Psychiatrische Zeitfragen aus dem Gebiet der Irrenfürsorge in und ausser den Anstalten und ihren Beziehungen zum staatlichen und gesellschaftlichen Leben 9783111674735, 9783111289953

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Psychiatrische Zeitfragen aus dem Gebiet der Irrenfürsorge in und ausser den Anstalten und ihren Beziehungen zum staatlichen und gesellschaftlichen Leben
 9783111674735, 9783111289953

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Bedenken gegen Irren-Anstalten. Gheel
II. Irrenkolonieen
III. Cottages, Pavillonsystem
IV. Unterbringung der Irren in gewöhnlichen Spitälern
V. Griesingers Reformvorschläge
VI. Isolirung der Irren-Anstalten
VII. Stadtasyle. Anstalten für einen transitorischen und einen langen Aufenthalt
VIII. Lokalversorgung. Hilfsverein. Mitwirkung der Aussenwelt
IX. Rückblick. Aufgabe der Anstalten
X. Wärterdienst
XI. Aerztlicher Dienst
XII. Mitwirkung der Geistlichen
XIII. No-restraint
XIV. Beschäftigung und Unterhaltung
XV. Züge aus dem innern Leben
XVI. Bauliches
XVII. Statistik
XVIII. Aufnahme-Bedingungen. Statut, Gesetz
XIX. Kosten und Arten der Verpflegung
XX. Grösse der Irrenanstalt
XXI. Heil- und Pflege-Anstalten
XXII. Staats- und Privat-Anstalten
XXIII. Obere Leitung, Generalinspectoren
XXIV. Das Studium der Psychiatrie. Benützung der Irrenanstalten zum Lehrzweck
XXV. Beziehungen der Geisteskranken zu dem Civilrecht
XXVI. Beziehungen der Geisteskranken zu einigen besondern Vorgängen
XXVII. Beziehungen zum Criminalrecht
XXVIII. A. Verwahrung sogenannter crimineller Irren. B. Fortsetzung der Strafe an genesenen Sträflingen
XXIX. Maassregeln zur Verhütung von Seelenstörungen
XXX. Maassregeln gegen die Trunksucht

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Psychiatrische Zeitfragen,

Psychiatrische Zeitfragen aus dem Gebiet der

Irrenfürsorge in und ausser den Anstalten und ihren Beziehungen

zum

staatlichen und g e s e l l s c h a f t l i c h e n

Leben.

Von

Dr. C. F. W. Roller, Grossherzoglich

badischem

Geheimerath

und P f l e g e a n s t a l t

und D i r e c t o r der

Heil-

Illenau.

„Nicht

K u n s t und W i s s e n s c h a f t

G e d u l d w i l l b e i dem W e r k e

Göthe.

B e r l i n .

Druck und V e r l a g von G e o r g

1874.

Reimer.

allein,

Bein.' 4

Meinem treuen Freunde und Mitarbeiter

Herrn Geheimehofrath Hergt und

meinem theuern Sohne

Hilfsarzt Christian Roller in Liebe gewidmet.

Vorwort. D e r Verfasser, welcher an der Entstehung und Fortbildung der Irrenanstalten ein lebendiges Interesse genommen hat, wollte zur Zeit der Angriffe auf dieselben ebenfalls seine Meinung abgeben, ist aber im Drang der Berufsgeschäfte nicht dazu gekommen. Obwohl es damals an einer kräftigen Abwehr nicht gefehlt hat, so schwirren doch in Folge jener Angriffe noch manche unklare Anschauungen durch die Luft, so dass eine nochmalige Beleuchtung nicht Uberflüssig sein möchte, zumal in einer Zeit, da man dem Uebelstand der Ueberflillung dieser Anstalten durch allerlei mitunter sehr bedenkliche Auskunftsmittel zu begegnen sucht. Sodann schien es wichtig, dem Ausspruch gegenüber, dass Seelenstörungen Krankheiten des Nervensystems seien, welcher diesen Angriffen zu Grund gelegt und mit volltönender Zuversicht als eine Errungenschaft der neuern Psychiatrie bezeichnet wurde, daran zu erinnern, dass damit zwar eine u n b e s t r e i t b a r e W a h r h e i t ausgesprochen, das Wesen der Seelenstörung aber dadurch keineswegs erschöpft ist und dass dieser Satz in seiner zu allgemeinen Annahme zu irrigen Folgerungen führt. Man verwechselt nach der bezeichnenden Aeusserung eines verehrten Kollegen Anatomie und Physiologie des Gehirns mit Psychiatrie. Es wird kein Schaden sein, wenn auf das Bedenkliche, was in dieser einseitigen Auffassung liegt, aufmerksam gemacht wird. Einen Beitrag zur Erforschung der neuropathologischen Natur dieser Zustände werden diese Blätter allerdings nicht liefern, aber doch dieser Aufgabe indirect in so fern dienen, als sie die Vervollkommnung der Irrenanstalten anstreben, aus

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Vorwort.

welchen die Psychiatrie hervorgegangen ist. Dass überhaupt eine solche existiit, verdanken wir den Irrenanstalten. Dieselben durch andere Arten der Irrenversorgung ersetzen zu wollen, sollte zunächst Denen, welchen die Pflege der jungen Wissenschaft am Herzen liegt, bedenklich erscheinen. Bedenken aber anderer Art müsste es erregen, wenn man in jener Pflege allein den Hort der Irrenfürsorge erkennen, wenn man im Vertrauen auf die Leistungen der Psychiatrie als medicinischcr Fachwissenschaft die Brücke abbrechen wollte, auf welcher man zu ihr gelangt ist, oder wenn man es als eine rettende That anpreisst, die Pflege der Psychiatrie künftig den Universitäten zuzuweisen, wie dies kürzlich mit mehr Beredsamkeit als Sachkenntniss geschehen ist. Dass für die Irrenanstalten aus der Nähe der Universitäten und hinwiederum für diese aus der Nähe der Irrenanstalten Vortheile erwachsen, wird Niemand bestreiten, nur aber müssen zuerst und vor allen Dingen die für die Lage einer Irrenanstalt aufgestellten Forderungen erfüllt sein. Die Nähe der Universität allein genügt nicht. Der Wissenschaft würde man einen schlechten Dienst erweisen, wenn man ihr das Wohl der Anstalt opfern wollte. Der Beweis, dass den Irrenanstalten in der Nähe der Universitäten wesentliche Vorzöge vor denen zukommen, welche fern von ihnen liegen, ist noch beizubringen. Möge die Universität das Ihrige zur Förderung der Psychiatrie beitragen. Wir schlagen dies nicht gering an. Nur darf der nächste Zweck der Irrenanstalten nicht darunter Schaden leiden. Was ihnen in erster Linie noththut, wird nicht auf Universitäten gefunden. Manche in unserer Zeit zu Tag tretende Erscheinungen werden den Wunsch rechtfertigen, dass man neben der Wissenschaft im engern Sinn doch die andere Wissenschaft nicht versäumen möge, welche mehr Sache des Herzens als des Verstandes ist. Wenn zur richtigen Behandlung der Seelenstörungen die Keuntniss der anatomischen und physio-pathologischen Vorgänge im Nervensystem und überhaupt der somatischen Stö-

Vorwort.

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rangen gehört, so ist es für diesen Zweck von nicht geringerer Bedeutung, dass alle Sorgfalt aufgeboten wird, um das Lobs dieser Kranken zu erleichtern, und dass an ihnen, wenn sie von ihren Familien getrennt leben müssen, Verwandtenpflicht geübt wird, dass überhaupt alle ihre Lebensverhältnisse in schirmende Obhut genommen werden. Dazu bedarf es natürlich mehr als der in einem gewöhnlichen Spital üblichen Krankenvisite und ganz anderer Mittel, als welche die Apotheke liefert. Der psychische Arzt wird seine Mitarbeiter noch in andern als medicinischen Kreisen zu suchen haben. Das Wartpersonal muss in besonderer Weise für diesen Beruf herangebildet werden. Was das Leben freundlich gestalten kann, Genüsse, welche die Kunst bietet, geistige Anregungen, gesellige Vergnügen, Feste dürfen in dem Heilapparat einer solchen Anstalt nicht fehlen. Und welche Kräfte müssen erst ausserhalb derselben in Anspruch genommen werdenr! Doch braucht dies vom Verfasser nicht weiter ausgeführt zu werden, er darf auf den XV. Abschnitt verweisen. Alle besseren Anstalten geben davon Kunde. Wohl aber wird man der Richtung gegenüber, welche sich in den neuerlichen Reform-Vorschlägen bemerklich gemacht hat, hieran mahnen dürfen. Einer solchen Mahnung nun hofft diese Schrift nachzukommen, da sie in mehreren Abschnitten von den Mitteln und Kräften handelt, welchen, obwohl streng genommen der Medicin nicht angehörig, die Irrenfürsorge und mittelbar auch die Psychiatrie ihre Förderung verdankt. Ferner glaubte ich, wie dies andeutungsweise von mir schon anderswo geschehen ist, auf die Berührungen der Psychiatrie mit andern Gebieten, wie sie aus einer fortschreitenden Ausbildung unseres Faches hervorgegangen sind, hinweisen zu sollen. Im neuen deutschen Strafgesetzbuch ist ein Schritt hierzu geschehen. Noch aber bleibt Vieles zu thun übrig. Manche Sätze im Civil- und im Criminalrecht bedürfen der Revision, namentlich die über das Strafverfahren geltenden Bestimmungen.

X

Y o r w o r t.

Wohl werden wir für unsere Gutachten keine absolute Giftigkeit fordern dürfen, auch wenn sie durch Benützung aller durch die Wissenschaft gebotenen Hilfsmittel und noch so gewissenhaft abgefasst sind; der Umstand aber, dass da, wo es sich um Leben und Freiheit handelt, nicht das Urtheil der Sachverständigen entscheidend ist, sollte doch die Aufmerksamkeit Derer erregen, welche über die Ausübung der Rechtspflege zu wachen haben. Eine vollständige Würdigung dieses wichtigen Gegenstandes wird nur dann gehofft werden dürfen, wenn — und dazu soll diese Schrift beitragen — die Ergebnisse unseres Faches in weitere Kreise gedrungen sind. Der Besprechung werth schien mir auch d a s mehr und mehr fühlbar werdende Bedürfniss, die Irrenfürsorge Uber die Grenzen der Anstalten auszudehnen. Der Staat, so wie überhaupt die Aussenwelt wird dafür in Anspruch zu nehmen sein: ein Punkt, welchen manche Wortführer in unserem F a c h nicht gebührend zu beachten scheinen. Allgemeine VerwaltungsGrundsätze reichen hier nicht aus. Der Aufgabe, wie das Loos der Irren in- und ausserhalb der Irrenanstalten zu verbessern ist, wird eine specielle Aufmerksamkeit zuzuwenden sein. Man wird die Fragen, ob und welche Verordnungen in diesem Gebiete nöthig werden, wenn die bisherigen sich als ungenügend erweisen sollten, welche Organe der Regierung hierfür erforderlich sind, nicht von der Hand weisen dürfen. Wir beziehen uns hier auf das, was im 18. Abschnitt ausGneist's „Englischem Verwaltungsrecht" mitgetheilt ist, man sehe auch Abschnitt 23 und 24. Ich möchte übrigens auch den Schein nicht auf mich laden, als ob mir in der Besprechung aller hier erörterten Fragen die Priorität zukomme. Ausser manchen Andern erwähne ich nur eines in unserer Zeitschrift schon 1850 erschienenen Artikels: Vorfragen in Betreff der Irrengesetzgebung von Flemming, welchem wir überall, wo Interessen unseres Faches zu vertreten sind, als rüstigem Vorkämpfer begegnen. Eine Verständigung anzubahnen, zwischen den Organen der

Vorwort.

XI

Gesetzgebung und der Verwaltung in Beziehung auf das Irrenwesen und zwischen den Anstaltsärzten, was von dem Verein nordamerikanischer Irrenärzte als ein Fundamentalsatz aufgestellt wird, war eine weitere Absicht, welche ich mit der Veröffentlichung dieser Blätter zu erreichen hoffe und wegen der man vielleicht manche Lücken nachsehen wird. Niemand erkennt diese mehr an als ich. Manche der hier besprochenen Punkte hätten eine eingehendere Behandlung verdient und vielleicht hätte Manches, was von Andern darin geleistet wurde, vollständiger benutzt werden können. Aber nicht nur Lücken sind der Schrift vorzuwerfen, sondern vielleicht noch mehr, dass sie, wie ich einräumen muss, in vielen Abschnitten nur Bekanntes giebt. Aber einmal war es gar nicht meine Absicht, nur Neues zu bringen, ich war vielmehr bemüht, der Richtung, welche das Alte, weil es alt ist, fallen lässt, entgegen zu treten und den Werth des brauchbar Gebliebenen geltend zu machen. Sodann finde ich einen Grund für die Veröffentlichung dieser Blätter darin, dass über manche der hier besprochenen Punkte verschiedene Meinungen bestehen, und dass eine solche Zusammenstellung zu einer weitern Besprechung und endgiltigen Entscheidung führen k a n n , wenn dieselben nämlich, wozu ich hier den Vorschlag mache, auf die Tagesordnung der psychiatrischen Versammlungen gesetzt werden wollten. Der guten Sache förderlich würde es immerhin sein, wenn über die wichtigern Fragen der Irrenflirsorge ein Verständniss erzielt werden könnte, wenn die psychischen Aerzte den Regierungen ein fertiges Programm vorweisen könnten, wie dies durch die Association der amerikanischen Irrenärzte geschehen ist. Auch von der medico-psychological Association in England lesen wir, dass sie einen grossen Einfluss ausübe, dass wenig periodische Vereine ein solches Interesse gemessen. Von der société médico - psychologique in Frankreich ist dasselbe bekannt. Vielleicht ist die Bedeutung des Vereins deutscher Irrenärzte — des Hauptvereins sowohl, als seiner Zweigvereine

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Vorwort.

— noch nicht gebührend gewürdigt, daher eine bestmnnte Organisation und vor Allem eine Zusammenstellung cbr zu lösenden Aufgaben zu empfehlen sein möchte. Dies bes