Projizierte Kunstgeschichte: Mythen und Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat [1. Aufl.] 9783839410820

Künstlergenies entfalten eine facettenreiche Strahlkraft - besonders auf der Filmleinwand. Sie wirken auf unsere Vorstel

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Projizierte Kunstgeschichte: Mythen und Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat [1. Aufl.]
 9783839410820

Table of contents :
Inhalt
Filmische Künstlerinnenbiografie als populärkulturelle Kunstgeschichte
Zum diffizilen Verhältnis von Kunst und Film
Die Kunstgeschichten im biografischen Spielfilm
Künstlerinnenmythen und Starlegenden
What, Why, How: Zur Auswahl und Methodik
Pollock: Eine populäre Historiografie
A Public Image through Life: Das Life Magazine als Imageproduzent
Der Pollack-Mythos: Sein medialer und ideologischer Einsatz
Das Biopie Pollock und seine medialen Vorlagen
Die Produktion von Filmmythen
Liaisons dangereuses: Die filmische Inszenierung Jackson Pollacks
"The Life Painter": Ein Vorspann
Der Mythos des tragischen Helden
Der Maler und seine Schaffensprozesse
Film-im-Film: Die Wende
Mythen und Medien: Eine folgenreiche Verbindung
Das künstlerische Feld
Lee Krasner: Von der aufstrebenden Künstlerin zur erfolgreichen Frau im Hintergrund
Zur Situierung Lee Krasners
Entscheidungen einer Künstlerin
Zur Repräsentation Krasners im Film
Clement Greenberg: Der einflussreiche Schiedsrichter
Der Kunstkritiker im Film
Peggy Guggenheim: Die exzentrische Sammlerin
Die Galeristin und Sammler in im Film
Autorschaftsdebatten: Vom Künstler zum Star, vom StarzumAutor
Die Inszenierung künstlerischer Autorschaft
Die Autorschatten von Ed Harris
Basquiat und die Celebrity Culture
Jean-Michel Basquiats Künstlerbild und Image
Verbalisierungen: Von der Gosse in die Galerie, vom Sprayer zum Künstler
Ikonisierungen: Der porträtierte Künstler
Künstlerimage: Die Vermarktung eines amerikanischen Künstlers
Ein Biopie aus Künstlerperspektive
Der Regisseur: Ein Künstler über das Wesen des Künstlers
Die Produzenten: Zwischen edukativen und ökonomischen Ambitionen
Das Künstlerleben im Film: Drei Einstellungen
Hungry for a Genius
How to Become a Star
Speedy Rider
Der filmische Basquiat
Black Painter and Black Beauty: Identitätsdiskurse
Looks and Habits: Künstlerimages
Just do it! Spontane Schaffensprozesse
Die New Yorker Kunstszene
Rene Ricard: Der begehrte und begehrende Kritiker
Idols and Rivals: Vorbilder und Gegenbilder
Andy Warhol Superstar
Autor/Künstler/Star: Julian Schnabels Verflechtungen
Filmische Autobiografie durch Seitenblicke
Malerischer Filmer
Ein "Interartist" in seiner Autorschaft
Im Zeichen von Hybridität
Hollywoods Kunstgeschichtejn: Zum Bedingungsgefüge von Künstlerinnenmythen und Starlegenden
Filmische Images im Vergleich
Verwobene Autorschaften
Ausblick in die Mitte und an die Ränder der Biopies
Literatur
Filme
Abbildungen
Danksagung

Citation preview

Doris Berger Projizierte Kunstgeschichte

Doris Berger (Dr. phil.), Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin, ist u.a. für die Bibliography of the History of Art am Getty Research Institute in Los Angeles tätig. Bis 2004 leitete sie den Kunstverein Wolfsburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kunst des 20. Jahrhunderts, zeitgenössische Kunst, Interrnedialität in den Künsten, visuelle Kultur, Gender Studies, Künstlermythen, Autorschaft und Ausstellungstechniken.

DORIS ßERGER

Projizierte Kunstgeschichte. Mythen und Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat

[ transcript]

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft sowie des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ jdnb.d-nb.de abrufbar.

©

2009

transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Steven Steinman, Zeichnung nach einem Still aus dem Film »Pollack«, R: Ed Harris, 2000 Lektorat: Doris Berger Satz: Alexander Masch, Bielefeld Druck: Majuskel Medienprodulction GmbH, Wetzlar

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Filmische Künstlerinnenbiografie als populärkulturelle Kunstgeschichte ......... . .. . ... . .... . .... 9

Zum diffizilen Verhältnis von Kunst und Film ...... . . . . . .. . . . ... 12 Die Kunstgeschichten im biografischen Spielfilm .. . . ... ......... 16 Künstlerinnenmythen und Starlegenden .......... ... ... . ...... 23 What, Why, How: Zur Auswahl und Methodik ......... . ..... . ... 27

Pollock: Eine populäre Historiografie.

A Public Image through Life: Das Life Magazine als Imageproduzent ........ .

. ....... . ........ 33 . ........ 36

Der Pollack-Mythos: Sein medialer und ideologischer Einsatz .... 41 Das Biopie Pollock und seine medialen Vorlagen .... . .. . ........ 48 Die Produktion von Filmmythen . .. ............... .. ........... 52 Liaisons dangereuses: Die filmische Inszenierung Jackson Pollacks ..................... .. ............... . ............... 56

"The Life Painter": Ein Vorspann ........... . ...... . .. . . . ....... 58 Der Mythos des tragischen Helden....... . ....

. .. 61

Der Maler und seine Schaffensprozesse .............. . .......... 70 Film-im-Film: Die Wende ...... . . .. .... .... . . ... .. .. . .. . . . .... 84 Mythen und Medien: Eine folgenreiche Verbindung ... . . ........ 92

5

Das künstlerische Feld .................................... . ........... 97 Lee Krasner: Von der aufstrebenden Künstlerin zur erfolgreichen Frau im Hintergrund ................. . .. . .......... 99 Zur Situierung Lee Krasners

. . . . . . . . . . . . . .... . . .... ... . ... 101

Entscheidungen einer Künstlerin . ................. .. . ........ 104 Zur Repräsentation Krasners im Film ................ . ..... . ... 109 Clement Greenberg: Der einflussreiche Schiedsrichter .... . ......... 121 Der Kunstkritiker im Film . . . . . . .

........

. .. .. .... . .... 124

Peggy Guggenheim: Die exzentrische Sammlerin ....... . ........... 130 Die Galeristin und Sammlerin im Film ............. . . . . ........ 134 Autorschaftsdebatten: Vom Künstler zum Star, vom StarzumAutor .............. . .. . .................. .. .. ......... 139 Die Inszenierung künstlerischer Autorschaft ..... . . . .. .. . . . .... 140 Die Autorschatten von Ed Harris ... .. . ...... . ..... . ..... . ... . . 143

Basquiat und die Celebrity Culture .............. . . .... . ...... 153 Jean-Michel Basquiats Künstlerbild und Image ....... . . ... ......... 158 Verbalisierungen: Von der Gosse in die Galerie, vom Sprayer zum Künstler ....... . . ............... . . . ........ 164 Ikonisierungen: Der porträtierte Künstler .... . ....... . ... . ..... 168 Künstlerimage: Die Vermarktung eines amerikanischen Künstlers . .. . ........... . . . . . .......... 186 Ein Biopie aus Künstlerperspektive . .................... . ........... 195 Der Regisseur: Ein Künstler über das Wesen des Künstlers

.. 196

Die Produzenten: Zwischen edukativen und ökonomischen Ambitionen . ................ . ... . . . ...... 204 Das Künstlerleben im Film: Drei Einstellungen ....... . .. .. . ......... 209 Hungry for a Genius ............ .. .............. . .. . ......... 210 How to Become a Star ... . . .. . . . . . . .. ............ . ... .. ... . . .. 213 Speedy Rider .. . . ......... . ... . . .. .............. .. . .. ........ 215

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Der filmische Basquiat. .................................. . ........... 218 Black Painter and Black Beauty: Identitätsdiskurse ............. 218 Looks and Habits: Künstlerimages . . ....... . ........ .. ... . .... 226 Just do it! Spontane Schaffensprozesse ............. . . . ........ 231 Die New Yorker Kunstszene ......................................... 238 Rene Ricard: Der begehrte und begehrende Kritiker . .. ......... 241 Idols and Rivals: Vorbilder und Gegenbilder ..... .. ............ 243 Andy Warhol Superstar .... . ..................... ... .......... 245 Autor/Künstler/Star: Julian Schnabels Verflechtungen . .. . . ........... ...... ............. 263 Filmische Autobiografie durch Seitenblicke ...... . .. .. . ........ 265 Malerischer Filmer. . . . . . .

. ... . ........... . . ........ 269

Ein "Interartist" in seiner Autorschaft .............. .... ....... 273 Im Zeichen von Hybridität ... .... . ... . .. ... . . . . . . . .. . ... . . .. .. 277

Hollywoods Kunstgeschichtejn: Zum Bedingungsgefüge von Künstlerinnenmythen und Starlegenden ..... . .. . ........ 281 Filmische Images im Vergleich ..................... .. . ........ 282 Verwobene Autorschaften ....... . . ................... . ....... 287 Ausblick in die Mitte und an die Ränder der Biopies .. . . ........ 290

Literatur ................. . . .

. ... 297

Filme ......... ... ... . ............................ .. . . ......... 323

Abbildungen ... . ............... . ..................... . ........ 327

Danksagung ..... . ............... . ..................... .... .. ......... 331

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Filmische Künstlerinnenbiografie als populärkulturelle Kunstgeschichte Die Vermittlung von Kunst kennt viele Wege. Ausstellungen, Kataloge, Monografien, Führungen sowie Feuilletonartikel oder Dokumentarfilme sind gängige, anerkannte Vermittlungsformen. Auch Artikel und Fotostrecken in Hochglanzmagazinen, literarische Biografien, CoffeetableBooks, Comics, Kinderbücher, Spielfilme oder Fernsehserien erzählen von Künstlerinnen und ihrem Schaffen, werden aber weniger als Kunstvermittlung verstanden, sondern unter Populärkultur subsumiert. Nun ist es nicht immer sinnvoll, die sogenannte Hochkultur von der Populärkultur zu trennen, zumal die Trennlinien nicht so eindeutig zu ziehen sind, und wenn sie gezogen werden, damit meist eine Beurteilung im Sinne von Hochkultur als "differenziert und wahr" und Populärkultur als "klischiert und falsch" einhergeht. Wenn ich im Zusammenhang dieser Arbeit also den Begriff der" populärkulturellen Kunstgeschichtsschreibung" einführe, möchte ich keineswegs eine qualitative Unterscheidung vornehmen, sondern ein Feld skizzieren, in dem Grundprinzipien der Kunstgeschichte in vereinfachter Form wiedergegeben und m assenmedial vermittelt werden. Populäre Kunstgeschichtsschreibungen sind äußerst prägend für die Vorstellungen vom Künstlerinnenturn und von künstlerischer Produktion, wie ich in meiner praktischen Erfahrung als Kuratorin feststellen konnte. So fällt auch in der Rezeption von zeitgenössischer Kunst immer wieder auf, dass Ideen über Künstlerinnen und künstlerische Produktion kursieren, die weniger mit zeitgenössischen Diskursen zur künstlerisch en Autorschaft un d Produktion in Beziehung stehen als mit alten Künstlerinnenmythen. 1 Auf Nachfragen, woher diese Vorstellungen kommen, wurde mitunter auf literarische Biografien (etwa über 1 I Künstlerinnen werden meist noch immer als Genies und Außenseiterinnen der Gesellschaft gesehen, die erst durch ihren Sonderstatus "große Kunstwerke" zu

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Projizierte Kunstgeschichte

Frida Kahlo oder Jackson Pollack) oder biografische Spielfilme (wie über van Gogh, Rembrandt oder Basquiat) verwiesen. Diese Erfahrung war ein Anstoß, im weiteren Sinne über ein Feld populärkultureller Kunstgeschichte nachzudenken und im engeren Sinne die edukative Funktion von Filmen über Künstlerinnen auch als Vermittlungsinstrument ernst zu nehmen. Aufgrund der intermedialen und intertextueilen Struktur von Filmen und der affektiven Wahrnehmung im Kino, insbesondere bei Spielfilmen, sehe ich in diesem Feld einen wichtigen Einflussfaktor auf Vorstellungen von Künstlerinnen und künstlerischer Produktion, die auch in der Kunstrezeption der Gegenwart weiterwirken. Obwohl Filme über Künstlerinnen erheblich zur breitenwirksamen Vermittlung von kunsthistorischem Wissen beitragen, finden sie in der kunsthistorischen Forschung trotz "lconic, Pictorial oder Optical Turn" 2 im Sinne einer strukturellen und funktionalen Analyse nicht genügend Beachtung. Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag geleistet werden, um diese Forschungslücke zu füllen. Im Unterschied zur Kunstwissenschaft gibt es sowohl in der Film- als auch in der Geschichtswissenschaft Forschungsfelder, die Dokumentarund Spielfilme in Bezug auf das Geschichtsbewusstsein, sei es als historisches Dokument, als Vermittlungsmedium in Schulen oder auch als Propagandamaterial erforschen. 3 Auch wenn Gertrud Koch Filmschaffen vermögen. Auf diese Vorstellungen und ihre Ursprünge wird im Folgenden noch näher eingegangen werden. 2 I Zu den verschiedenen .,Turns" sei auf die Bemerkungen und Literatur verwiesen in Thomas Hensell Andreas Köstler, .,Kunstwissenschaft exemplarisch: Die Berliner Museumsinsel", in: Dies. (Hg.), Einführung in die Kunstwissenschaft, Berlin 2005, 5. 9, Fußnote (FN) 1, 5. 20. 3 I ln Geschichts- und Filmwissenschaft vgl.: Mare Ferro, Cinema et Histoire, Paris 1977 I Pierre 5orlin, The Film in History Restaging the Past, Oxford 1980 I Hans-Arthur Marsiske (Hg.), Zeitmaschine Kino. Darstellungen von Geschichte im Film, Marburg 1992 I Robert A. Rasenstone (Hg.), Revisioning History: Film and the Construction of a New Past, Princeton 1994 I Robert A. Rosenstone, Visions of the Past. The Chal/enge of Film to our ldea of History, Cambridgellondon 1995 I Marcia Landy, Cinematic Uses of the Past, Minneapolisl london 1996 I Knut HickethieriEggo MülleriRainer Rother (Hg.), Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF- Tagung, Berlin 2001 I Marcia Landy (Hg.), The Historical Film. Film and Memory in Media, New BrunswickiNew Jersey 2001 I Robert A. Rosenstone, History on Film/Film on History, New York 2006. Zudem sind die Iiteraturwissenschaftiichen Forschungen von Hayden White hervorzuheben: Vgl. Hayden White, Metahistory The historical imagination in nineteenth-century Europe, Baitimore 1973 I Ders. , Tropics of Discourse, Baitimare 1978. Zeitschriften, in denen Film und Geschichtsschreibung eine herausragende Rolle spielen: History & Film (seit 1970) Rethinking History (seit 1997). Besonders über Filme, die in Verbindung mit der N5-Zeit stehen , gibt es in der deutschsprachigen Filmwissenschaft viele Untersuchungen, in denen Film- und Geschichtswissenschaft zusammengedacht werden. Meist wird darin Bezug genommen

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Filmbiografie als Kunstgeschichte

genres wie Historienfilme4 zunächst kritisch betrachtet, da eher das Schicksal von Einzelnen als die historischen Zusammenhänge im Vordergrund stehen, sieht sie darin dennoch ausgezeichnete Dokumente für die Bewusstseins- undAlltagsgeschichte, die über die aktuellen Deutungsmuster ihrer ZeitAuskunft geben. Sie schlägt eine doppelte Lesart vor, wenn sie schreibt: "Das Dargestellte muß gleichzeitig als Funktion eines Gegenwartsinteresses gelesen wie auch gegen die tradierten historischen Lektüren abgewogen werden. "5 Somit erzählen Filme mindestens genauso viel über Vergangenes wie über ihre Wahrnehmung in der Gegenwart. Ausgehend von Siegfried Kracauers Versuch, Filmgeschichte als Mentalitätsgeschichte zu denken6 , versuchen Historiker wie Robert Rosenstone zu ergründen, wie Film als visuelles Medium, das den Konventionen von Drama und Fiktion unterliegt, als seriöses Lehrmittel benutzt werden kann. "What could be learned from watehing history on the screen?"7 , fragt Rosenstone, wenn er die Beziehung zwischen bewegtem Bild und geschriebenem Wort untersucht. Was können und was könnten wir von einer "projizierten Kunstgeschichte" lernen, lautet diese Thematik auf unser Forschungsfeld übertragen. Unter einer projizierten Kunstgeschichte wird in diesem Zusammenhang die filmische Verschmelzung von Bildern und Erzählungen verstanden, die eine mehrstufige Projektionskraft aufweisen: Von der Projektion der Filmbilder auf die Kinoleinwand, die sich auf bestimmte Vorbilder und Vorstellungen von Kunst und Künstlerinnenturn beziehen, zu den projizierten Bildern in den Köpfen der BetrachterInnen, die an die filmische Erzählung anknüpfen und als Vorstellungsbilder wiederum auf die außerfilmische Realität im Sinne der Kunstrezeption rück-, ein- und weiterwirken. Dies evoziert eine Fülle von Fragen, die in dieser Arbeit unauf: Siegfried Kracauer, From Caligari to Hit/er. A Psychologica/ History of the German Film, Princeton 1947 [deutsche Übersetzung v. Ruth Baumgarten und Karsten Witte, FrankfurtiM. 1979]. ln diesem Zusammenhang ist nur ein kleiner Einblick in die Literatur möglich, vgl. Stephen Lowry, Pathos und Politik. Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus, Tübingen 1991 I Gertrud Koch, Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Judentums, FrankfurtiM. 1991 I Bettina Greffrath, Gesellschaftsbilder der Nachkriegszeit. Deutsche Spielfilme 1945-49, Pfaffenweiler 1995 I sowie eine gerade an der Freien Universität in Berlin entstehende Dissertation von Tobias Ebbrecht, Geschichtsbilder und Erinnerungseffekte. Nach-

trägliche Geschichtsbilder und visuelle und narrative Stereotypenbildung in Filmen über Nationalsozialismus und Holocaust seit den 90er Jahren (Arbeitstitel).

4 I Biografische Spielfilme stehen in ihrer Struktur Historienfilmen sehr nahe, weshalb dieser Vergleich herangezogen wird. 5 I Gertrud Koch, .. Nachstellungen - Film und historischer Moment", in: KlausE. MülleriJörn Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Warhnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Harnburg 1997, S. 551. 6 I Vgl.: Gertrud Koch, "Kontinuität und Mentalität: , Von Caligari zu Hitler"', in: Dies., Kracauer zur Einführung, Harnburg 1996, S. 99-124. 7 I Rosenstone, Visions of the Past, S. 3 f.

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Projizierte Kunstgeschichte

tersucht werden sollen: Welche Kunstgeschichten werden im Film eigentlich projiziert? Welche Absichten stehen dahinter? Wer erzählt die Geschichten und nach welchen Kriterien werden sie erzählt? Welche Vorlagen und Vorbilder werden eingesetzt? Wie wird die thematisch innewohnende Intermedialität inszeniert? Und schließlich: Wie wirken sich die filmischen Historisierungen außerhalb der Filme aus?

Zum diffizilen Verhältnis von Kunst und Film Die Film- und Kunstwissenschaften pflegen eine komplizierte Beziehung zueinander. Bela Balazs' Bitte in den 1920er-Jahren, dem Film doch Einlass in die heiligen Hallen der Kunstwissenschaft zu gewähren8, ist ein prägnantes Beispiel für die Ignoranz der Kunstgeschichte gegenüber der "siebten Kunst". 9 Obwohl Siegfried Kracauer davon überzeugt war, dass durch den Farbfilm die "Werke der Malerei dem Publikum auf eine sehr zeitgemäße, sehr eindringliche Weise nahegebacht werden können", und dass sich die Museen diesem Zustand anpassen müssten, 10 bildet der Kunsthistoriker Erwin Panofsky eine seltene Ausnahme, wenn er sich zu Beginn der "Goldenen Ära" Hollywoods mit Film beschäftigt_ll Er erkennt in diesem Medium eine lebendige Beziehung zwischen Kunstschaffen und Kunstgebrauch und weist auf die große Einflussnahme des Films auf Meinungen, Geschmack, Sprache, Kleidung und Benehmen hin. 12 Insofern erstaunt es umso mehr, 8 I Bela Balazs, " Wir bitten um Einlaß!" (1924), in: Ders., Schriften zum Film. Band I. Der sichtbare Mensch. Kritiken und Aufsätze 1922-1926. Berlin/München/Budapest 1982, S. 45-51. 9 I Zu den Gründen der Verdrängung vgl.: Thomas Meder, " Die Verdrängung des Films aus der deutschen Kunstwissenschaft 1925-1950", in: Joachim Paech (Hg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der lntermedialität, Stuttgart/Weimar 1994, S. 9-18. 10 I Siegfried Kracauer, "Film und Malerei", in: Neue Zürcher Zeitung, 15.5.1938, zitiert aus Wiederabdruck in: Ders., Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, hrsg. von Karsten Witte, FrankfurtfM. 1974, S. 57. 11 I Eine weitere Ausnahme ist bereits davor der Kunsthistoriker Hans Cürlis. Er gründete 1919 ein Institut für Kulturforschung in Berlin und produzierte kurze Filme über die Entstehung von Kunstwerken. Cürlis sieht in der filmischen Dokumentation ein didaktisches Medium, um Betrachterinnen zumindest die handwerkliche Seite der Schaffensprozesse näher zu bringen. Folgende Filmzyklen sind entstanden: Schaffende Hände: Maler bei der Arbeit (1923), Schaffende Hände: Bildhauer bei der Arbeit (1927), Vier Bildhauer beginnen und vollenden ihr Werk (1933), Schaffende Hände. Die Maler (1957). Vgl. Karl Stamm, "Der Künstler im Dokumentarfilm. Aspekte der Authentizität", in: Helmut KortefJohannes Zahlten (Hg.), Kunst und Künstler im Film, Hameln 1990, S. 63-68. 12 I Erwin Panofsky, .. Stil und Medium im Film" (1947), in: Ders., Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers, Frankfurt/M. 1999, S. 22. Dieser Text wurde in mehreren überarbeiteten Versionen publiziert.

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Filmbiografie als Kunstgeschichte

dass die fachspezifische Literatur dieses interdisziplinären Feldes in der Kunst-, Film- wie Medienwissenschaft auch 70 Jahre später noch nicht sehr vielfältig ist und sich meist auf Sammelbände oder einzelne Aufsätze erstreckt. 13 Ein Grund für die Zurückhaltung der Kunstwissenschaft liegt sicherlich in der medieninhärenten Verschmelzung von Hoch- und Populärkultur des Films und in seiner industrialisierten Ausrichtung. Angela Dalle Vacche begründet die Skepsis gegenüber dem Film auch damit, dass das Kino schon immer die Tendenz hatte, nicht nur die Malerei, sondern das ganze Kunstsystem herauszufordern und infolgedessen die Möglichkeit neuer Anordnungen, Hierarchien, Allianzen und Feindschaften zu enthüllen. 14 Ein Versuch, die klaffende Forschungslücke seitens der Kunstwissenschaft als solche zu benennen und somit zu verkleinern, ist der Tagungsband des Deutschen Kunsthistorikertages 1988 in Frankfurt am Main mit dem Titel Kunst und Künstler im Film. Darin werden zum ersten Mal unterschiedliche Formate diskutiert und neue Forschungsfelder für die Kunstwissenschaft eröffnet. Der kürzlich erschienene Tagungsband Das bewegte Bild. Film und Kunst15 schließt sich diesem Impetus an und erweitert das Feld Die erste Fassung hieß: "On Movies", in: Bulletin of the Department of Art and Archeology of Princeton University, 1936, 5. 5-15. 13 I KorteiZahlten , Kunst und Künstler im Film I Paech, Film, Fernsehen, Video und die Künste I Jürgen Felix (Hg.), Genie und Leidenschaft. Künstlerleben im Film, St. Augustin 2000 I Richard Schönbach, Bildende Kunst im Spielfilm: Zur Präsentation von Kunst in einem Massenmedium des 20. Jahrhunderts, München 2000 I Gregor Stemmrich (Hg.), Kunst/Kino, Köln 20011 Thomas HenseiiKiaus Krüger ITanja Michalsky (Hg.), Das bewegte Bild. Film und Kunst, München 2006. Aus dem Kunstfeld, vgl. das Coffeetable-Book von Heinz Peter Schwerfel, Kino und Kunst. Eine Liebesgeschichte, Köln 2003, das Themenheft Susanne LeebiCiemens Krümmel (Hg.), " Was will die Kunst vom Film?'', Texte zur Kunst, Jg. 11, Heft 43, September 2001 oder folgende Ausstellungen: Art and Film since 1945. Hall of Mirrors, Ausst.-Kat. MOCA, Los Angeles 1996 I Spel/bound. Art and Film, Ausst.Kat. Hayward Gallery, London 1996 j Ghost Story. Nachbilder des Kinos, Ausst.Kat. klhaus Wien 1998 I Moving Images. Film-Reflexion in der Kunst, Ausst.-Kat. GfZK, Leipzig 1999 I Hitchcock and Art. Fatal Coincidences, Ausst.-Kat. Montreal Museum of Fine ArtsiCentre Georges Pompidou, MontreaiiParis 2000 I Kino wie noch nie, Ausst.-Kat. Generali Foundation, Wien 2006 I Jenseits des Kinos: Die Kunst der Projektion. Film, Videos und Installationen von 1963 bis 2005, Ausst.Kat. Hamburger Bahnhof, Berlin 2006. Als einzelne filmhistorische Aufsätze sind zu erwähnen: Andre Bazin, "Malerei und Film", in Wiederabdruck: Ders., Was ist Film? (1975), hrsg. v. Robert Fischer, Berlin 2004, 5. 224-230 I Jacques Aumont, "Projektor und Pinsel. Zum Verhältnis von Malerei und Film", in : montagejav, Bd. 1, Nr. 1, 1991, 77-89. 14 I Angela Dalle Vacche, Cinema and Painting. How Art is Used in Film, Austin 1997, 5. 3. 15 I Diese Publikation basiert auf der im Jahr 2000 stattgefundenen Tagung "Kunst im Film - Film als Kunst" an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main .

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Projizierte Kunstgeschichte

aus kunstwissenschaftlicher Perspektive um Diskussionen zur Intermedialität und zu zeitgenössischen künstlerischen Praxen, in denen Film und Kunst ineinanderfließen. Neben den Sammelbänden gibt es bis heute nur wenige Publikationen, die ausführlich auf spezifische Fragestellungen im Spannungsverhältnis von Kunst und Film eingehen, wie der Filmhistoriker Jacques Aumont in I.:CEil interminable. Cinema et peinture, der die Unterschiede und Beziehungsformen von Malerei und Film unter den Gesichtspunkten der Bildlichkeit und Pikturalität untersucht. Aumont kommt jedoch zu dem Schluss, dass es letztendlich unmöglich sei, den Film als Malerei zu praktizieren. 16 Entgegen eines medialen Vergleichs von Malerei und Film interessiert sich Angela Dalle Vacche dafür, wie Malerei im Film inszeniert wird. In Cinema and Painting arbeitet sie mit einem intertextuellen Ansatz die Beziehungen zwischen Malerei und Film heraus. Anband einer aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammenden Filmauswahl17 betrachtet sie verschiedene "Genres" der Kunstgeschichte durch eine kinematografische Linse. Dalle Vacche erkennt im Film eine Chance für die Kunstgeschichte, neue Blicke auf Kunstwerke zu werfen, wenn sie schreibt: "either film ist plagued by a cultural inferiority complex and therefore obsessively cites other art forms, or it is selfconfident enough to move beyond this state of dependency and arrive at the point where it can teach something new to art historians." 18 Katharina Sykora scheint letztere Beobachtung zu teilen, wenn sie sich als Kunsthistorikerin in As you desire me19 auf die Rolle der Porträtmalerei im klassischen Hollywoodkino konzentriert. Dabei sind weniger die Grenzziehungen zwischen den Medien von Interesse als "mögliche Inversionen, Relativierungen und Öffnungen fixer Gattungs- und Geschlechterzuschreibungen, die in der VerschachteJung von Bild und Film sichtbar werden. "20 Sykora untersucht die mediale Paarung auf ihre Geschlechterkonstruktionen, Autorschaft und Intermedialität und gibt Einblicke in die narrativen Funktionen und medientheoretischen Positionierungen von Porträtmalerei im Spielfilm. Mit Kunst und Künstlerinnen im Film beschäftigt sich bereits seit 16 I Jacques Aumont, L 'CEil interminable. Cinema et peinture {1989), Paris 1995, S. 251. 17 I Dalle Vacches Auswahl erstreckt sich , um nur einige der acht Beispiele zu nennen, auf: Nosferatu, R: F. W. Murnau, D 1922, Utamaro o meguru gonin no onna

(Five Women around Utamaro), R: Kenju Mizoguchi, Japan 1946, An American in Paris, R: Vincente M innelli, USA 1951, II deserto rosso, R: Michelangele Antonioni, 1/F 1964, Andrej Rubljow, R: Andrej Tarkowskij, UdSSR 1969, Therese, R: Alain Cavalier, F 1986. 18 I Dalle Vacche, Cinema and Painting, S. 3. 19 I Katharina Sykora, As you desire me. Das Bildnis im Film, Köln 2003. 20 I Ebd., S. 8.

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Filmbiografie als Kunstgeschichte

1993 John A. Walker in seinem Buch Art & Artistsan Screen. 21 Er vergleicht Biopies über Künstlerinnen aus Europa und Hollywood mit Filmen, in denen fiktive Künstlerfiguren22 die Protagonisten sind. Walker stellt sich die Frage nach der historischen Genauigkeit der Darstellung von Künstlerinnen im Film und nach den dominanten Künstlerinnenbildern in fiktiven Filmen. Zudem weitet er seine Untersuchung auf die Darstellung von Kunstwerken, Kunsthändlern und -kritikern in Filmen sowie auf die Genres der Künstlerfilme und Dokumentationen über Kunst aus. Walker versucht damit herauszufinden, unter welchen Umständen es für Filmemacher möglich oder wünschenswert sein kann, die Spannungen zwischen den Werten von Kunst, Bildung und Unterhaltung zu lösen. 23 Das Buch liefert viele Einsichten in die Entstehungskontexte und-bedingungensowie in die Rezeption der Filme. In ihrem ästhetischen Charakter werden die Filme jedoch kaum untersucht. Ein explizit kunstwissenschaftlicher Ansatz ist in Bernadette Walters Arbeit Das Bild des Künstlers im Spiel- und Dokumentarfilm24 zu erkennen. Sie analysiert die mythischen Künstlerrollen im Spiel- wie im Dokumentarfilm anhand zweier Fallbeispiele- dem Biopie Lustfor Life von Vincente Minnelli und der künstlerischen Dokumentation ]ackson Pollockvon Hans Namuth- und weist durch Rückgriffe auf die kunsthistorische Rezeption von van Gogh und Pollock die Konstruiertheit der beiden Künstlerfiguren sowohl im Spielfilm als auch im Dokumentarfilm nach. 25 Den politisch-ideologischen Einsatz von Künstlerfiguren im Film untersucht Barbara Schrödls kulturwissenschaftliche Dissertation Das Bild des Künstlers und seiner Frauen.26 Schrödl geht in einer großen Auswahl 21 I John A. Walker, Art & Artists on Screen, Manchester /New York 1993. 22 I Als fiktive Figuren kommen in diesem Buch nur männliche Künstler vor. Im Folgenden wird versucht, eine gendersensible Schreibweise zu verwenden, die auch im Plural die jeweilige Geschlechterverteilung sichtbar macht. 23 I Ebd., 5. 1. 24 I Bernadette Walter, Das Bild des Künstlers im Spiel- und Dokumentarfilm.

Eine exemplarische Analyse von Vincente Minne/fis , Lust for Life' und Hans Namuths, Jackson Po/lock', Lizentiatsarbeit, Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern 1996. Vielen Dank an Bernadette Walter für das unveröffentlichte Manuskript. Eine andere Arbeit, in der relativ früh kunstwissenschaftliche Methoden im Film angewendet werden , ist die Dissertation von: Angelika Bretmoser-Bock, Bild, Film-

bild, Schlüsse/bild. Zu einer kunstwissenschaftliehen Methodik der Filmanalyse am Beispiel von Fritz Langs ,Siegfried' (Deutschland, 1924), München 1992. 25 I Zum Künstlerbild im amerikanischen Spielfilm der 1950er- und 60er-Jahre gibt es bis jetzt nur einen Aufsatz von Eilen Fischer, "Das Künstlerbild im amerikanischen Film der 50er und 60er Jahre", in: Paech, Film Fernsehen, Video und die Künste, S. 103-113. 26 I Barbara Schrödl, Das Bild des Künstlers und seiner Frauen. Beziehungen

zwischen Kunstgeschichte und Populärkultur in Spielfilmen des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, Marburg 2004.

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Projizierte Kunstgeschichte

an Filmen der Figur des Künstlers im Spielfilm der NS- und Nachkriegszeit nach und macht deren Verankerung in Künstlermythen sichtbar. In weiterer Folge analysiert sie die ideologische Verwertbarkeit der Künstlerfiguren im Film und führt sie im Sinne Kracauers auf die Mentalitätsgeschichte von Nazi- und Nachkriegsdeutschland zurück. Um die unterschiedlichen Anwendungen und (inter)medialen Einschreibungen von Kunst und Künstlerinnen im Film im Hinblick auf eine populärkulturelle Kunstgeschichtsschreibung in ihrer Differenziertheit untersuchen zu können, beschränke ich mich auf ein Segment dieses Feldes, den biografischen Spielfilm über Künstlerinnen. In diesem Genre reichen sich Film, Kunst und Künstlerinnen nicht nur die "Hände", sondern sie verschmelzen ineinander. 27 So soll innerhalb dieses Genres anhand zweier Fallbeispiele - der Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat- überprüft werden, welche kunsthistorischen und biografischen Erzählmuster sowie welche (Vor-) Bilder bevorzugt eingesetzt und wie diese im biografischen Spielfilm inszeniert werden.

Die Kunstgeschichten im biografischen Spielfilm Im Filmgenre der Biopies (biographical pictures) wird die Lebensgeschichte oder einzelne Lebensabschnitte einer bekannten Persönlichkeit erzählt. George Custen definiert das Genre folgendermaßen: "A biopic [... ] is minimally composed of the life, or the portians of the life, of a real person whose name is used. Other than that, the definition of what constitutes a biopic- and with it what counts as fame- shifts over with each generation. "28 Obwohl seit Beginn der Tonfilmzeit vor allem in Hollywood immer wieder Biopies produziert werden und diese zu den bekannten Genres gezählt werden29 , ist die filmwissenschaftliche Literatur hierzu noch immer nicht besonders vielfältig. Einer der Gründe lässt sich in Steve 27 I Andere filmische Äußerungen wie Dokumentationen über oder mit Künstlerinnen oder künstlerische Filme von Künstlerinnen werden hier aus Gründen der Konzentration auf ein Genre nicht berücksichtigt. Ebenso bleibt die Erforschung von Künstlerinnen als Figuren in Filmen und Fernsehserien außer Acht. Diese wird im Übrigen auch häufig von Künstlerinnen selbst unternommen. vgl. die Videoarbeiten: Christoph GirardetiVolker Schreiner, Fiction Artists, 2004 I annette hollywood hollywood art history: multiple artists, 2002 I Volker Eichelmann I Jonathan FaiersiRoland Rust, .,Do you real/y want it that much7"- ..... More'"· 1999. 28 I George F. Custen, Bio/Pies. How Hollywood Constructed Public History, New BrunswickiNew Jersey 1992, S. 6 f. Die Protagonisten können historische Figuren wie Politikerlnnen, Wissenschaftlerlnnen, Sportlerlnnen, Entertainerinnen oder Künstlerinnen sein. 29 I Vgl. die Besprechung des Biopie-Genres unter .,Major Genres" in: Steve Neale, Genre and Hollywood, LondoniNew York 2000, S. 60-65.

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Neales Studie über Hollywoodgenres erkennen, der beobachtet: "the biopic has lacked critical- rather than industrial- esteem. The target of historians and of film critics and theorists alike, it has been the butt of jokes rather more than it has been the focus of serious analysis." 30 Das Genre wird als anekdotisch, konventionell, unkünstlerisch, unwissenschaftlich und unrealistisch kritisiert. Marcia Landy erkennt in dieser Kritik "the longstanding animus against mass culture and its lack of ,seriousness', an animus based on distinctions between traditional and popular forms of knowledge.'m Es dauerte bis 1992 für eine grundlegende Studie. George Custen untersucht in Bio/Pies. How Hollywood Constructed Public History die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsgeschichten von knapp 300 Biopics, die zwischen 1927 und 1960 enstanden sind. Neben ihrer Wirkungsgeschichte arbeitet Custen die Funktionsweisen von Biopies heraus und weist eine enge Verbindung des Genres mit der Imagemaschinerie des Studiosystems nach. Es ist die erste Studie, die sich strukturell und funktional mit diesem Genre beschäftigt. Eine erzähltheoretische Perspektive wird darin jedoch weitgehend ausgeblendet. Diese ist der Fokus von Henry M. Taylor in Rolle des Lebens. Die Filmbiographie als narratives System. 32 Taylor nimmt aus erzähltheoretischer Perspektive eine Genre- und Figurenanalyse vor und diskutiert Biopies vor dem Hintergrund der Biografik-Forschung. Das Symposium Inside Stories. Film und Biographie beschäftigte sich neben den narrativen Strukturen auch mit unterschiedlichen ästhetischen Modellen von Biopies und ihren sozialen und kulturellen Bedingungen. 33 Da Biopies immer eine biografische Ausrichtung haben, besteht ein Bezug zu einer historischen Wirklichkeit. Auch wenn das Format Spielfilm vielen Prämissen in der Hollywood'schen Produktionslogik zu folgen hat, 34 stellt sich immer auch die Frage nach dem Verhältnis von biografischer Realität, Faktizität und Fiktion. Das Biopie-Genre zeichnet sich durch eine "schwache Narration" aus, in der oft episodenhaft 30 I Ebd., S. 60. 31 I Landy, Cinematic Uses of the Past, S. 155. 32 I Henry M. Taylor, Rolle des Lebens. Die Filmbiographie als narratives System, Marburg 2002. 33 I Das Symposium fand im November 2007 im Österreichischen Filmmuseum statt und wurde vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie und dem Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien veranstaltet. Die Publikation wird unter dem Titel Ikonen, Helden Außenseiter: Film und Biographie, hrsg. von Pat ric Blaser, Andreas B . Braidt, Deborah Holmes, Manfred Mittermayer, Wien 2009 erscheinen . 34 I Allein die Beschränkung der Geschichte auf einen 90-minütigen Spielfilm, etwa 80 bis 90 Drehbuchseiten entsprechend , verlangt eine Konzentration auf bestimmte Momente des Lebens und setzt sich bereits dadurch von den meist mehrhundertseitigen literarischen Vorlagen ab.

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erzählt und auf "stereotype, mythische Story-Schemata" zurückgegriffen wird, wie Taylor erkennt.35 Auch andere Filmgenres werden dafür bemüht. So stehen Biopies meist mit dem Melodrama in Verbindung. Die erzählte Geschichte basiert auf Heldinnenfiguren, deren Werdegang dem dramatischen Spannungsbogen folgend als Aufstieg und Fall erzählt wird und mit dem Tod der Hauptfigur endet. 36 Wie "wahr" oder "falsch" die filmische Erzählung auch sein mag, ist irrelevant, denn die Beziehung von filmischen Biografien zur Geschichtsschreibung sei, laut Custen, mit dem Verhältnis von "Ceasar's Palace" in Las Vegas zur Architekturgeschichte vergleichbar. Er sieht darin eine enorme Verzerrung, die uns jedoch nach einer Weile von ihrer eigenen Authentizität überzeuge. Demnach zieht Custen den Schluss: "Hollywood biographies are real not because they are believable. Rather, one must treat them as real because despite the obvious distortions ranging from the minor to the outright camp, Hollywood films are believed tobe real by many viewers. They represent, according to Hayden White, not a concrete illustration of history, a Iitera! recapitulation of physical cause and effect, but rather types of behavior and explanation that comprise the category ,history' .'' 37

In diesem Sinne sind auch filmische Künstlerinnenbiografien als eigene Realität zu verstehen, die infolge zur Vermittlung von kunsthistorischem Wissen für viele Menschen eine Rolle spielen. Custens Recherche zu "Hollywood's view of history" ist somit auch auf "Hollywood's view of art history" übertragbar. 38 Über den edukativen Anspruch von Künstlerinnen-Biopies sowie über die Rolle des kunsthistorischen Kontexts im Film gibt Peter Brant in seiner Funktion als Produzentzweier Künstlerbiografiefilme in einem Interview Aufschluss: "DB: Da yau see these films as an educatianal taal far teaching us samething abautart? PB: Yes. Even if the story is not a hundred percent accurate, even if the story is more romantic than historically exact, it is an inspiration. You see an artist in a very noble light, you see that he or she is very human. I like bringing very sophisticated subject matter to the public. 35 I Taylor, Rolle des Lebens, S. 18. 36 I Taylor unterscheidet hierbei zwischen klassischen Biografien, die sich durch eine harmonische Geschlossenheit am Ende auszeichnen und modernen Biografien, in denen oft ein problematischer Schluss mit offenem Ende oder Rätsel bevorzugt wird. Vgl. Ebd., S. 15 f. 37 I Custen, Bio/Pies, S. 7. 38 I Bzgl. Biopies über bildende Künstlerinnen, siehe Filmverzeichnis, 318 f. Bzgl. Künstlerinnen-Biopies aus den USA, worunter nicht nur solche über bildende Künstlerinnen, sondern auch über Schriftstellerinnen und Musikerinnen verstanden werden, siehe Tabelle in Custen, Bio/Pies, S. 248.

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DB: Da you think that the story is more important than art historical accuracy? PB: Weil, I think it should be as close to art history as possible. But ultimately, I think you have to tel! a story. You have to inspire. "39

Der oft unscharf gehaltene kunsthistorische Kontext, der sich der biografischen Erzählung im Film "beugen" muss, ist sicherlich auch einer der Gründe für die Skepsis der Kunstgeschichte gegenüber diesem Filmgenre. Die Distributionsmechanismen Hollywoods, die sich in erster Linie auf massenmediale Verwertbarkeit konzentrieren, beeinflussen zudem die Auswahl sowie die Repräsentation der Künstlerinnen im biografischen Spielfilm. Meist dienen erfolgreich publizierte Biografien oder Romanbestseller als filmische Vorlagen für das Drehbuch. Einerseits fungieren diese Vorlagen als "Readymade-Narrative" wie Walker bemerkt, und andererseits scheint deren Erfolg den Produktionsfirmen Garant für ein nicht allzu unpopuläres Produkt zu sein.40 Was die Auswahl der Künstler (seltener Künstlerinnen), über die ein Film produziert wird, betrifft, kann festgehalten werden, dass diese hauptsächlich in den Medien Malerei (seltener Bildhauerei) arbeiten. 41 Zudem ist die historische Referenzfigur immer schon verstorben. Dieser Tatbestand engt die Auswahl der Künstlerinnen enorm ein. Zudem gilt der Biografismus in der Kunstgeschichtsschreibung als umstritten, obwohl er sich 39 I Interview der Autorin mit Peter M . Brant in New York City, 20.9.2005. Im Folgenden zitiert als: PB: 20.9.05. Mein Dank gilt Jean Bickley für ihr Engagement zur Koordinierung eines Gesprächstermins. 40 I Walker, Art & Artists on Screen, S. 15. Die beiden erfolgreichen fiktionalen Biografien von lrving Stone dienten als Vorlagen für die gleichnamigen Filme Lust for Life, New York 1934 ( Biopie 1956) sowie The Agony and the Ecstasy: A Biographical Novel of Michelangelo, New York 1961 (Biopic 1965). Vorlage für das Biopie Frida (2002) ist die Bestseller-Biografie von Hayden Herrera, Frida. A Biography of Frida Kahlo, New York 1983, für den Film Pollock (2000) die mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Biografie von Steven Naifeh / Gregory White Smith , Jackson Po/lock: An American Saga , New York 1989. 41 I Mittlerweile gibt es einen stark fiktionalisierten, kaum biografischen Film über die Fotografin Diane Arbus. Vgl. Fur. An lmaginary Portrait of Diane Arbus, R: Steven Shainberg, USA 2006. Ansonsten ist zu beobachten, dass es unter fiktiven Künstlerlnnenrollen , die keine konkret benannten historischen Vorbilder aufweisen, die Fotograflnnen, Video- oder Performancekünstlerinnen gibt. Vgl.: High Art, R: Lisa Cholodenko, USA 1998 (Fotografie) / Me and you and everyone we know, R: Miranda July, USA 2005, (Video). Auch in deutschen Fernsehserien wie Tatort kommen immer wieder Künstlerinnen als Figuren vor, die nicht nur in den Medien Malerei und Bildhauerei arbeiten. ln der amerikanischen Serie Six Feet Under (kreiert von Alan Ball, 2001-2005) entwickelt sich eine der Hauptfiguren (Ciaire) zur Künstlerin und Fotografin. Interessant scheint mir, dass die meisten dieser in den neuen Medien tätigen Filmfiguren Frauen sind. Dass an die künstlerische Anerkennung auch in der Realität eine Gender- und Medienfrage gekoppelt ist, würde sich somit in Film und Fernsehen widerspiegeln .

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in vielen Künstlermonografien und monografischen Ausstellungen widerspiegelt.42 Die "Kunstgeschichte ohne Namen" 43, die sich auf das künstlerische Werk konzentriert und biografische Daten weitgehend ausklammert, ist eindeutig nicht jene Kunstgeschichte, die im Spielfilm erzählt wird. Gender im Genre In der biografischen Konzentration auf die Geschichte einer Person werden auch geschlechtsspezifische Vorstellungen von Künstlern und Künstlerinnen rekonstruiert. Trotz postmoderner Diskurse, die das Ende der großen Meistererzählungen propagieren, stellt Silke Wenk fest, "dass alte Mythen von m ännlicher Meisterschaft und männlichem Schöpferturn weiterhin relevant und im Umlauf sind, wenn auch nicht immer als große zusammenhängende Erzählung. "44 Die ungleichmäßige Verteilung der Geschlechter spiegelt sich rein quantitativ in den existierenden Biopies über Künstlerinnen wider. Bis auf Frida Kahlo, Camille Claudel und Artemisia Gentileschi gibt es keine anderen bildenden Künstlerinnen, über die ein biografischer Spielfilm gedreht wurde. 45 Demgegenüber steht eine Vielzahl an Biopies über männliche Künstler.46 In den wenigen Beispielen ist zudem immer eine einflussreiche Rolle eines Künstlers im Umfeld der porträtierten Künstlerinnen zu beobachten, wie die Lebenspartner Auguste Rodin bei Camille Claudel und Diego Rivera bei Frida Kahlo oder der Künstlervater Orazio Gentileschi bei Artemisia Gentileschi. Verena Kuni geht sogar so weit, die 42 I Gabriele Guercio, Art as Experience. The Artist's Monograph and lts Project, CambridgejLondon 2006. Zum Methodenstreit, der sich über den Stellenwert der Biografik in der Kunstgeschichte entfacht hat und dessen Historisierung vgl.: Karin Hellwig, "Künstlerbiographie und Historiographie", in: Kunstchronik, Heft 3, März 2003, S. 122-132. 43 I Vgl. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilbildung inderneueren Kunst, München 1915. 44 I Silke Wenk, " Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit" , in: Kathrin Hoffmann-Curtius/Dies. (Hg.), Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, Marburg 1997, S. 12. 45 I Der Film Carrington, R: Christopher Hampton, GB 1995 wird hier nicht hinzugezählt, da die Geschichte ihren Schwerpunkt mehr auf die Liebesbeziehungen von Dora Carrington legt als auf ihre Profession als Malerin. Auch der Film Fur. An lmaginary Portrait of Diane Arbus beschäftigt sich weniger mit dem Leben der Fotografin sondern inszeniert ihr Schaffen im metaphorischen Sinne als eine "Schöne und das Biest" -Erzählung. 46 I Meine Recherche zu existierenden Biopies über Künstler hat ergeben, dass mehrere Spielfilme über Rembrandt van Rijn , Francisco de Goya, Vincent van Gogh und Pablo Picasso produziert wurden. Des Weiteren gibt es Filme über Michelangele Buonarroti, Caravaggio, Jan Vermeer, Paul Gauguin, Toulouse Lautrec, Gustav Klimt, Amadeo Modigliani, Jackson Pollock, Francis Bacon, Jean- M ichel Basquiat. Siehe genaue Filmangaben im Filmverzeichnis, S. 318 f.

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Künstlerinnen-Biopies als ein Sub-Genre des Künstler-Biopies zu bezeichnen.47 "Gender im Genre" ist mittlerweile auch in anderen Filmgenres zum Forschungsfeld avanciert48 und wird auch im Zusammenhang dieser Arbeit eine wichtige Analysekategorie sein. In Biopies über Künstlerinnen sind unterschiedliche geschlechtliche Einschreibungen erkennbar, die die Repräsentation des Künstlers oder der Künstlerin auch inhaltlich prägen: Künstlerische Meisterschaft wird darin als eine männliche Gabe vermittelt. Weibliche Kreativität hat andere Bezugspunkte. Sie wird meist mit dem Thema der Reproduktion in Verbindung gebracht- eine Perspektivierung, die ihre Vorbilder in der Kunstgeschichte kennt. 49 So bringt Reinhild Feldhaus beispielsweise die geschlechtsspezifische, kunsthistorische Rezeption am Beispiel der Künstlerin Paula Modersohn-Becker, die kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes gestorben ist, auf den Punkt: "Während der Künstler sein Leben der Kunst ,opfert', ,opfert' die Künstlerin nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Kunst dem (neuen) Leben.'' 5 Künstlerinnen müssten sich demnach bewusst für Karriere oder für Kinder entscheiden; beides lässt sich in der Logik der Mythen anscheinend nicht vereinen. In der Frida KahloRezeption herrscht wiederum die Ansicht vor, dass die Künstlerin an ihrer Gebärunfähigkeit gelitten habe, weswegen sie ihre Reproduktionskraft in die Kunst steckte. 5 1 Diese Haltung wird ebenso im Biopie Frida (2002) reproduziert. Kurzum: Gebärfähigkeit und Kreativität stehen in der Rezeption weiblicher Schaffenskraft in wissenschaftlicher wie filmischer Kunstgeschichte imm er wieder in einem Abhängigkeitsverhält-

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47 I Verena Kuni , ., Gender is a Genre is a Genre? Cut Up! Versuch für Verfahren, einen gordischen Knoten zu durchschneiden", in: Monika Bernold/ Andrea Braidt/Brigitte Mayr (Hg.), Screenwise, WienjMarburg 2004, 5 221-232. 48 I Vgl. Claudia Liebrandfines 5teiner (Hg.), Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film, Marburg 2004 j Andrea B. Braidt, FilmGenus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, Marburg 2008. 49 I Maike Christadler bemerkt, dass Vasari der Künstlerin ,.aufgrund ihrer , natürlichen' Nähe zur , Natur' eine reproduktive Kunstproduktion" zuschreibt. Vgl. Maike Christadler, ., Natur des Genies und Weiblichkeit der Natur", in: HoffmannCurtiusjWenk, My then von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, 5. 43. 50 I Reinhild Feldhaus, ,.Geburt und Tod in Künstlerinnen-Viten der Moderne", in: Hoffmann-Curtius/Wenk, Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, 5. 76. Weiterführend vgl. Feldhaus, Der Ort von Künstlerinnen im Diskurs

der Avantgarde. Zur Rezeption von Paula Modersohn-Becker, Frida Kahlo und Eva Hesse, unpubl. phil. Dissertation, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2002. Vielen Dank an Reinhild Feldhaus für ihr Manuskript. 51 I Für die vorherrschende Rezeption vgl. u.a. Hayden Herrera , Frida Kahlo. Die Gemälde {1991), München 1997, 5. 49; für die Dekonstruktion dieser Rezeption vgl. Margaret A. Lindauer, Devouring Frida, Middletown 1999, 5. 61.

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nis. Auf die differierende kunsthistorische Rezeption von Künstler und Künstlerinnen bezogen bemerkt Feldhaus zudem: "Im Unterschied zum Künstler wird der Körper der Künstlerin als ,biologisches Schicksal' gedeutet. Er erscheint diskursiv immer wieder als spezifische ,Natur' mit der ihr eigenen Form der Hervorbringung. Da er zugleich als Medium und Thema ihrer Kunst veschrieben wird, wäre der Versuch, ihn zu ,verlassen', unweigerlich mit dem Verlust von Kreativität verbunden. Die Künstlerinnenidentität bleibt an konnotierter Geschlechtsidentität haften, welche für ihre Konsolidierung vermeintliche Körpergrenzen beschreibt. In diesem Zusammenhang bekommen die Motive Krankheit, Leiden und früher Tod eine andere Wertigkeit, als sie innerhalb der Künstlerbiografien einnehmen. "52

So lässt sich etwa im Topos des leidenden Künstlers oder der leidenden Künstlerin ein weiteres Merkmal für die unterschiedliche filmische Darstellung männlicher und weiblicher Kreativität festmachen. In Künstlerinnen-Biopies ist das Leiden meist auf den Körper der Künstlerin bezogen, ob sexuell konnotiert als "ausrangierte" Muse wie bei Claudel, als geschändeter Körper wie bei Gentileschi oder als schmerzvoller und unfruchtbarer Körper wie bei Kahlo. 53 In den Biopies über Künstler ist das Leiden zunächst meist psychologischer Natur und überträgt sich erst dann auf den Körper. Dies wird beispielsweise in der Darstellung von van Gogh sichtbar, wenn er sich infolge einer Depression ein Ohrstück abschneidet oder wenn in den Biopies über Pollock oder Basquiat der Alkohol- bzw. Drogenkonsum für den physischen Tod der Künstler verantwortlich gemacht wird. Obwohl es durchaus Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen über Künstler und Künstlerinnen und ihren gesellschaftlichen Funktionen gibt, sind die zugrunde liegenden Lebensgeschichten immer auch von der Kategorie Geschlecht geprägt und deren Repräsentationen geschlechtlich codiert. 54 In der von der Filmindustrie getroffenen Auswahl an Künstlerinnen spiegeln sich somit nicht nur romantisierende Vorstellungen vom Künstlerinnenturn wider, sondern ebenso Macht- und Hegemonieansprüche innerhalb des kunsthistorischen Kanons. Es stellt sich also die Frage, warum wirtrotz langjähriger Geschichte feministischer kunsthistorischer Forschungen55 im 52 53

I Feldhaus, .,Geburt und Tod in Künstlerinnen-Viten der Moderne", S. 85. I Die Künstlerin annette hollywood verschiebt in ihrer Videoarbeit hollywood

art history: artists in Iove (2002) den Fokus auf den weiblichen Körper im Sinne von sexuell konnotierten Blickstrukturen. Anhand verschiedener Szenen aus den drei Spielfilmen lässt hollywood die Künstlerinnen Kahlo, Gentileschi und Claudel in einen Dialog über weibliches Begehren treten. 54 I Die Kategorien Ethnie und soziale Herkunft spielen ebenso eine wichtige Rolle und sollen in der Analyse der filmischen Reprästentation des Protagonisten im Sinne von "Race", .. Ciass" und "Gender" auch untersucht werden . 55 I Ausgehend von Linda Nochlins programmatischem Text " Why Have There

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Biopie-Genre meist eine patriarchale Kunstgeschichtsschreibung vorfinden, in der Giorgio Vasari als Gründervater geradezu zelebriert wird.

Künstlerinnenmythen und Starlegenden In Biopies über Künstlerinnen wird Kunstgeschichte immer als Künstlerinnengeschichte erzählt. 5 6 Der Fokus gilt damit grundsätzlich einer bestimmten Figur und ihren Handlungen. Die Vorstellungen vom Künstlerinnenturn beruhen darin im Wesentlichen auf ihrer Mythenbildung: Künstlerin und Werk bilden eine Einheit, sie sind verkannte Genies, Außenseiter ihrer Gesellschaft und/ oder Leidende. Auch wenn die Künstlerinnen- wie in neueren Biopies- nicht mehr die "Verkannten", sondern die "Erkannten" sind, hat der Erfolg künstlerischer Schaffenskraft immer einen hohen Preis. Unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung sind die Künstlerinnenfiguren im Spielfilm meist in ein enges Vorstellungskorsett über das Künstlerinnenturn eingezwängt, deren visuelle und narrative Stereotypisierung auf Traditionen von Künstlerinnenmythen in Kunst- und Literaturgeschichte zurückgreifen. Giorgio Vasari gilt als ihr geistiger Vater in der Kunstgeschichte, der durch seine Viten57 in der Renaissance eine Kunstgeschichte begründet hat, die ausgehend von anekdotischen Lebensbeschreibungen von Künstlerinnen auf deren künstlerisches Schaffen schließt. Otto Kurz und Ernst Kris arbeiten erstmals in Die Legende vom Künstler" 8 über die stereotypen Beschreibungen von Künstlerviten. Sie stellen fest, dass nicht nur in Been No Great Women Artists7" (in: Art News, Bd. 69, Nr. 9, Januar 1971) hat sich im angelsächsischen Sprachraum eine feministisch orientierte Kunstgeschichte entwickelt, vgl.: Roszika Parker/Griselda Pollock, 0/d Mistresses. Warnen, Art and Jdeo/ogy, Lenden 1981 / Norma Broude/Mary D. Garrard (Hg.), Feminism and Art History, New York 1982 f Griselda Pollock, Vision and Difference. Feminity, Feminism and the Histories of Art, New York/London 1988 / Whitney Chadwick, Warnen, Art, and Society, Lenden 1990. Im deutschen Sprachraum vgl. vor allem die Bände der Kunsthistorikerinnen-Tagungen: llsebill Barta/Zita Breu/Daniela Hammer-Tugendhat u.a. (Hg.), Frauen. Bilder. Männer. Mythen. Kunsthistorische Beiträge, Berlin 1987 f lnes Lindner /Sigrid Schade/Silke Wenk/ Gabriele Werner (Hg.), Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, Berlin 1989 / Hoffmann-Curtius/Wenk, Mythen von Autor-

schaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. 56 I Vgl. Doris Berger, "Kunstgeschichte als Künstlerlnnengeschichte", in: Sexy Mythos. Selbst- und Fremdbilder von Künstlerinnen, Ausst.-Kat. NGBK Berlin/Forum Stadtpark Graz 2006, S. 13-19. 57 I Giorgio Vasari , Le vite de ' piu eccellenti pittori scultori e architettori. Ne/Je redazioni de/1550 e 1568, hg. v. Rosanna Bettarini/Paola Barocchi , 6 Bde, Florenz 1966-1987. 58 I Ernst Kris/Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch {1934), Frankfurt/M. 1995. Catherine Soussloff arbeitet an der Begrifflichkeit des Künstlers als historiegrafisches Konzept weiter, wo Kris/Kurz aufhörten, vgl.

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Vasaris Künstlergeschichten, sondern "daß in aller Biographik gewisse Grundvorstellungen vom bildenden Künstler nachzuweisen sind, die, ihrem Wesen nach aus einheitlicher Wurzel verständlich, sich bis in die Anfänge der Geschichtsschreibung zurückverfolgen lassen. "59 Trotz ständiger Reproduktion alter Mythen werden diese auch variiert. 5° Zudem werden auch immer wieder neue Mythen kreiert. So trugen vor allem Werke der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts 61 dazu bei, den Mythos des Bohemiens für den westlichen Künstler der Moderne zu konstituieren. 62 Kreativität, Spontaneität und ökonomische Unsicherheiten gehörten zur Vorstellung eines Bohemien-Lebens, die richtungweisend für das romantisierende Bild des Künstlers und künstlerischer Kreativität wurde und bis heute in den Biopies nachwirkt. Zeitgenössische Mythen sehen die Künstlerinnen meist im Kunstsystem verankert und reflektieren deren Erfolgsstrategien, wenn vom "Ausstellungskünstler", "Künstlerfürsten" oder "Künstlerstar" die Rede ist. 63 Catherine M. Soussloff, The Absolute Artist. The Historiograhy of a Concept, Minneapolis/London 1997. 59 I Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, S. 23. 60 I Zum Forschungsfeld der Künstlerinnenmythen vgl.: Rudolf und Margot Wittkower, Künstler. Außenseiter der Gesellschaft, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1965 / Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985 j Eckhard Neumann , Künstlermythen. Eine psychehistorische Studie über Kreativität, Frankfurt/M./New York 1986 /Michael Groblewski/Oskar Bätschmann, Kulturfigur und Mythenbildung, Berlin 1993 / Hoffmann-CuritusjWenk, Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert / Wolfgang Ruppert, Der moderne

Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im frühen 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1998 / Eva-Bettina Krems, Der Fleck auf der Venus. 500 Künstleranekdoten von Apelles bis Picasso, München 2003 / Martin Hellmold/Sabine Kampmann/Ralph Lindner /Katharina Sykora (Hg.), Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, München 2003. An Ausstellungen zu diesem Thema sind in den letzten Jahren zu nennen: Mila Horky, Künstlerbilder - Künstlermy then. Graphik und Zeichnung des 16. bis 18. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Herzog Anten Ulrich-Museum, Braunschweig 2002 / Jean Clair (Hg.) , Melancholie: Genie und Wahnsinn in der Kunst, Ausst.-Kat. Galeries Nationales du Grand Palais, Paris/Neue Nationalgalerie Berlin, Ostfildern-Ruit 2005 / Alexander Sturgis/Rupert Christiansen/Lais Oliver/Michael Wilson, Rebels and Martyrs. The Image of the Artist in the Nineteenth Century, Ausst .-Kat. National Gallery, London 2006 j Sexy Mythos j " Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden." Dekonstruktionen des Künstlermythos, Ausst.-Magazin, Hamburger Bahnhof- Museum für Gegenwart Nr. 14, Berlin 2008. 61 I Vgl. : Honore de Balzac, Le chef-d'ceuvre inconnu, 1831 / Charles Baudelaire, Le Peintre de Ia vie moderne, 1863 j Emile Zola, L 'CEuvre, 1886. 62 I Vgl. Marilyn R. Brown, "The Myth ofthe Bohemian Artist" , in : Dies., Gypsies and Other Bohemians: The Myth of the Artist in Nineteenth-Century France, Ann Arbor 1985, S. 1-17. 63 I Oskar Bätschmann, Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997 / Sabine Kampmann, Künstler sein. Systemtheoretische

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Jene Künstlerinnen, deren Lebens- und Schaffenserzählungen nicht den mythologischen Vorstellungen entsprechen oder die dem "anderen" Geschlecht angehören, haben es nicht leicht, in die Künstlerinnengeschichte aufgenommen zu werden und einen Platz in Hollywoods Kunstgeschichte zu finden. Nicht nur Künstlerinnenmythen prägen die Narrationen der Biopics, sondern auch Starlegenden stehen als Texte in enger Verbindung mit diesem Genre. Taylor bemerkt dazu: "Von besonderer Relevanz für das Biopie ist auch das Starphänomen: Zum einen können biographische Figuren als Stars in der Wirklichkeit verstanden werden; zum anderen werden Biopie-Protagonisten oft von Filmstars dargestellt, was zu interessanten Problemen der Verkörperung führen kann. "64

Es ist interessant zu beobachten, dass in den Entstehungsgeschichten der Biografiefilme über Künstlerinnen immer wieder von der intellektuellen oder emotionalen Nähe zur porträtierten Person berichtet wird oder vom großen Engagement der Regisseurinnen oder SchauspielerInnen, das sie für die Darstellung eines Künstlers oder einer Künstlerin aufbringen. Dadurch stellt sich die Frage, ob hier eine Verdoppelung des Starimages im Sinne von Künstlerstar versus Schauspielstar stattfindet. Denn die als gelungen befundene Darstellung einer historischen Person erhöht einerseits das Image eines/r Schauspielerin, wie sich beispielsweise an den Oscarverleihungen nachzeichnen lässt. 65 Andererseits gilt es zu beobachten, ob sich nicht auch die Schauspielerinnen mit ihren eigenen Starimages in die Geschichte "ihrer" Künstlerinnen

Beobachtungen von Autorschaft, München 2006. Zum gegenwärtigen Stand der Künstlerforschung, vgl. auch Kampmann , S. 24-39. Als aktuelle Beispiele von Künstlerinnemythen sind für die 1990er-Jahre die Charakterisierungen der Young British Artists zu nennen oder für das erste Jahrzehnt in 2000 jene der Neuen Leipziger Schule. Bzgl. der Mythenmaschinerie der YBAs vgl. Sirnon Ford, "Myth Making", in: Art Monthly, Nr. 3, 1996, S. 3-9. Zu den Unterscheidungsmerkmalen beider Mythen-Hypes, vgl. Berger /Schäfer, "Zur Kreation von Künstlerinnen Hypes. Young British Artists und Neue Leipziger Schule im Vergleich", in: Sexy Mythos, S. 156-161. 64 I Taylor, Rolle des Lebens, S. 15. 65 I Die Beliebtheit von Biopies lässt sich auch bei den Oscarverleihungen der letzten Jahre beobachten: 2005 gewann Jamie Lee Foxx für seine Rolle als Ray Charles in Ray den Oscar für den besten Hauptdarsteller. 2006 gewann Philipp Seymour-Hoffman als Truman Capote in Capote die Trophäe. ln 2007 wurden beide Oscars für die beste Hauptdarstellerinnenrolle an Helen Mirren für ihre Verkörperung der Queen Elizabeth in The Queen und Forest Whitaker für seine Rolle als ldi Amin in The Last King of Scotland vergeben.

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einschreiben. Obwohl Biopies meist keine Blockbuster sind und im Allgemeinen damit keine großen Kassenerfolge erzielt werden, gibt es seit Beginn der Hollywoodstudio-Ära immer wieder neue Filme dieses Genres. Dies lässt darauf schließen, dass neben Umsatzzahlen auch andere Faktoren als Motivation für die Produktion dieser Filme gelten. Wie Custen bemerkt, ist dieses Genre auch für Produzentinnen besonders interessant und steht mit der Entwicklung der Filmindustrie in enger inhaltlicher Verbindung: "Biopies also created a view of history that was based on the cosmology of the movie industry; in this world, key historical figures became stars, and the producers of these films often filtered the content of a great life through the sieve of their own experiences, values, and personalities. In this view of history, the greatness of the individual figure becomes that set of qualities that made a producer great or powerful in Hollywood, rather than those traits that characterized the farnaus person in his or her lifetime. "66

Nicht nur Regisseurinnen oder Schauspielerinnen, sondern auch Produzentinnen scheinen sich einen Imagegewinn in ihrem Metier zu versprechen. Es wird zu überprüfen sein, inwiefern die Filmlegenden und Stardiskurse67 genauso zum Genre der Biopies gehören wie die Künstlerinnenmythen, die die historischen Figuren umgeben. So stellen sich die Fragen: Welche Mythen und Legenden finden vorwiegend Einsatz im Biopic-Genre? Wie prägen diese die einzelnen Künstlerinnen- und Starimages? 66 67

I Custen, Bio/Pies, S. 4 f. I Zum überaus vielfältigen

Forschungsfeld der Stardiskurse vgl.: Richard Dyer,

Stars, London 1979 / Christine Gledhill (Hg.), Stardom: lndustry of Desire, LondonfNew York 1991 f Werner Faulstich/Helmut Korte (Hg.), Der Star. Geschichte - Rezeption - Bedeutung, München 1997 f Stephen Lowry /Helmut Korte (Hg.), Der Filmstar. Brigitte Bardot, James Dean, Götz George, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Hanna Schygulla und neuere Stars, Stuttgart/Weimar 2000 f Elisabeth Bronfenjßarbara Straumann (Hg.), Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München 2002 / Wolfgang Ullrich /Sabine Schirdewahn (Hg.), Stars. Annäherungen an ein Phänomen, Frankfurt/M. 2002 f Lucy Fisher /Marcia Landy (Hg.), Stars. The Film Reader, New York 2004. Ausgehend vom hauptsächlich filmwissenschaftliehen Diskurs zu Stars, hat sich in den letzten Jahren auch ein kulturwissenschaftliches Feld zum gesellschaftlichen Phänomen der Celebrity-Culture entwickelt. Vgl.: James Monaco (Hg.), Celebrity: The Media as Image Makers, New York 1978 f Joshua Gamson , Claims to Farne: Celebrity in Contemporary America, Berkeley 1994 / P. David Marshall, Celebrity and Power. Farne in Contemporary Culture, Minneapolis 1998 / Chris Rojek, Celebrity, London 2001 f Graeme Turner, Understanding Celebrity. London 2004 f Ellis Cashmore, Celebrityj Culture, LondonfNew York 2006. Als Ausstellung ist zu nennen: Superstars. Das Prinzip Prominenz. Von Warhol bis Madonna, Ausst.-Kat. Kunsthalle Wien/Ba-CA Kunstforum, Ostfildern-Ruit 2005.

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Abbildungen 1-2: Filmposter, Basquiat; Filmposter, Pollock

What, Why, How: Zur Auswahl und Methodik Die Erforschung der durch Biopies erzählten Kunstgeschichten findet in diesem Zusammenhang als interdisziplinäre Untersuchung zweier Fallbeispiele statt. Andere Biopies werden dann berücksichtigt, wenn sie für die Argumentation hilfreich sind. Die Arbeit konzentriert sich jedoch auf den ästhetischen Charakter, die Produktionsbedingungen und die Rezeption zweier Filme. Als Forschungsgegenstände wurden die Biopies Basquiat (R: Julian Schnabel, USA 1996) und Pollock (R: Ed Harris, USA 2000) ausgewählt. Beide Beispiele weisen sowohl typische Merkmale als auch Besonderheiten in Bezug auf Biopies über Künstlerinnen auf. So soll hiermit ein Spannungsfeld skizziert werden, das sich nicht nur in der Dialektik eines Entweder-oder bzw. Sowohl-alsauch erschließt, sondern immer wieder auch auf ein Darüberhinaus hinweist. In ihrem Einsatz von Mythen und Starlegenden stehen beide Filme symptomatisch für das Genre: In ihnen scheint ein Geniekult zelebriert zu werden. Die Mythologisierungen der einzelnen Künstlerfiguren werden eher affirmiert als dekonstruiert, obwohl eine Dekonstruktion der Mythen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten und künstlerischen Praktiken zur Zeit der Filmproduktionen seit längerem stattfand. Um der Diskrepanz zwischen Kunstdiskursen und Filmproduktion nachzugehen, sollen auch die Entstehungsgeschichten der beiden Biopics, ihre Produktionsbedingungen und ihre Einordnung in das Filmgenre untersucht werden. Basquiat und Pollock zeichnen sich jedoch auch durch unterschiedliche geschlechtliche und ethnische Codierungen aus. Darüberhinaus differieren sie in ihrem thematischen

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Projizierte Kunstgeschichte

Fokus, der Darstellung künstlerischen Schaffens sowie in den Motivationen der Regisseure. Ein weiterer Grund für die Auswahlliegt darin, dass sie die einzigen Biopies sind, die bis dato über US-amerikanische Künstlerinnen existieren, wodurch sich auch die Frage nach einer bestimmten nationalen Kunstgeschichtsschreibung stellt. Wenn man die Filme zusammen sieht, kann ein kulturhistorischer Bogen gespannt werden, der von einem spezifischen Anfang der amerikanischen Moderne anband des Künstlerhelden Jackson Pollock erzählt und diese mit den Künstlerstars Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol und Julian Schnabel mit postmodernen Diskursen und Fragen über den Einfluss des Kunstmarktes verknüpft. 68 Ein Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt auf der Darstellung der jeweiligen Künstlerfigur, da sie in den ausgewählten Beispielen und im Biopie-Genre allgemein- im Mittelpunkt der filmischen Erzählung steht. Um die "historischen, medialen, rhetorischen und sozialen Polisemien" 69 der Künstlergeschichten im Film eruieren zu können, wird der Arbeit am Film die kunsthistorische und populärkulturelle Rezeption des jeweiligen Künstlers vorangestellt sowie die massenmediale Verbreitung der Künstlerbilder und -mythen von Jackson Pollock bzw. Jean-Michel Basquiat aufgearbeitet. Danach werden die ausgewiesenen Filmvorlagen wie Biografien und Artikel in ihrer Rhetorik und ihrem Historisierungsgrad untersucht. Es folgt eine Analyse der Fitrnproduktionskontexte unter folgenden Gesichtspunkten: Welche Motivationen sind seitens der Regisseure, Produzenten und Schauspieler zu erkennen, das jeweilige Biopie zu produzieren? Welche Starlegenden werden kreiert? Gibt es Überblendungen von Star- und Künstlerimages? Ein eleganter Kunstgriff der Herausgeberinnen von Was ist ein Künstler? führt die Möglichkeit eines beidseitigen Tranfers von film- auf kunstwissenschaftliche Untersuchungszusammenhänge vor. Sie zitieren darin einen längeren Auszug aus einem filmhistorischen Text über Starimages, in dem sie den Begriff Star durch Künstler ersetzen. 70 Das Verwirrspiel auflösend, erläutern sie ihre Intention:

68 I Auch wenn filmhistorisch gesehen zuerst Basquiat und dann Pollock produziert wurde, werde ich von der Chronologie der kunst/historischen Vorlagen ausgehend mit dem Biopie über den Künstler Pollock beginnen, um eine historische Nachvollziehbarkeit der amerikanischen Kunstentwicklung im Lesefluss zu gewährleisten. 69 I Hellmold/Kampmann/Lindner/Sykora, Was ist ein Künstler?, S. 12. 70 I Ebd., ,.Einleitung. Künstler-Image oder das Schreiben über den Künstler als Camouflage", S. 8-15. Urspungstext: Stephen Lowry, ,.Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars", in: montagejav, Bd. 6, Nr. 2, 1997, S. 10-35.

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Filmbiografie als Kunstgeschichte

"Die Mimikry lässt zumindest beim ersten Lesen unklar, wo die Grenzen zwischen den filmhistorischen Überlegungen und ihrer kunstwissenschaftliehen Fortschreibung, zwischen Figur und Grund, Filmstar und Künstler verlaufen. In der Camouflage gehen beide grenzenlos ineinander über."71

Während eine interdisziplinäre Verflechtung durch die augewandten Methoden in dieser Arbeit durchaus forciert werden soll, arbeiten die einzelnen Fragestellungen und Analysen an der Entflechtung der Künstler- und Starimages in den Filmen. Die Biopies werden mit filmwissenschaftliehen Methoden der Sequenz- und Genreanalyse sowie kunstwissenschaftlichen Werkzeugen der Bildinterpretation und historischen Analyse untersucht. Innerhalb dieser Erforschung sollen auch immer wieder die Kategorien Geschlecht und Ethnie fokussiert werden. Ausgehend von einer Figuren- und Bildanalyse, die nach ihren historischen Vorbildern, ihrer Darstellbarkeit und Verwertbarkeit fragt, habe ich in Hinsicht auf den Forschungsgegenstand und die Fragestellung eine interdisziplinäre Methode entwickelt, die ich als Imageanalyse bezeichnen möchte. Im Gegensatz zum Englischen und Französischen sind im deutschen Sprachgebrauch mit dem Begriff "Image" mehrere funktionale Ebenen verbunden, die für mein Forschungsinteresse von Bedeutung sind: 72 Image ist zunächst ein Bild und ein Abbild. Darüber hinaus ist es ein kollektives Bild einer Person, Gruppe oder Sache in der Öffentlichkeit. In der Wirtschaftspsychologie wird unter Image die Gesamtheit der an ein Markenprodukt geknüpften Vorstellungen, Emotionen und Wertungen verstanden, weshalb die Begrifflichkeit auch mit "Vorstellungsbild" oder "Leitbild" umschrieben wird.73 Durch die Reduzierung eines komplexen Systems von Ideen, Gefühlen und Haltungen auf eine einfach strukturierte Formel, kommt das Image dem Stereotyp sehr nahe, es steht jedoch im Unterschied dazu immer auch mit einer ökonomischen oder ideologischen Verwertbarkeit in Verbindung. Im kunstwissenschaftliehen Kontext wird der Image-Begriff beispiels71 I Hellmold/Kampmann/Lindner/Sykora, Was ist ein Künstler?, S. 11. 72 I Der Begriff "Image" wurde 1959 im deutschen Sprachraum von H. G. Moore und G. Kleining in die Wirtschafts- und Sozialpsychologie sowie in die Soziologie eingeführt. Zur Begriffsgeschichte vgl. Einträge zu "Image": Oliver Brachfeld, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basei/Stuttgart 1976, S. 216-217 sowie von Werner Holly, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 4, Tübingen 1998, S. 223-227. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese Artikel. 73 I Der tiefenpsychologische Imago-Begriff, den Freud 1912 geprägt hat, kann als Vorläufer des Image-Begriffes gesehen werden. "Mit , Imago' bezeichnet Freud eine im Unbewussten existierende typenhafte Vorstellung von realen Personen oder Phantasiegestalten, zu denen im Kindesalter die ersten engen Beziehungen geknüpft worden waren." Brachfeld, S. 216. ln der kunsthistorischen Bedeutung wird unter "Imago" i.w.S. Bildnis und i.e.S. das Ahnenbild verstanden.

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weise für eine weiterführende Deutung des Bildnisses erprobt. Andreas Köstler schreibt dazu: "Der moderne Begriff des ,Images' enthält jedoch Aspekte, aus denen sich für die Untersuchung von Bildnissen auch in historischer Sicht eine nützliche Fragestellung entwickeln läßt. Gemeint ist die Frage nach den Entstehungsbedingungen von Bildnissen, den unterschiedlichen Ansprüchen und Vorstellungen, die als bildprägende Kräfte von Seiten des Bestsellers wie auch von Seiten des Rezipienten in die Formulierung von Bildnissen eingehen können. [... ] Das Thema ,Bildnis' im Bereich zwischen Eigen- und Fremd-Image, zwischen Intention und Rezeption anzusiedeln heißt, unseren Begriffvom Bildnis zu erweitern."74

Auf das Forschungsinteresse dieser Arbeit übertragen, scheint mir Image ein brauchbarer, operativer Begriff zu sein, der es erlaubt, auf die Vor- und Nachbilder, die Intention und Rezeption der einzelnen Künstlerfiguren im Film einzugehen. Dabei gilt es zu bedenken, dass auch die historischen Vorlagen über die Künstler nicht nur Bilder und Texte über herausragende Individuen sind, sondern auch ein Image transportieren und kollektive Ideen über das Künstlerturn aufweisen. Genau diese sorgen auch für die Popularisierung und die Identifizierung als porträtierwürdiger Künstler in der Filmwelt und finden wiederum Eingang in die filmischen Künstlerfiguren, die in unserem Fall Jean-Michel Basquiat und Jackson Pollock heißen. Überdies prägen die Künstlerimages die Identifikation der Schauspielstars mit den Künstlerfiguren sowie die Erzählungen darüber. Es geht also um ein ständiges für den Konsum bestimmtes Vor-, Über- und Weitertragen von Vorstellungen, Wertungen und Emotionen. Die Imageanalysen innerhalb des Films werden an ausgewählten Sequenzanalysen75 vollzogen, die zunächst die visuelle Erscheinung des Künstlers und seine Charakterisierung als Figur im Sinne der Bildkomposition, Mise en scene, Narration, Montage und Musik vor Augen führen. Die Identität des Protagonisten soll durch die eingesetzten Blickregimes 76 bestimmt werden, da diese Geschlechterverhältnisse und ethnische Codierungen konstruieren und über das geschlechtlich und 74 I Andreas Köstler, "Das Portrait. Individuum und Image" , in: Ders./Ernst Seidl (Hg.), Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln/Weimar /Wien 1998, 5. 14. 75 I Zur Methodik vgl.: Helmut Karte, Einführung in die Systematische Filmanalyse, Berlin 2000. Zur inhaltlichen Ausrichtung vgl.: Laura Mulvey, " Visual Pleasure and Narrative Cinema", in: Screen, Nr. 3, 1975 / Christian Kravagna (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997. 76 I Vgl. Kaja Silverman, "Dem Blickregime begegnen", in: Kravagna, Privileg Blick, S. 41-64.

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Filmbiografie als Kunstgeschichte

ethnisch codierte Bild vom Künstler im Film durch verschiedene Beziehungsverhältnisse Aufschluss geben. Sie charakterisieren die Hauptfigur auch in Bezug auf die Nebenfiguren und auf den filmischen Apparat. Thematische und motivische Schwerpunkte für die Auswahl der Sequenzanalysen liegen dabei auf der Untersuchung der filmischen Identität der Hauptfigur, ihren Beziehungen zu den Nebenfiguren sowie auf einigen Nebenfiguren. 77 Parallel dazu soll die Visualisierung der Künstlerfigur mit den biografischen Vorlagen, den kunsthistorischen Forschungen und den populärkulturellen Bild- und Textproduktionen verglichen werden. Zudem stehen die Fragen im Raum: Welche Mythen und Künstlerimages finden ihren Einsatz im Film? Wo weichen biografische und historische Vorlagen von der filmischen Umsetzung ab? Das künstlerische Umfeld wird anhand der Nebenfiguren, die Künstlerinnen, Kritikerlnnen, Sammlerinnen oder Galeristinnen sein können, untersucht. Ein Fokus liegt dabei auf der filmischen Inszenierung der jeweiligen Partnerschaften. 78 Die nähere Betrachtung der Inszenierung der Figuren von Lee Krasner (als Künstlerin und Partnerin von Jackson Pollock) und von Andy Warhol (als Künstler und Kollaborateur von Jean-Michel Basquiat) wird Aufschluss über die gesellschaftliche Situierung, den diskursiven Kontext, die gegenseitige Beeinflussung und vor allem die gesellschaftliche Rollenverteilung geben. Neben der Analyse einzelner Filmfiguren wird ein weiterer Akzent auf die Intermedialitär79 dieser Filme gelenkt im Sinne von: Welche Bild-, Text- und audiovisuellen Medien kommen für und in Biopies zum Einsatz? Welche Sichtbarkeit erhält dabei der Film als Erzählinstanz? Der künstlerische Schaffensprozess und die im Film eingesetzten Kunstwerke lassen sich am besten mit der Frage nach der Medialität untersuchen. Zielt die Analyse des Schaffensprozesses zunächst auf eine Gegenüberstellung von kunsthistorischer Literatur, Schöpfungsmythen und Vorlagen aus Print- und audiovisuellen Medien, sollen auch die eingesetzten Medien im Film untersucht werden. Ein weiteres Augenmerk wird auf die Kunstwerke gelegt. Da m eist mit Kopien der Kunstwerke gearbeitet wird, stellt sich die Frage nach der Originalität, Medialität und Autorschaft. Wer hat die zu sehenden Kunstwerke produziert? Welche medialen Einschreibungen (Printmedien, Fotografie oder Film) werden im 77

I Vgl.

Taylor , .. Das Spannungsfeld von Haupt- und Nebenfiguren", in: Ders. ,

Rolle des Lebens, S. 160-230. 78 I Zum Diskurs über Künstlerpaare vgl. : Whitney Chadwick/ lsabelle de Courtivron (Hg. ), Significant Others. Creativity and lntimate Partnership, London 1993 / Renate Berger (Hg.), Liebe Macht Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2000 /Jonathan Weinberg, Ambition & Love in Modern American Art, New Havenflondon 2001. 79 I Zur Begriffsentwicklung und zur Problematik intermedialer Bezüge vgl. lrina 0. Rajewsky, lntermedialität, Tübingen/Basel 2002.

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Film sichtbar, um den künstlerischen Schaffensprozess und die Kunstwerke darzustellen und in die filmische Narration einzubinden? Und welchen Stellenwert hat die jeweilige Inszenierung im filmischen Zusammenhang? Um das Verhältnis der einzelnen Medien zueinander zu untersuchen, scheint mir die kunsthistorisch geprägte Begriffsbildung der "Interikonizität" brauchbar zu sein. Unter Interikonizität versteht Thomas Hensel das Zusammenspiel verschiedener Bildmedien, wie Filmbild, Tafelbild, Ikone, bis hin zum Vorstellungsbild und der literarischen Metapher. "Als interikonisch kann ein Artefakt dann gelten, wenn es das multimediale Nebeneinander verschiedener Bilder in ein konzeptuelles Miteinander führt. "80 , schreibt Hensel. Interikonizitität zielt somit stärker auf die Frage der Intermedialität ab als der Image-Begriff und verspricht vor allem die Inszenierungsweisen des malerischen Schaffensprozesses, den Einsatz der Kunstwerke sowie die Verwendung historischer Vorlagen als mediale Authentifizierungsgesten theoretisch besser fassen zu können. Nach der Erforschung der einzelnen Images, Repräsentationsmodi und Entstehungsgeschichten wird die Frage nach den Autorschaften gestellt. Wie wird die künstlerische Autorschaft im Film inszeniert? Wiesehen die unterschiedlichen Autorschaften des Künstlers, des Regisseurs, des Schauspielers aus? Inwiefern stehen der Regisseur und/ oder der Schauspieler auch außerhalb des Biopies mit der künstlerischen Person in Verbindung? Welche Autorschaften werden durch die Filmrezeption in Printmedien etabliert? Abschließend soll durch einen Vergleich der beiden Fallbeispiele und etwaige Seitenblicke auf andere Biopies eine differenzierte Betrachtung der Filme im Hinblick auf Darstellungskonventionen von Künstlerinnen - ihrer Bildnishaftigkeit, ihrer Images und ihrer Historisierung angeregt werden. Obwohl die Untersuchung dieses Filmgenres hier eher vertikal als horizontal verläuft, soll es dennoch möglich sein, Rückschlüsse auf das Genre zu ziehen und neue Perspektiven auf die Ausgangsfrage einer populärkulturelle Kunstgeschichtsschreibung durch das Biopie-Genre zu gewinnen.

80 I Thomas Hensel, "Der Regisseur als Autor als Maler. Zu Andrej Tarkowskijs Poetik einer lnterikonizität", in: Ders./Krüger /Michalsky, Das bewegte Bild, S. 218.

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Pollack: Eine populäre Historiografie Es ist erstaunlich, dass es rund 50 Jahre gedauert hat, bis der erste biografische Spielfilm über Jackson Pollock produziert wurde. Denn die Erzählungen über die Künstlerfigur Pollock sind geradezu prädestiniert für eine biografische Hollywood-Verfilmung. Jackson Pollockgilt als der Stellvertreter amerikanischer Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde bereits zu seinen Lebzeiten als nationaler Künstlerstar ausgiebig vermarktet. Obwohl er seit Mitte der 1940er-Jahre in New York relativ erfolgreich war, garantierte ihm erst 1949 der Artikel "Jackson Pollack: Is he the greatest living painter in the United States?" 1 Die Erzählungen über das Leben und Schaffen von Jackson Pollock2 greifen zunächst eine Reihe von Künstlermythen auf, die dem vom Biopie-Genre bevorzugten, romantisierenden Künstlerbild zuträglich sind. Gleichzeitig nimmt Pollock aber als Vertreter abstrakter Kunst eine Sonderstellung im Biopie-Genre ein, denn abstrakte Kunst und Hollywood "vertragen" sich nicht besonders. Stehen Künstler der europäischen Moderne wie Pablo Picasso oder Vincent van Gogh, über die es mehrere Filme gibt, zwar an der Schwelle zur Abstraktion, so werden in ihren Kunstwerken auf unterschiedlichste Weisen Fragen nach der Ab1 I "Jackson Pollack: ls he the greatesft living painter in the United States7", 1n: Life Magazine, Nr. 6, 8. August 1949, S. 42-45. Die Autorin dieses Artikels ist Dorothy Seiberling, sie ist jedoch im Originaltext nicht ausgewiesen . im Life Magazine einen Bekanntheitsgrad, der weit über die Grenzen der New Yorker Kunstweit hinausreichte. 2 I ln Biografien wie z.B.: B.H. Friedman, Jackson Po/lock: Energy Made Visible, New York 1972 I Jeffrey Potter, To a Violent Grave: An Oral Biography of Jackson Po/lock, New York 1985 I Steven NaifehiGregory White Smith, Jackson Po/lock: An American Saga, New York 1989. Oder Monografien, wie z.B.: Francis V. O'ConnoriEugene V. Thaw, Jackson Po/lock: A Catalogue Raisonne of Paintings, Drawings, and Other Works, New Havenllondon 1978 I Eilen G. Landau, Jackson Po/lock, New York 1989 I Kirk Varnedoe (Hg.), Jackson Po/lock, Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art, New York 1998.

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Projizierte Kunstgeschichte

bildbarkeit von Welt verhandelt. Auch bei Jean-Michel Basquiat, Francis Bacon oder Frida Kahlo, über die in den letzten zehn Jahren Biopies produziert wurden, ist das Thema der Repräsentation in der Kunst relevant. So ist zu beobachten, dass es bis auf Pollock bis heute kein Biopie über abstrakte Malerinnen, keinen Film über Kasimir Malewitsch, keinen über Piet Mondrian oder Wassily Kandinsky und keinen über Ljubow Popowa, Sonia Delaunay oder Sophie Taeuber-Arp gibt. Auch das Leben und Schaffen konzeptueller Künstlerinnen, allen voran Marcel Duchamp, hat Hollywood bis dato nicht interessiert. Ist deren Leben tatsächlich nicht dramatisch genug für das Genre? Entspricht deren Identität nicht den Vorstellungen Hollywoods oder gibt es noch andere Gründe, die für das Desinteresse bestimmter Künstlerinnen und Kunstgattungen eine Rolle spielen? Werfen wir einen Blick zurück in das Hollywoodkino, das während der Blütezeit des Abstrakten Expressionismus entstand: In den 1940erund 50 er-Jahren - also während Pollacks Karriere - wurden mehrere Hollywoodfilme produziert, in denen Kunstwerke, genauer genommen gemalte Porträts, als Dreh- und Angelpunkt der erzählten Geschichte eingesetzt wurden. Katharina Sykora bemerkt zu den verwendeten Kunstwerken und ihrer Funktionalisierung in den Filmen: "Die so genannte hohe Kunst des Gemäldes nobilitiert hier [. .. ] keineswegs die populäre Kunst des Films, sondern durch die Einverleibung des gemalten Bildes negiert der Film offensiv die normativen Koordinaten des Kunstsystems, auch wenn in der Narration Sentenzen des traditionellen, vormodernen Kunstdiskurses zitiert werden. Alle gemalten Porträts in diesen Filmen sind vom Kunstsystem her gesehen - ,schlechte' Adaptionen der Salonmalerei um 1900."3

Die in den Hollywoodfilmen zu sehenden Kunstwerke stehen also in keiner Verbindung mit dem Kunstdiskurs der Zeit, sondern folgen anderen Parametern. Abstrakte Malerei hat darin kaum Platz bzw. wird in diffamierende Zusammenhänge gebracht. Das Hollywoodkino der 1940erJahre begegnet moderner Kunst mit Feindseligkeit und Argwohn, wie Diane Waldman erläutert: "I was struck by both the frequent hostile allusions to modern art and occasionally to high art in general, and the use of the presence of a realistic portrait as an occasion to valorize an illusionist over a modernist aesthetic." 4 Hollywood pflegte seine Abneigung gegenüber abstrakter Kunst, da sie diese für elitär und dadurch nicht für massentauglich hielt. So war 3 I 5ykora, As You Desire Me, 5. 11. 4 I Diane Waldman, "The Childish, the Insane and the Ugly. The Representation of Modern Art in Popular Films and Fiction of the Forties", in: Wide Angle, Bd. 5, Nr. 2, 1982, 5. 54.

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Pollock

es nicht die abstrakte Kunst, sondern das Image des Künstlers Pollack, das als Rollenmodell für männliche Kreativität im Hollywoodfilm fungierte. Eine Ausnahme bildet der Regisseur Vincente Minnelli, der u.a. für sein Interesse an moderner Malerei bekannt ist. In seinem Musical An American in Paris (1951) ist der Protagonist Jerry (Gene Kelly) zwar als Maler den europäischen Impressionisten verpflichtet, da deren Bildsprache den amerikanischen Klischeevorstellungen von Paris entspricht. In seiner Identität als Maler inszeniert Minnelli den Künstler jedoch in ungebrochener Einheit mit seinem Werk durch das Performative des Tanzes. Zuschreibungen wie Energie und Spontaneität werden dadurch mit dem künstlerischen Produktionsprozess des Protagonisten in Verbindung gebracht. Die zeitgleiche Rezeption des Künstlers Pollock ist dieser Beschreibung sehr ähnlich. Angela Dalle Vacche vergleicht MinneHis filmischen Ansatz mit dem Kunstverständnis der Zeit, das von den künstlerischen Errungenschaften Pollocks, aber noch vielmehr von dem Künstlerbild, das über Jackson Pollock 1951 in Amerika im Umlauf war, geprägt ist. Die Identitätskonstruktion des Künstlers Pollock dient Minnelli als Modell, anhand dessen er als Regisseur und "Auteur" 5 seinen eigenen kulturellen Hintergrund und künstlerischen Anspruch herausarbeiten kann. 6 Dalle Vacche charakterisiert Vincente MinneHis Film folgendermaßen: "In ,An American in Paris', the representation of French art is caught between two extreme versions of the American identity: Pollock's rebellious search for origins and Disneyland's return to the happy days of childhood. Thus, in ,An American in Paris', French art goes to Arnerica, and it enables Minnelli to interrogatehirnself about his persona as an artist or auteur in relation to the way his own cultural background defines nationalandsexual identity."7

Durch diese Beispiele wird deutlich, dass Hollywoods Einflussnahmen durchaus Auswirkungen auf ein populäres Kunst(geschichts)verständnis haben, vor allem, wenn man die prägenden Einflüsse des Films auf Meinungen, Geschmack, Sprache, Kleidung und Benehmen bedenkt, 5 I Der Begrifr .. Auteur" wird in den 1950er-Jahren in Frankreich im Sinne einer "Politique des auteurs" von den Kritikern der Cahiers du cinema geprägt. Damit wird ein individueller Ansatz eines Regisseurs (im Sinne eines Schöpfers oder Filmkünstlers) verstanden , der einen bestimmten persönlichen Stil entwickelt und meist mehrere Funktionen wie Autor, Regisseur, Produzent und die weitgehende Kontrolle über die Filmproduktion innehat. Zur Entstehungsgeschichte in den Cahiers du cinema sowie Auszüge daraus vgl.: John Caughie (Hg.), Theories of Authorship (1981), London 1999, S. 35-47. 6 I Minnelli ist auch Regisseurs des Filmes Lust for Life (1956), in dem Kirk Douglas Vincent van Gogh mimt. ln diesem Film wird anhand einer Biografie van Goghs die Thematik Kunst und Wahnsinn dramatisierend dargestellt. 7 I Dalle Vacche, Cinema and Painting, S. 42.

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Abbildungen 3-4: Life Magazine, 8. August 1949, S. 42 und 45 die Erwin Panofsky feststellt. 8 So verwundert es nicht, dass das Fehlen von abstrakter Kunst oder ihr diskreditierender Einsatz in Hollywoodfilmen ebenso meinungsbildend waren. Aber nicht nur Hollywood, sondern auch die damaligen populären Printmedien spiegeln die großteils verbreitete Abneigung und das Unverständnis gegenüber abstrakter Kunst in den 1940er- und 50er-Jahre wider. A Public Image through Life: Das Life Magazine als Imageproduzent

Nichtsdestotrotz waren es gerade die populären Printmedien, die dem Künstler Jackson Pollock öffentlichen Ruhm bescherten. Die Bedeutung des seinerzeit äußerst beliebten Life Magazine ist für den damaligen Bekanntheitsgrad Jackson Pollacks nicht zu unterschätzen. Obwohl seine Arbeiten und Ausstellungen auch in anderen Printmedien wie den Zeitschriften Time, New Yorker, Partisan Review, Vogue, Artnews besprochen wurden, nimmt das Life Magazine einen besonderen Stellenwert für die populäre Pollock-Rezeption ein. Auch im Biopie Pollock fungiert der erwähnte Artikel als Aufhänger der filmischen Erzählung. Aus diesen Gründen werde ich mich auf Artikel aus dem Life Magazine konzentrieren, um darin die Konstruktion des öffentlichen Künstlerimages Pollacks näher zu betrachten. Der Artikel ,,Jackson Pollock Is he the greatest living painter in the United States?" von 1949 beginnt mit folgenden Zeilen: "Recently a formidably high-brow New York critic hailed the brooding, puzzledlooking man shown above as a major artist of our time and a fine candidate to become ,the greatest American painter of the 20th Century."'9 Mit dem Kritiker ist Clement Greenberg gemeint, der an einem runden Tisch des Life Magazine über moderne Kunst10 teilnahm und Jack8 I Panofsky. ,.Stil und Medium im Film", 5. 22. 9 I Life Magazine, 8. August 1949, 5. 42. 10 I Russel W. Davenport/Winthrop Sargeant, "A Life Round Table on Modern Art", in: Life Magazine, 11. Oktober 1948, 5. 56 ff. Am runden Tisch nahmen folgende Personen teil: Clement Greenberg, Meyer 5chapiro, Georges Duthuit, Aldous

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Pollock

son Pollock als vielversprechendsten amerikanischen Maler der jüngeren Generation propagierte. Auch in anderen Printmedien setzte sich Greenberg seit Jahren sichtlich für Pollacks Etablierung im Kunstfeld ein. Hierauf werde ich später noch genauer eingehen. Zusätzlich zu den Bildern über Pollock scheint es mir in diesem Zusammenhang wichtig, auch die Beschreibung jenes Künstlers zu analysieren, dem das Potential zum "größten amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts" zugeschrieben wird. Pollock wird zunächst als "grübelnder, verwirrt aussehender Mann" beschrieben und mit überkreuzten Beinen und verschränkten Armen in farbbeklecksten Jeans mit Zigarette im Mund vor seinem breitformatigen Bild Number Nine (1948, auch als Summertime bezeichnet) gezeigt. Die Größe des Bildes wird dadurch unterstrichen, dass es über eine Doppelseite reicht und in der Bildunterschrift sarkastisch kommentiert wird: "Jackson Pollack, 37, stands moodily next to hismostextensive painting, which he calls ,Number Nine'. The picture is only 3 feet high, but it is 18 feet long and sells for $ 1,800, or $ 100 a foot. Critics have wondered why Pollock happened to stop this painting where he did. The answer: his studio is only 22 feet long."11

Die Farbfotografie für das Life Magazine stammt von Arnold Newman und schreibt den Künstler zunächst durch seine Körperhaltung als unsicheren Mann mit zweifelnd-grimmigem Gesichtsausdruck fest, der ihn beinah überheblich wirken lässt. In der Bildunterschrift beschreibt das Adjektiv "launisch" seinen Gemütsausdruck Die anderen Abbildungen auf dieser Seite zeigen die BilderNumber 12 (1948) und Number 17 (1948) 12 . Auf der nächsten Seite wird die für die damalige Zeit außergewöhnliche Malweise Pollacks mit Lack, Sand und Kelle thematisiert. Der Text ist eingerahmt von zwei Schwarz-Weiß-Abbildungen, 13 die von Martha Holmes stammen und Pollock jeweils kauernd über einem seiner Bilder zeigen. Auf der einen Fotografie lässt er Lackfarbe Hux ley, Francis Henry Taylor, Sir Leigh Asthon, R. Kirk Askew Jr., Raymond Mortimer, Alfred Frankfurter, Theodor Greene, James J. Sweeney, Charles Sawyer, H.W. Janson, A. Hyatt Mayor, James Thrall Soby. 11 I Life Magazine, 8. August 1949, S. 43. 12 I Im MoMA-Katalog sind die beiden Werke als Number 12 A und Number 17 A geführt. Viel erstaunlicher ist die Ungenauigkeit des Life Magazine, die an beiden Reproduktionen zu erkennen sind. Sie sind an allen vier Seiten leicht beschnitten. Dieser Fehler ist an Number 17 A sogar ohne Reproduktionsvergleich zu erkennen, da die Signatur Pollocks am rechten unteren Ende beschnitten ist. 13 I Die Fortsetzung des Artikels ist vor allem von farbigen Werbeanzeigen dominiert, die den Artikel beinahe erdrücken, wie man auf Abb. 4 erkennen kann. Den Anteil von bzw. die Korrespondenz zwischen redaktionellem Teil und Werbeteil zu untersuchen, wäre sicherlich spannend; es soll aber hier aufgrund der thematischen Konzentration nur bei einem Hinweis bleiben .

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Projizierte Kunstgeschichte

von einem Stab auf die am Boden liegende Leinwand tropfen, und auf der anderen streut er Sand auf diebetropfte Leinwand. Die Bilder sowie der mit Pollock-Zitatenunterlegte Text zeugen von einer unkonventionellen und neuartigen Malweise. Auch wenn die Autorin Dorothy Seiherling bemüht ist, seine Arbeitsweise genau zu beschreiben, ist vor allem in den Formulierungen der Bildunterschriften ein verständnisloser Unterton (siehe obiges Zitat) zu erkennen. Außerdem ist zu lesen: "Pollock drools enamel paint on canvas", also "Pollock sabbert Lackfarbe auf Leinwand", lautet eine andere spöttische Bildunterschrift. 14 Von noch größerem Unverständnis und Sarkasmus zeugen die Leserbriefe zu diesem Artikel. In fast allen abgedruckten Briefen zeigen sich die Leserinnen erbost darüber, einen Künstler mit diesen "Fähigkeiten" als größten Maler der Vereinigten Staaten zu vermarkten. 15 Abstrakte Kunst stößt in dieser Zeit auf immense Ablehnung. Aber ist es nicht auch genau diese Ablehnung, die im Nachhinein gesehen dem Künstlermythos des verkannten Genies dienlich ist? So wird nicht nur Pollock als "Artiste maudit" 16 inszeniert, sondern auch seine Künstlerkollegen kreieren ein ähnliches Bild von sich als Gruppe. Zwei Jahre später, 1951, erscheint im Life Magaz ine der Artikel "lrascible Group of Advanced Artists Led Fight against Show" 17 mit einem großformatigen Gruppenfoto der "Advanced Artists", wie sie sich selber bezeichneten. Der Artikel und das Fotos sind eine Presseaktion von 18 New Yorker Künstlerinnen, die sich durch das öffentliche Forum des Life Magazine gegen eine Ausstellung amerikanischer Kunst des Metropolitan Museum of Art richteten, in der abstrakte Kunst weit14 I Life Magazine, 8. August 1949, S. 45. Der unterschiedliche Ton im Sprachgebrauch lässt einefn anderefn Redakteurin für die Bildunterschriften vermuten. 15 I Letters to the editor, in: Life Magazine, 29. August 1949, S. 9. Von neun Leserbriefen gab es nur eine positive Meinung , der Rest spiegelt sich im sarkastischen Ton der folgenden Auswahl wider: .,Sirs: Answering your query , Jackson Pollock- is he the greatest living painter in the U.S.?' I submit a photograph of my son, Dennis Michael O'Sullivan, a 5 -year-old contemporary of the Pollock trend in art with his latest effort, Number Ninetynine. (Mrs. F. D. O'Sullivan Jr., Avandale Estates, Ga.) / Sirs: Based on 23 Q: per square inch for Jackson Pollock's Number Nine, Angell's Number One (below) is valued at only $21.65 . However, a further calculations shows my time to be worth $ 259.80 an hour, since I can turn them out all day at the rate of one every five minutes. (Preston W. Angell, Arlington, Va.)" 16 I Der Ausdruck .,verkannter Künstler" ist vom Begriff .,Poete maudit" abgeleitet, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich im Zuge von Paul Verlaines .,Les poetes maudits", (1888) entwickelt. Darunter werden talentierte Schriftsteller gefasst, die während ihres Lebens keinen oder wenig Erfolg haben und erst nach ihrem Tode Anerkennung erfahren. ln der bildenden Kunst gilt Vincent van Gogh als Paradebeispiel des .,Artiste maudit". 17 I .,lrascible Group of Advanced Artists Led Fight against Show", in: Life Magazine, 15. Januar 1951, S. 34.

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Pollock

Abbildung 5: "Irascible Group of Advanced Artists Led Fight agairrst Show", in: LifeMagazine, 15. Januar 1951

gehend ausgeschlossen wurde. In der Mitte des Gruppenfotos ist auch Pollock zu sehen. Krasner fehlt auf dieser Fotografietrotz großen Engagements für den Abstrakten Expressionismus. Als einzige Frau ist die Künstlerin Hedda Sterne abgebildet. Dieses Foto sowie der folgende Diskurs über den Abstrakten Expressionismus umgibt eine "Aura von Männlichkeit", 18 wie es Michael Leja nennt. Dieser Faktor macht es für Künstlerinnen wie Elaine de Kooning oder Lee Krasner besonders schwer, in diesem Kontext einen sichtbaren Platz zu finden. So fungiert Hedda Sterne als einzige Künstlerin in dieser Gruppe als "Ausnahmefrau",19 wodurch die patriarchalen Strukturen durchaus bestätigt werden. Bradford Collins erkennt in dieser Aktion auch die Weiterführung der aus Europa bekannten Vorstellung der Boheme. 20 Dieses Projekt kann ebenso mit der Tradition des "Salon des Refuses" verglichen werden, findet aber durch die Zusammenarbeit mit der Presse eine neue Form der Äußerung im populären Printformat. Das Foto stammt von der Life Magazine-Fotogratin Lena Leen und hat programmatischen Charakter. Denn dieses Bild der "Jähzornigen" wird in der Historisierungsmaschinerie über den Abstrakten Expressionismus immer wieder als Grundlage für die Etablierung der sogenannten New York Schoolherangezogen. Fest steht, dass die Berichterstattung des Life Magazine in 18 I Michael Leja, Reframing Abstract Expressionism. Subjectivity and Painting in the 1940s, New Haven/London 1993, S. 256. 19 I Zum Diskurs der "Ausnahmefrau" vgl.: Isabelle Graw, "Es kann nur eine geben. Überlegungen zur ,Ausnahmefrau"', in: Texte zur Kunst, Heft 42, Juni 2001, 5. 79-88. 20 I Bradford R. Collins, "Life Magazine and the Abstract Ex pressionists, 194851: A Historiographie Study of a Late Bohemien Enterprise", in , The Art Bulletin, Vol. LXXIII, Nr. 2, Juni 1991, S. 283-308 .

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Abbildung 6: "Rebel Artist's Tragic Ending", in: Life Magazine, 27. August 1956; Abbildung 7: Jackson Pollock, ca. 1955-56; Abbildung 8: Robert Doisneau, Les pains de Picasso, 1952

den 1940er- und 50er-Jahren zur Kunst- und Künstlerrezeption Wesentliches beiträgt. 21 Doch zurück zu Pollack: Ihm hat das Life Magazine zu nationalem Ruhm verholfen. Nur sieben Jahre nach dem kontrovers diskutierten Einzelporträt, wird 1956 sein dramatischer Tod (durch einen Autounfall) ebenfalls in dieser Zeitschrift mit der Überschrift "Rebel Artist's Tragic Ending" 22 bekannt gegeben. Den Text begleiten drei Abbildungen (Abb. 6): Die Überschrift ist mit einem Bildzitat aus dem eigenen Blatt versehen, dem berühmt gewordenen Foto von Arnold Newman aus dem Artikel von 1949. Zwischen Überschrift und Lauftext ist ein Porträt von Pollock mit einem DreitageBart zu sehen, das angeblich zehn Tage vor seinem Tod aufgenommen wurde, wie wir aus der Bildunterschrift erfahren. Pollock sieht auf dieser Fotografie durch MatrosenT-Shirt und Frisur seinem Vorbild und Rivalen Picasso verblüffend ähnlich (Abb. 7 -8). Allein der Gesichtsausdruck zeugt von einem bedeutenden Unterschied. Ist Pollock vom Alkohol gezeichnet, zeugen die Fotografien von Picasso von dessen Wissbegierde und Lebenslust. 23 21 I Zum Einfluss des Life Magazine auf die Rezeption von Jackson Pollock und auf die Rezeption des Abstrakten Expressionismus in den USA vgl.: Mary Lee Corlett, "Jackson Pollock: American Culture, the Media and the Myth", in: Rutgers Art Review, Bd. VIII, 1987, S. 71-106. I Collins, "Life Magazine and the Abstract Expressionists" I Peter J. Schneemann, Von der Apologie zur Theoriebildung. Die Geschichtsschreibung des Abstrakten Expressionismus, Berlin 2003, insbesondere S. 155-175. 22 I "Rebel Artist 's Tragic Ending. Critical Storm Brought Jackson Pollock Fame" , in: Life Magazine, 27. August 1956, S. 58. 23 I Bemerkenswerterweise ist Picasso auf diesem Foto bereits 71 Jahre alt, während Pollock auf dem Foto im Life Magazine von 1956 nur 44 Jahre zählt. Picasso ist zu Pollocks Zeiten auch in den USA ein Künstlerstar, vgl.: Ronny H. Cohen, "Mass Media. Pablo's American Image", in: Art in America, Dezember 1980, S. 43-47.

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Neben dem Nachruf ist die Malerei Untitled (Scent) (1953-55) von Pollock zu sehen, die als aktueller Verweis auf sein "Spätwerk" dient. Bezeichnenderweise ist in der Bildunterschrift nicht der Bildtitel des Kunstwerkes zu finden, sondern "Late canvas shows painstaking brushwork". Diese Beschreibung zielt in wertender Weise auf die veränderte Karriere Pollocks: Vom chaotischen Drip-Painting zurück zur akribischen Pinselmalerei könnte in Amerika als künstlerischer Abstieg interpretiert werden, wo das Dripping mittlerweile als wichtige Innovation der amerikanischen Malerei etabliert war. 24 Das Life Magazine zollt mit diesem Artikel Pollock ein letztes Mal seinen Tribut, während die Starmaschinerie weiterläuft und gleichzeitig neue Heldinnen produziert. So befinden sich in derselben Ausgabe ein großer Fotoessay über Elvis Presley sowie ein Bericht über das neue Starimage Marilyn Monroes. 25 Das Life Magazine war also weniger für Pollacks Platz in der Kunstgeschichte verantwortlich als für ein Künstlerbild, das mit amerikanischem Heldentum in Verbindung gebracht wurde. Dieses sollte sich in das kollektive Bewusstsein der Amerikanerinnen in den 1950erJahren einprägen und weit über die Kunstkreise hinaus reichen. Der Pollock-Mythos: Sein medialer und ideologischer Einsatz

Wie sehr das populäre Image von Jackson Pollock auch im Medium Film weiter getragen wird, hat Ellen Landau in ihrer Pollack-Monografie mit dem Verweis auf den Einfluss von Pollacks Künstlerimage auf Filmfiguren und Starimages von Marlon Brando und James Dean in den 1950erJahren beschrieben. 26 Pollacks Künstlerturn erhielt Heldenstatus. In verschiedenen Kritiken der 1940er-Jahre werden ihm Adjektive wie "violent", "savage", "romantic", "undisciplined", "explosive" auf den Leib geschrieben oder wie Landau zusammenfasst: "Many critics and reporters presented Pollock as a modern-day mixture of the daring of Prometheus and the energy and superhuman strength of Hercules (with more than a dash of the innocence of the Noble Savage). The merit of his sometimes imcomprehensible paintings lay in the clear evidence they displayed of search and struggle. "27

Pollock wurde zudem als "typisch amerikanisch" charakterisiert. Der Pioniergeist seiner Eltern, die den 1912 in Cody (Wyoming) geborenen 24 I Vgl. Harold Rosenberg, ., The American Action Painters" , in: Artnews, Bd . 51, Nr. 8, Dezember 1952, 5. 22-23, 48-50. 25 I .,Eivis- a different kind of idol: Presley's impact piles up fans , fads and fears." sowie "'Bus 5top' unveils a new Marilyn Monroe", in: Life Magazine, 27. August 1956, 5. 101-116 und 5. 79-84. 26 I Landau, .,The Wild One", in: Dies. , Jackson Po/lock, 5. 11-22. 27 I Ebd., 5. 12.

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Jackson mit seiner Familie immer weiter westwärts ziehen ließ, wurde dafür ins Blickfeld gerückt. 28 Pollacks Interesse für indianische Mythen, sein Einzelgängerturn sowie seine "wilde und naive Rohheit" im gesellschaftlichen Umgang schienen ihn geradezu für das Lonesome Cowboy-Image zu perfektionieren: "Either implicitly or explicitly [...], Jackson Pollock came to exemplify for modern times the cowboy's attitude of ultimate honesty; Hess explained this as based on the fact that he seemed to be living his own life ,from the inside out,' cowboy style. Jackson Pollock's reputation for stubborn independence was to prove a key component in defining the parameters of his myth. "29

Genau hier lassen sich Parallelen zum Image des amerikanischen Mannes im Hollywoodfilm der 1950er ziehen: Die Rebellion gegen gesellschaftliche Ordnungen ist ein gemeinsamer Nenner zwischen Jackson Pollock und den Rollen der Filmstars Marlon Brando, James Dean, Montgomery Clift und Paul Newman. Angeblich gibt es sogar eine direkte Verbindung durch den Schriftsteller Tennessee Williams, der mit Pollock und Krasner befreundet war.30 Es wird vermutet, dass die Figur des Stanley Kowalski in A Streetcar Named Desire die Persönlichkeit Pollacks nachempfindet. Die gleichnamige Verfilmung (1951) des Bühnenstücks von Tennessee Williams mit Marlon Brando in der Hauptrolle und Elia Kazan als Regisseur verbreitet einen neuen Männlichkeitstypus: den Rebellen, der sich als Außenseiter gegen gesellschaftliche Gegebenheiten auflehnt, aber gleichzeitig eine weiche, verletzliche Seite hat. 31 Dieses Image wird ebenfalls durch den Schauspieler James Dean in Filmen wie A Rebe! without a Cause (R: Nicholas Ray, 1955) oder Bast of Eden (R: Elia Kazan, 1955) vermittelt, wobei bei Dean das Hauptaugenmerk auf die Rebellion der Jugend und die Entfremdung der Generationen gelenkt wird. Auch in ihren Starimages verkörpern 28 I Bezeichnenderweise zog er für die künstlerische Karriere jedoch an die Ostküste. Der Going West-Mythos wird hiermit nur als Hintergrundfolie für das typisch Amerikanische herangezogen. An dem Image, dass wegweisende Kunst von der Ostküste kommt, hatte die Kunstszene in Kalifornien (rund um die Ferus Gallery in Los Angeles) besonders in den 1960ern stark zu kämpfen. 29 I Landau, "The Wild One", S. 13. 30 I Eine direkte Verbindung zu Jackson Pollock und Lee Krasner ist in Tennessee Williams Stück "ln the Bar of a Tokyo Hotel" nachzuweisen. "The verbalsparring of this battling couple, a domineering wife at odds with her drunken and dissolute painter husband, remarkably (and unflatteringly) duplicates the interpersonal dynamics of the latter stages of the Pollocks' marriage." Ebd., S. 16. 31 I Filme mit Marlon Brando, die mit dem ,.neuen" Typus Mann in Verbindung zu bringen sind: A Streetcar Named Desire, R: Elia Kazan, 1951 , Viva Zapata, R: Elia Kazan, 1952, The Wild One, R: Laslo Benedek, 1954, On the Waterfront, R: Elia Kazan, 1954.

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Marlon Brando und James Dean ihre Filmrollen und werden als launische, streitsüchtige Männer mit Selbstzweifeln beschrieben und inszeniert. 32 Ebenso ist der Alkoholismus ein gemeinsamer Faktor, und nicht zuletzt der ähnliche, dramatische Tod James Deans und Jackson Pollacks durch einen Autounfall, der in beiden Fällen im Life Magazine seinen Widerhall fand. 33 "In other words he [Pollack] was the irascible man, the troubled revolutionary, the romantic artist that Hollywood could appropriate for its construction of new images of masculinity and that anybody in mainstream America could adopt as a secret, hidden self. [...] It was therefore expedient for Hollywood to use the Pollock phenomenon to revitalize the cowboytype-marginal and laconic, lonely and intense."34

Die Heldenmythen im Amerika der l950er-Jahre wurden also in den populären Medien konstruiert und durch sie einprägsam vermittelt. Dass Jackson Pollock nicht nur zufällig der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort für die Konstruktion einerneuen Männlichkeitsund Kreativitätsvorstellung war, könnte zum Teil auch daran liegen, dass den Künstlern in ihren Mythen seit jeher eine Außenseiterrolle zugeschrieben wird. 35 Dadurch eignet sich ein Künstler in besonderem Maße als gesellschaftlicher Spiegel für die Vorstellung eines Rebellen. Gleichzeitig diente Jackson Pollacks Identität als weißer, in Amerika geborener Mann mit christlichem Hintergrund als Projektionsfigur für den amerikanischen Nachkriegskünstler. Die Vereinigten Staaten wollten sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Kulturnation etablieren und gleichwertig mit Europagesehen werden wie Serge Guilbaut in seiner Studie zeigt. 36 Während der Nationalsozialismus in Europa wütete, emigrierten viele europäische Intellektuelle und Künstlerinnen nach Amerika. Obwohl sie dieUSA auf nachhaltige Weise prägten, schien es für die Konstruktion eines Nationalhelden in den l950er-Jahren wichtig, keinen migrantischen Hintergrund zu haben, sondern eine "uramerikanische Geschichte" zu verkörpern. Diese sollte sich nicht auf Europa beziehen, sondern auf mexikanische und indianische Mythen referieren. Den Weg für Pollacks Interpretation im Kunstfeld bereitete 32 I Landau, Jackson Po/lock, S. 249, FN 39. 33 I Vgl. zu Pollacks Tod: "Rebels Artist 's Tragic Ending", in: Life Magazine, 27. August 1956, S. 58. Zu Deans einjährigem Todesjubliäum: " Delirium over Dead Star", in: Life Magazine, 24. September, 1956, S. 76. 34 I Dalle Vacche, Cinema and Painting, S. 29 und S. 31. 35 I Vgl.: Wittkower, Künstler. Außenseiter der Gesellschaft. 36 I Vgl.: Serge Guilbaut, How New York Stole the ldea of Modern Art. Abstract Expressionism, Freedom, and the Cold War, Chicago 1983. ln dieser Arbeit macht Guilbaut auf die institutionellen Bedingungen und die ideologische Vereinnahmung des abstrakten Expressionismus durch die Politik des Kalten Krieges aufmerksam.

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hauptsächlich der Kritiker Clement Greenberg, der 1947 das spezifisch Amerikanische an Jackson Pollock im Vergleich mit dem französischen Künstler Jean Dubuffet betont: "Pollack, so scheint mir, hat letzten Endes mehr zu sagen und besitzt im Grunde, beinahe weil ihm dieser Charme fehlt, die größere Originalität. [...] Er ist Amerikaner, er ist rauer und brutaler, aber er hat auch mehr Substanz. Jedenfalls ist er weniger konservativ, weniger ein Staffeleimaler im traditionellen Sinne als Dubuffet. "37 Amerika brauche eine kraftvolle und energische Kunst und nicht den Charme von Paris,38 paraphrasiert Serge Guilbaut Clement Greenberg. Prägend wirkten zudem institutionelle Faktoren wie die Politik des Museum of Modern Art, das großes Interesse daran hatte, die moderne Kunst von Paris nach New York zu verlagern. In all diesen Faktoren drückt sich deutlich der Geltungsdrang der USA nach kultureller Hegemonie aus. In Pollacks öffentlich geschaffenem Künstlerbild erfüllen sich diese Ansprüche. In seinem Image gehen alte Künstlermythen des Bohemiens und an der Gesellschaft leidenden Genies - mit USamerikanischen Nationalmythen - des Cowboys und Rebellen mit Interesse an indianischen Mythen- eine Verbindung ein, die es ermöglichen, das Künstlerbild im politischen Sinne ideologisch aufzuladen. Guilbaut bemerkt diesbezüglich: "[ ...] the free world affered the exuberant Jackson Pollock, the very image of exaltation and spontaneity. His psychological problems were but cruel tokens of the hardships of freedom. In his ,extremism' and violence Pollock represented the man possessed, the rebel, transformed for the sake of the cause into nothing less than a liberal warrior in the Cold War."39 So wurde nicht nur Pollacks Image als passend für einen "liberalen Kämpfer für den Kalten Krieg" gedeutet, sondern auch seine Drip-Paintings wurden plötzlich als angemessener Ausdruck für die Angst vor dem Atomzeitalter in der McCarthy-Ära interpretiert. 40 Ein Missverständnis sondergleichen, zumalsich Pollock diesbezüglich unpolitisch gab und einige seiner Künstlerkollegen auch mit kommunistischem Gedankengut sympathisierten. An diesem Diskurs wird die Einverleibung 37 I Clement Greenberg, "Jean Dubuffet und Jackson Pollack" (1947), Wiederabdruck: Ders., Die Essenz der Moderne, hrsg. v. Karlheinz Lüdeking, Dresden 1997, 5. 118. 38 I Guilbaut, How New York Stole the ldea of Modern Art, 5 . 176. 39 I Ebd., 5. 202. 40 I Ebd., 5. 201.

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von Kunst für politisch-nationale Zwecke im Amerika des Kalten Krieges deutlich. 41 Ein anderer wichtiger Faktor für Jackson Pollacks Erfolg ist die Kategorie Geschlecht, die in der Historisierung und Popularisierung Pollacks als Künstlerheld und vor allem in der fehlenden Anerkennung von Lee Krasner zum Tragen kommt. Rückblickend spielte die Frage des Geschlechtes für die Etablierung einer typisch amerikanischen Kunst bereits in den 1920er-Jahren eine Rolle. Alfred Stieglitz sah eine spezifisch amerikanische Kunst einerseits (nicht ganz uneigennützig) in der Vermischung der Medien Fotografie und Malerei und andererseits in der Hervorhebung des Faktors Weiblichkeit in der Person und Kunst Georgia O'Keeffes. Stieglitz beschreibt die Künstlerin und ihre Arbeit 1918 in einem Brief: "The great Child pouring out her Warnanself on to paper-pure- true- unspoiled." 42 Die heraufbeschworene Weiblichkeit O'Keeffe's sah Stieglitz als "Index des Authentischen" und setzte sie mit neuer, amerikanischer Kunst gleich. Ines Lindner streicht anhand der Institutionalisierungsversuche von Stieglitz die Bedingtheit von Geschlecht, Medium und modernem, amerikanischem Künstlerturn heraus. 43 Diese Bedingtheit spielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle, fußt jedoch auf völlig anderen Vorstellungen von Kunst und ist von wirksameren Etablierungsversuchen als in den 1920er-Jahren gekennzeichnet. Neben Peggy Guggenheims Einfluss und der MoMA-Politik fungierte unter anderem Clement Greenberg als Sprachrohr der amerikanischen Moderne, der "nicht nur ein Feind des Figurativen sondern jeder Hybridisierung von Medien" 44 war wie Lindner bemerkt. Insofern hat sich Stieglitz' Einsatz für eine amerikanische Kunst, in der Fotografie als künstlerisches Medium gleichwertig mit Malerei und Skulptur gesehen wird, nicht durchgesetzt. Die (durchaus problematische) Gleichsetzung des Amerikanischen mit dem Weiblichen wurde in der Nachkriegszeit nicht vergessen, sondern diente für den Diskurs des "Modern Man" zugleich als Subtext des Ausschlusses. Als Effekt der Veränderungen der herrschenden Kulturform ver-

41 I Vgl.: Max Kozloff, "American Painting During the Cold War", in: Artforum, Jg. 11, Nr. 9, Mai 1973, 5. 43-54. Eva Cockcroft, "Abstract Expressionism, Weapon of the Cold War, in: Artforum, Jg. 12, Nr. 10, Juni 1974, 5. 39-41. 42 I Stieglitz zitiert nach: Anita Politzer, A Woman on Paper: Georgia O'Keeffe, New York 1988, 5. 159. 43 I lnes Lindner. " Medium-Geschlecht-Moderne. Georgia O ' Keeffe und Alfred Stieglitz", in: Berger, Liebe Macht Kunst, S. 227-247. 44 I Lindner, "Medium-Geschlecht-Moderne", 5. 246. Vgl.: Clement Greenberg, "Towards a Newer Laocoon", in: Partisan Review, 7. Jg. Nr. 4, Juli / August 1940, 5. 296-310.

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änderte sich auch die Rolle für Künstlerinnen in den 1940er-Jahren.45 Michael Leja sieht in den Genderfragen zum Abstrakten Expressionismus den Diskurs des "Modern Man" begründet, der vom männlichen Individuum geprägt war: "Abstract Expressionism has been recognized, from its first accounts, as a male domain, ruled by a familiar social construction of ,masculine' as tough, aggressive, sweeping, bold. The features of this art most appreciated in the critical and historicalliterature - scale, action, energy, space and so on - are, as T. J. Clark has noted, ,Operators of sexual difference,' part of an ,informing metaphorics of masculinity.' [... ] As a result, Abstract Expressionism has come to appear more and more a homogenaus white male art, an apt artistic counterpart to the cold war politics of the contemporary white male U.S. polititcal establishment."46

Leja untersucht das "Gendering" des Abstrakten Expressionismus als gesellschaftliches Phänomen und findet eine Diskursivierung des Männlichkeitsbildes a la modebereits im Film NoiiY Der "tough guy" mit weichem, als feminin beschriebenen Kern, der sich von seinem gesellschaftlichen Kontext entfremdet fühlt, steht im Film Noir Pate für die Männlichkeitsvorstellungen der Zeit. Pollock passte in seiner Konstituierung perfekt in dieses Bild und eignete sich in seiner Männlichkeit, die als wild und aggressiv, aber auch als äußerst verletzlich und sensibel gesehen wird, besonders gut als Projektionsfigur zur Etablierung eines typisch amerikanischen Künstlers. Neben seiner geschlechtlichen Codierung und seiner ethnischen Herkunft stimmte dann auch noch seine inhaltliche Auseinandersetzung mit indianischen Mythen mit den neuen Anforderungen der Nachkriegszeit in den USA überein. Kurzum: Pollock wurde zum amerikanischen Helden gemacht, wodurch Künstler- und Nationalmythen vermischt und re/produziert wurden. Interessant dabei ist die paradoxe Situation, dass einerseits die Originalität im künstlerischen Schaffen Pollacks und das besonders Amerikanische betont wird, und sich andererseits die Beschreibungen seines Lebens auf bekannte, europäische Künstlermythen stützen. So sind die Forschungen zu Künstlermythen von Ernst Kris und Otto Kurz auch im Pollack-Mythos zu finden, wenn sie beobachten:

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I Vgl.

Michael Leja, "Narcissus in Chaos: Subjectivity, ldeology, Modern Man

& Woman", in : Ders.: Reframing Abstract Expressionism, S. 203-274, hier S. 261.

s

256. 46 I Ebd., 47 I Zu den ersten Films Noirs zählen u.a. : The Maltese Falcon, R: John Huston, 1941 I Double lndemnity, R: Billy Wilder. 1944 I Laura, R: Otto Preminger, 1944. Zur Charakterisierung und Historisierung des Film Noir vgl.: Steve Neale, "Film Noir", in: Ders., Genre and Hollywood, S. 151-177.

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Pollock "Das innere Erleben des Künstlers haftet an seinem Werk; Schöpfer und Schöpfung sind untrennbar verbunden. Der Tod des Künstlers in der biographischen Formel hat diesen Tatbestand zu verarbeiten versucht. Empfindlichkeit, Eitelkeit und Überheblichkeit des Künstlers sind in ein tragisches Licht gerückt. Die Sonderstellung des Künstlers tritt hier am deutlichsten hervor, da sie ihm die heroische Haltung der Selbstvernichtung zuschreibt. "48

Die Übertragbarkeit dieser Beschreibung auf den Pollock-Mythoszeigt zugleich die Struktur seiner Mythenbildung auf, die Pollock als Künstler in einem kunsthistorischen Kanon legitimiert. Kris und Kurz' Aussage, "daß in aller Biographik gewisse Grundvorstellungen vom bildenden Künstler nachzuweisen sind", 49 lässt sich grundsätzlich auch auf das Filmgenre des Biopie übertragen, mit dem Zusatz, dass diese Grundvorstellungen immer auch mit unterschiedlichen kulturellen Faktoren angereichert werden. Beides wirkt sich auf die Auswahl und Repräsentation jener Künstlerinnen aus, über die ein Film gedreht wird. 50 Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass in Pollocks Mythenbildung Künstler- auf Nationalmythen treffen, die Pollock nicht nur als berühmten Künstler der Moderne ausweisen, sondern ihn vor allem als "größten Maler der Vereinigten Staaten" deklarieren. Diese Mythenbildung wird nicht nur von populären Printmedien wie dem Life Magazine unterstützt, sondern steht auch in einer Wechselbeziehung mit den Heldenfiguren, die zeitgleich im Hollywoodkino auftauchen. Zudem ist der Fall Pollock ein Beispiel für eine ideologische Vereinnahrnung im Sinne der herrschenden Politik des Kalten Krieges sowie für die Geschlechterpolitik der Zeit. Das Zusammenspiel dieser Faktoren ist für den großen Bekanntheitsgrad des Künstlers in den l950er-Jahren verantwortlich und sorgt dafür, bestimmte Vorstellungen über das Künstlerturn in ein kollektives, amerikanisches Gedächtnis einzunisten. Diese Vorstellungen werden bis heute transportiert. Ein Beispiel dafür sind die stereotypisierenden Beschreibungen von Jackson Pollock in der Biografie von Naifeh/White Smith, die auch als Vorlage für das Biopie Pollock dient: "There was something quintessentially American about this anti-artist, this handsome, rough-hewn figure from the American West, living in the country not the big city, working in dungarees instead of a smock, in a barn instead of an atelier, painting with sticks and hause paint instead of sable brushes and oil."51 48 I Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, S. 164. 49 I Ebd., 5. 23. 50 I Vgl. "Künstlerinnenmythen und Starlegenden", ab 5. 23. 51 I Steven Naifeh/Gregory White Smith, Jackson Po/lock: An American Saga (1989), New York 1991, 5. 594 f.

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Projizierte Kunstgeschichte Das Biopie Po//ock 52 und seine medialen Vorlagen

Als Vorlage für das Drehbuch des Films ist die mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Biografie von Steven Naifeh und Gregory White Smith ]ackson Pollack: An American Saga (1989) ausgewiesen. Der Hauptdarsteller und Regisseur dieses Films, Ed Harris, interessierte sich jedoch bereits davor für den Erwerb der Rechte biografischer Vorlagen von Jackson Pollock Diese waren aber alle bereits verkauft- an Schauspielerkollegen wie Robert De Niro, Barbra Streisand und Al Pacino.53 Harris berichtet, dass er von diesem Buchprojekt vorab erfuhr, jedoch an den hohen Geldforderungen der Autoren scheiterte. Die Rechte habe dann der Kunsthändler James Francis Trezza erworben. Harris kontaktierte ihn 1989/1990 und schlug ihm vor, einen Film daraus zu machen, in dem er die Hauptrolle spielen wollte. Aus der äußerst umfangreichen Biografie (über 900 Seiten) wurde zunächst von Barbara Turner ein Drehbuch geschrieben, an dem jedoch auf Anregung Harris' mehrere Überarbeitungen vorgenommen wurden. Harris berichtet dazu: "She [Barbara Turner] was trying to write it like a Pollock drip painting, overlapped and not consecutive in any way. It was really tough to make any sense, plus it was so lang. [...I So, she wrote the script agairr over a year, and had another version of 212 pages, I said ok, we need to cut it down more [...]. But still, she never wanted to attack it in a different way, and cinematically to me, it just didn't make any sense. I wasn't thinking of directing it back then, I just wanted to play Pollack, but I just didn't get it. "54

Die Recherchephase und das Drehbuchschreiben erwiesen sich als ein zeitaufwendiges Unterfangen (von 1990 bis 1998), an dem letztendlich neben Barbara Turner und Susan Emshwiller auch Ed Harris intensiv 52 I Po/lock, R: Ed Harris, USA 2000, 122 Min. (für Deutschland mit 132 Min. ausgewiesen und auf der DVD mit 119 Min.) / Drehbuch: Barbara Turner und Susan J. Emshwiller f Darstellerlnnen: Ed Harris (Jackson Pollock), Marcia Gay Harden (Lee Krasner), Amy Madigan (Peggy Guggenheim), Jeffrey Tambor (Ciement Greenberg), Val Kilmer (Willem Oe Kooning), Stephanie Seymour (Helen Frankenthaler), Norbert Weisser (Hans Namuth) u.a. f Musik: Jeff Beal f Kamera: Lisa Rinzler / Schnitt: Kathryn Himoff / Produktionsdesign : M ark Friedberg / Painting Coach: Lisa Lawley / Produktionschef Peter M. Brant und Joseph Allen f Produzent: Fred Berner, Ed Harris, Jon Kilik, James Francis Trezza f Associate Producer: Candy Trabacco, Heiner Bastian / Koproduzentin : Cecilia Kate Roque. Angaben vgl.: http:/ fwww.imdb.com/. 53 I Dies verdeutlicht noch einmal das große Interesse am ,.amerikanischen Filmstoff" Pollock. Vgl. Arthur Lubow, .,Screening Pollock", in: The New Yorker, 25.4.1994, S. 46-57. 54 I Interview der Autorin mit Ed Harris, Malibu, 17.11.2004 (im Folgenden zitiert als: EH: 17.11.04).

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mitarbeitete. 55 In dieser Phase kam der Industrielle und Kunstsammler Peter Brant, der bereits den Basquiat- Film mitproduziert hatte, zum Projekt. 56 Er kaufte Trezza die Filmrechte ab und war fortan als Executive Producer für diesen Film tätig. Die letzte Version des Drehbuches ist mit Januar 1999 datiert und hat nur mehr 111 Seiten, aus denen, laut Harris, nur 89 Seiten in die Filmversion eingingen. 5 7 Im Jahr 2000 wurde der Film fertiggestellt und kam im Februar 2001 58 in die amerikanischen Kinos. Im Unterschied zur Biografie konzentriert sich der Spielfilm auf die Karriere Pollacks in New York von 1941 bis zu seinem Tod 1956. Die Biografie ist im Sinne der im Buchtitel versprochenen "American Saga" ausführlicher als der Film und beginnt bei den Urgroßeltern Pollacks im 18. Jahrhundert. Darin werden die Vorfahren Pollacks und somit seine Generationen zurückreichende, amerikanische Herkunft minutiös hergeleitet. Ein zweiter Fokus des Buches liegt auf Jackson Pollacks Kindheit, in der die Familie immer weiter westwärts zieht. Allein die Überschriften der Kapitel des ersten Teils, der mit "The West" bezeichnet ist, verweisen auf die Ausrichtung der Geschichte, die neben seiner Herkunft vor allem von Pollacks Persönlichkeitsstruktur handelt. Die Überschriften lauten wie folgt: "Strongminded Women", "Sensitive Man", "Stella's Boys", "Sensitive to an Unnatural Degree", "An Ordinary Family", "Abandoned", "Lost in the Desert", "Jack and Sande", "Light on the Path", "A Rotten Rebel". Diese Geschichte wird im Film nicht explizit erzählt, prägt aber an manchen Stellen die filmische Darstellung der Figur Pollock. Diese Biografie stellt sich mit ihrem umfangreichen Interviewmaterial59 und Anhang als "Tour de Force" der Autoren dar. In ihrer Ausführlichkeit würde sie die Möglichkeit bieten, den Mythos Pollock zu dekonstruieren. Stattdessen wird darin eher für den Mythos als gegen ihn gearbeitet. Jackson Pollock wird als "wilder Mann" mit vielen Selbstzweifeln und unterdrückter Homosexualität60 beschrieben, 55 I Diese Information wird nicht aus den Filmcredits sichtbar, sondern stammt aus meinem Gespräch mit Ed Harris. Er zeigte mir eine Kiste voller Drehbuchversionen, die den langen Weg des Umarbeitens verdeutlichten. 56 I Vgl. "Die Produzenten", ab S. 204. 57 I EH: 17.11.04. An dieser Stelle sei Ed Harris herzlich dafür gedankt, mir das unpublizierte Drehbuch zur Verfügung zu stellen. 58 I Der Film wurde bereits am 6.9.2000 beim Filmfestival in Venedig, am 11.9.2000 beim Toronto Film Festival sowie am 30.9.2000 beim New Yorker Film Festivals gezeigt. 59 I Die Autoren geben an, mit über 800 Leuten Interviews geführt und in diesem Zusammenhang 18.000 Transskriptseiten, und 10 Millionen Wörter produziert zu haben. Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 797. 60 I Die Beschreibungen dazu stützen sich auf relativ vage Aussagen von Zeitzeugen und auf Vermutungen der Autoren in Bezug auf Pollecks " sexuellen Ängste".

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der seine Probleme und Unsicherheiten seit seiner Jugend im Alkohol ertränkt. Das Buch beginnt mit einem Prolog unter dem Titel "Demons" mit einer Äußerung Pollacks im betrunkenen Zustand, die lautet: "I'm going to kill myself." Auf der Seite daneben ist eine Fotografie von Hans Namuth zu sehen, auf der Jackson Pollock einen überaus verzweifelten Gesichtsausdruck hat und von seinen Drip-Paintings (hinter ihm an der Wand und vor ihm am Boden liegend) gleichsam eingekesselt ist. Dieser durchaus symbolische Beginn lässt kein Happy End erahnen. In der Einleitung ist die Rede von inneren Dämonen, die Pollock bekämpfen muss. Glaut man den Biografen, war die Malerei das Einzige, das Pollock ermöglichte, seine Dämonen zu besänftigen. Der darauffolgende Ruhm befriedigte angeblich seinen Hunger nach Anerkennung gegenüber seinen Brüdern und Eltern. "In the end, painting was a way to test the world, to probe its heart, and to make it suffer forgiveness. [... ] The world had forgiven Jackson Pollock- even if it didn't know what for. "61 Mit diesen pathetischen und religiös klingenden Tönen endet der Prolog. Der Ton der Einleitung lässt sich auf den ganzen Text übertragen. So ist es eher die Ausnahme, wenn die Autoren manchmal versuchen, die Mythenbildung Pollocks zu thematisieren wie im Kapitel, das mit "Legends" betitelt ist und in dem es hauptsächlich um die Beziehung zwischen Pollock und Krasner geht. Ein zweiter Dekonstruktionsversuch lässt sich im Kapitel "Breaking the Iee" erkennen, in dem die Rolle des Life Magazine für die Historisierung Pollacks erörtert wird. Meistens wirkt diese Biografie jedoch wie ein Lehrbeispiel für ein grundsätzliches Problem der Biografieschreibung: der Amalgamierung von Fakt und Fiktion. Die Autoren scheinen nicht genügend Distanz zu ihrem Thema zu haben, was in diesem Fall eine Vielzahl von wertenden Deutungen, die aber nicht als solche gekennzeichnet sind, zur Folge hat. Zudem arbeiten Naifeh und White Smith vorwiegend in der Logik existierender Mythen und produzieren stereotypisierende Aussagen, die umso erstaunlicher sind, da es dem Projekt nicht an Ausführlichkeit fehlt. 62 Als weitere, nicht dezidiert erwähnte Filmvorlagen können auch die Biografien von Jeffrey Potter To a Violent Grave: An Oral Biography of ]ackson Pollock (1985) und jene von H. B. Friedman ]ackson Pollack: Energy Made Visible (1972) gesehen werden sowie unterschiedliche Ebd., 5. 478-482. Ebenso werden u.a. allgemeine Beobachtungen von James Hardin Wall, einem auf Alkoholiker-Psychosen spezialisierter Mediziner, als Erklärungsmodell für Pollocks latente Homosexualität herangezogen. Ebd., 5. 318 f. 61 I Ebd., 5. 8. 62 I Einzelne Beispiele werden im Folgenden an unterschiedlichen Stellen der Filmanalyse thematisiert.

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Pollack-Monografien und Artikel, die dem Regisseur und HauptdarstellerEd Harris im Pollock-Krasner Hause and Study Center auf Long Island, New York zugänglich waren. 5 3 Ebenso fand 1998, also noch vor dem Filmdreh, die Retrospektive von Jackson Pollock im MoMA in New York statt. Harris erzählt, dass er sich sehr oft in dieser Ausstellung außerhalb der Öffnungszeiten aufhielt und mehrere Gespräche mit den Kuratoren Kirk Varnedoe und Pepe Karmel führte. 54 Im Nachspann des Filmes wird zudem der Kunsthistoriker Francis O'Connor, der zusammen mit Eugene Thaw den Katalog Raisonne von Pollock herausgegeben hat, als kunsthistorischer Berater ausgewiesen. Somit gibt es mehrere Hinweise, dass sich Ed Harris auch mit der kunsthistorischen Rezeption Pollacks und mit dessen Kunstwerken intensiv auseinandergesetzt hat. Neben der Literatur und vorbereitenden Gesprächen dienen aber auch vielfältige Bilddokumente aus Pollacks Lebzeiten in Fotografie und Film als wichtige visuelle Vorlagen. Pollock war bereits Ende der 1940erJahren durch Porträtfotos relativ gut dokumentiert (durch Fotografien von Martha Holmes, Arnold Newman, Herbert Matter und Wilfred Zogbaum). Einige dieser Fotografien wurden für das Biopie reinszeniert und als Schwarz-Weiß-Fotografien sichtbar gemacht. In der kunsthistorischen Literatur liegt das Hauptaugenmerk auf den Fotografien von Hans Namuth aus dem Jahre 1950. Dies ist mit der Konzentration auf Pollacks Schaffensphase der Drip-Paintings zu begründen. Im Biopie werden die Namuth-Fotos jedoch nicht als solche sichtbar, sondern sie dienen Ed Harris als inhaltliche Vorlagen, um Pollock so gut wie möglich in den Dripping-Szenen nachzustellen. Fred Orton und Griselda Pollock bemerken zu der in den 1990er-Jahren vorherrschenden Rezeption, in der Namuths Bilder gegenüber anderen Fotografien hervorgehoben werden: "There were [... ] several Pollacks on offer by 1950 and Namuth's contribution needs to be scrutinised carefully and not seen as innocent reportage, but as representation, a particular kind of constructed image of Pollock and ,!es drippings'. Each photograph has tobe recognised as an actively manufactured rendering of Pollock painting produced from available resources. [...] Namuth's photographs had a status which came tobe over-determined by the other evolving critical and institutional discourses in the 1950s that would claim and ratify the artist and ,les drippings'."65 63 I "1 read everything I could get my hands on." EH: 17.11.04. 64 I EH: 17.11.04. 65 I Fred OrtonJGriselda Pollack, "Jackson Pollack, Painting and the Myth of Photography", in: Dies., Avant-Gardesand Partisans Reviewed, ManchesterJNew York 1996, S. 170.

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Auch wenn die Arbeiten von Hans Namuth für die Repräsentation von Pollacks Schaffen durch die kunsthistorische Forschung aufgewertet wurden, wird in ihnen nicht die Wahrheit repräsentiert, sondern eine bestimmte Wahrheit gezeigt, nämlich jene, die den Künstler auf eine spezifische Schaffensphase und auf seinen mythischen Status biografisch festschreiben. 66 Dies wird noch deutlicher in Namuths künstlerischem Dokumentarfilm über Pollock, dessen Entstehung im Biopie auch nachgespielt wird. Auch wenn ich an dieser Stelle nicht weiter auf die Rezeption der Pollack-Dokumentation eingehen werde, soll zumindest auf ihre Repräsentationspolitik hingewiesen werden. Denn Namuths Film gilt als paradigmatisch für die Verschmelzung von Identität und Werk, von Schöpfer und Schöpfung, und trägt darin zur Mythologisierung der Künstlerfigur Pollock bei. Genau diese veranlasst wiederum, dass im Biopie Pollock der Filmdreh mit Hans Namuth eine so zentrale, dramatisierende Rolle einnehmen kann. 67 Die Produktion von Filmmythen

Das Biopie Pollock ist durch Ed Harris' personelle Verquickung als Regisseur, Hauptdarsteller und Mitproduzent überaus stark vom Wissen und der Interpretation einer einzigen Person geprägt. Durch diese Multifunktionalität im sonst sehr arbeitsteiligen Hollywood ranken sich die Filmlegenden auch hauptsächlich um Ed Harris und weniger um die anderen Protagonisten dieses Filmes, obwohl Marcia Gay Harden für ihre Rolle als Lee Krasner einen Oscar für die beste Nebenrolle verliehen bekam. Trotzdem bleibt es Ed Harris, der die Aufmerksamkeit durch sein großes, persönliches Engagement für die Vermittlung der künstlerischen Position Pollocks auf sich zieht. Es soll von der physischen bis zur emotionalen Identifizierung mit der Person Jackson Pollocks reichen. Im Making-of des Filmes erzählt Harris: "There are some similarities that I feel with Pollock in terms of fears, hopes, frustrations and needs. His were a Iot more boundless than mine." 68 Ebenso betont Harris seinen emotionalen Zugang zur Geschichte Jackson Pollocks in der Vorbereitung des Films: "The years I spent reading and thinking and feeling about Pollack, the time I spent ,painting' and trying to understand emotionally what it is to be a painter - I had to trust that time, and trust that so mething had seeped into my bones 66 I Vgl. Ebd., S. 172. 67 I Vgl. "Film-im-Film", ab S. 84. 68 I Auf Making-of-Dokumentation der DVD kommen neben Ed Harris ebenso Marcia Gay Harden (Lee Krasner), Amy Madigan (Peggy Guggenheim), Jeffrey Tarnbor (Ciement Greenberg) über ihre Rollen sowie u.a. Fred Berner (Produzent), Mark Friedberg (Production Designer) und Lisa Lawley (Painting Coach) zu Wort.

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Pollock that would allow me to portray Pollock honestly. I had no difficulty in choosing an interpretation because it all has been very personal. From everything I read and heard, I had to go with what touched my soul and what made sense to me, both intellectually and emotionally. u69

In den verschiedensten Interviews und Statements wird immer wieder Ed Harris' Versuch hervorgehoben, Pollock "ehrlich" zu porträtieren, Empathie zu empfinden und einen Anspruch auf Authentizität zu erheben. Das verweist einerseits auf die große Bedeutung, die dieses Filmprojekt für Harris einnimmt und andererseits auf die erhöhte Wertschätzung, die sich der Schauspieler Harris davon erwarten konnte. 70 Diese unausgesprochene Erwartung wurde dahingehend erfüllt, dass Ed Harris 2001 für seine Rolle als Jackson Pollock ebenso für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurde. Sein Ranking auf dem Starmeter der International Movie Database schnellte von Platz 479 beim Erscheinen des Filmes im Winter 2000/01 auf Platz 26 zur Oscarnominierung im Frühling 2001 hoch. 71 Damit erreicht er bis zu diesem Zeitpunkt den höchsten Beliebtheilsgrad in seiner Karriere als Schauspieler. Harris involviert in seine Schauspieler-Legende zur Entstehung von Pollock auch seinen Vater, der ihm 1986 Jeffrey Potters Biografie To a Violent Graue: An Oral Biography of]ackson Pollock aufgrund der physiognomischen Ähnlichkeit mit dem Künstler geschenkt haben soll. 72 Das väterliche Erkennen der visuellen Verwandtschaft seines Sohnes 69 I Ed Harris, "On Playing Pollock", in : Hellen Harrison (Hg.), Such desperate Joy. lmagining Jackson Po/lock, New York 2000, S. XVI. 70 I Harris spielte bis dahin nur wenige Hauptrollen. Bekannt wurde er vor allem als Virgil Bud Brigman in The Abyss, R: James Cameron, USA 1989. Danach hatte er meist Nebenrollen in Filmen wie: G/engarry Gien Ross, R: James Foley, USA 1992 I The Firm, R: Sydney Pollack, USA 1993 I Apollo 13, R: Ron Howard, USA 1995 I Nixon, R: Oliver Stone, USA 1995 I The Truman Show, R: Peter Weir, USA 1998 I The Third Mirac/e, R: Agnieszka Holland, USA 1999 I A Beautiful Mind, R: Ron Howard, USA 2001 I Enemy at the Gates, R: Jean-Jacques Annaud, USAIDIGBIIRL 2001 I The Human Stain, R: Robert Benton , USAIDIF 2003 I A History of Violence, R: David Cronenberg, DIUSA 2005. Im Western Appaloosa, USA 2008, führt Harris zum zweiten Mal Regie und teilt sich die Hauptrolle mit Viggo Mortensen. Nach dem Pollock-Film wurden Harris auch Künstlerrollen angeboten: in The Hours, R: Stephen Daldry, USA1GB 2002 spielt Harris einen Schriftsteller. in Copying Beethoven, R: Agnieszka Holland, USAI GI H 2006 hat er eine Hauptrolle als Ludwig van Beethoven. Zum Einfluss des Pollock-Filmesauf die ihm darauf angebotenen Rollen äußert sich Harris im Gespräch mit mir nicht bzw. sieht darin eher eine Zufälligkeit. EH: 17 .11.04. 71 I Vgl.: ww.imdbpro.com, letzte Abfrage: 25.1.2005. Zum Abfragezeitpunkt nimmt Harris die Nummer 826 auf dem Starmeter ein. 72 I Geoffrey Macnab im Gespräch mit Ed Harris, "A bigger splash", in: Sight and Sound, Juni 2002, S. 24.

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mit einem Nationalhelden erzählt Ed Harris als Initiationsmoment für die darauf folgende Faszination, die ihn zehn Jahre an diesem Filmprojekt arbeiten ließ. Die mögliche psychoanalytische Deutung dieser Anekdote soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Dennoch ist zu bemerken, dass Geschichten wie diese als Filmlegenden fungieren und zugleich symptomatisch für den Entstehungsmythos von Biopies sind. So wird auch im Kontext anderer Künstlerbiografiefilme immer wieder von der Ähnlichkeit der Schauspielerinnen und von ihrer emotionalen Involviertheit berichtet. Beispielsweise wird erzählt, dass der Schauspieler Charles Laughton in Alexander Kordas Rembrandt (1936) große physische Ähnlichkeit mit dem Künstler und eine emotionale Verbundenheit mit Kordas Interpretation von Rembrandtals Opfer der holländischen Bourgeoisie zeigte, sich in kunsthistorische Lektüren vertiefte und sogar Malunterricht nahm. 73 In John Hustons Film Moulin Rouge (1952) wurde Jose Ferrer als Hauptdarsteller für Henri Toulouse-Lautrec gewählt, "because he facially resembled the painter, and because he had a melancholy and acerbic manner." 74 Das wohl bekannteste Filmbeispiel ist Vincente Minnellis Lustfor Life (1956), in dem Kirk Douglas Vincent van Gogh darstellt. Auch Douglas unternahm intensive Studien zu van Gogh. Doch viel wichtiger für die Legende ist, dass er mit van Goghs Kampf, ausschließlich von der Kunst zu leben, sympathisierte. Douglas beteuerte zudem, dass die Darstellung der Figur van Goghs eine schwierige und quälende Aufgabe für ihn war, da es ihm nicht gelang, die notwendige Distanz und den Illusionismus für die Rolle aufrechtzuerhalten. Kirk Douglas schreibt: "Ich spürte, dass ich ,hinüber' ging, in die Haut von van Gogh schlüpfte. Ich sah nicht nur so aus wie er, ich war auch in dem Alter, in dem er sich das Leben nahm. [... ] Es war ein beängstigendes Erlebnis. "75 In diesem Beispiel ist die Involvierung des Schauspielstars mit dem zu verkörpernden Künstler sicherlich zugespitzt formuliert. Dennoch werden strukturelle Ähnlichkeiten mit den Erzählungen über die Motivation und Involvierung des Schauspielers und Regisseurs Ed Harris im Vergleich mit den erwähnten Filmlegenden deutlich. Harris beweist seine Schauspielkunst unter anderem durch seine körperliche Veränderung, die Pollacks verwahrlostem Auftreten aufgrund seiner Trunksucht gegen Ende des Films Rechnung trägt. Für die Darstellung dieser Lebensphase Pollacks hat 73

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I Vgl. Walker, Art & Artists on Screen , S. 22. I Ebd ., S. 32. I Kirk Douglas, Weg zum Ruhm. Erinnerungen,

75 Frankfurt/M. 1988, S. 260 (Originaltitel: The Ragman 's Son]. Laut Douglas, war Mare Chagall so beeindruckt von der Leistung des Schauspielers, dass er ihm seine Autobiografie schickte und wollte, dass Douglas auch ihn darstelle. Aber Douglas wollte nie wieder die Rolle eines Malers spielen. Ebd. S. 260 f.

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Pollock Harris mehrere Kilo zugenommen. Anekdoten über Hollywoodstars wie diese werden immer gerne von Boulevardblättern verbreitet und als Beweis der schauspielerischen Qualität eingesetzt. 76 Ed Harris ist in seiner Rolle durchaus im Kontext des .,Method Acting" zu sehen. Auch wenn Harris selber nicht im Actors Studio bei Lee Strasberg studiert hat, ist eine Affinität zu erkennen, wenn Strasberg propagiert, dass sich die Schauspielerinnen durch ihre geistige, physische und emotionale Arbeit in die Rolle der darzustellenden Person begeben müssen, um den Eindruck der Verschmelzung von Darstellerinnen und Rolle evozieren zu können. 77 Das ist Ed Harris in der Darstellung von Jackson Pollock sicherlich gelungen, die er folgendermaßen reflektiert: .,It's tricky, but I never wanted to pretend to be Pollock I wanted to be Ed Harris, using all bis tools as an actor and as a person to allow Pollock's experience on this earth to touch me, inspire me, Iead me to an honest, true performance. I think the film is much more revealing ofEd Harris than it is ofJackson Pollock "78 Harris äußert sich dazu auch ähnlich auf die allgemeiner gestellte Frage, ob er sich in der Tradition der .,Method" sieht: .,I like to inhabit the persona or feel as close as possible to the character I am playing. This is what I enjoy. "79 Er transformiert in dieser Aussage die Qualitätsansprüche an einen Schauspieler zu seiner persönlichen Leidenschaft und inkorporiert gleichermaßen seine Profession. 80 Das Moment des Inkorporierens ist auch in Harris' Rede über die Alleignung des Pollock-Stoffes zu erkennen, die sich auf seine persönliche Faszination mit der Person Jackson Pollock bezieht: "My initial attraction to this whole thingwas really him as a man and a person. I wasn't really familiar with bis art. I just feit some kinship with bis struggles as an artist and a human being on the planet. It was much more related to when I was first out of school, acting in little theaters and the way I perceived myself and what I was trying to do and my own kind of agoraphobia and shyness and 76 I So wurde z.B. über Charlize Theron in ihrer Verkörperung der Mörderin Aileen Wuornos in Monster (2003) immer wieder von ihrer Gewichtszunahme (15 kg) und ihrem unvorteilhaften bis hässlichen Auftreten im Dienste der Rolle berichtet. Sie gewann dafür den Oscar für die beste Hauptdarstellerin im Jahr 2004. 77 I Vgl. Lee Strasberg, Schauspielen und das Training des Schauspielers. Beiträge zur, Method ', Berlin 1988. 78 I Harris, "On Playing Pollack", S. XVI. 79 I EH: 17.11.04. 80 I Gleichwohl distanziert er sich in diesem Interview auch vom Bild eines "totalen Schauspielers", wenn er im Kontext des Umganges mit dem Starrummel betont, dass er nicht nur Schauspieler, sondern auch Familienvater und Ehemann sei.

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things like that. That was what I recognized in him, not so much who I was at that present time five years ago. "81 Der Film Pollock arbeitet nicht unbedingt daran, Film- und Künstlermythen aus dem Weg zu gehen oder sie zu dekonstruieren. Vielmehr betont Ed Harris, darin seine subjektive Perspektive auf die emotionale Verfasstheit des Mannes Pollock darzustellen und behauptet, keine "art history lesson" geben zu wollen.82 Auch wenn sich Harris mit der Absage einer Kunstgeschichtslektion auf die fehlende Darstellung des künstlerischen Kontextes der New York School bezieht,83 ist dies natürlich nicht so einfach abzugrenzen. Zunächst zeigt sich dieser Film im Vergleich zu anderen Biopies in ungewohntem Maße kunsthistorisch informiert. So spiegelt sich der kunsthistorische Kenntnisreichtum des Regisseurs und Schauspielers deutlich in der Darstellung von Pollacks Schaffensprozessen wider. Ebenso beleuchtet das Biopie das Verhältnis von Kunstproduktion und ihrer Verbreitung in den Massenmedien und macht gegenseitige Abhängigkeiten in einer durchaus ambivalenten Weise sichtbar. Schlussendlich hat die Repräsentationspolitik, die in diesem Film zum Ausdruck kommt, prägenden Einfluss auf ein populäres kunsthistorisches Wissen und ist dadurch auch immer eine Art "kunsthistorischer Lektion". Dennoch handelt es sich hierbei weder um eine kunsthistorische Kontextualisierung des Künstlers Jackson Pollack, noch um eine Dokumentation über Pollacks Schaffen, sondern um eine, wenn auch kleine, Hollywoodproduktion, 84 die den inhärenten Mechanismen eines Spannungsverlaufes folgt und dadurch bestimmten Darstellungsmuster nur schwer entrinnen kann.

Liaisons dangereuses: Die filmische Inszenierung Jackson Pollocks Der Film konzentriert sich auf den historischen Zeitraum zwischen 1941 und 1956, ungefähr auf den Zeitraum, in dem sich Jackson Pollock und Lee Krasner in New York City kennen lernen, bis zum Verkehrsunfall Pollacks mit tödlichem Ausgang auf Lang Island. In diese Zeitspanne fallen Pollacks künstlerischer Aufstieg, Erfolg und Niedergang.

I EH: 17.11.04. 82 I "The path, the through line of the film is tracking Pollock and hisemotional state. lt is not an art history lesson, it is not about anything other than this guy and his life." EH: 17.ll.04. 83 I EH: 17.11.04. 84 I Laut Harris haben sich die Kosten für den Film auf ca. 10 M io. $ belaufen und sind noch nicht eingespielt worden. EH : 17.11.04. 81

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Die Entdeckung von Pollocks künstlerischem "Genie" beginnt mit dem Atelierbesuch von Lee Krasner, die mit "Oh my God!" ihrem Erstaunen über sein "übernatürliches Talent" Ausdruck verleiht. Kurz darauf wird Pollocks "Genie" direkt von Howard Putzel, dem Assistent von Peggy Guggenheim, bei seinem ersten Besuch in Pollocks Atelier ausgesprochen: "A genius!", äußert Putzel überwältigt vor den Kunstwerken. Das Interesse an seiner Arbeit setzt sich durch die Förderin Peggy Guggenheim fort, die ihn in ihr Galerienprogramm aufnimmt, ihm einen fixen monatlichen Vorschuss gewährt und Pollock zu einer frei gewählten Arbeit beauftragt, dem Mural. Die Entstehung dieses Bildes nimmt in der kunsthistorischen Literatur einen wichtigen Stellenwert für Pollocks späteres Schaffen ein und wird auch mit filmischen Mitteln ausgiebig inszeniert und emotionalisiert. Ebenso maßgeblich für Pollocks Erfolg ist die kunstkritische Unterstützung von Clement Greenberg, der ihn bis zum Schluss als Meinungsmacher begleitet. Eine äußerst wichtige Funktion in allen im Film gezeigten Lebensphasen nimmt jedoch die Künstlerin und Partnerin Lee Krasner ein, die Pollock die ganze Zeit über unterstützend zur Seite steht und dafür ihre eigene Karriere als Malerin aufgibt. Im Vergleich zu anderen Biopics, wo Malprozesse oft ausgespart werden, gibt es in diesem Film mehrere Szenen, in denen der Künstler beim Malen gezeigt wird. Der performative Akt von Pollocks Drip-Painting-Methode bietet sich förmlich dazu an, dargestellt zu werden, was der Regisseur Ed Harris für das Filmprojekt nutzte und ausgiebig inszenierte. Versinnbildlicht wird Pollacks Erfolg durch die Darstellung des Ruhms in den Massenmedien. Der Artikel im Life Magazine ,,Jackson Pollack: Is he the greatest living painter in the United States?" von 1949 nimmt dabei eine Scharnierfunktion ein. Der Künstler wird, noch bevor man ihn zu Gesicht bekommt, im Vorspann des Filmes über diesen Artikel während seiner Ausstellungseröffnung in der Betty Parsans Gallery (1950) eingeführt. Diese Szene lässt den Verlauf der Geschichte, in der der Medienrummel bzw. die Massenmedien für denAbstieg des Künstlers verantwortlich gemacht werden, vorherahnen. Auf der Spitze des Erfolges beginnt Pollock wieder zu trinken. Von der Veränderung äußerlich gezeichnet, sieht man ihn nicht mehr bei seiner künstlerischen Produktion, sondern in Streitgesprächen mit seiner Frau Lee Krasner. Seine Ehe geht in die Brüche, und er ist in eine Liebschaft mit Ruth Kligman verwickelt. Das schlimme Ende nimmt seinen Lauf. Der Film hört, dem melodramatischen Spannungsbogen Rechnung tragend, mit dem Tod des Helden auf. In den folgenden Kapiteln werden die unterschiedlichen Inszenierungen der Filmfiguren Pollack, Krasner, Greenberg und Guggenheim sowie ihre Beziehungen zueinander näher untersucht. Das vermittelte Künstlerbild sowie das Kunstsystem, in dem Pollock verortet wird, sol57

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len dadurch analysiert werden. Die einzelnen Figuren werden mit den (kunst)historischen Kontexten, in denen die realen Personen stehen, gegengelesen. Die filmische Darstellung des Protagonisten wird am ausführlichsten betrachtet und hinsichtlich bestimmter Künstlermythen untersucht. Diese werden anhand der Darstellung der Person und des Künstlers Pollock sowie des filmisch vermittelten Schaffensprozesses analysiert. Dadurch sollen die Repräsentationspolitik des Filmes sichtbar gemacht und die damit einhergehenden Bewertungen betrachtet werden. "The Life Painter": Ein Vorspann

Der Film beginnt mit einem Vorspann als filmischer Vorausschau, 85 der nun auch im Text vorangestellt werden soll. Zum einen wird darin die Figur Pollock als erfolgreicher Künstler eingeführt, und zum anderen wird auf das Verhältnis von Künstlerturn und Ruhm als eine fatale Verbindung hingewiesen, die sich in der darauf folgenden filmischen Erzählung entwickeln wird: Die erste Einstellung des Filmes zeigt die Großaufnahme eines mit weißer Bluse und gelber Weste bekleideten Oberkörpers einer Frau, die eine Ausgabe des Life Magazine in farblieh zur Kleidung abgestimmten Handschuhen vor ihrer Brust hält (Abb. 9). Sie drängelt sich in der Menge der Ausstellungseröffnung zu Jackson Pollock durch, um ein Autogramm auf die Seite des legendären Artikels über den Künstler zu bekommen. Die nächste Einstellung zeigt die leicht farbbeschmierten Hände Pollacks beim Signieren mit den behandschuhten Händen der Frau in einer Großaufnahme (Abb. 10). Danach schwenkt die Kamera auf Pollock in Nahaufnahme und zeigt ihn, wie er, festlich im Anzug gekleidet, nachdenklich in einen zu diesem Zeitpunkt noch undefinierten Raum blickt (Abb. 11). Diese Szene wird in der Chronologie 85 I Hier weicht der Film deutlich vom Drehbuch ab. Harris spricht von einer Neustrukturierung im Nachhinein beim Schneiden des Filmes: ,.1 thought I had the final cut, and went off to do another film, actually in Berlin, Enemy at the Gates. I looked at it at the Adlon Hotel one night, I hadn't seen it for two weeks and realized, wow, it isn 't finished yet. So, after that film I went back and recut for another four months. ( ... ] The one thing that helped me a Iot was when I did Iook at it again in Berlin , that I had some time off in terms of getting some distance to the project. lt needed a Iot more shaping. I sent a copy to Walter Murch, who is a very famous and great editor. He looked at it and didn't have much to say, but he talked a bout putting the film more in an art world context . lt made me think about how to structure it differently, giving it a context through it's structure." EH: 17.11.04. 86 I Die folgenden Standbilder sind im Zusammenhang dieser Arbeit von mir gewählte Bilder aus den Filmen Pollock und Basquiat. Es handelt sich hierbei nicht um öffentlich kursierende Filmstills, die für Werbezwecke eingesetzt werden.

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Abbildungen 9-ll: Standbilder aus Pollack; "The Life Painter"B6

der filmischen Erzählung später noch einmal wiederholt, wo sich der leere Blick Pollacks inhaltlich auflöst. 87 Es gibt keine Dialoge, sondern die Szene ist mit jenem Musikthema unterlegt, das Pollock später auch beim Schaffensprozess begleiten wird. Der Kamerablick der ersten Einstellung führt die Matrix eines sexualisierten Blickes ein. Man sieht einen zugeknöpften weiblichen Oberkörper im typischen 1950er-Jahre-Outfit, das den Konservativismus der Zeit widerspiegelt. Die Frau hält das Life Magazine mit ihren Handschuhen wie ein zerbrechliches Objekt und schmiegt es an ihre Brust. Dieser Oberkörper ist wie ein Torso im Bild; er hat kein Gesicht und bleibt anonym. Dafür wird der Blick auf das Schwarz-Weiß-Porträt einer Frau mit tiefem Dekollete und verschmitztem Lächeln88 gelengt, das auf dem Cover des Life Magazine (Abb. 9) abgebildet ist. Im Gegensatz zur Kleidung der Trägerin der Zeitschrift repräsentiert dieses 87 I ln der Auflösung erfährt man, dass die Szene in der Ausstellungseröffnung im Jahre 1950 in der Betty Parsans Galerie spielt. Pollock steht am Höhepunkt seiner Karriere, die Ausstellung ist gut besucht. Der verzweifelte Blick in den Raum gilt Lee Krasner, die vor einem Drip-Painting steht. Sie erwidert seinen Blick. Es folgt eine Schuss-Gegenschuss-Szene zwischen Pollock und Krasner. Sie lächelt ihn an, aber bemerkt sofort, dass er nicht glücklich ist. Sie zieht ihre Brauen fragend hoc h. Pollacks Starren wird durch die Dauer intensiver und lässt nichts Gutes erahnen. 88 I Das Fotomodell, das angeblich immer diesen Strohhut trägt, kommt vom Land und arbeitet in New York. Sie wird in der Fotoagentur als "w holesome American type" geführt. Vgl. Covernachweis unter dem Inhaltsverzeichnis, in: Life Magazine, 8. August 1949, o.p.

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Abbild die andere Seite des puritanischen Amerika, in dem Sexappeal durchaus eine Rolle spielt. Anhand der Zusammenführung der Blickeder Blick der Zuschauerinnen auf die bedeckte Brust des Frauentorsos sowie der Blick auf der am Cover abgebildeten Frau, der die Betrachterinnen anblickt- wird einerseits auf unterschiedliche Weiblichkeitsvorstellungen der Zeit rekurriert. Andererseits, und dies scheint mir für die Auswertung dieser Szene noch ausschlaggebender zu sein, wird dadurch der Blick der Betrachterinnen sexualisiert. Diese aus anderen Hollywoodfilmen eingeübte Konvention könnte man als einen Kamerablick interpretieren, der mit dem Begehren der Betrachterinnen arbeitet. 89 Dieses Begehren erfährt jedoch, wie wir nun sehen werden, mehrere Transformationen: Am Bild des primären "zu begehrenden Körpers" wirkt irritierend, dass dieser anonym bleibt und mit hochgeschlossener Bluse, Weste und Handschuhen bekleidet ist. Der weibliche Körper ist hier nur für einen kurzen Moment das anzublickende Objekt. Vielmehr wird er- im wortwörtlichen Sinne- zum "Träger" des sich auf dem Life Magazine-Cover befindenden Blickes. Der anonyme Oberkörper der Frau wird zum Index des Begehrens. Er verweist auf ein Blickregime, das sich in diesem Fall durch seine ständige Übertragung auszeichnet. Zunächst ist es das Porträtfoto des Covers, das den Blick hat. Auf dem Weg zu Pollock passiert jedoch ein Blicktransfer, der letztendlich auf den zu Begehrenden, nämlich Pollock, hinweist. 90 Die Frau steht vor dem Künstler und schlägt die Zeitschrift auf der Seite des Artikels über Jackson Pollock auf. Das Blickregime wird zunächst auf den Artikel über den Künstler übertragen. Beim Signieren verschmilzt jedoch die Figur des Künstlers mit dem Image eines Künstlerstars. Die Kamera schwenkt hoch zu Pollocks Gesicht. Das Subjekt Pollock wird zum Objekt der Begierde. Dies wird durch die folgende Einstellung noch einmal verdeutlicht: Man sieht Pollock mit einem leeren Blick, der knapp am Kinopublikum vorbei geht und in einenundefinierten Raum schaut. Der Blick des Protagonisten wirkt "entrückt". Dieser Vorspann schwebt in seiner psychologisierenden und wertenden Aussage als Damoklesschwert über dem Inhalt des ganzen Films. Die öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit gelten hier weniger 89 I Vgl. Laura Mulvey, "Visuelle Lust und narratives Kino" (1975), Wiederabdruck in: Liliane Weissberg (Hg.), Weiblichkeit als Maskerade, Frankfurt/M., S. 48-65. Ich interpretiere das Blickregime jedoch nicht ausschließlich hinsichtlich eines heterosexuellen Begehrens, wie dies Mulvey in ihrem Text ausführt. Vielmehr verwende ich ihr theoretisches Werkzeug zum Erkennen und Benennen von sex ualisierten Blickstrukturen. Zum Begriff des Blickregimes vgl.: Kaja Silverman, "Dem Blickregime begegnen", in: Kravagna, Privileg Blick, S. 41-64. 90 I Das Life Magazine ist zunächst das Objekt der Begierde, denn es gehörte zu den damals populärsten Wochenillustrierten der USA. ln dieser beliebten Zeitschrift besprochen zu werden, zeichnet jedoch die jeweilige Person als Star der Nation aus.

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der Kunst Jackson Pollocks, sondern dem berühmten Künstler. Diese Interpretation leitet sich von der biografischen Deutung Steven Naifehs und Gregory White Smiths ab: "Since the Life article, his reputation had takenon a momentum of its own, sustained less by reaction to his current work, or anywork, than by the fact ofpast recognition. Farne had begun to feed on itself. He had become ,the Lifepainter', an unignorable presence in the world of avantgarde art, regardless of how or what or whether he painted at all. "91

Der Künstler wird im Laufe des Filmes als ein von seinem Schaffen Entfremdeter dargestellt. 92 Für diese Entwicklungwird nicht nur die Starindustrie, sondern auch die psychische Konstitution des Künstlers verantwortlich gemacht. Pollacks Anhänglichkeit, sein Streben nach Anerkennung, seine Depressionen sowie seine Suche nach einer authentischen künstlerischen Aussage werden vor allem zu Beginn des Filmes in unterschiedlichen Erzählsträngen hergeleitet. Der Mythos des tragischen Helden

Pollock gilt als tragischer Held der modernen Kunst Amerikas. Sein Image erfüllt sich zu guter Letzt in einem modernen Heldentod, einem Autounfall. 93 In unterschiedlichen Artikeln, die zum Tode Pollacks erschienen sind, spiegelt sich die Vorstellung von der Logik seines tragischen Todes wider. So schreibt Thomas B. Hess: "His death is tragic not only because his career is cut short but because it is logical. [...] Pollock's was the tragic, logical death of a man whose greatness and strength are precisely the qualities that led him to a death that could have been avoided if he had not been so strong, or had been willing to compromicse, or step backwards, or hold some strengthin reserve-in other words, ifhe had not been Jackson Pollock. a94

Im Biopie steht der Tod am Ende des Films. Dies folgt zum einen der Struktur eines Melodramas und scheint zum anderen die logische Kon91 I Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 601. 92 I Mehr dazu vgl., "Mythen und Medien", ab S. 92. 93 I Auch James Dean stirbt ein Jahr später in noch jüngeren Jahren bei einem AutounfalL 94 I Thomas B. Hess, "Jackson Pollock 1912-1956", in: Artnews, September 1956, S. 44 f; 57. Wieder abgedruckt in: Harrison, Such desperate Joy, S. 40. Ähnlich schaffen auch andere Artikel die Assoziation eines tragischen Heldentodes wie in: "Rebel Artist's Tragic Ending. Critical Storm Brought Jackson Pollock Fame", in: Life Magazine, 27. August 1956, S. 58. Sowie: lvan Karp, "The Ecstasy and Tragedy of Jackson Pollack, Artist", in: The Viflage Voice, September 1956, S. 8; 12.

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sequenz im Mythos eines tragischen Helden zu sein. Während des Filmes wird die Vorstellung eines tragischen Helden vor allem in der Darstellung Pollocks als psychisch leidendem Künstler vermittelt. Dieses Leiden wird meist in Verbindung mit seinem Alkoholismus visualisiert. Die vielen Besuche bei Psychotherapeuten und Analytikern sowie seine Klinikaufenthalte, durch die er versuchte, von der Alkoholsucht loszukommen, sind im Film nur kurz in einer Szene zusammengefasst, in der Pollock in einem Sanatorium liegt (Abb.l4). Das Motiv des leidenden Künstlers folgt jedoch nicht nur einer biografischen Deutung, sondern auch einem Topos in der Künstlermythenliteratur. Insofern werden in diesem Kapitel die filmische Darstellung der Person und des Künstlers mit existierenden Künstlermythen verglichen und bestimmte Repräsentationsmuster untersucht. Im Biopie wird die familiäre Herkunft - ein mögliches Erklärungsmodell für die Interpretation Pollocks als leidender Künstler- im Vergleich zu biografischen und kunsttheoretischen Forschungen nur bruchstückhaft aufgezeigt. Es gibt immer wieder vereinzelte Hinweise darauf, dass er als jüngstes Kind mit einer starken Mutterfigur aufgewachsen ist. Diese sind jedoch auf den ganzen Film verteilt. Im Unterschied dazu finden sich zu Beginn des Drehbuchs mehrere Bezüge,95 die in den Film nicht eingegangen sind. Die Gründe für das weitgehende Fehlen von Hinweisen auf Pollocks biografische Herkunft im Film benennt Ed Harris mit budgetären Limits.96 Diese Differenz im Umgang mit Pollocks Vergangenheit spiegelt aber auch die unterschiedliche Haltung der Drehbuchautorin und des Regisseurs wider. Barbara Turner war an einem Skript mit unterschiedlichen Ebenen interessiert, während Ed Harris an die kinematografische Umsetzbarkeit sowie an die Länge seines Filmes dachte und eher eine kohärentere Erzählstruktur bevorzugte.97 Daraus wurde ein Kompromiss, der die Darstellung der Persönlichkeit Pollocks im 95 I Auf den ersten fünf Seiten der letzten Drehbuchversion vom Januar 1999 befinden sich mehrere Rückblenden aus dem Jahr 1956. Insgesamt vier Rückblenden in Form von atmosphärischen Bildern aus Pollocks Kindheit und Familie, die aus der Zeit zwischen 1916 und 1917 stammen sowie sechs Rückblenden in Form von gesprochenen Textauszügen aus einem Brief von Pollock an seinen Bruder Sande aus dem Jahr 1929. All diese Rückblenden kommen im Film nicht vor. Übrig bleibt nur die Szene von 1956, die im Film chronologisch gegen Ende steht, und nicht wie im Drehbuch am Beginn. 96 I "Actually, there was stuff that we wanted to shoot about his earlier life, it was actually in the script, about Arizona , his dad and his mom and the rural aspect of his life. We were thinking of some images that would not have explained anything, but at least gave a sense where this man had come from. But we didn't have the money to shoot it." EH: 17.11.04. 97 I An diesem Beispiel lassen sich u.a. auch die Abhängigkeiten und Machtpositionen der unterschiedlichen Funktionsbereiche ablesen.

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Abbildungen 12-13: Standbilder zur Psychologisierung Pollocks, Vertigo-Blick I Die Brüder Jackson und Sande Film eher als Patchwork einzelner Szenen und Stimmungsbilder zeigt, denn als kohärente Erzählung. "The film isn't an attempt to psychoanalyze him by any means, but he did have his problems." 98 , sagt Ed Harris. Der Regisseur versucht also darin nicht, Pollacks Persönlichkeit psychologisch zu deuten oder eindeutig festzuschreiben, sondern auf bestimmte Problematiken aufmerksam zu machen. Helen Harrison, die Direktorin des Pollock-Krasner Study Center, interpretiert Harris' Entscheidungen für Pollacks Personifizierung folgendermaßen: "This was a deliberate decision on Harris' part. He resisted answering any of the intriguing questions raised by the character's behavior because, for Pollock himself, they were never actually answered. Rather than speculate, or offer simplistic explanations, Harris chose to leave the issues open."99 Die psychologisierende Charakterisierung der Figur Pollock zieht sich als eine Art Grundstimmung durch die filmische Erzählung, in der Pollock selten glücklich und ausgeglichen gezeigt wird. Meistens strahlt er ein Unbehagen in gesellschaftlichen Zusammenhängen aus, das nicht an einer bestimmten Situation festzumachen ist, sondern als psychische Konstitution dieses Mannes vermittelt wird. In manchen Szenen kulminiert dieses Unbehagen und eskaliert auf unterschiedliche Weise. Werfen wir nun konkrete Blicke auf die filmische Inszenierung der Person Pollack: Der Film beginnt - nach dem Vorspann - mit einer Sequenz, die auf Pollacks psychologische Persönlichkeitsstruktur hinweist. Die Einblendung "Vor neun Jahren. Greenwich Village, November 1941" verortet zunächst das Geschehen, das mit einem Schwindel erregenden Blick von oben nach unten in ein Treppengeländer psychologisiert wird. 100 Pollock wird von seinem Bruder Sande im Treppenhaus hochgetragen. Beide machen Halt. Sande legt Jackson ab. Pollock ist total betrunken, liegt mit seinem Bruder auf dem Boden des Treppen98 I Ed Harris in: Making Of"Pollock", Extra-Feature auf der DVD Po/lock. 99 I Helen A. Harrison, "Parsing , Pollock'", in: www.ipsonet.orgjcongress/5/ papersjpdf/ha.pdf, letzte Abfrage: 8.2.2005. 100 I Dieser Kamerablick erinnert an Vertigo von Alfred Hitchcock, obwohl in diesem Fall das Treppenhaus nicht rund sondern rechteckig ist.

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hausesund schreit: "Puck Picasso, that fucking guy, fuck Picasso!" Er nuschelt verzweifelt weiter: "This guy did it all. I'm not worth shit, Sande!" Pollock wird darin als am Boden liegender, leidender Künstler dargestellt, der seine Ängste im Alkohol ertränkt und sich sein Minderwertigkeitsgefühl von der Seele schreit. Sein Bruder beruhigt ihn und küsst ihn auf die Wange. Damit wird auf das enge, emotionale Verhältnis der Brüder angespielt. In dieser Szene wird gleich nach dem Schwindel erregenden Kamerablick auf Pollacks Obsessionen verwiesen: Einerseits auf das Trinken und andererseits auf Picasso, seinen größten künstlerischen Kontrahenten, aber auch sein größtes Vorbild. 101 Picassos Werke waren in den Kunstinstitutionen New Yorks der 1930er-Jahre überaus präsent. Vor allem die 1939 stattfindende Retrospektive Picasso: Forty Years ofHis Art im Museum of Modern Art war für Pollock sehr einflussreich. Jonathan Weinberg leitet durch einen Vergleich zu Picassos Guernica (1937) unterschiedliche bildliehe Einflüsse in Pollacks Arbeit zwischen 1939 und 1942 her. 102 Rosalind Krauss geht weiter und erkennt zwischen Pollock und Picasso die psychologische Konstruktion einer "mimetischen Rivalität" 103 , die sich im Dreiecksverhältnis PollackPicassa-Unterbewusstsein abspiele. Krauss interpretiert diese Rivalität als treibende Kraft für Pollacks künstlerisches Schaffen in den Jahren 1938-1946. 104 Kurzum: Picasso wird in der kunsthistorischen Forschung als ödipaler Vater beschrieben, den Pollock versucht zu überwinden.105 Die Rivalität und der Wettstreit zwischen Künstlern ist jedoch auch ein Topos, der sich bis auf eine Legende aus der Antike über Parrhasios und Zeuxis zurückführen lässt. 106 Der Eindruck von Rivalität zwischen Pollock und Picasso findet im Film unterschiedliche 101 I Indirekt kommt damit auch die Forderung an die amerikanische Kunst dieser Zeit zur Sprache, ihre europäischen Vorbilder zu überwinden. 102 I Jonathan Weinberg, "Picasso in Pollock", in: Ders.: Ambition & Love in

Modern American Art, S. 29-53. 103 I Rosalind Krauss, "Jackson Pollock 's Agency", in: Künstlerischer Austausch/Artistic Change. Akten des XXVIII. Internationalen Kongress für Kunstgeschichte, Berlin 1992 , S. 332. 104 I Ebd., S. 330. 105 I Vgl.: William Rubin, "Pollock as Jungian Illustrator: The Limits of Psychological Criticism", Teil 1+2, in: Art in America, November 1979, S. 104-123 sowie Dezember 1979, S. 72-91. 106 I "Parrhasios hat sich mit Zeuxis auf einen Wettstreit eingelassen. Zeuxis malte Weintrauben; Sperlinge flohen herbei und pickten an den Trauben. Parrhasios bat Zeuxis, ihn in sein Atelier zu begleiten, dort werde er beweisen können, daß er auch dergleichen vermöge. ln der Werkstatt des Parrhasios bat Zeuxis, noch immer stolz auf seine Täuschung der Sperlinge. den Maler, den Vorhang, der das Bild verdeckte, beiseite zu schieben. Doch der leinene Vorhang war gemalt. Zeuxis mußte die Überlegenheit des Parrhasios anerkennen: , Ich habe die Sperlinge, du aber hast mich getäuscht."', in: Plinius d. Ä., Historia naturalis XXXV, hrsg. und übers. v. Roderich König, München 1978, Abs. 65, S. 55.

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Abbildungen 14-16: Standbilder, Der leidende Pollock

Ausformulierungen, auf die in der Zusammenfassung noch eingegangen werden wird. Kehren wir nun noch einmal zur Anfangsszene zurück: Pollock wird also in den ersten ihn charakterisierenden Bildern als betrunkener, obsessiver und von Selbstzweifeln geplagter Künstler gezeigt. Er wird überdies mehrmals in liegenden, zusammengekauerten Posen visualisiert. In drei ausgewählten Sequenzen soll nun die psychologisierende Charakterisierung Pollocks im Film analysiert werden. Alle drei Sequenzen sind von der Wortkargheit des Künstlers und einen psychotischen Rückzug ins Innere geprägt, auf die meist übermäßiger Alkoholkonsum folgt. Der Alkoholismus Pollocks wird jedoch nie mit seiner künstlerischen Produktion in Verbindung gebracht. Die Szenen des Betrunkenseins sind somit abgetrennt von den Szenen der künstlerischen Produktion. 107 Darin folgt der Film Lee Krasners Aussage, dass Pollock immer nur im nüchternen Zustand gemalt haben soll. 108 Die Narkotisierung ist in Pollocks Fall eher ein Hemmschuh als ein InspirationsmitteL 1942- Pollock im Sanatorium: Pollock und Krasner sind zum ersten Mal in seinem familiären Umfeld bei einem gemeinsamen Essen zu Hause zu sehen. Ein beobachtender Kamerablick zeigt das Bild des üppigen Mahls als Tableau Vivant, in dem seine Mutter in der Mitte thront 107 I Bis auf ein einziges Mal, am Wendepunkt seiner Karriere , gibt es einen direkten Link, der sich jedoch negativ auf die künstlerische Entwicklung und den Lebenslauf auswirken soll. 108 I Vgl. Lee Krasner in: Grace Glueck, " Scenes from a Marriage. Krasner and Pollock", in: Artnews, Dezember 1981, 5 . 60.

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sowie sein Bruder Sande, dessen Frau und Kind teilnehmen. Es wird zunächst nicht gesprochen, sondern man hört den Song Sing, Sing, Sing von Benny Goodman. Ein durchaus atmosphärisches Bild. Im Verlauf des Essens erfährt Pollock, dass sein Bruder einen Job in der Rüstungsindustrie gefunden hat, um nicht in den Krieg eingezogen zu werden. Er wird deswegen mit seiner Familie und Mutter nach Connecticut ziehen. Pollock schluckt, blickt wütend und gratuliert in verärgertem Tonfall. Sandes Frau antwortet lakonisch: "Not everyone can arrange to be 4- F, Jack!", und weist damit auf die Militäruntauglichkeit Pollacks hin. 109 Daraufhin dreht Pollock die Musik lauter und beginnt mit seinem Essbesteck im Takt auf Tisch und Teller zu trommeln. Krasner will ihn beruhigen, schafft es aber nicht. Er verliert die Kontrolle und zerhämmert zunächst mit seinem Besteck und danach mit seinen Fäusten sein Essen.110 Schnitt. Man sieht Pollacks Bruder Sande und Krasner, wie sie Pollock besuchen, der mit verweinten Augen und verstört blickend in einer kahlen Krankenzelle liegt (Abb. 14). 111 Pollock heult und brüllt sich in Sandes Schoß aus. In der nächsten Einstellung sieht man Pollock bei Krasner zu Hause im Bett liegen. Krasner verabreicht ihm nach Anweisung des Bruders einen Mix aus Milch und Ei. Dieser gute Rat des Bruders bedeutet, dass er nun die Sorge um Jackson an Lee übergeben wird. 1944- Betrunken auf der Straße: .,It's like a storm, it will pass": Das

große Auftragswerk für Peggy Guggenheim ist fertig gestellt und hängt in Guggenheims Flur. Pollock uriniert auf Guggenheims Party in das Kaminfeuer, seinem zukünftigen Image als "Jack the Dripper" gerecht werdend. Zudem ist Pollock betrunken. Er torkelt und fällt auf Gäste, die vor dem Kaminfeuer sitzen. Alle sind peinlich berührt, Lee wirkt erzürnt. Peggy überspielt die Peinlichkeit der Situation, indem sie einen Toast ausspricht. Schnitt. Pollock kommt nachts nach Hause. Sein Blick 109 I Zu einem späteren Zeitpunkt im Film sagt Pollock zu Reuben Kadish, dass er untauglich sei, weil er zu neurotisch sei. Es wird im Film nicht von einer psychischen Krankheit gesprochen, obwohl in einem Brief seiner Psychoanalytikerin die Untauglichkeit mit einer schizoiden Disposition Pollocks begründet wird. Brief von Mrs. V. de Laszlo, M. D., an einen untersuchenden Arzt der Auswahlkommission für den Kriegsdienst , 3.5.1941. Zitiert aus der Abbildung des Briefes in: Harrison,

Such desperate Joy, S. 18. llO I Diese Szene suggeriert, dass er sich von seinem Bruder, mit dem er bis dato in New York zusammenwohnte, im Stich gelassen fühlt und seine Wut nicht unter Kontrolle hat. ll1 I Diese Szene findet im Drehbuch und in der Biografie chronologisch vorher statt. Sande und Lee holen Jackson aus dem Sanatorium, da die Mutter, Stella Pol lock, zu Besuch kommt. Die Gründe für diesen Sanatoriumsaufenthalt werden im Film dadurch nicht deutlich, sondern könnten als Auswirkungen des Familienessens interpretiert werden.

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schweift durch sein dunkles, leeres Atelier. Er betrachtet Lee Krasner, die schlafend im Bett liegt. Melancholische Musik im Hintergrund. Schnitt. Nach einer betrunkenen und desaströsen Liebesnacht mit Peggy Guggenheim kommt Pollock am Morgen wieder zu Krasner nach Hause. Sie stellt ihn zur Rede: "I went out looking for you. What are you doing to yourself?" Pollock sagt: "Nothing." Krasner entgegnet ihm: "You are doing more than that." Er legt sich aufs Bett und antwortet teilnahmslos: "lt's like a storm, it will pass." 112 Schnitt. Die nächste Einstellung zeigt Pollock mit seinem Freund Reuben Kadish beim Trinken in einer Bar. Pollock erzählt in traurigem Ton, dass Howard Putzel (der Assistent von Peggy Guggenheim) an einem Herzinfarkt gestorben sei. Beide trinken auf Howard. Genügend getrunken, will Kadish mit Pollock die Bar verlassen. Pollock geht nicht mit. "l'm doing no harm", sagt er. Traurige Musik setzt ein. Pollock geht stattdessen an diesem Abend nicht nach Hause. Er verbringt, der besudelten Kleidung nach zu schließen, mehrere Nächte auf der Straße. Schmutzig und frierend, am Boden zusammengekauert (Abb. 15), könnte man ihn für einen obdachlosen Mann halten. Langsam richtet er sich auf und geht völlig verwahrlost nach Hause. Vor der Wohnungstür stehend, bittet er Lee darum, ihn wieder aufzunehmen. Er weint in ihren Armen. Versöhnung. Kurz danach ziehen beide aufs Land nach Long Island und heiraten. 1956- Zusammengekauert auf dem Bett: Krasner und Pollock haben

sich zerstritten. Krasner ist alleine nach Europa gereist. Pollock hat eine Geliebte namens Ruth Kligman, die er als letzte Rettung sieht. Sie ist mit ihrer Freundin Edith Metzger im Haus. Pollock ist im Schlafzimmer. Er hat sich stark verändert, ist bärtig und dicker geworden. Der Künstler trägt ein Matrosenshirt, in dem er seinem ewigen Rivalen Pablo Picasso immer ähnlicher sieht. Er liegt zusammengekauert und verkehrt herum, mit dem Kopfbeim Fußende, auf dem Ehebett (Abb. 16). Die Vögel draußen zwitschern, Sonnenstrahlen scheinen ins Zimmer. Eigentlich ein idyllischer, friedvoller Moment, würde Pollock nicht diese sich verschließende Haltung einnehmen und dieses verweinte Gesicht haben. Ruth Kligman klopft an die Tür. Sie möchte mit ihm und ihrer Freundin zum Strand. Pollock lässt seinen Kopf noch tiefer in das Bett sinken und will nicht mitkommen. Sie würden auf ihn warten. Pollock nickt, bleibt jedoch liegen und schnieft. Es folgt eine Außenaufnahme mit Edith Metzger, die sich nach Pollock erkundigt. Kligman beschönigt die Situation und sagt, dass er nur ein Nickerchen mache und gleich komme. Daraufhin ist eine Nahaufnahme von Pollacks verweintem Gesicht zu sehen. Er schnieft und wälzt sich auf dem Bett. Einen Moment sieht 112 I "Think of it as a storm, and it will be over.", erinnert sich Lee Krasner in: Grace Glueck, "Scenes from a Marriage. Krasner and Pollack", in: Artnews, Dezember 1981, S. 60.

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er so aus, als ob er schon gestorben wäre. Diese Szene lässt das Ende erahnen und ist die letzte Ruhe vor dem Sturm der Trunkenheit, die ihm und Edith Metzger das Leben kosten wird. Was lässt sich aus diesem Kaleidoskop nun für die filmische Aussage über die Persönlichkeitsstruktur Pollacks erschließen? Das Leiden des Künstlers ist gleich zu Beginn des Filmes in unterschiedlicher Weise präsent und verweist auf Themen wie Alkoholismus und Künstlerrivalität. Darauffolgen erfolgreiche Schaffensjahre, in denen die Repräsentation als leidender Künstler zugunsten der Darstellung produktiver Phasen in den Hintergrund tritt. Der Eindruck eines "leidenden Mannes" geht jedoch nie ganz verloren, sondern äußert sich in abgeschwächter Form am Unbehagen des Künstlers im Umgang mit bestimmten Personen. Ab Mitte der l950er-Jahre tritt sein anfängliches Leiden- der übermäßige Alkoholkonsum- wieder in den Vordergrund. Pollock produziert keine Kunst mehr. Die äußere Erscheinung des Künstlers ändert sich. Durch seine Kleidung und Frisur sieht er seinem einstigen Konkurrenten Picasso ähnlicher als je zuvor. Er hat einige Kilos zugenommen und seine Haut im Gesicht ist rötlich aufgeschwemmt. 113 Sein psychischer Zustand ist ähnlich wie zu Beginn des Filmes wieder instabil geworden. Obwohl er den ersehnten Ruhm erlangt hat, scheint der Tod der einzige Ausweg aus diesem "Teufelskreis" zu sein. Pollock als leidenden Künstler darzustellen, entspricht sicherlich auch realen Lebensverhältnissen. Dies lässt sich in brieflichen Selbstzeugnissen sowie aus psychologischen Gutachten seiner Therapeuten ab- 114 und in der Biografie ausführlich nachlesen.115 Die filmische Darstellung beruft sich jedoch nicht nur auf den persönlichen Leidensweg Pollocks, sondern folgt auch bestimmten Mythen, die mit der Vorstellung des Künstlerturns einhergehen. Ellen G. Landau stellt dazu in ihrer Pollock-Monografie fest: "[...] although Pollock's story is a very personal one, in many ways it also epitomizes a pattern that reaches far back in the centuries. [...] Throughout the ages, the most notable characteristics ofthe artistic genius have been his unreliability, rebelliousness, extravagance, alienation, anxiety, and melancholia. More often than not he has been doomed to a solitary and tormented life as a result of his debilitating alternations between periods of manic productivity and deep despair. "116

113 114 115 116

I Vgl. "Die Produktion von Filmmythen", ab S. 52. I Abgedruckt in : Harrison, Such desperate Joy, S. 7-19. I Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 2. I Landau, Jackson Po/lock, S. 238.

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Landau beruft sich in ihrer Beobachtung auf die Arbeit von Rudolf und Margot Wittkower. Sie sieht in Pollock den ersten amerikanischen "Artiste maudit" und bezeichnet ihn als "The American Prometheus".11 7 Obwohl die Autorin nicht weiter auf den Prometheus-Mythos eingeht, benutzt sie diesen als Vorlage für die Rezeption Pollacks als Rebellen und ausgestoßenen, leidenden Künstler. Eine direkte Verbindung zwischen dem antiken Mythos und dem Bild des leidenden Künstlers stellt Eckehard Neumann her. Er sieht im Prometheus-Kult die "Betonung heroischer Qualen" und in Folge eine "mythische Selbsterhöhung des Künstlers". Dieser antike Mythos versinnbildlicht das Leiden des Künstlers an der Gesellschaft und dient in Folge als Identitätsvorbild. 118 Neumann geht sogar noch weiter und erkennt im Geniekult antike und christliche Leidensvorstellungen, die ineinander verschmelzen: "Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen leidenden Kulturheros und dem geopferten Gott-Menschen Christus mögen die Grundlagen zu einer Leidensideologie des Künstlers gegeben haben, die sich bis in unsere Zeit nachweisen läßt. Ihre ästhetische Stilisierung zeigt folglich auch mythische Züge. Diese bleiben auch dort noch sichtbar, wo neue ,Messias'- und Märtyrerpersönlichkeiten in den Künsten auftauchen, die frei von konfessionellen Bindungen und ohne Wissen um die antiken Schöpfermythen sind." 11 9

Unabhängig davon, wie gewollt oder ungewollt mit Künstlermythen im Pollack- Film gearbeitet wird, rekurriert die Darstellung der Person Pollock deutlich auf den Topos des leidenden Künstlers. Zudem ist grundsätzlich zu beobachten, dass in Biopies über Künstlerinnen die Darstellung des leidenden Künstlers oder der leidenden Künstlerin bevorzugt eingesetzt wird, da diese, wie wir gesehen haben, die Künstlerinnen in ihrem außergewöhnlichen Tun legitimiert und in ihrer Geniehaftigkeit bestätigt. 120 Doch kommen wir wieder zurück zu unserem Thema der Darstellung Pollacks im Film: Zum Außenseiterturn gehört auch der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung, der jedoch der Idee des Außenseiterturns folgend, nie erfüllt werden kann. Bei Pollock äußert sich dieser 117 I Prometheus gilt als Rebell in der griechischen Mythologie, der sich gegen Zeus auflehnt. Er stiehlt Zeus' Feuer, das er den sterblichen Menschen in ihren dunklen Höhlen schenkt. ln Folge dessen entstehen Kultur und Kunst. Zeus ist darüber so erzürnt, dass er Prometheus grausam bestraft. Da Prometheus auch eine Gottheit ist, ist er dazu verdammt, das ihm zugefügte Leiden ewig zu ertragen. Erst 13 Generationen später wird er von seiner Bestrafung durch Herakles erlöst. 118 I Neumann, Künstlermythen, 5. 73. 119 I Ebd., 5. 82. 120 I Vgl. .. Gender im Genre", ab 5. 20.

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im unentwegten Streben nach Anerkennung, das sich zunächst auf den Familienkreis (seine Mutter, seine Brüder, seine Frau) und danach auf sein berufliches Umfeld (Guggenheim, Greenberg, öffentliche Meinung) ausweitet. Dieses Streben mutiert zu einer nie erfüllten Suche, die sich von der privaten in die öffentliche Sphäre verschiebt. Nach diesem Gesichtspunkt steht die Einführung der Figur Pollock im Vorspann, die ihn in Verbindung mit seinem Ruhm durch den Life Magazine-Artikel bringt, symptomatisch für die unerfüllte Suche. Sie stimmt die Betrachterinnen aber auch auf die ambivalente Bedeutung der Massenmedien ein, die in Pollacks Lebens- und Schaffensgeschichte an unterschiedlichen Stellen inszeniert wird. Im Folgenden werden dazu einige Filmsequenzen untersucht, in denen die gegenseitige Abhängigkeit von Massenmedien und künstlerischen Schaffensprozessen herausgearbeitet werden. Der Maler und seine Schaffensprozesse

The innovation of Action Painting was to dispense with the representation of the state in favor of enacting it in physical movement. The action on the canvas became its own representation. (Harold Rosenberg) 121 Mit diesen Worten prägt der Kunstkritiker Harold Rosenberg 1952 den Begriff des Action-Painting. Obwohl dieser Artikel nicht explizit von Jackson Pollacks künstlerischer Arbeit handelt, 122 ist dieser Text, der die Malaktion mit der Identität des Künstlers in Verbindung bringt, äußerst wichtig für das performative Verständnis von Pollacks Drip-PaintingMethode.123 Zur schauspielerischen Darstellung des Dripping124 konnte Harris neben den Texten auch auf den vergleichbar gut dokumentierten Schaffensprozess durch Fotografie und Film zurückgreifen. Diese Vorlagen werden zum Teil nachgespielt und in die filmische Handlung 121 I Rosenberg, " The American Action Painters", Wiederabdruck in: Ders.: The Tradition of the new, New York 1960, S. 27. 122 I Der Künstler wurde darin nicht namentlich erwähnt. Rosenberg wollte damit eher ein Zeit- und Kulturphänomen beschreiben. ln der Pollack-Rezeption wird dieser Artikel jedoch als paradigmatisch für die Beschreibung seines Malprozesses angewandt. Dagegen wehrt sich zuweilen der Autor, vgl.: Harold Rosenberg, "The Search for Jackson Pollock", in: Artnews, Bd. 59, Nr. 10, Februar 1961, S. 35, 58-60. 123 I Fred Orton schlägt statt der üblichen existenzialistischen Interpretation des Rosenberg-Textes eine politische Leseart vor. Vgl. Fred Orton, ,.Action, Revolution and Painting", in: Ders./Griselda Pollock, Avant-Gardesand Partisans Reviewed, S. 177-203. 124 I Im Zusammenhang mit Pollocks Arbeitsweise werden in Folge die Begriffe Drip-Painting oder Dripping verwendet und nicht Action-Painting.

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eingebaut. Sie prägen die Darstellung des Malprozesses, ohne jedoch direkt zitiert zu werden. Die filmische Erzählung des Schaffensprozesses beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Darstellung des Dripping. Vielmehr ist sie dramaturgisch daraufhin aufgebaut und stellt das Dripping bzw. die filmische Reproduktion des Dripping als Höhepunkt von Pollocks künstlerischem Schaffen dar. So gibt es nach der Darstellung des Filmdrehs mit Hans Namuth keine Malszene mehr, obwohl Pollock auch nach 1950 weiterhin Werke produziert hat. Bezeichnenderweise hängt in einer späteren Szene im Hause Pollock/Krasner das Bild Portrait and a Dream von 1953 an der Wand. Pollock zankt in dieser Szene mit Greenberg und streitet sich überaus heftig mit Krasner. Pollacks Gemälde Portrait and a Dream wird auch in der kunsthistorischen Rezeption psychologisch, im Sinne des Maiens aus dem Unterbewussten heraus 125 und biografisch, im Sinne des Zerwürfnisses mit seiner Frau, 126 gedeutet. Das Bild steht sowohl in der Pollack-Rezeption als auch im Film als Symbol für die Bewertung der neuen Schaffensphase im Sinne von Figuration und Abstraktion, Fortschritt und Rückschritt, Erfolg und Misserfolg. Der Einsatz dieses Bildes als Dekor an der Wand wird dadurch zur illustrativen Ausstattung einer emotional aufgeladenen Szene. Insofern ist dieses Bild weniger ein Verweis auf sein neues Schaffen, sondern eine "affektive Staffage", in der Künstlerperson und Werk miteinander verschmelzen. Der Spannungsbogen des Pollock'schen Malprozesses im Film ist in der Tradition des Fortschrittsdenkens der Moderne auf künstlerische Innovation aufgebaut. Die erste zu sehende Malszene im Film zeigt Pollock beim Malen von Male and Fernale (1942). Der Künstler wird darin als moderner, amerikanischer Maler charakterisiert, der sich in Jeansoutfit und T -Shirt gegen Lee Krasners traditionellem Outfit in Malerschürze visuell abhebt. Pollock arbeitet nicht mehr mit Pinsel und Palette, sondern trägt die Farbe direkt von der Tube auf die Leinwand auf. 127 Krasner versucht seinen Malakt zu interpretieren mit: "Are you experimenting with Surrealism? Isthis a dream? Even if it is a dream, it's still 125 I Vgl. Leja, "Jackson Pollock & the Unconscious", in: Ders. , Reframing Abstract Expressionism, S. 122 ff. ln der Biografie dient dieses Bild als Symbol für seinen dramatischen Lebensweg: "ln the worst days of a stormy winter, both inside and outside, Jackson began work on a huge canvas. [... ] Only now the face was a trembling outline of age and exhaustion , the staring eye a vacant, tearless tracing of resignation. Jackson called the painting Portrait and a Dream." NaifehjWhite Smith, Jackson Po/lock, S. 728 f. 126 I "lt raises the possibility that the narrative side of Portrait and a Dream may have been an outlet for Pollock to express his increasing resentment toward his wife's continued control." Landau, Jackson Po/lock, S. 218. 127 I Diese Szene wird im Kapitel "Das Verschwinden der Künstlerin", ab S. 112 näher ausgeführt.

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what you see, it's life! [... ] You can't abstract from nothing. You can only abstract from life, from nature." Darauf antwortet Pollock kurz und bündig: "I am nature." Informiert diese Sequenz über Krasners Intellektualität, wird mit der Einfachheit von Pollacks Aussage die Vorstellung von seiner Ursprünglichkeit und natürlichen Begabung evoziert. Zudem wird in dieser Szene die in der Literatur vielfach ausformulierte Thematik, dass Pollock aus dem Unterbewussten schöpfe angesprochen.128 Das "I am nature" verweist aber ebenso- vergleichbar mit der Darstellung als leidender Künstler - auf alte Schöpfungsmythen. Der Künstler wird darin in seiner eingenommenen Ursprünglichkeit sogar in eine direkte Verbindung mit Gott gebracht. "Deus Artifex- Divino Artista" lautet das Kapitel in Kris/Kurz,129 in dem die Idee von einer göttlichen Verbindung des Künstlers zur Sprache kommt. Die Autoren beschreiben die Vorstellung, dass der Künstler aus einem "unbezähmbaren Drang" schafft, aus dem heraus er in einer "Mischung von Wildheit und Wahnsinn, im Rausche gleichsam sein Werk vollbringt." 130 "Die Vorstellung von der Künstlerschaft Gottes geht- namentlich seit der Renaissance - in die von der Künstlerschaft der Natur über", 131 schreiben Kris/ Kurz weiter. Daher sei auch die Vorstellung von der schöpferischen Kraft des "Divino artista" mit der vom Genius untrennbar verknüpft. 132 In Krems' Anekdotensammlung ist dazu zu lesen, dass der Künstler als zweiter Gott erscheine, weil er selbst eine zweite Natur begründe. 133 So könnte die Aussage von Pollock "I am nature" dahingehend interpretiert werden, dass die göttliche Inspiration durch ihn hindurch fließe, er durch das Bild eine zweite Natur schaffe und sich dadurch als Genie auszeichne. Diese Vorstellung des Genies wird in der ausführlichen, filmischen Inszenierung des Mural (1943) noch weiter verdeutlicht, in der der Topos der Virtuosität ins Spiel gebracht wird. Die Szene erzählt vom meisterhaften Schaffen des Künstlers Pollack, aber auch von den darstellerischen Fähigkeiten des Schauspielers Harris. Außerdem hat sie

128 I Vom Einfluss des Surrealism us in Pollecks Arbeit bis zu psychoanalytischen Deutungen von Pollecks Werken im Kontext Jung'scher Archetypen , ist dieses Feld in der Literatur weit ausgebreitet worden. Am Interessantesten erscheint mir hierzu jedoch der Ansatz von Michael Leja. Er stellt Bezüge zwischen den Aussagen von Pollock, seinen Psychotherapeuten und der M odern-Man-Literatur der Zeit her und versucht Pollecks Verständnis des Unterbew ussten daraus zu erklären. Leja versteht Pollecks Aussage von 1947 "The source of my painting is the unconscious" dahingehend, dass es dem Künstler um die Repräsentation des Unterbewussten gehen könnte. Vgl. : Leja , " Jackson Pollock & the Unconscious", 5 . 121-202. 129 I Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, 5. 64-86. 130 I Ebd., 5. 74. 131 I Ebd., 5. 81. 132 I Ebd., 5. 85. 133 I Krems, Der Fleck auf der Venus, 5 . 23.

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Abbildungen 17 a+b: Standbilder, Pollacks Schatten-Bewegungs-Spiele Abbildungen 18 a+b: Standbilder, Pollacks Inspiration Abbildungen 19 a+b: Standbilder, Pollacks gestischer Ausbruch

einen initiatorischen Charakter und kann als Ankündigung für das spätere Drip-Painting gesehen werden. Die weiße Leinwand: Künstlerische Virtuosität und Medienspiel

Die Auftragsarbeit des Wandgemäldes für Peggy Guggenheim stellt 1943 den künstlerischen Durchbruch für Pollock dar. Im Film vergrößert Pollock sein Studio und durchbricht für das überaus große Bildformat134 in einem brachialen Gewaltakt mit einer Axt die Mauer zu Lee Krasners Atelier. Pollock rollt die riesige Leinwand in Richtung Kamera aus. Sie kommt dem Betrachter förmlich entgegen. Er stellt diese aufgespannt an die Wand und schreitet daran entlang - auf und ab. Dabei wirft er Schatten der Gehbewegung auf die weiße Leinwand und verweist damit auf das entstehende Bild sowie auf die Körperlichkeit des kommenden Schaffensprozesses (Abb. 17 a+b). Im Film folgen Phasen des Grübeins und Nachdenkens. Pollock kauert in einer Ecke und starrt auf seine weiße Leinwand, eine Anspielung auf den Topos der Angst vor dem weißen Blatt Papier. Lee Krasner kommt in sein Atelier und will wissen, was er denn auf der Leinwand 134 I Mural, 1943. Öl auf Leinwand, 243 ,2 x 603,2 cm. Das Bild befindet sich heute in der Mensa des University of lowa Museum of Art als Geschenk von Peggy Guggenheim.

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sähe, da er schon wochenlang darauf starre. Pollock gibt keine Antwort, verriegelt seine Tür und sitzt alleine vor der weißen Leinwand, die nun als filmisches Vollbild eingesetzt wird. Danach ist eine Detailaufnahme von Pollacks Augen zu sehen und aufsteigender Zigarettenrauch, der das Blickfeld vernebelt. Im Schuss-Gegenschuss-Verfahren wechselt das Filmbild zum Vollbild der weißen Leinwand und wieder zurück zu seinen Augen (Abb. 18 a+b). Diese Einstellungsverbindung stellt eine Beziehung zwischen dem Bildträger (der Leinwand) und den Gedanken des Künstlers (der Inspiration) her. Sie leitet den Blick der Betrachterinnen auf die Vorstellung einer "inneren Stimme" bzw. einer "göttlichen Eingebung", die dem Künstler zu Teil wird. Gleichzeitig wird die Handlung durch diese Einstellungsverbindungen dynamisiert, indem eine Spannung aufgebaut wird, die auf die Entstehung eines "Meisterwerkes" hinweist. 135 Pollock wirft seine Zigarette zu Boden, tritt sie mit seinem farbbeklecksten Schuh aus und beginnt mit voller Energie zu malen (Abb. 19 a+b). Man hört sogar den dynamischen Auftrag der Farbe auf die Leinwand. Zigarette im Mund, seine Hände voller Farbe, malt er unermüdlich weiter, bis er das Bild in einem Malgang, die ganze Nacht hindurch, fertiggestellt hat. Der gestische Malakt (Abb. 20-22) wirkt durch die musikalische Begleitung wie eine Tanzperformance und deutet den performativen Akt des Künstlers beim Dripping an. Die von Jeff Beal komponierte Musik nimmt in dieser Szene eine besonders wichtige Rolle ein, da sie die Malszene emotionalisiert und intensiver zur Geltung bringt: So untermalt die Musik ab dem Entlangschreiten Pollacks an der Leinwand diese Schaffenssequenz und nimmt ähnlich wie die Malerei unterschiedliche Motive an. Zunächst hört man eine Trompete, die den Künstler zu rufen scheint, ein Klavier setzt leise ein. Im Vordergrund ist Lee Krasner zu hören. Die Musik entwickelt sich weiter und mündet in lang anhaltende Orgelakkorde, die das Nachdenken des Künstlers symbolisieren, aber auch eine enorme Spannung aufbauen. Ab dem Schuss-Gegenschuss setzen fröhlich klingende Violinen ein, die auf das Kommende verweisen. Das musikalische Thema entwickelt sich mit der Bildentstehung: Ein Glockenspiel und mehrere Violinen lassen die Malszene noch beschwingter und bewegter erscheinen. Unterschiedliche Instrumente deuten verschiedene Melodien an: Xylophon, Bass, Klarinette sind zu hören, ein ganzes Orchester kommt zum Einsatz. Es ist, als ob die Musik 135 I Die Detailaufnahme der Künstleraugen kann auch als Topos für die Darstellung künstle rischen Schaffens in Filmen gesehen werden. Dies wird besonders in der Videoarbeit Fiction Artists (2004) deutlich , in der die beiden Künstler Christoph Girardet und Volker Schreiner Filmszenen aus einer Vielzahl von Künstlerfilmen zu unterschiedlichen Themen montiert haben . Genau diese Darstellung ist aber auch für das Genre des Westernfilms typisch. Vor dem Duell wird Spannung aufgebaut, indem man eine Detailaufnahme von den Augen des Cowboys sieht.

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Abbildungen 20-22: Standbilder, Bewegungstransfer auf Leinwand

verschiedene kleine Geschichten erzählt. So wirkt sie kraftvoll und beinahe gefährlich, als Pollock die horizontalen, roten Striche durch das Bild auf die bemalte Leinwand "schmeißt". Danach löst sie sich aber wieder auf, wirkt repetitiv wie ein Stück von Philipp Glass und zieht sich immer mehr zurück. Die Musik wird leiser, als der Malprozess dem Ende zugeht. Nun sind ruhige Violinen und Trompetenklänge zu hören, die langsam ausklingen. Schnitt. Man sieht Krasner am nächsten Morgen auf dem Weg zum WC., wo sie auf Jackson Pollock trifft, der mit verschmierten Fingern auf der Toilette sitzt. Am er/schöpften Körper des Künstlers äußert sich die Verschmelzung von "Schöpfung und Schöpfer" und verweist noch einmal mit einem sehr körperlichen Bezug auf das Genie des Künstlers. Lee Krasner erkennt die Zeichen und stürmt in sein Atelier, wo sie das fertige Bild findet. Nun wird die von Harris/Pollock gemalte Leinwand als filmisches Vollbild im Blick von Krasner gezeigt. 136 Im Vergleich mit einer Reproduktion des Mural (Abb. 25) wird erst bei genauem Betrachten sichtbar, dass das Bild für den Film nachgemalt wurde. Obwohl das filmische Mural als Vollbild gezeigt wird, sieht man es nicht in sei136 I Ed Harris hat das Bild - soweit in der Szene sichtbar wird - gemalt. Fertiggestellt wurde das Mural von Lisa Lawley, dem Painting Coach des Filmes. Vgl. Harris: "We had a big plastic sheet, where we rehearsed a little bit with initial strokes. Lisa Lawley has deconstructed the Mural and feit that there was a certain way that Pollock began it. We were using t wo cameras. So, I painted myself up to the point where we break and then when Lee comes down the hallway and you see the painting finished, that was actually painted by Lisa.", in: EH: 17.11.04.

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Abbildungen 23-24: Standbilder, Mural als Vollbild I Mural als Filmbild

Abbildung 25: Jackson Pollack, Mura/1943 ner ganzen Größe, sondern in einem von der Kameraoptik geprägten, perspektivischen Ausschnitt (Abb. 23) .137 In der nächsten Einstellung hängt das filmische Mural bereits als Bild an seinem Bestimmungsort im Flur von Peggy Guggenheims Haus, wo es Pollock betrachtet (Abb. 24). Der Entstehung dieses Bildes wird mit 4'40 Minuten eine relativ lange Zeitspanne eingeräumt. Das Mural spielt sowohl im Film als auch in der Kunstgeschichte eine wichtige Rolle, da es als Ankündigung der späteren Malweise Pollocks, dem Dripping, gesehen wird. Diese Entstehungssequenz steht aber auch für die Virtuosität des Künstlers. Pollock lässt sich von nichts und von niemandem aus der Ruhe bringen. Der Künstler malt das Bild in einem Produktionsvorgang, die ganze Nacht hindurch. "Daß der Künstler mit einer unscheinbaren Einzelheit, deren Rolle im Bildganzen erst spät erkennbar wird, seine Arbeit beginnt, muß die Vorstellung auslösen, als werfe der Maler ein Bild, das er in seinem Inneren trägt - und nicht das Abbild eines äußeren Vorbildes- mit unbeirrbarer Sicherheit auf die Malfläche." 138 Diese Beschreibung stammt von Kris/Kurz und könnte beinahe wortwörtlich auf die filmische Entstehung des Mural übertragen werden. Pollacks Schreiten entlang der Leinwand kann als jene "unscheinbare Einzelheit" gesehen werden, die "im Bildganzen erst später" erkennbar wird. Die tatsächliche Bildproduktion zeichnet sich durch die Sicherheit und Schnelligkeit des Künstlers aus, sein Bild zu malen. Der Topos 137 I Dies könnte auch als Verweis auf die ., AII-over"-Strategie der späteren DripPaintings gelesen werden. 138 I Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, S. 124.

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Abbildung 26: Pollock vor der leeren Mural- Leinwand, 1943 Abbildungen 27-28: Standbilder

der Virtuosität und Rauschhaftigkeit ist in der Literatur ein wichtiges Kennzeichen für die außergewöhnliche Gabe, das Genie des Künstlers. In der Logik der Mythen gelesen, haben wir es hier also mit einem "Divino artista" zu tun. Als bildliehe Vorlage für das Schreiten entlang der weißen Leinwand ist die Fotografie von Bernard Schardt (1943) zu erkennen, die Pollock vor der leeren weißen Leinwand stehend zeigt (Abb. 26).

Die filmische Inszenierung des Schattenwurfes spielt aber auch auf einen kunsthistorischen Toposan-die Legende der Tochter des Butades.139 Plinius erzählt von der Tochter des korinthischen Töpfers Butades, die vor der Abreise ihres Geliebten dessen Schattenumrisse auf der Wand festhält Die Legende gilt als Entstehungsmythos der Zeichnung bzw. Malerei140 und könnte im Zusammenhang von Pollocks Mural als Vorzeichen für die Erfindung einer neuen Kunstform, wie das Drip-Painting gemeinhin interpretiert wird, gelesen werden. Die filmische Inszenierung (Abb. 27 -28) deutet auf die Butades-Legende hin. Die Figur Pollock ist vor dem Bild in Gehbewegung zu sehen, der Schattenwurfhingegen zeigt eine stehende Figur, was auf das Moment des Festhaltens schließen lässt. Kombiniert betrachtet, verweist diese Sequenz einerseits auf den Bildaufbau des zu entstehenden Kunstwerks, in dem Gehbewegungen einer Figur zu sehen sein werden. Andererseits wird damit das "Im-Bild-Sein" des Künstlers angekündigt, das wiederum für den Prozess des Dripping von wesentlicher Bedeutung sein wird. Die Inszenierung dieser Bildwerdung durch die Schattenwurfsequenz lässt sich somit nicht nur als Verweis auf ein historisches Dokument 139 I Vgl. Plinius d. Ä., Historia naturalis XXXV, Abs. 151, S. 109. 140 I Die Legende wird auch als Entstehungsmythos der Plastik verwendet, da der Vater Töpfer ist und aus dem Bild ein Abbild in Ton für die Tochter schafft. Ein filmhistorischer Blick könnte zudem in der Inszenierung einer Schattenfigur auf Leinwand auch eine Ursprungsszene des Mediums Film erkennen.

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(Fotografie) interpretieren, sondern kann auch als dreistufiger Index gesehen werden: Zunächst formal für die Entstehung des Mural (gemalte Bewegungsfiguren), in weiterer Folge inhaltlich für das ActionPainting (Performativität im Sinne des Körpers des Künstlers auf der Leinwand) sowie medienhistorisch im Sinne von Entstehungsmythen neuer künstlerischer Medien (Hinweis auf eine neue Kunstform). Innerhalb der filmischen Erzählung hat die Mural-Schaffenssequenz sowohl inhaltlich als auch medial gesehen einen initiatorischen Charakter. Sie unterscheidet sich zudem auch formal von den weiteren Darstellungen künstlerischen Schaffens. Die Handlung wird durch die verwendeten filmischen Mittel - dynamisierte Einstellungsverbindungen, Kamerafahrten, begleitende Musik- vorangetrieben und zur Dramatisierung des Malprozesses eingesetzt. Die sprechende Instanz, das Medium (Spiel-)Film und sein Apparatus, bleibt jedoch unsichtbar. Im Unterschied dazu begleiten in den anderen Produktionsphasen unterschiedliche filmische Repräsentationen der Medien Fotografie, Radio und Film die Darstellung des Künstlers und dessen Schaffen. Die Fotografie als Agentin des Todes: lkonisierung des Künstlers

Fotografien dienen als wichtige Informationsquelle für die schauspielerische Darstellung der Figur Pollocks. Einige Fotografien fließen sogar in die filmische Erzählung ein. So ist z.B. der Entstehung des Artikels im Life Magazine ein Erzählstrang gewidmet. Die Interviewsituation mit der Jounalistin und Fotografin 141 wird im Grünen in der Nähe des Hauses von Pollock und Krasner gezeigt. Beide Künstler gehen nebeneinander. Die Dialoge zwischen Journalistin und Pollock sowie Krasner, die die Aussagen ihres Mannes vervollständigt, werden durch die Aktivität der Fotogratin begleitet. Das Geräusch des sich auslösenden Kameraklicks ist auditiv hervorgehoben. Anschließend werden die Fotos, die Pollock in unterschiedlichen Zusammenhängen zeigen (mit Krasner, mit dem Lebensmittelverkäufer, alleine im Atelier), vor schwarzem Hintergrund als schwarz-weiße Filmstills in ihrer Medialität als Fotoabzüge in den Film eingeblendet. 142 Sie wirken dadurch wie Originaldokumente. Erst beim wiederholten Betrachten erkennt man die nachgestellten Aufnahmen, die die Schauspielerinnen Ed Harris und Marcia Gay Harden zeigen. Auf die Frage, warum diese Fotografien nachgestellt, aber dennoch als Fotografien in dokumentarischem Sinne im Film sichtbar gemacht wurden, antwortet Ed Harris: "Because it is a film: I am Pollock and Marcia Gay is Lee. So, if I suddenly show pictures 141 I Es handelt sich dabei um die Life-Mitarbeiterinnen Dorothy Seiberling und Martha Holmes. Sie werden jedoch im Film nicht namentlich genannt. 142 I Die Fotos stellen Martha Holmes' Fotografien von für das Life Magazine nach, sind jedoch nicht im Artikel über Pollock erschienen.

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Abbildungen 29-31: Standbilder, Fotografierszene I Kameraobjektiv als Vollbild I Zum Bild geworden er Pollock

of Pollock and Lee, it would be more of a semi-documentary comment. I was trying to make a narrative film." 143 Harris betont immer wieder, wie wichtig es für ihn war, einen Spielfilm und keinen Dokumentarfilm zu machen. Insofern fließen medienreflexive Elemente im Film auch in die filmische Narration ein. Sie werden als Instrumente eingesetzt, die einerseits den künstlerischen Schaffensprozess begleiten und andererseits die veränderte Rolle des Künstlers inhaltlich bewerten. Dies wird in der Inszenierung des berühmt gewordenen Fotos von Arnold Newman deutlich. Dieses Foto schreibt Pollock in Jeans und zigarettenrauchend als (damals) typischen Amerikaner, als Cowboy und Rebellen, fest. 144 In der filmischen Inszenierung rückt Krasner Pollacks Outfit zurecht (Abb. 29), gibt ihm eine bereits angezündete Zigarette und flüstert ihm "Just be yourself" ins Ohr, bevor sie aus dem Blickfeld heraustritt. Die Szenerie - Pollock vor seinem Bild Summertime stehend- wird einen Moment lang als eingefrorenes Filmbild sichtbar, bevor auf den technischen Apparat der Fotografie visuell aufmerksam gemacht wird. Es folgt so lange ein Zoom auf die Großbildkamera des Fotografen, bis das Objektiv ins Zentrum des Filmbildes rückt (Abb. 30). Schnitt. Die nächste Szene zeigt Pollack, wie er den Briefträger beobachtet, der einen Stoß Life Magazines vor die Haustüre legt. Als dieser verschwunden ist, holt Pollock das Paket ins Haus. Er wirkt nervös. Die Kamera blickt ihm beim Betrachten des Artikels über die Schulter (Abb. 31). 143 144

I EH: 17.11.04. I Vgl. .,A Public Image through

Life", ab S. 36.

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Diese filmische Inszenierung fängt Pollacks Bild regelrecht ein und lässt ihn zur kulturellen Ikone erstarren. Die Sequenz erinnert an Roland Barthes' These vom Tod durch den Akt des Fotografierens, die der Produktion einer Ikone vorausgeht. Barthes beschreibt diesen Vorgang: "Sobald ich nun das Objektiv auf mich gerichtet fühle, ist alles anders: ich nehme eine ,posierende' Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im voraus zum Bild. Diese Umformung ist eine aktive: ich spüre, daß die PHOTOGRAPHIE meinen Körper erschafft oder ihn abtötet, ganz nach ihrem Belieben." 145

Im Posieren und im Fotografiert-Werden kündigt sich auch in der filmischen Erzählung das "Absterben" des Subjekts Pollock an. Die Szene, in der Pollock sein fotografisches Porträt und den dazugehörigen Artikel im Life Magazine betrachtet, entspricht der These Barthes', des ganz und gar Bild-Werdens, "das heißt der Tod in Person", wenn dieser schreibt:"[ ... ] die anderen- der ANDERE- entäußern mich meines Selbst, machen mich blindwütig zum Objekt, halten mich in ihrer Gewalt, verfügbar, eingereiht in eine Kartei, präpariert für jegliche Form von subtilem Schwindel." 146 Beim Betrachten seines Abbildes findet eine Trennung zwischen der "Person" Pollock und dem "Bild von Pollack" statt. Von nun an existiert das "Image Pollock" als kulturelles Gut. Der Moment der Entäußerung seines Selbst bleibt jedoch nicht beim Medium Fotografie stehen, sondern wird in einem Filmdreh seinen Höhepunkt erfahren. Die Fotografie, die das Bild des Malers "einfriert" und die Zeitschrift, die das "Image Pollack" verbreitet, dienen hier als Vorboten. Die Entfremdung des Künstlers kündigt sich zunächst durch seine Ikonisierung an, bevor sie sich in anderen reproduzierenden Medien fortsetzt. Das Radio als Informationsmedium

Das Medium Radio wird zunächst als Informationsmedium inszeniert und anhand des real stattgefundenen Radiointerviews mit Jackson Pollock und William Wright147 von 1950 in Szene gesetzt. Im Film äußert sich Pollock an dieser Stelle zum ersten und einzigen Mal über seine Kunstproduktion. Pollock und Wright sitzen in einem Raum. Zu 145 I Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt/M . 1989, 5 . 18 f. 146 I Ebd., 5. 23. 147 I Interview mit William Wright, The Springs, Long lsland , New York, 1950. Sendung auf der Radiostation WERI, Westerly, Rhode lsland, 1951. Abgedruckt in: Pepe Karmel (Hg.), Jackson Po/lock. Interviews, Articles, and Reviews, New York 1999, 5. 20-23.

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sehen sind ein Tonbandgerät, ein Journalist (Abb. 33) und ein Mikrofon, das dieser nach jeder Frage zu Jackson Pollock schiebt. Pollock wirkt nervös und beantwortet mit monotoner Stimme die Fragen des Journalisten. Er hat die Antworten bereits vorbereitet und liest sie langsam und unsicher wirkend vor. Das Interview mit dem Künstler wird als verbale Information über den Schaffensprozess eingesetzt und mit unterschiedlichen Malszenen visualisiert, die zwischen den Äußerungen Pollacks eingeblendet werden. Die verbale und performative Verwobenheit dieser Szene soll nun anhand eines Auszuges aus dem Drehbuch verdeutlicht werden: "WRIGHT Mr. Pollack, in your opinion, what is the meaning of Modern Art? [Pollack is very uncomfortable ... HIS VOICE TIGHT, MECHANICAL THROUGHOUT THE INTERVIEW ..] POLLOCK Modernart to me is nothing more than the expression of contemporary aims of the age that we're living in. WRIGHT Did the classical artists have any means of expressing their age? POLLOCK All cultures have had means and techniques of expressing their immediate aims- the Chinese, the renaissance, all cultures. [The interview CONTINUES OVER: INT. BARN- ANOTHER DAY] [Pollack Ioops the great tangled black ropes of NUMBER 32, 1950 onto the 9'xl5' canvas.] POLLOCK V.O. [Voice-Over, Anmerkung OB] The thing that interests me isthat today painters do not have to go to a subject matter outside themselves. Most modern painters work from a different source. They work from within. [Working his way around the huge canvas... totally focused. Pollock's passion and intensity belie the DRONING TONE OF HIS VOICE ...] POLLOCK V.O. (cont'd) It seems to me that the modern painter cannot express this age ... ... the airplane, the atom bomb, the radio ...

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Projizierte Kunstgeschichte ... in the old forms of the renaissance or of any other past culture. [Thick shapes ofblack paint descend on the canvas ...] POLLOCK (V.O.) I paint on the floor and this isn't unusual- the Orientals did that. The brushes I use are used more as sticksthe brush doesn't tauch the canvas ... [With a huge NUMBER 32 hanging behind him and the sunlight penetrating the barn creating a halo araund him, Pollock works on AUTUMN RHYTHM ... ] POLLOCK (V.O.) ... with experience, it seems to be possible to control the flow of the paint to a great extent ... [It's amazing to watch him paint. His confidence, control... the total ease he has achieved ... a far cry from the tension in his voice ...] POLLOCK (V.O.) ... and I don't use- I don't use the accident- 'cause I deny the accident." 148

Im Film kommt der Interviewer häufiger zu Wort als im Drehbuch. Wright und Pollock schieben sich vor dem Redewechsel immer das Mikrofon zu. Der Künstler scheint von der Apparatur eingeschüchtert zu sein. Pollacks verunsichert klingenden verbalen Äußerungen werden mit seinem stilsicher wirkenden, visuellen Ausdruck verwoben. In ruhigen Momenten sieht man den Künstler äußert konzentriert, im Einklang mit seiner Arbeit, während als Voiceover weiterhin Pollacks Aussagen zur Malerei zu hören sind. Sie weisen den Künstler als jemanden aus, der zwar in einem spezifischen historischen Kontext steht, aber dennoch aus seinem Inneren heraus arbeitet. Besonders in den harmonisch wirkenden Malszenen aus der Vogelperspektive scheint der Künstler mit seinem Werk zu verschmelzen. Diese Darstellung von Pollacks Malprozess entstammt der Vorlage des Schwarz-Weiß-Filmes von Hans Namuth (Abb. 32) .149 Die historische Filmquelle wird hier je148 I Barbara Turner/Susan J. Emshwiller, Po/lock, Final Draft, 7. Januar 1999, Brant-AIIen lndustries lnc., Greenwich, unveröffentlichtes Manuskript, S. 79 f. Die Punktuation und die Groß- und Kleinschreibung wurden vom Drehbuch übernommen. ln dieser Fassung des Drehbuchs sind Auslassungen aus dem Transkript des Radiointerviews zu erkennen. Es sind jedoch keine inhaltlichen oder stilistischen Textänderungen vorgenommen worden. Vgl. Abdruck des Transkripts des Radiointerviews in: Karmel , Jackson Po/lock, S. 20-23. 149 I Umgekehrt sind auch einige Aussagen aus dem Interview im Namuth-Film

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Abbildung 32: Stillsaus Namuths S/W-Film, Pollock beim Dripping, 1950 Abbildungen 33-35: Standbilder, Radiointerviewer I Pollock (Harris) beim Dripping

doch nicht eins zu eins übertragen (Abb. 34-35). Harris trägt ein schwarzes T -Shirt, während Pollock in der Vorlage ein weißes trägt. Im Gegensatz zur Vorlage scheint die Leinwand im Biopie viel größer zu sein und Harris bewegt sich auf ihr barfuss. 150 Dadurch kommt es zu einer direkten Berührung zwischen Künstler und künstlerischem Material, was die enge Verbindung zwischen Künstler und Werk evoziert sowie das "Im-Bild-Sein" des Künstlers stärker akzentuiert. Während des Radiointerviews im Film scheinen der Künstler und sein Werk eine wohlproportionierte Einheit zu bilden, wäre nicht immer wieder seine mechanisch klingende Stimme zu hören, die den Eindruck der Harmonie ins Wanken bringt. Darin versteckt sich der Topos des "schweigenden Künstlers". Dass sich der Künstler nicht gerne zu seinem Werk äußert, unterstützt wiederum die Vorstellung des "Divino artista", der aus dem Unterbewussten schöpft. Beredte Selbstäußerungen wiederzufinden. Vgl. Namuth: "Recently I added a soundtrack to the black-andwhite film, using excerpts form a radio interview conducted by William Wright in 1950." Hans Namuth, "Photographing Pollack", 17. November 1979, zitiert nach Wiederabdruck in: Harrison, Such desperate Joy, S. 266. 150 I Diese Filmbilder sind auch ein qualitatives Zeugnis für den Schauspieler Ed Harris, dem man beim Malen zusehen kann. Für Szenen wie diese hat er malen "gelernt", um Pollacks künstlerischem Schaffen einen adäquaten darstellerischen Ausdruck verleihen zu können.

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werden in dieser Logik eher als störend empfunden, da sie den Schaffensprozess reflektieren und ihm die Unmittelbarkeit nehmen. Insofern wird die Funktion des Sprechens über die Kunst und ihre Rezeption auch im Film oft von anderen Personen wie Krasner oder Greenberg übernommen: So sieht man vor und nach diesem Radiointerview Lee Krasner in einem Korbstuhl im Grünen sitzen. Sie verkündet mit stolzer Stimme zunächst Erfolgsmeldungen über den Verkauf seiner Kunstwerke und zitiert danach aus Presseberichten. Pollock ist an seinem künstlerischen Höhepunkt, seine Bilder werden gekauft, und er erlangt die lang ersehnte öffentliche Anerkennung. Film-im-Film: Die Wende Pollacks method of painting suggested a moving picture - the dance around the canvas, the continuous movement, the drama. (Hans Namuth) 151

Die Darstellung des Filmdrehs mit Hans Namuth im Oktober und November 1950 bezieht sich auf die historische Vorlage des elfminütigen Namuth-Films. 152 Ed Harris inszeniert den Höhepunkt von Pollacks künstlerischem Schaffen mit einem nachgespielten Film-im-Film-Zitat. Der Film-im-Film wird im Wechsel von Produktion und Projektion gezeigt. Man sieht einerseits den Filmdreh mit Hans Namuth (dargestellt von Norbert Weisser) und andererseits den Film als Film-im-Film. Gleichzeitig wird diese Sequenz als dramatische Bild-Werdung Pollacks für die filmische Erzählung funktionalisiert, indem die Darstellung des Filmdrehs als Auslöser des biografischen Dramas eingesetzt wird. In der anfänglichen Sequenz sieht man den Drehort Wiese und Wald; am vorderen unteren Rand ragen Pinsel und Farbeimer ins Bild (Abb. 36). Das Filmbild ist von schwarzen Rändern umgeben, Man hört das Rattern eines Filmprojektors, was den Eindruck eines projizierten Film151 I Namuth, "Photographing Pollock", S. 265. 152 I Der Filmdreh im Film bezieht sich auf den Farbfilm. den zweiten Film von Hans Namuth, der an sechs Wochenenden im Oktober und November 1950 gedreht wurde. Fertiggestellt wurde dieser Film in Zusammenarbeit mit Paul Falkenberg im Jahr 1951. Im Juni 1951 wurde er zum ersten Mal im MoMA gezeigt und im August desselben Jahres beim Woodstock FilmfestivaL Namuth drehte davor einen Film in Schwarz-Weiß, der jedoch nicht veröffentlicht wurde. Ha ns Namuth ist eigentlic h Fotograf und hat bereits im Sommer 1950 mehrere Aufnahmen von Pollock beim Entstehungsprozess von One: Number 31 und Autumn Rhythm: Number 30 in seinem Atelier und Garten gemacht. Vgl.: Pepe Karmel, .. Pollock at Work: The Films and Photographs of Hans Namuth", in: Varnedoe, Jackson Po/lock, S. 87137.

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Abbildungen 36-38: Standbilder, l. Film-im Film-Bild I Beim Filmdreh I Die Malerschuhe als Film-im-Film

bildes erzeugt. 153 Namuths Stimme, die Pollock auffordert ins Bild zu kommen, ist zu hören. Der Künstler tritt ins Bild wie ein Schauspieler auf die Bühne. Namuth gibt ihm Regieanweisungen: "Don't stop! That's good. Stop. Go to the chair. Sit down. Put your shoes on." Pollock befolgt die Aufforderungen, zieht sich einen Schuh an, als Namuths Stimme aus dem Off ertönt: "Your head is too low. Lift it up." Pollock hebt seinen Kopf, bewegt seine Lippen und bedeutet Namuth, dass er beim Anziehen der Schuhe auch auf diese gucken müsse. Darauf reagiert Namuth: "Don't talk. We see your mouth moving. You're supposed to be alone. Cut. We've got to do it again. You can't talk." Die ganze Szene wird noch einmal wiederholt. Pollock tritt langsam ins Bild, hat nun eine Zigarette im Mund. Namuth aus dem Off: "Now sit down. Don't Iook at the canvas." Die Kamera schwenkt schnell auf seine mit Farbe beklecksten Malerschuhe und zeigt sie in einer Nahaufnahme (Abb. 38). Namuth: "That's good. Shoes! Yeah! That's better. That Iooks good." Namuth klingt erfreut über seinen Einfall, sind doch die Schuhe des Malers ein fotogenes und aussagekräftiges Symbol, die u .a. an Vincent van Goghs Ölbild Ein Paar Schuhe (1886) denken lassen. 154 Pollock zieht 153 I Die Film-im-Film-Szenen werden in ihrer Materialität (Farbigkeit, schwarze Ränder) , ihrer Apparatur (Kamera, Rattergeräusch) und ihren Agenten (Regisseur und Schauspieler) dargestellt. 154 I Auch im historischen Film gibt es diese Einstellung, die Bernadette Walter als "Sinnbild eines beschwerlichen Weges" interpretiert. Mit einem Verweis auf Vincent van Goghs Schuhbild sieht sie Pollocks Schuhe im Filmbild als Sinnbild für seinen "schwierigen Weg als Künstler in der Gesellschaft und seine einsame Wanderung durch die Weit". Bernadette Walter, .,Doku oder Soap7 Künstler im Film", in: Dies.,

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Abbildungen 39-40: Standbilder Projektion Film-im-Film Abbildungen 41-42: Standbilder Produktion Filmdreh-im-Film

Abbildung 43: Stills aus Namuth-Film, 1951

nun noch einmal seine Straßenschuhe aus und seine Malerschuhe an, steht auf und will zu malen beginnen. Nun unterbricht ihn Namuth ein weiteres Mal: "Cut. Cut. Cut." Das Filmbild erscheint nun wieder in seiner gewohnten Größe, ohne schwarze Einrahmung, und zeigt Namuth neben seiner Kamera: "You need more time looking, like, I don't know, like you are thinking, wondering." Pollock blickt ihn verständnislos an, die Zigarette hängt lässig an seinen Lippen, er sagt kein Wort. Schnitt. Es folgt eine Innenaufnahme mit Krasners Bildern. Ein Kameraschwenk bringt Krasner ins Bild, die an der Staffelei steht und gerade an einem Bild arbeitet. Nun ist Pollock zu sehen, der unbemerkt an der Tür steht und Krasner beim Malen an der Staffelei mit einem sehnsuchtsvollen Blick beobachtet. Schnitt. Die Film-im-Film-Sequenz wird fortgesetzt und zeigt einen Pollock, horizonte. Beitriige zu Kunst und Kunstwissenschaft, Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft , Zürich 2001, 5. 455.

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der endlich in seinem Metier zu sein scheint. Er mischt Farbe an und beginnt auf deramBoden liegenden Leinwand zu malen. Der Filmim-Film zeigt seine Schuhe, den Farbeimer, seine Hände und den Pinsel beim Dripping (Abb. 39-40). Es folgen ruhige Aufnahmen, die den Künstler mit seiner obligatorischen Zigarette im Mund bei seiner Produktion beobachten. Bis auf das Rattern ist nichts zu hören. Auf einmal hört das Rattern auf, das Film-im-Film-Bild wechselt zum Filmbild, und Namuth sagt noch einmal "Cut." Pollock lässt sich nicht beirren und malt einfach weiter. Namuth ermahnt ihn beinahe: "Jackson, cut!" Namuth noch einmal: "Cut! We ran out offilm." Erst jetzt blickt Pollock hoch und hört auf zu malen. Pollacks Blicke sprechen Bände - "What the hell do you want fromme!?", glaubt m an in seinen Augen zu lesen. Es herrscht jedoch Stille. Es sind nur Blicke, die zwischen Namuth und Pollock ausgetauscht werden. Namuth gibt ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass dies jetzt eben so sei und geht weg. Zurück bleibt Pollack, allein am Set. In einer Pause beteuert Pollock seiner Frau, dass er sich wie ein "phony", also wie ein Schwindler, fühle. Krasner versichert ihm, dass er ein großer Künstler sei und einfach malen solle. Traurige Klaviermusik setzt langsam ein. Der Filmdreh geht weiter. Es folgen Filmbilder, die Pollacks farbverschmierte Hände zeigen. Die Kamera schwenkt zunächst auf seinen Kopf und dann weiter nach links, wo man Pollock im Vordergrund und Namuth mit dessen Kamera unscharf im Hintergrund sieht. Namuth filmt Pollock unablässig beim Betrachten seines Werkes (Abb. 41-42). Schnitt. Pollock äußert sein Unbehagen zum zweiten Mal, als er Clement Greenberg im Film erzählt, dass ihn Namuth durch eine Glasplatte beim Malen filmen wolle, und dass er sich wie "a clam without a shell", wie eine Muschel ohne Schale, fühle. Der Kunstkritiker rät ihm, den Filmdreh abzubrechen. Trotzdem spielt Pollock auch bei dieser Namuth'schen Idee mit. In der Biografie wird dazu kolportiert, dass sich Pollock der für seinen Ruhm wertvollen und historisierenden Seite der Filme durchaus bewusst gewesen sei und sie als Beweismaterial für sein Schaffen gesehen habe. Er wolle und brauche die Aufmerksamkeitvon Namuth. 155 Die folgende Filmszene-im-Film zeigtnun die Entstehung eines Bildes nach der Idee von Namuth. Als Filmbild-im-Film sieht man Pollacks Gesicht durch die Glasplatte, das durch das immer dichter werdende Netz des Dripping zusehends verschwindet (Abb. 4445).156 Darauffolgen Bilder vom Filmdreh im aufgebauten Setting. Namuth liegt unter dem Glasbild auf dem Boden, von wo aus er Pollock 155 I Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 648. 156 I Im historischen Film beginnt Pollock ein Glasbild, wischt alles wieder weg und beginnt noch einmal. Seine Stimme aus dem Off sagt: "I lost contact with my first painting on glass, and I started another one." Im Film-im-Film ist ausschließlich die Entstehung des zweiten Glasbildes zu sehen. Pollock spricht nicht dabei. Das

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Abbildungen 44-46: Standbilder, Entstehung des Glasbildes in Projektion und Produktion

filmt (Abb. 46). Plötzlich verkündet Namuth, dass nun nicht mehr genügend Tageslicht vorhanden sei und sie deswegen aufhören müssten. Nun wehrt sich Pollock nicht mehr. Er lässt alles sofort liegen und stehen, sieht Namuth abschätzig an und geht ins Haus. Dort begegnet er seinem Ärger und seiner Hilflosigkeit mit dem ersten Schluck Alkohol seit zwei Jahren. Einerseits verschmelzen "Schöpfer und Schöpfung" in dieser Szene bildlich. Andererseits verschwindet das Gesicht des Künstlers - als Sitz der Inspirationsquelle - zusehends hinter seiner Arbeit. Der Künstler entfernt sich bei dieser Sichtweise von seinem Schaffen. Auch in der filmischen Erzählung kommen diese Bilder einer Entäußerung gleich, in der der Apparatus Film den Künstler von seinem Schaffen entfremdet. Pollock fängt an, wieder zu trinken und projiziert seine immer wiederkehrende Angst, als "phony" zu wirken, nun auf Hans Namuth. Er flüstert Namuth immer wieder ins Ohr: ,,l'm not a phony, you're a phony. I'm not a phony, you're a phony." Der Ausdruck von Pollacks Frustration führt schließlich zum Eklat beim Thanksgiving Dinner mit Freunden im Hause Pollock/ Krasner. In einem sich steigernden Wutanfall wirft er den festlich gedeckten Tisch um. Die Tragödie nimmt nun ihren Lauf: In den kommenden sechs Jahren bis zu seinem tödlichen Autounfall im Sommer 1956 wird Pollock als Alkoholiker gezeigt, dessen bisheriger Lebensinhalt, die künstlerische Produktion, mehr und mehr verloren geht. Für die Deutung dieser Schaffenssequenz muss zunächst der histoFilmbild-im-Film ist wie gehabt schwarz eingerahmt und das Rattergeräusch des Projektors ist zu hören.

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Abbildung 47-48: Stills aus Namuth-Film, 1951

rische Film vom Filmdreh-im-Film getrennt betrachtet werden: Wie wird der historische Namuth-Film interpretiert, und wie kann hierzu der Film-im-Film in Beziehung gesetzt werden bzw. welche anderen Bedeutungsebenen kommen hinzu? Der historische Namuth-Film gilt- wie auch dessen Fotografien- als Quelle über Pollocks Drip-Painting-Methode. Er wird immer wieder diskursiv als historische Wahrheit über den Schaffensprozess vereinnahmt -sei es in Pollack-Retrospektiven, indem er als Informationsmedium unkommentiert eingesetzt wird, 157 oder sei es als historische Quelle in kunsthistorischen Aufsätzen. 158 Dabei werden die der Repräsentation innewohnenden Fragen nicht beachtet. So stellt diese Dokumentation weniger die Wahrheit dar, sondern vermittelt das historische Moment des Malprozesses eines abstrakten Expressionisten nach bestimmten Gesichtspunkten, wie Griselda Pollock und Fred Orton dies aussagekräftig darlegen, wenn sie schreiben: "One person's fiction is another's vivid image of a man and his methods; one person's bit of theatre is another's documentation. "159 Der Namuth-Film ist demnach ein kultu157 I Wie z.B. im Eingangsbereich der Retrospektive im (entre Georges Pompidou in Paris von 1982. wo man zuerst den Film sehen musste, bevor man überhaupt in die Ausstellung gehen konnte. Der Film wurde auch zur Retrospektive im Museum of Modern Art in New York 1967 gezeigt. 158 I Vgl. die Aufsätze von Barbara Rose und Rosalind Krauss in: Barbara Rose (Hg.), Pollock Painting, New York 1980, o.p. 159 I Orton/Pollock , "Jackson Pollock. Painting and the Myth of Photography", S. 167.

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relles Produkt, das einer bestimmten Repräsentationspolitik folgt, die in diesem Fall eine Inszenierung ist, die vom Künstler und vom Regisseur gelenkt wurde. Namuth äußert sich sogar über narrative Elemente in seinem Film: "I soon found out that a film, like a short story, needs a beginning, a middle, and an end. It wasn't enough to show the painter painting." 160 Was Namuth nämlich tatsächlich filmte, so Bernadette Walter, "ist ein elfminütiges Drama um das hehre Ideal der ,Kunst', in dem sich Pollock selbst inszeniert und bewusst die Wahrnehmung und Rezeption seiner Malerei steuert." 161 Walteruntersucht diesen elfminütigen Film und erkennt durch unterschiedliche Kameraeinstellungen einen dramatischen Aufbau. 162 Am Beispiel der Namuth'schen Inszenierung stellt sie sogar Elemente des Westernfilms fest. Pollock mime darin den Cowboy, der sich auf den Kampf vorbereite: "Er zieht die Schuhe an, betrachtet konzentriert sein Gegenüber, die Leinwand, überlegt, wie sie anzugreifen sei, und attackiert sie mit Farbe." 163 Namuth knüpfe mit dieser Inszenierung an den Mythos des einsamen Kämpfers und Rebellen an, wie dieser in der Pollack-Rezeption bereits zuvor in den Massenmedien aufgebaut wurde. Wie sehr nun Pollock tatsächlich zu den Entscheidungen über seine Inszenierung beigetragen hat, lässt sich schwer ausmachen. Er stellte diese aber dar, trug sein Jeans-und-T-Shirt-Outfit und arbeitete somit auch an seinem Künstlerimage mit. Ebenso setzte Pollock seine Stimme ein. Er spricht aus dem Off über seine Kunstproduktion, um der Darstellung eine größere Authentizität zu verleihen. 164 In diesem Sinne ist auch ein gewisses Maß an Selbstinszenierung des Künstlers zu erkennen, auch wenn bestimmte Entscheidungen dem Regisseur zuzuschreiben sind. Orton und Pollock fassen den filmischen Ausdruck folgendermaßen zusammen: "What happens in this process is that biographical details and photographic representations combine to construct a mythic subject

160 I Namuth, "Photographing Pollack'", S. 266. 161 I Walter, ,.Doku oder Soap7", S. 454. 162 I "Zunächst sind Pollacks Beine in Bluejeans auf der Leinwand zu sehen. ln den folgenden Sekunden zelebriert der Künstler das Schuhewechseln. Er nimmt Platz auf dem bereitstehenden Stuhl. Schnitt. Die farbbeklecksten Lederhalbschuhe erscheinen in einem Close-up. Pollock greift nach einem dieser Schuhe, und die Kamera fährt langsam zu seinem Gesicht hoch. Er streift seinen Slipper ab, versucht bedächtig, in einen der abgetragenen Lederschuhe hineinzuschlüpfen , hält einen Moment inne, zieht den Schuh wieder aus, dreht ihn um, schüttelt einen Kieselstein heraus und streift ihn von neuem über. Dann ist er bereit, um mit der Arbeit zu beginnen." in: Ebd. 163 I Ebd. 164 I Das Skript für den gesprochenen Text wurde gemeinsam von Paul Falkenberg und Jackson Pollock aus unterschiedlichen Quellen zusammengesetzt. Vgl.: Karmel, ,.Pollack at Work: The Filmsand Photographs of Hans Namuth", S. 137, FN 84.

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seemingly of and for the work; a mythic subject that is posited as the meaning ofthe work." 165 Wenn man nun im Vergleich dazu die Filmsequenz betrachtet, die den Filmdreh im Biopie Pollock darstellt, werden einige Unterschiede deutlich: Der historische Namuth-Film handelt von Entstehungsprozessen der künstlerischen Produktion Pollocks, die den Künstler gleichzeitig auf bestimmte Interpretationsmuster und Mythen wie jene des Cowboys und Rebellen festschreiben. Der Filmdreh-im-Film zitiert den Namuth-Film und die damit verbundene Aussage nur teilweise. Der historische Film wird nur in Fragmenten nachgespielt und verliert dadurch seinen ursprünglichen dramatischen Aufbau. Im Biopie scheinen dafür die Produktionsbedingungen des Films wichtiger zu sein als die historische Quelle. Der Regisseur Harris konzentriert sich auf den Prozess der Filmproduktion, wodurch ein ganz anderes Drama erzählt wird. So ist das Hauptthema in dieser Sequenz der Prozess der Entfremdung des Künstlers von seinem Schaffen, der durch das Medium Film vorangetrieben wird. Der eigentliche Produktionsprozess der künstlerischen Arbeit Pollacks wird zum Nebenschauplatz. Hier könnte man den Begriff der Entfremdung bzw. Entäußerung, die der technische Apparat, der zwischen Subjekt und Objekt tritt, auslöst, durchaus im Marx'schen Sinne verstehen und auf die Interpretation des Filmdrehs im Film übertragen: Marx sieht die Entäußerung des Arbeiters (Künstler) von seinem Produkt (Kunstwerk) dahingehend, dass dieses Produkt zu einer äußeren Existenz (Film) wird und in weiterer Folge außerhalb und unabhängig vom Arbeiter existiert. Marx geht so gar so weit, dass er darin eine selbständige Macht sieht, und dass "das Leben, was er dem Gegenstand verliehen hat, ihm feindlich und fremd" gegenübertritt.166 Besonders in jenen Betrachtungsweisen, die das Verhältnis des Arbeiters "zu den Produkten seiner Arbeit" sowie den ,,Akt der Produktion" beschreiben, kann der Marx'sche Begriff der "entfremdeten Arbeit" für die Pollack-Inszenierung produktiv genutzt werden, da mit ihnen auch eine "Selbstentfremdung" einhergeht. 167 Die daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Forderungen von Marx sollen hingegen 165 I Orton/Pollock. "Jackson Pollack. Painting and the Myth of Photography", S. 172. 166 I Karl Marx, .. [Die entfremdete Arbeit]". in: Ders .. Ökonomisch-philosophische Manuskripte (nach der Handschrift 1844). Leipzig 1968, S. 152. 167 I "Dies Verhältnis [zum Akt der Produktion innerhalb der Arbeit, Anm. DB] ist das Verh ä ltnis des Arbeiters zu seiner eignen Tätigkeit als einer fremden. ihm nicht angehörigen. die Tätigkeit als leiden. die Kraft als Ohnmacht. die Zeugung als Entmannung, die eigne physische und geistige Energie des Arbeiters, sein persönliches leben- denn was ist leben [anderes] als Tätigkeit- als eine wider ihn selbst gewendete, von ihm unabhängige, ihm nicht gehörige Tätigkeit. Die Selbstentfremdung, wie oben die Entfremdung der Sache." Marx . "[Die entfremdete Arbeit]". S. 156.

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an dieser Stelle nicht weiter zur Diskussion stehen. Nutzbringend für die Interpretation der Pollack-Inszenierung scheint mir, dass Marx in der entfremdeten Arbeit ein schmerzliches Empfinden, einen Mangel an Selbstverwirklichung erkennt. Besonders deutlich wird die Entäußerung Pollacks in Szenen, in denen der Regisseur Namuth zu Wort kommt und mit seinen Direktiven an den Künstler die Oberhand über die Inszenierung des Vorganges der künstlerischen Produktion übernimmt. Sie lassen den Künstler zum Schauspieler seiner selbst werden und distanzieren ihn von seiner künstlerischen Praxis. Diesen Grad an Selbstentblößung und Entäußerung scheint Pollock nicht mehr zu ertragen und flüchtet sich daraufhin in den Alkohol. 168 Zusammenfassend ist in Bezug auf die filmische Erzählung zu bem erken, dass Pollacks Image als "Jack the Dripper" zwar im Eindruck der bewegten Bilder auflebt, gleichzeitig aber das Medium Film den Künstler Pollock von seinem Schaffensprozess distanziert. Harris setzt die Massenmedien als "Entfremdungsmaschinerie" ein, die dem Künstler seine Authentizität und infolge seine Schaffenskraft nehmen. Diese Interpretation ist bereits durch die Inszenierung anderer Szenen - die Produktion des Life Magazine-Artikels, die Life Magazine-Szene im Vorspann, das Radiointerview-inhaltlich vorbereitet worden und führt zu einer unterschwelligen Aussage des Films, die nun in der Zusammenfassung behandelt werden soll. Mythen und Medien: Eine folgenreiche Verbindung

Die Ambivalenz in der Verbindung von Kunstschaffen und reproduzierenden Medien ist ein Subtext dieses Filmes, der auf unterschiedliche Weisen als verhängnisvolle Affäre dargestellt wird. Wie wir gesehen haben, bestimmen die künstlerischen Schaffensprozesse Pollacks die Dram aturgie des Films. Die Inszenierung der Person und des Künstlers orientiert sich dabei an Erzählstrukturen von Künstlermythen. So h äufen sich jene Darstellungen, die Pollock als leidenden Künstler und tragischen Helden zeigen. Sein Leiden ist zunächst psychischer Natur, das durch den Alkoholismus im Laufe des Filmes auch in der physiognomischen Veränderung des Künstlers sichtbar wird. Das Problem, nicht vom Verkauf der Kunst leben zu können, lässt ihn anfangs auch im ökonomischen Sinne leiden. Als sich der mediale Erfolg einstellt, werden keine finanziellen Sorgen m ehr geäußert. Stattdessen tritt der Alkohol verstärkt in sein Leben und verursacht andere existenzielle Probleme. 168 I Auch Namuth berichtet von dieser Reaktion Pollocks. Vgl.: Namuth, in: "Photographing Pollack", 5. 269. Siehe ebenso in der Biografie, in: Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 651.

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Im frühen und dramatischen Tode Pollacks erfährt der Mythos vom leidenden Künstler und tragischen Helden schließlich seinen Höhepunkt und seine ultimative Erfüllung. Die Inszenierung Pollacks als außergewöhnlichen und genialen Künstler folgt dem Mythos des "Divino artista". Damit verbunden ist die Darstellung des Schaffens aus dem Inneren, dem Unterbewusstsein heraus. Die "göttliche Eingabe" lässt den Künstler zur zweiten Natur werden. Pollock verbildlicht diese Vorstellung sogar direkt mit der Aussage "I am nature". Ebenso deutlich wird das "Genie" Pollacks in der Interviewszene des Life Magazine mit einem Verweis auf Filiation angesprochen: Auf die Frage der Journalistin nach seinen künstlerischen Vorbildern antwortet Pollock langsam "de Kooning, Kandinsky" und Krasner vervollständigt seine Aussage beredt mit "El Greco, Goya, Rembrandt". Sie setzt ihn damit weniger mit Zeitgenossen in Verbindung, sondern in die Tradition abgesicherter Kunstgeschichte. Erstaunlicherweise wird sein größtes Vorbild (und sein größter Rivale) Picasso nicht erwähnt. Erst auf die Frage, wie er denn wisse, wann er mit einem Bild fertig sei, antwortet Pollock mit der Frage: "How do you know when you finished making love?" Er sexualisiert hier seinen Schaffensprozess, indem er vorgibt, körperlich zu spüren, wann das Kunstwerk vollbracht ist. Diese Aussage schließt an die filmische Inszenierung des eruptiven Mural-Malprozesses an. In der ausführlichen Inszenierung dieses Malprozesses liegt noch ein weiteres Zeichen seiner Genialität, das Pollock auch als Virtuosen auszeichnet. Im Film stellt er dieses großformatige Bild nach langen unproduktiven Phasen in einem einzigen Maldurchgang her. Seine unbeirrbare Sicherheit im Farbauftrag und seine Schnelligkeit sollen von der Einmaligkeit dieses Künstlers überzeugen. In der anfänglichen Szene zur Person Pollock wird auch der Topos der Rivalität angesprochen. Dieser charakterisiert Pollock als Künstler, noch bevor wir ihn malend zu Gesicht bekommen. Die Rivalität bezieht sich auf Picasso und zieht sich vom Beginn bis zum Ende des Filmes durch: In den anfänglichen Szenen nimmt Pollock mit "Puck Picasso!" eine ablehnende Haltung gegenüber seinem Vorbild ein. Als er sich am Stammtisch mit anderen Künstlerkollegen austauscht, hat Pollock über Picasso nur zu sagen, dass dieser einmal wichtig gewesen sei und bringt sich dadurch selber als besonders zeitgenössisch in die Diskussion. Zu einem späteren Zeitpunkt, in der Blüte seines Schaffens und Erfolges, zitiert er euphorisch "Povero Picasso" aus einem Artikel über Pollock, in dem er als Sieger des Wettstreits hervorgeht. 169 Die Überwindung des Rivalen könnte damit angedeutet sein. In seinem letzten Lebens169 I "Compared to Pollack, Picasso, poor Picasso, the little gentleman who, since a few decades, troubles the sleep of his colleagues with the everlasting nightmare of his destructive undertakings, becomes a quiet conformist, a painter of the past." in:

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jahr passiert jedoch eine überraschende Wandlung: Der vom Alkohol gekennzeichnete Pollock hat nichts Cowboyhaftes mehr an sich, sondern sieht nun durch seine Kleidung seinem einstigen Rivalen verblüffend ähnlich. Im Vergleich mit zeitgleichen Abbildungen des über 30 Jahre älteren Picasso könnte einem nun eher "Povero Pollack" über die Lippen kommen. So ist auch der Topos der Rivalität im Film dramaturgisch aufgebaut und endet mit der zweitklassigen Verkörperung des Rivalen- und damitzuUngunsten Pollocks. Einerseits wird die Figur Pollock im Film deutlich als herausragender Künstler legitimiert, andererseits scheint er aber genau aus diesem Grunde biografisch zum Scheitern verurteilt zu sein. Die Logik für dieses Scheitern sieht Neumann, der an dieser Stelle keinen bestimmten Künstler beschreibt, im Bild des tragischen Künstlers: "Am Ende bleibt die Entfremdung doch der Sieger, denn das Genie leidet, scheitert und zerbricht an diesem Gegensatz [dem Widerspruch von Welt und Geist, Anm. DBJ, ohne ihn überwinden zu können. Mit der Sehnsucht nach einer Alleinheit mit dem Leben, der Natur und dem Kosmos, bleibt das Genie unter dem Banner von Individualität, Freiheit, Natur und Originalität das Sinnbild des gefährdeten Menschen, der an dem Wunsch nach einem anderen Menschentum zerbricht. Er ist nicht mehr Erlöser, sondern dem Bürger ein warnendes Beispiel, der Inbegriff des tragischen Helden, der neue Wege sucht, um in den Augen der Welt zugleich daranzugrunde zu gehen." 170

Eine ähnliche Deutung könnte man auf die filmische Darstellung des Künstlers Pollock anwenden. Der Künstler wird von seinem Schaffen entfremdet und geht letztendlich als tragischer Held zugrunde. Diese Inszenierung scheint mitunter Harris' Wunschvorstellung von einem nicht-entfremdeten Künstler zu implizieren, in derWerk und Person eine Einheit bilden. "Pollocks desire to arrive at his own originality, the need, the courage to open hirnself up and surrender to that openness- and his unrestrained commitment to take it to its limit-drewme to him. [...]He fought fiercelyto be true to himself. He did not separate hirnself from his art." 171

Harris setzt die reproduzierenden Medien als Auslöser der Entfremdung ein, da sie die Vorstellung von einem authentischen Künstler in das Image eines authentischen Künstlers verwandeln. Zunächst entsteht das Bild eines energiegeladenen, amerikanischen Künstlers, der Bruno Alfieri, "A Short Statement on the Painting of Jackson Pollack", in: L'Arte Moderna, 8.8.1950. Zitiert nach Wiederabdruck in: Karmel, Jackson Po/lock, S. 69. 170 I Neumann, Künstlermythen, S. 83. 171 I Harris, "On Playing Pollack", S. XV.

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im Cowboy-Outfit gegen die europäischen Vorbilder rebelliert. Pollacks Kunstproduktion verwandelt sich jedoch zusehends von einer positiven, als authentisch verstandenen Arbeitsweise hin zu einer inszenierten, mechanisch aufgeführten Malweise, die zur Folge hat, den Künstler von seinem Schaffen zu entfremden. So erzählt die Inszenierung des Filmdrehs-im-Film etwas Anderes als die historische Vorlage. Ed Harris scheint es weniger darum zu gehen, den Namuth-Film vollständig einzufügen oder nachzuspielen, als ihn auf eine Weise zu zitieren, die ihn für das biografische Drama der Pollack-Erzählung nutzbar macht. Harris' Motivation am Pollock-Stoff lässt die utopische Vorstellung172 erahnen, dass der Künstler und sein Schaffen vor dem Eintritt der Massenmedien als ein authentisches Subjekt existierten. Der Prozess der Entfremdung wird in dieser Logik als Drama mit negativem Ausgang dargestellt. 173 Aus diesem Grund wurden die Filmszenen über die Entstehung des Muralsowie die Namuth-Filmszene in diesem Text amAusführlichsten behandelt, da sie den Beginn und das Ende von Pollacks künstlerischem Schaffen im Film symbolisieren. Der Regisseur Harris inszeniert darin die Entfremdung des Künstlers durch die gesteigerte Medialisierung. Darin könnte man zunächst einen grundsätzlichen Pessimismus gegenüber den Massenmedien vermuten, der jenem in Adornos und Horkheimers Aufsatz zur "Kulturindustrie" 174 ähnelt. Nun steht aber Harris' Tätigkeit in einem anderen historischen Kontext, 175 und vor allem arbeitet er durch seinen Beruf als Schauspieler aktiv im Feld der "Kulturindustrie". Nach seiner persönlichen Einstellung zu den Massenmedien befragt, bezog er deutlich Position: "You know the mass media exists and it always will exist, but what it does to artists of any vulnerability, whether it is an actor, a painter, a musician, is devastating." 176 Auch wenn der Regisseur in der filmischen Interpretation des Pollock -Stoffes auf den ersten Blick der biografischen Vorlage folgt, könnte man darin ebenso eine Kritik an der Starindustrie vermuten, in der private Personen zu öffentlich zugänglichen Konsumgütern verwandelt werden- ein Thema, dem sich vor allem Hollywoodschau172 I Diese Vorstellung wird in den Formulierungen der Biografie auf die Spitze getrieben. 173 I Zu den unterschiedlichen Konnotationen der Begriffsgeschichte der Entfremdung, vgl.: Achim Trebiß, Entfremdung und Ästhetik. Eine begriffsgeschichtliche Studie und eine Analyse der ästhetischen Theorie Wolfgang Heises, Stuttgart/Weimar 2001. 174 I Max Horkheimer/Theodor W. Adorno , "Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug" (1944), in: Dies. , Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 2003. S. 128-176. 175 I Horkheimer und Adorno schrieben ihren Text 1944 in Kalifornien. Sie verarbeiteten darin auch die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten in Europa, die vor allem die audiovisuellen Medien für ihre propagandistischen Zwecke nutzten. 176 I EH: 17.11.04

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spieler wie Ed Harris immer wieder stellen müssen. Auf die Frage, ob er Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Situation als Schauspieler mit jener Starindustrie sieht, die mit Pollock in Verbindung zu bringen ist, antwortet Harris: "EH: First of all, I am not solely an actor, I am also a father and a busband and I have friends. So, I don't feel as isolated as Jackson did emotionally. So, it is different. But I recognized what his desperation was about. Jackson's status at his peak in the artworld is not comparable to my situation. I have been an actor for a long time and I am recognized to some degree, but I never had to deal with that kind of celebrity, that meteoric kind of rise. That's not where I am coming from. DB: But you da have to deal with Oscarnominationsand public attention?

EH: Yes, but it has been such a gradual thing. I began acting professionally in 1976. And over the years you get a little betterat dealing with it, putting it into a perspective." 177 Die Zeit, in der Harris seinen Umgang mit den Massenmedien professionalisieren konnte, hatte Pollock nicht, denn er starb mit 44 Jahren. Obwohl Pollacks Aufstieg auch nicht ganz so meteoritenartig vonstatten ging - immerhin liegen zwischen 1943-1950 sieben Jahre schien dieser dem Künstler gravierende existenzielle Probleme zu bereiten, suggeriert die filmische Erzählung. So sehr die Massenmedien an Pollacks Aufstieg beteiligt sind, werden sie im Film auch für seinen Abstieg verantwortlich gemacht. Visualisiert wird diese Wertung durch das Sichtbarmachen des Apparatus' der einzelnen reproduzierenden Medien (die Fotokamera, die Fotografin, das Mikrofon, der Journalist, die Filmkamera, der Regisseur) sowie ihrer Präsentationsformen (Zeitschrift, Fotografieabzüge, Filmprojektion). Die reproduzierenden Medien werden dadurch zum zentralen Motor, die den Ablauf der Handlung beeinflussen. In diesen Szenen wird der Künstler seinem Anspruch, authentisch zu sein, enthoben, und seine geheimnisvolle Aura durch die wiederkehrende Reproduktion gänzlich gebrochen. Was übrig bleibt, ist ein biografisches Drama. Obwohl sich dieses Biopie auf mehreren Ebenen - in der Darstellung der künstlerischen Schaffensprozesse oder auch in seinen medienkritischen Aspekten - von anderen Filmen dieses Genres in seiner Reflexivität positiv hervorhebt, installiert es auf der erzählerischen Ebene über die Person und den Künstler jene Künstlermythen -vom leidenden Künstler, Divino artista und tragischen Helden -, die auch in anderen Biopies bevorzugt zum Ausdruck kommen. Obwohl Harris an Prozessen der Imageproduktion interessiert zu sein scheint, thematisiert er 177

I Ebd.

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die einflussreiche Imageproduktion des Biopies nicht und arbeitet an der Wiederbelebung von Künstler- und Hollywoodmythen mit. Indem die Inszenierung der erzählten Geschichte nur wenig Distanz schafft, sondern die Zuschauerinnen eher emotionalisiert und sie zu affektiven Komplizinnen der Story macht, gehen in diesem Biopie Mythen und Medien eine "gefährliche Liebschaft" ein.

Das künstlerische Feld In weiterer Folge wird ein Blick auf jene Filmfiguren geworfen, die in einem engen Verhältnis zum Protagonisten stehen. Die Hauptfigur Pollock soll durch die Analyse anderer Filmfiguren diskursiv in den Kontext "des künstlerischen Feldes" eingebettet werden, welches sich laut Bourdieu nur in Bezug auf das "Feld der Macht" erklären lässt: "Das Feld der Macht ist der Raum der Kräftebeziehungen zwischen Akteuren oder Institutionen, deren gemeinsame Eigenschaft darin besteht, über das Kapital zu verfügen, das dazu erforderlich ist, dominierende Positionen in den unterschiedlichen Feldern (insbesondere dem ökonomischen und dem kulturellen) zu besetzen. Es ist der Ort, an dem die Auseinandersetzungen zwischen Inhabern unterschiedlicher Machttitel (oder Kapitalsorten) ausgetragen werden [... ]."178

"Das Feld der Macht" offenbart sich in der filmischen Darstellung des privaten und beruflichen Kontextes von Jackson Pollock. Es konzentriert sich auf die Partnerschaft mit der Künstlerin Lee Krasner sowie auf Personen aus der Kunstkritik und Galerienszene. Anhand der Analyse ausgewählter Nebenrollen sollen künstlerische Anerkennungsprozesse, ökonomische Abhängigkeiten sowie Geschlechterverhältnisse in jenem künstlerischen Feld, in dem sich die Hauptfigur verortet, aufgezeigt werden. Die Entscheidung, das ,,Feld der Macht" anhand einzelner Filmfiguren darzustellen, begründet sich aus der Funktionsweise des Genres des biografischen Spielfilms, in dem meist personenzentriert erzählt wird. Die Institutionalisierung der künstlerischen Position Pollocks lässt sich am deutlichsten durch die filmische Inszenierung des Kunstkritikers Clement Greenberg und der Sammlerin und Galeristin Peggy Guggenheim darstellen. Obwohl auch der Mitarbeiter Guggenheims Howard Putzel, die Galeristin Betty Parsans oder der Sammler Alfonso Ossorio kleine Rollen innehaben, sind die Figuren Guggenheim und 178 I Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes (1992), Frankfurt/M. 2001, S. 342.

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Greenberg im Verhältnis zu Pollock besonders ausgeprägt. Es wäre in diesem Kontext durchaus interessant, auch die Programmatik des Museum ofModern Art in New York zu untersuchen, das sich in den l940erJahren für die Etablierung einer amerikanischen, modernen Kunst einsetzt. Dieser Institutionalisierungsprozess wird im Folgenden jedoch zurückgestellt, da er im Film nicht weiter ausgeführt wird. Vielmehr wird die aufblühende Kunstkritik- mit Greenberg als Repräsentanten -sichtbar, die eine herausragende Rolle für den Bekanntheitsgrad Jackson Pollacks spielt. Noch bedeutender für seinen Erfolg wurden die populären Massenmedien und im Zuge dessen die mediale Repräsentation seiner Kunstpraxis durch Fotografie und Film, die bereits im Kapitel zuvor untersucht wurde. 179 Die wichtigste Filmfigur neben Pollock ist eindeutig dessen Künstlerkollegin und Frau Lee Krasner. In vielen Biopies ist der Künstler oder die Künstlerin kein/e Einzelkämpfer/in, sondern wird in professionellen und privaten Beziehungen dargestellt. Dies mag daran liegen, dass (Künstler-)Paare zur Legendenbildung herausfordern, wie Renate Berger bemerkt. 180 Im Verhältnis des Paares Pollock und Krasner lässt sich die gesellschaftliche Machtverteilung der Geschlechter sowohl in ihrer Zeit als auch in ihrem künstlerischen Feld ablesen. Bevor ich jedoch die Repräsentationspolitik von Lee Krasners Filmfigur bzw. die Inszenierung der Beziehung zwischen Krasner und Pollock analysiere, werde ich eine historische Situierung der Künstlerin Lee Krasner und die sich verändernde Rezeption in der Kunstgeschichtsschreibung vornehmen. Denn Lee Krasner ist nicht nur ein wichtiger Teil der Pollack-Erzählung, sondern auch ein Beispiel für die geschlechtlich codierte Künstlerinnenrezeption in der Moderne. An ihrer Rezeption als Künstlerin lassen sich die männlich dominierten gesellschaftlichen Machtstrukturen der Nachkriegsjahre ablesen. Eine Problematik, die sich auch in der filmischen Inszenierung Lee Krasners im Jahr 2000 widerspiegelt.

179 180

I Vgl. "Der Maler und seine Schaffensprozesse", ab S. 70. I Renate Berger, "Leben in der Legende", in: Dies.: Liebe

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Macht Kunst, S. 1.

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Lee Krasner: Von der aufstrebenden Künstlerin zur erfolgreichen Frau im Hintergrund How could you be a woman and an artist caught between the twin myths of gender and art embodied by the images of Monroe and Pollack? (Griselda Pollack) 181

Die Möglichkeiten, eine mit Pollock zeitgleich stattfindende Karriere zu haben, waren für Lee Krasner als eloquente und selbstbestimmte Frau in der amerikanischen Avantgarde gering. Die amerikanische Gesellschaft der 1950er-Jahre war geprägt von sexualisierten Frauenbildern, verkörpert durch Filmstars wie Marilyn Monroe. Dieser Kontext lässt keine optimistische Perspektive für Künstlerinnen zu: "The McCarthy era of the 1950's in North America closed the doors on any feminine presence in order to keep literatme and art within the pure, safe, and virile fraternity of the pen and the brush. "182 , charakterisieren Whitney Chadwick und Isabelle de Courtivron die historischen Rahmenbedingungen für Künstlerinnen zur Zeit des Kalten Krieges. Dennoch war Lee Krasner als Ehefrau, Managerin, Kritikerin und später Witwe aktiv und hat den Pollack-Mythos maßgeblich beeinflusst. Doch wo bleibt die Künstlerin Krasner? Sein Erfolg ist wesentlich mit ihrem Verzicht einer gleichzeitigen künstlerischen Karriere verbunden. Ihre Rollen werden als Partnerin, als Gegenüber, als Spiegel, als das Andere beschrieben. Dennoch sind seit den 1950er-Jahren auch Umwertungen zu verzeichnen, die nun in der Rezeptionsgeschichte behandelt werden. Lee Krasner (geboren 1908) und Jackson Pollock (geboren 1912) werden in der kunsthistorischen und biografischen Literatur immer wieder durch Polarisierungen in ihren ethnischen, künstlerischen und psychologischen Hintergründen charakterisiert. Zugespitzt formuliert könnte man zusammenfassen: Er, ein Generationen zurückreichender Amerikaner, presbyterianischer Herkunft aus dem Mittleren Westen. Sie, jüdischer, migrantischer Herkunft aus Brooklyn. Er, geprägt von Selbstzweifeln, Zurückgezogenheit und Trunksucht. Sie, charakterisiert durch Selbstvertrauen, Eloquenz und Ehrgeiz. Er, der nicht unbedingt Karriereziele verfolgt, ein Schüler des expressionistischen Malers Thomas Hart Benton ist und sich für indianische und mexikanische Mythen interessiert. Sie, Schülerin von Hans Hofmann, ein abstrakter Maler und 181 I Griselda Pollock, "Killing Men and Dying Women", in: Orten/Dies., AvantGardesand Partisans Reviewed, Manchester 1996, S. 227. 182 I Chadwickjde Courtivron, Significant Others. Creativity and lntimate Partnership, S. 11.

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Lehrer en vogue, der die Errungenschaften europäischer Vorbilder abstrakter Kunst wie jene von Kandinsky, Klee, Mondrian, Matisse und Picasso lehrt. Die Liste würde sich weiter fortsetzen lassen, trotzdem trifft es nicht nur zu, dass Gegensätze sich anziehen, sondern ihre Beziehung zeugt auch von gegenseitigen Abhängigkeiten und der Entscheidung Lee Krasners, an der amerikanischen Avantgarde so gut sie konnte mitzuwirken. Lee Krasner, darüber sind sich viele Zeitgenossinnen einig, leistet den größten Beitrag zur Karriere Pollocks. Sie ist es, die Pollock in den 1940er-Jahren in die New Yorker Kunstwelt einführt und mit den Kunstkritikern und Kuratoren Clement Greenberg, Harold Rosenberg, James Johnson Sweeney, Sidney Janis sowie den Künstlern Willern de Kooning und Arshile Gorky bekannt macht. 183 Wenngleich Krasner zu dieser Zeit ebenfalls noch am Beginn ihrer Karriere steht, wird sie um ein Vielfaches besser vernetzt und vor allem ehrgeiziger beschrieben als Pollock Sogar der an formalen Kriterien interessierte Kunstkritiker Clement Greenberg, der soziale Faktoren weitgehend ausblendet, sieht im Nachhinein in Lee Krasner eine der einflussreichsten Personen für Jackson Pollacks Position. 184 Dennoch, und dazu hat Greenberg mit seiner formalistischen Machtrhetorik viel beigetragen, hat sich der Abstrakte Expressionismus zu einer männlich dominierten Kunstrichtung entwickelt, die sich a la Greenberg durch Energie, Größe und Virilität auszeichnet. Für die Rolle einer Künstlerin in diesem Kontext war dies folgenreich. Whitney Chadwick bemerkt zu der patriarchalen Rhetorik: "The gendered language that opposed an art of heroic individual struggle to the weakened (i.e., ,feminized') culture of postwar Europe positioned warnen outside an ernerging model of subjectivity understood in terms of male agency articulated through the figure of the male individual." 185

Auch wenn Greenberg Lee Krasner mit der Aussage "1 don't feel Pollock would have gotten where he did without her eye and her support", 186 Wertschätzung zollt, nimmt er nur die Unterstützung wahr, die dem männlich codierten Genieturn zuarbeitet, und sieht sie nicht in ihrer Funktion als Künstlerin. Somit ist es nicht nur unabdingbar, Pollacks Einfluss auf Krasner nachzuspüren, sondern genauso notwendig, den 183 I Landau, Jackson Po/lock, S. 85. 184 I Vgl. Clement Greenberg, ,.Jackson Pollock", in: Evergreen Review, Nr. 1, 1957, 95 f. 185 I Chadwick, Women, Art, and Society, S. 320. 186 I Greenberg zitiert in: Landau, Jackson Po/lock, S. 86. Laut Landau erklärt Greenberg während eines Vortragesam 22.5.1980 im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, dass Krasner den größten Einfluss auf Pollock ausgeübt hatte.

s

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Einfluss Krasners in der Betrachtung und Bewertung der künstlerischen Position von Pollock zu erörtern. Auch wenn Krasners historischer Stellenwert in der Kunstgeschichtsschreibung noch immer stärker mit Pollock in Verbindung steht als mit ihrer eigenen Kunst, gehört die Rolle des jeweils anderen immer zur Pollock- bzw. Krasner-Rezeption dazu. Aus dieser Perspektive wird zunächst die künstlerische und private Situation Lee Krasners im zeitlichen Bezugsrahmen des Filmes sowie die sich verändernde historische Bewertung der künstlerischen Position, die über den Zeitrahmen des Filmes hinausreicht, erörtert. Zur Situierung Lee Krasners

Lee Krasner wird 1941 gemeinsam mit Pollock und anderen aufsteigenden amerikanischen Künstlerinnen von John Graham zu der Ausstellung American and French Painting in die McMillen Inc. Galerie eingeladen. Krasner wird damals als vielversprechende Künstlerin gesehen, die Pollock mindestens ebenbürtig ist. 187 Zu Beginn ihrer Beziehung, so wird in der Biografie von Naifeh und White Smith beschrieben, äußern sich Krasners Freunde und Kolleginnen aus dem Kreis um Hans Hofmann sogar abschätzig gegenüber Pollock Sie spiele sich im Zusammensein mit ihm herunter, sei viel klüger als er und organisiere seine Karriere. 188 Gleichzeitig erinnert sich jedoch der befreundete Fritz Bultman, dass Krasner, sobald sie zu Pollock gezogen war, von seinen Bedürfnissen förmlich aufgesogen wurde. Es war ein Schock für Bultman, dass eine so starke Frau wie Krasner sich in diesem Maße unterordnen konnte. 189 Diese Einschätzung hat sich innerhalb der nächsten Jahre verstärkt und wird durch die Rezeption unterstützt, die vollkommen zugunsten Pollocks ausfällt, der als wichtigster amerikanischer Künstler hoch gelobt wird. Die öffentliche Anerkennung gipfelt sicherlich im bereits erwähnten Life Magazine Artikel von 1949, in dem Pollock zum amerikanischen Künstlerhelden erkoren wird. Obwohl im Film Krasner beim Interview für das Life Magazine Pollock zur Seite steht, wird sie in der historischen Quelle mit keinem Wort erwähnt oder in keinem Foto sichtbar. Ebenso fehlt sie in der darauf folgenden Historisierung des Abstrakten Expressionismus im Life Magazine. In der Abbildung von 1951, die die New Yorker Avantgarde unter dem Titel "The Irascibles" zeigte, 190 war Lee Krasner nicht zu sehen. In einem Interview Anfang der 1980er-Jahre äußert sich Krasner zu ihrer Anerkennung als Künstlerin unter ihren Kollegen: "There were very few painters in that so-called 187

I Vgl.

Eilen G. Landau, "lntroduction: Forming Krasner's ldentity", in: Dies.:

Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, New York 1995, S. 10-16. 188 I Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 404. 189 190

I Ebd., S. 401. I Life Magazine, 15.1.1951,

S. 34.

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circle who acknowledged I painted at all [... ] I never let it sour the relationship between Jackson and me, but, above all, I never let it interfere with my painting." 191 Obwohl Krasner täglich malt, obliegt es ihr, den Haushalt zu managen. Sie muss diese Rolle erlernen, da sie davor absolut keine häuslichen Ambitionen zeigte, erläutert Grace Glueck in einem Artikel über die Pollock-Krasner-Partnerschaft in den 1980er-Jahren. 192 Die Rolle als Pollacks Partnerin und Managerin wurde in Artikeln wie diesen zur Genüge beschrieben und abgebildet, wohingegen Krasners Rolle als eigenständige Malerin zu Pollacks Blütezeit immer unsichtbarer oder sogar diffamiert wurde. In Artikeln über die private Beziehung der Künstlerin finden sich auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Kreativität. Die stereotypen Vorstellungen vom Künstler als Genie und Einzelkämpfer werden vor allem mit Pollock in Verbindung gebracht. Krasner wird hingegen sowohl in ihrer Rolle als Künstlerin als auch als Ehefrau und später als Witwe immer im Verhältnis zu Pollock gesehen. Dennoch birgt auch diese Partnerschaft Abhängigkeiten in sich, die nicht so eindeutig hierarchisch zu werten sind wie sie zunächst erscheinen, wenn man bedenkt, dass die Darstellung in den öffentlichen Medien dem jeweiligen "Zeitgeist" folgt. Wurde Krasner zunächst in den 1950er-Jahren als aktive Künstlerin ignoriert und hauptsächlich in ihrer Rolle als Mrs. Jackson Pollock gesehen, so erfährt Lee Krasner bereits im Zuge der frühen feministischen Bewegung eine breitere Anerkennung als Künstlerin. Während der 1970er-Jahre werden eine Vielzahl von Interviews mit ihr geführt und Artikel über sie publiziert, die zum Ziel haben, Krasner als Künstlerin zu rehabilitieren und zu nobilitieren.l 93 Neben der Konzentration auf ihre malerischen Errungenschaften wird zu dieser Zeit vor allem auf die Opferrolle Lee Krasners hingewiesen, die zugunsten 191 I Grace Glueck, "Scenes From a Marriage: Krasner and Pollack", in: Artnews, Dezember 1981, S. 58. 192 I Ebd . S. 60. 193 I Hierbei fallen die zahlreichen Beiträge bestimmter Autorinnen auf. Vgl. hierzu die Artikel aus den 1970er-Jahren zweiter Autorinnen: Cindy Nemser, .,Lee Krasner", in: Arts Magazine, Bd. 42, Nr. 6, April 1968, S. 57 I Forum: Woman and Art. Woman Artists in Revolution. A Documentary Herstory, Wooster 1971 I .,Lee Krasner's Paintings, 1946-49", in: Artforum, Dezember 1973, S. 61-65 I "A Conversation with Lee Krasner", in: Arts Magazine, Bd. 47, Nr. 6, April 1973, S. 43-48 I "The lndomitable Lee Krasner", in: Feminist Art Journal, Bd. 4, Nr. 1, Frühling 1975, S. 4-9 I Art Talk. Conversations with Twelve Women Artists, New York 1975 I Barbara Rose: "American Great: Lee Krasner", Vogue, Juni 1972. S. 118-121, 154 I "The Best Game is the End Game", in: New York Magazine, 30. April 1973, S. 92 I "The Best Midwestern Museum in New York?", in: New York Magazine, 10. Dezember 1973, S. 102 I American Art Since 1900, New York 1975 I "Lee Krasner and the Origins of Abstract Ex pressionism", in: Arts Magazine Bd. 51 , Nr . 6, Februar 1977, S. 96-100.

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der Karriere ihres Mannes ihre eigene Laufbahn hintanstellen musste. Damit teilt sie mit vielen anderen Künstlerinnen eine Situation, die erst durch die Sichtbarmachung für gesellschaftspolitische Forderungen zur Gleichberechtigung dienen konnte. In der neueren Literatur seit den 1990er-Jahren, wird indes eine Revision früher feministischer Inhalte vorgenommen. Lee Krasners Position als Künstlerin wird darin zu einer weitgehend selbstbestimmten umgedeutet, die jedoch in ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu sehen ist. 194 So untersucht Griselda Pollock im Jahre 1996 die Rolle Lee Krasners, indem sie gleichzeitig den gesellschaftspolitischen Kontext der l950er-Jahre beleuchtet und danach fragt: "how an artist like Lee Krasner dealt with the necessary, and inevitable, confrontation with the powerful artistic figures who dominated the field in which she also wanted tobe an acknowledged artistic presence." 195 Welche Rolle konnte Lee Krasner als Künstlerin in den 1940ern und 50ern überhaupt einnehmen, um so viel wie möglich an der künstlerischen Avantgarde teilzunehmen bzw. daran mitzuwirken? Lee Krasner nimmt einerseits im sich herausbildenden amerikanischen Abstrakten Expressionismus eine besondere Rolle ein, da sie von Beginn an daran teilhat. Andererseits macht die patriarchal strukturierte Rhetorik während der Etablierung des Abstrakten Expressionismus diese Rolle unsichtbar. Ihre weibliche Identität als Künstlerin wird zum "Verhängnis". Ein symptomatisches Beispiel der ambivalenten Einschätzung von weiblicher Kreativität in diesen Kreisen zeigt sich bereits in einer Aussage ihres Lehrers Hans Hofmann, der über Krasners Arbeit sprechend meinte: "This is so good that you wouldn't know it was done by a woman." 196 Dieses Lob ist nicht nur als Kompliment zu verstehen. Denn als "woman-painter" bezeichnet zu werden, ist durch den geschlechtsspezifischen Zusatz eine Abweichung von der Norm und bedeutet eine Minderung der künstlerischen Qualität. Insofern ist es durchaus verständlich, dass sowohl Lee Krasner als auch andere Künstlerinnen dieser und nachfolgender Generationen auf einer geschlechtsneutralen Beurteilung bestehen. Darin liegt jedoch genau das Problem, denn ein geschlechtsneutrales Urteilper se gibt es nicht. Jede Beurteilung steht in Bezug zu einer bestehenden Ordnung. Insofern würde ein 194

I Vgl.

insbesondere: Anne Middleton Wagner, "Krasner 's Fictions", in: Dies. ,

Three Artists (Three Women). Modernism and the Art of Hesse, Krasner, and O'Keeffe, Berkeley/Los Angelesflondon 1996, S. 105-190 f Griselda Pollock, "Killing Men and Dying Women", in: Orton/Dies. , Avant-Gardesand Partisans Reviewed, S. 220-294 sowie Landau, "Forming Krasner's ldentity", in: Dies. , Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, S. 10-16. 195 I Pollock, "Killing Men and Dying Women", S. 224 f. 196 I Hofmann zitiert in: Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 386.

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geschlechtsneutrales Lob ein Lob an die männliche Kreation bedeuten. Lee Krasner hat jedoch neben den partriarchalen Strukturen ihres öffentlichen Umfeldes auch gegen jene in ihrer privaten Umgebung zu kämpfen. Dazu bemerkt Whitney Chadwick: "Her gradual emergence as an abstract painter occurred in the context of an intensely personal struggle to define herself as an artist, and to establish her artistic difference from Pollock (... ]." 197 Diese erschwerten Bedingungen wirken sich auf ihre künstlerische Karriere aus. Lee Krasner wählt dennoch aktiv einen Weg, der jedoch sehr unterschiedlich bewertet wird. Auch wenn weder die Rezeption von Jackson Pollack, noch jene von Lee Krasner von stereotypisierten, genderspezifischen Rollenmodellen verschont bleibt, soll das Augenmerk in der Beurteilung der filmischen Darstellung von Lee Krasner auf die gegenseitige Einwirkung und Abhängigkeit gelegt werden. Ellen G. Landau spricht von einem "Gewebe von Abhängigkeit und Selbständigkeit" und betont, dass "in unterschiedlicher Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Zusammenlebens [... ] die Dynamik ihrer Verbindung die ästhetischen Möglichkeiten des Künstlerpaars [erweiterte oder beschränkte] ." 198 Krasners Entscheidungen als aktive Rollen zu sehen, erlaubt es, die Zurückstellung ihrer Karriere zugunsten der Unterstützung ihres Ehemannes anhand soziokultureller Parameter zu betrachten. Lee Krasner geht damit ein durchaus folgenreiches Risiko ein oder wie es Griselda Pollock formuliert: "I think we need to be able to imagine what the very fact of the possibility of a relationship with the man meant in terms of an artistic relationship with one of the live wires of contemporary art at a particularly critical moment of realignment. It could be read as a sign of ambition and not submission, as so many biographers ofPollock seek to do." 199

Entscheidungen einer Künstlerin

Lee Krasner widmete ihre Ausbildung zielstrebig dem Beruf der Künstlerin. Von 1928-32 studierte sie an der Cooper Union, Art Students League und der National Academy of Design in New York. In der Wirtschaftsdepression machte sie eine Ausbildung, die sie zum Unterrichten befähigen sollte und arbeitete als Modell und Kellnerin. Bereits 1934 erhielt sie eine Anstellung im WPA Federal Art Project, die sie bis 1943 finanziell absicherte. Währenddessen suchte sie von 1937-1940 erneut 197 198

I Chadwick, Women, Art, and Society, S. 320. I Eilen G. Landau, "Sie waren der gleichen Auffassung", in: Sander Kuthy/Dies.,

Lee Krasner- Jackson Po/lock. Künstlerpaare- Künstlerfreunde, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern 1989, S. 85. 199 I Pol lock, "Killing Men and Dying Women", S. 277.

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Abbildungen 49-50: Lee Krasner in Hans Hofmanns Atelier, ca. 1940 I Krasner und Pollock in Pollacks Atelier, 1950

Abbildungen 51-52: Lee Krasner in ihrem Atelier, 1959 I Porträtvon Lee Krasner, 1982

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eine Stätte des künstlerischen Austauschs und der Lehre in der privaten Kunstschule des deutschen Migranten Hans Hofmann auf, der die Entwicklungen abstrakter Kunst nach New York brachte. In dieser Zeit wandelte Lee Krasner ihren Malstil vollständig von der realistischen Malerei hin zu den Kompositionsprinzipien abstrakter Kunst. Sie trat der Vereinigung "American Abstract Artists" bei und setzte sich für die Verbreitung und Akzeptanz abstrakter Kunst ein. Aus dieser Zeit stammen viele ihrer Kontakte, die sie später für Pollock einsetzte. Krasner war in mehreren Gruppenausstellungen vertreten und gewann ein beachtliches Ansehen in den New Yorker Kunstkreisen der Avantgarde. 200 In der von Krasner immer wieder ausführlich erzählten Legende des Kennenlernens von Pollock im Jahr 1941 wird deutlich, dass sie großen Wert auf ihre Informiertheit legt, sich für die abstrakte Kunst in New York engagiert und gleichzeitig versucht, sich dabei zu positionieren. In einem der vielen Interviews antwortet sie auf die häufig gestellte Frage über ihren Eindruck bei der ersten Begegnung mit Pollacks Arbeiten mit: "a force, a living force- the same kindof thing I responded to in Matisse, Picasso und Mondrian. Once more I was hit that hard with what I saw. "201 Krasner betont immer wieder ihre Bewunderung für Pollock und setzt ihn mit dieser Aussage als herausragenden, amerikanischen Künstler auf die Ebene ihrer Vorbilder der europäischen Moderne. 202 Dennoch weiß sie zumindest im Nachhinein um die Probleme, die ihre Entscheidungen nach sich zogen. Krasners Aussage "Unfortunately, it was most fortunate to know Jackson Pollock",203 zeigt ein Bewusstsein über ihre ambivalente Situation als Künstlerin. Sie hat sich zwar den Zugang zur New Yorker Kunstwelt als Malerin erarbeitet, kann aber letztendlich ihren Einfluss auf die Entwicklung einer amerikanischen, modernen Kunst nur als Mrs. Jackson Pollock in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Ehefrau und Witwe ausüben und weniger als die Künstlerin Lee Krasner. Als Malerin wird sie bis heute von einigen Kritikerinnen nicht ernst genommen, verniedlicht oder sogar in der Ausübung ihrer Funktionen, beispielsweise als Verwalterin des Pollock-Erbes angefeindet. Harold Rosenberg veröffentlichte 1965 den Artikel "The Art Establishment" , in dem er Lee Krasner in ihrer Position als Verwalterin des Pollock200 I Biografische Daten vgl.: Jeffrey D . Grove, .. Chronology: Lee Krasner 19081984", in: Landau, Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, S. 300-320. 201 I Nemser, Art Talk, S. 86. 202 I Damit nimmt sie natürlich ebenso an der Kreation und Verfestigung des Pollock-Mythos als Prototyp des amerikanischen Künstlers teil. 203 I Louise Rago, ., We Interview Lee Krasner", in: School Arts, September 1960, 5. 32.

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Nachlasses scharf kritisiert. Sie übe ihren Einfluss auf die künstlerischenArbeiten Pollacks nach Gutdünken aus, um die Marktpreise zu erhöhen, schreibt Rosenberg. 204 Krasner bemerkt über den Kritiker, den sie auch persönlich gut kannte, dass er sie nie als Malerin akzeptierte, sondern immer nur als Witwe sah. 205 Die Polemik gipfelt in der Aussage von Arthur Danto im Zuge ihrer ersten Retrospektive 1983 in den USA. Er schreibt, dass Krasner für ihn zwar als Fall interessant sei, jedoch weniger als Malerin, und dass er in ihr nur die Schatten anderer Künstler sähe. 206 So ist die von Barbara Rose organisierte Retrospektive207 geprägt von einer polarisierten Rezeption. Während feministische Kunsthistorikerinnen und -kritikerlnnen an einer Wertschätzung des künstlerischen Schaffens Lee Krasners arbeiten, erklärt eine am Modernismus festhaltende Kritik jeden Stilwechsel in Krasners Werk als Mangel an künstlerischer Qualität und bezieht diesen auf die biografische Situation Krasners. Zur Umwertung und Neupositionierung von Lee Krasners künstlerischem Schaffen Mitte der l990er-Jahre leistet Ellen G. Landaus Catalogue Raisonne208 einen wichtigen Beitrag. Darin wird einerseits auf existierende Bewertungen zurückgegriffen und andererseits eine detaillierte, kunsthistorische Aufarbeitung des künstlerischen Schaffens vorgenommen. Postmoderne Theorien von Autorschaft209 und die damit einhergehende Neubewertung von Originalität und Avantgarde210 liefern das theoretische Werkzeug dafür, einen

204 I Harald Rosenberg, "The Art Establishment", in: Esquire, Januar 1965. Oder B. H. Friedman bezeichnet Krasner in Bezugnahme auf diesem Artikel polemisch als "Action Widow". B. H. Friedman, Jackson Po/lock: Energy made visible, London 1973, S. 245. 205 I "He never acknowledged me as a painter, but as a widow, I was acknowledged. And, in fact, whe never he mentioned me at all following Pollock 's death, he would always say Lee Krasner, the widow of Jackson Pollack, as if I needed that handle." Krasner zitiert in: Wagner, "Krasner's Fictions", S. 126 f. 206 I "Krasner is more interesting as a case than as a painter." Sowie: "There are only the shadows of other selves, the echo of other voices." Arthur Danto, "Lee Krasner: A Retrospective", in: The Nation, 23.2.1985, S 219 f. 207 I Die Retrospektive startete im Museum of Fine Arts, Hauston und wanderte in das Museum of Modern Art in New York, dessen Station Lee Krasner im Dezember 1984 nicht mehr erleben konnte. 208 I Landau hat bereits ihre Dissertation über das frühe Schaffen von Lee Krasner geschrieben. Vgl.: Eilen G. Landau, Lee Krasner: A Study of Her Early Career {19261949}, University of Delaware 1981. 209 I Angeführt sind die englischen Übersetzungen von : Roland Barthes, "The death of the author" (1968), in: lmage-Music- Text, London 1977 sowie: Michel Foucault "What is an Author?" (1969), in: Language, Counter-Memory, Practice, Oxford 1977. 210 I Vgl. Rosalind E. Krauss, The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, CambridgefLondon 1985.

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anderen Blick auf Lee Krasners Schaffen zu werfen. Landau schlägt vor: "to (re)view Lee Krasner would be to characterize more positively the fact that her creativity was primarily dialogic, that it was predicated in !arge measure on a skillful reading- or deliberate misreading- ofthe innovations of others. "211 Etwa zeitgleich beschäftigt sich Anne M. Wagner mit der historischen Person Lee Krasner in Bezug auf ihr öffentliches Auftreten und ihre Kunstproduktion als Produkt verschiedener Fiktionen. Sie interpretiert die häufigen Stilwechsel Lee Krasners als Kreation von Fiktionen, die es Krasner ermöglichen, sich eine Identität als Künstlerin aufzubauen, für die es eigentlich keinen Platz gibt. Wagner arbeitet auf diese Weise die ambivalente Situation Krasners heraus: Ihre malerischen Ambitionen verlangen, dass sie sich mit der europäischen Moderne (Matisse, Mondrian, Picasso) und dem Abstrakten Expressionismus, allen voran mit der Arbeit von Jackson Pollock auseinandersetzt Ihre private Situation erschwert dies auf lange Sicht gesehen jedoch ungemein: Von den täglichen Aufgaben, die sie in ihrer Rolle als Hausfrau für Pollock erfüllt, über die Rolle als Managerin, um Pollock in die "richtigen" Kreise einzuführen und immer wieder zu unterstützen, wird die Rezeption ihrer künstlerischen Arbeiten immer in einen zweitklassigen Bezug zu Pollock gesetzt. In diesem Kontext ist Wagners Theorie von einer hoffnungsvollen Fiktion zu verstehen, wenn sie schreibt: "[ ...] this cherished fiction- her confidence in painting as a practice in which female difference could be challenged and managed and assimilated and exorcised and so laid to rest-was what enabled her to keep on painting. She needed her fictions; they bad their uses. "212 Wagner interpretiert Krasners Schaffen, das sich immer wieder mit den bildliehen Errungenschaften ihrer berühmt gewordenen, männlichen Künstlerkollegen auseinandersetzt, als Strategie, ihre "Weiblichkeit" zu meistern. 213 Diese neueren Historisierungen, zu der ebenso die eingangs zitierte Studie von Griselda Pollock zählt, zielen eindeutig auf eine aktive Rolle Lee Krasners, die nicht mehr als Opfer ihrer gesellschaftlichen Umstände dargestellt werden soll. Vielmehr wird Krasner als aktives Mitglied innerhalb bestimmter historischer und kultureller 211 I Landa u, Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, 5. 11. 212 I Wagner, "Krasner's Fictions", 5. 189. 213 I "Aithough Krasner's art is , that of a woman', the autobiography it inscribes invents its subject (it's , self') as the bearer of a fictional masculinity. [... ] The invention is Strategie, meant to master the feminine, since for Krasner femininity was the more complex and threatening term ." Ebd., 5. 189.

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Rahmenbedingungen gesehen, die sich ihren Platz zur Mitbestimmung sucht. In welcher Weise sich nun die unterschiedlichen Bewertungen der Rollen von Lee Krasner im Biopie widerspiegeln und wie ihr künstlerisches Schaffen in Pollock inszeniert wird, soll nun näher erörtert werden. Zur Repräsentation Krasners im Film To whom should I hire myself out? What beast must I adore? What holy image is attacked? What hearts shall I break? What lie must I maintain? In what blood tread? (Arthur Rimbaud)

Diese Zeilen aus Arthur Rimbauds Gedichtband Une saison en enfer (1873) oder A Season in Hellwie es in der englischen Überseztung heißt, schweben gleich eines Damoklesschwertes über Krasners Geschichte. Lee Krasner hat diese Zeilen Ende der l930er-Jahre auf die Wand ihres Ateliers geschrieben und misst ihnen offensichtlich eine besondere Bedeutung bei. So wird die Deutung dieses Gedichts sowohl in biografischen Vorlagen als auch im Film als eine Vorahnung auf das gemeinsame Leben mit Jackson Pollock und die Auswirkungen auf ihrer künstlerischen Karriere interpretiert. 214 Hier beginnt der Krasner-Mythos, der zeitlebens in Verbindung mit jenem von Pollock steht. Im Film sieht man Lee Krasner zum ersten Mal, als sie Pollock auf eigene Initiative im November 1941 besucht, da beide zu der von John Graham kuratierten Ausstellung American and French Painting in der MeMillen Inc. Galerie eingeladen wurden. Sie wird als selbstsichere Person und gut informierte New Yorker Künstlerin in den Film eingeführt, die ihren Künstlerkollegen aus Neugierde in seinem Atelier besucht, da sie sonst alle amerikanischen Künstler, die an der Ausstellung teilnehmen, kenne. Diese Darstellung folgt Interviewaussagen von Krasner, in denen sie über ihre erste Begegnung mit Pollock in dramatisierender Weise erzählt: "I felt as if the floor was sinking when I saw those paintings. How could there be a painter like that that I didn't know about?" 215 Laut eigener Aussage sah sie in seinen Bildern die Präsenz einer Kraft, die sie 214 I Vgl.: Landau , Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, S. 192 , NaifehjWhite Smith, Jackson Po/lock, S. 390 sowie Barbara Rose, Lee Krasner: A Retrospective, Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art, New York 1983, S. 97. ln diesem Ausstellungskatalog werden diese Gedichtzeilen mit ihrem Bild Prophecy (1956), das sie kurz vor Pollocks Tod gemalt hatte, und das bei ihrer Rückkehr aus Venedig noch auf der Staffelei stand, in einen Zusammenhang gebracht. 215 I Francine du Plessix/Cieve Gray, .. Who was Jackson Pollock7", in: Art in

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Abbildungen 53-55: Standbilder, Krasner als attraktive Künstlerin I Pollocks Bildertouch I Krasners Stilleben als Malerei und Filmbild

davor noch nie erlebt hatte. 216 So wird nicht nur im Film, sondern auch in der Literatur und ihren eigenen Aussagen immer wieder darauf hingewiesen, dass Krasner von Beginn an an das Genie Pollacks glaubte. 217 Im Film lädt sie daraufhin Pollock ein, sie in ihrem Atelier zu besuchen. In der folgenden Szene, drei Wochen später, wird Krasner als Künstlerin, allem voran aber als Frau vorgestellt. Sie führt Pollock in ihren Atelierraum, zieht sich die Malerschürze aus und streicht sich das Haar zurecht. Krasner erscheint hier als Frau, die auf den männlichen Protagonisten attraktivwirken möchte (Abb. 53). Auch das erste Kunstwerk im Blickfeld stammt nicht von ihr, sondern ist ein Porträt von ihr. Bevor sie selber eine aktive, bildgebende Rolle als Malerin einnehmen kann, ist Krasner bereits zum Bild geworden. Die Logik des männlich begehrenden, heterosexuellen Blickes wird durch die Information, dass dieses Porträt von ihrem ehemaligen Freund Pantuhoff stammt, sogar noch verstärkt. Erst die nächste Einstellung zeigt eine Arbeit von Lee

America, Mai/ Juni 1967. Zitiert nach Wiederabdruck in: Karmel , Jackson Po/lock, 5. 31. 216 I Naifeh/White 5mith, Jackson Po/lock, 5. 393. 217 I ln der Biografie von Naifeh/White 5mith wird diese frühe Überzeugung vom künstlerischen Genie Pollocks als Mythos entlarvt, da sie angeblich von Pollock zunächst als Mann und nicht als Künstler fasziniert gewesen sei. Die Formulierungen dieser Wertung sind jedoch von einem misogynen Unterton geprägt. Vgl. Ebd., 5. 393-395.

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Krasner. Das realistisch gemalte Selbstporträt (ca. 1930),218 das sie als Malerin darstellt. Nun wird mit dem nächsten Blick Pollocks, der hier auch Träger des Kamerablickes ist, auf ein Bild gezoomt, das gerade im Entstehen auf der Staffelei steht: Ein kubistisches Stillleben,219 das Pollock mit seinen Händen und Augen abtastet (Abb. 54). Er findet es interessant. Dann schweift sein Blick auf eine Inschrift an Krasners Wand mit dem eingangs zitierten Auszug aus dem Gedicht von Arthur Rimbaud. Pollock liest leise, Lee Krasner rezitiert laut und gibt die Quellenangabe zum Besten. Darauf schwenkt die Kamera auf ein Fragment jenes Bildes220 , das Krasner in der Graham-Ausstellung zeigen wird (Abb. 55). Dieses Kunstwerk sieht man jedoch nicht als Ganzes, sondern in einem Ausschnitt, der zwei Drittel des Filmbildes erfüllt. Im anderen Drittel des Bildes sind eine Lampe und Vasen zu sehen, die farblieh gut zu dem Ölbild passen. Obwohl sich Pollock im Film zu diesem Bild mit "lt works. You are a damn good woman painter" lobend äußert, wird ihr angeschnittenes Kunstwerk in einem Setting gezeigt, das Krasners Kunst zur Raumdekoration degradiert. Die Einführung der Filmfigur Krasner, das Rimbaud-Zitat und die fragmentierte Darstellung ihres Kunstwerkes ergeben zusammen mit Pollacks Charakterisierung als "woman painter" ein Set von Aussagen, die bereits zu Beginn auf ihre Marginalisierung als Künstlerin schließen lassen. Von den vielfältigen Funktionen, die Krasner in Jackson Pollacks Lebensbeschreibung erfüllt, ist die Rolle der Künstlerin im Film, wie wir sehen werden, im Verschwinden begriffen. Aus dieser Perspektive heraus soll die Inszenierung der von Marcia Gay Harden verkörperten Figur Lee Krasner nun überprüft und bewertet werden.

218 I Selbstporträt, 1930, Öl auf Leinen , 76,5 x 63,8 cm, Pollock-Krasner-Foundation. 219 I Untitled 1940, Öl auf Leinwand, 76,2 x 63,5 cm, Sammlung Fayez Sarofim. 220 I Untitled, ca. 1941, Öl auf Leinwand, 101,6 x 91,4 cm, Aufenthalt unbekannt ( ev. zerstört, lt. Landau, Lee Krasner: A Catalogue Raisonne, S. 75). Da nur eine 5/W-Abb. erhalten ist, mussten die Farben für die Replik bestimmt werden.

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Projizierte Kunstgeschichte Das Verschwinden der Künstlerin

The presence of one and absence of the other have shaped interpretations of their artistic identities - they are a precondition of the Pollock myth, and the Krasner who goes with it. (Anne M. Wagner) 221

Die Aussage von Anne M. Wagner, die auf die abwechselnde Sichtbarkeit des einen und die Unsichtbarkeit des anderen Partners zielt, ist auf die Darstellung der künstlerischen Autorschaft im Film zu übertragen. Davon zeugt ein Vergleich zweier Sequenzen, wovon eine in der offiziellen Version des Filmes nicht zu sehen ist, sondern nur auf einem Extra-Feature der Pollock-DVD unter der Rubrik "Gelöschte Szenen". Beide Sequenzen beziehen sich auf die künstlerische Selbstbehauptung von Pollock und Krasner und sind symptomatisch für die filmische Darstellung von Krasners Kreativität und ihrer Rolle als Künstlerin im Film. Krasner bekommt neben der Künstlerfigur Pollock keinen gleichwertigen Platz zugewiesen, sondern kann nur jene Funktionen einnehmen, die er nicht erfüllt. Es ist kein Raum für eine zweite Malerin im Film. Im Gegensatz zum immer körperlicher werdenden künstlerischen Produktionsprozess von Pollock, verschwindet Krasners Verkörperung als Künstlerin. Beginnen wir mit der gelöschten Sequenz, um die inhaltlichen Wertungen von Krasner und Pollock als Künstlerin bzw. Künstler im Film sichtbar zu machen. Jackson Pollock kommt nachts nach Hause. Man sieht eine Großaufnahme seines Gesichtes mit Zigarette im Mund. Er scheint betrunken zu sein. In der nächsten Einstellung wirft er seine Zigarette zu Boden und dämpft sie mit dem Schuh aus. Pollock sieht Krasner schlafend im Bett. Er geht in ihr Atelier, in dem ein Bild auf der Staffelei steht. Er geht näher an das Bild heran, betrachtet es kurz und beginnt daran herumzumalen. Die beobachtende Kamera blendet in ein Schwarzbild ab und lässt diese Szene in den nächsten Morgen hinübergleiten. Noch immer im Schwarzbild hört man Krasners Stimme "Pollock!" rufen. Keine Reaktion. Daraufhin sieht man Pollock im Bett liegen und hört Krasner aus dem Off sehr laut schreien: "Polloooock!!!!" Pollock wacht auf und geht in Krasners Atelierraum. Dort findet er seine furiose Frau vor, die ihn wütend und zugleich verzweifelt anschreit: "You son of a bitch! How dare you?! Don't you ever, ever, ever touch my work again!" Pollock beteuert daraufhin, dass er ihr doch nur helfen wollte. Krasner fährt ihn weiter an, schimpft ihn ein Tier, und er solle sich ja nie wieder trauen ... Pollock entgegnet ihr darauf mit sanfter Stimme: "You were stuck. 221

I Wagner,

"Krasner's Fictions",

S. 131 f.

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Pollock

Weren't you stuck?'' Lee Krasner gerät dadurch noch mehr in Rage und beginnt, mit einem Messer ihr Bild zu zerstören. Während des Zerstörungsaktes schreit sie ihn an, ihr aus den Augen zu treten, drängt ihn wutentbrannt aus ihrem Zimmer und knallt die Tür zu. Was bedeutet die Auslassung dieser Szene? Was wird gesagt, indem es nicht gesagt und gezeigt wird? Hätte diese Szene Lee Krasner als Künstlerin neben Pollock gleichwertiger erscheinen lassen, indem sie sich gegen seinen künstlerischen Einfluss deutlich wehrt? Oder wäre sie als hysterische Künstlerin dadurch diffamiert worden? Die Aussage Pollocks, sie sei an diesem Bild nicht weitergekommen, suggeriert seine Kennerschaft, aber vor allem seine Autorität, indem er über das Bild urteilt und es versucht zu verbessern. Durch diesen Akt zerstört er gleichsam ihre künstlerische Eigenständigkeit. Dies lässt sie nicht zu und demoliert ihr Bild. Warum wird diese energische, künstlerische Behauptung Krasners unsichtbar gemacht? Der Regisseur Harris begründet seine Entscheidung damit, dass die Szene, obwohl er sie sehr gerne mochte, seiner Meinung nach nicht in den Ablauf der biografischen Erzählung Pollacks gepasst und eine falsche Interpretation bezüglich Pollacks "Abstieg" hervorgerufen hätte. 222 Die Entscheidung, diese Sequenz nicht in den Film aufzunehmen, verstärkt dafür den Eindruck von Krasners Abwesenheit als Künstlerin und steigert gleichzeitig die Präsenz Pollacks als Künstler. Dies wird mit der Auswahl der folgenden Sequenz noch deutlicher. Denn parallel zu dieser Szene könnte die filmische Inszenierung in Verbindung mit Pollacks Male and Fernale gesehen werden, die nun noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird. 223 Die Sequenz beginnt mit Pollock im beklecksten T -Shirt in der Küche, wo er sich einen Kaffee einschenkt. Er geht zum Eingang von Krasners Atelierraum und beobachtet sie kurz beim Malen, ohne dass sie ihn bemerkt. In einer subjektiven Kamera-Einstellung wird die Kamera als "neutraler" Beobachter eingesetzt. Pollock ist von hinten sichtbar, während er Krasner beim Malen betrachtet. In ihrem Zimmer ist es sehr aufgeräumt. Eine Leinwand, an der sie gerade malt, steht auf einer Staffelei. Es ist nicht zu erkennen, um welches Bild von Krasner es sich handelt. In einer Kamerafahrt sieht man Pollock durch einen langen Gang in seinenArbeitsraum schreiten. Ins Blickfeld rücken zwei bereits fertig222 I "1 also really liked that scene, but w here it came in their lives and in the story, made it feel like the reason why Pollock went off the deep end. And this was so not acurate emotionally for Pollock. Even though I hated to cut it, because it is such a strong scene, it really would have changed his own inner journey. lt just wasn't right. That's why I took it out." in EH: 17.11.05. 223 I Vgl. "Der Maler und seine Schaffensprozesse", ab S. 70.

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gestellte Bilder, die deutlich als Pollocks Stenographie Figure und Birth erkennbar sind. Der Künstler steht vor seiner begonnenen, noch unaufgespannten, an die Wand getackerten Leinwand, die das Bild Male and Fernalewerden wird. 224 Pollock trinkt einen Schluck Kaffee, steckt sich seine Zigarette in den Mund und beginnt, direkt mit der Tube auf das Bild Linien aufzutragen. Pollock verwendet im Gegensatz zu Krasner keinen Pinsel. Nun zoomt die Kamera auf das Bild und zeigt den malerischen Prozess in Großaufnahme. Durch eine Kamerafahrt rund um Pollock wird man aus mehreren Perspektiven Zeuge des malerischen Prozesses. Die Fahrt findet in jenem Filmbild ihr Ende, das Lee Krasner an der Türschwelle stehend zeigt. Pollocks Gesicht ist verschwommen und bleibt im Vordergrund. Die Kamera fokussiert auf Krasner, die nach dieser Malszene Pollacks wie eine klassische Malerin aussieht. Über ihrer Bluse trägt sie eine Arbeitsschürze, hält noch immer ihren Pinsel in der einen und ein Tuch in der anderen Hand (Abb. 56). Sie tritt in den Raum ein und fragt Pollock, was er denn male. Sie sehe einen Kopf, einen Körper. Das wäre aber nicht Kubismus, da er die Figur nicht in unterschiedliche Perspektiven aufbreche, da er nur eine Seite zeige. Ob dies eine neue Verbindung sei oder Automatismus? Pollock entgegnet ihr, dass er einfach nur male. Dann beginnt sie, ihn zu belehren und zeigt damit ihre Kenntnis über Diskurse abstrakter Malerei. Krasner beteuert, dass er Gefahr liefe, sich zu wiederholen, wenn er nur aus sich selbst heraus male. Sie dreht sich zur Leinwand und beginnt, mit ihrem Tuch an seinem Bild etwas auszubessern. Daraufhin platzt Pollock der Kragen. Er sagt: "Why don't you paint the fucking thing!", und geht wütend aus dem Raum. Cut. In der nächsten Szene befindet sich Pollock mit Künstlerfreunden in der Cedar Bar und trinkt. In dieser filmischen Sequenz werden Krasner und Pollock als Künstlerin bzw. als Künstler in Bezug auf den Grad an Modernität charakterisiert. Der Film spielt mit der polarisierenden Darstellung beider Künstler, die auch in der Literatur zu verzeichnen ist: Krasner, die ihre Bilder einerseits noch auf einer Staffelei malt und andererseits als sehr informiert und ehrgeizig in Bezug auf abstrakte Kunstdiskurse der Zeit dargestellt wird. Pollock, der einfach aus sich heraus malt und keine großen Absichten äußert. Sie, die durch die Kleidung und Utensilien (Staffelei, Pinsel, Schürze) als klassische Malerin repräsentiert wird. Er, der dagegen in Jeans, T-Shirt und mit seiner obligaten Zigarette im Mund modern wirkt. Pollock entspricht einerneuen Zeit und einem Männlichkeitsbild, auf das er durch die Fotografien im Life Magazine sieben

I Birth, ca. 1941, Öl auf Leinwand, 116,4 x 55,1 cm, Tate Gallery, London Stenographie figure . ca. 1942, Öl auf Leinwand, 101,6 x 142,2 cm, MoMA New York I Male and Female, ca. 1942, Öl auf Leinwand, 184,4 x 124,5 cm, Philadelphia 224

I

Museum of Art.

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Abbildungen 56-58: Standbilder, Krasner mit Pinsel und Schürze (Ausschnitt) I Pollock aus der Tube malend I Krasner tritt zwischen Pollock und seine Malerei

Jahre später festgeschrieben wird. Pollock, der amerikanische Mann und Künstler, der Cowboy, der "grimmige Held", der aus seinem Inneren heraus die "prachtvollen Kunstwerke" produziert. 225 Daneben verblasst Lee Krasner im Film bzw. stört seinen Produktionsprozess durch ihre Intellektualität und Eloquenz. Paradoxerweise sind es genau diese Fähigkeiten Krasners, die Pollacks Karriere später zugutekommen. Die Konsequenz daraus ist, dass Lee Krasner nach gut 20 Filmminuten (von 120 Minuten) kaum mehr als Malerin gezeigt wird, 226 sondern als eine ihrem Mann dienende Hausfrau, stolze Managerin und Kritikerin. Insofern möchte ich noch einmal die Frage aufwerfen, was wäre, wenn wir die gelöschte Szene ebenso zu sehen bekommen hätten? Es wäre ein Beitrag gewesen, der unsere Vorstellung von der Künstlerin Lee Krasner differenzieren würde und sie nicht nur als sorgfältige Malerin, die einem traditionellen Malereiprozess folgt, gezeigt hätte. Die Kritik an ihrer Kunst, dass sie wie Pollock, allerdings nur ein wenig aufgeräumter als ihr Ehemann male, 227 bleibt ihrem Ruf in der Realität lange Zeit erhalten. Diese Aussage hat nicht nur einen sexistischen Unterton - die Frau, die selbstverständlich die Sachen ihres Mannes aufräumt-, sondern diskriminiert Krasner zudem in ihrer künstlerischen 225 I Vgl. .,Der Pollock-Mythos", ab 5. 41. 226 I Bis auf einen kurzen Moment einige Jahre später, als siebeidein Long lsland wohnen. Dort sieht man sie kurz am Mosaik-Tisch (datiert 1947) arbeiten. 227 I Gretchen T. Munson schrieb über die Ausstellung mit Jackson Pollock und Lee Krasner Artists: Man and Wife in der 5idney Janis Galerie die für Krasner folgenreiche Kritik: .,There is a tendency among some of these wives to , tidy up' their husband's styles. Lee Krasner (Mrs. Jackson Pollock) takes her husband's paints and enamels and changes his unrestrained, sweeping lines into neat little squares and triangles." ln: Artnews, Oktober 1949, 5. 45.

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Qualität. Genau diese Vorstellung hätte die gelöschte Szene ein wenig korrigieren können, da Lee Krasner als Künstlerin darin mit eigenem, starkem Willen dargestellt wird, die sich genauso wenig wie Pollock in ihr Kunstwerk hineinarbeiten lässt. Auch wenn damit nichts weiter über ihre Kunst erzählt worden wäre, so hätte sie dennoch eine weitere Charakterisierung in ihrem Beruf als Malerin erfahren. So wird Krasner nur einmal und eher indirekt als selbstbewusste Künstlerin sichtbar, als Pollock ihr eines Abends in einer gemütlichen, entspannten Wohnzimmeratmosphäre kundtut, dass er gerne Kinder mit ihr haben möchte. Darauf reagiert Krasner strikt, dass dies für sie nicht in Frage käme, da sie beide Maler seien, und sie sich einfach keine Kinder leisten könnten. Darin schwingt die unausgesprochene Voraussicht auf Krasners Situation mit, die in der Geschlechterlogik der Zeit für viele Jahre kaum mehr zum Malen kommen würde, da die Verteilung der Rollen sie für die Kinderbetreuung vorsähe. Auf Pollacks Uneinsichtigkeit, dass sie doch Mann und Frau seien und Kinder wohl zu einer Ehe gehörten, wird sie wütend und verteidigt vehement ihre Position. Die Schauspielerin Marcia Gay Harden bietet in dieser Szene eine beeindruckende Performance. Die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Kreativität ist zudem ein klassischer Künstlerinnenmythos. 228 Hier soll nur darauf hingewiesen werden, dass die Szene von Krasners Absage an Mutterschaft durchaus im Sinne von Künstlerinnenmythen zu lesen ist und ihr in der Logik des Mythos und in der filmischen Darstellung paradoxerweise einen Funken Glaubwürdigkeit als Künstlerin verleiht. Obwohl die Schauspielerin Marcia Gay Harden ebenso Malunterricht genommen und in der Vorbereitung auf ihre Filmrolle alles, was sie konnte über Lee Krasner gelesen haben soll,229 scheint die Rolle Krasners als eigenständige Künstlerin trotzdem unter den Tisch gefallen zu sein. 230 Woran liegt das? Zum einen hat dies sicherlich mit der Entscheidung für eine zeitliche Konzentration des Films zu tun, die die Zeitspanne von 1941 bis Pollacks Tod 1956 fokussiert. Geschichten, wie Pollacks Kindheit oder Lee Krasners künstlerischer Erfolg und Neubewertung, Jahre nach dem Tod Pollocks, werden dadurch ausgeklammert. Dennoch h atten Pollock und Krasner bereits 1949 eine gemeinsame Ausstellung mit dem Titel Artists: Man and Wife, in der Krasner die erst später wertgeschätzten Little Images zeigte, an denen sie in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre in einem kleinen Zimmer im Haus arbeitete. Außerdem 228 I Vgl.: Feldhaus, .,Geburt und Tod in Künstlerinnen-Viten der Moderne" sowie .,Gender im Genre" , ab 5 . 20. 229 I Vgl.: Margy Rochlin, .,Friends know lt's a Big Deal", in: The New York Times, 4.3.2001. 230 I Die fehlende Anerkennung für Krasners künstlerische Leistung bekam dafür ein halbes Jahrhundert später die Schauspielerin Marcia Gay Harden, der 2001 ein Oscar für die beste Nebenrolle verliehen wurde.

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Abbildungen 59-61: Standbilder, Lee Krasner in unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen

hatte sie 1951 auf Empfehlung Pollocks eine Ausstellung in der Betty Parsons Gallery. Auch ihre erste Einzelausstellung in der Stahle Gallery in New York war 1955. Obwohlall diese Daten im historischen Zeitrahmen der erzählten Geschichte stattfinden, erfährt man im Film davon nichts. Krasner bleibt bis zum Schluss als Künstlerin beinahe unsichtbar. Vielmehr verändert sich die Sichtbarkeit ihrer Rolle in Richtung frustrierte Ehefrau. Mit Brille und strengem Outfit (Abb. 61) hat sie sich auch visuell verändert. Zudem streitet sie sich oft mit Pollock, der seit dem Eklat mit Hans Namuth (1950) fast immer betrunken erscheint. Gleichzeitig hat Pollock eine Affäre mit der viel jüngeren Ruth Kligman, die er als seine letzte Chance zur Inspiration sieht. Trotzdem willigt Krasner nicht in eine Scheidung ein und beschließt, für ein paar Wochen nach Venedig zu fahren. Als liebevolle und fürsorgliche Lee Krasner wird sie im Film nur noch in bildlicher Abwesenheit durch einen Brief repräsentiert, den sie von ihrer Reise aus Venedig geschrieben hat. Pollock steht schwankend im Unterhemd und Hose auf der Wiese, den Brief in der Hand, eine melancholisch-traurige Musik begleitet diese Szene. Er denkt an Lee Krasner, ihre Stimme ertönt aus dem Off: "I miss you. I wish you were sharing this with me. It would be wonderful to get a new different view. Painting here is unbelievably bad. How are you, Jackson? Kiss Gep [deren Hund] forme. Love, Lee", sind ihre zärtlichen Worte und ihr letzter "Auftritt" im Film. Erst im Abspann wird man über ihre malerischen Errungenschaften aufgeklärt. In einer auf eine "wahre Geschichte" hinweisenden Manier

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(weiße Schrift auf schwarzem Bild) erfährt man, dass Krasner noch 28 Jahre lebte, währenddessen sie "the biggest, boldest, most brilliantly colored works of her career, many of them painted in Jackson's studio" produziert habe. Diese "letzten Worte" im Film werden aus der Biografie von Naifeh und White Smith zitiert, mit dem Unterschied, dass in der Vorlage noch zugespitzter auf Pollacks Einzigartigkeit und Genie verwiesen wird: "Lee Krasner lived foranother twenty years, during which she produced the biggest, boldest, most brilliantly colared works ofher career, many of them derived from Jackson's Easter and the Totem, and most ofthem painted in Jackson's studio. To the end she continued to collide with family and friends and with the art world, looking in vain foranother match. On June 20, 1984, at the age of seventyfive, riddled with arthritis and almost completely alienated from the world, she lost her energy for more collision and died. The death certificate cited ,natural causes'." 231

Bis zum Schluss ziehen Naifeh und White Smith wertende Schlüsse in Bezug auf Krasners Rezeption. Dass viele von Krasners Arbeiten auf das Pollock-Bild Easter and the Totem (1953) zurückzuführen sind, ist eine Interpretation der Biografen, die auf einer oberflächlichen Ähnlichkeit der Bildsprache beruht und die Vielfalt von Krasners künstlerischem Schaffen negiert. Diese Aussage suggeriert aber auch noch eine andere Wertung: Indem angeblich viele Werke Krasners von einem bestimmten Werk Pollacks abstammen und noch dazu in seinem Atelier gemalt wurden, bekräftigen die Biografen die Erzählung über Pollock als großen Meister der Kunstgeschichte und schwächen Krasners Rolle als eigenständige Künstlerin.

231

I Naifeh/White Smith,

Jackson Po/lock, S. 796.

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Die Abwesenheit der Künstlerin Two factors have stood in the way of Lee Krasner's getting the recognition she deserves. One is the fact that she was Jackson Pollock's wife and, as his widow, custodian of his estate; his reputation always seemed to flourish at the expense of hers. The other problem, ironically, was the tendency of feminist critics to rank Krasner a hero ofwomen's art. (Kenneth Baker) 232

Vielleicht standen diese Faktoren, die Kenneth Baker 1999 - ungefähr zur Drehzeit des Filmes - äußerte, Lee Krasner auch für eine angemessene Repräsentation als Künstlerin im Biopie im Wege. Die Entscheidung über die Darstellung von Lee Krasner und Jackson Pollock in ihren filmischen Rollen als Künstlerin bzw. Künstler, liegt meines Erachtens aber auch noch auf einer anderen Ebene: Krasner verkörpert im Film all das, was Pollock nicht ist oder nicht hat und sie setzt ihre Fähigkeiten zur Unterstützung seiner Karriere ein. Die Darstellung einer aktiven Künstlerin an seiner Seite könnte ein Gleichgewicht bzw. eine Konkurrenzsituation zwischen den beiden Künstlern einführen, was den dramatischen Verlauf der Geschichte verändern würde. Ebenso auffällig ist, dass im Film zwar andere Künstler des Abstrakten Expressionismus wie Willern de Kooning, Arshile Gorky oder die jüngere Helen Frankenthaler als Filmfiguren vorkommen, aber nie eines ihrer Werke sichtbar wird. Pollock wird in diesem Film schlichtweg nicht in einem künstlerischen Zusammenhang gezeigt, sondern als Einzelkämpfer dargestellt. Dies könnte mit ein Grund sein, warum es für Lee Krasner keinen längerfristigen Platz als Künstlerin im Film gibt. Damit folgt der Film jedoch einer Krasner-/Pollock-Rezeption, die bis Anfang der l990er-Jahre vorherrschte. Denn die feministischen Umwertungen der 1970er-Jahre haben die Kunstgeschichtsschreibung eher polarisiert als sofort verändert. Krasners künstlerische Position blieb weiterhin marginalisiert im "offiziellen" Kunstgeschichtskanon. Erst in den 1990er-Jahren finden umfassende Neubewertungen im Zuge der Rezeption der künstlerischen Arbeiten von Lee Krasner statt.233 Sie wird nicht mehr ausschließlich als feministische Heroin gesehen, sondern ihr wird eine eigenständige künstlerische Position zugewiesen, wofür feministische Forschungen sicherlich die Vorarbeit geleistet haben. Diese Tatsache übergeht die filmische Repräsentation von Lee 232 I Kenneth Baker, "More than Mrs. Pollack: Considering the many sides of Lee Krasner", in: Artnews, September 1999, 5 . 132. 233 I Vgl. "Zur Situierung Lee Krasners", ab 5. 101.

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Krasner komplett. Vielmehr sind die Bilder über Krasner mit historischen Vorstellungen aus den 1950er-Jahren befrachtet und bleiben dadurch in einer Interpretation verhaftet, die in der Wissenschaft bereits mehrmals überholt wurde. Das hat zur Folge, dass die Kreativität im Film eindeutig dem männlichen Künstler zugeordnet wird, die in keiner Weise durch äußere gesellschaftliche Faktoren gestört werden darf. Die "Störungen" liegen im Wesen des Künstlers selber, der seine psychischen Probleme im Falle Pollacks im Alkohol ertränkt. Die Frau bleibt dabei das komplementäre Andere und erfährt keine zeitgenössische Interpretation im Sinne ihres Künstlerinnenstatus. Diese Wertung fußt auch auf der dem Drehbuch zugrunde liegenden Biografie von Steven Naifeh und Gregory White Smith. Die Autoren beschreiben Krasners Ambitionen, sich für die Karriere ihres Mannes einzusetzen im Kapitel "Legends" wie folgt: "The legend also gave Jackson no role in his own ,discovery.' Lee alone made it happen. More ,articulate and cool-headed, as weil as moreaggressive and ,political' than Jackson, she had the connections and she made the introductions that launched his carreer. As for Jackson, he was at best a pawn in Lee's grand scheme; at worst, a hindrance. "234

Lee Krasners Rolle als Künstlerin ist für die Pollack-Biografen nur insofern interessant als sie zur Beurteilung bzw. zur Hervorhebung von Jackson Pollocks Genie dient. Sie betonen zwar immer wieder den Einfluss von Lee Krasner in ihrer Funktion als Ehefrau und Managerin, sprechen ihr jedoch jeglichen künstlerischen Beitrag zur Karriere Pollacks ab. Ihre zusammenfassende Bewertung fällt folgendermaßen aus: "Ultimately, Lee's real contribution wasn't artistic at all, at least not directly, it was emotional. [...] She created, for the firsttime since 1934, when Sande came to NewYork, an emotional open space, where, for a while at least, Jackson could wrestle the demons inside without being overwhelmed by them. [...] With her, and with the order she brought to his emotionallife, Jackson could finally focus his tumultuous psychic energy on painting. [...] Contrary to legend, Lee didn't drag Jackson into the mainstream ofWestern art. She didn't have to. It came to him."235

Hier werden der vermeintlich innere Kampf und das Genie des Künstlers Pollock deutlich herausgestrichen. Lee Krasner wird als Frau für die emotionale Rolle verantwortlich gemacht und scheint in diesem Spielfeld ihren Bogen weit überspannt zu haben. Wie sonst kann man sich 234 235

I Naifeh/White Smith, I Ebd., 5. 408.

Jackson Po/lock, S. 405.

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die misogyne Beschreibung Lee Krasners in der Biografie erklären? Dieser Unterton der Biografie wird im Film nicht reproduziert. Dennoch ist Lee Krasner in ihrer kreativen Rolle, die sie nachweislich bis 1956 inne hatte, auch im Film beraubt worden. Wird Lee Krasner als Frau durchaus emanzipiert für ihre Zeit dargestellt, entspricht die Inszenierung als Künstlerin veralteten Vorstellungen. Der Film trägt somit aus dieser Perspektive nicht der kunsthistorischen Bewertung Rechnung, die zum Zeitpunkt der Filmentstehung existierte. Obwohl Krasner als Person in vielfältigen Rollen durchaus differenziert dargestellt wird, bleibt die filmische Narration über ihre Kreativität erstaunlich lückenhaft.

Clement Greenberg: Der einflussreiche Schiedsrichter Clement Greenberg hat als Kunstkritiker wesentlich zur Etablierung der amerikanischen Kunst der 1940er- und 50 er-Jahre und im Besonderen zu Jackson Pollacks Erfolg beigetragen. Seine Kunstkritik wurde zur kunstkritischen Instanz bzw. zum Sprachrohr des Abstrakten Expressionismus. Karlheinz Lüdeking beschreibt den Kunstkritiker wie folgt: "Greenberg war ein Richter. Er fällte Urteile. [...] Greenberg [formuliert] seine Urteilsbegründungen klar und deutlich, kompromisslos und in zugespitzter Form, ohne zaghafte Konjunktive und ohne Furcht vor riskanten und womöglich falschen Verallgemeinerungen. "236

Greenberg wird als Kritikerpapst bezeichnet. Seit 1939 publiziert er Kunstkritiken und Essays, die Qualitäts- und Bewertungsmaßstäbe bezüglich abstrakter Malerei setzen. Zudem nimmt er auch als Berater und Kurator vehementen Einfluss auf die Geschichtsschreibung der amerikanischen Moderne. Er taxiert seinen Maßstäben folgend die modernen Kunstwerke als erstklassig, zweitklassig oder misslungen. 237 Bei aller ausschließend wirkenden Rhetorik ist in Greenbergs Kunstkritik auch eine ideologische Veränderung zu erkennen. So entfernt er sich von seinem frühen, marxistisch geprägten Zugang, wie in "Avantgarde und Kitsch" (1939) zu erkennnen ist, und bewegt sich immer mehr in Richtung formalistische Kritik, in der gesellschaftliche Bezüge weitgehend ausgeblendet werden. Er konzentriert sich darin auf das Material der Kunst und auf den Schaffensprozess. Er sieht die moderne Kunst in einer Entwicklungslogik, die einem Forschrittsgedanken verpflichtet ist. Seine Begeisterung für Pollacks Kunst, die er in seinen Kritiken zwischen 1944-1947 geradezu mit Lob überschüttet, folgt dieser Logik. In 236 I Karlheinz Lüdeking, "Vorwort'', in: Clement Greenberg , Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, hrsg. v. Dems., Dresden 1997, S. 27. 237 I Vgl. Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 524.

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der Kritik zur vierten Einzelausstellung Pollacks in Peggy Guggenheims Galerie ArtofThis Century bezeichnet er den Künstler als Vertreter einer Entwicklung, die "die bislang wichtigste innerhalb der jüngeren Generation der amerikanischen Malerei ist".238 Noch bevor Greenberg beschreibt, warum er diese künstlerische Position so schätzt, wird sie als Position mit Superlativen überhäuft. Pollacks Arbeit charakterisiert er im Vergleich mit dem französischen Künstler Jean Dubuffet mit Attributen wie "größere Vielfalt", "riskantere Elemente", "erstaunliche Kraft", "größere Originalität" und bezeichnet Pollock als "weniger konservativ, weniger ein[en) Staffeleimaler im traditionellen Sinne als Dubuffet." 239 Greenberg wird ein Jahr später eine Krise der Staffeleimalerei konstatieren, die er als Markenzeichen für moderne, wohlgemerkt amerikanische Kunst sieht. 240 Ebenfalls 1947 lobt Greenberg in seinem Text "Die gegenwärtigen Aussichten der amerikanischen Malerei und Skulptur" Pollock sogar als den wichtigsten Künstler der amerikanischen Kultur: "Es ist so eigentümlich wie bezeichnend, daß der kraftvollste Maler des gegenwärtigen Amerika, und der einzige, der ein bedeutender Künstler zu werden verspricht, ein düsterromantischer, morbider und zu Extremen neigender Schüler von Picassos Kubismus und Mir6s Postkubismus ist, ein wenig von Kandinsky und vom Surrealismus inspiriert. Sein Name ist Jackson Pollack, und wenn seine Malerei nach außen hin weniger ursprünglich und einzigartig lokal erscheint als die von Graves und Tobey, so enthält sie ein Gefühl, das vielleicht noch radikaler amerikanisch ist. Faulkner und Melville können die einheimische Herkunft einer solchen Gewaltsamkeit, eines solchen zornigen und harschen Tons bezeugen. "241

Greenberg arbeitet an der Etablierung einer amerikanischen modernen Kunst, die er in seinen Texten mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln gegenüber anerkannten europäischen Vorbildern hervorhebt. Der Kritiker zeigt einerseits den Künstler als Repräsentanten seiner Zeit, andererseits sind solche Formulierungen in der Logik des Mythos vom tragischen Helden und Außenseiter zu sehen. Ebenso beschwört Clement Greenberg Pollacks Meisterschaft, indem er ihn in die Genealogie europäischer, moderner Kunst stellt. Erstaunlich ist, wie vehement 238 I Alle Charakterisierungen in: Clement Greenberg, [ohne Titel in der Kolumne "Art"), in: The Nation, Bd. 164, Nr. 5, 1. Februar 1947, S. 138 f. Zitiert nach der dt. Übersetzung ,.Jean Dubuffet und Jackson Pollock", in: Greenberg, Die Essenz der Moderne, S. 117. 239 I Ebd ., S. 118. 240 I Clement Greenberg, ,.The Crisis of the Easel Picture", in: Partisan Review, Jg. 15, Nr. 4, April 1948, S. 481-484. 241 I Clement Greenberg, "The Present Prospect of American Painting and Sculpture", in: Horizon, Bd. 16, Nr. 93-94, Oktober 1947, S. 20-29. Zitiert aus: Greenberg, Die Essenz der Moderne, S. 133.

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und ausschließlich Greenberg seine Positionen vertritt. Sie werden sich nämlich auch wieder verändern. Nur acht Jahre später, 1955, jubelt der Kritiker Clyfford Still in ähnlicher Rhetorik wie damals Pollock als .,wichtigsten und originärsten Maler" seiner Zeit hoch. 242 Im überschwänglichen Hervorheben von Pollocks Kunst scheint Greenberg ebenso an der Etablierung seiner eigenen Funktion als Kunstkritiker zu arbeiten, denn auch seine Position war eine im Aufbau begriffene. In der amerikanischen Kunst sieht Greenberg die logische Konsequenz und Erweiterung der Kunst aus Paris, die für ihn an Schärfe verloren hat. 243 Dafür braucht er einen passenden Repräsentanten, oder besser noch einen Helden, an dem er seine kulturpolitischen und kunsttheoretischen Ansätze festmachen kann. Die Pollock-Biografensehen im Kritiker Greenberg und Künstler Pollock die passende Konstellation.244 Clement Greenberg war zwar nicht der einzige, aber ein sehr einflussreicher Kunstkritiker der Zeit. Obwohl er mit Harold Rosenberg den Impetus teilt, für die Etablierung einer amerikanischen Kunst zu arbeiten, vertreten beide Kritiker unterschiedliche Standpunkte. Zeigen sich beide Kunstkritiker zunächst einer marxistischen Rhetorik verpflichtet, so fasst Kirk Varnedoe die Unterschiede kurz und prägnant zusammen und sieht: .,Rosenberg as more concerned with issues of content and Greenberg with matters of form." 245 Greenberg erfährt dadurch im damaligen Amerika eine ganz andere Rezeption als sein Kollege Rosenberg. Greenberg ist die kritische Instanz für das sogenannte Frühwerk Pollocks, wohingegen Rosenbergs Text .,The Abstract American Painter" von 1952 für die Rezeption in Verbindung mit den Drip-Paintings wichtig ist und wegweisend für die Entwicklung der Performance Art in Amerika wurde. 246 Zunächst ist es jedoch Greenbergs richterhafte, machiavellistische Machtrhetorik, die zur kritischen Instanz der amerikanischen Nachkriegskunst wird und in ihrer Behauptungsstärke bis heute immer wieder provoziert und kritische Dekonstruktionen und Revisionen erfährt. 247 So kritisiert Timothy J. Clark grundsätzlich die 242 I Vgl.: Clement Greenberg, ", American-Type' Painting", in : Partisan Review, 22. Jg., Nr. 2., Frühjahr 1955, S. 179-196. Zitiert aus: Greenberg , Die Essenz der Moderne, S. 213. 243 I Vgl. Guilbaut, How New York Stole the Jdea of Modern Art, S. 162. 244 I "From their joint debut, artist and critic seemed ideally matched: Jackson's energetic, uncouth, ambitious paintings and Greenberg's masculine, earnest, ambitious prose." Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 522. 245 I Kirk Varnedoe ... Comet: Jackson Pollock's Life and Work". in: Ders., Jackson Pollack, S. 44. 246 I Vgl. Allan Kaprow, .. The Legacy of Jackson Pollack", in: Artnews, October 1958, S. 24-26; 55-57. 247 I Die sogenannten Greenberg-Schüler Michael Fried oder Rosalind Krauss

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Verneinung des gesellschaftlichen Kontextes in der Beurteilung von Kunst und Greenbergs Anspruch an den ultimativen Wert der Ästhetik.248 Mit einer ebenso grundsätzlichen Kritik an den patriarchal geprägten Wertmaßstäben der Kunstgeschichte, in denen geschlechtsspezifische Unterschiede keine Erwähnung finden, nähert sich Griselda Pollock Greenbergs Texten: "Not only are issues of gender untouched in Greenberg's writings, they would seem to be utterly irrelevant, part of the unnecessary baggage that ambitious painting bad to discard in order to perform its heroic act of self-protection against the mess of ideological struggle characteristic of capitalistic societies."249

Trotz aller Kritik und Revision setzt Greenbergs wertende und machtbetonte Rhetorik formale Bewertungskritikerin und Maßstäbe für den Abstrakten Expressionismus fest, nach denen mitunter bis heute beurteilt und geurteilt wird. Ohne nun die wissenschaftliche GreenbergRezeption weiter herauszuarbeiten, soll im Folgenden Greenbergs Darstellung im Film und seine Beziehung zu Pollock sichtbar gemacht werden. Der Kunstkritiker im Film

Greenberg wird als kritische Instanz im Film hervorgehoben. Obwohl auch Rosenberg in der Pollack-Rezeption eine bedeutende Rolle hat, wird diese im Film vernachlässigt. Die Gründe dafür sind vielfach: Zum einen konzentriert sich der zeitliche Rahmen des Films zunächst auf die Zeit von 1941 bis Ende 1950. Danach werden fünf Jahre übersprungen. Genau in dieser Zeit, nämlich im Dezember 1952 wird Rosenbergs schreiben diese Art von Kunstkritik weiter, auch wenn sie sie gleichzeitig kritisieren. Bezeichnenderweise haben auch beide Wissenschaftler über Pollock publiziert. Vgl.: Michael Fried, "Jackson Pollock", in: Artforum, September 1965, S. 14-17. Krauss publizierte gleich mehrere Artikel über Pollock, hier nur ein Beispiel: Rosalind E. Krauss, "Jackson Pollock's Drawings", in: Artforum 1971, S. 58-61. Krauss macht sogar ihre Revision Greenbergs in ihrem Buch The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths zum Thema. Auch wenn sie sich in ihrer Forschung gegen die Kritikerpraxis von Greenberg auflehnt, der die Mechanismen der Bewertung verschleiere, bewahrt es die Autorin letztendlich nicht davor, allein durch die Sichtbarmachung der Methodik - die Analyse der Moderne durch die Brille des Strukturalismus- einen Formalismus zu vermeiden. 248 I Timothy J. Clark im Interview mit Clement Greenberg, in: Art Monthly, Nr. 178, Juli-August 1994, S. 13. 249 I Griselda Pollock, "Pollock on Greenberg", in: Art Monthly, Nr. 178, JuliAugust 1994, S. 14.

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Abbildungen 62-63: Standbilder, Greenberg und Krasner in ArtofThis Century I Greenberg auf Besuch im Hause Pollock/Krasner

einflussreicher Artikel "The American Action Painters" publiziert. 250 Außerdem ist die Beziehung der Personen Rosenberg und Pollock nicht unbedingt als eine freundschaftliche überliefert, obwohl Lee Krasner Harold und May Rosenberg sehr gut kannte, da sie in den 1930er-Jahren mit ihnen eine Wohnung teilte. Im Gegensatz dazu wird die Beziehung der Paare Greenberg/Frankenthaler und Pollock/Krasner als eine freundschaftliche kolportiert. So sind beispielsweise in Pollacks Biografie mehrere private Fotoaufnahmen von Besuchen bei Pollock/Krasner dokumentiert. 251 Hinzu kommt, dass die beiden Kritiker in einem konkurrenzhaften Verhältnis zueinander stehen. Rosenberg bezeichnet Greenberg als einen Aufklärer der Massen und als ein Mitglied der "taste bureaucracy". 252 Aus diesen biografischen Gründen sowie aufgrund des zeitlichen Rahmens der erzählten Geschichte lässt sich die Entscheidung des Regisseurs erklären, sich nur auf einen Kritiker, nämlich Greenberg, zu konzentrieren. 253 Die Figur von Clement Greenberg wird im Film von Jeffrey Tarnbor im mehrdeutigen Sinne als "Mann von Gewicht" dargestellt. Er begleitet Pollock von seiner ersten Ausstellung an in Peggy Guggenheims Galerie ArtofThis Century (1943) bis zu einem Konflikt im Hause Pollock/Krasner (1955) -ein Jahr vor Pollacks tödlichem Unfall. Die Darstellung von Greenbergs Figur zeugt von Bodenständigkeit, Selbstsicherheit, Eingenommenheit, Autorität und Kennertum. Obwohl Greenberg auf historischen Fotografien nicht übergewichtig wirkt, ist der Darsteller im Film ein Mann von Leibesfülle mit tiefer, bestimmter aber Vertrauen erweckender Stimme. Greenberg ist auch im Film des Öfteren zu Gast im Hause des Künstlerpaares und 250 I Dieser Text wird zwar immer wieder in Zusammenhang mit Pollacks DripPaintings zitiert, der Kritiker hat den Künstler darin doch kein einziges Mal namentlich erwähnt. Dennoch ist klar, dass seine Beschreibungen sehr genau auf Pollacks Arbeitsmethode zutreffen. Rosenberg lässt den Artikel auch zu Ungunsten Pollacks ausgehen, indem er sich gegen Biografismus und Mystifizierung ausspricht. 251 I Vgl. Naifeh/White Smih, Jackson Po/lock, 5. 522, Foto am Strand; 5. 697, Foto vor dem Haus. 252 I Ebd., 5. 705. 253 I Dennoch wäre es sicherlich spannend , beide Kritiker als filmisch ausgeprägte Figuren zu sehen. Es würde wahrscheinlich dem einseitig dargestellten Abhängigkeitsverhältnis von Künstler und Kritiker eine differenzierende Note geben.

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wird als befreundeter, aber in seiner Autorität unantastbarer Kritiker dargestellt. In Greenbergs erstem Auftritt im Film spricht ihn Lee Krasner bei der Eröffnung der Pollack-Ausstellung in Guggenheims Galerie direkt auf seine Meinung über die Ausstellung an (Abb. 62). Greenberg findet Pollock originell und ambitioniert, aber seine Bildtitel seien prätentiös. Krasner fordert ihn auf, noch einmal genauer zu schauen. In der nächsten Szene liest Krasner bereits aus seinem Artikel über die Ausstellung vor: "Being young and full of energy, he takes orders he can't fill. Pollock has gone through the influences ofMir6, Picasso, Mexican Painting and what not, and has come out on the other side with painting of his own brush." Lee Krasner und Guggenheims Assistent Howard Putzet, der gerade zu Besuch ist, freuen sich über diese wohlmeinende Formulierung Greenbergs. Pollock dagegen zeigt sich verärgert darüber, außerdem hätte er kein einziges Bild verkauft. Putzet versucht den Künstler mit "Rome wasn't built in one day!" zu besänftigen. Noch im selben Jahr (1943) zeigt sich Greenberg von der künstlerischen Qualität Pollacks überzeugt. Peggy Guggenheim zitiert den Kritiker: "That the Mural goes on and on, is, what Clem says, what makes it so good. He thinks its a great painting." Hiermit wird gleichzeitig auf die "All-over" -Strategie moderner Malerei, einen Terminus aus Greenbergs formalistischer Kritik, hingewiesen. Die Essenz des Greenberg'schen Diktums wird im Film durch seine Bemerkung "Paint is paint. Surface is surface. That's all they should be. "254 deutlich. Diese Aussage ist gleich zweimal im Film von Greenberg zu hören. Zuerst ist sie als Ermahnung an Pollock gemeint, denn der Kritiker glaubt bei einem Atelierbesuch, etwas Figuratives in Pollacks Malerei The Blue Unconscious (1946) zu erkennen. Dann aber findet er ein Bild in der Entstehungsphase Samething ofthe Past, 1946), das er mit "Well, this is first rate!" in höchsten Tönen lobt. Er solle doch gleich zehn von solchen Bildern machen, meint Greenberg. 255 Schnitt. Dann ist eine Nahaufnahme von Greenberg zu sehen, der mit einem leeren Whiskeyglas in der linken Hand gemütlich im Wohnzimmersessel von Pollock/Krasner sitzt. Wäh-

254 I Diese sloganhafte Aussage "Paint is paint, surface is surface ... " paraphrasiert Greenbergs Kunstauffassung auf einen gemeinsamen Nenner. ln der Biografie kommt diese Stelle folgendermaßen vor: " To him, both of those earlier works, with their deeply buried imagery, all-over compostions, and exuberant surfaces, perfectly exemplified his theories : in them, paint was paint; surface was surface; and neither, apparently, aspired to more." Vgl. Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 524. 255 I Tatsächlich sind in der letzten Ausstellung von Peggy Guggenheim sieben neue Arbeiten Pollacks unter dem Motto " Sounds in the Grass" zu finden, unter denen auch die beiden im Film erwähnten Bilder zu finden sind. Vgl. Landau, Jackson Po/lock, S. 163.

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rend er nun zum zweiten Mal seine Aussage wiederholt, gestikuliert er Iehrerhaft mit beiden Händen (Abb. 63). Er fährt fort: "The Surrealists confuse Iiterature with painting. I can't stand it. They will not have their way. What you're doing out there, Jackson, is better than anything I've seen from you in a year or more. I gotta backtrack. Peggy's Mural. that's when I thought, here's a great painter! People are saying to me it's wallpaper, it repeats itself, it repeats itself and all that. "256

Das Ende dieses Monologes "I don't care what it does, it's just good. It's a great painting", 257 wie es im Drehbuch zu lesen ist, kann man im Film nicht mehr richtig hören, da bereits die nächste Szene in der Küche mit Krasner und Guggenheim zu sehen ist. Während Greenbergs Rede verändert sich das Filmbild. Von der Nahaufnahme Greenbergs zu einem Filmbild, das Pollock zeigt, der seinen Hund streichelt und Greenberg verständnislos ansieht, hin zu einer Wohnzimmeransicht, in der Pollock mit seinen Gästen zu sehen sind. Am Auffälligsten darin ist Greenbergs Haltung, als er seine Sätze spricht. Seine Schuhe sind ausgezogen, seine Beine liegen auf dem Tisch vor ihm. Man könnte beinahe meinen, es sei Greenbergs Zuhause, so vertraut scheint sich der Kritiker in Pollocks Wohnung zu fühlen. Pollock hingegen trinkt. Er zeigt sichtrotz des überschwänglichen Lobes in seiner Kunst von Greenberg angegriffen und fragt ihn, welches Bild er denn als missraten ansähe. Greenberg antwortet: "I don't think you have color yet. Like Picasso, you're much better offwhen you keep your color quiet." Hiervergleicht Greenberg die Arbeit von Pollock ganz direkt mit jener Picassos. Das speist die Vorstellung der bereits in früheren Filmmomenten aufkommenden Rivalität zwischen Pollock und Picasso. Pollock lässt nicht locker und fragt Greenberg im Film noch einmal, welches Bild er denn als misslungen ansähe. Greenberg findet das Bild mit der blauen Farbe nicht gelungen. Pollock will offensichtlich mit Greenberg streiten und versucht auch noch die anderen Gäste um ihre Meinung zu fragen. Die halten sich aber aus diesem Disput heraus. Daraufhin stürmt der Künstler in sein Atelier und bringt das besagte Bild und eine weiße Farbtube mit. Er fragt den Kritiker provozierend nach seinen Änderungswünschen. Pollock will anfangen sein Bild zu verändern, zögert aber und setzt die Farbtube wieder von der Leinwand ab. Daraufhin zeigt sich Greenberg vollkommen von Pollocks Genie überzeugt, indem er sagt: "Well, this is something. No matter how drunk you are ... there's one thing sacred for you. Not anybody's feelingsoranthing like that. It's your art. You are not going to destroy your art. This is something." 256 257

I Filmtranskript OB. I Drehbuch, S. 58.

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Im Mythos der Rivalität braucht es zum Wettbewerb zwischen Künstlern "einen unparteiischen Richter".258 Greenberg könnte durchaus in seiner Funktion als Schiedsrichter im Film gesehen werden. Der Schiedsrichter entscheidet jedoch nicht nur über den ,,Erfolgs-Punktestand" zwischen den beiden Künstlern, sondern wird auch als strenger Richter inszeniert, der seinen eigenen Gesetzen folgt. Außerdem wird in dieser Szene die Selbstbestimmung des Künstlers angesprochen. Die Vorstellung vom Künstler, dem seine Kunst heilig ist, wird darin deutlich. Krems fasst in ihrer Anekdotensammlung über Maler, die sich mit ihren Mitteln wehren, zusammen: "Doch der Künstler weiß sich gegenüber seinem Publikum durchaus zu wehren- nicht nur, indem er beleidigt sein Werk wieder einpackt, sondern indem er mit den ihm eigenen, den künstlerischen Mitteln seinem Publikum vorhält, wie wenig sachverständig es eigentlich ist. Der Künstler spielt dabei deutlich seine Macht und Überlegenheit aus [...]. Oder schließlich werden Änderungen am kritisierten Werk nur vorgetäuscht, damit es dann doch, unverändert, Anerkennung findet. "259

Diese Beobachtung könnte auch auf die besprochene Filmszene übertragen werden, in der gleichzeitig das Urteilsvermögen über Kunst sowie die Rolle des Künstlers und des Kritikers problematisiert werden. Trotz des Kampfes um die Deutungshoheit legt Pollock auf die Meinung und Wertschätzung Greenbergs besonders großen Wert. So pflegt Pollock eine Zeit lang durchaus ein freundschaftliches Verhältnis zu Greenberg und bittet ihn sogar um Rat. 260 T. J. Clark schreibt von einer sehr nahen, aber schwierigen und dennoch wirksamen Beziehung zwischen diesen beiden Männern. 261 So verändert sich die Beziehung zwischen dem Künstler und dem Kritiker im Laufe von Pollacks Schaffensphasen. Greenberg ist mit seinen Texten als "Pollack-Promoter" für eine kraftvolle, amerikanische Kunst hauptsächlich zwischen 1943 und 1947 aktiv. 262 In jenen Schaffensphasen, für die der Künstler heute berühmt ist, publizierte er nichts Ausführliches mehr. 263 Bereits 1948 fällt der Name Pollock in Greenbergs 258 I Vgl. Krems, Der Fleck auf der Venus, S. 102. 259 I Ebd., S. 141 f. 260 I Vgl. "Film-im-Film", ab S. 84. 261 I Timothy J. Clark, Jackson Po/lock. Abstraktion und Figuration, Harnburg 1994, S. 22; 24. (engl. Original: " Jackson Pollock's Abstraction, erschienen in: Serge Guilbaut, Reconstructing Modernism: Art in New York, Paris and Montreal 19451964, Massachusetts 1990). 262 I Für den Artikel im Life Magazine (1949) war er jedoch auch in der Auswahljury und hat Pollock eindringlich empfohlen. Vgl. Collins, "Life Magazine and the Abstract Expressionists", S. 283-308. 263 I ln Greenbergs Rundfunkbeitrag "Modernist Painting", in : Forum Lectures,

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Text "Die Krise des Staffeleibildes" 264 nur mehr kurz in einer Aufzählung, obwohl manche Beschreibungen direkt auf Pollacks künstlerische Praxis zu übertragen sind. ErstelfJahre nach Pollacks Tod schreibt Greenberg einen Text, in dem er Pollacks Schaffen wieder hervorhebt und vor allem auch die Drip-Paintings näher untersucht. 265 Dieser Text erscheint jedoch nicht in einer Kunstzeitschrift, sondern in der amerikanischen Vogue. Dazwischen widmet sich Greenberg in "Amerikanische Malerei" (1955) der Förderung anderer, amerikanischer Künstler wie Motherwell, Gottlieb, Tobey, Gorky, Rothko, Newman und vor allem Clifford Still, der nun als sein neuer Favorit hervortritt. Pollock kommt in diesem Artikel in einer für Greenberg ungewohnten neutralen Beschreibung vor, in der er über die Drip-Painting-Phase kaum etwas zu sagen hat. 266 Im Film wird auf diesen Artikel von 1955 referiert. Er dient als Anstoß für das Zerwürfnis zwischen den beiden Männern. Der Künstler fühlt sich vom Kritiker fallen gelassen. Die aufgestaute Aggression mündet coram publico in einen tiefgreifenden Ehestreit zwischen Krasner und Pollock und endet in einem Wutausbruch, in dem Pollock einen Stuhl zertrümmert. Der Kurator der letzten Retrospektive im MoMA, Kirk Varnedoe, versucht das veränderte Beziehungsgeflecht zwischen Pollock und Greenberg folgendermaßen zu erklären: "The charmed partnership of these two ambitious men ended badly. On the printed evidence, Greenberg can hardly be accused of deserting Pollock in the mid 1950s, when the painter's inspiration began to flag; he stayed with his chosen winner long after others feil away. But after years of unremitting boosterism, Pollock was ultrasensitive to any slackening in the intensity or exclusivity of Greenberg's conviction, and the critic's perceived cooling exacerbated the anxieties that drove the artist deeper into the bottle. "267

Der Film zeigt unterschiedliche Phasen der Beziehung zwischen Künstler und Kritiker auf, die nicht immer harmonisch verlaufen. Ständig werden Themen wie Abhängigkeit, Bevormundung, Definitionsmacht verhandelt, aber auch freundschaftliche Nähe zwischen zwei Gleichgesinnten kommt darin zum Ausdruck. Auch wenn beide an ähnlichen Voice of America, Washington D.C. 1960 , wird Pollock nicht einmal namentlich erwähnt. 264 I Vgl.: Greenberg, "The Crisis of the Easel Picture". 265 I Clement Greenberg, "Jackson Pollock: , Inspiration, Vision , Intuitive Decision"', in: Vogue, 1. April 1967, S. 160 f. Im gleichen Jahr findet auch die PollockRetrospektive im MoMA statt. 266 I Greenberg, " ,American-Type' Painting", S. 207. 267 I Varnedoe, "Comet: Jackson Pollock 's Life and Work", S. 46 .

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Dingen interessiert sind, gibt es ungleich verteilte Machtverhältnisse. Darunter ist jedoch nicht nur die Diskurshoheit des Kritikers und die Abhängigkeit des Künstlers zu verstehen, sondern auch die Chance, die der Kritiker in einem Künstler wie Pollock für seine eigene Karriere sieht und wahrnimmt. Varnedoe schreibt dazu: "Having picked Pollock helped give Greenberg power. This and his role as a paid adviser gave his opinions an extra weight of intimidation for the artists whose careers he attempted to steer." 268 Dieser Aussage folgend, könnte man durchaus von einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis sprechen. Im Film wird jedoch eher auf die Definitionsmacht des Kritikers gesetzt und die Frage seines Einflusses verhandelt. Dies ist verständlich, zumal Pollock im Rampenlicht steht und nicht Greenbergs Motivation, Pollock zu unterstützen. Dennoch verleitet diese Darstellung auch zu stereotypen Aussagen über Kritiker und Künstler, in denen der Künstler immer derjenige ist, der vom Kritiker abhängig ist. 269 Das Abwenden des Kritikers symbolisiert mitunter das Ende der künstlerischen Karriere Pollocks im Film, denn nach der Szene des Zerwürfnisses mit Greenberg ist Pollock nur mehr in biografischen Zusammenhängen zu sehen. So folgt auch dieses Beziehungsgeflecht einem dramatischen Spannungsbogen, der negativ für Pollock endet. Auch wenn die komplizierte Kameradschaft zwischen Künstler und Kritiker im Film sicherlich vereinfacht dargestellt wird, vermittelt sie einen Eindruck des gesellschaftlichen Umfeldes des Künstlers, das nun durch den Blick auf die Figur von Peggy Guggenheim erweitert werden soll.

Peggy Guggenheim: Die exzentrische Sammlerin Im filmischen Beziehungsgeflecht von Jackson Pollock und Peggy Guggenheim rückt nun die ökonomische Seite seines Künstlerlebens ins Blickfeld. "Frei und ungebunden", lautet die landläufige Meinung zur gesellschaftlichen Situierung von Künstlerinnen, aber durch "arm und abhängig" wird diese Vorstellung allzu oft von realen ökonomischen Bedingungen künstlerischer Arbeit korrigiert. Das Sprechen über "Kunstschaffende und Geld" schickt sich bis heute nicht besonders im Kunstfeld abseits der Kunstmarktstars, gleichwohl sind die Künstlerinnen von Verkäufen und/ oder anderweitiger finanzieller Unterstützung abhängig. Realität und Vorstellung über das Künstlerinnenturn klaffen bei diesem Thema weit auseinander. Die Entwicklung des Berufes Künstlerin ist einem steten Wandel unterworfen. Oskar Bätschmann 268 I Ebd. 269 I Dieses Thema könnte als Mythos der Moderne noch ausführlicher bearbeitet werden.

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bemerkt, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der "Hofkünstler" und "Unternehmerkünstler" vom "Ausstellungskünstler" abgelöst wurde, wodurch sich Künstlerinnen auch anderen Aufgaben stellen mussten: "Die Künstlerinnen und Künstler mußten sich durch die Konkurrenz ihrer Werke in der Öffentlichkeit definieren, legitimieren und finanzieren", 270 charakterisiert Bätschmann den "Ausstellungskünstler". Die Definition und Legitimierung des Künstlers Pollock übernehmen Clement Greenberg und Lee Krasner, für die Finanzierung ist Peggy Guggenheim zuständig. Peggy Guggenheim war in mehreren Funktionen als Mäzenin, Sammlerin und Galeristin aktiv. Ebenso könnte man sie aus heutiger Sicht als Kuratorin bezeichnen - einen Begriff, den es damals noch nicht gab. Neben den Ausstellungen in ihren eigenen Galerien- Guggenheim Jeunein London (1938-1939) und ArtofThis Century in New York (1942-1947) -zeigte sie auch Kunst an anderen Orten.271 Auch ihre New Yorker Galerie ArtofThis Century bediente mehrere Bedürfnisse: Sie war einerseits Verkaufsraum mit wechselnden Ausstellungen und andererseits ebenso eine Art Museum, in dem ein Teil ihrer Sammlung permanent gezeigt wurde. 272 Die Funktionszuschreibungen sind nicht immer eindeutig zu trennen, vielmehr existieren sie als Gewebe, dessen Fäden sich gegenseitig stützen und das damalige Kunstsystem maßgeblich prägen. In Guggenheims Aktivität als Sammlerin und Galeristin lassen sich überdies auch soziokulturelle Motivationen erkennen, die über die Faszination an der Kunst hinausgehen und mit den Worten von Britta Jürgs, die hier allgemein über die Sammelleidenschaft spricht, zusammengefasst werden können: "In der Figur des Sammlers gehen Kunst und Geld eine Verbindung ein, die je nach Epoche und Milieu kritisch beäugt oder aber mit einer gewissen Faszination bewundert wird. Natürlich hat das Sammeln von Kunst nicht nur mit der 270 I Bätschmann, Ausstellungskünstler, S. 9. 271 I Sie präsentierte ihre eigene Sammlung 1948 im Griechischen Pavillon der Biennale in Venedig. 1950 stellte sie sogar eine Pollock-Ausstellung im Museum Correr in Venedig zusammen , und ab 1951 machte sie ihre Sammlung in ihrem Palazzo am Canale Grande in Venedig, wo sie auch wohnte, der Öffentlichkeit zugänglich. 272 I Hier greift sie ihre bereits 1939 in London gehegte Idee wieder auf, ein Museum für moderne Kunst zu schaffen. Sie setzte damals Herbert Read als Berater ein. Das Projekt konnte aber aufgrund des Krieges in Europa nicht realisiert werden. Die außergewöhnliche Gestaltung des Art of This Century-Raumes in New York wurde vom Architekten Friedrich Kiesler vorgenommen, der auf die geforderte Multifunktionalität einging. Die Raumgestaltung gilt bis heute als Vorbild für viele Architekten, die sich mit Ausstellungsarchitektur und -design beschäftigen. Vgl.: Art ofthe Century, Ausst .-Kat. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/ M. 2002/2003.

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Projizierte Kunstgeschichte Begeisterung für Gemälde oder Skulpturen oder mit ganz individuellen Sammelleidenschaften zu tun, sondern zugleich mit Reichtum, Status und Macht [... ]."273

Das Bourdieu'sche "Feld der Macht" lässt sich am Beispiel von Guggenheims Praxis in den 1940er-Jahren in Amerika konkret sichtbar machen: So trägt sie mit ihrer Galerie mit dem programmatischen Titel Art of This Century274 wesentlich zur Etablierungzweier europäischer Kunstströmungen (Surrealismus und abstrakter Kunst) in den USA bei. Sie kauft und zeigt unter anderem Werke von Max Ernst (mit dem sie zu dieser Zeit auch verheiratet war) , Marcel Duchamp, Yves Tanguy, Giorgio de Chirico, Joan Mir6, Paul Klee, Alberto Giacometti, Kasimir Malevitsch, Alexander Archipenko und Alexander Calder. In der Eröffnungsausstellung ihrer Galerie (1942) befindet sich zunächst noch keine amerikanischekünstlerische Position. Dies wird im Biopie von Krasner klar und deutlich formuliert, als sie zu Putze! über die Ausstellung sagt: "lt's great Howard, but there is not one American painter in the whole goddamnshow!" Guggenheims inhaltliche Ausrichtung spiegelt auch die Vorlieben ihrer Berater wider, die zu Beginn ihrer Tätigkeit in New York Andre Breton, Max Ernst und Marcel Duchamp heißen. 1943 verändern personelle Wechsel in ihrer Umgebung - Guggenheim und Ernst trennen sich voneinander und Breton verlässt New York - auch ihre Ankaufsund Ausstellungspolitik Sie findet ihre neuen Berater in James Johnson Sweeney, der zu dieser Zeit Kurator am Museum of Modern Art ist, Howard Putze!, der zuvor eine Galerie in Los Allgeles hatte, und im Künstler Roberto Matta. Sie alle arbeiten an der Etablierung einer amerikanischen modernen Kunst. "Together, Sweeney, Putze!, and Matta pushed Peggy and Art of This Century in a radically new direction", 275 wie die Pollack-Biografen den Richtungswechsel unverblümt ausdrücken. Obwohl sie "ihre Museumsgalerie als Laboratorium für neue Strömungen in der Kunst" 276 nutzen will, ist sie jedoch, laut Naifeh und White Smith, noch lange nicht von der Kunst Pollacks überzeugt. Sweeney, Putze! und Matta hätten immer wieder versucht, sie für Pollacks Kunst zu gewinnen, 277 aber letztendlich sei Marcel Duchamps 273 I Britta Jürgs (Hg.), Sammeln nur um zu besitzen? Berühmte Kunstsammlerinnen von Isabelle d'Este bis Peggy Guggenheim, Berlin/Grambin 2000, 5. 7. 274 I Dieser Titel wurde angeblich von ihrem Exmann und Künstler Laurence Vail als Kat alogtitel erfunden, den Guggenheim dann auch als Galerietitel übernahm . Vgl. Naifeh/White 5mith , Jackson Pollack, 5. 439. 275 I Ebd., 5. 441. 276 I 5alean A. Maiwald, "Peggy Guggenheim", in: Jürgs, Sammeln nur um zu besitzen?, 5. 279. 277 I Naifeh/White 5mith, Jackson Po/lock, 5. 441 f.

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Pollock verhaltenes Urteil über Pollacks Kunst ("pas mal") das Zünglein an der Waage gewesen, das Guggenheim bewegt haben soll, Pollock zu unterstützen. 278 Guggenheims Einstellung zu Pollock scheint sich jedoch schnell verändert zu haben, denn in ihrer mehrdeutigen autobiografischen Aussage inkorporiert sie den Künstler gleichsam als ihren Zögling: "Danach präsentierte ich Jackson Pollack, dessen schöne, bewegende Bilder alle meine Hoffnungen erfüllen. Weil Sweeney mir so tatkräftig half, Pollock bekannt zu machen, gewann ich irgendwie den Eindruck, dieser wäre unser gemeinsames geistiges Kind."279 Ihr Entschluss, Pollock zu fördern war tatsächlich ein umfassender: Sie gibt ihm eine Einzelausstellung in ihrer Galerie, einen Auftrag für das großformatige Bild Mural, nimmt den Künstler unter Vertrag und gewährt ihm einen monatlichen Vorschuss von 150 $. Dieser wird aber nicht bedingungslos an Pollock ausbezahlt, sondern ist mit bestimmten Konditionen verbunden, die in einem Vertrag formuliert sind. Wenn sie pro Jahr nicht genügend Kunstwerke aus seinen Ausstellungen verkaufen sollte, um ihre Kosten zu decken, bekomme sie den Rest des Geldwertes in Bildern von Pollock ausbezahlt. Die Forderung verschärft sich dann, als sie 1946 den monatlichen Vorschuss um das Zweifache auf 300 $ erhöht und im Gegenzug ein Exklusivrecht für den Verkauf, die Ausstellung und den Vertrieb von Pollock-Werken beansprucht. 280 Hier wird deutlich, dass Guggenheim nicht nur als selbstlose Mäzenin fungierte, sondern durchaus eine Geschäftsfrau war. Auf der anderen Seite wird berichtet, dass sie über ihre Galerie nur geringe Verkaufserfolge erzielte und somit den Künstlern keine wirtschaftliche Grundlage bieten konnte. Deswegen hätte sie begonnen, von jedem Künstler, den sie in ihrer Galerie vertrat, selbst Arbeiten zu kaufen. 281 Guggenheim hat sich damit und durch ihre vorangegangene Ankaufspolitik in Europa -"Ein Kunstwerk pro Tag" 282 -eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst aufgebaut. Ihr mäzenatisches Auftreten hat also auch einen 278 I Ebd., S. 450. 279 I Peggy Guggenheim, Ich habe alles gelebt, Bergisch Gladbach 2003, 5. 456 (engl. OriginaltiteL OutofThis Century- Confession of an Art Addict, New York 1979). Sie bezeichnet Pollock darin auch als " ihr geistiges Erbe", das Betty Parsons übernahm. Vgl. Ebd. , 5. 481. 280 I Vgl. Wiederabdruck in: Harrison, Such desperate Joy, 5. 22. 281 I Vgl.: Manfred Reitz, Berühmte Kunstsammler. Von Verres bis Peggy Guggenheim, Frankfurt/M./Leipzig 1998, 5. 129. Siehe ebenso: Maiwald, "Peggy Guggenheim", 5. 273. 282 I Vgl. Laurence Tacou-Rumney, Peggy Guggenheim. Das Leben - Eine Vernissage, München 2002, 5. 94 (Originaltitel: Peggy Guggenheim, L'Aibum d'une Col/ectionneuse, Paris 1996). Maiwald weist darauf hin, dass die politischen und wirtschaftlichen Umstände Anfang der 1940er-Jahre ihren Aufstieg als Kunstsammlerin erst ermöglichten. Vgl. Maiwald, "Peggy Guggenheim", 5. 273 f.

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Abbildungen 64-66: Standbilder, Peggy Guggenheim in ihren Rollen

geschäftlichen und gesellschaftspolitischen Hintergrund und prägt dadurch die Kunstgeschichte der amerikanischen Moderne maßgeblich mit. Jürgs bemerkt über die eigene Positionierung Guggenheims: "Ihr gelang es mit Hilfe ihrer Autobiographie und vor allem aufgrund ihres Schachzuges, ihre Sammlung in Venedig nach ihrem Tode dem Solomon Guggenheim-Imperium einzuverleiben, diese geschlossen zu bewahren und ihren eigenen Namen für die Nachwelt auch weiterhin mit dieser zu verknüpfen."283

Die Peggy Guggenheim Foundation in Venedig trägt auch weiterhin ihren vollen Namen, ist aber ein Teil des mittlerweilen weltweiten Guggenheim-Imperiums ihres Onkels. Hiermit wären wir wieder beim "Feld der Macht" angelangt, in dem sich auch Peggy Guggenheim als "Marke" im Kunstfeld verewigt. Die Galeristin und Sammlerin im Film

In der Figur der Sammlerin und Galeristin gehen Kunst, Geld und Glamour eine Verbindung ein. Dies wird beim ersten Auftritt Peggy Guggenheims, die von Amy Madigan (Ed Harris' Frau) gespielt wird, deutlich. Pollock und Krasner kennen sich ein knappes Jahr und wohnen zusammen. Guggenheims Assistent Howard Putzel war bereits zu Besuch 283

I Jürgs,

Sammeln nur um zu besitzen ?, S. 11.

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und zeigte sich von Pollacks Kunst stark beeindruckt. Im Oktober 1942 besucht das Künstlerpaar die Eröffnungsausstellung von Guggenheims Galerie Art of This Century, die mit Kunst von Marcel Duchamp, Paul Klee und anderen sogenannten Exilkünstlern bestückt war. Krasner kennt einige Ausstellungsbesucher, 284 so auch Howard Putzel, der das Künstlerpaar James Johnson Sweeney und Peggy Guggenheim vorstellt. Guggenheim trägt ein extravagantes, helles Kleid mit einer großen glitzernden Krebsapplikation285 (Abb. 65). An ihren Ohren hängen Kunstwerke: ein Mini-Mobile von Alexander Calderameinen und am anderen ein Ohrring mit einer winzigen Landschaft von Yves Tanguy. 286 Im Drehbuch wird sie zur Einleitung dieser Szene mit "in her white dress, shoe-black hair, bloodred lip-stick, lizard green eye shadow, huge earrings" schillernd beschrieben und in ihrer gesellschaftlichen Positionierung mit "She gestures grandly. This is her place and she is the queen", 287 charakterisiert. Guggenheim sagt in der Smalltalk-Gesprächssituation der Ausstellungseröffnung zu Pollack, dass Putzel bereits über ihn berichtet hätte. Pollock antwortet darauf nicht. Dafür ist Krasners Stimme zu hören, die sich bei Putzel bedankt, und Guggenheim auffordert, sich Pollacks Kunst anzuschauen. Guggenheim blickt weiterhin nur Pollock an und antwortet kurz auf Krasners Aufforderung: "Yes", bevor sie als Gastgeberin mit "Enjoy yourselfl" dieses Gespräch beendet. Erst jetzt spricht Pollack. Das Einzige, was der deplatziert wirkende Künstler während dieser kurzen Begegnung mit einem flirtenden Blick zu ihr sagt, ist: "I like those earrings". In dieser Sequenz gehen Guggenheims exzentrisches Auftreten und ihr Kunstverständnis eine Verbindung ein, die geradezu exemplarisch für den ganzen Film stehen könnte. Denn Guggenheims Filmfigur ist mehr von Visualität als von Rhetorik geprägt. Diese Beobachtung entspricht auch einer Beschreibung Guggenheims von Gore Vidal, der in der Einleitung ihrer Autobiografie schreibt: "Obwohl sie Parties gab, Bilder und Menschen sammelte, ging- und geht- etwas Kühles, Undurchdringliches von ihr aus. Sie macht kein Aufuebens. Und sie 284 I Sie begrüßt kurz May und Harold Rosenberg, die im Film im Vergleich zu Greenberg eine verschwindend kleine Rolle spielen. 285 I Das Motiv des Hummers erinnert an einen Kleidentwurf mit aufgemaltem Hummer von 1937 von Eisa Schiaparelli , die zusammen mit Salvador Dali daran gearbeitet hat. Vgl. Richard Martin, Fashion and Surrea/ism, London/New York 1987, S. 146. 286 I Diese programmatische Ungleichheit in ihren Ohrringen wird als Unparteilichkeit zwischen Surrealismus und Abstrakter Kunst interpretiert. Vgl.: Tacou-Rumney, Peggy Guggenheim, S. 124. 287 I Drehbuch, S. 24. Zur bildliehen Beschreibung Guggenheims, vgl. ebenso an anderer Stelle in der Biografie von Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 437.

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ist fähig zu schweigen, ein seltenes Talent. Sie hört zu, ein noch selteneres Talent. In der Kunst, mit wenigen Worten eine Beobachtung oder den Wesenszug einer Person zu umreißen, hat sie es zu wahrer Meisterschaft gebracht. Während ich dies niederschreibe, versuche ich mich eines brillanten Beispiels zu entsinnen- und versage. Vielleicht ist es einfach nur der trockene Tonfall, die präzise Kürze ihrer Aussagen, an die man sich gern erinnert." 288 Im Film wird Guggenheims erste Begegnung mit Pollocks Kunst durch ihren Atelierbesuch in Szene gesetzt. Die Sequenz beginnt damit, dass Krasner und Pollock in Eile über die Straße in Richtung Wohnung laufen. Dort angekommen, sehen sie Guggenheim und Putzel, die gerade außer Atem die Treppen des Hauses herunterkommen. Guggenheim ist wütend (Abb. 64). Sie faucht Pollock förmlich an, wer er denn sei und mit wem er denke, es zu tun zu haben! Sie sei schließlich Peggy Guggenheim und würde nicht fünf Stockwerke rauf- und runterlaufen, um dann vor verschlossenen Türen zu stehen. Außerdem habe sie empfindliche Fußknöchel! Sie sieht Pollock wutentbrannt in die Augen und bemerkt, dass er betrunken ist, was jedoch Pollock und Krasner sichtlich gelogen - abstreiten. Sie gehen gemeinsam die Treppen hoch. Guggenheim geht selbstbewusst in das erstbeste Zimmer und sieht Bilder von Lee Krasner. Wütend kommt sie aus dem Zimmer und schimpft: "L.K., L.K. Who the hell is L.K.? I didn't come to look at L.K!" Putzel zeigt ihr den Weg in Pollocks Atelier. Sofort äußert sie sich in autoritärer und gönnerhafter Weise: "This is better. These show something." Krasner versucht, Guggenheim die Kunst Pollocks zu erläutern. Guggenheim geht nicht darauf ein und sagt zu Pollock, dass er kein Surrealist sei wie ihre anderen amerikanischen Künstler. Sie zeigt sich langsam überzeugt, ist aber auf keinen Fall überschwänglich in ihrem Urteil. In der Biografie wird übermittelt, dass Pollock zu dieser Zeit zum Broterwerb im Museum of Non-objective Art, dem späteren Solomon R. Guggenheim Museum, 289 unter anderem als Aufseher arbeitete. Im Film wird ein außerkünstlerischer Broterwerb nie angesprochen. Die finanzielle Unsicherheit des Künstlers wird jedoch an anderen Stellen bemerkbar. So kommt in der nächsten Szene Putzel zu Besuch und ver288 I Vorwort von Gare Vidal, in: Guggenheim, Ich habe alles gelebt, S. 11. 289 I Damit ist das Museum von Peggy Guggenheims Onkel Solomon R. Guggenheim gemeint . in dem unter der Federführung von Baroness Hilla von Rebay ein strenges Arbeitsklima herrschte. Die Baroness war Peggy Guggenheims Unternehmungen gegenüber sehr negativ eingestellt. Insofern wird diese Zeit für Pollack, in der er noch keine Nachricht von Peggy Guggenheim hatte und quasi in der verfeindeten Institution arbeitete, als eine deprimierende beschrieben. Vgl. : Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, 446 ff.

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kündet erfreut, dass Pollock seine erste Einzelausstellung in der Art of This Century haben wird, dass Guggenheim ihn unter Vertrag nimmt, ein Stipendium von 150 $ (im Sinne eines monatlichen Vorschusses) ausbezahlt, und er eine Auftragsarbeit, ein riesengroßes Wandbild mit voller künstlerischer Freiheit für die Eingangshalle ihrer Wohnung produzieren soll. Putzel trägt Teile des Vertrages vor, wodurch klar wird, dass sich der Künstler damit auf eine geschäftliche Beziehung einlässt, die auch für die Galeristin Vorteile bringt: "Peggy will give you a stipend of 150 $ a month. At year's end, if the artist does not sell equivalent to the advance plus one third commission, he will make up the difference in paintings. In other words, my dears, you don't sell 24 hundred $ worth, Peggy owns all the work. So, sell. "290

Auch wenn dieses Abkommen aus heutiger Sicht wie ein Knebelvertrag aussieht, bedeutet es für Pollock damals einen großen Erfolg. Es verschafft ihm den ersehnten Eintritt in die Kunstwelt und lässt ihn von seiner Kunst leben. Über Geschäftliches wird Pollock mit Guggenheim jedoch im ganzen Film nicht reden, dafür ist ihr Assistent zuständig. Ihre filmische Beziehung ist eine repräsentative bzw. für einen kurzen Moment sogar eine intime. Deutlich wird dies in der Szene, in der sich Pollock nach der Einweihungsparty des Mural in Guggenheims Schlafzimmer befindet. Sie sitzt auf ihrem Bett. Eine sentimentale Streichmusik ist zu hören. Er steht betrunken vor ihr und blickt sie wollüstig an. Guggenheim rezitiert Greenbergs Lob über das Mural. Pollock scheint daran nichtinteressiert zu sein und fragt sie, ob ihr denn das Bild gefalle. Sie liebe es, meint Guggenheim. Diese Situation nützt Pollock, um das seltene Gespräch zwischen den beiden auf eine andere Ebene zu bringen: "You've had a lot of lovers!", sagt er und gibt ihr zu verstehen, dass er mit ihr Sex haben möchte. Sie zeigt sich nicht abgeneigt, habe auch schon an etwas Ähnliches gedacht (Abb. 66). Er kommt ihr näher und öffnet sein Hemd. Während Guggenheim seine Hose aufmacht, sagt sie kokett: "I don't think you realize how hard I work to get people interested in you, to get you into the right hands and then you act so badly. I mean, you remind me of a trapped animal." Genau zu diesem Zeitpunkt reißt sie ungestüm seinen Reißverschluss auf. Er stürzt sich in Unterwäsche plump auf sie. Es folgt eine kurze, stürmische Aktion, die, noch bevor es zum sexuellen Akt kommt, in einem beiderseitig unbefriedigenden Fiasko endet. Durch diese filmische Sequenz wird Guggenheim auch als eine für ihre Liebschaften bekannte Frau visualisiert. Diese Szene folgt einer Be290

I Filmtranskript

DB.

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schreibung aus der Biografie, die keinerlei Beweisen, sondern nur Vermutungen folgt. 291 Nicht einmal Peggy Guggenheim berichtet darüber in ihrer, was Liebesaffären betrifft, sehr freizügigen Autobiografie. Sie beschreibt ihre Beziehung zu Pollock als eine zwischen Künstler und Mäzenin, in der Lee Krasner als Vermittlerin fungiert habe. 292 Vielmehr betont sie die Arbeit, die sie und seine Frau Krasner in ihn als Künstler investiert haben: "Pollack stand sofort im Mittelpunkt von Art of This Century. Zwischen 1943 und 1947 [...] konzentrierte ich mich fast ausschließlich auf ihn. Er durfte sich glücklich schätzen, denn auch seine Frau, die Malerin Lee Krasner, kümmerte sich ebenso intensiv um ihn und verzichtete zeitweise sogar auf ihre eigene Arbeit, wenn er ihre rückhaltlose Unterstützung brauchte. "293

Im Film wird Guggenheim auf die Rolle einer extravaganten Gesellschaftsdame reduziert. Das Glamouröse ihrer Erscheinung wird betont, wohingegen die Aspekte der emsigen Geschäftsfrau nur nebenbei angedeutet werden. 294 Dass Guggenheim dafür gesorgt hat, Pollock bei Betty Parsans eine Ausstellung zu verschaffen, als sie nach Venedig zog und den noch bis 1948 dauernden Vertrag mit ihm aufrecht erhielt, wird im Film nicht angesprochen. Ebenso kommt die Tatsache, dass sie 1950 eine große Pollack-Ausstellung im Museum Correr in Venedig organisierte, nicht im Film zur Sprache. An Guggenheims Figur wird deutlich, wie das Format Spielfilm simplifizierend auf die Darstellung einer Person wirken kann. Die detailreichen Charakterisierungen, die bei der Figur Pollock und zum Teil auch bei der Figur Krasner zu erkennen sind, nehmen bei den Nebenfiguren - wie Greenberg oder Guggenheim - sukzessive ab und reduzieren diese jeweils auf einen gemeinsamen, populären Nenner, in dem auch Geschlechterstereotypen eingeschrieben sind. Guggenheim wird als extravagante Frau eher sexualisiert dargestellt, während Greenberg mit seinem partriarchalen Gestus die männlich kritische Instanz verkörpert. Nichtsdestotrotz bietet die Beobachtung des "künstlerischen Feldes" im Film Einblicke in die ökonomische und institutionalisierende Seite von Pollacks Kunstschaffen, auch wenn die Nebenfiguren nicht 291 I Vgl. Naifeh/White Smith, Jackson Po/lock, S. 478 f. Die angebliche Liebesnacht ist äußerst umstritten. Sogar in einem Vortrag von Jasper Sharp, der in der Guggenheim Foundation in Venedig arbeitet, wird diese Liebesnacht bestritten, obwohl sein Vortrag von anekdotischen Elementen nur so wimmelte. Jasper Sharp, "The Patro n and the Painter", Vortrag im Deutschen Guggenheim , 10.3.2005. 292 I Guggenheim, Ich habe alles gelebt, S. 473. 293 I Ebd., S. 473. 294 I Beispielsweise als sie zu einem späteren Zeitpunkt im Film mit dem Kritiker Greenberg und dem Sammler Alfonso Ossorio, von dem sie sich einen Verkauf erhofft, in Pollacks Atelier auf Lang lsland zu Besuch kommt.

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sonderlich differenziert dargestellt sind: So wird von Greenberg eher der Eindruck des einflussreichen Schiedsrichters und von Guggenheim das Bild der exzentrischen Sammlerin forciert und weniger auf ihre vielschichtigen Funktionen und Verwicklungen im ,.Feld der Macht" geblickt.

Autorschaftsdebatten: Vom Künstler zum Star, vom Star zum Autor Für die Zusammenfassung und Bewertung des Biopies Pollock soll die Fragestellung nach den unterschiedlichen Autorschaftell näher beleuchtet werden. Ich werde hier weniger der mittlerweile fast rhetorischen Rede vom .,Tod des Autors" 295 folgen, sondern produktive Alltorschaftsdebatten führen, die auf die .,klassifikatorische Funktion" 296 der Autornamen Pollock bzw. Harris hinweisen. In diesem Sinne sollen hier einerseits die Darstellung der künstlerischen Autorschaft in der filmischen Figur Pollacks und andererseits sowohl die Autorschaft des Regisseurs als auch jene des Schauspielers Harris ins Blickfeld rücken. In der filmischen Darstellung ringt Pollock um seinen Status als Künstler, wenn man Künstlerturn und Autorschaft297 durch Innovation, Authentizität und Autorität als verknüpft versteht. 298 Dies wird an unterschiedlichen Stellen im Film deutlich und kulminiert schließlich in der Filmim-Filmszene mit Namuth. Zugleich sticht auf der Produktionsebene des Filmes sowohl der Schauspieler als auch der Regisseur Harris als Autor dieses Filmes hervor. So lässt sich in diesem Biopie in der Frage nach den unterschiedlichen Autorschaften eine Verbindung zwischen Künstlerturn und Starturn herstellen. Blicken wir zunächst auf die Funktionsweisen künstlerischer Autorschaft: Der Künstler legitimiert sich unter anderem als Autor, indem er sein Werk mit seinem Eigennamen signiert. Eigenname und Autorname 295 I So war es vor allem der Titel des Textes von Roland Barthes "La mort de l'auteur" (1968), der sich zur rhetorischen Figur entwickelt hat, die bis heute zur Polemisierung von Autorschaftsdebatten eingesetzt wird. 296 I Foucault, "Was ist ein Autor7" (1969), zitiert nach Wiederabdruck in: Fotis Jannidis/Gerhard Laurer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.) , Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 210. 297 I Künstlerturn und Autorschaft haben eine ähnliche Geschichte wie Wetze! zeigt, vgl.: Michael Wetze!, "Autor/Künstler", in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart/Weimar 2000, S. 480-544. Zur Untersuchung unterschiedlicher Autorschaftsdiskurse in der zeitgenössischen Kunstpraxis, vgl.: Kampmann, Künstler sein. 298 I Vgl.: Wenk, "Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit", S . 23.

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haben jedoch nicht dieselbe Funktion, wie Foucault bemerkt, sondern "sie liegen zwischen den beiden Polen der Beschreibung und Bezeichnung".299 Der Autorname hat dadurch eine "klassifikatorische Funktion" innerhalb eines Diskurses und die Signatur verleiht dieser Funktion ihren Ausdruck. Die Signatur kann als ein "Element des Künstlerruhms" verstanden werden, da sie "Autorisierungsgestus" und "Zuweisungskriterium" ist. Ihr kommt "eine entscheidende Rolle für die Etablierung von Autorschaft" zu, wie Karin Gludovatz die Eigenschaften von Signatur in der kunsthistorischen Forschung zusammenfasst. 300 Die Signatur hat ihr zufolge viele Funktionen und nimmt mehrere Bedeutungsebenen ein: "Sie ist Markierung, Spur, Siegel, Passage, Schwellenphänomen, Realitätsfragment, bildliehe Illusion zugleich. Sie kann ein Bildgefüge ,zerbrechen' und einen Protagonisten der Bilderzählung installieren, ebenso wie ein ,Werk' konstituieren und einen ,Autor' benennen. Sie ist Pinsel/Schrift, Marktfetisch, Medium auktorialer Macht und ein Faktor kunsthistorischer Kategorisierung." 301

Vom Pinselschriftzug bis zum Autogramm - vom Künstler zum Star: Die Signatur wird im Pollack- Film unterschiedlich eingesetzt und verweist auf den Weg vom Künstler zum Star. Da wir es hier aber auch mit der Inszenierung von Signatur zu tun haben, verschiebt sich die Frage der Autorschaft vom Künstler auf den Regisseur bzw. auf den Schauspieler. Worin sich die Autorschaft eines Regisseurs oder eines Schauspielers äußert, soll im Folgenden herausgearbeitet werden. Davor liegt der Fokus auf den "Signierszenen" im Film, die der Filmfigur Pollock unterschiedliche Formen von Autorschaft verleihen. Die Inszenierung künstlerischer Autorschaft

Im Vorspann gibt Pollock einer Ausstellungsbesucherin ein Autogramm, das er in den Artikel des Life Magazine platziert. Er ist festlich in Anzug gekleidet, seine Finger sind jedoch leicht farbverschmiert Nur wer die Farbspuren auf seinen Fingern sieht, kann die Zeichen seines Berufes erkennen. Ansonsten wird Pollock, noch bevor wir ihn in Ausübung seiner Tätigkeit als Maler zu sehen bekommen, als Künstlerstar und Objekt der Begierde eingeführt. 302 Pollacks Signatur ist hier das Autogramm und authentifiziert seinen Status als (Künstler-)Star. 299 300

I Fo ucault, .. Was ist ein Autor?", S. 208 . I Karin Gludovatz, Fährten legen - Spuren

lesen. Die Künstlersignatur als poietische Referenz, unpubl. phil. Dissertation, Universität Wien 2004, S. 3. Vielen Dank an Karin Gludovatz für ihr Manuskript. 301 I Ebd., S. 6 f. 302 I Vgl. .. The Life Painter", ab S. 58.

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Abbildungen 67-69: Standbilder, Autogramm I Signatur I Handabdruck

In Ausübung seiner künstlerischen Tätigkeit wird Pollock erstmals in der Malszene des Bildes Male and Fernale eingeführt. Er lässt sich von niemandem in seine Kunst hineinreden und beschwört durch seine Aussage "I am nature" den Topos des "Divino artista". Kurz darauf kommt Howard Putzel mit den Worten "You will be the sensation of the season" zu Besuch. Er bringt Pollock Nachrichten über seine erste Einzelausstellung in Peggy Guggenheims Galerie ArtofThis Century und legt ihm einen Vertrag zum Unterzeichnen vor. Mit farbverschmierten Händen unterzeichnet der Künstler mit Putzeis goldenem Füllhalter den Vertrag. 303 Es folgt eine Überblendung. Nun ist der Künstler beim Signieren eines seiner Bilder zu sehen (Abb. 68). Genau an dieser Stelle findet ein Funktionswechsel des Namens "Jackson Pollack" statt, an dem der Eigenname zum Autornamen wird. Harmonische Musik setzt ein. Die Kamera fokussiert den Akt des Signierens mit Pinsel und Farbe auf einer bemalten Leinwand in einer Nahaufnahme. Der Vorname "Jackson" ist bereits vorgeschrieben, der Nachname "Pollack" wird vom Schauspieler Harris mit schwarzer Farbe vor laufender Kamera gemalt. Hierin liegt ein weiterer neuralgischer Punkt, an dem sich unterschiedliche Facetten von Autorschaft - die des Künstlers sowie die des Schauspielers - vermischen. Auf der filmischen Erzählebene wird in dieser kurzen Szene durch die Authentifizierung im Schreiben bzw. Malen des Namenszuges die Autorschaft des Künstlers verbildlicht und legitimiert. Pollacks künstlerischer Aufstieg wird damit eingeläutet. Auf 303 I Hier wäre er nach Foucault noch kein Autor, da "ein Vertrag wohl einen Bürgen haben [kann]. aber keinen Autor." Foucault, "Was ist ein Autor?", S. 211.

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einer Metaebene schreibt sich hier aber auch der Schauspieler Harris in die dargestellte Person ein, worauf ich weiter unten noch eingehen werde. Die körperliche Beziehung zum Werk, die Deborah Cherry bereits in der Handschrift von Signaturen erkennt, 304 lässt sich zu einem späteren Zeitpunkt im Film noch deutlicher beobachten. Als Pollock die Dripping-Methode entwickelt, wird die Authentifizierung als Künstler nicht durch die kulturelle Konvention des Signierens dargestellt, sondern durch Abdrücke seiner Hände. Pollock drückt seine Handflächen, die voller schwarzer Farbe sind, auf sein Werk Number lA (Abb. 69). Der Künstler macht am Höhepunkt der Abstraktion seine Autorschaft durch die konkrete Spur der Handabdrücke im Bild sichtbar - eine durchaus symbolische Verbildlichung der körperlichen Beziehung zwischen Künstler und Werk. Er "beseelt" sein Werk gleichermaßen damit, indem er Teile seines Körpers ins Bild bringt, bzw. diese zum Bild macht. Auch das Originalbild weist Handabdrücke auf aber ebenso eine Signatur am unteren Rand etwa in der Mitte des Bildes. Diese ist im Film nicht sichtbar. Die Konzentration liegt hier eindeutig auf dem Zusammentreffen von Bild und Künstler-Körper. Der Handabdruck des Künstlers "identifiziert"305 ihn als Schöpfer dieser Arbeit und kann als Zeichen der unverwechselbaren Individualität und Tatkraft des Künstlers gelesen werden. 306 Am Beispiel der dargestellten Signaturen im Film können demnach verschiedene Autorisierungsgesten offengelegt und die "klassifikatorische Funktion" des Autors sichtbar gemacht werden. Autorschaft äußert sich aber nicht nur in der Signatur, sondern auch in der Behauptung der künstlerischen Gestaltungshoheit Sie lässt sich nicht losgelöst vom Werk erfahren, sondern ist immer in Relation zum Werk und seiner Rezeption zu sehen wie Michael Wetze! festhält ",Autorschaft ist Werkherrschaft', d. h. sie bemißt sich an den Strategien der Kontrolle von Eigentumsverhältnissen des geschaffenen Werkes, durch die ihr Urheber als Künstler zum ,Souverän' wird, auch dort noch, wo eine potenzierte Kreativität sich in die Vorstellung des Autors und Künstlers als reiner Name ohne Werk ausspricht. "30?

304 I Deborah Cherry, .. Autorschaft und Signatur. Feministische Leseweisen der Handschrift von Frauen", in: Hoffmann-CurtiusjWenk, Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, S. 50. 305 I Auch wenn dies in eine andere Richtung führt, soll dennoch bemerkt werden, dass in der Kriminologie die Spuren der Fingerabdrücke zur Identifikation einer Person dienen. 306 I Auch Hollywood setzt auf den Hand- und Fußabdrücke von Stars als Authentifizierungsgeste am Walk of Farne des Hollywood Boulevards in Los Angeles. 307 I Wetzel, .. Autor/Künstler", S. 494 f.

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Pollock

Die Kontrolle des Künstlers über sein Werk wird an unterschiedlichen Stellen im Film thematisiert und entpuppt sich zum Schluss als ein unerbittliches Ringen um Autorschaft. Zunächst äußert sich die Frage nach der "Werkhoheit" in einem Wettstreit um Autorschaft zwischen den beiden Künstlern Pollock und Krasner. Zur Erinnerung: Krasner versucht Pollock während des Bildwerdungsprozesses von Male and Fernale zu belehren und beginnt, seine Kunst auszubessern. Pollock hört auf zu malen, schmeißt die Tube hin und sagt zu Krasner, dass sie doch dieses Bild fertigmalen solle. An einer anderen Stelle wird Pollock von Clement Greenberg auf den Prüfstand seiner künstlerischen Autorschaft gestellt. Auch hier folgt er nicht den Ratschlägen des Kunstkritikers, sondern behält seinen eigenen Willen. 308 In beiden Momenten steht der Künstler noch im direkten Kontakt zu seiner Malerei. Erst im Filmdreh mit Hans Namuth beginnt er in seinem Selbstbewusstsein als Künstler zu wanken. Da Namuth die Bewegungen des Künstlers dirigiert, wird dieser zum Darsteller seiner selbst. Aber noch viel schlimmer scheint das Diktat des Regisseurs zu sein, der dem Künstler befiehlt, wann er mit dem Malen aufzuhören habe. Es sind zwar immer technische Gründe, wie kein Film mehr in der Kamera oder nicht mehr genügend Tageslicht, die Namuth Pollock gegenüber anführt. Dennoch ist die Entscheidung, wann ein Kunstwerk zu Ende ist, eine wesentliche, die den Autor eines Werkes auszeichnet. Hier verschiebt sich also die Bildhoheit von der Figur des Künstlers auf jene des Regisseurs. Pollock verliert in dieser Sequenz seine Autorschaft an Namuth. Die Repräsentation des künstlerischen Schaffens Pollacks nimmt hiermit auch ein jähes Ende im Biopic. Seine Autorschaft hat sich durch den Prozess der technischen Reproduktion (durch Fotografie und Film) verändert. Er hat sich vom "verkannten Künstler" zum Künstlerstar verwandelt. Dies hat zur Folge, dass Pollacks Autorschaft nun mit anderen "Kräften" -wie den Massenmedien, die ihn zum Künstlerstar gemacht haben- geteilt wird. Die filmische Erzählung legt den Betrachterinnen nahe, dass durch den Eintritt der reproduzierenden Medien die Autorschaft des Künstlers verloren geht. Die Imageproduktion des Künstlers ist dadurch eindeutig negativ konnotiert und zeigt als Konsequenz dieses Konflikts ein biografisches Drama. Die Autorschaften von Ed Harris

Während die filmische Aussage einen Verlust der künstlerischen Autorschaft Pollacks suggeriert, manifestieren sich in der Art und Weise, wie diese Aussage getroffen wird, die Autorschafren von Ed Harris in seinen Funktionen als Regisseur und Schauspieler. Der Regisseur Harris 308

I Vgl.

.,Der Kunstkritiker im Film", ab S. 124.

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setzt die unterschiedlichen Medien Fotografie, Printmedien, Radio und Film als strukturierende, filmische Elemente ein und erzählt Pollocks Geschichte auch entlang medienspezifischer Diskurse. Die reproduzierenden Medien sind der Handlungsmotor der dramatischen Erzählung. Sie produzieren die Entfremdung des Künstlers von seinem Schaffen, denn sie "desillusionieren das Wunschbild von der Souveränität des Produzierenden," 309 wie dies Wetzel ausdrückt. So werden die Massenmedien als Entfremdungsmaschinerie dämonisiert. Die der Erzählung immanente Medienkritik zeigt jedoch auch ambivalente Abhängigkeitsverhältnisse auf. Dass die Medien an Pollocks Auf- und Abstieg schuld sind, dass Stars von den Medien aufgebaut und fallen gelassen werden, ist sicherlich die naheliegendste Interpretation. Die Inszenierung Pollacks als ein durch die Medien entfremdeter Künstler könnte aber ebenso mit dem Benjaminsehen Verlust der Aura in Verbindung gebracht werden. 310 Bei Pollock liegt der Verlust der Aura jedoch weniger in der Reproduzierbarkeit seines Kunstwerks, sondern im reproduzierten Produktionsprozess. So zeigt sich der Regisseur in seinem Film zwar medienkritisch, indem er auf das massenmedial geschaffene Künstlerimage und seine Auswirkungen auf die Person des Künstlers aufmerksam macht. Eine kritische Perspektive auf die eigene Praxis als Autor eines massenmedialen Produktes, wodurch ebenso ein bestimmtes Künstlerimage kreiert wird, ist jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr wird versucht, einen möglichst kohärenten Erzählstrang zu vermitteln. Distanzierungs- bzw. Reflexionsmomente der "großen" Erzählung des Spielfilms lassen sich weniger in der erzählten Geschichte als in der Sichtbarmachung einzelner Medien innerhalb des Filmes erkennen: Eine mediale Reflexivität ist in bestimmten Momenten des künstlerischen Schaffensprozesses auszumachen: So im Entstehungsprozess des Mural, als Pollock auf die leere Leinwand blickt, die plötzlich als filmisches Vollbild und somit als weißes Filmbild erscheint. Diese Inszenierung stimmt einerseits auf die Darstellung der Virtuosität der Künstlerfigur ein, weist aber andererseits auch auf jene des Filmschaffenden hin. Harris befördert diesen Analogieschluss, indem er in einem Interview eine direkte Verbindung zwischen Filmemacher und Künstler herstellt: "Am Anfang ist ein Film wie eine weiße Leinwand, wie das weiße Blatt Papier, vor dem ein Schriftsteller sitzt. [. . . ) Die Spannung zwischen dem Nichts und den Vorstellungen, wie ein Werk am Ende aussehen könnte, ist enorm. Diese Vorstellung muss so dermaßen konkretisiert werden, dass der erste Pinselstrich 309 310

I Wetzel, "Autor/Künstler", S. 539. I Walter Benjamin, Das Kunstwerk

im Zeitalter seiner technischen Reprodu-

zierbarkeit {1936), Frankfurt/M. 1977.

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Pollock schon als Teil des späteren Ganzen begreitbar ist. So geht es einem Schriftsteller oder einem Regisseur auch." 311

Am augenscheinlichsten ist eine Reflexion der eigenen Praxis (als Re-

gisseur und Schauspieler) in der Darstellung des Film-im-Film Zitates, in der unter anderem die Rolle des Künstlers, der sich selber darstellt und jene des Regisseurs, der Anweisungen gibt, als konfliktreiche Positionen sichtbar werden. Da aber diese Sequenz in der narrativen Einbettung des biografischen Dramas aufgelöst wird, verliert sie an selbstkritischer Aussagekraft So hätte das Trägermedium dieser Geschichte, der Spielfilm, durch verschiedene Kunstgriffe als sprechende Instanz noch sichtbarer werden können, denn das Hollywoodkino ist heute viel einflussreicher und prägender für Geschichtsbilder als die kritisierten Massenmedien von damals. Um nun Ed Harris' Autorschaften als Regisseur und Schauspieler in Pollock zu untersuchen, empfiehlt es sich zunächst auf die Autorschaftsdebatten im Filmdiskurs zu blicken, die sich auf den Begriff des "Auteur" beziehen. Dieser Terminus führt auf eine Diskussion um die "Politique des auteurs" zurück, die in der französischen Zeitschrift Cahiers du Cinema unter anderem von Fran