Preisrecht: Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft des allgemeinen und besonderen Rechts der Bildung und Verlautbarung von Preisen [1 ed.] 9783428497119, 9783428097111

Das Preisrecht besteht in Deutschland aus einem breit gestreuten Regelungswerk unterschiedlichen Ranges. Der Verfasser h

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Preisrecht: Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft des allgemeinen und besonderen Rechts der Bildung und Verlautbarung von Preisen [1 ed.]
 9783428497119, 9783428097111

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Bemdt Hauptkom . Preisrecht

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 129

Preisrecht Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft des allgemeinen und besonderen Rechts der Bildung und Verlautbarung von Preisen

Von Bemdt Hauptkom

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hauptkom, Berndt: Preisrecht : ökonomische Rationalität und praktische Vernunft des allgemeinen und besonderen Rechts der Bildung und Verlautbarung von Preisen / Berndt Hauptkom. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 129) ZugJ.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09711-4

n2 Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-09711-4 Gedruckt auf alterungsbcständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Die Untersuchung wurde im Februar 1998 abgeschlossen. Sehr zu danken habe ich Herrn Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider für die Betreuung des Promotionsvorhabens, die Erstattung des Erstgutachtens und die Inspiration, rechtswissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Argumentationen immer auf ihren philosophischen Grund zu gehen, um sie im Rahmen eines interdisziplinären Ringens füreinander dienlich zu machen. Mein Dank gilt den Mitarbeitern des Lehrstuhls, insbesondere den Sekretärinnen Frau Elke Hirschmann und Frau Christa Dammann, die mir· stets aufgeschlossene Anlaufpunkte waren. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Harald Herrmann für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonderen Dank sage ich meinen Eltern und Geschwistern, die mich immer ermutigt und gefördert haben, und meinen Freunden Boris Kasten, Bernhard Tank und Martin Achtziger, die die Fertigstellung der Arbeit mit konstruktiver Kritik und tatkräftiger Hilfe begleitet haben. Vornehmster Dank gebührt schließlich meiner geliebten Frau Andrea, die alle Höhen und Tiefen des Promotions studiums unmittelbar und souverän geteilt hat, um mich mit Rat und Tat zu unterstützen. Ihr widme ich diese Arbeit von Herzen. München, im Januar 2000 Berndt Hauptkorn

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Grundlagen des Preisrechts A. Problemstellung .... .. .. ............... ... ................ .. ....................... ............................. I. Recht und Ökonomie ... ....... .. ...................................... ... ... ..... ... ..... ........ .. 11. Der Begriff des Preises ............................................................................ I. Die ökonomische Unterscheidung zwischen Markt- und Gleichgewichtspreisen ............................................. ..... ............................. . 2. Politische Preise ... ...... ... ........... ..... ...... ... ....... ....... ..... ........ ............... 3. Administrierte Preise .. .... .. ...... ................ ...... ....... ...................... ....... a) Privat administrierte Preise .................. .... .... .......... ........ ............ b) Staatliche Festpreise ... ............................................ .................... c) Staatlich direkt administrierte Preise .......... ... ......... ......... ........ ... aa) Stopp- und Höchstpreise ................................................... bb) Mindestpreise ..... .. ...... ............... ......... ...... ..... .... ....... ....... .. cc) Spannen- und Rahmenpreise ... ..... .. ........ ........... ... ... .. .... .... dd) Handels- oder Gewinnspannenfixierungen ........... ............. ee) Richt-, Listenpreise und Preisempfehlungen ... .. ... ............. ff) Mengenregulierungen ................ ........................ .... ... .. .... .. .. gg) Kalkulationsvorschriften ... ...... .............. ... .......... .......... ..... d) Staatlich indirekt administrierte Preise ........ ... ... ..... .. ... .. ... .. .. .. ... . e) Stellungnahme ............ .... ..... ...................... .............. .......... ........ . 4. Juristische Preise .................................... .. ........ ........................... .. ... 5. Private und staatliche Preise ............... ............................. .... ............. 111. Die Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Preisrecht B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft ........................ ........ .. ...... . I. Das teleologische Konzept ökonomischer Rationalität ............. ............... I . Die utilitaristischen Wurzeln des ökonomischen Denkens ........ ....... 2. Die Unterscheidung zwischen Zweck/Mittel-Effizienz und wohlfahrtsökonomischer Effizienz .. ... ........... ... ...... ..... ......................... .. .. 3. Ökonomische Rationalität als Kriterium des Rechts - utilitaristische Begründungsprobleme ... .... ......... .................... .. ........................ .. ...... 11. Der Stellenwert ökonomischer Rationalität im Rahmen konsenstheoretischer Ansätze ......... .......... ........ ... ...... .............. .. .. ....................... .............. 1. Ökonomische Rationalität in der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls .................................................................................................

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Inhaltsverzeichnis

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2.

Ökonomische Rationalität in der Literatur zur Wirtschaftsethik a) Integrative Wirtschaftsethik von Peter Ulrich ............................ b) Republikanisches Konzept der Unternehmung von Horst Steinmann und Albert Löhr .................... ............................................ II I. Der Stellenwert ökonomischer Rationalität im Rahmen der republikanischen Freiheits-, Staats- und Rechtslehre ................................................. I. Deontologie statt Teleologie ............................................................. 2. Formalität der Kriterien des Rechts .................................................. 3. Politische Freiheit durch Rechtsgesetze ........................................... 4. Theoriehaftigkeit als praktische Vernunft ........................................ IV. Der Begriff der Preisgerechtigkeit - ein Näherungsversuch ..................... V. Stellungnahme ................................................................................. .. ......

60 61

C. Die grund gesetzliche Preisverfassung .............................................................. I. Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem und Wirtschafts verfassung ........

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I. 2.

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Die soziale Marktwirtschaft ............... ..... ............ ........ ............... ....... Die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes ................................. a) Das marktwirtschaftliche Prinzip ............................................... b) Das Sozialprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .. c) Die Neutralitätsthese des Bundesverfassungsgerichts ................ 11. Staatliche Preisvorschriften und Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. I GG) ....... I. Der Unternehmer als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. I GG .. ......... 2. Die Unterscheidung zwischen Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit ..................................................................................................... 97 3. Staatliche Preisvorschriften als Regelung der Berufsfreiheit ........... 100 4. Staatliche Konkurrenz und Monopolisierung als Regelung der Berufsfreiheit ...................... ......... .................. ......... ...................... .............. 103 III. Staatliche Preisvorschriften und Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) .......... 105 I. Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums ................... 105 2. Funktionsgarantie statt Wertgarantie des Eigentums ........................ 111 3. Staatliche Preisvorschriften als Regelung der privatnützigen Funktion des Eigentums .... ........ ........................................ .................... .......... 114 4. Inflationsverursachendes Staatsverhalten als Verletzung der Eigenturnsgarantie?...................................................................................... 117 IV. Preiswerbung und Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. I S.I GG)..... 121 I. Die "politische Qualität" ökonomischer Meinungsäußerungen ....... 121 2. Kritik der Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung ................................................................................................... 125 V. Staatliche Preisvorschriften und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG)... 128 I. Kritik der personalen Schutzbereichsdogrnatik ....... ......................... 128 2. Sachlicher Schutzbereich und das Problem allgemeiner ökonomischer Wirkungen von Tarifverträgen ......................................................... 130 VI. Staatliche Preisvorschriften, aIlgemeine Handlungsfreiheit und republikanische Privatheit (Art. 2 Abs. I GG) ........................................................ 133

Inhaltsverzeichnis Die Unterscheidung zwischen liberaler und republikanischer Grundrechtsdogmatik ................................................................................. 2. Preisprivatheit als materiale allgemeine Handlungsfreiheit .............. a) Wirtschafts freiheiten im Regelungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG b) Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG .................................... 3. Preisprivatheit als praktisch vernünftiger Grundsatz ökonomischer Lebensbewältigung .............................................. ......................... .... VII. Staatliche Preisvorschriften und Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ...... I. Gesetzesanwendungsgleichheit ... .................................................. ... 2. Gesetzgebungsgleichheit ............. ........................ ............................. 3. Gleichheitssatz als Umverteilungsprogramm? ................................. 4. Art. 3 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab für Preisvorschriften ........... VIII. Die Verfassungspflicht der Preistabilität ........................................... ,...... 1. Zur Inflationsproblematik ................................................................. 2. Preisstabilität als geldpolitische Verfassungspflicht (Art. 88 GG)... 3. Preisstabilität durch Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) ......................................................... 4. Preisstabilität als Forderung des Sozial prinzips in Art. 20 Abs. 1 GG

9

1.

D. Die normative Theorie der Preisregulierung ..................................................... 1. Zum Grundsatz und den Ausnahmen des Preiswettbewerbs .................... 1. Zwischenergebnis: Grundsatz des sozialpflichtigen Preiswettbewerbs 2. Zur Rolle des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft und zum Prinzip der Systemkonformität staatlicher Preisvorschriften ............ 3. Begründung natürlicher und polititscher Ausnahmebereiche des Wettbewerbs mit Erkenntnissen der Theorie des Marktversagens ........... II. Natürliche Ausnahmebereiche ................................................................. 1. Externe Effekte ................................................................................. a) Problematik: systematische Fehlsteuerung durch Marktpreise.. b) Preispolitische Handlungsempfehlungen ................................... aa) Property rights-Ansatz ....................................................... bb) Verhandlungs- und Zertifikatslösungen ............................ cc) Steuern und Subventionen ................................................. dd) Fusionslösung ................ ................................... ................. 2. Informationsmängel .. .................... ................................................. ... a) Problematik: asymmetrische Informationsverteilung ................. b) Preispolitische Handlungsempfehlungen ............................. ...... 3. Transaktionskosten ........................................................................... a) Problematik: Markttransaktionen verursachen Kosten ............... b) Preispolitische Handlungsempfehlungen ................................... 4. Natürliche Monopole ........................................................................ a) Problematik: hohe Anfangsinvestitionen und fallende Durchschnittskosten ............................................................................. b) Die Preisbildung im Monopol................................ .. ..................

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Inhaltsverzeichnis c) Preispolitische Handlungsempfehlungen ................................... Anpassungsmängel, Strukturkrisen und ruinöse Konkurrenz ........... a) Problematik .................................................. .... ................... ....... b) Preispolitische Handlungsempfehlungen ............................ ....... 6. Stellungnahme .................................................................................. Politische Ausnahmebereiche .................................................................. 5.

III.

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2. Teil Das allgemeine Preisrecht Spielregeln des sozialpflichtigen Preiswettbewerbs A. Das formelle allgemeine Preisrecht - Recht der Preisverlautbarung ................. I. Schutz des Verbrauchers und der Wettbewerbsfunktionalität durch Preiswahrheit und Preistransparenz .................... .......................... ............ ....... 11. Preisangabenverordnung .......................................................................... 1. Rechtsgrundlage ............................................................................... 2. Anwendungsbereich ........ ........................................ .......... ............... 3. Stellungnahme .................................................................................. IIJ. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ................................... 1. Schutzgüter des UWG ...................................................................... 2. Formelle Fragen ........................................................................ ....... 3. Anwendungsbereich ......................................................................... IV. Irreführende Preiswerbung (§ 3 UWG) .................................................... 1. Angabe ............................ ..................... ............. ...... ......................... 2. Irreführung....................................................................................... a) Verkehrsauffassung .................................................................... b) Die "an1ockende Wirkung" ........................................................ c) Irreführungsquote und Verbraucherleitbild ................................ d) Beweisrechtliche Ermittlung der Irreführung ............................. 3. Beispiele irreführender Preiswerbung .............................................. a) Werbung mit Selbstverständlichkeiten ....................................... b) Blickfangwerbung ...................................................................... c) Alleinstellungswerbung .................................... .. ........................ CI) Irreführung über das Preisniveau ....................... ........................ e) Lockvogelwerbung .. .......................... ..................... .................... f) Angebote unter Einstandskosten ........... ................. .. .......... ........ g) Eigenpreisvergleiche ...... ...... ................. ............ .............. ........... h) Werbung für Subskriptionspreise und Kopplungsangebote ....... i) Vergleich mit Preisempfehlungen .............................................. 4. Stellungnahme .................................................................................. V. Preisvergleiche mit Wettbewerbern (§ 1 UWG) ...................................... I. Verbotsgrundsatz .............................................................................. a) Anonymitätsgebot: Unterscheidung von identifizierender und abstrakter Bezugnahme ...............................................................

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Inhaltsverzeichnis

2.

3.

4.

b) Kritisierende Preisvergleiche ...... ................. .............................. c) Anlehnende Preisvergleiche ....................................................... Ausnahmetatbestände ....................................................................... a) Zulässigkeit indifferenter Preisvergleiche? ................................ b) Aufforderung zum Preisvergleich .............................................. c) "Hinreichender Anlaß" des Preisvergleichs ............................... d) "Erforderlichkeit" des Preisvergleichs ....................................... e) Preisvergleiche im Rahmen traditioneller Ausnahmetatbestände Die guten Sitten (§ 1 UWG) ............................................................. a) Sittengesetz und gute Sitten ....................................................... b) Materiale Wertethik .................................................................... c) Konventionalnormenlehre .............................................. ............ d) Funktionalistische Lehre ................................................ ............ e) Kombinationslehre der Rechtsprechung ..................................... Aufgabe des Verbotsgrundsatzes und Stellungnahme ......................

B. Das materielle allgemeine Preisrecht - Recht der Preisbildung ................... ..... I. Verhältnis von UWG und GWB ......................................................... ..... II. Vertikale Preisbindung ........ ................................ .............................. ...... 1. VerbotvonPreisbindungen(§15GWB) ................. ........................ a) Tatbestand .......................................................... .............. .. ........ aa) Unternehmen ..................................................................... bb) Erstverträge ....................................................................... cc) Zweitverträge ..................................................................... dd) Beschränkung der Marktpreisbildung ............................... b) Rechtsfolgen ............................................................................... 2. Verbot von Preisempfehlungen (§ 38 Abs. 1 Nr. 12 GWB) ............. 3. Zulässigkeit unverbindlicher Preisempfehlungen für Markenwaren (§ 38 a GWB) ..................................................................................... 4. Stellungnahme .................................................. .. ... .. ... .... .. ...... .. ... .. ... II I. Horizontale Preiskartelle und Preisabsprachen .... ........... ... ..... ........ ... ...... 1. Kartell als Form marktwidriger Privatheit ....... ........ ... ..... ... ..... ... ...... 2. Allgemeines Kartellverbot (§ 1 GWB) ......... .................................... a) Tatbestand .................................................................................. aa) Verträge und Beschlüsse ................................................... bb) Gemeinsamer Zweck ........ .................... .......... .......... ......... cc) Beschränkung der Marktpreisbildung ............................... dd) Kausalzusammenhang zwischen Vertrag und Wettbewerbsbeschränkung ..................................................................... ee) Spürbarkeit der Marktbeeinflussung ................................. b) Rechtsfolgen ............................................................................... 3. Verbot von Preisabsprachen (§ 25 Abs. 1 GWB) ......... .................... 4. Marktinformationsverfahren ...................................... .. .............. .. ... .. 5. Ausnahmen vom Kartellverbot ............................... ..........................

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Inhaltsverzeichnis a) Anmelde-, Widerspruchs- und Erlaubniskartell ......................... b) Konditionenkartell (§ 2 GWB) ................................................... c) Rabattkartell (§ 3 GWB) ............................................................ d) Höherstufiges Rationalisierungskartell (§ 5 Abs. 3 GWB) ........ e) Kooperationskartell und Bagatellkartell (§ 5 b GWB) ............... 6. Stellungnahme.................................................................................. IV. Hochpreispolitik ...................................................................................... I. Zur Notwendigkeit von Preiskontrollen ........................................... 2. Hochpreispolitik als Preismißbrauch marktbeherrschender Unternehmen (§ 22 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 GWB) .................................................. a) Zweck: Verhinderung kundenbezogenen Mißbrauchs ............... b) Marktmachtkonzept .................................................................... aa) Sachlich, räumlich und zeitlich relevanter Markt .............. bb) Marktbeherrschung (§ 22 Abs. I GWB) ........................... cc) Oligopolklausel (§ 22 Abs. 2 GWB) ................................. dd) Vermutete Marktbeherrschung (§ 22 Abs. 3 GWB) .......... c) Preismißbrauch ........................................................................... aa) Als-Ob-Wettbewerbspreis ................................................. bb) Räumliches Vergleichsmarktkonzept ................................ cc) Zeitliches Vergleichsmarktkonzept ................................... dd) Konzept der Gewinnbegrenzung .......... .................. ........... d) Rechtsfolgen ............................................................................... 3. Hochpreispolitik als unlautere Wettbewerbshandlung (§ I UWG) .. 4. Stellungnahme .................................................................................. V. Niedrigpreispolitik ............................................. .. ...... .. ............................ I. Zu lässigkeit der Niedrigpreispolitik ................................................. 2. Niedrigpreispolitik als Preisunterbietung marktbeherrschender Unternehmen (§ 22 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 GWB) ............................................. 3. Niedrigpreispolitik als Preisunterbietung durch Unternehmen mit überlegener Marktmacht (§ 26 Abs. 4 GWB) .................................. a) Überlegene Marktmacht ............................................................. b) Preisunterbietung als unbillige Behinderung von Wettbewerbern c) Rechtsfolgen ............................................................................... 4. Niedrigpreispolitik als unlautere Wettbewerbshandlung (§ I UWG) a) Gesetzesverletzung ..................................................................... b) Vernichtungsabsicht ................................................................... 5. Stellungnahme .................................................................................. VI. Preisdifferenzierung ................................................................................. I. Formen der Preisdifferenzierung ...................................................... 2. Preisdifferenzierung als Preis- und Konditionendiskriminierung (§ 26 Abs. 2 GWB) .......................................................................... a) Marktstarke Unternehmen .......................................................... b) Verbot unterschiedlicher Behandlung gleichartiger Unternehmen c) Preisdiskriminierung ..................................................................

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Inhaltsverzeichnis d) Rechtsfolgen ............................................................................... Preisdifferenzierung als Preis- und Konditionenspaltung (§ 22 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 GWB) ............................................................................... 4. Preisdifferenzierung als unlautere Wettbewerbshandlung (§ I UWG) 5. Preisdifferenzierung gegenüber Endverbrauchern als verbotene Rabattgewährung (§ I RabattG) ........................................................... 6. Stellungnahme................ ..................................................................

13 294

3.

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3. Teil Das besondere Preisrecht sektorspezifische Systeme der Preisbildung A. Rechtsgrundlagen des besonderen Preisrechts .... .. ............................................ I. Vorbemerkungen ..................................................................................... 11. § 2 Preisgesetz - die Generalklausel staatlicher Preispolitik .................... III. Die Zweite Preisfreigabeverordnung von 1982 und sonstige Rechtsgrundlagen staatlicher Preispolitik ........................................................... IV. Das weitere Vorgehen .............................................................................. B. Das Preisrecht in natürlichen Ausnahmebereichen des Wettbewerbs ................ I. Preisregulierung im natürlichen Monopol - das Beispiel der Elektrizitätswirtschaft ................................................................................................. I. Marktordnung und Branchenstruktur ............................................... 2. Ex post-Preiskontrolle nach GWB ................................................... 3. Tarifpreiskontrolle nach EnWiG und BTO Elt ................................. a) Rechtsgrundlage(§ 7 Abs. 1 EnWiG) ........................................ b) Tarifpreisaufsicht (§ 12 BTO Eh) .............................................. c) Stellungnahme ............................................................................ 4. Höchstpreise für Konzessionsabgaben ............................................. 5. Mindestpreise für die Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen ............................................................................................... 11. Preisregulierung im natürlichen Monopson - Kalkulationsvorschriften der Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VPöA) ....... I. Rechtsgrundlage (§ 2 PreisG) ........................................................... 2. Anwendungsbereich ......................................................................... 3. Vorrang der Marktpreisermittlung .................................................... 4. Ermittlung von Selbstkosten preisen ................................................. 5. Preisprüfung ..................................................................................... 6. Stellungnahme .................................................................................. 111. Regulierung ärztlicher Honorarvereinbarungen - das Zusammenwirken ideeller Werte und ökonomischer Besonderheiten ................................... 1. Begriff und ideeller Wert der Freiberuflichkeit ................................ 2. Ökonomische Besonderheiten medizinischer Waren und Leistungen 3. Vergütung von Leistungen an privat versicherten Patienten ............

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Inhaltsverzeichnis 4. Vergütung von Leistungen an gesetzlich versicherten Patienten 5. Stellungnahme .................................................................................. IV. Preisregulierung pharmazeutischer Produkte ...... ..................................... 1. Festbeträge auf der Herstellerebene .................................................. a) Gesetzesregelung ........................................................................ b) Stellungnahme ............................................................................ 2. Höchstzuschläge auf der Großhandelsstufe .............. .................. ...... 3. Festzuschläge auf der Einzelhandelsstufe ......................................... V. Sicherung der allgemeinen Preisstabilität durch ex ante-Preiskontrollen vermachteter Wirtschaftssektoren ............................................................ 1. Vorbemerkungen .............................................................................. 2. Preisstandssicherung durch partielle Preiskontrollen? ..................... 3. Preisstandssicherung durch Förderung der Preisflexibilität

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C. Das Preisrecht in politischen Ausnahmebereichen des Wettbewerbs ...............

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I.

11. 111.

Preisrecht und Agrarpolitik: Preissysteme für landwirtschaftliche Erzeugnisse und das Beispiel der Getreidemarktordnung ...... .......... ........... 1. Agrarpolitische Ziele ............................................................. ...... ..... 2. Preissysteme .................... ................................................................. 3. Getreidemarktordnung ...................................................................... 4. Stellungnahme .................................................................................. Preisrecht und Wohnungspolitik: Preisbindung und Kappungsgrenzen für Mietwohnungen ................................................................................. Preisrecht und Kulturpolitik: Preisbindung für Verlagsprodukte ...... ...... 1. Zu lässigkeit der Preisbindung .......................................................... 2. Theoretische Lückenlosigkeit des Preisbindungssystems ........ ........ 3. Praktische Lückenlosigkeit des Preisbindungssystems .................... 4. Stellungnahme ..................................................................................

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Zusammenfassung ................................................................................................

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Literaturverzeichnis .......................... ...................................................................

388

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abdr. Abs. AcP AfP AMG AMPreisV Anm. AO Art. Aufl. AVBEltV BAGE BayVerfGH BAnz. BB Bd. BGB BGB!. BGH BGHZ BKartA BMPT BRAGO bspw. BTO Elt BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. ca. ch. cic c.i.f. d.

anderer Ansicht Abdruck Absatz Archiv für civilistische Praxis Archiv für Presserecht Arzneimittelgesetz Arzneimittelpreisverordnung Anmerkung Abgabenordnung Artikel Auflage Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Bundesanzeiger Der Betriebs-Berater Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilrechtssachen Bundeskartellamt Bundesministerium für Post und Telekommunikation Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung beispielsweise Bundestarifordnung Elektrizität Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise cIrca chapter culpa in contrahendo cost, insurance, freight der, des

16 DB DBW ders. d.h. dies. Diss. DöV DSWR DVBI. EBM ed. EGV endg. EnWiG Erg. Erg. d. Verf. erw. EStG ESZB EU EuGH EuR EUV EVU EWGV EWS EZB f FAZ ff Fn.

fO.b. FS GeschäftsO GewStG GG Glnr. GOÄ GOZ grdl. GRUR GRUR Int. GS GüKG

Abkürzungsverzeichnis Der Betrieb Die Betriebswirtschaft derselbe das heißt dieselbe Dissertation Die öffentliche Verwaltung, Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik Deutsches Steuer- und Wirtschaftsrecht Deutsches Verwaltungs blatt Einheitlicher Bewertungsmaßstab Edition Vertrag über die Europäische Gemeinschaft endgültig Energiewirtschaftsgesetz Ergänzung Ergänzung des Verfassers erweitert( e) Einkommensteuergesetz Europäisches System der Zentral banken Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Europarecht Vertrag über die Europäische Union Energieversorgungsunternehmen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Währungssystem Europäische Zentralbank folgende (Seite) Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende (Seiten) Fußnote free on board Festschrift Geschäftsordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gliederungsnummer Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte grundlegend Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR Internationaler Teil Der Gerichtssaal Güterkraftverkehrsgesetz

Abkürzungsverzeichnis GVBI. GWB Habil. Herv. d. Verf. HFR HGrG HOAI Hrsg. HStR HVerfR HWG i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.S. i.V.m. JbNSt JuS

JZ KAV KG KK kWh lit. LKartA LM LMBG LS LSP Lst. LuftVG MDR MHG MIV MuW l11.w.N. l11.z.N. Nachdr. neubearb. NJW NJW-RR Nr.

2 Hauptkorn

17

Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Habilitation Hervorhebung des Verfassers Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Haushaltsgrundsätzegesetz Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Herausgeber Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Benda, Ernst! Maihofer, Werner/ Vogel, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts. Heilmittelwerbegesetz in der Fassung in der Regel im Erscheinen im engeren Sinne im Sinne in Verbindung mit Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik Juristische Schulung Juristenzeitung Konzessionsabgabenverordnung Kammergericht Kasseler Kommentar Kilowattstunde Ii tera, Buchstabe Landeskartellamt Lindenmaier-Möhring - Nachschlagewerk des BGH Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz Leitsatz Leitsätze f. d. Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten Lehrstuhl Luftverkehrsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Regelung der Miethöhe Marktinformationsverfahren Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen Nachweisen Nachdruck neubearbeitete Neue Juristische Wochenschrift N JW -Rechtsprechungs-Report Nummer

18 OLG o.V. PAngV PBefG

Pf. PreisG ProdHaftG RabattG RdE Rdnr. RG RGBI. Rspr. S. SGB Sig. sog. Ss. st. Rspr. StabG StGB SZ

T TAufhG TB überarb. u.v.m. UWG v.a. VAG VerbrKrG Verf. VO VPöA VVDStRL w.N. WiGBI. WiSt WiStG

WM WoBindG WRP

Abkürzungsverzeichnis Oberlandesgericht ohne Verfasser Preisangabenverordnung Personenbeförderungsgesetz Pfennig Preisgesetz Produkthaftungsgesetz Rabattgesetz Recht der Elektrizitätswirtschaft Randnummer Reichsgericht Reichsgesetzblatt Rechtsprechung Seite, Satz Sozialgesetzbuch Sammlung der Rspr. des EuGH sogenannt Spiegelstrich ständige Rechtsprechung Stabilitätsgesetz Strafgesetzbuch Süddeutsche Zeitung Tonnen Tarifaufhebungsgesetz Tätigkeitsbericht des Bundt;skartellamts überarbeitete und viele(s) mehr Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Verbraucherkreditgesetz Verfasser Verordnung Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen Veröffentlichung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer weitere Nachweise Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Wirtschatswissenschaftliches Studium Wirtschaftsstrafgesetz WertpapierrniUeilungen Wohnungsbindungsgesetz Wettbewerb in Recht und Praxis

Abkürzungsverzeichnis WuW WuW/E ZfbF ZHR zit.

ZPO ZRP zust.

2*

Wirtschaft und Wettbewerb Entscheidungssammlung der WuW Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend

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1. Teil

Grundlagen des Preisrechts A. Problemstellung I. Recht und Ökonomie "Alles hat entweder einen Preis, oder eine Würde .... Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis ... das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d.i. Würde" - Immanuel Kant l . Der "Preis (pretium) ist das öffentliche Urteil über den Wert einer Sache" - Immanuel Kane. Nach der marktwirtschaftlichen Theorie bilden sich Preise auf Märkten durch das Zusammenspiel von Angebot und NachfrageJ . Die Preishöhe entspricht dem in Geld ausgedrückten Tauschwert dieses Angebots·.

I J. Kam, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, ed. Weischedei, Bd. 6, 1983, S. 68; vgl. den Überblick zum Zusammenhang ökonomischer und gesellschaftlicher Werte in den Entwürfen von Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Thomas Morus, Karl Marx, Adam Smith, Ricardo, lohn Stuart Mill, Alfred Marshali, lohn M. Keynes, Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Wilhelm Röpke: J. Starbatty, Das Wertebewußtsein im nationalökonomischen Denken, in: R. Biskup, Werte in Wirtschaft und Gesellschaft, S. 77 ff.; detaillierter: H. C. Recktenwald, Geschichte der Politischen Ökonomie, 1971. Wenn im folgenden der Begriff der Gesellschaft verwendet wird, soll damit nicht ein Gegensatz von Staat und Gesellschaft reklamiert werden. Einen solchen kann es in einer Republik nicht geben, vgl. K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS f. W. Thieme, 1994, S. 223: "denn die Trennung von Staat und Gesellschaft ist Kennzeichen des liberalen Konstitutionalismus, welcher die Herrschaftlichkeit der Gesetzgebung voraussetzt und die Freiheit als unpolitischen Bereich des Privaten, durch sogenannte Freiheiten abgesteckt, schützt."; ders., Republikanische Freiheit, in: Staatsphilosophie und Rechtspolitik: FS M. Kriele, 1997, S. 838 ff.

1

J. Kam, Die Metaphysik der Sitten, ed. Weischedei, Bd. 7, 1983, S. 403.

3 Vgl. stellvertretend für viele M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre II: Produktion, Nachfrage und Allokation, 2. Aufl. 1987, S. 10 ff., 32 ff., 134 ff.

22

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Klassische Nachfragetheoretiker bilden die Preisbildung selbst als anonymen, quasi naturwüchsigen Prozeß ab 3 , dessen Logik sie in mathematischen Modellen zu fassen versuchen 6 • Diese Methode wird jedoch zunehmend hinterfragt': Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften hat sich ein Forschungsgebiet der sogenannten Wirtschaftsethik herausgebildet, deren Vertreter jedes "mythische Konzept" eines sich selbst regulierenden Marktes kritisieren, da es die Einbindung der Marktrationalität in Kriterien der lebenspraktischen Vernunft vernachlässige oder sogar unmöglich mache8 • Sie plädieren für eine Erweiterung oder zumindest für eine Ergänzung des ökonomischen Rationalitätsverständnisses, meist in Form einer Integration unter das Prinzip praktischer Vernunft, das sie der kantianischen Transzendentalphilosophie entnehmen 9 . In gewissem Sin-

4 Jedes Angebot - die Wirtschaftswissenschaften sprechen von ökonomischen Gütern - kann und soll spezifische Bedürfnisse befriedigen; deren Bestimmung liegt jedoch außerhalb des Erkenntnisbereichs und Erkenntnisinteresses der "reinen" ökonomischen Theorie, vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre H, S. 151 ff., 105 ff., 116 ff., 283 ff.

3 Gern wird auf Adam Smiths Begriff der "Unsichtbaren Hand des Wettbewerbs" zurückgegriffen. Dieser bezeichnet den Zusammenhang von mikroökonomischer Bedarfs-I Produktionsplanung und gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt. Smith drückt diesen sehr plastisch aus: "Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe", A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, Buch I, Entstehung und Verteilung des Sozialprodukts, 1974, S. 17. Zu Smiths Philosophie H. Recktenwald, Geschichte der Politischen Ökonomie, 1971, S. 55 ff.; P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", ZRP 1993, S. 383 ff., beschreibt den Markt als hingegen als Kultur-, nicht als Naturzustand. 6 "Unter einem ökonomischen Modell versteht man ein strukturgetreues ('homomorphes') vereinfachtes Abbild der ökonomischen Wirklichkeit oder eines Ausschnittes davon", R. Henn, Der Modellbegriff in den Wirtschaftswissenschaften, in: FS f. E. Heuß, 1987, S. 48l. 7 J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 69, bezeichnet jeden Versuch, von der formal-mathematischen Ausrichtung abzukehren, als Fortschritt.

8 Einen Überblick über diese Forschungsrichtung gibt der Sammelband Forum für Philosophie, Bad Homburg, Markt und Moral: Die Diskussion um die Unternehmensethik, 1994; zusammenfassend H. Kreikebaum, Grundlagen der Unternehmensethik, 1996; diese Arbeit konzentriert sich v.a. auf die Positionen von P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 1997; ders., Transformation der ökonomischen Vernunft, 2. Aufl. 1987 und H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, 1991. 9 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 6, 1983, S. 174; aus der Wirtschaftsethikliteratur: P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 106 ff., 168 ff., 343 ff.; ders., Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 96 ff., 186 ff.; ders., Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik - ein Rahmenkonzept, in: Forum für Philosophie, 1994, S. 102 ff.; K. Homann, Markt, Staat und Freiheit im Liberalis-

A. Problemstellung

23

ne knüpft die Wirtschaftsethik damit an die sogenannte ordoliberale Schule (Alfred Müller-Armack, Franz Böhm, Walter Eucken) an, deren wirtschaftssystematische Überlegungen sich zum Konzept der sozialen Marktwirtschaft verdichten lassen 1o . Ordoliberale betonen den wechselseitigen Zusammenhang von Privatwirtschaft und Staat im Sinne einer staatlichen Verantwortung für die Funktionalität des Wettbewerbs, da und sofern dieser dem Gemeinwohl zuträglich ist. Im Vordergrund des Interesses steht also die dienende Funktion, im Sinne einer effizienten und sicheren Versorgung breiter Bevölkerungskreise. Dieser Standpunkt läßt sich wiederum auf Kant zurückführen, für den eine Trennung von Markt und Staat nie in Frage kam. In seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten stellt er klar:

mus, in: E. Boettcher et al.: Jahrbuch Neue Politische Ökonomie, 2. Bd., 1983, S. 325 ff.; ders., Marktwirtschaft und Unternehmensethik, in: Forum für Philosophie, S. 109 ff. 10 Die theoretischen Grundlagen des Ordoliberalismus und der sozialen Marktwirtschaft bei W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Nachdr., 1969, S. 20 ff., 152 ff., 187 ff.; F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933, S. 104 ff.; ders., Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung, Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 141 ff., A. Müller-Armack, Genealogie der sozialen Marktwirtschaft, 2. Auf!. 1981; die Idee der sozialen Marktwirtschaft definiert ders., Soziale Marktwirtschaft, in: ders., Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, 1966, S. 245: "Soziale Marktwirtschaft kann als eine ordnungs politische Idee definiert werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden"; eine adjektivlose Marktwirtschaft fordert F.A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1971, 3. Auf!. 1991, S. 287 ff.; zu den für die Entstehung des Grundgesetzes maßgeblichen wirtschaftspolitischen und wirtschaftstheoretischen Vorstellungen vgl. M. Kriele, Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, ZRP 1974, S. 105 ff.; J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, in: H.F. Wünsche, FS L. Erhard, 1996, S. 68 ff., 74 ff.; C. Schmid, Grundfragen moderner Wirtschaftspolitik, 1958; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 71 ff., 88 ff.; Marktwirtschaft braucht v.a. Rechtssicherheit: M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 5. Auf!. 1994, S. 178; P. Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstrukturen in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 23 (1966), S. 78 ff.; W. Gerke, Neuorientierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, in: K.A. Schachtschneider, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Umbruch : FS der Wirtschafts- und Sozialwirtschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nümberg, 1995, S. 48 ff., 55, ordnet die soziale Marktwirtschaft ein in eine Darstellung, in der die möglichen Kombination von individueller Wirtschaftsplanung und staatlicher Planung abgebildet sind. Das Spektrum reicht von der Anarchie, über den Kapitalismus zur sozialen Marktwirtschaft, dann über den Sozialismus zum Kommunismus. Gerke weist nach, daß die soziale Marktwirtschaft am besten geeignet ist, das Gemeinwesen wirtschaftlich und gesellschaftlich voranzubringen. V gl. auch unten unter 1. Teil, C. I. 1.

24

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts "Denn es hat nichts einen Wert, als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt"lI.

Dieser Satz ist für die vorliegende Untersuchung leitend. Ökonomische Argumente sind bei der Beurteilung ökonomischer Sachverhalte zwar heranzuziehen, können jedoch keinen normativen Geltungsanspruch für sich beanspruchen, denn es gilt der Primat des Rechts l2 • Entsprechend ist der Wettbewerbsbegriff, dem hier gefolgt werden soll, kantianisch, nämlich "Wettbewerb als res publica und res privata"'3, als "staatliche Veranstaltung"14 privaten Wirtschaftens. Peter Häberle fordert eine "Verfassungstheorie des Marktes". Der Markt sei" 'verfaßt' , d.h. er meint den Menschen nicht im Naturzustand ('status naturalis'), sondern im 'status civilis', d.h. Kulturzustand. Der Markt

11 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69; vgl. auch zur Wohlfahrt als Voraussetzung bürgerlicher Sittlichkeit: ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 518 ff. 12 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 193 ff.; der Terminus "Recht" betont das Erfordernis eines "sittlichen" Gesetzgebungsverfahrens. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 149: "Die Achtung vor dem kategorischen Imperativ, der gute Wille des Gesetzgebers also, macht aus Gesetzen Recht.", S. 148: "Gesetzlichkeit wird zur Herrschaft, wenn sie das Recht verfehlt. " , vgl. auch 275 ff., 519 ff., 819 ff., 902 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 9 ff.; zur begrifflichen Unterscheidung von Recht und Gesetz vgl. W. Heyde, Rechtsprechung, HVerfR, S. 1627 ff.; Recht als prozedurale, prinzipiengeleitete Richtigkeit bei R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 139 ff., 201; P. Kunig, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 50 zu Art. I; anders der Gesetzespositivismus, der geprägt ist v.a. von C. Schmitt, Legalität und Legitimität 1932, 5. Aufl. 1993, S. 27 ff.; G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 11. Aufl. 1964; zum Begriff Recht aus der Perspektive des juristischen Historismus, Positivismus, Realismus und Idealismus vgl. die Aufsatzsammlung von W. Maihofer, Begriff und Wesen des Rechts, 1973; vgl. auch M. Kriele, Rechtspflicht und die positivistische Trennung von Recht und Moral, in: ders.: Recht Vernunft Wirklichkeit, 1990, S. 453 ff., weiterführend unten unter 1. Teil, B. III. 3 u. C. VIII.

13 K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 396, zu den republikanischen Grundprinzipien S. I ff.; zum republikanischen Freiheitsbegriff S. 253 ff., zur republikanischen Staatlichkeit S. 519 ff.; zum Begriff der Republik 1. lsensee, Republik - Sinnpotential eines Begriffs, JZ 1981, S. I ff., und die Antwort von W. Henke, Zum Verfassungsprinzip der Republik, JZ 1981, S. 249 ff.; ders., Die Republik, HStR, Bd. I, 1987, § 21, S. 863 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl. 1994, S. 156 ff.; weiterführend unten unter I. Teil, B. III. u. C. VIII. 14 L. Miksch, Wettbewerb und Wirtschaftsverfassung, in: Ludwig Erhard Stiftung, S. 178, dieses Schlagwort bezieht sich auf die Stelle: "Die Wettbewerbspolitik des Staates, deren Bedeutung die Klassiker nicht oder nicht genügend erkannt haben, rückt in den Mittelpunkt, aus der 'Naturordnung' wird eine staatliche Veranstaltung"; den Begriff verwendet auch K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 195.

A. Problemstellung

25

darf kein 'bellum omnium contra omnes' sein"I!. Wettbewerbliche Preisbildung kann unter republikanischen Gesichtspunkten nur nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze stattfinden. Diese müssen, um das Recht aller Bürger auf Recht zu verwirklichen, durch den Gesetzgeber als Vertreter des ganzen Volkes nach Maßgabe der Sittlichkeit (Art. 38 GG) materialisiert werden l6 • In der Republik steht wettbewerbliche Preisbildung deshalb unter dem Primat des Rechts. Das Preisrecht, die Regeln der Preisbildung also, soll verfassungskonform formuliert und durchgesetzt werden l7 . Ernst-Joachim Mestmäcker spricht vom "verwalteten Wettbewerb"18; Karlheinz Kleps geht sogar so weit, daß er die "freie Marktpreisbildung", im Sinne einer individuellen, von Gesetzen völlig unabhängigen Preisbildung, für ein theoretisches Konstrukt. ohne empirische Relevanz hält l9 • Der hier verfolgte Untersuchungs ansatz unterscheidet sich von dem einer (ausschließlich) ökonomischen Analyse des Rechts20 , die vom sogenannten Coase-Theorem21 , nach dem private Verhandlungen unter bestimmten Voraussetzungen zu einer volkswirtschaftlich effizienten Allokation der Ressourcen führen, ausgeht und auf den konzeptionellen Grundlagen des Utilitarismus und vertrags theoretischer Ansätze fordert, das Recht nach Gesichtspunkten der ökonomischen Effizienz umzugestalten. Derartige Versuche, das Effizienzziel zum überragenden Ziel der Rechtspolitik zu erheben, greifen zu kurz 22 • Sie stehen im Widerspruch zur republikanischen Konzeption vom Primat des Rechts. Effi-

I! P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 383. 16 Vgl. K.A. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, S. 845 ff.; weiterführend unten unter I. Teil, B. III. 3. 17

Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Preisrechts unten unter 1. Teil, C.

18

E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 78 ff.

19 Vgl. das Vorwort zum Lehrbuch von K. Kleps, Staatliche Preispolitik: Theorie und Realität in Markt- und Planwirtschaft, 1984, S. VII ff. 20 Vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995; Abdr. wichtiger Beiträge bei H.-D. Assmann / C. Kirchner / E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 1993; kritisch P. Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), S. 625; ders., Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, in: Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, Schriften des Vereins für Socialpolitik, 1984, S. 89 ff.; H.-D. Assmann, Die Transformationsprobleme des Privatrechts, in: ders. / C. Kirchner / E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 44 ff.; vgl. auch W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 24 ff.

21 Vgl. R.H. Coase, The Problem of Social Cost, dt. Abdr. in: H.D. Assmann / C. Kirchner / E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 146 ff. 22 Vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 321 ff., hält diese Versuche für gescheitert.

26

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

zienzgesichtspunkte als bestimmendes Rechtsprinzip widersprechen der politischen Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG 23 . "Der Markt ist nicht das Maß aller Dinge und schon gar nicht das Hauptrnaß des Menschen"24. Es " ... gibt Grenzen für die Ökonomisierung der Rechtsverhältnisse, sie liegen in den Wertsetzungen der Verfassung" - Peter Häberle 23 . Effizienz läßt sich "nicht normativ aus dem Nichts bestimmen"26. Ökonomische Rationalität ist nicht identisch mit dem verfassungsrechtlichen Begriff praktischer Vernunft. Sehr wohl können ökonomische Rationalität und praktische Vernunft im Einzelfall zu einem gleichen Urteil führen. Eine derartige Parallelität gilt jedoch nur für den Einzelfall und läßt sich keinesfalls generalisieren. Weiterführender als eine Dualität der Begriffe und Betrachtungen und richtiger als die Forderung nach unbedingtem Vorrang ökonomischer Effizienz ist es, die ökonomische Freiheit mit den anderen Wertentscheidungen der Verfassung zusammenzuführen, um dadurch zu einer praktisch vernünftigen Wirtschafts- und Preispolitik zu finden 27 . Ähnlich hält auch Peter Häberle fest: "Die politische (und das heißt demokratische) Freiheit und die wirtschaftliche sind - auch als Ausdruck der einen Würde des Menschen - gewiß unteilbar, insofern gehören soziale Marktwirtschaft und freiheitliche Demokratie im Verfassungsstaat unteilbar zusammen. "28 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß die wechselseitige Bedingtheit von Ökonomie und Recht in unterschiedlichster Form Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist. Sofern die Erkenntnisse der jeweils anderen Forschungsdisziplin jedoch nur als Randnotiz abgehandelt werden, kann ein wirklicher, interdisziplinärer Erkenntnisgewinn nicht erwartet werden 29 . Eine gegen-

23 Dazu unten unter I. Teil, B. III. 3. u. C. VI. 2 u. 3. 24

P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 387.

23 P. Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, S. 69.

26 P. Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, S. 71; zum Effizienzbegriff vgl. unten unter 1. Teil, B. I. 2.

27 Weiterführend unten unter I. Teil, B. III. 28

P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 387.

29 Freilich gibt es Ausnahmen. Der ökonomischen Theorie gibt argumentatives Gewicht: W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. I, 1983, S. 40 ff.; vgl. auch ders., Recht und wirtschaftliche Freiheit, Bd. I: Die Freiheit des Wettbewerbs, 1992; E.-J. Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, 1992; ders., Regelbildung und Rechtsschutz in marktwirtschaftlichen Ordnungen, 1985; W. Mäschel, Rechtsordnung zwischen Plan und Markt, 1975, S. 35 ff.; in der wettbewerbsrechtlichen Literatur finden sich Verweise auf wettbewerbstheoretische Zusammenhänge häufig, reichen jedoch selten weiter als bis zum Begriff der Wettbewerbsfunktionalität, anders V. Emmerich, Kartellrecht, 7. Aufl. 1994, S. 6 ff.; den Anspruch der Interdisziplinarität erreicht J.

A. Problemstellung

27

seitige Befruchtung der Standpunkte setzt die ehrliche Bereitschaft voraus, sich auf das Vokabular, die Methodik und den Meinungsstreit anderer Forschungszweige einzulassen, und die eigenen Erkenntnisse vor diesem Hintergrund zu reflektieren 30 • Die vorliegende Arbeit versucht, sich diesem ambitionierten Vorsatz zu stellen, und untersucht die allgemeinen preisrechtlichen Tatbestände, die wirtschaftspolitischen Ansätze der Preisstandssicherung und eine Auswahl volkswirtschaftlich bedeutsamer sektorspezifischer Preisregelungen vor dem Hintergrund wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse und verfassungsrechtlicher Grundsätze. Zunächst soll jedoch der Begriff des Preises präzisiere 1 und die in dieser Arbeit getroffene Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Preisrecht verdeutlicht werden 32 •

11. Der Begriff des Preises Preistheoretische und preispolitische Themen werden in der Literatur unter unterschiedlichen Stichworten diskutiert. Gebräuchlich sind die Termini des ökonomischen, politischen, administrierten und juristischen Preises 33 , die im folgenden erläutert werden. Ergänzend wird das Begriffspaar des privaten und staatlichen Preises vorgestellt, das für eine Diskussion der preisrechtlichen Problematik unter dem Primat des Rechts besonders geeignet erscheint. Auf Tatbestände des einfachen Preisrechts soll an dieser Stelle nur exemplarisch verwiesen werden. Diese werden dann im zweiten und vor allem dritten Teil dieser Arbeit ausführlich besprochen. J. Die ökonomische Unterscheidung zwischen Markt- und Gleichgewichtspreisen Bis heute bildet die bereits von Adam Smith, dem prominentesten Vertreter der klassischen Ökonomie, entworfene Theorie der Gleichgewichtspreise das

Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 5. Aufl. 1996; in der betriebswirtschaftlichen Literatur behandelt juristische Fragen detailliert D. Ahlert / H. Schröder, Rechtliche Grundlagen des Marketing, 1989. 30 Ein ehrliches Bemühen, ökonomische Modelle und juristische Kategorien in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen fordert etwa D. Schmidtchen, Property Rights, Freiheit und Wettbewerbspolitik, 1983, S. 5 ff.

31

Vgl. unten unter I. Teil, A. 11.

32 Vgl. unten unter I. Teil, A. 111; das allgemeine Preisrecht detailliert im 2. Teil, das besondere im 3. Teil. 33 Diese Unterscheidung findet sich bei W. Henke, Preisvorschriften in der Marktwirtschaft, WiSt 3 (1974), S. 345 ff.

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

28

Kernstück der Lehre von der Marktwirtschaft3 4 • Bereits hier werden die Begriffe des Marktpreises und des natürlichen oder Gleichgewichtspreises unterschieden 35 . Demnach bilden sich Marktpreise kurzfristig aus Angebot und wirksamer Nachfrage und drücken als absolute Größe das Tauschverhältnis des betrachteten Gutes in Geldeinheiten aus. Adam Smith zeigt, daß unter den Bedingungen "vollkommener Gewerbefreiheit" und "freier Konkurrenz" der Marktpreis langfristig zum sogenannten Gleichgewichtspreis tendiert, der wiederum so hoch ist, daß die Preise für die drei Produktionsfaktoren, also Bodenrente, Arbeitslohn und Kapitalzins, in Höhe ihrer "natürlichen Sätze oder Raten" gezahlt werden können. Die Klassiker versäumten es darzulegen, unter welchen Bedingungen der Preiswettbewerb zu einer totalen Übereinstimmung von Einzel- und Gesamtinteresse führt3 6 • Aus dieser Fragestellung entstand gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Neoklassik, eine mathematische Ökonomie, deren Grundlagen vor allem von Leon Walras (1834-1910) gelegt worden sind 37 • Ihr Konzept des Marktgleichgewichts bestimmt nach wie vor das ökonomische Denken, das sich durch drei Merkmale kennzeichnen läßt: (1) rigorose Abstraktion von der Realität durch das Menschenbild des homo oeconomicus38 , (2) mathematischer

34 Zu den Zusammenhängen und Übergängen einzelner Forschungsrichtungen vgl. etwa J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 63 ff., 76 ff.; näher zur (sozialen) Marktwirtschaft und ihrer Stellung im Verfassungsrecht der Republik vgl. unten unter I. Teil, C. I. u. VI. 35 Zum folgenden grdl. A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 50 ff.; M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 15 ff., 178 f.; ders., Theoretische Volkswirtschaftslehre I: Makroökonomische Theorie, 3. Autl. 1988, S. 60 ff.; Kritik am "Natürlichen" in der ökonomischen Theorienbildung P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 188 ff. 36

Dazu für viele I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 4.

37 Vgl. L. Walras, Mathematische Theorie der Preisbestimmung der wirtschaftlichen Güter, 1972; zur Walras'schen Stabilitätsanalyse und dem Prozeß der sukzessiven Preisanpassung (Tatonnement) vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre I, S. 49 ff.; zum Leben und Werk vgl. H.C. Recktenwald, Geschichte der Politischen Ökonomie, S. 344 ff.; vgl. auch J. Starbatty, Das Wertebewußtsein im nationalökonomischen Denken, in: R. Biskup, Werte in Wirtschaft und Gesellschaft, 1990, S. 77 ff.

38 Das erkenntnisleitende Menschenbild des homo oeconomicus formuliert auf der Basis eines utilitaristischen Nützlichkeitsprinzips (vgl. 1. Teil, B. I u. 11) idealtypische Verhaltensannahmen über den wirtschaftlichen Menschen. Kritisiert wird die Beschränkung des Rationalitätsbegriffs auf eine ökonomische, nutzenmaximierende Zweckrationalität und die Tatsache, daß das Modell die Präferenzen unhinterfragt vorgibt. Vgl. G. Hartfiel, Wirtschaftliche und soziale Rationalität, 1968; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 31 ff., 43 ff.; H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. S.

A. Problemstellung

29

Formalismus, der den interdisziplinären Gedankenaustausch über die Erkenntnisse der Theorie erschwert und (3) Konstruktion geschlossener statischer Modelle, mit deren Hilfe Gleichgewichts-Endzustände bestimmt werden 39 • Kernstück der Neoklassik ist das Gleichgewichtsmodell bei vollständiger Konkurrenz, in dem Anbieter und Nachfrager annahmegemäß keinen Einfluß auf die Höhe des Preises haben; er stellt für sie ein Datum dar40 •

28 ff.; ausführlicher Überblick bei M. Tietzel, Die Rationalitätsannahme in den Wirtschaftswissenschaften oder Der homo oeconomicus und seine Verwandten, Jahrbuch f. Sozialwissenschaften, Bd. 32, 1981, Heft 2; G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus: Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, 1991; kritisch die Verfassungslehre, etwa P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 385. 39 Aus dieser Kritik heraus haben sich zahlreiche Versuche entwickelt, den Wettbewerb als dynamischen Prozeß von Vorstoß- und Verfolgungsphasen darzustellen. Diese sogenannte Theorie des wirksamen Wettbewerbs beurteilt die Wettbewerbsintensität nicht aufgrund des Grades der Übereinstimmung praktischer Gegebenheiten mit den Annahmen der vollständigen Konkurrenz, sondern aufgrund einer Beobachtung der Geschwindigkeit mit der eine Vorzugsstellung im Markt verloren geht, grdl. J.M. Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961; vgl. auch die Kantzenbach I Hoppmann-Kontroverse, FundsteIlen in E. Hoppmann, Die Funktionsfahigkeit des Wettbewerbs: Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderungen, JbNSt 181 (1967), S. 251 ff.; I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. II ff., 46 ff. 4U Prämissen der vollständigen Konkurrenz lassen sich wie folgt zusammenfassen: ( I ) Eigenschaften der Märkte: atomistische Konkurrenz; alle Marktteilnehmer agieren als Mengenanpasser, denn der Preis ist ein Datum; keine persönlichen, räumlichen und zeitlichen Präferenzen; Möglichkeit eines freien Marktzutritts für potentielle Anbieter, ohne sogenannte "versunkene Kosten" (sunk costs!). (2) Eigenschaften der Markt/ei/nehmer: Rationales, d.h. gewinn- und nutzenmaximierendes Verhalten der Marktakteure; vollkommene Markttransparenz ex ante; unendlich schnelle Anpassungsreaktionen auf Änderungen der Marktdaten. (3) Eigenschaften der Güter: identisches Gut; beliebige Dimensionierbarkeit, Ausdehnbarkeit und uneingeschränkte Mobilität sämtlicher Güter und Produktionsfaktoren. (4) Eigenschaften des Tauschmittels: Existenz eines allgemein akzeptierten Tauschmittels (Geld). Detailliert zu den Prämissen und den hier nur knapp erläuterten ökonomischen Zusammenhängen etwa: M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 27 ff., 34; K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. 19 ff.; die Modellbedingungen der vollständigen Konkurrenz formulierte umfassend als erster F.H. Knight, Risk, Uncertainty and Profit, 1921, S. 51 ff. Zu den ökonomischen Kritikpunkten der Neoklassik, insbesondere zu den restriktiven Modellannahmen, vgl. umfassend I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 6 ff.; speziell zur Marktversagenstheorie vgl. B. Frey / G. Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, S. 89, 139, 141,456; M. Fritsch / T. Wein / H.-J. Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 53 ff., 257 ff.; ebenso unten unter I. Teil, D. I. 3 u. 11).

30

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

2. Politische Preise Der homo oeconomicus ist zwar ein Kind der neoklassischen Mikroökonomik, hat als deskriptives Verhaltensmodell jedoch eine bemerkenswerte Ausdehnung erfahren. Der amerikanische Nobelpreisträger James Buchanan hat den ökonomischen Ansatz für die Analyse politischer Vorgänge fruchtbar gemacht und sie unter der Prämisse betrachtet, daß nicht nur Marktteilnehmer sondern auch politische Verantwortungsträger homines oeconomici sind 41 . Damit begründete er eine neue Forschungsrichtung, die als Neue Politische Ökonomie (public choice-Theorie )42 bekannt geworden ist43 . Sie liefert Erklärungen für die These, das politisches Handeln nicht nur von einer sachlichen Gemeinwohlverwirklichung geleitet wird, sondern auch von Partikularinteressen der Funktionsträger, insbesondere von ihrem individuellen Streben nach Macht, Prestige und Einkommen. Dieter Schmidtchen, selbst ein Vertreter dieser Fachrichtung, begründet mit den Erkenntnissen der public choice-Theorie den Begriff und die Existenz politischer Preise. Er versteht darunter Preise, deren Höhe durch staatliche Interventionen mit dem Ziel festgesetzt wird, "per Saldo Wählerstimmen zu gewinnen"44. Andere Autoren sprechen immer dann von politischen Preisen, wenn die Preishöhe sozialstaatlich motiviert ist43 . Tatsächlich begünstigen die

Die vernunftethische Einordnung der ökonomischen Zweckrationalität soll auf einer grundsätzlichen Ebene versucht werden, wobei sich die Darstellung auf eine Auswahl unterschiedlicher Positionen beschränken muß (vgl. I. Teil, B. 11. u. 1II). Schließlich muß das marktwirtschaftliche Preisprinzip im Konzert der Grundrechte beurteilt werden (vgl. unten unter I. Teil, C). 41 Vgl. J.M. Buchanan, From Private Preferences to Public Choice, in: ders., Constitutional Economics 1991, S. 42. 42 Vgl. G. Kirsch, Neue Politische Ökonomie, 3. Aufl. 1993, S. 178 ff., 239 ff., 255 ff.; B. Frey, Public Choice: Ergebnisse der letzten zehn Jahre, WiSt 10 (1991), S. 492 ff.; B. Frey / G. Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik: Theorie und Anwendung, 2. Aufl. 1994, S. 6 ff., 24; H.-G. Petersen, Finanzwissenschaft I, 1990, S. 69 ff.; E. Bättcher, Neue Politische Ökonomie als Ordnungstheorie, 1980; E. Nowotny, Der öffentliche Sektor, 3. Aufl. 1996, S. 64 ff. Auch die republikanische Staatslehre kritisiert die dominierende Stellung der Parteien und die Verfolgung von Partikularinteressen als republikwidrige Parteienherrschaft, in der Machtmechanismen und subjektive Interessen am politischen Amt einer echten Gemeinwohlverwirklichung entgegen stehen, vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff. 43 Hierbei handelt es sich, anders als im klassischen Utilitarismus, um einen deskriptiven Ansatz, vgl. I. Teil, B. I u. 11. 44 D. Schmidtchen, Der "politische Preis", WiSt 3 (1974), S. 17 ff. 43 Vgl. B Frey / G. Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, S. 6 ff., 24.

A. Problemstellung

31

Breitenwirkungen sozialpolitisch begründeter Regelungen einzelne Bevölkerungsgruppen - zumindest kurzfristig - und sind daher durchaus geeignet, Wählerstimmen zu gewinnen. Faßt man den Begriff weiter, läßt sich von politischen Preisen immer dann sprechen, wenn die Preishöhe nicht nur Ausdruck ökonomischer Knappheiten, sondern auch weiterer politischer Interessen ist 4li • Das Politische wiederum ist kein bestimmtes Sachgebiet, sondern umfaßt alles, was das Gemeinwesen, die Polis 47 , betrifft. Die Argumente für eine staatliche Einwirkung auf das Marktgeschehen sind daher ausgesprochen vielfältig und durch einen "ökonomisch-politischen Mischcharakter" geprägt48 • Beispielsweise erlangen bei der Festlegung staatlicher Festpreise neben dem Gesichtspunkt der Kostendeckung auch Aspekte der Einnahmenerzielung oder der Verbrauchslenkung aufgrund gesundheitspolitischer, umweltpolitischer, kulturpolitischer und vieler anderer Erwägungen Bedeutung49 • Ebenso dienen etwa Mietpreisbegrenzungen, Interventionspreisregelungen oder Subventionen struktur- und sozialpolitischen Zwecken50 • Jede Aufzählung von Bestimmungsgründen politischer Preise wäre wohl unvollständig. Insgesamt dienen sie der Begründung politischer Ausnahmebereiche wettbewerblicher Preisbildung, auf die noch

4Ii

Vgl. W. Henke, Preisvorschriften in der Marktwirtschaft, S. 345.

47 Die griechische "Polis": die öffentliche Sphäre, in der das Zusammenleben durch verständigungsorientiertes Reden freier Bürger, nicht durch Zwang oder Gewalt geregelt ist; vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 50 ff.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 216, 339.

48

K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. 35 ff.

Der staatlichen Verbrauchslenkung liegt ein Werturteil über die Vorzugswürdigkeit eines bestimmten Gutes zugrunde. Man unterscheidet meritorische (vorrangige), normale und demeritorische (nachrangige) Güter. Vgl. W. Röck, Versorgung und Preisbildung durch Markt - Macht - Staat, S. 138 ff.; K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. 36 f.; z.B.: S. Meyer, Gebühren für die Nutzung von Umweltressourcen, S. 42 ff. 49

so Beispiele sind die Interventionspreisregelungen und Subventionen im Bereich der Landwirtschaft, des Steinkohlebergbaus, der eisenverarbeitenden Industrie und des Schiffbaus, vgl. P. Henseler, Wirtschaftslenkung durch Subventionen zwischen Förderung und Gefahrdung unternehmerischer Freiheit, S. 205 ff.; die negativen Auswirkungen von Subventionen auf Strukturwandel, Motivation und Allokation beklagen J.B. Donges / K.-W. Schatz, Staatliche Interventionen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18 ff.; beispielsweise kann sich die deutsche Steinkohle angesichts der wachsenden Differenz zwischen deutschen Förderkosten und Weltmarktpreisen im Energiemarkt nur durch Subventionen von 10.4 Mrd. DM (1994) behaupten, weiterführend H.-W. Schiffer, Energiemarkt Bundesrepublik Deutschland, 5. Autl., 1995, S. 205 ff.; vgl. K.D. Schmidt, Im Anpassungsprozeß zulÜckgeworfen. Die deutsche Wirtschaft vor neuen Herausforderungen, 1984, S. 166 ff.; kritisch auch B. Frey / G. Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, S. 270 ff.

32

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

detaillierter eingegangen wirdsI. An dieser Stelle soll jedoch der Hinweis genügen, daß Zielprioritäten in der politischen Praxis unter dem Einfluß von Partikularinteressen stehen, oft diffus bleiben und im Zeitverlauf ständig wechseln. Die Frage nach der Zulässigkeit staatlicher Preisregelungen und -interventionen stellt sich daher immer wieder neu. Sie ist nach Maßgabe der Verfassung und des Kriteriums der praktischen Vernunft zu beantwortenS2 .

3. Administrierte Preise Gardiner C. Means definierte den Begriff des administrierten Preises als Gegenbegriff zum anonym gebildeten Weubewerbspreis: "By an administered price I mean one wh ich is set by administrated action and held constant for aperiod of time"s3.

Im Anschluß daran hat sich die zweckmäßige Unterscheidung privater und staatlicher Formen der Preisadministration in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetztS4 • a) Privat administrierte Preise Privat administrierte Preise sind das Ergebnis einzel wirtschaftlichen, unternehmerischen Handeins der Marktteilnehmer. Ihre praktische Bedeutung steigt mit dem Grad der Abweichung einer Wettbewerbssituation von den modelltheoretischen Annahmen der vollständigen Konkurrenz, da sich den Anbietern erst dadurch ein diskretionärer Spielraum zur Preisbeeinflussung eröffnet55 • In der

51

Weiterführend unten unter I. Teil, D. I. 3 u. III.

Inwiefern ökonomische Erkenntnisse im Rahmen praktisch vernünftiger Politik Bedeutung erlangen können (und sollen), wird unten unter I. Teil, B. III ausgeführt; zum Verfassungsrecht der Preisbildung unten unter 1. Teil, C; tatbestandsspezifische Diskussion im 2. u. 3. Teil der Arbeit. 52

53 G.c. Means, Price Inflexibility and the Requirements of a Stabilizing Monetary Policy, Journal of the American Statistical Association 30 (1935), S. 401. 54 Vgl. S. Wied-Nebbeling, Probleme administrierter Preise, in: F. Böcker, Preistheorie und Preisverhalten, 1982, S. 220 ff.; P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, 1977, S. 21 ff. 55 V gl. J. Siebke, Preistheorie, in: D. Bender, Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 6. Aufl., 1995, S. 61 ff.; unzulässig ist es, allein von der Branchenkonzentration auf das Marktverhalten und das Preisniveau zu schließen, denn Konzentration und Marktmacht sind zu unterscheiden: vgl. M. Kern, Marktmacht, Preiskontrollen und Stabilisierungspolitik, 1983, S. 213 f.; M. Neumann,

A. Problemstellung

33

vollständigen Konkurrenz können sie annahme gemäß nur als Mengenanpasser an ein vorgegebenes Preisniveau reagieren. Die Höhe privat administrierter Preise wird in Deutschland im allgemeinen ex post kontrolliert. Einschlägig sind die Tatbestände der Preismißbrauchskontrolle (§ 22 GWB), des grundsätzlichen Verbots vertikaler Preisbindung (§ 15 GWB), des Preiskartellverbots (§ 1 GWB) und der sittenwidrigen Wettbewerbshandlung (§ 1 UWG, vgl. auch §§ 138, 242 BGB, § 2 a WiStG). Die preisstrategischen Gestaltungsmöglichkeiten der Anbieter sind also vor allem wettbewerbsrechtlich beschränktS6 • b) Staatliche Festpreise Staatlich administrierte Preise lassen sich wiederum in drei Teilgruppen unterscheiden: Festpreise, direkt administrierte Preise und indirekt administrierte Preises7 • Staatliche Festpreise können auch als direkt administrierte Preise im engeren Sinne bezeichnet werden. Sie bilden die planwirtschaftliche Alternative zum Marktpreisprinzips8. Daher kann die Höhe staatlicher Festpreise mehr oder weniger stark von der entsprechender Marktpreise abweichen. Die Festsetzung und Änderung erfolgt vor allem nach politischen Kriterien und weitgehend unabhängig von Angebots- und/oder Nachfrageänderungen. Zur Kategorie der Festpreise zählen z.B. staatliche Gebühren und Beiträge. Gebühren werden vom Bundesverfassungsgericht wie folgt definiert: "Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlaß individuell zurechenbarer, individueller Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlichrechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahmen auferlegt werden und dazu

Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 27 ff., 46 f.; zu den ökonomischen Zusammenhängen unten unter I. Teil, B. I. 2 und detailliert I. Teil, D. 11. S6 Vgl. an dieser Stelle lediglich den Überblick bei D. Ahlert / H. Schröder, Rechtliche Grundlagen des Marketing, S. 230 ff.; zur Diskussion allgemeiner Tatbestände der Preisbildung vgl. unten unter 2. Teil, B. S7 Vgl. K. Kleps, Zur Effizienz genereller Preisstopp-Verordnungen und Preiskontrollen, WiSt 6 (1976), S. 450 ff.; ausführlich P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, S. 21 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, 1977, S. 43 ff. SM Die Gegenüberstellung von Marktwirtschaft und Planwirtschaft folgt der neoliberalen Ordnungstheorie, vgl. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 33 ff., 58 ff.; vgl. auch die soziologische Interpretation bei R. Dahrendorf, Markt und Plan. Zwei Typen der Rationalität, 1966; W. Möschel, Rechtsordnung zwischen Plan und Markt, S. 35 ff.; W. Gerke, Neuorientierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 55 ff.

3 Hauptkorn

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

34

bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken."39 Hingegen sind Beiträge nicht an die konkrete Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung gebunden, sondern als Entgelt für mittelbare Vorteile, d.h. eine vermutete Nutzung öffentlicher Leistungen, anzusehen (z.B. Sozialversicherungsbeiträge)60. Ebenfalls zur Gruppe staatlicher Festpreise zählen Preise für Leistungen, die von Privaten erbracht werden, bei denen die Preishöhe jedoch staatlich fixiert wird 61 • Genannt seien etwa die Pflegesätze stationärer Krankenhausbehandlung oder die Gebührenordnungen freier Berufe62 . Festzuhalten bleibt, daß die vollständige Ausschaltung des Preiswettbewerbs im privaten Sektor die Ausnahme ist. In extremen Not- und Krisensituationen kann sie jedoch zur Regel werden63 • c) Staatlich direkt administrierte Preise Bei staatlich administrierten Preisen bleibt der ökonomische Preismechanismus zwar im Grundsatz bestehen, jedoch werden Preishöhe, Preisstruktur, allgemeines Preisniveau oder Dynamik der Preisentwicklung durch staatliche Einflußnahme begrenzt64 • Eingriffe in die Preisbildung können mit unterschiedlich effizienten und unterschiedlich intensiven Mitteln erfolgen. aa) Stopp- und Höchstpreise Höchst- oder Stopppreise sind festgelegte Preisobergrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Unterhalb der Preisobergrenze besteht keine Beschränkung, so daß sich der Preis gemäß den Marktverhältnissen bilden kann.

39 BVerfGE 7, 244 (254); 18,392 (396); 20, 257 (269); 50, 217 (226); zum Gebührenbegriff S. Meyer, Gebühren für die Nutzung von Umweltressourcen, 1995, S. 42 ff. 60 Zur Abgrenzung der Begriffe Gebühr und Beitrag: l.K. Rogosch, Verfassungsrechtliche Bindungen des Staates bei der Erhebung von Benutzungsgebühren und privatrechtlichen Entgelten, 1985, S. 37 ff.; staatliche Gebühren und Beiträge sind im folgenden kein Gegenstand weiterer Untersuchung.

61

Vgl. P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, S. 39 ff.

62

Zur Honorarvereinbarung vgl. die Arztvergütung unten unter 3. Teil, B. III.

63 Vgl. K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. 56; vgl. die Sicherstellungsgesetze: Wirtschaftssicherstellungsgesetz i.d.F. v. 03.10.1968 (BGBI. I S. 1069); Verkehrssicherstellungsgesetz i.d.F. v. 08.10.1968 (BGBI. I S. 1082); Ernährungssicherstellungsgesetz i.d.F. v. 04.10.68 (BGBI. I S. 1075); Wassersicherstellungsgesetz i.d.F. v. 24.08.1965 (BGBI. I S. 1224); Arbeitssicherstellungsgesetz i.d.F. v. 09.07.1968 (BGBI. I S. 787). 64

Vgl. P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, S. 27 ff., 41, 51 ff.

A. Problemstellung

35

Höchstpreise führen zur Fehlsteuerung, wenn sie auf einem Niveau fixiert werden, das unterhalb der Höhe entsprechender Gleichgewichtspreise liegt6!!. Unterscheiden läßt sich zwischen partiellem und generellem Preisstopp. Im ersteren Fall werden Höchstpreise nur für einzelne Güter und/oder Dienstleistungen, die meist in strukturell verrnachteten Wirtschaftssektoren erbracht werden, festgelegt. Im zweiteren Fall gilt die Begrenzung für die Mehrzahl der angebotenen Güter und Dienstleistungen66 • Eingriffe in den Marktmechanismus durch staatliche Höchstpreisfixierungen sind ex ante oder ex post denkbar. Den geringeren Eingriff stellen ex postBestimmungen dar. Sie überlassen die Preisfestsetzung grundsätzlich dem Gutdünken der Marktparteien, wollen den jeweils schwächeren Marktpartner jedoch im Einzelfall vor Übervorteilung schützen 67 • Während ex anteHöchstpreise einem Preisanstieg (aufgrund von vorübergehenden Angebotslükken oder Nachfragespitzen) von vornherein und generell verhindern soIlen 68 • Hintergrund solcher Maßnahmen ist der Versuch, einzelne Verkehrskreise vor Übervorteilung zu schützen, oder der makroökonomische Versuch, Inflationsgefahren durch Preisstopps einzudämmen69 • bb) Mindestpreise Mindestpreise sollen einen möglichen Preis verfall verhindern, dienen also primär den Interessen der betroffenen Anbieter70 • Wenn die Höhe staatlicher Mindestpreise über der entsprechender Gleichgewichtspreise liegt, kommt es

63

Vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 14,331.

66 Vgl. M. Kern, Marktmacht, Preiskontrollen und Stabilisierungspolitik, S. 6 ff., 28 ff.; K. Kleps, Zur Effizienz genereller Preisstopp-Verordnungen und Preiskontrollen, S. 452 ff.; die Frage staatlicher Preisstopps vgl. unten unter 3. Teil, A. I u. B. V. 67

Zur ex post-Preiskontrolle vgl. unten unter 2. Teil, B.

68

Zur ex ante-Preiskontrolle vgl. unten unter 3. Teil, B u. C.

Vgl. K. Kleps, Zur Effizienz genereller Preisstopp-Verordnungen und Preiskontrollen, S. 455; über (die negativen) Erfahrungen und das Problem der Entstehung von Schwarzmärkten berichtet O.-E. Kuntze, Preiskontrollen, Lohnkontrollen und LohnPreis-Indexbildung in den europäischen Ländern, 1973, S. 10 ff., 114. Über die mangelnde empirische und theoretische Tragfähigkeit des Konzepts der Inflationsbekämpfung durch staatliche Preiskontrolle strukturell vermachteter Industrien: M. Kern, Marktmacht, Preiskontrollen und Stabilisierungspolitik, S. I ff., 211.; der Versuch, die Inflation durch Preiskontrollen einzudämmen, beruht auf fragwürdigen ökonomischen Annahmen und gilt als gescheitert, dazu weiterführend unten unter 3. Teil, B. V. 69

70 Zu den modelltheoretischen Zusammenhängen vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 14 ff.

36

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

zur Vennögensumverteilung von den Nachfragern zu den Anbietern. Gegenüber einer Situation flexibler Preise führt die Fixierung von Mindestpreisen zur Überproduktion bei gleichzeitiger Verringerung der wirksamen Nachfrage. Große praktische Bedeutung haben Mindestpreisvorschriften in Form von Interventionspreisen im Rahmen der Agrarpolitik der Europäischen Union erlangt (vgl. Art. 3 Abs. 11it. b EGV, Art. 40 Abs. 3 EGV und Art. 44 EGV)'I. Bedeutsam sind auch die Preisregelungen zur Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen des Stromeinspeisungsgesetzes72 • cc) Spannen- und Rahmenpreise Spannen- oder Rahmenpreise bilden die Kombination von Höchst- und Mindestpreis. Nur innerhalb staatlich festgelegter Grenzen soll sich der Preis (gemäß Angebot und Nachfrage) bilden und verändern können. Dies ist das Konstruktionsprinzip der Gebührenordnung für Ärzte (§ 5 GOÄ)'] und des Europäischen Währungssystems (vgl. Art. 102 a EWGV, Art. 109 EGV)'4. dd) Handels- oder Gewinnspannenfixierungen Die Handelsspanne ist ein globaler Aufschlag auf den Wareneinstandspreis. Sie dient dazu, die Handlungskosten und die Gewinnansprüche von Großund/oder Einzelhändlern zu befriedigen. Ihre Angabe erfolgt entweder absolut oder in Prozent vom Verkaufspreis7s • Der Staat kann den Preisbildungsspielraum durch die Vorgabe von Handels- oder Gewinnspannen 76 begrenzen. Dabei läßt sich zwischen Höchst-, Mindest- oder Festspannen unterscheiden. Beispiele für Handelsspannenfixierungen finden sich im Arzneimittelhandel. Auf jeder

71 Vgl. W. Röck, Versorgung und Preisbildung durch Markt - Macht - Staat, 1995, S. 201 ff.; zur Preisregulierung für Agrarprodukte detailliert unten unter 3. Teil, C. I. 72 Stromeinspeisungsgesetz vom 07.12.1990, BGBI. I S. 2623 ff.; geändert durch "Gesetz zur Sicherung des Einsatzes von Steinkohle zur Verstromung und zur Änderung des Atomgesetzes und des Stromeinspeisungsgesetzes vom 19.07.1994, BGBI. I S. 1618 ff; dazu detailliert unten unter 3. Teil, B. I. 5. 7] Vgl. "Bekanntmachung der Neufassung der Gebührenordnung für Ärzte vom 09.02.1996", BGBI. 1996 I, S. 210 ff.; dazu unten unter 3. Teil, B. III.

74 Zum EWS vgl. für viele: R. PickeT, Europäisches Währungssystem I ECU, 1987, S. 168 ff.; P. BofingeT, Geldpolitik in der Europäischen Union, 1995. 75 Zur Handelsspannenrechnung als betriebswirtschaftlichem Planungsinstrument vgl. H. Diller, Preispolitik, 2. Aufl. 1991, S. 280 ff. 76 Vgl. B. Hartmann, Preisbildung und Preispolitik, 1963, S. 74; A. Hege/heimer, Wirtschaftslenkung und Preisintervention, 1969, S. 20.

A. Problemstellung

37

Vertriebs stufe sind die Spannen geregelt'7. Die Spanne eines Arzneimittelgroßhändlers muß innerhalb eines bestimmten Höchstsatzes bleiben. Die Spanne des Apothekers ist als Festspanne geregelt, so daß im Endverbraucherverkehr gar keine Preisgestaltung des Apothekers möglich ist'8. ee) Richt-, Listenpreise und Preisempfehlungen Richt-, Listenpreise und Preisempfehlungen können sowohl von staatlichen Instanzen als auch von privaten Anbietern oder Wirtschaftsvereinigungen ausgesprochen werden. Sie dienen hauptsächlich der Information der Marktteilnehmer, können und sollen im Einzelfall aber auch preisdisziplinierend wirken. Staatliche Richtpreise findet man im Rahmen europäischer Agrarmarktordnungen 79 . Im privaten Wirtschaftsverkehr haben Preisempfehlungen vor allem seit dem Verbot der Preisbindung der zweiten Hand an Bedeutung gewonnen und können hier unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein (§ 38 a GWB)80. ff) Mengenregulierungen Je knapper das Gut, desto höher sein Preis. Wenn der Staat das Angebot von Gütern dadurch verknappt, daß er Anbau- und Produktionsmengen oder auch Ein- und Ausfuhrmengen kontingentiert, beeinflußt er also auch den Preis81 . Das Ziel kann es entweder sein, zeitliche Preisschwankungen auszuschalten oder das Preisniveau dauerhaft zu beeinflussen82 . gg) Kalkulationsvorschriften Staatliche Kalkulationsvorschriften beeinflussen die Preise im volkswirtschaftlich bedeutsamen Bereich der öffentlichen Aufträge. Kalkulationsvorschriften versuchen in der Regel Kostenpreise für solche Fälle zu definieren, in

77 Dazu detailliert unten unter 2. Teil, B. III. 78 Arzneimittelpreisverordnung vom 14.11.1980, BGBI. I S. 2147 ff. 79 Weiterführend unten unter 3. Teil, C. I. I

80 Vgl. D. Ahlert / H. Schröder, Rechtliche Grundlagen des Marketing, S. 241 ff., K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. 51 f.; weiterführend unten unter 2. Teil, B. 11. 81 Vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 104 ff., 114. 82 Vgl. J.B. Donges / K.-W. Schatz, Staatliche Interventionen in der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 4 ff.; P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, S. 52.

38

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

denen es an entsprechenden Marktpreisen fehlt83 • Wie stark dies die Preisbildung beeinflußt, hängt von unterschiedlichen Einflußfaktoren ab: vom Zwangsgrad der Vorschrift, von den Möglichkeiten, deren Einhaltung zu überwachen, und von der Marktrnacht des öffentlichen Nachfragers. d) Staatlich indirekt administrierte Preise Indirekt administrierte Preise sind das Ergebnis preis belastender oder preisentlastender Maßnahmen. Belastend wirken allgemeine und spezielle Verbrauchsteuern, Gebühren, Beiträge, Zölle oder Abschöpfungen, entlastend wirken Subventionen, Prämien und Steuervergünstigungen. Maßnahmen dieser Art gelten in bezug auf den Grundsatz ökonomischer Preisbildung als systemkonform 84 , doch kann die Aufhebung des Preis-Kosten-Zusammenhangs den Marktmechanismus empfindlich störenl!.!! und die unternehmerische Preisgestaltungsfreiheit gefährden86 • Zur Gruppe der indirekt administrierten Preisen werden auch vertikale Wirkungen der Preisadministration gezählt. Darunter versteht man Preisveränderungen, die nicht durch direkte staatliche Maßnahmen, sondern durch Preisinterventionen auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen hervorgerufen werden. Solche Sekundärwirkungen können das gesamte volkswirtschaftliche Preisgefüge stören und die beabsichtigten Primärwirkungen der Administration konterkarieren 87 • e) Stellungnahme Es kann festgehalten werden, daß die Praxis vielfältige Formen der privaten oder staatlichen Einflußnahme auf das Spiel der ökonomischen Kräfte kennt. Jeder Wirtschaftsbereich ist in der einen oder anderen Weise von administrati-

8.1 Vgl. H. Ebisch, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen einschließlich Bauaufträge: Kommentar, 5. Aufl. 1987, S. 45 ff.; im folgenden zit.: Ebisch-GottschaLk, Preise und Preisprüfungen; detailliert unten unter 3. Teil, B. 11. 84 Vgl. W. Röpke, Staatsinterventionismus, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Ergänzungsband, 4. Aufl. 1929, S. 874; weiterführend unten unter I. Teil, D. I. 2.

I!.!! Die Allokation von Ressourcen wird gestört, dazu J.B. Donges / K. - W. Schatz, Staatliche Interventionen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18 ff.; R. Peffekoven, Finanzpolitik als Stabilisierungspolitik, WiSt 10 (1981), S. 560.

86 V gl. P. HenseLer, Wirtschaftslenkung durch Subventionen zwischen Förderung und Gefahrdung unternehmerischer Freiheit, in: J. Makswit / F.K. Schoch, Aktuelle Fragen der Finanzordnung im internationalen und nationalen Recht, 1986, S. 205 ff.; zum Begriff der Unternehmerfreiheit unten unter I. Teil, C. I. 2, 11 u. VI. 87

Vgl. P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise, S. 55.

A. Problemstellung

39

ven Maßnalunen betroffen, so daß Karlheinz Kleps die Existenz der "freien Marktpreisbildung" mit Recht in Abrede stelltI'. Der Höhe nach weichen staatlich administrierte Preise tendenziell von den entsprechenden Gleichgewichtspreisen ab·'. Einen Sonderfall stellt allenfalls die kartellrechtliche Preiskontrolle dar, in deren Ralunen zum Teil versucht wird, einen funktionierenden Wettbewerbsprozeß im Ralunen einer Als-Ob-Markt-Überlegung zu simulieren'o• Grundsätzlich ist festzustellen, daß staatliche Preisadministrationen zu unerwarteten Nebenwirkungen und Fehlsteuerungen führen können". Teilweise sind administrative Instrumente ungeeignet, ein angestrebtes Ziel tatsächlich zu erreichen'I . Dies sind jedoch tatbestandsspezifische Fragen, die im zweiten und dritten Teil dieser Arbeit näher ausgeführt werden sollen. 4. Juristische Preise

Wilhelm Henke verwendet neben den vorgestellten Preisbegriffen auch den des juristischen Preises. Er versteht darunter allgemein jede Preisbildung nach Rechtsvorschriften (Gesetz oder Verordnung). Dabei geht es nicht um das Verfahren oder das Ziel einer Preisadministration, sondern allein um die formale Frage, ob ein Preis den gesetzlichen Vorschriften entspricht oder nicht9J • Ver-

88

Vgl. das Vorwort zum Lehrbuch von K. Kleps, Staatliche Preispolitik, S. VII ff.

89 Dies ist häufig sogar das (sozialpolitische, umweltpolitische, kulturpolitische etc.) Ziel einer Preisadministration; vgl. die Beispiele in 3. Teil, B u. C. 90 V gl. zum Als-Ob-Markt-Konzept als Mißbrauchskriterium der Preiskontrolle nach § 22 GWB W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 1, S. 5, 14, 157 ff.; W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, Bd. 1: Die Freiheit des Wettbewerbs, S. 283 ff.; W. Mäschel, Rechtsordnung zwischen Plan und Markt, S. 35 ff.; S. Gabriel, Preiskontrollen im Rahmen der Wettbewerbspolitik - Kriterien und Kompetenzen, 1976, S. 10 ff.; in einer Partialanalyse mit Hilfe von Angebots- und Nachfragefunktionen kann bewiesen werden, daß es Situationen gibt, in denen die staatliche Preisvorschrift den Marktpreis nicht treffen kann: wenn der marktliche Gleichgewichtspreis den administrierten Höchstpreis überschreitet oder einen Mindestpreis unterschreitet, vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 14 ff.; vgl. auch unten unter 2. Teil, B. IV. 2. c; vgl. auch die Kalkulation öffentlicher Aufträge, unten unter 3. Teil, B. Ir. 9\ Vertiefend und analytisch vgl. R. Klump, Einführung in die Wirtschaftspolitik, 1989, S. 127 ff.; M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 2 ff, 193 ff.; vgl. auch E.-J. Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, 1978, S. 139 ff.

'1 Vgl. zur Sicherung des Geldwertes o.-E. Kuntze, Preiskontrollen, Lohnkontrollen und Lohn-Preis-Indexbildung in den europäischen Ländern., S. 114 ff.; M. Kern, Marktmacht, Preiskontrollen und Stabilisierungspolitik, S. 4 ff.; K. Kleps, Zur Effizienz genereller Preisstopp-Verordnungen und Preiskontrollen, S. 452 ff., vgl. auch unten unter 3. Teil, B. V. '3

Vgl. W. Henke, Preisvorschriften in der Marktwirtschaft, S. 345 ff.

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

40

fassungsrechtlich ist der Begriff jedoch unergiebig, so daß im folgenden auf ihn verzichtet werden kann. 5. Private und staatliche Preise

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird von der Überzeugung ausgegangen, daß das Preisrecht im engem Zusammenwirken verfassungsrechtlicher und ökonomischer Argumente analysiert werden muß, daß der Primat des Rechts aber unumstößlich ist. Wettbewerb ist zugleich eine "res publica und res privata"94. Dieser interdisziplinären und zugleich republikanischen Grundhaltung wird die erörterte Terminologie ökonomischer, administrierter, politischer und juristischer Preise nicht immer gerecht. Der "ökonomischen Preisfreiheit" müßte begrifflich eine "administrierte Preisunfreiheit" gegenübergestellt werden. Ein derartiger Dualismus von Freiheit, als Wahlfreiheit unter verschiedenen Alternativen, und Unfreiheit, als Gesetzespflicht, findet in der republikanischen Freiheitslehre jedoch keinen Hait9'. Nach ihr verwirklicht sich nämlich die Freiheit, im Sinne einer politischen Freiheit, gerade erst in der praktischen Vernünftigkeit allgemeiner Gesetze 96 • Gesetze können aber sowohl das private Festlegen von Preisen vorsehen als auch einen staatlichen Preisbildungsmechanismus vorschreiben. In beiden Fällen kann das Gesetz "Recht"97 schaffen, wenn es nur praktisch vernünftig ist98 • Der republikanische Gesetzgeber ist jedenfalls, um ein Wort von Walter Leisner abzuwandeln, der "Schöpfer der Freiheit, nicht ihr Beschränker"99. Ob ein Gesetz zum Recht findet oder nicht, kann nicht auf Grundlage eines ökonomischen Rationalitätsbegriffs entschieden werden. Maßgeblich ist allein die praktische Vernunft im

94

K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 396, 193 ff.

9' Dazu grdl. unten unter I. Teil, B. III. 96

Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 126 ff.

Der Tenninus "Recht" betont das Erfordernis eines "sittlichen" Gesetzgebungsverfahrens. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 149: "Die Achtung vor dem kategorischen Imperativ, der gute Wille des Gesetzgebers also, macht aus Gesetzen Recht.", S. 148: "Gesetzlichkeit wird zur Herrschaft, wenn sie das Recht verfehlt.", vgl. auch S. 275 ff., 519 ff., 819 ff., 902 ff.; vgl. auch W. Heyde, Rechtsprechung, HVerfR, S. 1627 ff.; R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 139 ff., 201; weiterführend auch unten unter I. Teil, B. III. 3 u. C. VIII. 97

98 Vgl. L. Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 222 ff., zur Unterscheidung von öffentlicher Aufgabe i.S. eines Staatsziels und den konkreten Verwaltungsaufgaben. 99 Anders W. Leisner, Eigentum, HStR Bd. VI, S. 1048: "Der Gesetzgeber ist der Beschränker der Freiheit, nicht ihr Schöpfer", paradigmatisch für das liberale Grundrechtsverständnis.

A. Problemstellung

41

Sinne Kants, zu deren "legitimen Grundlagen"IOO die Erfahrung gehört. Semantische Mißverständnisse lassen sich vermeiden, wenn, wie im folgenden, möglichst nicht von "freier" gegenüber "administrierter", sondern von "privater" gegenüber "staatlicher" Preisbildung gesprochen wird. Private und staatliche Preisbildung bilden also ein Begriffspaar. Beide Verfahren der Preisbildung sind grundsätzlich geeignet, die republikanische Freiheit zu verwirklichen, wenn und sofern sie im Einklang stehen mit den allgemeinen, d.h. praktisch vernünftigen Freiheitsgesetzen lol • Konkret soll immer dann von privaten Preisen gesprochen werden, wenn der bestimmende Einfluß auf die Preishöhe bei den Marktakteuren selbst liegt. Im modell theoretischen Idealfall richten sie sich dabei allein mi.ch der ökonomischen Gesetzmäßigkeit von Angebot und Nachfrage. Ein gesetzlicher Schutz der Preisprivatheit kommt dann einem Schutz der Wettbewerbsfunktionalität gleich l02 • Unter den Begriff des privaten Preises fällt aber auch der des privat administrierten Preises, der unter bestimmten Umständen kartell rechtlich unterbunden wird l03 • Hierin zeigt sich zugleich die Unterschiedlichkeit der Begriffe Preisprivatheit und Preisfreiheit. Bei staatlichen Preisen geht der bestimmende Einfluß auf die Preishöhe nicht von der Interessenslage der unmittelbaren Vertragspartner, sondern von politischen Erwägungen - in der Republik vom Gemeinwohl - aus. Diese Integration öffentlicher Belange kann dazu zwingen, vom Koordinationsmittel des Marktes abzuweichen, und statt dessen formalisierte, administrative Preisbildungsverfahren anzuwenden. Die Fälle bilden dann die sogenannten natürlichen und politischen Ausnahmebereiche der wettbewerblichen Preisbildung l04 • Im Extremfall absoluter Preisstaatlichkeit sind Preise nicht mehr das Ergebnis ökonomischer Knappheiten und privater Wahlhandlungen, sondern ausschließlich

100 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1183 ff.; weiterführend zur Theoriehaftigkeit praktischer Vernunft unten unter 1. Teil, B. IlI. 4. 101 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 193 ff., 980 ff.; ob es genuine Staatsaufgaben gibt, etwa die Landesverteidigung, die Polizei, die Währungs- und Finanzhoheit, ist umstritten; dazu J. Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 174 ff. 102 Die Entscheidung für die Marktwirtschaft, die Privatheit der wirtschaftlichen Lebensbewältigung, ist der politische Grundsatz, der nur dann unterbunden werden darf und muß, wenn der Wettbewerb dem Gemeinwohl schadet, vgl. ausführlich K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 54 ff., 195 ff.; zum Begriff der Wettbewerbsfunktionalität unten unter I. Teil, B. I. 2.

1113

Vgl. die allgemeinen Tatbestände unten unter 2. Teil, B.

104

V gl. unten unter 1. Teil, D. I. 3 u. IlI.

42

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

politischer Entscheidungen, die eine Grundlage im Gemeinwohl haben müssen, um praktisch vernünftig zu sein 105 • III. Die Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Preisrecht Preisrechtliche Vorschriften wirken entweder auf die privatwirtschaftliche Ebene des Tauschvertrags ein oder ersetzen diese vollständig durch staatliche Mechanismen der Preisadministration lO6 • Gemäß Art. 74 Nr. 11 GG ist das Wirtschaftsrecht, der übergeordnete Begriff, ein Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Kompetenz, den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen zu verhindern, ergibt sich aus Art. 74 Nr. 16 GG. Nr. 17 spricht von der Landwirtschaft, Nr. 18 vom Immobilienmarkt und Nr. 19 vom Verkehr mit Arzneimitteln. Sowohl im Verfassungsrecht als auch im einfachgesetzlichen Recht sind die Vorschriften, die die Preisbildung auf Märkten und die staatliche Preisregulierung betreffen, breit verstreut. Bis heute gibt es keine durchgängig befriedigende Abgrenzung der preisrechtlichen Materie. Vielmehr bestimmt zumeist der Untersuchungszweck den jeweils präferierten Preisrechtsbegrifro7 • Dies ist auch für die vorliegende Arbeit zweckmäßig. Hier soll das Recht der Preisbildung für Waren und Leistungen untersucht werden. Ausgeklammert werden Wechselkurse (Preise für Währungen) sowie Löhne und Gehälter. Diese inhaltliche Beschränkung ist angesichts der Vielzahl preisrechtlicher Fragestellungen unumgänglich, findet aber auch eine rechtliche Grundlage. Löhne sind bereits vom Preisgesetz, das bis heute als eine Art Generalklausel staatlicher Preispoli-

105 Vgl. die Grundlagen unten unter 1. Teil, B. III zu den empirischen Problemen, die von der Neuen Politischen Ökonomie analysiert werden, vgl. oben unter I. Teil, A. 11. 2.

106 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser Politik sind noch eingehend zu erörtern, vgl. unten unter I. Teil, C. 107 Dies zeigt ein Literaturüberblick: E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Auf!. 1954, S. 301 ff., definiert Preisrecht als Recht staatlich gebundener Preise; anders M. Bauer, Verwaltungsrechtliche Probleme staatlicher Preisadministration, 1985, S. 7 ff., definiert Preisrecht als Recht der staatlichen Einwirkung auf Preise; EbischGottschalk, Preise und Preisprüfungen, S. I ff., beschränkt sich auf das Recht öffentlicher Auftragskalkulation; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 43 ff., behandelt Regelungen, die den Markt ex ante substituieren, nennt jedoch auch die kartell rechtliche Preismißbrauchskontrolle (§ 22 Abs. 4 u. 5 GWB - dazu unten unter 2. Teil, B. IV) als Beispiel.

A. Problemstellung

43

tik dient, ausgenommen (vgl. § 2 Abs. 1 PreisG)108. Grundsätzlich unberücksichtigt bleiben auch staatliche Beiträge und Gebühren. Aus dem Gebührenrecht freier Berufe soll jedoch exemplarisch die Vergütung von Arztleistungen erörtert werden 109 . Kein Ausschlußkriterium für diese Untersuchung bildet das Ziel, daß mit einer Preisvorschrift verfolgt wird. Volkswirtschaftlich und sozialpolitisch bedeutsam ist sicherlich die Preisstabilität; darüber hinaus wird im Laufe der Untersuchung auch auf weitere Ziele einzugehen sein, etwa energiepolitische, umweltpolitische, agrarpolitische, kulturpolitische oder auch gesundheitspolitische llo . Die vorsichtige Eingrenzung des Themenbereichs hinterläßt mit dem Preisrecht ein äußerst heterogenes Rechtsgebiet. Übersicht über dieses für die Wirtschaftspraxis immanent wichtige Recht läßt sich daher in erster Linie durch konsistente Systematisierung der zahlreichen Tatbestände gewinnen. Geläufig ist sicherlich die Einteilung in internationales, europäisches und nationales Recht. Im vorliegenden Falle ist hiermit jedoch nicht viel gewonnen, denn diese Rechtsmaterien gelangen häufig nebeneinander zur Anwendung 1l1 ; außerdem faßt die Einteilung sehr unterschiedliche Rechtsprobleme zu einer Gruppe zusammen, was nur einen geringen Zuwachs an Transparenz ermöglicht. Eine andere übliche Einteilung ist die nach privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Teilbereichen. Im vorliegenden Falle kann auch diese nicht als Gliederungskriterium überzeugen. Wieder würden sehr unterschiedliche Themen zu einer Gruppe zusammengefaßt werden (z.B. Kalkulationsvorschriften für öffentliche Aufträge mit stabilitätspolitischen Regelungen)lI2. Außerdem ist zum Teil unklar, ob ein Rechtsbereich dem öffentlichen oder dem Privatrecht

lOH

Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung (Preisgesetz) vom

10.04.1948 (WiGBI. Nr. 6 S. 27 f.); dazu K.A. Schachtschneider, Imperative Lohnleitlinien unter dem Grundgesetz, S. 501 ff.; zum PreisG vgl. auch unten unter 3. Teil, A. 11. 10'} Zum Gebührenrecht der Ärzte vgl. unten unter 3. Teil, B. III; zum verfassungsrechtlich umstrittenen Status freier Berufe vgl. unten unter I. Teil, C. V. I.

110

Dazu Beispiele aus dem besonderen Preisrecht in 3. Teil, A, B u. C.

111 Zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen: vgl. A. Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, S. 288, K.A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T.C. W. Beyer, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 1995, S. 74 ff.; P. Kirchhof, Das Recht der Gemeinschaft und das der Staaten, FAZ v. 04.12.1996, S. 11; Rspr.: EuGH v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, I (24 f.) - "van Gend & Loos"; EuGH v. 15.07.1964 - Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269) - "Costa/ENEL"; BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (374 f.); 89, 155 (190). 112

Vgl. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. I, S. 32 ff.

44

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

zuzuordnen ist113 • Dies gilt etwa für das Kartellrecht, in dem der Konkurrentenschutz neben dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit zunehmend an Bedeutung gewinnt, und in dem die Rechtsverfolgung von Verstößen gegen § 26 GWB nicht nur Kartellbehörden sondern auch Wettbewerbern obliegtll4 • Vielversprechend erscheint es, Wolfgang Fikentschers Terminologie des allgemeinen und besonderen Wirtschaftsrechts m auf das Preisrecht zu übertragen. Unter dem Begriff des allgemeinen Wirtschaftsrechts faßt Fikentscher sämtliche Rechtsvorschriften zusammen, die die allgemeinen Aussagen des Wirtschaftsverfassungsrechts 116 verwirklichen. In einer Marktwirtschaft sind dies die Rechtsregeln, nach denen Märkte gebildet, genutzt und gesichert werden, also vor allem wettbewerbsrechtliche und eigentumsrechtliche Materien (z.B. Vertragsrecht, UWG, GWB, Patentrecht, Urheberrecht etc.), nach denen die Funktionalität und die Sittlichkeit des Wettbewerbs gewährleistet werden l17 • Dem allgemeinen stellt Fikentscher seinen Begriff des besonderen Wirtschaftsrechts gegenüber. Letzeres trennt er in sein Recht der Global- und Einzelmarktsteuerung. Globalsteuerung ist eine den Zielen des § 1 StabG verpflichtete staatliche Wirtschaftspolitik, deren Instrumente im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung makro ökonomisch auf den Wirtschaftsablauf Einfluß nehmen l18 • Darunter fallen vor allem die gesamtwirtschaftliche Angebots- und Nachfragelenkung, aber auch die Bewirtschaftung, die Sozialkostenwirtschaft (d.h. der Umgang mit externen Effekten ll9 ) und das Wirtschaftsaufsichtsrecht12u . Im Rahmen der Einzelmarktsteuerung werden sektorspezifische Marktordnungen konstituiert, welche die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ergänzen oder überlagern. Nach Fikentscher sollen allgemeines und besonderes Wirtschaftsrecht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander stehenIlI.

113 Zur grundsätzlichen Schwierigkeit, öffentliches und privates Recht abzugrenzen, vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auf). 1995, § 3, Rdnr. 14 ff. 114

Weiterführend unten unter 2. Teil, B. I; zu § 26 Abs. 4 GWB 2. Teil, B. V. 3.

m

Vgl. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. I, S. 3 ff., 38 ff.

116

Dazu detailliert unten unter I. Teil, C. I. 2.

117

118 1I9

Vgl. 2. Teil, B. I, m.w.N. Zum Stabilitätsgesetz unten unter 3. Teil, B. V. Zum Begriff der externen Effekte unten unter 1. Teil, D. 11. 1.

110 K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, Kommentar, 2. Auf). 1972, S. 79. 111 V gl. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 1, S. 3 ff.; für R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, 1990, S. 78 f., stehen administrative Maßnahmen unter einem "Legitimationsdruck"; vgl. allgemein zum Regel-Ausnahme-Prinzip J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 60: "Diesem Prinzip folgt auch

A. Problemstellung

45

Wie noch zu zeigen sein wird, unterliegen - trotz der anschwellenden Privatisierungsdebaue 122 - zahlreiche Schlüsselbereiche der deutschen Volkswirtschaft einer staatlichen Einzelmarktsteuerung, so daß von einem solchen Verhältnis nicht unhinterfragt gesprochen werden sollte 123 • Die Tatbestände des einfachen Preisrechts bilden zusammengenommen einen Teil des Wirtschaftsrechts. Analog zur Systematik von Fikentscher läßt sich zwischen Tatbeständen des allgemeinen und solchen des besonderen Preisrechts wie folgt unterscheiden: Das allgemeine Preisrecht verwirklicht die grundlegenden Aussagen der für die Preisbildung relevanten Verfassungsbestimmungen l24 • Es umfaßt allgemeine Vorschriften, nach denen Preise verlautbart oder gebildet werden (vgl. 2. Teil)123. Innerhalb des allgemeinen läßt sich mit Stefan Völker zwischen formellem und materiellem Preisrecht unterscheiden l2fi . Das

das GG; Regel ist die Freiheit, staatlicher Eingriff die Ausnahme. "; anders K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 478 ff, 486 ff., der die Ansicht vertritt, daß sich das Regel-Ausnahme-Prinzip in der Republik gewissermaßen umdrehe, Freiheit nicht als Gesetzlosigkeit, sondern als Gesetzlichkeit zu verstehen sei; dazu unten unter I. Teil, B. III. 3 u. C. VI. I; ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten wettbewerblicher Handlungskoordination läßt sich auch republikanisch begründen, dazu unten unter I. Teil, B. III. 4. 122 Vgl. H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 263 ff., der den verfassungsrechtlichen Spielraum für Privatisierungen betont; zu unterscheiden ist zwischen formeller (Organisations-)privatisierung und materieller (Aufgaben-)privatisierung, vgl. J. Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), S. 169 ff. 123 Vgl. M. Schmidt-Preuß, Redebeitrag, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 319, sieht ebenfalls ein verfassungsrechtliches Primat des Marktes gegenüber staatlicher Produktion; U. Hübner, Der "gerechte Preis", in: FS f. E. Steindorff, 1990, S. 589 ff.; einfachgesetzlich vgl. unten unter 3. Teil, A, B u. C. 124

Dazu detailliert unten unter 1. Teil, C.

123 Vgl. die Ausführungen unten unter 2. Teil, wo v.a. wettbewerbsrechtliche Materien besprochen werden; ähnlich der Begriff von A.G. Coenenberg, Kostenrechnung und Kostenanalyse, 3. Autl., 1997, S. 132; vgl. auch U. Hübner, Der "gerechte Preis", S. 591 ff., der "allgemeine Schranken der Preisfreiheit" und "behördliche Preisfestsetzung und Kontrolle" unterscheidet; er stellt jedoch stärker auf Vorschriften des BGB ab und verwendet einen engeren Begriff des besonderen Preisrechts. Einen grundsätzlich anderen preisrechtlichen Begriff verwenden etwa H. Knöchel, Die Preisaufsicht nach dem Energiewirtschaftsgesetz: verfassungsrechtliche Vorgaben und verwaltungsrechtliche Probleme, 1989, S. 30 ff., und M. Toller, Die Preisüberwachung als Mittel der schweizerischen Wettbewerbspolitik, 1983, S. 49 ff.; beide verstehen unter allgemeinem Preisrecht solche Regelungen, die der Aufrechterhaltung des Preisstandes dienen. 126 Vgl. S. Völker, Preisangabenrecht. Recht der Preisangaben und Preiswerbung, Kommentar, 1996, Einf., Rdnr. 3.

46

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

formelle allgemeine Preisrecht regelt die Angabe und die Verlautbarung von Preisen. Darunter fallen die Pflicht, im Endverbraucherverkehr Bruttopreise anzugeben, das Verbot irreführender Preiswerbung und die Verbote vergleichender Preiswerbung 127 • Das materielle allgemeine Preisrecht bestimmt die Grenzen zulässiger Preisstrategien. Vertikale Preisbindungen, horizontale Preisabsprachen, Hochpreis-, Niedrigpreis- und Preisdifferenzierungsstrategien sind also grundsätzlich nach den Vorschriften des materiellen Preisrechts zu beurteilen l28 . Unter dem Begriff des besonderen Preis rechts werden Gesetzesvorschriften zusammengefaßt, die indirekt oder direkt Einfluß nehmen auf die Preishöhe oder die unternehmerische Preisbildung (vgl. 3. Teil). Dabei kann danach unterschieden werden, ob die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit oder nur ein bestimmter Sektor gesteuert wird 129 • Die Beeinflussung volkswirtschaftlicher Rahmendaten ist für die hier verfolgte Fragestellung nur insofern relevant, als sie mit dem Ziel erfolgt, den allgemeinen Preisstand zu sichern. Im Vordergrund des Interesses steht jedoch das Preisrecht der Einzelmarktsteuerung , das sektorspezifische Marktordnungen und/oder Preisregelungen enthält und auf diese Weise gestaltend in den Wirtschaftsablauf eingreift. Einzelmarktregulierungen überlagern oder ergänzen das allgemeine Preisrecht, um einer ökonomischen Fehlsteuerung vorzubeugen (sog. natürliche Ausnahmebereiche)130 oder ganz bestimmte politische Interessen zu verfolgen (sog. politische Ausnahmebereiche )\31.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft Auf den Zusammenhang zwischen praktischer Vernunft und ökonomischer Rationalität ist bisher nur kurz eingegangen worden. Zurückgewiesen wurde

127 Ausführlich unten unter 2. Teil, A. IV u. V. 128 Ausführlich die Tatbestände unten unter 2. Teil, B. 129 Der erste Fall bildet das Preisrecht der Globalsteuerung, das im Rahmen der Preisstabilitätspolitik von Bedeutung ist; zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen unten unter 1. Teil, C. VIII; zu den einfachgesetzlichen Vorschriften der Stabilitätspolitik vgl. unten unter 3. Teil, B. V. 130 Zum Begriff des natürlichen Ausnahmebereichs des Wettbewerbs und den ökonomischen Grdl. unten unter 1. Teil, D. I. 3 u. 11; sektorspezifische Einzelbeispiele unten unter 3. Teil, B. \31 Zum Begriff des politischen Ausnahmebereichs des Wettbewerbs und den ökonomischen Grdl. unten unter 1. Teil, D. I. 3 u. I1I; zielspezifische Diskussion des einfachen Rechts unten unter 3. Teil, C; zum grundsätzlichen Problem gerechter Preise unten unter 1. Teil, B. insb. IV.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

47

jedenfalls der Versuch, die ökonomische Rationalität selbst zum Kriterium des Rechts zu erheben. Dies bedarf einer tieferen Begründung, die im folgenden versucht werden soll. Zunächst sollen die utilitaristischen Wurzeln und die zentralen Kritikpunkte einer nach der teleologischen Marktlogik ausgerichteten Entscheidungs- und Gesellschaftstheorie aufgezeigt werden. Im Anschluß daran wird untersucht, welchen Stellenwert ökonomischen Prinzipien und Erkenntnissen im Rahmen von vertragstheoretischen, wirtschaftsethischen und rechtswissenschaftlichen Ansätzen eingeräumt wird. Den Abschluß dieses Kapitels bildet die praktische Frage, inwiefern die dargestellten Dogmatisierungsversuche dazu beitragen können, ein bestimmtes Preisbildungsprinzip oder eine bestimmte Preishöhe als gerecht zu bewerten.

I. Das teleologische Konzept ökonomischer Rationalität 1. Die utilitaristischen Wurzeln des ökonomischen Denkens Das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus und das normative Ziel der ökonomischen Effizienz haben ihre Wurzeln in der utilitaristischen Philosophie von Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Henry Sidgwick 132 , denen das Nützlichkeitsprinzip zugleich als individuelle Verhaltensmaxime und als ethischer Maßstab dient. Dies machte bereits Jeremy Bentham, der Begründer des klassischen Utilitarismus, deutlich: "Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter - Leid und Freude - gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden. ,,133 Bentham spricht hier von Freud und Leid, um die umfassende Konzeption seines Nutzenbegriffs auszudrücken. Das Gemeinwohl ist für Utilitaristen eine Funktion des Wohls der Gemeinschaftsangehörigen. Dieses Aggregationsprinzip des Utilitarismus beschreibt Bentham wie folgt:

132 "The implicit ethical basis of economic policy judgment is some version of utilitarianism. At the same time, descriptive economies has relied heavily on a utilitarian psychology in explaining the choices made by consumers and other economic agents.", l.K. Arrow, Some Ordinalist-Utilitarian Notes on Rawl's Theory of Justice, Journal of Philosophy 70, S. 246; vgl. die Sammlung klassischer Texte bei O. Höjfe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 2. Aufl. 1992.

133 l. Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1789, dt. Fassung der ersten fünf Kapitel in: O. Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 55, wie Bentham in einer Anmerkung zu diesem Zitat ausführt, spricht er hier von Leid und Freude, um das Prinzip der Nützlichkeit besonders deutlich zu machen.

48

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts "Was also ist das Interesse der Gemeinschaft? - Die Summe der Interessen der verschiedenen Glieder, aus denen Sie sich zusammensetzt. Es hat keinen Sinn, vom Interesse der Gemeinschaft zu sprechen, ohne zu wissen, was das Interesse des Individuums ist."134

Bentham beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, den Zusammenhang zwischen Einzel- und Gemeinschaftsinteresse zu betonen, er versteht seine Untersuchung ausdrücklich auch als Lehre einer richtigen Gesetzgebung, was bereits im Titel deutlich wird: "Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung". Auch staatliches Handeln hat sich somit nach dem Nützlichkeitsprinzip zu richten: "Von einer Maßnahme der Regierung (die nichts anderes ist als eine von einer einzelnen oder von mehreren Personen ausgeführte einzelne Handlungsweise) kann man sagen, sie entspreche dem Prinzip der Nützlichkeit oder sei von diesem geboten, wenn in analoger Weise die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als irgendeine andere ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern. ,,13S Mit seiner Interpretation des Nützlichkeitsprinzips als einer kollektiven Entscheidungsregel fügt Bentham seine Theorie zu einem einheitlichen Ganzen. Sein Nützlichkeitsprinzip beschreibt deskriptiv menschliches Verhalten, dient als normative Grundlage einer teleologischen Ethik und einer Lehre von der richtigen Gesetzgebung 136 • Das entscheidende Analyseinstrument im klassischen Utilitarismus sind aber immer Handlungen 137 : Handlungen von Individuen und Handlungen von staatlichen Organisationen. Von dieser Handlungsorientierung haben sich zeitgenössische Utilitaristen versucht zu lösen. Sie halten es für irrealistisch, vor jeder Handlung sämtliche Vor- und Nachteile zu ermitteln, zu bewerten und eine entsprechende Entscheidung vorzunehmen. Statt dessen fordern sie einfache und klare Richtlinien, die in einer konkreten Situation Auf-

134

l. Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 57.

m l. Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 57. Vgl. l. Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 55 ff.; l.S. Mill, Utilitarism, 1963, dt. Fassung in: O. Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 84 ff.; K. W. Rothschild, Theorie und Ethik in der Entwicklung ökonomischer Lehrmeinungen, in: B. Biervert I M. Held, Ökonomische Theorie und Ethik, 1987, S. II ff.; H. Kaiser, Die ethische Integration ökonomischer Rationalität: Grundelemente und Konkretion einer "modernen" Wirtschaftsethik, 1992, S. 24 ff.; P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 72 ff.; H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 22 ff., 321, ablehnend. 136

137

Darauf verweist etwa H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 175.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

49

schluß über die adäquate Entscheidung geben sollen. Diese Form des Utilitarismus wird daher auch als Regelutilitarismus bezeichnet138 •

2. Die Unterscheidung zwischen Zweck/Mittel-Effizienz und wohlfahrtsäkonomischer Effizienz Der Utilitarismus hat die Entwicklung der Mikroökonomie und der ökonomischen Wohlfahrtstheorie maßgeblich beeinflußt139 • Es ist offensichtlich, daß der homo oeconomicus einer neoklassischen Analyse nicht nur ein Nachfahre Adam Smiths sondern auch Jeremy Benthams ist. Im Unterschied zu Bentham interessiert sich die ökonomische Theorie jedoch nicht dafür, wie sich Menschen verhalten sollen, sondern allein dafür, wie sie sich unter gegebenen Bedingungen tatsächlich verhalten. Unterstellt wird, daß Unternehmen und Haushalte zweckrational handeln. Unternehmen gehen mit knappen Ressourcen "wirtschaftlich" um; sie maximieren ihren Gewinn (bei gegebener Ressourcenmenge) oder minimieren ihre Kosten (bei vorgegebener Produktionsmenge). Haushalte wiederum maximieren ihren Nutzen 140 • Die Rationalitätsannahme der Theorie hat wichtige praktische Implikationen. Jeder Anbieter dehnt die Produktion aus, bis seine individuellen Grenzkosten dem Marktpreis entsprechen. Sofern dies zu einer Situation unterschiedlich hoher Unternehmensgewinne führt, ist dies ein Indiz dafür, daß der Ressourceneinsatz nicht mit gleicher technischer Effizienl 41 erfolgt. Es besteht daher die Chance, zusätzliche Gewinne zu erwirtschaften. Voraussetzung ist jedoch, daß ein Anbieter die jeweils beste Technik einsetzt und bereit ist, seine individuelle Bestlösung stetig zu verbessern - mit anderen Worten: innovativ, d.h. dynamisch effizient zu sein142 •

138 Entwickelt wurde der Regelutilitarismus v.a. von J.O. Urmson, The Interpretation of the Moral Philosophy of 1.S. Mill, PhilosophiCal Quarterly 3 (1953), S. 35 ff.; R.B. Brandt, Ethical Theory, 1959, S. 253 ff., 396 ff.; vgl. auch J.e. Harsanyi, Morality and the Theory ofRational Behaviour, S. 56 ff. 139

So auch H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 22 ff.

140 Dazu jedes mikroökonomische Lehrbuch, etwa M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 51 ff., 104 ff. 141 Vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 151 ff., vgl. auch S. 105 ff., 116 ff., 283 ff.; dazu kritisch P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 106 ff.; ders., Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 179; H. Steinmann / W. Braun, Zum Prinzip der Wertfreiheit in der Betriebswirtschaftslehre, in: H. Raffee I B. Abel, Wirtschaftstheoretische Grundfragen der Wirtschaftswissenschaften, 1979, S. 191 ff.; J. Starbatty, Das Wertebewußtsein im nationalökonomischen Denken, S. 77 ff. 142 Dynamische Effizienz läßt sich als Wachstumsrate, welche auf Produkt- oder Prozeßinnovationen beruht, modellieren. Vgl. E. Kantzenbach / K. Kinne, Nationale Zu-

4 Hauplkorn

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

50

Das technische Effizienzprinzip ist die Ursache dafür, daß nur solche Produktionsmöglichkeiten verwirklicht werden, die dem jeweils besten Stand der Technik entsprechen. Es führt dazu, daß veraltete Techniken, durch die Ressourcen verschwendet würden, außer acht gelassen werden. Dynamische Effizienz ist also gleichbedeutend mit technischem Fortschritt 143 • Preisveränderungen kommt in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung zu, über ökonomische Knappheiten und Konsumentenpräferenzen zu informieren. Preisflexibilität ist daher eine wichtige Voraussetzung dafür, daß der Wettbewerb seine Signal-, Informations- und Anreizfunktionen effizient erfüllen kann l44 • Friedrich August von Hayek hat dies mit dem Begriff des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren unbekannten Wissens plastisch gemacht l45 • Der Entdeckung folgt das Handeln, das im Wettbewerb dezentral und gemäß dem Prinzip der Zweckrationalität durch Preise und Preisveränderungen gesteuert wird. Hierfür hat wiederum von Hayek den Begriff des Wettbewerbs als spontaner Handeisordnung geprägt l46 •

sammenschlußkontrolle und internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, in: FS für Ingo Schmidt, 1997, S. 69 ff. 143 Grdl. zur statischen und dynamischen Effizienz M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 53 f., 104 ff., 180 ff., 236 f.; ders., Wettbewerb: Zuviel oder zu wenig Konzentration, in: K.A. Schachtschneider, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Umbruch, S. 377 ff.; F.A. v. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, S. 10 ff.; J. Siebke, Preistheorie, S. 61 ff.; K. Kleps, Staatliche Preistheorie, S. 5 ff. 144 Wettbewerb erfüllt ökonomische und meta-ökonomische, d.h. gesellschaftliche, Funktionen. Es gibt verschiedene Ansätze, diese Funktionen voneinander abzugrenzen und zu gruppieren. Ökonomische Funktionen lassen sich immer auf eine dynamische und eine statische Perspektive zurückführen. Hinzu tritt das verfassungsrechtliche Ziel der Gewährleistung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit (vgl. unten unter 1. Teil, C), das durch die Kontrolle wirtschaftlicher Macht abgesichert werden muß (unten unter 2. Teil, B), und das politische Ziel der bedarfsgerechten Einkommens- und Vermögensverteilung, das von der Wettbewerbs funktion der leistungsgerechten Einkommensverteilung abweichen kann. Vgl. zusammenfassend I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 28 ff.; vgl. auch E. Hoppmann, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs: Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderungen, JbNSt 181 (1967), S. 251 ff.

145

Vgl. F.A. v. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, S. 9 ff., 13 ff.

141i Vgl. von F.A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnungen, 1980, S. 57 ff.; ders., Arten der Ordnung, in: ders., Freiburger Studien, 1969, S. 32 ff.; C. Zeitler, Spontane Ordnungen, Freiheit und Recht. Zur politischen Philosophie von Friedrich August von Hayek, 1995; E.J. Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, S. 11 ff. Der Begriff der spontanen Handelnsordnung betont, daß Preisanpassungen allein aufgrund individueller Vorteilskalküle der Marktteilnehmer und nicht aufgrund hierarchischer Anweisungen erfolgen. Sofern das ökonomische Handeln durch staatliche Planaufstellung koordiniert wird, haben sich die Wirtschaftssubjekte

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

51

Wenn man von ökonomischer Effizienz spricht, sollte man deutlich machen, ob man die dynamischen Effekte des Wettbewerbs meint, oder aber die statische Optimalitätsbedingung. Letztere kann als optimale Mittelauswahl und optimaler Mitteleinsatz zur Verwirklichung eines vorgegebenen Zwecks, also als ZwecklMittel-Relation, beschrieben werden. Es ist der statische Effizienzbegriff, der dem gebräuchlichen Begriff der Wirtschaftlichkeit, wie ihn beispielsweise § 6 Abs. I HGrG enthält, und wie er in der juristischen Literatur vorherrscht147 , entspricht. Statische und dynamische Effizienzbetrachtungen lassen sich sowohl auf der einzelwirtschaftlichen als auch auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene anstellen. Gesamtwirtschaftliche technische Effizienz liegt vor, wenn ein bestimmtes Produktionsniveau zu geringstmöglichen gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wird (statisch) und diese Kosten im Zeitablauf immer geringer werden (dynamisch)I48. Da sich die für ein technisches Effizienzurteil maßgeblichen Begriffe (Nutzen und Kosten) auf vorgegebene Wertordnungen und Präferenzen beziehen, kann ein Urteil, das sich allein auf das "technische" Kriterium der Effizienz stützt, in Fällen interpersoneller Konflikte keine Aussagen darüber machen, welche und wessen Präferenzen Vorrang haben sollen l49 • Von den technischen Begriffen zu unterscheiden ist der wohlfahrtsökonomische Effizienzbegriff. Adam Smith hatte die Vorstellung, daß der Marktmechanismus zu einern volkswirtschaftlich optimalen Ergebnis führt, erstmals artikuliert. Die Neoklassik zeigte mathematisch, daß es in einer friktionslosen Welt vollständiger Preis- und Lohnflexibilität auch gesamtwirtschaftlich zur optimalen Faktorallokation, zur Angebotssteuerung nach den Präferenzen der Nachfrager (Konsumentensouveränität) und zur leistungsgerechten Einkom-

jedoch nach den Vorgaben dieses zentralen Plans zu richten. Nach den Erkenntnissen der Ökonomie (insbesondere auch der Neuen Politischen Ökonomie, vgl. oben unter 1. Teil, A. 11. 2) führt dies aufgrund von Informationsdefiziten, Partikularinteressen und einer Reihe systemirnrnanenter Gründe zu Ergebnissen, die allokativ ineffizient und meist nur kurzfristig tragfahig sind. Dazu W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 61 ff.; W. Röck, Versorgung und Preisbildung durch Markt - Macht - Staat, S. 141 ff.; W. Mäschel, Rechtsordnung zwischen Plan und Markt, S. 6 ff. 147 Vgl. etwa P. Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), S. 634: "Im Rahmen der Verfassungsdogmatik geht es um die Frage, in bezug auf welche Funktion, welche Inhalte und Ziele Effizienz bestehen soll; Effizienz wirkt (nur) in Normen, verfassungsimmanent, nicht von außen her. Sie ist kein selbständiger Grundsatz. Sie steht im Dienste der Normverwirklichung.

148 Vgl. E. Kantzenbach / K. Kinne, Nationale Zusammenschlußkontrolle und internationale Wettbewerbsfahigkeit von Unternehmen, S. 69 ff. 149



Detailliert P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 106 ff.

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

52

mensverteilung kommt150 • Im Rahmen der Wohlfahrtsökonomik lassen sich die gesamtwirtschaftlichen Folgen wirtschaftspolitischer Maßnahmen messen. Maßstab ist die wohlfahrtsökonomische Effizienz, die in unterschiedlicher Art und Weise operationalisiert werden kann. Die "alte" Wohlfahrts ökonomik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ging davon aus, daß man individuellen Nutzen kardinal messen und interpersonell vergleichen könne lSl • Dieses Konzept wurde jedoch vor allem von Lionel Robbins als unwissenschaftlich kritisiert ls1 • Die Vertreter der "neuen" Wohlfahrtsökonomik hielten interpersonelle Nutzenvergleiche nicht ohne Werturteil für durchführbar. Mit dieser Kritik begründeten sie die wohlfahrtsökonomische Wende hin zur ordinalen Nutzenmessung 1S3 • Verloren ging der theoretische Maßstab, an dem sich staatliche Maßnahmen messen ließen. In gewisser Weise markierte dies gleichzeitig einen Bruch mit den utilitaristischen Wurzeln Bentharns, nach der nicht nur eine Aggregation sondern auch eine Summation individueller Nutzen möglich gewesen war. Der Begriff des Gemeinwohls wurde als Funktion individueller Wohlfahrt beibehalten, ebenso der Grundsatz der PräJerenzautonomie, Benthams utilitaristisches Kalkül hatte aber seine Bedeutung als Entscheidungskriterium verloren 154 • Zurückgegriffen wurde auf das nach Vilfredo Pareto als Pareto-Kriterium benannte Entscheidungskonstrukt. Danach ist ein Zustand X besser als ein Zustand Y, wenn mindestens ein Individuum X präferiert und keines Y präferiert. Das Pareto-Optimum ist der geometrische Ort, an dem es nicht mehr möglich ist, ein Individuum besser zu stellen, ohne die Lage eines anderen zu verschlechtern. Hier herrscht ein Zustand maISO Vgl. H.C. Recktenwald, Würdigung des Werkes, in: A Smith, Der Wohlstand der Nationen, Buch I, S. LVI ff.; ders., Geschichte der Politischen Ökonomie, S. 12 ff., gibt hier einen Überblick über die Entwicklung der ökonomischen Theorie seit A. Smith und zeigt, daß der Versuch, die logische Geschlossenheit des klassischen Preismechanismus in eleganten mathematischen Modellen darzustellen, die wissenschaftliche Entwicklung dominierte. Vgl. oben unter I. Teil, A. 11. I. ISI Stellvertretend sei hingewiesen auf A.C. Pigou, The Economics of Welfare, 2. Auft. 1924, part I, ch. VII. Der Autor vertrat die Auffassung, daß eine Einkommensumverteilung von Reich nach Arm die Gesamtsumme der Befriedigung erhöhen würde. Sie sei keinesfalls ein Nullsummenspiel, sondern könne die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigern. Begründet hat Pigou diese These mit dem Gesetz vom sinkenden Grenznutzen des Einkommens. Armen Bevölkerungskreise nütze zusätzliches Geld mehr als reichen. Ul Vgl. v.a. L. Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 1935, S. 137 ff.

IS] V gl. dazu R. Möller, Interpersonelle Nutzenvergleiche, 1983, S. 23; Rothschild, Ethik und Wirtschaftstheorie, 1992, S. 42. IS.

Dazu H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 47 ff.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

53

ximaler wohlfahrts ökonomischer Effizienz 15S • Das Pareto-Kriterium liefert die Erkenntnis dafür, daß die Vertrags freiheit geeignet ist, den Gesamtnutzen beider Vertragspartner zu erhöhen, denn zu einem freiwilligen Vertragsschluß kommt es nur, wenn dies zumindest einen Vertragspartner besser stellt, der andere aber nicht schlechter gestellt wird. Pareto liefert hier die modelltheoretische Erklärung für die wohlfahrtsstiftende Wirkung der Marktwirtschaft lS6 . Eine staatliche Enteignung (vgl. Art. 14 Abs. 3 GG)157 ist der Idee nach durchaus mit dem Pareto-Kriterium zu vereinbaren, jedenfalls wenn die Entschädigung den Enteigneten auch nach seinem subjektiven Empfinden nicht schlechter stellt, die Enteignung selbst aber der Gemeinschaft nutzt I58 • Auf der anderen Seite gibt das Pareto-Kriteriumjedem einzelnen ein Vetorecht, mit dem er belastende Maßnahmen abwehren kann. In der Welt Paretos wäre daher der Gestaltungsspielraum staatlicher Wirtschafts- und Sozialpolitik eng beschränkt. Jede Umverteilung wäre ausgeschlossen, ebenso jede Subvention und jede Mindestpreisregelung, wie z.B. im Agrarmarktsektor u9 . Die Ausgangsverteilung wird vom Pareto-Kriterium nicht hinterfragt, sondern im Gegenteil: sie wird konserviert. Von einer Wertfreiheit der Paretianischen Wohlfahrtsökonomik kann

155 Die Paretianische Wohlfahrtsökonomie nennt drei Bedingungen des Wohlfahrtsoptimums: (1) Die individuellen Austauschverhältnisse (Grenzraten der Gütersubstitution) der Güter stimmen für alle Haushalte überein. (2) Die Faktoraustauschverhältnisse (Grenzraten der Faktorsubstitution) sind in allen Unternehmungen gleich. (3) Die objektiven Güteraustauschverhältnisse (Grenzraten der Transformation) entsprechen den kollektiven Austauschverhältnissen. Vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 163 ff., 189 ff.; H.G. Petersen, Finanzwissenschaft I, S. 43 ff.; J. Hackmann, Zulässige und unzulässige Schlußfolgerungen nach dem Pareto-Kriterium, WiSt 7 (1978), S. 557 ff.; I. Schmidt, WeUbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 6 f.; zum Effizienzbegriff (technisch, allokativ und dynamisch) vgl. E. Kantzenbach / K. Kinne, Nationale Zusarnrnenschlußkontrolle und internationale Weubewerbsfahigkeit von Unternehmen, S. 69 ff.; zur Identifizierung und Kritik des Gerechtigkeitsbegriffs in der Paretianischen Analyse und zum Problem der Konservierung der Ausgangsverteilung P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 206 ff. 1S6 Vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48 f. 157 Zur Eigentumsgarantie weiterführend unten unter 1. Teil, C. III. 158 Dieser Verweis stammt von H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 49 f. 159 Vgl. M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre III, S. 284 ff., 336 ff.; kritisch zu Utilitarismus und Paretianischer Wohlfahrtsökonomik P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 194 ff., 208 ff.; H.G. Nutzinger, Ökonomischer Imperialismus und diskursive Überforderung, in: Forum für Philosophie, S. 185, 191.

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I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

daher zumindest im Hinblick auf das praktische Ziel, eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung festzulegen, keine Rede sein l60 • Die Unbrauchbarkeit des Pareto-Kriteriums bei der vergleichenden Bewertung zweier sozialer Zustände führte zur Weiterentwicklung zum sogenannten KaldorIHicks-Kriterium I61 • Danach kann ein Zustand X gegenüber einem Zustand Y eine Verbesserung bedeuten, wenn einzelne Bevölkerungsgruppen in X schlechter gestellt sind. Voraussetzung ist, daß die Vorteile der Gewinner die Nachteile der Verlierer übertreffen. Eine tatsächliche Kompensation der schlechter Gestellten ist jedoch nicht erforderlich. Anders als das Pareto-Kriterium hat das KaldorlHicks-Kriterium in die wirtschaftspolitischen Praxis Bedeutung erlangt, und zwar in Form von KostenINutzen-Analysen. § 6 Abs. 2 HGrG schreibt KostenlNutzen-Analysen für geeignete, finanziell erhebliche staatliche Maßnahmen gesetzlich vor. In diesem Rahmen müssen dann Vor- und Nachteile monetär bewertet werden l61 • Das wohlfahrtsökonomische Effizienzkalkül der KostenlNutzen-Analyse optimiert keine ZwecklMittel-Relation, sondern unterstützt bei der Auswahl zwischen politischen Handlungs- oder Gesetzgebungsalternative. Ziel ist die Maximierung der KostenlNutzen-Differenz I63 • Um den Bedeutung des ökonomischen Effizienzgedankens für die rechtliche Beurteilung ökonomischer Tatbestände richtig einordnen zu können, ist das Auseinanderhalten der vorgestellten Begriffe zentral. In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist jedoch häufig eine gewisse Unsicherheit bei der Verwendung ökonomischer Begriffe festzustellen l64 • Zurückzuweisen sind jeden-

160 Vgl. H. Steinmann / W. Braun, Zum Prinzip der Wertfreiheit in der Betriebswirtschaftslehre, S. 191 ff.; G. Prosi, Die wirtschaftliche Bedeutung ethischer Regeln, WISU 17 (1988) 8/9, S. 482: "Alle hungern paretooptimal"; H. Kreikebaum, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 124 ff. 161 Vgl. N. Kaldor, Welfare Propositions of Economics and Interpersonal Comparisons of Utility, Economic Journal 49 (1939), S. 550; J. Hieks, The Foundations of Welfare Economics, Economic Journal 49 (1939), S. 706.

162 Es läßt sich darüber streiten, ob die Notwendigkeit der Bewertung nicht einem Rückfall hinter die Kritik an einern kardinalen Bewertungsmaßstab gleich kommt. Es wird nicht mit Nutzen, sondern mit Geldeinheiten gerechnet, die keinen interpersonellen Nutzenvergleich erforderlich machen. Sobald man jedoch aus einern positiven Saldo einen Rückschluß ziehen will auf das Nutzenniveau in einer Gesellschaft, ist eine kardinale Nutzenmessung und ein interpersoneller Vergleich notwendig, dazu detailliert H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 52, 115, 189 ff.

163 Weiterführend H. Hanuseh, Nutzen-Kosten-Analyse, S. 3 ff., geht auch auf die zahlreichen Anwendungsprobleme, insbesondere die Bewertungsprobleme ein. 164 Vgl. W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 3 ff., m.w.N.; H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 56.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

55

falls all diejenigen Versuche, die ökonomische Begriffe "induktiv" als Rechtsprinzip dienlich machen wollen, ohne daß von einern eindeutigen Begriffsgehalt ausgegangen wird. Einern derart "großzügigen" Ansatz folgt etwa Walter Leisner, der den Effizienzbegriff schlicht synonym mit den Termini Leistungsfähigkeit, optimale Funktionswahrnehmung, Rationalität, Optimierung und Effektivität verwendet l65 • Ein derart breiter Begriffskorb bietet jedem Leser Gelegenheit des argumentativen Zuspruchs, oder aber der erbitterten Ablehnung, trägt aber wenig dazu bei, den Stellenwert ökonomischer Prinzipien für das Recht deutlich zu machen. Wenn man dies will, muß man von einem präzisen, eindeutig definierten Effizienzbegriff ausgehen. In diesem Zusammenhang ist die vorgestellte Unterscheidung zwischen ZwecklMittei-Effizienz und wohlfahrtsökonornischer Effizienz zentral. Der Frage, welcher Aussagegehalt ökonomischen Effizienzkriterien bei der Beurteilung (preis )rechtlicher Vorschriften zukommt, soll im folgenden nachgegangen werden.

3. Ökonomische Rationalität als Kriterium des Rechts utilitaristische Begründungsprobleme Bereits innerhalb der utilitaristischen Logik zeigen sich die Unzulänglichkeiten der ökonomischen Effizienz als Kriterium des Rechts. Der Nutzenbegriff Benthams war umfassender angelegt als der ökonomische. Die ökonomischen Freuden am Reichtum sind nur ein Teil der utilitaristischen Freuden Benthams. Eine Politik der monetären Wohlstands verbesserung ist daher bereits aus utilitaristischer Sicht unvollständig l66 • Im Zentrum der Kritik stehen jedoch die utilitaristischen Grundsätze der Präferenzautonomie und das Aggregationsprinzip. Sie lassen der Menschenwürde und den Grundrechten nicht den Rang zukommen, den sie in einem Staat des Rechts haben müssen, da dem Utilitarismus eine ethisch-praktische Rationalitätsidee fehlt l67 • Der Gesetzgeber müßte sich bei der

165 Vgl. W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 6, der sein Vorgehen selbst als nicht erschöpfend und unsystematisch bezeichnet (S. 8) und im Rahmen seiner Abhandlung immer wieder zum Effizienzbegriff als Ausdruck einer optimalen ZweckMittel-Relation staatlichen HandeIns zurückkehrt, S. 24,48,54,59. 166 Zur Frage nach der Zielidentität zwischen ökonomischer Effizienz und utilitaristischer Nutzenmaximierung vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 177 ff., 272; R.A. Posner, Utilitarism, Economies, and Legal Theory, Journal of Legal Studies 8 (1979), S. 103 ff.; J.L. Coleman, Efficiency, Utility and Wealth Maximization. Hofstra Law Review 8 (1980), S. 509 ff.; kritisch auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 42; P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 180, 182 ff. 167 Vgl. A. Sen I B. Williams, Introduction, in: dies., Utilitarianism and Beyond, 1982, S. 1 ff.; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 190 ff.; ders., Integrative Wirtschaftsethik, S. 73 ff., 106 ff., 185 ff.; O. Hö!fe, Der Standpunkt der Moral: Utilitarismus oder Universalisierbarkeit?, in: K.O. Apel et. al. , Funkkolleg praktische

56

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Befolgung des Aggregationsprinzips immer nur nach der aggregierten Nutzensumme richten. Der einzelne erscheint nicht als Subjekt staatlichen Handeins, sondern als blutleerer Nutzenträger. Der individualistische Zug des Utilitarismus, der sich im Gedanken der Präferenzautonomie festmacht, erweist sich daher auf gesellschaftlicher Ebene als Farce. Tatsächlich zählt nur das Kollektiv, der einzelne ist nicht mehr als eine Zelle im staatlichen Organismus l68 . In einem Rechtsstaat darf der Mensch aber nicht als Mittel eines staatlichen Totalplans konzipiert werden, sondern ist seit Kant ein Zweck an sich selbst, ein absoluter Wert l69 • Als solchen vermag ihn die teleologische Wohlfahrtsökonomie jedoch nicht darzustellen. Auch die Versuche, unantastbaren Grundrechten innerhalb des Utilitarismus einen Platz zu sichern, können nicht überzeugen. Beispielsweise stellt die regelutilitaristische Theorie individuelle Rechte auf, läßt die Präferenzautonomie und die Aggregationslogik des Gemeinwohls aber unangetastet. Auch hier dienen Grundrechte letztlich nur als Mittel zum Zweck der Nutzenmaximierung l7O • Utilitaristisch kann die wohlfahrts ökonomische Effizienz nicht als Kriterium des Rechts begründet werden. Man kann jedoch der Frage nachgehen, ob eine ökonomisch rationale, effizienzorientierte Politik nicht vielleicht konsensfähig ist. Begründungen dieser Art werden von John Rawls und von Vertretern der wirtschaftsethischen Literatur versucht. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welchen Stellenwert die ökonomische Rationalität im Rahmen dieser Ansätze genießt. 11. Der Stellenwert ökonomischer Rationalität im Rahmen konsenstheoretischer Ansätze

1. Ökonomische Rationalität in der Gerechtigkeitstheorie von lohn Rawls Bereits innerhalb der utilitaristischen Philosophie gab es Versuche, den eindimensionalen Rationalitätsbegriff der technischen und wohlfahrtsökonomi-

Philosophie/Ethik, Studientext 2, 1984, S. 528 ff.; Vgl. S. Blasche, Einleitung, in: Forum für Philosophie, S. 7 ff.; Kriterium des Rechts ist die praktische Vernunft, dazu unten unter 1. Teil, B. III. 168 So auch die Utilitarismus-Kritik von J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 8. Aufl. 1994, S. 40 ff. 169 Vgl./. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61 ff. 170Vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 217 ff., diskutiert ausführlich und kritisch die Versuche, das Effizienzziel utilitaristisch zu begründen.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

57

schen Effizienz zu überwinden l7l • Interessant ist der Ansatz von lohn Rawls, der der utilitaristischen Logik seine Vertragstheorie der Gerechtigkeit als Fairneß zur Seite stellt und sich dabei bewußt in die Tradition anderer Gesellschaftsvertragstheoretiker begibtl7l . Rawls fordert, die Grundsätze Fairneß, Würde und Humanität zu beachten, da nur so eine gerechte Gesellschaftsstruktur zu erreichen sei. Mit dem Wort "Vertrag" macht er deutlich, daß es konkurrierende Gerechtigkeitsgrundsätze gibt, die sehr vielfältig sein können und der öffentlichen Verlautbarung, der Transparenz also, bedürfen 173 • Sämtliche Handlungen und institutionelle Regelungen sollen mit dem "Kernanwendungsbereich" der Rawls'schen Gerechtigkeitsgrundsätze vereinbar sein. Wirtschaftliche Gesichtspunkte, wie z.B. die ökonomische Effizienz oder die soziale und wirtschaftliche Begünstigung einzelner Bevölkerungsgruppen, läßt Rawls hinter seine Gerechtigkeitsgrundsätze zurücktreten. Sie bilden bei der Auswahl wirtschaftspolitischer Alternativen lediglich einen Gesichtspunkt unter vielen und sind nachrangig gegenüber moralischen und politischen Erwägungen l74 . Um seine Gerechtigkeitsprinzipien zu bestimmen, abstrahiert Rawls von den faktischen Verhältnissen durch seine Figur des Urzustands, der durch einen sogenannten "Schleier des Nichtwissens"17! gekennzeichnet ist. Unter diesem "Schleier" liegt das Wissen über die (zukünftige) soziale Position und die Lebenschancen sämtlicher Gemeinschaftsmitglieder verborgen. "Der Urzustand ist dadurch bestimmt, daß Einstimmigkeit möglich ist; die Überlegungen eines beliebigen Menschen gelten für alle. Gleiches gilt für die wohlüberlegten Urteile der Bürger einer wohlgeordneten Gesellschaft, in der die Gerechtigkeitsgrundsätze in Kraft sind. Jeder hat den gleichen Gerechtigkeitssinn; in dieser Hinsicht ist eine wohl geordnete Gesellschaft homogen. "176.

171 Vgl. H. Sidgwick, Methods ofEthics, 1875, dt. Auszug in: O. Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 98 ff.; vgl. auch die weiterentwickelte Wohlfahrtstheorie als Sozialwahltheorie (social choice) bei K.J. Arrow, Social Choice and Individual Values, 2. Aufl. 1963; w.N. bei J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 40 ff. 172 Vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 234 ff. 173 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 33 f.; dazu H.J. Giegel, Steuerung des ökonomischen Systems durch moralische Orientierungen, in: Forum für Philosophie, S. 38, 53; keine Gerechtigkeit ohne Publizität meint schon I. Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 244. 174 Vgl. 1. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 291 ff., 46, 72 ff. m J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff.; dazu hinsichtlich der Bestimmung einer gerechten Umverteilungsregeln V. Nienhaus, Das Sozialstaatsprinzip als Korrekturmaßstab der wettbewerblichen Primärverteilung?, S. 50 ff. 176

J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 296.

58

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts Rawls faßt seinen "Urzustand" auf als eine verfahrensmäßige Deutung des

kategorischen Imperativs im Rahmen einer empirischen Theorie. Immanuel Kants kategorischer Imperativ lautet: " ... handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." 177 Mit dem Bild des Urzustands stellt Rawls eine Verbindung zwischen den transzendenten Begriffen Kants und dem menschlichen Verhalten her 178 • Kants Grundsätze eines "Reiches der Zwecke"179 ersetzt Rawls durch zwei allgemeingültige Gerechtigkeitsgrundsätze, die er aus seinem formalen System des Urzustands ableitet: "Erster Grundsatz Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreiche Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist. Zweiter Grundsatz Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: (a) Sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes dem am wenigsten begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und (b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offen stehen. ,,180 Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz spricht von Grundfreiheiten. Rawls versteht darunter das aktive und passive Wahlrecht, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die Gewissens- und Gedankenfreiheit, die persönliche Freiheit und das persönliche Eigentum. Das Eigentum an Produktionsmitteln und die Vertragsfreiheit nimmt Rawls ausdrücklich vom Schutz des ersten Gerechtigkeitsgrundsatzes aus l81 . Er hält es durchaus für vorstellbar, daß man sich im Urzustand auf eine planwirtschaftliche Ordnung einigt, betrachtet das Markt-

177 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51; weiterführend zur kantianischen Position unten unter I. Teil, B. III. 178 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 289, 297 ff. 179 Zum Begriff des "Reichs der Zwecke": I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66, ..... die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze." 180 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 336; die Gerechtigkeitsgrundsätze (Fairneßprinzipien) werden um sogenannte Vorrangregeln ergänzt, dazu S. 336 ff.

181

Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 82 ff.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

59

preissystem aber grundsätzlich für das gerechtere Koordinationsverfahren und zieht es sämtlichen Verfahren bürokratischer Wirtschaftslenkung vor l82 • Der zweite Grundsatz nimmt Bezug auf die Verteilung von Vermögen und Einkommen. Rawls formuliert sein Dijferenzprinzip, das die Legitimitätsbedingungen zulässiger sozialer Ungleichheit zu definieren beansprucht und so den Vorrang der sozialen Gerechtigkeit vor der Pareto-E/fizienz sichern soll. Soziale Umverteilung ist so weit gerechtfertigt, wie sich dadurch die Lage der am wenigsten Begünstigten absolut verbessern läßt. Umgekehrt gelten auch solche Maßnahmen als legitim, durch die die absolute Lage der bereits Begünstigten am stärksten verbessert und somit die relative Ungleichheit vergrößert wird, solange dadurch die absolute Lebenslage der am schlechtesten Gestellten ebenfalls verbessert wird. Ungleichverteilungen müssen also jedermann zum Vorteil gereichen l8J • Unter dem Begriff des Gemeinwohls versteht Rawls also nicht die ökonomische Wohlfahrt, sondern eine "soziale Entscheidung", die auf der Basis seiner zwei Gerechtigkeitsprinzipien zu treffen ist und "nach Verhältnissen und Zielen (strebt), die jedermann gleichermaßen zum Vorteil gereichen (Erg. d. Verf.). "184 Bei der Auswahl und Beurteilung wirtschafts- und preispolitischer Vorschriften spielen für Rawls nicht mehr Effizienzerwägungen die tragende Rolle, sondern moralische und politische Gesichtspunkte. Dennoch plädiert Rawls für einen Vorrang des Marktpreissystems. Seine Anonymität schließe ein "vernünftiges Maß menschlicher Selbstbestimmung" nicht aus, biete aber Effizienzvorteile, die eine Gesellschaft für sich nutzen könne. Da das Preissystem aber keine Rücksicht nehme auf die menschlichen Grundbedürfnisse einer individuellen Lebensplanung, dürfe sich die Wohlfahrtsverteilung nicht ausschließlich auf das Preissystem stützen lH5 . Mit seinem Differenzprinzip fordert Rawls nichts anderes, als das Einkommen und Vermögen der am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder zu maximieren l86 Gerade dieser Versuch, dem formalen

182

Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 306 ff., 315.

183 Dies bringt Rawls in einer anderen Formulierung des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes zum Ausdruck: ,,2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.", in: J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 263; zu dieser Interpretation des 2. Grundsatzes vgl. Vgl. P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 252 f. 184 185

J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 263.

Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 310 ff.

186 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 292; so auch P. Ulrich,Integrative Wirtschaftsethik, S. 252 ff.; vgl. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 194.

60

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Konzept des Urzustands ein materiales Differenzprinzip abzuringen, ist jedoch fraglich. Mit der Feststellung, daß die unvermögendste Bevölkerungsgruppe definitionsgemäß die sei, der es am schlechtesten ginge, scheint Rawls das Ziel seiner Untersuchung vorwegzunehmen. Implizit unterstellt er damit das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens und die Möglichkeit der kardinalen Nutzenmessung, knüpft in diesem Punkt also wieder an Alfred Pigou und die alte Wohlfahrtsökonomik an l87 • James M. Buchanan vertritt daher die Auffassung, daß Rawls Ansatz überzeugender wäre, wenn er ihn dazu benutzt hätte, jede theoretische Ableitung materialer Gerechtigkeitsprinzipien zurückzuweisen l88 • Andere Kommunikationsethiker bemängeln, daß sich die Grundsätze einer konsensfähigen Sozialentscheidung nicht "hinter dem Rücken der Betroffenen" bestimmen lassen l89 • In der Sache scheinen diese Einwände durchaus berechtigt. Zur Verteidigung von Rawls muß jedoch betont werden, daß es ihm um einen interpersonellen Nutzenvergleich gar nicht geht. Sein Erkenntnisinteresse richtet sich nicht auf Grundgüter als Nutzenindikatoren, sondern auf Grundgüter als Instrumente der Freiheitsförderung loo • Er will lediglich ein Existenzminimum gewähren, damit jeder einzelne in die Lage versetzt wird, sich und seinen vernünftigen Lebensplan zu verwirklichen l91 • Ihm kommt der Verdienst zu, den Einzelnen aus der sprachlosen Welt einer utilitaristischen Wohlfahrts funktion herausgelöst und in seinem vertragstheoretischen Ansatz implizit als mündigen Bürger anerkannt zu haben l91 • Die Effizienz steht bei Rawls unter dem Primat der Grundfreiheiten und ist nur ein Aspekt unter mehreren, denen sich die "soziale Entscheidung" zu widmen hat. 2. Ökonomische Rationalität in der Literatur zur Wirtschaftsethik

Eine Integration des technischen und wohlfahrtsökonomischen Rationalitätsverständnisses unter das Prinzip praktischer Vemunft wird auch von Vertretem

\87

Vgl. A. C. Pigou, The Economics of Welfare, 2. Aufl 1924, part I, ch. VII.

188 Vgl. J.M. Buchanan, Freedom in Constitutional Contract, 1977, S. 132 ff.; kritisch auch P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 247 ff. 189

P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 346, vgl. auch S. 254 ff.

Rawls wird im angelsächsischen Raum der wohlfahrtsökonomischen Diskussion zugeordnet, gilt in Deutschland aber eher als Beitrag zur Rechtsphilosophie; vgl. dazu E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts in den USA, in: H.-D. Assmann I C. Kirchner I E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, Tübingen 1993, S. 14. 190

191 Auf dieses Erkenntnisinteresse stellt auch H. Rechtsprinzip, S. 194 f., ab.

Eidenmüller, Effizienz als

191 Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 263 ff.; S. Blasche, Einleitung, S. 9.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

61

der sogenannten Wirtschaftsethik versucht. Im folgenden sollen stellvertretend für andere die Standpunkte von Peter Ulrich sowie von Horst Steinmann und Albert Löhr vorgestellt werden. a) Integrative Wirtschaftsethik von Peter Ulrich Peter Ulrich versteht seine integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik nicht als moralisierende Begrenzung der ökonomischen Rationalität von außen her, sondern als philosophisch-ethische Erweiterung von innen her. Er will die herkömmliche Zwei- Welten- Vorstellung, mit der ökonomischen Sachlogik auf der einen Seite und dem außerökonomischen, moralischen Verantwortungsbewußtsein auf der anderen Seite, überwinden 193 • Damit sieht Ulrich seine Theorie als Fortführung der vertragswissenschaftlichen Ansätze von John Rawls und James M. Buchanan, deren Ansätze er als paradigmatischen Brückenschlag von der reinen Effizienzbetrachtung zum politisch-ökonomischen Konstitutionsproblem würdigt. Nach Ulrich kann die heuristische Bezugnahme auf einen hypothetischen, idealen Naturzustand die fehlende Leitidee ethisch-politischer Vernunft jedoch nicht ersetzen l94 • Er hält einen zweiten paradigmatischen Schritt für erforderlich: von der Vertragswissenschaft zur Verständigungswissenschaft l95 • Ulrich knüpft also zum einen an die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls an, zum anderen aber an die kommunikative Ethik, wie sie vor allem von Jürgen Habermas l96 und Karl-Otto ApeP!17 entwickelt wurde, und versucht, den idealen Naturzustand sprachpragmatisch zu rekonstruieren. Das Kriterium der Konsensfahigkeit einer sozioökonomischen Situation unter den Betroffenen soll die utilitaristische Rationalitätsidee aufheben. Im Konsens sollen anfängliche Präferenzen der Individuen argumentativ kritisiert und verändert werden l98 • Die Nähe zu Kant ist offensichtlich. Kommunikationsgemeinschaft und Kon-

193 Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 213 ff.; 323 ff.; ders., Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik - ein Rahmenkonzept, S. 77 ff. 194

Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 266 ff.

195

Vgl. P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 78 ff.

Vgl. J. Habermas, Diskursethik - Notizen zu einem BegTÜndungsprogramm, in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1992, S. 53 ff.; ders., Erläuterungen zur Diskursethik, 1991; ders., Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 16 ff. 196

191 Vgl. K.O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, 4. Aufl. 1988; ders., Diskurs und Verantwortung, 1988. 198 P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 265 ff.; anders O. Höjfe, Der Standpunkt der Moral: Utilitarismus oder Universalisierbarkeit?, S. 536 ff., hält den Diskurs allein für kein angemessenes Moralkriterium, da er an Voraussetzungen geknüpft ist, die selbst nicht Gegenstand des Diskurses sind.

62

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

sensfähigkeit ersetzen die kritische Selbstreflexion, die Kant mit dem kategorischen Imperativ vorgesehen hat. Die Diskursethik wird als sprachpragmatische Wende der kantianischen Transzendentalphilosophie bezeichnet. Sie behält das formale Begründungskonzept bei, will Kants kommunikationslosen geistigen Robinson jedoch in die Kommunikationsgemeinschaft der Lebenswelt zurückholen l " und Kants methodischen Solipsismus'oo durch das Apriori der idealen Kommunikationsgemeinschaft ersetzen. Das Verallgemeinerungsprinzip, demgemäß alle Argumente gegenüber jedermann rechtfertigungsfähig sein müssen, ist rur Kants monologische Situation kennzeichnend. Es gilt auch rur die ideale Kommunikationsgemeinschaft als tragende regulative IdeelOl und zeigt die Richtung der Normenbegründung an, ohne deren Ergebnisse theoretisch vorwegzunehmen. Kommunikationsethiker fordern: "Diskurse müssen praktisch geruhrt werden, sie lassen sich nicht in theoretischer Analyse einholen. "101. Dabei dient ihm das politisch-ökonomische Leitbild der Kommunikationsgemeinschaft als normative Orientierung. Hier hat der homo oeconomicus keinen Platz mehr. Das Menschenbild der Kommunikationsethik ist der mündige Argumentationsteilnehmer, der sich als Bürger einer offenen Gesellschaft verwirklicht'O] und aktiv an der diskursiven Suche nach dem Gemeinwohl teilnimmP". Teilnahmeberechtigt sind alle, denen ein besonderes

199 Vgl. K.O Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 220 ff., 358 ff. und J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 53 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 17 ff.; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 280 ff.; ders., Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik - ein Rahmenkonzept, S. 77 ff.; andere Auffassung R. Köpper, Unternehmensethik - Ethik oder Theorie der rationalen Konfliktbewältigung, in: Forum für Philosophie, S. 131 ff.; H. Kaiser, Die ethische Integration ökonomischer Rationalität, S. 151 ff.

100 D.h. die Vorstellung, daß das einsam denkende Ich, der geistige Robinson, das Erste und Grundlegende sei, hinter das nicht zurückgegangen werden könne, vgl. K.-O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 375 ff.; dieser Vorwurf wird zurückgewiesen von A. Pieper, Ethik als Verhältnis von Moralphilosophie und Anthropologie. Kants Entwurf einer Transzendentalpragmatik und ihre Transformation durch Apel, Kant-Studien 69 (1978), S. 324 ff. 101 Vgl. T Bausch, Wirtschaft und Ethik, in: Forum für Philosophie, S. 19-36, 20 f.; A. Pieper, Ethik als Verhältnis von Moralphilosophie und Anthropologie, S. 327; O. Höfle, Der Standpunkt der Moral: Utilitarismus oder Universalisierbarkeit?, S. 536. 101

P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 292.

10] Vgl. P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik S. 48 ff., 80 ff., 305 ff., zur Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft, S. 91 ff., zur realen Kommunikationsgemeinschaft; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 228 ff., 357.

'''Vgl. Vgl. P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, S. 180 ff., 324 ff.; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 426.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

63

Interesse zugesprochen werden kannlOs. Da eine theoretisch exakte Bestimmung der relevanten Interessengruppen ex ante nicht möglich ist, wird die institutionelle Gewährleistung ausgebauter Anhörungs-, Oppositions-, Klage-, Entschädigungs- und Mitspracherechte vorgeschlagen. Alle, die sich durch eine Regelung betroffen fühlen, sollen die Möglichkeit haben, ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Die ideale Kommunikationsgemeinschaft ist das Leitbild. Je näher ihm eine reale Kommunikationssituation kommt, desto größer wird die Chance, daß das Prozeßergebnis der volonte generale, dem wahren, vernünftigen Gemeinschaftswillen, entspricht und nicht nur der volonte de tous, der Entscheidung der Mehrheit206 • Die diskursethischen Überlegungen gelten auch für Auswahl und Beurteilung staatlicher Preisvorschriften. Zum Stellenwert, den Marktpreisbildung, Effizienz oder Verteilungsgerechtigkeit haben, kann jedoch ex ante - hinter dem Rücken der Betroffenen - nichts gesagt werden. Peter Ulrich will alle relevanten Kriterien in seinem erweiterten, integrierten Begriff ökonomischer Rationalität aufgehoben wissen 207 • Er entscheidet sich weder für noch gegen den Markt, sondern für den Diskurs als allein gültiges Entscheidungsmodell. Die praktische Vernunft der Gesetzesregelungen sieht er durch die direkte Einflußnahme aller Betroffenen auf Aufstellung und Anwendung der relevanten Vorschriften gewahrt. Fehlsteuerungen des Marktes, etwa das Problem externer Effekte, werden bei ihm durch Verhandlungen "vor Ort" systematisch internalisiertI°8 • b) Republikanisches Konzept der Unternehmung von Horst Steinmann und Albert Löhr Horst Steinmann und Albert Löhr thematisieren die Doppelrolle, die ein Unternehmer in der Gesellschaft spielt: Zum einen nutzt er seine unternehme-

20S Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 382 ff.; nur dann kann auch von einem republikanischen Interessenausgleich gesprochen werden, K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 617 ff., 631.

206 Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 306,417, 331: Zur Vorbereitung einer entzerrten Kommunikationssituation können ausnahmsweise partielle, stellvertretende Diskurse dienen; vgl. auch T. Bausch, Wirtschaft und Ethik, S. 23. 207 Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 213 ff.; 323 ff.; ders., Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik - ein Rahmenkonzept, S. 77 ff. 208 Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 371 ff., 426 ff. Dies knüpft an das Coase-Theorem an, wonach sich durch externe Effekte hervorgerufene Ineffizienzen nicht nur durch eine Steuer (Pigou-Steuer) vermeiden lassen, sondern auch ohne staatlichen Eingriff durch Verhandlungen von rational und nutzenmaximierenden Parteien. Dazu H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S 59 ff.

64

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

rischen Freiheiten privatwirtschaftlieh zur Gewinnerzielung209 ; zum anderen bleibt sein privates Wirtschaften der "öffentlichen Sache (res publica) des Friedens" verpflichtet2lO • Diese Position deckt sich mit dem republikanischen Begriff des Wettbewerbs als einer "res publica und res privata"lIl, der dieser Arbeit zugrunde liegt. Die philosophische Ausgangsposition des republikanischen Konzepts der Unternehmung entspricht der der integrierten Wirtschaftsethik Ulrichs. Wie er plädieren die Autoren vor allem mit Jürgen Habermas 212 für den grundsätzlichen Vorrang des Dialogs zur Lösung von Konfliktsituationen l13 • Ihre Dialogethik beschreibt als prozessuale Ethik das Verfahren, nach dem die Gültigkeit vorgeschlagener Normen zu prüfen ist. Als Kriterien des "idealen Dialogs" gelten die Unvoreingenommenheit gegenüber allen Vororientierungen, die Nicht-Persuasivität, also der Verzicht auf Appelle, die Sachverständigkeit und die Zwanglosigkeit durch den Verzicht auf Sanktionen2l4 • Im Gegensatz zu Ulrich gehen Steinmannl Löhr in ihrem Konzept von der Marktwirtschaft als situativer, historischer Rahmenbedingung aus. Diesem werfen sie vor, sein wirtschaftsethisches Konzept führe in die inhaltliche Richtungslosigkeit, da es das Gewinnprinzip als historisch-strukturelle Vorgabe der Wettbewerbswirtschaft ignoriere m . Hingegen ist das Marktpreisprinzip bei Steinmannl Löhr ein ethisch und rechtlich verteidigbarer Wert per se, da die unbestrittene Vielschichtigkeit des Wirtschaftslebens zu einer Entlastung von Dialogverpflichtungen und zu einer grundSätzlichen Umstellung auf den Markt als argumentationsfreiem Steuerungsmittel zwinge216 • Anders als die Planwirtschaft sei die Marktwirt-

209 Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung wirtschaftlicher Freiheiten vgl. I. Teil, C. I. 2, 11, VI. 1 u. 2. 210 Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Unternehmensethik - Ein republikanisches Programm in der Kritik, in: Forum für Philosophie, S. 148; ders., Zehn Jahre Untemeh-mensethik eine Bestandsaufnahme der Kemprobleme, in: K.A. Schachtschneider, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Umbruch, 1995, S. 227.

1Il

K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 396.

Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 21 ff.; 127 ff., 187 ff., 339 ff.; ders., Diskursethik - Notizen zu einem Begründungsprogramm, in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 53 ff. 212

l13

Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 67 ff.

Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 69; Kritik an der Idee eines "herrschaftsfreien Dialogs" bei D. Schneider, Wird Betriebswirtschaftslehre durch Kritik an Unternehmensethik unverantwortlich?, ZfbF, 43 (1991) 6, S. 539 ff.; Würdigung bei H. Kreikebaum, Grundlagen der Untemehmensethik, S. 140 ff. 214

mV gl. H. Steinmann / A. Löhr, Unternehmensethik - Ein republikanisches Programm in der Kritik, S. 160. 216

Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 73.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

65

schaft ökonomisch effizient, beseitige Mangelsituationen und trage hierdurch zum Frieden bei 2l7 • Folglich könnten ökonomische Argumente für sich eine Richtigkeitsvermutung beanspruchen. Nach Auffassung der Autoren ist also nicht das ökonomische Prinzip der Gewinn- und Nutzenmaximierung (d.h. das Formalziel) kritisch zu hinterfragen, sondern allein die zur Gewinnerzielung verwendete Unternehmensstrategie (d.h. das unternehmerische Sachziel)218, In ihrer Lehre fordern Steinmannl Löhr, antizipierbare Strukturkonflikte unter dem Gesichtspunkt einer friedlichen Lösung gesetzlich vorzuregeln. Jedoch dürfe nicht davon ausgegangen werden, daß alle ethischen Entscheidungsprobleme antizipiert und lückenlos erfaßt werden könnten, daher sei eine Unternehmensethik als kritisch-loyale Selbstverpflichtung und als letzter Bezugspunkt unternehmerischer Entscheidungen unverzichtbar2l9 • Eine solche hält Kar! Homann, ein weiterer Vertreter dieser Forschungsrichtung, für unnötig. Für Homann ist der systematische Standort der Ethik allein der Rechtsrahmen. Jede ethisch-normative Aufladung der unternehmerischen Tätigkeit sei illusorisch und deshalb abzulehnen 2Zo. Es könne nicht erwartet werden, daß Marktteilnehmer moralisch handelten, wenn dies für sie einen Wettbewerbsnachteil mit sich bringen würde. Deshalb müßten moralische Normen vollständig in die Spielregeln des Marktes, also in die Rechtsvorschriften, eingebunden werden221 • Weder für Steinmannl Löhr noch für Homann steht das ökonomische Prinzip zur Disposition. Anders hingegen das unternehmerische Handeln: Steinmannl Löhr stellen es unter den Vorbehalt der Gesetze und der formalen, regulativen

217 Diesen Nachweis führt modelltheoretisch etwa W. Gerke, Neuorientierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 54 ff.; J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 72 ff., betont ebenfalls die Effizienzvennutung der Marktwirtschaft, die Wohlstand verspricht und somit auch dem sozialen Verlangen nach Sicherheit Rechnung trägt. 218 Vgl. H. Steinmann / B. Oppenrieder, Brauchen wir eine Unternehmensethik? Ein thesenartiger Aufriß einzulösender Argumentationspflichten, DBW 45 (1985), S. 174; ders. / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 95, 100 ff.; H.G. Nutzinger, Ökonomischer Imperialismus und diskursive Überforderung, S. 195. 219 Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 92, 104 ff.; der Idee nach entspricht dies Kants Konzept der inneren Pflicht zur Sittlichkeit (inneren Freiheit), vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51.

220 Vgl. K. Homann, Rationalität und Demokratie, 1988, S. 266 ff.; ders., Marktwirtschaft und Unternehmensethik, S. 112 ff., folgt also wieder dem Menschenbild des homo oeconomicus; dazu auch H. Kaiser, Die ethische Integration ökonomischer Rationalität, S. 131 ff., 146; H. Kreikebaum, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 154 ff.

m Vgl. K. Homann, Marktwirtschaft und Unternehmensethik, S. 111; T. Bausch, Wirtschaft und Ethik, S. 24.

5 Hauptkorn

66

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Idee des Friedens, während Homann sich auf den Gesetzesvorbehalt beschränkt. Ökonomische Fehlentwicklungen weisen für Steinmannl Löhr daher zunächst auf unmoralische Unternehmensstrategien hin. Sie fordern, diese auf der privaten Ebene, auch unter Inkaufnahme von Intra-Rollenkonjlikten, ethisch zu lösen. Dies sei eine notwendige, wenn auch nicht erzwingbare Tugendpjlichf 22 • Im praktischen Fall kann dies zum Verzicht auf Gewinnchancen, zur Aufgabe von Geschäftsfeldern, oder aber zur Anmahnung von Gesetzesreformen führen. Auf die zweite Sollensordnung der Ethik will Homann verzichten. Er fordert, sämtliche Konflikte auf der Ebene des Ius vorzuregeln. Neben den staatlichen Vorschriften auch noch die Art und Weise der Gewinnerzielung ethisch zu reflektieren, sei ökonomisch irrational (jedenfalls wenn dies zu Wettbewerbsnachteilen führt). Steinmannl Löhr kritisieren diesen Standpunkt als Rest einer neo klassischen Strukturdominanz223 • Tatsächlich führt Homanns Lehre in konsequenter Fortführung zu einem immer dichteren Netz gesetzlicher Regelungen. Sie wird lückenhaft, sobald man die Unterscheidung von Recht und Gesetz einführt, denn Gesetze finden nur dann zum Recht, wenn sie in einem sittlichen Verfahren nach Maßgabe der praktischen Vernunft zustande kommen 224 • Im existierenden Parteienstaat kann davon nicht unbedingt ausgegangen werden 225 • In Ergänzung zur herrschenden Gesetzeslage ist daher ein weiterführendes Korrektiv nötig, denn alles Handeln unterliegt zwei Sollensordnungen: den Rechtspflichten aus den staatlichen Gesetzen, dem Ius, und den Tugendpflichten, der Ethik, deren Verbindlichkeit auf Selbstzwang beruht226 •

222 Zur Nichterzwingbarkeit der Tugendpflichten I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 318 ff., 510 ff.; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 230 ff.

mV gl. H. Steinmann / A. Löhr, Unternehmensethik - Ein republikanisches Programm in der Kritik, S. 168 ff.; auch H.-i. Giegel, Steuerung des ökonomischen Systems durch moralische Orientierungen, S. 59 f.; H. Kaiser, Die ethische Integration ökonomischer Rationalität, S. Jl7 ff., 141; P. Ulrich, Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik - ein Rahmenkonzept, S. 84. 224 Zur begrifflichen Unterscheidung von Recht und Gesetz vgl. etwa W. Heyde, Rechtsprechung, HVerfR, S. 1627 ff.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff., 519 ff., 819 ff., 902 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 9 ff.; Recht als prozedurale, prinzipiengeleitete Richtigkeit auch bei R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 139 ff., 201; P. Kunig, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 50 zu Art. I; anders der Gesetzespositivismus, der geprägt ist v.a. von C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 27 ff.; G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft; zum Begriff Recht aus der Perspektive des juristischen Historismus, Positivismus, Realismus und Idealismus vgl. die Aufsatzsammlung von W. Maihofer, Begriff und Wesen des Rechts. 225

Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 902.

226

Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 230 ff.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

67

Das Grundgesetz beider Sollensordnungen ist das Sittengesetz Kants ll7 • Die regulative Idee des Friedens von Steinmannl Löhr trägt beiden Sollensordnungen Rechnung. Das republikanische Konzept der Unternehmung baut also auf der historisch bewährten Vorgabe des Marktpreisprinzips auf. Es akzeptiert die wohlfahrtsökonomische Effizienz als schützenswertes Staatsziel, ohne jedoch einen Vorrang ökonomischer Entscheidungskriterien vor anderen, im Dialog einzubringenden Argumenten zu fordern. Vielmehr steht die ökonomische Effizienz unter dem Vorbehalt des Gemeinwohls, das die Autoren als Friedensziel operationalisieren.

III. Der Stellenwert ökonomischer Rationalität im Rahmen der republikanischen Freiheits-, Staats- und Rechtslehre

1. Deontologie statt Teleologie Utilitaristische und wohlfahrtsökonomische Gesellschaftstheorien dogmatisieren Freiheit als Recht, sich den eigenen Präferenzen entsprechend verhalten zu dürfen. Das Gemeinwohl ergibt sich in einer additiven Logik aus der Zusammenfassung individueller Nutzenwerte. Recht ist, was den Nutzen steigert. Peter Ulrich bezeichnet den Utilitarismus als "moralphilosophische Einkleidung des technischen Kriteriums der Zweckrationalität"l18, deren normative Kraft des Faktischen aus praktisch-philosophischer Sicht unhaltbar ist (naturalistischer Fehlschluß)ln. Die praktische Philosophie Immanuel Kants verfolgt den entgegengesetzen Ansatz. Sie ist nicht teleologisch, sondern deontologisch. Ihre Handlungsempfehlungen orientieren sich nicht an einem materialen Prinzip, wie etwa der Grenznutzenlehre der Neoklassik, der Moralphilosophie der modernen "Kaufmannsseele"l3O, sondern an der Verallgemeinerungsfähigkeit allgemeiner, innerer PflichtenlJ1 . Kant spricht auch von innerer Freiheit, gemeint ist der kategorische Imperativ des HandelnslJ1, den er in seiner Kritik der praktischen Vernunft als Grundgesetz der praktischen Vernunft formuliert:

117

Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 231.

118 P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 182 ff. 119 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 138, 172, 346, 526, 540, 621,757; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 213 ff., 225. 130 M. Weber, Die Grenznutzenlehre und das "psychophysische Grundgesetz", in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 5. Aufl., 1982, S. 394. m

Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 105 ff., 130.

m I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51: " ... handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde."

68

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. "233

Aussagen über den Stellenwert ökonomischer Beurteilungskriterien im Rahmen einer republikanischen Freiheits-, Staats- und Rechtslehre zu treffen, ist schon deshalb schwierig, weil die Pflichtethik Kants weitaus weniger Einfluß auf das Gedankengebäude der klassischen Ökonomie genommen hat, als die utilitaristische Ethik, die fast ausschließlich im angelsächsischen Raum entwickelt wurde 234 • Bevor man jedenfalls zu Aussagen gelangen kann, muß man das formale Handlungs- und Gemeinwohlprinzip der praktischen Vernunft sowie den republikanischen Freiheitsbegriff erläutern. Ein solches Vorgehen fordert Kant auch selbst: "Um die praktische Philosophie mit sich selbst einig zu machen, ist nötig, zuvörderst die Frage zu entscheiden: ob in Aufgaben der praktischen Vernunft vom materialen Prinzip derselben, dem Zweck (als Gegenstand der Willkür) der Anfang gemacht werden müsse, oder vom formalen, d.i. demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältnis gestellten) darnach es heißt: handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein welcher er wolle). Ohne alle Zweifel muß das letztere Prinzip vorangehen: denn es hat, als Rechtsprinzip, unbedingte Notwendigkeit"235.

2. Formalität der Kriterien des Rechts

In der Republik ist weder die technische noch die wohlfahrtsökonomische Effizienz Ziel des politischen Handeins, sondern allein die Verwirklichung des Gemeinwohls, des volonte generale, also des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit236 • Anders als im Utilitarismus und in der Wohlfahrtsökonomie ist der republikanische Gemeinwohlbegriff nicht material, sondern formal. "In Ansehnung der ersteren (der Glückseligkeit) kann gar kein allgemein gültiger Grundsatz für Gesetze gegeben werden. Denn, sowohl die Zeitumstände, als auch der sehr einander widerstreitende und dabei immer veränderliche Wahn, worin jemand seine Glückseligkeit setzt (worin er sie aber setzen soll, kann ihm niemand vorschrei-

233 I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 140; wenn die Gesetzgebung dem Willen entspricht, nötigt die Vernunft zum Gehorsam, er erfolgt aus Pflicht, S. 589 ff.

234

Vgl. P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 180 ff.

235 I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 239. 236 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 574 ff., 658 ff.; ders., Republikanische Freiheit, S. 834 ff.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

69

ben), macht alle festen Grundsätze unmöglich, und zum Prinzip der Gesetzgebung für sich allein untauglich 2J7 • Kant überläßt es jedem selbst, seinen individuellen Lebensplan zu gestalten. Einen materialen Gemeinwohlbegriff lehnt er ab, ebenso ein materiales Konzept des Glücks oder der Lebensqualität. Ökonomische Wohlfahrt ist für ihn zwar kein Zweck, der direkt Pflicht wäre. Kant erkennt jedoch an, daß Armut eine Versuchung zur Übertretung der Pflicht sein kann, so daß sich daraus zumindest eine indirekte Forderung nach einer Politik der Wohlfahrtssteigerung ergibt238 . "Widerwärtigkeiten, Schmerz und Mangel sind große Versuchungen zu Übertretung seiner Pflicht. Wohlhabenheit, Stärke, Gesundheit und Wohlfahrt überhaupt, die jenem Einflüsse entgegen stehen, können also auch, wie es scheint, als Zwecke angesehen werden, die zugleich Pflicht sind; nämlich seine eigene Glückseligkeit zu befördern, und sie nicht bloß auf fremde zu richten. - Aber alsdenn ist diese nicht Zweck, sondern die Sittlichkeit des Subjekts ist es, von welchem die Hindernisse wegzuräumen es bloß das erlaubte Mittel ist"239. Jede inhaltliche Vorgabe des Gemeinwohls ist selektiv14O ; "Der Satz: Salus publica suprema civitas lex est141 , bleibt in seinem unverminderten Wert und Ansehen; aber das öffentliche Heil ... ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert: wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit ... Abbruch tut (Erg. d. Verf.)."141 Das Gemeinwohl ist für Kant also das oberste Rechtsprinzip des gemeinsamen Lebens. Jeder hat das Recht, sein eigenes Glück zu verfolgen, darf aber die Gesetzmäßigkeit, d.h. die allgemeine, gesetzmäßige Freiheit, nicht verletzen. Wie müssen nun aber diese Gesetze, innerhalb derer jeder sein Glück verfolgen darf, beschaffen sein, damit sie Gesetze der Freiheit, d.h. Rechtsgesetze, sind? Dies ist eine Frage nach der republikanischen Gesetzgebung.

2J7 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, ed. Weischedei, Wilhelm, Bd. 9, 1983, S. 154 f.

238 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 518 ff. 139

l. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 518.

140 Dazu detailliert P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 222 ff.; vgl. auch H.H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 124 ff. 141 Übersetzung: "Das öffentliche Wohl ist das oberste Gesetz des Staates". 141

1. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 154 f.

70

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts 3. Politische Freiheit durch Rechtsgesetze

Gesetze sind Teil der bürgerlichen Persönlichkeit. Der Begriff der politischen Freiheit besagt, daß der Bestimmungsgrund des Gesetzes der eigene Wille sein muß. Dieser republikanischen Einsicht folgt das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Der rechtsphilosophische Hintergrund ist die Würde des Menschen, sein Recht auf Recht143 . Volenti non fit iniuria 244 • Für Kant ist es die "Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt"14~. Gerade und erst in der Gesetzgeberschaft verwirklicht sich die republikanische Freiheit jedes einzelnen. Karl Jaspers nennt den " ... Staat, in dem die Freiheit durch Gesetze herrscht, Rechtsstaat. ... Diese Freiheit heißt politische Freiheit. "146 Das Gemeinwesen ist ein Rechtsstaat, wenn jeder Bürger politisch frei ist, wenn also sein eigener Wille Bestimmungsgrund der Gesetze ist. Jeder muß Einfluß auf die rechtliche Gestaltung seiner Welt nehmen können, um Subjekt dieser Weh zu sein, und nicht Mittel (Objekt) des Lebens anderer. Das Menschenbild der Republik ist nicht der bourgeois der Liberalen, dem der Staat materiale Freiheiten gewährt, der aber Untertan und somit Objekt staatlicher Gewalt bleibt, sondern der citoyen 247 , der sich zum ,,Mitgesetzgeber"248 emanzipiert hat und als mündiges und verantwortliches Subjekt des (staatlichen) Handeins auftritt149 . Auch das Bundesverfassungsgericht verwendet zunehmend den Bürgerbegriff im Sinne des citoyens, um die politische Freiheit als ein "Recht des Bürgers auf

143 Vg!. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 232,253 ff., 551 ff. 144

Vg!. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432.

24~

I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67.

2441

K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 202.

247 Die Begriffe bourgeois und citoyen können und sollen nicht gegeneinander gestellt werden, erfordert dies doch die gedankliche Trennung von Staat und Gesellschaft, wie z.B. bei G. W.F. Hegel, Recht, Staat, Geschichte: eine Auswahl aus seinen Werken, Hrsg. und er!. v. F. Bü1ow, 1970, S. 339. Begrifflich spricht der bourgeois den Aspekt der ökonomischen Selbständigkeit eines Bürgers an, der im 19. Jahrhundert über Besitz und/oder Bildung verfügte. Der Bürger führt also eine "Doppelrolle als bourgeois und als citoyen", vg!. H.H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. I, 1987, § 28, S. 1199 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143 ff.; ders., Res publica res populi, S. 212 ff.; zum Bürgerbegriff auch I. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 125 ff. 248 I. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150. 249 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, 1987, § 20, S. 842, 849; vg!. K.A. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, 1997, S. 833 ff.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

71

Teilhabe an der politischen Willensbildung des Volkes"250 zu betonen. Im Maastrichturteil hat es dem Bürger sein subjektives Recht bestätigt, " ... an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen und dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluß zu nehmen ... "231. "Es gibt keine Bourgeoisie mehr, weil alle Mitglieder des Volkes bürgerliche citoyens sind"232. Dies ist der Staatsbegriff Kants, nämlich die "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen (Herv. d. Verf.)"253. Die Republik ist ein Gemeinwesen der Freiheit, eine Bürgerschaft, " ... die ihr Recht in der Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit sucht, also jeden Bürger als homo politicus versteht und als Prinzip des richtigen Gesetzes, den allgemeinen Willen, die volonte generale Rousseaus, dogmatisiert, der aus der Autonomie des Willens, der Freiheit jedermanns, erwächst. "234 Der Geltungsgrund der Gesetze ist daher der eigene Wille. Wie sie inhaltlich ausgestaltet sein müssen, um zum Recht zu finden, wird im folgenden diskutiert.

4. Theoriehaftigkeit als praktische Vernunft Die praktische Vernunft ist seit der Transzendentalphilosophie Kants ein zentraler Begriff der Moralphilosophie 235 . Als ein in dieser Tradition stehender Rechtsbegriff ist sie nicht ein materialer Maßstab oder ein "Standard praktischer Vernunft"256, sondern ein formales Verhaltens- und Entscheidungsprinzip. In

250 BVerfGE 52, 63 (88); 69, 92 (107); 73,40 (80 ff.); 83, 60 (75); 85, 264 (284 ff.); vgl. KA. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, S. 856 ff., sieht in der Anerkennung des Grundrechts auf echten Parlamentarismus im Maastrichturteil, BVerfGE 89, 155 (171 f., 182), einen Schritt zum Paradigmawechsel von der liberalistischen zur republikanischen Freiheit. m BVerfGE 89, 155 (171 f., 182); zur Vernachlässigung des Bürgerbegriffs in der Staatslehre vgl. KA. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 207 ff.; zur Bedeutung des Maastricht-Urteils vgl. ders. / A. Emmerich-Fritsche / T.C. W. Beyer, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 107 ff. 252 KA. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 214. 253 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. 234 KA. Schachtschneider, Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, S. 426; ders., Republikanische Freiheit, S. 834 ff.

253 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 174. 256 So aber R. Breuer, Strukturen und Tendenzen des Umweltschutzrechts, Der Staat 20 (1981), S. 413 f.; anders K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wis-

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

72

jeder materialen Deutung würde sie zu einer "Leerformel" oder zumindest zu einem unbestimmten Rechtsbegrifr~7. Staatliche Institutionen haben die Aufgabe, das Gemeinwohl stellvertretend für das Volk zu erkennen2~8. Oder, um ein Wort von Max Weber abzuwandeln: Ein Repräsentant ist der von den Wählern gekorene Diener derselben, nicht: ihr Herr.~9 Die Erkenntnisakte der Repräsentanten führen zu Gesetzen (und Auslegungen), in denen das Gemeinwohl seine Materialität finden so1l26O. Natürlich können sich Bürger und deren staatliche Vertreter bei ihren Erkenntnissen "über das Sein und das Sollen irren"26t, denn: errare humanum es!. Insbesondere die politischen Institutionen behindern die Materialisierung des Gemeinwohls, da sie kommunikationsverzerrend wirken und insofern die diskursive Suche nach dem Konsens, durch den allein Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit gesichert werden kann, erschweren 262 . Angesichts dieser Gefahr des Irrtums ist die Kenntnis der relevanten Tatsachen für die Richtigkeit der Gesetzgebung zentral. Das Richtige setzt die Wahrheit, die Karl R. Popper als "Übereinstimmung von Aussagen mit den von ihnen beschriebenen Tatsachen"263 bezeichnet, voraus. Popper gibt zu bedenken: " ... Theorien können diesen realen Tatsachen widersprechen, und so ist es möglich, daß wir bei unserer Wahrheits suche unsere Theorien abändern oder aufgeben müssen."264

sen schaft und Technik" im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme, Umweltschutz und Recht, 1988, S. 87 ff., m.w.N. ~7 Vgl. K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 103 ff.; ders., Res publica res populi, S. 304 ff., 413 ff., 656 ff., 898 ff. ß8 Vgl. die Yertretungslehre von ders., Res publica res populi, S. 637 ff., 707 ff., im Gegensatz zur Konzeption der Repräsentation als Herrschaft, S. 730 ff. m.w.N.

2~9 Anders M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen 1972, S. 172: "Ein Repräsentant ist der 'von den Wählern gekorene Herr derselben, nicht ihr Diener'''. 260 Zur Formalität des Gemeinwohlbegriffs vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 574 ff., 658 ff.

261 Die Gültigkeit von Gesetzen, die auf einem Irrtum beruhen, ist anzuzweifeln, K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 567 ff., zur "Irrtumslehre", 1104 ff. Ui2Ygl. J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 10. Aufl. 1991, S. 343 ff.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 560 ff., 571, 1104 ff.; ders., Republikanische Freiheit, S. 848. U3 264

K.R. Popper, Objektive Erkenntnis, 3. Aufl. 1995, S. 337 ff. K.R. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 341.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

73

An anderer Stelle fordert er: ..... jedenfalls sollten wir versuchen, Theorien aufzustellen, die der Wahrheit ein Stückchen näherkommen als die unseres Vorgängers"265. Daraus zieht Schachtschneider den Schluß: ..Praktische Vernunft gründet auf Wahrheit. Weil Menschen die Wirklichkeit nur hypothetisch als Theorien zu erfassen vermögen, ist es notwendig, den Entscheidungen diese Theorien zugrunde zu legen. Praktisch vernünftig ist es, den Theorien/Hypothesen von der Wirklichkeit zu folgen, oder eben, sich dem Notwendigen zu fügen. Vernünftig ist es, wenn die Praxis der Theorie folgt; denn die Theorie ist für den Menschen das Substitut der Wirklichkeit. Das ist realistisch und rational. "266 Also ist es praktisch vernünftig, " ... den Theorien von der Wirklichkeit zu folgen und auf deren Grundlage nach Maßgabe des Sittengesetzes das Richtige für das gute Leben in Freiheit zum Gesetz zu machen"267. Für die vorliegende Untersuchung sind diese Sätze zentral. Die praktische Vernunft ist zwar formal, die Theoriehaftigkeit ist jedoch eine ihrer notwendigen Voraussetzungen168 • Die Rechtmäßigkeit von Verfahren der Preisbildung muß vor dem Hintergrund gesicherter Theorien beurteilt werden. Da man es mit einem Forschungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaften zu tun hat, sind vor allem ökonomische Erkenntnisse maßgeblich und als materiale Beurteilungskriterien des Rechts zu prüfen. Das heißt nicht, daß die ökonomischen Theorien meta-juristisch wären. Sie haben aber, wenn und soweit sie für die Interpretation von Rechtssätzen herangezogen werden, "rechtsdogmatischen Stellenwert"269. Die Wertentscheidungen der Grundrechte bleiben verpflichtend. Auch in ökonomischen Fragen gilt unumstößlich der Primat des Rechts l7O • Das wirtschaftliche Vorverständnis ist aber "integraler Bestandteil von Rechtserkenntnissen im Wirtschaftsverfassungsrecht und muß darum wissenschaftlich 26S

K.R. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 44.

266 K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff .. Stand von Wissenschaft und Technik", S. 107; vgl. ders., Republikanische Freiheit, S. 851 ff.

267 K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 570; vgl. ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 170 ff.; ders., Der Rechtsbegriff .. Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff. 268 Dies ist auch der zentrale Satz von K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff ..Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff.; ders., Res publica res populi, S. 1104 ff.; ders., Republikanische Freiheit, S. 851 f. 269 Vgl. K.A. Schachtschneider, Imperative Lohnleitlinien unter dem Grundgesetz, Der Staat 16 (1977), S. 494. 270 Zu den Wertentscheidungen der Verfassung vgl. unten unter I. Teil, C.

74

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

sein. "271 Eine Gesetzeslage, die die theoretische Einsicht mit Füßen tritt, ohne ein verfassungsrechtlich gebotenes Staatsziel anzusteuern, verfehlt die praktische Vernunft und damit das Rechen. Nach den Erkenntnissen der Ökonomie ist es zweckmäßig, die staatliche Einflußnahme auf die Preisbildung auf solche Fälle zu beschränken, in denen die wirtschaftliche Effizienz aufgrund von Marktunvollkommenheiten systematisch verfehlt wird. In allen anderen Fällen führen Marktinterventionen zu Effizienzverlusten273 • Die politischen Zielsetzungen, die zu ihrer Rechtfertigung angeführt werden, liegen jedoch nicht zwingend im Interesse des Gemeinwohls - darauf haben Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie 274 und Kritiker der parteipolitischen Praxis 275 hingewiesen. All diese Erkenntnisse gebieten die subsidiäre Staatlichkeit und die Durchsetzung des Privatheitsprinzips im Sinne einer grundSätzlichen Privatheit der (ökonomischen) Lebensbewältigung276 • Wenn von der ökonomisch rationalen Gesetzgebung abgewichen wird oder werden soll, muß es hierfür gute Gründe geben. Ihre Einbringung kann auf dem Wege des "praktischen Diskurses" erfolgen. Leitbilder einer Rechtsgemeinschaft als Kommunikationsgemeinschaft sind im Rahmen der konsenstheoretischen Ansätze vorgestellt worden277 • Im Diskurs können neben die ökonomische auch weitere Rationalitäten treten, etwa naturwissenschaftliche oder soziologische. Mit dem Ausdruck der Theoriehaftigkeit soll also keine Identität von öko-

271

V gl. K.A. Schachtschneider, Imperative Lohnleitlinien unter dem Grundgesetz, S.

494. 272 Diese Argumentation entspricht der von H.H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 125, der die Auffassung vertritt, daß man zwar nicht sagen könne, was dem Gemeinwohl entspricht, daß man aber sehr wohl sagen könne, was ihm nicht entspricht. 273 "Effizienz" ist stets das maßgebliche Argument für die Förderung und Sicherung von Wettbewerb, etwa H.-M. Trautwein, Die Stellung der Freien Berufe in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in: H. Sahner / H. Herrmann / A. Rönnau / H.-M. Trautwein, Zur Lage der Freien Berufe, Teil I, 1989, S. 128 ff.; zum Effizienzbegriff vgl. oben unter I. Teil, B., I. 2; zur Theorie des Marktversagens unten unter I. Teil, D. 274 Stellvertretend D. Schmidtchen, Der "politische Preis", S. 17 ff.; vgl. auch oben unter I. Teil, A. 11. 2. 275

Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff.

276 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 52 ff., 352 ff., 387 ff., 575 ff., 897. 277 V gl.. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 69 ff.; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 283 ff.; vgl. K.-O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, 4. Aufl. 1988, S. 220 ff., 358 ff.; vgl. oben unter I. Teil, B. 11.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

75

nomischer Rationalität und praktischer Vernunft proklamiert werden. Dies ergibt sich schon aus der Formalität des Begriffs praktischer Vernunftm. Jede ausschließliche und bedingungslose Befolgung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten würde die Erkenntnisse angrenzender Disziplinen ignorieren und wäre daher ethisch und verfassungsrechtlich verwerflich. Folglich kann eine allein ökonomische Kritik des Gesetzes noch keinen Aufschluß über dessen Rechtmäßigkeit liefern. Auch die Frage, wann eine Handlung in unternehmerischer Privatheit erfolgen soll und wann staatliche Mechanismen angewendet werden sollen, kann in einer Republik nur eine Frage der praktischen Vernunft sein Z79 • IV. Der Begriff der Preisgerechtigkeit - ein Näherungsversuch Im folgenden soll untersucht werden, inwiefern die hier vorgestellten Theorien und Lehren dazu beitragen können, die Frage nach dem "gerechten Preis" zu beantworten. Sofern man sich dem Problem nur formal nähern möchte, genügen zwei Sätze Kants, die bereits einleitend zitiert wurden: Der "Preis (pretium) ist das öffentliche Urteil über den Wert einer Sache"180. "Denn es hat nichts einen Wert, als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt."181 Im Rechtsgesetz, dessen Bestimmungsgrund der allseitig subjektive und damit zugleich allgemeine Wille der Bürgerschaft ist, und das in diskursiver und theoriehafter Erkenntnis formuliert worden ist, findet die allseitige Freiheit und Gerechtigkeit ihren verbindlichen Ausdruck. Preise sind gerecht, wenn sie mit den Rechtsgesetzen vereinbar sind. Auch Peter Ulrich entzieht sich der Frage zur Angemessenheit einer Preishöhe, da er "hinter dem Rücken Betroffener" zu keiner Aussage bereit ist. Ähnlich John Rawls, der versuchen würde, das Problem unter einem "Schleier des Nichtwissens" zu lösen. Nach Rawls werden die an sich eigennützig handelnden und entscheidenden Gesellschaftsmitglieder eine Preishöhe dann als gerecht beurteilen, wenn sie sich in einer Situation vollständiger Ungewißheit über die eigene gesellschaftliche Position befinden und nicht abschätzen können, ob und inwieweit eine bestimmte Preishöhe Einfluß darauf hat. Angesichts der gleichen Ungewißheit und des gleichen Entscheidungskalküls aller ist nur

171

Vgl. oben unter J. Teil, B. 111. 2.

Z79 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 202 ff., 386 ff.; H.-D. Assmann, Die Transformationsprobleme des Privatrechts, S. 58 ff.; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 14 ff., 94 ff., 177 ff., 342 ff. 180

181

I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, Bd. 7, 1983, S. 403. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69.

76

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

die reine Entscheidungslogik ausschlaggebend, so daß eine einstimmige Beurteilung zu erwarten istl8l . In der Sache lassen die rein formalen Ansätze alle Fragen offen. Eine weiterführende Aussage läßt sich jedoch treffen, wenn man von der Theoriehaftigkeit praktischer Vernunft ausgeht, dem ökonomischen Preisprinzip also aufgrund dessen EffIzienz einen eigenen, dem Gemeinwohl dienenden Wert beimißt. Dies ist die hier vertretene Ansicht. Sie kennzeichnet das Zwei-Weiten-Modell von SteinmannI Löhr, die dem Marktpreis ebenfalls die Richtigkeitsvermutung zugestehen, und sie entspricht der Position Schachtschneiders, der die Berücksichtigung theoretischer Erkenntnisse für eine notwendige Bedingung praktisch vernünftiger Politik hält. Ein Preisgerechtigkeitsurteil läßt sich somit wie folgt strukturieren183 ; In einem ersten Schritt ist diejenige Preishöhe als angemessen anzusehen, die den langfristigen ökonomischen Knappheiten entspricht. Der gerechte Preis entspricht hier dann dem Gleichgewichtspreis, der sich durch Beobachtung oder durch eine Als-Ob-Markt-Überlegung ermitteln läßt1.... Im zweiten Schritt geht man von diesem Urteil einzelwirtschaftlicher Funktionsgerechtigkeit aus und untersucht, ob und inwiefern es auf dem jeweiligen Markt zu systematischen Fehlsteuerungen kommt, die in der Eigenart des Angebots, der Nachfrage oder der Produktionstechnologie begründet sein können185 . Solche Faktoren sind durch adäquate Zu- oder Abschläge auf den ermitteIten Gleichgewichtspreis zu berücksichtigen, so daß man nunmehr einen nicht nur im einzelwirtschaftlichen sondern auch im gesamtwirtschaftlichen Sinne gerechten Preis erhäIt186. Die praktisch-philosophische Perspektive findet dann im dritten Schritt Eingang in die Bewertung. Es ist zu fragen, ob und gegebenenfalls welche weiterführenden Belange der Allgemeinheit Einfluß auf die Preishöhe nehmen sollten. Rawls würde dieser Überlegung seine Gerechtig-

181 V gl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff.; V. Nienhaus, Das Sozialstaatsprinzip als Korrekturmaßstab der wettbewerblichen Primärverteilung?, S. 50 ff.

m Die folgenden Ausführungen knüpfen an die Erkenntnisse an, die sich oben unter I. Teil, B. I bis III ergeben haben, ohne daß jeweils ein gesonderter Nachweis erfolgt. 1... Dies entspricht exakt der Auffassung von L. Erhard, Kartelle im Blickpunkt der Wirtschaftspolitik, Der Volkswirt v. 16.12.1949, abgedr. in: ders.: Deutsche Wirtschaftspolitik, 1962, S. 116, der immer den Preis für gerecht hält, zu dem Markträumung stattfindet. Zum Begriff und den Problemen des Als-üb-Preises vgl. unten unter 2. Teil, B. IV. 2. 185 So geht auch vor: E. Helmstädter, Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft, S. 262 ff.; zu den Einzelfällen systematischer Fehlsteuerung vgl. unten unter 1. Teil, D. 11. 186 Zu den Quantifizierungsproblemen bei der Bewertung adäquater Zu- und Abschläge vgl. unten unter 2. Teil, 8. IV. 2.

B. Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft

77

keitsgrundsätze zu Grunde legen. Steinmannl Löhr oder auch Schachtschneider würden vom kategorischen Sittengesetz ausgehen. Welcher Preis sich nach dem letzen Beurteilungsschritt als der "gerechte" herausstellt, läßt sich ex ante wiederum nicht sagen. Auch das hier beschriebene Vorgehen kann die Frage nach dem gerechten Preis also nicht abschließend beantworten. Es versucht aber das Verfahren eines Preisgerechtigkeitsurteils vorzuzeichnen. Sofern nämlich vom ökonomischen Gleichgewichtspreis ausgegangen wird, bewegt man sich auf wirtschaftstheoretisch gesichertem Feld, auch wenn die Informations- und Bewertungsprobleme hier relativierend erwähnt werden müssen. Die Offenheit des vorgeschlagenen Verfahrens für wirtschaftstheoretische (Stufe zwei) Erkenntnisse und diskursiv zu ermittelnde Preisanpassungen trägt der Forderung Rechnung, neben der Effizienz auch alle anderen relevanten Kriterien zu berücksichtigen - vor allem die Wertentscheidungen der Verfassung, also den Schutz der Privatheit, des Sozialen und der Umwel(Z87. V. Stellungnahme

Wie gezeigt wurde, gibt es unterschiedliche Versuche, Prinzipien praktischer Vernunft in die Ökonomie oder auch die ökonomische Rationalität in die Rechtsdogmatik zu integrieren. Dabei entfernt sich die ökonomische Theorie zwangsläufig von ihrem neoklassischen "engineering approach"288, was sicherlich zu Lasten ihrer streng-mathematischen Geschlossenheit geht, sie dafür aber öffnet für die unmittelbare Anwendung auf lebenspraktische Probleme und die Fragen praktischer Philosophie 289 • Aus der Formalität des Sittengesetzes folgt, daß es unmöglich ist, einen a-priori-Gemeinwohlbegriff festzulegen. Hierin stimmen die republikanische Rechtslehre und die in der Tradition der Diskursethik stehende Wirtschaftsethik weitgehend überein. Wenn man nun auch nicht sagen kann, was dem Gemeinwohl entspricht, kann man doch zumindest negativ

287 H.G. Nutzinger, Ökonomischer Imperialismus und diskursive Überforderung, S. 29 ff.; ohne philosophischen Bezug ebenfalls für eine Berücksichtigung der maßgeblichen öffentlichen Interessen unter dem Blickwinkel des Gemeinwohls vgl. D.K. Munzinger, Mißbräuchliche Preise, Preisbildungssysteme und Preisstrukturen nach § 22 GWB, 1977, S. 57 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Aspekten unten unter I Teil, C.

288

A. Sen, On Ethics and Economics, 1987, S. 4.

289 V gl. H. Kreikebaum, Grundlagen der Unternehmensethik, S. 131 f.; O.A. Hirschmann, Leidenschaften und Interessen: Politische Begründung des Kapitalismus vor seinem Sieg, 1987; P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, S. 219 ff.; B. Schauenberg, Zur Notwendigkeit der Verbindung von Ethik und Betriebswirtschaftslehre, in: ders., Wirtschaftsethik: Schnittstellen von Ökonomie und Wissenschaftstheorie, 1991, S. 4.

78

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

sagen, was ihm widerspricht290 • So wäre eine Ignoranz ökonomischer Erkenntnisse bei der Beurteilung von Preisvorschriften zweifelsohne auch "praktisch unvernünftig". Der Vorrang der privaten Verkehrswirtschaft und der Marktpreisbildung ist insofern nicht nur eine Forderung der Ökonomie, sondern häufig auch ein Gebot der praktischen Vernunft, für die Erfahrungen und bestmögliche Theorien legitime Grundlagen sind 291 • Im Ergebnis scheint es daher durchaus berechtigt, ein Urteil über die Gerechtigkeit eines Preises nach dem hier vorgestellten dreistufigen Verfahren vorzunehmen.

c.

Die grundgesetzliehe Preisverfassung

Die Ausführungen zu den ökonomischen Grundlagen haben gezeigt, daß die Marktpreisbildung grundSätzlich die effizienteste Versorgung gewährleistet. Die rechtliche Gewährleistung privater Preisbildung und PreisfIexibilität ist insofern ökonomisch rational 292 • Legal ist sie nur nach Maßgabe des Gesetzes, das praktisch vernünftig sein muß, um Recht zu schaffen 293 • Wie im Zusammenhang mit der Erläuterung zum Begriff politischer Preise gezeigt wurde, verfolgt Praxis jedoch eine Vielzahl von Interessen: Sie will das allgemeine oder partielle Preisniveau stabilisieren, die Versorgung mit Elektrizität sichern, mittelständische Strukturen in Handel und Landwirtschaft bewahren und nicht zuletzt: Wählerstimmen gewinnen294 • Um diesen Zielkatalog zu erreichen, werden wettbewerbsrechtliche Vorschriften erlassen oder eben global- oder einzelmarktsteuernde Maßnahmen ergriffen. Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind dabei gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden (vgl. auch Art. 20 Abs. 3 GG)29S. Jede

290

Vgl. H.H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 125.

291

Vgl. oben unter 1. Teil, B. I. 2 u. III. 4.

292

Vgl. oben unter 1. Teil, B. I. 2.

Erst die Beachtung der praktischen Vernunft macht aus Gesetzen Recht. Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff., 519 ff., 819 ff., 902 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 9 ff.; Recht als prozedurale, prinzipiengeleitete Richtigkeit auch bei R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 139 ff., 20 I; zur begrifflichen Unterscheidung von Recht und Gesetz auch W. Heyde, Rechtsprechung, HVerfR, S. 1627 ff.; anders der Gesetzespositivismus, der geprägt ist v.a. von C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 27 ff.; G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft; zum Begriff Recht aus der Perspektive des juristischen Historismus, Positivismus, Realismus und Idealismus: W. Maihofer, Begriff und Wesen des Rechts; vgl. auch M. Kriele, Rechtspflicht und die positivistische Trennung von Recht und Moral, S. 453 ff.; vgl. oben unter 1. Teil, B. III. 2, 3 u. 4. 293

294

V gl. oben unter I. Teil, A. 11. 2.

m Weiterführend etwa W. Heyde, Rechtsprechung, HVerfR, S. 1627 ff.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

79

Interpretation einfachgesetzlicher Preisrechtstatbestände wäre insofern ohne die Klärung der verfassungsrechtlichen Vorgaben unzulänglich. Im folgenden werden die relevanten Bestimmungen skizziert. Sie lassen sich zusammenfassen zum Begriff der grundgesetzlichen Preisvelj'assung. Der folgende Abschnitt gehört insofern zugleich zur Lehre von der Wirtschaftsverfassung296 •

I. Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem und Wirtschaftsverfassung Klarheit in Fragen der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung setzt eine eindeutige Begrifflichkeit voraus. Ausgegangen wird hier von den Begriffen Wirtschafts system, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung, die bei Klaus A. Vallender oder auch bei Reiner Schmidt unterschieden werden 2'l7.

296 Grdl. zur grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung: M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, DVBI. 1993, S. 247; H.-i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, 2. Aufl. 1994, S. 805 ff.; ders., Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 35 (1977), S. 71 ff.; H.C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. 1965, S. 24 ff., 64 f.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 1953, S. 18 ff.; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, 1983, S. 57 ff.; R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, HStR, Bd. III, S. 1148 ff.; eine "Unvollständigkeit" in dieser Frage sieht P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, S. 205 ff.; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rdnr. 17 ff.; H.-W. Amdt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Steiner, Udo: Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1995, S. 763 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S. 42 ff., ders., Res publica res populi, S. XIII; ders., in: W. Hankel I W. Nölling I ders. I 1. Starbatty, Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß, 1998, S. 202, 224, 260, sieht im Grundgesetz eine marktliche Sozial wirtschaft verwirklicht; ebenfalls vom Sozialprinzip aus entwickelt den Begriff der Wirtschaftsverfassung H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1080 ff.; vgl. auch ders., Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: FS F. Böhm, 1965, S. 63 ff.; F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Autl. 1987, S. 25 ff.; A. Bleckmann, Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, JuS 1991, S. 536 ff.; L. Vollmer, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der EG nach "Maastricht", DB 1993, Heft 1, S. 25 ff. 297 Vgl. K.A. Vallender, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung, 2. Aufl. 1991, S. II ff.; einen Mangel an eindeutiger Begrifflichkeit stellt auch fest R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, HStR, Bd. I1I, S. 1149, ders., Öffentliches Wirtschafts recht. Allgemeiner Teil, S. 66 ff., 70; M. Schmidt-Preuß, Verfassungs rechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 84 ff., m.w.N.; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, S. 236 ff.; auf eine exakte Dreiteilung in System, Ordnung und Verfassung verzichtet etwa H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1080, der die "soziale Marktwirtschaft" als adäquate

80

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Wirtschaftsordnung bezeichnet das tatsächliche Wirtschaftsleben, dessen maßZiele, Rechtsvorschriften und Instrumentarien 298 • Ein Wirtschaftssystem ist ein idealtypisches Zusammenspiel verschiedener Koorgeblichen

dinationsmechanismen (Wettbewerb, Plan, Gruppenvereinbarung, Wahlen und Abstimmungen), deren Kombination im modelltheoretischen Kontinuum zwischen Plan- und Marktwirtschaft liegt299 • Als Wirtschaftsverfassung wird schließlich der Teil des Verfassungsrechts bezeichnet, in dem die ordnungsbildenden Entscheidungen über die Wirtschaft normativ getroffen werden 3°O.

J. Die soziale Marktwirtschaft Prägenden Einfluß auf das wirtschaftspolitische Denken in Deutschland hat das System der sozialen Marktwirtschaft erlangt, das im wesentlichen von Ver-

Wirtschafts verfassung begreift, vgl. auch H. -i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 803, der das "reale Wirtschaftssystem", also die Wirtschaftsordnung Deutschlands, als Mischsystem charakterisiert, in dem marktmäßige und planwirtschaftliche Elemente in unterschiedlicher Gewichtung kombiniert sind. 298

Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschafts recht. Allgemeiner Teil, S. 66 ff.

Vgl. W. Möschel, Rechtsordnung zwischen Plan und Markt, S. 6 ff.; W. Gerke, Neuorientierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 55 ff., unterscheidet zwischen Anarchie, Kapitalismus, sozialer Marktwirtschaft, Sozialismus und Kommunismus; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 70, bezeichnet "eine in sich geschlossene Methode der gesamtwirtschaftlichen Lenkung" als Wirtschaftssystem; vgl. das Plädoyer für den Markt von L. Erhard, Freie Wirtschaft und Planwirtschaft, Die Neue Zeitung v. 14.1O.l946, abgedr. in: ders., Deutsche Wirtschaftspolitik, 1962, S. 19 ff. 299

300 Anders als Wirtschaftsordnung beschreibt der Begriff Wirtschaftsverfassung nicht eine Seinsordnung, sondern eine Sollensordnung, vgl. K.A. Vallender, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung, S. 11 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 66 ff.; vgl. ähnlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 575 ff., der von Marktwirtschaft als Modell und von Wirtschaftsverfassung im faktischen und/oder normativen Sinne spricht; vgl. auch H.C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 25 ff.; H.-i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 800 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentral fragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, 1977, S. 134 ff.; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, DVBl. 1993, S. 236 ff.; E. Benda, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, in: B. Gemper, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 189; H.H. Rupp, Grundgesetz und Wirtschafts verfassung, 1974, S. 5 ff.; U. Karpen, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1990, S. 41.; A. Bleckmann, Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 539; W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, in: FS M. Kriele, 1977, S. 260; vertritt die Auffassung, daß Wirtschaftsfragen im Verfassungsrecht und in der Literatur stiefmütterlich behandelt werden; ebenso P. Häherle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 383 ff., 389.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

81

tretern des Ordoliberalismus (Alfred Müller-Armack, Franz Böhm, Walter Eukken) konzipiert wurde 30l und vor allem mit dem Wirken von Ludwig Erhard verbunden ise02 . Nicht immer ist deutlich, was das Spezifische der sozialen Marktwirtschaft sein solp03. Dem parteipolitischen Spektrum gelingt es jedenfalls problemlos, dem Begriff völlig gegenläufige Inhalte abzugewinnen 304 . Zur Grundidee der sozialen Marktwirtschaft dringt man wohl am ehesten vor, wenn man sich mit den Positionen ihrer Begründer auseinander setzt. Bei allen Unterschieden im Detail geht es im wesentlichen darum, ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das den Menschen weder als sozialen Untertan noch als einen (im klassisch-liberalen Sinne) sich selbst überlassenen Einzelnen konzipiert. Vielmehr soll jeder grundsätzlich selbstbestimmt wirtschaften, dabei aber eingebunden sein in einen verläßlichen staatlichen Rahmen, der dafür sorgt, daß ein Komprorniß zwischen der "Effizienz des Marktes" und dem "Sozialen" und damit zwischen dem "Prinzip der Freiheit auf dem Markt" und dem "des sozialen Ausgleichs" auf Dauer gelingt30s .

301 Vgl. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 20 ff., 152 ff., 187 ff.; F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 104 ff.; ders., Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung, S. 85 ff.; A. Müller-Armack, Genealogie der sozialen Marktwirtschaft; FA v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 287 ff.; zum Einfluß der Ordoliberalen auf das GG: M. Kriele, Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, S. 322 ff.; C. Schmid, Grundfragen moderner Wirtschaftspolitik, 1958; J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, in: H.F. Wünsche, Soziale Marktwirtschaft als historische Weichenstellung, 1996, S. 63 ff.; R. Zeppemick, Zur Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft, 1987, S. 9 ff. 302 V gl. L. Erhard, Wohlstand für alle, 2. Aufl. 1990. 303 Der Begriff sei schon bei Ludwig Erhard "merkwürdig unklar", bemerkt P. Weiter, Die Soziale Marktwirtschaft Erhardscher Prägung, Handelsblatt v. 23.01.1997, S. 13; einen Überblick zu den unterschiedlichen Akzentsetzungen der Literatur gibt J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 63 ff. 304 Vgl. aus der tagespolitischen Auseinandersetzung U. Weidenfeld, Wohlstand für alle - Bonns Politiker streiten um das Erbe des ersten deutschen Wirtschaftsministers, Wirtschaftswoche Nr. 6 v. 30.01.1997, S. 18 ff.; G. Rexrodt, Konsequent auf den Wettbewerb setzen, in: Handelsblatt vom 23.01.1997, S. 15; O. Lafontaine, Soziale Marktwirtschaft - Der Weg aus der Krise, Handelsblatt v. 23.01.1997, S. 15; vgl. auch J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 66. 3US Vgl. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 126 ff.; L. Erhard, Sprachverwirrung um die Wirtschaftsordnung, Die Neue Zeitung v. 23.06.1947, abgedr. in: ders., Deutsche Wirtschaftspolitik, 1962, S. 23 ff.; R. Zeppemick, Zur Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft, S. 9 ff.; J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 63 ff.; L. Hoffmann, Erhards Schlachtruf ist schon längst verhallt, Handelsblatt v. 23.01.1997, S. 14; P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 383 ff.; zum Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftssystem bei Adam

6 Hauptkorn

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

82

Daß die ökonomische Wahlhandlung des Einzelnen nur dann von gesamtwirtschaftlichem Vorteil ist, wenn sie im Rahmen funktionierender Wettbewerbsmärkte erfolgt, wußte bereits Adam Smith. Die Wohlfahrtsökonomik hat dies, wie ausgeführt wurde, bewiesenJ06 Die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft haben dann die politische Konsequenz gezogen: Der Markt soll die Regel, die staatliche Intervention die Ausnahme seinJ07 • Die Verkehrs wirtschaft ist aufgrund ihrer ökonomischen Vorteile erstrebenswert, vertretbar jedoch nur in Form einer Wettbewerbswirtschaft3°s. Der Staat hat einen verläßlichen Ordnungsrahmen zu schaffen, das Handeln selbst soll aber grundsätzlich individuell erfolgen. Wirksame kartellrechtliche Vorkehrungen sollen schließlich verhindern, daß sich die ökonomische Freiheit selbst aufhebt - mit anderen Worten: der Bildung oder Ausübung ökonomischer Macht zum Opfer fällt. Ordnungspolitik hat also VorrangJ09 ; globalsteuernde Prozeßpolitik, d.h. die Steuerung der vorgewählten Wirtschaftsordnung, ist ebenfalls zulässig 3lO , die direkte staatliche Markt- oder Preisintervention oder die Überführung von Tätigkeiten in

Smith E.-J. Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, S. 11, 139; zur Ordnungspolitik ders., Regelbildung und Rechtsschutz in marktwirtschaftlichen Ordnungen, S. 19 ff. 306

Vgl. die ökonomischen Modellannahmen oben unter I. Teil, A. 11. I und B. 11.

Was v.a. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, 1983, S. 41 ff., 70, hervorhebt, aber auch von anderen anerkannt wird, vgl. P. Badura, VVDStRL 23 (1966), S. 77 ff.; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 71 ff., 88 ff.; R. Zeppernick, Zur Rolle des Staates in der Sozialen Marktwirtscha(t, S. 8 ff.; J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 63 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsuntemehmen und Privatrecht, 1986, S. 131 ff.; 283 ff.; ders., Res publica res populi, S. 54 ff., 195 ff., 236 ff., 386 ff., 399 f.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 100 ff. 307

308 Vgl. H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 803 ff.; F. Rittner, Wirtschaftsrecht, S. 34 ff.; vgl. auch W. Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 9. Aufl., 1989, S. 52 ff. 309 Vgl. E.-J. Mestmäcker, Regelbildung und Rechtsschutz in marktwirtschaftlichen Ordnungen, S. 19 ff., zur Bedeutung der Ordnungspolitik; vor einer Vermachtung der Märkte warnte L. Erhard, Kartelle im Blickpunkt der Wirtschaftspolitik, S. 112 ff.; vgl. J. Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand, S. 71 ff.

310 Vgl. R. Zeppemick, Zur Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft, S. 9 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 78 f., 301 ff.; H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 803 ff., der darauf hinweist, daß die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes einer wirtschaftspolitischen Akzentverschiebung zu Formen der Globalsteuerung gleichkommt, weiterführend unten unter 3. Teil, B. V; die in der Literatur gebräuchliche Unterscheidung zwischen Ordnungs- und Prozeßpolitik folgt der Darlegung von W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, für den Wirtschaftspolitik weitestgehend Ordnungspolitik war; vgl. auch die volkswirtschaftliche Literatur, etwa A. Woll, Wirtschaftspolitik, S. 14 f.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

83

staatliche Regie sind jedoch auf solche Ausnahmebereiche zu begrenzen, in denen das Wettbewerbs system nachweislich versagt, die Etablierung funktionierender Wettbewerbsmärkte unmöglich erscheint oder Marktergebnisse aus übergeordneten Gründen nicht akzeptabel wären 3ll .

2. Die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes a) Das marktwirtschaftliche Prinzip Für die deutsche Wirtschaftspolitik gilt die soziale Marktwirtschaft spätestens seit dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik312 als wirtschaftspolitische Leitlinie. In Art. 1 Abs. 3 des Vertragstextes wird ausgeführt: "Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung bei der Vertragsparteien. " Gemäß der Präambel ist "die Soziale Marktwirtschaft als Grundlage für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit sozialem Ausgleich und sozialer Verantwortung gegenüber der Umwelt auch in der Deutschen Demokratischen Republik einzuführen."m Teilweise wird vertreten, daß diese Aussagen als Legaldefinition der sozialen Marktwirtschaft anzusehen sind314 • Daraus allein ergibt sich jedoch keine verfassungsrechtliche Systementscheidung für die soziale Marktwirtschaft, da der Staatsvertrag kein Verfassungsrecht ist31S . Eine Verfassung der Wirtschaft muß dem Grundgesetz oder dem primärrechtlichen Gemeinschaftsreche16 entnommen werden. Das Grundgesetz enthält aber, anders als noch die Weimarer

3lI Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 78 f., der auf die "grundsätzliche Privatheit des Wirtschaftens" verweist und administrative Maßnahmen des Staates unter einen "Legitimationsdruck" stellt. Dies führt zur Konstituierung sog. natürlicher, d.h. ökonomietheoretisch begründeter, und politischer Ausnahmebereiche - vgl. dazu die Marktversagenstheorie unten unter 1. Teil, D. I. 3 u. 11, m.w.N. 312 313

Vertrag vom 18.05.1990, BGBI. 11, S. 537. Vgl. H.-i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 804.

Vgl. P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, S. 201, Rdnr. 20; M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 236 ff., 247. 314

m Der Staatsvertrag entfaltet nicht mehr und nicht weniger als eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Signalwirkung, so M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 239 ff. 316

Vgl. W. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 1996, S. 195 ff.

84

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Reichsverfassung, keinen geschlossenen Abschnitt über die Wirtschaft. Es konzipiert Deutschland als republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG), garantiert das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) und gewährt neben dem allgemeinen Freiheitsgrundsatz in Art. 2 Abs. 1 GG317 eine Reihe spezieller Freiheitsrechte, etwa die Rechte der MeinungsäuBerung (Art. 5 GG), der Vereinigung (Art. 9 GG) und das Recht zur freien Wahl und Ausübung des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG). Hinzuweisen ist auch auf Art. 109 Abs. 2 GG, der den Staat verpflichtet, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht Rechnung zu tragen 318, und auf Art. 88 GG, in dessen S. 2 die geldpolitische Sicherung der Preisstabilität verankert ist3l9 • Wirtschaftsverfassungsfragen werden im Grundgesetz also nicht zusammenhängend, sondern im Rahmen der einzelnen Grundrechte behandelt31o . Die ökonomischen Freiheiten - Preis-, Unternehmens-, Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit - können sich nicht auf ein besonderes Grundrecht stützen, sondern bezeichnen

317 Art. 2 Abs. I GG tritt nach der herrschenden Grundgesetzdogmatik als Auffanggrundrecht hinter Art. 12 Abs. I, Art. 14 Abs. I GG oder andere besondere Grundrechte zurück: st. Rspr.: BVerfGE 87, 153 (169); vgl. R. Schoh, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 123 zu Art. 12; D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 54, 137 ff. zu Art. 2; H. U. Erichsen, AIlgemeine Handlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, 1989, § 152, Rdnr. 61 f. m.w.N.; H.-P. Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 7-43, 38 ff.; H. Lecheier, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 54 f.; andere Dogmatik bei K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 331 ff., 405 ff., 822 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 104 ff., 190; vgl. auch unten unter I. Teil, C. VI; W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 255 ff., sieht in Art. 2 Abs. I GG die "Marktfreiheit als solche" geschützt; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 57 ff., betont, daß Art. 2 Abs. I GG das "Muttergrundrecht" der wirtschaftlichen Freiheit ist. Von einem "Muttergrundrecht", spricht auch K.A. Schachtschneider, Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, S. 430 ff.; ders., Res publica res populi, S. 331 ff., 387 ff., 443, 1023 ff, meint damit jedoch den Aspekt der politischen Freiheit, vgl. oben unter 1. Teil, B. III. 3 u. unten unter 1. Teil, C. VI. 2. 318

Auch die Haushaltsverfassung ist somit Teil der Wirtschaftsverfassung, vgl. etwa

K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, 1980, S. 1075; weiterführend unten unter 1. Teil, C. VIII. 3, m.w.N. 319

Vgl. weiterführend unten unter 1. Teil, C. VIII. 2, m.w.N.

310 Vgl. W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 260; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. AIlgemeiner Teil, S. 75 ff., 117 ff.; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 57 ff., betont, daß es dem Menschenbild des Grundgesetzes eher gerecht wird, die ökonomische Privatheit als Teil der Würde, Freiheit und Umweltbeziehungen zu konzipieren, nicht als grundgesetzlichen Katalog von Wirtschaftsbestimmungen.

C. Die grundgesetzliehe Preisverfassung

85

Teilaspekte einer ökonomischen Privatheit, deren allgemeine Stabilität aus dem Zusammenwirken der grundgesetzlichen Schutzbereiche und Staatsziele folge 21 •

b) Das Sozialprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Für das Recht der Wirtschaft wesentlich ist das grundgesetzliche SozialprinZip322. Das Wort "sozial"323 findet sich in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG,

m Vgl. H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 800 ff.; ders., VVDStRL 35 (1977), S. 55 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentral fragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 134 ff.; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, S. 236 ff.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, S. 661; R .. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 94; ders., in: Maunz-Dürig, Rdnr. 115, 130, 136 f. zu Art. 12; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 66 ff.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 394 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 188 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 179 f., betont, daß der Verfassungsstaat die persönliche Freiheit um der Menschenwürde, nicht um der Marktwirtschaft willen schützt; R. Knöpfte, Der Rechtsbegriff "Wettbewerb" und die Realität des Wirtschaftslebens, 1966, S. 3 ff., weist darauf hin, daß Wettbewerbsfreiheit teilweise mit Wirtschaftsfreiheit gleichgesetzt wird; Rspr.: BVerfGE 95, 267 (303 u. 306); 8, 274 (328); 12, 341 (347); 27, 375 (384); 29, 260 (266 f.); 50, 290 (366); 65, 196 (210 f.); BGHZ 23, S. 365 ff., 370; wohl a.A.: H.P. Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: 1. Kaiser, Planung 11, 1966, S. 95, sieht die Wirtschaftsfreiheit "eigenständig und eigenwertig" gewährleistet: Die " ... grundrechtliche Zulässigkeit hoheitlicher Wirtschafts planung bemißt sich nach den Einschränkungsgrenzen unternehmerischen Dispositionsfreiheit, eben der Wirtschaftsfreiheit, nicht nur danach, ob die Dispositionsbeschränkung ihrerseits erst zu Beschränkungen oder Eingriffen im Bereich des Eigentums, der Vertragsfreiheit, der Berufsfreiheit oder der Vereinigungsfreiheit führt"; zu den wirtschaftlichen Teilfreiheiten einer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. I GG) vgl. unten unter I. Teil, C. VII. I, Kritik dieser Dogmatik unter C. VII. 2. 322 K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 32; ders., Res publica res populi, S. 234 ff., spricht vom Sozialprinzip und hält die ansonsten geläufige Bezeichnung "Sozialstaatsprinzip" für eine unnötige begriffliche Verkürzung der überaus weitreichenden Implikationen grundgesetzlicher Sozialklauseln; ders. / A. Emmerich-Fritsche, Grundgesetzliehe Rechtsprobleme der Europäischen Währungsunion, DSWR 1997, Heft 7, S. 173; vgl. auch H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, 1987, S. 1045 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 183 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 899; M. SchmidtPreuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 112 ff.; P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff.; H.J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 799 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 209 ff.; G. Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 102, das Sozialprinzip soll Chancen eröffnen, fordert sozialen Ausgleich und soziale Umverteilung zur Gewährleistung

86

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

ist aber auch in Art. 14 Abs. 2; Art. 15 und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG konkretisiert. Es ist ein Rechtssatz, der eine objektive Sozialpflichtigkeit des Staates begründet324 , aus dem allein jedoch keine subjektiven Ansprüche ableitbar sind 315 . Bei der Auslegung der Grundrechte und bei der staatlichen Wirtschaftspolitik ist das Sozialprinzip leitend 326 . In ökonomischen Fragen spricht das Bundesverfassungsgericht von einem "Fortschritt zu 'sozialer Gerechtigkeit"'317, also nicht allein von ökonomischer, sondern auch sozialer Wohlfahrt. Folglich wäre eine Ordnung reiner ökonomischer Selbständigkeit mit dem Sozialprinzip unvereinbar18, denn die leistungsgerechte Verteilung des Marktes mag ökonomisch

eines Mindeststandards an Lebensgütern; W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 31 ff., betont, daß Forderungen nach Verwirklichung sozialökonomischer Egalität auf zwischengeschaltete anspruchsbegrundende und aus dem Sozialprinzip nicht zwingend ableitbare gesetzgeberische Dezisionen angewiesen sind. 323 Vgl. die begriffliche Näherung bei H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1058 ff. 314 BVerfGE 9, 124 (131); 40, 121 (133); 59, 231 (263); 82, 60 (790; 87, 153, (169). 315 So jedenfalls BVerfGE 1,97 (105); 27, 253 (283). 326 Zentral zur Preispolitik BVerfGE 8, 274 (329): "Eine gesetzliche Regelung, die es möglich macht, aus gesamtwirtschaftlichen und sozialen Grunden die zum Nutzen des allgemeinen Wohls gebotenen privatrechtlichen Maßnahmen zu treffen, entspricht dem Sozialprinzip, das auch die Vertragsfreiheit inhaltlich bestimmt und begrenzt ... und dessen Ausgestaltung im wesentlichen dem Gesetzgeber obliegt"; vgl. auch BVerfGE 5, 85 (206): "Sozialstaatsprinzip ... soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu den vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen"; 59, 231 (262 f.), hier keine unmittelbare Beschränkung des Art. 5 Abs. I GG durch Sozialprinzip anerkannt; 13, 331 (347), Gebot sozialer Steuerpolitik; mit dem Sozial prinzip läßt sich auch für die Berucksichtigung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts argumentieren (vgl. unten unter 1. Teil, C. VIII. 4). Art. 109 Abs. 2 GG nimmt zwar nur auf die Haushaltspolitik Bezug, konkretisiert jedoch ebenfalls das Sozialprinzip und gilt umfassend, d.h. für die staatliche Wirtschafts-, Sozial-, Haushaltsund Finanzpolitik. Vgl. H.-i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 808 ff.; P. Badura, Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, in: FS H.P. Ipsen, 1977, S. 367 ff., 369; H. -Po Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 32 f. 317 BVerfGE 5, 85 (198): " ... annähernd gleichmäßige Förderung des Wohls aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten wird grundsätzlich erstrebt."; vgl. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 902 ff., Wirtschafts wachstum als sozialstaatliehe Aufgabe. 318 Vgl. P. Häherte, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 383 ff.; in den Grundrechten ist die Dualität von Privatnützigkeit und Gemeinnützigkeit angelegt, vgl. v.a. zur Berufsfreiheit und zur Eigentumsgarantie unten unter 1. Teil, C. 11 U. III; aus dem Begriff des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" in Art. 109 Abs. 2 GG läßt

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

87

rational sein, in sozialer Hinsicht ist sie blind329 • Hans F. Zacher weist darauf hin, daß sich der Begriff der sozialen Gerechtigkeit in dreierlei Gestalt findet: Leistungsgerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und Besitzstandsgerechtigkeit; Aufgabe des Staates sei es, den elementaren Bedarf zu befriedigen und für einen Ausgleich der Gerechtigkeiten zu sorgen 330 • Leistungsgerechte Verteilung kann und darf für den Gesetzgeber also nicht sakrosankt sein. Er muß Marktergebnisse im Rahmen des praktisch Vernünftigen korrigieren 331 , da er nicht der wohlfahrtsökonomischen Effizienz332 , sondern der sozialen Gerechtigkeit und damit der praktischen Vernunft verpflichtet ist333 • Im Bezug auf das marktwirtschaftliche Prinzip kommt dem Sozialprinzip eine Doppelrolle zu. Im ersten Sinne fungiert es als Grenze und insofern als Korrektiv ökonomischer Privatheit, die nur dann praktisch vernünftig ist, wenn sie dem

sich die Förderung der Beschäftigung ebenfalls als soziale Zielsetzung staatlicher Wirtschaftspolitik herauslesen, vgl. unten unter I. Teil, C. VIII. 3. 329

V gl. oben unter 1. Teil, B. I. 2.

330

Vgl. H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1077 ff.

mAis Umverteilungspolitik bezeichnet man die staatliche Korrektur der wettbewerblichen Primärverteilung; der Staat kann auch die Bedingungen der Primärverteilung beeinflussen, man spricht dann von Verteilungspolitik, dazu K.-D. Grüske, Personale Verteilung und Effizienz der Umverteilung, S. 392 ff.; der Umverteilung dient etwa das progressive Einkommensteuersystem, Kritik von F.A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 387 ff., sieht darin eine Verletzung des Prinzips "gleicher Lohn für gleiche Leistung" S. 400; H. Zimmermann / K.-D. Henke, Finanzwissenschaft, 6. Aufl. 1990, S. 5 ff.; H.C. Recktenwald, Neue Analytik der Steuerwirkungen, WiSt 8 (1984), S. 393 ff.; V. Nienhaus, Das Sozialstaatsprinzip als Korrekturrnaßstab der wettbewerblichen Primärverteilung?, in: FS H. Besters, 1988, S. 38 ff. 332 Vgl. oben unter 1. Teil, B. III; vgl. auch H.H. v. Amim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 161 ff., der ökonomischen Wohlstand als Zwischenwert, welcher sein Gewicht aus den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit empfange, bezeichnet. 333 Vgl. K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 42 ff.; ders., Res publica res populi, S. 574 ff., 658 ff.; ders., Republikanische Freiheit, S. 856 f.; aus dem Sozialprinzip ergibt sich etwa die staatliche Verantwortung für das Existenzminimum, BVerfGE 82, 60 (85); 87, 153, (169); vgl. auch H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1062 ff., 1078 ff., spricht vom sozialen Doppelziel der Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstands und der Ausbreitung der Teilhabe daran und sieht in der sozialen Marktwirtschaft die optimale wirtschaftspolitische Strategie, dieses Doppelziel zu erreichen; H.H. v. Amim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 146 ff., spricht von Gerechtigkeit als Austauschgerechtigkeit, welche die Bedingung gerechter Preise sei und durch Inflation verletzt werden könne, und von Verteilungsgerechtigkeit, welche die Verteilung der Waren und Leistungen betreffe.

88

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Gemeinwohl dient334 . Beispielsweise führt der marktwirtschaftliche Wettbewerb zu einem fortlaufenden Strukturwandel, auf dessen Kehrseite es immer wieder zu sozialen Spannungen und Härten kommen kann m . Nach der Idee des Sozialprinzips muß der Staat versuchen, derartige Strukturbrüche abzufedern. Wie weit soll, wie weit darf er dabei gehen? Sind Strukturveränderungen nicht nur ein Zeichen des Fortschritts und damit gerade ein Beleg für dynamisch effizienten Wettbewerb336 ? Die Theoriehaftigkeit praktischer Vernunft verpflichtet den Gesetzgeber, die ökonomischen Aspekte seines Tuns adäquat zu berücksichtigen. Er darf außerökonomische Rationalitäten jedoch nicht unberücksichtigt lassen, da es in einer Republik keinen Primat der Ökonomie, sondern des Rechts gibt. Wie in allen Fällen gegenläufig scheinender Verfassungsinhalte337 ist daher "... mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte W ertordnung"338 eine Güterabwägung339 vorzunehmen. Die zusam-

334 Denn Wettbewerb ist eine "res publica und res privata", K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 396. m Vgl. die Übersicht bei W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 66. Die möglichen Konfliktfälle sollen hier nur angedeutet werden, die tatbestandsspezifische Analyse der Rechtslage erfolgt im 2. u. 3. Teil der Arbeit, vgl. z.B. die Diskussion zum Mittelstandsschutz im Rahmen der Zu lässigkeit von Untereinstandspreisverkäufen (unten unter 2. Teil, B. V) und Buchpreisbindungen (unten unter 3. Teil, C. I1I) oder zum agrarpolitischen Ziel der Erhaltung einer gewac.hsenen landwirtschaftlichen Produktionsstruktur (unten unter 3. Teil, C. I). 336 Zur dynamischen Effizienz vgl. oben unter I. Teil, B. I. 2; zur Problematik der Anpassung an Strukturveränderungen vgl. unten unter 1. Teil, D. II. 5. 337 In Anlehnung an H. Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik: Erster Band - Grundlagen, 1961, S. 51 f., sind fünf verschiedenartige Beziehungen zwischen Zielen möglich, die in logische und empirische Beziehungen unterteilt werden können. Logisch kann zwischen Identität und Widersprüchlichkeit unterschieden werden, empirisch zwischen Neutralität, Konkurrenz und Komplementarität. Folgt man jedoch der formalen Logik republikanischer Freiheit, kann es derartige "Spannungsverhältnisse", also etwa zwischen Sozial prinzip und Freiheit oder zwischen Freiheit und Gleichheit gar nicht geben. Der Begriff Spannungsverhältnis setzt eine materiale Begrifflichkeit voraus. In der Republik ist die politische Freiheit jedoch formal. Vgl. bereits oben unter 1. Teil, B. III. 3; vgl. v.a. K.A. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, S. 833 ff; ders., Res publica res populi, S. 423 ff. 338 BVerfGE 28, 243 (261); vgl. auch E 30, 173 (193); 32, 98 (107 f.); 41, 29 (50); 47,46 (76); 49, 24 (56); 52, 233 (246 f); umfassend auch H. Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, S. 133 ff., 256 ff. 339 Vgl. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, 3. Aufl. 1983, S. 67 ff, trennt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit vom Grundsatz der Güterabwägung, letztere sei Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; K.A. Schachtschneider, Res pu-

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

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mentreffenden Größen sind durch wechselseitige Aufeinandereinstellung zu harmonisieren, wobei jeweils die eine Position nur zurückgedrängt werden darf, wenn es für die zwingenden Belange der anderen unbedingt erforderlich ist (praktische Konkordanz)340. Der Wesensgehalt eines Grundrechts darf keinesfalls verletzt werden (Art. 19 Abs. 2 GG)341. Greift eine gesetzliche Regelung in den Schutzbereich eines Grundrechts ein, ist nach den Schranken des Grundrechts und schließlich nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip 341 zu beurteilen, ob dies durch ein legitimes (Gemeinwohl-) Interesse gerechtfertigt werden kann. Im einzelnen ist zu untersuchen, ob das entsprechende Gesetz überhaupt geeignet ist, die angegebene Zielsetzung zu erreichen. Wird dies bejaht, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es hierzu

blica res populi, S. 895 ff.; M. Sachs, in: ders., Grundgesetz, Rdnr. 37 ff., 50 zu Einf., beklagt, daß solche Abwägungen angesichts erheblicher Bewertungsspielräume kaum normativ diszipliniert werden können; vgl. auch F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 85 ff., 225 ff.; K Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 131 ff.

340 Grdl. K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 72,318; BVerfGE 41, 29 (50 f); 50,290 (340); 52, 223 (247); 39, I (43): "Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen"; vgl. auch P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", S. 383 ff. 341 Vgl. H. Peters /1. Salzwedel, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, 1969, S. 265 ff.; G. Dürig, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 52 zu Art. 2; vgl. auch KA. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 827 ff.; der von keiner Auslegung des Begriffs Wesensgehalt überzeugt ist und daher die Interpretation der Grundrechte als Leitentscheidungen des Grundgesetzes vorzieht; ähnlich P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 51 ff., 70 ff., 104 ff., 141 ff., 180 ff.; ein relatives RegellPrinzipienModell vertritt R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 71 f.; vgI. auch H. Krüger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 23 ff. zu Art. 19; K Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 866 ff., sieht den Wesensgehalt der Grundrechte als absolute Schranken-Schranke.

341 Vgl. KA. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 362, 557 f., 987, hält das Willkürverbot als formales, der Freiheit dienendes Prinzip für einschlägig, S. 4 I I ff., 990 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 94 ff.; A. EmmerichFritsche, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Schranke und Maßstab der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft, i.E.; K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 72, 3 I 7 ff.; P. Wittig, Zum Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im System des Grundgesetzes, DöV 1968, S. 8 I 9; M. Sachs, in: ders., Grundgesetz, Rdnr. 109 zu vor Art. I, Rdnr. 93 ff. zu Art. 20; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 2 I, 134 ff., 250 ff.; ); E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG, AöR 98 (1973), S. 568 ff., 590 ff.; R. Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot, AöR 104 (1979), S. 4 I 4 ff., 448 ff.; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 198 I.

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I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

auch erforderlich ist. Erforderlichkeit liegt vor, wenn es kein alternatives Mittel gibt, das bei vergleichbarer Eignung eine geringere Einwirkung auf das benannte Grundrecht hat. In einem letzten Schritt wird schließlich die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, das Übermaßverbot, beurteilt. Dies kann dazu führen, " ... daß ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes nicht angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Grundrechte des Betroffenen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegen, so daß der Einsatz des Schutzmittels als unangemessen erscheint."w Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Bedeutung des Sozialprinzips erschöpft sich jedoch nicht in der Funktion eines Korrektivs. In einer zweiten, ebenso bedeutenden Rolle fungiert es auch als Garant der ökonomischen Selbständigkeit und damit als Garant des Prinzips MarktJ" . Denn immerhin gilt es als wirtschaftswissenschaftlieh und historisch erwiesene Tatsache, daß der statisch und dynamische Wettbewerb die ökonomische Wohlfahrt steigert und damit zugleich die materielle Voraussetzung für die bürgerliche Sittlichkeit schafft. Kant formulierte Wohlfahrt als indirekte Forderung"'. In dieser Hinsicht ist Marktwirtschaft sozial. Eine vollständige Aufhebung marktwirtschaftlicher Strukturen fände im Sozialprinzip nicht nur keinen Halt, sondern ihre Grenze J••. c) Die Neutralitätsthese des Bundesverfassungsgerichts Wie gezeigt wurde, enthält die Verfassung sowohl marktwirtschaftliche als auch soziale Aussagen. Im Rahmen der VerhältnismäßigkeitspfÜfung gibt es erhebliche Beurteilungsspielräume. Gerade in Fragen der Wirtschaftspolitik übt

J4J BVerfGE 90, 145 (146 LS 2 b, 173); vgl. auch BVerfGE 38, 61 (88 ff.); 48, 396 (402); 67,157 (178). J4< Vgl. 1. Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), S. 187, betont, daß das Sozialprinzip eine Sozialordnung gebietet, nicht aber, daß der Staat diese durch eigene Organe gestalten müsse.

J4'Vgl. J. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 518 ff., dazu auch oben unter 1. Teil, B. 111. 2. 34. Vgl. H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1078 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 40 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143 f.; ders., Res publica res populi, S. 234; ebenso F.A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 361 ff.; um eine Neuinterpretation des Sozialprinzips bemüht sich auch V. Niellhaus, Das Sozialstaatsprinzip als Korrekturmaßstab der wettbewerblichen Primärverteilung?, S. 47 ff.; R. Zeppernick, Zur Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft, S. 30 ff., betont, daß das große und vielfältige Angebot an Gütern eine

soziale Funktion der Marktwirtschaft darstellt.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

91

das Bundesverfassungsgericht große Zurückhaltung und gesteht dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum ZU347. Im Investitionshilfeurteil hat es schon früh die These von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes geprägt und bis in die jüngste Rechtsprechung aufrecht erhalten 348 • Dem-

347

Aktuell BVerfGE 95,267 (310 ff., 316 f.).

348 Die zentralen Entscheidungen: Investitionshilfeurteil BVerfGE 4, 7 (18); Apothekenurteil BVerfGE 7, 377 (400); Mitbestimmungsurteil BVerfGE 50, 290 (338); Altschuldenurteil BVerfGE 95,267 (300 ff.). In der Literatur gibt es eine große Anzahl von Stellungnahmen: absolute Ablehnung von H.C Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 25 ff.; die volkswirtschaftliche Literatur bezeichnet die Neutralitätsthese als "tragischen Standpunkt", vgl. etwa A. Woll, Wirtschaftspolitik, 1984, S. 143; den entscheidenden "sofern-Satz" betont E. Benda, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, S. 189; A. Bleckmann, Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 539, sieht die soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem in weitem Sinne verankert; zum Meinungsstand: H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 810 ff.; ders., in: Maunz-Dürig, Rdnr. 30 ff. zu Art. 14, spricht von wirtschaftspolitischer, nicht aber wirtschaftsrechtlicher Neutralität, da sich aus den Grundrechten ein Vorrang der Delegation und Dezentralisation von Wirtschaftsplanung und der verkehrswirtschaftlichen Koordination ableiten läßt; H. P. /psen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, S. 93; W. Fikentscher, Wirtschafts recht Bd. 2, S. 39 ff., 58; 70, gewichtet individualbezogene Grundsätze tendenziell stärker als sozialpolitische und sieht im Grundgesetz eine grobe Rahmenwirtschaftsordnung festgelegt; K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 42 ff.; ders., Res publica res populi, S. XIII, 195, 203 ff., 263 ff., 388 ff., 396 ff., betont, daß das allgemeine Gesetz den Wettbewerb unterbinden muß, wenn dieser dem Gemeinwohl abträglich ist, spricht aber von einer marktlichen Sozial wirtschaft; vgl. auch H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1080; U. Karpen, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1990, S. 41 ff.; R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, HStR, Bd. I1I, S. 1148 ff.; vgl. auch H.H. Rupp, Grundgesetz und Wirtschaftsverfassung, S. 5 ff.; W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, BB 1975, S. 3; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentral fragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 86 ff.; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, S. 236 ff., sieht in den Grundrechten im Ergebnis eine Systementscheidung getroffen, folgt jedoch der herrschenden Auffassung, daß die soziale Marktwirtschaft kein eigenes Prüfkriterium ist; ähnlich R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 75 ff., der der Rspr. des BVerfG nicht mehr Konsistenz zusprechen will, als in ihr enthalten sei, da das Gericht zwar einerseits an der Neutralitätsthese festhalte, sich andererseits aber zum Wettbewerbsprinzip bekenne; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, I. Bd., 2. Auf!. 1953, S. 23 ff., M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 179 f.; G. Dürig, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 44 zu Art. 2; B. Schmidt-Bleibtreu / F. Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Auf!. 1983, S. 117 ff.; H.-eh. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 40 ff., bezeichnet die Neutralitätsthese als eine vereinfachende Reduktion, da eine Planwirtschaft nicht mit der grundgesetzlichen Wertordnung zu vereinbaren sei; vgl. auch G. Ress, VVDStRL 48 (1990),

92

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

nach schreibt das Grundgesetz kein bestimmtes Wirtschaftssystem vor, vielmehr kann der Gesetzgeber " ... die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik ... verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet", und muß sich bei der Wahl seiner wirtschaftspolitischen Instrumente nicht auf "systemkonforme" Maßnahmen beschränken 349 . Dem widersprach Hans-earl Nipperdey bereits in den fünfziger Jahren. Er vertrat die Auffassung, daß das Grundgesetz die soziale Marktwirtschaft als Wirtschafts system garantiere 50 . Seit den siebziger Jahren keimen immer wieder Versuche auf, das Grundgesetz auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem festzulegen 351 • Dabei wird nicht nur auf die soziale Marktwirtschaft, sondern auch auf alternative Konzepte Bezug genommen. Schachtschneider spricht etwa von einer marktlichen Sozialwirtschajt, um die Sozialpflichtigkeit des Wirtschafts systems zu betonen 352 • Zu wirtschaftssystematischen Fragen schweigt die Verfassung jedoch nach wie vor. Wie ausgeführt wurde, hat daran auch der Staatsvertrag nichts geändert. Er hat nicht mehr und nicht weniger als eine wirtschaftspolitische Signalwirkung353 • Das europäische Gemeinschaftsrecht enthält ebenfalls keine Festlegung auf die soziale Marktwirtschaft354. Die Art. 102 a, Art. 105 und Art. 3 a EGV sprechen von einer "offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb". Die Grundfreiheiten, insbesondere die Warenverkehrsfreiheit des Art. 30 EGV und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, betonen vor allem die ökonomische Liberalität der Union355 • Soziale Aspekte gewinnen erst in jüngerer Zeit

S. 105; P. Badura, Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, S. 372, sieht z.B. auch keine globalgesteuerte Marktwirtschaft in Art. 109 GG verankert. 349 Erstmals BVerfGE 4,7 (18). 350 Vgl. H.e. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 24 ff. 351 Vgl. H.H. Rupp, Grundgesetz und Wirtschaftsverfassung, S. II ff.; R. Scha/z, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971, S. 26 ff.; W. Leisner, Die Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 220 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 93 ff.

352 Vgl. K.A. Schachtschneider, in: Die Euro-Klage, S. 202,260, teilweise spricht der Autor auch von einer "marktlichen und wettbewerblichen Sozialwirtschaft" - S. 224; diese Bezeichnung erscheint vorzugswürdig, da das Adjektiv "wettbewerblich" - mehr noch als das Adjektiv "marktlich" - klärt, daß der Wettbewerb die grundsätzliche Handlungsform sein soll; vgl. bereits ders., Res publica res populi, S. XIII; ders., Das Sozialprinzip, S. 42 ff. 353 Zum gleichen Schluß kommt M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 247 ff.; "eine verfassungsgestaltende Entscheidung über die Wirtschaftsordnung" sieht P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 20. 354 Vgl. W. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 195 ff. 355 Vgl. A. Bleckmann, Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts, S. 541.

C. Die grundgesetzliehe Preisverfassung

93

Einfluß auf die europäische Rechtsentwicklung356, so daß sich wohl auch der wirtschaftspolitische Geist der Europäischen Union den Ideen ordoliberaler Theoretiker annähert. Zusammenfassend gilt es festzuhalten, daß Wirtschaftstätigkeit grundsätzlich in private Hände zu legen ist; private Initiative, Verantwortung und Risiko bilden insofern grundsätzlich eine Einheit, bleiben jedoch dem grundgesetzlichen Sozialprinzip verpflichtet357 • Solange keine textliche Festlegung auf das Konzept der sozialen Marktwirtschaft erfolgt, kann diese weder auf nationaler noch auf Gemeinschaftsebene als eigenständiger Prüfungsmaßstab dienen 358 • Vielmehr bestimmt das Grundgesetz lediglich eine grobe Rahmenordnung für die WirtschaJtl59. Zur Verfassungsmäßigkeit von Preisvorschriften läßt sich daher

356 Zu den Entwicklungen vgl. J. Ringler, Die Europäische Sozialunion, 1997, insb. S. 232 ff.; vgl. auch P. Badura, VVDStRL 23 (1966), S. 77 ff.; W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 256, sieht in der EU eine Tendenz weg vom Markt; G. Ress, VVDStRL 48 (1990) 48, S. 103 f., sieht in der allgemeinen Wohlfahrt die Zweckrichtung des EGV; aktuell vgl. Europäische Kommission, Europäischer Rat - Tagung am 16. und 17. Juni 1997 in Amsterdam - Schlußfolgerungen des Vorsitzes (Vorläufige Fassung), EU-Nachrichten Nr. 2 v. 23.06.1997, S. 6 ff. zu den Themen Beschäftigung, Wettbewerbsfahigkeit und Wachstum. 357 Vgl. P. Badura, Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, S. 382; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 62 ff.; R. Schotz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971, S. 25 ff.; 128 ff.; 172 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 282 ff.; ders., Res publica res populi, S. 386 ff.; ders., Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 100 ff.; ders., Privatisierung des bayerischen Vermessungswesens, S. 14 ff.; H.P. lpsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, S. 95 ff., u.v.a. 358 So h.M.: H.-i. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 810 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 75 ff.; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 70, der individualbezogene Grundsätze tendenziell stärker gewichtet als sozialpolitische Grundsätze; andere Konzeption bei K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 42 ff.; ders., Res publica res populi, S. XIII ff.; vgl. auch W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, S. 3 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentral fragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 86 ff., B. SchmidtBleibtreu / F. Klein, Kommentar zum Grundgesetz, S. 117 ff.; U. Karpen, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 41 ff. 359 Den Begriff der Rahmenwirtschaftsordnung verwendet W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, S. 58; ähnlich A. Bleckmann, Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 539, spricht von einer Verankerung in weitem Sinne; W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, in: FS M. Kriele, 1977, S. 263, vertritt ebenfalls die Ansicht, daß "der Markt als solcher am nächsten steht beim Grundgesetz", so daß das Ziel eine "marktkonforme Staatlichkeit sein müsse", dies i.S. eines Auftrags zur Privatisierung staatlicher Wirtschaftstätigkeiten, S. 267.

94

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

nicht unmittelbar mit wirtschaftssystematischen Erkenntnissen argumentieren. Ausschlaggebend bleibt vielmehr eine grundrechtsspezifische Analyse, in deren Rahmen die ökonomische Theorie einen wichtigen Beitrag zur Bestimmung praktisch vernünftiger Politik leisten kann und soll. Im folgenden wird dies für die Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie für die Art. 88 und 109 Abs. 2 GG versucht. Dabei geht es vor allem darum, die Bedeutung dieser Bestimmungen für den Schutz der unternehmerischen Preisprivatheit und der allgemeinen Preisstabilität deutlich zu machen. Im Ergebnis ergibt sich daraus die grundgesetzliche Preisverfassung als Bezugspunkt des Rechts der Preisverlautbarung und Preisbildung36O •

11. Staatliche Preisvorschriften und Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) J. Der Unternehmer als Beruf im Sinne des Art. J2 Abs. J GG

Wenn das private Unternehmertum ein Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG ist, dann fällt die Bildung und Verlautbarung von Preisen in den Schutzbereich der grundgesetzlichen Berufsfreiheit361 • Tatsächlich geht dem offenen, personalen Berufsbegriff des Grundgesetzes ein offener Gewerbebegriff voraus 362 • Als Gewerbe gilt eine "mit Gewinnerzielungsabsicht unternommene selbständige

360 Vgl. P. Badura, Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, S. 384, fordert ebenfalls die relevanten Grundrechte bei Wirtschaftsverfassungsfragen als zusammengehörige Einheit zu sehen; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 79, beklagt jedoch zu Recht, daß die Grundrechte auch in der Judikatur des BVerfG weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. 361 BVerfGE 32,311 (317); 46, 120 (137); BVerwGE 71, 183 (189); P.J. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 57 ff. zu Art. 12; R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, § 147, Rdnr. 63 f.; ders., Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, HStR, Bd. VI, § 148, Rdnr. 24; W. Rüfner, Überschneidung und gegenseitige Ergänzungen der Grundrechte, Der Staat 7 (1968), S. 51; R. Schatz, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 79 ff., 115, 123 f., 135 f. zu Art. 12; H. Lecheier, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 74; H.-P. Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 38 ff.; E.R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DöV 1956, S. 140; M. Gubelt, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 37 ff. zu Art. 12. 362 Vgl. H.-J. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 56 ff.; H. Lecheier, VVDStRL 43 (1985), S. 62 ff.; W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 148 ff.; E. Stein, Staatsrecht, 14. Aufl. 1993, S. 360 ff.; P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 42; M. Gubelt, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 18 ff. zu Art. 12.

C. Die grund gesetzliche Preisverfassung

95

Arbeitstätigkeit unter Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr"363. Von einer Identität beider Begriffe kann jedoch nicht ausgegangen werden364 . Die Berufsfreiheit reicht weiter als die Gewerbefreiheit365 . Sie umfaßt sowohl die Erwerbstätigkeit in rechtlich und/oder wirtschaftlich abhängiger als auch die in unabhängiger Stellung366 , schützt die Erwerbsabsicht und die Erwerbschance, nicht aber den tatsächlichen Erfolg der Tätigkeie67 . Jede sinnvolle, erlaubte und auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienen kann, ist durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt368 , auch und gerade die unternehmerische Tätigkeit, die als Unternehmeifreiheit die "privatautonome Gründungs-, Planungs- und Leitungsmacht des Unternehmers" sowie die unternehmerische Vertragsfreiheit bei der Preisgestaltung369 umfaßt.

363 Vgl. H. Lecheler, VVDStRL 43 (1985), S. 63 ff., in Anknüpfung an K. v. Rohrscheidt, Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, 1. Bd., 2. Auf]. 1912, Anm. 3 zu § 1. 364 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 394: "Wer die Unternehmer'freiheit' aus Art. 12 Abs. 1 GG herauslesen will, verwechselt entgegen Art. 55 Abs. 2 und Art. 66 GG Beruf und Gewerbe." 365 In Anknüpfung an BVerfGE 7,377 (397) ist in BVerfGE 50, 290, (362) deutlich geworden, daß die Freiheit, " ... eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe zu betreiben", in der Berufsfreiheit enthalten ist, letztere aber weiter reicht als die Gewerbefreiheit, vgl. BVerfGE21, 261 (266); 30, 292 (314); 38,61 (85 f.). 366 Vgl. H. -J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 815; O. Bachof, Freiheit des Berufs, Die Grundrechte, Bd. III/l, 2. Auf]. 1972, S. 160; BVerfGE 7, 377 (398); 50, 290 (365); 59, 231 (266); M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GGKommentar, Rdnr. 18 ff. zu Art. 12; H. Lecheler, VVDStRL 43 (1985), S. 63 f. lehnt eine geschützte Kategorie "Arbeit um der Arbeit willen", in der der Erwerbszweck nicht zumindest eine Nebenrolle spielt, angesichts der allgemeinen verdienst- und eigentumsbewußten Grundhaltung als wirklichkeitsfremd ab. 367 Nach der geläufigen Formel schützt Art. 12 Abs. 1 GG den Erwerb und Art. 14 Abs. 1 GG das Erworbene, vgl. Rspr.: BVerfGE 30, 292 (334 f.); 31, 8 (32 ff.); 38, 61 (102); 65, 237 (248); 81, 70 (96), eine gewisse Identität wird gesehen im Mitbestimmungsurteil BVerfGE 50, 290 (364). Für die Anwendbarkeit dieser Rechte kommt es entscheidend darauf an, ob der Eingriff eher einen Sach- oder Personenbezug hat, vgl. H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 39; H.-J. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 99. 368 BVerfGE 14, 19 (22); 32,311 (316); vgl. O. Bachof, Freiheit des Berufs, Die Grundrechte, Bd. III/l, S. 181 ff. 369 Vgl. R. Breuer, Freiheit des Berufs, Bd. VI, § 147, Rdnr. 61 f.; H.-J. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 56 ff., 87 ff.; R. Scho/z, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 50 ff., 77 ff.; 326 u. 399 zu Art. 12; H. Lecheler, VVDStRL 43 (1985), S. 55 ff.; P. Henseler, Wirtschaftslenkung durch Subventionen zwischen Förderung und Gefahrdung untemehmerischer Freiheit, S. 205 ff., 214 ff.; P.J. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 57 ff. zu Art. 12; N. Reich / H.-w. Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1980, S. 76 ff.; M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr.

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

96

In Großunternehmen sind nicht etwa die Anteilseigner oder die Manager Träger der Berufsfreiheit, sondern das Unternehmen als juristisch verfaßte Willenseinheit, mit anderen Worten die juristische Person, in deren Namen und auf deren Rechnung und Risiko andere unternehmerisch handeln 370 • Ein solcher Schutz der wirtschaftlichen Tätigkeit von Großunternehmen ist aufgrund von Art. 19 Abs. 3 GG zulässig, jedenfalls wenn und soweit sie "ihrem Wesen und ihrer Art nach" in gleicher Weise von einer juristischen wie auch einer natürlichen Person ausgeübt werden kann 371 • Eine Beschränkung der Unternehmerfreiheit auf kleine und mittlere Unternehmen käme in vielen Märkten einer Zugangs sperre zum Markt und zur Ausübung der Unternehmerfreiheit gleich 372 • Dies wäre weder mit Art. 12 Abs. 1 GG noch mit Art. 9 Abs. 1 GG, der gesellschaftsrechtlichen Vertragsfreiheit, vereinbar. Großunternehmen spielen jedoch nicht nur eine unternehmerische, sondern auch eine bedeutende soziale Rolle. Von ihrem wirtschaftlichen Erfolg sind oft zahlreiche Arbeitsplätze im Unternehmen selbst und in einer Reihe von Zulieferbetrieben abhängig. Manchmal hängt sogar das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen ganzer Regionen oder Berufsgruppen an der Existenz eines oder weniger Einzelunternehmen. Dieser gesellschaftlichen Bedeutung kann die Politik einerseits durch Subventionierungen oder andere Begünstigungen Rechnung tragen. Andererseits darf sie aber auch gesteigerte arbeitsrechtliche und publizitätsrechtliche Anforderungen stellen. Solche Regulierungen sind notwendig, damit auch die Grundrechtswahrnehmung von Großunternehmen nicht nur privatnützig, sondern mit dem Gemeinwohl vereinbar ist373 •

18 ff. zu Art. 12; P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungs recht, Rdnr. 42; E. Stein, Staatsrecht, S. 362; zur freien Vertrags- und Preisgestaltung BVerfGE 88, 145 (159) (Vergütungsansprüche); BVerfG DtZ 1991, S. 91 f. (Preisabschläge für Arzneimittel). 370 Vgl. H.-l. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 58 ff.; P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 43. 371 BVerfGE 21, 261 (266); 22, 380 (383); 30, 292 (312); 50, 290 (363); 53, 366 (386); 65, 196 (210); 74, 129 (148); die Berufsfreiheit gilt grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts, vgl. P.I. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 22 ff. zu Art. 12; B. Schmidt-Bleibtreu I F. Klein, Kommentar, S. 286; H. -I. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 821. 372 H.-I. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 72 f.; Grund ist, daß in bestimmten Wirtschafts sektoren technologiebedingt eine gewisse Mindestgröße notwendig ist, um effizient wirtschaften zu können. Vgl. dazu I. Teil, D. 4.

373

Vgl. H.-I. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, S. 821 f.

C. Die grundgesetzliche Preis verfassung

97

2. Die Unterscheidung zwischen Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit

Die Verfassung schützt sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung und damit funktionstypische Eckpfeiler einer Weubewerbsordnung374 • Diese im Text des Art. 12 Abs. 1 GG getroffene terminologische Unterscheidung von Berufsausübung und Berufswahl darf nicht darüber hinweg täuschen, daß das Grundgesetz die Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht gewährt375 und seit dem Apothekenurteil insgesamt unter einen Gesetzesvorbehalt stellt376 • Je stärker eine staatliche Regelung den Berufswahlaspekt berührt, desto strenger ist die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit zu beurteilen377 • Diesem Problem der Verhältnismäßigkeit versucht das Bundesverfassungsgericht seit dem Apothekenurteil durch eine Hilfskonstruktion378 , der sogenannten Drei-StufenLehre 379 , Rechnung zu tragen.

374 Vgl. R. Scho/z, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 79 ff. zu Art. 12; H.-l. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 99 f.; R. Breuer, Freiheit des Berufs, Bd. VI, § 147, Rdnr. 20; P.l. Tettinger, in: Sachs, 00, Rdnr. 14 zu Art. 12; Freiheit der Berufsausübung heißt zugleich Wettbewerb, vgl. BVerfGE 87, 363 (388); 32, 311 (317); M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 37 ff. zu Art. 12; F. Hufen, Berufsfreiheit - Erinnerung an ein Grundrecht, S. 2915: "Der Plural von Berufsfreiheit heißt Wettbewerb." 375 BVerfGE 7, 377 (401 f.); 33, 303 (329 f.); P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 8 ff. zu Art. 12; R. Scho/z, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 14,36,55 ff., 82, 125 zu Art. 12; kritisch W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 156 ff.; H. -W. Amdt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: U. Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 769 ff. 376 Auch wenn Art. 12 Abs. I S. 2 00 nur von der Berufsausübung spricht, ist im Apothekenurteil BVerfGE 7, 377 (397 f.) der Gesetzesvorbehalt auch auf das Recht aller Deutschen, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen" ausgedehnt worden; Kritik an dieser Ausdehnung übt K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 392 ff.; wenn ein Eingriff in die Berufsfn;iheit durch Rechtsverordnung erfolgt, fordert Art. 80 Abs. I S. 2 00 deren Bestimmtheit, dazu M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 73 ff. zu Art. 12; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 81 ff. zu Art. 12; wichtig ist auch das Urteil zur Zulässigkeit des Preisgesetzes BVerfGE 8, 274 (307 f.), dazu detailliert unten unter 3. Teil, A.l.

377Vgl. H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 38 ff.; H.-l. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVertR, S. 822 ff.; R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983; W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 157, spricht von einem "System abgestufter Gewährleistungsdichte der Berufsfreiheit". m BVerfGE 19, 330 (337); 46, 120 (138); vgl. H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 37; H. LecheIer, VVDStRL 43 (1985), S. 58; P.l. Tettinger, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 108 (1983), S. 92 ff.; ders., in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 110 ff. zu Art. 12. 379 Grdl. Apothekenurteil BVerfGE 7, 377 (404 f.), zu Berufsausübungsregelungen: 16,286 (297), 65, 116 (125); 70, 1 (28); 77, 308 (332); 78, 155 (162); 81, 70 (84); zu

7 Hauplkorn

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

98

Für die Beschränkung der Berufsausübung gilt die unterste Schwelle der Zulässigkeit. Ausübungsvorschriften sind bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert380 , wobei dem Gesetzgeber sogar Zweckmäßigkeitserwägungen genügen sollen381 • Die Aufstellung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen ist erlaubt, wenn dies dem Schutz wichtiger Freiheitsgüter dient und diese der Freiheit des einzelnen vorgehen. "Wichtig" sind z.B. die Volksgesundheit382 , die Sicherung der Energieversorgung383 oder die geordnete RechtspflegeJ84 • Häufig ist die Auswahl wichtiger Gemeinwohlinteressen lediglich Ausdruck einer spezifischen Wirtschafts- und Sozialpolitik und liegt insofern im weiten Bereich gesetzgeberischen Ermessens. Beispielsweise könnten subjektive Zulassungsvoraussetzungen mit dem Schutz von Mittelstand und Hand-

Berufswahlregelungen mit subjektiven Berufszugangsvoraussetzungen: BVerfGE 9,338 (345); 13,97 (106); 34,71 (77); 55,185 (196); 64, 72 (82); 69, 209 (218); 80,1 (23 f.); zu Berufswahlregelungen mit objektiven Zulassungsregelungen: BVerfGE 9, 39 (48 f.); 11,30 (43 f.); 11, 168 (186, 190); 87,287 (316, 321); vgl. auch o. Bachof, Freiheit des Berufs, Die Grundrechte, Bd. HI/I, S. 212 ff.; P.J. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 100 ff. zu Art. 12; v.a. auf die Nachteile u. Schwächen dieser Lehre weist hin W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 158; der Schutz der Berufsausübung kommt aufgrund dieser Lehre regelmäßig zu kurz, so H. Lecheier, VVDStRL 43 (1985), S. 59 ff.; E. Stein, Staatsrecht, S. 363 ff; M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 41 ff. zu Art. 12; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 117 ff., 128. 380 Aus der Rspr. zu Berufsausübung BVerfGE 16, 286 (297), 65, 116 (125); 70, 1 (28); 77, 308 (332); 78, 155 (162); 81, 70 (84); zu Berufswahl mit subjektiven Zulassungsregelungen BVerfGE 9,338 (345); 13,97 (106); 34, 71 (77); 55,185 (196); 64, 72 (82); 69, 209 (218); 80, 1 (23 f.); zu Berufswahl mit objektiven Zulassungsregelungen: BVerfGE 9, 39 (48 f.); 11, 30 (43 0; 11, 168 (186, 190); 87, 287 (316, 321); Kritik an der Geringschätzung der Berufsausübungsfreiheit von F. Hufen, Berufsfreiheit - Erinnerung an ein Grundrecht, S. 2917, 2920. 381 Z.B.: Erhöhung der sozialen Gesamtleistung eines Berufszweiges BVerfGE 7,377 (406); Funktionsfähigkeit eines öffentlichen Femrufnetzes BVerfGE 46, 120 (146); Schutz des Verbrauchers vor Täuschung BVerfGE 53, 135 (145); Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung BVerfGE 70, 1 (29); ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung BVerwGE 45, 331 (335); solch offenen Formeln des öffentlichen Interesses steht H. Lecheier, VVDStRL 43 (1985), S. 58 ff., ablehnend gegenüber, während sie H. -Po Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 36 ff., in Fragen der Wirtschaftspolitik für angebracht hält; jedoch ist auch bei Berufsausübungsregelungen nach Wahl der Stufe das Kriterium der Erforderlichkeit genau zu prüfen, vgl. M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 48 ff. zu Art. 12. 382 383 384

BVerfGE 25,236 (247). BVerfGE 30,292 (3230. BVerfGE 37, 67 (77).

C. Die grundgesetzliehe Preisverfassung

99

werk gerechtfertigt werden385 • Auch auf der zweiten Stufe hat der Gesetzgeber also einen großen Gestaltungsspielraum386 • Wesentlich strenger zu beurteilen sind objektive Zulassungsvoraussetzungen. Gemäß der Drei-Stufen-Systematik sind sie nur dann zulässig, wenn sie der Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dienen387 • Erst auf der obersten Stufe des Drei-Stufen-Modells ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers also eng beschränkt. Insbesondere lassen sich wirtschafts- und sozialpolitische Vorstellungen und Ziele nicht ohne weiteres zu überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern hochstilisieren, rechtfertigen also keine objektiven Berufszulassungsvorschriften388 • Die Drei-Stufen-Lehre ist im Laufe der Zeit verfeinert worden 389, bleibt jedoch ihrem schematischen Denken verhaftet, da sie unterstellt, daß sich gesetzliche Regelungen eindeutig zu einer von drei Stufen zuordnen lassen. Dies ist in der Praxis jedoch nicht immer der Falp90. Wenn man trotzdem im Modell bleiben will, muß man, unabhängig von der jeweiligen Stufe, eine sorgfältige Abwägung zwischen gesetzlichen Interessen und dem unternehmerischen Selbstbestimmungsinteresse vornehmen 391 • Das Kriterium der Erforderlichkeit und das Übermaßverbot dürfen der Drei-Stufen-

311.5 Etwa BVerfGE 13, 97 (107); weiterführend H.-l. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVertR, S. 825; vgl. auch unten unter 2. Teil, B. V, zum Tatbestand der Untereinstandspreisverkäufe und 3. Teil, C. III, zur Buchpreisbindung. 386 Der Gesetzgeber hat einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum: BVerfGE 9,338 (345); 13,97 (106); 34, 71 (77); 39, 210 (225 f.); 46, 246 (257); 51, 193 (208); 53,135 (145);); 55,185 (196); 64, 72 (82); 69, 209 (218); 77, 84 (106); 77, 308 (332); 80, I (23 f.); 95, 267 (300 ff.). 387 BVerfGE 7, 377 (408); 9, 39 (48 f.); 11, 30 (43 f.); 11, 168 (183, 186, 190); 87, 287 (316, 321). 388 Anerkannt wurde Volksgesundheit: BVerfGE 7,377 (414); 17,269 (276); das öffentliche Verkehrsinteresse: 11, 168 (190 f.); die Sicherung der Volksernährung: BVerfGE 40, 196 (218); eine menschenwürdige Umwelt: BVerwGE 62, 224 (230); unzulässig war das soziale Prestige eines Berufs: BVerfGE 7, 377 (408); 75, 284 (296 f.); berufsständische Belange: BVerfGE 76, 171 (189); 87, 287 (326); Schutz vor Berufsrisiko: BVerfGE 59,172 (210); Konkurrenzschutz: BVerfGE 7,377 (408); 11, 168 (188 f.); 19,330 (342); BVerwGE 79,208 (211 f.); wirtschafts- und verkehrspolitische Planungsziele BVerfGE 11, 168 (190). 389 Vgl. R. Scholz, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 324 zu Art. 12; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 109 ff., 123 ff. zu Art. 12, hält die Kritik an der Judikatur daher für überholt.

390 Problematisch ist etwa die Festlegung von Grenzpreisen (unten unter 1. Teil, C. 11. 3) oder die Beurteilung staatlicher Konkurrenz (unten unter 1. Teil, C. 11. 4). 391 Vgl. H.-W. Arndt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: U. Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 770.

100

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Logik nicht zum Opfer fallen, sonst kommt es vor allem auf der untersten Eingriffsstufe zu einer weitgehenden Beliebigkeit staatlicher Markteingriffe 391 • Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den geläufigen Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit ist der Drei-Stufen-Lehre daher allemal vorzuziehen. Sie ist eher als die Drei-Stufen-Lehre geeignet, der unternehmerischen Preisbildung den verfassungsrechtlichen Schutz zu verschaffen, der ihr unter dem Freiheitsgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG zusteht393 • Der eigentliche Nutzen der Drei-Stufen-Lehre liegt wohl eher darin, daß sie die Plastizität der Verfassungsrechtsprechung erhöht394 • Preisregulierungen, um die es in dieser Abhandlung geht, sind in der Regel der untersten Stufe zuzuordnen, unterliegen daher vergleichsweise geringen Zulässigkeitsvoraussetzungen39!. Es wird schwer sein, eine Gesetzesvorschrift, die die Verlautbarung oder Bildung von Preisen betrifft, aufgrund einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG zurückzuweisen. Man sollte sich jedoch nicht rigoros an eine Hilfskonstruktion klammern, sondern in jedem Einzelfall eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen396 •

3. Staatliche Preisvorschriften als Regelung der Berufsfreiheit Die Preisangabe oder die Werbung mit dem Preis sind typische Akte unternehmerischer Berufsausübung. Regelungen, die diese betreffen, fallen auf die unterste Eingriffsstufe der Drei-Stufen-Lehre. Gegenüber Regelungen, wie sie im Preisangabengesetz oder im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (vor

391 Ähnliche Auffassung vertreten H. LecheIer, VVDStRL 43 (1985), S. 59 ff.; H.-l. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, S. 823; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 114 ff. zu Art. 12; ders., Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 109 ff., 117 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 136 ff.; H.S. Wemer, Die Abwehr staatlicher Wettbewerbseinflüsse, 1986, S. 15. 393

Für alle: H. LecheIer, VVDStRL 43 (1985), S. 55 ff.

V gl. P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 100, 109 ff. zu Art. 12; M. Gubelt, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 102 ff. zu Art. 12. 394

395 Vgl. M. Gubelt, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 30 ff. zu Art. 12; F. Hufen, Berufsfreiheit - Erinnerung an ein Grundrecht, S. 2918 f., kritisiert dies und fordert hinsichtlich der staatlichen Einschätzungsprärogative: "Wer 'prä' sagt, muß auch 'post' sagen."

396 Etwa BVerfGE 19, 330 (337); 46, 120 (138); H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 37.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

101

allem in den §§ 1 und 3 UWG) getroffen und in der zugehörigen Rechtsprechung entwickelt werden, bietet Art. 12 Abs. 1 GG daher nur wenig SchutzJ97 • Differenzierter ist die Preisbildung zu beurteilen. Diese nimmt im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit einen zentralen Platz ein. Der geschickte Einsatz des Preises als Aktionsparameter einer insgesamt vorteilhaften Wettbewerbsstrategie entscheidet mit über den wirtschaftlichen Erfolg oder Mißerfolg eines UnternehmensJ !I8. Trotzdem ist die Preisbildung nur ein Akt der Berufsausübung, darf nach der Drei-Stufen-Logik also bereits aufgrund vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls eingeschränkt werdenJ99 • Grundsätzlich aber muß die Preisbildung, müssen die preisstrategischen Alternativen der Niedrigund Hochpreisstrategie im betriebswirtschaftlichen Ermessen des Unternehmers bleiben. Ausnahmen müssen sich auf Sonderfälle beschränken, legitime Interessen verfolgen, erforderlich sein und das Übermaßverbot beachten 400 • Beispielhaft genannt seien etwa die Preismißbrauchskontrolle4!J1, das Verbot von Preiskartellen 401 , oder aber die Mindestpreisvorschriften im Rahmen landwirtschaftlicher Marktordnungen 40J • In den ersten beiden Fällen handelt es sich um allgemein geltende wettbewerbsrechtliche Vorschriften, die der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung dienen sollen. Im Falle der

J97 BVerfGE 9,213 (221 f.); 17,232 (251); 32, 311 (317 ff.); 40, 371 (382 ff.); 53,96 (98); 59, 302 (314); 60, 215 (229); 65, 237 (245 ff.); 76, 196 (207); 85, 97 (104); BVerfG NJW 1993, 1969 ff.; NJW 1994, 3342; DVBI. 1995,296 ff., 297; DVBI. 1997, 548 ff., 549; BGHZ 106,212 (213 f.); vgl. P. Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 72, 87; P. Seimer, Wirtschaftswerbung und Eigentumsfreiheit, in: FS H.P. Ipsen, 1977, S. 516; F. Hufen, Berufsfreiheit - Erinnerung an ein Grundrecht, S. 2922; H.-J. Papier I H. Petz, Rechtliche Grenzen des ärztlichen Werbeverbots, NJW 1994, S. 1553 ff.; weiterführend zu Preisangabe und Preiswerbung unten unter 2. Teil, A. 11, IV u. V. 3!18 Dazu die betriebswirtschaftliche Literatur: H. Diller, Preispolitik, S. 184 ff.; aufgrund der Preisabhängigkeit der Nachfrage nimmt die Preishöhe direkten Einfluß auf den Umsatz und damit Einfluß auf den Gewinn, vgl. auch M. Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre 11, S. 114 ff.

399 Vgl. für alle M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 134 ff., 144 ff.; vgl. auch BVerfGE 8, 274 (315 ff.). 400 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. oben unter 1. Teil C. I; zu den einfachgesetzlichen Tatbeständen des allgemeinen Preisrechts vgl. unten unter 2. Teil, B. IV u. V.

401

Vgl. unten unter 2. Teil, B. IV.

401

Vgl. unten unter 2. Teil, B. III.

40J Der Begriff der Marktordnung ist hier im engeren Sinne zu verstehen, also als sektorspezifische Sonderregelung, vgl. R. Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, HStR, Bd. VI, § 148, Rdnr. 33 ff., 57 ff.; zur Verfolgung agrarpolitischer Zielsetzungen durch staatliche Preisvorschriften vgl. unten unter 3. Teil, C. I.

102

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

landwirtschaftlichen Preisregelung geht es um das politische Ziel, den Landwirtschaftsbereich vor dem internationalen Preisdruck und vor allzu großen Preisschwankungen zu bewahren, um dadurch die Existenz des Agrarsektors dauerhaft zu sichern404 • Sofern nun im Rahmen einer Agrarmarktordnung Interventionspreise auf einem Niveau festgesetzt werden, bei dem die Anbieter auch bei effizientester Betriebsführung keine Erwerbs- und damit Überlebenschance haben405, kann von einer Berufsausübungsregelung eigentlich nicht mehr gesprochen werden. Hier wäre dann die Grenze zur Berufswahlregelung durchbrochen406 • Für Unternehmen entspräche dies einem Wettbewerbsverbot. Ein Gesetz muß die untemehmerische Preisbildung aber nicht direkt betreffen, um den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zu berühren. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, daß auch eine berufsregelnde Tendenz genügen kann 407 • Berufsregelnde Tendenz haben z.B. Grundstücks- und Mietpreisvorschriften, die die Berufstätigkeit von Maklern spürbar beeinträchtigen können 408 • Auch die staatliche Beeinflussung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen durch Maßnahmen der Globalsteuerung oder die Auferlegung von Geldleistungspflichten kann berufsregelnde Wirkung entfalten. Einfache Rückwirkungen gesetzlicher Vorschriften auf die Berufstätigkeit berühren den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG jedoch nicht~.

404

Dies wäre ein "politischer Ausnahmebereich", vgl. unten unter I. Teil. D. III.

Vgl. M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen. S. 155 ff. 405

406 Diese Überlegungen haben in mehreren Wirtschaftsbereichen Bedeutung erlangt: im Rahmen der Marktordnung für landwirtschaftliche Produkte (vgl. unten unter 3. Teil, C. I); im Rahmen der Ermittlung von Markt- und Selbstkostenpreisen öffentlicher Aufträge (vgl. unten unter 3. Teil, B. 11) oder im Rahmen der Vergütung der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen (vgl. unten unter 3. Teil, B. I. 5); vgl. auch Kassenarzturteil BVerfGE 11, 30 (42 ff.); vgl. M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GGKommentar, Rdnr. 50 ff. u. 71 ff. zu Art. 12; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 118 ff., 130 zu Art. 12. 407 BVerfGE 13, 181 (186); 38, 61 (79); 47, 1 (21); 49, 24 (47); mißverständlich BVerfGE 61, 292 (308): berufsregelnde Tendenz nicht erforderlich; wieder klargestellt BVerfGE 70, 191 (214); 82, 209 (223 f.); 95, 267 (302 f.); vgl. M. Gubelt, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 43 zu Art. 12; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 72 ff. zu Art. 12.

4OIIVgl. O. Bachof, Freiheit des Berufs, Die Grundrechte, Bd. nUl, S. 199 f.; zur Mietpreisbindung unten unter 3. Teil, C. n. ~ BVerfGE 95, 267 (302 f.); keine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch Gebühren oder Steuern sieht O. Bachof, Freiheit des Berufs, Die Grundrechte, Bd. nUl, S. 196 ff.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

103

4. Staatliche Konkurrenz und Monopolisierung als Regelung der Berufsfreiheit In vielen Wirtschaftssektoren konkurrieren private Unternehmen mit Wettbewerbern, die sich vollständig oder zum Teil im Eigentum des Staates befinden. Die eingehende Diskussion über das Für und Wider der Teilnahme des Staates am geschäftlichen Verkehr muß anderen Abhandlungen vorbehalten bleiben 410 • Tatsache ist, daß die Existenz eines staatlichen Wettbewerbers Auswirkungen hat auf die Tätigkeit der privaten Konkurrenz. Beeinträchtigt wird insbesondere der Spielraum bei der Preissetzung. Dies ist jedoch hinzunehmen; da das Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht klar gestellt haben, daß sich aus Art. 12 Abs. I GG weder ein Schutz vor privater 411 noch vor staatlicher Konkurrenz 411 ableiten läßt. Einen gesamten wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich kann der Staat jedoch nur an sich ziehen und als öffentliches Monopol absichern, wenn er dabei den Rahmen legitimer Gestaltungsbefugnis beachtet. Ansonsten wäre die Berufswahlund Unternehmensfreiheit privater, potentieller Marktanbieter verletzt4l3 • Zu Recht zieht das Bundesverfassungsgericht der staatlichen Monopolisierung enge Grenzen und führt aus: "Ein Eingriff in das Grundrecht der freien Berufswahl von dieser Intensität kann nur unter zwei Bedingungen Bestand haben: erstens muß das Monopol den Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter bezwecken, denen der Vorrang vor der Freiheit des Einzelnen ... eingeräumt werden muß; dabei müssen die Gefahren, von denen das Gemeinschaftsgut bedroht ist, schwer sowie nachweisbar oder wenigstens höchst

410 Zur Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft vgl. oben unter 1. Teil, C. I. 1 und unten unter D. I. 2; zu ökonomischen Aspekten vgl. unten unter D. 11. 4. c. bb; zu rechtlichen Bedenken und Problemen vgl. K.A. ·Schachtschneider, Staatsuntemehmen und Privatrecht; S. 25 ff., 281 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 76 ff., 215 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 499 ff., 523 ff. 411 BVerfGE 34, 252 (256); 55, 261 (269); BVerwGE 65, 167 (173); BVerwG DVBI. 1983,1251 ff.

411 BVerwGE 39, 329 (336); P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 9 ff. zu Art. 12; kritisch R. Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, HStR, Bd. VI, § 148, Rdnr. 59 ff. m.w.N.; kritisch auch R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 525 f. 413 BVerfGE 37, 314 (322); 41, 205 (218); Kritik dieser offenen Flanke von R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, § 148, Rdnr. 48; P.l. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 45 zu Art. 12; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 94 ff.; zum Begriff des (öffentlichen) Monopols vgl. unten unter 1. Teil, D. 11.4.

104

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

wahrscheinlich sein. Zweitens muß das Monopol als Mittel zur Abwehr dieser Gefahren unentbehrlich sein. "414 In dieser Textpassage betont das Bundesverfassungsgericht den Vorrang wettbewerblicher Koordination gegenüber staatlicher Administration 415 • Insofern können diese Ausführungen, ohne daß die Neutralitätsthese deswegen in Frage gestellt werden müßte416 , als Ausdruck einer ordoliberalen Grundhaltung interpretiert werden417 • Die institutionelle und funktionale Staatlichkeit eines Wirtschafts sektors ist nur zulässig, wenn es ansonsten zu erheblichen Mißständen kommen würde, die Marktpreisbildung mit anderen Worten zu unerträglichen Fehlentwicklungen oder sogar Gefahren führt oder führen würde 418 • In derartigen Fällen sind Eingriffe gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken und theoretisch zu begründen. In diesem rechtsdogmatischen Rahmen können die Theorie des Marktversagens 419 und die Neue Politische Ökonomie 41o einen Erkenntnisbeitrag leisten, denn es ist grundsätzlich vernünftig, " ... den Theorien von der Wirklichkeit zu folgen und auf deren Grundlage nach Maßgabe des Sittengesetzes das Richtige für das gute Leben in Freiheit zum Gesetz zu machen"4l1. Da indirekte, global steuernde Instrumente und Appelle die ökonomische Privatheit weniger belasten, entspricht es dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Prinzip praktischer Vernunft, ihnen den Vorzug vor möglichen Verfahren

414

BVerfGE 21,245 (251); 21, 261 (267); vgl:auch BVerwGE 39, 159 (168 f.).

Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG stellt sich somit auch gegen die Sozialisierungsbestimmung des Art. 15 GG; dazu unten unter 1. Teil, C. III. I. 415

416 Auch R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 79, stellt fest, daß sich das BVerfG einerseits zum Wettbewerb Privater und zu den Funktionsbedingungen von Wirtschaftsgrundrechten, also zur "grundsätzlichen Privatheit des Wirtschaftens" bekenne, andererseits eine Systemgarantie ablehne und den Spielraum des Gesetzgebers betone. R. Schmidt sieht darin eine Inkonsistenz der Rspr. 417 Vgl. zum ordoliberalen Konzept der sozialen Marktwirtschaft oben unter I. Teil, C. I. 1; zur Neutralitätsthese 1. Teil, C. I. 2. c.; zur Rolle des Staates in einer Wettbewerbswirtschaft unten unter 1. Teil, D. I. 2. 418 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 370 ff.; ders., Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, 1997, S. 3 ff.; ders., Privatisierung des bayerischen Vermessungswesens, S. 2 ff.; zu ökonomischen und nichtökonomischen Gründen des Marktversagens vgl. unten unter 1. Teil, D. I. 3,11 und III. 419

Vgl. unten unter 1. Teil, D.

410

Vgl. oben unter I. Teil, A. 11. 2.

411 K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 569 f.; ders., Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff.

C. Die grund gesetzliche Preisverfassung

105

direkter Preisregulierung zu geben. Die enge preispolitische Regulierung oder sogar Verstaatlichung eines Wirtschaftsbereichs kann immer nur die ultima ratio praktisch vernünftiger Preispolitik sein und muß sich vor dem Hintergrund veränderlicher empirischer (insbesondere technologischer) Bedingungen laufend in Frage stellen lassen 421 •

111. Staatliche Preisvorschriften und Eigentumsgarantie

(Art. 14 GG) 1. Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums Das Grundrecht der Eigentumsgarantie ergibt sich aus Art. 14 GG im Zusammenwirken mit Art. 15 GG. Art. 14 Abs. I S. I GG gewährleistet das Eigentum. S. 2 überträgt die Materialisierung des Eigentumsbegriffs dem Gesetzgeber: "Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt." Abs. 2 umschreibt formelhaft die Sozialgebundenheit: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. "423 Abs. 3 regelt Möglichkeiten der Enteignung, deren Zulässigkeit notwendig von einer gewährten Entschädigung abhängt424 • Der Sozialisierungsartikel, Art. 15 GG, er-

422 Angesichts dieser Feststellung erscheint es unangebracht, Tabubereiche zu statuieren, in denen eine Privatisierung angeblich unzulässig sein soll. So ist es bspw. unverständlich, warum die Existenzberechtigung öffentlicher Kreditinstitute nicht zur Disposition stehen soll. So aber M. Schmidt-Preuß, Redebeitrag, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 319 ff. Vgl. auch R. Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, HStR, Bd. VI, § 148, Rdnr. 66; P.J. Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, Rdnr. 45 zu Art. 12; ders., Wettbewerb in den freien Berufen - berufsgrundrechtliche Aspekte, NJW 1987, S. 300, H. Knöchel, Die Preisaufsicht nach dem Energiewirtschaftsgesetz, 1989, S. 55 ff.; B. Schmidt-Bleibtreu / F. Klein, Kommentar, S. 118 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 521 ff., sieht keinen verfassungsrechtlichen Schutz vor Privatisierung. 423 Vgl. D. Ehlers, Eigentum, Sozialbindung und Enteignung, VVDStRL 51 (1992), S. 226; P. Badura, Eigentum, HVerfR, 2. Aufl. 1994, S. 341; H.l. Papier, HVerfR, S. 805 ff.; ders., in: Maunz-Dürig, Rdnr. 1 ff. zu Art. 14; W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, § 149, S. 1075 ff.; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 5 ff., 85 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 133 ff., 151 ff. zu Art. 14; 8.-0. Bryde, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 6 ff., 50 ff. zu Art. 14. 424 Vgl. D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 ff.; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 364 ff., 384 ff.; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 5 ff., 85 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 349 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 72 ff., 100 ff. zu Art. 14; W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, S. 1090 ff.; ders., Privateigentum ohne privaten Markt?, S. 1 ff. Für Leisner ist die Enteignung das zentrale verfassungsrechtliche Kriterium der Rechtmäßigkeit staatlicher Preisinterventionen; abzulehnen ist jedoch der von Leisner benutzte Begriff

106

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

öffnet Möglichkeiten, "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel" gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu überführen4l!1. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ist eine klassische Leitentscheidunt26 • Schöpfer der Eigentumsordnung ist im wesentlichen der Gesetzgeber. Dessen Gestaltungsspielraum ist weit427 , darf sich jedoch nicht von den verfassungsrechtlichen Grundsätzen lösen, sondern soll das Ergebnis der praktischen Vernunft, der theoriehaften Sittlichkeit, sein428 • Dies sicher zu stellen, ist Aufgabe der Hüter der Verfassung, allen voran des Bundesverfassungsgerichts. Folgerichtig hat es im Naßauskiesungsurteil jedem Ansinnen, eine Eigentumsordnung entgegen dem Geist der Verfassung zu entwickeln, eine eindeutige Absage erteilt und gefordert: "Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Aus Normen des einfachen Rechts, die im Range unter der Verfassung stehen, kann weder der Begriff des Eigentums im verfassungsrechtli-

der grundgesetzlichen "Garantie eines staatsfreien Marktes", denn in einer Republik kann es keinen außerstaatlichen Raum geben. Die institutionelle Privatheit der Marktakteure beruht auf Gesetzen; dazu K.A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, S. 3 ff.; ders., Privatisierung des bayerischen Vermessungswesens, S. 2 ff. m Vgl. H.l. Papier, HVertR, S. 807; T. Maunz, in: Maunz-Dürig, Rdnr. I ff. zu Art. 15; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. I ff., 85 ff. zu Art. 15; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. I ff., 16 ff., 24 ff. zu Art. 15; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 144 ff. 426 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1023, vgl. auch S. 387, 510 f., 845 ff., 1004 ff.; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 213 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. HIli, Allgemeine Lehren der Grundrechte 1988, S. 477 ff., zu den Grundrechten als objektiver Rechtsnorm; S. 554 ff., 620 ff., zu den Begriffen subjektives Grundrecht und Abwehrrecht. 427 Der Gestiiltungsspielraum für den Gesetzgeber steht zwar außer Frage, wird jedoch unterschiedlich bewertet. Eine Verpflichtung zuvorderst auf die Privatnützigkeit fordern P. Badura, Eigentum, HVertR, S. 331 ff.; W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, S. 1044 ff.; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 5 ff., 85 ff. zu Art. 14; anders K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1024 ff., verlangt zwar ebenfalls, die Privatnützigkeit bestmöglich zu fördern, verpflichtet den Gesetzgeber jedoch allein auf das Kriterium der praktischen Vernunft, welches neben der Privatheit des Eigentümers das Soziale enthält; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 214 ff., beschränkt die Schutzpositionen der Eigentumsgarantie auf durch Gesetz eingeräumte Rechtspositionen.

4211 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 510 f.; vgl. oben unter 1. Teil, B. III.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

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chen Sinn abgeleitet noch kann aus der privatrechtlichen Rechtsstellung der Umfang der Gewährleistung des konkreten Eigentums bestimmt werden. ,,429 Ausdrücklich verfehlt ist somit der Versuch, den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff mit dem privatrechtlichen des § 823 Abs. 1 und/oder des § 903 BGB gleichzusetzen. Eine solche Beschränkung findet in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG keine Grundlage; vielmehr können sowohl privatrechtliehe als auch öffentlich-rechtliche Vorschriften eine vermögenswerte Rechtsposition einräumen, die dann einen Schutz durch Art. 14 GG genießt430 - jedenfalls wenn sie der verfassungsrechtlichen Idee des Eigentums entspricht431 • Diese wird im Mitbestimmungsurteil wie folgt umrissen: "Geschichtlich und in ihrer heutigen Bedeutung ist die Garantie des Eigentums ein elementares Grundrecht, das im engen inneren Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit steht. Ihr kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen"432. Das Eigentum ist also ein Garant ökonomischer Privatheit. Wesentlich ist seine Privatnützigkeit, die sich in Rechten der Innehabung, ökonomischen Nutzung, Verfügung und Veräußerung erworbener und vorhandener Vermögens-

429 BVerfGE 58, 300 (335); vgl. H.J. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 56 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 30 ff. zu Art. 14.

430 BVerfGE 58, 300 (335 f.): "Aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, ergeben sich somit Gegenstand und Umfang des durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geWährleisteten Bestandsschutzes". 431 BVerfGE 14,263 (276 f.); 19, 119 (128 f.); 31, 229 (240); 45, 142 (179 f.); 50, 290 (341 f.); 51, 193 (217 f.); 70, 191 (199); 83, 201 (209); 89, I (6); als öffentlichrechtliche Rechtsposition wurden sozialversicherungsrechtliche Positionen anerkannt, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Existenzsicherung dienen, BVerfGE 69,272, (300 ff.); 72, 9 (18 ff.); 76, 220 (235); geschützt sind Anwartschaften auf Renten aus der Sozialversicherung BVerfGE 53, 257, (289 f.); 58, 81 (110); 66, 234 (247); 70, 101 (110); 76, 256 (293); vgl. umfassend O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 30 ff. zu Art. 14; ebenso R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 21 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 214 f.; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 347 f.; zum Schutz des Vermögens als solchem vgl. unten unter I. Teil, C. III. 2. 432 BVerfGE 50,290 (339); O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. I ff., 18 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 12 ff. zu Art. 14; vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 443, der die Berufstätigkeit im Hinblick auf die eigenständig Lebensgestaltung höher gewichtet als das Eigentum.

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I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

güter zeigt433 • Badura faßt diese Rechte zu einer Lehre von den Funktionen des Eigentums zusammen und betont das grundsätzliche Recht des Eigentümers, nach eigener Initiative und nach eigenem Interesse Nutzen aus dem Eigenen ziehen zu dürfen, wirtschaftlich zu verfügen und Vorsorge zu treffen 434 . Für RudolfWendt ist gerade die Ertragsfähigkeit des Eigentums schutzwürdig43!. Neben der Privatnützigkeit ist die in Art. 14 Abs. 2 GG geforderte Sozialpflichtigkeit ein zentraler Aspekt der Verfassungsidee Eigentum436 . Privatnützigkeit kann und darf nur soweit gewährt werden, wie es dem allgemeinen Gesetzgeber praktisch vernünftig erscheint437 , denn gemäß Art. 14 Abs. 2 GG hat der Gesetzgeber "zugleich"438 mit der im Text unausgesprochen gebliebenen Privatnützigkeit das Wohl der Allgemeinheit zum Ziel seiner Regelungen zu machen. Dies unterstreicht aber nur, daß das Eigentum im Grundsatz aus Rechten der Privatheit besteht439 ; Gesetze müssen sie schützen und respektieren,

433 BVerfGE 24, 367 (389); 26, 215 (222); 31, 229 (240); 37, 132 (140); 42, 263 (294); 52,1; 93,121 (138); 79, 292 (04); 95, 267 (300 ff.); vgl. H.l. Papier, HVertR, S. 825; ders., Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Eigentum und Vermögen, Der Staat 11 (1972), S. 498, 502; ders., in: Maunz-Dürig, Rdnr. 56 ff. zu Art. 14; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 6 ff., 41 ff. zu Art. 14; P. Badura, Eigentum, HVertR, S. 330 ff.; W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, S. 1077 f.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 387 f., 1004; ders., in: Die EuroKlage, S. 205 f.; P. Kirchhof, Die Finanzierung des Leistungsstaates, Jura 1983, S. 507; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 106 ff. zu Art. 14; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, S. 129 ff. 434 Vgl. P. Badura, Eigentum, HVertR, S. 329; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 61 zu Art. 14. 43S Vgl. R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 5 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 485 ff., 492 zu Art. 14. 436 BVerfGE 18, 121 (131); 25,112 (117); 34, 139 (146); 37, 132 (140); 42, 263 (294); 50, 290 (340); 52, I (23); vgl. W. Leisner, Die Sozialbindung des Eigentums, 1972; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 85 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 165 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GGKommentar, Rdnr. 67 ff. zu Art. 14. 437 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1004 f. 438 Das Wort "zugleich" blieb lange Zeit unbedeutend, ist mittlerweile aber zu einem eigentumsrechtlichen Schlüsselwort avanciert. Der Lesart "zugleich - grundsätzlich zu gleichen Teilen" hat das BVerfG ein neues Prinzip des Steuerverfassungsrechts entnommen, wonach die Gesamtbelastung des Ertrags nur bis zu "einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand" gehen darf. Auch dies belegt den grundsätzlichen Vorrang der Privatnützigkeit, vgl. BVerfGE 93, 121 (138); dazu W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende, NJW 1995, S. 2594. 439 Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 387.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

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zugleich aber das Soziale mitbedenken, um zum Recht zu finden440 • Die praktische Vernunft verlangt, Konfliktfälle nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufzulösen44l • Zwangsläufig und notwendig erweise sind daher Auslegung und Funktion des Eigentums fiir gesellschaftliche Wandlungen offen441 • Der Gesetzgeber darf jedoch keine Ordnung konstituieren, die den "Namen" Eigentum nicht mehr verdient44l, denn Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG enthält nicht nur eine subjektivrechtliche Bestandsgarantie, die dem einzelnen ein Grundrecht auf Eigentum einräumt, sondern auch eine Institutsgarantie, die eine besondere Ausprägung des objektivrechtlichen Gehalts des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG darstellt'44. In der vorgestellten Interpretation als Garant gleichzeitiger Privat- und Gemeinnützigkeit wird Art. 14 GG zu einem die Wirtschaftsverfassung konstituierenden Grundrecht. Die Vorteile einer Eigentumsordnung dieser Art erkannte bereits Aristoteles. Daher sei an dieser Stelle an folgenden Satz erinnert: "Hieran schließt sich die Untersuchung über den Besitz. Wie soll er in einem Staate, der die beste Verfassung besitzen wird, eingerichtet werden: soll er gemeinsam sein oder nicht?"

440 BVerfGE 30, 292 (334 f.); 41, 126 (150); 42, 64 (76 f.); 46, 325 (334); 49, 240 (246); 50,290 (340f.); 51,193 (218); vgl. P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 331 ff.; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1023 ff., in Abgrenzung zu W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, S. 1026 f., 1055 f.; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216, die hauptsächlich auf die Privatnützigkeit abstellen.

441 Vgl. 0. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 399 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 62 ff. zu Art. 14.; zum Verhältnismäßigkeitsprinzip m.w.N. oben unter I. Teil, C. J. 2. 441 Vgl. 0. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 168 ff. zu Art. 14; ebenso R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 116 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216 f.; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 331 ff.; K.A. Schachtschneider, Res pub1ica res popu1i, S. 1025 f., 1033 ff.

44JS O etwa in BVerfGE 24,367 (389); 26, 215 (222); 31, 229 (240); 42, 263 (294); 50, 290 (339); 58, 300 (339); 0. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 119 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 32 zu Art. 14. 444 Grdl. das Urteil v. 18.12.1968, wonach es die Institutsgarantie verbietet, " ... daß solche Bereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören", BVerfGE 24, 367 (389 f.); vgl. auch H.-J. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 11 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 92 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216 f.

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1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Tatsächlich beantwortet Aristoteles diese Frage im Sinne des Grundgesetzes: "Denn in bestimmtem Sinne müssen die Güter gemeinsam sein, im allgemeinen aber privat. Wenn jeder für das Seinige sorgt, werden keine Anklagen gegeneinander erhoben werden, und man wird mehr vorankommen, da jeder am Eigenen arbeitet. ... Es ist also offenbar besser, daß der Besitz privat bleibt, aber durch Benutzung gemeinsam wird. Daß aber die Bürger sich dementsprechend verhalten, ist die besondere Aufgabe des Gesetzgebers."44~ Die Vielzahl der Eigentümer mit privatnütziger, am Ertrag orientierter Entscheidungs macht, Verfügungs- und Risikozuständigkeit dezentralisiert ökonomische Planung und Entscheidung und führt somit zum wettbewerblichen Handlungssystem. Da die Grundrechtsausübung nun aber auch dem Gemeinwohl dienen soll, sind legislative und exekutive Instrumente staatlicher Wirtschaftsplanung als Gegengewicht zu den dezentralen Steuerungsmechanismen der Privatautonomie notwendig und gefordert446 • Die Sozialisierung des Art. 15 GG erweitert den staatlichen Gestaltungsspielraum, erfüllt aber keine wirtschaftsverfassungsrechtliche Konträrfunktion, sondern setzt das Eigentum als Einrichtung des Privatrechts und der Wirtschaftsordnung voraus 447 • Festzuhalten bleibt, daß die republikanische Rechtslehre bei der Bewertung eigentumsrelevanter Tatbestände nicht nur auf die Idee der Privatnützigkeit abstellt, sondern auf das Prinzip praktischer Vernunft, das die Privatheit und die Sozialpflichtigkeit gemeinsam enthält448 • Weil die ökonomische Privatheit die wohlfahrtstheoretisch gut begründete Voraussetzung für individuelle und zugleich gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt ist449 , leitet sich daraus ein Vorrang für die dezentrale, wettbewerbliche Handlungskoordination und Verfügungsbefugnis ab. Dies gilt auch, wenn man anerkennt, daß ökonomische Wohlfahrt, das Prinzip gesamtwirtschaftlicher Effizienz also, kein allein tragendes Staatsziel einer Republik ist. Jede Verabsolutierung materialer - ökonomischer oder nichtökonomischer - Interessen wäre mit der Formalität der praktischen Vernunft 44~ Aristoteles,

Politik, übers. u. hrsg. v. O. Gigon, 7. Aufl. 1996, S. 74 f.

Vgl. P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 387 ff.; H.l. Papier, HVerfR, S. 807 ff.; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 6 ff. zu Art. 14; K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 510; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 148: Wettbewerb setzt "individuelle Freiheit voraus und ermöglicht sie zugleich"; P. Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, S. 74, 83, 93 ff.: Privatnützigkeit mit grundsätzlicher Verfügungsbefugnis wirken mit der sozialen Funktion des Eigentums zusammen. 446

447 448

Vgl. v.a. H.l. Papier, HVerfR, S. 807 ff. Vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 203, 386 ff., 1023 ff.

Zur Theoriehaftigkeit praktischer Vernunft oben unter 1. Teil, B. 1II; zur "Doppelrolle" des Sozialprinzips vgl. 1. Teil, C. I. 2. b. 449

C. Die grundgesetzliche Preis verfassung

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unvereinbar450 . Auch Kant bezeichnet die ökonomische Wohlfahrt jedoch als Zwischenziel, als indirekte Forderung praktisch vernünftiger Politik451 •

2. Funktionsgarantie statt Wertgarantie des Eigentums Der Eigentumsschutz des Art. 14 GG bleibt, jedenfalls nach der Rechtsprechung des Ersten Senats, an eine Rechtsposition gebunden. Ein Schutz des Vermögens als solchem wird durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht gewährt451 . Im Altschuldenurteil ist dies deutlich geworden: "Kein Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG ist daher das Vermögen, das selber kein Recht, sondern den Inbegriff aller geldwerter Güter einer Person darstellt."453 Die "unendliche Geschichte des Streits um den Schutz des Vermögens durch

Art. 14 Abs. 1 GG" ist also keineswegs beendet, wie Walter Leisner noch nach den Entscheidungen des Zweiten Senats zur Vermögens- und Erbschaftssteuer vermerkt hatte. In den von ihm herangezogenen Beschlüssen hatte das Gericht bei seiner verfassungsrechtlichen Prüfung erstmals auf das Gesamtvermögen als

450 Zur Formalität des Gemeinwohls vgl. K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 350 f., 574 ff., 996 f. 451 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 518 ff.; oben unter 1. Teil, B. III. 2. 451 BVerfGE 4,7 (17); wurde insofern revidiert, als daß erdrosselnde (BVerfGE 30, 250 [272]; 87, 153 [169]) und konfiskatorische Abgabenbelastungen (BVerfGE 23,288 [315]) als gegen die Eigentumsgarantie verstoßend angesehen wurden; ebenso Erster Senat im Altschuldenurteil BVerfGE 95,267 (300 f.); wohl a.A. zum eigentumsrechtlichen Schutz des Vermögens der Zweite Senat zur Besteuerung des Existenzminimums BVerfGE 87, 153 (169) u. zur Vermögensteuer 93, 121 (140 f.). Für einen Vermögensschutz auch P. Kirchhof, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL 39 (1981), S. 234 ff.; H.H. v. Arnim, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL 39 (1981), S. 300 ff.; W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, § 149, Rdnr. 127; ders., Steuer- und Eigentumswende, S. 2592; K.H. Friauf, Eigentum und Steuerrecht - zum zweiten Thema der Staatsrechtslehrertagung 1980, DöV 1980, S. 488; R. Wendt, Besteuerung und Eigentum, NJW 1980, S. 2114; Frage offen gelassen in BVerfGE 50,57 (104); gegen einen Vermögensschutz plädieren J. Erdmann, Art. 14 GG und die Auferlegung von Geldleistungspflichten, DVBI. 1986, S. 659 ff., 663; H.-J. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 160 ff. zu Art. 14; ders. Eigentumsgarantie und Geldentwertung, AöR 98 (1973), S. 528 ff.; ders., Besteuerung und Eigentum, DVBI. 1980, S. 790; ders., Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Eigentum und Vermögen, S. 483 ff.; vgl. die Diskussion bei O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 50 ff. zu Art. 14; B.-O. Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 23 zu Art. 14; K.A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 175 ff. 453 BVerfGE 95, 267 (300), verweist auf E 4, 7 (17); 83, 201 (209).

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1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Summe von Einzelwerten abgestellt4s4 . Teile der Literatur bezeichneten dies als Eigentumswende und zogen daraus den Schluß, daß auch das Vermögen als Ganzes verfassungsrechtlichen Schutz genießen würde 4ss . Nach dem Altschuldenurteil ist diese Position wieder fraglich geworden. Vermutlich beschränkt sich der Schutz des Art. 14 GG nach wie vor auf die "theoretischen Schranken" der Erdrosselungswirkung und/oder der Konfiskation, die das Vermögen ausnahmsweise vor einer übermäßigen staatlichen Belastung schützen sollen 4s6 . Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht etwa in seinem Urteil zum Existenzminimum aus: "Dabei ist indes zu berücksichtigen, daß Steuergesetze in die allgemeine Handlungsfreiheit im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen. Dies bedeutet, daß ein Steuergesetz keine "erdrosselnde Wirkung" haben darf. Das geschützte Freiheitsrecht darf nur so weit beschränkt werden, daß dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen) ein Kembestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt. "4S7 Sofern staatliche Vermögensbelastungen die private Verfügungsbefugnis über den Kernbestand des Erfolges, die Privatnützigkeit also, unterbinden, steht dem Inhaber ein verfassungsrechtlicher Schutz ZU4S8. Doch was sollte privatnützige Verfügung in einer Marktwirtschaft anderes sein als das Recht, das Eigene am Markt zu einem angemessenen Gegenwert eintauschen zu dürfen 4S9 ? Angemessen ist in einer Marktwirtschaft zunächst der jeweilige Marktpreis, der Preis also, den die Marktgegenseite tatsächlich zu entrichten bereit ist, denn der Wert eines Gutes wird in einer Marktwirtschaft aus der Perspektive der Marktgegen-

4S4 BVerfGE 93,121 (140); 93,165. 4SS W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende, S. 2591; vorher schon ders., Eigentum, HStR, Bd. VI, Rdnr. 127; H.H. v. Amim, VVDStRL 39 (1981), S. 301. 4S6BVerfGE 23,288 (315); 30, 250 (272); 87, 153 (169); 78, 232 (243); 87, 153 (169); 93, 121 (137); BVerfGE 95,267 (300 f.); die geringe praktische Relevanz dieser Schranken beklagt W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende, S. 2594. 4S7 BVerfGE 87,153 (169); 93,121 (137). 4SH Vgl. M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 137 ff., 157 ff. 4SY Ganz so BVerfGE 87, 114 (124, 149 ff.), das eine staatliche Fixierung von Höchstpreisen auf einem Niveau, das weit unter dem Marktpreis liegt, als Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG wertet; vgl. H.-J. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 8 ff., 160 ff. zu Art. 14; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 44,47 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 215; P. Badura, Eigentum, HVertR, S. 348 f.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

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seite beurteilt46O • Eine allgemeine Wertgarantie, welche gegenwärtige Marktwerte in die Zukunft fortschreibt, hat in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, wie sie nicht zuletzt durch Art. 14 GG verfaßt wird, keinen Platz, da diese das Risiko und die Chance einer Vermögenswertveränderung, d.h. einer Preisänderung, ausdrücklich und absichtlich beim Eigentümer selbst beläßt461 • Die Unsicherheit des Wirtschaftsbürgers über die zukünftige Preis- und Wertentwicklung ist für die innovative Kraft des Entdeckungsverfahrens Wettbewerb geradezu konstitutiv 462 und notwendige Bedingung dynamischer Effizienz. Den gegenwärtigen Wert durch eine Wertgarantie in zukünftig durchsetzbare Ansprüche umzuwandeln, widerspräche jeder Marktlogik, da diese die fortlaufende Preisanpassung an sich ändernde Marktdaten fordert und voraussetzt463 • Tatsächlich ist eine derartige Wertgarantie keinem der zitierten Urteile zu entnehmen464 • Eine Tausch- oder Marktwertgarantie kann es nur im Rahmen der staatlichen Enteignung46!l geben. Hier dient sie als Maßstab der gesetzlich ge-

460 Vgl. zu den ökonomischen Zusammenhängen oben unter I. Teil, A. 11. I u. B. I. 2; zur Frage des gerechten Preises oben unter I. Teil, B. IV; diese ökonomische Grundregel endlich auch im Rahmen staatsrechtlicher Abhandlungen ernst zu nehmen, fordert zu Recht W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 258 ff. 461 Dieses eigentlich offensichtliche Argument gegen eine Wertgarantie aus Art. 14 GG wird von großen Teilen der Literatur nicht gesehen oder ignoriert. Kurz und klar findet es sich bei H.P. Rill, Eigentum, Sozialbindung und Enteignung, VVDStRL 51 (1992), S. 184 f.; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 349; ders., Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, S. 384, betont, daß es um die Garantie einer unternehmerischen Eigentumsnutzung, also eine Funktionsgarantie, geht; weniger deutlich bei H.l. Papier, HVerfR, S. 825; W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 254 ff., beklagt zwar, daß das Staatsrecht .. vorbeischaut an der Marktwirtschaft", will in Art. 14 GO aber dennoch eine ..Wertgarantie" erkennen. 462 Auch Teile der juristischen Literatur sehen qie privatwirtschaftliche Autonomie als Einheit von Initiative, Verantwortung und Risiko, etwa P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 349; ders., Wachstumsvorsorge und Wirtschaftsfreiheit, S. 382; H.l. Papier, Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Eigentum und Vermögen, S. 498, 502. 463

Vgl. oben unter I. Teil, A. I. I. u. B. 11.

Vgl. BVerfGE 4,7 (17); 23, 288 (315); 30, 250 (272); 87, 153 (169); 93, 121 (140); 95, 267 (300). 464

46S Das BVerfG behandelt die Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. I S. 2 GG und die Enteignung des Art 14 Abs. 3 GG als eigenständige Rechtsinstitute und grenzt sie formal, typologisierend ab. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung liegt danach immer dann vor, wenn der Gesetzgeber generell und abstrakt Rechte und Pflichten hinsichtlich solcher Rechtsgüter festlegt, die als Eigentum i.S.d. Verfassung zu verstehen sind, dazu BVerfGE 51, I (27); 58, 137 (144 f.); 58, 300 (330). Demgegenüber ist der konkret-individuelle Zugriff auf das Eigentum in Gestalt eines Eigentums-

8 Hauplkorn

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1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

forderten Entschädigungsbemessung 466 • Gesetzliche oder administrative Veränderungen von Umweltbedingungen, die den Marktwert belasten, werden dann eigentumsrechtlich relevant, wenn der Eigentümer auf die Beibehaltung einer bestimmten Gesetzeslage vertrauen durfte 467 • Art. 14 GG ist jedoch grundsätzlich im Sinne einer Funktionsgarantie zu interpretieren. Bedenklich sind staatliche Preisregelungen, weil und insofern sie den Eigentümer in seiner privatnützigen Innehabung, Nutzung, Verfügung und Daseinsvorsorge belasten, nicht weil sie eine bestimmte Werterwartung enttäuschen 468 •

3. Staatliche Preisvorschrijten als Regelung der privatnützigen Funktion des Eigentums Folgt man der herrschenden Abgrenzung, nach der Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG das Erworbene und Art. 12 Abs. 1 GG den Erwerb schützt469 , würden Preisvorschriften aus dem Anwendungsbereich der Eigentumsgarantie herausfallen, da diese lediglich Erwerbschancen betreffen. Von einer alternativen Exklusivität

entzugs Wesensmerkmal der Enteignung, dazu BVerfGE 52, 1 (27); 74, 264 (280); 79, 174 (191); vgI. H.-i. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 298 ff., 336 ff., 530 ff. zu Art. 14; W. Leisner, Eigentum, HStR Bd. VI, S. 1090 ff.; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 180 ff., 462 ff. zu Art. 14. Zum Eigentumsbegriff des BGH vgI. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26, Rdnr. 86, 100, 113. 466 BVerfGE 24, 367 (396 f.); 45, 63 (76); >:gI. R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 166 ff. zu Art. 14 u. Rdnr. 16 zu Art. 15; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 213; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 334 u. 345; H.-i. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 163 zu Art. 14. 467 VgI. H.-i. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 164 zu Art. 14; R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 166 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 349 ff. zu Art. 14.

468 VgI. P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 388; H.-i. Papier, in: Maunz-Dürig, Rdnr. 8 ff. zu Art. 14, vertritt ebenfalls nicht eine Position der Eigentumswertgarantie, sondern der Garantie von Tauschwerten, die sich im Zeitverlauf lageabhängig verändern können; vgI. auch B.-O. Bryde, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 24 ff. zu Art. 14; W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende, S. 2593, sieht ein Verbot "marktblinder Besteuerung", da sich die zu besteuernden Werte auf dem Markt bilden; ders., Marktoffenes Verfassungsrecht, S. 254 ff., rekurriert zwar unermüdlich auf den unglücklichen Begriff der "Wertgarantie", betont in der Sache aber zu Recht die Funktionsgarantie, d.h. die privatnützige Verfügungsmöglichkeit, über das Eigene zu Marktwerten. 469 BVerfGE 20, 31 (34); 28,119 (141); 30, 292 (334); 38, 61 (102); 45,142 (173); 45,272 (296); 68,193 (223); BVerfG DVBI. 1997, S. 548 ff.; vgI. H.i. Papier, HVerfR, S. 825; B. Schmidt-Bleibtreu / F. Klein, Kommentar, S. 285 ff.; H.S. Wemer, Die Abwehr staatlicher Wettbewerbseinflüsse, S. 13 f.; P. Selmer, Wirtschaftswerbung und Eigentumsfreiheit, S. 515 ff.

C. Die grundgesetzliche Preisverfassung

115

beider Grundrechte kann nicht ausgegangen werden, wenn man der Lehre von der Funktionalität des Eigentums folgt. Diese statuiert tatsächlich eine Erwerbschance, nicht in Form einer Wertgarantie, sondern im Sinne der Chance auf eine privatnützige Verfügung zu angemessenen Preisen. Dies haben die obigen Ausführungen deutlich gemacht470 • Im Falle objektbezogener Regelungen der Wirtschaftslenkung, die unmittelbar auf die Funktions- und Ertragsfähigkeit von Unternehmen einwirken, sind beide Grundrechte kumulativ zu prüfen 471 • Beispielsweise ist die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellungen ein verfassungsrechtlich gebilligtes (vgl. Art. 74 Nr. 16 GG) und zugleich vom Sozialprinzip471 gefordertes Ziel, das einen Eingriff in die Ertragsfähigkeit von Unternehmen rechtfertigen kann. Sofern die Funktion des Eigentums gewahrt bleibt und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet wird, sind also Regelungen, die die Preisbildung marktrnächtiger Unternehmen betreffen, hinzunehmen. Beispielhaft sei auf die kartellrechtlichen Vorschriften zur Mißbrauchskontrolle 47J und die Preisregulierung im Strommarkt, der als natürliches Monopol gilt474 , verwiesen. Die Lehre von den Funktionen des Eigentums verlangt, eine möglichst zurückhaltende, mikroökonomisch gezielte Preiskontrolle, welche sich gegen ganz bestimmte Preismißbräuche wendet oder eben bestimmten Marktverhältnissen Rechnung trägt (z.B. natürlichen Monopolstellungen)475. Eine allgemeine, wirtschaftspolitisch lenkende Preisadministration ex ante würde die privatnützige Verfügungs befugnis des Eigentümers weit stärker belasten. Einen generellen Eindruck über den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Verfolgung sozialpolitischer Ziele durch Reglementierung der Preisbildung gibt das Bundesverfassungsgericht im Urteil Kleingarten 11476 • Der Fall befaßt sich mit zwei Richtervorlagen zum Kündigungsrecht und zur Regelung der Pachtzinsbegrenzung (§ 5 Abs. 1 S. 1 Bundeskleingartengesetz) von Kleingärten. Bereits im Urteil Kleingarten I hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt, daß staatliche Höchstpreisbindungen keine Enteignung darstellten, son-

470

Vgl. oben unter 1. Teil, C. III. 2.

471 BVerfGE 30, 292 (334 f.); jüngst erst BVerfG DVBI. 1997, S. 548 ff.; vgl. H.l. Papier, HVerfR, S. 825 f.; ders., in: Maunz-Dürig, Rdnr. 298 ff. zu Art. 14; M. Gubelt, in: von Münch I Kunig, GG-Kommentar, Rdnr. 98 ff. zu Art. 12. 471 473

Zum Sozialprinzip vgl. oben unter 1. Teil, C. I. 2. b u. unten unter C. VIII. 4. Dazu weiterführend unten unter 2. Teil, B. III., IV u. VI, m.w.N.

Zum Preisrecht im Strommarkt detailliert unten unter 3. Teil, B. I, m.w.N.; zum "natürlichen Monopol" unten unter 1. Teil, D. 11. 4. 475 Vgl. R. Wendt, in: Sachs, Kommentar, Rdnr. 102 zu Art. 14. 474

476 BVerfGE 87, 114 (146 ff.) - Kleingarten 11; im Anschluß an BVerfGE 52, 1 (26) Kleingarten I.



116

I. Teil: Grundlagen des Preisrechts

dem eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, bei der das "Wohl der Allgemeinheit nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentümer aufzuerlegenden Beschränkungen" istm . Diese Grenze sah das Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung der Grenzpreisregelung im Fall Kleingarten II verletzt und führte aus: "Der Gesetzgeber war allerdings von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich gehindert, eine Pachtzinsbegrenzung einzuführen. Preisrechtliche Vorschriften, die durch sozialpolitische Ziele hinreichend legitimiert werden, sind verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Sie konkretisieren im Rahmen von Art. 14 GG die Sozialbindung des Eigentums (vgl. BVerfGE 21,87 [90]). Das gilt insbesondere für Grundstücke, weil bei diesen sowohl das Angebot als auch die Nachfrage weniger flexibel sind als bei anderen vermögenswerten Gütern, zugleich aber ihre soziale Bedeutung besonders groß ist. Da Grund und Boden nicht vermehrbar sind und Grundstücke für bestimmte Nutzungen auch nicht ohne weiteres ausgetauscht werden können, kann sich am Markt ein Preis bilden, der im Hinblick auf die soziale Funktion des Eigentumsobjekts nicht mehr angemessen ist. Das kann in besonderem Maße erforderlich machen, die Interessen der Allgemeinheit durch gesetzliche Regelungen zur Geltung zu bringen und die Nutzung nicht völlig dem freien Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen zu überlassen"41I. Die grundsätzliche Zulässigkeit staatlicher Preis begrenzungen als Inhaltsund Schrankenbestimmung des Eigentums steht für das Gericht außer Frage. Bei der Bewertung der Preisangemessenheit bezieht es sowohl ökonomische Kriterien als auch die soziale Bedeutung des Eigentumsobjekts mit ein und nimmt eine Abwägung zwischen dem Eigenrumerinteresse und den betroffenen Gemeinwohlbelangen vor. Für das Verhältnismäßigkeitsurteil maßgeblich ist die tatsächliche Höhe des staatlich administrierten Preises. Im vorliegenden Fall wurde die geltende Pachtzinsbegrenzung auf den doppelten Betrag des im erwerbsmäßigen Obst- und Gemüsebau ortsüblichen Pachtzinses, der besonders niedrig liegt, für eine unverhältnismäßige Belastung des Kleingartenverpächters gehalten. Das Gericht betonte das Recht des Verpächters, Eigentum wirtschaftlich zu nutzen. Deshalb dürfe bei der staatlichen Grenzpreisbestimmung nicht von der niedrigsten Alternativrendite ausgegangen werden"'. Die Preisbegrenzung auf einem Niveau "symbolischen Charakters" oder auf einem Niveau unterhalb öffentlicher Kostenbelastungen, ist unzulässig"·. Letz-

m

BVerfGE 52, I (29 f.).

411

BVerfGE 87, 114 (146) .

.,. BVerfGE 87, 114 (146 ff.); M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 174 ff., sieht die Grenze staatlicher Mietdirigismen in der totalen Bedrohung der Rentabilität. ... BVerfGE 87, 114 (149).

C. Die grundgesetzliehe Preisverfassung

117

teres würde nicht nur die Ertragsfunktion des Eigentums beschränken, sondern käme einer schleichenden Kapitalvernichtung gleich. Der Verpächter müßte die laufenden Verluste aus seinem sonstigen Vermögen ausgleichen 4ll1 • Ein Gesetz, das dies verlangt, steht in diametralem Gegensatz zur eigentumsrechtlichen Funktionsgarantie, die eine privatnützige Verfügung gewährt4ll1 • Interessant ist, daß das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich die gesetzgeberische Alternative anregt, auf jede Form der Preisadministration zu verzichten und statt dessen der Marktpreisbildung den Vorrang einzuräumen. Die soziale Zielsetzung, die im vorliegenden Fall sowieso nur schwach gewichtet wurde, könnte, so das Gericht, auch durch gezielte Maßnahmen erreicht werden. Die generell gültige Höchstpreisvorschrift wurde jedenfalls für unzumutbar erklärt4113 • Insgesamt nimmt das Urteil zur Pachtzinsbegrenzung für Kleingärten das Verhältnismäßigkeitsprinzip sehr ernst. Im Ergebnis wird die Lehre von der privatnützigen Funktion des Eigentums gestärkt, da betont wird, daß die Interessen der Allgemeinheit nicht nur als Grund, sondern vor allem auch als Grenze staatlicher Preisregulierung zu verstehen sind. Der Tenor der Urteilsbegründung entspricht insofern der von Wirtschaftswissenschaftlern immer wieder geforderten Systemkonforrnität staatlicher Wettbewerbspolitik, der "goldenen Regel" staatlicher Preispolitik (Wilhelm Röpke 484 ), die bei der Durchsetzung öffentlicher Interessen einen systemkonformen Weg empfiehlt und eine direkte Preisadministration als ultima ratio der Preispolitik betrachtet. 4. Inflationsverursachendes Staatsverhalten als Verletzung der Eigentumsgarantie ? Inflationäre Prozesse führen dazu, daß das Geld an Tauschwert einbüßt. Zu den volkswirtschaftlichen Ursachen der Inflation und den Möglichkeiten der

4111

BVerfGE 87, 114 (150).

4111 Es geht hier nicht um die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines unternehmerischen Rentabilitätsziels, sondern allein um die Chance, rentabel wirtschaften zu dür. fen. Vor dem ökonomischen Risiko eines marketingstrategischen Fehlschlags schützt die Verfassung jedenfalls nicht, auch nicht vor betriebswirtschaftlicher Ineffizienz, so daß bei einer Beurteilung staatlicher Grenzpreise nicht auf die tatsächlichen Kosten des Unternehmens, sondern auf die Kosten und Gewinnmöglichkeiten bei wirtschaftlicher Betriebsführung abzustellen wäre. Dazu M. Schmidt-Preuß, Verfassungsrechtliche Zentralfragen staatlicher Lohn- und Preisdirigismen, S. 161 ff.

4113 4114

BVerfGE 87, 114 (151). Vgl. W. Röpke, Staatsinterventionismus, S. 865 ff.; vgl. unten unter 1. Teil, D.l.

118

1. Teil: Grundlagen des Preisrechts

Inflationsbekämpfung wird an späterer Stelle mehr zu sagen sein 4115 • Der Versuch, die Eigentumsgarantie gegenüber inflationsverursachendern, inflationsmitverursachendem oder inflationsintensivierendem Staatsverhalten zu mobilisieren, ist jedenfalls umstritten 4116 . Hans-Jürgen Papier ist dieser Frage immer wieder nachgegangen 4l7 • Werner Weber hat staatlich verursachte Inflation als eine "eklatante Verletzung der Eigenturnsgarantie" bezeichnet488 • Karl Albrecht Schachtschneider und Angelika Emmerich-Fritsche sehen in der Mißachtung des Stabilitätsprinzips jedenfalls dann eine Verletzung der Eigentumsgarantie, wenn SIe erhebliche Vermögenseinbußen zur Folge hat489 • Schachtschneider mahnt: "Inflationäre Entwicklungen höhlen das Eigentum aus und gefährden damit die wirtschaftliche Selbständigkeit der Menschen und mit dieser die Freiheit als Autonomie des Willens.'