ |ψi∗ = hψ|A′ |ψi die Bedingung 2

(α + α∗ ) hψ|A′ |ψi = 0 , | {z } ≥0

die sich nur erf¨ ullen l¨ asst, wenn entweder 1) die Unsch¨arfe verschwindet (was i.A. nicht der Fall ist), 2

(∆A)2 = hψ|A′ |ψi = 0 , oder 2) der Proportionalit¨ atsfaktor α rein imagin¨ar ist: α = −α∗ ,

α = iµ ,

µ∈

R.

Im 2. Fall muss f¨ ur Zust¨ ande minimaler Unsch¨arfe der Operatoren A und B die Wellenfunktion deshalb der Bedingung B ′ |ψi = iµA′ |ψi ,

µ∈

R.

266

12 Axiomatische Quantenmechanik

gen¨ ugen. Betrachten wir als Beispiel wieder den Orts- und Impulsoperator (12.15), so finden wir aus dieser Bedingung die Differentialgleichung   ~ d − hpi ψ = iµ(x − hxi)ψ . i dx Man u ¨berzeugt sich leicht, dass diese Gleichung durch das Gauß’sche Wellenpaket     µ i ψ(x) = c exp hpix exp − (x − hxi)2 ~ 2~ gel¨ost wird. F¨ ur ein freies Teilchen zerfließt zwar das Wellenpaket, d.h. das Teilchen verteilt sich mehr u ¨ber den gesamten Raum, das Produkt der Unsch¨arfe ∆x ∆p bleibt jedoch w¨ahrend der Zeitevolution konstant. Bei Anwesenheit eines ¨außeren Potentials nimmt hingegen die Unsch¨ arfe ∆x ∆p w¨ ahrend der Zeitevolution zu. Das Wellenpaket zerfließt dann schneller als f¨ ur eine freie Bewegung. Eine Ausnahme bildet der harmonische Oszillator, wo ebenfalls Zust¨ ande minimaler Unsch¨arfe existieren, die sogenannten koh¨arenten Zust¨ ande, die wir bei der Behandlung des harmonischen Oszillators besprechen werden.

13

Der harmonische Oszillator

Bei vielen Anwendungen in der Quantenmechanik haben wir es mit Potentialen zu tun, die nach unten beschr¨ ankt sind und ein Minimum besitzen, das einer stabilen Gleichgewichtslage entspricht. Als typisches Beispiel sei hier das Potential eines zweiatomigen Molek¨ uls erw¨ahnt, das in Abb. 13.1 dargestellt ist. Da die Atome in den Molek¨ ulen gebunden sind, muss das Potential prinzipiell anziehend sein. F¨ ur kleine Abst¨ande muss es jedoch abstoßend sein, da die Atome in den Molek¨ ulen einen von Null verschiedenen mittleren Abstand einnehmen. Ferner muss es f¨ ur große Abst¨ande asymptotisch verschwinden, da die Molek¨ ule dissoziieren k¨ onnen. F¨ ur Energien in der N¨ ahe des Minimums, dV (x) =0, dx x=x0

k¨ onnen wir das Potential um die Gleichgewichtslage x0 in eine Taylor-Reihe entwickeln, E

harmonisches Potential

Morse-Potential V (x) = V0 1 − e−x/a

2

r Abb. 13.1: Potentielle Energie eines zweiatomigen Molek¨ uls als Funktion des Atomabstandes (Morse-Potential).

V (x) = V (x0 ) +

1 d2 V (x) (x − x0 )2 + . . . , 2 dx2 x=x0

wobei der Term linear in der Auslenkung verschwindet. F¨ ur Energien in der N¨ahe des Potentialminimums k¨ onnen wir die Entwicklung nach dem zweiten Glied abbrechen und

268

13 Der harmonische Oszillator

erhalten das Potential eines harmonischen Oszillators: 1 V (x) = mω 2 x2 , V ′′ (x0 ) = mω 2 , 2

(13.1)

wobei wir den Koordinatenursprung in das Potentialminimum verlegt haben (x − x0 → x) und die zweite Ableitung durch die Masse des Teilchens m und die klassische Oszillatorfrequenz ω ausgedr¨ uckt haben. Der harmonische Oszillator besitzt große Bedeutung nicht nur in der klassischen Physik, sondern auch in der Quantenmechanik, da sich viele realistische Potentiale im atomaren Bereich bei kleinen Energien, d.h. in der N¨ ahe des Grundzustandes, sehr gut durch ein quadratisches Potential approximieren lassen. Als Beispiel sei hier die Gitterschwingung der Atome um ihre Gleichgewichtslage in einem Festk¨orper genannt. Dar¨ uber hinaus gibt es viele Probleme, die entweder direkt auf das Potential eines Oszillators f¨ uhren, wie z.B. der elektrische Schwingkreis, oder Probleme, die sich durch geeignete Koordinatentransformation auf einen harmonischen Oszillator reduzieren lassen. Hierzu geh¨ort einmal die Bewegung von geladenen Teilchen in einer Ebene senkrecht zu einem konstanten Magnetfeld oder das Coulomb-Potential des Elektrons im Wasserstoff-Atom. Die große Bedeutung des harmonischen Oszillators resultiert vor allem daraus, dass f¨ ur ihn sowohl die klassische Bewegungsgleichung als auch die Schr¨odinger-Gleichung exakt l¨osbar sind. Das wird auch im Pfadintegralformalismus deutlich. Das zugeh¨orige Funktionalintegral hat hier die Form eines Gauß-Integrals und ist damit exakt l¨osbar.

13.1

Pfadintegralbehandlung des harmonischen Oszillators∗

Im Folgenden wollen wir zun¨ achst den harmonischen Oszillator im Rahmen des Pfadintegralzuganges behandeln. Die klassische Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators lautet: m m L(x, x) ˙ = x˙ 2 − ω 2 x2 . 2 2 Da die zugeh¨orige klassische Wirkung S[x](tb , ta ) =

Ztb

ta

dt L(x, x) ˙

ein quadratisches Funktional der Trajektorien x(t) ist, l¨asst sich das Funktionalintegral ¨ f¨ ur die Ubergangsamplitude K(xb , tb ; xa , ta ) =

x(tZ b )=xb

i

Dx(t) e ~ S[x](tb ,ta )

(13.2)

x(ta )=xa

∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

13.1 Pfadintegralbehandlung des harmonischen Oszillators∗

269

exakt ausf¨ uhren. Das Pfadintegral erstreckt sich hier u ¨ber alle Trajektorien, die den Randbedingungen x(ta ) = xa

,

x(tb ) = xb

(13.3)

gen¨ ugen. Diese Randbedingungen lassen sich am einfachsten ber¨ ucksichtigen, wenn wir ein beliebigen Pfad x(t) als Fluktuation um die klassische Trajektorie x ˜(t) betrachten, welche die Wirkung extremiert, δS[x] =0, (13.4) δx(t) x=˜x(t)

und den Randbedingungen (13.3) gen¨ ugt. Einen beliebigen Pfad x(t), der den geforderten Randbedingungen (13.3) gen¨ ugt, k¨ onnen wir dann in der Form x(t) = x ˜(t) + y(t)

(13.5)

schreiben, wobei die Fluktuationen y(t) den Randbedingungen y(ta ) = y(tb ) = 0

(13.6)

gen¨ ugen. Wir k¨onnen jetzt die Wirkung einer beliebigen Trajektorie x(t) nach Potenzen der Fluktuationen y(t) entwickeln: S[x] = S[˜ x]+

Ztb

ta

Ztb Ztb δ 2 S[x] 1 δS[x] ′ dt dt y(t)+ y(t)y(t′ ) . (13.7) dt δx(t) x=˜x(t) 2 δx(t)δx(t′ ) x=˜x(t) ta

ta

Die Entwicklung bricht nach dem zweiten Glied ab, da f¨ ur den harmonischen Oszillator die klassische Wirkung S[x] ein quadratisches Funktional der Trajektorie ist. Ferner verschwindet der Term linear in den Fluktuationen y(t), da die klassische Trajektorie x ˜(t) die Wirkung extremiert, Gl. (13.4). Unter Ber¨ ucksichtigung von (siehe Anhang D) δ x(t ˙ ′) d δx(t′ ) = ′ δx(t) dt δx(t)

,

δx(t′ ) = δ(t − t′ ) δx(t)

finden wir f¨ ur die erste Variationsableitung: δ δS[x] ≡ δx(t) δx(t) =

m 2

Ztb

Ztb

ta

dt′

ta

dt′

 m 2 ′ x˙ (t ) − ω 2 x2 (t′ ) 2

  δ x(t ˙ ′) δx(t′ ) 2x(t ˙ ′) − ω 2 2x(t′ ) δx(t) δx(t)

  ′ 2 ′ ′ ′ d x(t ˙ ) ′ δ(t − t ) − ω x(t )δ(t − t ) = m dt dt ta  = −m x ¨(t) + ω 2 x(t) , Ztb



(13.8)

270

13 Der harmonische Oszillator

was mit (13.4) die klassische Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators liefert. Durch erneute Variationsableitung dieser Gleichung finden wir:  2  δ 2 S[x] d 2 = −m (13.9) + ω δ(t − t′ ) . δx(t)δx(t′ ) x=˜x(t) dt2

Dieser Ausdruck ist unabh¨ angig von der betrachteten Trajektorie x˜(t) (um die wir entwickeln), was wieder eine Besonderheit des harmonischen Oszillators ist. Mit (13.9) erhalten wir f¨ ur den letzten Term in (13.7) nach partieller Integration und unter Ausnutzung der Randbedingung (13.6): 1 2

Ztb

ta

dt

Ztb

ta

δ 2 S[˜ x] m dt y(t) y(t′ ) = ′ δx(t)δx(t ) 2 ′

m = 2 Damit vereinfacht sich (13.7) zu:

Ztb

ta

Z

  d2 2 dt y(t) − 2 − ω y(t) dt 2 dt y˙ 2 (t) − ω 2 y(t) ≡ S[y] .

(13.10)

S[x] = S[˜ x] + S[y] . ¨ Diesen Ausdruck setzen wir in das Funktionalintegral f¨ ur die Ubergangsamplitude (13.2) ein, wobei wir nach (13.5) die Integration jetzt u ber die Fluktuationen um die klassische ¨ Trajektorie y(t) ausf¨ uhren:

K(xb , tb ; xa , ta ) = e

i x] ~ S[˜

y(t Zb )=0

i

Dy(t) e ~ S[y](tb ,ta )

y(ta )=0

≡e

i x] ~ S[˜

K(0, tb ; 0, ta ) .

(13.11)

¨ Der Vorteil dieser Darstellung ist, dass die gesamte Abh¨angigkeit der Ubergangsamplitude von den a ußeren Koordinaten x , x vollst¨ a ndig in der klassischen Trajektorie ¨ a b x˜(t) enthalten ist, die die urspr¨ unglichen Randbedingungen (13.3) erf¨ ullt, w¨ahrend die Integration u ¨ber Trajektorien y(t) erstreckt wird, deren Randbedingungen (13.6) unabh¨angig von den ¨ außeren Koordinaten xa , xb sind. Die Darstellung (13.11) erhalten wir unmittelbar, wenn wir das urspr¨ ungliche Funktionalintegral (13.2) in der station¨aren Phasenapproximation berechnen, die im vorliegenden Fall exakt ist, siehe Gln. (13.7) und (13.10). Die allgemeine L¨ osung der Schwingungsgleichung (13.4), (13.8) x¨(t) + ω 2 x(t) = 0 lautet: x˜(t) = A sin(ωt) + B cos(ωt) .

(13.12)

13.1 Pfadintegralbehandlung des harmonischen Oszillators∗

271

Die hier auftretenden Koeffizienten A und B bestimmen wir so, dass diese L¨osung den Randbedingungen (13.3) gen¨ ugt. Dies liefert: x˜(t) =

1 [(xb cos(ωta ) − xa cos(ωtb )) sin(ωt) sin[ω(tb − ta )] + (xa sin(ωtb ) − xb sin ωta ) cos(ωt)] .

(13.13)

F¨ ur die Wirkung der klassischen Trajektorie x˜(t) (13.13) finden wir nach elementaren Rechnungen (Ausf¨ uhrung des Zeitintegrals und Benutzung der Additionstheoreme der Winkelfunktionen): S[˜ x] =

 2   mω xa + x2b cos(ωT ) − 2xa xb , 2 sin(ωT )

(13.14)

¨ wobei wir T = tb − ta gesetzt haben. Wegen der Homogenit¨at der Zeit kann die Ubergangsamplitude K(xb , tb ; xa , ta ) nur von der Zeitdifferenz T = tb − ta abh¨angen. Da die klassische Wirkung ebenfalls nur von T abh¨ angt, muss dasselbe offenbar auch f¨ ur das verbleibende Funktionalintegral u ¨ber die fluktuierenden Trajektorien

K(T ) = K(0, tb ; 0, ta ) =



y(t Zb )=0

y(ta )=0

im Dy(t) exp  ~ 2

Ztb

ta

  d2 dt y(t) − 2 − ω 2 y(t) dt 

(13.15)

gelten. Wir k¨onnen deshalb ohne Beschr¨ ankung der Allgemeinheit ta = 0 setzen. Der Operator −

d2 − ω2 dt2

im Exponenten ist hermitesch1 bez¨ uglich des Skalarproduktes (x, y) =

ZT

dt x∗ (t)y(t)

0

im Raum der Funktionen {y(t)}, welche den Randbedingungen der fluktuierenden Trajektorien y(T ) = y(0) = 0 gen¨ ugen. In diesem Raum sind seine Eigenfunktionen   d2 (13.16) − 2 − ω 2 yn (t) = λn yn (t) dt durch yn (t) =

r

2 sin T



nπt T



,

n = 1, 2, 3, . . .

(13.17)

1 Bis auf einen numerischen Faktor ist dieser Operator das zeitliche Analogon des HamiltonOperators eines Teilchens in einer Dimension in einem konstanten Potential.

272

13 Der harmonische Oszillator

gegeben. Sie bilden ein vollst¨ andiges Orthonormalsystem: (yn , ym ) ≡

ZT

dt yn (t)ym (t) = δnm .

(13.18)

0

Die zugeh¨origen Eigenwerte lauten: λn =

n2 π 2 − ω2 . T2

(13.19)

Wir zerlegen die fluktuierenden Trajektorien y(t) nach den Eigenfunktionen yn (t): ∞ X

y(t) =

an yn (t) .

(13.20)

n=1

Jede beliebige Funktion y(t) l¨ asst sich durch geeignete Wahl der an erzeugen. Deshalb k¨onnen wir das Funktionalintegral u ¨ber die Trajektorien y(t) als ein Vielfachintegral u ucken: ¨ber die Entwicklungskoeffizienten an ausdr¨ y(T Z )=0

Dy(t) = J

y(0)=0

Z Y ∞

n=1

dan ≡ J

∞ Z∞ Y

dan .

n=1−∞

Der hier auftretende Jacobian J(T ), den wir weiter unten indirekt bestimmen werden, h¨angt nur von der Zeit T , nicht aber von der Oszillatorfrequenz ω ab, da die Eigenfunktionen yn (t) (13.17), nach denen wir in (13.20) entwickeln, ebenfalls diese Eigenschaften besitzen. (Man beachte, dass die Trajektorien y(t) und damit die linke Seite von (13.20) unabh¨angig von ω sind!) Setzen wir die Entwicklung (13.20) in die Wirkung (13.10) ein, so finden wir unter Benutzung von (13.16) und (13.18): S[y] =

∞ mX λk a2k . 2 k=1

F¨ ur das Funktionalintegral (13.15) erhalten wir dann ein unendlich dimensionales GaussIntegral: K(T ) =

y(T Z )=0

Dy(t) e

y(0)=0

=J

=J

Z

∞ Y

n=1

∞ Z∞ Y

n=1−∞

dan

i ~ S[y]

!

=J

∞ Y

exp

k=1

dan exp



Z 

∞ Y

dan

n=1

im λk a2k ~ 2

im λn a2n ~ 2



=J

!

exp

 ∞ Y

n=1



imX λk a2k ~ 2 k=1

r

i2π~ . mλn

!

(13.21)

13.1 Pfadintegralbehandlung des harmonischen Oszillators∗

273

Den Jacobian J(T ) bestimmen wir durch Vergleich mit dem Propagator des freien Teilchens, f¨ ur welches wir die Amplitude bereits kennen, siehe Gl. (4.34): r m K0 (T ) = . (13.22) i2π~T F¨ ur das freie Teilchen gilt ω = 0 und die zugeh¨origen Eigenwerte (13.19) lauten: λ0n =

n2 π 2 . T2

Daher finden wir f¨ ur das Verh¨ altnis der Amplituden aus (13.21): −1/2 −1/2 −1/2  ∞  ∞  Y Y K(T ) ω2T 2 λn sin ω 1− 2 2 = . = = K0 (T ) n=1 λ0n n π ωT n=1

(13.23)

Hierbei haben wir die Produktdarstellung des Sinus ∞   x 2  Y 1− sin x = x nπ n=1 benutzt. Mit (13.22) finden wir aus (13.23) die gesuchte Amplitude: r mω K(T ) = . i2π~ sin(ωT ) Setzen wir dieses Ergebnis sowie den Ausdruck f¨ ur die klassische Wirkung (13.14) in Gl. ¨ (13.11) ein, so erhalten wir f¨ ur die Ubergangsamplitude des harmonischen Oszillators: K(xb , T ; xa , 0)   r    2 mω mω i 2 = . (13.24) xa + xb cos(ωT ) − 2xa xb exp i2π~ sin(ωT ) ~ 2 sin(ωT )

Wir begn¨ ugen uns hier der Einfachheit halber damit, die Eigenenergien des Quantenoszillators zu finden (d.h. wir verzichten auf die Bestimmung der Eigenfunktionen). Dazu ¨ ist die Abh¨angigkeit der Ubergangsamplitude von den ¨außeren Koordinaten xa , xb nicht erforderlich. (Diese ben¨ otigt man jedoch f¨ ur die Bestimmung der Wellenfunktion, siehe Abschnitt 7.2.2). Es ist deshalb ausreichend, die Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude zu betrachten, das Teilchen nach einer Zeit T wieder am selben Ort zu finden, an dem ¨ es sich zum Zeitpunkt t = 0 befand. Diese ist durch die Spur der Ubergangsamplitude Z(T ) := Sp K(T ) =

Z∞

dx K(x, T ; x, 0)

(13.25)

−∞

gegeben. Denn: K(x, T ; x, 0) ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude, das Teilchen zur Zeit t = T am Ort x zu finden, wenn es sich zur Zeit t = 0 am selben Ort x befand. Durch

274

13 Der harmonische Oszillator

Summation (Integration) u ¨ber alle Orte x finden wir die Gesamtamplitude Sp(K(T )). Einsetzen von (13.24) in (13.25) f¨ uhrt auf ein gew¨ohnliches Fresnel-Integral vom Typ (B.18)

Z(T ) =

r

mω i2π~ sin(ωT )

=

r

mω i2π~ sin(ωT )

Z∞

−∞

s

  i mω (1 − cos(ωT )) x2 dx exp − ~ sin(ωT )

2π~ sin(ωT ) 1 . = p i2mω(1 − cos(ωT )) i 2(1 − cos(ωT ))

(13.26)

Ausf¨ uhren dieses Integrals und Benutzung der trigonometrischen Beziehung 1 − cos x = 2 sin2

x 2

liefert: Z(T ) =

    ∞ X 1 1 e−iωT /2 T , = exp −iω n + = 2i sin(ωT /2) 1 − e−iωT 2 n=0

(13.27)

wobei wir im letzten Ausdruck die Summenformel f¨ ur die geometrische Reihe benutzt haben. ¨ Im Abschnitt 7.2.2 sahen wir, dass die Fourier-Transformierte der Ubergangsamplitude bez¨ uglich der Zeit bei den exakten Eigenenergien des Teilchens singul¨ar ist (genauer: δ-f¨ormige Singularit¨ aten besitzt), siehe Gl. (7.21). Die Fourier-Transformation von Gl. (13.27) liefert:

Z(E) =

Z∞

−∞

dT e

i ~ ET

Z(T ) =

∞ Z∞ X

n=0−∞

dT exp



i T ~



  1 E − ~ω n + 2

   1 = 2π~ δ E − ~ω n + . 2 n=0 ∞ X

Dieser Ausdruck ist bei den Energien   1 En = ~ω n + 2

(13.28)

singul¨ar. In den folgenden Abschnitten werden wir diese Energien als die Eigenenergien des harmonischen Oszillators durch L¨ osen der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung finden.

13.2 Der Quantenoszillator

13.2

275

Der Quantenoszillator

Der Hamilton-Operator eines Teilchens der Masse m im Potential des harmonischen Oszillators lautet: H=

p2 1 + mω 2 x2 . 2m 2

(13.29)

Da das Potential f¨ ur |x| → ∞ unbegrenzt anw¨ achst, V (|x| → ∞) → ∞ , gibt es nur gebundene Zust¨ ande. Im Folgenden sollen die Energien und die Wellenfunktionen dieser gebundenen Zust¨ ande durch L¨ osen der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung Hϕn (x) = En ϕn (x) gefunden werden. Dies erfordert das Auffinden der Eigenwerte eines Differentialoperators zweiter Ordnung,  ~2 d2  1 2 2 − ϕn (x) = En ϕn (x) , + mω x 2m dx2 2 was der Diagonalisierung einer unendlich dimensionalen Matrix ¨aquivalent ist. F¨ ur das Oszillatorpotential l¨ asst sich jedoch diese Diagonalisierung exakt (analytisch) mittels Operatortransformationen durchf¨ uhren. Dazu f¨ uhren wir zun¨achst dimensionslose Gr¨oßen ein und schreiben den Hamilton-Operator als:   2 1 x2 2 d ¯ ¯ −x0 2 + 2 , H = ~ω H , H = (13.30) 2 dx x0 wobei x0 =

r

Q=

x x0

~ (13.31) mω die charakteristische L¨ange des Oszillators ist, die auch als Oszillatorl¨ange bezeichnet wird. Beziehen wir Ort und Impuls auf diese charakteristische L¨ange, so k¨onnen wir dimensionslose Normalkoordinaten einf¨ uhren, ,

P =

1 d d p 1 = x0 = x0 , i dQ i dx ~

(13.32)

welche der Kommutationsbeziehung [Q, P ] = i ¯ gen¨ ugen. In den Normalkoordinaten nimmt der dimensionslose Hamilton-Operator H (13.30) die Gestalt ¯ = 1 (P 2 + Q2 ) H 2 an.

(13.33)

276

13.3

13 Der harmonische Oszillator

Algebraische Diagonalisierung des Hamilton-Operators

¯ mittels der Falls P und Q klassische (kommutierende) Gr¨oßen w¨aren, k¨onnten wir H linearen Transformation 1 Z = √ (Q + iP ) 2

(13.34)

auf Diagonalform bringen: ¯ = Z ∗Z . H

(13.35)

Aber auch in der Quantenmechanik, wo Q und P nicht-vertauschbare Operatoren sind, l¨asst sich der reduzierte Hamilton-Operator (13.33) auf eine ¨ahnliche Diagonalform wie (13.35) bringen. Dazu ben¨ otigen wir offenbar analog zu (13.34) eine lineare Transformation, die den Operator Q mit dem Operator P mischt. Wir f¨ uhren deshalb den Operator a = αQ + βP

(13.36)

ein, wobei α und β zun¨ achst beliebige komplexe Zahlen sind. Da Q und P hermitesch sind, lautet offenbar der hermitesch adjungierte Operator: a† = α∗ Q + β ∗ P .

(13.37)

Die Transformation von den Koordinaten und Impulsen auf die nicht-hermiteschen Operatoren a, a† schreiben wir zweckm¨ aßigerweise in Matrixform:      a Q α β = . (13.38) P α∗ β ∗ a† Durch Invertieren der Koeffizientenmatrix k¨ onnen wir Koordinaten und Impulse durch die Operatoren a, a† ausdr¨ ucken:      ∗ 1 a Q β −β = ∗ † . ∗ ∗ P −α α a αβ − α β F¨ ur die im Hamilton-Operator (13.33) auftretenden Ausdr¨ ucke Q2 , P 2 finden wir dann: 1 − α∗ β)2 1 P2 = (αβ ∗ − α∗ β)2

Q2 =

(αβ ∗

  ∗2 2 β a − |β|2 (aa† + a† a) + β 2 (a† )2 ,

  ∗ 2 2 (α ) a − |α|2 (aa† + a† a) + α2 (a† )2 .

Die Koeffizienten α, β in der linearen Transformation (13.36) waren bisher v¨ollig beliebig. Wir werden sie jetzt so w¨ ahlen, dass die Terme a2 und (a† )2 aus dem Hamilton¯ Operator H (13.33) verschwinden, da wir ja eine Form ¨ahnlich zu (13.35) erreichen wollen. Dies liefert die Bedingung α2 + β 2 = 0



β = ±iα .

13.3 Algebraische Diagonalisierung des Hamilton-Operators

277

Diese Bedingung erlaubt uns immer noch, einen der beiden Koeffizienten α oder β beliebig zu w¨ahlen. Wir benutzen diese Freiheit, um den Kommutator [a, a† ] = [αQ + βP, α∗ Q + β ∗ P ] = (αβ ∗ − βα∗ ) = ±2|α|2 in eine m¨oglichst einfache Form zu bringen. Durch geeignete Wahl von α k¨onnen wir offenbar erreichen, dass der Kommutator ˆ 1 wird: [a, a† ] = ˆ 1.

(13.39)

Diese Bedingung l¨ asst sich erf¨ ullen durch die Wahl 1 α= √ 2

,

i β=√ , 2

(13.40)

womit die Koeffizienten α, β dieselben Werte wie im klassischen Fall (13.34) besitzen. F¨ ur diese Parameterwerte erhalten wir aus (13.36) und (13.37): 1 a = √ (Q + iP ) , 2 1 a† = √ (Q − iP ) . 2

(13.41) (13.42)

Ferner wird mit (13.40) die Determinante der Koeffizientenmatrix der linearen Transformation (13.38): αβ ∗ − α∗ β = −i und der reduzierte Hamilton-Operator (13.33) nimmt die Gestalt ¯ = 1 (aa† + a† a) H 2 an. Benutzen wir den Kommutator (13.39), so erhalten wir f¨ ur den urspr¨ unglichen Hamilton-Operator (13.30):   1 † H = ~ω a a + . 2

(13.43)

Damit ist es gelungen, den Hamilton-Operator auf eine ¨ahnliche Normalform zu bringen wie die klassische Hamilton-Funktion des harmonischen Oszillators (13.35).

278

13 Der harmonische Oszillator

13.4

Der Besetzungszahloperator

Die Eigenwerte von H werden offenbar vollst¨andig durch die Eigenwerte des hermiteschen Operators n ˆ = a† a ,

n ˆ† = n ˆ

bestimmt, dessen Eigenwerte nach Abschnitt 11.5 reell sind: n ˆ |ni = n|ni Wir wollen jetzt zeigen, dass seine Eigenwerte nicht negativ sind (d.h. n ˆ ist positiv semidefinit): n≥0. Dazu schreiben wir den Eigenwert n als Erwartungswert (wir setzen hier korrekte Normierung hn|ni = 1 voraus): n = hn|ˆ n|ni = hn|a† a|ni = ka|nik2 ≥ 0 .

(13.44)

Damit ist n durch das Quadrat der Norm des Zustandes a|ni gegeben und ist folglich nicht negativ. Da die Norm nur f¨ ur den Nullvektor des Hilbert-Raumes verschwindet, finden wir: Falls ein Eigenwert n = 0 existiert, so wird der zugeh¨orige Eigenzustand |0i durch den Operator a vernichtet: ⇒

n=0

a|0i = o .

(13.45)

Man bezeichnet |0i als den Vakuumzustand des Operators a. F¨ ur die weiteren Betrachtungen berechnen wir unter Verwendung von (5.53) die Kommutatoren [ˆ n, a] = [a† a, a] = [a† , a]a = −a , †











[ˆ n, a ] = [a a, a ] = a [a, a ] = a .

(13.46) (13.47)

Unter Benutzung dieser Beziehungen l¨ asst sich leicht die folgende Behauptung beweisen: Ist |ni Eigenfunktion von n ˆ mit Eigenwert n, so sind auch a† |ni und a|ni Eigenfunktionen von n ˆ jedoch zu den Eigenwerten n + 1 bzw. n − 1. In der Tat, benutzen wir die Kommutationsbeziehung (13.47), so finden wir: n ˆ a† |ni = ([ˆ n , a† ] + a† n ˆ )|ni = (a† + a† n ˆ )|ni † † ˆ = a (ˆ n + 1)|ni = (n + 1)a |ni . Verlangen wir, dass die Zust¨ ande |ni normiert sind, so gilt offenbar die Beziehung a† |ni = Cn(+) |n + 1i , (+)

wobei Cn

eine noch zu bestimmende Normierungskonstante ist.

(13.48)

13.4 Der Besetzungszahloperator

279

In analoger Weise finden wir durch Benutzung von (13.46): n ˆ a|ni = ([ˆ n, a] + aˆ n)|ni = (−a + aˆ n)|ni = (n − 1)a|ni , woraus wir mit Ber¨ ucksichtigung der Normierung a|ni = Cn(−) |n − 1i

(13.49)

finden. Die Operatoren a† , a erh¨ ohen bzw. erniedrigen offenbar die Eigenwerte n von n ˆ um 1. Sie erlauben uns damit, aus einer gegebenen Eigenfunktion |ni alle anderen Eigenfunktionen von n ˆ und damit vom Hamilton-Operator H zu erzeugen. Sie werden deshalb als Leiter- oder Stufenoperatoren bezeichnet. Genauer bezeichnet man a† als Erzeugungsoperator und a als Vernichtungsoperator, was im n¨achsten Abschnitt begr¨ undet wird. (±)

Wir bestimmen die Normierungskoeffizienten Cn . Unter Benutzung von (13.48) und (13.49) finden wir: hn + 1|n + 1i = = =

1 (+) |Cn |2

1

(+) |Cn |2

n+1 (+)

|Cn |2

hn|aa† |ni hn|([a, a† ] + n ˆ )|ni !

=1,

bzw. hn − 1|n − 1i = = =

1 (−) |Cn |2

1

(−) |Cn |2

n

(−) |Cn |2

hn|a† a|ni hn|ˆ n|ni !

=1. (±)

Damit k¨onnen wir die unbekannten Koeffizienten Cn (13.48) und (13.49): √ n + 1|n + 1i , √ a|ni = n|n − 1i .

a† |ni =

eliminieren und erhalten aus

(13.50) (13.51)

Oben in Gl. (13.45) hatten wir gefunden: Falls der Operator n ˆ den Eigenwert 0 besitzt, muss der dazugeh¨ orige Eigenzustand durch den Operator a vernichtet werden, siehe Gl.

280

13 Der harmonische Oszillator

(13.45). Wir konnten jedoch noch nicht folgern, dass solch ein Eigenvektor in der Tat existiert. Die Existenz des Eigenwertes 0 von n ˆ wird durch (13.51) bewiesen: Falls die n keine ganzen Zahlen sind, f¨ uhrt nach (13.51) die wiederholte Anwendung des Vernichtungsoperators a schließlich auf einen Zustand |ni mit negativem n, was im Widerspruch zu Gl. (13.44) steht. Nur wenn ein Zustand |nmin i mit a|nmin i = o erreicht wird, bricht die durch die Rekursionsformel (13.51) definierte Folge ab und n wird nicht negativ. Dieser Zustand |nmin i ist aber nach (13.45) der Vakuumzustand |0i und der minimale Wert von n ist durch nmin = 0 gegeben. Damit sind die Eigenwerte n nicht-negative ganze Zahlen. Das Spektrum von n ˆ ist jedoch nicht nach oben beschr¨ankt. Wir f¨ uhren den Beweis indirekt. Wir nehmen an, es existiere ein maximaler Eigenwert nmax von n ˆ . Aus Gl. (13.50) folgt, dass der zugeh¨ orige Eigenvektor durch den Operator a† vernichtet werden muss: a† |nmax i = 0 . Hieraus erhalten wir jedoch einen Widerspruch: 0 = hnmax |aa† |nmax i = hnmax |(ˆ n + ˆ1)|nmax i = nmax + 1 . Deshalb war die Annahme der Existenz eines maximalen Eigenwertes von n falsch. Zusammenfassend haben wir damit gezeigt, dass die Eigenwerte von n ˆ durch die nat¨ urlichen Zahlen n ≥ 0 gegeben sind. Aus Gr¨ unden, die im n¨achsten Abschnitt klar werden, wird n ˆ als Besetzungszahloperator bezeichnet. Durch wiederholte Anwendung des Operators a† auf den Vakuumzustand |0i k¨onnen wir alle Eigenzust¨ ande des Operators n ˆ erzeugen. Zweckm¨aßigerweise nehmen wir an, dass der Vakuumzustand korrekt normiert ist: h0|0i = 1 . Aus Gl. (13.50) finden wir dann, dass die normierten Eigenzust¨ande von n ˆ durch 1 |ni = √ (a† )n |0i n!

(13.52)

gegeben sind. Als Eigenvektoren des hermiteschen Operators n ˆ = a† a sind die Zust¨ande |ni zu verschiedenen n orthogonal. Mit obiger Normierung gilt deshalb: hn|mi = δnm , was sich auch direkt mit Hilfe der Darstellung (13.52) beweisen l¨asst.

13.5 Das Spektrum des harmonischen Oszillators

281

V (x) ϕ(x) n=4 n=3 n=2 n=1 n=0 x Abb. 13.2: Spektrum des harmonischen Oszillators sowie zugeh¨ orige Wellenfunktionen.

13.5

Das Spektrum des harmonischen Oszillators

Aus der Kenntnis des Spektrums des Operators n ˆ erhalten wir sofort das Eigenwertspektrum des Hamilton-Operators des harmonischen Oszillators (13.43). Die Eigenenergien lauten offenbar:   1 En = ~ω n + , 2

n = 0, 1, 2, . . . .

(13.53)

Diese Eigenenergien hatten wir bereits in (13.28) aus der Spur des Propagators gefunden, den wir u ¨ber die Pfadintegraldarstellung berechnet hatten. Das gesamte Spektrum des harmonischen Oszillators ist diskret und (wie f¨ ur jede eindimensionale, gebundene Bewegung) nicht entartet. F¨ ur die Energie des Grundzustandes, die sogenannte Nullpunktsenergie, erhalten wir: E0 =

1 ~ω . 2

(13.54)

Sie ist nicht durch das Potentialminimum gegeben (wie im klassischen Fall), sondern das Teilchen besitzt im Grundzustand eine von Null verschiedene Bewegungsenergie. W¨ are das Teilchen im Potentialminimum in Ruhe, so w¨ urde es die Unsch¨arferelation verletzen. Das Spektrum des harmonischen Oszillators (13.53) ist ¨aquidistant: Der Abstand zwischen benachbarten Energieniveaus ist immer ~ω: En+1 − En = ~ω . Die benachbarten Zust¨ ande unterscheiden sich jeweils um ein Schwingungsquant ~ω. Die Zahl der Schwingungsquanten in einem Zustand |ni wird offenbar durch die Zahl

282

13 Der harmonische Oszillator

n gegeben, die deshalb auch als Besetzungszahl bezeichnet wird. Dementsprechend wird der Operator n ˆ als Besetzungszahloperator bezeichnet. Der Hamilton-Operator des harmonischen Oszillators beschreibt damit ein System von identischen, d.h. nichtunterscheidbaren Schwingungsquanten, die auch als Vibronen oder (im Kontext der Festk¨orperphysik) als Phononen bezeichnet werden und die eine Energie ~ω besitzen. Der n-te angeregte Zustand ist aus n Schwingungsquanten aufgebaut. Die Anzahl der Schwingungsquanten kann sich durch Anregung oder Abregung des Oszillators ver¨andern. Die Anregung des Oszillators geschieht offenbar durch den Operator a† , der ein Phonon erzeugt, w¨ ahrend die Abregung durch den Operator a erfolgt, der ein Phonon vernichtet. Dieser Umstand rechtfertigt die fr¨ uher eingef¨ uhrten Bezeichnungen Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren.

13.6

Unsch¨arferelation

Oben haben wir die exakten Eigenzust¨ ande |ni des Besetzungszahloperators n ˆ bzw. des Hamilton-Operators H gefunden. Diese Zust¨ande besitzen eine scharfe Phononenzahl und damit eine scharfe Energie. Sie sind jedoch unscharf im Ort und im Impuls. Im Folgenden wollen wir die Orts- und Impulsunsch¨arfe in den Oszillatoreigenzust¨anden |ni berechnen. Da das Potential symmetrisch bez¨ uglich Raumspiegelung ist, erwarten wir, dass die Erwartungswerte von x und p in den Oszillatoreigenzust¨anden verschwinden: hn|ˆ x|ni = 0

hn|ˆ p|ni = 0

,

Dies l¨asst sich leicht u ufen, wenn wir Ort und Impuls durch Inversion von (13.41), ¨berpr¨ (13.42) und Benutzung von (13.32) durch die Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren darstellen:

x0 x ˆ = √ (a + a† ) 2

,

pˆ =

i~ √ (a† − a) . x0 2

(13.55)

Beachten wir die Eigenschaften (13.50) und (13.51) der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren, so finden wir unmittelbar:  x0 hn|ˆ x|ni = √ hn|a|ni + hn|a† |ni 2  √ √ x0  = √ hn|n − 1i n + hn|n + 1i n + 1 = 0 , | {z } 2 | {z } =0

hn|ˆ p|ni =

i~ √

x0 2

=0

 hn|a† |ni − hn|a|ni = 0 .

13.7 Besetzungszahldarstellung

283

Mit der Darstellung (13.55) lassen sich auch die Schwankungsquadrate unmittelbar berechnen. F¨ ur die Ortsunsch¨ arfe finden wir:  x20 hn| a2 + aa† + a† a + (a† )2 |ni 2 x2 x2 = 0 hn|(aa† + a† a)|ni = 0 hn|2ˆ n + 1|ni 2 2  1 = x20 n + 2

(∆x)2n = hn|ˆ x2 |ni =

(13.56)

und in analoger Weise f¨ ur die Impulsunsch¨ arfe:  −~2 (∆p)2n = hn|p2 |ni = hn| (a† ))2 − aa† − a† a + (a)2 |ni 2 2x  0  2 ~ 1 = 2 n+ . x0 2

(13.57)

Damit erhalten wir f¨ ur die Ort-Impuls-Unsch¨ arfe:   1 (∆x)n (∆p)n = ~ n + . 2

(13.58)

Die Unsch¨arfe ist minimal im Grundzustand n = 0, wo sie den Wert (∆x)0 (∆p)0 =

~ 2

annimmt. Nach der allgemeinen Bedingung, die wir aus der Schwarz’schen Ungleichung gewonnen hatten (12.14), stellt dieser Wert aber gerade das absolute Minimum f¨ ur die Ort-Impuls-Unsch¨ arfe dar. Die Unsch¨ arfe w¨ achst mit zunehmender Phononenzahl n, jedes Phonon bringt eine zus¨ atzliche Unsch¨ arfe ~ in den Zustand.

13.7

Besetzungszahldarstellung

Unter Benutzung der Beziehungen (13.50) und (13.51) k¨onnen wir die Matrixelemente der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren in den Eigenzust¨anden |ni des Besetzungszahloperators berechnen. Aus (13.50) und (13.51) finden wir f¨ ur i, k = 0, 1, 2, . . . : √ √ √ aik = hi|a|ki = hi| k|k − 1i = k δi,k−1 = i − 1δi,k−1 , √ √ √ a†ik = hi|a† |ki = hi| k + 1|k + 1i = k + 1 δi,k+1 = i δi,k+1 .

284

13 Der harmonische Oszillator

Damit besitzen die Erzeugungstrixdarstellung  √ 0 1 √0 0 0 0 2 0  a = 0 0 0 √3  .. .. .. . . . 

√0  1   a† =  0  0  .. .

0 0 √ 2 0 .. .

und Vernichtungsoperatoren in dieser Basis die Ma ... . . .  ,  .. .

(13.59)

 0 ... 0 . . .   √0 . . . .  3  .. .

(13.60)

Benutzen wir die Beziehungen (13.55), so k¨ onnen wir auch die Matrixdarstellung des Orts- und Impulsoperators angeben: √   1 √0 0 . . . √0  1 0 r 2 √0 . . .   √ ~ 1  2 √0 3 . . . xˆ = x0 √ (a + a† ) = ,  0  2mω  0 0 2 3 0   .. .. .. .. . . . . √ 0 0 √0 − 1 √  1 0 − 2 0 r √ √ ~ 1 † ~mω   0 2 √0 − 3 pˆ = i (a − a) = i  x0 2 2  0 3 0 0  .. .. .. . . . 

 ... . . .  . . . .   .. .

Ganz allgemein sind die Operatoren im Hilbert-Raum der Eigenzust¨ande des Oszillators durch unendlich dimensionale Matrizen realisiert.

13.8

Ortsdarstellung der Energieeigenfunktionen: Die Hermite-Polynome

Wir haben oben die Eigenzust¨ ande des harmonischen Oszillators auf rein algebraische Art gefunden, ohne explizit die Differentialgleichung zu l¨osen, welche die Schr¨odingerGleichung im Ortsraum darstellt. Dies gelang durch analytische Diagonalisierung des Hamilton-Operators. Dazu haben wir Linearkombinationen von Orts- und Impulsoperator gebildet, was auf die Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren f¨ uhrte. Diese haben die angenehme Eigenschaft, dass sie erlauben, aus einem einzigen Zustand alle u ¨brigen

13.8 Ortsdarstellung der Energieeigenfunktionen

285

Eigenzust¨ande zu gewinnen. Dar¨ uber hinaus haben ihre Matrixelemente in der Basis {|ni} eine sehr einfache Gestalt.

Die algebraische Methode ist jedoch nicht auf das Auffinden der Energieeigenwerte beschr¨ankt. Auch die Erwartungswerte von beliebigen Observablen k¨onnen rein algebraisch f¨ ur den harmonischen Oszillator berechnet werden. Betrachten wir z.B. eine beliebige Observable A im Ortsraum. Im Allgemeinen wird die Observable nicht nur eine Ortsabh¨angigkeit, sondern auch eine Impulsabh¨angigkeit besitzen, A(x, p), und damit Differentialoperatoren bez¨ uglich des Ortes enthalten. Unter Benutzung der Beziehung (13.55) k¨onnen wir jedoch Ort und Impuls durch Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren ausdr¨ ucken. Jede Observable wird damit eine Funktion der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren: A(x, p) = A(∼ (a + a† ), ∼ i(a† − a)) Ferner stellen die Eigenfunktionen des Besetzungszahloperators, |ni, ein vollst¨andiges orthonormales System dar, nach dem wir jede beliebige Wellenfunktion entwickeln k¨ onnen. Damit gelingt es, beliebige Matrixelemente einer beliebigen Observablen durch die Matrixelemente der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren in der Eigenbasis von n ˆ auszudr¨ ucken. Wir ben¨ otigen deshalb niemals eine explizite Darstellung der Besetzungszahleigenfunktionen |ni, z.B. die Ortsdarstellung. Nichtsdestotrotz ist es instruktiv, die Eigenfunktionen des harmonischen Oszillators in der Ortsdarstellung zu betrachten. Die Ortsdarstellung der Oszillatorwellenfunktion ist durch ϕn (x) = hx|ni definiert. Der Grundzustand des harmonischen Oszillators wird durch den Operator a vernichtet, siehe Gl. (13.45). Schreiben wir diese Gleichung in der dimensionslosen Q-Darstellung (Q = x/x0 ), 0 = hQ|a|0i , und f¨ ugen die ˆ1 in der Q-Darstellung Z ˆ1 = dQ′ |Q′ ihQ′ | ein, so erhalten wir: 0 = hQ|a|0i =

Z

dQ′ hQ|a|Q′ ihQ′ |0i .

(13.61)

Unter Benutzung der Darstellung (13.41) von a finden wir f¨ ur sein Matrixelement in der Q-Darstellung: 1 ˆ ′ i + ihQ|Pˆ |Q′ i) . hQ|a|Q′ i = √ (hQ|Q|Q 2 ˆ in der Ortsdarstellung erhalten wir wegen Das Matrixelement des Ortsoperators Q ˆ Q|Qi = Q|Qi

286

13 Der harmonische Oszillator

und (siehe Gl. (11.51)) hQ|Q′ i = δ(Q − Q′ ) trivialerweise zu: ˆ ′ i = Qδ(Q − Q′ ) . hQ|Q|Q F¨ ur das Matrixelement des Impulsoperators2 Pˆ (13.32) finden wir analog zu Gl. (11.63): hQ|Pˆ |Q′ i =

1 d δ(Q − Q′ ) . i dQ

Setzen wir diese Ausdr¨ ucke in Gl. (13.61) ein, so finden wir nach Ausf¨ uhren der Q′ Integration mit hQ|0i ≡ ϕ0 (Q): 0 = hQ|a|0i = a(Q)ϕ0 (Q) , wobei 1 1 a(Q) = √ (Q + iP ) = √ 2 2

  d Q+ dQ

der Vernichtungsoperator (13.41) in der Ortsdarstellung (13.32) ist. Die Bedingung an den Grundzustand (Vakuum) liefert damit die lineare Differentialgleichung   d 1 Q+ ϕ0 (Q) = 0 , (13.62) a(Q)ϕ0 (Q) = √ dQ 2 deren L¨osung durch   1 ϕ0 (Q) = C exp − Q2 2 gegeben ist. Gehen wir von der dimensionslosen Normalkoordinate Q zur Ortsvariablen xu ¨ber, so lautet die Wellenfunktion des Grundzustandes: "  2 # 1 x ϕ0 (x) = C exp − . (13.63) 2 x0 Die Konstante C wird durch die Normierung bestimmt: !

2

1 = kϕ0 k = = |C|2 x0

Z∞

−∞

Z∞

−∞

⇒ 2 Man

dx

ϕ∗0 (x)ϕ0 (x)

= |C|

2

Z∞

−∞

√ 2 dQ e−Q = |C|2 x0 π

C=

s

 mω 1/4 1 √ . = πx0 ~π

beachte, dass der Operator Pˆ (13.32) kein ~ enth¨ alt.

"   # 2 x dx exp − x0

13.8 Ortsdarstellung der Energieeigenfunktionen

287

Damit lautet die normierte Wellenfunktion des Grundzustandes:

ϕ0 (x) =

 mω 1/4 π~

"

1 exp − 2



x x0

2 #

.

Sie stellt eine bei x = 0 lokalisierte Gauß-Funktion dar, deren Breite durch die charakteristische L¨ange x0 gegeben ist. Eine Wellenfunktion dieser Gestalt haben wir nat¨ urlich intuitiv erwartet, da die Wellenfunktion des Grundzustandes keinen Knoten besitzen kann. In ¨ahnlicher Weise k¨ onnen wir auch die Ortsdarstellung aller angeregten Zust¨ande bestimmen. Dazu brauchen wir nur die explizite Darstellung der Eigenfunktionen |ni in der Ortsdarstellung aufzuschreiben: ϕn (Q) = hQ|ni

1 = √ hQ|(a† )n |0i n!

1 = √ (a† (Q))n ϕ0 (Q) . n!

(13.64)

Mit (13.42) 1 a† (Q) = √ 2

  d Q− dQ

erhalten wir: 1 ϕn (Q) = √ 2n n!

n   mω 1/4 − 1 Q2 d e 2 . Q− dQ π~

Als Funktion der Normalkoordinate Q lauten damit die korrekt normierten Wellenfunktionen der angeregten Zust¨ ande des harmonischen Oszillators:  mω 1/4

1 1 2 √ e− 2 Q Hn (Q) n π~ 2 n!  mω 1/4 1 hn (Q) = √ hn (Q) . ≡ ~ x0

ϕn (Q) =

Hierbei sind hn (Q) die Hermite-Funktionen und n  1 2 1 2 d Q Hn (Q) = e 2 e− 2 Q Q− dQ

(13.65)

(13.66)

die Hermite-Polynome. Hn (Q) stellt ein Polynom n-ten Grades in Q dar, das die Symmetrie Hn (−Q) = (−1)n Hn (Q) besitzt. Diese Beziehung garantiert, dass die Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators entweder symmetrisch oder antisymmetrisch sind, was, wie wir fr¨ uher bereits

288

13 Der harmonische Oszillator

in Abschnitt 9.4 gesehen haben, eine Konsequenz der Spiegelsymmetrie des Potentials (V (−x) = V (x)) ist. F¨ ur die Oszillatorwellenfunktion ist die Parit¨at deshalb durch πn = (−1)n gegeben.

Bemerkung: Die in Gl (13.66) angegebene Darstellung der Hermite-Polynome ist nicht die Standard-Darstellung 2

Hn (Q) = (−1)n eQ

dn −Q2 e . dQn

(13.67)

Man kann jedoch leicht unter Benutzung der Beziehung  n 1 d 1 d 1 d 1 d 1 d f (x) (f ) (f ) . . . (f ) f = f (x) dx f dx f dx f dx f dx 1 dn f (x) f (x) dxn

=

(13.68)

zeigen, dass die beiden Darstellungen (13.66) und (13.67) ¨aquivalent sind:  n n Q2 d −Q2 −Q2 (13.68) n n Q2 d e = (−1) e e Hn (Q) = (−1) e dQn dQ  n 1 2 1 2 d n − 21 Q2 − 12 Q2 Q 2Q 2 = (−1) e e e e dQ  n 1 2 d 1 2 − 21 Q2 n 21 Q2 Q 2 e e = (−1) e e− 2 Q dQ n    1 2 1 2 d 1 2 d − 1 Q2 1 2 e− 2 Q ,e 2 +e− 2 Q = (−1)n e 2 Q e 2 Q dQ dQ {z } | 1

=−Qe− 2 Q

2

n 1 2 d − Q e− 2 Q dQ n  1 2 d 1 2 e− 2 Q . = e2Q Q − dQ 1

2

= (−1)n e 2 Q



13.8 Ortsdarstellung der Energieeigenfunktionen

289

Da die Eigenfunktionen des hermiteschen Besetzungszahloperators n ˆ orthogonal sind und wir außerdem diese Zust¨ ande korrekt normiert hatten, muss dies auch f¨ ur diese Zust¨ande in der Ortsdarstellung gelten. Hieraus folgt f¨ ur die Hermite-Polynome die Orthonormalit¨atsbeziehung Z∞

2

dQ e−Q Hn (Q)Hm (Q) =

√ n π2 n!δnm .

−∞

Zur einfacheren Berechnung der Hermite-Polynome leiten wir noch eine Rekursionsformel ab. Dazu schreiben wir die Beziehungen (13.50) und (13.51) in der Ortsdarstellung auf:   √ d 1 † √ Q− ϕn (Q) = n + 1ϕn+1 (Q) , a (Q)ϕn (Q) = dQ 2   √ d 1 √ Q+ (13.69) ϕn (Q) = nϕn−1 (Q) . a(Q)ϕn (Q) = dQ 2 Addieren wir beide Gleichungen, so erhalten wir: √

2Qϕn (Q) =

√ √ n + 1ϕn+1 (Q) + nϕn−1 (Q) .

Dies liefert f¨ ur die Hermite-Polynome mit Gl. (13.65) die Rekursionsbeziehung 2QHn (Q) = Hn+1 (Q) + 2nHn−1 (Q) .

(13.70)

Die ersten Hermite-Polynome lauten: H0 (Q) = 1 , H1 (Q) = 2Q , H2 (Q) = (2Q)2 − 2 ,

H3 (Q) = (2Q)3 − 6(2Q) . Aus Gl. (13.69) finden wir die Beziehung √ d ϕn (Q) = 2nϕn−1 (Q) − Qϕn (Q). dQ Dr¨ ucken wir hier ϕn (Q) durch die Hermite-Polynome (13.65) aus, erhalten wir f¨ ur die Ableitung der Hermite-Polynome: d Hn (Q) = 2nHn−1 (Q) dQ

(13.71)

Differenzieren wir diese Gleichung nach Q und benutzen die Rekursionsbeziehung (13.70)

290

13 Der harmonische Oszillator

sowie den obigen Ausdruck f¨ ur die Ableitung der Hermite-Polynome, d2 Hn (Q) dQ2

d (2nHn−1 (Q)) dQ (13.70) d = (2QHn (Q) − Hn+1 (Q)) dQ d d = 2Hn (Q) + 2Q Hn (Q) − Hn+1 (Q) dQ dQ d (13.71) = 2Hn (Q) + 2Q Hn (Q) − 2(n + 1)Hn (Q) , dQ =

so erhalten wir die Hermitesche Differentialgleichung  2  d d − 2Q + 2n Hn (Q) = 0 . dQ2 dQ

13.9

Der dreidimensionale harmonische Oszillator

Wie wir bei der Behandlung der eindimensionalen Potentialprobleme gesehen haben, l¨asst sich ein nach unten beschr¨ anktes Potential mit Potentialminimum in der N¨ahe des Minimums f¨ ur niedrige Energien stets durch ein Oszillatorpotential approximieren. Dies bleibt auch g¨ ultig in drei Dimensionen, wobei jedoch i.A. das Oszillatorpotential in verschiedenen Richtungen verschieden gekr¨ ummt sein kann. Die allgemeinste Form des dreidimensionalen Potentials in der N¨ ahe des Minimums hat deshalb die Gestalt V (x1 , x2 , x3 ) =

1 1 1 a1 x21 + a2 x22 + a3 x23 + b12 x1 x2 + b23 x2 x3 + b31 x3 x1 . 2 2 2

Durch lineare Koordinatentransformation l¨ asst sich die quadratische Form in den kartesischen Koordinaten diagonalisieren. In den resultierenden Normalkoordinaten hat dann das Potential die Gestalt V (x) =

3 1 X 2 2 ω x . m 2 i=1 i i

Bei diesem Potential wirkt in den drei unabh¨angigen Normalrichtungen jeweils ein harmonisches Potential, jedoch mit unterschiedlicher Kr¨ ummung. Dieses Potential definiert den dreidimensionalen anisotropen harmonischen Oszillator. Der zugeh¨orige HamiltonOperator 3

H=

X p2 Hi (xi ) + V (x) = 2m i=1

zerf¨allt in eine Summe von harmonischen Oszillatoren bez¨ uglich der drei Normalkoordinaten: Hi (xi ) =

p2i 1 + mωi2 x2i . 2m 2

13.9 Der dreidimensionale harmonische Oszillator

291

Da die Oszillatoren verschiedener Normalkoordinaten unabh¨angig sind, kommutieren die zugeh¨origen Hamilton-Operatoren, [Hi , Hj ] = ˆ 0, und wir k¨onnen die station¨ are Schr¨ odinger-Gleichung Hϕ(x) = Eϕ(x) durch den Produktansatz3 ϕ(x) ≡ ϕ(x1 , x2 , x3 ) = ϕ1 (x1 )ϕ2 (x2 )ϕ3 (x3 )

(13.72)

l¨ osen. Setzen wir diesen Ansatz in die Schr¨ odinger-Gleichung ein und dividieren durch die Wellenfunktion, so erhalten wir: 1 1 1 H1 ϕ1 (x1 ) + H2 ϕ2 (x2 ) + H3 ϕ3 (x3 ) = E . ϕ1 (x1 ) ϕ2 (x2 ) ϕ3 (x3 ) Da die rechte Seite dieser Gleichung eine Konstante, die Energie E, ist und jeder einzelne Term nur von jeweils einer Variable (Normalkoordinate) abh¨angt, kann diese Gleichung nur erf¨ ullt sein, wenn jeder einzelne Term f¨ ur sich konstant ist, d.h. die Schr¨odingerGleichung reduziert sich auf drei unabh¨ angige Schr¨odinger-Gleichungen: H1 ϕ1 (x1 ) = E1 ϕ1 (x1 ) , H2 ϕ2 (x2 ) = E2 ϕ2 (x2 ) , H3 ϕ3 (x3 ) = E3 ϕ3 (x3 ) . Die Gesamtenergie ist dann durch E = E1 + E2 + E3 gegeben. Damit ist es uns mit dem Produktansatz (13.72) gelungen, den dreidimensionalen Oszillator in drei eindimensionale Oszillatoren zu separieren. Der Produktansatz wird deshalb in diesem Zusammenhang auch als Separationsansatz bezeichnet. Mit ihm l¨ asst sich offenbar immer dann eine Separation des Eigenwertproblems erreichen, wenn der betrachtete Operator aus einer Summe von (untereinander kommutierenden) Operatoren besteht, die in verschiedenen Hilbertr¨ aumen wirken. Da jeder einzelne Hamilton-Operator Hi einen eindimensionalen harmonischen Oszillator darstellt, lauten nach Abschnitt 13.5 die Energieeigenwerte:   1 , Ei = ~ωi ni + 2 und die Wellenfunktionen ϕni (xi ) = hxi |ni i 3 Streng genommen handelt es sich hier um ein Tensorprodukt ϕ (x ) ⊗ ϕ (x ) ⊗ ϕ (x ), siehe 1 1 2 2 3 3 Abschnitt 11.7.

292

13 Der harmonische Oszillator

sind durch die hermiteschen Funktionen (13.65) gegeben. F¨ ur den dreidimensionalen station¨aren Zustand lautet deshalb die Gesamtenergie: E=

  1 ~ωi ni + 2 i=1

3 X

und die Wellenfunktion ist durch ϕ(x) = ϕn1 (x1 )ϕn2 (x2 )ϕn3 (x3 ) gegeben.

Der isotrope harmonische Oszillator Im Folgenden wollen wir den wichtigen Spezialfall untersuchen, f¨ ur den das Oszillatorpotential in allen drei Richtungen dieselbe Kr¨ ummung besitzt: ω1 = ω2 = ω3 = ω . Dieser Oszillator wird als isotroper harmonischer Oszillator bezeichnet. Die Energieeigenwerte sind dann durch   3 (13.73) En = ~ω n + 2 gegeben, wobei n = n1 + n2 + n3

(13.74)

die Gesamtzahl der Oszillatorschwingungsquanten ist. Das Spektrum der drei Oszillatoren ist entartet, da sich das gleiche n durch verschiedene Kombinationen von n1 , n2 und n3 realisieren l¨ asst. Im Folgenden wollen wir den Entartungsgrad gn eines Energieniveaus En berechnen. Dieser ist offenbar durch gn =

n n n X X X

δn,n1 +n2 +n3

n1 =0 n2 =0 n3 =0

gegeben, wobei das Kronecker-Symbol die Bedingung (13.74) ber¨ ucksichtigt. Diese Bedingung erlaubt es uns, sofort eine der drei Summationen trivial auszuf¨ uhren. Wir w¨ahlen hierzu die Summation u ¨ber n3 . Wegen n3 = n − (n1 + n2 ) ≥ 0 ist f¨ ur festes n und n1 die Quantenzahl n2 auf die Werte n2 ≤ n − n1 eingeschr¨ankt und wir erhalten gn =

n n X X

n1 =0 n2 =0

Θ(n − n1 − n2 ) =

n n−n X X1

n1 =0 n2 =0

1.

13.10 Das unendlich schwere Teilchen∗

293

Die verbleibenden Summen lassen sich trivial ausf¨ uhren. Mit n−n X1 n2 =0

1 = n − n1 + 1

finden wir gn =

n X

(n − n1 + 1) = (n + 1)

n1 =0



= (n + 1) n + 1 −

n 2

=

n X

n1 =0

1−

n X

n1 =0

n1 = (n + 1)2 −

1 (n + 1)(n + 2) = 2

n(n + 1) 2

  n+2 . 2

Der isotrope harmonische Oszillator l¨ asst sich offensichtlich aufgrund seiner sph¨arischen Symmetrie auch bequem in sph¨ arischen Koordinaten l¨osen, was wir in Abschnitt 18.6 tun werden.

13.10

Das unendlich schwere Teilchen∗

Die Beschreibung eines quantenmechanischen Teilchens in einem ¨außeren Potential vereinfacht sich drastisch, wenn das betrachtete Teilchen sehr massiv ist. Im Grenzfall m → ∞ k¨onnen wir in der Schr¨ odinger-Gleichung   2 p + V (x) ϕ(x) = Eϕ(x) 2m f¨ ur endliche Impulse p = ~k bzw. Wellenzahlen k die kinetische Energie gegen¨ uber der potentiellen Energie vernachl¨ assigen, p2 ≪ V (x) , 2m und erhalten: V (x)ϕ(x) = Eϕ(x) . Da das Potential nur eine Funktion der Ortsvariablen ist, sind die Eigenfunktionen ϕ(x) durch Eigenfunktionen des Ortes (5.52) gegeben: ϕ(x) = ξx′ (x) ,

x ˆξx′ (x) = x′ ξx′ (x) ,

ξx′ (x) = δ(x − x′ ) .

(13.75)

F¨ ur die Energie erhalten wir dann: E ≡ Ex′ = V (x′ ) ∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

294

13 Der harmonische Oszillator

Der Zustand kleinster Energie (Grundzustand) ist durch das Potentialminimum realisiert. Im Grundzustand sitzt also das unendlich schwere Teilchen im Potentialminimum. Es verh¨alt sich deshalb wie ein klassisches Teilchen. Es ist am Potentialminimum lokalisiert und besitzt deshalb unendlich große Impulsunsch¨arfe, da die Ortseigenfunktionen (13.75) eine Superposition von allen Impulseigenfunktionen sind. F¨ ur das unendlich massive Teilchen ist eine unendliche Unsch¨ arfe im Impuls nicht tragisch, da sein Impuls wegen der unendlich hohen Masse f¨ ur jede noch so kleine endliche Geschwindigkeit den Wert unendlich erreicht. Zur Illustration dieses Sachverhaltes wollen wir ein Teilchen der Masse m → ∞ in einem Oszillatorpotential V (x) =

κ 2 x 2

(13.76)

betrachten. Bei endlicher Federkonstante“ κ verschwindet im Limes m → ∞ sowohl ” die Oszillatorfrequenz (13.1), r κ →0, ω= m als auch die Oszillatorl¨ ange (13.31): s r ~ ~ x0 = = √ →0. mω mκ Aus Gln. (13.56) und (13.57) folgt hieraus f¨ ur die Orts- und Impulsunsch¨arfe: ∆xn ∼ x0 → 0

,

∆pn ∼

1 →∞. x0

Wie erwartet besitzt das unendlich schwere Teilchen einen scharfen Ort und einen v¨ollig unbestimmten Impuls. F¨ ur ω → 0 kollabiert das gesamte Spektrum des harmonischen Oszillators (f¨ ur endliche n)   1 En = ~ω n + 2 zu einem einzigen Energiezustand E=0 und das unendlich schwere Teilchen muss sich folglich im Potentialminimum V (x = 0) = 0 aufhalten. Man beachte, dass das Potential (13.76) unabh¨angig von ω und unabh¨angig von der Masse m ist und somit bei festem κ = mω 2 f¨ ur ω → 0 bzw. m → ∞ nicht verschwindet.

13.11 Koh¨arente Zust¨ ande

13.11

295

Koh¨arente Zust¨ande

Im Folgenden fragen wir nach den Eigenzust¨ anden der Vernichtungs- bzw. Erzeugungsoperatoren, die f¨ ur a durch a|Zi = Z|Zi

(13.77)

definiert sind. Da a† 6= a, werden die Eigenwerte Z i.A. komplex sein. Da der Vernichtungsoperator die Anzahl der Phononen um 1 verringert, k¨onnen die Oszillatoreigenzust¨ande |ni keine Eigenzust¨ ande von a sein. Dies ist auch bereits klar aus der Matrixdarstellung der Erzeugungs- bzw. Vernichtungsoperatoren (13.60) und (13.59). Die Eigenzust¨ande des Besetzungszahloperators |ni stellen jedoch eine vollst¨andige Basis dar, nach denen wir die Eigenfunktionen von a entwickeln k¨onnen: ∞ X

|Zi =

n=0

Cn |ni .

(13.78)

Wenden wir auf diesen Zustand den Vernichtungsoperator an, so finden wir unter Ber¨ ucksichtigung der Wirkung dieses Operators auf die Oszillatoreigenzust¨ande |ni, Gl. (13.51): a|Zi = = =

∞ X

n=0 ∞ X

n=1 ∞ X

Cn a|ni √ Cn n|n − 1i √ Ck+1 k + 1|ki ,

k=0

!

= Z|Zi ≡ Z

∞ X

k=0

k =n−1

Ck |ki

Hieraus erhalten wir f¨ ur die Entwicklungskoeffizienten Ck die Rekursionsbeziehung Z Ck+1 = √ Ck , k+1 deren L¨osung durch Zk Ck = √ C0 k!

(13.79)

gegeben ist, wobei C0 prinzipiell von Z abh¨ angen kann und durch die Normierung festgelegt ist.

296

13 Der harmonische Oszillator

Benutzen wir die explizite Darstellung (13.52) der Oszillatoreigenfunktionen |ni durch die Erzeugungsoperatoren a† , so erhalten wir f¨ ur die Eigenzust¨ande |Zi von a: |Zi = C0 (Z)

∞ ∞ X X Zk Zk † k √ |ki = C0 (Z) (a ) |0i . k! k! k=0 k=0

(13.80)

Die hier auftretende Summe ist aber nichts weiter als die Taylor-Entwicklung der Exponentialfunktion. Deshalb k¨ onnen wir diesen Zustand schreiben als: †

|Zi = C0 (Z)eZa |0i .

(13.81)

¨ Da dieser Zustand |Zi eine koh¨ arente (f¨ ur reelle Z phasengleiche) Uberlagerung aller Oszillatoreigenzust¨ ande ist (siehe Gl. (13.80)) wird er als koh¨arenter Zustand bezeichnet. Bei der Ableitung dieser Beziehung haben wir keinerlei Einschr¨ankungen an den Eigenwert Z gemacht. Deshalb kann Z eine beliebige komplexe Zahl sein. Nehmen wir das Adjugierte der Gl. (13.77), so erhalten wir die Eigenwertgleichung des Erzeugungsoperators: hZ|a† = hZ|Z ∗ .

(13.82)

Dementsprechend finden wir durch Adjungieren der Gl. (13.81) den dualen koh¨arenten Zustand ∗

hZ| = h0|eZ a C0∗ (Z) .

(13.83)

Die koh¨arenten Zust¨ ande zu verschiedenen Z sind nicht orthogonal, sie bilden jedoch eine vollst¨andige, genauer gesagt, “¨ ubervollst¨andige” Basis.4 In der Tat, berechnen wir ¨ das Uberlappungsintegral zweier koh¨ arenter Zust¨ande, so finden wir: hZ ′ |Zi = C0∗ (Z ′ )C0 (Z) = C0∗ (Z ′ )C0 (Z)

∞ X ∞ X (Z ′∗ )n Zm √ hn|mi √ n! m! n=0 m=0

∞ X ′∗ (Z ′∗ Z)n = C0∗ (Z ′ )C0 (Z)eZ Z . n! n=0

(13.84)

Den bisher noch unbestimmten Koeffizienten C0 k¨onnen wir jetzt so w¨ahlen, dass die koh¨arenten Zust¨ ande auf 1 normiert sind, was 1

C0 (Z) = e− 2 |Z|

2

(13.85)

impliziert. Die normierten koh¨ arenten Zust¨ ande (13.81) lauten dann: 4 D.h.

ande als f¨ ur eine vollst¨ andige Basis erforderlich sind. die |Zi mit Z ∈ C enthalten mehr Zust¨

13.11 Koh¨arente Zust¨ ande

297

2

1



|Zi = e− 2 |Z| eZa |0i ,

hZ|Zi = 1 .

(13.86)

Der Zustand |Z = 0i ist offenbar durch den Grundzustand des Oszillators gegeben |Z = 0i = |n = 0i , Mit (13.85) und (13.79) finden wir aus (13.78) die Zerlegung 1

|Zi = e− 2 |Z|

2

∞ X Zk √ |ki . k! k=0

(13.87)

Da die koh¨arenten Zust¨ ande vollst¨ andig sind, erlauben sie eine Darstellung des Einheitsoperators (Vollst¨ andigkeitsrelation), ˆ1 =

Z

dZ ∗ dZ |ZihZ| , 2πi

(13.88)

die wir gleich beweisen werden. In der Polarkoordinatendarstellung Z = reiϕ ist das Integrationsmaß ∗

dZ dZ = det



∂(Z ∗ , Z) ∂(r, ϕ)



dr dϕ

mit der Jacobi-Matrix der Variablentransformation (r, ϕ) → (Z ∗ , Z),   −iϕ ∂(Z ∗ , Z) e eiϕ , = −ire−iϕ ireiϕ ∂(r, ϕ) bzw. ihrer Determinante det

∂(Z ∗ , Z) = 2ir ∂(r, ϕ)

durch dZ ∗ dZ r dr dϕ = 2πi π gegeben.

298

13 Der harmonische Oszillator

Zum Beweis der Vollst¨ andigkeitsrelation (13.88) benutzen wir f¨ ur die koh¨arenten Zust¨ande die Darstellung (13.87) Z dZ ∗ dZ ˆ1 = |ZihZ| 2πi Z dZ ∗ dZ −|Z|2 X Z n Z ∗m √ |nihm| √ e = 2πi n! m! n,m X

1 √ |nihm| = n!m! n,m

Z∞

dr 2rr

n+m −r 2

0

e

Z2π

dϕ i(n−m)ϕ e 2π 0 {z } | δnm

=

X 1 |nihn| n! n

Z∞

dx xn e−x ,

x = r2 .

0

Das hier verbleibende Integral l¨ asst sich elementar berechnen:   ∞ Z∞ n Z d dx e−αx  dx xn e−x = (−1)n  n = n! . dα 0

0

α=1

Mit diesem Ergebnis reduziert sich die Vollst¨ andigkeitsrelation der koh¨arenten Zust¨ande (13.88) auf die der Eigenzust¨ ande des harmonischen Oszillators: X ˆ1 = |nihn| . n

Wir k¨onnen damit jeden beliebigen Zustand nach den koh¨arenten Zust¨anden entwickeln bzw. in den koh¨ arenten Zust¨ anden darstellen. Aus (13.87) finden wir mit hn|ki = δnk die Oszillatoreigenfunktionen in der Darstellung der koh¨arenten Zust¨ande: 2 1 Zn hn|Zi = √ e− 2 |Z| n!

(Z ∗ )n 1 2 hZ|ni = √ e− 2 |Z| . n!



Oftmals ist es zweckm¨ aßig, mit den unnormierten koh¨arenten Zust¨anden †

˜ = eZa |0i |Zi

,

˜ = h0|eaZ hZ|



(13.89)

zu arbeiten und die notwendige Normierungskonstante in das Integrationsmaß einzuschließen: ˆ1 =

Z

dZ ∗ dZ −|Z|2 ˜ ˜ e |ZihZ| . 2πi

13.11 Koh¨arente Zust¨ ande

299

˜ gilt wegen (13.86): F¨ ur die Zust¨ande |Zi ˜ = eZ hZ˜ ′ |Zi

′∗

Z

.

In diesen Zust¨anden besitzen die Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren a† , a eine sehr einfache Darstellung: ˜ = Z|Zi ˜ a|Zi

,

˜ , ˜ = ∂ |Zi a† |Zi ∂Z

wobei die zweite Beziehung aus (13.89) folgt. Zum Abschluss berechnen wir noch die Orts- und Impulsunsch¨arfe in den koh¨arenten Zust¨anden. F¨ ur die Erwartungswerte finden wir durch Benutzung der Darstellung (13.55) von Ort und Impuls durch Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren und der Tatsache, dass die koh¨ arenten Zust¨ ande Eigenzust¨ande der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren sind (siehe Gln. (13.77) und (13.82)): x0 hZ|ˆ x|Zi = √ hZ|(a + a† )|Zi 2 x0 = √ hZ|(Z + Z ∗ )|Zi 2 √ x0 = √ (Z + Z ∗ ) = 2x0 Re{Z} , 2 ~ 1 √ hZ|(a − a† )|Zi hZ|ˆ p|Zi = i x0 2 √ ~ 1 ~ 2 √ (Z − Z ∗ ) = = Im{Z} . i x0 2 x0 ¨ Ahnlich berechnen wir die Ortsunsch¨ arfe: (∆x)2 = hZ|(ˆ x − hZ|ˆ x|Zi)2 |Zi

= hZ|ˆ x2 |Zi − (hZ|ˆ x|Zi)2   x2  = 0 hZ| (a† )2 + aa† + a† a + (a)2 |Zi − (Z + Z ∗ )2 . 2

Wegen aa† = [a, a† ] + a† a = 1 + a† a und Gln. (13.77) und (13.82) finden wir schließlich: (∆x)2 =

 x2 x20  (Z + Z ∗ )2 + 1 − (Z + Z ∗ )2 = 0 . 2 2

F¨ ur die Impulsunsch¨ arfe erh¨ alt man analog: (∆p)2 =

~2 . 2x20

300

13 Der harmonische Oszillator

Damit finden wir f¨ ur die Unsch¨ arferelation von Ort und Impuls: ∆x ∆p =

~ . 2

Dies zeigt, dass die koh¨ arenten Zust¨ ande die Unsch¨arfe minimieren (vgl. Gln. (12.16) und (13.58)). In einem beliebigen koh¨ arenten Zustand |Zi erreicht die Orts- und Impulsunsch¨arfe ihr absolutes Minimum. Diese Tatsache macht die koh¨arenten Zust¨ande sehr attraktiv, und zwar besonders dann, wenn es um die Beschreibung von semiklassisch verlaufenden Bewegungen5 geht bzw. wenn man sich eine klassische Vorstellung u ¨ber eine quantenmechanische Bewegung machen will. So erh¨alt man z.B. beim harmonischen Oszillator f¨ ur die Matrixelemente des Hamilton-Operators in den koh¨arenten Zust¨anden:   1 hZ ′ |H|Zi = ~ωhZ ′ | a† a + |Zi 2   1 = ~ω Z ′∗ Z + hZ ′ |Zi, 2 was dem klassischen Fall (13.35) sehr ¨ ahnlich ist. F¨ ur Z 6= Z ′ sind diese Matrixelemente i.A. komplex, jedoch ist der Erwartungswert   1 2 hZ|H|Zi = ~ω |Z| + 2 nat¨ urlich reell und dar¨ uber hinaus positiv. F¨ ur |Z|2 = n erhalten wir die exakten Energieeigenwerte des harmonischen Oszillators. Schließlich sei noch erw¨ ahnt, dass die Wahrscheinlichkeit wn (|Z|2 ) = |hn|Zi|2 , mit der ein Oszillatorzustand |ni in |Zi enthalten ist, gerade durch die Poisson-Verteilung gegeben ist: wn (|Z|2 ) =

(|Z|2 )n |Z|2 e . n!

Die koh¨arenten Zust¨ ande sind explizit bei den Lasern realisiert und besitzen deshalb große Bedeutung in der Theorie des Lasers. Durch ihre Eigenschaft, Eigenfunktionen der Erzeugungs- bzw. Vernichtungsoperatoren zu sein, lassen sich die koh¨ arenten Zust¨ ande auch sehr vorteilhaft zur Beschreibung von Systemen aus identischen Teilchen bzw. von Quantenfeldern benutzen.

5 Auf

einer klassischen Bahn sind nat¨ urlich Ort und Impuls scharf.

14

Periodische Potentiale: Das B¨ander-Modell des Festk¨orpers

In kristallinen Festk¨ orpern besitzen die Atome eine regul¨are periodische Anordnung. Sie formen ein sogenanntes Gitter (Abb. 14.1). In vielen Substanzen haben wir es mit einem strengen regul¨ aren Gitter zu tun, in dem benachbarte Atome exakt denselben Abstand besitzen, der als Gitterabstand bezeichnet wird. Das von den positiv geladenen Atomkernen bzw. Ionen erzeugte Coulomb-Potential der Elektronen hat dann die in Abb. 14.2(a) dargestellte Form.

Abb. 14.1: Regul¨ are periodische Anordnung der Atome im kristallinen Festk¨ orper.

Wenn die Gitterabst¨ ande der Atome hinreichend klein sind, u ¨berlappen die elektrostatischen Potentiale der Atomkerne und die Elektronen k¨onnen die Potentialbarrieren zwischen benachbarten Atomen durchtunneln. Die Elektronen werden dann nicht mehr streng an einem einzelnen Gitterplatz (Atom) gebunden sein, sondern k¨onnen sich mehr oder weniger im gesamten Festk¨ orper ausbreiten. Ein makroskopischer K¨ orper enth¨ alt gr¨ oßenordnungsm¨aßig 1023 Atome. Seine L¨angenabmessungen sind groß gegen¨ uber den atomaren Abst¨anden. Die u ¨berwiegende Zahl der Atome im Inneren des Festk¨ orpers wird nichts von der Oberfl¨ache sp¨ uren. Oberfl¨acheneffekte sollten deshalb unwesentlich f¨ ur die Volumeneigenschaften des Festk¨orpers sein und sollen daher im Folgenden ignoriert werden. Dazu k¨onnen wir einfach annehmen, dass der Festk¨orper unendlich ausgedehnt ist. F¨ ur ein unendlich ausgedehntes Gitter

302

14 Periodische Potentiale

a)

b

b) V (x)

−2a

−a

0

a

2a

x

Abb. 14.2: (a) Periodisches Coulomb-Potential der Elektronen in einem strengen regul¨ aren Gitter. Die gestrichelten Linien repr¨ asentieren die Coulombpotentiale der einzelnen Atome, die sich zum durchgezogenen periodischen Gesamtpotential ¨ uberlagern. (b) Vereinfachtes periodisches Potential.

kehren wir in den Ausgangszustand zur¨ uck, wenn wir uns um einen Gitterabstand a weiterbewegen, und das Potential ist dann streng periodisch: V (x + a) = V (x) .

14.1

(14.1)

Der Translationsoperator

Im Folgenden untersuchen wir die Form der Wellenfunktion in einem periodischen Potential. Die genaue Form des Potentials ist dabei zun¨achst irrelevant, wir setzen lediglich voraus, dass es die Periodizit¨ atsbedingung (14.1) erf¨ ullt. Dazu f¨ uhren wir zun¨achst den Translationsoperator Tz ein, der das Argument einer Ortsfunktion um den Betrag z verschiebt: (Tz ϕ)(x) = ϕ(x + z) . Dieser Operator hat in der x- bzw. Ortsdarstellung die explizite Form   d . Tz = exp z dx Zum Beweis entwickeln wir den Exponenten in eine Reihe: Tz =

∞ X z n dn . n! dxn n=0

14.1 Der Translationsoperator

303

Wenden wir diese Reihenentwicklung auf eine beliebige Funktion ϕ(x) an, so finden wir, dass der Translationsoperator gerade die Taylor-Entwicklung der Funktion ϕ(x + z) an der Stelle x liefert: ∞ X z n dn ϕ(x) = ϕ(x + z) . n! dxn n=0

(Tz ϕ) (x) =

(14.2)

Den in (14.2) definierten Translationsoperator k¨onnen wir auch durch den Impulsoperator ausdr¨ ucken: i

T z = ez ~ p ,

p=

~ d . i dx

In dieser Form ist der Translationsoperator unabh¨angig von der gew¨ahlten Darstellung. Da der Impulsoperator hermitesch ist, ist der Translationsoperator offenbar unit¨ar: Tz† = Tz−1 . Ferner gilt offenbar Tz−1 = T−z .

(14.3)

Der Translationsoperator kommutiert mit der kinetischen Energie, da er nur eine Funktion des Impulsoperators ist: 

Tz ,

 p2 =ˆ 0. 2m

Da das Potential periodisch ist mit Periode a, kommutiert es mit dem speziellen Translationsoperator Tz=a . Denn es gilt f¨ ur beliebige Funktionen ϕ(x): (Ta V ϕ) (x) = V (x + a)ϕ(x + a) = V (x)ϕ(x + a) = V (x) (Ta ϕ) (x) = (V Ta ϕ) (x) und somit [Ta , V ] = ˆ 0. Also kommutiert der Translationsoperator Ta mit dem Hamilton-Operator: [Ta , H] = ˆ 0

,

Ta HTa−1 = H .

Ta und H haben deshalb gemeinsame Eigenfunktionen (siehe Abschnitt 11.5).

304

14.2

14 Periodische Potentiale

Das Bloch’sche Theorem

Da Ta ein unit¨arer Operator ist (Ta† Ta = ˆ 1), m¨ ussen seine Eigenwerte λk die Form λk = eiνk (a) mit reellen νk (a) besitzen. Die νk (a) werden als Floquet-Indizes bezeichnet. Offenbar ist jede periodische Funktion u(x) mit der Periode a Eigenfunktion des Translationsoperators Ta zum Eigenwert 1 (νk (a) = 0 mod 2πn, n ∈ ):

N

(Ta u) (x) = u(x + a) = u(x) .

(14.4)

Da der Translationsoperator nur eine Funktion des Impulsoperators ist, sind dar¨ uber hinaus auch alle Impulseigenfunktionen gleichzeitig Eigenfunktionen zu Ta , Ta eikx = eik(x+a) = eika eikx ,

(14.5)

wobei die Floquet-Indizes durch νk (a) = ka gegeben sind. Kombinieren wir (14.4) und (14.5), so erhalten wir Eigenfunktionen des Translationsoperators der Gestalt

ϕk (x) = eikx uk (x) ,

uk (x + a) = uk (x) .

(14.6)

Solche Funktionen heißen Bloch-Wellen. Sie besitzen offenbar die Eigenschaft, dass sie periodisch bis auf eine Phase sind

ϕk (x + a) = eivk (a) ϕk (x) .

(14.7)

Es l¨asst sich nun zeigen, dass die Bloch-Welle die allgemeinste Form der Wellenfunktion in einem streng periodischen Potential ist. Dies ist die Aussage des Bloch’schen Theorems, welches wir weiter unten beweisen werden. Da Ta mit H kommutiert, m¨ ussen auch die Eigenfunktionen des Hamilton-Operators die Form von Bloch-Wellen besitzen. Die Bloch-Wellen (14.6) sind keine Impulseigenzust¨ande, wenn uk (x) nicht konstant ist. Die Gr¨ oßen p = ~k werden deshalb als Quasi-Impulse bezeichnet. Der Impuls eines Elektrons in einem periodischen Gitter ist nat¨ urlich nicht konstant wegen

14.2 Das Bloch’sche Theorem

305

der Ortsabh¨angigkeit des Gitterpotentials. Nichtsdestotrotz sind die Eigenfunktionen der Elektronen aufgrund der Struktur des Gitters durch einen konstanten Impulswert, den Quasi-Impuls, ~k = ~vk (a)/a charakterisiert. Dieser Quasi-Impuls ist offenbar nur modulo einem Vielfachen von 2π~/a bestimmt. Auch sind die Bloch-Wellen ϕk (x) f¨ ur beliebige k i.A. nicht-periodisch in der Gitterkonstanten, d.h. ϕk (x + a) 6= ϕk (x).

Beweis des Bloch’schen Theorems: Wir betrachten eine lineare Atomkette aus N identischen Gitterpunkten mit Gitterabstand a, die wir zu einem Ring der L¨ange N a verbinden (siehe Abb. 14.3), um strenge Periodizit¨at V (x + na) = V (a)

,

n − ganzzahlig ,

(14.8)

d.h. keine Randeffekte, zu haben, siehe hierzu auch Abschnitt 14.4.1. Der Einfachheit halber setzen wir auch voraus, dass die Wellenfunktion nicht entartet ist. Wegen der Symmetrie des Ringes kann sich dann die Wellenfunktion bei Verschiebung ihres Argumentes um die Gitterkonstante a nur um eine konstante Phase C ¨andern ϕ(x + a) = Cϕ(x) .

(14.9)

Laufen wir einmal um den gesamten Ring ϕ(x + N a) = C N ϕ(x) ,

(14.10)

kehren wir zur Ausgangsposition x zur¨ uck und da die Wellenfunktion einen eindeutigen Wert besitzen muss, gilt ϕ(x + N a) = ϕ(x) .

(14.11)

Vergleich von (14.10) und (14.11) zeigt CN = 1 ,

(14.12)

d.h. C ist eine der N Wurzeln der Eins 2π

C = ei N n

n = 0, 1, 2, . . . N − 1 .

(14.13)

Einsetzen dieses Ausdruckes in (14.9) liefert das Bloch’sche Theorem (14.7) f¨ ur die betrachtete Atomkette.

306

14 Periodische Potentiale 2

1

N 1

N

Abb. 14.3: Kreisf¨ ormige Atomkette, die durch Verbinden der Enden einer linearen periodischen Kette ensteht.

Bemerkung: Die Gesamtheit der Translationsoperatoren Tx (mit beliebigem Argument x) bildet eine Gruppe, die sogenannte Translationsgruppe. Man u uft leicht, ¨berpr¨ dass alle Gruppenaxiome erf¨ ullt sind: Ta Tb = Ta+b , Ta Ta−1 = Ta T−a = Ta−a = T0 = ˆ1 . Da die Translationsoperatoren zu verschiedenen Argumenten kommutieren, Ta Tb = Tb Ta = Ta+b , bilden sie eine abel’sche Gruppe, und zwar die U (1)-Gruppe (genauer gesagt, ¨ ist). Das Bloch’sche die Uberlagerungsgruppe“ der U (1)-Gruppe, welche ” Theorem folgt dann unmittelbar aus der Darstellungstheorie der Gruppen; ¨ eikx ist die Darstellung der U (1)-Gruppe bzw. deren Uberlagerungsgruppe.

R

14.3

Qualitative Beschreibung der Energieb¨ander∗

Die prinzipiellen Eigenschaften der Elektronen in einem Festk¨orper werden durch die periodische Struktur des Potentials bestimmt. Zur Beschreibung der Elektronenzust¨ande in periodischen Potentialen ersetzen wir das periodische Coulomb-Potential durch das in Abb. 14.2(b) dargestellte vereinfachte periodische Potential. Wir nehmen zun¨achst an, dass die Potentialw¨ ande unendlich hoch sind, halten aber ihre Breite b endlich. Dann verschwindet die quantenmechanische Tunnelung und die Eigenzust¨ande des HamiltonOperators sind in den einzelnen Potentialmulden lokalisiert, siehe Abb. 14.4. Im Folgenden bezeichnen wir mit |ni den (lokalisierten) Grundzustand in der n-ten Potential∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden.

14.3 Qualitative Beschreibung der Energieb¨ ander∗

307

V (x)

b

|-1i

|0i

|1i

|2i E0

−a

0

a

2a

x

Abb. 14.4: Illustration der lokalisierten Zust¨ ande |ni im vereinfachten periodischen Potential. Die schraffierten Gebiete repr¨ asentieren unendlich hohe Potentialw¨ ande der Breite b.

mulde, die durch     b b 1 1 a+ 1/2. F¨ ur l = 1 findet man:       0 10 0 −i 0 10 0 ~ ~ ~ 1 0 1 , L(1)  i 0 −i , L(1) 0 0 0  , L(1) y = √ z = √ x = √ 2 0 10 2 0 i 0 2 00 1   1 0 0 2  L(1) = 2~2 0 1 0 . 0 0 1

(16.38)

Man beachte, dass in der verwendeten Basis der Drehimpulseigenzust¨ande |lmi die Matrixdarstellung von Lz nach Gl. (16.30) stets diagonal ist, siehe Gln. (16.37) und (16.38). ¨ Wir u die Matrixdarstellung der Drehimpuls¨berlassen dem Leser als Ubungsaufgabe, operatoren mit l > 1 zu berechnen.

16.5

Konstruktion der Eigenfunktionen des Drehimpulses im Ortsraum

Die bisherigen Untersuchungen des Eigenwertproblems f¨ ur den Drehimpuls basierten allein auf den Vertauschungsrelationen der Komponenten des Drehimpulsoperators, d.h. auf der Lie-Algebra (16.7). Dabei brauchten wir die Eigenfunktionen des Drehimpulsoperators L2 , Lz niemals explizit zu berechnen. Die Eigenwerte waren allein durch die Algebra bestimmt. Auch die Matrixelemente der Drehimpulsoperatoren konnten wir allein mit Hilfe der Lie-Algebra berechnen. Wir wollen jetzt die Eigenfunktionen des Drehimpulsoperators im Ortsraum explizit konstruieren. Wir werden dabei finden, dass

350

16 Der Drehimpuls

f¨ ur die Bewegung eines Teilchens im Ortsraum nur ganzzahlige Drehimpulsquantenzahlen realisiert sind. Zur Konstruktion der Wellenfunktionen benutzen wir der Drehbewegung angepasste Kugelkoordinaten (Abb. 16.2): x = r sin ϑ cos ϕ , y = r sin ϑ sin ϕ , z = r cos ϑ ,

(16.39)

die auf die Wertebereiche 0 ≤ r < ∞ , 0 ≤ ϑ ≤ π , 0 ≤ ϕ < 2π

(16.40)

beschr¨ankt sind. Dr¨ ucken wir die sph¨ arischen Koordinaten durch die kartesischen Koordinaten aus, so finden wir: p r = x2 + y 2 + z 2 , ϑ = arccos(z/r) , ϕ = arctan(y/x) .

Unter Benutzung der Kettenregel der Differentiation erh¨alt man f¨ ur die Drehimpulsoperatoren in Kugelkoordinaten die Darstellung   ~ ∂ ∂ Lx = − sin ϕ , − cos ϕ cot ϑ i ∂ϑ ∂ϕ   ∂ ∂ ~ (16.41) cos ϕ , − sin ϕ cot ϑ Ly = i ∂ϑ ∂ϕ ~ ∂ Lz = . i ∂ϕ

Aus den ersten beiden Gleichungen gewinnt man die Leiteroperatoren (16.13):   ∂ ∂ ±iϕ . (16.42) ± L± = ~e + i cot ϑ ∂ϑ ∂ϕ Bilden wir die Quadrate der Gl. (16.41) und addieren diese, so erhalten wir f¨ ur das Quadrat des Drehimpulses:     ∂2 1 ∂ ∂ 1 L2 = −~2 sin ϑ + . sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ ∂ϕ2 Die Eigenfunktionen des Drehimpulses im Ortsraum ˆ ˆ = Ylm (ϑ, ϕ) ≡ Ylm (Ω) , hx|lmi = hx|lmi = Ylm (x) h¨angen nur von der Richtung   x sin ϑ cos ϕ x ˆ= ≡ = sin ϑ sin ϕ x |x| r cos ϕ

16.5 Eigenfunktionen des Drehimpulses im Ortsraum

351

und somit von den beiden Winkeln ϑ und ϕ ab. Sie sind damit auf der Kugeloberfl¨ache definiert und sind deshalb Funktionen vom Raumwinkel Ω. In der oben definierten Polarkoordinatendarstellung der Drehimpulsoperatoren lauten die Eigenwertgleichungen f¨ ur den Drehimpuls (16.10):   1 ∂ ∂2 ∂ 1 2 −~ Ylm (ϑ, ϕ) = ~2 l(l + 1)Ylm (ϑ, ϕ) , (16.43) (sin ϑ ) + sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ ∂ϕ2 ~ ∂ Ylm (ϑ, ϕ) = ~mYlm (ϑ, ϕ) . (16.44) i ∂ϕ F¨ ur die zweite Gleichung liefert der Separationsansatz Ylm (ϑ, ϕ) = fm (ϕ)χlm (ϑ) offenbar die L¨osung Ylm (ϑ, ϕ) = eimϕ χlm (ϑ) .

(16.45)

Da die Ylm (ϑ, ϕ) auf der Kugeloberfl¨ ache definiert sind, m¨ ussen sie periodisch in der zyklischen Winkelvariable ϕ sein: Ylm (ϑ, ϕ + 2π) = Ylm (ϑ, ϕ) . Daraus erhalten wir: Ylm (ϑ, ϕ + 2π) = ei2πm Ylm (ϑ, ϕ)



!

ei2πm = 1 .

Diese Bedingung ist nur f¨ ur ganzzahlige m erf¨ ullt, was wegen (16.24) ganzzahlige l impliziert. Damit erlaubt die Ortsraumdarstellung der Drehimpulsoperatoren nur ganzzahlige Vielfache von ~ als Drehimpulseigenwerte. Die fr¨ uher gefundenen halbzahligen Eigenwerte geh¨oren zu einem inneren Drehimpuls“ (Spin), der keine Drehung im 3 ” generiert.

R

Setzen wir die explizite L¨ osung Gl. (16.45) in Gl. (16.43) ein, so nimmt diese die Gestalt     1 ∂ ∂ m2 + l(l + 1) χlm (ϑ) = 0 sin ϑ − sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ an. Diese Gleichung ist mathematisch streng l¨ osbar. Anstatt diese Differentialgleichung zweiter Ordnung in ϑ direkt zu l¨ osen, ist es jedoch einfacher, a¨hnlich vorzugehen wie beim harmonischen Oszillator und zun¨ achst nur die Funktion mit maximaler Drehimpulsprojektion m = l aus der Differentialgleichung (16.20) erster Ordnung ˆ + |lli = L+ Yll (ϑ, ϕ) = 0 hx|L

(16.46)

zu bestimmen und im Anschluss daran die Funktionen Yl,m0: m0.

(17.71)

0

die Euler’sche Gamma-Funktion ist, welche f¨ ur ganzzahlige Argumente z = n > 0 durch Γ(n) = (n − 1)!

(17.72)

gegeben ist. F¨ ur große k = 2n → ∞ reduziert sich die Rekursionsbeziehung (17.69) auf 1 c2n , n → ∞ n

(17.73)

c0 , n → ∞. (n − 1)!

(17.74)

c2n+2 = und somit c2n =

Falls die Reihe (17.68) nicht abbricht, verh¨ alt sich die Funktion v(x) mit diesen c2n (und c2n+1 = 0) f¨ ur große x wie v(x) = c0

∞ X

2 x2n = c0 x2 ex , x → ∞ (n − 1)! n=1

(17.75)

und die Wellenfunktion u(x) (17.66) w¨ are dann nicht normierbar. Normierbare Wellenfunktionen verlangen deshalb, dass die Potenzreihe (17.68) bei einem endlichen k abbricht. Die Potenzreihe (17.68) bricht ab, falls es ein k = 2n gibt, f¨ ur das c2n+2 = 0 gilt. Nach (17.69) geschieht dies bei den Energien ε = 2|m| + 2 + 4n ,

n = 0, 1, 2, . . . .

(17.76)

17.4 Der zweidimensionale rotationssymmetrische Oszillator

381

Zu diesen Energien geh¨ oren die normierbaren Eigenfunktionen (siehe Gln. (17.66), (17.68))  X n 1 un,|m| (x) = x|m|+1/2 exp − x2 c2l x2l , 2

(17.77)

l=0

wobei sich mit (17.76) die Rekursionsbeziehung (17.69) f¨ ur die Koeffizienten c2l zu c2(l+1) = −

n−l c2l (l + 1)(l + |m| + 1)

(17.78)

vereinfacht, deren L¨ osung durch c2l = (−1)l

n! |m|! c0 (n − l)! l!(l + |m|)!

(17.79)

gegeben ist. Die Quantenzahl n = 0, 1, 2, . . . gibt die Anzahl der radialen Anregungen (Knoten der Radialwellenfunktion u(x)) des Oszillators an. Die Radialfunktionen (17.77) lassen sich durch die zugeordneten Legendre-Funktionen Lα ucken, die n (t) ausdr¨ die Potenzentwicklung besitzen Lα n (t) =

n X

al (α)tl

(17.80)

l=0

mit al (α) =

(n + α)! (−1)l . l! (n − k)!(k + α)!

(17.81)

Vergleich mit (17.79) zeigt den Zusammenhang al (α = |m|) c2l , = a0 (α = |m|) c0

(17.82)

so dass wir f¨ ur die Radialfunktion den Ausdruck u|m|,n (x) =

1 1 2 c0 2 x|m|+ 2 e− 2 x L|m| n (x ) a0 (|m|)

(17.83)

erhalten, wobei nach (17.81) a0 (|m|) =

(n + |m|)! = n!|m|!



n + |m| n



und c0 in (17.70) definiert ist. Da m ganzzahlig ist, haben wir s 1 2 c0 = , ρ0 |m|!

(17.84)

(17.85)

382

17 Axialsymmetrische Potentiale

wobei ρ0 die Oszillatorl¨ ange (17.45) ist. F¨ ur die Radialwellenfunktion (17.83) finden wir damit un,|m| (x) =

2 1p n! 1 2 2|m|! x|m|+ 2 e−x /2 L|m| n (x ) . ρ0 (n + |m|)!

(17.86)

Aus (17.76) erhalten wir f¨ ur die quantisierten Energien des zweidimensionalen harmonischen Oszillators (siehe Gl. (17.56)): E|m|,n = ~ω(|m| + 2n + 1) .

(17.87)

Diese Energieeigenwerte bestehen aus drei Anteilen: • Grundzustandsenergie (Nullpunktsenergie) E0,0 = ~ω, • Energie der Rotationsanregung E|m|,n=0 = |m|~ω, • Energie der radialen Schwingungen E|m|=0,n = 2n~ω. Vergleich von (17.87) mit dem fr¨ uher gewonnenen Ausdruck (17.53) f¨ ur die Energieeigenwerte offenbart den Zusammenhang der Quantenzahlen n+ + n− = |m| + 2n .

(17.88)

Zusammen mit (17.54) finden wir daher folgende Beziehungen zwischen den Quantenzahlen n± und n, m: i) m > 0 ii) m < 0

n+ = n + |m| , n+ = n ,

n− = n n− = n + |m| .

(17.89)

Bei einem Vorzeichenwechsel des Drehimpulses m → (−m) vertauschen die n+ und n− ihre Rollen, was wegen Gl. (17.51) unmittelbar nachvollziehbar ist.

18

Kugelsymmetrische Potentiale (Zentralpotentiale)

18.1

Die kinetische Energie in Kugelkoordinaten

In der klassischen Mechanik, in der Ort x und Impuls p gleichzeitig wohl definierte Werte besitzen, k¨onnen wir den Impuls zerlegen in eine Komponente parallel zum Ortsvektor und eine senkrecht zum Ortsvektor, die auch senkrecht auf dem Drehimpuls L = x × p steht. Aus x × L = x × (x × p) = x(x · p) − x2 p folgt die gew¨ unschte Zerlegung ˆ x ˆ · p) − p = x(

1 ˆ × L) , (x |x|

ˆ= x

x x = . |x| r

(18.1)

Elementare Vektorrechnung liefert f¨ ur das Drehimpulsquadrat: L2 = (x × p)2 = (x × p) · (x × p) = x · (p × (x × p)) = x2 p2 − (p · x)2 = r2 p2 − r2 p2r ,

(18.2)

ˆ x ˆ die Radialkomponente des Impulses p ist. Daraus erhalten wir f¨ wobei pr = (p · x) ur das Impulsquadrat: p2 = p2r +

L2 r2

und f¨ ur die kinetische Energie: T =

p2 p2 L2 . = r + 2m 2m 2mr2

Die kinetische Energie teilt sich also auf in radiale kinetische Energie und einen Term proportional zum Drehimpulsquadrat.

384

18 Kugelsymmetrische Potentiale

In der Quantenmechanik ist der Impuls durch den ∇-Operator definiert, der in sph¨arischen Koordinaten (16.39), siehe Abb. 16.2, folgende Form besitzt: ∇ = er ∇r + eϑ ∇ϑ + eϕ ∇ϕ , wobei die sph¨arischen (orthonormierten) Einheitsvektoren er , eϑ , eϕ mit den kartesischen ex , ey , ez u upft sind: ¨ber die folgenden Beziehungen verkn¨ ∂x = ex sin ϑ cos ϕ + ey sin ϑ sin ϕ + ez cos ϑ , ∂r 1 ∂x = ex cos ϑ cos ϕ + ey cos ϑ sin ϕ − ez sin ϑ , eϑ = r ∂ϑ 1 ∂x eϕ = = −ex sin ϕ + ey cos ϕ r sin θ ∂ϕ er =

und die folgenden Ableitungen besitzen: ∂ er = 0 , ∂r ∂ er = eϑ , ∂ϑ ∂ er = eϕ sin ϑ , ∂ϕ

∂ eϑ = 0 , ∂r ∂ eϑ = −er , ∂ϑ ∂ eϑ = eϕ cos ϑ , ∂ϕ

∂ eϕ = 0 , ∂r ∂ eϕ = 0 , ∂ϑ ∂ eϕ = −er sin ϑ − eϑ cos ϑ . ∂ϕ

Die sph¨arischen Einheitsvektoren sind winkelabh¨angig, jedoch unabh¨angig von r. Ferner sind die sph¨arischen Komponenten des ∇-Operators gegeben durch:

∇r =

∂ ∂r

,

∇ϑ =

1 ∂ r ∂ϑ

,

∇ϕ =

∂ 1 . r sin ϑ ∂ϕ

Damit lautet der Nablaoperator in Kugelkoordinaten:

∇ = er

∂ ∂ 1 ∂ 1 + eϑ + eϕ , ∂r r ∂ϑ r sin ϑ ∂ϕ

ˆ, er ≡ x

ei = ei (ϑ, ϕ) .

(18.3)

Die Beziehung (18.1) bleibt (im Gegensatz zu (18.2)) auch in der Quantenmechanik g¨ ultig. Mit (18.3) und der Orthogonalit¨ at der sph¨arischen Basisvektoren haben wir:

ˆ p=x

1 ~ ∂ ˆ×L. − x i ∂r r

18.1 Die kinetische Energie in Kugelkoordinaten

385

Eine zu (18.2) analoge Rechnung liefert wegen der Nichtvertauschbarkeit von Orts- und Impulsoperator f¨ ur das Quadrat des Drehimpulsoperators: L2 = (x × p)2 = (x × p) · (x × p) = x · (p × (x × p)) = xi ǫijk pj ǫlm xl pm (16.6)

= xi pj xi pj − xi pj xj pi = xi ([pj , xi ] + xi pj )pj − xi ([pj , xj ] + xj pj )pi = −i~δij xi pj + xi xi pj pj + i~δjj xi pi − xi ([xj , pi ] + pi xj )pj = xi xi pj pj − xi pi xj pj + i~(δjj xi pi − 2δij xi pj ) = x2 p2 − (x · p)2 + i~x · p ,

(18.4)

¨ wobei wir beim Ubergang zur letzten Zeile benutzt haben, dass δjj = 3. Wenn wir beachten, dass mit (18.3) x·p=

~ ~ ∂ x·∇ = r , i i ∂r

erhalten wir aus (18.4): ~2 p2 = − 2 r

! 2  L2 ∂ ∂ + 2 r +r ∂r ∂r r

Durch elementare Rechnung l¨ asst sich unmittelbar folgende Identit¨at nachpr¨ ufen1 2    ∂ 1 ∂ ∂ 1 ∂ 2 ∂ 1 ∂ ∂2 1 r + r + + = = 2 2 r ∂r r ∂r r ∂r ∂r r ∂r ∂r r ∂r  2 1 ∂ ∂ 1 ∂ = r= r . (18.5) r ∂r ∂r r ∂r Definieren wir nun: ~ ~1 ∂ r= i r ∂r i



∂2 2 ∂ 1 ∂ + = 2 ∂r 2 r ∂r r ∂r



pr = 1 Die

Identit¨ at

∂ 1 + ∂r r

r2

∂ ∂r



,



f¨ uhrt auf den Standardausdruck des Laplace-Operators in Kugelkoordinaten.

(18.6)

386

18 Kugelsymmetrische Potentiale

so finden wir f¨ ur den Laplace-Operator bzw. f¨ ur die kinetische Energie: T =

p2r L2 , + 2m 2mr2

L=x×p.

(18.7)

Die kinetische Energie hat hier formal dieselbe Gestalt wie in der klassischen Mechanik, jedoch f¨allt der radiale Impulsoperator pr nicht mit der Projektion des linearen Impulses ˆ · p). auf den Radiusvektor zusammen (pr 6= x Der radiale Impulsoperator pr besitzt mit dem ziehung zwischen Koordinate und Impuls    ~ 1 ∂ ∂ ~ [r, pr ] = r, r, r = + i r ∂r i ∂r

Radius r die u ¨bliche Kommutationsbe   ~ ∂ 1 = r, = i~ . r i ∂r

Desweiteren ist dieser Operator hermitesch bez¨ uglich des Skalarproduktes im Raum der u ¨ber 3 quadratintegrablen Funktionen,

R

p†r = pr , ˆ ∈ wie man leicht durch partielle Integration f¨ ur eine beliebige Testfunktion φ(r, x) zeigt: Z∞

L2

ˆ r φ(r, x) ˆ dr r2 φ∗ (r, x)p

0

=

Z∞

ˆ dr r2 φ∗ (r, x)

~1 ∂ ˆ rφ(r, x) i r ∂r

0

=−

Z∞

dr

~ i

0



 Z∞ ∂ ˆ ∗ φ(r, x) ˆ . ˆ ˆ = dr r2 (pr φ(r, x)) (rφ∗ (r, x)) rφ(r, x) ∂r 0

Die bei der partiellen Integration auftretenden Randterme verschwinden f¨ ur normierbare Funktionen. Der Operator ~ ∂ i ∂r allein w¨are aufgrund des r2 -Termes im Integrationsmaß nicht hermitesch. Da der Drehimpulsoperator L (16.41) nur von den Winkeln ϑ, ϕ, nicht aber vom Radius r abh¨angt, kommutiert er mit der Radialkomponente des linearen Impulses: ˆ. [L, pr ] = 0 Demzufolge kommutieren sowohl der Drehimpuls als auch der radiale Impulsoperator mit der kinetischen Energie (18.7): ˆ [L, T ] = 0

,

[pr , T ] = ˆ0 .

(18.8)

18.2 Kugelsymmetrische Potentiale

18.2

387

Kugelsymmetrische Potentiale

In vielen praktischen Anwendungen der Quantenmechanik hat man es mit kugelsymmetrischen Potentialen V (x) ≡ V (r, ϑ, ϕ) = V (r) zu tun, die nur vom Radius abh¨ angen und als Zentralpotentiale bezeichnet werden. F¨ ur solche Potentiale kommutiert der Drehimpulsoperator mit dem Hamiltonian,

H = T + V (r) =

p2r L2 + V (r) , + 2m 2mr2

(18.9)

da L nicht von r abh¨ angt (16.41) und mit der kinetischen Energie vertauscht (18.8): ˆ. [H, L] = 0 Bei der Bewegung eines Teilchens in einem kugelsymmetrischen Potential bleiben dann offenbar das Quadrat des Drehimpulses L2 und eine Komponente des Drehimpulses Lz gleichzeitig erhalten und die Eigenfunktionen des Hamilton-Operators k¨onnen als Eigenfunktionen von L2 und Lz gew¨ ahlt werden: Hψlm (r, ϑ, ϕ) = El ψlm (r, ϑ, ϕ) .

(18.10)

Da der Hamilton-Operator nur von L2 abh¨ angt, k¨onnen die Energieeigenwerte El nur von der Quantenzahl l des Drehimpulsquadrates, nicht aber von der magnetischen Quantenzahl m der Drehimpulskomponente Lz abh¨ angen. Benutzen wir, dass die ψlm gleichzeitig Eigenfunktionen von L2 sind, L2 ψlm (r, ϑ, ϕ) = ~2 l(l + 1)ψlm (r, ϑ, ϕ) , und die explizite Form des radialen Impulses pr (18.6), so reduziert sich die Schr¨odingerGleichung (18.10) auf:  Hierbei ist



 ~2 1 d2 el (r) ψlm (r, ϑ, ϕ) = El ψlm (r, ϑ, ϕ) r + V 2m r dr2

~2 l(l + 1) =: V (r) + Vl (r) Vel (r) = V (r) + 2mr2

(18.11)

(18.12)

388

18 Kugelsymmetrische Potentiale 6 4 2

Vl (r)

V [eV ]

0 −2

V˜ (r)

−4

V (r)

−6 −8

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

r[nm] Abb. 18.1: Das Zentrifugalpotential Vl (r) und das effektive Potential (18.12) Vel (r) f¨ ur das Coulomb-Potential V (r) ∼ 1/r.

ein effektives, vom Drehimpuls abh¨ angiges Potential, siehe Abb. 18.1. Der drehimpulsabh¨angige Teil Vl (r) wird wie in der klassischen Mechanik als Zentrifugalpotential bezeichnet. Wie in der klassischen Mechanik liefert das Zentrifugalpotential eine zus¨atzliche Repulsion. In der klassischen Mechanik verhindert das Zentrifugalpotential f¨ ur von Null verschiedene Drehimpulse, dass das Teilchen durch den Potentialursprung l¨auft. In der Quantenmechanik bewirkt dieses Potential, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Ursprung verschwindet, wie wir weiter unten explizit sehen werden. Die Schr¨odinger-Gleichung (18.11) enth¨ alt keine Differentialoperatoren bez¨ uglich der Winkel mehr. Wir k¨ onnen sie deshalb durch den Separationsansatz

ψlm (r, ϑ, ϕ) =

ul (r) Ylm (ϑ, ϕ) r

(18.13)

l¨osen, wobei Ylm (ϑ, ϕ) die Drehimpulseigenfunktionen sind. Der Faktor 1/r wurde hier aus Bequemlichkeitsgr¨ unden eingef¨ uhrt. Setzen wir diesen Ansatz in Gl. (18.11) ein, so erhalten wir f¨ ur die Radialfunktion ul (r) eine gew¨ohnliche eindimensionale Schr¨odingerGleichung in der Radialkoordinate r:

18.3 Bindungszust¨ ande: Grenzverhalten der Radialfunktion 



 ~2 d2 el (r) ul (r) = El ul (r) . + V 2m dr2

389

(18.14)

Damit ist es uns gelungen, f¨ ur sph¨ arisch symmetrische Potentiale die dreidimensionale Schr¨odinger-Gleichung auf eine eindimensionale Schr¨odinger-Gleichung bez¨ uglich der Radialkoordinate in einem effektiven drehimpulsabh¨angigen Potential Vel (r) zur¨ uckzuf¨ uhren. Wir k¨onnen nun all unsere Erkenntnisse, die wir bei dem Studium der eindimensionalen Schr¨ odinger-Gleichung gewonnen haben, unmittelbar auf die Analyse der radialen Schr¨odinger-Gleichung anwenden. F¨ ur gebundene Zust¨ ande muss die Wellenfunktion normierbar sein: Z

3

2

d x |ψlm (x)| =

Z∞ 0

dr |ul (r)|

2

Z

dΩ |Ylm (Ω)|2 < ∞ . {z } | =1

Hieraus folgt, dass die Radialwellenfunktion ul (r) f¨ ur r → ∞ mindestens wie |ul (r)| ∼

1 , rα

α>

1 2

abklingen muss. Außerdem muss, falls V (x) keine δ-f¨ormige Singularit¨at am Ursprung besitzt, die radiale Wellenfunktion am Ursprung verschwinden, ul (r = 0) = 0 , da sonst wegen   1 ul (0) = −4πδ(x)ul (0) ∆ r

(18.15)

sich die Schr¨odinger-Gleichung (18.14) nicht erf¨ ullen ließe. (Der singul¨are Term (18.15) k¨ onnte durch keinen anderen Term kompensiert werden!)

18.3

Bindungszust¨ande: Grenzverhalten der Radialfunktion

F¨ ur die eindimensionale Schr¨ odinger-Gleichung hatten wir allgemeine Aussagen u ¨ber die Existenz von gebundenen Zust¨ anden angeben k¨onnen, ohne dabei auf die detaillierte Form des Potentials zur¨ uckgreifen zu m¨ ussen. Die Existenz von gebundenen Zust¨anden setzte jedoch eine ausreichende anziehende St¨ arke des Potentials voraus. Da sich f¨ ur ein radialsymmetrisches Potential die Schr¨ odinger-Gleichung ebenfalls auf eine eindimensionale Schr¨odinger-Gleichung im Radius r reduziert, lassen sich die im eindimensionalen Fall gewonnenen Ergebnisse auf den dreidimensionalen Fall sofort u ¨bertragen.

390

18 Kugelsymmetrische Potentiale

Die radiale Bewegung ist per Definition von r auf das Gebiet r > 0 beschr¨ankt. Da außerdem ul (r = 0) = 0, k¨ onnen wir die Einschr¨ankung der eindimensionalen Bewegung auf das Gebiet x = r > 0 durch eine unendlich hohe Potentialwand bei x = 0 erreichen. (An der unendlich hohen Potentialwand muss die Wellenfunktion verschwinden, siehe Abschnitt 7.1). Damit ist die radiale Schr¨ odinger-Gleichung mit dem effektiven Potential Vel (r) a¨quivalent zu einer eindimensionalen Schr¨odinger-Gleichung in der Variablen x mit dem Potential  Vel (r = x) , x > 0 V l (x) = . (18.16) ∞ , x≤0

Da die Radialfunktion ul (x) bei x = 0 einen Knoten besitzt, folgt aus Symmetriegr¨ unden, dass der Grundzustand dieses Potentials gerade durch den ersten angeregten Zustand des spiegelsymmetrischen Potentials V l (x) := Vel (|x|)

gegeben ist. Das Potential Vel (r) muss deshalb eine Mindestst¨arke aufweisen, damit das Potential V l (x) einen angeregten (gebundenen) Zustand besitzt und somit ein Bindungszustand im urspr¨ unglichen Potential Vel (r) existiert. Falls das Potential V (r) keinen gebundenen Zustand mit l = 0 besitzt, so hat es erst recht keine gebundenen Zust¨ande f¨ ur nicht-verschwindende Drehimpulse, da das Zentrifugalpotential abstoßend ist. Bei den praktischen Anwendungen haben wir es oft mit Potentialen zu tun, die nicht st¨arker singul¨ar sind als: |V (r)| ≤

a , rβ

r→0.

mit β < 2. F¨ ur kleine r dominiert dann in der Radialgleichung das Zentrifugalpotential u ur r → 0 ¨ber dem eigentlichen Potential V (r) und dem konstanten Eigenwert El . F¨ reduziert sich damit die Radialgleichung auf: l(l + 1) d2 ul (r) = ul (r) , dr2 r2

r→0.

(18.17)

Dies ist eine Euler’sche Differentialgleichung, welche sich durch den Potenzansatz ul (r) = Crα

(18.18)

l¨osen l¨asst. Einsetzen dieses Ansatzes in die Differentialgleichung liefert die beiden L¨osungen α = −l

,

α=l+1.

(18.19)

Wie wir oben gesehen haben, muss die Radialfunktion f¨ ur r → 0 regul¨ar sein. Deshalb ist die asymptotische Form der Radialfunktion f¨ ur r → 0 durch ul (r) ∼ rl+1 ,

r→0

(18.20)

18.4 Radialwellenfunktion des freien Teilchens

391

gegeben. Diese Abh¨ angigkeit zeigt, dass die Wahrscheinlichkeitsdichte in der Tat am Ursprung f¨ ur l > 0 verschwindet, wie wir bereits oben qualitativ aus der Form des Zentrifugalpotentials geschlossen hatten. Die meisten interessierenden Potentiale, wie z.B. das Coulomb-Potential oder das Kernpotential der Nukleonen, gehen f¨ ur r → ∞ asymptotisch gegen einen konstanten Wert, den wir willk¨ urlich Null setzen k¨ onnen. F¨ ur r → ∞ k¨onnen wir deshalb das effektive Potential in der radialen Schr¨ odinger-Gleichung vernachl¨assigen und erhalten: d2 2mEl ul (r) = − 2 ul (r) , dr2 ~

r→∞.

F¨ ur gebundene Zust¨ ande ist El < 0, sodass −

2mEl =: κ2 > 0 ~2

gilt und die obige Differentialgleichung die L¨ osung ul (r) = Ae−κr + Beκr ,

r→∞

hat. Wegen der geforderten Normierbarkeit kann nur die exponentiell abfallende Funktion auf gebundene Zust¨ ande f¨ uhren, was B = 0 impliziert. F¨ ur Potentiale, die asymptotisch f¨ ur r → ∞ nicht verschwinden oder sogar u ¨ber alle Grenzen wachsen, wie das des harmonischen Oszillators, m¨ ussen die Wellenfunktionen der gebundenen Zust¨ ande f¨ ur r → ∞ offenbar noch st¨arker als e−κr abfallen. Das asymptotische Verhalten der Radialfunktion ul (r) f¨ ur r → 0 und r → ∞ ist damit unabh¨angig von den Details des Potentials V (r). Diese bestimmen jedoch die Wellenfunktion bei endlichem r und damit die Energieeigenwerte.

18.4

Radialwellenfunktion des freien Teilchens

F¨ ur ein freies Teilchen, d.h. f¨ ur verschwindendes Potential V (r), reduziert sich der Hamilton-Operator auf die kinetische Energie: 1 H= 2m

  L2 2 pr + 2 r

(18.21)

Wir kennen die L¨ osung des freien Teilchens bereits in kartesischen Koordinaten, in welchen die Wellenfunktionen durch ebene Wellen bzw. Superpositionen von ebenen Wellen (Wellenpaketen) gegeben ist. Diese ebenen Wellen besitzen jedoch keine sph¨arische Symmetrie. Im Folgenden interessieren wir uns f¨ ur L¨osungen der Schr¨odinger-Gleichung H|ϕlm i = E|ϕlm i

392

18 Kugelsymmetrische Potentiale

f¨ ur das freie Teilchen, in denen die sph¨ arische Symmetrie manifest ist. Zun¨achst ist klar, dass alle allgemeinen Aussagen, die wir oben u ¨ber die L¨osungen der Schr¨odingerGleichung in einem zentralsymmetrischen Potential gewonnen haben, g¨ ultig bleiben, wenn das Potential verschwindet. Aus diesem Grunde k¨onnen wir auch f¨ ur das freie Teilchen den bereits fr¨ uher eingef¨ uhrten Separationsansatz ϕlm (r, ϑ, ϕ) = Rl (r)Ylm (ϑ, ϕ) ,

Rl (r) =

ul (r) r

benutzen. Die bereits fr¨ uher angegebene Radialgleichung (18.14) reduziert sich dann f¨ ur verschwindendes Potential auf:   ~ l(l + 1) d2 − 2 + ul (r) = El ul (r) 2m dr r2 bzw.

  1 d2 l(l + 1) ~2 − Rl (r) = El Rl (r) . r + 2m r dr2 r2

(18.22)

(18.23)

F¨ ur ein freies Teilchen ist die Energie im Wesentlichen durch den Betrag des Impulses gegeben. Zur Charakterisierung der Energie f¨ uhren wir deshalb wieder eine Wellenzahl k ein: El =

~2 k 2 2m

Dividieren wir die Radialgleichung (18.23) durch ~2 /2m und f¨ uhren außerdem die dimensionslose Variable x = kr ein und setzen x Rl = fl (x) , (18.24) k so nimmt diese die Gestalt  2  d 2 d l(l + 1) fl (x) = 0 (18.25) + +1− dx2 x dx x2 an. Dies ist die sph¨arische Bessel’sche Differentialgleichung, deren L¨osungen durch die sph¨arischen Bessel-Funktionen jl (x) bzw. durch die sph¨arischen Neumann-Funktionen nl (x) gegeben sind, die wir jetzt explizit bestimmen wollen.

18.4.1

Die sph¨arische Besselfunktionen

Die Radialgleichung (18.22) f¨ ur die Funktion ul (r) ist offenbar einfacher als die Gl. (18.23) f¨ ur die Funktion Rl (r) = ul (r)/r. Dasselbe gilt nat¨ urlich auch f¨ ur die Bessel’sche Differentialgleichung (18.25), die sich mit dem Ansatz fl (x) =

vl (x) x

(18.26)

18.4 Radialwellenfunktion des freien Teilchens

393

auf 

 d2 l(l + 1) vl (x) = 0 + 1 − dx2 x2

(18.27)

reduziert. F¨ ur l = 0 vereinfacht sich diese Gleichung zu v0′′ (x) = −v0 (x) ,

(18.28)

deren beiden Fundamentall¨ osungen als (1)

v0 = sin x

(2)

v0 = − cos x

,

(18.29)

gew¨ahlt werden k¨ onnen. Damit kennen wir die beiden Fundamentall¨osungen der Bessel’schen Differentialgleichung f¨ ur l = 0 (1)

f0 (x) =

sin x x

,

(2)

f0 (x) = −

cos x . x

(18.30)

Zur Bestimmung der L¨ osungen mit l > 0 setzen wir fl (x) = xl gl (x) in die Bessel’sche Differentialgleichung (18.25) ein, womit diese sich auf  2  d l+1 d +2 + 1 gl (x) = 0 dx2 x dx reduziert. Differentiation dieser Gleichung nach x liefert   3   d l + 1 d2 l+1 d gl (x) = 0 . + 2 + 1 − 2 dx3 x dx2 x2 dx

(18.31)

(18.32)

(18.33)

Setzen wir hier d gl (x) = xhl (x) , dx so reduziert sich diese Gleichung auf  2  d l+2 d + 2 + 1 hl (x) = 0 . dx2 x dx

(18.34)

(18.35)

Vergleich dieser Gleichung mit (18.32) zeigt den linearen Zusammenhang hl (x) ∼ gl+1 (x) .

(18.36)

Mit (18.34) finden wir hieraus die Beziehung gl+1 (x) ∼

1 d gl (x) , x dx

(18.37)

394

18 Kugelsymmetrische Potentiale

die sich zu gl (x) ∼



1 d x dx

l

g0 (x)

(18.38)

iterieren l¨asst. Mit (18.31) finden wir daher f¨ ur die L¨osungen der Bessel’schen Differentialgleichung die Beziehung  l 1 d l fl (x) ∼ x f0 (x) . (18.39) x dx Setzen wir hier f¨ ur f0 (x) die beiden Fundamentall¨osungen (18.30) ein, so erhalten wir f¨ ur beliebige l zwei Fundamentall¨ osungen der Bessel’schen Diffentialgleichungen, die wir in der Form l sin x 1 d , x dx x  l 1 d cos x nl (x) = −(−x)l , x dx x jl (x) = (−x)l



(18.40)

w¨ahlen k¨onnen und die als sph¨arische Besselfunktionen jl (x) bzw. sph¨arische Neumannfunktionen nl (x) bezeichnet werden. Diese Funktionen bilden ein vollst¨andiges System f¨ ur Funktionen der Radialkoordinate, siehe Gln. (18.61), (18.80). F¨ ur die untersten Drehimpulse l = 0, 1, 2 lauten diese Funktionen explizit: sin x , x sin x cos x j1 (x) = 2 − , x x 3 3 1 j2 (x) = sin x − 2 cos x, − x3 x x j0 (x) =

cos x x cos x sin x n1 (x) = − 2 − x  x 3 1 3 cos x − 2 sin x . n2 (x) = − − x3 x x n0 (x) = −

Sie sind in Abb. 18.2 dargestellt. Im Folgenden sollen einige Eigenschaften dieser Funktionen angegeben werden. Wir beginnen mit dem asymptotischen Verhalten dieser Funktionen f¨ ur kleine und große Argumente. Das qualitative asymptotische Verhalten der L¨osungen der sph¨arischen Bessel’schen Differentialgleichung l¨ asst sich mit (18.26) unmittelbar aus (18.27) ablesen, wenn man beachtet, dass f¨ ur x → 0 die 1 und f¨ ur x → ∞ der Zentrifugalterm l(l + 1)/x2 vernachl¨assigbar ist. F¨ ur x → 0 reduziert sich Gl. (18.27) auf die Euler’sche Differentialgleichung (18.17), deren Fundamentall¨ osungen wir bereits kennen, siehe Gln. (18.18), (18.19). Mit (18.26) finden wir deshalb f¨ ur die L¨osungen der sph¨arischen Bessel’schen Differentialgleichung das folgende asymptotische Verhalten f¨ ur x → 0 (1)

fl (x) ∼ xl

,

(2)

fl (x) ∼ x−(l+1) .

(18.41)

18.4 Radialwellenfunktion des freien Teilchens

395

F¨ ur x → ∞ wird die Differentialgleichung (18.27) unabh¨angig von l und reduziert sich auf die Gl. (18.28) f¨ ur l = 0, deren Fundamentall¨osungen in (18.29) gegeben sind: Folglich erhalten wir x → ∞ das asymptotische Verhalten (1)

fl (c) ∼

sin(x + const) x

,

(2)

fl (x) ∼

cos(x + const) . x

(18.42)

Die sph¨arischen Bessel- bzw. Neumann-Funktionen (18.40) besitzen das asymptotische Verhalten (18.41) und (18.42) der Funktionen f (1) (x) bzw. f (2) (x), wie wir nachfolgend explizit zeigen werden. Dabei werden wir gleichzeitig die in Gln. (18.41), (18.42) noch offene Konstanten bestimmen.2 F¨ ur x → ∞ brauchen wir in der Darstellung (18.40) nur die Ableitungen der Winkelfunktionen zu ber¨ ucksichtigen. Wegen  d π (18.43) sin x = cos x = − sin x − dx 2 finden wir



1 d x dx

l

 sin x − l π2 sin x . −−−−−→ (−1)l x→∞ x xl+1

(18.44)

Analog folgt wegen  π d cos x = − sin x = − cos x − dx 2

die asymptotische Beziehung  l  π cos x 1 d l cos x − l 2 . −−−−−→ (−1) x→∞ x dx x xl+1

(18.45)

(18.46)

Damit finden wir aus (18.40) das asymptotische Verhalten f¨ ur x → ∞   lπ 1 jl (x) ≃ sin x − x 2

,

 1 π nl (x) ≃ − cos x − l . x 2

(18.47)

Um das Verhalten von jl (x) und ηl (x) f¨ ur kleine x zu bestimmen, setzen wir die Reihenentwicklungen der Sinus- bzw. Cosinus-Funktionen ∞ sin x X x2n = (−1)n x (2n + 1)! n=0

∞ cos x X x2n−1 = (−1)n x (2n)! n=0

(18.48) (18.49)

2 Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass die L¨ osungen der homogenen Differentialgleichung (18.25) nur bis auf eine reelle multiplikative Konstante bestimmt sind. (Jede Linearkombination von L¨ osungen ist wieder eine L¨ osung.) Die sph¨ arischen Bessel- und Neumann-Funktionen (18.40) sind spezielle Fundamentall¨ osungen mit fixierten Normierungskonstanten.

396

18 Kugelsymmetrische Potentiale 1

j0 (x) j1 (x)

0.8

j2 (x)

0.6 0.4 0.2 0 −0.2 0

2

4

6

8

10

12

0.4

n0 (x) n1 (x)

0.2

n2 (x)

14

0 −0.2 −0.4 −0.6 −0.8 0

2

4

6

8

10

12

14

Abb. 18.2: (a) Die sph¨ arischen Bessel-Funktionen jl (x) und (b) die sph¨ arischen NeumannFunktionen nl (x) f¨ ur die Indizes (Drehimpulsquantenzahlen) l = 0, 1, 2.

18.4 Radialwellenfunktion des freien Teilchens in Gl. (18.40) ein. Mit  l l−1  1 d 1 d 2n x = 2n x2(n−1) x dx x dx  l n! 2(n−2) 2 (n−l)! x , n≥l = 0 , nR

quasi- gebundene“ Zust¨ ande bei der Energie E = 0 existieren f¨ ur Potentialst¨arken ” Rp 2mV0 , (18.85) γ= ~ welche der Bedingung (10.60) γ = (2n + 1)

π , 2

n = 0, 1, 2, . . .

gen¨ ugen. F¨ ur n > 0 gibt es neben dem quasigebundenen Zustand bei E = 0 noch n gebundene Zust¨ ande (mit E < 0). F¨ ur Potentiale der St¨arke (2n − 1)

π π < γ < (2n + 1) 2 2

existieren dann genau n Bindungszust¨ ande.

(18.86)

18.6 Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator V (r)

0

407

V (x)

R

r

−R

R

x

Abb. 18.4: Korrespondenz zwischen den Energieeigenwerten eines Teilchens in einer sph¨ arisch symmetrischen Potentialbox mit endlich hohen W¨ anden mit Radius R und den ungeraden Zust¨ anden eines Teilchens in einer eindimensionalen Potentialbox der Breite 2R und mit derselben Wandh¨ ohe.

18.6

Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator

In Abschnitt 13.9 haben wir bereits den dreidimensionalen harmonischen Oszillator in kartesischen Koordinaten behandelt. Der Gesamt-Hamilton-Operator zerfiel in eine Summe von drei eindimensionalen harmonischen Oszillatoren f¨ ur die drei kartesischen Richtungen. Wir konnten deshalb die Schr¨ odinger-Gleichung durch ein Separationsansatz l¨osen. Die Gesamtwellenfunktion ergab sich aus dem Produkt der Wellenfunktionen der drei unabh¨angigen Oszillatorkoordinaten. F¨ ur den isotropen harmonischen Oszillator, bei dem die Oszillatorfrequenzen in allen drei kartesischen Richtungen u ¨bereinstimmen, h¨angt das Potential nur vom Radius r = |x| ab: V (r) =

m 2 2 ω r . 2

Dies ist ein Zentralpotential und kann folglich mit den in Abschnitt 18.2 besprochenen allgemeinen Methoden behandelt werden, was wir im Folgenden tun wollen. Dabei wird interessant sein, wie sich die Drehimpulserhaltung in den fr¨ uher angegebenen Wellenfunktionen des Separationsansatzes in kartesischen Koordinaten manifestiert.

18.6.1

L¨osung der Radialgleichung

Mit dem f¨ ur Zentralpotentiale u ur die Wellenfunktion (18.13) reduziert ¨blichen Ansatz f¨ sich die Schr¨odinger-Gleichung einer Punktmasse m im isotropen Oszillatorpotential auf die Radialgleichung (18.14) 

 ~2 d m 2 2 ~2 l(1 + 1) − ul (r) = El ul (r) . + ω r + 2m dr2 2 2mr2

(18.87)

408

18 Kugelsymmetrische Potentiale

Zur Vereinfachung dieser Gleichung dr¨ ucken wir sie durch die dimensionslose Koordinate r r ~ ρ= , r0 = (18.88) r0 mω aus, wobei r0 die bereits in Abschnitt 13.2 eingef¨ uhrte Oszillatorl¨ange ist und definieren: ǫl =

2 2m El r02 = El . ~2 ~ω

(18.89)

Setzen wir ul (r) = χl (ρ) ,

(18.90)

so reduziert sich die Radialgleichung (18.87) auf:   l(l + 1) d 2 −ρ − + ǫl χl (ρ) = 0 . dρ2 ρ2

(18.91)

F¨ ur große Radien ρ → ∞ reduziert sich diese Gleichung auf:  2  d 2 χl (ρ) = 0 , ρ → ∞ , − ρ dρ2 deren Fundamentall¨ osungen durch   1 2 exp ± ρ 2 gegeben sind, wobei nur das untere Vorzeichen auf normierbare Zust¨ande f¨ uhren kann. Deshalb setzen wir die Radialfunktion in der Form 2

χl (ρ) = e−ρ

/2

ηl (ρ)

(18.92)

an. Einsetzen in Gl. (18.91) liefert die Differentialgleichung f¨ ur die noch zu bestimmende Funktion ηl (ρ)   2 d l(l + 1) d (18.93) − 2ρ − 1 − + ǫl ηl (ρ) = 0 . dρ2 dρ ρ2 Man beachte, dass durch den Ansatz (18.92) der Oszillatorterm aus der Radialgleichung eliminiert wurde. Aus Abschnitt 18.3 wissen wir bereits, dass f¨ ur Zentralpotentiale V (r), welche f¨ ur r → 0 weniger als 1/r2 singul¨ ar sind, das Verhalten der Wellenfunktion f¨ ur kleine r durch das Zentrifugalpotential bestimmt wird und sich die Radialfunktion ηl (r) deshalb wie ηl (r) ∼ rl+1 ,

r→0

verh¨alt. Deshalb setzen wir den noch zu bestimmenden Teil der Radialfunktion (18.92) ηl (ρ) in Form der folgenden Potenzreihe ηl (ρ) = ρl+1

∞ X

k=0

c k ρk

(18.94)

18.6 Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator

409

an. Einsetzen dieses Ansatzes in Gl. (18.93) liefert die Gleichung X [(k + l + 1) (k + l) − l(l + 1)] ρk+l−1 + (ǫl − [2(k + l + 1) + 1]) ρk+l+1 ck = 0 , k=0

(18.95)

die wir durch Koeffizientenvergleich der unabh¨ angigen Potenzen von ρ l¨osen k¨onnen: Um die Koeffizienten ck zu bestimmen, ist es zweckm¨aßig, den Summationsindex im ersten Term in der geschweiften Klammer in Gl. (18.95) um zwei Einheiten zu verschieben, k − 2 → k, sodass wir in beiden Terme dieselbe Potenz von ρ vorliegen haben 0=

∞ X

[(k + 2 + l + 1) (k + 2 + l) − l(l + 1)] ck+2 ρk+l+1

k=−2 ∞ X

+

k=0

(ǫl − [2(k + l + 1) + 1]) ck ρk+l+1 .

Zu den beiden untersten Potenzen in ρ tragen nur die ersten Terme mit k = −2 bzw. −1 bei. Der Koeffizient vor der niedrigsten Potenz ρl−1 verschwindet identisch, [(k + 2 + l + 1)(k + 2 + l) − l(l + 1)] c0 = 0 , k=−2

sodass c0 durch die Gl. (18.95) nicht eingeschr¨ ankt ist. Koeffizientenvergleich der n¨achstniedrigsten Potenz ρl liefert die Bedingung [(l + 2)(l + 1) − l(l + 1)] c1 = 0 . Da die Drehimpulsquantenzahl l ≥ 0 und somit der Ausdruck in der eckigen Klammer stets von Null verschieden ist, fordert diese Bedingung: c1 = 0 .

(18.96)

Koeffizientenvergleich der Terme mit k ≥ 0 liefert die Rekursionsbeziehung ck+2 =

2(k + l) + 3 − ǫl ck . (k + l + 3)(k + l + 2) − l(l + 1)

(18.97)

Wegen (18.96) verschwinden s¨ amtliche Koeffizienten zu ungeraden k = 2ν + 1, c2ν+1 = 0 , w¨ ahrend sich s¨amtliche Koeffizienten mit geradem k = 2ν durch den Koeffizienten c0 ausdr¨ ucken lassen. F¨ ur große k reduziert sich die Rekursionsbeziehung (18.97) auf: ck+2 ≃

2 ck , k

k→∞.

410

18 Kugelsymmetrische Potentiale

Die Entwicklungskoeffizienten ck=2ν besitzen deshalb asymptotisch die Gestalt c2ν+2 ≃ const

1 , ν!

ν→∞.

(18.98)

Folglich n¨ahert sich die Funktion ηl (ρ) (18.94) f¨ ur ρ → ∞ asymptotisch der Funktion5 ηl (ρ) ≃ const · ρl+1+2

∞ X ρ2ν

ν=0

ν!

2

= const · ρl+1+2 eρ ,

ρ→∞

an. Dies w¨ urde auf eine nicht-normierbare Radialfunktion χl (ρ) (18.92) f¨ uhren. Gebundene Zust¨ande k¨ onnen deshalb nur auftreten, wenn die Potenzreihentwicklung (18.94) nach einer endlichen Anzahl von Gliedern abbricht, d.h. es muss ein k = 2ν existieren, sodass der Z¨ ahler in der Rekursionsbeziehung (18.97) verschwindet und damit der Koeffizient c2ν+2 und alle h¨ oheren Koeffizienten verschwinden. Dies ist genau f¨ ur ǫl = 4ν + 2l + 3

(18.99)

erf¨ ullt.

18.6.2

Energiespektrum

F¨ ur gegebenes l und ν definiert Gl. (18.99) die Energie des zugeh¨origen gebundenen Zustandes. Nach Gl. (18.89) sind die Energieeigenwerte El ≡ Eνl des isotropen harmonischen Oszillators deshalb durch

Eνl

  3 = ~ω 2ν + l + 2

(18.100)

gegeben, wobei wie oben gezeigt ν eine nicht-negative ganze Zahl ist: ν = 0, 1, 2, . . . . Die Eigenenergien (18.100) h¨ angen nur von der Kombination n = 2ν + l

ab, die als Hauptquantenzahl bezeichnet wird. Die Eigenenergien 5 F¨ ur große ρ sind die niedrigen Potenzen der Taylor-Entwicklung, d.h. die Terme cν ρν mit kleinem ν, irrelevant. Deshalb k¨ onnen wir aus der Kenntnis der Terme mit großem ν auf das asymptotische Verhalten der Funktion bei großen Argumenten ρ schließen.

18.6 Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator

411

  3 En = ~ω n + 2 sind deshalb zuf¨allig entartet. Vergleich mit Gln. (13.73), (13.74) zeigt, dass die Hauptquantenzahl n die Gesamtzahl der Schwingungsquanten des harmonischen Oszillators angibt, n = n1 + n2 + n3 , wobei ni die Zahl der Schwingungsquanten in Richtung der kartesischen Koordinate xi sind. Die Drehimpulsquantenzahl l kann wie u ¨blich alle nicht-negativen ganzen Werte annehmen. Die Werte l = 0, 1, 2, 3, . . . bezeichnet man mit dem Buchstaben s, p, d, f, . . . . Vor diesen Buchstaben schreibt man den um 1 vergr¨oßerten Wert der Quantenzahl ν. F¨ ur die ersten f¨ unf Hauptquantenzahlen sind die so bezeichneten Zust¨ande in der Tabelle 18.1 angegeben. Tabelle 18.1: Die untersten Energieeigenwerte des isotropen harmonischen Oszillators.

n 0 1 2 3 4

En /~ω 3/2 5/2 7/2 9/2 11/2

(ν + 1)l 1s 1p 2s, 1d 2p, 1f 3s, 2d, 1g

Abb. 18.5 zeigt das Spektrum des isotropen harmonischen Oszillators in Abh¨angigkeit vom Drehimpuls l. Man beachte, dass die Zust¨ande mit einer geraden (ungeraden) Hauptquantenzahl n einen geraden (ungeraden) Drehimpuls l besitzen. Entsprechend der Eigenschaften der Kugelfunktionen unter Raumspiegelung ˆ = (−1)l Ylm (x) ˆ Ylm (−x) besitzen deshalb die Zust¨ ande mit gerader (ungerader) Hauptquantenzahl n positive (negative) Parit¨at. Jeder Drehimpulseigenzustand mit Quantenzahl l ist bekanntlich (2l+1)− fach entartet. Dies ist die gew¨ohnliche Entartung aufgrund der Rotationsinvarianz des Zentralpotentials. Beim harmonischen Osziallators gibt es dar¨ uber hinaus eine zuf¨allige Entartung, die darin besteht, dass Zust¨ ande mit verschiedenem Drehimpuls dieselbe Energie besitzen, da die Energie nur von der Hauptquantenzahl n (18.98) abh¨angt. Den Gesamtentartungsgrad eines Energieniveaus mit Hauptquantenzahl n ergibt sich deshalb durch gn =

X l

(2l + 1) ,

412

18 Kugelsymmetrische Potentiale

n 3s

4

2d 2p

1g 1f

3 2s

2

1d 1p

1 1s

0

0

1

2

3

4

l

Abb. 18.5: Energieniveaus der isotropen harmonischen Osziallators (siehe auch Tabelle 18.1).

wobei l u ur gerade n nimmt dieser ¨ber die erlaubten Drehimpulsquantenzahlen l¨auft. F¨ die Werte l = 0, 2, . . . , n und f¨ ur ungerade n die Werte l = 1, 3, . . . , n an. In beiden F¨ allen erhalten wir nach Ausf¨ uhrung der Summation u ¨ber l = 2i bzw. l = 2i + 1 n/2 X

(4i + 1) =

i=0

(n−1)/2

X

(4i + 3) =

i=0

1 (n + 1)(n + 2) , 2

n ist gerade ,

1 (n + 1)(n + 2) , 2

n ist ungerade ,

den Entartungsgrad gn =

1 (n + 1)(n + 2) . 2

18.6 Der dreidimensionale isotrope harmonische Oszillator

413

Dieser Entartungsgrad wurde bereits in Abschnitt 13.9 bei der Behandlung des isotropen harmonischen Oszillators in kartesischen Koordinaten gefunden.

18.6.3

Wellenfunktionen

Mit den u ur ein ¨ber die Rekursionsbeziehung (18.97) bestimmten Koeffizienten ck , die f¨ festes ν f¨ ur alle k ≥ 2ν + 2 verschwinden, bildet die in (18.94) definierte Potenzreihe eine sogenannte konfluente hypergeometrische Reihe, die mit n X

c2q ρ2q = c0 F (−ν, l + 3/2, ρ2)

q=0

bezeichnet wird. Die Quantenzahl ν gibt dabei den Grad des Polynoms F in der Variable ρ2 an. Damit erhalten wir f¨ ur die Gesamtwellenfunktion des isotropen harmonischen Osziallators ϕνlm (r, ϑ, ϕ) =

uνl (r) Ylm (ϑ, ϕ) , r

wobei die Radialfunktion uνl (r) (18.90), (18.92), (18.94) durch 2

uνl (r) = χνl (ρ) = Nνl ρl+1 e−ρ

/2

F (−ν, l + 3/2, ρ2 ) p als Funktion des dimensionslosen Radius ρ = r mω/~ (18.88) gegeben ist. Hierbei bezeichnet Nνl einen Normierungsfaktor, der den bisher noch unbestimmten Koeffizienten c0 festlegt. Abschließend gehen wir noch explizit die normierten Eigenfunktionen f¨ ur die untersten Oszillatorzust¨ ande an. Der Grundzustand n = 0 ist nicht entartet und besitzt die normierte Wellenfunktion

ϕν=0,l=0,m=0 (x) =



1 πr0

3/4

"

1 exp − 2



r r0

2 #

.

Dies ist dieselbe Wellenfunktion, die f¨ ur den Grundzustand durch Separation der kartesischen Koordinaten in Abschnitt 13.9 gefunden wurde: ϕν=0,l=0,m=0 (x) = ϕn1 =0 (x1 ) · ϕn2 =0 (x2 ) · ϕn3 =0 (x3 ) . Der erste angeregte Zustand tr¨ agt die Quantenzahlen ν = 0, l = 1 und besitzt nur die u ¨bliche Entartung in der Projektion des Drehimpulses m = 0, ±1 aufgrund der Rotationssymmetrie des isotropen Oszillators. Seine normierten Wellenfunktionen lauten: " r  2 # r 8 1 1 r ϕν=0,l=1,m (x) = exp − Ylm (ϑ, ϕ) , m = 0, ±1 . 3 π 1/4 r3/2 r0 2 r0 0

414

18 Kugelsymmetrische Potentiale

Unter Ber¨ ucksichtigung der expliziten Form der Kugelfunktionen r 3 rY10 (ϑ, ϕ) = x3 , 4π r r 3 √ (Y1,−1 (ϑ, ϕ) − Y1,1 (ϑ, ϕ)) = x1 , 4π 2 r r 3 √ (Y1,−1 (ϑ, ϕ) + Y1,1 (ϑ, ϕ)) = −i x2 4π 2 und des ersten Hermit-Polynom H1 (x) = 2x findet man den folgenden Zusammenhang zwischen den Eigenfunktionen in der sph¨arischen und kartesischen Basis (13.65): ϕν=0,l=1,m=0 (x) = ϕn1 =0 (x1 ) · ϕn2 =0 (x2 ) · ϕn3 =1 (x3 ) ,

1 √ [ϕν=0,l=1,m=−1 (x) − ϕν=0,l=1,m=1 (x)] = ϕn1 =1 (x1 ) · ϕn2 =0 (x2 ) · ϕn3 =0 (x3 ) , 2 i √ [ϕν=0,l=1,m=−1 (x) + ϕν=0,l=1,m=1 (x)] = ϕn1 =0 (x1 ) · ϕn2 =1 (x2 ) · ϕn3 =0 (x3 ) . 2

Auf ¨ahnliche Weise lassen sich die Zusammenh¨ange zwischen den Wellenfunktionen in der sph¨arischen und kartesischen Basis f¨ ur die h¨oheren Hauptquantenzahlen angeben. Abschließend geben wir die exakte Wellenfunktion f¨ ur die Hauptquantenzahl n = 2 an, zu dem die Zust¨ ande mit den Quantenzahlen ν=1 ν=0

, ,

l=0 l=2

beitragen. Hier tritt zum ersten Mal die zuf¨ allige Entartung bez¨ uglich der Drehimpulsquantenzahl auf. Die zugeh¨ origen Wellenfunktionen lauten: " r  2 !  2 # 1 1 r 2 r 3 exp − , 1− ϕν=1,l=0,m=0 (x) = 2 π 3/4 r3/2 3 r0 2 r0 0 " r  2 #  2 16 1 1 r r ϕν=0,l=2,m (x) = Y2m (ϑ, ϕ) , m = 0, ±1, ±2 . exp − 15 π 3/4 r3/2 r0 2 r0 0

19

Das Wasserstoff-Atom

Einer der Haupterfolge der Quantenmechanik war die Erkl¨arung der Atomspektren. Im Folgenden wollen wir das einfachste Atom, das Wasserstoff-Atom, behandeln. Bekanntlich besteht das Wasserstoff-Atom aus einem Proton, dem einfachsten Atomkern, und einem Elektron, die u ¨ber das Coulomb-Potential miteinander wechselwirken, q1 q2 V (|x1 − x2 |) = , (19.1) 4π|x1 − x2 |

wobei q1 , q2 und x1 , x2 die Ladungen und Koordinaten von Elektron bzw. Proton bezeichnen. Da das Proton ungef¨ ahr 2000-mal schwerer als das Elektron ist, me c2 ≃ 0, 5 MeV

,

mp c2 ≃ 103 MeV ,

k¨ onnen wir das Proton in guter N¨ aherung als ruhend annehmen. Klassisch bewegt sich das Elektron dann im Coulomb-Feld des Protons wie die Planeten im Gravitionsfeld der Sonne. Die Elektronenbahnen sind dann Kepler-Ellipsen, in deren Brennpunkt das Proton liegt. Auf den Kepler-Bahnen erf¨ahrt das Elektron eine Beschleunigung (haupts¨achlich Radialbeschleunigung). Nach den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik m¨ usste daher das Elektron elektromagnetische Wellen abstrahlen. Durch diese Wellenabstrahlung verl¨ ore es kinetische Energie, es w¨ urde also abgebremst und m¨ usste schließlich ins Kraftzentrum, d.h. auf das Proton, fallen. Experimentell beobachtet man jedoch eine endliche Ausdehnung der Atome, die etwa zehntausendmal gr¨oßer als die Ausdehnung der Atomkerne ist. Die Elektronen m¨ ussen sich deshalb in station¨aren Zust¨anden strahlungsfrei um den Atomkern bewegen (Abb. 19.1), wie dies im Rahmen der Quantenmechanik m¨ oglich ist. Die Erkl¨arung des Atombaues, sowie der damit zusammenh¨angenden chemischen Bindung war einer der großen Erfolge der Quantenmechanik. Das Wasserstoff-Atom stellt ein typisches quantenmechanisches Zweiteilchen-Problem dar, das wir im Folgenden von einem etwas allgemeineren Standpunkt aus betrachten wollen.

e− p+

Abb. 19.1: Das Wasserstoff-Atom.

416

19 Das Wasserstoff-Atom m2

x = x1 − x2 SP

x2

m1

X x1

Abb. 19.2: Definition von Relativ- und Schwerpunktskoordinaten f¨ ur das Zweiteilchen-System.

19.1

Das Zweik¨orperproblem: Separation in Schwerpunkts- und Relativbewegung

In vielen praktischen Anwendungen der station¨aren Schr¨odinger-Gleichung haben wir es nicht mit der Bewegung eines punktf¨ ormigen Teilchens in einem a¨ußeren raumfesten Potential zu tun, sondern mit der Wechselwirkung von verschiedenen Teilchen. Im einfachsten Fall besteht das physikalische System aus zwei wechselwirkenden Teilchen. Beispiele hierf¨ ur sind das Wasserstoff-Atom oder das Deuteron, ein Atomkern bestehend aus einem Proton und einem Neutron. Die Wechselwirkung zwischen den Teilchen l¨asst sich i.A. durch ein Wechselwirkungspotential V (x1 , x2 ) beschreiben. Wegen der Homogenit¨at des Raumes kann dieses Potential nur von dem Abstand der beiden wechselwirkenden Teilchen abh¨angen: V (x1 , x2 ) = V (x1 − x2 ) . Ein solches Potential ist translationsinvariant. Wir wollen im Folgenden das ZweiteilchenSystem in allgemeiner Form betrachten. Wir nehmen an, dass zwei Teilchen mit Masse m1 und m2 und Koordinaten x1 und x2 u ¨ber ein translationsinvariantes Potential wechselwirken. Der Hamiltonian des Systems ist dann durch H12 (x1 , x2 ) =

p21 p2 + 2 + V (x1 − x2 ) , 2m1 2m2

p1 =

~ ∇x1 , i

p2 =

~ ∇x2 i

gegeben. Da das Potential nur von der Koordinatendifferenz der beiden Teilchen abh¨angt, empfiehlt es sich, wie in der klassischen Mechanik Schwerpunkts- und Relativkoordinaten X und x einzuf¨ uhren (Abb. 19.2): X=

m1 x 1 + m2 x 2 m1 + m2

,

x = x1 − x2 .

(19.2)

19.1 Das Zweik¨orperproblem

417

Analog zur klassischen Mechanik f¨ uhren wir auch Gesamtimpuls (Schwerpunktsimpuls) P und Impuls der Relativbewegung p ein: P = p1 + p2

,

p=

m2 p 1 − m1 p 2 . m1 + m2

Elementare Differentialrechnung zeigt, dass die Impulsoperatoren von Schwerpunktsund Relativbewegung durch die Ableitungen nach der Schwerpunktskoordinate bzw. der Relativkoordinate gegeben sind: ~ ~ ∇X , p = ∇x . i i Da die einzelnen Komponenten des Impulsoperators miteinander kommutieren, liefert die Transformation der kinetischen Energie in Schwerpunkts- und Relativimpulse dasselbe Ergebnis wie in der klassischen Mechanik: P =

p2 P2 p2 p21 + 2 = + , 2m1 2m2 2M 2m wobei M und m die Gesamtmasse und die reduzierte Masse sind: M = m1 + m2

,

1 1 1 + , = m m1 m2

m=

m1 m2 . m1 + m2

Der Hamilton-Operator des wechselwirkenden Zweiteilchen-Systems nimmt dann die Gestalt 2 2 2 ¯ 12 (X, x) = P + p + V (x) =: P + H(x) H12 (x1 , x2 ) ≡ H 2M 2m 2M an. Damit haben wir eine Entkopplung der Bewegung des Schwerpunktes von der Relativbewegung erreicht und die Schr¨ odinger-Gleichung

¯ 12 (X, x)ϕ(X, H ¯ x) = E12 ϕ(X, ¯ x)

(19.3)

l¨ asst sich durch Separationsansatz l¨ osen. Da das Potential nicht von X abh¨angt, f¨ uhrt der Schwerpunkt eine freie Bewegung aus, die bekanntlich durch eine ebene Welle beschrieben wird. Die Wellenfunktion hat deshalb die Gestalt ϕ(X, ¯ x) = eiK·X ϕ(x). Mit diesem Separationsansatz reduziert sich die Schr¨odinger-Gleichung des wechselwirkenden Zweiteilchen-Systems (19.3) auf die (Einteilchen-)Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur die reduzierte Bewegung:   2 p + V (x) ϕ(x) = Eϕ(x) . (19.4) H(x)ϕ(x) = 2m

418

19 Das Wasserstoff-Atom

Hierin ist E = E12 −

~2 K 2 2M

die Energie der Relativbewegung. Damit haben wir das Zweik¨ orperproblem auf ein Einteilchen-Problem f¨ ur die reduzierte Bewegung zur¨ uckgef¨ uhrt. Dies ist offenbar immer m¨oglich, wenn das Wechselwirkungspotential nur vom Abstand der beiden wechselwirkenden Teilchen abh¨angt. Nach Auffinden der Eigenwerte E des reduzierten Hamilton-Operators H(x) (19.4) erhalten wir die Gesamtenergie des Systems zu: E12 = E +

~2 K 2 . 2M

In vielen praktischen Anwendungen ist eines der beiden Teilchen sehr viel schwerer als das andere, wie z.B. beim Wasserstoff-Atom. Ist z.B. m1 sehr klein gegen¨ uber m2 , so liegt der Schwerpunkt sehr dicht bei x2 und das zweite Teilchen stellt in guter N¨aherung den Massenschwerpunkt dar, w¨ ahrend die Relativbewegung durch die Bewegung des leichten Teilchens gegeben ist. Wir haben dann: M ≃ m2

,

m ≃ m1 ,

X ≃ x2

,

x ≃ x1 .

bzw.

Diese N¨aherung vernachl¨ assigt den Einfluss der Bewegung des leichten Teilchens auf die Bewegung des schweren Teilchens, d.h. den R¨ uckstoß, den das schwere Teilchen durch das leichte erf¨ahrt. Das schwere Teilchen wird als ruhend betrachtet, was nur f¨ ur ein unendlich schweres Teilchen korrekt ist, wie in Abschnitt 13.10 gezeigt wurde.

19.2

Qualitative Beschreibung

Wie in Abschnitt 19.1 beschrieben k¨ onnen wir das Wasserstoff-Problem durch Einf¨ uhrung von Schwerpunkts- und Relativkoordinaten (19.2) auf ein (Einteilchen-)Potentialproblem reduzieren. Da die Masse des Protons etwa zweitausendmal gr¨oßer als die Masse des Elektrons ist, wird der Schwerpunkt des Atoms sehr nahe am Proton liegen und die reduzierte Masse f¨ allt praktisch mit der Elektronenmasse zusammen. Wie wir in Abschnitt 13.10 gesehen hatten, werden im Limes m → ∞ die Freiheitsgrade des schweren Teilchens eingefroren (die Wellenfunktion wird Eigenzustand des Ortes). Die Relativbewegung reduziert sich dann auf die Bewegung des leichten Teilchens im Potential, dessen Kraftzentrum am Ort des schweren Teilchens liegt. Im vorliegenden Fall ist dieses Potential durch das Coulomb-Potential (19.1) gegeben. Setzen wir f¨ ur q1 und q2 die Elektron- und Protonladungen ein, qp = e, qe = −e, wobei e = 1, 602 · 10−19 C die Elementarladung ist, so lautet der Hamilton-Operator f¨ ur die Relativbewegung: H=

p2 e2 − , 2m 4π|x|

1 1 1 + . = m me mp

19.2 Qualitative Beschreibung

419

Eine grobe Absch¨atzung der Ausdehnung des Atoms bzw. der Bindungsenergie des Elektrons l¨asst sich bereits ohne explizites L¨ osen der Schr¨odinger-Gleichung allein aufgrund der Unsch¨arferelation angeben. Da die Bewegung des Elektrons innerhalb des Atoms erfolgt, muss die Unsch¨ arfe im Ort von der Gr¨ oßenordnung des Atomradius r0 sein: ∆x ≃ r0 . Aus der Unsch¨arferelation (12.16) folgt dann f¨ ur die Impulsunsch¨arfe: ∆p ≃

~ ~ . = ∆x r0

Legen wir den Atomkern in den Koordinatenursprung, so m¨ ussen aufgrund der Symmetrie die Erwartungswerte von Ort und Impuls verschwinden: hxi = 0

hpi = 0 .

,

Die Schwankungsquadrate von Ort und Impuls sind damit identisch mit den Erwartungswerten von x2 und p2 : (∆x)2 = hx2 i

,

(∆p)2 = hp2 i .

Den Erwartungswert der Energie k¨ onnen wir dann grob absch¨atzen durch: hHi ≃ =

e2 hp2 i − p 2m 4π hx2 i

e2 ~2 − = E(r0 ) . 2mr02 4πr0

(19.5)

Im Grundzustand muss diese Energie minimal werden. Differentiation der Energie E(r0 ) nach dem Radius r0 liefert die Extremalbedingung e2 ~2 = . 3 mr0 4πr02

(19.6)

Die L¨osung dieser Gleichung r0 = a definiert den Bohr’schen Atomradius

a=

4π~2 ≃ 0, 5 · 10−10 m = 0, 5 ˚ A, me2

(19.7)

der die charakteristische L¨ angeneinheit im atomaren Bereich darstellt. Die Energie bei diesem Radius liefert eine grobe Absch¨ atzung f¨ ur die Bindungsenergie des Elektrons im Wasserstoff-Atom. Setzen wir den Bohr’schen Atomradius (19.7) in den Ausdruck f¨ ur die Energie (19.5) ein, so erhalten wir mit (19.6): ~2 1 E(a) = − = − mc2 2ma2 2



e2 4π~c

2

=: −R .

(19.8)

420

19 Das Wasserstoff-Atom

Die Gr¨oße R ist die Rydberg-Konstante: R=

1 2 2 mc α ≃ 13, 6 eV . 2

(19.9)

Hierin bezeichnet mc2 die Ruheenergie des Elektrons und

α=

e2 1 ≃ 4π~c 137

ist die Sommerfeld’sche Feinstrukturkonstante. Der hier gewonnene Ausdruck (19.8) f¨ ur die Energie des Elektrons stimmt mit der exakten Energie des Elektrons im Grundzustand u ater sehen werden. ¨berein, wie wir sp¨ Die quantenmechanische Behandlung der Bewegung eines geladenen Teilchens im Coulomb-Potential ist jedoch nicht nur relevant f¨ ur das Wasserstoff-Atom. Es gibt dar¨ uber hinaus eine ganze Reihe von Wasserstoff-¨ ahnlichen Problemen. Hierzu geh¨oren Atome, die bis auf ein einziges Elektron ionisiert sind, z.B. He+ , Li++ , Be+++ u.s.w. Der einzige Unterschied zum Wasserstoff-Atom besteht darin, dass die Ladung des Protons e durch die Ladung des entsprechenden Atomkernes Ze ersetzt ist, wobei Z die Protonenzahl bezeichnet. Auch die Atome der Alkalimetalle lassen sich in erster N¨aherung auf ein dem Wasserstoff-Atom ¨ ahnliches Problem reduzieren. Diese Atome besitzen nur ein einziges Elektron in der ¨ außersten Elektronenschale. Dieses sogenannte Valenzorbital1 hat einen sehr viel gr¨ oßeren effektiven Radius als die inneren abgeschlossenen Elektronenschalen. Wir k¨ onnen deshalb in erster Ordnung die Ausdehnung des Atomrumpfes, der durch den Atomkern und die abges¨ attigten Elektronenschalen gegeben ist (und damit einfach positiv geladen ist), vernachl¨ assigen und diesen als eine Punktladung, d.h. wie ein sehr schweres Proton, betrachten. Die Berechnung der Alkali-Atome reduziert sich dann auf das Wasserstoff-Problem. In der Tat werden die chemischen Eigenschaften der Alkalimetalle nahezu ausschließlich von dem Valenzelektron bestimmt. Bei der Erkl¨arung der chemischen Eigenschaften k¨ onnen wir deshalb von den Elektronen auf den abgeschlossenen Schalen abstrahieren.

19.3

Strenge quantenmechanische Behandlung

Nach den qualitativen Vorbetrachtungen zum Wasserstoff-Atom und den damit im Zusammenhang stehenden Problemen wollen wir jetzt die relevante Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur ein geladenes Teilchen im Coulomb-Potential (19.1) explizit l¨osen: 1 Unter Orbital versteht man prinzipiell den quantenmechanischen Zustand des Elektrons im Atom, hat dabei aber immer die r¨ aumliche Ausdehnung der dazugeh¨ origen Wahrscheinlichkeitsdichte im Hinterkopf.

19.3 Quantenmechanische Behandlung 

Ze2 p2 − 2m 4π|x|



421

ϕ(x) = Eϕ(x) .

(19.10)

Da das Coulomb-Potential nur vom Radius abh¨angt, k¨onnen wir die Ergebnisse der in Abschnitt 18.2 durchgef¨ uhrten allgemeinen Betrachtungen der Schr¨odinger-Gleichung im Zentralpotential u ¨bernehmen. Die Wellenfunktionen sind damit Eigenfunktionen zum Drehimpulsoperator und besitzen die Produktform (18.13). Die Radialgleichung lautet f¨ ur das Coulomb-Potential:   ~2 d2 ~2 l(l + 1) Ze2 − ul (r) = El ul (r) (19.11) + − 2m dr2 2mr2 4πr Zur L¨osung dieser Gleichung ist es zweckm¨ aßig, den dimensionslosen Radius ρ sowie die f¨ ur positive Energien imagin¨ are Wellenzahl κ einf¨ uhren: ρ = 2κr

,

~2 κ2 = −E . 2m

(19.12)

F¨ ur gebundene Zust¨ ande ist die Energie negativ und κ folglich reell. Die Radialgleichung l¨ asst sich dann auf die Form  2  d l(l + 1) β 1 χl (ρ) = 0 , (19.13) − + − dρ2 ρ2 ρ 4 bringen, wobei: χl (ρ) ≡ χl (2κr) = ul (r) ,

Ze2 2m Ze2 1 = β= 2 ~ 4π 2κ 4π~

r

r m mc2 = Zα , −2E −2E

E 0 sind die Elektronen nicht mehr gebunden und die Eigenfunktionen sind durch (Kugel-) Wellen bzw. Wellenpakete gegeben. Wir haben oben die Radialfunktionen f¨ ur die gebundenen Zust¨ande in Form einer endlichen Potenzreihe gefunden. Der Entwicklungskoeffizient c0 ist durch die Normierungsbedingung festgelegt. Alle weiteren Entwicklungskoeffizienten ck>0 k¨onnen dann aus der

19.3 Quantenmechanische Behandlung

n

l

425

s

p

d

f

g

0

1

2

3

4

6 5 4 3 2

1

Abb. 19.4: Schematische Darstellung des Elektronenspektrums des Wasserstoff-Atoms. Die Zust¨ ande mit den Drehimpulsquantenzahlen l = 0, 1, 2, 3, 4, . . . wurden historisch mit den Buchstaben s, p, d, f, g, . . . bezeichnet.

Rekursionsbeziehung (19.18) bestimmt werden. Die damit erhaltenen Radialfunktionen lassen sich durch die sogenannten zugeordneten Laguerre-Funktionen ausdr¨ ucken. Wir wollen das Ergebnis ohne Beweis angeben. Die (einfachen) Laguerre-Polynome sind durch die Beziehung Lp (ξ) = eξ

dp −ξ p (e ξ ) dξ p

definiert. Sie stellen offensichtlich Polynome p-ten Grades dar. Die Laguerre-Polynome unterster Ordnung lauten: L0 (x) = 1 , L1 (x) = 1 − x

1 L2 (x) = 1 − 2x + x2 , 2 1 2 L3 (x) = 1 − 3x + x2 − x3 . 3 6 Offenbar gilt Lk (x = 0) = 1.

426

19 Das Wasserstoff-Atom

Die den Laguerre-Polynomen zugeordneten Polynome, auch Laguerre-Funktionen genannt, sind durch die Gleichung Lqp (ξ) =

dq Lp (ξ) dξ q

definiert. Sie stellen Polynome vom Grad p − q dar und repr¨asentieren eine spezielle konfluente hypergeometrische Reihe. Sie gen¨ ugen der Orthogonalit¨atsbedingung: Z∞



dx xq+1 e−x Lqp (x)Lqp′ (x) =

0

(2p − q + 1)(p!)3 δpp′ δqq′ (p − q)!

F¨ ur die Radialfunktionen im Coulomb-Potential erhalten wir dann: " #1/2 (n − l − 1)!(2κ)3 unl (r) = Rnl (r) = (2κr)l e−κr L2l+1 n+l (2κr) . r 2n ((n + l)!)3

(19.22)

(19.23)

Mit der oben angegebenen Orthogonalit¨ atsbeziehung (19.22) zeigt man leicht, dass diese Radialfunktionen in der Tat die korrekte Normierung besitzen. Die Gesamtwellenfunktion der Elektronen im Coulomb-Potential ist dann durch ˆ ϕnlm (x) = Rnl (r)Ylm (x)

(19.24)

gegeben.

19.4

Spektrum des Wasserstoff-Atoms

Durch ¨außere elektromagnetische Felder k¨ onnen die Elektronen der Atome auf h¨ohere Bahnen angeregt werden. Die angeregten Elektronen regen sich anschließend wieder ¨ durch Abgabe von elektromagnetischer Strahlung ab. Beim Ubergang von einem Zustand En2 in einen Zustand mit der Energie En1 < En2 betr¨agt die abgestrahlte Energie   1 1 2 ∆E = En2 − En1 = Z R (19.25) − 2 . n21 n2 ¨ Diese abgestrahlte Energie ist dann gleich der Energie ~ω des bei dem Ubergang abgestrahlten Photons, siehe Abb. 19.5. ¨ Die Uberg¨ ange der Elektronen in bestimmte gebundene Zust¨ande werden zu Serien ¨ zusammengefasst. Die Uberg¨ ange in den Grundzustand n1 = 1 werden als LymanSerie, die in den ersten angeregten Zustand n1 = 2 als Balmer-Serie und die in den zweiten angeregten Zustand n1 = 3 als Paschen-Serie bezeichnet, siehe Abb. 19.6. Die Energie, die ben¨ otigt wird, um das Elektron aus dem Grundzustand (n = 1) zur Energie E = 0 anzuregen, wird als Ionisationsarbeit bezeichnet: EI = (E = 0 − En=1 ) = R ≃ 13, 6 eV .

19.4 Spektrum des Wasserstoff-Atoms

427 En2



En1 Abb. 19.5: Abregung des Atoms unter Emission eines Photons.

Da bei der Anregung bzw. Abregung die Elektronen von einem Drehimpulseigenzustand in einen anderen Drehimpulseigenzustand springen, muss die dabei absorbierte bzw. emittierte Strahlung ebenfalls einen wohl definierten Drehimpuls besitzen. Es zeigt ¨ sich, dass Uberg¨ ange mit ∆l = ±1 bevorzugt sind, da die zugeh¨orige Strahlung eine Dipolstrahlung ist, die, wie wir aus der Elektrodynamik wissen, bei der Multipolentwicklung als dominante Strahlung auftritt. Im Folgenden wollen wir die Wellenfunktionen der Zust¨ande mit maximalem Drehimpuls l = n − 1 bei gegebener Hauptquantenzahl n etwas genauer betrachten. F¨ ur diese Zust¨ande gilt nach (19.19) offenbar kmax = 0. Die Polynome L(ρ) sind dann durch eine Konstante gegeben. Die Radialfunktionen nehmen deshalb eine sehr einfache Gestalt f¨ ur diese Quantenzahlen an. Dr¨ ucken wir die Radialfunktion durch den urspr¨ unglichen Radius r aus, so nimmt diese die Gestalt Rn,l=n−1 (r) = Cnl rl e−κr .

(19.26)

an. Diese Funktionen sind qualitativ f¨ ur die ersten Hauptquantenzahlen n = 1, 2, 3 in Abb. 19.7 dargestellt. F¨ ur den Grundzustand n = 1 gibt es nur den Zustand mit (maximalem) Drehimpuls l = 0. F¨ ur diesen Zustand ist die Radialfunktion durch eine exponentiell abklingende Funktion gegeben. Entsprechend ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit durch eine Gauß-Kurve gegeben, und das Teilchen h¨alt sich dominant in der N¨ahe des Koordinatenursprungs auf. Mit steigender Hauptquantenzahl sind die Zust¨ande mit maximalem Drehimpuls l = n−1 mehr und mehr lokalisiert, wobei der Ort der Lokalisierung zu immer gr¨ oßerem r wandert, wie wir am Ende dieses Abschnittes noch explizit sehen werden. Mit der u ¨blichen Normierung Z∞ dr r2 |Rnl (r)|2 = 1 0

und unter Benutzung der Beziehung (B.2) Z∞ 0

dx xn e−x = n!

428

19 Das Wasserstoff-Atom

(n → ∞) 0 n=4 n=3

P aschen

n=2

n=1

Balmer

Lymann

Abb. 19.6: Spektrallinien des Wasserstoff-Spektrums.

finden wir f¨ ur den Normierungskoeffizienten in der Radialfunktion (19.26): s (2κ)2l+3 Cnl = . (2l + 2)! Abschließend betrachten wir noch einmal die Wellenfunktion des Grundzustandes (n = 1, l = 0). F¨ ur diesen Zustand reduziert sich der oben angegebene Ausdruck f¨ ur die Radialfunktion auf: √ R10 (r) = 4κ3 e−κr . Beachten wir außerdem, dass die Kugelfunktion Ylm f¨ ur verschwindenden Drehimpuls durch die Konstante 1 ˆ = √ = const Y00 (x) 4π gegeben ist, so lautet die normierte Wellenfunktion des Grundzustandes: r κ3 −κr ϕn=1,l=0,m=0 (x) = e . π F¨ ur die Energie des Grundzustandes erhalten wir aus (19.21) . E1 = −Z 2 R .

19.4 Spektrum des Wasserstoff-Atoms

429

2 n=1 n=2 n=3 Rn,l=n−1 /κ3/2

1.5

1

0.5

0

0

1

2

3

4

5

κr Abb. 19.7: Die Radialfunktionen Rnl (r) der Eigenzust¨ ande mit maximalem Drehimpuls l = n − 1 f¨ ur gegebene Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3.

Damit reduziert sich die Wellenzahl (19.12) κ mit (19.8) auf: κ(E1 ) =

Z , a

wobei a der Bohr’sche Atomradius (19.7) ist. Dieses Ergebnis zeigt, dass f¨ ur die gebundenen Zust¨ande die zugeh¨ orige Wellenl¨ ange λ ∼ 1/κ durch den Bohr’schen Atomradius gegeben ist. Ferner zeigt dieser Ausdruck auch, dass mit wachsender Kernladungszahl Z diese Wellenl¨ange und damit die effektive Ausdehnung des Atoms immer kleiner wird. Dies ist verst¨ andlich, da mit wachsendem Z das Elektron mehr und mehr an den Atomkern gebunden wird. F¨ uhren wir den reduzierten Bohr’schen Atomradius ein, a ¯=

a , Z

so nimmt die Wellenfunktion des Grundzustandes schließlich die Gestalt

ϕ100 (r) =

r

1 −r/¯a e π¯ a3

(19.27)

an. Diese Darstellung zeigt explizit, dass a ¯ die Ausdehnung des Grundzustandes ist.

430

19 Das Wasserstoff-Atom

Die oben bereits an Hand der Wellenfunktion festgestellte zunehmende Lokalisierung der Zust¨ande mit maximalem Drehimpuls l = n − 1 bei wachsendem n zeigt sich auch an der Ortsunsch¨ arfe. F¨ ur beliebige Quantenzahlen l¨asst sich aus (19.23) unter Ausnutzung der Differentialgleichung der Laguerre-Polynome nach l¨angerer Rechnung folgende Rekursionsbeziehung f¨ ur die Erwartungswerte k

k

hr inl = hnlm|r |nlmi =

Z∞

drr2+k (Rnl (r))2

(19.28)

0

ableiten: i k+1 k kh 2 ¯2 hrk−2 inl = 0 , (19.29) hr inl −(2l+1) ¯a hrk−1 inl + (2l + 1) − k 2 a 2 n 4 wobei k + 2l + 1 > 0. Setzt man hier nacheinander k = 0, 1, 2, so erh¨alt man 1 a ¯ n2 1 = a ¯(3n2 − l(l + 1)) 2  n2 2  2 a ¯ 5n − 3l(l + 1) + 1 . = 2

hr−1 inl = hrinl hr2 inl

(19.30)

Speziell f¨ ur die Eigenzust¨ ande mit maximalen Drehimpuls l = n − 1 reduzieren sich diese Ausdr¨ ucke auf:   1 , hrin,l=n−1 = a ¯n n + 2   1 2 2 2 hr in,l=n−1 = a ¯ n (n + 1) n + . 2 Hieraus finden wir f¨ ur die radiale Unsch¨ arfe: ∆rn,n−1

q = hr2 in,n−1 − (hrin,n−1 )2 = a ¯n

s   1 1 n+ . 2 2

F¨ ur die relative radiale Schwankung erhalten wir damit: ∆r 1 = √ . hri n,l=n−1 2n + 1

Im Limes n → ∞ geht die radiale Schwankung gegen Null und die Elektronenorbitale werden gut lokalisierte Objekte, f¨ ur die das Konzept einer klassischen Bahn einen ¨ Sinn ergibt. Dieses Resultat ist in Ubereinstimmung mit unseren Betrachtungen zur semiklassischen N¨ aherung bzw. mit dem klassischen Korrespondenzprinzip

19.5 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

19.5

431

Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

Bei der L¨osung der station¨ aren Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur das Coulomb-Potential haben wir eine zus¨atzliche Entartung der Energieeigenzust¨ande festgestellt. Obwohl das effektive Potential drehimpulsabh¨ angig ist, sind die resultierenden Energieeigenwerte unabh¨angig vom Drehimpuls. Diese zuf¨ allige Entartung des Wasserstoff-Spektrums ist eine Konsequenz einer verborgenen Symmetrie des Wasserstoff-Hamiltonians. Zur Auffindung dieser Symmetrie betrachten wir zun¨ achst die klassische Bewegung eines geladenen Teilchens im Coulomb-Feld. F¨ ur ein beliebiges Zentralpotential liegen wegen der Drehimpulserhaltung die klassischen Trajektorien in einer Ebene. Sie bilden jedoch i.A. keine geschlossene Trajektorie, sondern die Bahnen lassen sich als nicht-geschlossene, sich drehende Ellipsen“ cha” rakterisieren, die eine sogenannte Rosettenbahn bilden. Das Coulomb-Potential bildet wie das Gravitationspotential eine Ausnahme: Die klassischen Teilchenbahnen sind hier geschlossene Ellipsen, in deren einem Brennpunkt das Kraftzentrum liegt (siehe Abb. 19.8) und deren Hauptachsen fest im Raum stehen. Dies ist eine Folge der Erhaltung des sogenannten Runge-Lenz-Vektors M=

1 ˆ, p×L−α ¯x m

(19.31)

wobei wir die Abk¨ urzung α ¯=

Ze2 = ~cZα 4π

verwendet haben. Aus der Definition dieses Vektors ist zun¨achst klar, dass er senkrecht auf dem Drehimpuls L = x × p steht: L·M = 0 .

(19.32) x

M

b

χ ϕ e

a

x

Abb. 19.8: Klassische Bahn (Kepler-Ellipse) einer Punktladung im Coulomb-Feld und RungeLenz-Vektor M .

432

19 Das Wasserstoff-Atom

F¨ ur das Quadrat dieses Vektors erhalten wir durch elementare Rechnung: M2 =

2H 2 L +α ¯2 , m

wobei H die klassische Hamilton-Funktion H=

p2 + V (r) 2m

(19.33)

mit dem Coulomb-Potential V (r) = −

Ze2 4πr

ist. Aus dieser Darstellung ist bereits explizit ersichtlich, dass M 2 erhalten sein muss, da im Coulomb-Potential sowohl der Drehimpuls L als auch die Energie H erhalten sind. Durch elementare Rechnungen l¨ asst sich auch leicht zeigen, dass nicht nur M 2 , sondern jede Komponente Mi erhalten bleibt: Mit L˙ = 0 und der klassischen Bewegungsgleichung p˙ = −∇V (r) = −

Ze2 α ¯ ˆ = − 2x ˆ x 4πr2 r

(19.34)

finden wir ˙ = 1 p˙ × L − α ˆ˙ = −α ¯ ¯x M m



1 ˆ˙ ˆ×L+x x mr2



.

(19.35)

Beachten wir, dass ˆ×L=x ˆ × (x × p) = mx ˆ × (x × x) ˙ x ˆ × (x ˆ × x) ˙ = mrx

(19.36)

und x˙ =

d ˆ˙ , ˆ = r˙ x ˆ + rx (rx) dt

(19.37)

so folgt   ˆ × L = mr2 x ˆ× x ˆ˙ , ˆ˙ = −mr2 x ˆ×x x

(19.38)

wobei wir im letzten Schritt ˆ2 = 1 x

,

ˆ˙ = 0 ˆ·x x

(19.39)

benutzt haben. (Die zweite dieser beiden Beziehungen folgt durch Ableitung der ersten.) ˙ = 0. Einsetzen von (19.38) in (19.35) liefert M

19.5 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

433

Wegen (19.32) liegt M in der Bewegungsebene der klassischen Ladung. Um seine genaue Lage zu erkennen, multiplizieren wir M skalar mit dem Ortsvektor 1 ˆ x · (p × (x × p)) − α ¯x · x m 1 ¯r . = (x × p)2 − α m

x·M =

(19.40)

Bezeichnen wir den Winkel zwischen x und M mit χ x · M = r|M | cos χ ,

(19.41)

  |M | L2 r 1+ cos χ = , α ¯ m¯ α

(19.42)

so folgt

wobei die rechte Seite aufgrund der Drehimpulserhaltung eine Konstante ist. Setzen wir hier χ = π − ϕ,

(19.43)

wobei ϕ der gew¨ohnliche Azimutwinkel des Ortsvektors x ist, siehe Abb. 19.8, so erhalten wir die Gleichung einer Ellipse r (1 − ε cos ϕ) =

L2 = const. m¯ α

(19.44)

mit Exzentrizit¨at ε=

e |M | = . α ¯ a

(19.45)

Diese Ellipse ist die Bahnkurve der klassischen Punktladung im Coulomb-Feld bei gegebenem Drehimpuls L. Damit ist die Lage des Runge-Lenz-Vektors bekannt: Er liegt auf der negativen großen Halbachse, siehe Abb. 19.8. (Man beachte, dass das Kraftzentrum, das sich in einem der Brennpunkte der Ellipse befindet, als Koordinatenursprung gew¨ahlt wurde.) Die klassischen Betrachtungen legen nahe, dass auch in der Quantenmechanik der oben eingef¨ uhrte Runge-Lenz-Vektor erhalten bleibt. Hierzu ist jedoch zun¨achst zu bemerken, dass aufgrund der Tatsache, dass p × L 6= −L × p ist, das direkte Analogon des RungeLenz Vektors keinen hermiteschen Operator bilden w¨ urde. Einen hermiteschen Operator erh¨alt man, wenn man die antisymmetrische Kombination

M=

1 ˆ (p × L − L × p) − α ¯x 2m

434

19 Das Wasserstoff-Atom

w¨ahlt. Aus den Eigenschaften des Kreuzproduktes folgt zun¨achst, dass dieser Operator wie in der klassischen Mechanik wieder orthogonal zum Drehimpulsoperator ist: L·M = M ·L= ˆ 0.

(19.46)

Man zeigt auch leicht durch explizites Ausrechnen, dass dieser Operator mit dem Hamilton-Operator kommutiert: ˆ. [M , H] = 0

(19.47)

F¨ ur das Quadrat dieses Vektors erhalten wir hier: M2 =

2H 2 (L + ~2 ) + α ¯2 . m

(19.48)

Dieser Ausdruck unterscheidet sich von dem entsprechenden klassischen Ausdruck durch einen zus¨atzlichen Term der Ordnung ~2 , der offensichtlich mit dem Nichtkommutieren von p und L zusammenh¨ angt. Die obige Gleichung (19.47) dr¨ uckt die quantenmechanische Erhaltung des Runge-Lenz¨ Operators im Coulomb-Potential aus. Ahnlich wie beim Drehimpulsoperator sind auch nicht alle Komponenten des Runge-Lenz-Vektors gleichzeitig scharf messbar. Dies folgt aus der Kommutationsbeziehung   2H [Mi , Mj ] = i~ǫijk − Lk , (19.49) m wobei H der quantenmechanische Hamilton-Operator mit dem Coulomb-Potential und Lk die k-te Komponente des Drehimpulsoperators ist. Gleichung (19.48) zeigt jedoch, dass ein Eigenzustand vom Hamilton-Operator, der hier auch gleichzeitig Eigenfunktion zum Drehimpuls L2 ist, ebenfalls Eigenfunktion von M 2 ist. Der Runge-Lenz-Vektor kommutiert auch nicht mit dem Drehimpulsoperator: [Mi , Lj ] = i~ǫijk Mk .

(19.50)

Der Operator M hat damit a ur ¨hnliche Eigenschaften wie der Drehimpulsoperator, f¨ den bekanntlich die Vertauschungsrelation [Li , Lj ] = i~ǫijk Lk

(19.51)

gilt. Da Mi und Li mit dem Hamilton-Operator kommutieren, f¨ uhren sie einen Eigenzustand von H in einen Eigenzustand zur selben Energie u ¨ber, d.h. Mi und Li bilden den Unterraum der Eigenzust¨ ande von H zum Eigenwert E auf sich ab. Wir k¨onnen uns deshalb im Folgenden auf den Hilbert-Raum beschr¨anken, der zu einem festen Eigenwert von H geh¨ort. In diesem Hilbert-Raum k¨ onnen wir H auf der rechten Seite von Gl. (19.49) durch diesen Energieeigenwert E ersetzen. Die sechs Operatoren Li , Mi (i = 1, 2, 3) bilden dann eine geschlossene Algebra, die durch die Gln. (19.49), (19.50) und

19.5 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

435

(19.51) definiert ist. Diese Algebra l¨ asst sich in die Standardform bringen, wenn wir die umskalierten Generatoren r m ′ M =M − 2E verwenden (Man beachte, dass f¨ ur gebundene Zust¨ande E < 0 gilt!). Zusammen mit dem Drehimpulsoperator erf¨ ullen diese dann die Kommutationsbeziehungen   ′ Mi , Mj′ = i~ǫijk Lk , [Mi′ , Lj ]

(19.52)

i~ǫijk Mk′

= , [Li , Lj ] = i~ǫijk Lk .

(19.53)

Diese Kommutationsbeziehungen definieren die Lie-Algebra der Gruppe O(4) bzw. SO(4). Diese Algebra l¨asst sich noch vereinfachen, wenn wir anstatt der Operatoren Li und Mi′ ihre Summe bzw. Differenz I=

1 (L + M ′ ) 2

,

K=

1 (L − M ′ ) 2

(19.54)

einf¨ uhren. Es ist klar, dass auch diese so definierten Operatoren I und K eine geschlossene Algebra bilden. In der Tat finden wir: [Ii , Ij ] = i~ǫijk Ik , [Ki , Kj ] = i~ǫijk Kk , [Ii , Kj ] = ˆ 0.

Die Operatoren Ii und Ki besitzen dieselben Kommutationsbeziehungen wie die Komponenten des Drehimpulsoperators. Da außerdem die Ii mit den Kj kommutieren, bilden sie zwei unabh¨angige Drehimpulsalgebren. Auf diese Weise haben wir die Lie-Algebra der SO(4)-Gruppe in zwei unabh¨ angige SO(3)- bzw. SU(2)-Algebren zur¨ uckgef¨ uhrt.2 Die Drehimpulsoperatoren generieren die Diagonale SO(3)-Untergruppe der SO(4)Gruppe, die wir als SO(3)diagonal bezeichnen. Die Operatoren Mi′ hingegen erzeugen keine abgeschlossene Gruppe, was an ihren Kommutationsbeziehungen (19.52) ersichtlich ist3 . Was sich hinter diesen gruppentheoretischen Aussagen verbirgt, werden wir im Detail noch erfahren. 2 Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass die SO(4)-Gruppe in einem direkten Produkt von zwei SU(2)Gruppen enthalten ist. Es gilt der Zusammenhang

SO(4) ≃ (SU (2) × SU (2))/Z(2) ,

ˆ −1} ist. wobei Z(2) die diskrete Gruppe aus den beiden Elementen {1, 3 Sie erzeugen den sogenannten Coset SO(4)/SO(3) diagonal .

(19.55)

436

19 Das Wasserstoff-Atom

Da M und L mit H kommutieren, ist klar, dass die so eingef¨ uhrten Operatoren (19.54) I und K ebenfalls mit dem Hamilton-Operator kommutieren m¨ ussen. Demzufolge liefern das Quadrat dieser Operatoren und eine Projektion gute Quantenzahlen. Da diese Operatoren die Drehimpulsalgebra erf¨ ullen, kennen wir bereits ihre Eigenwerte: Wir erinnern hier daran, dass die Eigenwerte des Drehimpulses allein Konsequenz der Drehimpulsvertauschungsrelationen, d.h. der SU(2)-Algebra, waren. F¨ ur die Eigenwerte der Operatoren I 2 und K 2 haben wir deshalb: I2 : K2 :

1 i = 0, , 1, . . . , 2 1 2 ~ k(k + 1) , k = 0, , 1, . . . . 2

~2 i(i + 1) ,

Diese Gr¨oßen bleiben offensichtlich bei der Bewegung im Coulomb-Potential erhalten. Wir bezeichnen deshalb diese Operatoren als verallgemeinerte Drehimpulsoperatoren. Wenn die Quadrate von I und K, I2 =

1 (L + M ′ )2 4

,

K2 =

1 (L − M ′ )2 , 4

erhalten bleiben, dann m¨ ussen auch deren Summe bzw. Differenz, 1 2 (L + M ′2 ) , 2 C′ = I2 − K2 = L · M ′ , C = I2 + K2 =

(19.56)

unabh¨angig erhalten sein, die als Casimir-Operatoren bezeichnet werden (Man beachte, dass wegen (19.53) L · M ′ = M ′ · L gilt.). Wie wir oben gesehen hatten (siehe Gl. (19.46)), steht der Runge-Lenz Vektor M stets senkrecht auf dem Drehimpulsvektor L. Damit gilt auch: L · M′ = ˆ 0 und der Casimir-Operator C ′ verschwindet identisch im Coulomb-Potential. Die Bewegung im Coulomb-Potential erfasst deshalb nur den Teil der SO(4)-Gruppe, f¨ ur den I2 = K2 gilt. In diesem Teil der SO(4)-Gruppe hat der Casimir-Operator C (19.56) dann wegen i = k die Eigenwerte C:

2~2 k(k + 1) .

(19.57)

Setzen wir in den Ausdruck f¨ ur C (19.56) den Ausdruck f¨ ur das Quadrat des Runge-Lenz Vektors (19.48) ein, so erhalten wir:  m 1 2 1 L − M2 C = (L2 + M ′2 ) = 2 2 2E m 2 ~2 m 2 1 2 L − L 2 − ~2 − α ¯ =− − α ¯ . (19.58) = 2 2E 2 4E

19.5 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

437

Identifizieren wir diesen Ausdruck mit dem Eigenwert des Casimir-Operators (19.57),   m 2 1 ~2 ~2 − α ¯ =C+ = 2~2 k(k + 1) + = ~2 2k 2 + 2k + 4E 2 2 2 2 ~ = (2k + 1)2 , 2 so erhalten wir f¨ ur die Energie des gebundenen Zustandes den Ausdruck E=−

1 m 2 α ¯ ~2 . 2 4 2 (2k + 1)

Dieser Ausdruck l¨ asst sich in die Form α2 Z 2 1 E = − mc2 2 (2k + 1)2

(19.9)

= −

Z 2R (2k + 1)2

bringen, welche mit dem fr¨ uher gewonnenen Ergebnis (19.21) u ¨bereinstimmt, falls wir setzen: n = 2k + 1 .

(19.59)

In der Tat liefert diese Beziehung bei gegebenen Drehimpulsquantenzahlen k = 0, 1/2, 1, 3/2, . . . die korrekten Hauptquantenzahlen n = 1, 2, 3, 4, . . . . Man u ¨berzeugt sich leicht, dass auch die Drehimpulsquantenzahlen richtig reproduziert werden. Dazu bemerken wir, dass nach den obigen algebraischen Beziehungen (19.54) der Drehimpulsoperator L sich durch die verallgemeinerten Drehimpulse I und K ausdr¨ ucken l¨asst: L=I+K .

Diese Gleichung stellt die vektorielle Addition zweier (verallgemeinerter) Drehimpulse zum Gesamtbahndrehimpuls L dar. Nach den Gesetzen der Vektoraddition muss die Quantenzahl l des Gesamtdrehimpulses L der Dreiecksrelation (16.61) |i − k| ≤ l ≤ i + k

1 i = k = 0, , 1, . . . 2

gen¨ ugen. F¨ ur i = k reduziert diese sich auf: 0 ≤ l ≤ 2k. Mit dem Wertebereich f¨ ur die Quantenzahl k eines Drehimpulses, der auch halbzahlige Werte annehmen kann, finden wir f¨ ur die Drehimpulsquantenzahl l die korrekten (ganzzahligen) Werte. Dr¨ ucken wir in der letzten Beziehung die verallgemeinerte Drehimpulsquantenzahl k mittels der Beziehung (19.59) durch die Hauptquantenzahl n aus, so finden wir f¨ ur l den Wertebereich 0≤l ≤n−1,

438

19 Das Wasserstoff-Atom

was mit dem fr¨ uheren Ergebnis (19.20) u ¨bereinstimmt. Damit ist es uns auf rein algebraische Art gelungen, das Wasserstoff-Spektrum zu bestimmen. Dieser Weg wurde urspr¨ unglich von W. Pauli beschritten, der unabh¨angig von E. Schr¨ odinger auf diese Art die Eigenzust¨ ande und Eigenwerte des Wasserstoff-Atoms bestimmt hat. Bei der obigen Bestimmung der Energieeigenwerte haben wir außerdem gesehen, dass bei der Berechnung des relevanten Casimir-Operators C der Drehimpulsoperator L2 herausf¨allt, siehe Gl. (19.58), was dann zu der zus¨atzlichen Entartung der Energieeigenwerte in der Drehimpulsquantenzahl f¨ uhrt.

19.6

Warum das Coulomb-Problem exakt lo¨sbar ist

Der aufmerksame Leser wird sich fragen, wieso die Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur das Coulomb-Potential exakt l¨ osbar ist. Denn wie wir im Kapitel 8 gesehen haben, ist das L¨osen der Schr¨odinger-Gleichung ¨ aquivalent zur Berechnung des Funktionalintegrals f¨ ur die ¨ Ubergangsamplitude. Es lassen sich jedoch nur Gaußsche Funktionalintegrale exakt (analytisch) berechnen. F¨ ur exakt l¨ osbare Probleme ist das Potential deshalb h¨ochstens ein quadratisches Polynom der Koordinaten. Die exakte L¨osbarkeit des quantenmechanischen Coulomb-Problems resultiert aus der Tatsache, dass durch geeignete Koordinatentransformationen sich das Coulomb-Problem auf das eines vierdimensionalen harmonischen Osziallators u uhren l¨ asst, wie wir nachfolgend anhand der Schr¨odinger¨berf¨ Gleichung zeigen werden. Wir schreiben die Schr¨ odinger-Gleichung (19.10) des Coulomb-Problems in der Form   ~2 Ze2 − ∆ − E ϕ(x) = ϕ(x) (19.60) 2m 4πr und multiplizieren diese Gleichung von links mit dem Radius r   ~2 Ze2 − r∆ − rE ϕ(x) = ϕ(x) . 2m 4π

(19.61)

¨ Um die Aquivalenz dieser Gleichung mit der eines vierdimensionalen harmonischen Oszillators zu zeigen, stellen wir zun¨ achst die kartesischen Koordinaten xi=1,2,3 in der Form xi = z¯σi z

(19.62)

dar, wobei σi=1,2,3 die Pauli-Matrizen (16.37) und   z1 z= , z¯ = (z1∗ , z2∗ ) z2

(19.63)

zwei-komponentige komplexe Spinoren sind, deren Komponenten wir durch vier reelle Variablen uµ=1,2,3,4 parametrisieren z1 = u1 + iu2

,

z2 = u3 + iu4 .

(19.64)

19.6 Warum das Coulomb-Problem exakt l¨ osbar ist

439

Benutzt man die Vollst¨ andigkeit der Pauli-Matrizen 3 X

(σi )ab (σi )cd = δad δbc ,

(19.65)

i=1

so findet man aus (19.62) durch Berechnung von r2 = x2 f¨ ur den Radius r = z¯z =

4 X

(uµ )2 =: u2 .

(19.66)

µ=1

Bilden wir das Differential X ∂xi dxi = duµ , ∂uµ µ

(19.67)

so erhalten wir aus Gl. (19.62)     du1  dx1 u3 u4 u1 u2 du2   dx2  = 2  u4 −u3 −u2 u1    du  . 3 dx3 u1 u2 −u3 −u4 du4 

(19.68)

R

Die Abbildung uµ → xi (u) ist nicht umkehrbar, da ein Punkt x ∈ 3 eine ganze Kurve im vierdimensionalen Parameterraum repr¨ asentiert, der durch die Koordinaten {uµ } 3 P ∂ 2 /∂x2i durch Ableitungen nach aufgespannt wird. Um den Laplace-Operator ∆ = i=1

den neuen Koordinaten uµ auszudr¨ ucken, ben¨otigen wir jedoch die Invertierung der Gleichung (19.67). Um die Transformation uµ → xi (u) invertierbar zu machen, f¨ uhren wir eine fiktive vierte Dimension ein, deren kartesische Koordinate wir mit x4 bezeichnen. Wir w¨ahlen diese Koordinate bzw. ihr Differential so, dass die auf vier Dimensionen erweiterte Gleichung (19.67) invertierbar ist, d.h. wir fordern eine Beziehung dxi =

X ∂xi X ! duµ = 2 Qiµ duµ , i = 1, 2, 3, 4 , ∂uµ µ µ

(19.69)

so dass die 4 × 4-Matrix Qiµ invertierbar ist. Der Faktor 2 wurde in Analogie zu Gl. (19.68) gew¨ahlt. Die ersten drei Zeilen dieser Matrix sind bereits in Gl. (19.68) definiert. Die vierte Zeile, die zu der fiktiven Dimension geh¨ort, erg¨anzen wir aus Symmetriegr¨ unden so, dass4   u3 u4 u1 u2  u −u3 −u2 u1  Qiµ =  4 . (19.70) u1 u2 −u3 −u4  u2 −u1 u4 −u4 4 Die

Transformation xi →

P µ

Qiµ uµ mit Qiµ (19.70) stammt urspr¨ unglich aus der Astronomie und

wird dort als Kustaanheimo-Stiefel-Transformation bezeichnet.

440

19 Das Wasserstoff-Atom

Man u ur u2 6= 0 nicht singul¨ar ist. In der Tat ¨berzeugt sich leicht, dass diese Matrix f¨ l¨asst sich folgende Beziehung zeigen QT = 4u2 Q−1 ,

(19.71)

woraus wir f¨ ur ihre Determinante p det Q = det QQT = 16(u2 )2 = 16r2

(19.72)

erhalten. In dem fiktiven vierdimensionalen euklidischen Raum k¨onnen wir Gl. (19.69) invertieren und erhalten 1 1 1 ∂uµ = (Q−1 )µi = 2 (QT )µi = 2 Qiµ . ∂xi 2 8u 8u

(19.73)

Damit k¨onnen wir die Ableitungen nach den kartesischen Koordinaten xi durch die nach den Parametern uµ ausdr¨ ucken. Mit X ∂uµ ∂ ∂ = i ∂x ∂xi ∂uµ µ

(19.74)

findet man nach etwas l¨ anglicher, aber elementarer Rechnung f¨ ur den Laplace-Operator ∆=

1 X ∂2 . 4r µ ∂u2µ

(19.75)

Einsetzen dieses Ausdruckes und des Ausdruckes (19.66) f¨ ur den Radius in die Schr¨odinger-Gleichung (19.61) liefert 4 ~2 X ∂ 2 − Eu2 − 8m µ=1 ∂u2µ

!

φ(u) =

Ze2 φ(u) , 4π

(19.76)

wobei wir φ(u) ≡ φ(u1 , u2 , u3 , u4 ) = ϕ(x(u)) gesetzt haben. Mit den Substitutionen M = 4m

,

−E =

1 M ω2 2

,

E=

Ze2 4π

(19.77)

geht diese Gleichung in die Schr¨ odinger-Gleichung des vierdimensionalen harmonischen Oszillators in den Variablen uµ u ¨ber ! 4 ~2 X ∂ 2 1 2 2 − + M ω u φ(u) = Eφ(u) . 2M µ=1 ∂u2µ 2

(19.78)

Diese Gleichung ist ¨ aquivalent zur Schr¨ odinger-Gleichung des urspr¨ unglichen CoulombProblems, wenn man sich auf solche Oszillatorwellenfunktionen beschr¨ankt, die nicht

19.6 Warum das Coulomb-Problem exakt l¨ osbar ist

441

von der fiktiven kartesischen Koordinate x4 = x4 (u1 , u2 , u3 , u4 ) abh¨angen, d.h. auf solche Wellenfunktionen, die der Nebenbedingung X ∂uµ ∂ ∂ ! ϕ(x(u)) = φ(u) = 0 ∂x4 ∂x4 ∂uµ µ

(19.79)

gen¨ ugen. Die quantisierten (pseudo-)Energien des vierdimensionalen harmonischen Oszillators (19.78) sind durch EN = ~ω(N + 2)

(19.80)

gegeben, wobei N=

4 X



(19.81)

µ=1

und nµ die Quantenzahlen der vier unabh¨ angigen 1-dimensionalen harmonischen Oszillatoren in den µ-Richtungen des uµ -Parameterraumes sind und 2~ω = 4~ω/2 ihre Grundzustandsenergie ist. Die genauere Analyse der Nebenbedingung (19.79) zeigt nun, dass nur die Oszillatorwellenfunktionen mit gerader Oszillatorquantenzahl N als Coulomb-Wellenfunktionen realisiert sind.5 Setzen wir deshalb N = 2(n − 1)

,

n = 1, 2, 3, . . . ,

(19.82)

so erhalten wir f¨ ur die quantisierten Energien (19.80) En = 2~ωn .

(19.83)

Nach Gl. (19.77) m¨ ussen die den Coulomb-Wellenfunktionen entsprechenden Oszillatormoden n s¨amtlich die Pseudoenergie En =

Ze2 4π

(19.84)

besitzen. Da der Ausdruck auf der rechten Seite konstant ist, verlangt dies zusammen mit Gl. (19.83), dass die Oszillatorfrequenz f¨ ur jede Mode n verschieden ist, d.h. ω = ωn , und die diskreten Werte ωn =

Ze2 2~n

(19.85)

annimmt. Einsetzen in Gl. (19.77) liefert f¨ ur die quantisierten Energien des CoulombProblems En = −2mωn2 = −

(Ze2 )2 m 1 R = −Z 2 2 , 2~2 n2 n

(19.86)

5 Ursache hierf¨ ur ist letztendlich die Mehrdeutigkeit der Abbildung von x auf die z’s bzw. uµ ’s. So bleiben die Koordinaten xi (19.62) unver¨ andert, wenn der Spinor z mit einer Phase eiα (α-reell) multipliziert wird.

442

19 Das Wasserstoff-Atom

wobei R die Rydberg-Konstant ist. Dies sind die exakten Eigenenergien (19.21) des Coulomb-Problems, wobei n (19.82) der Hauptquantenzahl ist. Auch die klassische Wirkung f¨ ur eine Punktladung im Coulomb-Potential nimmt in den Variablen uµ die Form des vierdimensionalen harmonischen Oszillators an und das zugeh¨orige Funktionalintegral kann exakt ausgef¨ uhrt werden.

20

Algebraischer Zugang zur Quantenmechanik∗

In Kap. 13 hatten wir das Spektrum des Hamiltonoperators des harmonischen Oszillators auf rein algebraische Weise gefunden, ohne dabei die (station¨are) Schr¨odingerGleichung, die eine Differentialgleichung 2. Ordnung bez¨ uglich des Ortes ist, explizit l¨ osen zu m¨ ussen. Lediglich zur Bestimmung der Grundzustandswellenfunktion m¨ ussten wir eine Differentialgleichung (13.62) 1.Ordnung l¨osen. Die Wellenfunktion der angeregten Zust¨ande ergaben sich dann durch wiederholte Anwendung des Erzeugungsoperators auf die Grundzustandswellenfunktion, siehe Gl. (13.64). In diesem Kapitel wollen wir die beim harmonischen Oszillator kennengelernte algebraische Methode verallgemeinern und auf beliebige Hamiltonoperatoren ausdehnen, deren Spektrum nach unten beschr¨ankt ist. (Diese Voraussetzung ist f¨ ur die Hamiltonoperatoren s¨amtlicher physikalischer Systeme erf¨ ullt.) Im Folgenden geben wir also eine allgemeine Methode1 an, die es erlaubt, die Eigenwerte und Eigenvektoren eines beliebigen hermiteschen Operators zu bestimmen, der nach unten beschr¨ ankt ist und einen minimalen Eigenwert besitzt. (F¨ ur Operatoren, die nach oben beschr¨ankt sind, k¨ onnen wir dasselbe Verfahren auf den negativen Operator anwenden.) Unser Vorgehen benutzt ausschließlich Methoden der Operatoralgebra und verlangt wie beim harmonischen Oszillator keine explizite L¨osung der Schr¨odingergleichung.

20.1

Bestimmung des Spektrums

Um m¨oglichst einfache Verh¨ altnisse zu haben nehmen wir zun¨achst an, dass der zu untersuchende Operator h selbstadjungiert-kompakt ist, also u ¨berall definiert mit einem (nach oben und unten beschr¨ ankten) reinen Punktspektrum {λ1 , λ2 , λ3 , . . .}. Aus der folgenden Ableitung geht allerdings hervor, dass das Verfahren in analoger Weise auf alle beschr¨ankten oder sogar halb-beschr¨ ankten selbstadjungierten Operatoren ausdehnbar ist, sofern ein niedrigster Eigenwert existiert (was wir voraussetzen). Wir werden daher im Folgenden den Begriff hermitesch als Oberbegriff f¨ ur selbstadjungiert-kompakt bzw. selbstadjungiert-(semi)beschr¨ ankt verwenden.

∗ Dieses Kapitel ist f¨ ur das Verst¨ andnis der u ¨brigen Kapitel nicht erforderlich und kann deshalb beim ersten Lesen u ¨bersprungen werden. 1 Diese Methode findet auch Anwendung in den sogenannten supersymmetrischen (SUSY) Theorien, die als m¨ ogliche Erweiterungen des Standardmodells der Elementarteilchen untersucht werden.

444

20 Algebraischer Zugang

Schritt 1: Wir beginnen zun¨ achst mit dem Grundzustand, den wir auf folgende Weise charakterisieren k¨ onnen:2 Falls es zu einem hermiteschen Operator h einen beschr¨ankten Operator a und eine reelle Zahl λ gibt mit h = a† a + λ , ker a 6= {o} ,

(20.1) (20.2)

dann ist λ der kleinste Eigenwert von h.

Entscheidend ist hierbei, dass der Operator a im Allgemeinen weder selbstadjungiert noch eindeutig sein wird, aber bereits eine Realisierung von (20.1) gen¨ ugt, um λ als niedrigsten Eigenwert zu identifizieren. Zum Beweis schreiben wir h − λ = a† a und beachten, dass h−λ den kleinsten Eigenwert λ1 −λ hat, wobei λ1 den kleinsten Eigenwert von h bezeichnet. Da a† a andererseits wegen hφ | a† a | φi = ka φk2 ≥ 0 nicht-negativ ist, folgt λ1 − λ ≥ 0. Aus (20.1) alleine folgt also, dass λ eine untere Schranke f¨ ur den niedrigsten Eigenwert von h ist, λ ≤ λ1 . W¨ are jetzt λ < λ1 , so w¨aren alle Eigenwerte von h − λ echt positiv, mithin h − λ = a† a > 0, im Widerspruch zu (20.2). Somit sichert (20.2), dass λ ≥ λ1 , und daher insgesamt λ = λ1 . Schritt 2: Wir nehmen nun an, dass f¨ ur h eine Darstellung der Form (20.1) existiert. Dann ist durch h2 = aa† + λ

(20.3)

ein neuer hermitescher Operator definiert, der dasselbe Spektrum wie h besitzt, eventuell mit Ausnahme des Grundzustandes mit Eigenwert λ = λ1 . Dies wird ersichtlich, wenn man das Spektrum von a† a mit dem von aa† vergleicht: Ist |ϕi Eigenvektor von a† a mit Eigenwert µ, so gilt a† a|ϕi = µ |ϕi und somit aa† a|ϕi = µ a|ϕi. Ist |ξi ≡ a|ϕi 6= o, so gilt also aa† |ξi = µ|ξi, d.h. µ ist auch Eigenwert von aa† . Falls jedoch |ξi = a|ϕi = o ist, d.h. falls a† a eine Nullmode hat, so trifft dieses Argument nicht zu. In diesem Fall kann aa† ebenfalls eine Nullmode haben, muss es aber nicht. Damit ist jeder Eigenwert des Operators a† a auch Eigenwert des Operators aa† , mit Ausnahme eventueller Nullmoden. Das Spektrum von h und h2 ist in Abb. 20.1 illustriert. Um zu u ufen, ob λ = λ1 ¨berpr¨ wirklich ein Eigenwert von h2 ist, gen¨ ugt es nach (20.3) offenbar, den Kern von a† anzuschauen: ( λ falls ker a† 6= {o} kleinster Eigenwert von h2 = λ2 falls ker a† = {o} , 2 Hier und im Folgenden bezeichnet {o} den Unterraum des Hilbertraums, der nur aus dem neutralen Element, dem Nullvektor o besteht. In diesem Zusammenhang erinnern wir an die Definition des Kerns eines Operators. Der Kern eines Operators A ist durch die Menge aller Vektoren gegeben, die der Operator auf den Nullvektor o abbildet, d.h. ϕ ∈ kerA falls Aϕ = o.

20.1 Bestimmung des Spektrums

445

h = h1

h2

λ3

λ3

λ2

λ2

λ1

λ1

Abb. 20.1: Das Spektrum der ersten beiden Operatoren in der Sequenz (20.6).

wobei λ2 den zweitkleinsten Eigenwert von h bezeichnet. Wendet man nun Schritt 1 auf den neuen Operator h2 (20.3) an, so gilt: Falls h2 in der Form h2 = a†2 a2 + µ

(20.4)

ker a2 6= {o}

(20.5)

mit reellem µ dargestellt werden kann, dann ist ( µ = kleinster Eigenwert von h2 =

λ λ2

falls ker a† 6= {o}

falls ker a† = {o} .

Fordert man also in Schritt 1 zus¨ atzlich ker a† = {o}, so wird im Schritt 2 garantiert der n¨achstgr¨oßere Eigenwert λ2 von h gefunden. Schritt 3: Das Verfahren kann nun ausgehend von h1 ≡ h , a1 ≡ a , a†1 ≡ a† , λ1 ≡ λ , λ2 ≡ µ iteriert werden: h1 ≡ h =a†1 a1 + λ1

ker a1 6= {o} ker a†1

= {o}

→ −

h2 ≡ a1 a†1 + λ1 !

=

a†2

a2 + λ2

ker a2 6= {o} ker a†2

= {o}

→ −

h3 ≡ a2 a†2 + λ2 !

=

a†3

a3 + λ3

→ ··· −

ker a3 6= {o}

ker a†3 = {o}

(20.6)

446

20 Algebraischer Zugang

Nehmen wir an, wir haben einen Operator hj = a†j aj + λj

(20.7)

ker aj 6= o , ker a†j = o .

(20.8)

gefunden mit

Dann definieren wir einen neuen Operator hj+1 = aj a†j + λj ,

(20.9)

den wir in die Form (20.7) hj+1 = a†j+1 aj+1 + λj+1

(20.10)

bringen, was neue Operatoren aj+1 , a†j+1 und einen neuen Eigenwert λj+1 liefert, wobei wir wieder fordern, dass ker a†j+1 = o .

ker aj+1 6= o

(20.11)

Offensichtlich gelten die Beziehungen: hj+1 aj = aj hj hj a†j

=

a†j hj+1

(20.12) .

(20.13)

Wie oben gezeigt, sind die so erhaltenen Zahlen λj der Gr¨oße nach geordnet, λj ≥ λj−1 .

(20.14)

In jedem Schritt sichert die Nebenbedingung (20.8) an den Kern von aj , dass die Zahl λj wirklich der gesuchte Eigenwert ist (und nicht nur eine untere Schranke). Die zweite Nebenbedingung an den Kern von a†j stellt sicher, dass im n¨achsten Schritt ein neuer Eigenwert λi gefunden wird. Auf diese Weise wird das gesamte (Punkt-)Spektrum des Operators h durchlaufen. Falls ein h¨ ochster Eigenwert existiert, so bricht das Verfahren ab, weil im darauffolgenden Schritt keine Darstellung der Form (20.10), (20.11) m¨oglich ist.

20.1 Bestimmung des Spektrums

447

Der Vorteil des Verfahrens (20.6) liegt auf der Hand: Statt s¨amtliche L¨osungen der Schr¨odingergleichung zu berechnen, muss man in (20.6) sukzessive den Kern von aj bestimmen (eine Differentialgleichung erster Ordnung), was i.A. sehr viel leichter ist. Die Eigenfunktionen von h werden durch die Nebenbedingung (20.8) automatisch mit bestimmt, wie wir gleich zeigen werden. Wie wir im Folgenden sehen werden, kommt man oft sogar ganz ohne L¨ osung einer Differentialgleichung aus, wenn aus dem Ansatz f¨ ur die ai bereits klar ist, dass die Nebenbedingungen f¨ ur die Kerne erf¨ ullt sind. In diesem Fall kann das Spektrum tats¨ achlich vollst¨andig algebraisch bestimmt werden. Wir werden jetzt ganz allgemein zeigen, dass die λj die Eigenwerte des urspr¨ unglichen Operators h = h1 sind und dabei eine Darstellung der zugeh¨origen Eigenfunktionen gewinnen. Zum Beweis bemerken wir zun¨ achst, dass die Zust¨ande |φj i, die durch die Operatoren aj vernichtet werden (d.h. Elemente vom ker aj sind),

aj |φj i = o ,

(20.15)

offenbar Eigenvektoren der Operatoren hj zum Eigenwert λj sind:

hj |φj i = λj |φj i .

(20.16)

Es ist jetzt leicht zu zeigen, dass die Zust¨ ande

|ϕj i = a†1 a†2 . . . a†j−1 |φj i

(20.17)

Eigenvektoren des urspr¨ unglichen Operators h zum Eigenwert λj sind:

h|ϕj i = λj |ϕj i .

(20.18)

In der Tat liefert wiederholte Benutzung der Beziehung (20.13): h|ϕj i = h1 a†1 a†2 . . . a†j−1 |φj i = a†1 a†2 . . . a†j−1 hj |φj i = λj |ϕj i , wobei wir im letzten Schritt die Beziehung (20.16) benutzt haben.

(20.19)

448

20 Algebraischer Zugang

Die Beziehung (20.17) l¨ asst sich invertieren zu |φj i = aj−1 · · · a2 a1 |ϕj i .

(20.20)

In der Tat zeigt man durch wiederholte Anwendung von (20.12), dass die Zust¨ande (20.20) der Eigenwertgleichung (20.16) gen¨ ugen hj |φj i = hj aj−1 · · · a2 a1 |ϕj i = aj−1 hj−1 aj−2 · · · a2 a1 |ϕj i = aj−1 · · · a2 a1 h1 |ϕj i = λj |φj i ,

(20.21)

wobei wir im letzten Schritt (20.18) benutzt haben. Mit (20.7) gilt deshalb a†j aj |φj i = o .

(20.22)

Da nach (20.8) der Kern von a†j verschwindet, folgt, dass die Zust¨ande (20.20) in der Tat Gl. (20.15) gen¨ ugen. Wir haben oben gesehen, dass die reellen Zahlen λj Eigenwerte des betrachteten hermiteschen Operators h sind. Wir wollen jetzt der Frage nachgehen, ob diese Zahlen λj bereits das gesamte Spektrum dieses Operators liefern. Dazu betrachten wir einen beliebigen Eigenvektor |ϕi von h zum Eigenwert λ: h|ϕi = λ|ϕi .

(20.23)

Wir betonen, dass λ nicht notwendigerweise mit einer der oben eingef¨ uhrten reellen Zahlen λj u ¨bereinstimmen muss, die wir bereits als Eigenwerte des Operators h identifiziert haben. Wir definieren die Folge von Vektoren (n = 1, 2, 3, . . . ) |φ(n) i = an−1 |φ(n−1) i

,

|φ(1) i ≡ |ϕi ,

(20.24)

welche die explizite Darstellung |φ(n) i = an−1 . . . a2 a1 |ϕi

(20.25)

besitzen. Unter Benutzung von Gl. (20.12) zeigt man, dass die Zust¨ande |φ(n) i Eigenfunktionen der Operatoren hn zum Eigenwert λ sind: hn |φ(n) i = an−1 hn−1 |φ(n−1) i = an−1 . . . a1 h1 |ϕi = λ|φ(n) i .

(20.26)

20.1 Bestimmung des Spektrums

449

Aus der Definition der Zust¨ ande |φ(n) i (20.24) und der Definition der Operatoren hn (20.7) und unter der Benutzung von Gl. (20.26) folgt: hφ(n) |φ(n) i = hφ(n−1) |a†n−1 an−1 |φ(n−1) i = hφ(n−1) | (hn−1 − λn−1 ) |φ(n−1) i = (λ − λn−1 ) hφ(n−1) |φ(n−1) i .

(20.27)

Sukzessive Anwendung dieser Relation liefert: hφ(n+1) |φ(n+1) i = (λ − λn )(λ − λn−1 ) . . . (λ − λ1 )hϕ|ϕi .

(20.28)

Da die Norm eines Vektors nicht negativ werden kann und voraussetzungsgem¨aß |ϕi 6= o, folgt: (λ − λn )(λ − λn−1 ) . . . (λ − λ1 ) ≥ 0 .

(20.29)

Diese Bedingung muss f¨ ur s¨ amtliche n = 1, 2, 3, . . . gelten, zu denen es Operatoren hn (20.7), (20.9) gibt. S¨ amtliche Bedingungen (20.29) sind aber nur dann erf¨ ullt, wenn der Eigenwert λ mit einer der reellen Zahlen λj u ¨bereinstimmt, wovon man sich leicht u ¨berzeugt: Die λj sind per Konstruktion nach wachsendem Wert angeordnet. Falls ein k existiert, sodass λk < λ < λk+1 , so ist die Bedingung (20.29) f¨ ur n = k + 1 nicht erf¨ ullt. Damit gilt: Falls die Folge der Eigenwerte λj nach oben unbeschr¨ankt ist, k¨ onnen die Bedingungen (20.29) nur erf¨ ullt sein, wenn der Eigenwert λ mit einem der λj u ¨bereinstimmt. In diesem Fall liefern die λj das komplette Eigenwertspektrum des Operators h. Falls der Satz der reellen Zahlen (Eigenwerte) λj nach oben beschr¨ankt ist, mit einer oberen Schranke λmax , so kann nach Gl. (20.29) der Eigenwert λ ebenfalls einen der diskreten Eigenwerte λj annehmen. Dar¨ uber hinaus kann der Eigenwert λ aber auch unbeschr¨ankt jeden Wert annehmen, der nicht kleiner als die obere Schranke λmax ist. In diesem Fall besitzt das Spektrum des Operators h einen kontinuierlichen Anteil, der an der oberen Schranke λmax beginnt. Falls λ mit einem der Eigenwerte λk u ur ein festes k gilt λ = λk , so ¨bereinstimmt, d.h. f¨ folgt aus Gl. (20.27): |φ(k+1) i = o ,

(20.30)

womit nach (20.27) auch s¨ amtliche |φ(n) i mit n > k + 1 verschwinden.

F¨ ur den harmonischen Oszillator entspricht das Verfahren (20.6) genau der algebraischen Methode zur Bestimmung des Spektrums, vgl. Abschnitt 13.3. Hierbei sind s¨amtliche Operatoren 1 ak = √ (Q + iP ) 2

(20.31)

identisch (d.h. unabh¨ angig vom Index k), wobei Q und P die dimensionslose Koordinate und Impuls sind. Im Abschnitt 20.3 werden wir die Methode (20.6) zur algebraischen Bestimmung des Spektrums des Wasserstoff-Atoms benutzen.

450

20 Algebraischer Zugang

20.2

Beziehung zur Schr¨odinger-Gleichung

Im Folgenden wenden wir die im letzten Abschnitt entwickelte Methode auf den HamiltonOperator eines Teilchens in einer Raumdimension in einem Potential V (x) an: H=

p2 + V (x) . 2m

(20.32)

Aus Bequemlichkeitsgr¨ unden setzen wir h := 2mH = p2 + 2mV (x)

(20.33)

und suchen also im ersten Schritt f¨ ur h eine Darstellung der Art (20.1). Die Gestalt des Operators h = h1 legt nahe, den Operator a = a1 in Gl. (20.1) in der Form a1 = p + if1 (x) mit reellem f1 (x) zu w¨ ahlen,3 so dass    h = p − if1 (x) p + if1 (x) + λ1 .

(20.34)

(20.35)

Betrachten wir zun¨ achst die Nebenbedingung (20.2). Der Kern von a1 ist nicht leer, sofern es eine nichttriviale L¨ osung φ1 (x) der Gleichung    ~ ′ a1 φ1 = p + if1 (x) φ1 (x) = φ1 (x) − ~−1 f1 (x) φ1 (x) = 0 i

(20.36)

gibt. Hieraus folgt

f1 (x) = ~

φ′1 (x) d = ~ ln φ1 (x) , φ1 (x) dx

(20.37)

und damit a1 = p + i~

φ′1 (x) . φ1 (x)

(20.38)

Die Funktion φ1 (x) ist zun¨ achst noch unbestimmt: F¨ ur jede Wahl von φ1 hat a1 einen nichtverschwindenden Kern, da φ1 (x) selbst im Kern liegt. Um φ1 (x) zu bestimmen setzen wir nun den Ansatz (20.38) in die Darstellung (20.35) ein. Dies ergibt h = p 2 + ~2

φ′′1 (x) ! + λ1 = p2 + 2mV (x) , φ1 (x)

woraus unmittelbar 2mV (x) = ~2 3 In

φ′′1 (x) + λ1 , φ1 (x)

den SUSY-Theorien wird f1 (x) als Superpotential bezeichnet.

(20.39)

20.2 Beziehung zur Schr¨ odinger-Gleichung

451

bzw. −

~2 ′′ φ (x) + V (x)φ1 (x) = E1 φ1 (x) , 2m 1

E1 ≡

λ1 2m

(20.40)

folgt. Dies ist nichts anderes als die gew¨ ohnliche Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur die Bewegung des Teilchens mit Masse m im Potential V (x). Da wir nun eine konkrete Darstel¨ lung von h in der Form (20.1), (20.2) besitzen, muss nach unseren Uberlegungen im vorigen Abschnitt λ1 der kleinste Eigenwert von h sein, also E1 der kleinste Eigenwert von H und somit φ1 (x) die Grundzustandswellenfunktion. Dass φ1 die Schr¨odingergleichung erf¨ ullt ist nat¨ urlich eine Konsequenz der Identit¨at a1 φ1 = o und (20.1). Wie aus der allgemeinen Beziehung (20.17) ersichtlich ist, stimmt die Eigenfunktion ϕ1 zum untersten Eigenwert λ1 (siehe (20.18)) mit der Funktion φ1 u ¨berein, die durch den Operator a1 vernichtet wird (siehe Gln. (20.15) und (20.36)), d.h. ϕ1 = φ1 . Dies ist eine Besonderheit des untersten Eigenwertes. Es ist instruktiv, den n¨ achsten Schritt in der Methode (20.6) auszuarbeiten. Wir suchen hierzu nach einem Operator a2 und einer reellen Zahl λ2 , so dass die Darstellung    ! h2 ≡ a1 a†1 + λ1 = p + if1 (x) p − if1 (x) + λ1 = a†2 a2 + λ2 ker a2 6= {o}

(20.41) (20.42)

mit f1 = ~ φ′1 /φ1 (siehe Gl. (20.37)) gilt, wobei φ1 (x) = ϕ1 (x) die Grundzustandswellenfunktion aus dem vorigen Schritt ist. Dies f¨ uhrt aber nur dann zu einem neuen Eigenwert λ2 > λ1 , wenn die Bedingung ker a†1 = {o} erf¨ ullt ist. Mit der expliziten Form † (20.38) zeigt man leicht, dass die Gleichung a1 ξ(x) = o auf ξ ′ (x) +

φ′1 (x) ξ(x) = 0 φ1 (x)

f¨ uhrt. Diese Differentialgleichung l¨ asst sich zu d ln (ξ(x)φ1 (x)) = 0 dx

(20.43)

umschreiben und ist damit elementar zu integrieren und ergibt ξ(x) ∼ 1/φ1 (x). Da aber die Grundzustandswellenfunktion φ1 (x) quadratintegrabel war, kann dies wegen der falschen Asymptotik bei |x| → ∞ nicht f¨ ur ξ(x) gelten. Somit hat die Gleichung a† ξ = o also keine quadratintegrablen L¨ osungen, und der Kern von a†1 ist in der Tat leer.4 Dies schließt auch die triviale L¨ osung a2 = p − if (x) = a†1 (mit λ2 = λ1 ) in der Darstellung (20.41) aus, da ansonsten ker a2 = ker a†1 = {o}, im Widerspruch zu (20.42). 4 Hier erkennt man auch, dass die Methode (20.6) nur f¨ ur echte Eigenwerte (d.h. gebundene Zust¨ ande) funktionieren kann. Außerhalb des Hilbertraums der quadratintegrablen Funktionen ist der Kern von a†1 nat¨ urlich nicht leer und unser gesamtes Verfahren bricht ab.

452

20 Algebraischer Zugang

Stattdessen versuchen wir wie beim Grundzustand (vergl. (20.38)) einen Ansatz a2 = p + i~

φ′2 (x) , φ2 (x)

(20.44)

wobei die Funktion φ2 (x) noch unbestimmt ist. Wiederum sichert dieser Ansatz a2 φ2 = 0, also (20.42), d.h. φ2 liegt im Kern von a2 . Wir wollen nun untersuchen, ob mit dem Ansatz auch die Darstellung (20.41) m¨ oglich ist. Sollte dies der Fall sein, so wird φ2 (x) ein Eigenzustand von h2 zum Eigenwert λ2 sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass φ2 (x) auch Eigenzustand des urspr¨ unglichen Hamilton-Operators h sein muss, da die Operatoren h und h2 zwar bis auf den Grundzustand dasselbe Spektrum, aber verschiedene Eigenfunktionen haben. Genauer folgt aus (20.15), (20.17), (20.18) und (20.20) der Zusammenhang ϕ2 = a†1 φ2 bzw. φ2 = a1 ϕ2 , wobei ϕ2 jetzt der Eigenvektor von h zum Eigenwert λ2 ist. Mit (20.38) und φ1 (x) = ϕ1 (x) folgt aus φ2 (x) = a1 ϕ2 (x)   ~ ϕ′ (x) ~ ϕ′2 (x)ϕ1 (x) − ϕ′1 (x)ϕ2 (x) φ2 (x) = ϕ′2 (x) − 1 ϕ2 (x) = i ϕ1 (x) i ϕ1 (x) =

~ d ϕ2 (x) ~ 1 W (ϕ1 , ϕ2 ; x) = ϕ2 (x) ln , i ϕ1 (x) i dx ϕ1 (x)

(20.45)

wobei W (ϕ1 , ϕ2 ; x) = ϕ1 ϕ′2 − ϕ′1 ϕ2 ,

(20.46)

der in Gl. (9.5) eingef¨ uhrte Wronskian ist. Mit den genannten Ans¨ atzen findet man   ϕ′′ (x) ϕ′ (x)2 a1 a†1 + λ1 = p2 + ~2 − 1 + 2 1 2 + λ1 ϕ1 (x) ϕ1 (x) und aus (20.44) a†2 a2 + λ2 = p2 + ~2

φ′′2 (x) + λ2 . φ2 (x)

Diese beiden Ausdr¨ ucke m¨ ussen nach (20.41) gleich sein, d.h. es muss gelten ϕ′′1 (x) λ1 − λ2 (ϕ′1 (x))2 φ′′2 (x) − . = + 2 φ2 (x) ~2 ϕ1 (x) (ϕ1 (x)2

(20.47)

Mittels Gl. (20.45) k¨ onnen wir hier φ2 (x) durch die Funktionen ϕ1 (x) und ϕ2 (x) ausdr¨ ucken, was auf die Bedingung W ′′ (x) W ′ (x) ϕ′1 (x) λ1 − λ2 −2 = W (x) W (x) ϕ1 (x) ~2

(20.48)

20.2 Beziehung zur Schr¨ odinger-Gleichung

453

f¨ uhrt. Hierbei haben wir die Abk¨ urzung W (x) = W (ϕ1 , ϕ2 ; x) benutzt. Wir wissen bereits, dass ϕ1 (x) = φ1 (x) die Grundzustandswellenfunktion ist, d.h. der Schr¨odingerGleichung (20.40) −ϕ′′1 (x) +

2m λ1 V (x)ϕ1 (x) = 2 ϕ1 (x) ~2 ~

(20.49)

zum kleinsten Eigenwert λ1 gen¨ ugt. Es ist dann leicht zu sehen, dass die Bedingung (20.48) gerade dann erf¨ ullt ist, wenn ϕ2 (x) der Schr¨odinger-Gleichung zum Eigenwert λ2 −ϕ′′2 (x) +

λ2 2m V (x)ϕ2 (x) = 2 ϕ2 (x) ~2 ~

(20.50)

gen¨ ugt. In der Tat multiplizieren wir (20.49) mit ϕ2 (x) und (20.50) mit ϕ1 (x) und ziehen die resultierenden Gleichungen voneinander ab, so finden wir − (ϕ′′1 ϕ2 − ϕ′′2 ϕ1 ) =

λ1 − λ2 ϕ1 ϕ2 . ~2

(20.51)

Die linke Seite liefert die Ableitung des Wronskians (20.46) W ′ (ϕ1 , ϕ2 ; x) = ϕ′′2 (x)ϕ1 (x) − ϕ′′1 (x)ϕ2 (x) ,

(20.52)

d.h. es gilt W ′ (ϕ1 , ϕ2 ; x) =

λ1 − λ2 ϕ1 ϕ2 . ~2

(20.53)

Hieraus erhalten wir f¨ ur die zweite Ableitung W ′′ (ϕ1 , ϕ2 ; x) =

λ1 − λ2 ′ (ϕ1 ϕ2 + ϕ1 ϕ′2 ) . ~2

(20.54)

Einsetzen der Ausdr¨ ucke f¨ ur W (20.46), W ′ (20.53) und W ′′ (20.54) in (20.48) zeigt, dass diese Bedingung f¨ ur die L¨ osungen der Schr¨odinger-Gleichungen ϕ1 (x), ϕ2 (x) erf¨ ullt ist. Die weitere Iteration des Verfahrens (20.6) verl¨auft v¨ollig analog. Damit haben wir gezeigt, dass die in Abschnitt 20.1 entwickelte algebraische Methode zur Bestimmung der Eigenwerte und Eigenfunktionen eines hermiteschen Operators f¨ ur den Hamilton-Operator in der Tat ¨ aquivalent zur L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung ist. Dies hatten wir nat¨ urlich erwartet.

454

20.3

20 Algebraischer Zugang

Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

Im Folgenden wenden wir die in Abschnitt 20.1 entwickelte allgemeine algebraische Methode zur Diagonalisierung des Hamilton-Operators des Wasserstoff-Atoms an. Der Hamilton-Operator f¨ ur die radiale Bewegung des Elektrons im Zustand mit Drehimpuls l lautet nach Multiplikation mit dem Faktor 2m (siehe Gln. (18.9) · · · (18.13) und (19.11): h ≡ 2mH = p2r +

~2 l(l + 1) γ −2 , r2 r

γ=

mZe2 , 4π

(20.55)

wobei pr =

~1 d ~ r= i r dr i



d 1 + dr r



(20.56)

der radiale Impuls ist. Um die Eigenwerte dieses linearen Operators h zu finden, schreiben wir ihn in der Form (20.1) mit der Nebenbedingung (20.2). Die explizite Form von h legt f¨ ur die Operatoren aj die Form   βj (20.57) aj = pr + i αj + r nahe, wobei αj und βj noch zu bestimmende reelle Zahlen sind. Elementare Rechnungen liefern dann unter Benutzung von [r, pr ] = i~: a†j aj

  2  βj 1 = + αj + + iβj pr , r r 1 1 = p2r + α2j + 2αj βj + βj (βj − ~) 2 r r p2r

(20.58)

und aj a†j

 2   1 βj − iβj pr , = + αj + r r 1 1 = p2r + α2j + 2αj βj + βj (βj + ~) 2 . r r p2r

(20.59)

F¨ ur die Nebenbedingungen im Verfahren (20.6) ben¨otigen wir noch den Kern von aj bzw. a†j . Die Bedingung aj φj = 0 f¨ uhrt auf ~ φ′j (r) = αj φj (r) +

β−~ φj (r) r

mit der L¨osung φj (r) ∼ r

βj ~

−1

· exp



j

~

 r .

(20.60)

20.3 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

455

Damit die Gesamtwellenfunktion quadratintegrabel ist, muss die radiale Wellenfunktion exponentiell abfallend bei r → ∞ und regul¨ ar bei r → 0 sein. Wegen (20.60) ist der Kern von aj also genau dann nicht leer, wenn βj ≥ ~ .

αj < 0 ,

(20.61)

Die Nebenbedingungen ker aj 6= {o} im Verfahren (20.6) lassen sich also einfach durch (20.61) realisieren. Weiterhin ist automatisch ker a†j = {o}, da die Konjugation aj → a†j die Vorzeichen von αj und βj ¨ andert. Somit reduzieren sich alle Nebenbedingungen im Verfahren (20.6) auf die einfache Ungleichung (20.61). Nach diesen Vor¨ uberlegungen beginnen wir mit dem Grundzustand des Wasserstoffatoms. Nach Definition (20.1) und der expliziten Form von h (20.55) gilt: a†1 a1 + λ1 = p2r − 2

γ l(l + 1)~2 . + r r2

Setzen wir hier Gl. (20.58) ein, so liefert der Koeffizientenvergleich der verschiedenen Potenzen von r r0 :

λ1 + α21 = 0 ,

r

−1

r

−2

α1 β1 = −γ ,

: :

(20.62) (20.63) 2

β1 (β1 − ~) = l(l + 1)~ .

(20.64)

Die letzte Gleichung allein bestimmt bereits den unbekannten Koeffizienten β1 . Die u ¨brigen Unbekannten α1 und λ1 folgen dann aus (20.63) und (20.62). Gl. (20.64) besitzt die zwei L¨osungen γ , l~

i)

β1 = −l~ ,

α1 =

ii)

β2 = (l + 1)~ ,

α1 = −

γ , (l + 1)~

γ2

λ1 = −

l 2 ~2

,

(20.65)

λ1 = −

γ2 . (l + 1)2 ~2

(20.66)

Die erste L¨osung widerspricht der Nebenbedingung (20.61), w¨ahrend L¨osung ii) alle Bedingungen erf¨ ullt. Da wir somit eine konkrete Darstellung (20.1) von h gefunden haben, muss λ1 aus L¨osung ii) der kleinste Eigenwert von h sein. Die zugeh¨orige Eigenfunktion ergibt sich aus (20.60) durch Einsetzen der Koeffizienten aus L¨osung ii):   γ l φ1 (r) ∼ r · exp − r . (20.67) (l + 1) ~2 Nach dem Grundzustand betrachten wir nun die allgemeine Induktion j → j + 1 im Verfahren (20.6), d.h. wir gehen davon aus, dass f¨ ur hj bereits die Darstellung hj = a†j aj + λj mit der Nebenbedingung (20.61) gefunden wurde. Im n¨achsten Schritt ist dann der Operator aj+1 aus hj+1 ≡ aj a†j + λj = a†j+1 aj+1 + λj+1

(20.68)

456

20 Algebraischer Zugang

zu bestimmen. Setzen wir die expliziten Ausdr¨ ucke f¨ ur a†j aj (20.58) und aj a†j (20.59) ein und vergleichen wieder die Koeffizienten der verschiedenen Potenzen von r, so finden wir die Beziehungen λj+1 + α2j+1 = λj + α2j ,

(20.69)

αj+1 βj+1 = αj βj , βj+1 (βj+1 − ~) = βj (βj + ~) .

(20.70) (20.71)

Die ersten beiden Gleichungen lassen sich durch wiederholte Anwendung auf die Anfangswerte (20.62), (20.63) reduzieren: λj + α2j = λ1 + α21 = 0 ,

(20.72)

αj βj = α1 β1 = −γ .

(20.73)

Die Gleichung (20.71) besitzt die beiden L¨ osungen i) βj+1 = −βj , ii) βj+1 = βj + ~ .

(20.74) (20.75)

Da βj nach Voraussetzung die Nebenbedingung (20.61) erf¨ ullt, kommt L¨osung i) wegen (20.61) nicht in Betracht. L¨ osung ii) liefert mit dem Anfangswert (20.66) f¨ ur β1 und mit (20.72) und (20.73): ii)

βj = (l + j)~ , αj = −

γ γ2 . , λj = − (l + j)~ (l + j)2 ~2

(20.76)

Alle Nebenbedingungen (20.61) sind somit erf¨ ullt und wir haben eine konkrete Darstellung von hj+1 entsprechend (20.68) gefunden, d.h. λj+1 ist der (in aufsteigender Reihenfolge) n¨achste Eigenwert von h. Mit der letzten Beziehung aus (20.76) sind die diskreten Energieeigenwerte des Wasserstoff-Spektrums, d.h. des radialen Hamilton-Operators H = h/(2m) (20.55), durch 1 m γ2 =− λj = − 2 2 2m 2m(l + j) ~ 2



Ze2 4π~

2

1 Z2 = −R ≡ En (20.77) (l + j)2 n2

gegeben, wobei R die Rydberg-Konstante5 (19.9) ist und wir die Abk¨ urzung n=l+j

(20.78)

eingef¨ uhrt haben. Da l die nicht-negative (ganze) Drehimpulsquantenzahl (l = 0, 1, 2, . . . ) und j eine positive ganze Zahl (j = 1, 2, 3, . . . ) ist, nimmt die Quantenzahl (20.78) die Werte n = 1, 2, 3, . . . 5 Im

Lorentz-Heavyside Maßsystem mit c = 1.

(20.79)

20.3 Algebraische Bestimmung des Wasserstoff-Spektrums

457

an. Dies sind gerade die Werte der bereits in Abschnitt 19.3 eingef¨ uhrten Hauptquantenzahl und Gl. (20.77) liefert somit das exakte diskrete Spektrum des Wasserstoff-Atoms (siehe Gl. (19.21)). Da dieses nach oben durch die Energie E = 0 beschr¨ankt ist, existiert, wie in Abschnitt 19.3 festgestellt, ein Kontinuum von Zust¨anden E > 0, in denen das Elektron nicht mehr an den Atomkern gebunden ist. Die Eigenfunktionen φj (r) von hj (siehe Gl. (20.16)) folgen wiederum aus (20.60) durch Einsetzen der Koeffizienten αj+1 und βj+1 aus der L¨osung (20.76)   γ φlj (r) ∼ rl+j−1 · exp − r . (20.80) (l + j) ~2 Hieraus erhalten wir nach Gl. (20.17) die radiale Wellenfunktion des j-ten gebundenen Zustands im Drehimpulskanal l zu ϕ(r)lj = a†1 a†2 . . . a†j−1 φ(r)lj .

(20.81)

Da die a†j bereits bekannt sind (siehe Gln. (20.57) und (20.76)) lassen sich die Radialfunktionen ϕlj (r) unmittelbar berechnen. Dies f¨ uhrt auf die bekannten Radialfunktionen des diskreten Spektrums des Wasserstoffatoms.

21

St¨orungstheorie

Nur die wenigsten realistischen quantenmechanischen Probleme sind exakt l¨osbar, wie z.B. der harmonische Oszillator oder das Wasserstoff-Atom. In den meisten F¨allen, wo eine strenge L¨osung nicht m¨ oglich ist, ist man auf N¨aherungsverfahren angewiesen. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Computer-Technik gewinnen numerische L¨osungen immer mehr an Bedeutung. Auch wenn es gelingt, ein Problem numerisch mit sehr hoher Genauigkeit zu l¨ osen, ist die erhaltene L¨osung oft physikalisch wenig transparent und ein analytisches Verst¨ andnis des Problems, sei es auch nur n¨aherungsweise, w¨ are oft der numerischen L¨ osung vorzuziehen. In einigen F¨allen, wo die Bewegung ann¨ ahernd klassisch verl¨auft, ist eine semiklassische – und damit vereinfachte – Beschreibung m¨ oglich. Die semiklassische Beschreibung ist vor allem dann angebracht, wenn die Wellenl¨ ange des betrachteten Teilchens klein im Verh¨altnis zur charakteristischen L¨ angenskala der Trajektorie ist. (F¨ ur Wellenl¨angen, die klein sind im Verh¨ altnis zur Ausdehnung der Trajektorie, sind die Quantenzust¨ande gut lokalisiert und das Konzept einer klassischen Trajektorie ist sinnvoll.) Die semiklassische Beschreibung ist deshalb vor allem f¨ ur große Quantenzahlen sinnvoll. Aber auch selbst die semiklassische Beschreibung l¨ asst sich in den meisten realistischen F¨allen, wo man es mit einer dreidimensionalen Bewegung zu tun hat, nicht streng durchf¨ uhren, d.h. die zugrunde liegenden klassischen Bewegungsgleichungen sind nicht analytisch integrabel. Oftmals l¨asst sich ein gegebenes Problem jedoch durch starke Vereinfachung auf ein exakt l¨osbares Problem zur¨ uckf¨ uhren und die L¨osung des vereinfachten Problems liefert bereits qualitative Aussagen u ¨ber das kompliziertere Problem. Leider kann jedoch eine solche Vereinfachung des Problems auch wesentliche Eigenschaften eliminieren, selbst wenn die vernachl¨ assigten Terme im Hamilton-Operator klein gegen¨ uber dem vereinfachten Hamilton-Operator H0 sind. Die vernachl¨assigten Terme des HamiltonOperators werden als St¨orung bezeichnet. Diese k¨onnen allerdings, wenn sie z.B. eine Symmetrie des ungest¨ orten Hamilton-Operators H0 brechen, sehr drastische Konsequenzen f¨ ur das Eigenwertspektrum besitzen. In solchen F¨allen ist es w¨ unschenswert, den Effekt dieser St¨ orung zumindest gen¨ ahert zu ber¨ ucksichtigen, da sie auf qualitativ neue Ph¨anomene f¨ uhren kann. Im Folgenden wollen wir eine allgemeine Methode entwickeln, die es erlaubt, systematisch (die durch die St¨orung hervorgerufenen) Korrekturen zum ungest¨ orten Problem zu berechnen. Diese Methode wird als St¨orungstheorie bezeichnet. Zur Entwicklung der St¨ orungstheorie setzen wir voraus, dass sich der Hamilton-Operator des zu untersuchenden Systems aufspalten l¨ asst in ein exakt l¨osbares Problem, was durch einen Hamilton-Operator H0 beschrieben wird, und eine “kleine” St¨orung H1 : H = H0 + H 1 ,

460

21 St¨orungstheorie

wobei wir sp¨ater sehen werden, was in diesem Kontext “klein” bedeutet. Im Folgenden wollen wir uns zun¨ achst auf die station¨ are St¨orungstheorie beschr¨anken, deren Ziel es ist, die station¨aren Zust¨ ande eines gest¨ orten Systems zu bestimmen. In vielen F¨allen bezeichnet H0 den Hamilton-Operator eines abgeschlossenen Systems, dessen L¨osung bekannt ist und H1 bezeichnet eine von außen angelegte St¨orung. Durch die von außen angelegte St¨orung, z.B. in Form eines ¨ außeren elektromagnetischen Feldes, kann das ¨ durch H0 beschriebene System Uberg¨ ange zwischen einzelnen station¨aren Zust¨anden von H0 ausf¨ uhren, deren Wahrscheinlichkeit sich berechnen l¨asst, sofern die exakte Wellenfunktion des Systems bekannt ist. In den meisten F¨allen ist jedoch das von außen angelegte Feld klein gegen¨ uber dem Hamilton-Operator des geschlossenen Systems ¨ und die Ubergangswahrscheinlichkeit l¨ asst sich sehr vorteilhaft in St¨orungstheorie berechnen. Dies ist insbesondere der Fall bei Problemen, wie den elektromagnetischen ¨ Uberg¨ angen in einem Atomkern. Die Energieniveaus des Atomkerns werden durch die ¨ starke Wechselwirkung bestimmt, w¨ ahrend die Uberg¨ ange zwischen ihnen durch ein elektromagnetisches Feld induziert werden, das sehr viel schw¨acher ist als die starke Wechselwirkung.

21.1

Station¨are St¨orungstheorie

Zur Berechnung der station¨ aren Zust¨ ande eines Systems in St¨orungstheorie setzen wir voraus, dass die L¨ osungen des ungest¨ orten Problems bekannt sind: H0 |ni = En(0) |ni .

(21.1)

Aus didaktischen Gr¨ unden ziehen wir aus der St¨orung explizit einen kleinen Parameter λ heraus und schreiben diese als: H1 = λV , also H(λ) = H0 + λV .

Man beachte, dass der St¨ oroperator V nicht notwendigerweise ein Potential sein muss. Gesucht sind die station¨ aren Zust¨ ande des gest¨orten Problems H(λ)|ϕn (λ)i = En (λ)|ϕn (λ)i . F¨ ur λ → 0 gehen die gest¨ orten Eigenwerte und Eigenfunktionen offenbar in die ungest¨orten u ¨ber: En (λ = 0) = En(0) , |ϕn (λ = 0)i = |ϕ(0) n i := |ni .

21.1 Station¨are St¨ orungstheorie

461

Die st¨orungstheoretische Berechnung der Energieeigenzust¨ande ist vor allem f¨ ur den diskreten Teil des Spektrums (d.h. f¨ ur gebundene Zust¨ande) relevant, da die einzelnen Zust¨ande des kontinuierlichen Teils des Spektrums ohnehin experimentell nicht aufgel¨ost werden k¨onnen.1 Aus diesem Grunde beschr¨ anken wir uns im Folgenden auf Zust¨ande des diskreten Spektrums, welches der Einfachheit halber zun¨achst nicht entartet sein soll. Den Fall der Entartung werden wir in Abschnitt 21.2 separat behandeln. F¨ ur kleine St¨orungen k¨ onnen wir die L¨ osung des Eigenwertproblems sicherlich in Form einer Entwicklung nach Potenzen der St¨ orung suchen: En (λ) = En(0) + λEn(1) + λ2 En(2) + λ3 En(3) + . . . , (1) 2 (2) 3 (3) |ϕn (λ)i = |ϕ(0) n i + λ|ϕn i + λ |ϕn i + λ |ϕn i + . . . .

(21.2)

Wenn wir nur endlich viele Terme dieser Reihenentwicklung einschließen, erhalten wir offenbar N¨aherungsausdr¨ ucke, die umso besser sind, je schneller die St¨orreihe konvergiert. Das Ziel der St¨ orungstheorie ist die Bestimmung der Entwicklungskoeffizienten in der St¨orreihe. Dazu setzen wir die St¨ orentwicklungen f¨ ur Energieeigenwert und -eigenfunktion in die Schr¨ odinger-Gleichung ein. Dies liefert:   (1) 2 (2) 3 (3) H0 + λV |ϕ(0) n i + λ|ϕn i + λ |ϕn i + λ |ϕn i + . . .   (1) 2 (2) 3 (3) = En(0) + λEn(1) + λ2 En(2) + λ3 En(3) + . . . |ϕ(0) n i + λ|ϕn i + λ |ϕn i + λ |ϕn i + . . . . Da die verschiedenen Potenzen λn linear unabh¨angige Funktionen sind, kann die obige Gleichung nur richtig sein, wenn sie f¨ ur jede einzelne Potenz von λ unabh¨angig erf¨ ullt ist. Vergleichen wir die Koeffizienten der einzelnen Potenzen von λ, so finden wir f¨ ur die ersten Terme:   λ0 : H0 − En(0) |ϕ(0) n i =o ,     (1) λ1 : H0 − En(0) |ϕ(1) i = E − V |ϕ(0) n n n i ,     (21.3) (1) (1) (2) (0) λ2 : H0 − En(0) |ϕ(2) n i = En − V |ϕn i + En |ϕn i ,     (1) (2) (1) (3) (0) i = E − V |ϕ(2) λ3 : H0 − En(0) |ϕ(3) n n n i + En |ϕn i + En |ϕn i . Die Terme der Ordnung λ0 reproduzieren nat¨ urlich das ungest¨orte Problem.

Aus den obigen Gleichungen lassen sich unmittelbar zwei allgemeine Aussagen gewinnen: (k)

1) Zu jedem der |ϕn i auf den linken Seiten der obigen Gleichungen k¨onnen (0) wir ein beliebiges Vielfaches der ungest¨orten Wellenfunktion |ϕn i addieren, 1 F¨ ur

solche Streuzust¨ ande sind andere Gr¨ oßen, wie z.B. die Zustandsdichte relevant.

462

21 St¨orungstheorie

ohne den Wert der linken Seite zu ver¨andern. Dies bedeutet, dass durch die (k) obigen Gleichungen (21.3) die Zust¨ ande |ϕn i nur bis auf ein Vielfaches der (0) ungest¨orten Wellenfunktion |ϕn i bestimmt sind. Diese Freiheit k¨onnen wir (k>0) (0) ausnutzen, um die |ϕn i orthogonal zu den |ϕn i = |ni zu w¨ahlen:2 hn|ϕ(k) n i= 0 ,

k>0.

(21.4)

Es ist zweckm¨ aßig, die ungest¨ orte Wellenfunktion als normiert vorauszusetzen: hn|ni = 1 .

(21.5)

Die ungest¨ orten Wellenfunktionen |ni als Eigenfunktionen des hermiteschen Operators H0 bilden mit dieser Normierung ein vollst¨andiges Orthonormalsystem: X |nihn| = ˆ 1 , hn|mi = δnm . n

Falls die St¨ orreihe konvergiert, ist die gest¨orte Wellenfunktion ϕn (λ) sicherlich nicht orthogonal zur ungest¨ orten |ni, da die gest¨orte f¨ ur λ → 0 stetig in die ungest¨orte u ¨bergeht, d.h. i.A. wird deshalb hn|ϕn (λ)i 6= 0 gelten. In der Tat finden wir durch Multiplikation von (21.2) mit hn| unter Beachtung von (21.4) und (21.5) f¨ ur die gest¨ orte Wellenfunktion hn|ϕn (λ)i = 1 .

(21.6)

F¨ ur die diskreten Eigenwerte kann die aus der St¨orreihe gewonnene Wellenfunktion |ϕn (λ)i im Nachhinein auf 1 normiert werden. 2) Das Skalarprodukt der linken Seite der Gln. (21.3) mit der ungest¨orten Ei(0) genfunktion hϕn | = hn| verschwindet wegen (21.1). Folglich muss auch das Skalarprodukt der rechten Seite mit hn| verschwinden. Hieraus erhalten wir mit (21.4) und (21.5): En(k) = hn|V |ϕn(k−1) i .

(21.7)

Damit verlangt die Berechnung der Energie zu einer Ordnung k > 0 nur die Berechnung der Wellenfunktion zur n¨achst niedrigeren Ordnung k − 1.

Da die ungest¨ orten Zust¨ ande |mi ein vollst¨andiges Orthonormalsystem bil(k) (0) den, k¨onnen wir die Korrekturen der Wellenfunktion |ϕn i nach |ϕm i = |mi entwickeln: X |ϕ(k) |mihm|ϕ(k) (21.8) n i= n i . m6=n

Der Zustand |m = ni tritt wegen der Bedingung (21.4) in dieser Entwicklung nicht auf.

21.1 Station¨are St¨ orungstheorie

463

Im Folgenden berechnen wir die f¨ uhrenden Korrekturen zur Energie und Wellenfunktion. Aus Gl. (21.7) folgt unmittelbar f¨ ur k = 1 En(1) = hn|V |ni .

(21.10)

In der erster Ordnung St¨ orungstheorie ist damit die Korrektur zur Energie durch den Erwartungswert der St¨ orung in den ungest¨ orten Zust¨anden gegeben. Von diesem einfachen Resultat wird sehr oft Gebrauch gemacht. Zur Bestimmung der Korrekturen erster Ordnung zur Wellenfunktion projizieren wir die Gleichung der Ordnung λ1 auf die ungest¨ orten Zust¨ande |mi, d.h. wir multiplizieren (0) von links mit hϕm | = hm|:   (0) (1) Em − En(0) hm|ϕ(1) (21.11) n i = En hm|ni − hm|V |ni .

W¨ ahlen wir hier m = n, so erhalten wir wieder das bereits oben gefundene Ergebnis (21.10). W¨ahlen wir in (21.11) m 6= n so erhalten wir wegen hm|ni = 0: hm|V |ni

hm|ϕ(1) n i=

(0)

(0)

En − Em

.

Damit finden wir aus (21.8) f¨ ur die Korrektur der Wellenfunktion in der ersten Ordnung St¨ orungstheorie |ϕ(1) n i =

X

m6=n

|mi

hm|V |ni (0)

(0)

En − Em

.

(21.12)

Analog lassen sich die Korrekturen h¨ oherer Ordnung sukzessiv bestimmen. Die Korrektur zweiter Ordnung zur Energie ist nach (21.7) durch En(2) = hn|V |ϕ(1) n i (1)

gegeben. Setzen wir f¨ ur die |ϕn i den oben gefundenen Wert (21.12) ein, so erhalten wir schließlich f¨ ur die Energiekorrekturen in zweiter Ordnung St¨orungstheorie: En(2) =

X |hn|V |mi|2 (0)

m6=n

2 Dies

(0)

En − Em

.

(21.13)

(k)

ist sofort einzusehen, denn falls hn|ϕn i = 6 0, so erf¨ ullt der Zustand (k)

(k)

|ϕ ¯n i = |ϕn i + α|ni die Bedingung

(k) hn|ϕ ¯n i

= 0, wenn α =

(21.9) (k) −hn|ϕn i/hn|ni

gew¨ ahlt wird.

464

21 St¨orungstheorie

(0)

E2

(0)

E1

λ Abb. 21.1: Aufspaltung der ungest¨ orten Energieniveaus durch die St¨ orung.

F¨ ur den Grundzustand |n = 0i ist die Korrektur zweiter Ordnung stets negativ. Bei vergleichbaren Matrixelementen der St¨ orung liefern benachbarte Energieniveaus wegen der Kleinheit der Energienenner offenbar die dominanten Beitr¨age zur Summe (21.13). Die Energie-Korrektur zweiter Ordnung wird sehr groß, wenn zwei dicht benachbarte ungest¨orte Energieniveaus vorliegen. Dies signalisiert den Zusammenbruch der obigen St¨orungstheorie bei Entartung. Den Parameter λ hatten wir oben formal nur eingef¨ uhrt, um in der St¨orreihe die Ordnung der einzelnen Terme bez¨ uglich der St¨ orung leichter identifizieren zu k¨onnen. Im Folgenden werden wir wieder λ = 1 setzen. Die oben dargelegte St¨orentwicklung wird als Rayleigh-Schr¨odinger-St¨orungstheorie bezeichnet.

21.2

St¨orungstheorie fu¨r zwei dicht benachbarte Niveaus

Wie aus dem Ausdruck (21.13) f¨ ur die Korrektur der Energie in zweiter Ordnung bereits ersichtlich ist, bricht die St¨ orreihe zusammen, wenn zwei oder mehrere ungest¨orte Niveaus sehr dicht beieinander liegen, also insbesondere bei Entartung. Im Folgenden wollen wir exemplarisch den Fall zweier dicht benachbarter Niveaus behandeln, die auch streng entartet sein d¨ urfen. Den Hamilton-Operator zerlegen wir wieder in einen einfach behandelbaren Operator H0 und in eine St¨ orung H = H0 + V . (0)

Wir bezeichnen die beiden dicht benachbarten Eigenzust¨ande von H0 mit |ϕ1 i und (0) (0) (0) (0) |ϕ2 i. Die zugeh¨ origen Energien seien E1 und E2 . Die u ¨brigen Eigenwerte En6=1,2 sollen weit genug von diesen entfernt liegen, sodass sie nicht zu kleinen Energienennern f¨ uhren k¨onnen. Des Weiteren nehmen wir an, dass das Matrixelement der St¨orung

21.2 St¨orungstheorie f¨ ur zwei dicht benachbarte Niveaus

465

zwischen den beiden dicht benachbarten Zust¨ anden (0)

(0)

∆ := hϕ1 |V |ϕ2 i nicht verschwindet, ∆ 6= 0. Bemerkung: (0)

(0)

Falls hϕ1 |V |ϕ2 i = 0, so treten die gef¨ahrlichen“ Terme mit dem klei” (0) (0) nen Energienenner E1 − E2 in der St¨orreihe (siehe z.B. (21.13)) nicht auf und die gew¨ ohnliche St¨ orungstheorie ist anwendbar. Man sagt in diesem Fall auch, dass die beiden dicht benachbarten Zust¨ande durch die St¨orung nicht gemischt werden. Im Fall der Entartung wird diese dann durch die St¨orung nicht aufgehoben. Im allgemeinen Fall, d.h. ∆ 6= 0, wird jedoch die St¨orung ¨ die (Nahezu-)Entartung aufheben. Dabei kann es auch zu Uberschneidungen verschiedener Energieniveaus kommen (siehe Abb. 21.1).

Wir interessieren uns f¨ ur das Schicksal der beiden dicht benachbarten, ungest¨orten Zust¨ande, wenn die St¨ orung eingeschaltet wird. Da zum einen die u ¨brigen weit entfernten Niveaus (wegen ihrer großen Energienenner, siehe Gln. (21.12),(21.13)) keinen großen Einfluss aus¨ uben k¨ onnen, zum anderen aber die St¨orungstheorie f¨ ur die beiden dicht benachbarten Niveaus versagt, werden wir die St¨orung im Unterraum der beiden dicht benachbarten Zust¨ ande exakt diagonalisieren. F¨ ur die gest¨orte Wellenfunktion machen wir deshalb den Ansatz (0)

(0)

|ϕi = a|ϕ1 i + b|ϕ2 i . Setzen wir diesen Ansatz in die station¨ are Schr¨odinger-Gleichung H|ϕi = E|ϕi ein und multiplizieren die Gleichung von links nacheinander mit den beiden ungest¨orten (0) (0) bra-Eigenvektoren hϕ1 |, hϕ2 |, so reduziert sich die station¨are Schr¨odinger-Gleichung auf das folgende zweidimensionale Eigenwertproblem      0 a H11 − E H12 . (21.14) = 0 b H21 H22 − E Hierbei haben wir die Matrixelemente des Hamilton-Operators als  (0) (0) (0) Hij := hϕi |H|ϕj i = hi|H|ji = Ei + Vii , i = j Vij , i 6= j mit Vij = hi|V |ji

(21.15)

466

21 St¨orungstheorie

geschrieben. Mit den Abk¨ urzungen ǫi = Hii

∗ ∆ = V12 = V21

,

f¨ uhrt die L¨osbarkeitsbedingung des homogenen Gleichungssystems (21.14) auf die S¨akulargleichung ǫ1 − E ∆ ∆∗ ǫ2 − E = 0 ,

welche eine quadratische Gleichung f¨ ur die Energieeigenwerte ist, deren beide L¨osungen durch ǫ1 + ǫ2 E± = ± 2

s

ǫ1 − ǫ2 2

2

+ |∆|2

(21.16)

gegeben sind. Die oben durch Diagonalisierung gewonnenen Ausdr¨ ucke f¨ ur die Energie sind auch im Falle dicht benachbarter Niveaus bzw. im Falle der Entartung g¨ ultig, wenn die gew¨ohnliche St¨orungstheorie versagt. In Abb. 21.2 sind die exakten (gest¨ orten) Energieniveaus E± und die Erwartungswerte des vollen Hamilton-Operators H in den ungest¨orten Zust¨anden, ǫ1/2 , als Funktion von δ = ǫ1 − ǫ2 aufgetragen. Man beachte den Zusammenhang E± (∆ = 0) =

δ ǫ1 + ǫ2 ± = ǫ1/2 . 2 2

W¨ahrend sich die Energien ǫ1/2 im Entartungspunkt δ = 0 kreuzen, besteht zwischen den gest¨orten Energieniveaus E± eine endliche Energiel¨ ucke. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Niveauabstoßung der gest¨orten Zust¨ande. Der oben behandelte Fall zweier dicht benachbarter Niveaus l¨asst sich direkt auf den Fall mehrerer dicht benachbarter Niveaus verallgemeinern. Im Falle mehrerer solcher Niveaus muss der Hamilton-Operator in dem Hilbert-Raum, der von diesen Zust¨anden aufgespannt wird, diagonalisiert werden. In praktischen Anwendungen der St¨ orungstheorie bei Entartung empfiehlt es sich, die Diagonalelemente der St¨ orung mit in den ungest¨orten Hamilton-Operator einzubeziehen, d.h. der Hamilton-Operator H = H0 + V wird umgeordnet zu: H = H0′ + V ′ , wobei H0′ = H0 +

X k

V′ =V −

X k

|kihk|V |kihk|

|kihk|V |kihk| .

21.2 St¨orungstheorie f¨ ur zwei dicht benachbarte Niveaus E

467 E+ ǫ1

|∆| ǫ1 +ǫ2 2

δ

−|∆| ǫ2 E− Abb. 21.2: Aufspaltung der dicht benachbarten Niveaus durch die St¨ orung. Die durchgezogenen Kurven sind die exakten Energieniveaus E± , die gestrichelten Linien zeigen die Erwartungswerte ǫ1/2 des vollen Hamilton-Operators H in den ungest¨ orten Zust¨ anden.

In der Tat gilt dann: hk|V ′ |ki = 0 und die Eigenwerte von H0′ sind durch En′ = En(0) + hn|V |ni (0)

mit den Eigenwerten Ei

von H0 verkn¨ upft.

Abschließend zeigen wir noch, wie aus der oben angegebenen exakten Behandlung zweier benachbarter Niveaus die im vorigen Abschnitt besprochene gew¨ohnliche St¨orentwicklung (Rayleigh-Schr¨ odinger-St¨ orungstheorie) hervorgeht, wenn die Energiedifferenz der beiden benachbarten Zust¨ ande groß im Vergleich zum Matrixelement der St¨orung zwischen diesen beiden Zust¨ anden ist: ǫ1 − ǫ2 ≫ |∆| . 2 In der Tat, entwickeln wir das oben erhaltene Ergebnis (21.16) f¨ ur die beiden Energieeigenwerte nach Potenzen von ∆/(ǫ1 − ǫ2 ), so erhalten wir in unterster nicht-trivialer Ordnung: " #  2 1 2 ǫ1 + ǫ2 ǫ1 − ǫ2 2 1+ E± = ± |∆| + . . . 2 2 2 ǫ1 − ǫ2 = ǫ1/2 ±

|∆|2 . ǫ1 − ǫ2

468

21 St¨orungstheorie e−

e−

p n n p

Abb. 21.3: Schematische Darstellung des He-Atoms.

Setzen wir hier die explizite Form der Diagonalelemente ǫ1/2 des Hamilton-Operators ein, so nehmen die gest¨ orten Energieeigenwerte folgende Gestalt an: (0)

(0)

(0)

E+ = E1 + hϕ1 |V |ϕ1 i + (0)

(0)

(0)

E− = E2 + hϕ2 |V |ϕ2 i +

(0)

|V12 |2

(0)

,

(0)

.

E1 + V11 − (E2 + V22 ) |V21 |2 (0)

E2 + V22 − (E1 + V11 )

Beschr¨anken wir uns auf Terme bis einschließlich zweiter Ordnung in der St¨orung V , so k¨onnen wir in den Energienennern die St¨ orung gegen¨ uber den ungest¨orten Energien vernachl¨assigen, und die obigen Ausdr¨ ucke gehen in das Resultat der St¨orungstheorie zweiter Ordnung u ¨ber, siehe Gln. (21.10),(21.13).

21.3

Anwendung der St¨orungstheorie: Grundzustandsenergie des Helium-Atoms

Als illustratives Anwendungsbeispiel der station¨aren St¨orungstheorie wollen wir im Folgenden die Grundzustandsenergie des Helium-Atoms oder allgemein von (Z − 2)-fach ionisierten Atomen berechnen. Solche Atome bestehen aus einem Z-fach positiv geladenen Atomkern und zwei negativ geladenen Elektronen (Abb. 21.3). Da die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Atomkern anziehend, die zwischen den beiden Elektronen jedoch abstoßend ist, halten sich die Elektronen n¨aher am Atomkern als beieinander auf. Außerdem ist die elektrische Ladung des Atomkerns eZ ≥ 2e, sodass die Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen wesentlich kleiner sein sollte als die zwischen Elektronen und Atomkern. Folglich sollte die Elektron-ElektronWechselwirkung in St¨ orungstheorie behandelbar sein. Da der Atomkern sehr viel schwerer als die Elektronen ist, k¨onnen wir den Atomkern als unendlich schwer, d.h. als ruhend, annehmen und damit seine kinetische Energie vernachl¨assigen. Legen wir den Atomkern in den Koordinatenursprung und bezeichnen die Koordinaten der beiden Elektronen mit x1 und x2 , so ist der Hamilton-Operator der Helium-¨ahnlichen Ionen durch H(x1 , x2 ) = H0 (x1 ) + H0 (x2 ) + Vc (x1 , x2 )

(21.17)

gegeben. Hierbei bezeichnet H0 (x) =

p2 Ze2 − 2m 4π|x|

(21.18)

21.3 Grundzustandsenergie des Helium-Atoms

469

den Hamilton-Operator f¨ ur die Bewegung eines einzelnen Elektrons im Feld des (unendlich schweren) Atomkerns, dessen Spektrum wir im Zusammenhang mit der Behandlung des Wasserstoff-Atoms exakt berechnet haben. Ferner ist Vc (x1 , x2 ) =

e2 4π|x1 − x2 |

die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen. Ohne diese Wechselwirkung h¨atten wir ein exakt l¨ osbares Problem zweier unabh¨angiger Teilchen. Wir w¨ahlen deshalb den ungest¨ orten Hamilton-Operator als H0 (x1 , x2 ) = H0 (x1 ) + H0 (x2 )

(21.19)

und die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den Elektronen als St¨orung: H1 (x1 , x2 ) = Vc (x1 , x2 ) . Das ungest¨orte Zweiteilchen-Problem (0) (0) H0 (x1 , x2 )ϕ(0) n1 n2 (x1 , x2 ) = En1 n2 ϕn1 n2 (x1 , x2 )

l¨ asst sich durch den Separationsansatz ϕ(0) n1 n2 (x1 , x2 ) = ϕn1 (x1 )ϕn2 (x2 )

(21.20)

exakt l¨osen, was auf die Energieeigenwerte = En1 + En2 En(0) 1 n2 f¨ uhrt. Hierbei sind ϕn (x) und En die Wellenfunktion bzw. der Energieeigenwert des ungest¨orten Einteilchenproblems, d.h. die des Wasserstoff-Atoms, aber mit Z > 1: H0 (x)ϕn (x) = En ϕn (x) . Im Folgenden interessieren wir uns f¨ ur die Grundzustandsenergie des Helium-¨ahnlichen Atoms. Wir nehmen dazu an, dass die ungest¨ orten Elektronen die beiden im Spin entarteten Zust¨ande niedrigster Energie besetzen, f¨ ur die n = 1 und l = n − 1 = 0 gilt.3 Die Grundzustandswellenfunktion des Wasserstoff-¨ahnlichen Atoms ist durch (19.27)  r 1 exp − , ϕn=1,l=0,m=0 (x) = √ a ¯ π¯ a3

a ¯=

a Z

gegeben, wobei a der Bohr’sche Atomradius (19.7) ist. Die zugeh¨orige Energie lautet (siehe Gl. (19.21)): En=1 = −Z 2 R . 3 Die Spin-Entartung wird allerdings durch die St¨ orung aufgehoben, wie im Band 2 im Rahmen der Vielteilchentheorie noch genauer untersucht wird. Dort wird gezeigt, dass der Produktansatz (21.20) in der Tat den Grundzustand (Parahelium) liefert.

470

21 St¨orungstheorie

Hierbei bezeichnet R die Rydberg-Konstante (19.9). F¨ ur die ungest¨orte Energie des Zweiteilchen-Systems erhalten wir damit: (0)

En1 =1,n2 =1 = 2En=1 = −2Z 2 R und die ungest¨orte Wellenfunktion nimmt die explizite Gestalt   1 r1 + r2 (0) ϕ (x1 , x2 ) = ϕ100 (x1 )ϕ100 (x2 ) = exp − π¯ a3 a ¯

(21.21)

an. Setzen wir diese Wellenfunktion in den Ausdruck f¨ ur die Korrektur zur Energie in erster Ordnung St¨ orungstheorie (21.10) ein, so erhalten wir: Z Z Z ρ(x1 )ρ(x2 ) (1) (0) (0) 3 3 = d3 x1 ρ(x1 )U (x1 ) , (21.22) E = hϕ |H1 |ϕ i = d x1 d x2 4π|x1 − x2 | wobei   e 2r ρ(x) = −e|ϕ100 (x)| = − 3 exp − = ρ(r) π¯ a a ¯ 2

die quantenmechanische Ladungsverteilung eines Elektrons im Grundzustand des Wasserstoff-¨ahnlichen Atoms ist und U (x) das mittlere Feld ist, dass eines der beiden Elektronen f¨ ur das andere (aufgrund ihrer Coulomb-Wechselwirkung) erzeugt. Da die Ladungsdichte ρ(r) nur vom Radius abh¨angt, empfiehlt es sich, zur Berechnung der Integrale in (21.22) sph¨ arische Koordinaten zu benutzen. Wir erhalten dann: E

(1)

=

Z∞ 0

dr1 r12 ρ(r1 )

Z∞ 0

dr2 r22 ρ(r2 )

Z

dΩ1

S2

Z

dΩ2

S2

1 4π|x1 − x2 |

Zur Berechnung der beiden Integrale u ¨ber die Raumwinkel Ω1 und Ω2 verwenden wir die aus der klassischen Elektrodynamik bekannte Multipolentwicklung ∞ l l X r< 1 4π X ∗ = P (cos θ) , P (cos θ) = Ylm (Ω1 )Ylm (Ω2 ) , l l+1 l |x1 − x2 | 2l + 1 r> l=0

m=−l

√ wobei r< = min{r1 , r2 } und r> = max{r1 , r2 }. Benutzen wir (Y00 (Ω) = 1/ 4π): Z √ √ Z ∗ (Ω)Ylm (Ω) = δl0 δm0 4π , dΩ Ylm (Ω) = 4π dΩ Y00 S2

S2

so erhalten wir f¨ ur das Integral u ¨ber die Raumwinkel: Z Z 1 4π dΩ1 dΩ2 . = 4π|x1 − x2 | r> S2

S2

21.3 Grundzustandsenergie des Helium-Atoms

471

Tabelle 21.1: Die Grundzustandsenergien der ersten (Z − 2)-fach ionisierten Atome in erster Ordnung St¨ orungstheorie. S¨ amtliche Energien sind in eV angegeben.

He

Z 2

E (0) -108

E (1) 34

E (0) + E (1) -74,8

Eexp -78,98

Li+

3

-243,5

50,5

-193

-197,1

Be++

4

-433

67,5

-365,5

-370,0

Die verbleibenden Radialintegrale lassen sich elementar auswerten und wir erhalten f¨ ur die Korrektur zur Grundzustandsenergie:   (0) e2 5 (1) (0) E ≡ ϕ = ZR . (21.23) ϕ 4π|x1 − x2 | 4

Die Gesamtenergie des Grundzustandes betr¨ agt damit in erster Ordnung St¨orungstheorie:   5 (0) (1) 2 E = E + E = − 2Z − Z R . 4 In Tabelle 21.1 sind die aus der St¨ orungstheorie gewonnenen numerischen Werte f¨ ur die Grundzustandsenergie der Z − 2-fach ionisierten Atome zusammen mit den experimentellen Energien f¨ ur die Kernladungszahlen Z = 2, 3, 4 angegeben. Man erkennt, dass die St¨ orungstheorie mit wachsendem Z immer besser wird 5 |E (1) | ≤ 0.3, = 8Z |E (0) |

Z ≥ 2.

(21.24)

Dies entspricht unseren einleitenden qualitativen Betrachtungen, wonach mit wachsendem Z die Wechselwirkung der Elektronen mit dem Atomkern immer mehr die Wechselwirkung der Elektronen untereinander dominiert.

22

Das Ritz’sche Variationsverfahren

Die im vorangegangenen Kapitel behandelte St¨orungstheorie verlangt die Aufspaltung des betrachteten Systems in ein einfach zu behandelndes Modellsystem, dessen L¨osung bekannt sein muss, und eine St¨ orung, die gew¨ohnlich zu einer Mischung der Eigenzust¨ande des Modellsystems f¨ uhrt. In vielen F¨allen ist es jedoch nicht offensichtlich bzw. nicht leicht, ein einfaches Modellsystem zu finden, das eine gute Anfangsn¨aherung zum betrachteten System darstellt. Wir wollen deshalb im Folgenden eine alternative Methode angeben, die es erlaubt, gen¨ ahert Eigenenergien und Eigenfunktionen des Hamilton-Operators eines beliebigen Systems zu berechnen.

22.1

Variationsverfahren zur Berechnung der Energieeigenzusta¨nde

Wir setzen voraus, dass das Spektrum des Hamilton-Operators diskret und nach unten beschr¨ankt ist. Dann existiert ein minimaler endlicher Eigenwert E0 von H, die Grundzustandsenergie, und der Grundzustand ist energetisch stabil. Sei ψ eine beliebige Wellenfunktion, d.h. eine beliebige Funktion des Hilbert-Raumes von H (nicht notwendigerweise eine Eigenfunktion von H), die wir der Einfachheit halber auf 1 normiert voraussetzen: hψ|ψi = 1 .

(22.1)

Dann gilt die folgende Beziehung: E0 ≤ hψ|H|ψi ,

(22.2)

die sich sehr einfach beweisen l¨ asst. Zum Beweis beachten wir, dass die Eigenfunktionen |ϕn i des (hermiteschen) Hamilton-Operators, H|ϕn i = En |ϕn i ,

(22.3)

bei geeigneter Normierung ein vollst¨ andiges Orthonormalsystem hϕn |ϕm i = δnm bilden. Wir k¨onnen deshalb ψ nach diesen Eigenzust¨anden entwickeln, X |ψi = cn |ϕn i , n

(22.4)

(22.5)

474

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

wobei die Entwicklungskoeffizienten cn aufgrund der Normierung von ψ der Bedingung X hψ|ψi = |cn |2 = 1 (22.6) n

gen¨ ugen. Unter Benutzung der Gln. (22.3) bis (22.6) erhalten wir f¨ ur den Erwartungswert des Hamilton-Operators im Zustand ψ: X hψ|H|ψi = c∗n cm hϕn |H|ϕm i n,m

=

X n,m

=

X n

c∗n cm Em hϕn |ϕm i |cn |2 En ≥ E0

X n

|cn |2 = E0 .

(22.7)

Das Gleichheitszeichen gilt offenbar nur dann, wenn |ψi = |ϕ0 i, sodass von der Entwicklung (22.5) nur der Term mit n = 0 u ¨berlebt. Damit haben wir gezeigt, dass sich die Grundzustandsenergie als Minimum von hψ|H|ψi bei Variation der normierten Wellenfunktion ψ ergibt: E0 = minhψ|H|ψi

,

hψ|ψi = 1 .

(22.8)

Diese Gleichung l¨ asst sich zur gen¨ aherten Berechnung der Grundzustandsenergie benutzen. Dazu w¨ ahlt man eine Testfunktion ψ(α, β, . . . ), die u ¨blicherweise von einigen Parametern α, β, . . . abh¨ angt, und berechnet mit ihr den Erwartungswert des HamiltonOperators hψ(α, β, . . . )|H|ψ(α, β, . . . )i =: E(α, β, . . . ) .

(22.9)

Die so definierte Energie E(α, β, . . . ) wird minimal f¨ ur ∂E =0 ∂α

,

∂E =0 ∂β

,

... .

(22.10)

Die L¨osung dieser Gleichungen, die wir mit α0 , β0 , . . . bezeichnen, liefert uns aus der Klasse der Testfunktionen ψ(α, β, . . . ) die beste N¨aherung ψ(α0 , β0 , . . . ) zur exakten Wellenfunktion des Grundzustandes. Die minimale Energie E(α0 , β0 , . . . ) liefert eine obere Schranke f¨ ur die Energie des Grundzustandes. Das oben beschriebene Verfahren zur gen¨ aherten Berechnung der Grundzustandsenergie wird als Ritz’sches Variationsverfahren bezeichnet. Es besitzt eine sehr große praktische Bedeutung f¨ ur die gen¨ aherte Bestimmung der Grundzustandsenergie komplexer quantenmechanischer Systeme. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass man zun¨achst mit einfachen Wellenfunktionen beginnen kann und anschließend die Klasse der Testfunktionen erweitert, indem z.B. zus¨ atzliche Parameter eingebaut oder Linearkombination von mehreren Testfunktionen X ai ψi (αi , βi , . . . ) (22.11) ψ= i

22.1 Berechnung der Energieeigenzust¨ ande

475

benutzt werden, wobei die Entwicklungskoeffizienten ai ebenfalls als Variationsparameter betrachtet werden. Verkleinert sich die Energie durch Erweiterung der Testfunktionen, so wurde eine bessere N¨ aherungsl¨ osung gefunden. Durch Erweiterung der Testfunktionen kann sich die Energie nur verkleinern und somit die erhaltene N¨aherungsl¨osung nur verbessert werden und damit die obere Schranke der Energie nur verringert werden. Es gibt kein allgemeines Verfahren, geeignete Testwellenfunktion zu finden, sondern die Wahl der Testfunktion erfolgt in der Praxis nach eingehender qualitativer Analyse des vorliegenden Hamilton-Operators unter Beachtung seiner Symmetrien. Je gr¨oßer der Raum der Testfunktionen gew¨ ahlt wird, desto besser ist die erhaltene N¨ aherung, desto aufwendiger ist allerdings auch das Variationsverfahren. Wird der gesamte Hilbert-Raum bei der Variation zugelassen (siehe Abschnitt 22.3), so liefert das Variationsprinzip die exakte Wellenfunktion. Das Variationsprinzip l¨asst sich deshalb auch zur exakten L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung benutzen. Der Hilbert-Raum eines quantenmechanischen Systems ist i.A. bekannt, z.B. der Raum der u ¨ber quadratisch integrierbaren Funktionen. Wir w¨ ahlen eine beliebige vollst¨andige orthonormierte Basis in diesem Hilbert-Raum {φn }, hφn |φm i = δnm , und entwickeln die Wellenfunktion nach dieser Basis: X |ψi = cn |φn i .

R

n

Variation der Energie hψ|H|ψi =

X n,m

c∗n cm hφn |H|φm i

nach den Entwicklungskoeffizienten cn unter der Nebenbedingung X hψ|ψi = |cn |2 = 1

liefert wegen der Vollst¨ andigkeit der Basis {φn } das absolute Minimum der Energie und damit die exakte Wellenfunktion und Energie des Grundzustandes. Dieses Verfahren wird zur numerischen L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung benutzt. Das Ritz’sche Variationsverfahren kann auch zur Bestimmung der angeregten Zust¨ande benutzt werden. Sei ψ0 die (exakte oder u ¨ber das Variationsprinzip bestimmte gen¨aherte) Grundzustandswellenfunktion. Die Energie E1 des ersten angeregten Zustandes l¨asst sich dann aus dem Variationsproblem E1 = minhψ1 |H|ψ1 i

(22.12)

mit den Nebenbedingungen hψ1 |ψ1 i = 1

,

hψ1 |ψ0 i = 0

(22.13)

bestimmen. Der Beweis erfolgt v¨ ollig analog zum Beweis des Variationsprinzipes f¨ ur die Grundzustandsenergie. Wir werden sp¨ ater den Beweis in allgemeiner Form f¨ ur beliebige Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators erbringen. In analoger Weise l¨asst sich der zweite angeregte Zustand aus dem Variationsprinzip E2 = minhψ2 |H|ψ2 i

(22.14)

476

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

mit den Nebenbedingungen hψ2 |ψ2 i = 1

,

hψ2 |ψ0 i = 0

,

hψ2 |ψ1 i = 0

(22.15)

bestimmen. Obwohl sich das hier beschriebene Verfahren prinzipiell fortsetzen l¨asst zu h¨oheren angeregten Zust¨ anden, ist in der Praxis das Variationsverfahren auf die Berechnung des Grundzustandes und der untersten angeregten Zust¨ande begrenzt, da der Fehler in der n-ten Wellenfunktion sich u ¨ber die Orthogonalit¨atsbedingungen auf die (n + 1)-te Wellenfunktion u agt und somit die Fehler mit wachsendem n gr¨oßer werden. ¨bertr¨

22.2

Beispiele zum Ritz’schen Variationsverfahren

Im Folgenden soll das Ritz’sche Variationsverfahren anhand einiger Beispiele erl¨autert werden.

22.2.1

Der harmonische Oszillator

Grundzustand und erster angeregter Zustand des harmonischen Oszillators sollen u ¨ber das Variationsprinzip bestimmt werden. Der Hamilton-Operator des harmonischen Oszillators (13.29) lautet: ~2 d2 1 + mω 2 x2 . (22.16) 2m dx2 2 Wegen der Normierbarkeit m¨ ussen die Wellenfunktionen f¨ ur x → ±∞ verschwinden. Ferner wissen wir, dass die Wellenfunktion des Grundzustandes keine Knoten besitzt (siehe Abschnitt 9.3). Wir w¨ ahlen deshalb als Testfunktion f¨ ur den Grundzustand den folgenden Ansatz  α  (22.17) ψ0 (x; α) = A exp − x2 . 2 Hierbei ist α der Variationsparameter, w¨ ahrend die Amplitude A durch die Normierung (bis auf eine irrelevante komplexe Phase) auf  α 1/4 A= π festgelegt ist. Berechnung des Erwartungswertes des Hamilton-Operators (22.16) f¨ ur die Testwellenfunktion (22.17) liefert:   1 ~2 α mω 2 E0 (α) = hψ0 (α)|H|ψ0 (α)i = . (22.18) + 4 m α H=−

Diese Energie wird minimal, E0′ (α0 ) = 0, f¨ ur α0 = mω/~. Man beachte, dass x0 = −1/2 gerade die Oszillatorl¨ ange (13.31) ist. Mit diesem Wert des Variationsparameters α0 erhalten wir aus (22.18) die exakte Grundzustandsenergie (13.54) E0 (α0 ) =

1 ~ω 2

(22.19)

22.2 Beispiele

477

und aus (22.17) die exakte Grundzustandswellenfunktion (13.63)    mω 1/4 1 mω 2 ψ0 (x; α0 ) = exp − x . π~ 2 ~

(22.20)

Das exakte Ergebnis wurde hier erhalten, da die Klasse unserer Testfunktionen (22.17) die exakte Wellenfunktion mit enth¨ alt. Das Variationsprinzip (22.8) hat den Variationsparameter α so festgelegt, dass die Testfunktion (22.17) zur exakten Wellenfunktion wird. Als n¨achstes wollen wir den ersten angeregten Zustand des harmonischen Oszillators u ¨ber das Ritz’sche Variationsprinzip bestimmen. Bei der Wahl der Testfunktionen beachten wir, dass der erste angeregte Zustand orthogonal zum Grundzustand (22.17) sein muss. Wegen der Symmetrie des Potentials muss dieser Zustand außerdem eine ungerade Funktion von x sein. Die einfachste Testfunktion, die diese Eigenschaft besitzt, lautet   β 2 (22.21) ψ1 (x; β) = Bx exp − x . 2 Hierbei ist β der Variationsparameter, w¨ ahrend B durch die Normierung (bis auf eine irrelevante komplexe Phase) auf B=



4β 3 π

1/4

festgelegt ist. Der Erwartungswert des Hamilton-Operators in diesem Zustand ist durch   mω 2 3 ~2 β + (22.22) E1 (β) = hψ1 (β)|H|ψ1 (β)i = 4 m β gegeben. Minimierung der Energie bez¨ uglich des Variationsparameters, E1′ (β0 ) = 0, liefert β0 = mω/~, womit wir wieder die exakte Energie des ersten angeregten Zustandes E1 (β0 ) =

3 ~ω 2

und dessen Wellenfunktion    1/2  1 mω 2 2 mω 3/4 x exp − ψ1 (x; β0 ) = √ x ~ 2 ~ π

(22.23)

(22.24)

erhalten. Das Variationsprinzip hat hier die exakten Wellenfunktionen geliefert, da diese in den Ans¨atzen f¨ ur die Testwellenfunktionen enthalten sind. F¨ ur komplexere Systeme wird man i.A. keinen praktikablen Variationsansatz finden, der die exakte Wellenfunktion mit enth¨alt. Es ist sehr illustrativ, die Variationsrechnung mit einer Klasse von Testfunktionen durchzuf¨ uhren, welche die exakte Wellenfunktion nicht enth¨alt:

478

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

Als Variationsansatz w¨ ahlen wir die Funktion A ψ0 (x; α) = p . cosh(αx)

(22.25)

Sie besitzt die geforderten Eigenschaften einer Grundzustandswellenfunktion in einem symmetrischen Potential, d.h. sie ist symmetrisch, ψ0 (−x; α) = ψ0 (x; α), und besitzt keinen Knoten. Mit Z∞ 0

∞ dy π = arctan(sinh y) = cosh y 2 0

(22.26)

erhalten wir f¨ ur die Normierungskonstante: |A|2 =

α . π

(22.27)

F¨ ur die Ableitung der Wellenfunktion finden wir: α sinh(αx) . ψ0′ (x; α) = − A 2 cosh3/2 (αx)

(22.28)

Unter Benutzung von Z∞ 0

∞  sinh2 y π sinh y 1 dy = = − + arctan(sinh y) 3 2 4 cosh y 2 cosh y 2 0

(22.29)

finden wir f¨ ur die kinetische Energie durch partielle Integration: ~2 hψ0 (α)|T |ψ0 (α)i = 2m

Z∞

2

dx (ψ0′ (x; α)) =

−∞

~2 α2 . 2m 8

(22.30)

Mit Z∞

dy

y2 π3 = cosh y 8

(22.31)

0

erhalten wir f¨ ur die potentielle Energie: hψ0 (α)|V |ψ0 (α)i =

m 2 π2 . ω 2 4α2

F¨ ur die Gesamtenergie ergibt sich dann:   ~ω ~ α2 mω π 2 + 2 mω 8 ~ 4α2   α2 ~ω π2 x20 = + 2 2 , 2 8 4x0 α

E0 (α) = hψ0 (α)|H|ψ0 (α)i =

(22.32)

22.2 Beispiele

479

wobei wir die Definition der Oszillatorl¨ ange x0 (13.31) benutzt haben. Das Minimum der Energie, E0′ (α0 ) = 0, wird f¨ ur α20 =

√ π 2 x20

(22.33)

angenommen und die minimale Energie betr¨ agt: E0 (α0 ) =

1 π√ 2. ~ω 2 4

(22.34)

Die relative Abweichung von der exakten Grundzustandsenergie (13.54) E0 = ~ω/2 betr¨agt etwa 11 %, ∆E π√ 2 − 1 ≃ 0, 11 , = E 4

(22.35)

was in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Wellenfunkton die falsche Asymptotik 2 (e−αx/2 statt e−αx ) und nur einen einzigen Variationsparameter besitzt, sehr erstaunlich ist.

22.2.2

Der Grundzustand des Wasserstoff-Atoms

Als n¨achstes Beispiel betrachten wir den Grundzustand des Wasserstoff-Atoms. In einem kugelsymmetrischen Potential besitzen die Eigenfunktionen des Hamilton-Operators einen guten Drehimpuls1 . Im Grundzustand verschwindet der Drehimpuls und die Grundzustandswellenfunktion darf folglich nicht von den Winkelvariablen, d.h. nur vom Radius abh¨angen. Ferner muss die Wellenfunktion f¨ ur r → ∞ wegen der Normierbarkeit verschwinden. Da die Wellenfunktion des Grundzustandes keinen Knoten besitzt, ist es naheliegend, die Testfunktion in der Form ψ0 (r; r0 ) = Ae−r/r0 ,

r = |x|

(22.36)

zu w¨ahlen, wobei r0 wieder der Variationsparameter ist, der die Dimension einer L¨ange besitzt und offenbar die Ausdehung des Atoms charakterisiert. Die Amplitude A ist durch die Normierung auf |A| =

1 πr03

festgelegt. Mit ψ0′ (r; r0 ) = −

1 ψ(r; r0 ) r0

1 Wir benutzen hier den in der Fachwelt ublichen Sprachgebrauch: Eine Wellenfunktion besitzt einen ¨ guten Drehimpuls, falls sie Eigenfunktion zum Drehimpulsoperator ist.

480

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

finden wir f¨ ur die kinetische Energie nach partieller Integration2 : Z Z ~2 ~2 hψ0 (r0 )|T |ψ0 (r0 )i = d3 x |∇ψ0 (r; r0 )|2 = d3 x |ψ0′ (r; r0 )|2 2m 2m  2 Z ~2 1 ~2 2 = r . d3 x |ψ0 (r; r0 )|2 = 2m r0 2m 0 ¨ Ahnlich einfach ist die Berechnung der potentiellen Energie (mit einer Substitution s = r/r0 ): Z e2 1 |ψ0 (r; r0 )|2 hψ0 (r0 )|V |ψ0 (r0 )i = − d3 x 4π |x| Z∞ e2 = − 4π dr r|ψ0 (r; r0 )|2 4π 0

e2 = − 4π|A|2 r02 4π

Z∞

ds se−2s

0

2

=−

e . 4πr0

Damit erhalten wir f¨ ur die Energie im Zustand (22.36): E0 (r0 ) = hψ0 (r0 )|H|ψ0 (r0 )i =

e2 ~2 − . 2 2mr0 4πr0

(22.37)

Dies ist genau der Ausdruck, den wir im Abschnitt 19.2 durch Absch¨atzung der Energie mittels der Unsch¨ arferelation erhalten hatten, wobei r0 ≃ ∆x die Ortsunsch¨arfe repr¨asentierte. Wie dort gezeigt, liefert Minimierung der Energie (22.37) f¨ ur den Variationsparameter r0 den Bohr’schen Atomradius a (19.7), f¨ ur welchen E0 (r0 = a) die exakte Energie und (22.36) die exakte Wellenfunktion des Grundzustandes ist. Auch hier wurde der exakte Grundzustand erhalten, da dessen Wellenfunktion im Variationsansatz (22.36) enthalten ist.

22.2.3

Variationsabsch¨atzung der Helium-Gundzustandsenergie

Die in Abschnitt 21.3 durchgef¨ uhrte Berechnung der Grundzustandsenergie des HeliumAtoms in erster Ordnung St¨ orungstheorie liefert den Erwartungswert des Gesamt-Hamilton-Operators in der ungest¨ orten Wellenfunktion. Eine bessere Absch¨atzung kann man erhalten, wenn man die Gr¨ oße Z in der ungest¨orten Wellenfunktion (jedoch nicht im Hamilton-Operator H!) als Variationsparameter betrachtet, den wir als Z˜ bezeichnen wollen. Dadurch vergr¨ oßern wir effektiv den Raum unserer Testfunktionen und 2 Der dabei auftretende Oberfl¨ achenterm verschwindet wieder wegen der Normierbarkeit der Wellenfunktion.

22.2 Beispiele

481

wie in Abschnitt 22.1 diskutiert liefert das Variationsprinzip dann nur eine bessere (niemals aber schlechtere) Absch¨ atzung der Grundzustandsenergie. Aus physikalischer Sicht k¨onnen wir durch Variation von Z˜ die Abschirmung des Coulomb-Potentials des Atomkerns ber¨ ucksichtigen: Ein Elektron sieht ein Potential mit einer effektiven Kernladungszahl Z˜ < Z wegen der Abschirmung des Kernpotentials durch die negativ geladene Wolke der u ulle. Wir erwarten deshalb, dass sich aus der ¨brigen Elektronen der H¨ Variationsrechnung f¨ ur Helium ein Wert Z˜ < 2 ergibt. ˜ so lautet unsere Variationsfunktion: Ersetzen wir in (21.21) Z durch Z, ˜ = ϕ˜100 (x1 )ϕ˜100 (x2 ) , hx1 , x2 |ϕ0 (Z)i

(22.38)

wobei  r 1 ϕ˜100 (x) = √ exp − , a ˜ π˜ a3

a ˜=

a Z˜

die Grundzustandswellenfunktion des Wasserstoff-Atoms mit der Ersetzung a → a ˜ ist. Man beachte, dass |ϕ˜100 i f¨ ur Z˜ 6= Z keine Eigenfunktion zu H0 (21.18) H0 (x) =

p2 Ze2 − , 2m 4π|x|

(22.39)

wohl aber zu 2 ˜ 2 ˜ 0 (x) = p − Ze H 2m 4π|x|

ist: ˜ 0 |ϕ˜100 i = E˜1 |ϕ˜100 i , H

˜1 = −RZ˜ 2 , E

wobei wir Gl. (19.21) benutzt haben. Wir schreiben deshalb den gegebenen HamiltonOperator H0 (22.39) in der Form ˜ 0 (x) − (Z − Z) ˜ H0 (x) = H

e2 4π|x|

und erhalten: 2   e ˜ ˜ ϕ˜100 . hϕ˜100 |H0 |ϕ˜100 i = E1 − (Z − Z) ϕ˜100 4π|x|

Elementare Rechnung liefert:   1 1 Z˜ ϕ˜100 ϕ˜100 = = , |x| a ˜ a

bzw.



2  e e2 ˜ , ϕ˜100 = 2ZR ϕ˜100 = Z˜ 4π|x| 4πa

(22.40)

482

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

wobei wir die Beziehungen (19.6), (19.8) e2 ~2 = 2R = 4πa ma2 benutzt haben, und somit: ˜ . hϕ˜100 |H0 |ϕ˜100 i = (Z˜ 2 − 2Z Z)R

(22.41)

Aus (22.40) k¨onnen wir schließen, dass der erste und zweite Term in (22.41) von der kinetischen Energie bzw. dem Potential stammt, d.h. es gilt: 2   p ϕ˜100 = Z˜ 2 R . ϕ˜100 2m Die Produktwellenfunktion (22.38) liefert f¨ ur jedes der Teilchen denselben Beitrag zum ungest¨orten Hamilton-Operator H0 (x1 , x2 ) (21.19): ˜ ˜ ˜2 ˜ hϕ0 (Z)|(H 0 (x1 ) + H0 (x2 ))|ϕ0 (Z)i = 2(Z − 2Z Z)R . Das Matrixelement der Zweiteilchen-Wechselwirkung (die unabh¨angig von Z ist) wurde bereits in Gl. (21.23) berechnet und liefert:   5˜ e2 ˜ ˜ ϕ0 (Z) = ZR . ϕ0 (Z) 4π|x1 − x2 | 4 Damit erhalten wir f¨ ur die Gesamtenergie (21.17) im Zustand (22.38):   5˜ 2 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ E0 (Z) = hϕ0 (Z)|H|ϕ0 (Z)i = 2Z − 4Z Z + Z R . 4

(22.42)

˜ ∂E0 (Z)/∂ ˜ Minimierung dieser Energie bez¨ uglich Z, Z˜ = 0 liefert: 5 27 Z˜ = Z − = = 1, 6875 . 16 16 In der Tat finden wir wie erwartet einen kleineren Wert f¨ ur die effektive Kernladungszahl Z˜ als die eigentliche Kernladungszahl Z = 2. F¨ ur die Energie des Helium-Grundzustandes finden wir dann aus (22.42): ˜2 ˜ 5˜ ˜ = Z − 2Z Z + 8 Z E0 (Z) , E0 (Z) Z 2 − 2Z 2 + 85 Z wobei E0 (Z) der in Gl. (22.42) definierte Ausdruck f¨ ur Z˜ = Z ist. Setzen wir hier Z = 2 und Z˜ = 27/16 ein und benutzen E0 (Z = 2) = −74, 8 eV aus Tabelle 21.1, so erhalten wir f¨ ur die Grundzustandsenergie: ˜ ≃ −77, 5 eV . E0 (Z) Dieser Wert liegt wesentlich dichter an der experimentellen Energie von −78, 98 eV als der in Abschnitt 21.3 gefundene st¨ orungstheoretische Wert von E0 ≃ −74, 8 eV .

22.3 Allgemeines Variationsprinzip

22.3

483

Allgemeines Variationsprinzip

Wir wollen jetzt die Variationsmethode von einem allgemeineren Standpunkt aus betrachten. Im Folgenden werden wir zeigen, dass jeder Zustand ψ, f¨ ur den der Erwartungswert hψ|A|ψi eines hermiteschen Operators A extremal3 wird, Eigenzustand von A ist. Mit anderen Worten, das Variationsprinzip hψ|A|ψi → extr

(22.43)

mit der Nebenbedingung hψ|ψi = 1

(22.44)

liefert bei uneingeschr¨ ankter Variation der Funktion ψ eine Eigenfunktion des hermiteschen Operators A. Uneingeschr¨ ankte Variation bedeutet hier, dass die Variation des Zustandes ψ u ¨ber den gesamten Hilbert-Raum des betrachteten Systems mit der Observable A erfolgt. Von der Nebenbedingung (22.44) k¨ onnen wir uns befreien, wenn wir den Erwartungswert als hAiψ =

hψ|A|ψi hψ|ψi

(22.45)

schreiben. Der Erwartungswert hAiψ ist ein Funktional der Wellenfunktion ψ und wird extremal f¨ ur solche ψ, f¨ ur welche die erste Variation verschwindet: δhAiψ = 0 .

(22.46)

Analog zu den Regeln der Differentiation von Funktionen erhalten wir f¨ ur die erste Variation (siehe Anhang D): δhψ|ψi 1 δhψ|A|ψi − hψ|A|ψi hψ|ψi (hψ|ψi)2 1 = [δhψ|A|ψi − hAiψ δhψ|ψi] hψ|ψi 1 = [hδψ|(A − hAiψ )|ψi + hψ|(A − hAiψ )|δψi] . hψ|ψi

δhAiψ =

(22.47)

Dieser Ausdruck verschwindet nur dann, wenn hδψ|(A − hAiψ )|ψi + hψ|(A − hAiψ )|δψi = 0 .

(22.48)

Diese Gleichung muss f¨ ur beliebige |δψi und hδψ| erf¨ ullt sein, damit hAiψ extremal wird. ¨ Ahnlich wie bei komplexen Zahlen z = x + iy statt Real- und Imagin¨arteil, x und y, auch z und z ∗ als unabh¨ angige Variablen betrachtet werden k¨onnen, k¨onnen wir hier 3 Die

in diesem Abschnitt betrachteten Extrema sind i.A. nur lokale Extrema.

484

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

auch |δψi und hδψ| als unabh¨ angige Variationen betrachten. Gl. (22.48) ist folglich nur dann erf¨ ullt, wenn sowohl (A − hAiψ ) |ψi = o

(22.49)

hψ| (A − hAiψ ) = o

(22.50)

als auch

gilt. Da A als Observable ein hermitescher Operator ist und folglich seine Erwartungswerte reell sind, ist die zweite Gleichung (22.50) lediglich das Adjungierte der ersten Gleichung (22.49). Diese ist aber nichts anderes als die Eigenwertgleichung des Operators A. Damit erhalten wir das wichtige Ergebnis: Jeder Zustand |ψi, der den Erwartungswert hAiψ (22.45) eines hermiteschen Operators A extremiert, δhAiψ = 0 ,

(22.51)

ist Eigenzustand von A. Die Eigenwerte von A sind die Extremalwerte von hAiψ . W¨ahlen wir hier A als Hamilton-Operator H, so folgt aus dem obigen Ergebnis, dass die uneingeschr¨ ankte Variation der quantenmechanischen Energie hHiψ → extr

(22.52)

die station¨are Schr¨ odinger-Gleichung H|ψi = E|ψi

(22.53)

liefert und die Energieeigenwerte E sind durch die Extrema des Funktionals hHiψ gegeben. Damit haben wir gezeigt, dass das Variationsprinzip auch zur Bestimmung der angeregten Zust¨ ande benutzt werden kann. Die obige Ableitung zeigt auch, dass wir bei der Variation der Energie keine zus¨atzlichen Bedingungen (außer Normierbarkeit) an die Wellenfunktionen der angeregten Zust¨ande stellen m¨ ussen, um sie aus dem Variationsprinzip hHiψ → extr zu erhalten. Die Nebenbedingungen, welche wir in Abschnitt 22.1 an die angeregten Zust¨ande gestellt haben (Orthogonalit¨at zu den energetisch niedrigeren Zust¨anden), vereinfachen aber die praktische Durchf¨ uhrung des Variationsprinzips. Ohne diese Nebenbedingungen sind die angeregten Zust¨ ande lediglich Extrema von hHiψ . Durch diese Nebenbedingungen wird der Variationsraum (Hilbert-Raum) so eingeschr¨ankt, dass die urspr¨ unglichen Extrema zu absoluten Minima werden. Absolute Minima lassen sich numerisch aber viel leichter bestimmen als Extremstellen.

22.3 Allgemeines Variationsprinzip

485

Zur Illustration dieses Sachverhaltes betrachten wir die Funktion f (x, y) = die wegen

 1 2 x − y2 , 2

∂f =x ∂x

∂f = −y ∂y

,

bei x = y = 0 ein Extremum besitzt, welches wegen ∂2f =1 ∂x2

,

∂2f =0 ∂x∂y

,

∂2f = −1 ∂y 2

ein Sattelpunkt ist. Schr¨ anken wir den Definitionsbereich dieser Funktion, d.h. die xy-Ebene, durch die Nebenbedingung y=0 auf die x-Achse ein, f (x, y = 0) =

1 2 x , 2

so wird aus dem Sattel ein absolutes Minimum.

Die Nebenbedingung hψ|ψi = 1 l¨ asst sich bei der Variation (22.43) auch mit Hilfe eines sogenannten Lagrange-Multiplikators ber¨ ucksichtigen. Bezeichnen wir diesen mit a, so ist das durch Gl. (22.43) und (22.44) definierte Variationsproblem ¨aquivalent zu hψ|A|ψi − ahψ|ψi → extr .

(22.54)

Uneingeschr¨ankte Variationen der Wellenfunktionen liefert jetzt sofort die Eigenwertgleichung A|ψi = a|ψi

(22.55)

(und ihr Adjungiertes) und der Lagrange-Multiplikator a wird zum Eigenwert des Operators A. Abschließend wollen wir zeigen, dass in der Tat |δψi und hδψ| als unabh¨angige Variationen betrachtet werden k¨ onnen. Dazu beachten wir, dass Gl. (22.48) f¨ ur beliebige ¨ infinitesimale Variationen (Anderungen) δψ gelten muss. Gl. (22.48) muss deshalb auch gelten, wenn wir δψ durch αδψ = δ(αψ)

(22.56)

486

22 Das Ritz’sche Variationsverfahren

C

ersetzen, was f¨ ur α ∈ mit |α| < ∞ ebenfalls eine infinitesimale Variation ist. W¨ahlen wir α = i, so liefert die Ersetzung |δψi → |δ(iψ)i

,

hδψ| → hδ(iψ)|

(22.57)

in (22.48) die Bedingung hδ(iψ)|(A − hAiψ |ψi + hψ|(A − hAiψ )|δ(iψ)i = 0 . Beachten wir, dass |δ(iψ)i = i|δψi

,

hδ(iψ)| = −ihδψ| ,

so folgt schließlich: −ihδψ| (A − hAiψ ) |ψi + ihψ| (A − hAiψ ) |δψi = 0 .

(22.58)

Multiplizieren wir diese Gleichung mit i und addieren bzw. subtrahieren das Ergebnis von Gl. (22.48), so erhalten wir gerade die beiden Gleichungen (22.49) und (22.50). Dies zeigt, dass in der Tat |δψi und hδψ| als unabh¨angige Variationen betrachtet werden k¨onnen.

23

Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

In diesem Kapitel wollen wir untersuchen, wie sich elektrisch geladene Teilchen (Punktladungen), die den Gesetzen der Quantenmechanik gehorchen, in einem ¨außeren elektromagnetischen Feld verhalten. Das elektromagnetische Feld selbst werden wir dabei als klassisches Feld voraussetzen. Im Folgenden fassen wir zun¨achst kurz die wesentlichen Punkte der Beschreibung von klassischen Ladungen im elektromagnetischen Feld zusammen.

23.1

Klassische Ladungen im ¨außeren elektromagnetischen Feld

Wie in der klassischen Elektrodyamik u ucken wir das elektromagnetische Feld ¨blich, dr¨ durch die entsprechenden Potentiale aus. Die Quellfreiheit des Magnetfeldes B(x, t), ∇·B =0, erlaubt, dieses als Rotation eines Vektorfeldes (Vektorpotential) A(x, t) darzustellen: B =∇×A.

(23.1)

Mit diesem Potentialansatz nimmt das Faraday’sche Induktionsgesetz1 ∇×E =−

∂B ∂t

die Gestalt 

∂A ∇× E+ ∂t



=0

1 Wir benutzen hier das Lorentz-Heavyside-Ma¨ ssystem mit c = 1, d.h. wir messen die Zeit durch die L¨ ange, die das Licht in dieser Zeit zur¨ ucklegt. Energie und Masse besitzen dann ebenfalls dieselbe Einheit. Dar¨ uber hinaus kann man durch geeignete Wahl der Energie bzw. Masseneinheit noch ~ = 1 setzen, so dass nur noch eine Einheit in der Quantenmechanik (z.B. Energieeinheit) auftritt. Masse, Energie, inverse L¨ ange und inverse Zeit besitzen dann alle dieselbe Einheit. Wir werden hier jedoch nicht ~ auf 1 setzen.

488

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

an. Das hier auftretende, wirbelfreie Feld E + ∂t A l¨asst sich folglich als Gradient eines skalaren Potentials −Φ(x, t) schreiben und wir erhalten f¨ ur das elektrische Feld die Potentialdarstellung

E = −∇Φ −

∂A . ∂t

(23.2)

Diese Darstellung der Felder durch die Potentiale ist bekanntlich nicht eindeutig, da die elektromagnetischen Felder invariant bleiben unter den Eichtransformationen der Potentiale: A(x, t) → A′ (x, t) = A(x, t) + ∇Λ(x, t) , ∂ Φ(x, t) → Φ′ (x, t) = Φ(x, t) − Λ(x, t) . ∂t

(23.3)

Diese Eichinvarianz l¨ asst sich vorteilhaft ausnutzen, um die Potentiale m¨oglichst einfach zu w¨ahlen. Wir werden sp¨ ater davon Gebrauch machen. In einer relativistisch kovarianten Schreibweise lassen sich skalares Potential und Vektorpotential zu einem Vierer-Potential Aµ = (A0 , Ai=1,2,3 ) = (Φ, A)

(23.4)

zusammenfassen. Analog hierzu werden Ladungs- und Stromverteilung, ρ und j, zu einem Vierer-Strom j µ = (j 0 , j i=1,2,3 ) = (ρ, j) zusammengefasst. F¨ ur eine Ladungs- bzw. Stromverteilung in einem ¨außeren elektromagnetischen Feld betr¨ agt die klassische Wechselwirkungsenergie: ! Z Z 3 X j i (x, t)Ai (x, t) W (t) = d3 x j µ (x, t)Aµ (x, t) = d3 x j 0 (x, t)A0 (x, t) − =

Z

i=1

3

d x [ρ(x, t)Φ(x, t) − j(x, t) · A(x, t)]

(23.5)

wobei Aµ (x, t) das Eichpotential des ¨ außeren elektromagnetischen Feldes ist2 . Im Folgenden betrachten wir eine Punktladung q der Masse3 M , die sich auf einer Trajektorie x(t) bewegt. Die Punktladung besitzt eine Ladungsverteilung (Ladungsdichte) ρ(x′ , t) = qδ(x′ − x(t)) . 2 Es sei betont, dass dieses Potential A (x, t) hier eine von außen vorgegebene Funktion des Ortes µ (und der Zeit) ist und nicht durch die betrachteten Ladungen bzw. Str¨ ome j µ (x, t) hervorgerufen wird. Diese werden deshalb auch als Testladungen oder Teststr¨ ome bezeichnet und es wird vorausgesetzt, dass ihre R¨ uckwirkung auf das Feld vernachl¨ assigt werden kann. 3 Zur Unterscheidung von der magnetischen Quantenzahl m bezeichnen wir in diesem Kapitel die Masse der Punktladung mit M .

23.1 Klassische Ladungen

489

Falls ihre Geschwindigkeit von Null verschieden ist, erzeugt sie eine Stromdichte j(x′ , t) = ρ(x′ , t)v(x′ , t) ˙ = qδ(x′ − x(t))x(t) . Setzen wir diese Ausdr¨ ucke f¨ ur Ladungs- und Stromdichte in die Wechselwirkungsenergie (23.5) ein, so nimmt diese die Gestalt ˙ W (t) = qΦ(x(t), t) − q x(t) · A(x(t), t) an. Diese Wechselwirkungsenergie geht wie eine potentielle Energie in die klassische Lagrange-Funktion ein, die deshalb durch L = L0 − W gegeben ist, wobei L0 =

M 2 x˙ − V (x) 2

die Lagrange-Funktion der (nichtrelativistischen) Punktladung bei Abwesenheit des außeren elektromagnetischen Feldes ist. Die Lagrange-Funktion der Punktmasse im ¨ außeren elektromagnetischen Feld hat deshalb (bei Abwesenheit sonstiger ¨außerer Po¨ tentiale) die Form

˙ t) = L(x, x,

M 2 x˙ + q x˙ · A(x, t) − qΦ(x, t) , 2

(23.6)

wobei x = x(t) die Teilchenkoordinate bezeichnet. Unter der Eichtransformation (23.3) a ¨ndert sich diese Lagrange-Funktion ˙ L(x) → L(x) + q x∇Λ(x, t) + q = L(x) + q

∂ Λ(x, t) ∂t

d Λ(x(t), t) dt

(23.7)

nur um eine totale zeitliche Ableitung, die keinen Einfluss auf die klassische Bewegungsgleichung hat. Die zugeh¨ orige klassische Wirkung S[x](b, y) =

Ztb

˙ t) dtL(x, x,

(23.8)

ta

a ¨ndert sich unter der Eichtransformation (23.3) um eine Konstante S[x](b, a) → S[x](b, a) + q (Λ(x(tb ), ta ) − Λ (x(ta ), ta ) ,

(23.9)

490

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

die wegen den u ¨blichen Randbedingungen (festgehaltene R¨ander der Trajektorie x(ta ) = xa = const., x(tb ) = xb = const.) nicht zur Variation beitr¨agt. Die Lagrange-Funktion (23.6) liefert den kanonischen Impuls

p=

∂L = M x˙ + qA . ∂ x˙

(23.10)

Bei Anwesenheit eines Magnetfeldes f¨ allt damit der kanonische Impuls nicht mit dem kinetischen Impuls M x˙ zusammen. F¨ ur die Euler-Lagrange Gleichung d ∂L ∂L − =0 dt ∂ x˙ ∂x erhalten wir mit d ∂L ¨ + q[∂t A + (x˙ · ∇)A] , = Mx dt ∂ x˙ ∂L = ∇L = q x˙ k ∇Ak − q∇Φ ∂x und den Definitionen (23.1) und (23.2) des B- und E-Feldes die bekannte Bewegungsgleichung einer nichtrelativistischen Punktladung im elektromagnetischen Feld ¨ = q [E(x(t), t) + x(t) ˙ M x(t) × B(x(t), t)] ,

(23.11)

wobei der Ausdruck auf der rechten Seite als Lorentz-Kraft bezeichnet wird. F¨ ur die klassische Hamilton-Funktion ˙ t) H(p, x, t) = p · x˙ − L(x, x, erhalten wir bei Anwesenheit des a ¨ußeren elektromagnetischen Feldes   M 2 ˙ − qΦ H(p, x, t) = (M x˙ + qA) · x˙ − x˙ + q xA 2 =

M 2 x˙ + qΦ 2

=

(p − qA(x, t))2 + qΦ(x, t) 2M

(23.12)

Die Hamilton-Funktion ist auch hier durch die Summe von kinetischer und potentieller Energie gegeben; sie besitzt jedoch nicht die Standardform, da der kinetische Impuls M x˙ nicht mit dem kanonischen Impuls p zusammenf¨allt. Diese Tatsache wird sich auch in dem quantenmechanischen Ausdruck der kinetischen Energie niederschlagen, wie wir im Folgenden sehen werden.

23.2 Quantenmechanische Ladungen im ¨ außeren elektromagnetischen Feld

491

Man beachte, dass das Vektorpotential nicht in die potentielle Energie, sondern in die kinetische Energie eingeht. Damit gehen elektrisches und magnetisches Feld in die Hamilton-Funktion in unsymmetrischer Form ein, obwohl wir wissen, dass durch Lorentz-Transformation elektrische und magnetische Felder ineinander u uhrt wer¨berf¨ den k¨onnen. Die unsymmetrische Behandlung von elektrischem und magnetischem Feld in der Hamilton-Funktion (23.12) ist offenbar eine Konsequenz der nicht-relativistischen Beschreibung der Teilchendynamik, die wir hier benutzen.

23.2

Quantenmechanische Ladungen im ¨außeren elektromagnetischen Feld

In der Quantenmechanik m¨ ussen die Ladungen genau wie die ungeladenen Teilchen durch Wellenfunktionen beschrieben werden, die wegen des der Quantenmechanik zugrundeliegenden Superpositionsprinzips linearen Evolutionsgleichungen gen¨ ugen m¨ ussen. F¨ ur ungeladene Teilchen war die Evolutionsgleichung durch die zeitabh¨angige Schr¨odinger-Gleichung gegeben. Wir erwarten, dass diese auch f¨ ur elektrische Ladungen g¨ ultig bleibt. Ferner erwarten wir aufgrund der Analogie zwischen der Hamilton’schen (kanonischen) Formulierung der klassischen Mechanik und der Quantenmechanik, dass der Hamilton-Operator einer Ladung im elektromagnetischen Feld aus der klassischen Hamilton-Funktion (23.12) hervorgeht, wenn wir den klassischen kanonischen Impuls durch den quantenmechanischen Impulsoperator p = ~i ∇ ersetzen, d.h. wir erwarten, dass der Hamilton-Operator durch H=

(p − qA)2 + qΦ 2M

gegeben ist. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht eindeutig, da p und A nicht kommutieren. Verschiedene quantenmechanische Hamilton-Operatoren, die sich durch die Reihenfolge der p und A unterscheiden, z.B. ?

(p − qA)2 = p2 − q(p · A + A · p) + q 2 A2 , ?

= p2 − 2qp · A + q 2 A2 ,

(23.13)

?

= p2 − 2qA · p + q 2 A2 [0.3em] f¨ uhren auf dieselbe klassische Hamilton-Funktion.4 Um die korrekte Form des HamiltonOperators einer Ladung im elektromagnetischen Feld zu erhalten, erinnern wir uns zun¨achst an die Ableitung der Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur ungeladene Teilchen. In Kapitel 4 hatten wir durch Analyse des Doppelspaltexperimentes und dessen suk¨ zessiver Verfeinerung gefunden, dass die quantenmechanische Ubergangsamplitude i S[x] von allen m¨oglichen Trajektorien K (xb , tb ; xa , ta ) durch Summation der Phasen e ~ 4 Eine Ausnahme bildet die Coulomb-Eichung ∇ · A = 0, in der offenbar p · A = A · p und somit s¨ amtliche rechten Seiten von Gl. (23.13) u ¨bereinstimmen.

492

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

x(t), welche den Randbedingungen x(ta ) = xa , x(tb ) = xb gen¨ ugen, erhalten wird. Diese Summation f¨ uhrt auf das Pfadintegral

K(xb , tb ; xa , ta ) ≡ K(b, a) =

x(tZ b )=xb

i

Dx(t) e ~ S[x](b,a) .

(23.14)

x(ta )=xa

Die durch das Pfadintegral erzeugte und durch das Experiment suggerierte Summation i u ¨ber alle interferierenden Alternativen mit dem Gewicht e ~ S[x] war unser fundamentales Grundpostulat der Quantenmechanik, aus der sich die gesamte Quantentheorie ableiten ließ. Mit diesem Grundpostulat folgen die quantenmechanischen Grundgesetze allein aus Kenntnis der klassischen Wirkung. Insbesondere hatten wir in Kapitel 8 ¨ aus der Pfadintegraldarstellung der Ubergangsamplitude die Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur ein spinloses Teilchen (Punktmasse) abgeleitet und dabei den zugeh¨origen HamiltonOperator gefunden, der den quantenmechanischen Operator der Energieobservablen repr¨asentiert. Wir wollen jetzt ein elektrisch geladenes Teilchen mit der Ladung q in einem elektromagnetischen Feld betrachten und f¨ ur dieses in bew¨ahrter Manier aus der ¨ Pfadintegraldarstellung der quantenmechanischen Ubergangsamplitude die zugeh¨orige Evolutionsgleichung f¨ ur die Wellenfunktion ableiten. Aufgrund des Superpositionsprinzips, d.h. der unabh¨ angigen Summation u ¨ber alle alternativen Wege, erwarten wir wieder eine lineare Evolutionsgleichung vom Typ der zeitabh¨angigen Schr¨odinger-Gleichung i~

∂ ψ(x, t) = H(x, t)ψ(x, t) ∂t

Die Frage ist nur, wie der zugeh¨ orige Hamilton-Operator bei Anwesenheit eines ¨außeren elektromagnetischen Feldes aussieht, insbesondere welche der Operatorordnungen (23.13) im Hamilton-Operator realisiert ist. Die in Abschnitt 8.1 durchgef¨ uhrte Ableitung der Schr¨odinger-Gleichung k¨onnen wir ¨ unmittelbar wiederholen f¨ ur die Ubergangsamplitude einer Ladung in einem ¨außeren elektromagnetischen Feld, welche durch die Gln. (23.6), (23.8), (23.14) definiert ist. Die M¨oglichkeit verschiedener Operatorordnungen (23.13) spiegelt sich dabei in einer Subtilit¨at der zeitdiskretisierten Pfandintegraldefinitionen wider: Je nachdem, wie wir das Wirkungsintegral bei der Diskretisierung der Zeit tb − ta = N ǫ als Riemann-Summe darstellen

S(b, a) =

Ztb

˙ dtL(x(t), x(t), tk ) = lim ǫ ǫ→0

ta

X k

L (x∗k , x˙ ∗k , tk )

(23.15)

tk = ta + kǫ

(23.16)

mit x∗k ∈ [xk−1 , xk ] ,

xk = x(tk ),

23.2 Quantenmechanische Ladungen

493

¨ erhalten wir unterschiedliche Darstellungen der Ubergangsamplitude f¨ ur infinitesimal benachbarte Zeiten (siehe Gl. (4.23)) K(k, k − 1) = A(ε) exp [iεL (x∗k , x∗k , tk )] , k ≡ (xk , tk )

(23.17)

und hieraus unterschiedliche Operatorordnungen (23.13) im Hamilton-Operator. Ursache f¨ ur das Auftreten dieser Subtibilit¨ at ist der geschwindigkeitsabh¨angie Potentialterm (der zweite Term auf der rechten Seite von Gl. (23.6)) Z X ˙ dtx(t)A(x(t), t) = (xk − xk−1 )A(x∗k , tk ) . (23.18) k

F¨ ur diesen Term liefern Riemann-Obersumme (x∗k = xk ) und Untersumme (x∗k = xk−1 ) f¨ ur die dominant beitragende Pfade Unterschiede von der Ordnung 1, wovon man sich leicht u ¨berzeugt: Schreiben wir xk im Argument von A als xk − xk−1 + xk−1 und entwickeln bis zu Terme linear in xk − xk−1 X X ∆= (xk − xk−1 ) · A (xk , tk ) − (xk − xk−1 ) A (xk−1 , tk ) k

=

X k

k

(xk − xk−1 )i (xk − xk−1 )j ∇j Ai (xk−1 , tk ) .

(23.19)

Beachten wir, dass f¨ ur die dominanten Wege im Pfadintegral (siehe Kap. 8 und Abschnitt 23.5) (xk − xk−1 )i (xk − xk−1 )j ∼ εδij , so erhalten wir f¨ ur diese Wege Z X ∇ · A (xk−1 , tk ) = dt∇ · A = O(1) . ∆=ε

(23.20)

(23.21)

k

Die Unbestimmtheit in der Wahl der Riemann-Summe bei der Zeitdiskretisierung verschwindet, wenn man fordert, dass auch die zeitdiskretisierte Amplitude das korrekte Verhalten unter Eichtransformationen (23.3) besitzt, welches nach Gln. (23.9) und (23.14) durch K(a, b) → eiqΛ(xb ,tb ) K(b, a)e−iqΛ(xa ,ta )

(23.22)

gegeben ist. Dies verlangt f¨ ur die Wirkung (23.6), (23.8), wie eine sorgf¨altige Analyse zeigt, die sogenannte Mittelpunktsvorschrift, bei der wir die Koordinate x∗k (23.16) in die Mitte ihres Definitionsbereiches [xk−1 , xk ] legen5 x∗k =

1 (xk + xk−1 ) . 2

(23.23)

5 W¨ ahlt man eine andere Form der Lagrange-Funktion, die sich von (23.6) durch eine totale zeitliche Ableitung unterscheidet, so sind andere Diskretisierungsvorschriften als (23.23) erforderlich, um das korrekte Verhalten der zeitdiskretisierten Amplitude unter Eichtransformationen zu gew¨ ahrleisten. In jedem Fall legt die Forderung nach dem korrekten Verhalten der zeitdiskretisierten Amplitude unter Eichtransformation die Diskretisierungsvorschrift fest und f¨ uhrt stets auf dasselbe Ergebnis (23.26).

494

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Dies liefert S(k, k − 1) = S (xk , tk ; xk−1 , tk−1 )

m 2 = (xk − xk−1 ) + q (xk − xk−1 ) · A 2ε



xk + xk−1 , tk 2



− qφ



wobei in f¨ uhrender Ordnung   1 xk + xk−1 , tk = (A(xk , tk ) + A(xk−1 , tk−1 )) A 2 2

xk + xk−1 , tk 2 (23.24)



,

(23.25)

gesetzt werden kann. Die expliziten Rechnungen sind in Abschnitt 23.5 durchgef¨ uhrt. Wir finden dann wieder die zeitabh¨ angige Schr¨odinger-Gleichung mit dem HamiltonOperator

H=

(p − qA(x, t))2 + V (x, t) + qΦ(x, t) , 2M

(23.26)

der formal dieselbe Gestalt wie die klassische Hamilton-Funktion (23.12) besitzt. In (23.26) ist jedoch p der Impulsoperator. Damit erweist sich der erste Ausdruck in (23.13) als die korrekte quantenmechanische Operatorordnung. Vergleich mit dem Ausdruck f¨ ur den klassischen kanonischen Impuls bei Anwesenheit eines Magnetfeldes, Gl. (23.10), zeigt, dass die Gr¨oße (p − qA) gerade das quantenmechanische Analogon des kinetischen Impulses mx˙ ist. Mit dieser Interpretation ist auch bei Anwesenheit eines Magnetfeldes die kinetische Energie durch das Quadrat des kinetischen Impulses gegeben. Das Vektorpotential erscheint nur, wenn wir den kinetischen Impuls durch den kanonischen Impuls ausdr¨ ucken, der in der Quantenmechanik durch die Ableitung nach dem Ort realisiert ist, p = ~i ∇. Bei Anwesenheit eines Magnetfeldes fallen also auch in der Quantentheorie kinetischer und kanonischer Impuls nicht mehr zusammen.

Bemerkung: Wir betrachten hier das elektromagnetische Feld als ein von außen angelegtes makroskopisches klassisches Feld, das eine Funktion des Ortes und der Zeit ist, jedoch selbst nicht quantisiert ist. Streng genommen ist im Mikrokosmos das elektromagnetische Feld ebenfalls quantisiert. Dies ist jedoch Gegenstand der Quantenfeldtheorie, die u ¨ber den Rahmen dieses Buches hinausgeht. ¨ Um die quantenmechanische Ubergangsamplitude eines geladenen Teilchens in einem elektromagnetischen Quantenfeld zu erhalten, m¨ ussen wir lediglich in

23.2 Quantenmechanische Ladungen

495

den Exponenten des Pfadintegrals auch die Wirkung des elektromagnetischen Feldes einschließen, die durch die klassische Lagrange-Funktion Z 1 d3 x (E 2 (x, t) − B 2 (x, t)) Lem = 2 definiert ist und zus¨ atzlich u ¨ber alle unabh¨angigen Feldkonfigurationen des ¨ elektromagnetischen Feldes summieren, in Ubereinstimmung mit unserem Grundpostulat der Quantenmechanik, der Summation u ¨ber alle (interferierenden) Alternativen.

Da in den Hamilton-Operator nicht die elektromagnetischen Felder, sondern die Potentiale selbst eingehen, bleibt dieser unter der oben betrachteten Eichtransformation (23.3) nicht invariant, sondern transformiert sich wie: (p − qA′ )2 + V + qΦ′ 2M ∂Λ (p − qA − q∇Λ)2 + V + qΦ − q . = 2M ∂t

H → H′ =

Man u osung der zugeh¨origen Schr¨odinger-Gleichung ¨berzeugt sich jedoch leicht, dass die L¨ i~

∂ ′ ψ (x, t) = H ′ (x, t)ψ ′ (x, t) ∂t

mit der urspr¨ unglichen Wellenfunktion ψ(x, t) u ¨ber  q  ψ ′ (x, t) = exp i Λ(x, t) ψ(x, t) ~

zusammenh¨angt. Damit erh¨ alt die Wellenfunktion unter Eichtransformationen nur eine zus¨atzliche (orts- und zeitabh¨ angige) Phase, die jedoch keine Auswirkungen auf die Erwartungswerte physikalischer Observablen hat. Erwartungswerte von physikalischen Observablen m¨ ussen eichinvariant sein. So ist z.B. der kanonische Impuls p = ~i ∇ bei Anwesenheit eines elektromagnetischen Feldes i.A. keine physikalische Observable, da hψ ′ |p|ψ ′ i = hψ|p|ψi + q∇Λ. Der kinetische Impuls M x˙ hingegen, der bei Anwesenheit eines Magnetfeldes durch (p − qA) gegeben ist, ist zwar selbst nicht eichinvariant, sein Erwartungswert mit der obigen Transformation der Wellenfunktion ist jedoch eichinvariant. Die Eichabh¨ angigkeit der Wellenfunktion hat damit i.A. keine physikalische Bedeutung. Eine Ausnahme bilden magnetische Felder in topologisch nicht einfach zusammenh¨angenden6 R¨aumen, bei denen nicht nur das Magnetfeld selbst, sondern auch das Vektorpotential reale Bedeutung erlangt. Ein Beispiel hierf¨ ur ist der sogenannte Bohm-AharonovEffekt, den wir sp¨ ater noch behandeln werden (siehe Band 2). 6 Ein Raum ist einfach zusammenh¨ angend, wenn man jeden geschlossenen Weg in diesem Raum auf einen Punkt zusammenziehen kann.

496

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Die Eichfreiheit l¨ asst sich vorteilhaft ausnutzen, um den Hamilton-Operator in eine m¨oglichst einfache Gestalt zu bringen. Das Quadrat des kinetischen Impulses lautet explizit: (p − qA)2 = p2 − q(p · A + A · p) + q 2 A2

= p2 − q(2A · p + [p, A]) + q 2 A2 ,

wobei [p, A] =

~ (∇ · A) . i

Diesen Term k¨onnen wir zum Verschwinden bringen, wenn wir die Coulomb-Eichung ∇·A= 0 benutzen. In dieser Eichung nimmt der Hamilton-Operator dann die Gestalt p2 q q2 2 − A·p+ A + qΦ + V 2M M 2M q2 2 q A·p+ A , = H0 − M 2M

H=

(23.27)

an, wobei H0 der Hamilton-Operator bei Abwesenheit des magnetischen Feldes ist. (H0 enth¨alt jedoch die Wechselwirkung der Ladung mit dem elektrischen Feld, qΦ(x, t), die durch ein gew¨ohnliches Potential gegeben ist.) F¨ ur statische Probleme ist die CoulombEichung i.A. sehr vorteilhaft. Sie liefert automatisch den eichinvarianten (transversalen) Teil des Vektorpotentials A und wird deshalb auch als physikalische Eichung bezeichnet Zur physikalischen Interpretation der beiden Vektorpotentialterme (23.27) betrachten wir zun¨achst einen wichtigen Spezialfall: ein homogenes Magnetfeld.

23.3

Ladung im homogenen Magnetfeld

F¨ ur ein r¨aumlich konstantes (homogenes) Magnetfeld B = const l¨asst sich das Vektorpotential in Coulomb-Eichung in der symmetrischen Form A=

1 B×x 2

(23.28)

w¨ahlen. In der Tat zeigt man leicht, dass die Divergenz dieses Potentials verschwindet: ∇·A=

1 1 ∇ · (B × x) = − B · (∇ × x) = 0 . | {z } 2 2 =0

23.3 Ladung im homogenen Magnetfeld

497

Bilden wir die Rotation von A (23.28), so wird der konstante Vektor B reproduziert: 1 1 ∇ × (B × x) = [B(∇ · x) − (B · ∇) · x] 2 2 1 = (3B − B) = B . 2

∇×A=

Mit der obigen Form des Vektorpotentials haben wir: A·p=

1 1 1 (B × x) · p = B · (x × p) = B · L , 2 2 2

wobei die Definition des Drehimpulses L = x × p benutzt wurde. F¨ ur das Quadrat des Vektorpotentials finden wir: A2 =

 1 2 2 1 B x − (B · x)2 . (B × x)2 = 4 4

Zerlegen wir den Ortsvektor in eine Projektion entlang des konstanten Magnetfeldes und einen dazu senkrecht stehenden Anteil, ˆ + x⊥ , x = xk B

ˆ= B , B |B|

so nimmt der Hamilton-Operator (23.27) einer Ladung im konstanten Magnetfeld B schließlich die Gestalt

H = H0 −

q q2 B 2 2 B·L+ x 2M 8M ⊥

(23.29)

an. Der Term proportional zu B ·L versucht, den Drehimpuls L des geladenen Teilchens (f¨ ur q > 0) parallel zum Magnetfeld B auszurichten. Falls die Elektronen (q = −e < 0) der Atome einen von Null verschiedenen Drehimpuls L 6= 0 besitzen, richten sie deshalb ihren Drehimpuls antiparallel und damit ihr magnetisches Moment7 µl = 7 F¨ ur

q L 2M

den inneren“ Drehimpuls (Spin) S der Elektronen betr¨ agt das magnetische Moment ” q S, (23.30) µs = g 2m

wobei der zus¨ atzliche Land´ e-Faktor g ≃ 2 aus der relativistischen Behandlung des Elektrons resultiert und sich zwangsl¨ aufig aus der nicht-relativistischen Reduktion der Dirac-Gleichung ergibt, siehe Band 2. Wir hatten bereits in Kapitel 15 eine geometrische Erkl¨ arung f¨ ur den zus¨ atzlichen Faktor g = 2 im magnetischen Moment eines Spins gegen¨ uber dem des Bahndrehimpulses gegeben.

498

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

parallel zu B aus. Diese Ausrichtung der magnetischen Momente in einem ¨außeren Magnetfeld ist die Ursache f¨ ur den Paramagnetismus. Der letzte Term in (23.29) stellt in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld ein zweidimensionales, rotationssymmetrisches, harmonisches Oszillatorpotential dar. Dieser Term bewirkt, dass das geladene Teilchen geschlossene, d.h. periodische Bewegungen in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld B ausf¨ uhrt. Dabei wird das Teilchen i.A. einen von Null verschiedenen Drehimpuls L erhalten, der parallel zum Magnetfeld gerichtet ist. Damit induziert dieser Term einen Drehimpuls und damit ein magnetisches Moment, das im Falle der Elektronen wegen q < 0 antiparallel zum ¨außeren Magnetfeld gerichtet ist.8 Diese induzierten magnetischen Momente sind die Ursache f¨ ur den Diamagnetismus. Falls die Elektronen eines Atoms einen von Null verschiedenen Drehimpuls besitzen und damit Paramagnetismus aufweisen, ist dieser stets wesentlich gr¨oßer als der immer induzierte Diagmagnetismus, wie eine einfache Absch¨atzung zeigt. Dazu betrachten wir ein Elektron der Ladung q = −e. Der Drehimpuls ist von der Ordnung ~, wir setzen deshalb: hB · Li ≃ B~ . Die r¨aumliche Ausdehnung der Teilchentrajektorie in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld k¨onnen wir durch den Bohr’schen Atomradius a absch¨atzen: hx2⊥ i ≃ a2 . Dann finden wir f¨ ur das Verh¨ altnis der Erwartungswerte der beiden Terme f¨ ur Elektronen (q = −e, M = me ): 2

q |h 8M B 2 x2⊥ i| ≃ q B · Li| |h− 2M

e2 2 2 8me B a e 2me B~

=

eB 2 B a ≃ 1, 1 · 10−6 , 4~ T

wobei das Magnetfeld in Tesla angegeben ist. Im Labor lassen sich etwa Magnetfelder bis zu einer St¨arke von 10 T erreichen. F¨ ur solche Felder spielt offenbar der A2 -Term keine Rolle gegen¨ uber dem Term proportional zum magnetischen Moment. An der Oberfl¨ache von Neutronensternen, wo die Magnetfelder die Gr¨oßenordnung B ≃ 108 T erreichen k¨onnen, kann jedoch der A2 -Term wichtig werden . Schließlich vergleichen wir noch die St¨ arke des paramagnetischen Terms f¨ ur q = −e, M = me mit der Coulomb-Energie in einem Atom. Aus der qualitativen Behandlung des Wasserstoff-Atoms (siehe Abschnitt 19.2) wissen wir, dass wir diese gen¨ahert durch 

e2 4πr





e2 4πa

8 Nach dem allgemeinen Prinzip von Le Chatelier, was sich hier in der Lenz’schen Regel manifestiert, ist das damit verbundene induzierte Magnetfeld Bind dem von außen angelegten B-Feld entgegengerichtet. Da (in Dipoln¨ aherung) Bind ∼ µind , ist das induzierte magnetische Moment µind antiparallel zu B.

23.3 Ladung im homogenen Magnetfeld

499

ausdr¨ ucken k¨onnen. F¨ ur das Verh¨ altnis von magnetischer zu elektrischer Energie finden wir deshalb e h 2m B · Li 4πa~ B e ≃ B ≃ 2 · 10−6 . e2 2me e T h 4πr i

¨ F¨ ur im Labor erreichbare Magnetfelder ist die Anderung der Energieniveaus der Elektronen im Atom damit klein. Dennoch werden die Atomspektren durch ein ¨außeres Magnetfeld qualitativ sehr wesentlich ver¨ andert, wie wir im n¨achsten Abschnitt sehen werden.

23.3.1

Der Zeeman-Effekt

¨ Im Folgenden wollen wir die Anderung der Energieniveaus der Atome in einem schwachen ¨außeren Magnetfeld B untersuchen. Der Einfachheit halber beschr¨anken wir uns auf das Wasserstoff-Atom. Aufgrund der obigen Absch¨atzung k¨onnen wir f¨ ur schwache B-Felder den B 2 -Term im Hamilton-Operator (23.29) vernachl¨assigen, e H = H0 + B·L , 2me wobei H0 der Hamilton-Operator der Elektronen im ungest¨orten Atom, d.h. im CoulombPotential ist. Der Einfachheit halber legen wir das konstante Magnetfeld in Richtung der z-Achse: B = Bez . Die Eigenwerte und Eigenfunktionen des ungest¨orten Hamilton-Operators H0 sind die des Wasserstoff-Problems, die wir in analytischer Form kennen (siehe Abschnitt 19.3). Diese Eigenfunktionen sind gleichzeitig auch Eigenfunktionen zur z-Komponente des Drehimpulses. Deshalb ist der gesamte Hamilton-Operator H in dieser Basis diagonal:   R eB H|nlmi = − 2 + ~m |nlmi ≡ Enm |nlmi . n 2me Die Energieeigenwerte sind deshalb durch Enm = −

R + ~ωL m n2

gegeben, wobei ωL =

eB 2me

(23.31)

die Larmor-Frequenz ist, die mit dem Bohr’schen Magneton µB wie folgt verkn¨ upft ist9 : ~ωL = 9 Gew¨ ohnlich

e~ B = µB B 2me

,

µB =

e~ . 2me

wird der Land´ e-Faktor g ≃ 2 mit in die Larmor-Frequenz einbezogen: eB ωL = g . 2me Da wir hier keine Spins betrachten, werden wir die Definition (23.31) benutzen, die f¨ ur einen reinen Bahndrehimpuls (f¨ ur welches g = 1) sinnvoll ist.

500

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld 2 1 0

l=2

−1 −2 1 0

l=1

−1 0

l=0 B=0

B 6= 0

Abb. 23.1: Aufhebung der Drehimpulsentartung durch ein ¨ außeres konstantes Magnetfeld B, dessen Richtung als Quantisierungsachse gew¨ ahlt wurde.

Die Gr¨oße ~ωL gibt die Energieeinheit an, um die das Elektronenniveau im ¨außeren Magnetfeld pro Einheit der Drehimpulsprojektion verschoben wird. Ein a¨ußeres Magnetfeld hebt also die (2l + 1)-fache Entartung eines Drehimpulseigenzustandes auf. Ein Zustand mit Drehimpuls l wird in (2l + 1) ¨aquidistante Niveaus aufgespaltet (Abb. 23.1). Die Aufspaltung der Atomniveaus im Magnetfeld wird als Zeeman-Effekt bezeichnet. Wird diese Niveauaufspaltung allein durch den (in Einheiten von ~) ganzzahligen Bahndrehimpuls hervorgerufen, d.h. die Niveaus spalten sich in eine ungerade Zahl von (2l+1) Niveaus auf, so spricht man vom normalen Zeeman-Effekt. Die tats¨achlichen Verh¨altnisse in einem Atom sind jedoch i.A. sehr viel komplizierter aufgrund des inneren Drehimpulses S, dem Spin, der Elektronen. Dies gilt insbesondere f¨ ur das Wasserstoff-Atom. Der halbzahlige Spin der Elektronen s = 1/2 koppelt mit dem ganzzahligen Bahndrehimpuls l zu einem halbzahligen Gesamtdrehimpuls j: J = L + S , J2 :

~2 j(j + 1) , j =

1 3 5 , , ,... . 2 2 2

Im Magnetfeld spalten dann die Elektronenniveaus mit halbzahligem Gesamtspin in die gerade Anzahl von (2j + 1) Niveaus auf. Dies wird als anomaler Zeeman-Effekt bezeichnet. Der anomale Zeeman-Effekt war einer der ersten Hinweise auf die Existenz des Elektronenspins. Ein weiterer experimenteller Hinweis auf die Existenz des Elektronenspins war das Stern-Gerlach-Experiment, das erstmals im Jahre 1921 von Otto Stern und Walter Gerlach durchgef¨ uhrt wurde, die 1943 daf¨ ur mit dem Nobelpreis geehrt wurden. In diesem Experiment wird ein aus Silber- oder Kupferatomen bestehender Atomstrahl durch ein inhomogenes Magnetfeld geschickt, das senkrecht zur Strahlrichtung gerichtet ist. Dabei

23.4 Die Landau-Niveaus

501 B

Abb. 23.2: Klassische Trajektorie einer Punktladung in einem homogenen Magnetfeld B.

wird der Strahl in zwei Teilstrahlen aufgespalten. Die Atome in den beiden Teilstrahlen unterscheiden sich in ihrer Energie gerade um 2~ωL . Entsprechend dem Zeeman-Effekt deutet die zweifache Aufspaltung auf einen “Drehimpuls” l = 12 hin, dessen magnetisches Moment aber l = 1 entspricht, also doppelt so groß ist, wie f¨ ur einen “normalen” Drehimpuls von l = 21 , was, wie wir wissen, durch den Land´e-Faktor g ≃ 2 f¨ ur Spins 21 verursacht wird.

23.4

Die Landau-Niveaus

Im Folgenden wollen wir die Bewegung geladener Teilchen wie z.B. Elektronen in einem homogenen Magnetfeld B = const etwas genauer behandeln. Wir werden dabei nicht voraussetzen, dass das Magnetfeld schwach ist. Dieses Problem ist von großem praktischem Interesse f¨ ur die Atom- und Festk¨ orperphysik. Aus der klassischen Physik wissen wir, dass auf eine bewegte Ladung q in einem Magnetfeld B die Lorentz-Kraft (siehe Gl. (23.11) mit E = 0) F = q(v × B)

(23.32)

wirkt. Diese Kraft steht senkrecht sowohl auf der Geschwindigkeit v der Ladung als auch auf dem Magnetfeld. Sie beeinflusst deshalb die Bewegung parallel zum Magnetfeld nicht. Deshalb ist der lineare Impuls in dieser Richtung erhalten: p · B = const. In der Ebene senkrecht zum Magnetfeld hat diese Kraft die Form einer Coriolis-Kraft10, die das Teilchen auf eine Kreisbahn zwingt. F¨ ur p · B = 0 erfolgt deshalb die klassische Bewegung auf kreisf¨ ormigen Bahnen in einer Ebene senkrecht zum Magnetfeld. F¨ ur p · B 6= 0 f¨ uhren die Ladungen hingegen eine Schraubenbewegung“ aus (Abb. 23.2). ” 10 Die Lorentz-Kraft (23.32) hat exakt die Form einer Coriolis-Kraft F C = 2M (v × ω), wobei das Magnetfeld B die Rolle der Winkelgeschwindigkeit ω u b q =2M b . ¨bernimmt, ω =B,

502

23.4.1

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Eichinvariante Diagonalisierung des Hamiltonians

Wie wir in Abschnitt 23.2 gezeigt haben, werden die Ladungen in einem Magnetfeld durch den Hamilton-Operator (23.26) H=

(p − qA)2 π2 = 2M 2M

(23.33)

beschrieben, wobei π = p − qA den kinetischen Impuls bezeichnet. Die Komponenten des kinetischen Impulses erf¨ ullen die Kommutationsbeziehung [πi , πj ] = [pi − qAi , pj − qAj] = −q([pi , Aj ] + [Ai , pj ]) = i~q(∇i Aj − ∇j Ai ) . Multiplizieren wir diese Gleichung mit dem vollst¨andig antisymmetrischen Tensor dritter Stufe ǫkij (16.4), so erhalten wir: ǫkij [πi , πj ] = i~q2ǫkij ∇i Aj = 2i~q(∇ × A)k = 2i~qBk , wobei wir die Definition des Magnetfeldes B als Rotation des Vektorpotentials A benutzt haben. Nochmalige Multiplikation mit ǫkmn und Summation u ¨ber den Index k liefert mit ǫkmn ǫkij = δmi δnj − δmj δni und ǫkmn = ǫmnk schließlich die Beziehung [πm , πn ] = i~qǫmnk Bk . F¨ ur ein konstantes Magnetfeld ist der Kommutator eine Zahl (multipliziert mit dem Einheitsoperator) – also ein kommutierendes Objekt, gew¨ohnlich als c-Zahl bezeichnet. Legen wir wieder das Magnetfeld entlang der z-Achse B = Bez ,

B = const ,

so ist der einzige nicht-verschwindende Kommutator durch [πx , πy ] = i~qB gegeben, w¨ahrend [πx , πz ] = ˆ 0 = [πy , πz ] .

(23.34)

Den gesamten Hamilton-Operator spalten wir deshalb zweckm¨aßigerweise auf in die kinetische Energie entlang der z-Achse und einen Hamilton-Operator H⊥ , der die Bewegung in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld beschreibt: H = H⊥ + H k ,

23.4 Die Landau-Niveaus

503

wobei H⊥ =

1 (π 2 + πy2 ) 2M x

,

Hk =

πz2 2M

und wegen (23.34) [H⊥ , Hk ] = ˆ 0 gilt. Aufgrund der letzten Beziehung lassen sich H⊥ und Hk gleichzeitig diagonalisieren (d.h. besitzen gemeinsame Eigenfunktionen), und wir k¨onnen die Eigenwerte von H⊥ und Hk getrennt bestimmen. Der Hamilton-Operator H⊥ ist durch die Summe zweier quadratischer Operatoren gegeben, deren Kommutator eine c-Zahl, d.h. kein Operator mehr ist. Er hat deshalb die Form eines eindimensionalen harmonischen Oszillators, H=

p2 1 + M ω 2 x2 2M 2

,

[x, p] = i~ ,

wobei πx dem Impuls p und πy der Koordinate x entspricht: πx ↔ x

,

πy ↔ p .

Wie der Hamilton-Operator des eindimensionalen harmonischen Oszillators ist deshalb H⊥ analytisch diagonalisierbar. Dazu f¨ uhren wir den Vernichtungsoperator 1 (πx + iπy ) a= √ 2~qB ein. Den Vorfaktor haben wir bereits so gew¨ ahlt, dass a mit dem zugeh¨origen Erzeugungsoperator a† die Vertauschungsrelation [a, a† ] = ˆ 1 erf¨ ullt. Ausgedr¨ uckt durch die Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren nimmt H⊥ die bereits vom harmonischen Oszillator her bekannte Form (13.43)   1 H⊥ = ~ωc a† a + 2 an, wobei ωc =

qB M

(23.35)

die sogenannte Zyklotronfrequenz ist. (F¨ ur q = e und M = me gilt ωc = 2ωL , siehe Gl. (23.31).) Dementsprechend sind die Eigenwerte von H⊥ durch   1 En⊥ = ~ωc n + (23.36) 2

504

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

gegeben, wobei n = 0, 1, 2, . . . die Eigenwerte des Besetzungszahloperators n ˆ = a† a sind. Die zugeh¨origen quantisierten Zust¨ ande des geladenen Teilchens werden als LandauNiveaus bezeichnet. Wir betonen, dass wir oben die Eigenenergien (23.36) der LandauNiveaus gefunden haben, ohne die Eichung zu fixieren. Insbesondere haben wir nicht die Coulomb-Eichbedingung benutzt. Wir k¨ onnen deshalb jede alternative zweckm¨aßige Eichung w¨ahlen. Die Energieeigenwerte als physikalisch messbare Gr¨oßen sind nat¨ urlich eichinvariant. Die En⊥ (23.36) sind die Energieeigenwerte des eindimensionalen harmonischen Oszillators, obwohl H⊥ die Bewegung der Ladung in der (zweidimensionalen) Ebene senkrecht zum B-Feld beschreibt. Deshalb m¨ ussen die Eigenwerte En⊥ bez¨ uglich der zweiten Dimension und damit unendlichfach entartet sein. Die Entartung der En⊥ tritt explizit zutage, wenn man die Eigenfunktionen von H⊥ bestimmt (Dies kann analog zum eindimensionalen harmonischen Oszillator erfolgen, siehe Abschnitt 13.8.). Dabei stellt man fest, dass jedes Landau-Niveau bez¨ uglich eines frei w¨ahlbaren linearen Impulses in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld entartet ist, vorausgesetzt die Bewegung in dieser Ebene ist nicht durch andere ¨ außere Potentiale oder Randbedingungen eingeschr¨ankt (siehe die Bemerkung am Ende dieses Kapitels). Wir werden die Entartung der En⊥ explizit im n¨ achsten Abschnitt zutage f¨ordern.

23.4.2

Diagonalisierung des Hamiltonians in der Coulomb-Eichung

Um die Wellenfunktion explizit zu bestimmen, m¨ ussen wir eine konkrete Eichung w¨ahlen, da die Wellenfunktionen im Gegensatz zu den Energieeigenwerten eichabh¨angig sind. Wir w¨ahlen wieder die Coulomb-Eichung ∇ · A = 0. Nach Gl. (23.28) verschwindet f¨ ur ein konstantes, entlang der z-Achse gerichtetes B-Feld das Eichpotential in z-Richtung, Az = 0. Mit der (vektoriellen) Larmor-Frequenz ωL =

qB 2M

nimmt der Hamilton-Operator (23.29) der Ladung im konstanten Magnetfeld B dann die Gestalt H=

1 p2 − ω L · L + M ω2L x2⊥ = Hk + H⊥ 2M 2

an. Er zerf¨allt in einen Term, der die freie Bewegung parallel zum Magnetfeld, Hk =

p2k

2M

,

ˆ B ˆ, pk = (p · B)

ˆ= B , B |B|

und einen Teil, der die Bewegung in einer Ebene senkrecht zum Magnetfeld beschreibt:

H⊥ =

p2⊥ 1 − ω L · L + M ω2L x2⊥ , 2M 2

(23.37)

23.4 Die Landau-Niveaus

505

wobei p⊥ = p − pk . Die freie Bewegung entlang des Magnetfeldes l¨asst sich wieder mittels des Separationsansatzes ϕ(xk , x⊥ ) = eikk ·xk φ(x⊥ ) ,

kk =

pk ~

von der Bewegung in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld entkoppeln. Wir k¨onnen uns deshalb im Folgenden auf diese Bewegung beschr¨anken und betrachten daher die transversale Schr¨odinger-Gleichung H⊥ (x⊥ )φ(x⊥ ) = E⊥ φ(x⊥ ) . Bevor wir das volle Problem l¨ osen, betrachten wir zun¨achst zwei Grenzf¨alle:

1) Schwaches Magnetfeld: In diesem Fall k¨ onnen wir den Term quadratisch in ω L vernachl¨assigen und der verbleibende Hamilton-Operator H⊥ =

p2⊥ − ωL · L 2M

(23.38)

beschreibt die freie Bewegung in einem um die Achse des B-Feldes rotierenden Systems. Der Term ω L · L repr¨ asentiert die Coriolis-Wechselwirkung im rotierenden Bezugssystem. Wegen [p2⊥ , ω L · L] = 0 k¨ onnen wir die Wellenfunktionen der freien Bewegung in der Ebene senkrecht zum B-Feld als Eigenfunktionen vom Drehimpuls ω L · L parallel zum B-Feld (ω L ∼ B) w¨ahlen. Diese Funktionen sind dann gleichzeitig Eigenfunktionen von H⊥ . Sie wurden bereits in Abschnitt 17.3 gefunden. In Zylinderkoordinaten (ρ, ϕ, z) mit der z-Achse parallel zu B lauten die Eigenfunktionen von H⊥ (23.38): φkm (x⊥ ) = Jm (kρ)eimϕ ,

ρ = |x⊥ | ,

x⊥ = (ρ, ϕ) ,

(23.39)

wobei Jm (kρ) die gew¨ ohnlichen Bessel-Funktionen bezeichnet, welche die zweidimensionalen Radialfunktionen des freien Teilchens in zwei Dimensionen repr¨asentieren, siehe Gl. (17.9). Die zugeh¨origen Energieeigenwerte von H⊥ lauten: ⊥ Ekm =

(~k)2 − ~ωL m , 2M

ωL = |ω L | .

Hierin ist k die Wellenzahl der konzentrischen (axialsymmetrischen) Welle und m bezeichnet die Projektion des Drehimpulses parallel zum Magnetfeld.

506

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

2) Starkes Magnetfeld: In diesem Fall kann der Term linear in B ∼ ω L vernachl¨assigt werden und wir erhalten den Hamilton-Operator des zweidimensionalen rotationssymmetrischen harmonischen Oszillators, H⊥ =

1 p2⊥ + M ω2L x2⊥ , 2M 2

dessen Energieeigenwerte und Eigenfunktionen bekannt sind (siehe Abschnitt 17.4).

F¨ ur die vollst¨andige L¨ osung des Problems empfiehlt es sich wieder, das Magnetfeld parallel zur z-Achse zu legen. Der Hamilton-Operator(23.37) nimmt dann die Gestalt H ⊥ = H0 − ω L L z ,

(23.40)

an, wobei H0 =

1 1 2 (p2 + p2y ) + M ωL (x2 + y 2 ) 2M x 2

(23.41)

der Hamilton-Operator des zweidimensionalen rotationssymmetrischen harmonischen Oszillators ist. Dieser wurde bereits in Abschnitt 17.4 behandelt. Durch algebraische Diagonalisierung von H0 hatten wir folgendes Spektrum (17.53) gefunden: E0 (n+ , n− ) = ~ωL (n+ + n− + 1) , wobei n± = 0, 1, 2, . . . die Besetzungszahlen der rechts- und linkszirkular polarisierten Schwingungsquanten sind. Die zugeh¨ origen Eigenzust¨ande von H0 besitzen den Drehimpuls ~m parallel zum B-Feld mit m = n+ − n− .

(23.42)

Die Energieeigenwerte von H⊥ (23.40) sind deshalb durch E⊥ = ~ωL (n+ + n− + 1) − ~ωL (n+ − n− ) = ~ωL (2n− + 1)   1 = 2~ωL n− + 2

(23.43)

gegeben. Sie sind unabh¨ angig von der Besetzungszahl n+ und sind damit in der Quantenzahl n+ entartet. Mit 2ωL = ωc ist E⊥ (23.43) exakt der im vorherigen Abschnitt auf eichinvariante Weise gefundene Ausdruck (23.36). Die obige Ableitung in CoulombEichung hat den Entartungsgrad dieser Energierniveaus explizit zutage gebracht. Wie aus (23.42) ersichtlich, geh¨ oren f¨ ur festes n− die Zust¨ande mit verschiedenen n+ zu verschiedenen Werten des Drehimpulses parallel zum Magnetfeld. Die Eigenzust¨ande zu

23.4 Die Landau-Niveaus

507

fester Oszillatorquantenzahl n− und damit mit fester Energie k¨onnen jeden beliebigen Wert der Drehimpulskomponente Lz annehmen und sind damit unendlichfach entartet. Die explizite L¨osung der Schr¨ odinger-Gleichung zu H0 in Zylinderkoordinaten (siehe Abschnitt 17.4) liefert die Wellenfunktion ϕn,m (ρ, ϕ) = eimϕ

χn,|m| (ρ) , √ ρ

(23.44)

wobei die Radialwellenfunktion χn,|m| (ρ) durch Gln. (17.57) und (17.86) definiert ist. Hierbei ist n = 0, 1, 2, . . . die Anzahl der Knoten der Radialwellenfunktion und ~m der Eigenwert von Lz . Da ϕn,m (ρ, ϕ) Eigenfunktion von H0 und Lz ist, ist sie gleichzeitig Eigenfunktion von H⊥ (23.40). Die Quantenzahlen n und m sind mit den zirkular polarisierten Oszillatorquantenzahlen n± = 0, 1, 2, . . . u ¨ber die Beziehung (17.88) n+ + n− = 2n + |m|

(23.45)

verkn¨ upft. Mit (23.42) finden wir deshalb f¨ ur die Energieeigenwerte (23.43) der Ladung im homogenen Magnetfeld parallel zur z-Achse den alternativen Ausdruck E⊥ = ~ωL (2n + |m| − m + 1) .

(23.46)

F¨ ur m > 0 ist dieser Ausdruck unabh¨ angig von m und die Entartung der Energie bez¨ uglich des Drehimpulses ist manifest:   1 , m>0. (23.47) E⊥ = 2~ωL n + 2 F¨ ur m < 0 lauten die Eigenenergien (23.46)   1 E⊥ = 2~ωL n + |m| + , m < 0. 2

(23.48)

Der Drehimpuls tr¨ agt jetzt zur Energie bei. Dennoch besitzen die Zust¨ande m > 0 und m < 0 denselben Entartungsgrad; beide sind in der Quantenzahl n+ entartet. Durch das ¨außere Magnetfeld wird die rechts-links-zirkulare Symmetrie des Oszillators (23.41) gebrochen. F¨ ur ein konstantes Magnetfeld, das in die negative z-Richtung zeigt, besitzt der zweite Term in H⊥ (23.40) das entgegengesetzte Vorzeichen, H⊥ = H0 + ω L L z , und die zugeh¨origen Energieeigenwerte E⊥ = ~ωL (2n + |m| + m + 1) = ~ωL (2n+ + 1)

508

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

sind unabh¨angig von n− . Im Vergleich zu (23.42) (wo das B-Feld in positiver z-Richtung zeigt) ist die Rolle von n+ und n− vertauscht. Der Entartungsgrad des Landau-Niveaus ist nat¨ urlich in beiden F¨ allen der gleiche und unabh¨angig von der Richtung des BFeldes. Die Tatsache, dass die Energieeigenzust¨ ande (23.46) f¨ ur m > 0 unabh¨angig vom Wert des Drehimpulses Lz sind, l¨ asst sich anschaulich wie folgt erkl¨aren. Den HamiltonOperator (23.40), der die Bewegung senkrecht zum Magnetfeld beschreibt, k¨onnen wir interpretieren als den Hamilton-Operator eines zweidimensionalen rotationssymmetrischen harmonischen Oszillators in einem rotierenden Bezugssystem. Wie in Band 2 explizit gezeigt wird, tritt im (mit der Frequenz Ω) rotierenden Bezugssystem ein zus¨atzlicher Tr¨agheitsterm ∆H = −Ω · L auf, der das quantenmechanische Analogon der klassischen Coriolis-Kraft ist. Der Term −ω L · L in (23.40) repr¨ asentiert also die im rotierenden Bezugssystem auftretenden Coriolis-Wechselwirkung. Das Besondere im vorliegenden Fall ist, dass die Oszillatorfrequenz mit der Drehfrequenz u ¨bereinstimmt. Die Bewegung eines zweidimensionalen rotationssymmetrischen Oszillators mit Frequenz ω L l¨asst sich zerlegen in eine Kreisbewegung mit der Drehfrequenz ω L und eine Schwingung in radialer Richtung (siehe (23.45)). In einem mit derselben Frequenz ωL rotierenden Bezugssystem f¨ uhrt der Oszillator nur noch die radialen Schwingungen aus, w¨ahrend seine (im Laborsystem auftretende) Kreisbewegung nicht mehr beobachtbar ist. Der im rotierenden Bezugssystem auftretende Coriolis-Term −ωL · L kompensiert gerade den Rotationsanteil des Oszillators (siehe Gl. (23.46)) und es u ¨berlebt nur der radiale Schwingungsanteil, siehe Gl. (23.47).

Bemerkung: 1) F¨ ur ein konstantes Magnetfeld bestimmt die Coulomb-Eichung das Vektorpotential jedoch noch nicht eindeutig. Im vorliegenden Fall nimmt die Wellenfunktion eine besonders einfache Form an, wenn wir statt des oben benutzten Vektorpotentials11 (23.28) A=

1 1 (xey − yex ) = ρeϕ 2 2

(23.49)

die asymmetrische Form A = Bxey

(23.50)

benutzen. Man u ¨berzeugt sich leicht, dass auch dieses Potential der CoulombEichung gen¨ ugt und ein konstantes Magnetfeld entlang der z-Achse liefert. In dieser Eichung h¨ angt der zugeh¨ orige Hamilton-Operator H=

p2x (py − qBx)2 p2 + + z 2M 2M 2M

23.4 Die Landau-Niveaus

509

nicht von den Koordinaten y und z ab. Deshalb sind die linearen Impulse entlang dieser beiden Richtungen erhalten12 und f¨ ur die Wellenfunktion k¨onnen wir den Separationsansatz ϕ(x, y, z) = ei(ky y+kz z) χ(x) machen. F¨ ur die Bewegung in x-Richtung erh¨alt man dann einen harmonischen Oszillator:  2   2 ! px ~ky p2x (~ky − qBx)2 M 2 χ(x) = χ(x) + + ω x− 2M 2M 2M 2 c qB = E⊥ χ(x) ,

E⊥ = E −

(~kz )2 2M

mit Frequenz ωc (23.35), dessen Nullpunkt (Potentialminimum) bei der Koordinate x0 =

py ~ky = qB qB

(23.51)

liegt und damit von dem linearen Impuls in y-Richtung abh¨angt. Die L¨osung dieses verschobenen linearen harmonischen Oszillators f¨ uhrt wieder auf die n bereits oben gefundenen Energieeigenwerte E⊥ und die zugeh¨origen Wellenfunktionen χn (x) sind durch bei der Koordinate x0 (23.51) lokalisierte Oszillatorfunktionen gegeben: χn (x) = hx − x0 |ni . Mit wachsendem py sind diese Zust¨ ande bei gr¨oßerem x lokalisiert. Abschließend sei betont, dass die Energieeigenwerte nicht von einem der beiden linearen Impulse in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld abh¨angen (bei der oben gew¨ ahlten Eichung (23.50) ist dies py ). Das obige Beispiel zeigt auch, dass die explizite Form der Wellenfunktion sehr wohl von der gew¨ahlten Eichung abh¨angt, jedoch die zugeh¨ origen Energieeigenwerte unabh¨angig von der Wahl der Eichung sind.

11 Wir

benutzen hier die u ¨blichen Zylinderkoordinaten (ρ, ϕ, z) der klassischen Mechanik ist nur der Impuls parallel zum B-Feld erhalten. Die zus¨ atzliche Erhaltung von py ist hier eine Folge der speziellen Eichung. Man beachte jedoch, dass py der kanonische Impuls und nicht der kinetische Impuls my˙ ist. Letzterer ist in der Quantenmechanik (f¨ ur B 6= 0) ebenfalls nicht erhalten. 12 In

510

23.5

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Ableitung des Hamilton-Operators einer Punktladung

Um die Form des Hamilton-Operators bei Anwesenheit eines elektromagnetischen Feldes zu finden, wiederholen wir die in Kap. 8 gegebene Ableitung der Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur die Lagrange-Funktion (23.6). Diese Lagrange-Funktion besitzt die Standardform der Lagrange-Funktion einer Punktmasse im Potential ˙ ˙ t) = qA0 (x, t) − q x˙ A(x, V (x, x, t) .

(23.52)

Zu beachten ist hier allerdings, dass das Potential u ¨ber die ¨außeren elektromagnetischen Potentiale explizit zeitabh¨ angig sein kann und dar¨ uber hinaus von der Geschwindigkeit abh¨angt. Wir gehen von dem 3-dimensionalen Analogon von Gl. (8.2) aus " h m i3/2 Z i 3 ′ ψ(x, t + ε) = d x exp 2π~iε ~

m 2



x − x′ ε

2

− εV



x + x′ ,t 2

!#

ψ(x′ , t) , (23.53)

wobei wir die expliziten (3-dimensionalen) Ausdr¨ ucke f¨ ur K (8.3) und A (8.4) eingesetzt haben und die sogenannte Mittelpunkt-Form der Diskretisierung des Riemann-Integrals der Wirkung     Zt+ε x + x′ x(t + ε) + x(t) ′ ′ = εL dt L(x(t )) = εL 2 2

(23.54)

t

gew¨ahlt haben, siehe die Erl¨ auterungen nach Gl. (23.26). Beachten wir, dass nach der Substitution x′ = x + η

(23.55)

die Geschwindigkeit durch (ε → 0) ˙ x(t) =

x(t + ε) − x(t) x − x′ η = =− ε ε ε

gegeben ist, so erhalten wir aus Gl. (23.53)

(23.56)

23.5 Ableitung des Hamilton-Operator einer Punktladung

511

  h m i 32 Z h m i iqε  η  3 2 ψ(x, t + ε) = d η exp − η exp − A0 x + , t 2π~iε 2~iε ~ 2

   η  iq exp − η ·A x + , t ψ(x + η, t) , ~ 2 (23.57)

Wegen 3  2π~iε 2 m 2i η = d η exp − ∼ O(ε3/2 ) 2~iε m Z i  2π~iε  23 i~ε h m 2 3 η = δij ∼ O(ε5/2 ) d ηηi ηj exp − 2~iε m m Z

3

h

(23.58) (23.59)

√ sind die ηi wie im eindimensionalen Fall von der Ordnung ε. Da wir eine Differentialgleichung 1. Ordnung in der Zeit suchen, m¨ ussen wir deshalb bis zur Ordnung O(η 2 ) entwickeln. F¨ ur die Wellenfunktion liefert das 1 ψ(x + η, t) = ψ(x, t) + ηi ∂i ψ(x, t) + ηi ηj ∂i ∂j ψ(x, t) + · · · . 2

(23.60)

Der Term mit dem tempor¨ aren Vektorpotential A0 ist ein gew¨ohnliches geschwindigkeitsunabh¨angiges Potential. Der entsprechende Exponent in Gl. (23.57) ist bereits von der Ordnung ε und wir k¨ onnen die Fluktuation ηi im Argument von A0 (x, t) vernachl¨assigen. Der Exponent √ mit dem Vektorpotential A ist wegen der Anwesenheit von ηi in f¨ uhrender Ordnung ε und wir m¨ ussen deshalb auch das Vektorpotential selbst nach Potenzen von ηi entwickeln. Bis einschließlich Terme der Ordnung η 2 erhalten wir    η  iq exp − ηi Ai x + , t ~ 2   η i2 η  iq q2 h = 1 − ηi Ai x + , t − 2 ηi Ai x + , t + ... ~  2 2~ 2 1 q2 iq 2 = 1 − ηi Ai (x, t) + ηj ∂j Ai (x, t) + · · · − 2 [ηi Ai (x, t) + . . . ] + · · · ~ 2 2~ iq iq q2 = 1 − ηi Ai (x, t) − ηi ηj ∂j Ai (x, t) − 2 ηi ηj Ai (x, t)Aj (x, t) + · · · . ~ 2~ 2~ (23.61)

512

23 Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Einsetzen von Gl. (23.60) und (23.61) in Gl. (23.57) liefert ψ(x, t + ε) = ψ(x, t) + ε∂t ψ(x, t) + · · · h m i 23 Z ih i h m qε = η 2 1 + A0 (x, t) + · · · d3 η exp − 2π~iε 2iε~ i~    iq q2 1 × 1 − ηi Ai (x, t) − ηi ηj iq∂j Ai (x, t) + Ai (x, t)Aj (x, t) ~ 2~ ~   1 × ψ(x, t) + ηi ∂i ψ(x, t) + ηi ηj ∂i ∂j ψ(x, t) + · · · 2 ( =0 h m i 23 Z h m i i h z }| { qε 3 2 = d η exp − η 1 + A0 (x, t) ψ(x, t) + O(η) + 2π~iε 2iε~ i~   h q2 1 1 iq∂j Ai (x, t) + Ai (x, t)Aj (x, t) + ∂i ∂j − + ηi ηj − 2~ ~ 2 ) i iq 3 − Ai (x, t)∂j ψ(x, t) + O(η ) . ~ Ber¨ ucksichtigen wir, dass wegen Z i h m η2 = 0 d3 η ηk exp − 2πiε

(23.62)

(23.63)

die Terme linear in η verschwinden und benutzen (23.58) und (23.59), so erhalten wir ψ(x, t) + ε∂t ψ(x, t) + · · · = ψ(x, t) + ε

"

  q2 iq∂i Ai (x, t) + A2 (x, t) + ~ # i q 2 + 2m∇ + A(x, t) · ∇ ψ(x, t) + · · · . ~ m

qA0 i~ − i~ 2m~

(23.64)

Diese Gleichung ist trivialerweise f¨ ur die Terme der Ordnung ε0 = 1 erf¨ ullt. Die Terme der Ordnung ε liefern die Beziehung i~∂t ψ(x, t)    q2 2 ~ ~2 2 ~q iq(∇ · A) + A (x, t) ψ(x, t) . ∇ − A(x, t) · ∇ + = qA0 (x, t) − 2m im 2m ~ (23.65) Beachten wir schließlich 2A · ∇ + (∇ · A) = A · ∇ + ∇ · A ,

(23.66)

23.5 Ableitung des Hamilton-Operator einer Punktladung so erhalten wir die zeitabh¨ angige Schr¨ odinger-Gleichung in der Form " #  2 1 ~ i~∂t ψ(x, t) = ∇ − qA(x, t) + qA0 (x, t) ψ(x, t) , 2m i

513

(23.67)

aus welcher wir den Hamilton-Operator der Punktladung im ¨außeren elektromagnetischen Feld H=

1 2 (p − qA(x, t)) + qA0 (x, t) 2m

(23.68)

ablesen. Es ist wichtig zu betonen, dass die hier erhaltene Form des Hamilton-Operators, d.h. die relative Anordnung von Laplace-Operator ∇ und Vektorpotential A, eine Folge der gew¨ahlten Diskretisierung f¨ ur den geschwindigkeitsabh¨angigen Potentialterm     x + x′ x(t + ε) + x(t) ,t = V ,t (23.69) V 2 2 des Riemann-Integrals der Wirkung (23.54) ist. Wie in Abschnitt 23.2 diskutiert, gew¨ahrleistet diese Mittelpunktsvorschrift, dass die zeitdiskretisierte Amplitude das korrekte Verhalten unter Eichtransformationen besitzt und daher zu bevorzugen ist. Andere Diskretisierungsformen, wie z.B. V (x) oder V (x′ ), f¨ uhren auf Hamilton-Operatoren, in denen die Impulsoperatoren p relativ zum Vektorpotential A in anderer Reihenfolge angeordnet sind.

A

Die Dirac’sche δ-Funktion

A.1

Definition

Die Dirac’sche δ-Funktion δ(x) einer reellen Variable x ist eine sogenannte verallge” meinerte Funktion“ (Distribution), die u ¨berall außer bei x = 0 verschwindet, wo sie singul¨ar ist: δ(x) =



0 , x 6= 0 . ∞ , x=0

Sie ist definiert u ¨ber folgende Beziehung: Z∞

dx f (x)δ(x) = f (0) .

(A.1)

−∞

Hierbei ist f (x) eine bei x = 0 stetige Funktion, die in diesem Zusammenhang als Testfunktion bezeichnet wird.1 F¨ ur f (x) = 1 ergibt sich aus (A.1): Z∞

dx δ(x) = 1 .

−∞

Diese Beziehung zeigt, dass die δ-Funktion δ(x) die Dimension von x−1 besitzt. Da die δ-Funktion nur bei x = 0 von Null verschieden ist, kann der Integrationsbereich in den obigen Integralen auf ein kleines endliches Intervall der Umgebung des Nullpunktes [−a, a] beschr¨ankt werden: Za

dx f (x)δ(x) = f (0) .

−a

Ersetzen wir in (A.1) die Funktion f (x) durch die Funktion F (x) = f (x + x′ ) und verschieben die Integrationsvariable, so erhalten wir die Beziehung

1 Im Folgenden werden wir stets stillschweigend voraussetzen, dass die Testfunktion f (x) entsprechende Eigenschaften besitzen, so dass die auftretenden Integrale existieren. Dies schließt oftmals neben Stetigkeit auch Differenzierbarkeit sowie gen¨ ugend schnelles Verschwinden f¨ ur |x| → ∞ ein.

516

A Die Dirac’sche δ-Funktion

Z∞

−∞

dx f (x)δ(x − x′ ) = f (x′ ) .

(A.2)

Die letzte Beziehung zeigt, dass die δ-Funktion δ(x − x′ ) das Analogon des KroneckerSymbols δx,x′ f¨ ur kontinuierliche Variablen x ist. Das diskrete Analogon von (A.2) lautet: X fx δx,x′ = fx′ . (A.3) x

In der Quantenmechanik, wo man oft durch Variablenwechsel von diskreten zu kontinuierlichen Variablen u ur dis¨bergeht, ist es zweckm¨aßig, eine einheitliche Notation f¨ krete und kontinuierliche Variablen zu benutzen. Wir werden deshalb vereinbaren, dass δ(x, x′ ) f¨ ur eine diskrete Variable x das Kronecker-Symbol δx,x′ und f¨ ur eine kontinuierliche Variable die δ-Funktion δ(x − x′ ) bezeichnet:  δx,x′ , x diskret δ(x, x′ ) := δ(x − x′ ) , x kontinuierlich . Ferner vereinbaren wir, dass das bereits fr¨ uher in Gl. (11.55) eingef¨ uhrte Symbol Z X x

P ur eine kontinuierliche Variable f¨ ur eine diskreteR Variable x die Summation x und f¨ die Integration dx repr¨ asentiert. Die beiden Gleichungen (A.2) und (A.3) lassen sich dann zusammenfassen zu: Z X f (x)δ(x, x′ ) = f (x′ ) . x

Die δ-Funktion δ(x) l¨ asst sich als Limes von regul¨aren Funktionen δε (x) realisieren: δ(x) = lim δε (x) . ε→0

(A.4)

Dieser Limes ist jedoch nicht punktweise sondern im Sinne der Distributionen zu verstehen, d.h.  ∞  Z dxf (x)δε (x − x′ ) = f (x′ ) (A.5) lim  ε→0

−∞

f¨ ur jede Testfunktion f (x). Explizite Darstellung dieser regul¨aren Funktionen sind die Lorentz-Kurve

A.2 Eigenschaften

517

1 ε , π x2 + ε2

δε (x) =

(A.6)

die Gauss-Kurve   1 x2 1 exp − 2 , δε (x) = √ 2ε 2πε

(A.7)

das Quadrat der sph¨ arischen Bessel-Funktion nullter Ordnung 2

(A.8)

1/ε , |x| < ε/2 0 , |x| > 2ε

(A.9)

1 δε (x) = πε



sin(x/ε) x/ε

oder die Rechteckfunktion δε (x) =

A.2



Eigenschaften

Ersetzen wir in der Definitionsgleichung (A.1) die Funktion f (x) durch das Produkt zweier Funktionen g(x)f (x), so erhalten wir: Z∞

dx g(x)f (x)δ(x) = g(0)f (0) = g(0)

−∞

Hieraus lesen wir die Beziehung

g(x)δ(x) = g(0)δ(x)

ab. F¨ ur g(x) = x ergibt sich:

xδ(x) = 0 .

Z∞

−∞

dx f (x)δ(x) .

518

A Die Dirac’sche δ-Funktion

Wir betrachten das Integral (a 6= 0) Z∞

−∞

1 dx f (x)δ(ax) = a

=

Za∞

−a∞

1 |a|

Z∞

y

1 δ(y) = dy f a |a| dy f

−∞

y a

δ(y) =

|a|∞ Z

−|a|∞

dy f

y a

δ(y)

1 f (0) . |a|

(A.10)

Hierbei haben wir eine Umskalierung der Integrationsvariable vorgenommen und die Definition der δ-Funktion (A.1) benutzt. Vergleich mit (A.1) liefert die Beziehung δ(ax) =

1 δ(x) . |a|

(A.11)

Setzen wir in (A.11) a = −1, so zeigt sich, dass δ(x) eine gerade Funktion ist: δ(−x) = δ(x) ,

was auch aus den expliziten Darstellungen (A.6) – (A.9) ersichtlich ist. Betrachten wir die δ-Funktion einer stetigen Funktion g(x). Wir setzen voraus, dass g(x) nur einfache Nullstellen besitzt: g(xk ) = 0

,

g ′ (xk ) 6= 0 .

Zum Integral I=

Z∞

dx f (x)δ(g(x))

(A.12)

−∞

tragen offenbar nur infinitesimal kleine Intervalle in der Umgebung der Nullstellen xk von g(x) bei. In diesen Intervallen k¨ onnen wir die Funktion g(x) in eine Taylor-Reihe um die Nullstelle entwickeln und die Entwicklung nach der ersten Ordnung abbrechen, g(x) = g ′ (xk )(x − xk ) + . . . ,

x ∈ [xk − ε, xk + ε] ,

und erhalten f¨ ur das Integral (A.12): xk +ε X Z I= dx f (x)δ(g ′ (xk )(x − xk )) . k x −ε k

A.2 Eigenschaften

519

Unter Verwendung von (A.11) ergibt sich: I=

X k

1 f (xk ) . |g ′ (xk )|

Vergleich mit (A.12) liefert folglich die Beziehung

δ(g(x)) =

X k

1 |g ′ (xk )|

δ(x − xk ) .

(A.13)

Ein h¨aufig auftretender Spezialfall von Gl. (A.13) ist: δ(x2 − a2 ) = δ((x − a)(x + a)) =

1 [δ(x − a) + δ(x + a)] . 2|a|

(A.14)

Die Fourier-Zerlegung einer Funktion f (x) ist durch Z∞

f (x) =

dk ikx ˜ e f (k) 2π

(A.15)

−∞

definiert, wobei ihre Fourier-Transformierte f˜(k) durch Z∞

f˜(k) =



dx′ e−ikx f (x′ )

(A.16)

−∞

gegeben ist. Setzen wir (A.16) in (A.15) ein, so erhalten wir die Beziehung f (x) =

Z∞





dx f (x )

−∞

Z∞

dk ik(x−x′ ) e . 2π

−∞

Vergleich mit Gl. (A.2) liefert die Fourier-Darstellung der δ-Funktion:



δ(x − x ) =

Z∞

−∞

dk ik(x−x′ ) e . 2π

(A.17)

520

A Die Dirac’sche δ-Funktion

Diese Darstellung ergibt sich auch unmittelbar durch Fourier-Zerlegung der regul¨aren Funktion δε (x) (A.7), δε (x) =

Z∞

−∞

 2  ε dk ikx e exp − k 2 , 2π 2

und anschließender Bildung des Grenzwertes ε → 0. Der Konvergenz erzeugende Faktor 2 2 e−ε k /2 unterdr¨ uckt bzw. d¨ ampft“ die Oszillation mit großer Wellenzahl k und wird ” deshalb oft als D¨ampfungsglied bezeichnet. (Man beachte in diesem Zusammenhang die Bemerkung nach Gl. (A.4)). Zerlegen wir in (A.17) den Integrand in Real- und Imagin¨arteil, so erhalten wir wegen Z∞

−∞

dk sin(kx) := lim L→∞ 2π

ZL

dk sin(kx) = 0 2π

−L

die Darstellung δ(x) =

Z∞

−∞

dk cos(kx) := lim L→∞ 2π

ZL

dk cos(kx) , 2π

−L

die explizit zeigt, dass δ(x) eine gerade Funktion ist. Die Fourier-Darstellung ist analog zur Zerlegung nach einem vollst¨andigen Satz von orthonormierten Funktionen: , hk|k ′ i = δ(k, k ′ ) , Z Z X X f (x) = hx|f i = hx|kihk|f i = ϕk (x)fk , ϕk (x) = hx|ki

k

(A.18)

k

wobei die Entwicklungskoeffizienten fk mit der urspr¨ unglichen Funktionen u ¨ber die inverse Transformation fk = hk|f i =

Z∞

−∞

dx hk|xihx|f i =

Z∞

dx ϕ∗k (x)f (x)

(A.19)

−∞

zusammenh¨angen. Einsetzen von (A.19) in (A.2) und Vergleich mit (A.2) liefert die Spektraldarstellung der δ−Funktion: Z Z X X ′ δ(x − x ) = hx|kihk|x i = ϕk (x)ϕk (x′ ) . ′

k

k

A.3 Ableitung, Stammfunktion und Hauptwert

521

Unter Benutzung der Spektraldarstellung des Einheitsoperators Z X ˆ1 = |kihk| k

erhalten wir hieraus: δ(x − x′ ) ≡ δ(x, x′ ) = hx|ˆ 1|x′ i = hx|x′ i . Die δ-Funktion kann somit als Matrixelement des Einheitsoperators betrachtet werden, was wieder die Analogie zum Kronecker-Symbol zeigt.

A.3

Ableitung, Stammfunktion und Hauptwert

F¨ ur die Ableitung der δ-Funktion δ ′ (x) erhalten wir nach partieller Integration Z∞

Z∞ ix=∞ dx f (x)δ (x − x0 ) = f (x)δ(x − x0 ) − dx f ′ (x)δ(x − x0 ) h



−∞

x=−∞

= −f ′ (x0 ) .

−∞

Der Randterm verschwindet hier, da die δ-Funktion an den Integrationsgrenzen verschwindet. F¨ ur die n-te Ableitung der δ-Funktion δ (n) (x) zeigt man durch n-malige partielle Integration: Z∞

−∞

dx f (x)δ (n) (x − x0 ) = (−1)n f (n) (x0 ) .

Die Stammfunktion der δ-Funktion

Θ(x) =

Zx

dy δ(y)

−∞

verschwindet offenbar f¨ ur x < 0 und ist wegen lim



ε→0 −ε

dx δ(x) = 1

gleich 1 f¨ ur x > 0. Sie ist damit durch die Heavyside-Funktion

(A.20)

522

A Die Dirac’sche δ-Funktion

Θ(x) :=



1 , x>0 0 , x 0 k¨onnen wir den Integrationsweg in der oberen komplexen k-Halbebene schließen, Z∞

−∞

dk ≡

Z

dk

−→

I

dk ,

da in diesem Fall der Z¨ ahler in (A.21) exponentiell ged¨ampft ist und somit der Integrand auf dem Halbkreis mit Radius |k| → ∞ verschwindet. Der Pol bei k = iε wird dann vom Integrationsweg

eingeschlossen und der Residuensatz liefert: I dk eikx Θ(x > 0) = lim ε→0 2πi k − iε  = lim eikx k=iε = lim e−εx = 1 . ε→0

ε→0

A.3 Ableitung, Stammfunktion und Hauptwert

523

F¨ ur x < 0 k¨onnen wir den Integrationsweg in der unteren Halbebene schließen: Z∞

I

−→

dk

−∞

dk .

Der Pol bei k = iε wird jetzt nicht vom Integrationsweg eingeschlossen und der Residuensatz liefert: Θ(x < 0) = 0 . Damit ist die Fourier-Darstellung (A.21) bewiesen. Wir betrachten eine Funktion f (x), die u ¨ber einem Intervall (a, b) definiert ist und außer im Punkte x = c ∈ (a, b) stetig ist, f¨ ur x → c jedoch nicht beschr¨ankt bleibt. Falls die Integrale c−ε Z dx f (x)

,

a

Zb

dx f (x)

c+ε

f¨ ur ε → 0 nicht einzeln existieren, ihre Summe aber gegen einen endlichen Grenzwert strebt, so bezeichnet man diesen als den Hauptwert des Integrals, der durch ein großes P gekennzeichnet wird:

P

Zb a

dx f (x) ≡

Zb a

  c−ε Z Zb dx f (x) + dx f (x) . dx Pf (x) := lim  ε→0

a

c+ε

Wir betrachten nun eine Funktion der Gestalt f (x) = g(x)/x, wobei g(x) im gesamten Integrationsgebiet eine stetige Funktion sein soll. Der Hauptwert bezieht sich dann nur auf die singul¨are Funktion 1/x. Da lim



ε→0 −ε

dx g(x)

x = g(0) lim ε→0 x2 + ε2



−ε

dx

 1 d ln x2 + ε2 = 0 , 2 dx

(A.22)

k¨ onnen wir den Hauptwert von 1/x durch P

x 1 = lim x ε→0 x2 + ε2

definieren. Partialbruchzerlegung des Ausdruckes auf der rechten Seite liefert die alternative Darstellung   1 1 1 1 P = lim . + x ε→0 2 x + iε x − iε

524

A Die Dirac’sche δ-Funktion

Wegen 1 ε x ∓i 2 = 2 x ± iε x + ε2 x + ε2 und unter Benutzung der Definition der δ-Funktion als Grenzwert von (A.6) finden wir hieraus die Beziehung

lim

ε→0

1 1 = P ∓ iπδ(x) . x ± iε x

(A.23)

Wie aus Gl. (A.22) ersichtlich, gilt f¨ ur beliebig reelles a: P

Za

−a

A.4

dx ≡ x

Za

dx P

−a

1 =0. x

Mehrdimensionale δ-Funktion

Die δ-Funktion von Vektoren in mehrdimensionalen R¨aumen ist durch das Produkt der δ-Funktionen in den einzelnen kartesischen Koordinaten definiert. F¨ ur die δ-Funktion von Vektoren x = (x1 , x2 , x3 ) im gew¨ ohnlichen dreidimensionalen Ortsraum haben wir: δ(x − x′ ) =

3 Y

i=1

δ(xi − x′i ) .

Durch Koordinatentransformation des Ausdruckes auf der rechten Seite und unter Ber¨ ucksichtigung der oben angegebenen Eigenschaften der eindimensionalen δ-Funktion l¨asst sich die dreidimensionale δ-Funktion auch in anderen Koordinaten angeben. In Kugelkoordinaten x = (r, ϑ, ϕ) findet man: δ(x − x′ ) =

δ(r − r′ ) δ(cos ϑ − cos ϑ′ )δ(ϕ − ϕ′ ) , r2

wobei nach Gl. (A.13) δ(cos ϑ − cos ϑ′ ) = gilt.

1 δ(ϑ − ϑ′ ) | sin ϑ|

B

Gauß-Integrale

Unter Gauß-Integralen versteht man allgemein Integrale, bei denen der Integrand durch eine Exponentialfunktion gegeben ist und die Integrationsvariable h¨ochstens quadratisch im Exponenten auftritt. Gauß-Integrale mit ungeraden Potenzen (n-ganzzahlig, n ≥ 0) Z∞

1 n! 2 λn+1

2

dxx2n+1 e−λx =

(B.1)

0

lassen sich durch Variablensubstitution x2 → x auf die elementaren Integrale Z∞

dxxn e−λx =

n!

(B.2)

λn+1

0

zur¨ uckf¨ uhren.1 Dieser Trick f¨ uhrt jedoch nicht zum Erfolg bei Integralen von GaußFunktionen multipliziert mit geraden Potenzen der Integrationsvariable. Der Prototyp eines solchen Gauß-Integrals ist I=

Z∞

a

2

dx e− 2 x .

(B.3)

−∞

Da das Integral offenbar positiv ist, verlieren wir keine Informationen, wenn wir das Quadrat dieses Integrals betrachten

2

I =

=

Z∞

−∞ Z∞

−∞

dx e

dx

2 −a 2x

Z∞

−∞

Z∞

a

dy e− 2 y

−∞

dy e− 2 (x a

2

+y 2 )

2

Z

a

dx dy e− 2 (x

2

+y 2 )

.

(B.4)

R

2

1 Die Integrale mit n > 0 lassen sich durch n-malige Differentiation nach λ aus dem Integral mit n = 0 gewinnen.

526

B Gauß-Integrale

Dieser Ausdruck l¨ asst sich sehr leicht durch Einf¨ uhrung von Polarkoordinaten x = r cos ϕ

,

y = r sin ϕ

(B.5)

berechnen. Beachten wir, dass x2 + y 2 = r2 und dass das Fl¨achenelement in Polarkoordinaten durch dxdy = rdrdϕ

(B.6)

gegeben ist, so erhalten wir aus (B.4) 2

I =

Z∞

drr

Z2π

a

2

dϕ e− 2 r .

(B.7)

0

0

Das Integral u ¨ber den Winkel ϕ ist trivial, da der Integrand von diesem nicht abh¨angt und liefert den Faktor 2π. Das verbleibende Integral u ¨ber den Radius r l¨asst sich durch die Substitution z = 21 r2 elementar berechnen I 2 = 2π

Z∞

dz e−az =

2π . a

(B.8)

0

Nehmen wir aus dieser Gleichung die positive Wurzel, so erhalten wir die Beziehung Z∞

−∞

dx a 2 1 √ e− 2 x = √ . a 2π

(B.9)

Gauß-Integrale, bei denen im Exponenten die Integrationsvariable auch linear auftritt Z∞

−∞

dx a 2 √ e− 2 x +bx , 2π

lassen sich durch quadratische Erg¨ anzung im Exponenten  2 b b2 a a 2 x− − x − bx = 2 2 a 2a

(B.10)

(B.11)

und anschließender Verschiebung der Integrationsvariable x−

b = x′ → x a

auf das urspr¨ ungliche Gauß-Integral (B.9) zur¨ uckf¨ uhren und man erh¨alt

(B.12)

B Gauß-Integrale

527

Z∞

−∞

a 2 dx 1 b2 √ e− 2 x +bx = √ e 2a . a 2π

(B.13)

Durch Differentiation dieser Beziehung nach b lassen sich die Ausdr¨ ucke f¨ ur die Integrale u ¨ber Gauß-Funktionen multipliziert mit beliebigen ganzzahligen positiven Potenzen gewinnen. Differentiation von (B.13) nach b liefert Z∞

−∞

dx b a 2 b2 √ x e− 2 x +bx = 3/2 e 2a . a 2π

(B.14)

Setzen wir hier b = 0, so folgt Z∞

−∞

dx a 2 √ x e− 2 x = 0 , 2π

(B.15)

was aus Symmetriegr¨ unden sofort einsichtig ist, da der Integrand eine ungerade Funktion ist. Nochmalige Ableitung von (B.14) nach b liefert Z∞

−∞

dx a 2 1 √ x2 e− 2 x +bx = 3/2 a 2π

Durch analytische Fortsetzung a , a → −ia = i

  b2 b2 1+ e 2a . a

b → ib

(B.16)

(B.17)

erhalten wir aus (B.13) das Fresnel-Integral (siehe auch Gl. (6.3)) Z∞

−∞

b2 dx i a x2 +ibx 1 √ = √ e−i 2a . e 2 a 2πi

(B.18)

Die analytische Fortsetzung (B.17) l¨ asst sich analog in den Gleichungen (B.15) und (B.16) durchf¨ uhren. Dies liefert Z∞

Z∞

−∞

−∞

a 2 dx √ x ei 2 x = 0 2π

a 2 1 dx √ x2 ei 2 x +ibx = (−ia)3/2 2π

  b2 b2 e−i 2a . 1−i a

(B.19)

528

B Gauß-Integrale

Die eindimensionalen Gauß- bzw. Fresnel-Integrale, (B.8) bzw. (B.18), lassen sich unmittelbar auf mehrdimensionale Integrale (d.h. auf Integrale u ¨ber mehrdimensionale R¨aume) verallgemeinern. F¨ ur ein Gauß-Integral u ¨ber den Raum n , dessen (reelle) kartesische Koordinaten xk , k = 1, 2, . . . , n sind, gilt

R

    Z Y n n n n X X X dxm 1 1 √ exp − xk akl xl + bk xk  = Det(a) exp  bk (a−1 )kl bl  , 2 2 2π m=1 k,l=1 k=1 k,l=1 (B.20)

wobei akl = alk eine symmetrische Matrix ist, deren Eigenwerte positiven Realteil besitzen. Ferner bezeichnet a−1 das Inverse und Det(a) die Determinante dieser Matrix. Der Beweis der Beziehung (B.20) erfolgt durch Diagonalisierung der symmetrischen Matrix akl , wobei (B.20) sich auf n Integrale der Form (B.10) reduziert.

C

Funktionen von Operatoren

C.1

Definition

Funktionen von Operatoren k¨ onnen wir prinzipiell durch ihre Taylor-Reihen

f (A) =

∞ X 1 1 (n) f (0)An = f (0) + f ′ (0)A + f ′′ (0)A2 + . . . n! 2 n=0

(C.1)

definieren. Die hierbei auftretenden Potenzen eines Operators A sind durch wiederholte Anwendung des Operators wohl definiert, vorausgesetzt, der Wertebereich von A ist im Definitionsbereich von A enthalten. Dies ist offenbar in trivialer Weise erf¨ ullt, wenn A auf dem gesamten Hilbertraum defininiert ist, was jedoch nicht notwendig ist. Damit sind s¨amtliche Operationen einer Funktion von Operatoren auf die entsprechenden Operationen der Operatoren selbst zur¨ uckgef¨ uhrt. Hat die Reihenentwicklung der betrachteten Funktion f (x) einen Konvergenzradius r < ∞, so ist die Konvergenz von (C.1) f¨ ur alle beschr¨ ankten Operatoren A mit ||A|| < r gesichert. F¨ ur hermitesche Operatoren A† = A l¨ asst sich die Taylor-Reihe (C.1) explizit aufsummieren. Dazu beachten wir, dass ihre Eigenfunktionen A|ni = an |ni

(C.2)

eine vollst¨andige orthogonale Basis des entsprechenden Hilbert-Raumes und deshalb, bei geeigneter Normierung, ein Orthonormalsystem hn|mi = δ(n, m)

(C.3)

bilden. Es gilt dann die Spektraldarstellung des Einheitsoperators (Vollst¨andigkeitsrelation): Z X ˆ1 = |nihn| . n

Multiplizieren wir diese Beziehung von rechts und links an den betrachteten Operator A und benutzen die Eigenwertgleichung (C.2) und die Orthonormalit¨at der Basis (C.3), so finden wir die Spektraldarstellung des Operators: Z X A= |nian hn| . (C.4) n

530

C Funktionen von Operatoren

Setzen wir diese f¨ ur die Potenzen von A in der Taylor-Entwicklung (C.1) ein, so erhalten wir unter Benutzung der Orthonormalit¨ at (C.3) nach Aufsummation der Taylor-Reihe Z X f (A) = |nif (an )hn| . n

Damit l¨asst sich jede Funktion eines hermiteschen Operators durch die entsprechende Funktion seiner Eigenwerte ausdr¨ ucken. Falls zwei Operatoren A und B miteinander kommutieren, [A, B] = ˆ0, so gilt dies auch f¨ ur Funktionen dieser Operatoren f (A) und g(B): [f (A), g(B)] = ˆ 0.

(C.5)

Der Beweis folgt unmittelbar aus der Taylor-Entwicklung der Operatorfunktionen. Desweiteren folgt aus (C.5) f¨ ur hermitesche Operatoren A, B mit [A, B] = 0, dass f (A) und g(B) gemeinsame Eigenfunktionen besitzen, selbst dann, wenn f (A) oder g(B) oder beide keine hermiteschen Operatoren sind. Der Beweis ergibt sich aus den in Abschnitt 11.5 angegebenen Eigenschaften von hermiteschen Operatoren und Taylor-Entwicklung der Operatorfunktionen.

C.2

Variation

Wir interessieren uns f¨ ur die Variation oder Ableitung einer Operatorfunktion f (A). Im Allgemeinen wird die Variation eines Operators δA nicht mit dem Operator kommutieren: [δA, A] 6= 0 . In diesen F¨allen ist zu beachten, dass δf (A) 6= f ′ (A) δA 6= δA f ′ (A) . Um die Variation einer Funktion solcher Operatoren zu finden, m¨ ussen wir dann auf ihre Taylor-Entwicklung (C.1) zur¨ uckgreifen. Wir betrachten die Variation oder das Differential einer Operatorfunktion. Aus ihrer Taylor-Entwicklung folgt durch Anwendung der Produktregel 1 δf (A) = f ′ (0) δA + f ′′ (0)(A δA + δA A) + . . . . 2 F¨ ur beliebige Operatorfunktionen f (A) l¨ asst sich die entstehende Reihe i.A. nicht wieder geschlossen aufsummieren. In einigen F¨ allen ist dies jedoch m¨oglich bzw. lassen sich die Variationen δf (A) durch Parameterintegrale in geschlossener Form ausdr¨ ucken. Wichtige Beispiele hierf¨ ur sind:

C.2 Variation

531

1) Die Exponentialfunktion f (x) = ex :

δ e

A



=

Z1

dλ eλA δA e(1−λ)A .

(C.6)

0

Diese Beziehung l¨ asst sich unmittelbar durch Taylor-Entwicklung der Exponenten auf beiden Seiten der Gleichungen beweisen. Falls [δA, A] = ˆ0, vereinfacht sich die Beziehung (C.6) zu:  δ eA = δA eA = eA δA . 2) Der Logarithmus f (x) = ln x:

δ(ln A) =

Z∞

dλ(λ + A)−1 δA(λ + A)−1

(C.7)

0

Zum Beweis dieser Beziehung betrachten wir zun¨achst das Integral ZΛ 0

Λ dλ = ln(λ + A) 0 = ln(Λ + A) − ln A , λ+A

wobei λ eine reelle Variable ist. Im Limes Λ → ∞ geht der erste Term gegen eine vom Operator A unabh¨ angige divergente Konstante, die jedoch bei der Differentiation wegf¨ allt. Deshalb gilt die folgende Beziehung

δ(ln A) = −δ

Z∞

dλ . λ+A

0

Den Integranden in Gl. (C.8) entwickeln wir eine Taylor-Reihe " #  2 1 A 1 1 1 A 1− + = = + ... . λ+A λ 1 + A/λ λ λ λ

(C.8)

532

C Funktionen von Operatoren Anwendung der Produktregel liefert 1 λ+A " ! #    2  2 1 A A A A A A = − 2 δA − δA + δA + δA + δA + δA − . . . λ λ λ λ λ λ λ " # " #  2  2 1 A A A A = − 2 1− + − . . . δA 1 − + − ... λ λ λ λ λ −1 −1   A A 1 δA 1 + = − 2 1+ λ λ λ δ

= − (λ + A)−1 δA (λ + A)−1 .

Einsetzen dieses Ergebnisses in Gl. (C.8) liefert die gew¨ unschte Beziehung (C.7). Die obigen Beziehungen (C.6) und (C.7) basieren nur auf der Produktregel und bleiben deshalb auch richtig, wenn wir statt der Variation δA das Differential dA oder die Ableitung nach einer Variablen bilden, von denen der Operator A abh¨angt. Der Operator A h¨ange parametrisch von einer Variablen x ab, A = A(x). In diesem Fall erhalten wir nach Division“ von Gl. (C.6) und (C.7) durch dx die Beziehungen ” d A(x) e = dx d ln A(x) = dx

Z1

0 Z∞

dλ eλA(x)

dA(x) (1−λ)A(x) e , dx

dλ (λ + A(x))

−1

dA(x) −1 (λ + A(x)) . dx

(C.9)

(C.10)

0

Man beachte: Bei den obigen Beziehungen (C.6) und (C.7) bzw. (C.9) und (C.10) haben wir lediglich von der Produktregel (Leibniz-Regel) Gebrauch gemacht. Diese Regel gilt auch f¨ ur Kommutatoren. Deshalb bleiben die obigen Beziehungen auch richtig, wenn wir statt des Differentials den Kommutator mit einem zweiten Operator B bilden

[B, e ] =

Z1

dλ eλA [B, A]e(1−λ)A .

[B, ln A] =

Z∞

dλ (λ + A)−1 [B, A](λ + A)−1 .

A

0

0

(C.11)

C.3 N¨ utzliche Operatoridentit¨ aten

533

Durch Variablensubstitution (1 − λ) → λ lassen sich die zu Gln. (C.9) und (C.11) aquivalenten Beziehungen ¨ d A(x) e = dx

Z1

dλ e(1−λ)A(x)

[B, eA ] =

Z1

dλ e(1−λ)A [B, A]eλA

dA(x) λA(x) e , dx

(C.12)

0

0

gewinnen, bei denen im Exponenten die Positionen von λ und (1 − λ) vertauscht sind.

C.3

Nu¨tzliche Operatoridentit¨aten

H¨ aufig treten Funktionen von Summen von zwei oder mehr Operatoren, f (A + B + . . . ) ,

(C.13)

auf, die nicht miteinander kommutieren. Gesucht ist die Wirkung des Ausdruckes (C.13) auf die Eigenfunktionen eines der Operatoren, z.B. A. Ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit gen¨ ugt es, Funktionen von zwei nicht-kommutierenden Operatoren zu betrachten. Ferner k¨ onnen wir voraussetzen, dass diese Funktionen eine Fourier- bzw. Laplace-Darstellung Z f (A + B) = dτ eτ (A+B)f˜(τ ) besitzen, wobei τ reell f¨ ur die Laplace- bzw. rein imagin¨ar f¨ ur die Fourier-Transformation ist. Es gen¨ ugt damit, Exponentialfunktionen E(τ ) = eτ (A+B)

(C.14)

zu betrachten. F¨ ur die Anwendung dieses Ausdruckes auf Eigenfunktionen von A ist es zweckm¨aßig, diese Operatorfunktion in der Form E(τ ) = eτ B K(τ )eτ A

(C.15)

zu schreiben, wobei K(τ ) den gesamten Effekt der Nicht-Kommutativit¨at von A und B enth¨alt. Falls die beiden Operatoren miteinander kommutieren, [A, B] = ˆ0, folgt offensichtlich K(τ ) = ˆ 1. Zur Bestimmung von K(τ ) leiten wir zun¨ achst eine Differentialgleichung f¨ ur diese Gr¨oße ab. Differentiation von Gl. (C.14) und (C.15) nach τ liefert: (A + B)E(τ ) = BE(τ ) + eτ B K ′ (τ )eτ A + E(τ )A .

534

C Funktionen von Operatoren

Multiplikation dieser Gleichung von links mit e−τ B und von rechts mit e−τ A liefert die gesuchte Differentialgleichung K ′ (τ ) = e−τ B Aeτ B K(τ ) − K(τ )A .

(C.16)

Aus Gl. (C.14) und (C.15) folgt ferner, dass K(τ ) der Anfangsbedingung K(τ = 0) = ˆ 1

(C.17)

gen¨ ugt. Durch Taylor-Entwicklung finden wir:

e−τ B Aeτ B =

∞ X (−τ )n [B, [B, . . . , [B , A] . . . ]] . {z } n! | n=0

(C.18)

n

Dieser Ausdruck ist vollst¨ andig durch die Kommutatoren von B und A gegeben. Sobald f¨ ur ein n der Vielfachkommutator ein c-Zahl ist, verschwinden s¨amtliche h¨ohere Kommutatoren, was eine explizite L¨ osung der Differentialgleichung (C.16) gestattet. Falls z.B. der Kommutator [A, B] bereits eine c-Zahl ist, vereinfacht sich der Ausdruck (C.18) zu: e−τ B Aeτ B = A − τ [B, A] und die Diffentialgleichung (C.16) reduziert sich auf: K ′ (τ ) = [A, K(τ )] − τ [B, A]K(τ ) .

(C.19)

Da die Gr¨oße K(τ ) eine Funktion allein des Kommutators [A, B] ist, dieser aber wie hier angenommen eine c-Zahl ist, muss K(τ ) selbst eine c-Zahl sein und somit verschwindet der erste Ausdruck auf der rechte Seite der Gl. (C.19). Damit vereinfacht sich die Differentialgleichung zu K ′ (τ ) = −τ [B, A]K(τ ) , deren L¨osung mit der Anfangsbedingung (C.17) durch 1

K(τ ) = e− 2 τ

2

[B,A]

gegeben ist. Einsetzen dieses Ausdruckes in (C.15) liefert die Glauber-Formel 1

eτ (A+B) = eτ B e− 2 τ

2

[B,A] τ A

e

,

(C.20)

C.4 Die Green’sche Funktion des Laplace-Operators im

Rn

535

die oftmals auch Baker-Campbell-Hausdorff-Formel bezeichnet wird. Durch zweimalige Anwendung dieser Formel folgt: eτ A eτ B = eτ B eτ A e−τ

2

[B,A]

.

(C.21)

Analog l¨asst sich folgende Beziehung f¨ ur beliebige Operatoren A, B beweisen

e

τA τB

e

    τ2 τ3 1 1 = exp τ (A + B) + [A, B] + [[A, B], B] + [A, [A, B]] + · · · , 2! 3! 2 2 (C.22)

die sich auf (C.20) reduziert, falls [A, B] eine c-Zahl ist.

C.4

Die Green’sche Funktion des Laplace-Operators im Rn

¨ Bei vielen theoretischen Uberlegungen in der Quantenmechanik und auch in der Elektrodynamik ben¨otigt man die Green’sche Funktion des Laplace-Operators ∆. Ihre Berechnung liefert gleichzeitig ein Beispiel f¨ ur die Benutzung von Funktionen von Operatoren. Bezeichnen wir die kartesischen Koordinaten des der Laplace-Operator ∆=

n X ∂2 . ∂x2i i=1

Rn mit xi , i = 1, 2, . . . , n, so lautet

(C.23)

Da −∆ ein positiv-semidefiniter Operator ist, definiert man die Green’sche Funktion des Laplace-Operators durch (−∆)G(x, x′ ) = δ(x, x′ ) .

(C.24)

R

Hierbei bezeichnet x = xi ei einen Vektor des n . Formal k¨onnen wir die Green’sche Funktion durch Multiplikation von Gleichung (C.24) mit dem inversen Operator (−∆)−1 erhalten G(x, x′ ) = (−∆)−1 δ(x, x′ ) ,

bzw. in der Dirac’schen bracket-Notation

(C.25)

536

C Funktionen von Operatoren

G(x, x′ ) = hx|(−∆)−1 |x′ i .

(C.26)

¨ Die Aquivalenz von Gln. (C.26) und (C.25) zeigt man leicht, indem man im Matrixelement auf der rechten Seite von Gl. (C.26) vor dem inversen Laplace-Operator die Vollst¨andigkeitsrelation der Impulseigenzust¨ ande Z dn k ˆ1 = |kihk| , hx|ki = eikx (C.27) (2π)3 einsetzt und die Fourier-Darstellung der δ-Funktion benutzt Z dn k ′ G(x, x ) = hx|(−∆)−1 |kihk|x′ i (2π)3 Z dn k 1 = hx|(−∆)−1 |kihk|x′ i (2π)3 k 2 Z dn k 1 ik(x−x) e = (−∆)−1 δ(x, x′ ) . = (2π)3 k 2

(C.28)

Benutzen wir die Operatoridentit¨ at −1

A

=

Z∞

dτ e−τ A

(C.29)

0

f¨ ur den Laplace-Operator, so erhalten wir f¨ ur seine Green’sche Funktion (C.26) ′

G(x, x ) =

Z∞ 0

dτ hx|e−τ (−∆) |x′ i .

(C.30)

Der Integrand wird als W¨armekern bezeichnet, da er als L¨osung der Diffusionsgleichung in der Thermodynamik auftritt. Diese Gr¨oße l¨asst sich sehr einfach durch FourierTransformation berechnen

hx|e

−τ (−∆)



Z

dn k hx|e−τ (−∆)|kihk|x′ i (2π)n Z dn k −τ k2 ik·(x−x′ ) = e e (2π)n n/2    (x − x′ )2 1 . exp − = 4πτ 4τ

|x i =

(C.31)

C.4 Die Green’sche Funktion des Laplace-Operators im

Rn

537

Einsetzen dieses Ergebnisses in (C.30) liefert ′

G(x, x ) =



1 4π

n/2 Z∞

dτ τ

−n/2

0

  (x − x′ )2 exp − . 4τ

(C.32)

Um den Exponenten zu vereinfachen, f¨ uhren wir die Variablensubstitution s=

1 τ

dτ = −

,

ds s2

(C.33)

durch, was ′

G(x, x ) =



1 4π

n/2 Z∞

1

′ 2

dssn/s−2 e−s 4 (x−x )

(C.34)

0

liefert. Der Integrand ist divergent an der unteren Integrationsgrenze. Diese Divergenz ist jedoch integrabel f¨ ur n > 2. Um den Fall n = 2 mit behandeln zu k¨onnen, schneiden wir das Integral an der unteren Integrationsgrenze mittels eines kleinen Abschneideparameters µ ab und erhalten die regularisierte Green’sche Funktion ′

Gµ (x, x ) =



1 4π

n/2 Z∞

s

2

dssn/2−2 e− 4 (x−x) .

(C.35)

µ

Es empfiehlt sich zur dimensionslosen Integrationsvariablen z=

1 s(x − x′ )2 4

(C.36)

u ¨berzugehen. Dies liefert Gµ (x, x′ ) =



1 4π

n/2 

4 (x − x′ )2

n/2−1

Z∞

dzz n/2−2 e−z .

(C.37)

µ ′ 2 4 (x−x )

Das verbleibende Integral l¨ asst sich durch die unvollst¨andige Γ-Funktion Γ(α, x) =

Z∞

dzz α−1 e−z

(C.38)

x

ausdr¨ ucken, die f¨ ur α > 0 im Limes x → 0 in die normale Γ-Funktion u ¨bergeht Γ(α, x = 0) = Γ(α)

,

α > 0.

(C.39)

Mit (C.38) erhalten wir aus (C.37)  n/2−1   1 1 µ n ′ 2 Gµ (x, x ) = . − 1, (x − x ) Γ 2 4 4π n/2 (x − x′ )2 ′

(C.40)

538

C Funktionen von Operatoren

F¨ ur n = 3 k¨onnen wir den Limes µ → 0 nehmen und erhalten mit   √ 1 = π Γ 2

(C.41)

das bekannte Resultat G(x, x′ ) =

1 . 4π|x − x|

(C.42)

F¨ ur n = 2 m¨ ussen wir µ als Regulator behalten, den wir jedoch beliebig klein w¨ahlen k¨onnen. F¨ ur x → 0 und α = 0 besitzt die unvollst¨andige Γ-Funktion Γ(α, x) (C.38) die asymptotische Form Γ(0, x) = − ln x + γ

,

x → 0,

(C.43)

wobei γ = 0.57721 . . . die Euler’sche Konstante ist. Unter Benutzung dieses Ergebnisses finden wir aus (C.40) f¨ ur die Green’sche Funktion in n = 2 Dimensionen 1 µ ln (x − x′ )2 + γ 4π 4 1 =− ln |x − x′ | + const. . 2π

G(x, x′ ) = −

(C.44)

Bei der Differentiation f¨ allt die Konstante heraus und wir finden daher in n = 2 Dimensionen die Beziehung ∆ ln |x − x′ | = 2πδ(x − x′ ) .

(C.45)

Diese Beziehung zeigt, dass in zwei Dimensionen bei Abwesenheit von singul¨aren Potentialen vom Typ der δ-Funktion die Wellenfunktion in der N¨ahe des Koordinatenursprunges kein logarithmisches Verhalten besitzen kann.

D

Basiselemente der Variationsrechnung

D.1

Definition von Funktionalen und ihren Variationsableitungen

Eine reelle Funktion f (x) einer reellen Variablen x ist eine Abbildung von f:

R→R,

R nach R:

x 7→ f (x) .

Eine reelle Funktion mehrerer reeller Variablen x1 , x2 , . . . , xN f (x) ≡ f (x1 , x2 , . . . xN ) ist eine Abbildung f:

RN → R .

Ein Funktional ist eine Verallgemeinerung der Funktion auf unendlich viele (kontinuierliche) Variablen. Unter einem Funktional versteht man eine Abbildung eines Funktionenraumes in die Menge der reellen oder komplexen Zahlen.

M

ein Funktionenraum, z.B. ein Hilbert-Raum, und die Funktion ϕ(x) ein Element Sei dieses Raumes. Ein reelles Funktional F [ϕ] auf diesem Raum definiert die Abbildung1 F :

M→R,

ϕ 7→ F [ϕ] .

Die erste Variation (das Differential) einer Funktion mehrerer Variablen, df (x) = f (x + dx) − f (x) =

X ∂f (x) i

∂xi

dxi ,

l¨ asst sich in der Form   df (x + εdx) df (x) = dǫ ε=0 darstellen, was sich unmittelbar durch Benutzung der Kettenregel zeigen l¨asst. Dieser Ausdruck l¨asst sich direkt auf die Variation von Funktionalen verallgemeinern. Die erste Variation δF [ϕ] eines Funktionals F [ϕ] wird definiert durch: 1 Wir werden den Begriff des Funktionals im verallgemeinerten Sinn und zus¨ atzlich noch Abh¨ angigkeiten von diskreten und kontinuierlichen Variablen zulassen. Damit k¨ onnen wir eine Funktion selbst als Funktional betrachten, z.B. F [ϕ](x) = ϕ(x).

540

D Basiselemente der Variationsrechnung 

 ∂ δF [ϕ] = F [ϕ + ε δϕ] . ∂ε ε=0

(D.1)

¨ Aus dieser Definition ist ersichtlich, dass die erste Variation δF [ϕ] linear in den Ande2 rungen δϕ(x) der Funktion ist , d.h. es gilt: Z δF [ϕ] = dx F ′ [ϕ](x) δϕ(x) , wobei F ′ [ϕ](x) ein Funktional von ϕ(x) ist, welches jedoch unabh¨angig von δϕ(x) ist. Dieses Funktional wird als erste Variationsableitung3 von F [ϕ] nach ϕ(x) bezeichnet und in der Form F ′ [ϕ](x) ≡

δF [ϕ] δϕ(x)

geschrieben. Damit ist die erste Variationsableitung δF [ϕ]/δϕ(x) durch die Beziehung

δF [ϕ] =



 Z ∂ δF [ϕ] F [ϕ + ε δϕ] δϕ(x) = dx ∂ε δϕ(x) ε=0

(D.2)

definiert. Da δϕ(x) beliebig ist, wird die Variationsableitung durch die obige Beziehung eindeutig definiert. Zur Illustration betrachten wir das einfache Funktional Z 1 dx (ϕ(x))2 . F [ϕ] = 2

(D.3)

Aus Gl. (D.2) erhalten wir f¨ ur die erste Variation dieses Funktionals:   Z 1 ∂ 2 δF [ϕ] = dx [ϕ(x) + ε δϕ(x)] 2 ∂ε Z  ε=0 = dx [ϕ(x) + ε δϕ(x)]δϕ(x) ε=0 Z Z δF [ϕ] ! δϕ(x) . = dx ϕ(x) δϕ(x) = dx δϕ(x) Hieraus erhalten wir f¨ ur die erste Variationsableitung des Funktionals (D.3): δF [ϕ] = ϕ(x) . δϕ(x) 2 Dies erkennt man sofort, wenn man F [ϕ + ε δϕ] ≡ f (ε) in eine Taylor-Reihe nach Potenzen von ε entwickelt, diese nach ε differenziert und anschließend ε = 0 setzt. 3 Die Variationsableitung wird oftmals auch als Funktionalableitung bezeichnet.

D.1

Funktionale und ihre Variationsableitungen

541

Eine stetige Funktion ϕ(x) l¨ asst sich selbst als Funktional betrachten, F [ϕ](x) = ϕ(x) ,

(D.4)

das von einer Variablen x abh¨ angt. Berechnen wir f¨ ur dieses Funktional die erste Variationsableitung nach der Definition (D.2), so erhalten wir:   ∂ δF [ϕ](x) = (ϕ(x) + ε δϕ(x)) = δϕ(x) . (D.5) ∂ε ε=0 Nach Gl. (D.2) l¨asst sich die erste Variation dieses Funktionals (D.4) ausdr¨ ucken als: Z Z δF [ϕ](x) δϕ(x) δF [ϕ](x) = dx′ δϕ(x′ ) = dx′ δϕ(x′ ) . (D.6) δϕ(x′ ) δϕ(x′ ) Vergleich der letzten beiden Beziehungen (D.5) und (D.6) zeigt: δϕ(x) = δ(x − x′ ) . δϕ(x′ )

(D.7)

Dies ist die Verallgemeinerung der Beziehung ∂xi = δik ∂xk f¨ ur kartesische Koordinaten, wenn man beachtet, dass die δ-Funktion das Analogon des Kronecker-Deltas f¨ ur kontinuierliche Indizes“ (Variablen) ist. ” Neben den stetigen Funktionen lassen sich nat¨ urlich auch die Ableitungen der stetig differenzierbaren Funktionen als Funktionale betrachten. Z.B. f¨ ur die erste Ableitung F [ϕ] =

dϕ(x) = ϕ′ (x) dx

(D.8)

finden wir mit Hilfe von (D.7) δϕ′ (x) d δϕ(x) d = = δ(x − x′ ) . δϕ(x′ ) dx δϕ(x′ ) dx

(D.9)

Es sei f (ϕ) eine differenzierbare Funktion von ϕ. F¨ ur die Variationsableitung des Funktionals F [ϕ] = f (ϕ(x))

(D.10)

erhalten wir aus der Definition (D.2) analog zur gew¨ohnlichen Differentialrechnung die Kettenregel

542

D Basiselemente der Variationsrechnung

df δϕ(x) df δf (ϕ(x)) = = δ(x − x′ ) . ′ ′ δϕ(x ) dϕ δϕ(x ) dϕ

Hieraus finden wir f¨ ur die Variationsableitung von Z F [ϕ] = dxf (ϕ(x))

(D.11)

(D.12)

unmittelbar δF [ϕ] = δϕ(x′ ) =

Z

Z

dx

δf (ϕ(x)) δϕ(x′ )

dx

df δ(x − x′ ) dϕ

df = , dϕ ϕ=ϕ(x′ )

(D.13)

vorausgesetzt x′ liegt im Integrationsgebiet. In analoger Weise sind die h¨ oheren Variationsableitungen definiert. So ist z.B. die zweite Variation u ¨ber 

 Z ∂2 δ 2 F [ϕ] ′ δ F [ϕ] = F [ϕ + ε δϕ] δϕ(x) δϕ(x′ ) = dx dx ∂ε2 δϕ(x) δϕ(x′ ) ǫ=0 2

definiert. F¨ ur ein Funktional F von zwei Funktionen ψ(x) und ϕ(x), F = F [ϕ, ψ] , ist die erste Variation nach Gl. (D.1) durch   ∂ δF [ϕ, ψ] = . F [ϕ + ε δϕ, ψ + ε δψ] ∂ε ε=0 gegeben. Nach den Regeln der Differentiation gilt:   ∂ F [ϕ + ε δϕ, ψ + ε δψ] ∂ε ε=0    ∂ ∂ F [ϕ + ε δϕ, ψ] F [ϕ, ψ + ε δψ] + . = ∂ε ∂ε ε=0 ε=0

(D.14)

D.1

Funktionale und ihre Variationsableitungen

543

Nach Gl. (D.2) gilt f¨ ur festgehaltenes ϕ(x):   Z ∂ δF [ϕ, ψ] F [ϕ, ψ + ε δψ] δψ(x) , = dx ∂ε δψ(x) ε=0 und analog f¨ ur festgehaltenes ψ(x):   Z δF [ϕ, ψ] ∂ F [ϕ + ε δϕ, ψ] δϕ(x) . = dx ∂ε δϕ(x) ε=0 Deshalb finden wir schließlich:   Z δF [ϕ, ψ] δF [ϕ, ψ] δF [ϕ, ψ] = dx δϕ(x) + δψ(x) . δϕ(x) δψ(x) Als Beispiel hierzu betrachten wir das Funktional Z F [ϕ, ψ] = dx ϕ(x)ψ(x) , f¨ ur welches offenbar δF [ϕ, ψ] = ψ(x) δϕ(x) und somit δF [ϕ, ψ] =

Z

,

δF [ϕ, ψ] = ϕ(x) δψ(x)

dx [ψ(x) δϕ(x) + ϕ(x) δψ(x)]

gilt. Dasselbe Ergebnis erhalten wir auch unmittelbar aus der Definition (D.14):  Z  ∂ δF [ϕ, ψ] = dx [ϕ(x) + ε δϕ(x)][ψ(x) + ε δψ(x)] ∂ε ε=0 Z  = dx [δϕ(x) ψ(x) + ϕ(x) δψ(x) + 2ε δϕ(x) δψ(x)] =

Z

ε=0

dx [ψ(x) δϕ(x) + ϕ(x) δψ(x)] .

Wir setzen jetzt in den obigen Betrachtungen ψ(x) = ϕ′ (x). F¨ ur die Variationsableitung des Funktionals F [ϕ] = f (ϕ(x), ϕ′ (x))

(D.15)

erhalten wir dann mit (D.11) und (D.9) ∂f δϕ(x) ∂f δϕ′ (x) δf (ϕ(x), ϕ′ (x)) = + δϕ(x′ ) ϕϕ δϕ(x′ ) ∂ϕ′ δϕ(x′ ) =

∂f d ∂f δ(x − x′ ) + δ(x − x′ ) . δϕ ∂ϕ′ dx

(D.16)

544

D Basiselemente der Variationsrechnung

Hieraus finden wir f¨ ur das Funktional Z F [ϕ] = dxf (ϕ(x), ϕ′ (x))

(D.17)

die Variationsableitung   Z δF [ϕ] ∂f d ∂f ′ ′ = dx δ(x − x ) + δ(x − x ) δϕ(x′ ) ∂ϕ ∂ϕ′ dx =

d ∂f ′ ∂f ′ (x ) . (x ) − ′ ∂ϕ dx ∂ϕ′

(D.18)

D.2

Funktional u¨ber einen Hilbert-Raum Ist der Funktionenraum M ein Hilbert-Raum H, so l¨asst sich auf einfache Art die Be-

ziehung der Variationsableitung zu den gew¨ ohnlichen partiellen Ableitungen herstellen. In einem Hilbert-Raum existiert ein vollst¨ andiges orthonormales Funktionensystem ψi (x) ≡ hx|ii

,

ψi∗ (x) = hi|xi

mit der Orthonormalit¨ atsbeziehung Z Z ∗ dx ψi (x)ψk (x) = dx hi|xihx|ki = δik und der Vollst¨andigkeitsrelation X X ψi (x)ψi∗ (x′ ) = δ(x − x′ ) , hx|iihi|x′ i =

(D.19)

(D.20)

(D.21)

i

i

bzw. in koordinatenfreier Darstellung: X |iihi| = ˆ 1. i

Daher k¨onnen wir eine beliebige Funktion ϕ(x) entwickeln gem¨aß: X X ψi (x)ϕi , hx|iihi|ϕi = ϕ(x) = hx|ϕi = i

wobei die Koeffizienten ϕi = hi|ϕi =

Z

dx hi|xihx|ϕi =

(D.22)

i

Z

dx ψi∗ (x)ϕ(x)

die Koordinaten der Funktion ϕ(x) in der Basis (D.19) sind. Die Variation der Funktion ϕ(x) l¨asst sich jetzt aufgrund von Gl. (D.22) unmittelbar durch die Variation der Koordinaten“ δϕi ausdr¨ ucken: ” X ψi (x)δϕi . δϕ(x) = i

D.2 Funktional u ¨ber einen Hilbert-Raum Aus der Orthonormalit¨ atsbedingung (D.20) folgt: Z δϕi = dx ψi∗ (x)δϕ(x) .

545

(D.23)

Benutzen wir die Zerlegung der Funktion ϕ(x) des Hilbert-Raumes nach den (fest gew¨ahlten) Basisfunktionen ψi (x) (siehe Gl. (D.22)), so wird aus dem Funktional F [ϕ] eine Funktion der abz¨ ahlbar unendlich vielen Variablen (Koordinaten) ϕi . Damit gelingt es, Funktionale von Funktionen, die u ¨ber einem Hilbert-Raum definiert sind, in gew¨ohnliche Funktionen von (abz¨ ahlbar unendlich vielen) Variablen zur¨ uckzuf¨ uhren und das Variationskalk¨ ul kann durch das Kalk¨ ul der gew¨ohnlichen partiellen Ableitungen ausgedr¨ uckt werden. So erhalten wir f¨ ur die erste Variation δF [ϕ] = δF (ϕi ) =

X ∂F δϕi ∂ϕi i

X ∂F Z dx ψi∗ (x) δϕ(x) = ∂ϕ i i Z δF [ϕ] ! δϕ(x) , = dx δϕ(x) woraus wir die Beziehung δF [ϕ] X ∂F (ϕk ) ∗ ψi (x) = δϕ(x) ∂ϕi i

(D.24)

gewinnen. Damit ist die erste Variationsableitung auf die gew¨ohnlichen partiellen Ableitungen zur¨ uckgef¨ uhrt. In ¨ ahnlicher Weise lassen sich die h¨oheren Variationsableitungen durch die partiellen Ableitungen ausdr¨ ucken, z.B. erhalten wir f¨ ur die zweite Variationsableitung in analoger Weise: X ∂2F δ 2 F [ϕ] ψi∗ (x)ψj∗ (x) . = ′ δϕ(x) δϕ(x ) ∂ϕ ∂ϕ i j i,j

(D.25)

¨ Aus der Aquivalenz von Variationsableitung und partiellen Ableitungen nach den Ko” ordinaten“ ϕi , k¨onnen wir auch die funktionale Taylor-Entwicklung gewinnen: F [ϕ + δϕ] = F (ϕk + δϕk ) X ∂F 1 X ∂2F = F (ϕk ) + δϕi + δϕi δϕi + . . . . ∂ϕi 2 i,j ∂ϕi ∂ϕj i

(D.26)

Setzen wir hier f¨ ur die Variationen der Koordinaten δϕi Gl. (D.23) ein und benutzen die Definition der Variationsableitungen (D.24) und (D.25), so l¨asst sich die TaylorEntwicklung (D.26) des Funktionals F [ϕ] in der Form

546

D Basiselemente der Variationsrechnung

F [ϕ+ δϕ] = F [ϕ]+

Z

δF [ϕ] 1 dx δϕ(x)+ δϕ(x) 2

Z

dx dx′

δ 2 F [ϕ] δϕ(x) δϕ(x′ )+ . . . δϕ(x) δϕ(x′ ) (D.27)

schreiben. F¨ ur infinitesimale δϕ(x) k¨ onnen wir die Taylor-Entwicklung nach dem linearen Term abbrechen und erhalten f¨ ur die Variation von F [ϕ]: δF [ϕ] = F [ϕ + δϕ] − F [ϕ] =

Z

dx

δF [ϕ] δϕ(x) . δϕ(x)

(D.28)

Aus den Definitionen der Variationsableitungen der Funktionale als Differentiation (nach ε, siehe Gl. (D.2)) folgt, dass sie lineare Operationen sind, f¨ ur die analoge Regeln wie f¨ ur die Differentiation gelten.

1) Produktregel: δF [ϕ] δG δ (F [ϕ]G[ϕ]) = G[ϕ] + F [ϕ] . δϕ(x) δϕ(x) δϕ(x)

(D.29)

2) Kettenregel f¨ ur Funktionale: Z δF [ψ[ϕ]] δF [ψ[ϕ]] δψ[ϕ](y) = dy . δϕ(x) δψ[ϕ](y) δϕ(x)

3) Kettenregel f¨ ur Funktionen von Funktionalen f (F [ϕ]): δf (F [ϕ]) df (F ) δF [ϕ] = . δϕ(x) dF δϕ(x)

(D.30)

4) Quotientenregel (die unmittelbar aus Gl. (D.29) und (D.30) folgt) δ δϕ(x)



F [ϕ] G[ϕ]



=

δF [ϕ] 1 δG[ϕ] − F [ϕ] δϕ(x) G[ϕ] δϕ(x)



1 G[ϕ]

2

.

D.2 Funktional u ¨ber einen Hilbert-Raum

547

5) Schwarz’scher Vertauschungssatz: δ δ δ δ F [ϕ] = F [ϕ] . ′ ′ δϕ(x) δϕ(x ) δϕ(x ) δϕ(x)

Die oben angegebenen Regeln wollen wir nun anhand einiger Beispiele illustrieren. Zun¨achst wollen wir nochmal die elementare Beziehung (D.7) ableiten, d.h. wir betrachten das Funktional (D.4). Aus Gl. (D.24) erhalten wir: ! X ∂ X δϕ(x) = ψk (x)ϕk ψi∗ (x′ ) δϕ(x′ ) ∂ϕ i i k XX = ψk (x)δik ψi∗ (x′ ) i

=

X i

k

ψi (x)ψi∗ (x′ ) = δ(x − x′ ) ,

wobei wir die Zerlegung (D.22) und die Vollst¨ andigkeitsrelation (D.21) benutzt haben. Als n¨achstes Beispiel betrachten wir das Funktional F [ϕ] = (ϕ(x))n . Unter Benutzung der Kettenregel (D.30) finden wir f¨ ur dieses Funktional unmittelbar: δ(ϕ(x))n δϕ(x) δF [ϕ](x) = = n(ϕ(x))n−1 = n(ϕ(x))n−1 δ(x − x′ ) . ′ δϕ(x ) δϕ(x′ ) δϕ(x′ ) F¨ ur die zweite Variationsableitung des elementaren Funktionals (D.4) erhalten wir: δ 2 ϕ(x) δ = δ(x − x′′ ) = 0 . ′ ′′ δϕ(x ) δϕ(x ) δϕ(x′ ) In analoger Weise findet man unter Benutzung der Kettenregel: δ 2 (ϕ(x))2 δ =2 [ϕ(x) δ(x − x′′ )] = 2δ(x − x′ )δ(x − x′′ ) . δϕ(x′ ) δϕ(x′′ ) δϕ(x′ ) Als abschließendes Beispiel betrachten wir das h¨aufig in der Feldtheorie auftretende Funktional Z F [ϕ] = dx ϕn (x) ,

dessen erste Variationsableitung durch δF [ϕ] = n(ϕ(x))n−1 δϕ(x) gegeben ist.

Index Abweichung mittlere quadratische, 64 Alternative exklusive, 22 interferierende, 22 Anschlussbedingung, 137 Antikommutator, 262 antilinear, 216 Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte, 62 Austrittsarbeit, 209 Baker-Campbell-Hausdorff-Formel, 535 Balmer-Serie, 426 Banach-Raum, 224 Besetzungszahldarstellung, 283 Besetzungszahloperator, 282 Bessel’sche Differentialgleichung, 368 sph¨arische, 392 Bessel’sche Ungleichung, 223 Bessel-Funktion, 370 sph¨arische, 392, 394 Bilinearform, 216 Bloch’schen Theorems, 304 Bloch-Welle, 304 Bohr’scher Atomradius, 419 Bohr’sches Atommodell, 90 Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung, 84 bra-Vektor, 237 bracket-Notation, 237 Brillouin-Zone, 317 Casimir-Operator, 436 Cauchy-Folge, 220 Clebsch-Gordan-Koeffizient, 360 Compton-Effekt, 9 Compton-Wellenl¨ ange des Elektrons, 10 Coriolis-Wechselwirkung, 508 Coulomb-Eichung, 496 Coulomb-Potential, 415

D¨ampfungsglied, 520 Darstellung irreduzible, 343 de Broglie-Quantisierungsbedingung, 90 δ-Funktion, 76, 515 δ-Potential, 165 Diamagnetismus, 498 Dichteoperator, 130 Dirac, Paul, 41 Dirac-Notation, 234 diskretes Spektrum der eindimensionalen Schr¨odinger-Gleichung, 155 Dispersionsbeziehung, 314 Doppelspaltexperiment, 16 Drehimpuls, 335 Drehimpulsoperator, 335, 347 Drehimpulsquantenzahl, 342 Dreiecksrelation, 361 Dreiecksungleichung, 219 Effekt fotoelektrische, 8 Ehrenfest-Theorem, 119, 123 Eigenenergie, 111 Eigenfunktion, 69, 231 Eigenraum, 231 Eigenschaften der Schr¨odinger-Gleichung, 116 des Kommutators, 70 hermitescher Operatoren, 239 Eigenvektor, 231 Eigenwert, 213, 231 Eigenwerte hermitescher Operatoren, 239 Eigenzustand, 69, 213 hermitescher Operatoren, 239 Einheitsvektor sph¨arischer, 384

550 Energieb¨ander, 315 Energiedichte spektrale, 5 Energieeigenzustand, 110 Entartungsgrad, 231 des zweidimensionalen rotationssymmetrischen Oszillators, 376 Erhaltung der Energie, 122 Erhaltung der Norm, 122 Erhaltungsgr¨oße, 122 Erwartungswert, 64 des Impulses, 122 des Ortes, 123 Erwartungswerte hermitescher Operatoren, 239 Erzeugungsoperator, 279 Euler’sche Gamma-Funktion, 380 Euler-Lagrange-Gleichung, 36 Fabry-Perot-Interferometer, 187 Faraday’sches Induktionsgesetz, 487 Feldemission, 208 Feynman R., 41 Floquet-Indize, 304 Fresnel-Integral, 527 Funktion homogene, 125 Funktional, 225, 539 Funktionalintegral, 41 Gauß’scher Satzes, 121 Gauß-Integral, 525 gebundenen Zust¨ ande des endlichen Potentialtopfes, 189 Glauber-Formel, 534 Green’sche Funktion der Schr¨odinger-Gleichung, 117 des Laplace-Operators, 535 Grenzwert einer Folge, 220 Grundpostulat der Quantentheorie, 23 Gruppengeschwindigkeit, 61 Halbleiter, 320 Hamilton-Jacobi’sche Differentialgleichung, 82

Index Hamilton-Operator, 115, 116 Hankel-Funktion, 370 Hauptquantenzahl, 410 Hauptwert, 523 Heavyside-Funktion, 521 Heisenberg’sche Unsch¨arferelation, 26 Helium-Atom, 468 Hermite-Funktionen, 287 Hermite-Polynome, 287 Hilbert-Basis, 221 Hilbert-Raum, 215, 223 Hilbert-Vektor, 221 Impuls kanonischer, 490 kinetischer, 490 Impulsoperator, 67, 69 in der Ortsdarstellung, 244 Impulsraum, 65 Integrationsmaß funktionales, 40 Interferenz, 15 Ionisationsarbeit, 426 Isolator, 319 Jacobi-Identit¨at, 71 J¨onssen, Claus, 16 k-Raum, 2 Kern eines Operators, 227 ket-Vektor, 237 Knotensatz, 156 Kommutator, 68 Kommutator-Algebra, 125 Kontinuit¨atsgleichung, 131 Kronig-Penney-Potential, 313 Kugelfl¨achenfunktion, 354 Kugelfunktion, 354 Kugelwelle, 403 Kustaanheimo-StiefelTransformation, 439 Lagrange-Funktion, 35 Laguerre-Funktion, 425 Laguerre-Polynom, 425 Landau-Niveau, 504

Index Land´e-Faktor, 497 Laplace-Operator, 535 Legendre-Funktion, 358 zugeordnete, 381 Legendre-Polynome, 358 Leiteroperator, 279, 340 Lie-Algebra der Gruppe O(4), 435 Lorentz-Heavyside-Maßsystem, 487 Lorentz-Kraft, 490 Lyman-Serie, 426 M¨ achtigkeit, 221 Masse reduzierte, 417 Materiewellen, 59 Matrixdarstellung, 346 linearer Operatoren, 232 Messung der Observablen, 255 Metalle, 320 M¨ ollenstedt, Gottfried, 16 Moment magnetisches, 332, 497 Nablaoperator in Kugelkoordinaten, 384 N¨ aherung semiklassische, 84 Neumann-Funktion, 370 sph¨arische, 392 Neumannfunktion sph¨arische, 394 Newton’sche Bewegungsgleichung, 36 Norm, 217 Norm des Operators, 229 Nullvektor, 215 Observable, 255 Oktant, 2 Operator, 224 adjungierter, 226 beschr¨ankter, 229 hermitescher, 227, 246 inverser, 227 linearer, 225 selbstadjungierter, 227

551 stetiger, 230 unit¨arer, 228, 231 Operatornorm, 229 Orbital, 420 Orthogonalprojektor, 249 Orthogonalsysteme vollst¨andige, 221 Orthonormalsystem vollst¨andiges, 222 Ortsoperator, 70 Oszillator axialsymmetrischer harmonischer, 374 dreidimensionaler harmonischer, 290, 407 harmonischer, 267, 274, 277 isotroper harmonischer, 292, 407 vierdimensionaler harmonischer, 440 Oszillatorl¨ange, 275, 408 Parallelogramm-Gleichung, 220 Paramagnetismus, 498 Parit¨at, 159 Parit¨atsoperator, 159 Paschen-Serie, 426 Pfadintegral, 41 Phasenapproximation station¨are, 73 Phasengeschwindigkeit, 60 Phasenraumdarstellung des Propagators, 41 Planck, 6 Planck’sches Wirkungsquantum, 6 Poisson-Formel, 93, 109 Poisson-Klammer, 124, 125 Potential axialsymmetrisches, 365 Potentialbox sph¨arisch-symmetrische, 404 Potentiale kugelsymmetrische, 387 sph¨arische symmetrische, 389 Potentialkante unendlich hohe, 97

552 Potentialtopf rechteckiger, 88 unendlich hoher, 105, 161 Produkt direktes, 251 dyadisches, 241 inneres, 216 Projektionsoperator, 248 Propagator bei Anwesenheit einer unendlich hohen Potentialwand, 97 eines freien Teilchens, 43 Punktspektrum, 231 Quantenzahl magnetische, 342 Quasi-Impuls, 304 Radialfunktion, 388 Raum antilinearer, 235 dualer, 235 linearer, 215 normierter, 224 semilinearer, 235 Raumquantisierung, 344 Rayleigh-Jeans’sche Strahlungsgesetz, 5 Rayleigh-Schr¨odingerSt¨orungstheorie, 464 Reflexionskoeffizient, 174 Reflexionsstrom, 174 Reihe konfluente hypergeometrische, 413 Relativkoordinate, 416 Residuensatz, 94 Resonanzen, 186 Richtungsableitung, 143 Riesz’scher Darstellungssatz, 236 Ritz’sches Variationsverfahren, 474 Runge-Lenz-Vektor, 431 Rydberg-Konstante, 420 S¨akulargleichung, 466 Satz von Wielandt und Wintner, 230 Satz von Hellinger und Toeplitz , 239 Schr¨odinger-Gleichung, 113, 115, 116 eindimensionale, 147 station¨are, 119

Index zeitabh¨angige, 113 Schwankungsquadrat mittleres, 64 Schwarz’sche Ungleichung, 217 Schwarz’scher Vertauschungssatz, 547 Schwarzer K¨orper, 1 Schwerpunktskoordinate, 416 Schwingungsquant, 281 separabel, 223 Separationsansatz, 291 Sesquilinearform, 216 Skalarprodukt, 216 SO(4)-Gruppe, 435 Sommerfeld’sche Feinstrukturkonstante, 420 Spektraldarstellung, 242 Spektrum, 231 des harmonischen Oszillators, 281 kontinuierliches, 231 Spiegelladung, 103 Spin, 331 Spur, 233 Spurklasse, 233 Standardabweichung, 65 station¨are Phasenapproximation, 73 Stefan-Boltzmann-Gesetz, 6 Stern-Gerlach-Experiment, 500 St¨orungstheorie, 459 Stokes’scher Integralsatz, 140 Strahl, 254 Streuung am Potentialtopf, 181 an einer Potentialstufe, 169 Stromdichte, 132 Stufenoperator, 279 SU(2)-Lie-Algebra, 337 Summe direkte, 251 Superpositionsprinzip, 17, 116 Superpotential, 450 Teilchen-Welle-Dualismus, 11, 16 Teilchendichte, 130 Tensorprodukt, 250 Totalreflexion frustrierte innere, 198

Index Translationsoperator, 302 Transmissionskoeffizient, 174, 186, 189 Transmissionsstrom, 174 Tunneleffekt, 196 ¨ Ubergangsamplitude, 30 ¨ Uberlappungsintegral, 223 Unsch¨arferelation, 263, 282 f¨ ur Drehimpulskomponenten, 338 Unsch¨arferelation-Energie-Zeit, 263 Unsch¨arferelation-Ort-Impuls, 263 Variationsableitung, 540 Vektor dualer, 235 Vektorpotential, 487 Vektorraum komplexer, 215 Vernichtungsoperator, 279 Vertr¨aglichkeit von Observablen, 257 Virialsatz quantenmechanischer, 125, 127 vollst¨andige orthogonale Basis, 240 Vollst¨andiger Satz kommutierender Observablen, 261 Vollst¨andigkeitsrelation, 241

553 W¨armekern, 536 Wahrscheinlichkeitsamplitude, 16, 27 Wahrscheinlichkeitsdichte, 62, 130 Wellenfunktion, 51 des Grundzustandes, 157 im Impulsraum, 66 im klassisch verbotenen Bereich, 92 station¨are, 84 Wellenpaket, 55, 59 Wien’sche Verschiebungsgesetz, 6 Wirkung, 35 kanonische Form, 83 Wronskian, 155 Zeeman-Effekt, 500 Zentralpotential, 387 Zentrifugalpotential, 388 Zerlegungssatz, 31, 140 Zust¨ande gebundene, 151 station¨are, 119 Zustand koh¨arenter, 295 quantenmechanischer, 262 Zustandsreduktion, 255 Zyklotronfrequenz, 503 Zylinderfunktion, 370