Praxishandbuch Bibliotheks- und Informationsmarketing 9783110260434, 9783110260427

The future viability of libraries and information establishments depends to a very great extent on their ability to anti

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Praxishandbuch Bibliotheks- und Informationsmarketing
 9783110260434, 9783110260427

Table of contents :
Inhalt
Übersicht
Einleitung
Marketing für Bibliotheken – Implikationen aus dem Non-Profit- und Dienstleistungsmarketing
Stadt und Kommune – soziales und politisches Umfeld von Bibliotheken im Wandel
Standortmarketing
Märkte für Information – ökonomische Besonderheiten
Markt- und Wettbewerbsanalyse für Bibliotheken
Wettbewerbsstrategien auf Informationsmärkten
Methoden der Marketingforschung für Bibliotheken und Informationseinrichtungen
Chancen und Grenzen der Marktsegmentierung auf der Grundlage von Milieustudien für Öffentliche Bibliotheken
Strategisches Informationsmarketing – Ziele und Strategien im strategischen Marketing und ihre Umsetzung im operativen Marketing
Wissensmanagement und Wissensbilanzen in Öffentlichen Bibliotheken – ein Exkurs
Strategisches Qualitätsmanagement als Aspekt des strategischen Marketings – Strategisches Marketing als Aspekt des strategischen Qualitätsmanagements
Praxis Innovationsmanagement
Markenentwicklung für Bibliotheken
Markenpräsentation: Entwicklung von Erscheinungsbildern
Strategische Markenkommunikation – zielgerichtet zum Erfolg
Die Bibliothek in der finanziellen Krise: Handlungsempfehlungen für erfolgreiche Krisenkommunikation
Markenkommunikation im Web 2.0
Mobiles Marketing für Bibliotheken
Kundenzufriedenheit und Kundenbindungsstrategien
Networking für Bibliotheken
Bibliothekspolitische Forderungen und Lobbyarbeit für Bibliotheken
Fundraising
Bürgerengagement im Rahmen von Corporate Social Responsibility als integraler Bestandteil der „Medienboten“ der Bücherhallen Hamburg
Die Zukunft des Bibliotheksmarketings
Emotionale Nutzenberechnungen des Gehirns: Erfolg durch Emotion Marketing
Einzelhandelsmarketing in niederländischen Bibliotheken
Über die Autoren
Register

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Praxishandbuch Bibliotheks- und Informationsmarketing

Praxishandbuch Bibliotheks- und Informationsmarketing Herausgegeben von Ursula Georgy und Frauke Schade Redaktion: Klaus Stelberg

ISBN 978-3-11-026042-7 e-ISBN 978-3-11-026043-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Einbandabbildung: Hemera/Thinkstock Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Übersicht

IX

Einleitung

1

Ursula Georgy, Frauke Schade Marketing für Bibliotheken – Implikationen aus dem Non-Profit- und Dienstleistungsmarketing 7 Albrecht Göschel Stadt und Kommune – soziales und politisches Umfeld von Bibliotheken im Wandel 41 Konrad Umlauf Standortmarketing

67

Frank Linde Märkte für Information – ökonomische Besonderheiten Ragna Seidler-de Alwis Markt- und Wettbewerbsanalyse für Bibliotheken

135

Frank Linde Wettbewerbsstrategien auf Informationsmärkten

159

103

Simone Fühles-Ubach Methoden der Marketingforschung für Bibliotheken und Informationseinrichtungen 179 Frauke Schade Chancen und Grenzen der Marktsegmentierung auf der Grundlage von Milieustudien für Öffentliche Bibliotheken 207 Hans-Christoph Hobohm Strategisches Informationsmarketing – Ziele und Strategien im strategischen Marketing und ihre Umsetzung im operativen Marketing 231 Tom Becker, Anja Flicker Wissensmanagement und Wissensbilanzen in Öffentlichen Bibliotheken – ein Exkurs 257

VI

Inhalt

Cornelia Vonhof Strategisches Qualitätsmanagement als Aspekt des strategischen Marketings – Strategisches Marketing als Aspekt des strategischen Qualitätsmanagements 287 Ursula Georgy, Rudolf Mumenthaler Praxis Innovationsmanagement 319 Frauke Schade Markenentwicklung für Bibliotheken

341

Dorothee Kaser unter Mitarbeit von Pit Stenkhoff und Eva Wendel Markenpräsentation: Entwicklung von Erscheinungsbildern Ute Engelkenmeier Strategische Markenkommunikation – zielgerichtet zum Erfolg

369

393

Ralf Drechsler Die Bibliothek in der finanziellen Krise: Handlungsempfehlungen für erfolgreiche Krisenkommunikation 419 Markus Trapp Markenkommunikation im Web 2.0

443

André Vatter Mobiles Marketing für Bibliotheken

457

Barbara Lison Kundenzufriedenheit und Kundenbindungsstrategien Christian Jahl Networking für Bibliotheken

475

501

Claudia Lux Bibliothekspolitische Forderungen und Lobbyarbeit für Bibliotheken Ursula Georgy, Frauke Schade Fundraising 537

525

Inhalt

Uta Keite Bürgerengagement im Rahmen von Corporate Social Responsibility als integraler Bestandteil der „Medienboten“ der Bücherhallen Hamburg 557 Oliver Obst Die Zukunft des Bibliotheksmarketings

579

Ursula Georgy Emotionale Nutzenberechnungen des Gehirns: Erfolg durch Emotion Marketing 611 Hanneke Kunst, Isabelle van Woerkom übersetzt von Nina Schoof Einzelhandelsmarketing in niederländischen Bibliotheken Über die Autoren Register

653

649

627

VII

Übersicht Kurzzitierweise der Beitragsüberschriften in Querverweisen und Kolumnentiteln Einleitung Implikationen des Marketings Umfeldentwicklungen Standortmarketing Märkte für Information Markt- und Wettbewerbsanalyse Wettbewerbsstrategien Marketingforschung Marktsegmentierung Strategisches Marketing Wissensmanagement Qualitätsmanagement Innovationsmanagement Markenentwicklung Markenpräsentation Markenkommunikation Krisenkommunikation Web-2.0-Kommunikation Mobiles Marketing Kundenbindungsstrategien Networking Lobbyarbeit Fundraising Corporate Social Responsibility Zukunft des Bibliotheksmarketings Emotion Marketing Einzelhandelsmarketing

Georgy und Schade Georgy und Schade Göschel Umlauf Linde Seidler-de Alwis Linde Fühles-Ubach Schade Hobohm Becker und Flicker Vonhof Georgy und Mumenthaler Schade Kaser Engelkenmeier Drechsler Trapp Vatter Lison Jahl Lux Georgy und Schade Keite Obst Georgy Kunst und van Woerkom

Einleitung Die Zukunftsfähigkeit von Bibliotheken und Informationseinrichtungen hängt heute entscheidend davon ab, wie es ihnen gelingt, die schnellen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen zu antizipieren und sich im Kontext der Kultur- und Bildungslandschaft mit einem innovativen Dienstleistungskonzept darzustellen. Die Vielseitigkeit ihres Angebots, die schnelle Entwicklung immer neuer Medienformen sowie die rasche Vervielfältigung und Verbreitung von Information stellen dabei ebenso hohe Anforderungen an die Profilbildung und Vermarktung von Bibliotheken und Informationsanbietern wie die Heterogenität ihrer Zielgruppen, ihr differenzierter (öffentlicher) Auftrag und die Finanzierungskonkurrenz mit anderen Einrichtungen. Bibliotheken und Informationsanbieter, die ihr Wettbewerbsumfeld, ihre Zielgruppen und ihre eigenen Stärken kennen und gesellschaftspolitische und technologische Entwicklungen orten und darauf reagieren können, sind deutlich im Vorteil, wenn es darum geht, sich aktuellen Herausforderungen zu stellen, Ressourcen effizient einzusetzen und sich profilbildend zu positionieren. In der Finanzierungskonkurrenz können sie sich damit bei Entscheidungsträgern aus dem eigenen Haus, der Politik, der Verwaltung und der Öffentlichkeit besser behaupten. Im Spannungsfeld zwischen bildungspolitischem Auftrag und Kundenorientierung tun sich Bibliotheken und Informationsanbieter oftmals schwer, ihre Profilbildung voranzutreiben. Marketing haftet häufig der Verdacht an, nicht einem öffentlichen Auftrag verpflichtet zu sein, sondern die Bibliothek oder Informationseinrichtung ausschließlich im Spannungsfeld von Wettbewerb, Kostenoptimierung und Kundenorientierung zu profilieren. Damit werden wertvolle Chancen verspielt. Marketingmanagement bietet konzeptionell und methodisch einen Rahmen sowie einen strukturierten Prozess an, gesellschaftlich relevante Angebote zu entwickeln und alle Beziehungen zwischen Bibliothek und Anspruchsgruppen optimal zu gestalten. Marketing wird allgemein definiert als die „bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens“¹,² und bezieht sich auf die Analyse, strategische Planung und operative Umsetzung von Unternehmenszielen im Marketing-Mix sowie in der sich daran anschließenden Erfolgskontrolle im Marketingcontrolling. Marketing ist generell, aber insbesondere für Dienstleistungsunternehmen und Non-Profit-Organisationen noch ein sehr junges Managementkonzept, das sich ausgehend vom Produktmarketing seit den 1950er Jahren entwickelt und seitdem stetig ausdifferenziert hat, insbesondere durch den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft seit den 1980er Jahren im Dienstleistungsmarketing.

1 Meffert 2005, S. 8. 2 Die vollständige Bibliographie zu den in der Einleitung genannten Literaturstellen finden Sie im Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch aufgeführt.

2

Georgy und Schade

Bibliotheken und Informationsanbieter erbringen im Wesentlichen Dienstleistungen, die in den meisten Fällen öffentlich finanziert oder zumindest teilfinanziert werden. Marketing sollte für diese Einrichtungen deshalb unter den Prämissen des Non-Profit- und des Dienstleistungsmarketings betrachtet werden. Meffert und Bruhn betonen, dass durch die hohe Heterogenität des Dienstleistungssektors Marketing vor dem Hintergrund der spezifischen Aufgabenfelder und verschiedenen Dienstleistungsbranchen betrachtet und spezifisch angepasst werden muss.³ Marketingansätze aus dem Non-Profit- und aus dem Dienstleistungsmarketing müssen deshalb hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf Bibliotheken und Informationsanbieter überprüft und auf die jeweils spezifischen Bedingungen adaptiert werden. In der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Theorie und in der Praxis fehlen im deutschsprachigen Raum jedoch bisher Methoden und Konzepte, die Einrichtungen und ihre Angebote unter den spezifischen Bedingungen systematisch und umfassend im Rahmen des Marketingmanagements beschreiben. Ziel dieses Handbuchs ist es, aktuelle Marketingansätze, -strategien und -methoden aus einer umfassenderen und systematischen Perspektive auf Bibliotheken und Informationsanbieter zu übertragen, um eine praxisrelevante und theoretisch fundierte Handreichung für Bibliotheken und Informationsanbieter anzubieten. Das Handbuch richtet sich an Bibliothekare Öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken in Leitungspositionen, an Marketingspezialisten und -beauftragte in Bibliotheken und Informationseinrichtungen sowie an Studierende der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengänge.⁴ Der Aufbau des Handbuchs folgt der Systematik, die der Marketingzyklus vorgibt. Einleitend stellen die Herausgeberinnen dar, unter welchen Bedingungen des NonProfit- und des Dienstleistungsmarketings das Marketing für Bibliotheken und Informationsanbieter betrachtet werden muss, um verlässlich Methoden, Strategien und Maßnahmen für Bibliotheken und Informationsanbieter ableiten zu können. Marketing entwickelt sich aus den Anforderungen des Umfelds. Während sich bei wissenschaftlichen Bibliotheken und privaten Einrichtungen Auftrag und Ausrichtung unmittelbar aus der Zielsetzung der alimentierenden Einrichtung ergeben, müssen Öffentliche Bibliotheken ihr Profil im engen Bezug zum kommunalen Umfeld erst definieren, um sich als unverzichtbare Einrichtung zu qualifizieren. Alfred Göschel zeigt, welche Wertigkeit und Zuweisung Bibliotheken dabei in der Vergan-

3 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 4. 4 Im gesamten Buch wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Die Personenbezeichnungen gelten für beiderlei Geschlecht. Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, die sich aus dem Partizip Präsens ableiten, werden dort verwendet, wo sie sich als politisch korrekt durchgesetzt haben.

Einleitung

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genheit in der Entwicklung von Städten hatten und heute in Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen im kommunalen Raum entfalten können. Konrad Umlauf differenziert dies unter dem Aspekt des Standortmarketings, indem er zeigt, welche Potenziale Bibliotheken für einen Standort entwickeln können und nach welchen Kriterien und Methoden Standorte bewertet werden. Die Vermarktung des „Informationsguts“ wird nur dann erfolgreich gelingen, wenn die informationsökonomischen Besonderheiten von Informationsmärkten berücksichtigt werden, die Frank Linde in seinem Beitrag aufzeigt und damit weitere Prämissen für das Marketing von Informationsprodukten und -dienstleistungen setzt. Ragna Seidler-de Alwis überträgt Methoden der Marktanalyse auf die spezifischen Anforderungen von Bibliotheken und Informationsanbietern und stellt Chancen und Grenzen beim Transfer des Methodenvokabulars aus dem Produktmarketing in diesem Kontext dar. Frank Linde beschreibt in seinem zweiten Beitrag, welche Voraussetzungen und Strategien es bedarf, um sich Wettbewerbsvorteile speziell auf Informationsmärkten zu verschaffen und dort erfolgreich zu agieren. Der Kundenorientierung kommt im Dienstleistungsmarketing eine hohe Bedeutung zu, da Dienstleistungen generell im direkten oder indirekten Kundenkontakt erstellt werden. Die dezidierte Erforschung der Zielgruppen und ihrer Disposition in Werthaltungen, Einstellungen und Präferenzen hat in der Marktanalyse deshalb ein besonderes Gewicht. Simone Fühles-Ubach stellt Verfahren der Primär- und Sekundärforschung zur Untersuchung von Zielgruppen und ihrer spezifischen Bedarfe vor; Frauke Schade geht auf Chancen und Grenzen der psychografischen und der mikrogeografischen Marktsegmentierung auf der Grundlage von Milieustudien ein. Das strategische Marketing stellt einen marktorientierten Teil des strategischen Managements dar, wobei es insbesondere durch seine Langfristigkeit und den Einsatz und die Auswahl der verschiedenen Planungstechniken gekennzeichnet ist. Für den Erfolg ist es unabdingbar, Marketingziele und -strategien zu entwickeln und operational umzusetzen. Eine Ressourcenallokation sowie der Einsatz verschiedener Controllinginstrumente gehören gleichfalls zu diesem Prozess. Hans-Christoph Hobohm beschreibt genau diese Grundlagen des praktischen Marketinghandelns und zeigt Wege auf, Marketingziele und -strategien für Informationsdienstleistungen und -produkte unter Einsatz verschiedener Planungstechniken zu entwickeln und umzusetzen. Anja Flicker und Tom Becker nehmen, insbesondere im Kontext der Öffentlichen Bibliotheken, einen Exkurs vor, in dem sie Zusammenhänge zwischen internem Wissensmanagement, Wissensbilanzen und Informationsmarketing darstellen. Wie Qualitätsmanagement und Marketing  – als zwei strategische Handlungsoptionen für Bibliotheken und Informationseinrichtungen – ihre volle Wirkung erst durch den Bezug aufeinander entfalten können, stellt der Beitrag von Cornelia Vonhof dar. Steigende Wettbewerbsintensität und eine hohe Dynamik auf Informationsmärkten stellen Bibliotheken und Informationsanbieter ständig vor die Herausforderung, neue Lösungen und innovative Angebote zu entwickeln bzw. die Dienstleistungen aktuellen Trends anzupassen. Ursula Georgy und Rudolf Mumenthaler geben in

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Georgy und Schade

ihrem Beitrag einen Überblick über den aktuellen Stand und neuere Tendenzen im Innovationsmanagement. Eine hohe Wettbewerbsintensität besteht auch im Ringen um Aufmerksamkeit. Sichtbarkeit erreichen Unternehmen für sich und ihre Angebote vor allem durch Kommunikation. Marken und Markenkommunikation sind Schlüssel zu den verschiedenen Anspruchsgruppen und sollen diesen ermöglichen, sich schnell ein Bild von Unternehmen und Angebot zu machen. Frauke Schade führt in ihrem Beitrag in die Markentwicklung und -führung ein. Dorothee Kaser zeigt, wie die Markenpersönlichkeit im Erscheinungsbild visuell umgesetzt werden kann. Dass Markenkommunikation strategisch und systematisch vorangetrieben werden muss, damit die Botschaften tatsächlich bei den Adressaten ankommen, stellt Ute Engelkenmeier in ihrem Beitrag dar. Die Finanzierungskonkurrenz von öffentlich finanzierten Einrichtungen verschärft sich in finanziellen Notlagen. Wie Bibliotheken diesen wirksam durch Methoden der Krisenkommunikation begegnen können, ist das Thema von Ralf Drechsler. Markenkommunikation findet zunehmend im Web 2.0 und über mobile Endgeräte statt. Unternehmen haben dabei keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die Markenbotschaften, die „user-generated“ verbreitet werden. Welche Chancen hier genutzt werden können, Angebote bekannt zu machen und Kundenbindung zu betreiben, indem Soziale Medien auch als Kanäle verstanden werden, die als Instrument des Beschwerdemanagements funktionieren, demonstriert Markus Trapp am Beispiel der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg. Das mobile Internet nimmt an Fahrt auf. Das ist kein Trend, sondern vielmehr eine konsequente Weiterentwicklung. So formuliert es André Vatter. In seinem Beitrag beschreibt er, welche Möglichkeiten sich hier für Bibliotheken bereits bieten und künftig eröffnen werden. Das Marketing öffentlich finanzierter Einrichtungen unterscheidet sich in der hohen Heterogenität seiner Zielgruppen von privatwirtschaftlichen Unternehmen. Hier müssen nicht nur Kunden gewonnen und gebunden werden, sondern auch politische Gremien, Behörden, Kooperationspartner, Sponsoren, Stake- und Shareholder sowie die breite Öffentlichkeit stetig von dem Angebot überzeugt werden. Dabei folgt das Non-Profit-Marketing nicht zwangsläufig den marktlichen Mechanismen von Angebot und Nachfrage, sondern ist in seinen Zielsetzungen viel breiter aufgestellt. Mehrere Beiträge stellen deshalb Methoden und Konzepte dar, die sich mit den verschiedenen Teilöffentlichkeiten von Bibliotheken und Informationsanbietern in Bezug auf Marketing auseinandersetzen: Barbara Lison stellt den Kunden in den Mittelpunkt und präsentiert theoretisch fundiert und mit gelebter Praxis die wichtigsten Kundenbindungskonzepte. Bibliotheken und öffentliche Informationseinrichtungen stehen immer häufiger im Wettbewerb zu anderen (öffentlichen) Einrichtungen, insbesondere dann, wenn sie die gleichen (finanziellen) Ressourcen beanspruchen. Dies begründet zum einen die Notwendigkeit der Sichtbarkeit und Durchsetzung eigener Interessen bei Entscheidungsträgern und anderen Stakeholdern, zum anderen aber auch Strategien zum Einwerben zusätzlicher Mittel. Christian Jahl beschreibt in seinem Artikel, wie das Knüpfen

Einleitung

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von Kontakten und die strategische Vernetzung derselben durch Networking in der Praxis gelingen können. Claudia Lux widmet sich dem Thema Lobbyarbeit, wobei sie deutlich macht, wie wichtig bewegende Beispiele und harte Fakten sind, um die Relevanz von Bibliotheksarbeit z.B. gegenüber Politikern zu belegen. Fundraising heißt der Oberbegriff für die Akquise zusätzlicher Mittel. Ursula Georgy und Frauke Schade stellen dieses Thema in den übergeordneten Kontext des Marketings und seiner Strategien. Auch bürgerliches Engagement hilft Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen in bestimmten Bereichen, Engpässe zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Uta Keite beschreibt anhand des Beispiels der Bücherhallen Hamburg die Möglichkeiten von strategischen Partnerschaften bei Ehrenamtsprojekten als gelebte Unternehmenskultur und als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Der letzte Teil des Handbuchs widmet sich Trends und Zukunftsszenarien des Bibliotheks- und Informationsmarketings. Oliver Obst versteht Marketing auch als Zukunftsfrage und stellt anhand zahlreicher Szenarien anschaulich dar, welche Entwicklungen das Marketing in den nächsten Jahren nehmen kann. Ursula Georgy nimmt sich des noch jungen Forschungsfeldes Emotion Marketing an und beschreibt, wo Emotionen bereits von Unternehmen – auch im Kontext konsequenter Profil- und Markenbildung – erfolgreich eingesetzt werden und wie dies auf Bibliotheken übertragbar wäre. Mit einem Blick auf die Bibliotheksentwicklung in den Niederlanden endet das Buch: Hanneke Kunst und Isabelle van Woerkom schildern den Einsatz von Einzelhandelsmarketing und die daraus resultierenden Erfolge für niederländische Öffentliche Bibliotheken im Rahmen eines nationalen Marketingprojektes für Bibliotheken. Marketing versteht sich heute als „universelles Konzept der Beeinflussung und als Sozialtechnik“, wobei es nicht mehr nur um die Vermarktung von Unternehmen und ihrem Angebot geht,⁵ sondern auch darum, gesellschaftliche Brüche, Tabuzonen und Wertewandel auszuloten und Ideen zu verbreiten.⁶ Bei dem gegenwärtigen Stand der Disziplin auf einem Themenfeld, das insgesamt und für Bibliotheken und Informationsanbieter im Besonderen mehr von Umbrüchen und Innovationen als von theoretischer Durchdringung geprägt ist, ist eine thematische Vollständigkeit, eine Berücksichtigung aller Theorien und „Schulen“ sowie eine vollkommene Konsistenz in Terminologie, Perspektiven und Positionen nicht möglich. Die Herausgeberinnen hoffen, mit der Mischung aus theoretischer Darstellung sowie praktischen Anleitungen und Erfahrungsberichten die Erwartungen von Praktikern ebenso zu erfüllen wie diejenigen von Studierenden.

5 Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 10. 6 Ebd.

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Georgy und Schade

Wir danken allen Autoren für die ertragreiche und konstruktive Zusammenarbeit sowie für die interessanten Diskussionen. Ein besonderer Dank gilt Klaus Stelberg für die sorgfältige und fachkundige Redaktion aller Beiträge. Ursula Georgy und Frauke Schade Köln, Hamburg im Juni 2012

Ursula Georgy, Frauke Schade

Marketing für Bibliotheken – Implikationen aus dem Non-Profit- und Dienstleistungsmarketing 1 Einleitung Marketing wird sowohl in Öffentlichen als auch in wissenschaftlichen Bibliotheken bisher selten professionell praktiziert. Dies liegt einerseits daran, dass Bibliotheken Vorbehalte haben, moderne Marketingansätze als Teil ihres bibliothekarischen Selbstverständnisses zu antizipieren, andererseits auch daran, dass bisher wenig Strategie- und Methodenkompetenz in Bibliotheken vorhanden ist, Marketing systematisch anzuwenden. Marketing haftet der Verdacht an, nicht mehr einem öffentlichen Auftrag verpflichtet zu sein, sondern die Bibliothek ausschließlich im Spannungsfeld von Wettbewerb, Kostenoptimierung und Kundenorientierung zu profilieren. Marketing scheitert damit häufig schon an seinen Begrifflichkeiten,¹ indem unterstellt wird, dass kommerzielle Marketingansätze unreflektiert auf Bibliotheken angewendet werden. Mit dieser Haltung werden Chancen verspielt, gesellschaftlich relevante Angebote zu entwickeln, eine hohe Kundenzufriedenheit und -bindung zu erreichen und das Image der Bibliothek in der öffentlichen Wahrnehmung, bei Entscheidungsträgern und im Wettbewerb deutlich zu profilieren und damit insgesamt Ausstattung und Existenz der Bibliothek nachhaltig sicherzustellen. Dabei kommt es natürlich entscheidend darauf an, sich tiefer gehend mit Marketing auseinanderzusetzen und dieses reflektiert auf die spezifischen Bedingungen und Anforderungen von Bibliotheken zu betrachten und anzuwenden. Ein weiterer Grund für die geringe Marketingperformance in Bibliotheken ist, dass Marketing generell und insbesondere für Bibliotheken ein relativ junges Managementkonzept darstellt. Erst seit den 1970er Jahren wird Marketing überhaupt als strategisch ausgerichteter Prozess der Planung, Koordination und Kontrolle von Unternehmen verstanden, der auch das aktuelle Marketingverständnis prägt.² Im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, bei der neben der industriellen Produktion zunehmend auch Dienstleistungen zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen, erweitert sich seit Mitte der 1980er Jahre das Marketingverständnis, indem

1 Vgl. Bruhn 2005, S. 67, 85. 2 Vgl. Meffert, Bruhn, Kirchgeorg 2008, S. 8 f.

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Georgy und Schade

die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen und die ausgeprägte Breite des Dienstleistungssektors in einem spezifischen Marketing Berücksichtigung fanden.³ Non-Profit-Organisationen wie Museen oder Theater adaptieren Marketingansätze erst seit den frühen 1990er Jahren im Zuge steigender Finanzierungskonkurrenz öffentlicher Einrichtungen. Auch der gesellschaftliche Wandel in Demografie und Werten führte zu einer Ausweitung des Non-Profit-Marketings im Gesundheitssystem oder in wohlfahrtsorientierten Vereinigungen. Dies wiederum gab weitere Impulse für die Weiterentwicklung des Dienstleistungsmarketings⁴ und führte zu einer Teildisziplin des Marketings: dem Non-Profit-Marketing, das sich in zahlreichen Spezifizierungen des Kultur-, Sozial- und Politik-Marketings bis heute stetig erweitert und rechtliche, gesellschaftliche und ökologische Rahmenbedingungen in die Marketingplanung zunehmend mit einbezieht. Dabei ist unstrittig, dass sowohl allgemeine Marketingaussagen des Non-Profit- als auch des Dienstleistungsmarketings aufgrund der außerordentlichen Breite und hohen Differenzierung im Dienstleistungssektor vor dem Hintergrund der jeweiligen Branchen reflektiert und die jeweiligen Spezifika bei der Adaption von Marketingansätzen berücksichtigt werden müssen.⁵ In Bibliotheken wurden Marketingansätze vor allem aus der Perspektive der benutzerorientierten Bibliothek entwickelt und beziehen seit den 1990er Jahren zunehmend Aspekte des Qualitätsmanagements mit ein.⁶ Dabei wurden im Hinblick auf die Kunden Aspekte der Kundenbindung, insbesondere des Beschwerdemanagements, im Rahmen des neuen Steuerungsmodells Aspekte einer bibliotheksgerechten Kosten- und Leistungsrechnung sowie die Entwicklung von Leitbildern als relevante Handlungsfelder betrachtet. Vereinzelt gab es Bestrebungen, Bibliotheksmarken zu entwickeln.⁷ Zunehmend gewinnen Marktforschungsmethoden zur Beschreibung von Zielgruppen und zur Analyse von Nachfrageverhalten, Bewertungen des Wettbewerbs und Umfeldentwicklungen an Relevanz.⁸ Durch Initiativen zur Entwicklung von Bibliothekskonzepten in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ist das Thema strategische Marketingplanung und Profilierung jüngst noch deutlicher auf die Tagesordnung von Bibliotheken gerückt.⁹ Dennoch werden Methoden und Instrumente bisher selten in einem systematischen und strategischen Marketingmanagement angewendet. Es fehlen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis verlässliche Methoden und Konzepte aus der Marktforschung und -segmentie-

3 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 4; dies. 2009, S. 12. Siehe auch den Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. 4 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 4; dies. 2009, S. 12. 5 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 4. 6 Siehe den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch. 7 Vgl. Bernsee 2006; Schade, Schmidt 2010. 8 Siehe die Beiträge „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis sowie „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 9 Vgl. Bassen 2007; Büchereizentrale Niedersachsen 2007.

Implikationen des Marketings

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rung, der strategischen Marketingplanung und operativen Umsetzung im MarketingMix sowie dem Marketingcontrolling, die umfassend und in sich geschlossen auf den spezifischen Bedarf von Bibliotheken angewendet werden. Dabei stehen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen heute insgesamt vor der Herausforderung, im Marketing Antworten auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu finden, die durch die schnelle Entwicklung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, die hohe Veränderungsdynamik der postmodernen Gesellschaft und das Auseinanderdriften von Märkten infolge von Globalisierung und Internationalisierung getriggert werden.¹⁰ Marketing versteht sich dabei heute als Beziehungsmarketing und als „ein universelles Konzept der Beeinflussung und als Sozialtechnik“¹¹, bei der es nicht mehr nur um die Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen geht, sondern auch darum, „Ideen, die einen gesellschaftlichen Nutzen […] stiften, zu verbreiten“¹². Diese generische Interpretation des Marketings führt zu einer wachsenden Vielfalt moderner Marketingansätze: Virales Marketing, Netzwerkmarketing, interaktives und Online-Marketing sowie Emotion Marketing sind nur einige Ausprägungen, die gesellschaftliche und technologische Entwicklungen ausloten und überraschend, interaktiv, multioptional und vernetzend einen natürlich zu hinterfragenden individuellen, aber auch gesellschaftlichen Mehrwert von Unternehmen und ihrem Angebot konsistent und vielseitig über alle Marketingkanäle hinweg kommunizieren. Marketing meint allgemein die „bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens“¹³ und bezieht sich auf die Analyse, strategische Planung und operative Umsetzung von Unternehmenszielen im Marketing-Mix sowie in der sich daran anschließenden Erfolgskontrolle im Marketingcontrolling. Dabei richtet das absatzorientierte Marketing seinen Blick nach außen auf die (potenziellen) Anspruchsgruppen und den Wettbewerb. Mit entsprechenden Marketinginstrumenten werden alle Austauschbeziehungen zwischen Anspruchsgruppen und Bibliothek gestaltet und Differenzierungsstrategien im Wettbewerbsumfeld entwickelt. Marketinginstrumente setzen dabei auf das Unternehmensprofil und übergeordnete Zielsetzungen auf, um auf allen Ebenen des Unternehmens eine widerspruchsfreie und konsistente Identität zu entwickeln, die sich nach außen in einem klaren Profil darstellt und Strahlkraft entfaltet.¹⁴ Bibliotheken sind öffentlich finanzierte Einrichtungen und erbringen im Wesentlichen Dienstleistungen. Das Marketing von Bibliotheken muss deshalb unter den Implikationen des Non-Profit- und des Dienstleistungsmarketings betrachtet werden.

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Vgl. den Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 10. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 10. Meffert 2005, S. 8. Vgl. Becker, Schnetzer 2006, S. 114.

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Georgy und Schade

Dabei sind allgemeine Marketingansätze aus dem Non-Profit- und dem Dienstleistungsmarketing auf ihre Anwendbarkeit auf Bibliotheken zu überprüfen und auf die spezifischen Bedingungen dieser zu adaptieren. Im Folgenden wird dargestellt, welche Implikationen sich daraus für das Marketing von Bibliotheken ergeben und wie diese in den einzelnen Phasen des Marketingmanagementprozesses berücksichtigt werden können und müssen.

2 Implikationen des Dienstleistungsmarketings Plassmann, Rösch, Seefeldt und Umlauf definieren das Angebotsportfolio von Bibliotheken konsequent als Dienstleistungen, indem sie feststellen: „Bibliothekarische Aktivitäten lassen sich grundsätzlich und durchgängig als Dienstleistung beschreiben.“¹⁵ Dabei klassifizieren sie bibliothekarische Tätigkeiten nach den Basisfunktionen Sammeln, Bewahren, Ordnen / Erschließen, Bereitstellen oder Benutzen sowie Vermitteln, wie es in Tab. 1 vorgestellt wird:¹⁶

Sammeln

Geplanter Bestandsaufbau bzw. Erwerbung durch Auswahl im Falle externer netzbasierter Quellen: Zugang / Lizenzierung durch Auswahl

Aufbewahren

(Langzeit-)Archivierung und Tradierung

Ordnen / Erschließen

Formale und inhaltliche Erschließung durch Aufstellung und Verzeichnung

Benutzen

Literaturversorgung, Ortsleihe, Lesesaal, Leihverkehr, Dokumentenlieferung, Informationsangebote zur Nutzung über das Internet

Vermitteln

Aktive Vermittlung von Informationen: Auskunft und Informationsdienst

Tab. 1: Dienstleistungsbereiche und Informationsdienstleistungen, kategorisiert nach den Basisfunktionen von Bibliotheken (in Anlehnung an Plassmann, Rösch, Seefeldt und Umlauf)¹⁷

Dienstleistungen werden allgemein definiert als „selbstständige, marktfähige Leistungen, die im Gegensatz zu Gütern weitgehend immateriell sind“¹⁸. Sie lassen sich nur in der Interaktion mit dem Kunden erbringen, weshalb ihnen eine input-, eine output- und eine prozessorientierte Komponente zugeschrieben wird.¹⁹ In der Über-

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Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 219. Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 220 und Tab. 1. Ebd. Meffert, Bruhn 2006, S. 33. Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 30; dies. 2009, S. 16 f.

Implikationen des Marketings

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tragung des Dienstleistungsbegriffs auf bibliothekarische Tätigkeiten werden Informationsdienstleistungen beschrieben […] als Potenziale, Prozesse und Produkte, die eingesetzt werden mit dem Ziel, den Informationsbedarf Dritter zu decken.²⁰

Damit wird auf abstrakter Ebene gefasst, was konkret den Basisfunktionen bibliothekarischer Tätigkeiten entspricht.

2.1 Leistungstypologische Einordnung des Angebotsportfolios von Bibliotheken Die Unterscheidung zwischen Sachleistung und Dienstleistung ist äußerst relevant, da Dienstleistungen aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften andere Implikationen für das Marketing aufweisen als Sachleistungen (Synonym: Produkte, Waren). Problematisch ist jedoch, dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen Sach- und Dienstleistung im Angebotsportfolio von Bibliotheken auf den ersten Blick nicht möglich ist, da das Ergebnis der Informationsdienstleistung auch ein Informationsprodukt sein kann.²¹ Linde diskutiert dieses Klassifikationsproblem in seiner informationsökonomischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Informationsguts – das sich sowohl auf Produkte wie auf Dienstleistungen beziehen kann – folgendermaßen: Es wird schnell deutlich, dass die wirtschaftswissenschaftlich gut nachvollziehbare Trennung von Waren und Dienstleistungen bei Informationsgütern verschwimmt. Wenn von Informationsgütern die Rede ist, soll das fortan in dem Bewusstsein geschehen, dass es zwar reine Informationsprodukte, nicht aber reine Informationsdienstleistungen gibt. Ein Dienstleistungsanteil liegt immer dann vor, wenn ein externer Faktor an der Erstellung eines Informationsprodukts mitwirkt. Insofern können Informationsgüter und -produkte als weitgehend identisch angesehen werden.²²

In seiner Argumentation schließt Linde – im Gegensatz zu Plassmann, Rösch, Seefeldt und Umlauf  – aus, dass es reine Informationsdienstleistungen geben kann, indem er unterstellt, dass jede Informationsdienstleistung in einem Produkt endet. Es sei einmal dahingestellt, ob tatsächlich jede bibliothekarische Recherche oder Beantwortung einer Auskunftsfrage so verwertet wird, dass sie in einem marktfähigen Produkt endet; vielmehr soll der Blick darauf gelenkt werden, dass es im Angebotsportfolio von Bibliotheken Unschärfen zwischen den Reinformen von Produkten

20 Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 216. 21 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 217. 22 Linde 2012, S. 106.

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Georgy und Schade

individuell / integrativ

Leistungstyp II

Leistungstyp I

Leihverkehr

Aktive Vermittlung von Information

Dokumentenlieferung Ortsausleihe

Auskunft Informationsdienst

autonom / standardisiert

Ergebnisdimension: Integrationsgrad

und Dienstleistungen gibt, die einer leistungstypologischen Klärung bedürfen. Ziel von Leistungstypologien ist es, typenübergreifend Merkmale von Angeboten zu identifizieren, um differenzierte Hinweise für die Vermarktung geben zu können.²³ Die verschiedenen Leistungstypologien, die im Marketing Verwendung finden, sind zwar umstritten, sie geben dennoch Hinweise darauf, wie Angebote zwischen den Reinformen von Produkt und Dienstleistung einzuordnen sind. Als Beispiel wird hier die Leistungstypologie von Engelhardt, Kleinaltenkamp und Reckenfelderbäumen²⁴ vorgestellt, da mit dieser gezeigt werden kann, dass sich das Angebot von Bibliotheken auf einem Kontinuum zwischen reiner Sach- und reiner Dienstleistung bewegt und eine eindeutige Zuordnung durch die auftretenden Mischformen zweifelhaft ist. Die Leistungstypologie von Engelhardt, Kleinaltenkamp und Reckenfelderbäumen positioniert Sach- und Dienstleistungen nach den konstituierenden Merkmalen von Dienstleistungen in einer Matrix, die Ergebnis- und Prozessdimension gegenüberstellt und auf der Abszisse (x-Achse) als Ergebnisdimension den Immaterialitätsgrad und auf der Ordinate (y-Achse) die Prozessdimension in dem Integrationsgrad darstellt (vgl. Abb. 1):

Leistungstyp III Bestandsaufbau

Leistungstyp IV

Zugang zu Netzpublikationen

Vermittlung von Informationskompetenz

Lesesaal Formale & sachliche Erschließung immateriell materiell Ergebnisdimension: Immaterialitätsgrad

Abb. 1: Modifizierte Leistungstypologie (eigene Darstellung nach Engelhardt, Kleinaltenkamp und Reckenfelderbäumen)²⁵

23 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 34; dies. 2009, S. 19. 24 Vgl. Engelhardt, Kleinaltenkamp, Reckenfelderbäumen 1992, S. 35, zit. nach Meffert, Bruhn 2009, S. 21. 25 Engelhardt, Kleinaltenkamp, Reckenfelderbäumen 1992, S. 37, zit. nach Meffert, Bruhn 2006, S. 27.

Implikationen des Marketings

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Unterstellt man dabei, dass eine hohe Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess zu einer höheren Individualisierung der Leistung und eine geringe Integration des Kunden zu einer Standardisierung von Leistungen führt, sind damit die wesentlichen charakteristischen Unterscheidungsmerkmale von Sach- und Dienstleistungen herausgearbeitet. Dabei zeigt die Darstellung, dass nur Leistungstyp III reine Merkmale von Sachleistungen und nur Leistungstyp I reine Merkmale von Dienstleistungen aufweisen. Leistungstyp II und Leistungstyp IV stellen Mischformen dar. Hinsichtlich der Zuordnung von Bibliotheksdienstleistungen ist festzustellen, dass sich ein differenziertes Bild abzeichnet und Bibliotheksangebote nicht hinreichend eindeutig und ausschließlich einzelnen Leistungstypen zugeordnet werden können. Da die Mehrzahl von Bibliotheksangeboten jedoch Leistungstypen zuzuordnen sind, die reine Dienstleistungen sind oder Anteile von Dienstleistungen aufweisen, erscheint es notwendig, die Vermarktung von Bibliotheken und ihren Angeboten unter den Implikationen des Dienstleistungsmarketings zu betrachten.

2.2 Informationsökonomische Einordnung des Angebotsportfolios von Bibliotheken Die o.g. Argumentation kann durch eine informationsökonomische Einordnung von Bibliotheksangeboten unterstützt werden. Die Informationsökonomik unterscheidet hier grundsätzlich zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften von Gütern.²⁶ Erfahrungseigenschaften lassen sich erst während oder nach der Inanspruchnahme des Angebots beurteilen (z.B. Friseurbesuch).²⁷ Bei einem hohen Anteil an Vertrauenseigenschaften kann die Qualität des Gutes möglicherweise überhaupt nicht beurteilt werden, wie bspw. bei einer Rechtsberatung oder dem Therapievorschlag eines Arztes.²⁸ Je höher der Anteil an Vertrauens- bzw. Erfahrungseigenschaften ist, desto höher sind auch Informationsdefizite und Unsicherheiten beim Nachfrager zu bewerten, die sich jedoch durch gefestigte Kundenbeziehungen relativieren lassen.²⁹ Im Hinblick auf Bibliotheksangebote und insbesondere auf Informationsdienstleistungen und -produkte besteht Einigkeit darüber, dass diese hohe Anteile an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften aufweisen.³⁰ Um ein Beispiel zu geben: Ob das Medienangebot tatsächlich den Informationsbedarf eines Kunden deckt, wird dieser erst wissen, wenn er sich am Regal oder im Bibliothekskatalog einen Überblick verschafft oder

26 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 56 f. 27 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 57. 28 Ebd. 29 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 57 f. 30 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 217. Siehe auch den Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch.

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in das ein oder andere Buch hineingelesen hat (Erfahrungsanteile). Die Qualität des Medienangebots der Bibliothek in Bestandstiefe, -breite, Aktualität, medialer Ausgewogenheit etc. wird er kaum abschließend beurteilen können (Vertrauensanteile)³¹ bzw. nur dann, wenn er selbst tiefe Kenntnisse in diesem Fach vorzuweisen hat.

2.3 Eigenschaften von Bibliotheksdienstleistungen Aus der informationsökonomischen Einordnung von Bibliotheksangeboten folgt, dass Bibliotheksdienstleistungen Eigenschaften aufweisen, die ihre Vermarktung entscheidend beeinflussen. Dargestellt wird dies in diesem Beitrag anhand der spezifischen Charakteristika von reinen Dienstleistungen. Bei reinen Dienstleistungen fallen Produktion und Konsum in der Regel zusammen und setzen die aktive Beteiligung des Kunden voraus, was zu einer stärkeren Abhängigkeit von externen Faktoren führt, die schwer kalkuliert werden können. Konzepte der Kundenorientierung und -bindung spielen deshalb eine große Rolle. Da die reine Dienstleistung im unmittelbaren Kundenkontakt entsteht, ist sie an sich immateriell und darüber hinaus standortgebunden. Damit sind Dienstleistungen nicht nur nicht lagerfähig, sondern auch nur eingeschränkt transportierbar. Die hohe Interaktion zwischen Dienstleistern und Kunden führt – neben anderen Faktoren – auch zu einer höheren Heterogenität einzelner Dienstleistungen, die individuell an den Kunden angepasst werden und damit Prozesse der Standardisierung und Qualitätssicherung von Dienstleistungen infrage stellen.³² Zusammenfassend sind die charakteristischen Merkmale von Dienstleistungen und Informationsdienstleistungen in Tab. 2 dargestellt. Eigenschaft

Beschreibung

Beispiel(e)

Immaterialität

Die Dienstleistung ist immateriell und nicht greifbar. Die Informationsdienstleistung als solche ist ebenfalls immateriell und nicht greifbar.

Auskunfts- und Informationsdienst

Intangibilität

Die Qualität von Dienstleistungen kann vor ihrer Erbringung, d.h. vor der Inanspruchnahme, nur begrenzt sinnlich wahrgenommen werden. Die Qualität von Informationsdienstleistungen kann vor ihrer Inanspruchnahme ebenfalls nur begrenzt sinnlich wahrgenommen werden.

Aktualität eines Webkataloges; Wert einer in Auftrag gegebenen Recherche

31 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 86; Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2006, S. 181. 32 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 29; Meffert, Bruhn 2009, S. 40.

Implikationen des Marketings

Eigenschaft

Beschreibung

Unteilbarkeit

Produktion und Konsumption der Dienstleistung erfolgen simultan; eine Weitergabe der Dienstleistung an Dritte ist daher unmöglich. Produktion und Konsumption der Informationsdienstleistung erfolgen ebenfalls simultan; eine Weitergabe der Informationsdienstleistung als solche ist daher nicht möglich, wohl aber die Weitergabe des Ergebnisses der Informationsdienstleistung.

Vergänglichkeit / Lagerfähigkeit

Die Gleichzeitigkeit von Herstellung und Gebrauch hat zur Folge, dass Dienstleistungen nicht lagerfähig sind. Die Informationsdienstleistung als solche ist nicht lagerfähig, die Ergebnisse / Produkte von Informationsdienstleistungen sind dagegen in nennenswerten Umfang lagerfähig und transportierbar.

Standortgebundenheit / Standortungebundenheit

Eine Dienstleistung kann nicht transportiert werden, sondern muss am Ort des Dienstleistungsanbieters oder des Kunden erstellt werden. Die Ergebnisse / Produkte der Informationsdienstleistungen können transportiert werden oder dezentral abgerufen werden.

Individualität / Standardisierung

Dienstleistungen werden für den Kunden jeweils neu erstellt, sodass Leistungsumfang und Qualität unterschiedlich sein können. Informationsdienstleistungen können für den Kunden im Auftrag (reaktiv) jeweils neu erstellt, aber auch proaktiv (ohne konkreten Auftrag) und standardisiert erzeugt werden. Leistungsumfang und Qualität variieren mit steigender Individualität.

Integration des externen Faktors

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Beispiel(e)

Datenbankrecherche und die aufbereitete Recherche für den Kunden, die der Kunde an andere weitergeben kann.

Informationsdienstleistung: Bestandsaufbau; Ergebnis / Produkt: Medienbestand, Sammlungen

Dokumentenlieferdienst als Informationsdienstleistung; Kopien bzw. netzbasierte Dokumente als Ergebnis / Produkt

Referateorgane, Profildienste, personalisierte Pushdienste, Auftragsrecherchen

Damit eine Dienstleistung erbracht werden kann, muss ein direkter Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager hergestellt werden: Die Leistungserstellung bedarf der Beteiligung des Kunden. Je personalisierter die Informationsdienstleistung, Interview als Basis für desto stärker muss der Kontakt zwischen Anbieter eine Auftragsrecherche und Nachfrager sein.

Tab. 2: Charakteristika von Dienstleistungen und Informationsdienstleistungen (in Anlehnung an Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf)³³

33 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2006, S. 178; dies. 2011, S. 216 f.

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Die Merkmale von Dienstleistungen lassen sich weitgehend jedoch nicht vollständig auf Bibliotheksangebote unter Berücksichtigung der spezifischen Leistungstypen anwenden. Der Auskunfts- und Informationsdienst ist als reine Informationsdienstleistung immateriell, nicht greifbar und nicht lagerfähig, da nicht nachgefragte Auskunftszeit nicht aufgeschoben bzw. gehortet werden kann, um sie später zu verwenden.³⁴ Damit ist der Auskunfts- und Informationsdienst auch standortgebunden. Zudem ist die Leistungserstellung stets individuell auf den Informationsbedarf des Kunden ausgerichtet und damit nur bedingt standardisierbar. Ebenso verhält es sich mit allen Dienstleistungen, die sich der aktiven Vermittlung von Information widmen, wie z.B. Konzepte von Teaching Library, Rechercheleistungen etc. Anders hingegen ist es bei Dienstleistungen der Basisfunktionen Sammeln, Ordnen / Erschließen und Benutzen. Wiederkehrende Auftragsrecherchen, Bibliothekskataloge, Bibliografien oder Literaturzusammenstellungen können auch proaktiv, standardisiert und ohne aktive Interaktion mit den Kunden erbracht werden.³⁵ Medienbestände und der Zugang zu Netzpublikationen sind Kerndienstleistungen von Bibliotheken. Sie gehören hinsichtlich der leistungstypologischen Einordnung zum Leistungstyp II (siehe Abschnitt 2.1, dort insbesondere Abb. 1), da sich das Leistungsangebot im Ergebnis als Medienangebot darstellt, dieses jedoch nicht ohne die Dienstleistung Bestandsmanagement realisiert werden könnte. Anders als bei Sachleistungen, wird hier kein neues Produkt hergestellt, sondern die Leistung der Bibliothek liegt in der Zusammenstellung von Medien, die von anderer Seite produziert wurden. Die Merkmale von Dienstleistungen sind hier deshalb weitgehend anwendbar, da Medienbestände und der Zugang zu Netzpublikationen die Dienstleistung Bestandsmanagement voraussetzen, indem sie systematisch nach definierten Selektionskriterien aufgebaut bzw. nach Deselektionskriterien gepflegt werden und damit für Kunden eine Filterfunktion angesichts der steigenden Informationsmenge darstellen. Die Entwicklung von Bestandskonzepten bzw. Erwerbungsprofilen ist an sich immateriell und für den Kunden im Sammlungskonzept auch nur begrenzt wahrnehmbar (Intangibilität). In der Kundenorientierung beim Aufbau von Medienbeständen, insbesondere bei Öffentlichen Bibliotheken, spielt die Integration des externen Faktors eine entscheidende Rolle, um ein bedarfsgerechtes Angebot machen zu können. Auch wenn der Kunde dabei nicht unmittelbar beteiligt ist, so dürfte ein vollkommen standardisiertes Medienangebot, das die Gegebenheiten vor Ort und den Kundenbedarf nicht mitberücksichtigt, für die meisten Bibliotheken undenkbar sein. Insgesamt ist das Medienangebot zwar standortgebunden, durchaus aber lagerfähig, während Netzpublikationen zwar auch wesentliche Merkmale von Dienstleistungen

34 Vgl. Hobohm 2006, Abschnitt 3.4.2. 35 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 216 f.

Implikationen des Marketings

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erfüllen, jedoch standortunabhängig sind, indem sie dezentral abgerufen werden können.³⁶ Die Merkmale von Dienstleistungen prägen sich durch die Breite des Produktund Dienstleistungsportfolios von Bibliotheken besonders stark aus und müssen bei der Vermarktung in allen Phasen des Marketingmanagement-Prozesses berücksichtigt werden.

2.4 Besonderheiten von Informationsdienstleistungen Informationsdienstleistungen nehmen im Dienstleistungskanon eine Sonderrolle ein. Bei der Einordnung von Bibliotheksangeboten in das Dienstleistungsmarketing müssen deshalb insbesondere Besonderheiten berücksichtigt werden, die aus dem spezifischen Charakter von Informationsdienstleistungen resultieren. Dabei wird bereits die Abgrenzung von Dienstleistungen und Information in der Literatur kontrovers diskutiert, da Input, Output und Prozess der Informationsdienstleistung jeweils auf Information beruhen, die Informationsdienstleistung selbst jedoch keine Tätigkeit an sich darstellt.³⁷ Information ist darüber hinaus immer an ein Medium gebunden: Sei es im zwischenmenschlichen Kontakt an die primären Medien von gesprochener Sprache, Mimik und Gestik, über sekundäre Medien, wie Bücher oder Zeitschriften, oder an tertiäre Medien, die eine Übertragungstechnik für den Empfang und die Speicherung von Information benötigen, wie bspw. das Telefon, CDs oder CD-ROMs. Beruht die Informationsübermittlung und -speicherung auf Informationstechnologie der Telekommunikation  – wie z.B. dem Internet  –, handelt es sich um quartäre Medien.³⁸ Informationsdienstleistungen zeigen damit einen dualen Charakter, der einerseits aus dem Inhalt der Information an sich und anderseits aus dem Übertragungs- bzw. Speichermedium besteht.³⁹ Vor allem im Zuge der Entwicklung von Informationstechnologie und wachsender Medienkonvergenz verliert Information zunehmend die Zuweisung zu einem einzelnen Medium und kann über verschiedene Medien nahezu identisch verbreitet werden.⁴⁰ Aus dem dualen Charakter von Information ergibt sich für die Vermarktung die Notwendigkeit, Information sowohl auf der inhaltlichen Ebene als auch auf der medialen Ebene zu vermarkten. Das Phänomen von steigender Medienkonvergenz muss insofern Berücksichtigung finden, indem der spezifische Mehrwert des Mediums im Marketing herausgestellt wird.

36 37 38 39 40

Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 216. Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 34; Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 217. Siehe den Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. Ebd. Ebd.

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Steigende Medienkonvergenz beschleunigt aber auch den Prozess, Information in identischer Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten (First-Copy-Cost-Effekt). Dabei wird Information – im Gegensatz zu konsumtiven Gütern – an sich weder verbraucht noch verliert sie an Wert, wenn sie mehrfach oder gleichzeitig mehrfach oder auch nicht genutzt wird.⁴¹ Eine Konsumrivalität und Nutzenkonkurrenz zwischen verschiedenen Nutzern von Information stellt sich nicht unmittelbar ein. Nachteile entstehen für Nutzer vor allem dadurch, schlecht oder überhaupt nicht informiert zu sein. Vorteile werden vor allem durch die Exklusivität von Information und den damit verbundenen Informationsvorsprung gewonnen. Dahin gehend wird Information – zumindest in der Phase der Verbreitung – als öffentliches Gut bezeichnet, das prinzipiell jedem zur Verfügung stehen kann. Die Exklusivität der Information kann nur durch den Ausschluss über rechtliche Beschränkungen (z.B. Urheberrecht, Lizenzrecht) oder über Geheimhaltungspflichten erreicht werden.⁴² In diesem Zusammenhang unterscheidet man Information in Systeminformation, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich ist, z.B. das Wissen einer Forschungsgruppe, marktliche Information, die gegen Entgelte zur Verfügung gestellt wird, sowie frei zugängliche, sogenannte öffentliche Information.⁴³ Die Vermarktung von Information in Bibliotheken bezieht sich dabei weitgehend auf marktliche und öffentliche Information; im Rahmen von Crowdsourcing- und Schwarmintelligenzkonzepten gewinnt aber auch die freie Verfügbarkeit von Systeminformation an Relevanz und stellt das Marketing von Bibliotheken mit diesem Angebot vor neue Herausforderungen. Das wirtschaftswissenschaftliche Paradigma, dass Leistungen nur dann marktfähig sind, wenn sie knapp sind, muss für Informationsdienstleistungen relativiert werden, weil Information omnipräsent und weitgehend im Überfluss vorhanden ist. Knappheit entsteht bei Information so nicht auf der Angebots-, sondern auf der Nachfrageseite und findet seine Beschränkung sowohl in den kognitiven Fähigkeiten der Informationsaufnahme und -verarbeitung der Rezipienten als auch in ihrer Bereitschaft, Information Aufmerksamkeit zu widmen.⁴⁴ Im Marketing werden daher vor allem Anforderungen an die Kommunikationspolitik gestellt, deren Aufgabe es ist, Information so zu bewerben, dass sie wahrgenommen wird (Signaling). Darüber hinaus muss in der Vermarktung von Information beachtet werden, dass zwischen Anbietern von Information und Nachfragern eine ungleiche Informationsverteilung vorliegt. Da Information immateriell ist und einen hohen Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften aufweist, erschließen sich der Wert und die Qualität der angebotenen Information für den Nachfrager nicht unmittelbar, sondern

41 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 217. Siehe auch Abschnitt 1.3 im Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. 42 Vgl. den Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. 43 Ebd. 44 Ebd.

Implikationen des Marketings

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können – wenn überhaupt – nur erst ex post beurteilt werden, nämlich dann, wenn die Information begutachtet und auch verstanden werden konnte. Den Informationsanbieter stellt dies vor die Herausforderung, diese Informationsasymmetrie auszugleichen und Wert, Qualität und Nutzen der Information für den Kunden glaubwürdig darzustellen, sofern er die Information nicht vor Verkauf preisgeben will.⁴⁵ Aus der ungleichen Informationsverteilung resultiert für den Informationssuchenden ein hoher Informationsbeschaffungsaufwand, um Information bewerten zu können. Dabei tritt „die Besonderheit auf, dass die Beschaffung weiterer Informationen über ein Informationsgut gleichzusetzen ist mit der sukzessiven Beschaffung des Guts selbst. Je intensiver man sich also über ein spezielles Informationsgut informiert, um so mehr erfährt man über den Inhalt.“⁴⁶ Dieses Phänomen wird als Informationsparadoxon bezeichnet. Zudem gehört das Informationsgut zu den sogenannten Netzwerkgütern, bei denen sich der Nutzen nicht nur durch den Wert des Inhalts und des Mediums ergibt, sondern sich ein Zusatznutzen dadurch einstellt, dass das Gut auch von anderen genutzt werden kann bzw. der Zusatznutzen mit der Zahl der Nutzer, die es verwenden, steigt. Diese sogenannten direkten Netzwerkeffekte sind für Bibliotheken insofern relevant, weil strategische Entscheidungen zur Einführung von neuen Medienformaten auch davon abhängen, wie sich diese am Markt durchsetzen. So hängen die Einführung und das Angebot von E-Books in Bibliotheken nicht zuletzt davon ab, welches Format sich bei E-Books in den jeweiligen Netzwerken durchsetzen wird. Schon jetzt zeigt sich, dass E-Books in einem wissenschaftlichen Kontext vor allem im PDF-Format publiziert werden, weshalb wissenschaftliche Bibliotheken weitgehend E-Books im PDF-Format anbieten, während belletristische und populäre Sachliteratur vor allem im EPUB-Format angeboten werden und dieses Format von Öffentlichen Bibliotheken favorisiert wird. Indirekte Netzwerkeffekte lassen sich bei Informationsdienstleistungen darüber hinaus im Marketing dadurch erzielen, dass Verbundeffekte realisiert werden, indem Zusatzleistungen angeboten werden, die die Primärleistung der Information ergänzen und dadurch die Nutzung im Netzwerk verstärken bzw. zu einer Ausweitung des Netzwerkes führen. Für Bibliotheken heißt das, dass sich nicht nur E-Books in ihrem Angebotsportfolio befinden sollten, sondern auch die entsprechenden mobilen Lesegeräte.

45 Ebd. 46 Linde 2012, S. 115.

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2.5 Dienstleistungsmarketing Im Gegensatz zum Produktmarketing berücksichtigt das Dienstleistungsmarketing die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen bei der Vermarktung. Dienstleistungsmarketing wird definiert als umfassende Konzeption des Planens und Handelns, bei der  – ausgehend von systematisch gewonnen Informationen  – alle Aktivitäten des Dienstleistungsbetriebes konsequent auf die gegenwärtigen und zukünftigen Erfordernisse der relevanten Märkte ausgerichtet werden, in dem Bestreben, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen und gleichzeitig die betrieblichen Ziele zu erreichen.⁴⁷

Der Dienstleistungssektor ist insgesamt breit aufgestellt, weshalb allgemeingültige Aussagen auf die spezifischen Dienstleistungsbranchen hin reflektiert und in ihrer Übertragbarkeit überprüft werden müssen.⁴⁸ Bei der Vermarktung von Bibliotheken und ihrem Angebotsportfolio müssen neben der Tatsache, dass sie Non-Profit-Einrichtungen sind (siehe Abschnitt 1), auch die informationsökonomischen Besonderheiten von Informationsdienstleistungen berücksichtigt werden (siehe Abschnitt 2.4). Die Berücksichtigung dieser Spezifika hat Einfluss auf alle Phasen des Marketingmanagement-Prozesses, wobei die Befriedigung von Kundenbedürfnissen in der o.g. Definition besonders herausgestellt wird. Der augenfällige Unterschied zwischen Produkt- und Dienstleistungsmarketing ist, dass die Marketinginstrumente im operativen Marketing um weitere Politiken ergänzt werden, um den Eigenschaften von Dienstleistungen Rechnung zu tragen. So können die klassischen „vier Ps“ der Produktpolitik (Product), der Preispolitik (Price), der Kommunikationspolitik (Promotion) und der Distributionspolitik (Place) des Marketing-Mixes mindestens noch um die Personalpolitik (People), die Dienstleistungspolitik (Process) und die Ausstattungspolitik erweitert werden. Eine Ausweitung des Marketing-Mixes auf bis zu neun Ps wird in der Literatur kontrovers diskutiert.⁴⁹ Da sich Marketing auf die Gestaltung der Austauschbeziehungen zwischen Unternehmen und Kunden bezieht und damit prinzipiell einen externen, auf den Markt gerichteten Fokus aufweist, kommen Meffert und Bruhn zu der Erkenntnis, dass die Dienstleistungserstellungspolitik (Process) als internes Managementinstrument aus dem Marketing auszuschließen ist, die Personalpolitik hingegen als Marketinginstrument berücksichtigt werden sollte, sofern sie die Gestaltung von Kundenbeziehungen betrifft.⁵⁰ Bruhn verweist darauf, dass Mitarbeiter eine zentrale Funktion im Leistungserstellungsprozess mit dem Kunden haben (Integration des externen Faktors)

47 48 49 50

Haller 2005, S. 101. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 4. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 22; Meffert, Bruhn 2009, S. 243. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 244, 246.

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und die Mitarbeiterkommunikation für den Unternehmenserfolg bedeutsam ist. Er ordnet die Personalpolitik deshalb in dieser externen Perspektive der Kommunikationspolitik zu.⁵¹ Für die Vermarktung von Bibliotheken und ihrem Angebotsportfolio wird sich deshalb der Argumentation in diesem Beitrag angeschlossen und die kundenbezogenen Aspekte werden innerhalb der Kommunikationspolitik berücksichtigt. Die „klassischen Marketinginstrumente“ sollten darüber hinaus um die Ausstattungspolitik ergänzt werden, da Bibliotheksdienstleistungen nicht nur vor Ort in Anspruch genommen werden können, sondern auch der Standort sowie die Aufenthaltsqualität und die Funktion der Bibliothek als öffentlicher, kultureller und / oder Lernort für die Profilierung relevant ist. Anhand der besonderen Merkmale von Dienstleistungen und der informationsökonomischen Besonderheiten von Informationsdienstleistungen wird im Folgenden dargestellt, was im Marketingmanagement unter den Aspekten des Dienstleistungsmarketings zu berücksichtigen sind.

2.5.1 Integration des externen Faktors: Kundenorientierung, -zufriedenheit und -bindung Dienstleistungen werden im direkten oder indirekten Kontakt mit den Kunden erstellt. Durch die hohe Veränderungsdynamik und Individualisierung der postmodernen Gesellschaft⁵² kommt sowohl der Kundenorientierung als auch der Herstellung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung eine hohe Bedeutung zu.⁵³ Dies bezieht sich auf alle Phasen des Marketingmanagement-Prozesses. In der Marktanalyse geht es um die dezidierte Erforschung der Zielgruppen und ihrer Disposition in Werthaltungen, Einstellungen und Präferenzen sowie ihrer sozioökonomischen und -demografischen Bedingungen. In Bibliotheken sind Befragungen ein probates Mittel, die Qualität von Bibliotheksdienstleistungen zu messen bzw. die Ansprüche der verschiedenen Zielgruppen zu evaluieren.⁵⁴ Plassmann, Rösch, Seefeldt und Umlauf verweisen darauf, dass Indikatoren aus der ISO-Norm 11620⁵⁵ sowie aus der IFLA-Publikation „Measuring Quality“ von Roswitha Poll und Peter te Boeckhorst⁵⁶ eine wichtige Grundlage dafür sind, die Kundenzufriedenheit und -bindung bei Bibliotheksdienstleistungen zu bewerten.⁵⁷ Zur Bewertung der Dienstleistungsqualität eignen sich u.a. das branchenunabhängige GAP-Modell der

51 52 53 54 55 56 57

Vgl. Bruhn 2005, S. 384. Siehe den Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 4, 40 – 42. Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. Library Performance Indicators. Vgl. Poll, te Boeckhorst 2007. Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 191.

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Dienstleistungsqualität von Zeithaml, Parasuraman und Berry sowie das Messinstrument SERVQUAL.⁵⁸ Eine hohe Relevanz für Bibliotheken hat dahin gehend auch ein systematisches Database Marketing und User Profiling, in dem unter strategischem Anspruch sukzessive Bestands- und Nutzungsdaten ausgewertet und für die Profilierung von Bibliotheken genutzt werden. Die Durchführung von Nicht-NutzerBefragungen ist durch den notwendig hohen Ressourceneinsatz für Öffentliche Bibliotheken nur in Ausnahmefällen repräsentativ realisierbar und in der deutschen Bibliothekslandschaft bisher relativ selten. Insgesamt stehen Bibliotheken keine exorbitanten Marketingbudgets zur Verfügung, um Marktforschung im großen Stil zu betreiben und umfangreiche, z.B. Milieustudien durchführen zu können.⁵⁹ Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass Bibliotheken hier in verstärktem Maße darauf setzen, Sekundärstudien zu nutzen und Markt- und Verbraucherstudien im Hinblick auf die spezifischen Bedingungen der Bibliothek vor Ort auswerten. Zu nennen sind hier z.B. die „Typologie der Wünsche“ des Instituts für Medien- und Konsumentenforschung⁶⁰, die ARD / ZDF-Online-Studien⁶¹, die SINUS-Studie U27⁶² sowie weitere Studien, die kostenfrei von Instituten, Verbänden und / oder Vereinigungen zur Verfügung gestellt werden, wie z.B. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Insgesamt muss die Marktsegmentierung nach Zielgruppen dabei auf der Grundlage ausreichender Kenntnisse von Primär- und Sekundärdaten der Zielgruppen erfolgen. Eine Zielgruppensegmentierung auf der reinen Grundlage von soziografischen bzw. sozioökonomischen Merkmalen ist nicht mehr ausreichend.⁶³ Im Dienstleistungsmarketing geht der Trend deutlich zum Konzept des „Segment of one“. Dies bedeutet, dass im Dienstleistungssektor mitunter eine so kleinteilige Marktsegmentierung vorgenommen wird, dass die Zielgruppe nur noch aus einer Person besteht, der ein auf den individuellen Bedarf zugeschnittenes Angebot offeriert wird.⁶⁴ Der Heterogenität von Zielgruppen und ihrer sehr spezifischen Bedarfe ist auch im strategischen Marketing Rechnung zu tragen. Der Zielkanon von Bibliotheken ist um Kundenzufriedenheits- und Kundenbindungsziele zu ergänzen. Dies ist auch deshalb relevant, weil die Kundenloyalität infolge von Individualisierungstendenzen stetig sinkt und es immer schwieriger wird, Kunden langfristig an ein Unternehmen oder bestimmte Güter zu binden.⁶⁵ Da Zielgruppen nicht über das Gesamtangebot der Bibliothek erreicht werden, sind für die avisierten Zielgruppen strategische Geschäftsfelder zu entwickeln, um für den entsprechenden Bedarf dezidierte Angebote unterbrei-

58 59 60 61 62 63 64 65

Vgl. den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch. Siehe den Beitrag „Marksegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. Vgl. www.imuk.de (Abruf: 05.05.2012). Vgl. www.ard-zdf-onlinestudie.de (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Wippermann, Calmbach 2008. Vgl. Motzko 2008; Schade 2011. Vgl. Lüttgemann, Hillinger, Tollman, Rehder 2009. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 9, 142 f.

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ten zu können. Somit sind ökonomische und psychografische Marketingziele sowohl auf die Zielgruppen als auch auf strategische Geschäftsfelder bezogen darzustellen. In bibliothekarischen Positionspapieren, wie bspw. „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“ werden Aussagen zur Erreichung von Zielgruppen bisher sehr global formuliert, indem allgemein festgestellt wird, dass die Bibliothek jährlich mindestens 3.000 physische Besuche je 1.000 Einwohner erzielen sollte.⁶⁶ Dies kann zwar eine generelle Aussage zum Erfolg der Bibliothek sein, die Zielerreichung einer zielgruppenspezifischen Profilierung des Bibliotheksangebots und seiner weiteren Vermarktung im Marketing-Mix kann damit aber nicht ausreichend abgebildet werden. Im operativen Marketing-Mix ist die Disposition der Zielgruppen – möglichst in ihrer Milieuverortung – in der Dienstleistungs-, Preis-, Distributions-, Ausstattungssowie in der Kommunikationspolitik zu berücksichtigen, da soziale Milieus selbstreflexiv sind und sich durch Distinktion und Abgrenzung konstituieren.⁶⁷ Werthaltungen, Einstellungen, Präferenzen sowie ökonomische und zeitliche Ressourcen sollten daher im Marketing-Mix berücksichtigt und die Austauschbeziehungen entsprechend gestaltet werden. Um ein Beispiel zu geben: Für die Dienstleistungspolitik bedeutet dies, dass ein Kunde aus dem hedonistischen Milieu bspw. nicht nur erwartet, dass er die Zeitschriften „Playboy“ und „Praline“ im Zeitschriftenbestand findet, sondern auch, dass er sich daran stört, wenn er dort die Zeitschriften „Arte“ und „Neue Welt“ vorfindet. Da Distinktions- und Abgrenzungsstrategien auch über Sprache transportiert werden, sind Milieukenntnisse auch in der Kommunikationspolitik relevant. Besonders drastisch stellt sich dies in der Ausstattungspolitik dar. Ebenso wie Mode eignet sich die Möblierung besonders als Chiffre, den persönlichen Lebensstil zu demonstrieren und sich damit gezielt Milieus zuzuordnen bzw. von bestimmten Milieus abzugrenzen. Im Umkehrschluss ist es für Bibliotheken deshalb bedeutsam, nicht nur für eine anregende Aufenthaltsqualität in Einrichtung und Ausstattung generell zu sorgen, sondern auch zu reflektieren, welche Zielgruppen damit angesprochen bzw. abgeschreckt werden. Denn während sich das Traditionelle Milieu in „Eiche rustikal“ wohlfühlen dürfte, wirkt das auf das junge, expeditive Milieu doch eher abschreckend. Darüber hinaus hat auch die Integration des Kunden durch Internalisierung bzw. Externalisierung Gewicht. Von Internalisierung spricht man, wenn die Bibliothek Aktivitäten wahrnimmt, die bisher von Kunden selbstständig wahrgenommen wurden, bspw. wenn Bibliotheksmitarbeiter Medien für bestimmte Bedarfe zusammenstellen, wie dies etwa bei Medienkisten der Fall ist. Dies stellt in der Servicequalität einen Mehrwert für den Kunden dar, der sich positiv auf die Kundenbindung auswirken wird. Die Externalisierung von Dienstleistungen kommt dann zum Tragen, wenn der Kunde verstärkt in den Leistungserstellungsprozess mit einbezogen wird

66 Vgl. BID 2008, S. 5. 67 Vgl. Schade 2011.

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und sich dadurch in seinen Ansprüchen ernst genommen fühlt. So können Benutzer bspw. über Patron-driven Acquisitions (PDA)⁶⁸ oder über Wunschkarten am Bestandsaufbau mitwirken oder über ein leistungsfähiges Beschwerde- bzw. Feedbackmanagement die Chance erhalten, aktiv an der Optimierung von Bibliotheksprozessen mitzuwirken.⁶⁹ Wesentlich für die Kommunikation mit Kunden sind jedoch vor allem die Mitarbeiter der Bibliothek, denen im Dienstleistungsmarketing eine zunehmend hohe Bedeutung beigemessen werden muss und die in Zielentwicklung mit einbezogen werden müssen.⁷⁰ Durch den direkten Mitarbeiter-Kunden-Kontakt und aufgrund der Immaterialität von Dienstleistungen steht die wahrgenommene Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit in unmittelbarem Zusammenhang zu den Mitarbeitern.⁷¹ Mitarbeiter werden dabei häufig als Surrogat der Dienstleistung empfunden:⁷² Qualifikation, Persönlichkeit, aber auch soziale Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit sind relevant für die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, denn die Mitarbeiter der Bibliothek sind die wichtigsten Markenbotschafter. Für Bibliotheken kommt es dabei z.B. nicht nur darauf an, wie gut eine Informationsfrage verstanden, recherchiert und Informationen und Medien von Mitarbeitern angeboten sowie aufbereitet werden können, sondern auch darauf, wie zuvorkommend sich der Kunde bedient fühlt. Dabei unterstützen personalpolitische Entscheidungen, u.a. auch im Rahmen von Diversity-Konzepten⁷³ oder Schulungen zum Umgang mit Kunden, die zielgruppenspezifische Kundenkommunikation. Eine hohe Kundenzufriedenheit und -bindung kann auch durch eine gute interne Kommunikation erreicht werden. Dazu ist es erforderlich, alle Mitarbeiter mit den notwendigen Informationen zuverlässig auf dem neusten Stand zu versorgen. Vor allem aber trägt zur Kundenzufriedenheit und -bindung die intrinsische Motivation der Mitarbeiter bei, die durch eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit erreicht und durch Anreiz- und Belohnungssysteme unterstützt werden kann.⁷⁴

68 Patron-driven Acquisitions ist ein alternatives Erwerbungsmodell, das Bibliothekskunden die Möglichkeit gibt, Netzpublikationen, die im Bibliothekskatalog ausgewiesen, aber nicht im Bibliotheksbestand sind, per Mausklick für die Bibliothek zu kaufen bzw. zu mieten. 69 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch. 70 Vgl. Bruhn 2005, S. 384; Meffert, Bruhn 2009, S. 358. 71 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 144 f., 358. 72 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 468. 73 Vgl. Kaiser 2008. 74 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 360, 363; Vogt 2004.

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2.5.2 Standortgebundenheit und die eingeschränkte Transportfähigkeit von Dienstleistungen Die Standortgebundenheit sowie die eingeschränkte Transportfähigkeit von Bibliotheksdienstleistungen, insbesondere bei körperlichen Medien und Informationsdienstleistungen, die vor Ort erbracht werden, stellen im Marketing Anforderungen an die Erfüllung des raumzeitlichen Präsenzkriteriums.⁷⁵ Dies bedeutet, dass Angebote für Kunden räumlich und zeitlich komfortabel erreichbar sein müssen. Der Aufwand muss dabei aus Kundensicht in einem günstigen Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen. Dies stellt im strategischen Marketing Anforderungen an die Wahl des Standortes an sich,⁷⁶ aber auch an den Aufbau des Zweigstellennetzes unter der Berücksichtigung von Reichweiten und infrastrukturellen Voraussetzungen, wie z.B. die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr, die Verfügbarkeit von Parkplätzen oder die Anbindung an den örtlichen Einzelhandel. Insgesamt werden die Eigenschaften Standortgebundenheit und eingeschränkte Transportfähigkeit darüber hinaus vor allem in der Distributions- und in der Ausstattungspolitik bearbeitet. Die Öffnungszeiten müssen so auf die Zielgruppen abgestimmt werden, dass diese den Bibliotheksbesuch auch zeitlich in ihren Alltag „eintakten“ können. Durch den demografischen Wandel und den Anstieg bei älteren Bürgern sowie die durch Zeitknappheit und Bequemlichkeit verursachten Trends von „Delivery Services“ und „Online Shopping“⁷⁷ gewinnt darüber hinaus die indirekte Distribution über aufsuchende Bibliotheksarbeit oder das Angebot von Lieferdiensten an Relevanz. Bei klassischen Lieferdiensten wie Document Delivery, Fernleihe oder dem internen Leihverkehr geht es dabei darum, Lieferfristen zu optimieren bzw. eine hohe Lieferzuverlässigkeit sicherzustellen.⁷⁸ Weitere Lieferdienste werden oftmals aus dem eigenen Leistungsspektrum der Bibliothek oder durch die Einbeziehung ehrenamtlichen Engagements realisiert.⁷⁹ Die Möglichkeit der indirekten Distribution über kommerzielle Absatzvermittler ist von Bibliotheken bisher bei Weitem nicht ausgeschöpft, gewinnt aber zunehmend an Relevanz, da Lieferdienste, die im Zusammenspiel mit der Kerndienstleistung des Medienangebotes angeboten werden, nicht nur die Chance bieten, die Kundenbindung und die Nutzung des Medienangebots zu erhöhen, sondern im Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern auch zunehmend von Kunden erwartet werden.

75 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 353. 76 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 255. Siehe auch den Beitrag „Standortmarketing“ von Umlauf in diesem Handbuch. 77 Vgl. Lüttgemann, Hillinger, Tollmann, Rehder 2009, S. 134. 78 Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 562. 79 Siehe den Beitrag „Corporate Social Responsibility“ von Keite in diesem Handbuch.

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Die zunehmende Digitalisierung von Informationsangeboten und das Angebot von Portalen und Web-2.0-Anwendungen flexibilisieren zwar die Möglichkeiten der Erreichbarkeit von Bibliotheksangeboten, sie rücken als „Gegentrend“ aber auch die Funktion und atmosphärische Qualität der Bibliothek als Ort an sich − als Raum für soziale Begegnung und / oder kulturellen Treffpunkt oder als Lernort mit seiner Service- und Aufenthaltsqualität − in den Fokus. Die Ausstattungspolitik bezieht sich auf die Gestaltung der Service- und Aufenthaltsqualität am Point of Sale. Unternehmen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich  – wie etwa Buchhandlungen  – setzen hier hohe Standards und nutzen Erkenntnisse aus der Konsumentenforschung⁸⁰ sowie Konzepte aus dem Einzelhandelsmarketing. Letzteres hat zum Ziel, den „Einkauf“ als angenehme, erlebnisreiche und inspirierende Erfahrung zu inszenieren und Kunden zum Eintreten, Verweilen und Wiederkommen zu animieren. Quantitativ zielt Einzelhandelsmarketing auf eine höhere Marktdurchdringung und Steigerung des Umsatzes im Einzelhandel ab, qualitativ auf eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit und -bindung.⁸¹ Dabei bezieht es sich auf die Gestaltung zur leichten und übersichtlichen Orientierung im Raum, auf die atmosphärische Qualität und die „Convenience“ sowie auf die Präsentation der Angebote, wobei dazu u.a. affektive⁸², intensive⁸³ und kollative⁸⁴ Stimuli genutzt werden, wie Farben, Bilder, überraschende Präsentationen, Gerüche etc.⁸⁵ In deutschen Bibliotheken findet die konzeptuell fundierte und stringente Anwendung von Erkenntnissen aus dem Einzelhandelsmarketing bisher selten Anwendung und kommt über die Frontalpräsentation, wenige Büchertische sowie zögerliche Ansätze von Dekoration kaum hinaus. Sie erscheint in der Dimension einer subtilen Beeinflussung des Konsumverhaltens in der letzten Konsequenz für öffentlich finanzierte Einrichtungen natürlich auch fragwürdig. Dennoch werden hier vom Einzelhandel Standards gesetzt, die auch von den Kunden der Bibliotheken erwartet werden und Bibliotheken Anregungen geben können.⁸⁶

2.5.3 Immaterialität und Informationsasymmetrien Da Bibliotheksdienstleistungen immateriell sind und hohe Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften aufweisen, ist die Information über das Angebot zwischen Anbie-

80 Vgl. Kroeber-Riel, Weinberg, Gröppel-Klein 2009. 81 Vgl. Gröppel-Klein 2009, S. 317 f. 82 Z.B. positive und negative Schlüsselreize. 83 Z.B. Lautstärke, Helligkeit, Farben. 84 Z.B. Überraschungen am Point of Sale. 85 Vgl. Gröppel-Klein 2009, S. 327. 86 Siehe auch den Beitrag „Einzelhandelsmarketing“ von Kunst und van Woerkom in diesem Handbuch.

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tern und Nachfragern ungleich verteilt; Brauchbarkeit und Nutzen erschließen sich für den Kunden nicht unmittelbar und können demnach kaum von Kunden eingeschätzt werden. Diese Informationsasymmetrie muss durch das Marketing ausgeglichen werden. Die Angebotsqualität muss dabei nicht nur hergestellt werden, sondern sie muss auch ausreichend dokumentiert und kommuniziert werden (Signaling). So bekommt Qualität im Dienstleistungsmarketing eine besondere Bedeutung: Die Sicherung einer überlegenen Dienstleistungsqualität durch eine konsequente Erfüllung der Kundenanforderungen anhand der angebotenen Leistung ist somit die zentrale Forderung an ein erfolgreiches Qualitätsmanagement für Dienstleistungen und stellt zwingend eine Aufgabe aller am Wertschöpfungsprozess beteiligten Mitarbeitenden dar.⁸⁷

Die von dem Kunden empfundene subjektive Dienstleistungsqualität hat dabei Priorität. Da sie sich weitgehend auf die subjektive Einschätzung des Kunden bezieht. Die empfundene Qualität muss also nicht zwangsläufig übereinstimmen mit der tatsächlichen Dienstleistungsqualität, die anhand von selbst gesetzten Standards der Bibliothek objektiv messbar und nachweisbar ist.⁸⁸ Dienstleistungsqualität wird deshalb definiert als die Fähigkeit eines Anbieters, Leistungen mit bestimmten Eigenschaften und Merkmalen aufgrund von Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anspruchsniveau zu erstellen.⁸⁹ Dabei bezieht sich die Dienstleistungsqualität auf die Potenzialqualität, die alle Leistungsvoraussetzungen, die zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind, erfasst, auf die Prozessqualität, die sich auf alle Aktivitäten bezieht, die während des Dienstleistungsprozesses stattfinden, sowie auf die Ergebnisqualität, die insgesamt zeigt, ob die Intention des Kunden zur Inanspruchnahme der Leistung tatsächlich erfüllt wurde.⁹⁰ In der Marktanalyse kommt deshalb der Messung der Dienstleistungs-, aber auch der Informationsqualität eine hohe Bedeutung zu. Diese bezieht sich einerseits auf die kundenorientierte, andererseits auf die unternehmensorientierte Messung der Dienstleistungsqualität.⁹¹ Instrumente wie das GAP-Modell⁹², das dynamische Prozessmodell von Boulding, das Beziehungsqualitätsmodell von Liljander und Strandvik sowie der SERVQUALAnsatz⁹³ können zur Messung der Dienstleistungsqualität herangezogen werden. Zur Messung der Informationsqualität eignen sich Modelle und vor allem Frameworks,

87 Meffert, Bruhn 2009, S. 185. 88 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 185; Strauss 1991, S. 12. Siehe auch den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch. 89 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 292. 90 Vgl. Homburg, Krohmer 2006, S. 982. 91 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 195. 92 Vgl. Bruhn 2009, S. 190 – 193. Siehe auch den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch. 93 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 203. Siehe auch den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch.

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wie sie z.B. von Eppler⁹⁴ entwickelt wurden, bisher jedoch kaum im Marketingkontext von Bibliotheken thematisiert wurden. Im strategischen Marketing werden generelle Aussagen zur Dienstleistungsqualität in Marktleistungszielen formuliert, die sich auf die Qualität des Angebots sowie auf die personelle und räumliche Ausstattung beziehen und Standards aus bibliothekarischen Positionspapieren im Kontext der Kulturund Bildungslandschaft mit berücksichtigen können. Informationsasymmetrien können auch durch das Angebot von Value Added Services in der Dienstleistungspolitik relativiert werden. Diese Zusatzleistungen zielen darauf ab, einen Mehrwert zu schaffen, der die Nachfrage erhöht.⁹⁵ Bei Value Added Services geht es nicht darum, neue Kunden bzw. Kundengruppen zu erschließen, sondern die vorhandenen Kundenbeziehungen zu intensivieren und die ungleiche Informationsverteilung auszugleichen.⁹⁶ Value Added Services zur Primärleistung des Medienangebots Öffentlicher Bibliotheken sind z.B. themen- oder zielgruppenbezogene Auswahlverzeichnisse, Vorlesedienste, Medienausstellungen, Handapparate für Schüler oder Lesetipps auf der Website. Sie dokumentieren in gewisser Weise die Leistung der Bibliothek, tragen aber auch maßgeblich zur Erschließung des weiteren Angebots bei. Durch die Entwicklung des Internets und insbesondere durch Web-2.0-Anwendungen entsteht für Bibliotheken darüber hinaus ein Instrumentarium, die ungleiche Informationsverteilung zusätzlich auszugleichen.⁹⁷ Dazu gehört z.B. die Kataloganreicherung, die durch zusätzliche Inhalte (z.B. Cover, Annotationen, Inhaltsverzeichnisse), personalisierte Empfehlungen sowie durch Tagging und die Einbindung des Kataloges in andere Web-Anwendungen (z.B. Social Bookmarking) das Medienangebot der Bibliothek nicht nur besser erschließen, sondern auch zusätzliche Informationen anbieten, um die Qualität des Medienangebotes zu beurteilen.⁹⁸ Über die Anreicherung des Kataloges hinaus sind Web-2.0-Anwendungen interessant, die auf das Angebotsportfolio der Bibliothek an sich rekrutieren, wie RSSFeeds, Mashups und Blogs.⁹⁹ Insbesondere die Möglichkeiten der Interaktivität und Personalisierung digitaler Anwendungen bieten Öffentlichen Bibliotheken Chancen, individualisierte Mehrwerte und Netzwerkeffekte zu generieren, die positive Effekte auf die Nutzung des Medienangebotes haben und die Kundenbindung sowie die Identifikation mit der Bibliothek erhöhen können. Im Hinblick auf die Kompensierung von Informationsasymmetrien bei der Vermarktung von körperlichen Medien und Netzpublikationen kommt der Medienver-

94 Vgl. Eppler 2003. 95 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 461. 96 Ebd. 97 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 276 f. 98 Vgl. Kneifel 2010, S. 40 f. 99 Vgl. Kneifel 2010, S. 40 f. Siehe auch den Beitrag „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch.

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mittlung im Rahmen der Distributionspolitik eine hohe Bedeutung zu, was sich für Bibliotheken derzeit als innovatives Feld darstellt. Insbesondere Portale und digitale Bibliotheken, in denen Bibliotheken als Absatzvermittler ein Konglomerat an Datenbanken, E-Journals und E-Books der verschiedenen Anbieter zusammenstellen, das von Kunden hinsichtlich der zu erwartenden Inhalte und Nutzungsmodalitäten nicht so leicht durchschaut werden kann, müssen ausreichend in ihrer Leistung dokumentiert und über die verschiedenen Kommunikationskanäle kommuniziert und erläutert werden. Dies ist auch deshalb relevant, weil sich durch den Vertrieb im Internet Wertschöpfungsketten dahin gehend verändern, dass Absatzvermittler zunehmend ausgeschaltet werden und Produkte und Dienstleistungen an Kunden direkt vertrieben werden.¹⁰⁰ Neben den vielfältigen Möglichkeiten der Integration von Web-2.0Applikationen in Katalog und Ausleihsystem (vgl. Value Added Services) kann die Vereinfachung der Katalogsuche, die Verknüpfung des Kataloges mit einer virtuellen Standortanzeige z.B. über Smartphones, die einen digitalen Raumplan der Bibliothek zeigt, wo das Medium zu finden ist, einen positiven Effekt auf die Nutzung des Medienbestandes haben.¹⁰¹ Da für Bibliotheksdienstleistungen selbst weitgehend nicht die Möglichkeit der Markierung im Sinne des Markenauftritts besteht, müssen diese im direkten Zusammenhang mit der Bibliotheksmarke in der entsprechenden Markenarchitektur kommuniziert werden.¹⁰² Dabei müssen die Merkmale von Dienstleistungen auch in der Kommunikationspolitik berücksichtigt werden. Es geht hier ebenfalls vor allem darum, Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern auszugleichen, indem zu erwartende Leistungen gut dokumentiert und kommuniziert werden bzw. dazu anzuregen, Angebote tatsächlich in Anspruch zu nehmen.¹⁰³

3 Implikationen des Non-Profit-Marketings Bibliotheken legitimieren sich über ihren öffentlichen Auftrag und verfolgen als öffentliche Einrichtungen vor allem soziale, gesellschaftliche und bedarfswirtschaftliche Ziele, die den öffentlichen Auftrag definieren und operativ umsetzen. Bibliotheken stehen damit zwingend unter den Implikationen des Non-Profit-Marketings. Non-Profit-Marketing wird beschrieben als

100 101 102 103

Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 346. Vgl. Kneifel 2010, S. 46. Vgl. Schade 2010b, Folie 12. Vgl. Meffert, Bruhn, Kirchgeorg 2008, S. 32.

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[…] eine spezifische Denkhaltung. Sie konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Aktivitäten, die durch eine Ausrichtung am Nutzen und den Erwartungen der Anspruchsgruppen […] darauf abzielen, die finanziellen, mitarbeiterbezogenen und insbesondere aufgabenbezogenen Ziele der Non-Profit-Organisation zu erreichen.¹⁰⁴

Das Non-Profit-Marketing hat Auswirkungen auf alle Phasen des Marketingmanagementprozesses und muss bei der Vermarktung der Bibliotheken und ihrem Produktund Dienstleistungsportfolio berücksichtigt werden.

3.1 Öffentlicher Auftrag und Unternehmenszielsetzungen Essenziell im strategischen Marketing von Bibliotheken ist, dass die Unternehmensziele der Bibliothek konkret auf den öffentlichen Auftrag, das Setting der Kultur- und Bildungslandschaft sowie auf die Nachfragestruktur der Bibliothek im kommunalen Kontext bezogen werden müssen. Zielsetzungen, basierend auf Standards bibliothekarischer Planungs- und Positionspapiere, können so nur eine Richtschnur geben und müssen anhand der Profilierung und übergeordneten Zielsetzung der Bibliothek sowie im kommunalen Kontext überprüft bzw. modifiziert werden. Die Zielpluralität von Bibliotheken ist dabei deutlich höher als bei privatwirtschaftlichen Unternehmen und die Wertigkeit von Zielen insofern anders gelagert, da gewinnmaximierende Ziele in Bibliotheken eine untergeordnete Rolle spielen. Rentabilitätszielsetzungen gewinnen hingegen durch die Verwaltungsreform seit Mitte der 1990er Jahre und die dabei eingeführte Kosten- und Leistungsrechnung an Bedeutung. Die Träger erwarten, dass Bibliotheken Eigeneinnahmen erwirtschaften, Ressourcen effizient einsetzen und erbrachte Leistungen plausibel nachweisen. Die hohe Heterogenität und Komplexität von Bibliothekszielsetzungen erschwert ganz maßgeblich die Operationalisierung der Unternehmensstrategie im Marketingmanagement-Prozess. Deshalb müssen die möglichen Zielbeziehungen der Zielkomplementarität und Zielneutralität bzw. mögliche Zielkonflikte bereits im strategischen Marketing definiert werden, um sie bei der weiteren Ableitung von Zielen bewerten zu können. Da soziale, gesellschaftliche und bedarfswirtschaftliche Ziele qualitativer Natur sind, sind sie – im Gegensatz zu Unternehmenszielsetzungen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich − deutlich schwieriger zu quantifizieren. Deshalb ist es notwendig, die qualitativen Zielsetzungen von Bibliotheken quantitativ so mit Kennzahlen zu hinterlegen, dass der Grad der Zielerreichung in einem definierten Zeitraum dargestellt werden kann, um zu gewährleisten, dass Ziele im Marketing-Mix operativ umgesetzt und im Marketingcontrolling evaluiert werden können.

104 Bruhn 2005, S. 63.

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3.2 Öffentlicher Auftrag und Breite des Produkt- und Dienstleistungsportfolios Entsprechend der Breite der Zielsetzungen fällt auch das Produkt- und Dienstleistungsportfolio von Bibliotheken aus. Es reicht von dem Angebot an Printmedien und dem Zugang von Netzpublikationen über bibliografische Dienstleistungen, wie Neuerwerbungslisten und Medienzusammenstellungen für verschiedene Zielgruppen, sowie Veranstaltungsarbeit bis hin zu Programmen zur Leseförderung sowie der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz. Hinsichtlich der dargebotenen Vielseitigkeit ergeben sich daraus im strategischen Marketing hohe Anforderungen an die Markenbildung und -führung der Bibliothek. Hinter Markenkonzepten steht die grundsätzliche Idee der Einfachheit. Marken sollen das Leistungsversprechen des Produktes, der Dienstleistung oder des Unternehmens direkt auf den Punkt bringen, damit es z.B. unmittelbar im Kontakt mit der Marke dechiffriert werden kann. Marken bieten deshalb in ihrer Einfachheit, Plausibilität und angestrebten Einzigartigkeit „Mental Convenience“, die kognitive Entlastung in Entscheidungssituationen. Durch die angestrebte schnelle Dechiffrierbarkeit sollen Marken für die verschiedenen Anspruchsgruppen eine Informations-, Orientierungs- und Vertrauensfunktion erfüllen, die gewährleistet, dass die Marke sofort erkannt, positiv assoziiert und damit nachgefragt wird. „Mental Convenience“ lässt sich bei dem breiten Produkt- und Dienstleistungsportfolio von Bibliotheken jedoch kaum herstellen. Das erklärt auch, warum Bibliotheken in der öffentlichen Wahrnehmung und bei Entscheidungsträgern oft auf das Buch reduziert werden. Es stellt sich damit grundsätzlich die Frage nach der zu wählenden Markenstrategie und -architektur. Die Gestaltungsoptionen bewegen sich dabei von sehr offenen Markenarchitekturen, die Produkte und / oder Dienstleistungen als Einzelmarke führen (House of Brands), bis hin zu geschlossenen Markenarchitekturen, wie sie Dachmarkenkonzepte vorsehen (Branded House).¹⁰⁵ Da Medienbestände oder Netzpublikationen bereits von anderer Seite – z.B. dem Verlag oder dem Datenbankanbieter – mit einem Logo markiert sind und Dienstleistungen wie Veranstaltungen oder Auskunfts- und Beratungsdienst nicht markiert werden können (vgl. Implikationen des Dienstleistungsmarketings), scheidet die Einzelmarkenstrategie weitestgehend aus. Die Markenführung lässt sich plausibel nur über ein Markenarchitekturkonzept realisieren, das die Herkunft von Produkten und Dienstleistungen deutlich macht. Dachmarkenkonzepte lassen sich jedoch nur dann rechtfertigen, wenn Markenkonzeptkonsistenz zwischen den unter der Dachmarke geführten Angeboten besteht. Dies bedeutet, dass möglichst alle im Rahmen der Dachmarke geführten Angebote auf den gleichen oder einen ähnlichen Markenkern rekrutieren und sich so ein Image-

105 Vgl. Burkhardt 2010, S. 2. Siehe auch den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch.

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transfer zwischen den Marken bzw. den Angeboten herstellen lässt. In wissenschaftlichen Bibliotheken ist eine Markenkonzeptkonsistenz dahin gehend gegeben, dass zwischen Bibliothek und übergeordneter Einrichtung enge Bezüge in den Unternehmenszielsetzungen bestehen. Sowohl eine Hochschule als auch eine Hochschulbibliothek verfolgen als primäres Ziel, Forschung und Lehre zu ermöglichen. Die Markenbildung und -führung von Öffentlichen Bibliotheken wird hingegen häufig dadurch erschwert, dass die Träger sie dazu verpflichten, ihren Markenauftritt im Rahmen eines Dachmarkenkonzeptes zu übernehmen. Bei Öffentlichen Bibliotheken ist Markenkonzeptkonsistenz nicht gegeben. Öffentliche Verwaltungen, aber auch weitere Einrichtungen der Kommune, wie Museen, Schulen, Abfallwirtschaft etc., verfolgen weitgehend andere Zielsetzungen als Bibliotheken. Insbesondere Öffentliche Bibliotheken müssen hier auf mehr Eigenständigkeit drängen und Marken in einem schlüssigen und vor allem professionellen Corporate Design realisieren. Aber auch hier ist der Trend festzustellen, dass sich die Bibliotheken mehr und mehr dem Dachmarkenkonzept der Stadt oder Kommune unterordnen müssen. Gegen ein reines Dachmarkenkonzept spricht darüber hinaus, dass Zielgruppen von Bibliotheken nicht bzw. nur selten über das „Gesamtunternehmen“ der Bibliothek erreicht werden, sondern über das spezifische Angebot für verschiedene Zielgruppen in strategischen Geschäftsfeldern, wie der Kinder-, Jugend- oder Musikbibliothek, bzw. über bestimmte Rollen, die die Bibliothek in ihrer Auftragserfüllung wahrnimmt (Informationen zur Alltagsbewältigung, zur Fort- und Weiterbildung). Deshalb ist es für Bibliotheken sinnvoll, ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio in einer Markenarchitektur zu realisieren, die eine differenzierte Markenführung über strategische Geschäftsfelder zulässt, wie das über Subbrands oder Endorsed Brands¹⁰⁶ möglich ist. Bei dem Konzept der Subbrands wird die Dachmarke für strategische Geschäftsfelder variiert, z.B. derart, dass bei einem einheitlichen Corporate Design strategische Geschäftsfelder oder Abteilungen über eine eigene Farbcodierung markiert werden. Endorsed Brands realisieren für strategische Geschäftsfelder einen eigenen Markenauftritt, der aber durch die Herkunft der Dachmarke unterstützt wird.

3.3 Öffentlicher Auftrag und Marktsegmentierung Das Marketing öffentlich finanzierter Einrichtungen unterscheidet sich darüber hinaus in seinen Anspruchsgruppen erheblich von Unternehmen aus der freien Wirtschaft. Vergleichbar mit privatwirtschaftlichen Unternehmen, sind es bei Bibliotheken lediglich die (potenziellen) Bibliothekskunden, die mit ähnlichen Marketingstrategien wie in gewinnmaximierenden Unternehmen bedient werden können. Darüber

106 Marke, die als Teil einer Markenfamilie unabhängig am Markt agiert, jedoch von einer anderen Marke unterstützt wird, z.B. der Unternehmensmarke, wie beim A6 von Audi.

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hinaus müssen Bibliotheken jedoch auch politische Gremien, Behörden, Sponsoren, Förderer und weitere Stakeholder überzeugen und ihren gesellschaftlich relevanten Wert stetig demonstrieren, um Akzeptanz in der Kultur- und Bildungslandschaft zu erhalten.¹⁰⁷ Im Bereich der Marktanalyse kommt deshalb der Umfeld- und der Nachfrage-Analyse eine hohe Bedeutung zu, um gesellschaftlich relevante Angebote unterbreiten zu können, die politisch überzeugen und dem Bedarf der Zielgruppen entsprechen. Dies stellt sich insbesondere in der Nachfrage deshalb komplexer dar, weil es nicht nur darum geht, den Bedarf (potenzieller) Kunden zu ermitteln, sondern auch darum, die Interessenlagen von Entscheidungsträgern und Stakeholdern auszuloten. Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen verfügen Bibliotheken dabei jedoch nicht über hohe Marketingbudgets. Ein exorbitanter Marketingaufwand ist mit den Mitteln der öffentlichen Hand nicht vertretbar und würde in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stoßen.¹⁰⁸ Zudem folgt die Marktsegmentierung im strategischen Marketing nicht zwingend der Logik des Marktes, sondern ebenso wohlfahrtsorientierten Gesichtspunkten, die im öffentlichen Auftrag begründet sind. Auswirkungen des breiten Zielgruppenportfolios zeigen sich auch im operativen Marketing und hier insbesondere in der Kommunikations- und in der Gebührenpolitik. Die Kommunikationspolitik von Bibliotheken stellt sich im Gegensatz zu der Kommunikationspolitik privatwirtschaftlicher Unternehmen deshalb aufwendiger dar, weil individuelle und auf die verschiedenen Anspruchsgruppen abgestimmte Kommunikationsstrategien und -instrumente gefragt sind, da es hier nicht nur um die einfache Vermarktung eines Produktes oder einer Dienstleistung geht, sondern vor allem auch um das komplexe Aushandeln verschiedener, u.a. kultur- und bildungspolitischer Positionen.¹⁰⁹ Dem wohlfahrtsorientierten Paradigma von Bibliotheken ist darüber hinaus auch geschuldet, dass Angebote und Preise nicht ausschließlich auf der Grundlage der marktlichen Überlegungen von Angebot, Nachfrage und Wettbewerb zustande kommen, sondern auch auf der Grundlage sozialer und politischer Überlegungen.¹¹⁰ Der in der freien Wirtschaft verwendete Begriff Preispolitik ist für Non-Profit-Einrichtungen unzureichend, weshalb Bruhn den Begriff Gebührenpolitik verwendet. Unter die Gebührenpolitik von Bibliotheken fallen Entgelte und Konditionen, die festschreiben, zu welchen Bedingungen die Angebote der Bibliothek in Anspruch genommen werden können. Bei Bibliotheken sind dies vor allem Benutzergebühren und Eintrittsgelder, aber auch Rabatte und nach Kundengruppen differenzierte Gebühren auf der Grundlage der Benutzungs- bzw. Gebührenordnung. Dabei steht die Gebührenpolitik

107 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2006, S. 220 f.; Schade 2010b, Folie 10. Siehe auch den Beitrag „Lobbyarbeit“ von Lux in diesem Handbuch. 108 Vgl. Bruhn 2005, S. 47. 109 Schade 2010b, Folie 10. 110 Vgl. Bruhn 2005, S. 46.

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generell unter den Vorgaben des Verwaltungsrechts. Nur die Gebühren sind bei kommunalen Bibliotheken zulässig, die in der Gebühren- bzw. Benutzungsordnung durch die Gemeindevertretung verabschiedet wurden. Dabei ist die Bibliothek nicht nur auf die Gebührenhöhe festgelegt, sondern auch verpflichtet, diese Gebühren tatsächlich einzunehmen, wenn der in der Gebühren- bzw. Benutzungsordnung genannte Sachverhalt (z.B. Fristüberschreitung) eintritt. Bisher haben Bibliotheken im Rahmen der Gebührenpolitik wenig Steuerungsmöglichkeiten und Spielraum, das Bibliotheksprofil durch Entgeltdifferenzierungen und Konditionen kundenorientiert zu gestalten.

3.4 Öffentlicher Auftrag und Wettbewerb Weiterhin zu beachten ist im Non-Profit-Bereich, dass sich die Wettbewerbssituation für Bibliotheken anders darstellt als für privatwirtschaftliche Unternehmen. Bibliotheken stehen nicht im harten Wettbewerb untereinander und auch nicht zu anderen Einrichtungen vor Ort. Öffentliche Bibliotheken und auch die meisten wissenschaftlichen Bibliotheken haben eine monopolistische oder oligopolistische Marktform bzgl. ihrer direkten Konkurrenz. Das heißt, dass wenigen Anbietern gleicher bzw. ähnlicher Angebote potenziell viele Nachfrager gegenüberstehen.¹¹¹ In der Regel sind Öffentliche Bibliotheken bzw. Bibliothekssysteme die einzigen Einrichtungen vor Ort mit einem bibliotheksspezifischen Aufgabenprofil. Sie stehen bei der Gewinnung von Kunden und dem Absatz ihrer Kernprodukte nicht im direkten Wettbewerb mit anderen Unternehmungen, sondern auf einem „Käufermarkt“ lediglich in Freizeitkonkurrenz mit anderen Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen, wie Theatern, Museen, Volkshochschulen, aber auch Schwimmbädern und Sportvereinen.¹¹² Dazu kommt, dass das Bibliothekswesen in Deutschland kooperativ ausgerichtet ist, wie sich durch die Verbundeffekte des überregionalen Leihverkehrs oder der kooperativen Erwerbung zeigt.¹¹³ Zwar drängt der Leistungsvergleich BIX Bibliotheken in einen „Quasi-Wettbewerb“¹¹⁴, der sie auch unter Legitimationsdruck gegenüber Unterhaltsträgern bringen kann;¹¹⁵ der Vergleich kann hinsichtlich der verschiedenen Schwerpunktsetzungen von Bibliotheken jedoch nur bedingt standhalten. Trotzdem ist nicht zu vernachlässigen, dass Unternehmen, wie z.B. Buchhandlungen, Museen oder Volkshochschulen, vor Ort Standards setzen, die auch von Bibliotheken erwartet werden.¹¹⁶ Durch die zunehmende Digitalisierung von Infor-

111 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 49; Naumann 2010, S. 4. 112 Vgl. Naumann 2010, S. 4. 113 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 63. 114 Naumann 2010, S. 8. 115 Vgl. Naumann 2010, S. 8. 116 Siehe auch den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch.

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mationsangeboten kommerzieller und nicht kommerzieller Anbieter verschärft sich darüber hinaus der Wettbewerb von Bibliotheken mit kommerziellen Informationsanbietern auf sogenannten Distanzmärkten.¹¹⁷ Dabei konditionieren Anbieter aus dem E-Commerce wie bspw. Amazon oder Suchmaschinen wie Google die kognitiven Fähigkeiten, aber auch die Conveniencepräferenzen von Konsumenten im großen Stil. Durch Prozesse der Disintermediation¹¹⁸ laufen Bibliotheken bei digitalen Dienstleistungen zudem Gefahr, dass sie als Absatzvermittler ausgeschaltet werden, wenn sie ihren Mehrwert nicht konsequent demonstrieren, da Dienstleister digitaler Angebote zunehmend direkte Distributionswege aufbauen.¹¹⁹ Bei der Anwendung von Methoden aus dem Marketing muss diese spezifische Wettbewerbssituation in allen Phasen des Marketingmanagement-Prozesses berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Wettbewerbsanalyse sollten Bibliotheken ihr Augenmerk deshalb auf den Servicekomfort von öffentlich finanzierten Einrichtungen und privatwirtschaftlichen Unternehmen vor Ort richten, um die mit Standards verbundenen Erwartungen von Anspruchsgruppen auch in der Bibliothek erfüllen zu können. Dies tangiert im operativen Marketing vor allem die Distributions- und Ausstattungspolitik, da sich Bibliotheken hier – z.B. in Bezug auf Öffnungszeiten und Aufenthaltsqualität – in deutlichem Wettbewerb befinden. Darüber hinaus kommt es darauf an, auch das Wettbewerbsumfeld auf Distanzmärkten, insbesondere im E-Commerce, zu beobachten und zu bewerten, um frühzeitig Differenzierungsstrategien zu entwickeln, die den Mehrwert von Bibliotheken bei Disintermediationsprozessen zuverlässig demonstrieren, um zu verhindern, dass Bibliotheken als Absatzvermittler ausgeschaltet werden. Dies stellt im operativen Marketing im Wesentlichen ein Gestaltungsfeld in der Distributionspolitik dar. Zur Bewertung des Wettbewerbsumfeldes eignen sich insbesondere einfache Methoden wie die Stärken-Schwächen-Analyse oder die SWOT-Analyse. Marktforschungsmethoden und Instrumente der strategischen Marketingplanung sind dabei bisher nur unzureichend für den Bedarf von Non-Profit-Einrichtungen übersetzt worden. Marktfeld- und Marktabgrenzungsstrategien aus dem Profit-Bereich rekrutieren vor allem auf Kennzahlen wie Marktanteil und Wettbewerbsstärke, für die es im Non-Profit-Bereich bisher keine Äquivalente gibt. Insofern stellt insbesondere die Adaption von Methoden zur Untersuchung des Wettbewerbsumfeldes für Bibliotheken ein Desiderat dar.¹²⁰ Hinsichtlich der strategischen Unternehmensplanung kommt es bei Zielbildungsprozessen in Bibliotheken nicht nur darauf an, wohlfahrtsorientierte Zielsetzungen

117 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 50, 66. 118 Wegfall einzelner Stufen im Wertschöpfungsprozess. 119 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 346. 120 Siehe den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch.

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zu formulieren, sondern auch darauf, zu zeigen, wie man sich zu dem weiter gefassten Wettbewerbsumfeld positioniert, indem man auch Marktstellungs- und Marktleistungsziele formuliert, was bisher selten im Zielkanon von Bibliotheken auftaucht. Insbesondere in der zunehmenden Finanzierungskonkurrenz mit anderen öffentlich finanzierten Einrichtungen, ist es für eine Bibliothek nicht unerheblich, zu zeigen, welche Position sie in der Kultur- und Bildungslandschaft erreichen möchte, indem sie z.B. Aussagen über die Marktgeltung, Marktdurchdringung und ggf. auch zu Marktanteilen trifft. Erst jüngere Positionspapiere, wie bspw. „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“, treffen dazu überhaupt Aussagen, indem sie formulieren, dass die Bibliothek „jährlich mindestens 3.000 physische Besuche je 1.000 Einwohner ihres Einzuggebietes“¹²¹ erzielen sollte. Marktleistungsziele von Bibliotheken, die Aussagen zur Produkt- und Dienstleistungsqualität treffen, orientieren sich oftmals an den Standards bibliothekarischer Planungs- und Positionspapiere sowie an den Parametern zur Leistungsmessung im BIX. Zwar ist es legitim, Standards für den Grad der Auftragserfüllung, wie Anzahl Medien, Quatratmeter Publikumsfläche, Anzahl Mitarbeiter − jeweils je 1.000 Einwohner −, zu formulieren,¹²² sie sollten jedoch nicht nur im Kontext der lokalen Notwendigkeiten reflektiert werden, sondern auch der hohen Inputorientierung bibliothekarischer Forderungen zu erwartende Ergebnisse gegenüberstellen, die den Ressourceneinsatz rechtfertigen und Aussagen über den Grad der Zielerreichung treffen.

4 Fazit Die Zukunftsfähigkeit von Bibliotheken hängt entscheidend davon ab, wie es ihnen gelingt, die schnellen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und politischen Entwicklungen zu antizipieren und sich dazu im Kontext der Kultur- und Bildungslandschaft mit einem unverwechselbaren Profil und einem gesellschaftlich relevanten Produkt- und Dienstleistungsportfolio zu positionieren. Marketingmanagement bietet konzeptionell und methodisch einen Rahmen und einen strukturierten Prozess an, gesellschaftlich relevante Angebote zu entwickeln sowie alle Austauschbeziehungen zwischen Anspruchsgruppen und Bibliothek optimal zu gestalten und wirksam als Marke nach außen darzustellen. Dies gelingt jedoch nur dann, wenn Methoden und Instrumente des Marketings nicht isoliert eingesetzt, sondern systematisch in einem Prozess eingebunden werden, der Analyse, Strategie, operative Umsetzung und Kontrolle umfasst und Implikationen des Non-Profit- und des Dienstleistungsmarketings dezidiert berücksichtigt.

121 BID 2008, S. 5. 122 Vgl. Leistungsparameter im BIX.

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Implikationen des Marketings

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Georgy und Schade

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Albrecht Göschel

Stadt und Kommune – soziales und politisches Umfeld von Bibliotheken im Wandel 1 Einleitung Nach einer beispiellosen Expansion in den 1970er Jahren scheint sich das deutsche Bibliothekswesen  – insbesondere der Öffentlichen Bibliotheken  – seit den 1990er Jahren in einer schweren Krise zu befinden, offensichtlich der schwersten, die es seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu bestehen hat.¹ Sowohl in Kürzungen oder zumindest völlig unzureichenden Erhöhungen von Anschaffungsetats als auch in Schließungen von Zweigstellen oder Stadtteilbibliotheken kommt diese prekäre Lage der Öffentlichen Bibliotheken zum Ausdruck. Ihr soziales und politisches Umfeld scheint Wandlungen zu unterliegen, die zwar nicht die Existenz Öffentlicher Bibliotheken insgesamt gefährden, dennoch aber Herausforderungen enthalten, die eine ungebrochene Fortsetzung tradierter Planungs- und Betriebskonzepte infrage stellen. Der Wandel der Stadt − sowohl als soziales wie auch als politisches Umfeld, sowohl als Stadtgemeinde oder Stadtgesellschaft wie auch als politische, kommunale Körperschaft der Selbstverwaltung − kann die historischen Brüche verständlich machen, vor denen auch die Bibliotheken zurzeit stehen und die als Krise oder Gefährdung wahrgenommen werden, auch wenn damit die Strategien, wie diesem Wandel begegnet werden kann, nur angedeutet werden können. In der Bibliothekswissenschaft besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Bau- und Dienstleistungstyp der „Öffentlichen Bibliothek“, der „Public Library“ nach verschiedenen, eher von Ausschluss als von Öffnung bestimmten Vorläufern² erst nach Mitte des 19.  Jahrhunderts, zuerst in Großbritannien, gestützt durch ein Bibliotheksgesetz von 1850³, und als kommunale Einrichtung in den USA als eine der typischen Leistungen dieses Jahrhunderts entsteht.⁴ In den meisten europäischen Ländern setzt eine systematische Entwicklung der Öffentlichen Bibliothek zur anerkannten „Daseinsvorsorge“ der Bevölkerung erst mit Beginn des 20.  Jahrhunderts, meist sogar erst, wenn man Bibliotheksgesetze oder vergleichbare Regelungen zum Maßstab nimmt, nach dem Ersten Weltkrieg, also in den 1920er Jahren ein⁵ und erreicht in den 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt, von dem aus und an dem

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Vgl. Bundesverband Deutscher Bibliotheksverbände 1994, VI. Vgl. Plassmann u.a. 2011. Vgl. Bertelsmann Stiftung, Bundesverband Deutscher Bibliotheken 2004, 13. Vgl. Osterhammel 2009, S. 33. Vgl. Bertelsmann Stiftung, Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände 2004.

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gemessen seither die Situation des Bibliothekswesens, wie beispielhaft in Deutschland, in wachsendem Maße als prekär gilt. Damit deutet sich an, dass das Öffentliche Bibliothekswesen, geplant und entwickelt nach dem Modell einer „sozialen Infrastruktur“ oder „Daseinsvorsorge“, ein Produkt der industriellen, der hochindustriellen oder „organisierten Moderne“⁶ darstellt, und dass die Krise dieser Daseinsvorsorge „Öffentliche Bibliothek“ unmittelbar mit der Krise ebendieser „organisierten Moderne“ verbunden und von ihr verursacht ist. Für die spät-, die nachindustrielle oder „Postmoderne“ scheinen Bedingungen zu gelten, denen das Modell einer Daseinsvorsorge, wie es in der Zeit von ca. 1920 bis ca. 1970 entwickelt und auch für Bibliotheken als verbindlich angesehen wurde, nur unter erheblichen Korrekturen und Friktionen angepasst werden kann. Ein Vergleich von Stadt, Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und urbanen Lebensstilen in der „organisierten Moderne“ mit der „Postmoderne“ kann den Wandel, dem sich Bibliotheken zurzeit ausgesetzt sehen, deutlich machen.

2 Bibliothek und Stadt in der „organisierten Moderne“ (ca. 1920 bis ca. 1970) Auch wenn die Prinzipien der Stadtentwicklung dieser „organisierten Moderne“ kaum jemals in reiner Form und vollem Umfang umgesetzt werden, ist sie von zwei Grundvorstellungen bestimmt: zum einen vom Bild eines quasi maschinellen Funktionierens, wie es im architektonischen und städtebaulichen Funktionalismus der modernen Industriestadt zum Ausdruck kommt; zum anderen von der Norm sozialer Gleichheit, die die gesamte Innenpolitik und damit auch die Stadtentwicklung auf allen Planungs- und Politikebenen dominiert und daher auch für das 20.  Jahrhundert, bei allen Abweichungen, zur Bezeichnung „sozialdemokratisches Jahrhundert“⁷ geführt hat. Der Funktionalismus in Städtebau und Stadtentwicklung der „organisierten Moderne“ kommt in Versuchen strenger, mechanischer Funktionstrennungen und Optimierung von Einzelfunktionen sowohl in der Flächennutzung als auch in allen technischen Systemen oder in der Grundrissentwicklung von Bauwerken zum Ausdruck. Fundamentales Organisations- und Gestaltungsprinzip ist das Raster, das sowohl zur Strukturierung der Erdoberfläche als Planungsraum als auch zur Gestaltung von Fassaden und Grundrissen eingesetzt wird. In seiner Rationalität und universellen Verwendbarkeit erlaubt und erzwingt es eine Abstraktion sowohl vom besonderen Ort als auch von der spezifischen Bauaufgabe. Deren Lösungen werden im

6 Reckwitz 2006. 7 Dahrendorf 1992; ders. 1970.

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„modernen Zweckbau“⁸ durch den Einsatz von Rasterung und Funktionstrennungen bei Versuchen der Optimierung jeder Einzelfunktion verallgemeinert und abstrahiert, sodass die Bauwerke ihre jeweiligen Zwecke kaum noch erkennen lassen. Grundlage dieser Prinzipien ist die Suche nach einer universalen, von lokalen Bedingungen oder subjektiv-individuellen Gestaltungsabsichten unabhängigen Rationalität und Stimmigkeit bei der Bewältigung von Planungs- und Bauaufgaben. Für die Bibliotheken findet sich dieses Konzept exemplarisch in den Planungen der 1970er Jahre.⁹ Die Dinge, seien dies nun Städte, Bauwerke oder Gebrauchsgegenstände, sollten einer universalen Rationalität entsprechen. Die Stadt als Ganzes wie auch jedes Gebäude werden als Gebrauchsgegenstand verstanden, der ausschließlich nach einem mechanisch oder maschinell verstandenen Gebrauch zu entwickeln ist. Das Prinzip der sozialen Gleichheit als zweite prägende Norm, das alle innen- und planungspolitischen Konzepte bestimmt, resultiert aus dem gleichen Rationalitätsund Universalisierungsbestreben, da es auf einem naturrechtlich geprägten Konzept von Menschenrechten basiert, nach dem alle Menschen als gleich anzusehen und nach gleichen Rechten zu behandeln sind. Alle Vorstellungen einer gleichsam natürlich gegebenen Ungleichheit, wie sie die „bürgerliche Moderne“ prägten, werden als unangemessen, als ungerecht abgelehnt. Aus beiden Normen, der des Funktionalismus und der der Gleichheit, die aus der gleichen Begründung gefunden werden, resultiert in der Stadtentwicklung das Konzept der Infrastruktur und dessen Ausweitung auf kulturelle und soziale Einrichtungen als „soziale Infrastruktur“ – heute auch als „Daseinsvorsorge“ bezeichnet – im Gegensatz zur technischen Infrastruktur, aber grundsätzlich mit derselben Funktion, gleiche Lebensbedingungen für alle Menschen als Voraussetzung organisierten, effizienten ökonomischen Wirtschaftens herzustellen und zu garantieren¹⁰, ein Konzept, das zwar praktisch, nicht aber konzeptionell an Staatsgrenzen endet. Aus diesen Grundsätzen gilt in der Planung der „organisierten Moderne“ sowohl Segregation, die räumliche Trennung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, als auch Disparität im Sinne unterschiedlicher Versorgungsqualität oder Lebenslage dieser Gruppen als Missstand und Defizit. Für beides, für Bevölkerungsverteilungen im Raum und für infrastrukturelle Versorgung ebendieser Bevölkerung, eine „Gerechtigkeit der Gleichheit“ zu erreichen, wird zum zentralen Ziel der Planung bis in die 1980er Jahre, in denen diese Themen in einer ganzen Reihe von „Disparitäts- und Ungleichheitsstudien“ in Stadtforschung und Stadtentwicklung einen Höhepunkt erreichen.¹¹ Segregation gilt als Krisenphänomen, das zur Zerstö-

8 Vgl. Behne 1964. 9 Vgl. Deutsche Bibliothekskonferenz 1973; Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1973. 10 Vgl. Jochimsen 1966. 11 Vgl. z.B. Dangschat 1997; Hamm 1979; Häußermann 1979; Häußermann, Siebel 1987; dies. 2001; Häußermann, Kapphan 2000; Herlyn 1974; ders. 1980; Hess, Mechler 1973; Vaskovics 1976.

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rung der Stadt führt und besondere Brisanz bei der Integration unterschiedlicher Ethnien erreicht.¹² Erst mit dem Übergang der „organisierten Moderne“ zur „Postmoderne“ mehren sich die Stimmen, die ein gewisses Maß an Segregation, vor allem an ethnischer Segregation unter bestimmten Bedingungen auch positiv zu bewerten geneigt sind.¹³ Das Maß einer infrastrukturellen Ausstattung wird in diesen Konzepten entweder aus Durchschnittswerten bestimmt; Abweichungen nach unten gelten dann als Defizite. Oder es werden Richtzahlen herangezogen, die bereits Ende der 1960er Jahre für alle Versorgungseinrichtungen und Systeme vorliegen¹⁴, deren Begründung oder Herkunft aber gewöhnlich unklar und willkürlich bleibt. Im Bibliothekswesen drückt sich diese Normierung und Standardisierung u.a. im Richtwert von „zwei Bänden bzw. Medieneinheiten pro Einwohner“ aus, ein völlig unbegründeter Wert, der sich seit den Planwerken der 1970er Jahre immer wieder findet.¹⁵ Gleiches gilt für Normierungen von Funktionsbereichen in Bibliotheken, z.B. die Flächenvorgaben für Arbeitsplätze von 2 qm pro Platz bei erwachsenen Nutzern und von 1,6 qm bei Kindern und Jugendlichen. Auch in diesen Richtzahlen oder Richtwerten zeigt sich das mechanistischfunktionale Optimierungskonzept, das diese Phase von Architektur, Städtebau und Stadtentwicklung prägt. Über die reale Alltagsbedeutung bestimmter Einrichtungen und ihre Notwendigkeit für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die von Durchschnittswerten abweichen, werden in der Regel keine Aussagen getroffen. Und auch die Sammlungskonzepte für eine Öffentliche Bibliothek werden einer Versachlichungsnorm unterzogen. Dominierten vor allem in Deutschland bis in die 1950er Jahre Sammlungskonzepte, die in einer idealistischen Bildungstradition auf Belletristik, also auf Kunst orientiert waren, tritt mit den 1960er Jahren das Sachbuch in den Vordergrund und bestimmt seither den Bestand der Öffentlichen Bibliothek¹⁶. Die Unterscheidung von „Bildung“ und „Ausbildung“ mit einer selbstverständlichen Überlegenheit von „Bildung“ wird grundsätzlich infrage gestellt und nach Möglichkeit aufgehoben, da die Dominanz von „Bildung“ – immer mit dem Unterton einer moralischen Bildung  – als bürgerliche Distinktionsstrategie gilt.¹⁷ Vorzugsweise Aktualität, Brauchbarkeit oder praktische Alltagstauglichkeit sollen die Sammlungsstrategie  – mit fixierten Erneuerungsanteilen  – bestimmen, nicht ein „kultureller Wert“, wie er als Kriterium für die „bürgerliche Moderne“ Gültigkeit beansprucht, sodass sich hier die gleichen Bewertungen zeigen wie in der Architektur des Funktionalismus, der im Extremfall „Kunst“ als eigenständige, nicht funktional begründbare

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Vgl. Esser 1979; Heitmeyer, Anhut 2000. Vgl. Berking, Löw 2005; Krämer-Badoni 2001. Borchard 1968. Vgl. z.B. KGSt 1973; Deutsche Bibliothekskonferenz 1973; zur Kritik: Umlauf 2005, S. 111. Vgl. Umlauf 2005, S. 27. Vgl. Bourdieu 1982.

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architektonische Qualität als „Wolkenkuckucksheim“ (Walter Gropius) diffamierte. Dass sich selbst in der Buchproduktion ein grundlegender Wandel vom auratischen Bildungsgut zum normierten Gebrauchsgegenstand vollzieht, macht das Taschenbuch, der broschierte, auf Gebrauch und Verbrauch ausgelegte Buchtyp, deutlich, der auf eine Mentalität trifft, die das „Sammeln“ von Kulturgütern gegenüber einer Nutzung aus aktuellen Bedingungen abwertet.¹⁸ Dass aber auch das Taschenbuch nicht nur funktionaler Gebrauchsgegenstand ist, sondern einer eigenen, einer für diese Zeit typischen, seriellen Ästhetik unterliegt, die der der Rasterung entspricht, machen die berühmten, geradezu zum Signum, zum Symbol dieser Epoche aufsteigenden Taschenbuchreihen deutlich. Es zeigt sich hier der Wandel vom Ideal der moralischen Charakterbildung, das die „bürgerliche Moderne“ dominierte, zum Erziehungsziel einer Entwicklung der Persönlichkeit, die in der „organisierten Moderne“ betont wird. Diese Persönlichkeit findet ihren vollkommenen Ausdruck im „Organization Man“¹⁹, der individuelle Kompetenz in der Lösung von Alltagsproblemen mit Kooperations- und Anpassungsfähigkeit in großen Organisationen verbindet. Und es sind diese Großorganisationen, sei es des neuen industriellen Großbetriebes oder der staatlichen oder privaten Großverwaltungen, die die ökonomische Basis der „organisierten Moderne“ und ihres Alltagslebens bilden. Nach ihrem Vorbild wird auch die Stadt mit ihren technischen und sozialen Infrastrukturen als ganzheitlicher Mechanismus des perfekten Zusammenwirkens ihrer Teile organisiert. Es entsteht die „fordistische Stadt“²⁰, die diese Bezeichnung nicht nur erhält, weil das fordistische Großunternehmen ihre ökonomische Basis bildet, sondern weil sie selbst als moderne Industriestadt nach den Prinzipien eines Großunternehmens organisiert und geplant wird. In ihrer realen Ausformung stehen sich zwei Alternativen gegenüber, die hoch verdichtete²¹ Stadt auf der einen, die Gartenstadt²² auf der anderen Seite, wobei die faktischen Realisierungen beider im Grunde Degenerationen oder Pervertierungen der jeweiligen Konzepte darstellen. Beide Modelle gehen davon aus, Alternativen zur bestehenden, alten, „europäischen“ Stadt darzustellen, d.h., sie zu gegebener Zeit

18 Vgl. Göschel 1991. 19 Whyte 1956. 20 Unter „Fordismus“ wird die hochindustrielle Form weitgehend automatisierter Produktion von technischen Massengütern verstanden, wie sie in der Automobilproduktion am perfektesten entwickelt ist und daher mit dem Namen „Ford“ verbunden wird als dem Unternehmer, der als Erster diese Produktionsform in Großbetrieben einführte. Als „fordistische Stadt“ gilt in diesem Sinne die Stadt, die auf derartiger Produktion basiert, deren Arbeitsplätze also in entsprechenden Betrieben entstehen, die aber auch selber als Stadtsystem nach den gleichen Prinzipien entwickelt wird wie der „fordistische“ Großbetrieb, als perfekt arbeitende große Maschine, vgl. Häußermann, Läpple, Siebel 2008, S. 135. 21 Vgl. Le Corbusier 1963; ders. 1964. 22 Vgl. Bollerey, Fehl, Hartmann 1990; Posener 1968.

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komplett zu ersetzen. Aber beide Konzepte werden in größerem Umfang nur als Stadterweiterungen, als Suburbanisierung an den Rändern bestehender Städte realisiert, auch wenn diese „Ränder“ zum Ende der „organisierten Moderne“ mehr Einwohner umfassen, als die alten Kernstädte.²³ Das Modell der „fordistischen Stadt“, sei es als verdichtete, sei es als Gartenstadt, basiert neben seiner mentalitätshistorischen Begründung auf einer Reihe ökonomischer und politischer Voraussetzungen, die sich im Gegensatz zu verbreiteten Gewissheiten in keiner Weise als dauerhaft, als unumstößlich und möglicherweise sogar als universalisierbar erweisen. Gesichertes, permanentes Wirtschaftswachstum auf der Basis industrieller Produktion, Vollbeschäftigung und hohe Profitraten bei Massenproduktion für industrielle Seriengüter können als die ökonomischen Bedingungen dieses Modells gelten, ergänzt um bestimmte demografische Faktoren wie wachsende und im Durchschnitt junge Bevölkerung mit mittleren, überwiegend produktionsorientierten Qualifikationen – Facharbeiterschaft und mittlere Ingenieurlaufbahnen – und geringe Frauenerwerbstätigkeit. Es dominiert die „Normfamilie“ aus berufstätigem Mann, Hausfrau und einer begrenzten Anzahl von Kindern mit einem familienorientierten Lebensstil vorzugsweise am Stadtrand. Politisch erscheint vor allem der autonome, souveräne, also auch wirtschaftspolitisch handlungsfähige, auf universalisierbaren Menschenrechten, nicht auf kultureller Identität gegründete Nationalstaat als unverzichtbare Bedingung, der zur vorstaatlichen Verwaltung lokaler Angelegenheiten der Kommune gleichfalls in ihrem Rahmen autonome Politik garantiert und durch Zuweisung von Steuermitteln auch ermöglicht. Bereits in der Zeit von 1920 bis 1970 ist die „organisierte Moderne“ in ihrer Fixierung auf verallgemeinerbare Rationalität und mechanistische Organisationsoptimierung, in ihrer Orientierung am Gleichheitsgrundsatz als politischer Leitnorm und an Funktionalität als Gestaltungsprinzip in Architektur und Städtebau niemals uneingeschränkt akzeptiert oder gar durchgesetzt worden. In der Architektur zeigt z.B. der Expressionismus, in dessen Tradition Anfang der 1960er Jahre die Staatsbibliothek von Hans Scharoun in Berlin entsteht, eine immer präsente Alternative, die auf die Defizite des funktionalistischen Konzepts, auf seine Ortsvergessenheit verweist. Zum einen werden die „Un- oder Nicht-Orte“²⁴ kritisiert, die aus dieser Architekturauffassung entstehen. Zum anderen hält sich der Verdacht, dass das, was in dieser Zeit als universal behauptet wird, doch in der konkreten Umsetzung oder Ausprägung kulturell spezifisch sein könnte, dass also dem Rationalitätsprinzip dieser Epoche kulturelle Spezifik und westliche Identität zugrunde liegen könnten. Selbst gegen den sogenannten Funktionalismus wird der Vorwurf erhoben, er sei selbst weit eher ein Gestaltungsprinzip, ein ästhetisches Programm und in keiner Weise allein

23 Vgl. Harlander 2001. 24 Augé 1994.

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aus Funktionen deduzierte Formgebung.²⁵ Und trotz intensiver Bemühungen kann die alte Stadt der „bürgerlichen Moderne“ auch in der Phase intensivsten Stadtumbaus, also in den 1950er und 1960er Jahren, niemals ganz eliminiert werden, obwohl im Zuge der „organisierten Moderne“ immer wieder der radikale Abriss dieser alten Stadt gefordert wird²⁶, und obwohl gerade in Deutschland im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg mehr alte Stadtsubstanz zerstört wird als durch alle Bombardierungen während des Krieges. Besonders am Leitbild der „autogerechten“ Stadt oder der Reduktion von Wohnqualität auf Besonnung, Belüftung und funktionale Grundrisse wird die Komplexitätsreduktion erkennbar, auf der Städtebau und Architektur der „organisierten Moderne“ basieren, die aber dem Phänomen „Stadt“ in keiner Weise gerecht wird. Unabhängig jedoch von Gegenströmungen und Unvollkommenheiten der „organisierten Moderne“ beginnen sich zum einen deren politische und ökonomische Voraussetzungen seit den 1970er Jahren aufzulösen, ein Vorgang, der umgangssprachlich als der „tief greifende Wandel“ der Gegenwart bezeichnet wird. Zum anderen treten die inhärenten Widersprüche des kulturellen Modells immer deutlicher zutage. Vor allem das Menschenbild des „Organization Man“ verliert seine Überzeugungskraft. Auch die effiziente Industrieproduktion eines Großunternehmens ist von individueller Leistungsbereitschaft, persönlicher Kreativität und von Führungshierarchien abhängig, die zu Konkurrenz und damit zur Entwertung des dominanten Gleichheitspostulates führen. Dem „Organization Man“ tritt das „Selbst“ entgegen, das das unbedingte Gleichheitspostulat entwertet und relativiert und das unter den ökonomischen Bedingungen einer Dienstleistungsgesellschaft²⁷ an Plausibilität gewinnt. Dennoch wirken zentrale Prinzipien der „organisierten Moderne“ weit in die „Postmoderne“ nach. Vor allem das Infrastrukturkonzept einer umfassenden, flächendeckenden und weitgehend standardisierten „Daseinsvorsorge“ mit seiner Gleichheits- und Funktionalitätsnorm findet sich auch heute noch in der Planung sozialer und kultureller Einrichtungen.²⁸

3 Bibliothek und Stadt in der „Postmoderne“ (ca. 1970 bis zur Gegenwart) Seit den 1970er Jahren geraten die Grundlagen der industriellen oder „organisierten Moderne“ ins Wanken. In einer Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft verliert nicht

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Vgl. Posener 1995. Vgl. Le Corbusier 1963. Vgl. Häußermann, Siebel 1995. Vgl. z.B. Deutscher Bundestag 2008.

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nur das Gleichheitsprinzip an Plausibilität.²⁹ Alle ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen unterliegen einem Wandel, der zu einer Auflösung des sozialdemokratischen Konsenses „auf dem Hintergrund nationaler Homogenität“³⁰ führt. In Deutschland hat dieser Konsens mit seinem Primat von Gleichheit und Homogenität zumindest seit den 1950er Jahren parteienübergreifend die Innenpolitik geprägt und sich nach der Durchsetzung politischer und rechtlicher schließlich auch auf soziale und „kulturelle“ Teilnahme- und Gleichheitsansprüche ausgeweitet.³¹ Zumindest fünf Trends, die neue Bedingungen für die Stadtentwicklung und Planung sozialer und kultureller Infrastruktur setzen, sind zu unterscheiden: – Globalisierung / Internationalisierung, – Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, – Demografischer Wandel, – Wertewandel, – Ökologischer Wandel.

3.1 Globalisierung / Internationalisierung Globalisierung im Sinne einer nationalstaatliche Grenzen überschreitenden, den gesamten Globus, wenn auch nicht alle Nationen oder Regionen in gleichem Maße erfassenden Verflechtung ökonomischer Beziehungen führt u.a. zur Reduktion nationalstaatlicher Autonomie.³², ³³ Nationale Politik verliert in wachsendem Maße die Kontrolle, den Zugriff auf die eigene Volkswirtschaft. Damit wird eine fundamentale Bedingung von Planung und Stadtentwicklung in der „organisierten Moderne“, die nationalstaatliche Souveränität, erheblich eingeschränkt. War in dieser der Nationalstaat verpflichtet und in der Lage, die Volkswirtschaft zu fördern, aber auch zu fordern, z.B. im Sinne einer Besteuerung für sozialstaatliche Leistungen, wird in der „Postmoderne“ die Möglichkeit zum Fordern begrenzt, sodass sich Wirtschaftspolitik auf das Fördern konzentrieren muss. Zwar steigt bei dieser Schwächung nationaler Souveränität in gewisser Weise die Bedeutung kommunaler Politik, ihre Rolle als Träger von Stadtentwicklung und kommunaler Infrastrukturpolitik wird jedoch in wachsendem Maße auf Wirtschaftsförderung konzentriert. Kommunale Wachstums-

29 Vgl. Reckwitz 2006. 30 Dahrendorf 1970, S. 24. 31 Vgl. Marshall 1992. 32 Streng genommen muss zwischen einer ökonomischen Internationalisierung und einer kulturellen Globalisierung unterschieden werden, da die internationalen ökonomischen Verflechtungen nicht alle Weltregionen einbeziehen, während bestimmte kulturelle Phänomene tatsächlich überall präsent sind, vgl. Kaufmann 1997. 33 Vgl. Albrow 1998; Baumann 1997; Beck 2009; Castells 1997; Dahrendorf 2000; Habermas 1998; Loch, Heitmeyer 2001; Sloterdijk 2006; Zürn 1998.

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politik, ein „Wachstumsregime“, tritt in Konflikt mit einer Gleichheitspolitik, einem „Ausgleichsregime“³⁴, wie es für die „organisierte Moderne“ bestimmend war.

3.2 Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft Im Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft treten Wertschöpfungen aus Dienstleistungen, aus „Forschung und Entwicklung“ (FuE) neben die industrielle Produktion und relativieren zumindest deren Dominanz.³⁵ Nicht Produktionsroutine und Großserie bestimmen die Arbeitswelt, sondern permanenter Erneuerungs- und Differenzierungszwang. Daneben verändern sich vor allem die Arbeitseinheiten. Wenn nicht an dessen Stelle so doch deutlich neben den Großbetrieb tritt die kleine Einheit, z.B. das Design- oder Entwicklungsbüro, das Forschungsinstitut, die Anwaltskanzlei etc. Selbst wenn auch diese Arbeitseinheiten über mehrere Hundert, meist aber über deutlich weniger Mitarbeiter verfügen, liegen sie weit unter den Angestellten- und Arbeiterzahlen der traditionellen Großbetriebe der „organisierten Moderne“, deren Mitarbeiterzahlen sich auf mehrere Zehntausend belaufen konnten. Hohe Produktivität wird immer weniger in der Facharbeiterschaft und technischen Intelligenz als vielmehr in der sogenannten „kreativen Klasse“³⁶ gesehen, die ausschließlich in Dienstleistungsbereichen vorzugsweise wissenschaftlicher und kultureller Produktion tätig ist. Sie ist auf ihr ständig zu erneuerndes Wissen, auf lebenslanges Lernen angewiesen.³⁷ Als Präferenzen gelten nicht die normierten Lebensabläufe der „organisierten Moderne“, sondern erlebnisintensive Selbsterfahrung, die zu häufigem biografischen Wandel der Lebensform und zu einer Ablösung der Normalfamilie durch eine Vielzahl von Formen des temporären Allein- oder Zusammenlebens führt. In der Stadtentwicklung schlägt sich dieser Wandel unmittelbar nieder. Zum einen könnte der Vorstadt und dem Einfamilienhaus „das Personal ausgehen“ (Hartmut Häußermann). Zum anderen tritt an die Stelle eines Interesses am Typ der Industriestadt die Aufmerksamkeit für das je Besondere, für den Eigensinn von Stadtentwicklungen³⁸, an Identität des Lokalen wie an Authentizität des Individuellen, um zwei populäre Schlagworte dieser Entwicklung zu nennen. Die Ablösung der normiert funktionierenden Maschine, die als selbstverständlich vorausgesetzt wird, durch die Erlebnisqualität von Orten, wie sie sich hier entwickelt, hat auch das Öffentliche Bib-

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Häußermann, Läpple, Siebel 2008, S. 225. Vgl. Häußermann, Siebel 1995. Vgl. Florida 2002. Vgl. Umlauf 2005. Vgl. Matthiesen 2010; Berking, Löw 2005.

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liothekswesen bereits erreicht:³⁹ „Es entstehen Nutzdimensionen, die alle auf das ,Selbst‘, auf Identität zielen.“⁴⁰ Die große und allein aus ihrer Größe normierende Einheit sowohl des Großbetriebes als auch der Großstadt verliert an Bedeutung, im Arbeitsleben wie in Sozialund Infrastrukturpolitik. Im Zuge von Privatisierungen zum Ziel einer Effizienzsteigerung – ein durchaus fragwürdiges Konzept – werden staatliche oder quasi staatliche Großsysteme in zahlreiche kleine Einrichtungen aufgebrochen. Die Normierungswirkung der Großsysteme auf Lebensstile und Verhaltensformen, wie sie sich im „Organization Man“ der „organisierten Moderne“ durchgesetzt hatte, verlieren zugunsten von deren Differenzierung an prägender Wirkung. Relativ überschaubare Schichtungsmuster innerhalb einer Bevölkerung, die möglicherweise Konstrukte einer Sozialstatistik waren⁴¹, werden durch Differenzierungen in zahlreiche Milieus abgelöst, die sich nicht mehr ausschließlich nach vertikaler, sondern zunehmend auch nach horizontaler Ungleichheit unterscheiden.⁴² Zwar wird vertikale Ungleichheit in keiner Weise außer Kraft gesetzt, wie man in den 1980er Jahren zeitweilig vermutete, sie wird aber von horizontalen Verschiedenheiten überlagert und differenziert, wie z.B. in den bekannten „Sinus-Studien“ dargestellt werden.⁴³ Gleichzeitig gewinnen Ausbildungs- und Lernvorgänge in der Dienstleistungsund Wissensgesellschaft einen neuen, deutlich höheren Stellenwert als in der „organisierten Moderne“⁴⁴. In einer auf Innovation und Entwicklung basierenden Ökonomie wird „lebenslanges Lernen“ zur unabweisbaren Verpflichtung und stellt neue Anforderungen an die Individuen und die entsprechenden Bildungs- und Kultureinrichtungen.⁴⁵ Erlebnisorientierung und Selbsterfahrung einerseits, wachsende Verpflichtung zum selbstbestimmten, lebenslangen Lernen andererseits stehen jedoch im Widerspruch zueinander und führen zu sozialen Ungleichheiten, je nachdem welche Schwerpunkte in der Biografie gesetzt werden.

39 Vgl. Umlauf 2005, S. 14, 56, 59. 40 Umlauf 2005, S. 38. 41 Vgl. Osterhammel 2009, S. 61. 42 Als „vertikale“ Ungleichheit gelten alle die Muster, die im Sinne von Klassen- oder Schichtungsstrukturen die Superiorität, Überlegenheit oder Besserstellung einer oder mehrerer Gruppen der Bevölkerung über eine oder mehrere andere darstellen. Unter „horizontaler“ Ungleichheit werden dagegen soziale Differenzierungen verstanden, in denen unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung zwar unterschiedliche Lebensformen entwickeln, ohne dennoch in einer Dominanz zueinander oder in einem Verhältnis der Bevorzugung oder Benachteiligung zueinander zu stehen. Sie stehen „nebeneinander“, also auf einer Horizontalen, nicht wie in Klassen- oder Schichtungsmodellen über- oder untereinander, vgl. Schulze 1990; ders. 1992. 43 Vgl. Kalka 2006. Siehe auch den Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 44 Stehr 1994. 45 Vgl. Umlauf 2005.

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Aus beiden Tendenzen, der Verpflichtung zu lebenslangem Lernen, zu ständiger individueller Weiterentwicklung einerseits, zu situationsbezogener Selbsterfahrung andererseits, wird die Vorstellung von Normalität als zentraler Größe der „organisierten Moderne“ durch Unterscheidungen abgelöst. Weder das Berufs- noch das Familien- oder Freizeitleben ist in der Phase der „Postmoderne“ von Normalität, von einer familiären oder beruflichen Normalbiografie, sondern von einer Dominanz von Abweichungen geprägt, die allerdings nicht in völlige Beliebigkeit oder „Individualisierung“ zerfasern, sondern zu Lebensstilgruppen und Milieus mit internen Gemeinsamkeiten, aber Unterscheidungen nach außen führen. Aber selbst diese Milieus erweisen sich häufig als instabil, unterliegen häufigem Wandel, der sie verändert, verschwinden und neue Gruppierungen entstehen lässt. Sowohl das Berufs- wie das Familien- oder Privatleben ist in der „Postmoderne“ demnach von Flexibilitätsanforderungen geprägt, die jedoch zunehmend auch Widerstände und Gegenreaktionen hervorrufen.⁴⁶ Schon die „organisierte Moderne“, aber mehr noch die „Postmoderne“ führt zu „Entbettungen“ des Einzelnen, denen zunehmend Bestrebungen einer „Wiedereinbettung“ entgegengesetzt werden.⁴⁷ Diese äußern sich in Identitätssuche, in einer neuen Betonung kollektiver, kultureller Identität mit ihren unvermeidlich aus- und abgrenzenden Wirkungen.⁴⁸

3.3 Demografischer Wandel Seit Beginn der 1970er Jahre liegt die Geburtenrate in Deutschland bei ca. 1,4 Kindern und damit konstant unter dem für eine Bevölkerungsreproduktion notwendigen Wert von ca. 2,0.⁴⁹ Gleichzeitig wächst die durchschnittliche Lebenserwartung gleichfalls konstant um ca. drei Monate pro Geburtsjahrgang, sodass sich ohne Rückgang der Geburtenrate seit 1970 ein Bevölkerungswachstum ergeben hätte. Die Verlängerung der Lebenserwartung gleicht allerdings die Reduktion der Geburtenrate nicht aus, sodass auch in ihrer Überlagerung die beiden Faktoren des demografischen Wandels zu einer Bevölkerungsschrumpfung und vor allem zu einer Alterung der Bevölkerung führen, die allerdings nicht als „Überalterung“, sondern eher als „Unterjüngung“ verstanden werden sollte.⁵⁰ Teilweise, aber bei Weitem nicht in vollem Umfang ausgeglichen wird diese Bevölkerungsabnahme durch Zuwanderung, der allerdings auch eine seit einigen Jahren wachsende Abwanderung gegenübersteht. Je nach Annahmen von Rahmenbedingungen, z.B. von Zuwanderung oder neuerlichem Anstieg der

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Vgl. Sennett 1998. Vgl. Giddens 1996. Vgl. Niethammer 2000. Vgl. Birg 2001. Vgl. Kaufmann 2005, S. 94.

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Geburtenraten, ergeben sich aus diesen Faktoren Prognosen zu einem Bevölkerungsrückgang in Deutschland von gegenwärtig ca. 81 Millionen Einwohnern auf 55 bis 70 Millionen bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts, während gleichzeitig die Altersgruppe der über Sechzigjährigen auf über 27 Millionen ansteigt und damit größer werden könnte als die Gruppe der unter Vierzigjährigen.⁵¹ Auch wenn Einigkeit darüber besteht, dass für die Gesamtentwicklung einer Volkswirtschaft weniger die absolute Einwohnerzahl, sondern eher das „Humanvermögen“⁵² von Bedeutung ist, also die Summe der Qualifikationen, die eine Gesamtbevölkerung repräsentiert, gehen die Bewertungen des Bevölkerungsrückganges auch auf dieser Ebene weit auseinander. Während einerseits auf die gigantische „Investitionslücke“ von ca. 2.500 Milliarden Euro verwiesen wird, die wegen mangelnden Nachwuchses an einer „Reproduktion“ der Bevölkerung gespart und statt als Reinvestition eingesetzt zu werden, von den lebenden Generationen zur übermäßigen Anhebung ihres Wohlstandes verbraucht, also auch nicht für eine Bildungsoffensive zur Qualifizierung der Humanressourcen eingesetzt wurde⁵³, verweisen andere Autoren darauf, dass der Wechsel von der „Quantität“ zur „Qualität“ des Nachwuchses alle hoch entwickelten Zivilisationen präge und auch in Deutschland erfolgreich und höchst sinnvoll stattgefunden habe.⁵⁴ Selbst die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die sozialen Sicherungssysteme sind umstritten. Während einerseits eine Krise aller Sozialsysteme, vor allem der Alters- und Gesundheitsversorgung befürchtet wird, betonen andere, dass durch relativ geringfügige Anhebungen des Renteneintrittsalters zumindest der drohende Zusammenbruch des Rentensystems verhindert werden könne, wobei allerdings deutlich zu erkennen ist, dass eine solche Ausweitung der Lebensarbeitszeit massiven gesellschaftlichen Widerständen begegnet, da sie als Rentenkürzung empfunden wird. Für die Kommunen und ihre Sozial- und Stadtentwicklung wirkt sich der demografische Wandel in mehrfacher Weise aus, als – selektive – Stadtschrumpfung, als ökonomische Abstiegsbedrohung bestimmter Bevölkerungsgruppen, also als Armutsproblem und als Herausforderung einer Anpassung aller Infrastrukturen an den gewandelten Altersaufbau sowie neue biografische Bedingungen. Zum ersten Mal in der Moderne stellt sich für die Stadtentwicklung das Phänomen der Stadtschrumpfung, das seit den großen Katastrophen des Mittelalters und der frühen Neuzeit, seit Seuchen und vor allem seit dem Dreißigjährigen Krieg, in Europa nicht mehr existierte.⁵⁵ Die gesamte Stadtentwicklung in ihren Gestaltungsvorstellungen, in ihren technischen Aspekten und in ihren Planungsgesetzen und

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Vgl. Birg 2001, S. 99, 104. Kaufmann 2005, S. 71. Vgl. Kaufmann 2005, S. 82. Vgl. Hondrich 2007. Vgl. Häußermann, Siebel 1988; dies. 2000; Keim 2001; Läpple 1986.

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-verfahren ist von dem Prinzip des kontinuierlichen oder sogar sprunghaften Stadtwachstums bestimmt. Es sind aber nicht allein demografische Bedingungen, die eine Schrumpfung auslösen können. Wanderungsbewegungen, verursacht durch unterschiedliche ökonomische Perspektiven von Städten, verstärken die demografischen Bevölkerungsentwicklungen. Allerdings wirken diese Wanderungen selektiv. In den ökonomisch schwachen Regionen verstärken Abwanderungen den Bevölkerungsrückgang, in den ökonomisch prosperierenden gleichen sie ihn aus, ein Vorgang, der sowohl beim sogenannten „Nord-Süd-Gefälle“⁵⁶ als auch nach der deutschen Wiedervereinigung zwischen den meisten − schrumpfenden − ostdeutschen und ausgewählten − stabilen oder sogar wachsenden − westdeutschen Regionen zu beobachten ist. Die wachsenden Unsicherheiten in den sozialen Sicherheitssystemen vergrößern das Armutsrisiko, das sich auf lokaler Ebene niederschlägt und neue Sozialeinrichtungen der Fürsorge und Versorgung erforderlich werden lässt. Statt von Ungleichheiten auszugehen, wie es in der Phase der „organisierten Moderne“ üblich war, und statt zu unterstellen, diese seien durch Umverteilung auszugleichen, bestimmt der Begriff der „Exklusion“ die aktuelle Armutsdebatte der „postmodernen“ Stadt.⁵⁷ Dieser Begriff soll signalisieren, dass in diesem Sinne Benachteiligte insgesamt vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind und dass ihnen ein neuer Zugang auch nicht allein durch finanzielle Transferleistungen eröffnet werden kann. Es bedarf vielmehr eines ganzen Bündels integrativer oder reintegrativer Maßnahmen, um Exklusion zu beheben. Entscheidend für Integration ist bislang jedoch immer noch ein stabiler Arbeitsplatz, der ein hinreichendes Einkommen sichert. Und als Drittes führt der demografische Wandel zu erheblichen Veränderungen in den individuellen Biografien. Zum einen verlängert sich die Phase der Jugend im individuellen Lebenslauf und wird von einem Moratorium, einer Warte- und Vorbereitungsphase auf das Erwachsenenalter, zu einem eigenständigen Lebensabschnitt, der seinerseits Wirkungen auf das gesamte nachfolgende Erwachsenenalter ausübt. Jugendtypische Verhaltensweisen beginnen, das gesamte Leben, also auch das Erwachsenenalter, zu prägen, spürbar in der rapide wachsenden Beliebtheit jugendtypischer Freizeitformen. Nicht die Jugend orientiert sich am Erwachsenen, wie es zumindest für die „bürgerliche“, begrenzt auch noch für die „organisierte Moderne“ als verbindlich galt, der Erwachsene orientiert sich zunehmend am Jugendlichen.⁵⁸ Eine nicht minder tief greifende Veränderung erfährt die Lebensphase des Alters. Rüstigkeit, Aktivität, intellektuelle Wachheit werden deutlich über bislang bekannte Schwellen hinaus ausgedehnt, d.h., die Menschen gewinnen gute, gesunde, aktive Jahre zu ihrem Leben hinzu. Das führt zu einer Aufteilung des Alters in unterschiedliche Unterabschnitte: in ein „junges Alter“ zwischen Anfang und Ende sechzig, in

56 Friedrichs, Häußermann, Siebel 1986. 57 Vgl. Bude 2008; Kronauer 2002. 58 Vgl. Hitzler 2007.

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dem kaum Einbußen gegenüber dem Erwachsenenalter des Erwerbslebens zu spüren sind, ein „mittleres Alter“ von Ende sechzig bis Mitte siebzig, das zwar von ersten gesundheitlichen Einschränkungen, nicht aber zwingend von Altersgebrechlichkeit geprägt ist, und schließlich ein „hohes Alter“ mit alterstypischen Begrenzungen, das zunehmend erst ab achtzig, also mit Ende des achten und Beginn des neunten Lebensjahrzehntes einsetzt. Nach bisherigen Maßstäben und Regelungen der Rentenzeit erleben also zunehmend mehr Menschen einen rüstigen Ruhestand − und auch in diesen wirken noch Verhaltensformen von Jugendlichkeit, also z.B. der Wunsch nach Neuem, nach Erlebnissen, Anregungen, nach Lebensspaß und Lebensfreude, hinein. Das Alter wandelt sich vom ruhigen und beschaulichen, dem Rückzug und eventuell der Familie gewidmeten Lebensabend zu einem Lebensabschnitt, der vom Wunsch nach Teilnahme und Aktivität geprägt sein kann.⁵⁹ Auch dies ausgedehnte Alter wird in vermehrter Weise von den Lebensbedingungen, Lebensformen und Lebenslagen in Jugend und Erwachsenenalter geprägt. Im Alter setzen sich die Differenzierungen, die Ungleichheiten und Unterschiede, die das Erwachsenen- und Erwerbsalter bestimmen, fort und verstärken sich möglicherweise sogar. Hohe Aktivitätspotenziale, ausgeprägte Teilnahmewünsche und Interessen und damit ein zufriedenstellendes, glückliches Alter werden nur die Bevölkerungsgruppen verbringen können, deren gesamtes Leben von intellektueller Regsamkeit und Produktivität, sozialer und politischer Teilnahmebereitschaft und körperlichen Aktivitäten geprägt war. Die Umstellungen in der Kommunalpolitik und Stadtentwicklung auf den demografischen Wandel erschöpfen sich also nicht in Reduktionen bei Kinder- und Jugendeinrichtungen zugunsten eines Ausbaus von Alteneinrichtungen. Besonders die Alteneinrichtungen müssen von Fürsorge auf Erlebnisintensität umgestellt und im Grunde alle Einrichtungen der Bildung, der Kultur oder des Sports auf Alter und für Alter eingestellt werden⁶⁰, um möglichst vielen das Aktivitätsniveau zu bieten, das sich im Alter als gesundes und geistig waches Leben auszahlt. Im Zuge dieser biografischen Veränderungen deuten sich bei den Älteren aber nicht nur neue Anforderungen an Infrastrukturen, sondern vor allem auch an das Wohnen an. Das Altenheim am Stadtrand „im Grünen“ erweist sich als völlig überholte Konzeption vom Wohnen Älterer. Im Gegenteil scheinen besonders Ältere zurzeit innerstädtische, innenstadtnahe und großstädtische Wohnstandorte zu suchen, um am Leben teilzunehmen und nicht an den Stadtrand verbannt zu werden.⁶¹ Und sie suchen auf diese Weise die Nähe auch zu kulturellen Einrichtungen, die sie gerade im Alter nicht missen mögen. Neben den dramatischen Herausforderungen, die der demografische Wandel für die großen Sicherungssysteme der Alten- und Gesundheitsversorgung und durch

59 Vgl. Backes u.a. 2001; Kytir 1987. 60 Vgl. Ekelöf, Goode 2011. 61 Vgl. Göschel 2011.

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Stadtschrumpfung darstellt, zeigen sich auch für andere Infrastrukturbereiche und für das Wohnen Vorgänge, wie sie auch aus dem Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft resultieren: wachsende Differenzierungen, aber auch wachsende Ungleichheiten innerhalb einer sozialen Gruppe, sei es die der Jugend, sei es die der Alten. Nicht mehr die normierte Standardversorgung kann allen Lebenslagen und Lebensformen gerecht werden, sondern die Differenzierung von Angeboten, einschließlich einer Differenzierung der Träger, also eine Mischung und Verbindung öffentlicher und privater Anbieter und Träger für den Bereich der sozialen – und kulturellen – Infrastruktur genauso wie für das Wohnen. Bibliotheken müssten sich unter diesen Bedingungen von genormten Informationszentren zu hoch differenzierten Erlebniseinrichtungen wandeln, eine Anforderung, der nur unter großen Schwierigkeiten und immer nur unter Einschränkungen nachzukommen ist, die aber offensichtlich schon gesehen wird und auch zu neuen Bibliothekskonzepten geführt hat, z.B. in der Stadtbibliothek Offenburg, die als Treffpunkt mit hoher Aufenthalts- und Erlebnisqualität angelegt ist.⁶²

3.4 Wertewandel Als Wertewandel wird eine rückläufige Bedeutung von Pflicht- und Akzeptanzwerten bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn von Selbstverwirklichungswerten bezeichnet. Dieser Wandel, bei dem die Figur des „Organization Man“ und die Dominanz der „funktionierenden“ lösungskompetenten Persönlichkeit, wie sie die „organisierte Moderne“ bestimmen, durch eine Betonung des „Selbst“ und des Individuums abgelöst werden, bildet die Grundlage dessen, was in soziologischer Hinsicht als „Postmoderne“ bezeichnet werden kann⁶³, ein Wandel, der seit Ende der 1960er Jahre alle westlichen Industriegesellschaften und seit Beginn der 1970er Jahre auch (West-) Deutschland erfasst hat.⁶⁴ Man könnte diesen Wertewandel als die Summe aller der Veränderungen, vor allem des Wohlstandanstieges ansehen, denen die Lebensbedingungen seit den 1970er Jahren unterliegen, einschließlich der inneren Widersprüche, die zu einem Plausibilitätsverlust der Persönlichkeitskonstruktion des „Organization Man“ aus der „organisierten Moderne“ führen. Für den Bereich der Kultur- und Bildungseinrichtungen, immer noch ein zentrales Feld kommunaler Politik, stellt sich in diesem Wertewandel, gleichgültig ob man ihn nun als eigenständige Größe oder als Summe und Überlagerung der anderen Wandlungsprozesse versteht, die Verschiebung von einer Sicht des Nutzers als eines potenziell defizitären und daher zu bildenden und zu versorgenden Individuums

62 Vgl. Umlauf 2005, S. 136. 63 Vgl. Reckwitz 2006. 64 Vgl. Inglehart 1998; ders. 1989; Klages 1984.

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zum Bild eines sich verwirklichenden, aus sich entwickelnden Subjektes dar, das in diesem Bildungsvorgang sein Selbst nach seinen Anlagen und Fähigkeiten entfaltet, nicht aber Defizite ausgleicht.⁶⁵ Die populären Begriffe der „Identität“ oder der „Authentizität“, die es zu entwickeln gelte, verweisen auf diese gewandelte Sicht vom Individuum als einem im Grunde immer schon Richtigen oder Angemessenen, aus sich Bestimmten, seine Anlagen nur Hervorbringenden, wie es die „Postmoderne“ prägt, im Unterschied zum „Defizitären“, am Bild der Normalität zu Sozialisierenden, wie es bis in die 1970er Jahre in der „organisierten Moderne“ als Leitvorstellung galt. Immer gilt es – aus Sicht der Individuen und damit auch aus der Sicht aller Anbieter im Bildungs- und Kulturbereich – Potenziale zu entfalten, Fähigkeiten optimal zu entwickeln und auszubauen. Nicht an einem abstrakten Modell, einer verallgemeinerten Norm oder einem gleichfalls abstrahierenden Durchschnitt gilt es sich zu orientieren, um Abweichungen oder Defizite auszugleichen, sondern das Eigene, Besondere soll im Zentrum stehen. Dieses Verständnis des Individuums als Basis von Bildungs- und Kulturvorgängen prägt in gleicher Weise auch Milieus oder Stadträume, also Stadtteile, Quartiere oder ganze Städte. Definierten die genannten Disparitätenstudien Defizite in der Versorgung von Stadtteilen, tritt in der Phase der „Postmoderne“ die spezifische Kultur als Identität eines Milieus, einer Schicht und damit auch eines Stadtquartiers in den Vordergrund oder doch zumindest deutlich neben ein Planungsverständnis, das Ausstattungen von Stadträumen nach Abweichungen von Normen oder Durchschnitten bemisst und bewertet. Dieser Blickwechsel von „Ungleichheit“ im Sinne von Benachteiligung zu „Identität“ im Sinne von Unterschiedlichkeit bei kultureller Gleichwertigkeit, der sich sowohl in der Betrachtung von Individuen als auch von Stadteilen oder Stadtquartieren mit dem Wandel von der „organisierten Moderne“ zur „Postmoderne“ durchsetzt und u.a. auch die Multikulturalitätsvorstellungen bei ethnischen Mischungen als Folge von Migrationsprozessen betrifft, stellt Schulen und Bibliotheken, um nur diese beiden zu nennen, vor problematische Anpassungsleistungen. Einerseits sollen sie Benachteiligungen, die zweifellos in ihrer Klientel gegeben sein können, ausgleichen. Andererseits sollen sie die kulturelle Identität dieser Klientel nicht nur respektieren, sondern fördern und zur Entfaltung bringen⁶⁶, obwohl  – aus normierender Sicht der „organisierten Moderne“ – gerade diese die genannten Benachteiligungen bedingen können. In der Debatte über ethnisch geprägte Migration und deren Integration hat dieser Widerspruch zwischen normierender und identitätswahrender Integration zu erheblichen Unsicherheiten geführt. Er resultiert unmittelbar aus dem Wertewandel und der sich damit wandelnden Sicht auf das Selbst und seine Selbstverwirklichung, betrifft aber auch Planung und Politik von Kommunen.

65 Vgl. Eigenbrodt 2011; Rösch 2011; Umlauf 2005, S. 36. 66 Vgl. z.B. Lücke, Müller 2011; Schneehorst 2009; Schuldt 2011.

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Auf der individuellen Ebene, die im Wertewandel zur Debatte steht, werden zwar die gravierenden Verschiebungen von Pflicht- und Akzeptanzwerten betont, gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass humanitäre Grundwerte wie Empathie, Solidarität, Mitgefühl usw. nicht eingeschränkt oder gar aufgelöst werden.⁶⁷ Es wandelt sich aber die Art, in der diese Werte zum Ausdruck gebracht werden. Ihre Objekte, ihre Adressaten sind in wachsendem Maße Gegenstände oder Ergebnisse persönlicher, individueller Entscheidungen. Keine Pflichten geben mehr vor, mit wem Solidarität zu üben ist. Jeder Einzelne wählt selber aus, wo und in welcher Form er entsprechend handelt. Eine gesteigerte Wahlfreiheit, die sich in der „Postmoderne“ durchsetzt, bestimmt das Handeln, keine scheinbar objektivierten, dem Individuum vorgegebenen Verpflichtungen, Traditionen oder Gewohnheiten. Das schwächt den Zusammenhalt von Organisationen, soweit sie auf Solidarität basieren, und es schwächt vor allem die Vorhersehbarkeit von Engagement auf kommunaler Ebene. Es kann nicht mehr selbstverständlich unterstellt werden, dass engagementbereite Bürger sich ihrer Stadt zuwenden, weil es eben „ihre Stadt“ ist. Eine entsprechende Zugehörigkeit muss im Sinne eines Zugehörigkeitsgefühls tatsächlich als „Identität“ erfahren und empfunden werden können. Darin liegt die Gefahr scharfer Abgrenzungen solcher „Identitäten“ innerhalb einer Stadt oder Region, eine Tendenz zum Rückzug auf das „Eigene“, das „Kollektiv“, das als Teil und Kontext des „Selbst“ empfunden wird, und sei es als Entlastung von einer Überforderung durch unüberschaubar viele wählbare Anlässe für Solidarität und Anteilnahme.⁶⁸ Alles, was außerhalb dieses unmittelbaren Erfahrungsbereichs liegt, was also nicht mehr als das „Eigene“ wahrgenommen wird, gewinnt auf diese Weise Bedrohlichkeit, gegen die Abschließungstendenzen entwickelt werden. Die Tendenz zu „Gated Communities“, zu abgeschlossenen Wohnquartieren, hat hier ihre zentrale Ursache. Nicht die Angst vor körperlichen Angriffen, kein rationales Sicherheitsbestreben treibt diese Entwicklung an, sondern eine Identitäts- und Authentizitätsorientierung, die das Eigene betont, alles Fremde abweist und zum Bedrohlichen werden lässt. Dass auch Bevölkerungsgruppen ohne nennenswerten, zu schützenden Besitz diese Abgrenzungsstrategien betreiben, macht deutlich, dass es nicht die Angst vor Verlust materiellen, sondern psychischen Eigentums ist, Angst vor dem Verlust des Selbst, im Wertewandel in den Mittelpunkt gerückt und in der postmodernen Subjektkultur betont, die die moderne Segregation der Städte antreibt und vermutlich schärfere Barrieren entstehen lässt, als sie allein aus Differenzierungen durch materielle Lebenslagen entstünden. Die Aufwertung von Identität und Selbst immunisiert diese neuen Ungleichheiten gegen eine Kritik, der diese Phänomene in der „organisierten Moderne“ ausgesetzt waren. Identitätsbezug wertet die Erfahrung des Fremden, wie sie für Städte konstitu-

67 Vgl. Fischer u.a. 2000, I, S. 93. 68 Vgl. Offe 1989.

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tiv ist⁶⁹, ab. Sie richtet Erfahrung auf das je schon Eigene und kann damit „als freiwillige Selbstbeschränkung mit Gütern ausschließlich der eigenen Kultur“ und auf diese Weise als „Stabilisation und Verstärkung kultureller Ungleichheit“ wirken.⁷⁰ Auf städtischer, auf urbaner Ebene kann eine identitätsorientierte Selbstverwirklichung Prozesse auslösen, die Urbanität insgesamt infrage stellen.⁷¹ Die Stadt als Form des Zusammenlebens vieler Fremder mit grundsätzlich gleichen Rechten wird abgelöst durch den „Kiez“ des Vertrauten und Eigenen, durch eine modernisierte Form des „Dorfes in der Stadt“ (Herbert Gans) mit all den Kontrollen und Abgrenzungen, die in der Öffentlichkeit der Stadt als überwunden galten.

3.5 Ökologischer Wandel Der ökologische Wandel, besser als ökologische Krise oder Verknappung von natürlichen Ressourcen bekannt, stellt gleichfalls eine entscheidende Abkehr von Prinzipien der „organisierten Moderne“ dar. Deren Versprechen auf ständig wachsenden Wohlstand und wachsende Wahlmöglichkeiten unterstellte eine unbegrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen. Vor allem die Stadt, der urbane Lebensstil galt als Überwindung von Natur, als Befreiung von ihren Fesseln und Begrenzungen. Dieses Versprechen der modernen Stadt beginnt in der ökologischen Krise ins Wanken zu geraten. Es wird spürbar, dass die Stadt, auch die moderne Industriestadt an natürliche Voraussetzungen gebunden ist, die nicht ohne negative Folgen vernachlässigt werden dürfen, ob es sich nun um den ständig wachsenden Flächenbedarf, also um den Verbrauch an Boden handelt oder um den von Wasser, Luft und Energie. Zwar stellt die „europäische Stadt“⁷² in ihrer maßvollen Verdichtung und Größe eine ökologisch relativ günstige Siedlungsform dar, verglichen etwa mit der nordamerikanischen Stadtform der extensiven Flächenausdehnung, dennoch wird Stadt als Siedlungsform und als Lebensweise nicht im strengen Sinne nachhaltig sein können.⁷³ Sie wird immer mehr Ressourcen verbrauchen, als in ihr erzeugt werden können. Das Nachhaltigkeitsprinzip, nicht mehr zu verbrauchen, als in gleicher Zeit nachwachsen kann, wird also nie von einer einzelnen Stadt, sondern immer nur von größeren territorialen Zusammenhängen zu erfüllen sein, auch dann, wenn sich ein neues Verhältnis zu Natur⁷⁴ oder zu den Dingen⁷⁵ einstellen oder eine deutlich gestei-

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Vgl. Simmel 1983, S. 509; ders. 1995. Vgl. Pfaller 2008, S. 31, 32. Berking, Löw 2005. Vgl. Siebel 2004. Vgl. Gersting u.a. 1997. Vgl. Ipsen 2000. Vgl. Latour 2010.

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gerte Nutzungseffizienz natürlicher Ressourcen⁷⁶ erreichbar sein sollte. Es entsteht eine Distanzierung, ein „Distancing“ von den Folgen des eigenen Handelns, das verantwortungsbewusstes Verhalten erschwert.⁷⁷ Für den einzelnen Stadtbewohner verursacht der ökologische Wandel steigende Lebenshaltungskosten, für die Kommunen zusätzliche Belastungen durch Förderung ökologischer Technologien, die bislang noch nicht marktfähig produziert werden können. Hier stellt sich ein sehr spezifisches Problem von Förderpolitik. Dem allgemeinen Interesse einer Einsparung von Ressourcen steht kein unmittelbares privates Interesse gegenüber, da die Umweltverbesserungen, die durch individuelle Ressourceneinsparungen erreicht werden können, individuell nicht spürbar sind. Das private Interesse, das zur Durchsetzung des allgemeinen erforderlich ist, kann nur politisch, und d.h. durch politische Preise, entweder durch Besteuerung und damit politische Preisanhebung ökologisch unerwünschter oder − häufiger − durch Subventionierung und damit durch politische Preissenkung ökologisch erwünschter Produkte geweckt werden. Der ökologische Wandel belastet also die öffentlichen Haushalte und trägt neben Bedingungen aus Globalisierung und Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft zur Dauerkrise der öffentlichen Haushalte bei. Die Liste dieser Megatrends müsste zweifellos um den medialen Wandel, also um den Übergang zu elektronischer Kommunikation ergänzt werden. Die Erweiterung von Wahlmöglichkeiten, hier an Informationen, wird durch diese Systeme zu einem Ausmaß getrieben, das Auswahl- und Bewertungskompetenz von Informationen auf den höchsten Rang individueller Qualifikationen hebt⁷⁸, aus der wiederum völlig neue Ungleichheiten entstehen können. Mit diesem Wandel sind Kernfragen des Bibliothekswesens angesprochen. Da der Beitrag zu „Stadt und Kommune“ jedoch eher Rahmenbedingungen von Bibliotheksarbeit beleuchten soll, wird auf eine Ausarbeitung des medialen Wandels und seiner Folgen an dieser Stelle verzichtet.

4 Zusammenfassung: Konsequenzen der Trends Die beschriebenen Trends erschweren in ihrer Überlagerung eine Planung des Bibliothekswesens nach den Konzepten, wie sie bis in die 1970er Jahre als verbindlich galten, und lösen die Probleme aus, die seit Beginn der 1990er Jahre immer deutlicher als Krise registriert werden.

76 Vgl. Weizsäcker, Lovins, Lovins 1997. 77 Vgl. Bolz 2005, S. 18. 78 Vgl. Umlauf 2005.

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Krise der Kommunalfinanzen: Seit den 1980er Jahren befinden sich die Kommunalfinanzen in einer Dauerkrise⁷⁹, die zum einen dazu führt, dass in einer wachsenden Zahl von Kommunen eine eigenständige Lokalpolitik, eine autonome Verwaltung lokaler Angelegenheiten nicht mehr möglich ist, die zum anderen die Kommunen in verstärktem Maß in eine Wachstumskonkurrenz treibt, bei der Gleichheitsaspekte in der Versorgung der Bevölkerung gegenüber einer Politik der Attraktivität nach außen zurücktreten. Differenzierung der Bevölkerung: Der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft in Verbindung mit Werte- und demografischem Wandel führt zu einer Auflösung sowohl der Normalbiografien als auch der „Normalfamilie“ und der sozialen Großmilieus wie „Bürgertum“ oder „Arbeiterschaft“, wie sie die „industrielle Moderne“ bestimmten. An ihre Stelle tritt eine Vielzahl von Milieus und Lebensstilen, die in Konkurrenzen und Distinktionsbeziehungen zueinander stehen. Vor allem aber entsteht als neue Form von Benachteiligung eine Exklusion, die die Betroffenen von den relevanten Chancen nicht nur graduell, sondern umfassend ausschließt. Es entsteht eine Polarisierung der Bevölkerung mit einer neuen Form von Benachteiligung. Bildung und kulturelle Teilnahme als Identitätsentfaltung: Aus Wertewandel und kreativitätsorientierter Dienstleistungsökonomie setzt sich ein Bildungs- und Kulturverständnis durch, in dem weniger die Vorstellung besteht, es seien potenzielle Defizite des Individuums zu beheben, als vielmehr diejenige, seine Fähigkeiten und Anlagen, seine Persönlichkeit und seine „Identität“ seien zu entfalten. Bildung und Kultur werden mit Erlebnisanforderungen des „Selbst“ und seiner Erfahrungen konfrontiert. Von der normierten Daseinsvorsorge zur differenzierten Erlebniswelt: Obwohl der Begriff der „Daseinsvorsorge“ von allen Kultureinrichtungen noch am ehesten für das Bibliothekswesen zutreffen mag, sind auch für diese Einrichtung Konzepte einer flächendeckenden, normierten Versorgung der Bevölkerung mit medialem Wissen, wie sie die Zeit von ca. 1920 bis in die 1970er Jahre bestimmten, in Zukunft kaum noch zu realisieren. Stattdessen wird es darum gehen, eine differenzierte Bibliothekslandschaft unterschiedlicher Erfahrungsräume des Lernens und Wissens zu entwickeln, ohne dabei Gleichheitsnormen außer Acht zu lassen. Zwischen diesen beiden Polen, der allgemeinen Wissensvermittlung und der milieuspezifischen Erlebniswelt, der Bildung und der Selbsterfahrung, wird sich Bibliotheksplanung in Zukunft in zunehmendem Maße mit Partnern des Bildungswesens wie Schulen und

79 Vgl. Mäding 1997.

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Volkshochschulen, Museen oder Stadtteilzentren bewegen müssen, um als zukunftsfähige „kulturelle Infrastruktur“ bestehen zu können. Dieses Resümee mag als unbefriedigender Widerspruch erscheinen, aber „es geht in der modernen Welt nicht darum, Widersprüche aufzuheben, sondern sie zu stabilisieren. Die Selbstwidersprüche eines Systems helfen ihm bei der Anpassung an das Unvorhersehbare.“⁸⁰

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80 Bolz 2005, S. 14.

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Konrad Umlauf

Standortmarketing 1 Einleitung Standortmarketing kann aus zwei Perspektiven betrachtet und betrieben werden. Die erste Perspektive ist die politischer Entscheidungsträger. Hier meint Standortmarketing (in dieser Bedeutung synonym: Standortpolitik, Stadt-, Regionalmarketing) die Gestaltung eines Standortes (räumlich vom Straßenzug über Stadtteile und Städte bis hin zu Regionen und Staaten) durch politisches Handeln mit dem Ziel, den Standort für Unternehmen und Bürger attraktiv zu machen. Betriebe und Bürger sollen am Standort gehalten oder neu gewonnen werden. Die zweite Perspektive ist die der Unternehmen und Bürger: Standortmarketing wendet dann Grundsätze des Marketings auf die Wahl eines Standortes für ein Unternehmen, eine Organisation, eine Wohnung usw. an und untersucht die Wirkungen der Standortwahl auf die Organisation und ihre Umwelt. Bei Organisationen, die an ihrem Standort reale Besucher bzw. Kunden erwarten, steht die räumliche Erreichbarkeit für diese im Vordergrund der Entscheidungskriterien. Bei Organisationen, die Besucher bzw. Kunden virtuell erwarten, bilden bei der Standortwahl arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Fragen, ggf. auch Aspekte der Mitarbeiterrekrutierung, der politischen Stabilität und des Schutzes vor staatlichen Eingriffen die maßgeblichen Entscheidungskriterien. Im Sinn der ersten Perspektive befasst sich der Beitrag zunächst mit der Rolle, die Bibliotheken in der Stadtplanung gewinnen können, wenn diese sich auf die Attraktivitätssteigerung des Standorts richtet. Untersucht wird, welche Potenziale Bibliotheken für einen Standort entfalten können. Im Sinn der zweiten Perspektive behandelt der Beitrag die Standortwahl von Bibliotheken, die sich an reale Besucher richten. Zunächst werden die Aussagen dazu in den bibliothekarischen Planungskonzepten zusammengetragen. Dann werden Kriterien für die Standortwahl im Einzelhandel und von Gewerbebetrieben untersucht. Hierbei wird besonders der Faktor Kultur beachtet. Schließlich werden derartige Kriterien auf Bibliotheken bezogen und die tatsächlich beachteten Kriterien herausgestellt. Endlich werden beide Perspektiven in Kriterien zur Standortwahl von Bibliotheken zusammengeführt und ein Verfahren zur Bewertung alternativer Standorte wird angeboten.

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Umlauf

2 Standortmarketing als Standortpolitik 2.1 Wettbewerb der Standorte Stadt- und Regionalmarketing als Standortpolitik auf kommunaler und regionaler Ebene sowie auf Ebene der Bundesländer ist eine Reaktion auf zunehmende Mobilität von Kapital und Arbeitskräften im Zusammenhang mit Globalisierung und Vollendung des Europäischen Binnenmarkts. Zwar gilt die These der Footlose Companies¹, die sich jederzeit irgendwo auf dem Globus niederlassen und nach einer profitablen Phase rasch den Standort wechseln können, nur für wenige Unternehmen. Dennoch stehen Städte und Regionen in einem verschärften Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen bzw. die Verhinderung von Abwanderungen an attraktivere Standorte. Im integrierten Standortmarketing wird der Standort – ggf. eine Region – wie ein Unternehmen betrachtet und gesteuert, im Idealfall zur Marke entwickelt.² Diesem geht es darum, bei den beteiligten Akteuren Akzeptanz für die angestrebte Entwicklungsrichtung zu erzeugen und Beteiligung in diese Richtung zu erreichen³, Handlungspotenziale freizulegen sowie konkrete Handlungen zu fördern, also Projekte in Gang zu setzen, die die gewünschte Entwicklung umsetzen⁴. Politisch steht dieser Ansatz allerdings vor dem Problem, dass anders als in Unternehmen im demokratischen Gemeinwesen eine gleich gerichtete Beteiligung der Akteure (Gemeindevertretung, Verwaltung, Handels- und Handwerkskammern, Verbände, Gewerkschaften, Unternehmen, Medien, Berater, Investoren, Grundeigentümer, Öffentlichkeit, Hochschulen) nur durch mühsame Überzeugungsarbeit herbeigeführt werden kann.⁵ Dies wurde  – mit mäßigem Erfolg⁶  – im Konzept der Immobilien- und Standortgemeinschaften versucht. Dieser Ansatz bedeutet für die Öffentliche Bibliothek, dass sie sich aktiv in das lokale und regionale Standortmarketing einbringen und darlegen muss, welchen Beitrag zur Standortstrategie sie leisten kann. Sie muss sich in ihrer Produkt- und speziell Bestandspolitik weniger an allgemeinen bibliothekarischen Grundsätzen orientieren, sondern konkret und zielführend ausrichten an der gemeinsamen Aufgabe und explizieren, was ihr Beitrag zur Realisierung der Marke ist – ein Selbstverständnis von Bibliotheksarbeit, das bisher kaum irgendwo anzutreffen ist, wie überhaupt Markenpolitik (Branding) bei Bibliotheken nicht durchgängig praktiziert wird⁷,

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Hirsch-Kreinsen, Schulte 2000, S. 12. Vgl. Funke 1997. Vgl. Pechlaner, Hammann, Fischer 2008. Vgl. Bieger, Derungs, Riklin, Widman 2006. Vgl. Gubler, Möller 2006, S. 32−45. Vgl. Steppeler 2006. Vgl. Bernsee 2002 ff., Abschn. 3.2.8.

Standortmarketing

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und wenn, dann selten in Bezug auf die Dachmarke der Stadt, der Region usw. Eine Ausnahme bildet hier die Bayerische Staatsbibliothek, die sehr überzeugend an die allerdings mehr historisch gewachsene als durch Marketing generierte Marke Bayern anknüpft. Dem Konzept der lernenden Destination liegt eine konsequente Markenstrategie zugrunde.⁸ Destinationen sind hier touristische Ziele mit besonderem Erlebniswert. In diesem Konzept werden potenzielle Kundensegmente identifiziert, Wissen über diese durch Marktforschung aufgebaut, Leistungsangebote definiert, Wissen zur Generierung geeigneter Leistungsangebote identifiziert und in einer Wissensbasis fixiert, wobei Wissensnetzwerke eine besondere Rolle spielen, schließlich Leistungsangebote entwickelt und eingeführt, endlich auch ein Kundenfeedback etabliert, dessen Resultate wiederum in die Wissensbasis eingehen. Das Besondere an diesem Prozess ist der geplante Einsatz von Wissensmanagement, mit dem Akteure und Leistungsersteller wie Hotelpersonal, Bademeister, Masseure oder Wanderführer sowie Tourismus-Manager vernetzt werden. In Medien gespeichertes Wissen ist dabei nicht von Interesse, denn es geht vor allem um zwei Aspekte: den Austausch impliziten Wissens der verschiedenen Akteure durch Workshops, auf denen zugleich auch neues Wissen generiert wird, und die Ausrichtung auf gemeinsame Ziele, was vor allem eine Kommunikationsleistung ist. In derartige Konzepte von Attraktionsmanagement können sich Bibliotheken einerseits einbringen, indem sie ihre Kerndienstleistungen – Medien und Information – um ästhetisch ansprechende Aufenthaltsmöglichkeiten von attraktiver Anmutung, um Gastronomie und Kommunikationsangebote für die Benutzer ergänzen und indem sie sich andererseits in entsprechenden StandortStrategien als Partner verorten, der kulturelle Werte und Freizeitpotenziale anbietet. Dazu wird es freilich neuartiger und bisher vielen Bibliothekaren fremder Produkt-, Distributions- und Kommunikationspolitiken bedürfen. Als Beispiele kann man – je nach Profil der zu Attraktionspunkten fortzuentwickelnden Orte  – an die Ausleihe von Karten oder Reiseführern, die die Bibliothek zur Verfügung stellt, in der Touristinformation, an Blockausleihen an Hotels, an medial unterstützte Kinderbetreuung und Stützpunkte für Verbraucherinformation in Einkaufszentren oder Konsolenspiele-Zentren in Ferienhausanlagen denken. Demgegenüber umfassen die politischen Maßnahmen der Standortpolitik typischerweise ein robusteres Repertoire. Dazu gehören vor allem⁹: – Kommunalentwicklung: Schaffung eines für die Menschen lebenswerten Umfelds, indem kommunale Institutionen wie Bildungs- und Gesundheitssystem, öffentliche Sicherheit oder andere kommunale Infrastrukturen gefördert werden. Aus Sicht der Planer liegen die kommunalen Bibliotheken hierbei meistens unterhalb

8 Vgl. Erat, Fischer, Hankova 2006. 9 Vgl. Gubler, Möller 2006, S. 31−32.

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der Wahrnehmungsschwelle. Sie müssten sich ihrerseits mit großer Energie in Planungsprozesse einbringen. Stadtgestaltung: Schaffung eines hohen Lebensstandards für Einwohner und Arbeitnehmer durch stadtgestalterische Maßnahmen (Architektur, öffentliche Flächen, Verkehr). Stadtplanung: Initiierung von Projekten im Zusammenhang mit Bodennutzung, Raumaufteilung, Bevölkerungsdichte u.a.m. Insbesondere in wirtschaftlich dynamischen Regionen ist die Ausweisung von (neuen) Gewerbeflächen von herausragender Bedeutung¹⁰, während die Vorbereitung von Gewerbeflächen in strukturschwachen Regionen subventionierte Brachen erzeugt. Freilich ist der Stellenwert des Flächenangebots im Einzelnen umstritten¹¹. Vereinzelt verschenken oder verschleudern Kommunen Gewerbefläche an potenzielle Investoren, um sie zur Ansiedlung zu bewegen¹². Der kommunale Wohnungsbau spielt eine geringer werdende Rolle; es geht mehr um die Ausweisung von Flächen für attraktive neue Wohngebiete, auf denen private Investoren oder private Hausbesitzer bauen sollen. Wirtschaftsförderung: Nutzung der Stärken des Standorts, Abbau seiner Schwächen durch Maßnahmen der Wirtschaftsförderung. Strategische Marktplanung: Investition in solche Branchen, deren Bedürfnisse am Standort am besten gedeckt werden. Auch Bildungs-, Wissenschafts- und Arbeitsmarktpolitik spielen eine Rolle, insbesondere zur Förderung sich entwickelnder Cluster.¹³ Cluster sind regionale Gruppen von Unternehmen, Dienstleistern und mit ihnen assoziierten Institutionen, die durch wirtschaftliche Bedingungen (z.B. verwandte Branchen), gemeinsame Werte (z.B. Innovationsorientierung) und enge Kommunikation vernetzt sind.

Einzelmaßnahmen können sich auf folgende Elemente beziehen; es kommt maßgeblich auf einen zielführenden Mix an: – Entwicklung zukunftsgestaltender Ideen und Pläne; – Pflege, Anwerbung und Verwaltung des Geschäftsbestands; – Gestaltung des Branchenmix: Die Bibliothek kann hier als kulturelle Einrichtung und als nicht kommerzielle Einrichtung ein Faktor sein, der den Branchenmix erweitert und einen besonderen Akzent setzt; – Gestaltung des öffentlichen Raums; – Bewirtschaftung von Parkierungsflächen;

10 11 12 13

Vgl. Knörle 2003. Vgl. Mainz 2005, S. 171−176. Vgl. Volkmann 1993, S. 82. Vgl. Genosko 2006.

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Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs; Sicherheit und Sauberkeit; Werbung; Betreuung von Kunden; Beratung, Veranstaltung von Events, kulturelle Initiativen und soziale Dienste: Auch bei diesen Elementen können Bibliotheken mit einer Produktpalette von Kleinkunst über Bibliotheksrallye bis Verbraucherinformation und Lernberatung ein interessanter Partner sein; Finanzierung von Investitionen.

Typischerweise nehmen Aktivitäten des Stadtmarketings¹⁴ häufiger auf Themen wie Verkehr (gute Erreichbarkeit), Handel (gut und bequem shoppen), Innenstadtgestaltung (attraktives Stadtbild, angenehme Aufenthaltsqualitäten) Bezug als auf kulturelle Angebote; und wenn Letztere angesprochen werden, dann geht es vor allem um Stadtfeste, Weihnachtsmärkte, kulturelle Veranstaltungen. Dies entspricht insoweit der Wahrnehmung derartiger Sachverhalte. Untersuchungen der tatsächlichen Qualität und Wirkung von Standortpolitiken kommen allerdings zu im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

2.2 Erfolgreiche Beispiele Hamburg hat durch Maßnahmen wie die gezielte Ansiedlung großer Dienstleistungsund Kulturbetriebe (u.a. die Errichtung einer Spielstätte für Musicals wie „Cats“ und „Phantom der Oper“) außerordentlich erfolgreich den Strukturwandel (Niedergang der Werften und nachlassende Bedeutung der Hafenwirtschaft in Konkurrenz zum Flugverkehr) bewältigt. Die wirtschaftliche Basis der Stadt (u.a. Ansiedlung von Dienstleistungsunternehmen und Kulturbetrieben, Stärkung des Sektors Medien, Verlage, Werbung und innovativer Industrien) konnte verbreitert werden; Menschen in kreativen und hoch qualifizierten Berufen mit vergleichsweise hohem Einkommensniveau wurden in die Stadt gezogen. Einzelne Maßnahmen richteten sich auf den Bau hochwertiger Wohnungen, auf innenstadtnahe kulturelle Events, stärkere Durchmischung von Stadtteilen mit Wohn- und Dienstleistungsunternehmen sowie auf eine verstärkte Zusammenarbeit von Schulen, Berufsbildung und Hochschulen mit der Wirtschaft.¹⁵ In der Wirkung konnte Hamburg Wirtschaftswachstum realisieren und gilt heute als Gewinner im internationalen Wettbewerb.¹⁶ Ob die Bücherhallen Hamburg hierzu einen aktiven Beitrag leisteten oder eher Nutznießer dieser

14 Vgl. Walther 1999, S. 80. 15 Vgl. Volkmann 1993, S. 68−69. 16 Vgl. Volkmann 2006.

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Entwicklung waren, indem die qualifizierten Neu-Hamburger als neue Benutzer in Erscheinung traten, wurde bisher im Einzelnen nicht untersucht. In der Hamburger Standortpolitik kamen die Bücherhallen als Gegenstand von Maßnahmen oder als Argument nicht vor. Als Beispiel für ein erfolgreiches Standortmarketing wird ferner die Dachmarke Südtirol angeführt.¹⁷ Unter ihr treten sowohl Produkte und Dienstleistungen wie auch die Tourismus-Werbung der Region auf. Die dezentralen Budgets unterschiedlicher Institutionen, sowohl öffentlicher wie auch privater, werden werblich integriert. Die Dachmarke dient sowohl der Markierung von (vor allem landwirtschaftlichen) Produkten aus der Region als auch der Tourismus-Werbung. Bibliotheken sind in dieses Konzept mit einbezogen  – allerdings nicht etwa die Öffentlichen Bibliotheken, die jedenfalls im deutschsprachigen Bereich vom Amt für Bibliotheken und Lesen intensiv beraten werden, sondern die in vielen Hotels und Ferienwohnungsanlagen privat geführten Bibliotheken, d.h. nicht nach bibliothekarischen Grundsätzen gepflegte Büchersammlungen, die dort den Touristen zur Verfügung stehen. Ähnliches lässt sich für das Stadtmarketing-Konzept Bregenz sagen. Dieses wurde 1999 generiert und hat bis heute das erfolgreich verwirklichte Ziel, die Marketing-Aktivitäten der Landeshauptstadt zu bündeln und die Attraktivität der Stadt zu erhöhen. Maßnahmen sind vor allem die Vernetzung von Aktivitäten wie Festspiele und Einzelhandel, touristischen Betrieben und Wirtschaftsansiedlung. Die Vorarlberger Landesbibliothek spielt in diesem Konzept keine Rolle; ihr Statut¹⁸ ist gegenüber diesem Konzept unspezifisch auf Bildung, u.a. Informationsversorgung für die Studierenden des Fernstudienzentrums und anderer hochschulähnlicher Bildungseinrichtungen, sowie typisch landesbibliothekarische Aufgaben ausgerichtet. Zwei weitere Beispiele¹⁹ gelungener Standortpolitik sollen das Bild abrunden. In beiden Fällen spielten die jeweiligen Bibliotheken am Ort keine Rolle. In den 1980er Jahren entwickelte sich die Zürcher Bahnhofstrasse negativ: Die Besucherfrequenz ließ nach, weil in unmittelbarer Umgebung der Bahnhofstrasse keine Parkplätze zur Verfügung standen, aber außerhalb Zürichs eine Reihe von attraktiven Einkaufszentren mit Parkhäusern gebaut worden waren, weil der Einzelhandel zunehmend von internationalen Ketten statt von angestammten Fachgeschäften dominiert wurde, weil Haltestellen-Wartehäuschen und Verkehrsschilder das Straßenbild hässlich machten und weil Bettler, Straßenmusikanten und Drogenabhängige zunehmend als störend wahrgenommen wurden. Als Koordinator und Akteur der Maßnahmen trat die Vereinigung der Einzelhändler auf (City Vereinigung Zürich). Folgende Maßnahmen wurden u.a. ergriffen: Ein nahes unterirdisches

17 Vgl. Pechlaner, Hammann, Fischer 2008. 18 http: // vlb.vorarlberg.at / vlb / downloads / wer_sind_wir / organisation / statut.pdf (Abruf: 06.05.2012). 19 Vgl. Gubler, Möller 2006, S. 150−168.

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Parkhaus wurde errichtet; die Ladenöffnungszeiten wurden vereinheitlicht und ausgedehnt. Das Straßenbild wurde durch Baumaßnahmen aufgewertet; eine Kampagne „Ruhe, Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit“ zeigte Wirkungen. Durch gezielte Anwerbung von hochwertigem Einzelhandel mit individuellem Profil und besonders hoch qualifiziertem Personal bekam die Bahnhofstrasse wieder Flair und versprach Einkaufserlebnisse. In Feldkirch (Vorarlberg) war in den 1990er Jahren die Situation des Einzelhandels unbefriedigend: Zwar hatte man den öffentlichen Nahverkehr umgreifend ausgebaut und die Zahl der Kundenparkplätze in der Innenstadt erheblich ausgeweitet, auch Tiefgaragen errichtet, dennoch war die Kundenfrequenz ungenügend. Kundenbefragungen ergaben, dass Einkaufsmöglichkeiten und Erreichbarkeit von Feldkirch wenig bekannt waren. Die Werbegemeinschaft Feldkirch ergriff folgende Maßnahmen: einheitlicher Markenauftritt (u.a. Ladenöffnungszeiten, Qualität der Schaufenstergestaltung, Qualifizierung des Verkaufspersonals); Imagekampagne; kleinere, wiederkehrende Fach- und Spezialmessen; laufende Überprüfung des Verkehrskonzepts und Verbesserung der Anbindung von Seitenstraßen und des Fahrplans des öffentlichen Nahverkehrs; Stadtgestaltung (Beleuchtung, Begrünung, Gestaltung der Lauben); aktive Geschäftsansiedlungspolitik; ein Kommunikationsforum für die Koordination der beteiligten Akteure, insbesondere Einzelhandel und Stadtverwaltung; City-Manager; Evaluation der Maßnahmen mit Befragungen und Kennzahlen; Sicherheitspatrouillen, verbesserte Stadtreinigung und Beleuchtung in den Parkhäusern; Paketsammelstelle und Kinderparadies (Zusatznutzen); Kundenkarte. Eher als in Zürich hätten hier Bibliotheken einen Beitrag leisten können, z.B. als Verknüpfung von Kundenkarte und Bibliotheksausweis oder Angebot einer Kinderbetreuung, Lesecafé.

2.3 Defizite Generell zeigen Analysen von Standortpolitiken jedoch überwiegend Defizite und unbefriedigende Kosten-Nutzen-Verhältnisse auf. Sie bestehen vor allem in folgenden Aspekten: – Die Zahl der tatsächlich erreichten Unternehmensansiedlungen und damit zusätzlichen Steuereinnahmen rechtfertigt in der Regel die kommunalen Kosten der Wirtschaftsförderung nicht.²⁰ – Die Angebote der Kommunen im Rahmen ihrer Standortpolitik sind weitgehend konform und erzeugen keine Spezifika, die die Wahl gerade für diesen Standort begründen könnten. – Der kommunalen Wirtschaftsförderung ist der Bedarf der Unternehmen auf der Suche nach attraktiven Standorten zu wenig bekannt. Insbesondere für kleine

20 Vgl. Gubler, Möller 2006, S. 222−230.

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Umlauf

und mittlere Unternehmen spielen neben rationalen auch subjektiv-emotionale Kriterien eine Rolle²¹; diese werden aufseiten der Wirtschaftsförderung kaum zur Kenntnis genommen. Die Unternehmen vermissen ein proaktives Handeln der Kommunalverwaltung und beklagen zersplitterte Zuständigkeiten der Verwaltungen, wenn Ansiedlungen realisiert werden sollen.²² Die Einschätzungen hinsichtlich jetziger und künftiger Bedeutung der Standortfaktoren klaffen zwischen Bürgermeistern und Unternehmern erheblich auseinander.²³ Die Bürgermeister überschätzen insbesondere die Faktoren: Verkehrsanbindung, Subventionen, Fördermittel, Kosten (kommunale Abgaben, niedrige Lebenshaltungskosten). Die Kommunen unterschätzten dagegen die Faktoren: familiäre Gründe des Standortwechsels; Nähe zu anderen Betrieben des gleichen Unternehmens; Arbeitsmarkt; Flexibilität, Aktivität und Mentalität der Arbeitnehmer, der Unternehmen selbst und der öffentlichen Verwaltung. Im Bereich des City- und Stadtmarketings kommen weitere Defizite hinzu²⁴: – Unterfinanzierung der Maßnahmen; – fehlende oder politisch unklare und in sich widersprüchliche Leitbilder sowie fehlende oder schwache Stadt- bzw. Regionalmarken, an denen die Strategien, Einzelziele und Maßnahmen ausgerichtet sein könnten; – unkoordinierter Aktionismus, zu geringer Organisationsgrad der Akteure, mangelnde Koordination der Akteure; – die durchgeführten Aktionen dienen eher der bloß kurzfristigen Imagegestaltung als der Stadtentwicklung. Im Rahmen werblicher Selbstdarstellung der Städte werden Bibliotheken wiederholt erwähnt²⁵, und zwar Öffentliche Bibliotheken als Freizeit- und Kultureinrichtungen (selten als Bildungseinrichtungen), wissenschaftliche und Spezialbibliotheken mit ihren Datenbanken, insbesondere wenn sie mit einem Patentinformationszentrum verbunden sind, als relevante Informationsressourcen für die Wirtschaft.

Durch folgende Maßnahmen ließen sich kommunale und regionale Standortpolitiken verbessern²⁶: – Erkundung der tatsächlichen Bedarfe der standortsuchenden Unternehmen durch dauerhafte Marktforschung;

21 22 23 24 25 26

Vgl. Funk 2009, S. 129−131. Vgl. Funk 2009, S. 233. Vgl. Markert 2001. Vgl. Steppeler 2006, S. 75−77. Vgl. Umlauf 2008c, S. 6. Vgl. Funk 2009, S. 236−238.

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Einrichtung einer zuständigen Stelle, die gegenüber standortsuchenden Unternehmen bzw. Familien als One-Stop-Shop fungiert und kommunale Informationen und Maßnahmen bündelt; im Rahmen eines Welcome Packages, das die kommunale Wirtschaftsförderung den Unternehmen, die sich neu angesiedelt haben, übergibt, können neben Beratungsgutscheinen für Gespräche mit Banken, Steuerberatern und Rechtsanwälten auch Gutscheine für kommunale Dienstleistungen wie Theater, Museen, ÖPNV enthalten sein. Im Rahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung kann ein Location Service für Führungskräfte von Unternehmen, die sich ansiedeln wollen oder sich gerade angesiedelt haben, angeboten werden: Unterstützung bei der Suche nach Wohnung oder Kindergartenplatz. Damit die Öffentliche Bibliothek hierbei berücksichtigt wird, bedarf es energischer Anstrengungen der Bibliothek gegenüber der Abteilung für Wirtschaftsförderung. Meistens nehmen sich beide Partner wechselseitig nicht wahr.

2.4 Mögliche Beiträge der Öffentlichen Bibliothek zum City-Marketing Mögliche Beiträge Öffentlicher Bibliotheken werden umso besser fassbar, je kleinräumiger die Planungsebene ist. So sind beim City-Marketing folgende Leistungsfaktoren wichtig²⁷: – Kundenparkplätze, Zugang zum öffentlichen Verkehr; – attraktive Bauplanung und Fußgängerzonen, Gestaltung des öffentlichen Raums, Begrünung, Bepflanzung, Sauberkeit, Sicherheit; – Gestaltung der Grenzbereiche zwischen privatem und öffentlichem Raum, zielgruppengerechte Nutzung des halböffentlichen Raums: In diesem Kontext könnten Bibliotheken eine Rolle spielen. Sie gelten im soziologischen Sinn als halböffentliche Räume; – Unterhaltung und Information: Auch hier können Bibliotheken eine Rolle spielen, wenn sie sich konsequent auf die mit dem City-Marketing jeweils angesprochenen Zielgruppen ausrichten, z.B. mit Verbraucherinformation; – Geschäftsansiedlung; – Werbe- und PR-Maßnahmen, regelmäßige Aktionen und Veranstaltungen; – zielgruppengerechter Angebotsmix, Schaufenster, Dienstleistungen und Innovation; – Beratung; – Kundenwünsche an den öffentlichen Raum erstrecken sich u.a. auf Erlebniswerte durch Kultur. Allerdings zielt dies eher auf Eventkultur als auf individuelle Medi-

27 Vgl. Gubler, Möller 2006, S. 100−101.

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Umlauf

ennutzungen, wie sie für Bibliotheken typisch sind. Bibliotheken können freilich auch einschlägige Veranstaltungen anbieten – vielleicht weniger in eigener Regie, sondern indem sie ihre Flächen anderen Veranstaltern zur Verfügung stellen. Ein entscheidender Faktor sind allerdings die Öffnungszeiten²⁸ der Bibliotheken. Diese müssten den Öffnungszeiten des Einzelhandels einschließlich von ShoppingNächten und -Sonntagen angepasst werden. Bisher haben die Öffentlichen Bibliotheken  – anders als die Hochschulbibliotheken  – kaum Wege gefunden, ihre Öffnungszeiten ohne zusätzliches Personal benutzerfreundlich zu gestalten; hier spielt allerdings auch der Einfluss der Gewerkschaftspolitik über die Personalräte eine Rolle. Das implizite Benutzermodell der meisten Öffentlichen Bibliotheken unterstellt einen durchgehenden Bedarf an hoch qualifizierter Beratung, der sich empirisch nicht belegen lässt.

3 Standortmarketing als Standortwahl 3.1 Bibliothekarische Standards In bibliothekarischen Fachkontexten wurde wiederholt betont, dass der Standort der Bibliothek gut erreichbar sein soll. So gehören zu den Qualitätsstandards der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken, auf denen ein Zertifizierungsverfahren aufsetzt, die beiden „Soll“-Aussagen: Die Bibliothek ist für die Mitarbeiter der Trägerinstitution in max. 10 Minuten Fußweg vom Arbeitsplatz erreichbar. Die Bibliothek ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar (innerhalb von 10 Minuten zu Fuß ab Haltestelle).²⁹

Das Gutachten der KGSt (heutiger Vollname: Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) aus 1973 forderte, dass die Öffentlichen Bibliotheken ein dichtes Netz bilden sollen, bei dem kein Bürger weiter als 15 Minuten von der nächsten Filiale entfernt wohnt.³⁰ In ihrem Planungs-, Forderungs- und Selbstverständnispapier „Bibliotheken ’93“ (1994)³¹ beschränkten sich Bibliothekare auf die blassere Forderung, dass die Öffentlichen Bibliotheken „für alle Bürger / -innen leicht erreichbar sein“ sollen. Dagegen sehr konkret, aber relativ, lautet die Formulierung im aktu-

28 29 30 31

Vgl. Verch 2006, S. 61−63. http: // www.akmb.de (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Öffentliche Bibliothek 1973. Vgl. Bundesvereinigung Dt. Bibliotheksverbände 1994.

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ellen Strategiepapier „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“ der bibliothekarischen Verbände: Die Entfernung zu einem Bibliotheksstandort beträgt für mindestens 75 % der Bevölkerung einer Stadt weniger als 2 Kilometer.³²

Die aus 2004 stammenden Public Library Service Standards³³ des britischen Department for Culture, Media and Sport, das die Leitlinien der Regierung auf diesen Gebieten umsetzen soll, enthalten u.a. Aussagen, nach denen die Dichte der Bibliotheksfilialen bestimmt werden soll. Beispielsweise sollen in ländlichen Gebieten 85 % der Haushalte nicht weiter als 2 Meilen = 3,2 Kilometer von der nächsten stationären Bibliothek entfernt wohnen, in geschlossenen Siedlungsgebieten 100 %. Sie waren offenbar Vorbild für die jüngere deutsche Forderung. Vickery³⁴ zitiert Untersuchungen aus Großbritannien, die das Argument der Nähe stützen können (Tab. 1). Die Tabelle zeigt auch, dass Bibliotheken umso attraktiver sind, je größer sie sind, wenn man Attraktivität als Anteil der Nutzer versteht, die innerhalb definierter Entfernungen von der Bibliothek den Wohnsitz haben.

Entfernung in km

Anteil der Nutzer, die innerhalb dieser Entfernung von der Bibliothek ihren Wohnsitz haben Alle Typen von Öffentl. Bibl.

Öffentl. Bibl. in ländlichen Gebieten

Kleine Zweigbibliotheken in Städten

1,2

64 %

72 %

82 %

3,2

81 %

85 %

93 %

8

93 %

95 %

95 %

Tab. 1: Anteil der Nutzer, die innerhalb gewisser Entfernungen von der Bibliothek ihren Wohnsitz haben³⁴a

Es wird deutlich, dass hinter dem deutschen und hinter dem britischen Standard unterschiedliche Ansätze stehen: Der ältere deutsche Standard hebt auf Entfernung gemessen in Zeit ab, der britische und der jüngere deutsche Standard auf Entfernung gemessen in Entfernungsmaßen (Kilometer bzw. Meilen). Dem britischen und

32 21 gute Gründe für gute Bibliotheken 2008, S. 7. 33 Vgl. http: // www.culture.gov.uk / NR / rdonlyres / 2374D642-E0E0-40BF-8BE4-F12047103DBE / 0 / PUBLICLIBRARYSERVICESTANDARDSFINAL1OCTOBER.pdf (Abruf: 25.06.2005). Das Dokument ist online nicht mehr verfügbar. 34 Vgl. Vickery, Vickery 2004, S. 247 / 248. 34a Vgl. Vickery, Vickery 2004, S. 247 / 248.

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Umlauf

jüngeren deutschen Standard liegt die Kreismethode zugrunde: Um den Standort werden Kreise gelegt, deren Mittelpunkt der Standort ist; die Zahl der Einwohner innerhalb einer definierten Kreisfläche wird ermittelt. Der ältere deutsche Standard wendet unausgesprochen das Zeitdistanzverfahren an: Maßstab ist nicht die Entfernung, sondern die Wegezeit. Je nach raumstrukturellen Gegebenheiten wie Gewässern, Bahntrassen, Autobahnen oder großen Grundstücken ohne Querung kann es zu erheblichen Unterschieden zwischen den Ergebnissen beider Methoden kommen. Das Zeitdistanzverfahren bildet das tatsächliche Verbraucherverhalten besser ab. Allerdings ist der Wert des deutschen Standards von 1973 schwer begründbar und scheint eher Erwägungen politischer Realisierbarkeit als empirische Werte widerzuspiegeln: Verbraucher sind kaum bereit, längere Fußwege als 10 Minuten in Kauf zu nehmen. Im Lebensmitteleinzelhandel umfasst ein Bereich von 5 Gehminuten 80 % der Kunden. Die Fahrzeit im Auto orientiert sich an einem Wert von etwa 30 Minuten, in Ballungsgebieten deutlich weniger, in ländlichen Gebieten nicht mehr als 45 Minuten. 70 % der Kunden erreichen den Einzelhandelsstandort binnen 15 Minuten.³⁵ Auf dem Hintergrund des Bedeutungszuwachses von Bibliotheken als Lernzentren gewinnt die Standortfrage an Gewicht.³⁶ Über die genannten sehr einfachen Kriterien hinaus präsentiert die bibliothekarische Fachliteratur kaum differenzierte Instrumente der Standortwahl. Auf solche Instrumente soll im Abschnitt 4 näher eingegangen werden. Aus Sicht der Stadtplanung wurden quantitative Standards für den Gemeinbedarf, u.a. für Öffentlche Bibliotheken, von der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 1983 zusammengefasst.³⁷ Diese Empfehlungen weichen von den genannten bibliothekarischen Standards deutlich ab, denn – als Mindesteinzugsbereich für Büchereien werden 8.000−10.000 Einwohner angesehen, für Bibliotheken – der Unterschied zu Büchereien wird nicht erklärt – 10.000−20.000 Einwohner, während der „Bibliotheksplan ’73“ ein Einzugsgebiet von 5.000 Einwohnern als Untergrenze für Standort-Bibliotheken betrachtet; – als Bestand werden zwei Medieneinheiten je Einwohner angesetzt, aber konsequenterweise wird der Mindestbestand mit 15.000 Medieneinheiten veranschlagt; – entsprechend wird als quantitativer Orientierungswert für die räumliche Dichte eines Bibliotheksnetzes ebenfalls ein etwas weniger anspruchsvoller Wert als im „Bibliotheksplan ’73“ empfohlen, nämlich eine Entfernung jedes Einwohners zur nächsten Bibliothek von maximal 1,5 km oder 20 Minuten Fußweg. Gründlicher als für Bibliotheken wurden Kriterien der Standortwahl für den Einzelhandel und generell für Unternehmen untersucht.

35 Vgl. Theis 2008, S. 314−319. 36 Vgl. Lux, Sühl-Strohmenger 2004. 37 Vgl. Borchard 1983, S. 190.

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3.2 Standortwahl beim Einzelhandel Für die Standortwahl bzw. -analyse von Einzelhandelsunternehmen gelten deutlich andere Kriterien als bei Gewerbebetrieben, nämlich die folgenden³⁸: – Konkurrenz: Von Konkurrenzunternehmen können auch positive Effekte ausgehen, wenn durch Absatzagglomeration das Gruppenumsatzpotenzial steigt; – Marktanteil in Bezug auf das Gruppenumsatzvolumen; – Standortqualität und Verkehr: – Renommee des Standorts³⁹, – innerstädtische Hauptlage: Lage im innerstädtischen Attraktionszentrum, branchengleiche und branchenungleiche Agglomeration, hohe Passantendichte, – innerstädtische Nebenlage: Lage in Nebenstraßen der City oder in abgelegenen Stadtteilen, geringe Passantenfrequenz, – Nachbarschaftslage: zentrale Lage in einem Siedlungsgebiet, unmittelbare Nähe zum Kundenwohnsitz, – gruppierte Rand- oder Außenlage: Lage am Rand eines Ortes, im außeroder zwischenstädtischen Bereich, gute Erreichbarkeit, Parkmöglichkeiten, branchenungleiche Agglomeration, – isolierte Randlage, – Gestaltung der Fußwege, – Passantenfrequenz, – Qualität der Straßenanbindung (z.B. Hauptverbindungsstraße, Nebenstraße), – Intensität des Straßenverkehrs (Fahrzeuge pro Tag), – verkehrliche Behinderungen, – Parkflächen und ihre Auslastung, – Verkehrsanbindung mit öffentlichem Nahverkehr (Bahn- bzw. Bushaltestellen; Anzahl in Entfernung); – Konsumentenbedarf: Der Haushalt ist beim Einzelhandel die Bezugsgröße, die die Nachfrage maßgeblich bestimmt. Wesentliche Strukturmerkmale sind: – Haushaltsgröße, – soziale Stellung, – Altersstruktur, – Haushaltseinkommen;

38 Vgl. Theis 2008, S. 340−360. 39 Vgl. Wolk 2009, S. 134.

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– –



– –

Umlauf

Bedarfsintensität = Pro-Kopf-Ausgaben für die betreffende Produktgruppe, wie man sie den Veröffentlichungen der statistischen Ämter entnehmen oder detaillierter von Marktforschungsunternehmen kaufen kann; Kaufkraft: Dies modifiziert die Bedarfsintensität; Marktpotenzial: Aufnahmepotenzial eines Gebiets für ein bestimmtes Produkt; dieses Potenzial verteilt sich auf die Konkurrenten und wird ggf. von allen gemeinsam nicht ausgeschöpft; Zentralität: Die Größe berücksichtigt Ein- und Auspendler. Die Zentralitätskennziffer errechnet man wie folgt: Umsatzkennziffer geteilt durch Kaufkraftkennziffer. Die Zentralitätswirkung hängt auch von öffentlichen Dienstleistungen wie Schulen oder kulturellen Angeboten ab; Mentalität: Image des Geschäfts, Anspruchniveaus der Kunden in Bezug auf Verkaufsatmosphäre, Warendarbietung⁴⁰; Raumgröße und -struktur (Verteilung auf die Geschosse), Raumkosten, Ambiente (Fassadendesign, Schaufenster, Verkaufsraum u.a.m.).

Es wird deutlich, dass ein kulturelles Umfeld nicht als relevant eingeschätzt wird, jedoch die Passantenfrequenz und Agglomerationen, also Zusammenballungen branchengleicher oder branchenfremder Einzelhandelsgeschäfte, Gastronomie usw. Hier könnten Bibliotheken eine Rolle spielen; ihre Präsenz stärkt Zentralitätsfunktionen. Dazu kommen Kriterien aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen wie z.B. Vorschriften über Ladenöffnungszeiten oder Baunutzungsverordnungen, die z.T. bestimmte Formen wirtschaftlicher Nutzungen, z.B. Großflächeneinzelhandel, unterbinden sollen.⁴¹ Diese Kriterien lassen sich weitgehend auf Dienstleistungserbringer übertragen; für die Nachfrage nach Dienstleistungen haben Lebensstile und demografische Entwicklungen eine größere Bedeutung als für den Einzelhandel.⁴² Für Bibliotheken spielen naturgemäß die auf die Kaufkraft bezogenen Kriterien unmittelbar keine Rolle. Allerdings ist aus Untersuchungen über den Zusammenhang von Buchkauf und Buchleihe bekannt, dass  – mit Ausnahme der Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen  – die lebhaften Buchkäufer auch die lebhaften Bibliotheksbenutzer sind und umgekehrt; beide Verhaltensweisen korrelieren stark positiv.⁴³ Ein höheres Kaufkraftniveau im Einzugsgebiet lässt also auf ein größeres Nutzungspotenzial für Bibliotheken schließen. Was den Bedarf angeht, können empirische Daten vergleichbarer Bibliotheken mit soziografisch ähnlichem Einzugsgebiet ungefähre Anhaltspunkte

40 41 42 43

Vgl. Scheuch 2007, S. 290−295. Vgl. Pepels 2009. Vgl. Meyer 1998, S. 221. Vgl. Umlauf 2005, S. 18.

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liefern. Allerdings hängt die Nachfrage nach Medien, ob durch Leihe oder Kauf befriedigt, in weit stärkerem Maß als bei anderen Gütern vom Angebot ab und muss als hoch dynamische Größe verstanden werden. Jedoch zeigen Trends in der Wahl bevorzugter Standorte des Einzelhandels, dass die Anwendung dieser Kriterien keineswegs einheitlich erfolgt oder im Zeitverlauf zu einheitlichen Ergebnissen führt. Vielmehr wirken Faktoren, die hier nur am Rande oder gar nicht genannt werden, im Sinn längerfristiger Trends. Seit Beginn der 1990er Jahre entstanden neue, großflächige Einkaufszentren in Randlagen außerhalb der Städte. Gründe waren die gewachsene Mobilität der Bevölkerung und die hohen Immobilienpreise in den Städten, auch Parkplatzfragen und bürokratische Regulierungen beim innerstädtischen Bauen bzw. Umbauen. Der innerstädtische Einzelhandel beklagte einen dramatischen Kaufkraftabzug.⁴⁴ Bald nach dem Jahr 2000 ist dieser Trend gebrochen. Jedoch gewinnen weniger die traditionellen Einkaufsmeilen in den Innenstädten ihre frühere Bedeutung zurück. Vielmehr entstehen neue Urban Entertainment Centers in den Innenstädten. Aufgabe eines professionellen Stadtmarketings ist es nun, durch Marketingmaßnahmen in Kooperation mit kommerziellen Partnern den gemeinsamen Standort zu profilieren.⁴⁵ Wiederholt fanden in derartigen Centern auch Bibliotheken einen Standort  – teils verlangten die baurechtlichen Vorgaben einen bestimmten Anteil nicht kommerzieller Nutzungen, teils konnten weniger vorteilhafte Einzellagen, z.B. im Obergeschoss, keiner kommerziellen Nutzung zugeführt werden.

3.3 Standortwahl von Gewerbebetrieben Andere Kriterien für die Standortwahl als der Einzelhandel legen Gewerbebetriebe zugrunde, deren Zielgruppe nicht die Endverbraucher sind. Hier spielen folgende Faktoren eine Rolle⁴⁶: – Verfügbarkeit von nutzbaren Flächen⁴⁷: Dieser Faktor muss freilich im Zusammenhang mit Immobilienpreisen und Kosten zur Errichtung neuer Produktionsstätten gesehen werden; – Arbeitsmarkt: qualifizierte Arbeitskräfte, Wissenstransfer; – Kunden: anspruchsvolle Nachfrage, Innovationscluster; – Vorleister: anspruchsvolle Problemlösungsunterstützung, Innovationsanstöße; – Steuerklima: moderate Steuer, hoher Service der öffentlichen Verwaltung;

44 45 46 47

Vgl. Steppeler 2006, S. 39−41. Vgl. Theis 2006, S. 42−61. Vgl. Pechlaner, Hammann, Fischer 2008. Vgl. Mainz 2005, S. 161−176.

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– – – –

Umlauf

öffentliche Einrichtungen: Kultur, Freizeit, Museen, Shopping, Flughafen; rechtliche Rahmenbedingungen; Versorgungssicherheit hinsichtlich Energie und Verkehr, Verkehrsanbindung; Information, Kommunikation und Wissen: Zugang zu Technologie, Beratung, Bildungs- und Forschungseinrichtungen.

Auf lokaler Entscheidungsebene spielen Faktoren wie das Wohnumfeld und Freizeitangebote eine ins Gewicht fallende Rolle.⁴⁸ Insgesamt ist für Unternehmen die Differenz zwischen standortabhängigen Nutzen (Standorte der Konkurrenten, Abnehmer, Markt, Zulieferer) und Kosten ausschlaggebend⁴⁹; die Merkmale eines Standorts selbst fallen nur ins Gewicht, soweit sie diese Differenz beeinflussen. Daneben spielen für bestimmte Branchen sehr spezielle Standortfaktoren eine Rolle, z.B. für Apotheker die Ärztedichte⁵⁰ oder für den Buchhandel der Bevölkerungsanteil mit höheren Bildungsabschlüssen. Üblich ist die Unterscheidung zwischen harten und weichen Standortfaktoren. – Die harten Standortfaktoren lassen sich insbesondere in Form von Kosten leicht messen. Verbreitete Verfahren⁵¹, sie in Entscheidungskalküle einzubeziehen, sind dementsprechend vor allem Investitionsrechnungsverfahren und Nutzwertanalysen. Teilweise werden aber auch einfache Checklisten eingesetzt. Zu den harten Standortfaktoren gehören vor allem⁵²: – Lage zu den Bezugs- und Absatzmärkten, – Verkehrsanbindung, – Arbeitsmarkt (qualitativ, quantitativ), – Gewerbeflächen, -preise, -mieten, – Energie- und Umweltkosten, – Kommunale Steuern und Abgaben, – Förderangebote, – Branchenkontakte, – Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten, – Nähe zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen. – Die weichen Standortfaktoren lassen sich schlecht quantifizieren und werden meistens auf Skalen subjektiver Einschätzungen ihrer Wichtigkeit gemessen. Man unterscheidet zwischen weichen unternehmensbezogenen und weichen personenbezogenen Standortfaktoren:

48 49 50 51 52

Vgl. Kinkel 2003, S. 53, 128−129. Vgl. Mainz 2005, S. 71−73. Vgl. Bienert 1996, S. 105. Vgl. Kinkel 2003, S. 53. Vgl. Blume 2003.

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Weiche unternehmensbezogene Standortfaktoren – Wirtschaftsklima – Image des Betriebsstandorts, der Stadt, der Region – Karrieremöglichkeiten – Innovatives Milieu der Region Weiche personenbezogene Standortfaktoren – Wohnen / Wohnumfeld – Umweltqualität – Schulen / Ausbildung – Soziale Infrastruktur – Freizeitwert – Kulturangebot – Reiz der Region, der Stadt. Hier spielen oft Traditionen wie z.B. Feste und Umzüge, auch andere Elemente der performativen und materiellen Kultur eine Rolle.

Die weichen Standortfaktoren und ihre Bedeutung für Unternehmensentscheidungen wurden seit den 1980er Jahren⁵³, als kommunale, auch staatliche Kultureinrichtungen zunehmend unter Legitimationszwang kamen, lebhaft erörtert, untersucht und im Ganzen wohl überschätzt.⁵⁴

3.4 Kultur als Standortfaktor⁵⁵ Kulturelle Angebote, so wurde deutlich, spielen bei der Standortwahl von Gewerbebetrieben eine gewisse, allerdings mehr oder minder nachgeordnete Rolle (Abb. 1).⁵⁶ Die harten Standortfaktoren sind allesamt wichtiger als die meisten weichen Standortfaktoren. Unter den weichen Standortfaktoren haben lediglich das Image des Standortes und auch noch die Mentalitäten und Arbeitseinstellungen der Arbeitskräfte eine gewisse Bedeutung, die an die Bedeutung der harten Standortfaktoren heranreicht. Alle anderen weichen Standortfaktoren – Freizeit- und Kulturangebote, Wohnumfeld und Stadtbild, Schulen – haben einen gegenüber den harten Standortfaktoren nachgeordneten Stellenwert. Die Forschungseinrichtungen, die unter dem Gesichtspunkt der Innovation und des Wissenstransfers als harter Standortfaktor interessant sein können, sind freilich regelmäßig auch mit Bibliotheken bzw. Information Services ausgestattet. Die Bibliotheken spielen dann jedoch in ihrer Funktion

53 54 55 56

Vgl. Heinrichs, Klein, Bendixen 1999, S. 33−34. Vgl. Grabow, Henckel, Hollbach-Grömig 1995, S. 101. Vgl. Umlauf 2008c, S. 11−15. Vgl. Grabow 2005, S. 37−52.

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Umlauf

Weiche und harte Standortfaktoren Schlecht quantifizierbar subjektive Einschätzung

Mentatlitäten, Arbeitseinstellung Image als Wirtschaftsstandort Unternehmensfreundlichkeit der Verwaltung

Soziales Klima

Weiche Faktoren

Stadtbild, -attraktivität

Harte Faktoren

Verkehrsanbindung

Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte

Verwaltungshandeln/ -flexibilität/ -schnelligkeit

Steuern, Abgaben, Subventionen Gut quantifizierbar faktenbasiert

Flächenverfügbarkeit Unmittelbare Relevanz

Freizeitwert

Wohnwert Berufliche Ausbildungseinrichtungen

Regionaler Absatzmarkt Nähe zu Zulieferern

Kulturangebot Schulen

Forschungseinrichtungen, wiss. Kooperation

Relevanz für die Unternehmenstätigkeit

Mittelbare Relevanz

Abb. 1: Einfluss weicher und harter Standortfaktoren

für die Forschungseinrichtung eine Rolle, nicht direkt für die investierenden Unternehmen selbst. Allerdings muss man sehen, dass lokale Bibliotheken als reine Informationsversorger vor dem Hintergrund der digitalen Informationsversorgung eine geringe oder gar keine Rolle mehr spielen; Bibliotheken, wie die Technische Informationsbibliothek Hannover, sind mit One-Stop-Shop-Angeboten für Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie in diese Rolle eingetreten. Die weichen Standortfaktoren sind nicht nur weniger wichtig als die harten, sie sind auch weniger problematisch, die Zufriedenheit mit ihnen ist insgesamt größer, sodass ihre Entscheidungsrelevanz noch weiter in den Hintergrund tritt (Abb. 2).⁵⁷ Die repräsentativ befragten Unternehmen sind mit Kultur und Freizeit, mit Schulen und Stadtimage im Großen und Ganzen zufrieden. Es sind die kommunalen Abgaben, die Kosten der Flächen, das Verhalten der Verwaltung und die Umweltschutzauflagen, die für besonders wichtig gehalten werden, während die Unternehmen mit diesen Faktoren weniger zufrieden sind.

57 Grabow 2005, S. 37−52.

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Zufriedenheit (Anteil „sehr zufrieden“ + „eher zufrieden“)

Wichtigkeit und Zufriedenheit bei Standortfaktoren aus Sicht der Unternehmen

Freizeitmöglichkeiten Hochschulen, Forschung Attraktivität Kultur

90 %

80 %

Schulen Nähe zu Zulieferern Image

Karrieremöglichkeiten

Flächenverfügbarkeit Nähe zu Absatzmärkten

Qualifizierte Arbeitskräfte

Wohnumfeld Unternehmensfreundliche Verwaltung

Kosten der Flächen

Verkehrsanbindung

Umweltschutzauflagen

Kommunale Abgaben 40 % 0%

30 %

70 %

Wichtigkeit (Anteil „sehr wichtig“) Abb. 2: Wichtigkeit und Zufriedenheit bei Standortfaktoren aus Sicht der Unternehmen

Aber man muss auch hier weiter differenzieren. Die Bedeutung der Kultur kann wie folgt gewichtet werden (Abb. 3)⁵⁸: Bedeutung kultureller Standortfaktoren Markt des höher Unternehmens lokal

Branche Einzelhandel

Rekrutierung von Personal hoch qualifiziert

Dienstleistungen

niedriger

international

Industrie, Großhandel

gering qualifiziert

Abb. 3: Bedeutung kultureller Faktoren in Abhängigkeit von Markt, Branche und Personal

58 Grabow, Henckel, Hollbach-Grömig 1995, S. 101; Thießen u.a. 2005, S. 25; Heinrichs, Klein, Bendixen 1999, S. 36−42.

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Umlauf

Für international tätige Unternehmen spielen die kulturellen Standortfaktoren mehr oder minder keine Rolle, während sie für lokal tätige Unternehmen – z.B. eine kleine, unabhängige Werbeagentur – schon ins Gewicht fallen, wenn auch gegenüber den harten Standortfaktoren nachgeordnet. Sie sind auch für den Einzelhandel, für manche Dienstleistungsunternehmen, nicht jedoch für Industrie und Großhandel von Bedeutung. Für kleine und mittlere Einbetriebsunternehmen spielen sowohl die Nähe zu den Märkten wie auch – besonders bei Produkten, die einem raschen Wandel unterliegen (Mode, Multimedia) – die informelle Verflechtung mit kulturellen Großstadtmilieus eine Rolle.⁵⁹ Für Branchen, die auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind, stellen kulturelle Standortfaktoren einen zwar nachgeordneten, aber doch nicht ganz belanglosen Faktor dar. Im Folgenden sollen die kulturellen Standortfaktoren in ihrer Bedeutung weiter differenziert werden⁶⁰: – Was die Wahrnehmung und Wertschätzung der kommunalen Kultur durch die Wirtschaft angeht, ergibt sich folgendes Ranking der Elemente kommunaler Kultur (i.S. der UNESCO-Kulturstatistik): – Soziokulturelle Aktivitäten: soziokulturelle Gemeinschaftszentren, freie Kulturarbeit, Heimatvereine, Stadtfest, Fastnacht (26 % aller Nennungen von Elementen kommunaler Kultur seitens der befragten Vertreter der Wirtschaft) – Musik: Konzerte, Opern, Musikschulen (15 %) – Kulturelles Erbe: Denkmäler, Historische Museen, Archive, Stadtbild (15 %) – Darstellende Kunst (9 %) – Bildende Kunst (9 %) – Film und Fotografie (5 %) – Nicht einzuordnende Tätigkeiten (5 %) – Druckerzeugnisse und Literatur (3 %). Hierzu gehören i.S. der UnescoKulturstatistik auch Bibliotheken. – Hörfunk und Fernsehen (0 %) – Sport und Spiele (2 %) – Natur und Umwelt (1 %). Diese Skala spiegelt aufgrund der Fragestellung vor allem das persönliche Interesse der befragten Unternehmensvertreter wider, nicht die Beurteilung, wie wichtig diese Elemente für die Wahl des Standorts oder den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens sind. – Aus Sicht der Unternehmensvertreter sprechen folgende Gründe für ein attraktives städtisches Kulturangebot:

59 Vgl. Hirsch-Kreinsen, Schulte 2000, S. 53. 60 Vgl. Heinrichs, Klein, Bendixen 1999, S. 103−141.

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Attraktivität der Stadt – Wohnumfeld anziehend machen – Abgrenzung zu größeren Städten – Gesellschaftspolitische Gründe – Kultur steigert das Bildungsniveau. – Kultur ist für die urbane Lebensqualität unverzichtbar. – Wirtschaftspolitische Gründe – Erhöhung der Standortattraktivität – Umsatzsteigerung im Einzelhandel Dennoch spielen Hinweise auf das Kulturangebot der Stadt in Stellenausschreibungen nur bei einem Drittel der Unternehmen eine Rolle. Bei Unternehmen in Städten mit weit überdurchschnittlichen Kulturausgaben reicht dieser Wert an fast 50 % heran (nahezu ausschließlich Stellenanzeigen für Führungskräfte). Ähnliches gilt für die Frage, ob das Thema Kultur am Ort von den Bewerbern in Bewerbungsgesprächen angesprochen wird. Auch hierbei reicht der Wert in Städten mit überdurchschnittlichem Kulturangebot an 50 % heran. Dabei heben die Bewerber weniger auf ihre eigenen Bedürfnisse, sondern mehr auf die ihrer Kinder und Ehepartnerinnen ab. Nicht ganz die Hälfte der Unternehmensvertreter schätzt kommunale Kulturangebote als wichtig für die Arbeitszufriedenheit ein. Allerdings nur ein Drittel der Unternehmensvertreter sieht Angebote des Kultursektors als relevant für die berufliche Aus- und Fortbildung an, und hierbei denken die Unternehmensvertreter praktisch nur an die Volkshochschule. Selten sehen die Unternehmensvertreter eine Nutzbarkeit des Kulturangebots für die Konzipierung von Werbemaßnahmen (Inserate im Programmheft der VHS, Produktgestaltung unter Bezug auf Stadtkultur wie z.B. beim Lübecker Marzipan). Der Grund ist die Differenz zwischen den Markträumen (regional, national, international) und der Wirksamkeit sowie Bekanntheit des lokalen Kulturangebots. Ein Viertel der Unternehmensvertreter gibt an, dass kulturelle Angebote einen Einfluss auf Standortentscheidungen haben, nämlich dann, wenn das Unternehmen – z.B. Einzelhandel in innerstädtischer Lage – auf ein attraktives kleinräumiges Umfeld angewiesen ist. Deshalb kann die kommunale Kulturpolitik hinsichtlich der Ansiedlung von Unternehmen nahezu keinen Beitrag leisten (mit Ausnahme von Kulturunternehmen). Kommunale Spitzenbeamte und Kommunalpolitiker stimmen fast ausnahmslos der These zu, dass das kulturelle Erscheinungsbild und das kulturelle Angebot der Stadt wesentlich zu Ansehen und Image der Stadt beitragen. In vielen Fällen wird beides in das Stadtmarketing mit einbezogen. Hierbei spielen Konkurrenzen eine Rolle, d.h., dass die Kulturentscheider in den Städten meinen, kulturelle Angebote (Opernfestspiele, bedeutende Kunstausstellungen usw.) steigerten die Attraktivität von Vergleichsstädten stärker als die der eigenen Stadt.

88







Umlauf

Wenn man in Details geht, erklären dieselben Befragten allerdings, dass Kultur als weicher Standortfaktor – entweder eine subjektive Rolle im Vorfeld der Prüfung harter Standortfaktoren eine Rolle spielt (bei der Auswahl, ob ein Standort überhaupt in den Kreis der zu untersuchenden Standorte einbezogen wird) – oder eine nachgeordnete Rolle spielt, wenn allein aufgrund der harten Standortfaktoren (Immobilienpreise, Gebietsausweisungen, Gewerbesteuern, Autobahnanbindung etc.) eine klare Entscheidung nicht möglich ist. Sehr selten lässt sich zeigen, dass Kultur als Standortfaktor zu positiven Standortentscheidungen in messbarer Weise beigetragen hat oder Abwanderung verhindert hat. Die Führungskräfte der Wirtschaft – interessieren sich wenig für die kommunale Kultur, weil sie global orientiert sind und z.T. nur kurzfristig am Ort leben und arbeiten oder am Ort nur arbeiten, nicht wohnen; – neigen dazu, kulturelle Aktivitäten unter kurzfristigen Nützlichkeits- / Ertragsgesichtspunkten zu werten (z.B. Schaufensterdekoration passend zum Thema der Festspiele: Was bringt uns das?); hierbei gilt ihr Interesse fast nur der Event-Kultur; – tun sich mit Sponsoring auch deshalb schwer, weil sie in national oder international aufgestellten Unternehmen darüber nicht selbst entscheiden können, sondern eine Entscheidung der Zentrale herbeiführen müssen.

In der Wahrnehmung der Bürger stellen sich die Elemente der kommunalen Kulturangebote, was ihren Beitrag zur Attraktivität einer Stadt angeht, in folgender Rangfolge dar.⁶¹ – Die Elemente des kommunalen Kulturangebots haben auf die Attraktivität, wie sie von den Einwohnern wahrgenommen wird, insgesamt einen deutlich geringeren Einfluss als auf das Image. Der Einfluss wird umso schwächer, je weiter unten das Element in der folgenden Liste steht. Dasselbe gilt für die Fremdwahrnehmung der Attraktivität einer Stadt: – Stadtfest – Klassisches Kulturangebot (Schlossfestspiele, Konzerte) – Unterhaltungsangebot (Open-Air-Jazz) – Kulturelle Bildungsangebote (VHS, Bibliothek, Musikschule) – Vereinskultur – Soziokultur (Jugendhaus)

61 Heinrichs, Klein, Bendixen 1999, S. 80−84.

Standortmarketing





89

Insgesamt hat jedoch das äußere kulturelle Erscheinungsbild der Stadt (Atmosphäre, Stadtbild, Sehenswürdigkeiten) einen weit größeren Einfluss auf die Attraktivität als das kommunale Kulturangebot – ähnlich wie beim Image. Die Städte mit traditionell hochwertigem Kulturangebot (Festspiele usw.) werden von ihren Einwohnern als attraktiver wahrgenommen als Städte mit nicht kulturellen Schwerpunkten.

Investitionen im Kulturbereich, vor allem in Architektur und in Kulturbauten, können wichtige Impulse für das Stadtbild und damit für die Stadt als Ganzes geben. Ein Zusammenhang mit der Attraktivität als Unternehmensstandort ist dabei freilich kaum feststellbar⁶², außer für tourismusnahe Unternehmen wie Gastronomie.

3.5 Standortwahl von Bibliotheken Folgende Aspekte, die für die Standortwahl von Bibliotheken eine Rolle spielen, werden in Dokumenten zur Bibliotheksplanung angeführt⁶³: – Die Bibliotheken werden im Kontext der Stadtplanung als Instrument eingesetzt, um stadtplanerisch unerwünschten Entwicklungen entgegenzuwirken, z.B. einer Entmischung von Arbeiten und Wohnen im Zentrum, und um Stadtquartiere aufzuwerten. In dem Zusammenhang wurden neue Typen von Informationseinrichtungen (z.B. Kombination von Bibliothek und Bürgerbüro) erdacht, aber kaum praktiziert. Seit den 1980er Jahren freilich verkümmerte die Einbeziehung der Bibliotheken in die Stadt- und Regionalplanung. In Stuttgart gelang es bald nach dem Jahr 2000 der Bibliotheksleitung, vor dem Hintergrund beeindruckender Besucherzahlen und einer Profilierung der Öffentlichen Bibliothek in einer kommunalpolitisch beachteten Weise, die Bibliothek mit einem überregional beachteten Konzept (Bibliothek des 21. Jahrhunderts⁶⁴) als das genau passende Element (Frequenz, Kultur, Architektur) in eine unabhängig von der Bibliothek laufende umfangreiche Planung einzubringen. Hier erschien die Bibliothek als genau das passende Element, ein ödes Areal in Nachbarschaft des Hauptbahnhofs zu einem neuen, attraktiven Stadtviertel aufzuwerten.⁶⁵ – In ländlichen Gebieten mit dünner Besiedlung sollen die Bibliotheksplanung und mithin die Entscheidungen über Standorte auf eine übergemeindliche Basis gestellt werden⁶⁶; ggf. kann die Versorgung mit Fahrbibliotheken sichergestellt werden.

62 63 64 65 66

Vgl. Grabow, Henckel, Hollbach-Grömig 1995, S. 348. Vgl. Umlauf 2008b. Siehe http: // www.stuttgart.de / stadtbuecherei / bvs / ausgabe.php?sid=140 (Abruf: 02.06.2012). Vgl. Umlauf 2008c. Vgl. Umlauf 2008a.

90







67 68 69 70 71 72

Umlauf

An Hochschulen soll in zentraler Lage auf dem Campus eine Hochschulbibliothek ihren Platz finden. Dislozierte Fachbereiche sollen zwar eigene Bereichsbibliotheken haben, aber diese sollen organisatorisch der zentralen Hochschulbibliothek angeschlossen sein. Seit den 1990er Jahren ist eine erneute Tendenz zur Zusammenfassung kleiner Instituts- und Fachbereichsbibliotheken zu größeren Bereichsbibliotheken zu erkennen.⁶⁷ In den USA machte man die Erfahrung⁶⁸, dass während der Renovierung oder Neuerrichtung der zentralen Campus-Bibliothek verwendete Ausweichquartiere, die 1,6 km vom Campus entfernt liegen, zu einem Einbruch der Bibliotheksbenutzung von etwa 50 % führten. Im Leipziger Bibliotheksentwicklungsplan 2008−2011 sind Mindestgrößen für die Filialbibliotheken vorgesehen, z.B. für große Stadtteilbibliotheken ein Einzugsgebiet von ca. 25.000 Einwohnern und eine Fläche von mindestens 500 qm, für kleine Stadtteilbibliotheken ca. 10.000 Einwohner und mindestens 200 qm.⁶⁹ Wo die Filialbibliotheken diese Mindeststandards nicht erreichen, werden sie zusammengelegt. In vielen anderen Städten wurden derartige Entwicklungen bereits vor Jahrzehnten vollzogen; beispielsweise wurde im Münchner Bibliotheksentwicklungsplan bereits 1971 (im Bibliotheksentwicklungsplan Frankfurt am Main 1972) die Untergrenze für Filialbibliotheken mit 20.000 Medieneinheiten angegeben.⁷⁰ In der Fachliteratur wurde die Standortwahl unter dem Gesichtspunkt der Rolle Öffentlicher Bibliotheken als Frequenzbringer erörtert. Man hätte sich auf Erfahrungen aus Australien⁷¹ beziehen können, wo sich Investoren von Einkaufszentren für Bibliotheken interessieren: Die Einkaufszentren sollten von der Besucherfrequenz der Bibliotheken profitieren. Die hohen Immobilienpreise führen jedoch oft dazu, dass Bibliotheken in Einkaufszentren vergleichsweise klein sind oder es sich um Filialbibliotheken für spezielle Zielgruppen handelt. In Deutschland lassen sich Beispiele für beide Sichten anführen: die Bibliothek als Frequenzbringer für benachbarte Geschäftslagen und die Bibliothek als Nutznießer einer durch umgebende Lagen erzeugten Frequenz. Für die Stadtbibliothek Langensalza⁷² fiel 2007 die Entscheidung, durch Umbau und Erweiterung vorhandener Gebäude die Stadtbibliothek neu in zentraler Lage unterzubringen. Freilich spielte der Gedanke keine Rolle, den historischen Stadtkern stärker zu beleben; im Gegenteil sah man durch den neuen Standort neben Parkplatz und Gymnasium die Chance, die Besucherzahlen weiter zu erhöhen, auch durch eine Flächenerweiterung der

Vgl. Vogel, Cordes 2005. Vgl. Tolppanen, Slough 2003. Vgl. Ackermann 2008. Vgl. Umlauf 2004. Vgl. Jones 2004. Vgl. Hauke u.a. 2011, S. 33−39.

Standortmarketing

91

Bibliothek. In Düsseldorf⁷³ wurde 2008 im Stadtteil Bilk eine Filialbibliothek errichtet; sie ist in einem Stadtteilzentrum untergebracht, das ein verwahrlostes Gelände am früheren Containerbahnhof stadtplanerisch aufwerten sollte. Das Stadtteilzentrum sollte Einkaufszentrum, Bürgersaal, Schwimmbad, Gastronomie, Büros, Wohnungen, ferner Grünflächen sowie Sport- und Parkplätze umfassen. Zunächst war im Einkaufszentrum keine Fläche für die Bibliothek geplant; auf deren heutigen Flächen war u.a. Gastronomie vorgesehen. Die Filialbibliothek wurde erst im Kontext der kontroversen Diskussion um die Auswirkungen des Einkaufszentrums auf den örtlichen Einzelhandel in den Planungsprozess eingebracht. Im Hintergrund stand ein langjähriger Masterplan zur Optimierung der Düsseldorfer Bibliotheksstandorte. Ob die Planung insgesamt an Akzeptanz bei den kommunalen Entscheidungsträgern infolge der Einbeziehung der Filialbibliothek gewann oder ob die politische Entscheidung für das Stadtteilzentrum auch ohne Stadtteilbibliothek zustande gekommen wäre – das lässt sich angesichts der komplexen Gemengelage nicht rekonstruieren. Jedenfalls wurden die erforderlichen Flächen – die für Gastronomie vorgesehenen Flächen reichten bei Weitem nicht aus – nicht durch Kürzung beim Einkaufszentrum, sondern auch beim Schwimmbad gewonnen. Die Filialbibliothek spielte im Planungsprozess keine Rolle im Sinn einer Aufwertung des Stadtteilzentrums, eines Frequenzbringers oder einer Verbesserung der Urbanität. Eher profitiert die Filialbibliothek von ihrer Umgebung; sie war ein Jahr nach Eröffnung die meistgenutzte Stadtteilbibliothek in Düsseldorf. Erfolgreich angewendet wurde indessen das Frequenzargument seitens der Stadtbibliothek Bremen⁷⁴, als sie innerhalb der Verwaltung für den Umzug in ein angemessenes Quartier kämpfte. Die Bibliotheksleitung trug das Argument vor, vergleichbare Bibliotheken hätten mit dem Umzug in ein attraktives Gebäude eine Steigerung der Besucherzahlen um 70 % erreicht. Das Argument trug dazu bei, die Zentralbibliothek von ihrem beengten Standort in der Südervorstadt 2004 in ein ausreichend großes Gebäude (Forum am Wall) zu verlagern, das vorher als problematische Randlage der historischen Innenstadt galt. Lange⁷⁵ und Umlauf⁷⁶ wiesen nach, dass Neu- bzw. substanzielle Umbauten Öffentlicher Bibliotheken sowohl am früheren Standort wie auch bei Verlagerung des Standorts die Ausleih- und Besucherfrequenzen um 40−80 % steigen lassen.

73 74 75 76

Vgl. Hauke u.a. 2011, S. 142−149. Vgl. Umlauf 2008c. Vgl. Lange 1997. Vgl. Umlauf 2008c.

92

Umlauf

Christiane Dürr, Gemeindetag Baden-Württemberg, hält die lokale Bildungs- und Betreuungslandschaft – darin die mit Schulen und Kindereinrichtungen eng kooperierenden Öffentlichen Bibliotheken – für einen Standortfaktor „mit hochprioritärem Wirtschaftlichkeitsrang“.⁷⁷ Sie macht freilich nicht deutlich, worin der Beitrag der Bibliotheken besteht. Insbesondere in kleinen Gemeinden oder Ortsteilen in Randlage kann die Öffentliche Bibliothek zu einem echten Gemeindezentrum werden, das über die Kernfunktionen wie Ausleihe, Auskunft und Internetplätze hinaus Treffpunkt der Bevölkerung wird.⁷⁸ Die Ausschilderung des Standorts in der Stadt verliert an Bedeutung⁷⁹, weil immer mehr Personen sich mit mobilen Internetanwendungen orientieren. Wichtiger wird die Präsenz in Online-Kartendiensten.⁸⁰ Fortgeschrittene Anwendungen auf mobilen Endgeräten orten den Benutzer und führen ihn mit Kartenbild und akustischer Navigation zum Ziel. Wenn es Bibliotheken nicht gelingt, in derartigen Diensten präsent zu sein, verlieren sie rapide an Bedeutung – sie werden zum Refugium der Restgruppe der Online-Verweigerer.⁸¹ Als Reaktion auf die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Bibliotheksdienstleistungen über das Internet dehnen viele US-amerikanische Hochschulbibliotheken ihre physische Präsenz auf dem Campus aus⁸², indem sie Auskunftsdienste⁸³ und Kurse in Informationskompetenz außerhalb der Bibliotheksräume anbieten, z.B. im Studentenwohnheim, im Computersaal, auf den Fluren zu Hörsälen und Seminarräumen oder im Lehrkrankenhaus.⁸⁴ Räumliche Voraussetzungen sind eine hohe Frequenz von Studierenden, die mit Studienarbeiten usw. beschäftigt sind und unmittelbare Hilfe schätzen⁸⁵, und zugleich Ruhe, gute Beleuchtung und ein starkes WLAN-Signal. Wenig überzeugend⁸⁶ sind spezifische Dienstleistungen, wie sie Ratzek⁸⁷ als Beispiele für die Wirksamkeit der Öffentlichen Bibliothek als Standortfaktor für die Wirtschaft anführt, beispielsweise⁸⁸:

77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

Kusber 2008. Vgl. Fialkoff 2006. Vgl. Rethlefsen 2010. Vgl. Bishop, Mandel 2010. Vgl. Oppenheim 2010. Vgl. Strothmann, Antell 2010. Vgl. Ähnlich: Lubker, Henderson, Canevari, Wright 2010. Vgl. Lacy, Leslie 2007. Vgl. Del Bosque, Chapman 2007. Vgl. Umlauf 2008c. Vgl. Ratzek, Simon 2008. Vgl. Ratzek 2006.

Standortmarketing



– – –

93

Auftragsrecherchen in Datenbanken (Branchenverzeichnisse, STM-Information⁸⁹, Import-Export-Vorschriften, Normen) für kleine und mittlere Unternehmen, die sich einen eigenen Zugang zu den Datenbanken nicht leisten können – gegen Entgelt, Informationsdienstleistungen für Jobsuchende und Existenzgründer, für Kommunalpolitiker, Tageszeitungen und Verbraucherinformation für Bürger im Allgemeinen, Angebote für Migranten bzw. Kurse für Mitarbeiter der Ausländerbehörden, damit diese die erworbenen Kenntnisse an die Migranten weitergeben können.

Nicht nur, dass Ratzek jede Differenzierung nach Branchen und Betriebsgrößen unterlässt, sondern er nimmt nicht zur Kenntnis, dass die Öffentliche Bibliothek sich damit in ein Konkurrenzumfeld begeben würde, bei dem ihr nicht nur ihr tradiertes Image im Wege steht, sondern auch die finanzielle Leistungskraft und vielerorts wohl auch die erforderliche Expertise fehlt. So sind es vor allem die Industrie- und Handelskammern, die Adressdatenbanken, Marktdaten, Import-Export-Vorschriften und Fachliteratur für die Wirtschaft bereithalten oder vermitteln und dabei moderne Suchwerkzeuge und Methoden der Informationsaufbereitung wie den Aquabrowser oder automatisches Indexieren einsetzen − Verfahren, die Erwartungshaltungen prägen und bisher in deutschen Öffentlichen Bibliotheken fast keine Anwendung gefunden haben. Für die Suche nach Normen und Patenten hat sich die Technische Informationsbibliothek Hannover als der Informationslieferant schlechthin europaweit herausragend profiliert. Für Recherchen in der Datenbank ECONIS und die Bestellung der Aufsatzkopien brauchen Unternehmen keineswegs eine örtliche Bibliothek, sondern einen Internetzugang. Auch für örtliche Ärzte wäre, wenn es um die Beschaffung von Aufsatzkopien aus medizinischen Fachzeitschriften geht, die Öffentliche Bibliothek ein Umweg – und die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin ist den örtlichen Ärzten wahrscheinlich auch eher bekannt als die lokale Stadtbibliothek, weil sie seit einigen Jahren mit Artikeln und Inseraten in den verbreiteten Blättern für die praktizierenden Ärzte zielstrebig diese Zielgruppe bearbeitet, nachdem sie sich früher weitgehend auf den Informationsbedarf für die medizinische Forschung beschränkt hat. Insgesamt übersehen die Standortargumente, die auf Informationsdienstleistungen durch lokale Bibliotheken abheben, dass Informationsdienstleistungen heute auf Basis des Internets weitgehend enträumlicht werden, insbesondere im Bereich der Fachinformation. Generell haben u.a. die folgenden Faktoren keine Wirkung im Sinn

89 Naturwissenschaftlich-technische Fachinformation (Fachliteratur, Fakten, Formeln, Primärdaten u.a.m.) auf den Gebieten S (Science = Naturwissenschaften), T (Technology = Technik), M (Medicine = Medizin).

94

Umlauf

einer Förderung, Attraktivitätssteigerung oder eines Anreizes für Ansiedlung, weil sie ubiquitär oder belanglos sind⁹⁰: – personelle und finanzielle Ausstattung der Wirtschaftsförderung, – Mobilisierung von Fördermitteln, – Technologie- oder Innovationsförderung, – Informationsbeschaffung und -aufbereitung. Anstatt sich mit einzelnen Dienstleistungen zu versuchen, die ohnehin großenteils bereits durch andere Anbieter besser dargestellt werden, kommt es für Bibliotheken darauf an, ihr vorhandenes oder zu entwickelndes Profil in Diskurse der Stadt- und Regionalentwicklung einzubringen.

4 Methoden der Standortwahl Es wurde deutlich, dass die tatsächliche Standortwahl bei Bibliotheken in beträchtlichem Maß von politischen Entscheidungen, stadtplanerischen Überlegungen, die gegenüber der Bibliothek unspezifisch sind (es soll z.B. eine kommunale Nutzung für einen städtischen Altbau unter Denkmalschutz gefunden werden), oder nur vagen Vorstellungen von Bedarf und Wirkung der Bibliothek abhängt. Die in der Fachliteratur des Einzelhandelsmarketings ausführlich diskutierten Methoden⁹¹ zur Standortwahl (Kaufkraftanalysen; Methoden, die Entfernungen oder Wegezeiten ermitteln; theoretische Modelle des Konsumentenverhaltens in räumlicher Dimension wie die Gravitationsmodelle⁹²; ökonometrische Modelle, die Zeitdistanzen und Attraktivitäten der Einkaufsstätten quantitativ berücksichtigen; Customer Spotting, bei dem durch Befragung ermittelt wird, aus welchen Entfernungen die Kunden kommen⁹³; Checklisten, die für Nutzwertanalysen verwendet werden; Regressionsanalysen, die diejenigen Faktoren identifizieren sollen, die den Erfolg von Einzelhandelsfilialen am stärksten beeinflussen; Standortprofilvergleiche) sind bisher in der bibliotheksund informationswissenschaftlichen Fachliteratur nicht rezipiert worden, sieht man von punktuellen Untersuchungen ab, die aber auf jene Fachliteratur keinen Bezug nehmen. So haben Bischof-Kümmel u.a. festgestellt, dass sich die Einzugsgebiete von Filialen der Bücherhallen Hamburg beträchtlich überschneiden.⁹⁴ Auf die von Vickery ausgewerteten Untersuchungen in Großbritannien wurde oben unter Gliederungspunkt 3.1 bereits hingewiesen. Die einzelwirtschaftlichen Standorttheorien (normativ-

90 91 92 93 94

Vgl. Blume 2003, S. 205. Vgl. Bienert 1996, S. 113−165. Vgl. Theis 2008, S. 320−334. Vgl. Bienert 1996, S. 136−138. Vgl. Bischoff-Kümmel, Fiebig, Laubach 1995.

Standortmarketing

95

deduktive Modelle, verhaltenstheoretische Ansätze, Produktzyklus-Hypothese)⁹⁵ konnten für die Standortwahl von Unternehmen empirisch nicht bestätigt werden, scheinen jeweils einzelne Aspekte einseitig aufzugreifen und sind wohl für die Wahl von Standorten für Bibliotheken wenig ergiebig: – Normativ-deduktive Modelle gehen davon aus, dass Standortentscheidungen einzig auf rational-ökonomischen Kriterien wie Transportkosten, Arbeitskosten oder Steuern und Subventionen beruhen. – Verhaltenstheoretische Erklärungsansätze anerkennen, dass Standortentscheidungen oft auf unvollkommener Information beruhen (unvollkommene Kenntnis bekannter Standorte, ggf. allein aufgrund ihres Images nicht in Betracht gezogene Standorte) und dass meist nur eine überschaubare Anzahl von Faktoren, die jeweils subjektiv als bedeutsam eingeschätzt werden, zur Entscheidung herangezogen werden. – Die Produktzyklus-Hypothese erklärt die Standortwahl aus Anforderungen an Standorte, die aus der jeweiligen Phase im Lebenszyklus der Produkte resultieren. So stehen für Unternehmen, die mit der Entwicklung neuer Produkte befasst sind, hoch qualifizierte Arbeitskräfte im Mittelpunkt des Interesses, während Unternehmen in der Reifephase ihren Standort in erster Linie anhand von Kostengesichtspunkten (billige Arbeitskräfte, niedrige Energiekosten, steuerliche Vorteile u.a.m.) wählen. Freilich werden auch die in der Fachliteratur für die Standortwahl von Unternehmen entwickelten Kriterien und Heuristiken in der unternehmerischen Praxis nur selektiv und z.T. unzulässig vereinfacht rezipiert.⁹⁶ Einige Methoden, die für Bibliotheken besonders interessant sind, sollen hier vorgestellt werden. Allen Methoden ist gemeinsam: In einem ersten Schritt werden die in Betracht gezogenen Standorte einem Test unterzogen, bei dem nicht geeignete Standorte anhand von K.-o.-Kriterien (z.B. mangelnde Zwischenbodenbelastbarkeit vorhandener Gebäude, nicht akzeptable Immoblien-, Umbau- oder Baukosten) ausgeschieden werden. In der weiteren Betrachtung werden die relevanten verbleibenden, im Grundsatz geeigneten Standorte durch die angeführten Methodiken bewertet. Beim pauschalen Paarevergleich (Tab. 2) wird eine Matrix verwendet, die jede Alternative zu jeder anderen Alternative ins Verhältnis setzt. Man geht Zeile für Zeile durch und fragt: Ist die Alternative x in dieser Zeile günstiger als die Alternative y in dieser Spalte? Für die Antwort „Ja“ wird eine 1 eingetragen, für die Antwort „Nein“ eine 0. Dann wird Zeile für Zeile aufaddiert. Die Alternative mit der höchsten Punktzahl ist die günstigste.

95 Vgl. Pieper 1994, S. 20−35. 96 Vgl. Bienert 1996, S. 174.

96

Umlauf

Alternative 1 Alternative 2 Alternative 3 Alternative 4 Alternative n Summe günstiger als? Alternative 1

entfällt

Alternative 2

entfällt

Alternative 3 Alternative 4 Alternative n

entfällt entfällt entfällt

Probe

Tab. 2: Pauschaler Paarevergleich

Punktbewertungsverfahren⁹⁷ gehen differenzierter vor. Sie listen die relevanten Kriterien tabellarisch auf und vergeben für jedes Kriterium (z.B. Nähe zu Kooperationspartnern, Abweichung der Flächengröße von der Norm nach unten, Verkehrsanbindung) für jede Standortalternative einen Punktwert, der das Maß ausdrückt, mit dem die betreffende Alternative das Kriterium erfüllt. Beim Checklistenverfahren verwendet man Punktwerte von 1 bis 10. Die Alternative mit dem höchsten Punktwert ist die beste. Beim Rangreihenverfahren setzt man keine absoluten Zahlenwerte einer Skala 1 bis 10 an, sondern Ränge je nach Merkmalsausprägung (Rang 1 = beste Merkmalsausprägung). Die beste Alternative ist die mit der niedrigsten Rangsumme. In der Nutzwertanalyse (Tab. 3) werden die Kriterien darüber hinaus gewichtet. Entscheidend ist, dass die Gewichtung der Kriterien vor Anwendung der Kriterien auf die Standortalternativen geschieht. Dann wird für jede Alternative der Erfüllungsgrad in Prozent in Bezug auf jedes Kriterium eingetragen und mit dem Zielgewicht des betreffenden Kriteriums multipliziert. Ein angenommenes Optimum wird mit 100 % bewertet, eine gerade noch akzeptierte Abweichung davon mit 1 %; eine noch größere Abweichung wäre ein K.-o.-Kriterium. Die Summe der Zielgewichte muss 100 sein. Ergebnis sind die Teilnutzen für jedes Kriterium bei jeder Alternative. Für jede Alternative wird die Summe der Teilnutzen gebildet. Die Alternative mit dem höchsten Nutzwert (der höchsten Zahl) ist die beste.

97 Vgl. Theis 2008, S. 365−366.

97

Standortmarketing

Kriterien

Zielgewicht

Alternative 1

Alternative 2

Erfüllungsgrad

Teilnutzwert

Erfüllungsgrad

Teilnutzwert

Vorteilhaftigkeit des Zugangs ins Gebäude

  3

 70 %

 2,1

100 %

 3

Äußeres Erscheinungsbild des Gebäudes

  1

 30 %

 0,3

 70 %

 0,7

Nähe zu Kooperationspartnern

 10

 90 %

 9

 30 %

 3

Platzierung im Einzugsgebiet⁹⁸

 15

 40 %

 6

100 %

15

Passantenfrequenz

  3

 10 %

 0,3

100 %

 3

Gestaltung der unmittelbaren Umgebung

  6

 10 %

 0,6

 70 %

 4,2

Qualität der Straßenanbindung⁹⁹

  1

 10 %

 0,1

 80 %

 0,8

Intensität des Straßenverkehrs

  2

 40 %

 0,8

 10 %

 0,2

Verkehrsanbindung¹⁰⁰

 15

 70 %

10,5

100 %

15

Fehlen verkehrlicher Behinderungen

  1

 10 %

 0,1

100 %

 1

Parkflächen

  2

 10 %

 0,2

 90 %

 1,8

Affinität der Bevölkerung im Einzugsgebiet zur Bibliotheksbenutzung¹⁰¹

 15

 90 %

13,5

 30 %

 4,5

Altersstruktur, Anteil Familien mit Kindern

  8

 80 %

 6,4

 30 %

 2,4

Abweichung der Flächengröße von der Norm¹⁰² nach unten

  1

 10 %

 0,1

 90 %

 0,9

Flächenzuschnitt¹⁰³

  1

 90 %

 0,9

 30 %

 0,3

Verteilung auf Stockwerke¹⁰⁴

  1

100 %

 1

 30 %

 0,3

98 Objektivierbar als Anteil der Personen der primären Nutzergruppe, die den Standort binnen 15 Minuten erreichen können. 99 Zum Beispiel in dieser Rangfolge: Fußgängerzone, Hauptverkehrsstraße, Nebenstraße. 100 Zum Beispiel: Anzahl der Nahverkehrslinien in einem Radius von 3 Minuten zu Fuß. 101 Die Bewertung der Standorte kann sich an einem normativen politischen Auftrag orientieren (höchste Priorität für den Standort in dem Gebiet, dessen Bevölkerung am dringendsten mit der Bibliothek sozial- und bildungspolitisch erreicht werden soll) oder an empirischen Affinitäten. Im letzteren Fall könnten die Sinus-Milieus mit einer besonders hohen Bibliotheksaffinität als Maßstab dienen: Moderne Performer und Postmaterielle, auch noch Konservative, Experimentalisten und Hedonisten. 102 Bau- und Nutzungsplanung von Bibliotheken und Archiven 2009. 103 Je weniger die Flächen durch Stützen und Wände gegliedert sind, desto besser. 104 Optimal liegen alle Flächen auf einem Stockwerk.

98

Umlauf

Kriterien

Zielgewicht

Alternative 1

Alternative 2

Erfüllungsgrad

Teilnutzwert

Erfüllungsgrad

Teilnutzwert

Lage der Flächen im Gebäude¹⁰⁵

  1

100 %

 1

 10 %

 0,1

Ambiente, Qualität der Räume

  2

 20 %

 0,4

100 %

 2

Tageslicht

  4

100 %

 4

 70 %

 2,8

Klima, Belüftung, Sonnenschutz

  2

 90 %

 1,8

 70 %

 1,4

Schallschutz gegenüber außen

  2

 90 %

 1,8

100 %

 2

Schalldämmung im Innern

  1

 90 %

 0,9

 70 %

 0,7

Versorgung mit Starkstrom an Nutzerarbeitsplätzen

  1

100 %

 1

 90 %

 0,9

Eignung für Drahtlosnetzwerk

  2

100 %

 2

 10 %

 0,2

Summen

100

64,8

66,2

Ergebnis der Nutzwertanalyse: Alternative 2 hat den höheren Nutzwert und ist vorzuziehen. Tab. 3: Nutzerwertanalyse zur Bewertung alternativer Standorte Öffentlicher Bibliotheken

Beim Standortprofilvergleich¹⁰⁶ wird ein semantisches Differenzial verwendet. Man geht in folgenden Schritten vor: – Zunächst wird ein Katalog der relevanten Standortfaktoren aufgestellt. – Für jeden Faktor wird ein ordinales Gegensatzpaar formuliert, z.B. Anzahl der Parkplätze (viele – wenige), Grundriss (gut – schlecht). Die Merkmalsausprägungen für jeden Standort werden auf einer Skala von 1 = bester Wert bis 10 = schlechtester Wert abgebildet. Für die Auswertung ist es nützlich, die Skalen in einem Tabellenkalkulationsprogramm abzubilden. – Dann wird das Profil des idealen Standorts bestimmt. – Für die Auswertung kommen folgende Verfahren infrage; sie sind besonders dann sehr einfach anzuwenden, wenn zur Erstellung der Profile die Skalen von vornherein in einem Tabellenkalkulationsprogramm abgebildet wurden: – Die Profile der Standorte werden heuristisch durch Augenschein verglichen. – Wie beim Punktbewertungsverfahren wird für jeden Standort die erreichte Punktzahl ermittelt. Der Standort mit der niedrigsten Punktzahl ist am besten geeignet.

105 Optimal ist das Erdgeschoss. 106 Vgl. Bienert 1996, S. 162−163.

Standortmarketing

99





Die Korrelationskoeffizienten zwischen den Profilen des Idealstandorts und der Vergleichsstandorte werden ermittelt. Der Standort mit dem höchsten Korrelationskoeffizienten zum Idealstandort ist der beste. Gegenüber der Nutzwertanalyse fehlt wie bei den Punktbewertungsverfahren die Gewichtung der Faktoren.

Literaturverzeichnis 21 gute Gründe für gute Bibliotheken. Berlin: Bibliothek & Information Deutschland, 2008. http: // www.bideutschland.de / download / file / 2_21 %20GUTE%20GRUENDE_endg_4-9-08. pdf. – Anlagen für Entscheider (Abruf: 05.10.2011) http: // www.bideutschland.de / download / file / 21 %20GUTE%20GRUENDE-Anlagen_ endg_16-1-09.pdf (Abruf: 05.10.2011) Ackermann, Arne: Nach den Einsparungen jetzt die Zukunftsgestaltung. In: BuB 60 (2008) 10, S. 694−696 Bau- und Nutzungsplanung von Bibliotheken und Archiven: Ersatz für DIN-Fachbericht 13:1998 / DIN, Deutsches Institut für Normung e.V. Berlin: Beuth, 2009 Bernsee, Elke: Bibliothek als Marke − Branding. In: Hobohm, H.-C. u.a. (Hrsg.): Erfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Losebl.-Ausg.: Fachratgeber für die Bibliotheksleitung und Bibliothekare (2002 ff.). Hamburg: Dashöfer, Abschn. 3.2.8 Bieger, Thomas; Derungs, Curdin; Riklin, Thomas; Widman, Fabian: Das Konzept des integrierten Standortmarketings. In: Pechlaner, Harald u.a. (Hrsg.): Standortwettbewerb und Tourismus. Berlin: E. Schmidt, 2006, S. 11−26 Bienert, Michael L.: Standortmanagement. Wiesbaden: Gabler, 1996 Bischoff-Kümmel, Gudrun; Fiebig, Ingeborg; Laubach, Gudrun: Wer nutzt die Bücherhallen? Standortuntersuchungen und exemplarische Rollenbestimmungen für die Bücherhallen in den Bezirken Wandsbek, Bergedorf und Harburg. Hamburg: Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen, 1995 Bishop, Bradley W.; Mandel, Lauren H.: Utilizing geographic information systems (GIS) in library research. In: Library High Tech 28 (2010) 4, S. 536−547 Blume, Lorenz: Kommunen im Standortwettbewerb. Baden-Baden: Nomos, 2003 Borchard, Klaus: Gemeinbedarf. In: Grundriß der Stadtplanung (1983). Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Hannover: Vincentz, 1983, S. 180−190 Bundesvereinigung Dt. Bibliotheksverbände (Hrsg.): Bibliotheken ’93. Berlin 1994 Del Bosque, Darcy; Chapman, Kimberly: Your place or mine? Face-to-face reference services across campus. In: New Library World 108 (2007) 5 / 6, S. 247−262 Erat, Pablo; Fischer, Elisabeth; Hankova, Andrea: Aufbau einer lernenden Destination durch Wissensmanagement. In: Pechlaner, Harald u.a. (Hrsg.): Attraktions-Management. Wien: Linde, 2006, S. 15−37 Fialkoff, Francine: Location, Location. In: Library Journal 131 (2006) 20, S. 8 Funk, Marc: Unternehmen im Fokus lokaler Standortpolitik. Sternenfels, 2009 Funke, Ursula: Vom Stadtmarketing zur Stadtkonzeption. 2., vollst. überarb. u. fortgeschr. Aufl. Stuttgart u.a: Kohlhammer, 1997 (Neue Schriften des Deutschen Städtetages; 68) Genosko, Joachim: Clusterentwicklung in Bayern. In: Pechlaner, Harald u.a. (Hrsg.): Standortwettbewerb und Tourismus. Berlin: E. Schmidt, 2006, S. 61−73

100

Umlauf

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Standortmarketing

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Frank Linde

Märkte für Information – ökonomische Besonderheiten 1 Einleitung Information ist in den vergangenen Jahren zu einem immer wichtigeren Element unseres Wirtschaftens geworden. Sei es eher sekundär, als Information über Güter, oder als eigenständig vermarktbares (Primär-)Gut. Trotz seiner steigenden Bedeutung hinkt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem bedeutenden Wirtschaftsfaktor deutlich hinterher. Es ist noch lange kein Allgemeinplatz, dass sich Informationsgüter nicht auf die gleiche Art und Weise erstellen und anbieten lassen, wie es für die uns schon lange vertrauten physischen Güter der Fall ist. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man einen Bleistift oder eine Information, z.B. über die Marktstellung eines Unternehmens, kauft. Aus einer ökonomischen Perspektive lassen sich vier verschiedene Aspekte identifizieren, die für diese Unterschiede ursächlich sind und dazu führen, dass Anbieter von Informationsgütern anders am Markt agieren müssen. Nach einer kurzen Definition von Informationsgütern und einer ebenso kurzen Einschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Märkte, auf denen sie gehandelt werden, wird im Detail auf diese vier Besonderheiten eingegangen. Abschließend werden einige Konsequenzen aufgezeigt, die diese Besonderheiten für das Marktverhalten von Informationsanbietern haben.

2 Informationsgüter Was sind nun Informationsgüter? Eine sehr breite Definition geben Shapiro und Varian¹, die als Informationsgut alles bezeichnen, was sich digitalisieren lässt. Erfassen lassen sich damit Fußballergebnisse, Bücher, Filme, Musik, Aktienkurse oder auch Gespräche. So eingängig diese Definition auf den ersten Blick ist, birgt sie doch eine gewisse Problematik, denn als digitalisierbar könnte man – auf den ersten Blick – auch physische Gegenstände bezeichnen, wie eine Banane oder einen Tennisschläger. Sie wären nach dieser Definition dann auch Informationsgüter. Gemeint ist von Shapiro und Varian offensichtlich nicht der digitalisierbare Gegenstand, sondern das Digitalisierte selbst, das Digitalisat. Informationsgüter können bei physischen

1 Vgl. Shapiro, Varian 2003, S. 49.

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Linde

Gegenständen logischerweise also immer nur deren digitalisierte Reproduktionen sein. Etwas präziser gefasst, muss man also definieren: Ein Informationsgut ist alles, was in digitaler Form vorliegt oder vorliegen könnte und von Wirtschaftssubjekten als nützlich vermutet wird.

Um zu betonen, dass es sich um ein Gut handelt, soll zusätzlich der Aspekt der Nützlichkeit betont werden, die der potenzielle Konsument vermutet. Sie ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Der Empfänger hofft darauf, dass er kognitiv zur Verarbeitung der Informationen in der Lage sein wird und dass die Informationen ihm darüber hinausgehend auch nützlich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse sein werden. Wenn sich z.B. jemand Unternehmensdaten eines chinesischen Unternehmens kauft und dann feststellt, dass er sie nicht verarbeiten kann, weil sie in der Landessprache verfasst sind, und er  – nach erfolgter Übersetzung  – auch noch erfahren muss, dass er die Zahlen schon aus anderer Quelle erhalten hatte, wird die Vermutung der Nützlichkeit doppelt enttäuscht. Ein Nicht-Gut (engl. „bad“) wäre in diesem Sinne z.B. unerwünschte Fernsehwerbung. Sie kann zwar digital vorliegen, stiftet einem Empfänger aber keinen Nutzen, sondern belästigt ihn. Für einen anderen Empfänger mag es anders sein und er genießt die Werbung. Es lässt sich daraus erkennen, dass Informationsgüter für unterschiedliche Verbraucher einen jeweils unterschiedlichen Wert haben. Aus einer positiven Wertschätzung lässt sich eine Zahlungsbereitschaft ableiten. Die gewählte Definition für Informationsgüter ist zugegebenermaßen extrem pragmatisch, für unsere Zwecke aber hinreichend. Eine ausführliche informationswissenschaftliche Diskussion des Informationsbegriffs findet sich z.B. bei Stock². Geschäfte mit Informationsgütern sind sehr voraussetzungsreich. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Angebot und Nachfrage von Informationsgütern tatsächlich zusammenkommen und Informationsmärkte entstehen. Um marktfähig zu sein, müssen Informationen nicht nur nützlich, definierbar und für ein Wirtschaftssubjekt verfügbar, sondern auch übertragbar sein.³ Das Angebot, d.h. die Übertragung von Informationsgütern erfolgt immer mediengebunden. Das können nach Pross⁴ primäre (Träger-)Medien sein, die den direkten zwischenmenschlichen Kontakt über Sprache, Mimik oder Gestik ermöglichen, sekundäre Medien (z.B. Geräte wie Flaggen, Rauchzeichen oder auch der Buchdruck), die zur Produktion einer Information notwendig sind, tertiäre Medien, die nicht nur für die Produktion, sondern auch für die Übertragung und den Empfang Technik benötigen (z.B. Telefon, CD-ROMs, DVDs),

2 Vgl. Stock 2007, S. 17 ff. 3 Vgl. Bode 1993, S. 61. 4 Vgl. Pross 1972, S. 127 ff.

Märkte für Information

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sowie quartäre Medien⁵, wie z.B. das Internet oder Video-Conferencing-Systeme, bei denen es sich um informationstechnologisch basierte Mittel der Telekommunikation handelt. Werden Informationen gespeichert, erfolgt das über Speichermedien wie zentrale Server, CDs oder auch gedruckte Bücher oder Zeitschriften. Solche Datenträger sind Kopien eines Informationsgutes, die den vollständigen Inhalt des Gutes in kodierter und dekodierbarer Form enthalten. Dasselbe Gut lässt sich – wenn auch mit unterschiedlichem Aufwand – in beliebig großer Zahl vervielfältigen. Die Nutzung eines gespeicherten Informationsgutes erfolgt im Allgemeinen durch Dekodierung einer Kopie durch den Nutzer selbst (z.B. Lesen einer E-Mail) oder durch die Teilnahme an der Dekodierung einer nicht in seinem Besitz befindlichen Kopie durch einen Dritten (z.B. Videoabend).⁶ Informationsgüter weisen also immer einen dualen Charakter auf, denn sie sind immer eine Kombination aus Inhalt bzw. Content (z.B. einer Sportnachricht) und Trägermedium.⁷ Sie werden dann als Artikel in einer Zeitschrift, als Beitrag im Radio oder in einer Sportsendung im Fernsehen angeboten. Durch die Digitalisierung lassen sich Inhalt und Medium im Vergleich zu früher leicht voneinander trennen. Inhalte können auf diese Weise ohne großen Aufwand auch mehrfach über verschiedene Medien angeboten werden. Elektronische Informationsgüter bedürfen neben dem Trägermedium immer auch noch eines Endgeräts (z.B. DVD-Spieler, MP3-Player), das die Ausgabe ermöglicht. Es wird im Weiteren deutlich, wie wichtig gerade dieser Aspekt ist, wenn es um Netzwerkeffekte geht. Ein vierter Aspekt im Zusammenhang mit Informationsgütern ist das sie begleitende Recht. Das Eigentum an einem Informationsgut verbleibt immer beim ursprünglichen Eigentümer oder Schöpfer, der beim Verkauf nur bestimmte Nutzungs- oder Verwertungsrechte gewährt.⁸ Dieser Aspekt wiederum hat eine große Bedeutung für die Weitergabe und Nutzung von Informationsgütern. Neben den eben bereits genannten Kriterien sind Informationen weiterhin nur als (marktfähige) Wirtschaftsgüter anzusehen, wenn sie außerdem relativ knapp sind.⁹ Knappheit kann bei Informationsgütern allerdings eine ganz andere als die bekannte Form annehmen. Üblicherweise geht man bei relativer Knappheit davon aus, dass (unbegrenzten) menschlichen Bedürfnissen nur eine begrenzte Menge an Gütern zu deren Befriedigung gegenübersteht. Informationen sind nun aber häufig im Überfluss vorhanden, sodass die Knappheit an anderer Stelle entsteht, nämlich bei den subjektiven Verarbeitungsmöglichkeiten des Empfängers. Auf der Suche nach einem bestimmten Informationsgut kann man nämlich nicht alles ansehen oder anhören,

5 6 7 8 9

Vgl. Faßler 2002, S. 147. Vgl. Pethig 1997, S. 2 f. Vgl. Schumann, Hess 2006, S. 34. Vgl. Wetzel 2004, S. 101. Bode 1993, S. 62.

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Linde

was verfügbar wäre, weil die menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten begrenzt sind. Knappheit kann also z.B. auch durch den beschränkenden Faktor Aufmerksamkeit¹⁰ entstehen. Ökonomisch fallen unter den Begriff der Güter sowohl Waren als auch Dienstleistungen. Bei Informationsgütern lassen sich analog Informationsprodukte und Informationsdienstleistungen unterscheiden.¹¹ Konstitutives Merkmal für diese Unterscheidung ist der Einsatz eines externen Faktors, wie z.B. die Auskünfte eines Unternehmens für den Wirtschaftsprüfer.¹² Gibt es solch einen vom Leistungsnehmer bereitgestellten Input, müsste man also von einer Informationsdienstleistung sprechen. Dies ist aber insofern nicht ganz korrekt, weil bei einem Informationsdienstleistungsprozess immer auch ein Informationsprodukt, z.B. der fertige Prüfbericht, entsteht. Insofern kann eine Online-Datenbank als Informationsprodukt verstanden werden, das durch verschiedene Formen von Informationsarbeit aus anderen Wissens- oder Informationsprodukten entstanden ist, z.B. durch Referieren, Indexieren und „datenbankgemäßes“ Strukturieren von Publikationen.¹³ Von Informationsdienstleistungen wiederum müsste man sprechen, wenn z.B. Recherchen in einer Datenbank vorgenommen werden, die aber dann zu einem Informationsprodukt für einen Auftraggeber zusammengestellt werden. Auch ein LiveKonzert, das man auf den ersten Blick als reine Informationsdienstleistung ansehen würde, gerinnt schließlich zu einem Informationsprodukt, d.h. zu etwas Digitalisierbarem. Es wird schnell deutlich, dass die wirtschaftswissenschaftlich gut nachvollziehbare Trennung von Waren und Dienstleistungen bei Informationsgütern verschwimmt. Wenn von Informationsgütern die Rede ist, soll das fortan in dem Bewusstsein geschehen, dass es zwar reine Informationsprodukte, nicht aber reine Informationsdienstleistungen gibt. Ein Dienstleistungsanteil liegt immer dann vor, wenn ein externer Faktor an der Erstellung eines Informationsprodukts mitwirkt. Insofern können Informationsgüter und -produkte weitgehend als identisch angesehen werden.

3 Wirtschaftliche Bedeutung von Informationsmärkten Die Bedeutung des Informationsmarktes, seiner Produkte und Dienstleistungen für eine Volkswirtschaft ist unter zweierlei Gesichtspunkten zu betrachten. Zum einen

10 11 12 13

Vgl. Franck 2007. Vgl. Kuhlen 1996, S. 83 ff. Vgl. Bode 1997, S. 462 f. Vgl. Kuhlen 1996, S. 84.

Märkte für Information

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geht es um die direkte Bedeutung, ausgedrückt in Beschäftigtenzahlen oder im Umsatz. Zum anderen – und dies ist vielleicht sogar der wichtigere Aspekt – ist die indirekte Bedeutung zu betrachten.¹⁴ Sie zeigt sich darin, dass bei den Käufern auf der Basis erworbener Informationsprodukte wirtschaftlich bedeutsame Entscheidungen getroffen oder Geschäftsprozesse optimiert werden. So kann beispielsweise ein günstig erworbener wissenschaftlicher Artikel bei einem Mitarbeiter der FuEAbteilung zu einer Idee führen, in deren Folge ein völlig neuer Produktionsprozess entsteht, der den Umsatz des Unternehmens um mehrere Millionen Euro steigert. Oder ein von einer bibliothekarischen Informationsvermittlungsstelle produziertes Unternehmensdossier hat die Entscheidung fundiert, mit diesem Unternehmen zu kooperieren, was in der weiteren Folge zu hohen Gewinnen für die beteiligten Partner führt. Im umgekehrten Fall können unterlassene Recherchen zu empfindlichen Verlusten bis hin zur Insolvenz führen, wenn man beispielsweise technische Entwicklungen (die für wenige Hundert Euro bei Content-Aggregatoren hätten erworben werden können) übersieht, die sich abzeichnen, oder man durch die Insolvenz eines Zulieferers oder eines Kunden selbst in Schwierigkeiten gerät, nur weil man es unterlassen hat, ein Bonitätsdossier des ehemaligen Geschäftspartners zu erwerben. Setzt ein Unternehmen − als ein weiteres Beispiel − nur unzureichend Software ein, so kann dies sehr wohl zu Wettbewerbsnachteilen führen. Der Nachteil dieser indirekten volkswirtschaftlichen Bedeutung von Information ist, dass man sie nicht quantitativ ausdrücken kann. Dies ist bei der direkten volkswirtschaftlichen Bedeutung  – zumindest prinzipiell  – anders, da hier Schätzwerte zum Marktvolumen vorliegen. In Ermangelung globaler Statistiken legen Linde und Stock eine eigene informierte Schätzung vor, die sie auf der Basis diverser nicht frei zugänglicher Quellen von Marktforschungsinstituten zusammengestellt haben. Es entfallen auf die Gesamtheit digitaler Güter (weltweit, 2009) folgende Werte: Software E-Content U-Content Online-Werbung

164 Milliarden Euro  15 Milliarden Euro   2 Milliarden Euro  50 Milliarden Euro

Gesamtmarkt

231 Milliarden Euro

Bei der Software entfällt ein großer Teil des gesamten Marktvolumens auf ein einziges Unternehmen: Microsoft mit 43 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2008 / 2009; ähnlich sieht es bei der Online-Werbung aus: Google mit 17,5 Milliarden Euro im Jahr 2009. Der Markt für E-Content wird vom Teilmarkt der wissenschaftlichen, technischen und

14 Vgl. Linde, Stock 2011, S. 29.

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medizinischen (WTM) Informationen dominiert. Beim U-Content sorgen vor allem Online-Spiele für nennenswerten Umsatz; andere Teilmärkte wie Web-2.0-Dienste oder Web-TV lassen derzeit keine großen Umsätze erkennen.¹⁵

4 Besonderheiten von Informationsgütern Informationsgüter sind Güter, die besondere ökonomische Eigenschaften aufweisen, die ihre Marktfähigkeit einschränken. Einige Beispiele verdeutlichen die Problematik: Informationsgüter können von vielen Personen genutzt werden, ohne sich aufzubrauchen, ohne verkonsumiert zu werden. Ein Informationsgut wird nicht weniger, wenn es genutzt wird. Wenn eine Person sich durch die Verarbeitung von Information ein bestimmtes Wissen aneignet, schmälert das nicht die Chancen eines anderen, dasselbe Wissen zu erwerben. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Gütern, man denke nur an ein Paar Schuhe oder einen Schokoriegel, kann dieselbe Information von einer Vielzahl von Personen gleichzeitig genutzt werden. Abnutzungseffekte treten nur dann auf, wenn es um Informationen geht, die ihren Wert dadurch besitzen, dass sie eben nicht jeder hat. Der Geheimtipp für die kleine Insel in der Karibik verliert schnell an Wert, wenn ihn alle haben. Bei vielen Informationen gibt es aber aus Sicht des Empfängers keinerlei Konkurrenz bei der Nutzung: Es hat für ihn keine Nachteile, egal ob 6.000 oder 600.000 Menschen ein E-Book lesen oder einer Fernsehsendung wie der Oscar-Verleihung beiwohnen. Einschränkungen kann es allerdings durch die Verpackung der Information geben: Ein gedrucktes Buch kann prinzipiell nur von einem Leser gleichzeitig gelesen werden und auch die Zahl der Fernsehzuschauer einer Sendung in einem Haushalt ist begrenzt. Es ist aber – im Vergleich zu traditionellen Gütern – ungleich schwerer, Kunden, die nicht bereit sind, für die Information zu zahlen, von der Nutzung auszuschließen: Ein Buch kann man sich ohne größere Kosten von Freunden oder in der Bibliothek leihen, eine Fernsehsendung kann man bei jemand anderem sehen oder aufnehmen lassen, um sie dann selbst abzuspielen. Bei Informationsgütern ist die Herstellung im Vergleich zur Vervielfältigung extrem kostspielig. Denkt man an die Produktionskosten für einen Musiktitel oder einen Spielfilm, können schnell mehrere Hunderttausend oder sogar Millionen Euro zusammenkommen. Sind das Album oder der Film aber erst einmal fertig, lassen sich digital weitgehend perfekte Kopien anfertigen, die nur wenige Cent kosten. Darüber hinaus sind auch die Übertragungskosten digitaler Informationsgüter extrem niedrig. Besteht ein schneller Internetanschluss in Verbindung mit einer Flatrate, können

15 Linde, Stock 2011, S. 29.

Märkte für Information

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Dateien gleich welcher Größe ohne zusätzliche Kosten empfangen und versandt werden. Der Wert eines Informationsgutes, z.B. der Blaupause eines neuen Produktionsverfahrens, lässt sich nur endgültig beurteilen, wenn man die Information erhalten und verarbeitet (erfahren) hat. Hat man die Information aber erst einmal in seinem Besitz, ist es offen, wie hoch die Zahlungsbereitschaft dann noch ist. Anders als bei einem Paar Schuhe, kann man Informationen vor dem Kauf meist nicht in Ruhe inspizieren. Jede Art von genauerer Inspektion führt zu einer Preisgabe (von Teilen) der Information und das liegt häufig nicht im Interesse des Anbieters. Beim Kauf eines Informationsgutes ist es häufig von großer Bedeutung, wie viele andere Nutzer dieses Gutes es schon gibt. Wer sich ein Textverarbeitungs- oder ein Tabellenkalkulationsprogramm zulegen will, wird sich sehr genau überlegen, ob er sich für ein Produkt eines kleinen Anbieters entscheidet, das wenig verbreitet ist, oder ob er sich für den Marktstandard entscheidet. Das Programm zu erwerben, das am weitesten verbreitet ist, bietet klare Vorteile beim Austausch von Dateien oder den Möglichkeiten, sich bei auftretenden Bedienungsproblemen gegenseitig zu helfen. Ähnlich ist es bei Filmen, Büchern oder Musik. Richtig Geld verdient wird nur mit den Hits. Das heißt, viele Käufer entscheiden sich für Content, den schon viele kennen, bei dem man mitreden kann. Ökonomisch ausgedrückt liegen bei Informationsgütern folgende Besonderheiten vor:¹⁶ – Bei Informationsgütern kommt es zu stark sinkenden Durchschnittskosten (First-Copy-Cost-Effekt), weil die anteiligen Kosten der Produktion die variablen Kosten der Reproduktion dominieren. – Bei Informationsgütern treten starke Informationsasymmetrien auf. – Informationsgüter haben die Eigenschaft von Netzwerkgütern. – Informationsgüter weisen eine starke Tendenz hin zu sogenannten öffentlichen Gütern auf. Informationsgüter weisen damit Merkmale auf, die das Zustandekommen eines Marktes schwierig machen oder zumindest dazu führen, dass die Marktergebnisse nicht optimal sind. Der Ökonom spricht hier von einem Marktversagen. Was das im Einzelnen – ökonomisch analysiert – bedeutet, wird in den folgenden Abschnitten detailliert behandelt.

16 Vgl. Hutter 2000; Gerpott 2006, S. 318 ff.; ähnlich auch Klodt 2003, S. 111, oder auch Buxmann, Pohl 2004, S. 507.

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4.1 Sinkende Durchschnittskosten (First-Copy-Cost-Effekt) Bei vielen traditionellen Gütern, vor allem bei industriell gefertigten, treten sowohl fixe als auch nennenswerte variable Kosten auf.¹⁷ Bei der Herstellung eines neuen Notebooks sind das, im Gegensatz zu den Kosten für die Entwicklung und die Produktionsanlagen, alle Kosten, die in direktem Zusammenhang mit der Herstellung des einzelnen Produkts anfallen, z.B. Laufwerk, Chassis, Prozessoren. Bei Informationsgütern dagegen findet eine starke Verschiebung hin zu den fixen Kosten statt. In Buchverlagen übersteigen die Kosten der Herstellung des ersten Exemplars (inkl. Autorenhonorar, Umschlaggestaltung, Satz etc.) die Kosten für die Folgeexemplare (inkl. Papier, Druck, Bindung etc.) um ein Vielfaches. Die Medienökonomie bezeichnet diese fixen Kosten der Herstellung der ersten Einheit als First-Copy-Costs.¹⁸ Auch die Verwendung unterschiedlicher Datenträger bei der Reproduktion verursacht unterschiedliche (variable) Kosten. So betrugen bei Microsofts Encarta die Vervielfältigungs- und Distributionskosten der Buchversion 250 Dollar im Vergleich zu 1,50 Dollar für die CD-ROM-Version.¹⁹ Ein anderes Beispiel: Kostet die Produktion eines Plattenalbums leicht mehrere zehn Millionen Dollar, sind die variablen Kosten der Herstellung von Kopien verschwindend gering. Der herkömmliche Vertrieb von Musik über Audio-CDs verursacht für die Musikindustrie variable Kosten von ca. 0,50 Euro pro Kopie.²⁰ Digitale Güter lassen sich im Vergleich dazu sogar noch kostengünstiger anbieten, zumal wenn der Empfänger selbst die Kosten für den Versand bzw. das Herunterladen übernimmt. Der Unterschied zwischen den Kosten für die erste und die letzte Einheit ist umso größer, je weniger physikalische Bestandteile das gesamte Produkt hat.²¹ Die erste Kopie des Netscape Navigators hat z.B. rund 30 Millionen Dollar an Entwicklungskosten verursacht. Die variablen Kosten der zweiten Kopie dagegen betrugen nur rund 1,00 Dollar.²² Dieses Verhältnis von sehr hohen Fixkosten und sehr niedrigen variablen Kosten führt zu einer ausgeprägten Fixkostendegression. Das bedeutet, dass die Fixkosten pro Stück bei steigenden Produktionszahlen sehr schnell sinken. Am Beispiel von Netscape würden sich die Entwicklungskosten von 30 Millionen Dollar für die erste Kopie, verteilt auf die produzierten Einheiten, bereits bei zwei Einheiten auf 15 Millionen Dollar pro Stück ermäßigen. Bei vier Einheiten betrügen sie nur noch 7,5 Millionen Dollar und bei 100.000 Einheiten nur noch 300 Dollar pro Stück. Dieser

17 18 19 20 21 22

Vgl. Meffert 2005, S. 508. Vgl. Beck 2006, S. 2224; Kiefer 2005, S. 169. Vgl. Downes, Mui 1998, S. 51. Vgl. Buxmann, Pohl 2004, S. 507; Wetzel 2004, S. 205. Vgl. Stewart 1998, S. 170. Vgl. Kelly 2001, S. 85.

Märkte für Information

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extrem ausgeprägte Degressionseffekt wird in der Medienökonomie als First-CopyCost-Effekt (FCCE) bezeichnet.²³ Bei Informationsgütern mit hohen Entwicklungskosten, die nicht in hohen Stückzahlen abgesetzt werden können, gibt es keine nennenswerte Fixkostendegression. Bei Individualsoftware oder speziellen, nicht erneut verwertbaren Leistungen eines Infocenters ist das z.B. der Fall. Bezieht man fixe und variable Kosten auf eine hergestellte Einheit, spricht man von Durchschnittskosten. Wenn bei zunehmender Produktionsmenge die Durchschnittskosten kontinuierlich fallen, liegen ökonomisch sogenannte (steigende) Skalenerträge vor. Der Skalenertrag²⁴ bezieht sich auf die Änderung des Outputs (Produktionsertrags), das dadurch entsteht, dass bei gegebener Produktionstechnik alle Faktoreinsatzmengen im gleichen Verhältnis variiert werden. Wächst die Produktionsmenge proportional / überproportional / unterproportional zum zusätzlichen Faktoreinsatz, spricht man von konstanten / steigenden / sinkenden Skalenerträgen. Ursächlich für sinkende / steigende Skalenerträge sind sinkende / steigende Produktivitäten der eingesetzten Faktoren (z.B. Arbeit, Sachkapital). Für den einzelnen Anbieter ist es im Falle steigender Skalenerträge erstrebenswert, seine Produktionsmenge möglichst weit auszudehnen. Bei Informationsgütern liegen aufgrund der hohen Fixkosten der ersten Einheit und der sehr geringen variablen Kosten aller weiteren Einheiten genau diese Skalenerträge vor.²⁵ Die sehr ausgeprägte Kostendegression wird durch die neuen Informationstechnologien noch einmal deutlich verstärkt. Vor allem die Übertragungskosten sinken dramatisch, denn die Bereitstellung und das Herunterladen einer MP3-Datei sind bspw. für den Anbieter um ein Vielfaches günstiger als die Herstellung und der Vertrieb einer CD. An den Entwicklungs- und Produktionskosten ändert sich dagegen wenig.²⁶ Diese beiden Kostenaspekte – Bereitstellungskosten und Übertragungskosten –, die gegen null tendieren, stellen auch die Grundlage für die Existenz von Online-Tauschbörsen dar (siehe Abb. 1).²⁷ Je stärker die variablen Kosten gegenüber den Fixkosten in den Hintergrund treten, desto stärker nähert sich der Verlauf der (gesamten) Durchschnittskosten dem der durchschnittlichen Fixkosten an. Geht man vom Extremfall variabler Kosten von null aus, so sind die beiden Kurven sogar deckungsgleich.

23 24 25 26 27

Vgl. Grau, Hess 2007, S. 26 ff. Z.B. Woll 2008, S. 690. Vgl. Kulenkampff 2000, S. 60. Vgl. Klodt, Buch 2003, S. 79 f. Vgl. Buxmann, Pohl 2004, S. 507, S. 514 ff.

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K

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FK DFK 3

DK

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Abb. 1: Kostenverlauf bei Informationsgütern mit konstanten variablen Kosten

4.2 Existenz von Informationsasymmetrien Bei einem gewöhnlichen Güterkauf, z.B. von Kleidung, Lebensmitteln oder elektronischen Geräten, besteht für den Kunden die Möglichkeit, das entsprechende Objekt zu inspizieren. Er wird es betrachten, in die Hand nehmen und es ggf. auch noch probieren oder seine Funktionen testen. All das ist bei Informationsgütern schwierig oder sogar unmöglich. Um ihren vollen Wert wirklich einschätzen zu können, muss man die Informationen erst verarbeiten. Zieht man eine Analogie zu einem Besuch in einem Restaurant, müsste man erst das Essen zu sich nehmen, um dann seine Zahlungsbereitschaft bekannt zu geben, sprich man würde selbst bestimmen, wie viel einem das bereits verspeiste Essen wert gewesen ist. Dass solche Angebote bislang sehr selten sind, liegt daran, dass sie als Einladung zum kostenlosen oder zumindest sehr preiswerten Essen verstanden werden können. Für die Anbieter von Informationsgütern stellt sich das gleiche Problem: Geben sie die angebotene Information aus der Hand, geht sie in den Verfügungsbereich des Kaufinteressenten über und es entsteht Unsicherheit darüber, ob er den gleichen Betrag zu zahlen bereit ist, den er vorher gezahlt hätte. Dies birgt Risiko und Chance, denn die Zahlungsbereitschaft des Interessenten könnte nach der Prüfung unter, aber auch über den Preisvorstellungen des Anbieters liegen.

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Überlässt der Anbieter die Information dem potenziellen Nutzer nicht zur Prüfung, muss dieser die „Katze im Sack“ kaufen und wird vermutlich entweder ganz vom Kauf absehen oder – in Anbetracht der Unsicherheit bezüglich der Qualität der Information – nur eine geringere Zahlungsbereitschaft haben, als wenn er die Qualität sicher einschätzen könnte. Man spricht hier von einer asymmetrischen Informationsverteilung: Die Informationen sind zwischen Anbieter- und Nachfragerseite ungleich verteilt. Wenn eine Marktseite besser informiert ist als die andere, eröffnet das Raum, dieses Gefälle strategisch auszunutzen, indem z.B. minderwertige Qualität angeboten wird. Dieses Phänomen der asymmetrischen Informationsverteilung bezieht sich vorrangig auf die gehandelte Produktqualität.²⁸ Grundlegend für alle weiteren Arbeiten zum Thema asymmetrische Informationsverteilung waren die Analysen von Akerlof.²⁹ Er hat das Phänomen der asymmetrisch verteilten Information erstmals verdeutlicht, und zwar am Beispiel des Gebrauchtwagenmarkts. Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens ist aufgrund der vergangenen Nutzung sehr gut über den Zustand des Fahrzeugs informiert. Der Käufer weiß auf der anderen Seite lediglich, dass es auf dem Markt Fahrzeuge unterschiedlicher Qualität gibt. Er kann somit nur eine Annahme über die durchschnittliche Qualität treffen. Läge eine symmetrische Informationsverteilung vor, hätten also beide Marktseiten einen gleich guten Informationsstand über die angebotene Ware, könnte für jedes einzelne Auto leicht ein der Qualität entsprechender Preis festgesetzt werden. Da dem nun nicht so ist, bietet sich dem Verkäufer die Möglichkeit, das auszunutzen und seinen Wagen mit geringer Qualität  – in den USA umgangssprachlich als „Lemon“ bezeichnet − als einen guten Wagen auszugeben und ihn zu einem höheren als dem eigentlich angemessenen Preis anzubieten. Die Nachfrager, die die Qualität auf diesem Markt nicht beurteilen können, werden nur bereit sein, einen Preis zu zahlen, der ihren Erwartungen entspricht. Eine allgemeine Folge bestehender Informationsasymmetrien ist, dass gute Qualität durch schlechte Qualität verdrängt wird. Bemerkenswert ist, dass im Extremfall die (unehrlichen) Anbieter schlechter Waren – unehrlich deswegen, weil sie für geringe Qualität einen Premiumpreis fordern  – nicht nur die (ehrlichen) Anbieter guter Qualität aus dem Markt drängen, sondern sich am Ende sogar selbst den Markt kaputt machen, wenn nämlich klar wird, dass für die angebotene (geringe) Qualität ein zu hoher Preis gefordert wird. Über die Abwärtsspirale eines schrittweisen Ausscheidens von Qualitätsanbietern kommt es nicht nur zu einem teilweisen, sondern zu einem vollständigen Marktversagen.³⁰ Wie lassen sich die Erkenntnisse auf Informationsgüter übertragen? Analog zu den vorstehenden Überlegungen kann auch für Informationsgüter gelten, dass es

28 Vgl. Kulenkampff 2000, S. 127. 29 Vgl. Akerlof 1970. 30 Vgl. Weise et al. 1991, S. 350.

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Anbieter guter und schlechter Qualität in einem Markt gibt.³¹ Als Angebote guter Qualität lassen sich solche bezeichnen, die die Erwartungen der Nachfrager erfüllen. Schlechte Qualität führt dementsprechend zu einer Erwartungsenttäuschung. Sind die Nachfrager nicht von vornherein dazu in der Lage, die Qualität des Angebots zu bestimmen, besteht für die Anbieter der bereits bei den „Lemons“ festgestellte Anreiz, schlechte Qualität als gute anzubieten, um dadurch ihre Gewinne zu erhöhen. Wenn darüber hinaus die Herstellungskosten für schlechte Qualität geringer sind als für gute und der Anbieter davon ausgehen kann, dass der Nachfrager sie – zumindest vor dem Kauf – nicht beurteilen kann, ist es unter Gewinnmaximierungsbedingungen ökonomisch rational, schlechtere Qualität zu geringeren Kosten herzustellen und als gute Qualität anzubieten. Klar ist aber auch, dass das nur so lange vernünftig ist, wie die Nachfrager sich täuschen lassen. Davon kann man aber dauerhaft nur ausgehen, wenn der Käufer – auch nach dem Kauf – nicht dazu in der Lage ist, die Qualität zu beurteilen oder es sich um Einmalkäufe handelt und es zwischen den Nachfragern zu keinem Erfahrungsaustausch kommt. Aber schon im Fall des erstmaligen Kaufs, wenn man also in Zukunft weitere Käufe bei einem Anbieter beabsichtigt, hat der Käufer die Gelegenheit, schlechte Erfahrungen zu machen. Sofern er die Qualität beurteilen kann, führt das dazu, dass er seine Zahlungsbereitschaft nach unten korrigiert und – sollte er sich mit anderen austauschen – auch die anderer Nachfrager in dieselbe Richtung beeinflusst. Sollte das passieren, kommt es zu jener Abwärtsspirale, die bereits Akerlof für den Gebrauchtwagenmarkt beschrieben hat. Es tritt – bedingt durch die Informationsdefizite der Nachfrager – eine negative Auslese ein, bei der die Angebote schlechter Qualität zulasten der guten Qualität zunehmen. Zu solch einem durch Informationsdefizite bedingten Marktversagen kommt es auch auf Informationsgütermärkten, und zwar immer dann, wenn die Nachfrager nicht dazu in der Lage sind, sich die erforderlichen Qualitätsinformationen zu beschaffen.³² Sieht man von der unerwünschten Variante der unangenehmen eigenen Erfahrungen ab, lässt sich das nur vermeiden, indem man sich auf die Suche nach entscheidungsrelevanten Informationen begibt. Ökonomisch ausgedrückt macht man das so lange, bis die Grenzkosten der Informationsbeschaffung genauso hoch sind wie der Grenznutzen der erhaltenen Information. Ganz einfach gesagt, wendet man so lange Zeit und Geld für die Informationssuche – z.B. durch den Kauf von Testzeitschriften oder Gespräche mit anderen Käufern – auf, wie sich das in einem Nutzenzuwachs niederschlägt. Dieser zusätzliche Nutzen kann darin bestehen, dass man das Produkt günstiger bekommt oder die Qualität verschiedener Angebote besser einschätzen kann, sodass man in der Lage ist, die qualitativ bessere Wahl zu treffen. Es ist evident, dass der Nutzenzuwachs (= Grenznutzen) bei der ersten Testzeitschrift deutlich größer ist als bei der zwölften. Im Informationsmarketing muss man beste-

31 Vgl. Kulenkampff 2000, S. 128 f. 32 Vgl. Hopf 1983, S. 76.

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hende Informationsasymmetrien kennen und berücksichtigen. Ein Instrument ihrer Bearbeitung ist das sogenannte Signaling.³³ Bei Informationsgütern tritt nun die Besonderheit auf, dass die Beschaffung weiterer Informationen über ein Informationsgut im Prinzip gleichzusetzen ist mit der sukzessiven Beschaffung des Gutes selbst.³⁴ Je intensiver man sich also über ein spezielles Informationsgut informiert, umso mehr erfährt man über dessen Inhalt. Das gilt für Content ganz unmittelbar. Bei Software muss man die Ebene der Anwendung und die des Quellcodes unterscheiden. Auf Anwendungsebene kann der gewöhnliche Nutzer sich umfassend informieren, ohne sich die Software aneignen zu können. Erhält der Nutzer aber Zugang zum Quellcode, ist er im Besitz des kompletten Gutes. Ist er dann vollständig informiert, hieße das in letzter Konsequenz, dass er die ursprüngliche Information gar nicht mehr bräuchte, weil er sie bereits erhalten hat. Dieses bei Informationsgütern auftretende Phänomen wird nach Arrow als „Informationsparadoxon“ bezeichnet: … there is a fundamental paradox in the determination of demand for information; its value for the purchaser is not known until he has the information, but then he has in effect acquired it without cost.³⁵

Weil sich die Qualität bei Informationsgütern in der Regel erst nach dem Kauf offenbart, werden sie auch häufig als Erfahrungsgüter bezeichnet.³⁶ Erfahrungsgüter bzw. Experience Goods sind nach Nelson jede Art von Gütern, deren Qualitätseigenschaften sich erst nach dem Kauf offenbaren. Bei Suchgütern (Search Goods) dagegen lässt sich die Qualität bereits vorher durch bloßes Inspizieren feststellen.³⁷ Eine dritte Art von Eigenschaften, die Güter haben können, sind nach Darby und Karni sogenannte Vertrauenseigenschaften (Credence Qualities)³⁸. Beispiele hierfür sind die Leistungen eines Arztes, einer Autowerkstatt oder der externen Informationsrecherche einer Bibliothek, die sich durch den Konsumenten auch nach Abschluss der Arbeiten im Hinblick auf die erhaltene Qualität nicht vollständig beurteilen lassen. Er kann nur darauf vertrauen, dass Preis und Leistung angemessen waren. Wie sind nun Informationsgüter in Bezug auf diese drei Eigenschaften zu positionieren? Die Sucheigenschaften sind bei Informationsgütern sehr schwach ausgeprägt. Hierzu zählen häufig nur der Preis eines Gutes³⁹ oder Metainformationen wie z.B. das Erstellungsdatum sowie ggf. Autor und Titel eines Artikels oder auch Emp-

33 34 35 36 37 38 39

Siehe Abschnitt 5.1 im Beitrag „Wettbewerbsstrategien“ von Linde in diesem Handbuch. Vgl. Kulenkampff 2000, S. 129. Arrow 1962, S. 615. Vgl. Shapiro, Varian 1999, S. 5 f.; Klodt 2003, S. 117 ff. Vgl. Nelson 1970. Vgl. Darby, Karny 1973. Vgl. Nelson 1970, S. 312; Kaas 1995, S. 975.

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fehlungen Dritter. Das gilt allerdings nur für bereits vorliegende Informationen, wie die Adresse eines Käufers, die der Makler einem Verkäufer vermittelt. Müssen Informationen erst noch produziert werden, wie z.B. bei einer Marktforschungsstudie, gibt es keinerlei inspizierbare (Such-)Eigenschaften, sondern nur Erfahrungs- bzw. Vertrauenseigenschaften des Gutes. Selbst der Preis des Gutes steht, wie z.B. bei einer Online-Recherche, üblicherweise nicht von vornherein fest. Bei Informationsangeboten ist das Auftreten von asymmetrisch verteilter Information besonders ausgeprägt.⁴⁰ Die Anbieter haben zum einen gegenüber den Nachfragern einen starken Informationsvorsprung. Zum anderen können sich die Nachfrager über das Informationsgut nur wirklich eingehend informieren, wenn der Anbieter es – zumindest teilweise – schon vor dem Kauf preisgibt. Tut er dies nicht, kann der Käufer die Qualität erst nach dem Kauf, nämlich mit der Verarbeitung der Information, beurteilen.⁴¹

4.3 Information als Netzwerkgut Die dritte zu untersuchende Besonderheit bei Informationsgütern sind auftretende Netzwerkeffekte. Um mit einem Beispiel zu beginnen: Wenn sich ein Unternehmen mit der Anschaffung einer Software beschäftigt, die nicht nur intern, sondern auch zusammen mit anderen Unternehmen genutzt werden soll  – man denke beispielsweise an EDI-Software (EDI = Electronic Data Interchange) –, wird es sich genau überlegen, ob es sich um eine Software handelt, die andere Unternehmen auch verwenden oder nicht. Möchte man z.B. Bestelldaten mit seinen Kunden und / oder Lieferanten austauschen oder Rechnungsvorgänge störungsfrei abwickeln, ist es von großem Vorteil, die gleichen Standards zu verwenden. Das Informationsgut EDI-Software kann also dem Anwender bei einer entsprechenden Verbreitung neben dem Nutzen aus dem Produkt selbst einen zusätzlichen Nutzen aus der Gesamt-Anwenderzahl verschaffen.⁴² Ökonomisch spricht man hier von sogenannten Netzwerkeffekten oder auch Netzwerkexternalitäten (eine genauere Unterscheidung dieser beiden Begriffe erfolgt weiter unten). Ein Netz oder Netzwerk ist abstrakt gesehen, ähnlich einem System, eine Menge von Objekten, zwischen denen Verbindungen bestehen⁴³ oder bestehen könnten. In einer informationsökonomischen Lesart ist ein Netzwerk eine Zusammenfassung von Nutzern eines bestimmten Gutes oder kompatibler Technologien.⁴⁴

40 41 42 43 44

Vgl. Hopf 1983, S. 76. Vgl. Kulenkampff 2000, S. 130 f. Vgl. Buxmann 2002. Vgl. Economides 1996, S. 674. Vgl. Dietl, Royer 2000, S. 324.

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Sind die Nutzer physisch miteinander verbunden, spricht man von realen Netzwerken. Das ist klassischerweise bei einem festen Telefonnetz der Fall, bei dem die einzelnen Telefonbesitzer über die verlegten Leitungen dauerhaft miteinander verbunden sind. Sind die Nutzer nicht physisch, sondern nur logisch miteinander verbunden, handelt es sich um virtuelle Netzwerke.⁴⁵ Virtuell sind sie deswegen, weil die Beziehungen zwischen den Teilnehmern – vor allem zu Beginn – erst einmal nur potenzielle sind. Es ist nicht wie bei den realen Netzwerken so, dass nur derjenige Teilnehmer ist, der auch physisch angeschlossen ist. Jeder, der ein virtuelles Netzwerkgut kauft, hätte die Möglichkeit, mit den anderen Netzwerkteilnehmern Verbindung aufzunehmen. Virtuelle Netzwerke bilden z.B. alle Nutzer von DVD-Playern oder Videorekordern oder alle Nutzer eines bestimmten Betriebssystems oder einer bestimmten Spielekonsole. Ein anderes, abstrakteres Beispiel für ein virtuelles Netzwerk ist die Sprache, z.B. das Netzwerk aller Englisch sprechenden Menschen.⁴⁶ Jeder, der diese Sprache beherrscht, hat die Möglichkeit, mit jedem anderen Englisch sprechenden Menschen zu kommunizieren. Englisch ist nicht deshalb so stark verbreitet und wird als Weltsprache angesehen, weil es so einfach zu lernen ist, sondern weil es international von den meisten Menschen zur Kommunikation genutzt wird. Jeder, der sich international möglichst leicht verständigen will, ist daher gezwungen, sich dem Netzwerk anzuschließen, also Englisch zu lernen. Der Wert dieses Netzwerks liegt in seinen vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten und er wird durch jeden weiteren „Anwender“ der Sprache gesteigert. Es wäre zwar denkbar, eine andere Sprache für die internationale Kommunikation zu nutzen – man denke z.B. an die künstliche, sehr leicht zu erlernende Weltsprache Esperanto –, es wäre jedoch mit hohen Anpassungskosten verbunden, sie als gültigen Standard für alle zu etablieren. Im Gegensatz zu vielen Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel, Hygieneartikel, Medikamente) oder auch Gebrauchsgütern wie Kleidung oder Möbel, die üblicherweise ganz individuell oder nur von einem eng begrenzten Personenkreis genutzt werden, gewähren Netzwerkgüter nicht nur einen Nutzen aus ihren Eigenschaften (Basisnutzen)⁴⁷, sondern stiften dem einzelnen Konsumenten einen darüber hinausgehenden zusätzlichen Nutzen durch die Gesamtzahl der anderen Nutzer, den Netzeffektnutzen. Je mehr Nutzer es gibt, desto größer ist dieser Nutzen für den Einzelnen.⁴⁸ Dies ist bei einem realen Netzwerk sofort einsichtig, wenn man sich vorstellt, welchen Nutzen ein Telefonnetz mit nur drei Teilnehmern im Gegensatz zu einem Netz mit weltwei-

45 46 47 48

Z.B. Shapiro, Varian 1999, S. 174, 183. Vgl. Friedrich 2003, S. 4. Vgl. Buxmann 2002, S. 443. Auf die Möglichkeit des abnehmenden (Grenz-)Nutzens wird unten näher eingegangen.

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ten Verbindungen stiftet. Aber auch bei einem virtuellen Netzwerk liegen die Vorteile klar auf der Hand, denn mit dem gleichen Textverarbeitungsprogramm kann man mit anderen problemlos Daten austauschen oder sich gegenseitig über Tipps und Tricks der Software informieren. Bei Netzwerkgütern ist der Nutzen aus der Verbreitung dominant gegenüber dem Nutzen aus den Eigenschaften des Gutes selbst.

Nutzen aus den Eigenschaften (Basisnutzen)

Systemgüter

Netzwerkgüter

Nutzen aus der Nutzerzahl (Netzeffektnutzen)

Singulärgüter

Abb. 2: Nutzenquellen von (Netzwerk-)Gütern

4.3.1 Direkte Netzwerkeffekte Fasst man die Betrachtung von Netzwerkeffekten − synonym mit Netz(werk)effekten werden auch die Begriffe „Increasing Returns to Adoption“⁴⁹und „Demand Side Economies of Scale“⁵⁰ verwendet − etwas formaler, lässt sich sagen: Der Nutzen U, den ein Individuum i aus einem Netzwerkgut zieht (= Ui) hängt nicht nur von den (technischen) Eigenschaften E, sondern auch von der Zahl der Individuen Z ab, die dieses Gut ebenfalls nutzen.⁵¹ Es gilt: Ui = Ui (Z, E) mit Ui (Z, E) < Ui (Z*, E) für Z < Z*

Zwei Netzwerkgüter mit denselben Eigenschaften (E) stiften einen unterschiedlichen Nutzen, wenn sich ihre Teilnehmerzahlen (Z) unterscheiden. Das Gut mit der größeren Teilnehmerzahl stiftet einen größeren Nutzen. Noch etwas allgemeiner gefasst,

49 Vgl. Arthur 1989, 1994. 50 Vgl. Farrell, Saloner 1986. 51 Siehe hierzu und im Folgenden Blankart, Knieps 1994, S. 451 ff.

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lässt sich sagen, dass je größer die Teilnehmerzahl eines Netzwerkgutes ist, desto größer der Nutzen für alle, sowohl für diejenigen, die neu hinzukommen, als auch für die, die bereits dabei sind. Je mehr Nutzer sich einem Telefonnetz anschließen oder eine Tabellenkalkulationssoftware kaufen und benutzen, desto größer der Nutzen für die alten Nutzer. Je mehr alte Nutzer aber schon existieren, desto größer wiederum der Nutzen für die Hinzukommenden. Ökonomisch ausgedrückt generieren die neuen Nutzer positive Netzexternalitäten für alle, die bereits Teil des Netzwerks sind. Von externen Effekten (Externalitäten) spricht man immer dann, wenn sich wirtschaftliche Aktivitäten (Kauf- und Verkaufsentscheidungen von Wirtschaftssubjekten) auf die Wohlfahrt unbeteiligter Dritter auswirken und niemand dafür bezahlt bzw. niemand dafür einen Ausgleich erhält.⁵² Externe Effekte können sowohl bei der Produktion als auch beim Konsum auftreten und begünstigender (positiver) sowie schädigender (negativer) Art sein. Generell führen sie dazu, dass private und soziale Kosten bzw. Nutzen wirtschaftlicher Aktivitäten auseinanderfallen. Bei Netzwerkgütern treten nun ebenfalls Konsumexternalitäten auf, sogenannte Netz(werk)externalitäten.⁵³ Hier handelt es sich ebenfalls um externe Effekte. Sie entstehen, weil  – abstrakt gesprochen  – Netze durch die Verknüpfung ihrer Elemente Nutzen stiften. Die Anzahl der in einem Netz verknüpften Elemente beeinflusst damit den Gesamtnutzen. Ein neu hinzutretender Netzteilnehmer vermehrt den Nutzen der bereits angeschlossenen und macht gleichzeitig das Netz insgesamt attraktiver für weitere Teilnehmer. Werden diese Nutzensteigerungen gar nicht oder nur zum Teil abgegolten, liegen positive Netzexternalitäten vor.⁵⁴ Ein Ausgleich wäre z.B. gegeben, wenn jeder neue Netzwerkteilnehmer für die Wertsteigerung, die er bewirkt, durch die bereits vorhandenen und / oder die später hinzukommenden Teilnehmer entschädigt würde. Diese positiven Externalitäten treten allerdings nur so lange auf, wie es nicht zu einer Überfüllung des Netzes kommt. Stellt man sich z.B. ein Mobilfunknetz vor, kann es durch zu viele angeschlossene Teilnehmer auch zu negativen Externalitäten kommen. Gesprächsabbrüche oder längere Wartezeiten bis zur Anmeldung im Netz durch neue Teilnehmer führen zu zusätzlichen Kosten für die Altkunden. Gleichzeitig wird das gesamte Netz unattraktiver für Neukunden. Damit liegen – ohne (finanziellen) Ausgleich – negative externe Effekte vor.⁵⁵ Netzwerkexternalitäten stellen somit eine Sonderform der Externalität dar, bei der der marktlich nicht abgegoltene Nutzen, der einer Person aus einem Gut erwächst, davon abhängt, wie groß die Zahl der anderen Konsumenten des Gutes ist.⁵⁶ Das

52 53 54 55 56

Vgl. Mankiw 2004, S. 169, 221. Die Begriffe Netzexternalitäten und Netzwerkexternalitäten werden synonym verwendet. Vgl. Steyer 1997, S. 206. Vgl. auch Liebowitz, Margolis o.J. Vgl. Varian 2004, S. 648 f.

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Auftreten positiver Externalitäten bei realen Netzwerkgütern ist schon seit Langem bekannt⁵⁷ und wird weithin als gegeben angenommen.⁵⁸ Aber auch negative externe Effekte in realen Netzwerken  – man spricht von Überfüllungskosten  – werden seit einiger Zeit beachtet.⁵⁹ Den positiven externen Effekten in virtuellen Netzen hat man sich erst später zugewandt, aber sie sind hier auch zu finden.⁶⁰ Betrachtet man Softwareangebote, so lassen sich z.B. positive Externalitäten durch sinkende Koordinationskosten feststellen. Sie sinken, wenn ein Standard verwendet wird. Existieren gemeinsame Standards, wird der Austausch von Daten zwischen den einzelnen Netzteilnehmern deutlich erleichtert. Bei PCs könnte dies ein Grund für die Dominanz des „Wintel“Standards sein. Dieses Akronym setzt sich aus dem Betriebssystem Windows und den meistens verwendeten Chips von Intel zusammen. Ca. 90 % des PC-Markts basieren auf dem Wintel-Standard. Dieser Standard baut auf der Architektur des von IBM Anfang der 1980er Jahre eingeführten PCs auf. Deswegen wird auch häufig von IBMkompatiblen PCs gesprochen.⁶¹ Für die Netzteilnehmer steigt der Nutzen bzw. sinken die Kosten mit dem Netzwachstum. So kommt es z.B. zu sinkenden Kosten für den Datenaustausch oder die Fortbildung der Anwender.⁶² Fehler einer Software werden bei großen Nutzerzahlen schneller gefunden und das Angebot an versierten Usern einer Software steigt, sodass Unternehmen, die eine gebräuchliche Technologie verwenden, leichter qualifizierte Mitarbeiter finden. Solche nichtmarktlichen Leistungen resultieren aus den Lerneffekten, die mit der Verbreitung einer Software einhergehen. Je größer der Anwenderkreis, desto umfangreicher der Wissensaustausch und damit die Lerneffekte bezüglich der Anwendung und möglicher Problemlösungen.⁶³ Es kann aber bei virtuellen (Software-)Netzwerken auch zu negativen Externalitäten kommen. Standards haben häufig auch ihre Kehrseiten. Die Marktstandards z.B. bei Betriebssystemen (MS Windows), Browsern (MS Explorer) oder PostScript-Viewern (Adobe Acrobat) sind vorrangig von Angriffen durch Viren und Würmer etc. betroffen. Die aus dem Standard resultierenden Kosten der Nutzer für Sicherheitsmaßnahmen und ggf. die Wiederherstellung ihrer Systeme müssen durch die Wirtschaftssubjekte selbst getragen werden, ein Ausgleich über den Markt erfolgt nicht. Auch wenn bei den Netzeffekten die positiven Externalitäten überwiegen, darf man nicht vergessen, dass das Wachstum von Netzen eine ambivalente Angelegenheit ist.

57 58 59 60 61 62 63

Vgl. Rohlfs 1974. Vgl. Liebowitz / Margolis o.J. Vgl. z.B. Blankart, Knieps 1994, S. 452; MacKie-Mason, Varian 1994, S. 84 f. Vgl. z.B. Blankart, Knieps 1992, S. 78. Siehe hierzu auch Ehrhardt 2001, S. 26. Vgl. Steyer 1997, S. 207. Vgl. Xie, Sirbu 1995; Cowan 1992.

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Wie sieht es auf der anderen Seite bei Contentangeboten aus? Kommt es auch hier zu direkten Netzwerkeffekten? Eine klare Bestätigung kommt vonseiten der Medienökonomie, die ganz generell von Netzwerkeffekten bei Medien ausgeht.⁶⁴ Sie entstehen, wenn Content mit informierendem oder auch unterhaltendem Charakter zum Gegenstand sozialer Kommunikation wird. Wenn man sich über Songs, politische Neuigkeiten oder die Fußballergebnisse austauschen kann, haben die Inhalte einen Konversationswert⁶⁵ oder auch „Synchronization Value“⁶⁶, der aus der Interaktion mit anderen entsteht. Diese positiven sozialen Netzwerkeffekte liegen vor, wenn Inhalte (Content) von Wirtschaftssubjekten⁶⁷ … umso positiver bewertet beziehungsweise umso eher nachgefragt werden, je größer die Zahl anderer Personen ist, mit denen sie sich über die Inhalte austauschen (könnten), weil die so ermöglichte soziale Kommunikation beziehungsweise Konversation mit Gleichgesinnten als befriedigend wahrgenommen wird (zum Beispiel bei einem Fußballländerspiel), deshalb nachgefragt werden, weil sie aufgrund der großen Zahl anderer Personen, die diese Inhalte (vermutlich) bereits zur Kenntnis genommen haben, in der Lage sein wollen, gegebenenfalls selbst zu diesen Aussagen Stellung zu beziehen („mitreden“) zu können (zum Beispiel bei Buchbestsellern wie Harry Potter) …

Die hier beschriebenen positiven direkten Netzwerkeffekte weisen damit eine gewisse Ähnlichkeit zu dem in der Ökonomie schon lange bekannten Mitläufereffekt auf.⁶⁸ Beim Mitläufereffekt kommt es zu Nachfragesteigerungen nach einem Gut, weil das Gut auch von anderen konsumiert wird. Begründet wird dies psychologisch mit dem Wunsch, das Verhalten einer Bezugsgruppe nachzuahmen. Diese Effekte sind zwar – etwas anders als die soeben beschriebenen sozial-kommunikativen Netzwerkeffekte – eher psychologisch begründete Bedürfnisse nach Konformität⁶⁹, haben aber dieselbe Wirkung auf die Verbreitung eines Gutes. Contentangebote können andererseits aber auch negativen Effekten unterliegen und werden dann … umso negativer bewertet […], je größer die Zahl anderer Personen ist, die ebenfalls den Inhalt kennen, weil mit abnehmendem Exklusivitätsgrad (beziehungsweise damit korrelierter Aktualitäts- beziehungsweise Neuigkeitsverringerung) des Inhalts dessen subjektiver Wert für den einzelnen Rezipienten sinkt (zum Beispiel bei Aktien[ver]kaufempfehlungen von Börsenanalysten).⁷⁰

64 65 66 67 68 69 70

Vgl. Gerpott 2006, S. 332; Hutter 2003, S. 266 f. Vgl. Blind 1997, S. 156. Liebowitz, Margolis o.J. Vgl. Gerpott 2006, S. 332, im Original kursiv. Grundlegend: Leibenstein 1950. Z.B. Stobbe 1991, S. 141 ff. Gerpott 2006, S. 333, im Original kursiv.

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In diesem Falle müssen allerdings alte und neue Netzwerkteilnehmer sorgfältig unterschieden werden, denn exklusive Informationen haben sehr wohl einen Wert für die neuen Teilnehmer, nur verringert sich ihr Wert für diejenigen, die sie schon besitzen. Das heißt, es entstehen negative Netzwerkeffekte für die bestehenden, aber weiterhin positive für die neu hinzukommenden Netzwerkteilnehmer, denn sie können jetzt mitreden, sind ebenfalls informiert.

4.3.2 Indirekte Netzwerkeffekte Nun kommt es bei Netzwerken aber auch noch zu weiteren Effekten im Zusammenhang mit der Nutzerzahl bzw. der Größe eines Netzwerks. Die soeben beschriebenen Netzexternalitäten lassen sich als direkte Netzwerkeffekte bezeichnen. Bei ihnen geht es immer um die unmittelbaren wechselseitigen Vorteile bzw. Nachteile durch eine steigende Nutzerzahl. Neben diesen direkten treten auch sogenannte indirekte Netzeffekte auf. Sie beschreiben eine Steigerung der Attraktivität eines Netzwerkgutes aufgrund von Nutzenzuwächsen, die nicht aus dem direkten Austausch resultieren, also nur mittelbar sind. Vielfach auch als indirekte Netzexternalitäten bezeichnet, ist damit vor allem das ein Netzwerkgut ergänzende Produktangebot gemeint.⁷¹ Bei realen wie virtuellen Netzwerken bestehen die indirekten Netzwerkeffekte in zusätzlichen Angeboten an Komplementärprodukten und -leistungen. Die Verfügbarkeit komplementärer Güter hängt von der Zahl der Teilnehmer des Netzwerks ab und umgekehrt.⁷² Bei einem realen Netzwerkgut wie dem Telefon können dies verschiedene Endgeräte, Zubehör oder Auskunftsdienste sein. Bei virtuellen Netzwerkgütern entstehen als Komplemente zu einem primären Gut, z.B. dem Informationsgut Betriebssystem, dann beispielsweise weitere Anwendungs- (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation) und Serviceprogramme (Virenscanner, Tuning-Software). Je größer das Netzwerk ist, desto mehr Komplementärangebote sind auf dem Markt zu erwarten. Ein Netzwerkgut ist daher umso attraktiver, je umfangreicher und vielfältiger das Angebot an komplementären Produkten und Leistungen ist. Katz und Shapiro sprechen vom sogenannten „Hardware-Software“-Paradigma⁷³, das sich weit gefasst auch auf viele andere Güter anwenden lässt. Beabsichtigt jemand den Kauf eines PCs, so ist es für den Einzelnen nicht unwichtig, wie viele andere Personen sich für eine ähnliche Hardware entscheiden, denn die Zahl der verkauften Einheiten beeinflusst direkt die Angebotsvielfalt an Software. Bei Kreditkarten-Netzwerken wäre die Karte die Hardware und die Akzeptanz durch den Händler die Software. Genauso wäre es bei langlebigen Gebrauchsgütern (Hardware) und den zugehörigen

71 Vgl. Katz, Shapiro 1985. 72 Vgl. Sailer 2001, S. 363. 73 Katz, Shapiro 1985, S. 424.

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Reparaturservices (Software), einer Tastatur (Hardware) und den Schreibkünsten des Nutzers (Software)⁷⁴ oder Video- bzw. DVD-Playern und den zugehörigen Filmen oder auch Spielkonsolen und den entsprechenden Spielen. Allen Beispielen ist gemein, dass für die Generierung von Kundennutzen neben dem primären Produkt komplementäre Produkte und Leistungen wichtig sind. Komplementäre Leistungen können käufliche Dienstleistungen sein, wie z.B. Hotlines oder andere Formen des Aftersale Supports. Es sind aber bei einem wachsenden Netzwerk auch zunehmend nichtmarktliche Leistungen verfügbar. Hilfen von anderen Nutzern können über FAQs oder Newsgroups gefunden werden. Genau wie bei Software, die zu ihrem Gebrauch entsprechender Komplementärprodukte bedarf, kann auch digitaler Content nur genutzt werden, wenn die notwendigen technischen Ergänzungen vorhanden sind. Je mehr Nutzer es z.B. für Online-Musikangebote gibt, desto mehr Anbieter finden sich, die Abspielgeräte, wie beispielsweise den iPod, auf den Markt bringen oder Abspielmöglichkeiten in andere Produkte integrieren, wie bei Handys oder Handhelds zu sehen. Zu jedem Thema, das Konversationswert besitzt, also direkten Netzwerkeffekten unterliegt, können jederzeit elektronische Kommunikationskomplemente entstehen. Die unüberschaubare Zahl an Newsgroups, Foren, Blogs, Wikis etc. sind Beleg für solche Komplemente. Bei physischem Content treten indirekte Netzwerkeffekte auf, wenn es die eben angesprochenen elektronischen oder auch physische Komplemente gibt. Ein physisches Komplement könnte ein Wörterbuch oder ein Thesaurus sein, das man ergänzend zur Lektüre eines Buches nutzt, oder die Möglichkeit, Begriffe aus Wikipedia nur durch das Markieren eines Begriffs in einem E-Book nachzuschlagen. Was sich außerdem beobachten lässt, ist, dass z.B. bei Filmen häufig Musik, Bücher, Spiele, aber auch andere Merchandisingprodukte wie Tassen oder T-Shirts begleitend auf den Markt kommen. Bei Musik werden neben dem Originalsong zunehmend ergänzende (digitale) Produkte kreiert, wie z.B. Klingeltöne oder Bildschirmschoner.⁷⁵ Hier handelt es sich allerdings nicht um (indirekte) Netzwerkeffekte im eigentlichen Sinne, weil keine verbundene Nutzung zustande kommt. Man konsumiert erst den Film und liest dann evtl. noch das Buch oder hört sich die Filmmusik an. Selbst wenn die Güter mehrfach konsumiert werden, erfolgt dies weder gleichzeitig noch in einem direkten qualitativen Zusammenhang: Es liegt also keine „Hardware-Software“-Verbindung im eigentlichen Sinne vor. Dennoch lässt sich feststellen, dass Film- oder Musikhits eine große Palette an Merchandisingprodukten erzeugen, deren Vertrieb für die Anbieter meist sehr lukrativ ist.⁷⁶ Ihre Verbreitung wird durch ein großes Netzwerk und starke direkte Netzwerkeffekte gefördert. Eine große Verbreitung dieser thematisch gleichgerichteten Güter wirkt umgekehrt aber auch positiv auf das Netzwerk derjenigen, die einen Film bereits gesehen oder

74 Vgl. Katz, Shapiro 1994, S. 94 f. 75 Vgl. Kiani-Kress, Steinkirchner 2007, S. 68. 76 Vgl. Kiani-Kress, Steinkirchner 2007, S. 68.

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einen Musiktitel schon gehört haben. Insofern lassen sich die Merchandisingangebote als Pseudo-Komplemente bezeichnen. Bei den bisherigen Darstellungen der indirekten Netzwerkeffekte wurde noch nicht sauber zwischen Effekten und Externalitäten unterschieden. Das soll jetzt nachgeholt werden. Die soeben beschriebenen indirekten Netzexternalitäten stellen gegenseitige Beeinflussungen dar, die teilweise durch Preise abgebildet werden. Wenn die Preise der Komplementärprodukte durch die zunehmende Nachfrage nach dem Primärprodukt sinken, liegen sogenannte pekuniäre (monetäre) externe Effekte vor. Es ist in solchen Fällen eher unwahrscheinlich, dass es zu Marktversagen kommt. Anders verhält es sich bei der Angebotsvielfalt als indirektem Netzwerkeffekt. Hier kann es sehr wohl zu Externalitäten kommen, also zu Nutzenzuwächsen für Netzwerkteilnehmer, die nicht über den Markt ausgeglichen werden. Bestehende Netzwerkteilnehmer, z.B. Smartphone-Nutzer, profitieren von zusätzlichen Hardwarekäufern stärker als jene selbst, weil jeder zusätzliche Käufer den Anreiz verstärkt, ein umfangreicheres Angebot an Apps bereitzustellen. Der neue Käufer wird dabei für den Nutzen, den er den alten Nutzern stiftet, nicht entgolten.⁷⁷ Da es sich bei indirekten Netzexternalitäten also nicht immer um echte Externalitäten handelt, erscheint es angebracht, nicht von indirekten Netzexternalitäten, sondern korrekter von indirekten Netzeffekten zu sprechen.⁷⁸ Hiermit sind ganz generell die (indirekten) Netz(werk) effekte gemeint, die bei Netzwerkgütern auftreten. Art des

Netzwerkeffekts

Informationsgutes

Software

Direkte Netzwerkeffekte (Interaktionseffekte) (immer auch Netzwerkexternalitäten)

Indirekte Netzwerkeffekte (Komplementenangebot) (teilweise auch Netzwerkexternalitäten)

‡Positive: Datentransfer, Kooperation, Unterstützung bei Problemen

‡Positive: z.B. Hardware, Zusatzprogramme

‡Ggf. aber auch negative: ‡Ggf. aber auch negative: Viren, Würmer etc. Überfüllung

Content

‡Positive: Kommunikationsvorteile (gemeinsame Themen haben, „mitreden können“)

‡Positive: z.B. Endgeräte, ergänzender Content im Web, Quasi-Komplemente

‡Negative: unerwünschte Verbreitung exklusiver Informationen

‡Negative: z.B. Werbung, „Abzocker“-Seiten

Abb. 3: Positive und negative Netzwerkeffekte bei Informationsgütern

77 Vgl. Church, Gandal, Krause 2002. 78 Vgl. Gröhn 1999, S. 28 f.

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4.4 Information als öffentliches Gut Informationsgüter werden häufig als öffentliche Güter bezeichnet. Das Gegenteil hiervon sind private Güter, deren Eigentumsrechte einem Besitzer exklusiv zugeteilt sind. Man denke z.B. an Nahrungsmittel, wie ein Stück Brot, dessen Verzehr einem niemand streitig machen darf und dessen Nutzen aus dem Verzehr nur einem selbst zukommt. Abstrakt gesprochen handelt es sich um die Prinzipien der Ausschließbarkeit − das Brot gehört einem selbst − und der Konkurrenz der Güternutzung − wenn man das Brot selbst isst, kann es kein anderer mehr essen. Öffentliche Güter sind dagegen Güter, bei denen diese beiden Prinzipien nicht anwendbar sind. Im ersten Fall, dem Ausschlussprinzip, ist die Frage, ob andere von der Nutzung eines Gutes ausgeschlossen werden können, wenn sie nicht zur Zahlung bereit sind. Der zweite Fall, das Konkurrenzprinzip, dreht sich um die Frage, ob die Wertschätzung für ein Gut von dessen exklusiver Nutzung abhängt, also Konsumrivalität herrscht, oder auch andere das Gut nutzen können, ohne dass der Nutzen eines einzelnen Nutzers dadurch beeinträchtigt wird. Dann liegt keine Rivalität im Konsum vor. Treffen nun beide Prinzipien gleichzeitig zu, handelt es sich um ein privates Gut, treffen sie beide nicht zu, um ein öffentliches. Ist nur eines der beiden Prinzipien – entweder das Ausschluss- oder das Konkurrenzprinzip – anwendbar, entstehen Mischformen.⁷⁹ Wie sind nun Informationsgüter hier einzuordnen? Handelt es sich bei ihnen – wie häufig gesagt wird⁸⁰ – immer um öffentliche Güter? Um das zu prüfen, müssen die beiden oben vorgestellten Prinzipien der Ausschließbarkeit und der Konkurrenz bzw. der Konsumrivalität herangezogen werden. In Bezug auf den Ausschluss potenzieller Interessenten für ein Informationsgut sind beide Fälle existent, sowohl, dass ein Ausschluss von Zahlungsunwilligen möglich ist, als auch, dass er nicht möglich ist. Folgende Beispiele belegen dies: Ist eine Information im exklusiven Besitz eines Wirtschaftssubjekts (z.B. eine Erfindung im Kopf des Forschers) oder ist sie rechtlich geschützt, so lassen sich andere sehr wohl von ihrer unmittelbaren, legalen Nutzung ausschließen. Eine mittelbare Nutzung, bei der die geschützte Idee zur Generierung neuer Ideen genutzt wird, besteht natürlich dennoch. Auch illegal besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass Informationen – auch gegen Geld – weitergegeben werden. In den Fällen, in denen das Rechtsbewusstsein nicht ausreicht, um das Ausschlussprinzip ex ante zu gewährleisten, muss es dann – bei seinem Bekanntwerden – ex post durchgesetzt werden. Eine besonders radikale Durchsetzung des Ausschlussprinzips gilt übrigens bei der Weitergabe von kapitalmarktrelevanten Informationen. Sie ist durch die hierzulande geltenden Finanzmarktgesetze generell verboten. Um das Vertrauen der Anleger in funktionsfähige Finanzmärkte zu sichern, ist es verboten, nicht öffentlich bekannte, genaue Informa-

79 Vgl. Mankiw 2004, S. 247. 80 Z.B. Kiefer 2005, S. 149 ff.; Beck 2002, S. 6 ff.; Klodt 2001, S. 84; Kulenkampff 2000, S. 69.

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tionen über den Emittenten von beträchtlicher Bedeutung für den Kurs eines Wertpapiers, insbesondere einer Aktie („Insider-Information“) selbst auszunutzen, an Dritte weiterzugeben oder für Empfehlungen zu verwenden.⁸¹ Eine andere Form des rechtlichen Schutzes gilt für Patente. Patentgeschütztes Wissen darf nur mit Einverständnis des Rechteinhabers kommerziell genutzt werden. Der Patentinhalt wird im Gegenzug für diesen rechtlichen Schutz öffentlich zugänglich gemacht, um den weiteren technischen Fortschritt zu erleichtern. Das Ausschlussprinzip lässt sich auch dann anwenden, wenn die Verbreitung von Informationen an ein privates Gut als Übertragungsmedium gekoppelt ist, für das der Anbieter Zahlungen verlangen kann. The rôle [sic!] of the information carrier is to transform pure information into an excludable good via coding.⁸²

Informationen, die z.B. per Pay-TV übertragen werden, können im eigenen Haushalt nur empfangen werden, wenn ein Dekodiergerät vorliegt und die anfallenden Gebühren gezahlt werden. Bei Informationen, die nicht rechtlich oder über das Medium geschützt sind, lässt sich das Ausschlussprinzip nur über deren Geheimhaltung erreichen. Ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis z.B. ist ein … [n]icht offenkundiger betrieblicher Vorgang, an dem der Betriebsinhaber Geheimhaltungswillen hat, der auf einem schutzwürdigen wirtschaftlichen Interesse beruht. Dem Geheimnisschutz zugänglich sind sonderrechtlich nicht geschützte technische Leistungen (Konstruktionszeichnungen, Rezepturen, Verfahrensabläufe etc.) sowie kaufmännische Geschäftsunterlagen (Kundenlisten, Kalkulationsunterlagen, Vertragsunterlagen etc.). Sie sind nicht offenkundig, wenn sie nur einem begrenzten und verschwiegenen (ggf. zur Verschwiegenheit verpflichteten) Personenkreis zugänglich und vom Fachmann nur in mühsamer Untersuchung zu ermitteln sind.⁸³

Die Gefahr ist hier trotzdem immer, dass Informationen ungewollt weiterverbreitet werden: Das gilt sowohl bei Informationen, die erst einmal nur in kleinem Kreise bekannt geworden sind⁸⁴, erst recht aber bei solchen, die breit veröffentlicht wurden.⁸⁵ Die weitere Verwendung lässt sich dann allenfalls nur noch unvollständig kontrollieren. Für die kodifizierte Weitergabe von Informationen auf Datenträgern (bspw. der Nachdruck eines Artikels oder die Kopie einer CD) mag eine Kontrolle noch möglich sein. Es ist aber nicht zu bewerkstelligen, die mündliche Weitergabe von Informationen zu unterbinden.

81 Vgl. Gabler 2010a. 82 Vgl. Pethig 1983, S. 386. 83 Vgl. Gabler 2010b. 84 Z.B. Wissen über ein neues Forschungsergebnis in der Forschungsabteilung. 85 Z.B. in der Firmenzeitung oder sogar als Fachpublikation über Open Access; vgl. z.B. http://www.doaj.org (Abruf: 05.05.2012).

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Es bietet sich in diesem Zusammenhang an, zwei Phasen, die ein Informationsgut durchläuft, zu unterscheiden: die der Produktion und die der Verbreitung.⁸⁶ In der Phase der Produktion befindet sich ein Informationsgut ganz zu Beginn immer im exklusiven Besitz einer einzelnen Person oder einer bestimmten Personengruppe, z.B. einem Forscherteam. In dieser Phase handelt es sich bei Informationsgütern demzufolge immer um private Güter, solange entweder wirklich sichergestellt ist, dass eine Weitergabe nicht unkontrolliert erfolgen kann, oder wenn gesicherte Eigentumsrechte in Form von Patenten oder Lizenzen existieren, mithilfe derer die Nutzung von Informationen – wenn auch häufig nur mit großem Aufwand – von Zahlungen abhängig gemacht werden kann.⁸⁷ Beides sind allerdings nur scheinbare Sicherheiten. Sobald Wissen nämlich auf eine Mehrzahl von Individuen verteilt ist, kann das Ausschlussprinzip nicht mehr sicher durchgesetzt werden. Wenn von Unternehmen ungewollt Interna (z.B. Forschungsergebnisse) nach außen dringen, ist das hierfür ein beredtes Zeugnis. Ein Unternehmen kann die Verwertung solcher Informationen eben nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig machen. Genauso verhält es sich mit dem rechtlichen Schutz, der eine nicht genehmigte Verwendung nicht wirklich verhindern kann und der sich häufig auch im Nachhinein nicht mehr vollständig herstellen lässt. Die Vielzahl an Patentklagen, mit denen sich Unternehmen überziehen, und die zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, belegen auch das. In der Phase der Verbreitung über den Markt ist ein Informationsgut immer einer Mehrheit von Nutzern zugänglich. Als Rechteinhaber muss man mit der Veröffentlichung eines Informationsgutes damit rechnen, dass es sich auch auf ungewollten Wegen verbreitet und keine Zahlungen erfolgen. Bei der Verwendung des Konkurrenzprinzips als Merkmal der Güterklassifikation ergibt sich für Informationsgüter ein Problem, denn es besagt, dass die Güternutzung durch eine Person anderen die Möglichkeit der Nutzung nimmt.⁸⁸ Da sich Informationsgüter – anders als physische Güter – aber beliebig weitergeben bzw. vervielfältigen lassen und – zumindest elektronisch – von beliebig vielen Individuen gleichzeitig konsumiert werden können, ist eine Nutzungskonkurrenz im herkömmlichen Sinne generell nicht gegeben: Durch die Nutzung von Information wird die Information selbst nicht abgenutzt oder verbraucht, sondern sie steht weiteren Nutzern in unverändertem Umfang und unveränderter Qualität zu Verfügung.⁸⁹ Treffender zur Charakterisierung von Informationsgütern ist es, auf die Veränderung zu fokussieren, die der Kreis der Anwender (bei Software) bzw. der Informierten (bei Content) durch die Verbreitung des jeweiligen Informationsguts erfährt. Als passendes Unterscheidungsmerkmal wird vorgeschlagen, anstatt auf das Konkur-

86 87 88 89

Vgl. Hopf 1983, S. 81 ff. Vgl. Hopf 1983, S. 81. Vgl. Mankiw et al. 2008, S. 254. Vgl. Klodt 2001, S. 84.

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renzprinzip auf die entstehenden Netzwerkeffekte abzustellen. Sie können positiv ausfallen, wenn das bereits existierende Netzwerk durch seine Vergrößerung wertvoller wird, seine Teilnehmer also zunehmend besser gestellt werden. Das ist z.B. der Fall, wenn man mit einer wachsenden Zahl an Personen über bestimmte Ereignisse oder in einer bestimmten Sprache kommunizieren kann. Die Netzwerkeffekte können aber auch negativ ausfallen, wenn das Wachstum für die Teilnehmer nachteilig ist. Die unerwünschte Weitergabe eines privaten oder eines Geschäftsgeheimnisses ist hierfür ein passendes Beispiel. Passt man die Gütermatrix dementsprechend an, ergeben sich die folgenden vier Varianten:

Negativ

Netzwerkeffekte

Private Information

Positiv

Marktinformation

Ja ɑ *HKHLPQLV Ausschlussprinzip

ɑ 3URGXNWLGHH  GHV(UЦQGHUV ɑ ,QVLGHULQIRUPD  WLRn LGHDO 

ɑ 6HQGXQJ¾EHU  3D\7V ɑ .LQRЦOP

Systeminformation

Öffentliche Information

Nein ɑ %¸UVHQWLSSV ɑ ,QVLGHULQIRUPD  WLRn UHDO

ɑ Rundfunk ¾EHUWUDJXQJ ɑ )UHLH,QWHUQHW  SXEOLkDWLRQ

Abb. 4: Netzwerkeffekte und Ausschlussprinzip bei Informationsgütern

Bei der privaten Information können andere von der Nutzung ausgeschlossen werden, indem man sie nicht teilhaben lässt oder über einen wirksamen rechtlichen Schutz der Information verfügt. Liegt Information einem bestimmten Personenkreis⁹⁰ vor und hätte dieser einen Nachteil aus ihrer weiteren Verbreitung, kann von Systeminformation gesprochen werden. Information, deren Erwerb von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden kann, lässt sich als Marktinformation bezeichnen. Erfolgt die Verbreitung hingegen frei und unkontrolliert, handelt es sich um öffentliche Information. Zusammenfassend kann man sagen, dass Informationsgüter nur in ihrer Produktionsphase private Güter sein können und auch nur dann, wenn sie entweder geheim

90 Z.B. Firmenmitarbeitern oder den Abonnenten einer Börsenzeitschrift.

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gehalten werden können oder einen wirksamen rechtlichen Schutz genießen. Wenn man berücksichtigt, dass selbst private Informationsgüter, die mit einem rechtlichen Schutz versehen sind, nur bedingt vor unrechtmäßigem Gebrauch geschützt werden können, lässt sich feststellen, dass Informationsgüter zwar nicht per se öffentliche Güter sind, im Zuge ihrer Verbreitung aber eine deutliche Tendenz aufweisen, über Mischgüter zu öffentlichen Gütern zu werden.⁹¹

5 Zusammenfassung und Ausblick Vier ökonomische Besonderheiten kennzeichnen das spezielle Gut Information und machen das Zustandekommen von Märkten für Information schwierig: Marktversagen droht. Dass sich dennoch gut funktionierende Informationsmärkte entwickelt haben, ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Zum einen hat sich über die letzten Jahrhunderte in den meisten Ländern ein rechtliches Regelsystem etabliert, das dem Schöpfer eines Werkes bestimmte Schutzrechte gewährt. Allem voran ist hier das Urheberrecht – bzw. im angloamerikanischen Raum das Copyright – zu nennen, das den Urheber davor schützt, dass sein Werk von anderen ohne seine Zustimmung genutzt wird. Auch wenn es im digitalen Zeitalter zu Verstößen durch Schwarzkopien z.B. über Tauschbörsen kommt, hat der Rechteinhaber die Möglichkeit, aus seinem Werk Zahlungsströme zu realisieren. Ursprünglich private Informationsgüter werden dadurch nicht automatisch zu öffentlichen Gütern. Die Anwendung des Ausschlussprinzips wird so gestärkt. Daran gekoppelt ist die Chance auf Realisierung der Fixkostendegression. Wenn es den Anbietern gelingt, ihr Gut zu verkaufen, und es nicht freie Verbreitung findet, wird die Kostendegression wirksam. Der rechtliche Produktschutz wird ergänzt durch die technischen Möglichkeiten des Kopierschutzes. Beides gemeinsam ergänzt sich in Maßnahmen zum digitalen Rechtemanagement (DRM), die sicherstellen sollen, dass Kopie und Weitergabe zu den Bedingungen des Rechteinhabers erfolgen. Neben den Schutzaspekten haben Unternehmen aber auch eine ganze Reihe von strategischen Optionen entwickelt, die ihnen helfen, ihre Produkte gegen Zahlung auf dem Markt abzusetzen. Gegen die bestehenden Informationsasymmetrien können Unternehmen das sogenannte Signaling einsetzen. Das heißt, dass dem potenziellen Kunden Signale über die Qualität des Angebots übermittelt werden. Offenlegung von Teilen der Information, Testversionen, Kundenreferenzen oder auch Garantien sind solche Signale, die dem Qualitätsanbieter helfen, den Kaufinteressenten davon zu überzeugen, dass das Angebot den geforderten höheren Preis auch wert ist.⁹² Andere Strategien zielen auf die Erzeugung und Verstärkung

91 Vgl. Hopf 1983, S. 87. 92 Vgl. hierzu ausführlich Linde, Stock 2011, S. 481 ff.

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von Netzwerkeffekten. Dazu gehört die wichtige Frage, wann man in einen Markt eintreten sollte, ob zuerst als sogenannter First-Mover oder später, um ggf. schneller als andere ein Netzwerk zu etablieren? Mit welchen Preisen sollte man sein Marktangebot ausstatten und welche komplementären Zusatzangebote sind erforderlich, damit es zu Netzwerkeffekten kommt? Es wird deutlich, dass die ökonomischen Besonderheiten Chancen und Risiken bergen und beim strategischen Handeln eines Unternehmens auf jeden Fall bedacht werden müssen.

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Ragna Seidler-de Alwis

Markt- und Wettbewerbsanalyse für Bibliotheken 1 Einleitung Die dynamische und digitalisierte Informationswelt verändert auch die Nutzung von und den Umgang mit Information innerhalb der Bibliothekswelt. Diese kontinuierlichen Veränderungen machen es für die Leitung einer Bibliothek unerlässlich, Chancen, Risiken und Trends aus dem Bibliotheksumfeld zu erkennen und in die Lenkung einer Bibliothek mit einzubeziehen. Mithilfe der Markt- und Wettbewerbsanalyse ist eine systematische Bearbeitung dieser Herausforderungen möglich. Es geht also darum herauszufinden, wie sich die Bibliothek aufstellen muss, um in Zukunft so intensiv wie möglich genutzt zu werden und Antworten auf Fragen zu erhalten, wie z.B.: – Welches Dienstleistungsangebot soll die Bibliothek bereithalten? – Welche Kunden- bzw. Nutzergruppen hat die Bibliothek? – Was sind die künftigen Aufgaben einer Bibliothek? – Was machen Informationsanbieter im Umfeld der Bibliothek? – Welche Trends und Prognosen gibt es für Bibliotheken? Im betriebswirtschaftlichen Umfeld hat die Markt- und Wettbewerbsanalyse das Ziel, generelle Trends und Entwicklungen möglichst frühzeitig zu erkennen, um so ein entsprechend frühzeitiges Reagieren zu ermöglichen und gewinn- und erfolgsorientiert zu handeln. Dies umfasst ein zielgerichtetes und kontinuierliches Beobachten und Analysieren von konkreten Daten und Fakten in der Markt- und Wettbewerbsumgebung von Unternehmen, um die Ergebnisse in den Prozess der strategischen Unternehmensplanung und des Marketings zu integrieren. In diesem Beitrag soll dargelegt werden, dass sich auch Bibliotheken mithilfe der Markt- und Wettbewerbsanalyse sowohl ihrer grundlegenden als auch ihrer operativen Zielrichtung bewusst werden können, um weiterhin erfolgreich zu agieren. Voraussetzung dafür ist eine kontinuierliche Beobachtung und Analyse von Informationen im Hinblick auf Entwicklungen und Ereignisse im Bibliotheksumfeld, deren Ergebnisse in den Prozess der strategischen Planung und des Marketings der Bibliothek einfließen. So kann frühzeitig erkannt werden, welche Produkte und Dienstleistungen welchen Kundengruppen von Bibliotheksseite angeboten werden müssen, um den zukünftigen Anforderungen an Bibliotheken gerecht zu werden.

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Seidler-de Alwis

1.1 Ziele und Aufgaben von Bibliotheken Wissen und Information sind Schlüsselfaktoren für wirtschaftlichen Wohlstand und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Bibliotheken tragen zu einem erheblichen Teil dazu bei, diese Informationen anzubieten, und schaffen damit eine Grundlage für Bildung, Erwerb und Anwendung von Information in Wirtschaft und Forschung in Deutschland – und damit für die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft. Bibliotheken bilden in Deutschland ein weitgehend flächendeckendes Netz, das die gesamte Bandbreite der Informationsbedürfnisse abdeckt. Sie fördern Lese-, Lern- und Medienkompetenz, also die Fähigkeit zur Aneignung von Wissen, und stützen den produktiven Wettbewerb in Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Erzeugung neuen Wissens und seiner Anwendungen. Bibliotheken sichern den Zugang zu Informationen in allen medialen Formen und bieten Orientierung in realen und virtuellen Medienwelten.¹ Bei der genauen Betrachtung der Aufgaben von Bibliotheken spielt die große Vielfalt von Bibliothekstypen eine wichtige Rolle. Plassmann, Rösch, Seefeldt und Umlauf zeigen auf, wie unterschiedlich strukturiert Bibliotheken sind und welche verschiedenen Aufgaben sie erfüllen. Die Aufgaben orientieren sich an den Zielgruppen und dem Versorgungsbereich der Bibliothek, der Art und Umfang des Bestandes, an den jeweiligen Unterhaltsträgern und deren Rechtsform und natürlich an der Hauptfunktion der Bibliothek. Dies ist bei Öffentlichen Bibliotheken die informationelle Grundversorgung der Einwohner der jeweiligen Kommune und bei wissenschaftlichen Bibliotheken vornehmlich die optimale Literatur- und Informationsversorgung für Angehörige der Hochschule in Forschung und Lehre. Bei Spezialbibliotheken orientieren sich die Aufgaben an Zielvereinbarungen, die die Bibliotheken als Infrastruktureinrichtung oder Forschungsbibliothek zu erfüllen haben.² Es wird deutlich, dass die Bibliotheken in der Regel keine kommerziellen Ziele haben und ihre Zielsetzungen nicht das Ergebnis eigennütziger betriebs- oder erfolgsorientierter Entscheidungen sind. Dennoch haben sie auch die Aufgabe, wirtschaftlich zu arbeiten, und daher sollten betriebswirtschaftliche Instrumente wie die Markt- und Wettbewerbsanalyse Eingang in die strategische Planung einschließlich Marketingplanung von Bibliotheken finden.

1 Vgl. Bibliothek 2007 Strategiekonzept. 2 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 71 – 100.

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1.2 Unterschiedliche Marktpositionen von wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken Bibliotheken leisten Unterstützung auf allen Stufen der Bildungsbiografie: Die Öffentliche Bibliothek und die Schulbibliothek (im Kindesalter) dienen der allgemeinen Versorgung; die wissenschaftliche Bibliothek als eine wichtige Ressource für Forschung und Lehre dient der institutionsgebundenen Versorgung. In ihrer Gesamtheit unterstützen und begleiten sie das lebenslange Lernen von der Bereitstellung von Literatur und elektronischen Medien bis hin zur Vermittlung von Fachinformationen via Internet und Datenbanken. Die Öffentliche Bibliothek agiert auf einem Käufermarkt, d.h., die potenziellen Kunden können auf dem Markt aus einer Vielzahl von Angeboten unterschiedlicher Anbieter (z.B. Videothek, Internet, Kino, Bibliothek) auswählen. Der Kunde allein entscheidet, ob er die Produkte und Dienstleistungen, die ihm die Öffentliche Bibliothek anbietet, nutzen will oder nicht. Die wissenschaftliche Bibliothek agiert dagegen eher auf einem Verkäufermarkt, d.h., die Bibliothek bietet Dienstleistungen an, die der Kunde in der Regel in Anspruch nehmen muss und die ihn so recht stark an diese binden. Das Verhältnis der Bibliotheken zueinander ist grundsätzlich durch Kooperation geprägt. Kooperatives Handeln von Bibliotheken hat zum Ziel, den Kunden einen Mehrwert an Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, also Angebote und Serviceleistungen, die durch einzelne Bibliotheken in der Qualität und Quantität nicht zu leisten sind. Diese Kooperationen sollen Rationalisierungseffekte erzielen sowie Ressourcen einsparen, um somit Kunden bzw. Nutzern Informationen und Dienstleistungen effektiver und effizienter anzubieten. Beispiele dafür sind die überregionale Verbundkatalogisierung oder der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK). Die Zusammenarbeit von Bibliotheken bewirkt größere Synergieeffekte, wie z.B. durch das Sondersammelgebietsprogramm der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) oder durch die Lektoratskooperation der Öffentlichen Bibliotheken. Dennoch spüren auch Bibliotheken Wettbewerbsdruck, wie z.B. durch subito. Dokumente aus Bibliotheken e.V., bei der elektronischen Dokumentenlieferung on Demand, durch Suchmaschinen wie Google oder Anbieter aus dem E-CommerceBereich. Öffentliche Bibliotheken konkurrieren weniger mit anderen Bibliotheken, sondern eher mit anderen Freizeitangeboten, die der Kunde nutzen kann, wie z.B. der Ausleihe in Videotheken, Sport, Fernsehen, Kino oder dem vielfältigen Angebot des Internets. Öffentliche Bibliotheken sehen sich vor allem einem Freizeitmarkt gegenüber, auf dem sie sich behaupten müssen, um die Förderung ihrer Unterhaltsträger nicht zu verlieren.³ Wissenschaftliche Bibliotheken erfahren die Konkurrenz eher unmittelbar durch die Buchhandlung oder in den letzten Jahren vermehrt durch das

3 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 147 ff.; Naumann 2010, S. 4 – 7.

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digitale und kostenfreie Angebot im Internet bzw. auf Internetportalen. Die einfache und zielgerichtete Suche in Suchmaschinen im Internet ist ein offensichtlicher Wettbewerbsvorteil im Vergleich zur Katalogsuche in der Bibliothek.

1.3 Warum Markt- und Wettbewerbsanalyse in Bibliotheken? Bibliotheken mit ihren Dienstleistungen und ihrem Bestand müssen sich veränderten Lebensbedingungen, wie z.B. der digitalen Informationsgesellschaft und deren Herausforderungen, stellen. Bibliotheken müssen ein genaues Verständnis dafür entwickeln, wie sich die Ansprüche ihrer Nutzer verändern und wie sie ihr Angebot an Informationsdienstleistungen daraufhin anpassen müssen. Mit Unterstützung der Markt- und Wettbewerbsanalyse kann die Zielrichtung der Bibliothek in Bezug auf Kunden, Produkte, Dienstleistungen und Wettbewerb festgelegt werden. Des Weiteren kann mit ihrer Hilfe festgestellt werden, welchen Nutzen und Wettbewerbsvorteil Produkte und Dienstleistungen für die Bibliothek generieren, z.B. aufgrund von Alleinstellungsmerkmalen oder herausragendem Image. Bibliotheken müssen nicht nur ihre Produkte und Dienstleistungen genau verstehen, um sie bürgernah, wirksam und wirtschaftlich gestalten zu können, sondern können mit dem Instrument der Markt- und Wettbewerbsanalyse erkennen, wie sie ihre bibliothekarischen Kompetenzen erweitern können. Der Vergleich zum Wettbewerb, z.B. durch Auswertung von Kennzahlen der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS) oder des Bibliotheksindexes (BIX), gibt Hinweise auf Verbesserungspotenziale. Diese betriebswirtschaftliche Betrachtung trägt zur professionellen Vermarktung von Informationsdienstleistungen, einer Qualitätsverbesserung aus Kundensicht und einer effizienteren Marketingstrategie der Bibliothek bei.

2 Markt- und Wettbewerbsanalyse im Marketingmanagementprozess Philip Kotler und Michael Porter haben die Markt- und Wettbewerbsanalyse im Zusammenhang des Managementprozesses in Organisationen sehr ausführlich beschrieben. Nachfolgend werden deren fundamentale Aussagen zu diesen Themenkomplexen kurz dargestellt, um sie dann vor allem im dritten Kapitel auf das Umfeld der Bibliothek zu übertragen. Philip Kotler beschreibt den strategischen Marketingmanagementprozess als einen Prozess, in dessen Rahmen Markt- und Wettbewerbschancen analysiert werden und über Marktplatzierungen, Marketingprogramme sowie Kontrollstrategien entschieden wird, die das Erreichen der Unternehmensziele erschließen und sicherstel-

Markt- und Wettbewerbsanalyse

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len.⁴ Das Marketingmanagement hat marktbezogene, unternehmensbezogene und gesellschaftsbezogene Aufgabenkomplexe zu bewältigen. Das strategische Dreieck Kunde (Bedarf und Nachfrage) – Unternehmen (Stärken und Schwächen) – Wettbewerber (Stärken und Schwächen) ist der Bezugsrahmen für die Marketingziele. Das Unternehmen muss Ziele und Strategien planen und festlegen, denn ohne konkrete Zielsetzungen kann keine Strategie und keine Maßnahme auf ihren Erfolg hin überprüft werden und ohne Strategien entsteht ein kurzsichtiges Denken. Das Kundenverhalten muss erkannt werden und Transparenz über Kundenbedürfnisse entwickelt werden. Mithilfe der Marktforschung und der Markt- und Wettbewerbsanalyse können Märkte analysiert und Kenntnisse über den Wettbewerb und Kunden gewonnen werden, um deren Entwicklungen und Einflüsse auf den Gesamtmarkt und das eigene Unternehmen beurteilen zu können. Daraus gestalten sich dann Maßnahmen, die den Marketing-Mix (sieben Ps: Product, Price, Promotion, Placement, People, Process, Physical Evidence) von Dienstleistungsunternehmen ausmachen und optimieren.⁵ Marketingziele können ökonomischer Natur sein, wie z.B. Gewinnmaximierung, höhere Umsatzziele, Zuwachs an Marktanteilen oder Senkung der Kosten, oder psychologischer Natur, wie z.B. Erhöhung des Bekanntheitsgrades, Verbesserung des Images oder der Kundenzufriedenheit. Gewinnmaximierung und höherer Umsatz sind nicht die vorrangigen Ziele im Bibliotheksbereich, sondern es überwiegen die psychologischen Marketingziele wie Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit. Ökonomische und psychologische Marketingziele können sich komplementär, aber auch neutral oder sogar konfliktär gegeneinander verhalten. Nach Michael Porter beschäftigt sich die Markt- und Wettbewerbsanalyse mit der Analyse und Beobachtung von konkreten, wettbewerbsrelevanten Themenkomplexen, die sich im Markt- und Wettbewerbsumfeld bieten und sich an Chancen und Risiken orientieren und deren Ergebnisse in die Strategieplanung mit einfließen sollen. Porter entwickelte für die Marktanalyse ein Konzept, das die Struktur eines Marktes (einer Branche) anhand von fünf Wettbewerbskräften analysiert. Die Marktstruktur bestimmt die Wettbewerbsintensität in einer Branche und somit das im Markt durch ein Unternehmen zu erwirtschaftende Gewinnpotenzial. Deshalb ist es notwendig, die Intensität der verschiedenen Kräfte zu kennen. Die Einflussfaktoren bzw. Wettbewerbskräfte, die die Marktstruktur bestimmen, sind: – Lieferanten, – Abnehmer, – potenzielle neue Wettbewerber, – Substitutionsmöglichkeiten und – Wettbewerbsverhalten in der Branche.

4 Vgl. Kotler 1989, S. 17. 5 Siehe die Beiträge „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade sowie „Strategisches Marketing“ von Hobohm in diesem Handbuch.

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Um über die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation hinaus das zukünftige Verhalten der Konkurrenten abzuschätzen, stellt Porter in seinem Konzept der Konkurrenzbzw. Wettbewerbsanalyse folgende Einflussfaktoren auf: – gegenwärtige Strategien der Wettbewerber, – Entwicklungsmöglichkeiten der Wettbewerber, – daraus folgend Stärken und Schwächen des Wettbewerbs sowie – generelle Tendenzen und Herausforderungen im Markt bzw. in der Branche.⁶ Diese beiden Methoden helfen bei der strukturierten Anwendung der Markt- und Wettbewerbsanalyse und sind Kernbestandteile im Marketingmanagementprozess. Sie werden durch Management Tools wie z.B. der SWOT-Analyse, der Ansoff-Matrix oder dem 4-C-Analyse-Konzept (siehe Abschnitt 4) unterstützt. Die Weiterentwicklung dieser Methoden von Porter findet im Ansatz der Competitive Intelligence statt. Competitive Intelligence umfasst sowohl den Prozess der Beobachtung des wettbewerbsrelevanten Umfelds als auch die Kenntnis und das Wissen um den Wettbewerber und seiner Entwicklungen. Die Weiterentwicklung besteht vor allem in der Definition von Prozessschritten, die für die Sammlung, Auswertung, Verteilung und Nutzbarmachung von Informationen über das Wettbewerbsumfeld notwendig sind. Diese Prozessschritte sind auch unter dem Begriff Intelligence Cycle bekannt.⁷

2.1 Aufgaben und Ziele der Markt- und Wettbewerbsanalyse Die Aufgaben der Markt- und Wettbewerbsanalyse sind vielfältig. Eine Hauptaufgabe ist es, die gegebenen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse und deren Auswirkungen auf das Unternehmen bzw. die Branche zu untersuchen. Mit ihrer Hilfe können neue potenzielle Wettbewerber und Wettbewerbsvorteile identifiziert werden. Darüber hinaus leistet sie Unterstützung bei der Erfassung und Systematisierung von ProduktMarkt-Beziehungen. Eine weitere Aufgabe besteht im Monitoring von neuen Technologien und Produkten, aber auch von politischen, gesetzlichen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Markt- und Wettbewerbsanalyse kann auch für den Vergleich von Produkten, Preisen, Absatzwegen, Verkaufsförderungsmaßnahmen etc. genutzt werden. Diese vielfältigen Elemente können wertvolle Hinweise und Schlüsse liefern, um Maßnahmen abzuleiten für den Ausbau von Marktanteilen bzw. die Steigerung der Gewinne, um den Markterfolg eines Unternehmens zu sichern und / oder zu vergrößern. Damit die Markt- und Wettbewerbsanalyse als strukturierter Prozess in Gang gesetzt werden kann, dessen Ergebnisse die Ableitung strategischer Optionen

6 Vgl. Porter 2008, S. 35 – 39. 7 Vgl. Kahaner 1997, S. 43 – 47.

Markt- und Wettbewerbsanalyse

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ermöglichen, ist eine zielorientierte und systematische Sammlung und Analyse der Daten notwendig. Wichtige Kenngrößen für die Markt- und Wettbewerbsanalyse sind: – Marktgröße / Marktvolumen, – Marktwachstum / Marktentwicklung, – Marktteilnehmer (Wettbewerber), – Marktanteile / Rankings, – Marktsegmente / Produkte, – Distributionswege, – Trends / Prognosen, – neue Technologien, – Forschungs- und Entwicklungskennzahlen, – Fusionen und Übernahmen im Markt sowie – gesamtwirtschaftliche Rahmendaten. Diese Informationen können sowohl aus unternehmensinternen Informationsquellen wie Projektberichten, Bilanzen als auch aus externen Quellen eruiert werden. Die Markt- und Wettbewerbsanalyse kann sowohl kontinuierlich als auch situationsbezogen durchgeführt werden. Im Rahmen der strategischen Planung und der Marketingplanung gilt es, ein genaues Verständnis für die kritischen Erfolgsfaktoren zu gewinnen. Dazu kann die Markt- und Wettbewerbsanalyse einen wesentlichen Beitrag leisten. Die kritischen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens werden zunächst von den Zielen eines Unternehmens abgeleitet (siehe Abschnitt 2.1.1), aber auch von anderen unternehmensexternen Faktoren beeinflusst, die über die Markt- und Wettbewerbsanalyse ermittelt werden können (siehe Abschnitt 2.1.2). Der spezifische Bezug auf Bibliotheken findet sich im dritten Kapitel.

2.1.1 Analyse von internen Faktoren Sowohl interne Faktoren, also direkt vom Unternehmen steuerbare Einflüsse, als auch extern gegebene Faktoren finden Eingang in die Markt- und Wettbewerbsanalyse. Die direkt steuerbaren Einflüsse im Unternehmen sind sehr vielfältig und können z.B. das Produkt- und Dienstleistungsprogramm, die Vertriebskanäle, die Technologiestärke, die angemeldeten sowie erteilten Patente oder die Kommunikationspolitik eines Unternehmens oder einer Organisation sein. Mit der Analyse dieser internen Faktoren können Stärken und Schwächen des Unternehmens und deren Auswirkungen auf den Markt ermittelt werden, d.h., es können Schlüsse auf die zukünftigen Chancen und Risiken gezogen werden. Des Weiteren lassen sich die wechselseitigen Einflüsse der Produkte, Dienstleistungen, Werbungsausgaben, Vertriebskanäle etc. feststellen. Die Analyse der internen Faktoren kann z.B. auch für eine optimale Verteilung des Marketingbudgets auf unterschiedliche Dienstleistungen oder Produkte genutzt werden.

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Bei der Analyse der internen Faktoren ist zu berücksichtigen, dass neben diesen sehr systematischen und rationalen Mechanismen in Unternehmen und Organisationen Machtstreben oder persönliche Interessen im Vordergrund stehen können, sodass nicht rationale, sondern emotionale Entscheidungsfindungen in Unternehmen auch zu den Faktoren gehören, die Eingang in die Analyse finden müssen.

2.1.2 Analyse von externen Faktoren Die kontinuierliche Beobachtung von Veränderungen im Markt- und Wettbewerbsumfeld, das dynamischen Veränderungen unterliegt, ist ein essenzielles Element für den wirtschaftlichen Erfolg in Unternehmen und Organisationen. Dabei ist der unternehmensexterne Informationsbedarf von hoher Komplexität geprägt: Relevante Faktoren können die Struktur des entsprechenden Marktes, die Position des Unternehmens im Wettbewerb, Umweltfaktoren, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder neue technologische Entwicklungen, die den Markt beeinflussen, sein.⁸ Die Analyse der externen Wettbewerber schließt auch deren Leistungsangebot, Werbeaktivitäten, Produkteinführungen und Preisbildung mit ein. Weitere extern gegebene Faktoren, die recherchiert werden müssen, sind die externen Marktbedingungen, wie z.B. temporäre Faktoren, die nur über einen bestimmten Zeitraum wichtig sind (z.B. saisonale Ereignisse). Die Komplexität wird durch den zusätzlichen Bedarf an Informationen über gesetzliche Bestimmungen und politische Rahmenbedingungen, die allgemeine Wirtschaftslage und die gesellschaftliche Entwicklung (z.B. demografischer Wandel) weiter erhöht. Diese Daten können entweder als Primärdaten durch Beobachtung oder Befragung erhoben werden⁹ oder als Sekundärdaten aus Marktstudien, Analystenberichten, Verbandspublikationen, von statistischen Ämtern, OnlineDatenbanken und anderen Quellen eruiert werden. Die spezifischen Bedürfnisse einzelner Unternehmen oder Organisationen erfordern eine individuelle und flexible Bereitstellung von entsprechenden Markt- und Wettbewerbsinformationen, die sich kontinuierlich an wechselnde Bedingungen anpassen müssen.¹⁰

2.2 Vorgehensweise Die Ergebnisse der Markt- und Wettbewerbsanalyse werden in den strategischen Marketingmanagementprozess mit einbezogen bzw. für die strategische Neuausrichtung genutzt. Die Erstellung des strategischen Konzeptes kann in unterschiedliche Pro-

8 Vgl. Fritz 2005, S. 59. 9 Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 10 Vgl. Fritz 2005, S. 51 – 53.

Markt- und Wettbewerbsanalyse

143

zessabschnitte aufgeteilt werden (siehe Abb. 1). Die Durchführung dieser Prozessphasen beinhaltet unterschiedliche Tätigkeiten, Verfahren und Methoden.

1. Erfassung der  Ausgangssituation

2. Erhebung der Marktanforderungen

3. Ableitung und Bewertung der strategischen Optionen

4. Abstimmung und Verabschiedung der Gesamtstrategie

Abb. 1: Projektschritte zur Erstellung eines strategischen Konzeptes

Die Markt- und Wettbewerbsanalyse findet vor allem in den ersten beiden Prozessschritten Anwendung: Die externen Informationsbedürfnisse dienen hier als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen hinsichtlich der einzelnen Komponenten, die für die entsprechende Markt- und Wettbewerbsanalyse notwendig sind. Folgendes Vorgehen ist deshalb in der Markt- und Wettbewerbsanalyse in Unternehmen und Organisationen anzuraten: 1. Informationsbedarfsanalyse aus Sicht des Unternehmens, 2. Identifikation von geeigneten Informationsquellen, 3. Kontinuierliche Informationssammlung, um eine entsprechende Markt- und Wettbewerbsanalyse durchzuführen, 4. Personalisierung der Informationen entsprechend dem Informationsbedarf in Bezug auf den Markt einschließlich der Produkt-Markt-Segmentierung und das jeweilige Unternehmen mit seinen Konkurrenten und den externen Einflüssen bzw. gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten, 5. Bereitstellung der Informationen und Ableitung der Maßnahmen. Im Unternehmen wird die Markt- und Wettbewerbsanalyse in der Regel durch die eigene Marktforschungsabteilung oder durch Vergabe an spezialisierte Dienstleistungsunternehmen vorgenommen. Die Informationssammlung kann sowohl durch Primärerhebung als auch durch die Auswertung von Sekundärdaten durchgeführt werden (siehe Abschnitt 2.1.2). Bei der Primärerhebung werden häufig die Methoden der Befragung (inkl. Experteninterviews), der Beobachtung und des Experiments angewendet. Die Methode der Beobachtung findet z.B. in Form von Messebesuchen, Geschäftsbegehungen oder Außendienstbeobachtungen statt. Befragungen werden z.T. selbst durchgeführt oder auch an entsprechende Institute (GfK¹¹ oder AC Nielsen¹²) vergeben, um Anonymität zu gewährleisten und auf andere Ressourcen zurückgreifen zu können. Es können sowohl Konkurrenten, Händler, Lieferanten, Kunden als auch Berater befragt werden.

11 Vgl. http://www.gfk.de (Abruf: 05.05.2012). 12 Vgl. http://www.acnielsen.com (Abruf: 05.05.2012).

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Die Sekundärrecherche erfolgt in der Regel über Publikationen, Datenbankrecherchen oder Patentanalysen. Publikationen können Marktstudien, Analystenberichte, Verbandspublikationen, Geschäftsberichte, Onlinedatenbanken, Statistiken der Ämter, Pressemeldungen (Zeitungen und Zeitschriften, online und offline), Stellenanzeigen, informelle Nachrichten aus Blogs, Sozialen Netzwerken oder auch Werbung sein. Die Patentrecherche gibt Informationen über Patentrechte und Patentlaufzeit, Reichweite des Patentschutzes u.a. Die Patentanalyse liefert Informationen zu der Patentaktivität, den Forschungsschwerpunkten etc. Die Datenbankrecherchen finden sowohl in kommerziellen Datenbanken als auch in kostenfreien Informationsquellen des Internets statt.

3 Markt- und Wettbewerbsanalyse in Bibliotheken Auch wenn Bibliotheken keine kommerziellen Einrichtungen, sondern Non-ProfitOrganisationen sind, können sie vom Einsatz der Markt- und Wettbewerbsanalyse in Bezug auf Kunden, Produkte, Dienstleistungen und Wettbewerb profitieren und so einen Beitrag leisten zur – professionellen Vermarktung ihrer Dienstleistungen, – Qualitätsverbesserung aus Kundensicht und – Gewährleistung und Unterstützung einer effektiven Marketingstrategie. In Bibliotheken überwiegt das Dienstleistungsmarketing, d.h., die Dienstleistungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie oft individuell für den Kunden erstellt und ausgeübt werden. Sie sind grundsätzlich gekennzeichnet durch einen geringen Anteil an Prüfeigenschaften, einen hohen Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften, sodass die Qualität der Dienstleistungen vor allem subjektiv durch den Kunden bewertet wird.¹³ Die Markt- und Wettbewerbsanalyse erlaubt der Bibliothek als Dienstleistungsbetrieb, ihre Produkte und Dienstleistungen sowie ihre Kundenbeziehungen zu erfassen, zu systematisieren, zu vergleichen und zu überprüfen. Diese Analyse liefert einen wichtigen Beitrag, um hohe Kundenzufriedenheit mit den Produkten und Dienstleistungen zu erlangen.¹⁴ Nur so können sich Bibliotheken ihren Kunden gegenüber als attraktive Kultur- und / oder Bildungseinrichtung darstellen und eine hohe Nutzung erzielen – und dadurch bei Unterhaltsträgern Unterstützung erfahren. Dazu gehört auch das Monitoring von neuen Technologien und gesellschaftlichen Entwicklun-

13 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 14 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch.

Markt- und Wettbewerbsanalyse

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gen, die einen Einfluss auf die Prozesse in der Bibliothek haben, sowie auf zukünftige Dienstleistungsinnovationen und Dienstleistungsvariationen.¹⁵ Mittels der Markt- und Wettbewerbsanalyse können die Erfolgsfaktoren einer Bibliothek bestimmt und überprüft werden. Erfolgsfaktoren sind die wesentlichen Stärken, die der Bibliothek zur Festigung der eigenen Marktstellung dienen und zur Differenzierung im Wettbewerb beitragen, so z.B. praktizierte Kundennähe. Des Weiteren können die angebotenen Produkte und Dienstleistungen einer Bibliothek auf ihre Nutzung, Kundenakzeptanz und Differenzierungsmerkmale untersucht werden, um entsprechendes Verbesserungspotenzial herauszustellen. Mithilfe der Markt- und Wettbewerbsanalyse können die gegebenen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse der spezifischen Bibliothek und der Bibliotheksumgebung dargestellt werden und ggf. zukünftige Auswirkungen auf die gesamte Branche prognostiziert werden. So kann beispielsweise für Öffentliche Bibliotheken im Kundensegment Schüler herausgearbeitet werden, wie gut deren Angebot im Vergleich zu dem von Schulbibliotheken positioniert ist. Gleichzeitig können branchenfremde Wettbewerber identifiziert werden, wie z.B. die Angebote der Kindersuchmaschinen im Internet. Somit können die eigenen Potenziale mit denen von Wettbewerbern verglichen und Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten gegeben werden.

3.1 Marktanalyse in Bibliotheken Eine Marktanalyse für Bibliotheken beinhaltet die systematische Erfassung von relevanten Sachverhalten, die den gegenwärtigen und potenziellen Markt und die Marktteilnehmer im engeren Umfeld betreffen. Die Ermittlung des relevanten Marktes erfolgt durch räumliche, zeitliche und sachliche Abgrenzung. Die räumliche Abgrenzung entspricht der geografischen Abgrenzung, wie z.B. einer Stadt- oder Landesgrenze. Eine zeitliche Abgrenzung wäre z.B. eine monatliche, jährliche o.ä. Betrachtungsweise. Die sachliche Abgrenzung setzt sich aus dem Angebot, den Dienstleistungen und den Kunden zusammen. Die Marktanalyse schließt auch die ökonomischen, soziokulturellen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Umfeld einer Bibliothek (Makroumfeld) mit ein. Beispiele dafür sind das digitale Medienangebot im Netz, die silberne Generation („Best Ager“), die Kundengruppe Migranten und viele mehr. Eine feinmaschigere Segmentierung des relevanten Marktes durch eine ProduktMarkt-Segmentierung kann zusätzliche Hilfe bieten, wenn eine detailliertere Abgrenzung notwendig ist. Ein weiteres wichtiges Element in der Marktanalyse für eine Bibliothek ist die Kundenanalyse, zu der auch die Erstellung eines Kunden- und Benut-

15 Siehe den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch.

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zerprofils gehört.¹⁶ Auch der Vergleich von Preisen für bibliothekarische Leistungen und die Ermittlung von Konkurrenzdienstleistungen auf dem Markt gehören in die Marktanalyse. Als Ergebnis der Marktanalyse werden Aussagen über die Chancen und Risiken der jeweiligen Bibliothek getroffen in Verbindung mit Aussagen über den eigenen Markt bzw. die Bibliotheksbranche. Positive und negative Fakten und Entwicklungen im Markt und im darüber hinausgehenden Umfeld werden identifiziert und in Bezug auf die Marktposition strukturiert erfasst. Die Marktanalyse für eine Bibliothek soll auf folgende Fragen Antworten finden: – Welche Märkte und Kundensegmente sollen bedient werden? – Welche Produkte und Dienstleistungen sollen angeboten werden? – Welche Trends werden Produkte und Dienstleistungen beeinflussen? – Welche Preispolitik soll verfolgt werden? – Wie kommen die Produkte und Dienstleistungen der Bibliothek zum Kunden? – Mit welchen Kommunikationsmaßnahmen werden die gesetzten Ziele einer Bibliothek optimal erreicht? – Welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflussen die Bibliothek und deren Kunden und die Unterhaltsträger?

3.1.1 Produkt-Markt-Segmentierung in Bibliotheken Bei einer detaillierten Betrachtung ist die Produkt-Markt-Segmentierung (PMS) in einer Marktanalyse unverzichtbar. Marktsegmentierung ist nach Heribert Meffert die Aufteilung eines Gesamtmarktes in intern homogene und untereinander heterogene Untergruppen (Marktsegmente). Marktsegmente sind nachfrageseitig zu verstehen, d.h., es handelt sich um Gruppen von Konsumenten bzw. um eine Gruppierung von Zielkunden. Ein Marktsegment besteht aus einer größeren, identifizierbaren Kundengruppe und wird durch relevante Segmentierungskriterien abgesetzt.¹⁷ Es gibt die – geografische Segmentierung (Länder, Regionen, Städte, Stadtteile etc.), – demografische Segmentierung (Alter, Geschlecht, Familienstand etc.), – sozioökonomische Segmentierung (Einkommen, Bildungsgrad, Beruf, Nationalität etc.), – psychografische Segmentierung (Lifestyle, Werte, Sinus-Milieus® etc.) sowie die

16 Siehe die Beiträge „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach sowie „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 17 Vgl. Meffert 2000, S. 181.

Markt- und Wettbewerbsanalyse



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verhaltensbezogene Segmentierung (Mediennutzung, Preisverhalten, Verwenderstatus etc.).¹⁸

Die Segmentierung kann nach den Zielgruppen auf Produkte und Dienstleistungen ausgedehnt werden, sodass Zielgruppen fokussierter betrachtet werden können. Eine selektive Spezialisierung wäre z.B., englischsprachige Bücher nur für Erwachsene und keiner anderen Kundengruppe anzubieten. Eine weitere Form der Segmentierung ist die Marktspezialisierung, indem man z.B. für Senioren sowohl Hörbücher, englischsprachige Bücher als auch MP3-Downloads anbietet. Wenn beispielsweise MP3Downloads für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren angeboten werden, dann wird dies als Produktspezialisierung bezeichnet. Die Produkt- und Marktsegmentierung in einer Bibliothek schafft die Möglichkeit, heterogenen Kundenbedürfnissen gerecht zu werden und im Rahmen der Marktanalyse eine spezifischere Betrachtungsweise zu ermöglichen, um so z.B. Marktlücken und Marktnischen zu erkennen. Beides sind spezifische Marktsegmente. Die Marktlücke bietet die Chance, diese frühzeitig zu bedienen und durch neue Produkte und Dienstleistungen die Wettbewerbsfähigkeit einer Bibliothek zu sichern; die Marktnische bietet die Chance eines Alleinstellungsmerkmals durch spezifische Produkt- oder Dienstleistungspolitik oder durch eine Ausweitung des Marktes. Um eine geeignete PMS vorzunehmen, ist die Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die Substituierbarkeit von Produktgruppen und die Komplexität der Produkte und Dienstleistungen einer Bibliothek herauszuarbeiten. Im Rahmen der Marktanalyse hilft die PMS der Bibliothek, auf folgende Fragen Antworten zu finden: – In welchen Marktsegmenten soll die Bibliothek tätig sein? – Wie attraktiv ist ein Marktsegment für die Bibliothek und wie ist die zukünftige Entwicklung? – Wer sind die wichtigsten Zielgruppen? – Welche Position nimmt die Bibliothek ihnen gegenüber gegenwärtig ein und welche Position will sie zukünftig einnehmen?

3.1.2 Kundenanalyse Die Kundenanalyse ist ein wesentlicher Bestandteil der Marktanalyse. Für den Bibliotheksbereich sind die genaue Erfassung der Kundenstruktur (siehe auch Abschnitt 3.1.1) und des Ausleihverhaltens sowie der Kundenbedürfnisse und Kundenzufriedenheit wesentliche Teile der Kundenanalyse.¹⁹ So sollte sich die Marketingstrategie

18 Vgl. Runia, Wahl, Geyer, Thewißen 2009, S. 95 – 111. Siehe auch den Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 19 Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch.

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der Bibliothek darauf richten, sich durch besondere Kundenorientierung gegenüber den verschiedenen Kundengruppen zu empfehlen. Für die Bibliothek gilt es, folgende Fragen zu beantworten: – Welche Kundengruppen gibt es und wodurch unterscheiden sich diese? – Wer sind die potenziellen Nutzer bzw. Kunden und wie entwickeln sich einzelne Kundengruppen? – Was sind die Hauptanforderungen an bestimmte Produkte und Dienstleistungen aus Kundensicht? – Welche Hemmnisse existieren, um aus Kundensicht die Bibliothek zu nutzen? – Wie ist die Zufriedenheit mit aktuellen Produkten und Dienstleistungen? – Gibt es unerfüllte Kundenbedürfnisse, die befriedigt werden können? In Bibliotheken  – wie in Unternehmen  – gilt die Regel, dass der Aufwand und die Kosten zur Gewinnung von Neukunden höher sind als die Kosten für die Beibehaltung der Stammkunden. Daher ist es besonders wichtig, sich an den Kunden zu orientieren und eine hohe Kundenzufriedenheit zu schaffen.²⁰ Nach Esch, Herrmann und Sattler versteht man unter Kundenorientierung „die Kenntnis der Wahrnehmungen, Einstellungen sowie Erwartungen des Kunden und die Bereitstellung eines aus Kundensicht zufrieden stellenden Leistungsangebotes, das die Ziele und Bedürfnisse des Kunden besser erfüllt als das der Konkurrenz“.²¹ Meyer und Dornach bezeichnen Kundenzufriedenheit als das Ergebnis eines Vergleichsprozesses des Kunden zwischen seinen Erwartungen und den wahrgenommenen Leistungen. Die Erwartungen an das Angebot von Produkten und Dienstleistungen werden in hohem Maße geprägt von eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen, den vorhandenen Angeboten und der Kommunikation über die Produkte und Dienstleistungen.²² Dabei genügt es nicht, Dienstleistungen anzubieten, die konkurrierenden Dienstleistungen objektiv überlegen sind. Sie müssen auch vom Kunden subjektiv so wahrgenommen werden. Da die Kunden unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, wie z.B. ihren jeweiligen Bildungsgrad, kommt es auch zu Qualitätsschwankungen bei der Ausführung von Dienstleistungen. Entsprechend subjektiv fällt die Qualitätsbeurteilung aus.²³ So sind die Erwartungen eines jungen Erstlesers an das Lesespektrum einer Öffentlichen Bibliothek andere als die eines erwachsenen Lesers mit breiten Interessengebieten und Kenntnissen in mehreren Sprachen. Erwartungen und wahrgenommene Leistungen sind nicht unabhängig voneinander. Vielmehr beeinflussen die Erwartungen auch die Wahrnehmung der Leistung: Hat ein Kunde z.B. allgemein

20 21 22 23

Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch. Esch, Herrmann, Sattler 2008, S. 5. Vgl. Meyer, Dornach 1997, S. 166 – 167. Siehe den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch.

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ein positives Image von „seiner“ Öffentlichen Bibliothek, so wird er dieser Wahrnehmung entsprechend das Angebot der Bibliothek positiver bewerten. Kundenerwartungen ɑ ɑ ɑ  ɑ

individuelleUAnspruch ImagederBibliothek AQJHERWXQGVersprechungen GHUBibliothek WissenumAlternativen

Wahrgenommene Leistungen ɑ ɑ  ɑ

aktuellHErfahrungen subjektiveWahrnehmung GHUDienstleistungen individuelleProblemlösung

Abb. 2: Beeinflussungsfaktoren der Kundenzufriedenheit²⁴

3.2 Wettbewerbsanalyse in Bibliotheken Genaue Kenntnisse über andere Anbieter im Umfeld der Bibliothek können für Bibliotheken von großem Wert sein. Die Bibliothek kann eigene Potenziale mit denen ausgewählter Wettbewerber vergleichen. Zur systematischen Erhebung wettbewerbsrelevanter Informationen wird in der Praxis üblicherweise eine Einteilung in zwei Gruppen vorgenommen: Zur einen Gruppe zählen die Wettbewerber aus der jeweiligen Branche, d.h. Bibliotheken oder andere Institutionen, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, die untereinander in enger Wechselbeziehung stehen, also enge Substitutionsprodukte anbieten, wie z.B. Videotheken. Die andere Gruppe der Wettbewerber sind die Organisationen bzw. Unternehmen, die um dieselben Kunden kämpfen, wie z.B. andere Kultur- oder Freizeiteinrichtungen und vor allem das Internet mit seinem breiten Angebot unterschiedlicher Informationsdienstleistungen. In dieser Gruppe sind sowohl derzeit agierende als auch potenzielle relevante Konkurrenten zu berücksichtigen. Wettbewerber sind also nicht nur diejenigen, die sich auf den ersten Blick als solche zu erkennen geben, wie etwa andere Bibliotheken oder andere Bibliothekstypen in der Umgebung. Das Feld der Wettbewerber kann weiter gefasst werden, als Bibliotheken es häufig tun. So werden Videotheken oft nicht als ernst zu nehmende

24 Meyer, Dornach 1997, S. 166.

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Konkurrenz betrachtet. Eine feinmaschigere Segmentierung kann dazu führen, dass sich das Feld der Wettbewerber erweitert. Eine Buchhandlung kann in Bezug auf Kunden mit hohem Einkommen und Bildungsniveau sehr wohl als Wettbewerber agieren. Die Wettbewerbsanalyse kann entscheidende Informationen liefern, die es im Planungs- und Marketingprozess einer Bibliothek zu berücksichtigen gilt. Diese sollten dazu genutzt werden, den Kunden mit seinen Wünschen und Bedürfnissen bestmöglich zu bedienen.²⁵ Die Ergebnisse der Wettbewerbsanalyse erlauben Aussagen über die Stärken und Schwächen der Wettbewerber einer Bibliothek im Vergleich zu den bibliothekseigenen Stärken und Schwächen (siehe Abschnitt 3.2.1). So können strategische Profile für Konkurrenten in Verbindung mit der eigenen Position erstellt werden, die für strategische und marketingrelevante Entscheidungen innerhalb der Bibliothek von Bedeutung sein können. Die Wettbewerbsanalyse für eine Bibliothek beantwortet somit folgende Fragen: – Wer sind die Wettbewerber und welche Merkmale besitzen diese z.B. in Bezug auf Unterhaltsträger, Standorte, Größe etc.? – In welchen Segmenten sind die Wettbewerber aktiv? – Welche Produkte und Dienstleistungen bieten sie an? – Welche Alleinstellungsmerkmale (herausragende Angebote) haben die Wettbewerber? – Welche innovationsrelevanten Besonderheiten weisen Wettbewerber auf (Technologien, Prozesse, Aufenthaltsqualität etc. und die Mitarbeiter, die diese Innovationen umsetzen)?

3.2.1 Benchmarking in Bibliotheken Benchmarking ist ein systematisches Verfahren, das in der Wettbewerbsanalyse genutzt werden kann. Grundidee des Benchmarkings ist es, sich mit dem „Klassenbesten“ (Best Practice) mithilfe von quantitativen Indikatoren und qualitativen Messgrößen, die sich aus der direkten Analyse von Daten und Informationen einer repräsentativen Gruppe ergeben, zu vergleichen. Die Vergleiche können sich auf ähnliche, konkurrierende oder auch branchenfremde Vergleichspartner beziehen. Eine Buchhandlung wäre z.B. ein branchenfremder, aber möglicher Vergleichspartner für die Bibliothek. Vergleichsmerkmale beim Benchmarking von Bibliotheken können z.B. Kosten, Qualität, Flexibilität, Atmosphäre oder angebotene Leistungen (Sortimentsstruktur, Öffnungszeiten, Aufenthaltsqualität etc.) sein. Diese festgesetzten Merkmale werden

25 Vgl. Runia, Wahl, Geyer, Thewißen 2009, S. 47 – 50.

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im Hinblick auf die eigene Leistungsfähigkeit mit anderen Institutionen verglichen und ausgewertet. Die Leistungslücken in Bezug auf Produkte oder Dienstleistungen von Bibliotheken sollen erkannt und anschließend auf Basis dieser Erkenntnisse systematisch geschlossen werden. So kann aus den gewonnenen Konkurrenzdaten von Bibliotheken gleicher oder ähnlicher Zielsetzung ermittelt werden, ob und wie die gegenwärtigen Vorgehensweisen zu verändern sind, welches Verbesserungspotenzial gegeben ist und welche strategischen Optionen sich daraus ableiten lassen. Leistungsmessung und Vergleiche zwischen Bibliotheken müssen im Kontext von Non-Profit-Organisationen gesehen werden. Dazu gibt es viele Leistungsindikatoren bzw. Kennzahlen, die von unterschiedlichen Organisationen herausgegeben werden (UNESCO, IFLA, ISO etc.). Viele dieser Leistungsindikatoren wurden schon zusammengestellt und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft und verglichen. Immer hängt die Auswahl der entsprechenden Leistungsindikatoren aber vom Zielkonzept der Bibliothek ab. Diese Kenngrößen müssen sich sowohl auf die Ressourcen als auch auf die Dienstleistungen einer Bibliothek sowie auf die infrastrukturellen Bedingungen des Hochschulstandortes oder der Kultur- und Bildungslandschaft vor Ort beziehen.²⁶ Im deutschen Bibliothekswesen gibt es noch keine Einigung über einen Ansatz vergleichbarer Indikatoren, sicherlich auch dadurch bedingt, dass die Unterschiede in der Definition und Erfassung von Kennzahlen sehr groß sind. Zwei wichtige deutsche Quellen solcher Kenngrößen, die Bibliotheken eine variable Auswertung anhand von individuellen Fragestellungen ermöglichen, sollen genannt werden: die Deutsche Bibliotheksstatistik (DBS)²⁷ und der Bibliotheksindex BIX²⁸. Die Deutsche Bibliotheksstatistik gibt der einzelnen Bibliothek die Möglichkeit, in einem Indikatorenraster ihre Stellung im Vergleich zu anderen Bibliotheken zu errechnen, und sie gibt Hinweise für die Bewertung der Kennzahlen. In Ergänzung zur DBS bietet der BIX Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken die Möglichkeit, ihre Dienstleistungen auf nationaler Ebene mithilfe von weiteren Kenngrößen zu messen und zu vergleichen. Natürlich gibt es auch internationale Vergleichsmöglichkeiten, wie die Internationale Best-Practice-Recherche, die von der Bertelsmann Stiftung und der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V. im Rahmen von „Bibliothek 2007“ herausgegeben wurde. Deren Ziel war es, von Ländern mit einer erfolgreichen Bibliotheksplanung und -entwicklung zu lernen und daraus Erfolgsfaktoren und Maßnahmen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung für das deutsche Bibliothekswesen abzuleiten.²⁹

26 27 28 29

Umlauf 2003, S. 10 – 37. Vgl. http://www.bibliotheksstatistik.de (Abruf: 05.05.2012). Vgl. http://www.bix-bibliotheksindex.de (Abruf: 05.05.2012). Bibliothek 2007 Internationale Best-Practice-Recherche, S. 1 – 92.

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4 Tools für die Markt- und Wettbewerbsanalyse in Bibliotheken Es wurden bereits verschiedene Analysemethoden genannt, die für die Markt- und Wettbewerbsanalyse in Bibliotheken herangezogen werden können. Im Folgenden sollen drei ausgewählte „Tools“ (Werkzeuge) vorgestellt werden, die im Bereich der strategischen Konzepte zur Unternehmensanalyse und somit auch in der Markt- und Wettbewerbsanalyse Anwendung finden: die SWOT-Analyse, die Ansoff-Matrix und das 4-C-Analyse-Konzept. Dabei soll auf die Vorgehensweise und die Anwendungsgebiete eingegangen und kurz der Nutzen beschrieben werden.

4.1 SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse verfolgt den Ansatz, durch Gegenüberstellung der organisationsinternen Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) sowie der organisationsexternen Chancen (Opportunities) und Gefahren (Threats) einen umfassenden Überblick darüber zu bekommen, wie sich eine Bibliothek am Markt positioniert und an welchen Themen die Bibliothek ggf. noch konstruktiv arbeiten muss. Die interne Analyse soll die Stärken und die Schwächen des Untersuchungsobjektes transparent machen. Jede Bibliothek hat Stärken, wie z.B. positives Image am Markt, ein besonderes Dienstleistungsangebot, lange Öffnungszeiten, aber auch Schwächen, wie z.B. geringe Neukundenbindung, geringer Einsatz von IT etc. Die externe Analyse untersucht die Chancen und Gefahren, mit denen eine Organisation in einem bestimmten Marktumfeld konfrontiert wird. Wenn sich die Chancen auf dem Markt mit den Stärken der Bibliothek realisieren lassen, hat die Bibliothek eine gute Ausgangsposition. Gefahren auf dem Markt können Aspekte wie Haushaltskürzungen oder zunehmender Einfluss des Internets sein. Die SWOT-Analyse ist vielseitig einsetzbar, ermöglicht eine übersichtliche Darstellung und eine Komplexitätsreduktion durch Fokussierung auf die wichtigsten Einflussfaktoren und identifiziert Handlungsbedarf.³⁰

30 Vgl. Runia, Wahl, Geyer, Thewißen 2009, S. 59 – 61.

Markt- und Wettbewerbsanalyse

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Intern

Perspektive

Strengths (Stärken)

Weaknesses (Schwächen)

Extern

Bewertung

Opportunities (Chancen)

Threats (Gefahren)

Abb. 3: SWOT-Analyse (angelehnt an Schawel und Billing)³¹

4.2 Ansoff-Matrix Ansoff spannt für sein Konzept eine Matrix mit den zwei Dimensionen Markt (vertikal) und Produkte (horizontal) jeweils in den Ausprägungen „gegenwärtig“ und „neu“ auf, die eine Organisation in ihrer Gesamtheit oder für einzelne Geschäftsbereiche verfolgen kann. Für jeden der vier Quadranten formuliert Ansoff eine Strategie, die eine Organisation verfolgen kann: a) Die Marktdurchdringungsstrategie (bestehende Produkte / Dienstleistungen in bestehenden Märkten) Die Bibliothek versucht, sich mit aktuellen Dienstleistungen und Produkten im aktuellen Markt weiter durchzusetzen, z.B. durch Gewinnung von Neukunden und / oder Erhöhung der Nutzung (erhöhte Ausleihe pro Nutzer). b) Die Produktentwicklungsstrategie (neue Produkte / Dienstleistungen in bestehenden Märkten) Die Bibliothek versucht, durch Veränderungen (Innovationen) der aktuellen Dienstleistungen und Produkte die Nachfrage durch die Nutzer zu steigern oder die Dienstleistungen an spezifischen Kundenbedürfnissen auszurichten, z.B. durch einen Bestseller-Service. c) Die Marktentwicklungsstrategie (bestehende Produkte / Dienstleistungen in neuen Märkten) Die Bibliothek versucht, bestehende Dienstleistungen und Produkte auch in neuen Märkten anzubieten, wie z.B. Gewinnung von neuen Kundengruppen durch geografische Ausweitung, sodass auch Einwohner von Nachbarstädten Kunden werden können oder Firmenkunden als Kundengruppe zugelassen werden.

31 Vgl. Schawel, Billing 2011, S. 183.

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d) Die Diversifizierungsstrategie (neue Produkte / Dienstleistungen in neuen Märkten) Die Bibliothek eröffnet z.B. eine Artothek oder eine Galerie. Die Ansoff-Matrix leistet Unterstützung bei der Ableitung von konkreten Maßnahmen innerhalb eines Quadranten. Mithilfe dieser Matrix kann im Bereich der Marktanalyse auf generischem Niveau die generelle Stoßrichtung einer Bibliothek festgelegt werden.³²

Marktentwicklungsstrategie (bestehende Produkte / DL in neuen Märkten)

Marktdurchdringungsstrategie (bestehende Produkte / DL in bestehenden Märkten)

Diversifizierungsstrategie (neue Produkte / DL in neuen Märkten)

Produktentwicklungsstrategie (neue Produkte / DL in neuen bestehenden Märkten )

Abb. 4: Ansoff-Matrix (angelehnt an Schawel und Billing)³³

4.3 4-C-Analyse-Konzept Das 4-C-Analyse-Konzept ist ein Tool, das eine grobe Analyse auch einer Bibliothek im markt- und wettbewerblichem Umfeld ermöglicht. Das Konzept mit seinen vier C-Elementen (Customers, Competitors, Capabilities, Costs) liefert der Bibliothek Basisinformationen zur Anwendung von Handlungsalternativen. Der Untersuchungsfokus kann sowohl bibliotheksintern als auch -extern sein. Die Analyseergebnisse schaffen Transparenz über die Leistungsfähigkeit der Bibliothek, ihre Kunden, Kostenstrukturen und Wettbewerber und können auch Daten für die SWOT-Analyse liefern. Jedes Element des 4-C-Analyse-Konzeptes umfasst verschiedene Kernfragen:

32 Vgl. Schawel, Billing 2011, S. 30 – 31. 33 Vgl. Schawel, Billing 2011, S. 31.

Markt- und Wettbewerbsanalyse

a) Customers – Welche Kunden werden bedient (Segmentierung)? – Wie sehen spezifische Kundenbedürfnisse aus? – Werden spezifische Kundengruppen bevorzugt oder vernachlässigt? – Existieren Substitutionsprodukte aus Kundensicht? b) Competitors – Welche Wettbewerber gibt es? – Welche Dienstleistungen / Produkte werden wie angeboten? – Welche Marktstrategien verfolgen die Wettbewerber? – Welche Stärken und Schwächen liegen vor? – Welche potenziellen neuen Wettbewerber existieren? c) Capabilities – Wie sieht das Produkt- und Dienstleistungsspektrum aus? – Wie ist der Qualifikationsstand der Mitarbeiter? – Welche Innovationen sind im Bereich der Dienstleistungen und Produkte geplant? – Welche Entwicklungspotenziale hat die Bibliothek? d) Costs – Welche Kosten sind mit der Leistungserstellung assoziiert? Welche Kostensenkungspotenziale sind realisierbar?³⁴

Customers (Kunden)

Competition (Wettbewerber)

Capabilities (Fähigkeiten)

Costs (Kosten)

Abb. 5: 4-C-Analyse-Konzept (eigene Darstellung)

34 Vgl. Schawel, Billing 2011, S. 214 – 215.

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5 Fazit In Bibliotheken findet die systematische Markt- und Wettbewerbsanalyse bisher selten Anwendung. Kenngrößen wie Marktanteile oder Marktvolumen können oder müssen nicht ermittelt werden. Die dazu erforderliche Vorgehensweise kann nicht eins zu eins aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive übertragen werden. So haben Bibliotheken keine Marktforschungsabteilung, um Markt- und Wettbewerbsanalysen durchzuführen. Sie können diese Aufgabe aber – wie kleine und mittlere Unternehmen oder andere Non-Profit-Oranisationen  – an spezialisierte Dienstleistungsunternehmen vergeben oder von Mitarbeitern eigener Abteilungen, wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit oder Marketing, durchführen lassen. Auch wenn Bibliotheken einem öffentlichen Auftrag verpflichtet sind und nicht gewinnorientiert handeln (müssen), so sind Teile der Markt- und Wettbewerbsanalyse, wie z.B. die Bewertung des Wettbewerbs und die Kundenanalyse, bereits fester Bestandteil im Non-Profit-Marketing von Bibliotheken. Eine umfassendere Marktund Wettbewerbsanalyse bietet darüber hinaus die Möglichkeit, sich eingehender mit dem Marketing in Bibliotheken auseinanderzusetzen und sich gleichzeitig systematisch und methodisch fundierte Vorgehensweisen anzueignen. Die in diesem Beitrag vermittelte Übertragung der Vorgehensweise der Markt- und Wettbewerbsanalyse auf Bibliotheken mit entsprechenden Fragestellungen zieht die spezifischen Bedingungen von Bibliotheken in Betracht, sodass eine reflektierte Anwendung möglich ist. Bibliotheken können so in Bezug auf ihre Kunden, Wettbewerber, Produkte und Dienstleistungen ein besseres Verständnis entwickeln, das zu einer professionelleren Vermarktung ihrer Informationsdienstleistungen und einer Qualitätsverbesserung auch aus Kundensicht führt. Mithilfe der Markt- und Wettbewerbsanalyse können sie einen wichtigen Beitrag zu ihrer eigenen Marketingstrategie leisten und sich somit ihren zukünftigen Herausforderungen besser stellen.

Literaturverzeichnis Bibliothek 2007 Internationale Best-Practice Recherche: Hrsg. von Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände und Bertelsmann Stiftung. Erarbeitet von Booz Allen & Hamilton und Prof. Birgit Dankert. Gütersloh, 2004. http: // www.bertelsmann-stiftung.de / cps / rde / xbcr / SID-272ADE9A-83580653 / bst / xcms_bst_ dms_11109__2.pdf (Abruf: 13.09.2011) Bibliothek 2007 Strategiekonzept: Hrsg. von Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände und Bertelsmann Stiftung, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2004. http: // www.bideutschland.de / download / file / bibliothek_2007 / strategiekonzept_ langfassung.pdf (Abruf: 29.08.2011) Esch, Franz-Rudolf; Herrmann, Andreas; Sattler, Henrik: Marketing: Eine managementorientierte Einführung. 2. Aufl. München: Vahlen Verlag, 2008

Markt- und Wettbewerbsanalyse

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Fritz, Melanie: Markt- und Wettbewerbsbeobachtung für Unternehmensnetzwerke: neue Potenziale durch das Internet. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag, 2005 Kahaner, Larry: Competitive Intelligence: How to gather, analyze and use information to move your business to the top. Touchstone ed. New York: Simon & Schuster Inc., 1997 Kotler, Philip: Marketing-Management: Analyse, Planung und Kontrolle. 4. Aufl. Stuttgart: Poeschel Verlag, 1989 Meffert, Heribert: Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung: Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele. 9. Aufl. Wiesbaden: Gabler Verlag, 2000 Meyer, Anton; Dornach, Frank: Das Deutsche Kundenbarometer 1997: Qualität und Zufriedenheit. München: FGM-Verlag, 1997 Naumann, Ulrich: Serviceportfolios von Bibliotheken im Umbruch: Herausforderungen an Management und Organisation. Ein Überblick zur Thematik aus betriebswirtschaftlicher Sicht. März 2010. http: // www.opus-bayern.de / bib-info / volltexte / 2010 / 829 / pdf (Abruf: 29.08.2011) Plassmann, Engelbert; Rösch, Hermann; Seefeldt, Jürgen; Umlauf, Konrad: Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2011 Porter, Michael E.: Wettbewerbsstrategie: Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten. 11. Aufl. Frankfurt a.M.: Campus Verlag, 2008 Runia, Peter; Wahl, Frank; Geyer, Olaf; Thewißen, Christian: Marketing: Eine prozess- und praxisorientierte Einführung. 2. Aufl. München u.a.: Oldenbourg Verlag, 2009 Schawel, Christian; Billing, Fabian: Top 100 Management Tools: Das wichtigste Buch eines Managers. 3. Aufl. Wiesbaden: Gabler Verlag, 2011 Umlauf, Konrad: Leistungsmessung und Leistungsindikatoren für Bibliotheken im Kontext der Ziele von Non-Profit-Organisationen. Berlin: Inst. für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Univ. zu Berlin, 2003. (Berliner Handreichungen zur Bibliothekswissenschaft; 116)

Frank Linde

Wettbewerbsstrategien auf Informationsmärkten 1 Einleitung Auf Märkten treffen sich Anbieter und Nachfrager zum Tausch von Gütern gegen Geld. Auf Informationsmärkten werden spezielle Güter gehandelt, nämlich Informationsgüter. Das können so verschiedene Dinge wie Filme, Musik, Software, Spiele oder auch (elektronische) Bücher sein. Informationsgüter unterscheiden sich u.a. sehr stark von herkömmlichen Gütern, weil sie in zunehmendem Maße digital vorliegen. Um auf Informationsmärkten – im „I-Commerce“ – erfolgreich zu agieren, ist es auch für Anbieter von Informationen von großer Wichtigkeit, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Für die Darstellung der strategischen Positionierung und der Handlungsoptionen von Informationsanbietern ist es allerdings erforderlich, den besonderen Charakteristika von Informationsgütern Rechnung zu tragen. Dazu sind drei Aspekte von zentraler Bedeutung: die ökonomischen Besonderheiten (Mechanismen), die in Verbindung mit Informationsgütern auftreten, das Wertnetz (Stakeholderkonfiguration) sowie die spezifischen strategischen Variablen, die Informationsanbieter zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen einsetzen können. Im Weiteren wird ein wettbewerbsstrategisches Modell für Anbieter auf Informationsmärkten vorgestellt, das diese drei Aspekte zueinander in Beziehung setzt. Die ökonomischen Besonderheiten sind bereits ausführlich in diesem Handbuch dargelegt worden.¹

2 Porters Modell der Branchenstrukturanalyse Was kennzeichnet eine Branche und was muss man in Augenschein nehmen, wenn man eine Branche untersuchen will? Wegweisend waren hier die Überlegungen von Porter², der das Modell der fünf in einer Branche wirkenden Kräfte (Five Forces) entwickelte. Bevor dieses näher erläutert wird, ist zu klären, was überhaupt eine Branche ist. Porter³ definiert als Branche „eine Gruppe von Unternehmen […] die Produkte herstellen, die sich gegenseitig nahezu ersetzen können“. Damit wird von ihm die Substitutionskonkurrenz als Branchenabgrenzung zugrunde gelegt. Schaut man sich

1 Siehe den Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. 2 Vgl. Porter 1999 [1980]. 3 Porter 1999, S. 35.

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Linde

nun aber verschiedene Branchen an, wie z.B. die Pharmabranche, die Reisebranche oder eben die Informationsbranche, lässt sich unschwer erkennen, dass man innerhalb einer Branche eine Vielzahl unterschiedlicher Produktangebote  – und damit auch Teilbranchen oder Märkte  – findet⁴. In der Informationsbranche können dies z.B. Online-Spiele oder Wirtschaftsnachrichten sein, die ganz verschiedene Märkte darstellen und in gar keinem Substitutionsverhältnis stehen. Die Substitutionsbeziehung wird nun üblicherweise auch im Konzept des relevanten Marktes als Abgrenzungskriterium verwendet.⁵ Insofern erscheint es angebracht, das von Porter entwickelte Modell der fünf Kräfte sowie auch das im Weiteren vorzustellende Modell des Wertnetzes von Nalebuff und Brandenburger (1996) für unsere Analysezwecke nicht nur auf eine Branche als Ganzes zu beziehen, sondern auch auf die in einer Branche existierenden (Teil-)Märkte. Basis des Porter’schen Modells ist der industrieökonomische Ansatz.⁶ Dieser geht davon aus, dass die Attraktivität eines Marktes aus Unternehmenssicht vor allem von der Marktstruktur abhängig ist. Um die Branche systematisch zu erfassen, empfiehlt Porter die fünf verschiedenen Kräfte zu berücksichtigen, die in Summe die Attraktivität der Branche ausmachen. Im Einzelnen sind dies die Rivalität zwischen den bestehenden Wettbewerbern innerhalb der Branche, die Marktmacht der Lieferanten und der Abnehmer sowie die Bedrohung durch Ersatzprodukte und potenzielle Konkurrenten.⁷ Auch wenn Porters Ansatz nur zum Teil empirisch belegt werden konnte⁸, hatte er prägenden Einfluss auf die wissenschaftliche Diskussion zur Unternehmensstrategie. Ein deutliches Defizit dieses Ansatzes ist aber die Unterstellung, dass sich Unternehmen einer Branche grundsätzlich im Wettbewerb mit den anderen Marktteilnehmern befinden und nur auf diese Weise Vorteile erlangen können. Porter legt ein klassisches Verständnis der Wertschöpfungskette zugrunde, bei der ein Unternehmen von Zulieferern Bestandteile kauft, veredelt und an seine Kunden weiterverkauft. Die anderen Spieler im Markt, die die gleiche oder eine ähnliche Wertschöpfung erbringen, werden als Profitabilitätsbedrohung wahrgenommen. Das tatsächliche Marktgeschehen zeigt nun aber, dass Unternehmen auch über ausgewählte Kooperationen mit Kunden, Lieferanten oder Wettbewerbern versuchen können, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.⁹ Hier setzt das Modell der Coopetition von Nalebuff und Brandenburger an.

4 5 6 7 8 9

Vgl. Grant, Nippa 2006, S. 125 f. Vgl. Backhaus 2007, S. 127 f.; Hungenberg 2006, S. 98 f. Vgl. Tirole 1999. Vgl. Porter 1980, S. 4. Vgl. Welge, Al-Laham 2003, S. 204 f. Hungenberg 2006, S. 109 f.

Wettbewerbsstrategien

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3 Das Wertnetz von Nalebuff und Brandenburger Nalebuff und Brandenburger (1996) wollen deutlich machen, dass es neben den kompetitiven auch kooperative Beziehungen im Markt gibt, die für den Geschäftserfolg ebenso von großer Bedeutung sind. Diese Kombination aus Competition und Cooperation – eben Coopetition – mündet, anders als bei Porter, in ein etwas abgewandeltes Modell der Marktanalyse. Nalebuff und Brandenburger sprechen nicht nur von Kräften, die die Profitabilität bedrohen, sondern von einem Wertnetz (Value Net), in dem verschiedene Akteure auch gemeinsam Werte schaffen können. Erinnert man sich an die Ausführungen zu den indirekten Netzwerkeffekten,¹⁰ so können diese – anders als im Porter’schen Modell – im Wertnetz berücksichtigt werden. Ein Beispiel hierfür sind komplementäre Güter wie Hard- und Software. Leistungsfähigere Hardware animiert die Kunden, rechnerintensivere Programme zu verwenden. Aufwändigere Programme erfordern im Gegenzug aber schnellere Hardware. Windows 7 läuft einfach besser mit einem Core- als mit einem Intel-CentrinoProzessor-betriebenen Rechner. Die Konstellationen können aber auch nicht nur zwei-, sondern sogar vielseitig sein. Nimmt man das Beispiel ProShare von Intel.¹¹ Dem Management von Intel ging die Entwicklung von Produkten, die die Prozessorkapazitäten auslasten, nicht schnell genug voran. Um die Kunden dazu zu bringen, ihre Ausrüstung immer wieder auf einen höheren Stand zu aktualisieren, trieb Intel das Angebot einer der CPU-intensivsten Anwendungen voran, nämlich Videoübertragungen, und investierte Mitte der 1990er Jahre in ein System für Videokonferenzen mit dem Namen ProShare.¹² Intel sah sich in der Anfangsphase mit einem zentralen Problem konfrontiert: Welchen Nutzen stiftet eine Videokonferenzanlage, wenn es keine ausreichende Anzahl an Gesprächspartnern für eine Konferenz gibt? Intels Interesse musste es also sein, Marktpräsenz aufzubauen und die Stückkosten zu senken. Dazu versuchte Intel, andere Unternehmen zu finden, die ein gleichgerichtetes Interesse besaßen. Dies waren zum einen die Telefongesellschaften, die höhere Leitungskapazitäten verkaufen wollten. ProShare war ein gutes Mittel, um ISDN- bzw. heute DSL-Leitungen anzubieten. Schnellere Anschlüsse verkaufen sich entschieden besser, wenn die Kunden bestimmte Anwendungen nutzen wollen. So subventionierten einige Telefongesellschaften ProShare, um ihre Anschlüsse verkaufen zu können.¹³ Als weiteren Kooperationspartner identifizierte Intel den Computerhersteller Compaq, der in alle Computer ProShare vorinstallierte, die für Geschäftszwecke bestimmt waren. Für Compaq ergab sich aus dem Angebot von Videokonferenzen ein Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb. Gleichzeitig wurde die Markt-

10 11 12 13

Siehe Abschnitt 4.3.2 im Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. Vgl. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 27 ff. Vgl. Intel 2002. Vgl. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 28.

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präsenz von ProShare gesteigert und außerdem sanken die Anschaffungskosten der Software für die Endkunden nochmals deutlich. Alle der vorgestellten Spieler hatten ihre komplementären Beziehungen erkannt. Intel wollte den Bedarf an Verarbeitungskapazität der CPUs steigern, die Telefongesellschaften wollten höhere Datenübertragungskapazitäten verkaufen und Compaq suchte nach einem Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz. Alle drei Interessen ließen sich im Angebot von ProShare bündeln. Unter dem gleichen Gesichtspunkt erfolgte später die Akquisition des Spieleentwicklers Havok durch Intel.¹⁴ Havok ist ein Software-Entwickler, der weltweit berühmt ist für die Programmierung von sogenannten Physics-Engines. Sie liefern physikalisch korrekte, naturgetreue Abbilder der Realität und gelten als das Nonplusultra in der Spielebranche. Ihr großer Vorteil aus Sicht von Intel: Sie „fressen“ ungeheure Mengen an Rechnerkapazität.

3.1 Die Elemente des Wertnetzes Wie lassen sich solche Komplementärbeziehungen nun im Wertnetz abbilden? Genau wie Porter orientieren sich Nalebuff und Brandenburger zunächst am Güterfluss von den Lieferanten über das betrachtete Unternehmen hin zu den Kunden.¹⁵ Ressourcen − wie z.B. Rohstoffe oder Arbeitskraft − fließen von Seiten der Lieferanten in das Unternehmen und Produkte und Dienstleistungen von dort weiter zu den Kunden. In entgegengesetzter Richtung verläuft der Geldstrom. Die Lieferanten werden vom Unternehmen für die erbrachten Leistungen bezahlt. Bei den Kunden muss man eine Fallunterscheidung treffen. Klassischerweise zahlen sie dafür, dass sie die Angebote eines Unternehmens nutzen dürfen. Gerade im Informationsmarkt finden sich aber häufig Konstellationen, bei denen nicht die Kunden, sondern Dritte zahlen und damit das Produktangebot finanzieren oder zumindest subventionieren. Dies ist z.B. der Fall beim werbefinanzierten Free-TV: Die Sender finanzieren ihr Angebot über die Einnahmen aus Werbung, und der Kunde zahlt nicht mit Geld, sondern mit Aufmerksamkeit. In einer zweiten Achse werden nicht nur wie bei Porter verschiedene Konkurrenten betrachtet, sondern auch Komplementoren. Das sind Unternehmen, die durch ihr Angebot einen Wertbeitrag zu dem Angebot des im Fokus stehenden Unternehmens leisten. Komplementoren erbringen – im Gegensatz zu Lieferanten – ihre Leistungen meist auf eigene Rechnung.

14 Vgl. Iwersen 2007. 15 Vgl. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 28 ff.

Wettbewerbsstrategien

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Bei der Frage, wer die Konkurrenten eines Unternehmens sind, versuchen Nalebuff und Brandenburger außerdem die starre Branchenabgrenzung Porters zu überwinden. Bei ihnen kommen alle auf einem Markt aktiven Spieler als mögliche Konkurrenten infrage. Sie sagen: Je mehr […] danach gestrebt wird, Probleme der Kunden zu lösen, desto mehr verliert die Branchenperspektive an Bedeutung. Die Kunden interessiert das Endresultat, nicht, zu welcher Branche die Firma gehört, die ihnen das gibt, was sie wollen.¹⁶

Ein Beispiel: Betrachtet man zwei Fluggesellschaften wie Lufthansa und British Airways, so wird unter dem erweiterten Blickwinkel deutlich, dass sie nicht nur branchenintern miteinander konkurrieren, sondern z.B. auch mit Branchenfremden wie dem Videokonferenzanbieter Intel, weil dieser nämlich ein Substitut für Flugreisen anbietet. Öffentliche Bibliotheken würden in dieser Diktion mit anderen Freizeitangeboten konkurrieren, z.B. mit Sportvereinen, wenn es nämlich um das Lesen als Freizeitgestaltung geht. Um diesen beiden Aspekten Rechnung zu tragen, arbeiten Nalebuff und Brandenburger explizit spieltheoretisch. Die Spieltheorie¹⁷ geht von einer strukturellen Ähnlichkeit von Gesellschaftsspielen und Märkten aus. Die Spieler versuchen, ihren eigenen Nutzen zu maximieren, sind dabei aber von den anderen Spielern abhängig. Das wissen die Spieler und berücksichtigen diese Interdependenzen bei ihren Entscheidungen. Die Spieltheorie wird im strategischen Management dazu eingesetzt, um die Wirkungen der eigenen Handlungen und / oder der Wettbewerber zu analysieren. Vor diesem Hintergrund werden sowohl Konkurrenten als auch Komplementoren aus zweierlei Perspektive betrachtet, aus Kundensicht und aus Lieferantensicht. Für den „Spieler“ Konkurrent gilt nun einmal aus Sicht der Kunden und einmal aus Sicht der Lieferanten:¹⁸ – Ein Spieler ist ihr Konkurrent, sofern Kunden ihr Produkt geringer bewerten, wenn sie das Produkt des anderen Spielers haben, als wenn sie nur ihr Produkt alleine haben. – Ein Spieler ist ihr Konkurrent, wenn es für einen Lieferanten weniger attraktiv ist, sie zu beliefern, wenn er auch den anderen Spieler beliefert, als wenn er sie allein beliefert. Analog verhält es sich bei den Komplementoren. Nalebuff und Brandenburger definieren wiederum aus zweierlei Perspektive:¹⁹

16 17 18 19

Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 30. Vgl. Neumann 2007 [1944]. Vgl. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 30 f. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 30 f.

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Ein Spieler ist ihr Komplementor, sofern Kunden ihr Produkt höher bewerten, wenn sie das Produkt des anderen Spielers haben, als wenn sie nur ihr Produkt allein haben. Ein Spieler ist ihr Komplementor, wenn es für einen Lieferanten attraktiver ist, sie zu beliefern, wenn er auch den anderen Spieler beliefert, als wenn er sie allein beliefert.

Der Wettbewerb um Kunden und um Lieferanten findet oft über Branchengrenzen hinweg statt. Unternehmen konkurrieren um Finanzmittel, Rohstoffe oder auch Arbeitskräfte, inzwischen häufig auch auf einem globalen Markt. Die Beziehungen zwischen den Unternehmen im Markt können dabei ganz unterschiedlich aussehen. Sie können kompetitiver Art sein, wie das bei Coca-Cola und Pepsi Cola der Fall ist, oder komplementär mit sehr stark gleichgerichteten Interessen wie etwa bei Microsoft und Intel, wo beide wechselseitig von den Produktinnovationen des anderen profitieren. Häufig nehmen Unternehmen aber auch mehrere Rollen gleichzeitig ein, sind also gleichzeitig Konkurrenten und Komplementoren.²⁰ So konkurrieren Airlines beispielsweise um die begrenzten Landerechte und um Flughafenraum. Gleichzeitig sind sie gemeinsam daran interessiert, dass die Schlüssellieferanten für Fluggeräte ihnen günstige Angebote für Flugzeuge der nächsten Generation machen. Für Boeing oder Airbus wäre es viel billiger, ein Flugzeug für beide Fluggesellschaften gemeinsam zu entwerfen, als verschiedene Versionen zu entwickeln. Die Auftraggeber könnten sich kooperativ an den Entwicklungskosten beteiligen. Dadurch ließen sich die Stückkosten deutlich schneller senken, was ihnen wiederum zugutekäme.

3.2 Wertnetze für Informationsgüter Das Wertnetz ist ein gutes Grundgerüst, um die Spieler in einem Markt und deren kompetitive wie kooperative Beziehungen zu erfassen. Im Fokus der Untersuchungen stehen nun aber Informationsgüter. Wie in dem Beitrag „Märkte für Information“ in diesem Handbuch dargestellt wurde,²¹ weisen Informationsgüter vier Besonderheiten auf. Konkret sind dies der Charakter des öffentlichen Gutes, die Fixkostendominanz, Informationsasymmetrien sowie (direkte und indirekte) Netzwerkeffekte. Diese Besonderheiten lassen sich als Mechanismen betrachten, die auf Informationsmärkten wirksam sind. Wie aus den dort gemachten Ausführungen deutlich wurde, bergen sie ein Potenzial für Marktversagen in sich. In einem Wertnetz für Informationsmärkte sind diese Mechanismen explizit zu berücksichtigen.

20 Vgl. Nalebuff, Brandenburger 1996, S. 32. 21 Siehe Abschnitt 4 im Beitrag „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch.

Wettbewerbsstrategien

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Insbesondere die Netzwerkeffekte spielen für Informationsgüter eine herausragende Rolle. Dabei kommt es nicht nur darauf an, ob das Informationsgut bereits heute über eine große installierte (Nutzer-)Basis verfügt, sondern ob die Kunden erwarten, dass es künftig weit verbreitet sein wird. Die Erwartungshaltung aller Marktteilnehmer ist der zentrale Faktor.²² Um diese zu beeinflussen, können Unternehmen Signale senden. Das können z.B. Produktvorankündigungen sein, die dem Kunden signalisieren sollen, dass es sich lohnt, mit dem Kauf zu warten, weil demnächst ein für ihn besseres Angebot verfügbar sein wird. Für das Wertnetz bedeutet das, dass nicht nur Kunden, sondern auch deren Erwartungen explizit berücksichtigt werden sollten. Damit Informationsmärkte funktionieren können, haben sich im Laufe der Zeit spezielle institutionelle Regelungen herausgebildet wie z.B. das Urheberrecht. Außerdem basiert der Handel mit digitalen Informationsgütern auf einer Vielzahl technologischer Entwicklungen, die deren Austausch erst ermöglicht.²³ Informationen benötigen zur Speicherung immer einen Träger (CD, DVD, Festplatte), müssen auf eine bestimmte Art formatiert sein, wenn sie übertragen werden sollen (MP3, MP4, HTML), und benötigen Übertragungswege, heutzutage üblicherweise das Internet mit dem zugehörigen Protokoll TCP / IP. Sollen Informationen geschützt werden, sind andere Technologien erforderlich, wie CSS (Content Scrambling System) oder digitale Wasserzeichen. Sowohl institutionelle Regelungen als auch Technologien beeinflussen die Handlungsmöglichkeiten der Spieler im Wertnetz. Sie können aber von diesen selbst nicht direkt beeinflusst werden. Gesetze und Verordnungen entwickeln sich in meistens sehr langwierigen politischen Prozessen. Bei Technologien gilt Ähnliches, wenn sie als (öffentliche oder De-facto-) Standards existieren. Zwar können jederzeit neue Technologien erfunden werden, aber zum einen verändert eine einzelne Erfindung nur selten das gesamte technologische Umfeld und zum anderen ist es ein offener Prozess, ob sie sich am Markt wirklich durchsetzen wird. In jedem Wertnetz, ganz besonders aber für Informationsmärkte sind daher Institutionen und Technologien als Umfeldfaktoren zu berücksichtigen.

4 Strategische Variablen zur Gestaltung von Wertnetzen Wie lassen sich Wertnetze nun unter besonderer Berücksichtigung der Besonderheiten von Informationsgütern so gestalten, dass sich daraus Wettbewerbsvorteile ergeben können? Strategische Betrachtungen münden in jedem Strategielehrbuch letztlich in die Frage: „Auf welcher Grundlage erarbeiten sich Unternehmen ihre Wett-

22 Vgl. Katz, Shapiro 1985, S. 425. 23 Vgl. Fritz 2004, S. 86 ff.

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bewerbsvorteile?“ Auch hier hat der Altmeister der Strategie, Michael Porter, ganz entscheidenden Einfluss ausgeübt. Er prägte das strategische Management durch die Aussage, dass Unternehmen grundsätzlich zwei strategische Alternativen zur Verfügung stünden, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen: die Differenzierungsstrategie und die Kosten- / Preisführerschaftsstrategie. Die grundsätzlichen Überlegungen zur Positionierung von Porter gelten allerdings für klassische Märkte. Da sich Informationsgüter von herkömmlichen Gütern deutlich unterscheiden, erfordern sie auch andere Wettbewerbsstrategien.²⁴ Die Porterschen Strategiealternativen werden damit zwar nicht obsolet, müssen aber auf Informationsmärkten in neuen Varianten eingesetzt werden.²⁵ In ihrem grundlegenden Werk „Information Rules – A Strategic Guide to the Network Economy“ bieten Carl Shapiro und Hal R. Varian²⁶ vielfältige Ansatzpunkte, die für die Strategieentwicklung von Informationsanbietern von großer Bedeutung sind. Ihr Werk hat die Strategiediskussion, vor allem aus Sicht der Softwarebranche, stark beeinflusst. Ihm fehlt es allerdings etwas an Struktur, so gibt es z.B. kein Modell, das ihre Überlegungen systematisiert und veranschaulicht. Es wird daher auch nicht deutlich, welche strategischen Variablen warum ausgewählt wurden und welchen Stellenwert sie haben. Hier führen die Arbeiten von Suarez (2004) und Van Kaa et al. (2007) weiter. Beide befassen sich intensiv mit der für Informationsgüter zentralen Frage der Standardisierung, also einer erfolgreichen Durchsetzung eines Produkts im Markt. Nach Suarez (2004) ist Standardisierung in der Branche für Informations- und Kommunikationstechnologien als Prozess zu sehen, der fünf verschiedene Phasen umfasst. Zu Beginn erfolgen die F&E-Arbeiten (Phase eins) und die Demonstration der technischen Machbarkeit (Phase zwei), dann erfolgt in Phase drei die Entwicklung des Marktes durch einen oder auch mehrere Wettbewerber, die darum ringen, eine möglichste große Kundenbasis aufzubauen. In der anschließenden vierten Entscheidungsphase beginnen Netzwerkeffekte zu wirken und das Entscheidungsverhalten der Kunden zu beeinflussen. In der letzten Phase hat sich ein Standard etabliert und wird durch die bestehenden Netzwerkeffekte sowie die Wechselkosten, das sind bei einer Software z.B. Gewöhnungseffekte, stabilisiert. Das macht den Wechsel zu einem anderen Anbieter unattraktiv.²⁷ Van Kaa et al. (2007) haben 103 Veröffentlichungen zur Standardisierung daraufhin untersucht, welche Faktoren dort genannt und für wie wichtig sie erachtet werden, um einen Standardisierungskampf zu gewinnen. Ihr Ergebnis sind insgesamt

24 Vgl. Klodt 2003, S. 108. 25 Vgl. Shapiro, Varian 1999, S. 25. 26 Vgl. Shapiro, Varian 1999. 27 Vgl. hierzu auch die Prospect Theory oder auch neue Erwartungstheorie, nach der Wirtschaftssubjekte die Verlustvermeidung der Erzielung von Gewinnen vorziehen: Kahneman, Tversky 1979; Tversky, Kahneman 2000.

Wettbewerbsstrategien

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31 Faktoren, die sich fünf Kategorien zuordnen lassen: überlegenes Produktdesign, Einflussfaktoren des Marktes (Mechanismen), Stakeholder, Stellung des Unternehmens im Markt und die Unternehmensstrategie. Beide Stränge lassen sich nun gut miteinander kombinieren. Für den Markterfolg ist nach Suarez²⁸ das strategische Verhalten eines Unternehmens entscheidend. Es ist der Schlüssel für die Beeinflussung der Stakeholder (z.B. der Kunden) und der auf Informationsmärkten geltenden Mechanismen (z.B. den Netzwerkeffekten). Gleicht man nun weiterhin die von Shapiro und Varian (1999) genannten mit den von Van Kaa et al. (2007) ermittelten strategischen Variablen ab, so lassen sich neben der Produktqualität, die ganz generell eine wichtige Rolle spielt, insgesamt sieben strategische Variablen herausarbeiten, die bei Informationsgütern von herausragender Bedeutung sind. Im Einzelnen sind dies: – Timing des Markteintritts, – Preisgestaltung, – Kompatibilitätsmanagement (Standardisierung), – Komplementenmanagement, – Kopierschutzmanagement, – Signalisierung, – Lock-in-Management. Diese sieben Punkte sind strategische Variablen, weil sie „manageable“ sind, also dem unternehmerischen Einfluss unterliegen. Solche Entscheidungsvariablen oder Aktionsparameter können von Unternehmen so eingesetzt werden, dass sich bestimmte Zielsetzungen erreichen lassen, die sich z.B. auf den Marktanteil, den Bekanntheitsgrad oder den Gewinn beziehen.

5 Strategiemodell für Informationsmärkte Ergänzt um das technologische (z.B. die Versorgung mit Breitbandanschlüssen) und das institutionelle Umfeld (z.B. die Ausgestaltung des Urheberrechts) lassen sich die drei vorgestellten Aspekte in einem Modell zusammenführen.²⁹ Mit dessen Hilfe können nun Informationsmärkte analysiert und Gestaltungsempfehlungen abgeleitet werden.

28 Suarez 2004, S. 283. 29 Vgl. Linde, Stock 2011, S. 351.

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Technologisches Umfeld

Strategische Variablen Stakeholder

Mechanismen

Timing des Markteintritts Lieferanten

Preisgestaltung

First-Copy-Cost-Effekt

Kompatibilitätsmanagement Komplementenmanagement

Informationsasymmetrie Wettbewerber

Unternehmen

Komplementoren

Kopierschutzmanagement Signalisierung Lock-in Management

Kunden (-erwartungen)

Netzwerkeffekte (direkte, indirekte) Öffentliches Gut

Institutionelles Umfeld Abb. 1: Strategiemodell für Informationsmärkte³⁰

5.1 Wechselwirkungen der Einflussfaktoren Anhand einiger Beispiele sollen die (Wechsel-)Wirkungen im Modell erläutert werden. Die Hauptwirkungsrichtung (im Modell durchgezogene Pfeile) geht aus von den strategischen Variablen über die Stakeholder hin zu den Mechanismen. Mithilfe der strategischen Variable Timing des Markteintritts ist es beispielsweise möglich, die verschiedenen Stakeholdergruppierungen zu beeinflussen. So wirkt sich z.B. der Zeitpunkt des Markteintritts aus auf die Kaufbereitschaft der Kunden, die Bereitschaft der Lieferanten zur Zusammenarbeit, das Interesse der Komplementoren an der Erstellung komplementärer Produkte sowie die Anstrengungen des Wettbewerbs um Konkurrenzangebote. Die Aktionen der Stakeholder beeinflussen wiederum den Grad, mit dem die ökonomischen Mechanismen bei Informationsgütern wirksam werden. Entscheiden sich viele Kunden dazu, ein neues Produkt zu kaufen, zieht das Mitläufer an, die das Produkt ebenfalls haben wollen. Solche direkten Netzwerkeffekte lassen sich beim jüngst erschienenen iPad gut beobachten. Gleichzeitig hat eine erwartbare

30 Quelle: Linde, Stock 2011, S. 351.

Wettbewerbsstrategien

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große Kundenzahl Auswirkungen auf das Angebot an Komplementen. Es entstehen indirekte Netzwerkeffekte, sichtbar z.B. durch Apps, die Office-Dokumente für Smartphones oder Tablet-PCs kompatibel machen. Diese Hauptwirkungsrichtung wird ergänzt durch schwächere Beziehungen, die von den strategischen Variablen direkt auf die Mechanismen wirken, oder durch die Rückkopplungen, die auftreten (gestrichelte Pfeile). Die Mechanismen lassen sich durch einige strategische Variablen, wie z.B. das Kopierschutzmanagement, auch direkt adressieren. Eine Software, die beispielsweise frühzeitig in einer Beta-Version ohne Kopierschutz auf den Markt gebracht wird  – übrigens eine nicht unübliche Praxis bei Release-Wechseln von Microsoft –, kann sich schnell, aber eben auch unkontrolliert verbreiten und ist damit quasi als öffentliches Gut anzusehen. Damit beginnen auch hier wieder Netzwerkeffekte zu wirken. Direkte Netzwerkeffekte entstehen durch den Austausch von Dateien in neuen Formaten oder die beginnende Kommunikation über die Software und indirekte durch komplementäre Produktentwicklungen, wie z.B. sehr schön sichtbar bei der Vielzahl an Apps, die zurzeit für Apple- oder auch Android-Geräte mit großer Schnelligkeit entwickelt werden, und zwar in der Masse nicht durch den Hersteller des Betriebssystems oder des Endgeräts, sondern durch die Netzwerkteilnehmer selbst.³¹ Ein anderes Beispiel für die direkte Beeinflussung der Mechanismen gibt es beim Signaling, z.B. wenn Vorankündigungen einer Produkteinführung gemacht werden. Hiermit lassen sich Informationsasymmetrien abbauen, wenn Kunden erste Informationen über ein neues Produkt und dessen Einführungstermin erhalten. Gleichzeitig können damit aber auch Informationsasymmetrien aufgebaut werden, wenn z.B. die Wettbewerber mit ihren eigenen Neuproduktplanungen unter Zugzwang geraten, weil sie nicht genau einschätzen können, welche Leistungsmerkmale das neue Produkt haben wird.³² Rückkopplungen entstehen zum Beispiel von den Mechanismen auf die Stakeholder. Ein breites Angebot an Komplementen (z.B. Filme im HD-Format) fördert den weiteren Absatz von HD-Fernsehgeräten. Eine große Nachfrage wiederum eröffnet für den Anbieter Preissetzungsspielräume. Dies als ein Beispiel für die Rückwirkung einer Stakholdergruppierung auf die strategischen Variablen, hier die Preisgestaltung. Es gibt aber auch direkte Rückwirkungen der Mechanismen auf die strategischen Variablen. So spielen Netzwerkeffekte eine ganz entscheidende Rolle für einen erfolgreichen Markteintritt. Je stärker sie ausfallen, desto schwerer wird das Überleben als Pionier, weil sich weder Kunden noch Komplementäre frühzeitig binden wollen. Es gibt hier Beispiele für erfolgreiche Innovatoren, die sich im Markt behaupten konnten,

31 Siehe den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch. 32 Ebd.

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wie z.B. Symantec mit seiner Antivirus-Software, als auch für gescheiterte Fälle, wie Palm mit seinem PDA.³³

5.2 Anwendungsbeispiel: flickr vs. iStockphoto flickr (flickr.com) und iStock International Inc. (iStockphoto.com) sind zwei konkurrierende Anbieter im Markt für digitale Bilder. Beide haben eine sehr starke Marktposition, flickr im Consumer-to-Consumer-Markt (C2C) und iStockphoto im Business-to-Consumer-Markt (B2C). Flickr ist eine kommerzielle Fotoplattform mit Social-Network-Charakter. Unternehmensgegenstand sind der Online-Austausch von Fotos und Videos mit Freunden, Familie und Gleichgesinnten sowie die Möglichkeit zum Erwerb von Bildern. Flickr wurde 2004 von der kanadischen Firma Ludicorp gegründet und wurde 2005 von Yahoo übernommen. Mit Stand 08 / 2011 hat flickr über 40 Millionen registrierte User weltweit. IStockphoto ist eine kostenpflichtige Internet-Bilddatenbank, eine sogenannte Microstock-Agentur, die von ihren Mitgliedern mit Fotos, Grafiken, Videos, Audiodateien und Flash-Animationen beliefert wird und diese zu günstigen Konditionen anbietet. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, auf seiner Online-Plattform als Mittler zwischen Käufer und Verkäufer zu agieren. IStockphoto wurde 2001 gegründet und 2006 durch gettyimages® übernommen. Mithilfe des oben vorgestellten Strategiemodells lassen sich bestehende Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweils verfolgten Wettbewerbsstrategie gut verdeutlichen.³⁴ Im Vordergrund des Vergleichs stehen die Bildangebote von flickr und iStockphoto. Neben den ökonomischen Besonderheiten des Gutes „Bild“ werden die Wertnetze der beiden Anbieter verglichen und das Pricing als ein Beispiel für den Einsatz der strategischen Variablen vorgestellt.

5.2.1 Ökonomische Besonderheiten Bei digitalen Bildern sind die ökonomischen Besonderheiten sehr deutlich ausgeprägt. Die Fixkosten sind gegenüber den variablen Kosten dominant. Der „Löwenanteil“ der Kosten entsteht für das Angebot der First Copy. Die Bereitstellung der Bilder bzw. Videos erfordert hohe Investitionen in die Infrastruktur in Form von Hard- und Software, Mitarbeitern, Räumlichkeiten etc. Das Produzieren, Hochladen und Verschlagworten der Bilder erfolgt nutzerseitig, sodass für den Anbieter außerdem (fixe) Qualitätssicherungskosten entstehen. Variable Kosten treten immer dann auf, wenn

33 Vgl. Srinivasan et al. 2004. 34 Siehe ausführlich hierzu: Heer 2009.

Wettbewerbsstrategien

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Bilder verkauft werden. Die Fotografen als Inhaber der Rechte an den Bildern erhalten nämlich eine Beteiligung an den Lizenzierungserlösen in Höhe von mindestens 15 % bis hinauf zu 45 %. Bei beiden Anbietern ist ein ausgeprägter Degressionseffekt der Fixkosten erkennbar. Die für Informationsgüter typischen Informationsasymmetrien werden bei beiden Anbietern dadurch überwunden, dass alle Bilder vor dem Kauf angesehen werden können. Die Qualität des Bildes selbst kann jeder potenzielle Käufer abschließend einschätzen, d.h., dass es sich um eine Sucheigenschaft handelt. Was die Aufnahmequalität angeht, also die Auflösung (Pixel) und damit die Möglichkeit der Bildvergrößerung, so lässt sich diese mit einiger Erfahrung auch direkt erkennen. Dort, wo das nicht der Fall ist, läge eine Erfahrungseigenschaft vor. Das bedeutet, der Kunde kann nach dem Kauf die Qualität des Produkts durch die Erfahrung, die er damit macht, abschließend einschätzen. Ob das Informationsparadoxon auftritt, also der Verlust der Zahlungsbereitschaft, wenn man Zugang zu einem Informationsgut bekommen hat, hängt von der Verwendungsabsicht ab. Möchte der Nutzer ein Bild nur einmal ansehen, hätte er sein Bedürfnis direkt befriedigt und wäre zu einem Kauf nicht mehr bereit. Möchte er es dagegen mehrfach nutzen, also z.B. um es an die Wand zu hängen oder für Illustrationszwecke, ist der Kauf erforderlich. Direkte Netzwerkeffekte treten vor allem bei flickr sehr stark auf. Je größer die Teilnehmerzahl in der Community, die Bilder und Videos beisteuert, desto wahrscheinlicher ist es, ein spezielles Objekt zu finden, einen Gleichgesinnten zur Kommunikation zu finden oder ein Feed-back von einem Experten zu bekommen. All das bedeutet eine Nutzensteigerung für die Mitglieder der Community. Im Falle von iStockphoto entstehen direkte Netzwerkeffekte nur für die jeweilige Marktgegenseite. Wenn zusätzliche Verkäufer Bilder anbieten, schafft das einen Mehrwert für die Nachfrager, nicht jedoch für die konkurrierenden Verkäufer. Ebenso verhält es sich mit neuen Käufern, die zwar wertvoll für die bestehenden Verkäufer sind, für die bestehenden Käufer aber keinen zusätzlichen Nutzen schaffen. Die Marktnebenseite profitiert hier also nicht von (direkten) Netzwerkeffekten. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen durch ein wachsendes Angebot an Komplementen. Indirekte Netzwerkeffekte werden bei beiden Anbietern z.B. durch entsprechende Apps erzeugt, mithilfe derer man mobil auf die jeweilige Datenbank zugreifen kann. Flickr bietet zudem einen flickr-Button an, der das Sharing von Bildern befördert, und es bestehen Schnittstellen (APIs), die die Verwendung eigener, selbst geschriebener Software ermöglichen. Die auf den beiden Plattformen angebotenen Bilder sind dann als öffentliche Güter zu bezeichnen, wenn positive Netzwerkeffekte vorliegen und das Ausschlussprinzip nicht durchgesetzt werden kann oder soll. Die Existenz positiver Netzwerkeffekte ist bereits konstatiert worden. Das Ausschlussprinzip wird bei flickr immer dann durchgesetzt, wenn ein Nutzer entscheidet, dass seine Bilder für andere nicht sichtbar und / oder kopierbar sein sollen. Frei zur Verfügung gestellte Bilder sind bei flickr als öffentliches Gut anzusehen (Commons). IStockphoto dagegen bietet seine Bilder entweder nur in kleinen Voransichten an, die nicht skalierbar und damit unin-

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teressant sind, oder die Bilder tragen das Logo von iStockphoto als Wasserzeichen (Signaling; siehe auch die Abschnitte 3.2 sowie 5.2.3), was eine freie Nutzung ausschließt. Die Angebote von iStockphoto sind als Marktinformationen anzusehen, da das Ausschlussprinzip  – bei positiven Netzwerkeffekten  – realisiert wird. Wie bei allen Informationsgütern besteht nach dem Verkauf allerdings die Gefahr, dass die von Wasserzeichen befreiten Bilder unter der Hand weitergegeben werden.

5.2.2 Wertnetze von flickr und iStockphoto Die Wertnetze von flickr und iStockphoto weisen bei aller Ähnlichkeit doch einige fundamentale Unterschiede auf. Beginnen wir bei den Kunden. Die Kunden von flickr erwarten ein stabiles, nutzerfreundliches System, auf dem sie ihre hochgeladenen Bilder und Videos speichern, organisieren und tauschen können. Ganz wichtig sind dabei die Community-Funktionalitäten für den Austausch mit anderen Mitgliedern. Lieferanten z.B. ‡ Hard- und Softwarelieferanten ‡ Marketingagenturen ‡ Lizenzverkäufer Getty Images

Konkurrenten

Komplementoren

z.B. ‡ Anbieter von Webalben (Picasa, Photobucket etc.) ‡ Online-Microstock-Agenturen (iStockphoto, fotolia etc.) ‡ Online-Stock-Fotoagenturen (Getty Images, Corbis etc.)

z.B. ‡ Hersteller von Fotoequipment ‡ Mitglieder, die Bilder einstellen ‡ Programmierer von Zusatzprogrammen/Apps ‡ Anbieter von Bildbearbeitungssoftware

Kunden z.B. ‡ Privatpersonen oder auch ‡ Organisationen und Unternehmen, die online Fotos mit anderen tauschen und organisieren wollen

Abb. 2: Wertnetz von flickr

Wettbewerbsstrategien

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IStockphoto-Kunden hingegen erwarten vor allem eine große, gut sortierte Bildauswahl, die es ihnen ermöglicht, zielgerichtet geeignetes Bildmaterial zu finden. Die soziale Interaktion der Mitglieder spielt auf der Plattform selbst bislang keine Rolle. Die Lieferanten, als Bereitsteller der Infrastruktur, sind vom Prinzip her identisch. Komplementoren sind für beide Anbieter Hersteller von Fotoequipment, wie z.B. Digitalkameras von Canon, Fotohandys von HTC, Drucker von HP, aber auch von Software zur Bildbearbeitung. Ein ganz zentraler Unterschied liegt bei den Mitgliedern als Komplementoren. Bei flickr stellen sie Bilder ein, verschlagworten, kommentieren und tauschen sie aus. Veröffentlichte Bilder können kostenfrei angesehen werden. Je nach Lizenzbedingungen stehen sie als Commons bzw. Creative Commons allgemein zur Verfügung oder sie sind urheberrechtlich geschützt, und es besteht die Möglichkeit des käuflichen Erwerbs über gettyimages® als Dienstleister. Lieferanten z.B. ‡ Hard- und Softwarelieferanten ‡ Marketingagenturen

Konkurrenten

Komplementoren

z.B. ‡ Online-Microstock-Agenturen (Shutterstock, fotolia etc.) ‡ Online-Stock-Fotoagenturen (Getty Images, Corbis etc.) ‡ Anbieter von Webalben (flickr, Picasa etc.)

z.B. ‡ Hersteller von Fotoequipment ‡ Mitglieder, die Bilder anbieten ‡ Anbieter von Bildbearbeitungssoftware

Kunden z.B. ‡ Privatpersonen ‡ Organisationen und Unternehmen, die online Fotos erwerben und (gewerblich) nutzen wollen

Abb. 3: Wertnetz von iStockphoto

Anders bei iStockphoto, wo die Mitglieder zwar auch Bilder bereitstellen, diese aber ausschließlich zum Verkauf angeboten werden. Die beiden Anbieter stellen füreinander in begrenztem Maße Konkurrenz dar. Zum einen beim reinen Ansehen von Bildern und zum anderen beim Bilderwerb. Als Community stehen sie nicht miteinander im Wettbewerb, weil iStockphoto hier keine Angebote bereithält.

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Linde

5.2.3 Die strategische Variable Preisgestaltung Die Preisgestaltung (Pricing) bei iStockphoto setzt sehr stark auf die bei Informationsgütern häufig vorzufindende Versionierung (Versioning). Bei dieser Form der leistungsorientierten Preisdifferenzierung werden dem Kunden verschiedene Varianten eines Produkts in unterschiedlichen Qualitäten zu einem jeweils anderen Preis angeboten.³⁵ In diesem Falle sind es unterschiedliche Bildqualitäten, unter denen der Kunde wählen kann. Je nach Verwendung stehen Bilder mit geringer Auflösung, z.B. für eine Präsentation, oder mit hoher Auflösung, z.B. für einen Plakatdruck, mit einem unterschiedlichen Preis zur Verfügung. Es werden fünf Qualitätsstufen von XS bis XL angeboten. Bezahlt wird mit Credits, die in Paketen mit einer Rabattstaffel angeboten werden. Zusätzlich gibt es Tagesabonnements mit einer festlegbaren Credit-Zahl sowie ein Site-Abonnement. Für Firmenkunden gibt es weitere spezielle Angebote, die vor allem die Verwaltung erleichtern. Auch flickr bietet Versionierung in verschiedenen Formen an. Zum einen gibt es eine Basis- und eine Premiumversion, die sich aber nicht auf die Bildqualität, sondern auf den Funktionsumfang bezieht. Als Premiumkunde zahlt man 24,95 Dollar pro Jahr und erhält dafür gegenüber der kostenfreien Basisversion u.a. unbegrenzten Speicherplatz und unbegrenzte Upload-Möglichkeiten sowie Werbefreiheit. Die Finanzierung des Basisangebots erfolgt indirekt über Werbeeinblendungen. Hier nutzt flickr Erlöse, die über Dritte generiert werden. Seit 2008 besteht bei flickr zusätzlich die Möglichkeit, seine Bilder über Getty Images mit einer Lizenz zu versehen und kommerziell verwerten zu lassen. Getty Images hostet eine Community, bei der Mitglieder Bilder einreichen können. Sie werden begutachtet und dann ggf. in die Sammlung der kostenpflichtigen Angebote aufgenommen. Hier wird dann verfahren wie bei iStockphoto. Die Bilder besitzen ein Wasserzeichen, das erst durch den Kauf eliminiert wird. Je nach Bildqualität und / oder Verwendungsabsicht ergeben sich dann als zweite Variante der Versionierung unterschiedliche Bildpreise.

5.2.4 Erfolgsvergleich Bilder als ein spezielles Informationsgut weisen in der hier dargestellten Angebotsform als ökonomische Besonderheiten eine ausgeprägte Fixkostendegression, relativ geringe Informationsasymmetrien, die Tendenz, sich unkontrolliert zu verbreiten und damit zum öffentlichen Gut zu werden, sowie, im Falle von flickr, durch die Community-Funktionalitäten ausgeprägte Netzeffekte auf. Die Analyse der Wertnetze zeigt, dass beide Anbieter ganz stark von ihren Mitgliedern als Komplementoren abhängig sind. Bei iStockphoto wirken sie allerdings

35 Linde, Stock 2011, S. 386 ff.

Wettbewerbsstrategien

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nur als Bildlieferanten, wohingegen sie bei flickr zusätzlich intensiv am Community-Leben teilnehmen können und dadurch deutliche Mehrwerte für alle schaffen. flickr fährt insgesamt eine offenere, kooperativere Strategie. Die Bereitstellung von Programmierschnittstellen, Apps und Kooperationen mit anderen Unternehmen, wie z.B. die Kooperation mit snapfish als Fotodruckpartner seit 2009, belegen diesen offenen Ansatz. Welches Unternehmen kann nun als erfolgreicher gelten? Da Börsenkursnotierungen nicht zur Verfügung stehen, können hilfsweise die Verkaufspreise herangezogen werden, die beim Verkauf der beiden Unternehmen erzielt wurden³⁶. Flickr wurde 2005 für 35 Millionen Dollar an YAHOO! verkauft und iStockphoto 2006 für 50 Millionen Dollar an gettyimages®. Pro Mitglied wurde damit auf der Basis der Zahlen von 2008 bei flickr ein Preis von ca. 1,35 Dollar und bei iStockphoto von ca. 18,50 Dollar gezahlt. IStockphoto ist es damit gelungen, aus einer kleineren Kundenbasis mehr Umsatz zu generieren, als es bei flickr der Fall ist. Vor allem flickr hat seitdem viel verändert. Die Werbeeinblendungen sind verstärkt worden und insbesondere die kommerzielle Verwertung von Bildern ist hinzugekommen. Als ein zentraler Unterschied bleibt nach wie vor der Community-Aspekt bestehen. IStockphoto hat bisher keine Absichten gezeigt, das eigene Angebot in diese Richtung weiterzuentwickeln. Beim Bildangebot hat eine Erweiterung stattgefunden. Es werden neuerdings auch redaktionelle Bilder angeboten, die von Zeitungen und Verlagen genutzt werden sollen. Zusätzlich erweitert iStockphoto das Angebot an kostenlosen und niedrig aufgelösten Bildern und Illustrationen für Microsoft-OfficeOnline-User. Die breite Angebotspalette bleibt damit ein wichtiger Mehrwert, den iStockphoto gegenüber flickr aufzuweisen hat.

6 Schlussfolgerungen für Bibliotheken Überträgt man die gewonnenen Erkenntnisse auf Bibliotheken, lassen sich einige allgemeine Schlussfolgerungen ziehen. Bei Bibliotheken treten die ökonomischen Besonderheiten noch einmal in besonderer Weise auf. Die Bereitstellung aller im Bestand einer Bibliothek verfügbaren Information gegen eine „Flatrate“ in Form einer Gebühr bedeutet zum einen, dass Bibliotheken einen aktiven Beitrag zur Öffentlichmachung von Gütern leisten. Gleichzeitig werden zum anderen Informationsasymmetrien auf ein Minimum reduziert, denn jeder Nutzer kann sich die bereitgestellten Medien in der Bibliothek ansehen, sie inspizieren oder – wegen des Flat-Angebots – quasi unentgeltlich ausleihen und seine Erfahrungen damit machen. Die erforderlichen Kosten sind damit nur immaterielle, wie z.B. Wegezeiten oder Rechercheauf-

36 Vgl. Heer 2009.

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wand. Als Informationsmittler profitiert eine Bibliothek von den Netzwerkeffekten, die ihre Produkte erzeugen. Ein Bestseller wie „Harry Potter“ wird häufiger verlangt als „Krieg und Frieden“. Gerade durch die prinzipiell quasi kostenfreie Bereitstellung von Informationsgütern sind Bibliotheken starke Hebel zur Verstärkung von Netzwerkeffekten. Als problematisch aus Sicht der Originalanbieter werden dabei meist die fehlenden Zahlungsströme gesehen. In der Stakeholderperspektive sind vor allem die Wettbewerber interessant. Wettbewerber sind alle Anbieter von Freizeitgütern, mit denen eine Bibliothek um die Aufmerksamkeit und das Zeitbudget ihrer Kunden konkurriert. Menschen haben ein begrenztes Zeitbudget, das es auf eine große und weiter wachsende Zahl an Freizeitangeboten aufzuteilen gilt. Die Bibliothek konkurriert damit einerseits als Medienanbieter mit anderen Aktivitäten wie Sport im Verein oder privaten Treffen um die Zeit ihrer Nutzer. Zusätzlich gibt es eine zweite Wettbewerbsebene, auf der der Nutzer entscheidet, ob er sich die gewünschten Medien gegen Gebühr ausleiht oder privat und in der Regel deutlich teurer für den eigenen Gebrauch kauft oder ggf. auch illegal als Schwarzkopie − z.B. im Falle elektronischer Medien − beschafft. Das Pricing als strategische Variable steht Bibliotheken nur sehr begrenzt zur Verfügung. Lediglich im Bereich der Zusatzangebote besteht ein gewisser Spielraum, bepreiste Leistungen anzubieten. Hierin läge aber vielleicht auch ein Innovationspotenzial, nämlich im Rahmen des Versionings verschiedene Leistungspakete zu schnüren, also z.B. die goldene User-Card anzubieten, die Extra-Services oder spezielle Angebote enthält.³⁷ Durch ihre starken regulativen Abhängigkeiten ist der Spielraum für Bibliotheken aber leider sehr gering.

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37 Zu einem Beispiel für Versioning bei Rechercheleistungen vgl. Georgy, Linde 2005.

Wettbewerbsstrategien

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Hungenberg, H.: Strategisches Management in Unternehmen − Ziele − Prozesse − Verfahren. 4., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Gabler (Lehrbuch), 2006 Intel (2002): http: // lists.debian.org / debian-user-german / 2002 / 04 / msg01925.html (Aktualisierungsdatum: 18.07.2011) Iwersen, S.: Spieler sind bessere Kunden. In: Handelsblatt, Ausgabe 180 vom 18.09.2007, S. 12 Kahneman, D.; Tversky, A.: Prospect theory: An analysis of decision under risk. In: Econometrica 47 (1979) 2, S. 263−291 Katz, M. L.; Shapiro, C.: Network Externalities, Competition, and Compatibility. In: American Economic Review 75 (1985) 3, S. 424 – 440 Klodt, H.: Wettbewerbsstrategien für Informationsgüter. In: Schäfer, W.; Berg, H. (Hrsg.): Konjunktur, Wachstum und Wirtschaftspolitik im Zeichen der New Economy. Berlin: Duncker & Humblot (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; N.F., 293), 2003, NF 293, S. 107 – 123 Linde, F.; Stock, W. G.: Informationsmarkt − Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. München 2011 Nalebuff, B. J.; Brandenburger, A. M.: Coopetition − kooperativ konkurrieren − Mit der Spieltheorie zum Unternehmenserfolg. Frankfurt / Main: Campus-Verlag, 1996 Neumann, J. v.: Theory of Games and Economic Behavior. 60th-anniversary ed., 4. print., and 1. paperback print. Princeton NJ u.a.: Princeton Univ. Press (Princeton Classic Edition), 2007 [1944] Porter, M. E.: Competitive Strategy − Techniques for Analyzing Industries and Competitors. 52. print. New York: Free Press, 1980 Porter, M. E.: Wettbewerbsstrategie − Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten = (Competitive strategy). 10., durchges.u. erw. Aufl. Frankfurt / Main: Campus-Verlag, 1999 Shapiro, C.; Varian, H. R.: Information Rules − A Strategic Guide to the Network Economy. Boston Mass.: Harvard Business School Press, 1999 [1998]. − Nachdruck Srinivasan et al.: First in, First out? − The Effects of Network Externalities on Pioneer Survival. In: Journal of Marketing 68 (2004), S. 41 – 58 Suarez, F. F.: Battles for Technological Dominance: an Integrative Framework. In: Research Policy 33 (2004) 2, S. 271 – 286 Tirole, J.: Industrieökonomik. 2., dt.spr. Aufl. München: Oldenbourg (Wolls Lehr- und Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), 1999 Tversky, A.; Kahneman, D.: Advances in prospect theory: cumulative representation of uncertainty. In: Kahneman, D.; Tversky, A. (Hrsg.).: Choices, values, and frames. Cambridge: Cambridge University Press, 2000, S. 44−65 Van Kaa, G. de; Vries, H. J. de; van Heck, E.; van den Ende, J.: The Emergence of Standards: a Meta-analysis. In: Sprague, R. H. (Hrsg.): 40th Annual Hawaii International Conference on System Sciences, 2007. HICSS 2007; Jan. [3−6], 2007. Los Alamitos, Calif.: IEEE Computer Society Welge, M. K.; Al-Laham, A.: Strategisches Management. 4., akt. Aufl. Wiesbaden: Gabler (Lehrbuch), 2003

Simone Fühles-Ubach

Methoden der Marketingforschung für Bibliotheken und Informationseinrichtungen 1 Einleitung Die detaillierte Erforschung des Marktes ist auch für den Bereich des Dienstleistungsmarketings, um den es beim Angebot von Bibliotheken und Informationseinrichtungen überwiegend geht, eine Prämisse für zielgerichtete Marketingmaßnahmen. Die Methoden der Marktforschung bieten Instrumente zur Entscheidungsunterstützung hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung von Dienstleistungen und Produkten und der Messung des Erfolgs von Marketingmaßnahmen. Zentrale Fragestellungen sind, wer die aktuellen bzw. potenziellen Kunden sind, wie sie am besten erreicht werden können, welche Aspekte für sie wichtig sind und welche Dienstleistungen aus welchen Gründen genutzt werden. Sind diese Faktoren bekannt, ist es möglich, Kunden langfristig an die Institution zu binden. In der allgemeinen Betrachtung der Marktforschungsfelder zählt dies zum Bereich der Absatzmarktforschung, die sich mit dem Nutzer / Kunden oder „Endverbraucher“ beschäftigt.¹ Darüber hinaus untersucht die Marketingforschung die marketingrelevanten Umweltinformationen und die Unternehmensinformationen, die zum Bereich der Sekundärforschung zählen.²

1 Wiesner, Sponholz 2007. 2 Auf weitere Besonderheiten im Dienstleistungsbereich verweist der Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch.

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Fühles-Ubach

2 Prozess einer Marktforschungsuntersuchung Der schematische Ablauf einer typischen Marktforschungsuntersuchung wird in der folgenden Grafik gezeigt:

Abb. 1: Phasen einer Marktforschungsuntersuchung³

Der Schwerpunkt der Darstellung im vorliegenden Artikel wird auf den ersten drei Phasen liegen, da hier die wichtigsten Grundlagen für die Projekte gelegt werden.

2.1 Definition des Untersuchungsproblems Erste Voraussetzung für die Durchführung einer Untersuchung ist die korrekte Definition des Untersuchungsgegenstandes. Das klingt selbstverständlich, ist jedoch keineswegs trivial, da z.B. der Bibliothekskunde als Untersuchungsgegenstand genau definiert werden muss. Die Definition des Begriffs „Kunde“ kann sehr eng oder auch sehr weit gefasst werden. Daher ist genau festzulegen, welche Art von Kunden Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Für Bibliotheken können folgende Kundengruppen unterschieden werden: – (aktive) Kunden – Hauptstelle / Zweigstellen, – Nicht-mehr-Kunden, – potenzielle Kunden.

3 Vgl. Kuß, Eisend 2010, S. 13.

Marketingforschung

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Weiterhin kann bei den Kunden differenziert werden zwischen den allgemein registrierten Kunden oder den sogenannten „aktiven“ Kunden, die in einem bestimmten Zeitraum (z.B. im vergangenen Jahr) Dienstleistungen und Produkte der Bibliothek in Anspruch genommen haben. In diesem Fall handelt es sich um reine Bibliothekskundenbefragungen. Häufig ist es jedoch auch von Interesse, die potenziellen Kunden (Noch-nicht-Kunden) oder die ehemaligen Kunden (Nicht-mehr-Kunden) nach ihrer Einschätzung zur Bibliothek zu befragen. Sowohl die potenziellen als auch die ehemaligen Kunden können Aufschluss darüber geben, welche Gründe es gibt, nicht bzw. nicht mehr in die Bibliothek zu gehen. Meinungen der potenziellen Kunden können mithilfe einer Bürgerbefragung ermittelt werden. Grundsätzlich gilt, dass der Untersuchungsgegenstand der Befragung sachlich, zeitlich und räumlich so genau wie möglich einzugrenzen ist, um bei der Inklusion bzw. Exklusion der Merkmalsträger klare Entscheidungen treffen zu können. Dabei ist es unproblematisch, bestimmte Kunden- oder Produktgruppen bei einer Untersuchung außen vor zu lassen. Beispiele dafür sind Kunden, die z.B. zum ersten Mal eine Bibliothek besuchen und daher zur Qualitätsbeurteilung der Dienstleistungen nichts sagen können, oder der Verzicht auf die Bewertung von Dienstleistungen, die erst seit kurzer Zeit angeboten werden und daher evtl. noch unbekannt sind. Wichtig ist in allen Fällen, dass die Definition der Grundgesamtheit klar begründet festgelegt und erläutert wird. Auf diese Weise werden die Befragungsinstrumente später auch genau an die Befragungsgegenstände angepasst und helfen so, zu präzisen Zielsetzungen zu kommen.

2.2 Untersuchungsziele / Hypothesen Ist der Untersuchungsgegenstand definiert, sind Aufgabenstellung und Untersuchungsziele festzulegen, um aussagekräftige Fakten und Zahlen zu erhalten. Globale Fragestellungen ohne spezifische Zielgruppenorientierung bringen keine wegweisenden Erkenntnisse.⁴ Generell gilt, dass nicht zu viele Aspekte gleichzeitig abgefragt werden sollten und kürzere Fragebögen größere Akzeptanz finden als sehr umfangreiche. Ist zum Beispiel die Kundenmeinung nach Einführung eines neuen EDVSystems oder neuer Öffnungszeiten gefragt, dann sollten darüber hinaus nicht zu viele weitere Aspekte abgefragt werden. Bleibt eine Untersuchung bei wenigen Schwerpunktthemen, so bietet dies die Gelegenheit, die einzelnen Schwerpunkte in größerer Tiefe und mit mehreren Fragen zu analysieren. Eine zu große Themenbreite birgt demgegenüber die Gefahr, einzelne Fragestellungen nur sehr allgemein behandeln zu können.

4 Kalka, Allgayer 2006, S. 90.

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Nach der Herleitung der wissenschaftlichen Fragestellung werden Hypothesen formuliert, die sich entweder aus der Literatur oder eigenen vorangegangenen Forschungstätigkeiten ergeben. Dabei werden hauptsächlich zwei Arten von Hypothesen unterschieden: – Zusammenhangshypothesen – sie formulieren einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Merkmalen. – Unterschiedshypothesen – sie formulieren einen Unterschied zwischen mindestens zwei Gruppen. Auch das Untersuchungsdesign richtet sich nach der Art der Hypothesen. Zusammenhangshypothesen werden in der Regel mit Korrelationsuntersuchungen überprüft, während Unterschiedshypothesen mit (Quasi-)Experimenten und der gezielten Veränderung wenigstens einer unabhängigen Variablen arbeiten.⁵ Für Hypothesen gelten verschiedene Anforderungen. Sie müssen z.B. empirisch belegbar sein, d.h. einen Realitätsbezug haben und einen Neuheitswert besitzen, d.h. neue Aspekte im Gegensatz zu bisher existenten Theorien untersuchen. Sind Fragestellung und Hypothesen der Untersuchung geklärt, erfolgt die Operationalisierung der Fragestellung, d.h. die Messbarmachung der Fragestellung mithilfe konkreter Variablen und Merkmalsausprägungen. Variablen werden definiert, um Merkmalsunterschiede beschreiben zu können. Sie stehen stellvertretend für alle Merkmalsausprägungen. So steht die Variable „Familienstand“ beispielsweise stellvertretend für die Merkmalsausprägungen „ledig“, „verheiratet“, „verwitwet“, „geschieden“, „getrennt lebend“. Dabei ist der Prozess der Operationalisierung nicht immer einfach. So lässt sich beispielsweise der „soziale Status“ als Variable nicht direkt messen, sondern kann nur über sogenannte latente Merkmale wie „Einkommen“, „Bildungsabschluss“ und deren Merkmalsausprägungen indirekt gemessen werden.

2.3 Untersuchungsdesign Das Untersuchungsdesign legt die wesentlichen Methodenfragen fest. Dabei geht es auch darum, welche Daten selbst erhoben werden müssen und mit welchen Instrumenten (Primärforschung), oder ob man auch auf bestehende Datenquellen zurückgreifen kann (Sekundärforschung).

5 Lehrstuhl für Lehr-Lernforschung der Ruhr-Universität Bochum, 2010.

Marketingforschung

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Als Sekundärforschung (Desk Research) bezeichnet man die Analyse bereits erhobener und gespeicherter Daten für einen neuen Untersuchungszweck. Sie ergänzt die Primärforschung und ist häufig mit erheblichen Zeit- und Kostenvorteilen verbunden, da das Datenmaterial bereits vorhanden ist.⁶

2.4 Verfahren der Primärforschung Primärforschung (Field Research) bezeichnet die neue Erhebung von Daten zu bestimmten Fragestellungen im Bereich des Umfeldes, der Personen (Marktteilnehmer) und der Märkte. Die folgende Tabelle zeigt Methodenbeispiele der Primärforschung für die verschiedenen Bereiche:⁷

Untersuchungsobjekt

Umfeld

Marktteilnehmer

Markt

Befragung

Expertenbefragung Gruppendiskussion

Kundenbefragung Mitarbeiterbefragung Befragung Intermediäre

Expertenbefragung Gruppendiskussion

Beobachtung

Beobachtung der techn. Entwicklungen

Kundenlaufstudie Blickregistrierung Mystery Shopping

Zeit-DistanzMethode Branchenbeobachtung

Servicetest Werbemitteltest Preistest

Lokaler Testmarkt Regionaler Testmarkt

Haushaltspanel Individualpanel Servicepanel

Marktstrukturanalyse Einzugsgebietsanalyse

Methoden

Experiment

Panel

Erhebung des Konsumklimas Mediennutzungsverhalten

Tab. 1: Methoden der Primärforschung (grau unterlegt: Methode findet Anwendung in Bibliotheken / Informationseinrichtungen)⁸

6 Für weitere Ausführungen zum Thema Sekundäranalyse sei auf den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch verwiesen. 7 Meffert, Bruhn 2009, S. 108. 8 Ebd.

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3 Befragung Die Methode der Befragung stellt innerhalb der empirischen Sozialforschung die am häufigsten angewandte Erhebungsmethode dar. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 90 % aller Daten mit Befragungen in unterschiedlichsten Formen erhoben werden.⁹ Es gibt zahlreiche Arten von Befragungen, die je nach Technikeinsatz und Kommunikationsform differenziert werden können. Grundsätzlich wird zwischen der mündlichen Befragung in Form von Interviews und der schriftlichen Befragung mithilfe von Fragebögen unterschieden. Eine andere, in der Literatur ebenfalls übliche Unterteilung erfolgt zwischen qualitativen und quantitativen Befragungen. Dabei sind die Einteilungen jedoch nicht identisch. Mündliche Befragungen in Form von Einzel- oder Gruppeninterviews ermitteln häufig subjektive Sichtweisen oder Einstellungen und Erfahrungen mit geringer Standardisierung (teilstandardisiertes Interview). Sie zählen zu den qualitativen Befragungen wobei der Interaktion zwischen Befragtem und Interviewer eine große Rolle zukommt. Schriftliche Befragungen sind demgegenüber jedoch nicht rein quantitativ, da hier mithilfe von verschiedenen Frageformen der Grad der Standardisierung variiert werden kann. Gerade bei großen Befragtenzahlen erheben schriftliche Befragungen meist überwiegend quantitative, d.h. mess- bzw. zählbare Daten, um damit die (Massen-)Auswertung zu erleichtern. Dennoch können immer auch qualitative Aspekte, z.B. über offene Fragen, zusätzlich erhoben werden, sodass schriftliche Befragungen nicht als durchgängig quantitativ bezeichnet werden können. Im Folgenden wird daher die Differenzierung nach mündlicher und schriftlicher Befragung gewählt. Je nach Grad der Strukturiertheit können unterschiedliche Formen der Befragung (telefonisch, mündlich-persönlich, schriftlich) zum Einsatz kommen.¹⁰ Grundsätzlich gilt, dass bei zunehmender Größe der zu befragenden Grundgesamtheit die Strukturiertheit der Befragungsform zunehmen muss, um eine Bewältigung und vor allem eine Vergleichbarkeit der Antworten zu gewährleisten. So ist es beispielsweise kaum praktikabel, bei großen Erhebungen offene Interviews zu führen. Hier kommen strukturiertere Methoden wie z.B. stark standardisierte Fragebögen zum Einsatz.

3.1 Frageformen Fragen können je nach Art der Beantwortung in offene, halboffene und geschlossene Fragen unterschieden werden. Welche Frageformen in der Hauptsache zum Einsatz kommen, hängt maßgeblich vom Untersuchungsdesign, der Erhebungsmethode und der vorliegenden Grundgesamtheit ab.

9 Bortz, Döring 2006, S. 236. 10 Häder 2010, S. 193.

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Bevor im Detail auf die verschiedenen Frageformen eingegangen wird, ist es wichtig, Fragen auch hinsichtlich ihrer Funktion für den Fragenbogen zu betrachten. Unterschieden werden hierbei Kontrollfragen, Filterfragen und Trichterfragen: – Kontrollfragen werden dazu genutzt, die Antworten auf eine andere Frage zu verifizieren. Dazu wird eine Frage mit gleichem oder verwandtem Inhalt, aber mit anderem Wortlaut gestellt. – Filterfragen dienen dazu, den Befragten nur die Teile des Fragebogens zugänglich zu machen, die für sie wirklich relevant sind. In erweiterter Form werden diese Fragen auch als Gabelfragen bezeichnet. – Trichterfragen dienen dazu, das eigentliche Thema schrittweise vom Allgemeinen zum Speziellen anzusprechen. Sie finden beispielsweise bei heiklen Fragen Anwendung, wenn sich über allgemeine Fragen erst langsam der spezifischen Frage genähert wird.

3.1.1 Offene Fragen Offene Fragen zeichnen wenig standardisierte Befragungen aus. Sie werden oft auch als W-Fragen bezeichnet, da sie Antworten auf die Fragen nach dem „Wie?“ oder dem „Warum?“ geben. Die Beantwortung einer offenen Frage ist den Befragungsteilnehmern völlig freigestellt, d.h., es gibt keine Vorgaben, sondern die Antwort wird selbstständig formuliert. In mündlichen Befragungen besteht bei Anwesenheit eines Interviewers die Möglichkeit, Unklarheiten durch Rückfragen unmittelbar zu klären. Die Offenheit bei der Antwortformulierung führt häufig dazu, dass offene Fragen als „einfacher“ zu beantworten gelten und auch außergewöhnliche Ideen formuliert werden, die bei Vorgaben evtl. nicht zum Tragen gekommen wären. Nachteilig ist, dass die vielen verschiedenen Äußerungen der Befragten bei der Auswertung der Übersichtlichkeit halber bestimmten Kategorien zugeordnet werden müssen. Dies bringt einen gewissen Informationsverlust mit sich und ist in der Auswertungs- und Analysephase deutlich anspruchsvoller und zeitraubender.

3.1.2 Halboffene oder hybride Fragen Hybride Fragen bilden eine Kombination aus den Merkmalen offener und geschlossener Fragen. Hier wird den Befragten eine zusätzliche Rubrik angeboten, die oft unter „Sonstiges“ firmiert und die Raum für eigene, zusätzliche Antwortalternativen bietet. Darüber hinaus werden jedoch wie bei geschlossenen Fragen Kategorien vorgegeben, innerhalb derer sich die Antworten bewegen sollen. Der Vorteil dieser Frageform liegt darin, dass die vorgegebenen Kategorien sich schnell und einfach auswerten lassen, aber dennoch Raum geboten wird für Antwortverhalten, das von den Gestaltern des Fragebogens nicht bedacht wurde.

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3.1.3 Geschlossene Fragen¹¹ Geschlossene Fragen zeichnen stark standardisierte Befragungen aus. Bei dieser Frageform muss der Befragte aus einer vorgegebenen Reihenfolge von Antwortvorgaben auswählen. Dabei können Einzel- und Mehrfachantworten angeboten werden. Da alle infrage kommenden Antworten vorformuliert sind, wird auf den Befragten ein gewisser „Zwang“ ausgeübt. Möglichkeiten, diesen Nachteil zu umgehen, bieten Antwortalternativen wie „weiß nicht“, „trifft auf mich nicht zu“ oder „keine Angabe“ als eigene Kategorie. Sie verhindern Verzerrungen in der Auswertung, die sonst dadurch entstehen könnten, dass Kategorien lediglich angekreuzt werden, weil etwas angegeben werden „muss“. Darüber hinaus erlauben sie dem Befragten, Unverständnis oder Unkenntnis offen mitzuteilen, was für die Auswertung oft hilfreiche Informationen liefert. Grundsätzlich erfordert die Formulierung geschlossener Fragen beim Gestalter viel Wissen über den Gegenstand und einen erhöhten Planungsaufwand. Wichtig ist, dass die Antwortvorgaben disjunkt, d.h. überschneidungsfrei und vollständig sind. Geschlossene Fragen besitzen einen geringeren Erhebungs- und Auswertungsaufwand als offene Fragen. Die vorformulierten Antwortoptionen, auf die die Probanden evtl. von allein nicht gekommen wären, fördern schnelle Antworten in großer Einheitlichkeit und damit eine Vergleichbarkeit der Antworten. Für große Befragungsgruppen wird dieser Fragetypus daher häufig angewendet. Nachteile können entstehen, wenn nicht alle relevanten Antworten angeboten werden oder die Optionen zu zahlreich sind (mehr als ca. acht Optionen sind zu vermeiden). Für die Erfassung komplexer Sachverhalte ist dieser Fragentyp weniger geeignet.

3.2 Skalierung Beim Verfahren der Skalierung geht es um die Konstruktion eines Messinstrumentes, dessen Ergebnis eine Skala ist. Die gebräuchlichsten Verfahren in der quantitativen Sozialforschung sind die Likert-Skalen. Sie messen persönliche Einstellungen. Diese werden in Form von „Items“, d.h. als positive oder negative Aussagen formuliert und eindimensional abgefragt. Es geht also um den Grad der Zustimmung bzw. Ablehnung.

11 Atteslander 2010, S. 136 f.

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Item: Die Öffnungszeiten der Bibliothek sind unzureichend. Stimme völlig zu

Stimme eher zu

Stimme teilweise zu

Stimme eher nicht zu

Stimme überhaupt nicht zu

1

2

3

4

5

Abb. 2: Beispiel für eine Likert-Skala

Ein weiteres Verfahren, das häufig Anwendung findet, ist das sogenannte Semantische Differenzial. Dabei werden keine direkten Fragen gestellt, sondern der Befragte nähert sich indirekt einem Sachverhalt, indem mehrdimensional bipolar abgefragt wird, welche verschiedenen Eigenschaften damit verbunden werden. Eigenschaftspaare (n=212/213)

konservativ

dynamisch

altmodisch

modern

inkompetent

kompetent

unfreundlich

freundlich

distanziert

entgegenkommend

unpersönlich

persönlich

1. Semester 3. Semester

anspruchsvoll

einfach langweilig

aufregend

hirarchisch

offen

–3 Mittelwert

0

3

Abb. 3: Beispiel Semantisches Differenzial¹²

Um Skalen nicht selbst erstellen zu müssen, gibt es Skalenhandbücher. Das Handbuch des deutschen Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) bietet zahlreiche Vorschläge und kann gegen Registrierung online bezogen werden.¹³

12 Vgl. http: // arbeitszimmer.statistik-peter.at / semantisches-differential / (Abruf: 02.06.2012). 13 Download unter: http: // www.gesis.org / unser-angebot / studien-planen / zis-ehes / zis / zuma-skalenhandbuch / (Abruf: 02.06.2012).

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3.3 Mündliche Befragung 3.3.1 Einzel- und Gruppenbefragungen Interviews stellen eine meist wenig strukturierte, stärker qualitative Datenerhebungsmethode für einzelne oder mehrere Personen dar. In einer Einzelbefragung steht der Befragte einem Interviewer gegenüber, mit dem interagiert wird. Dabei kann der Strukturierungsgrad, der vorgegeben wird, stark variieren. Bei vollständiger Standardisierung sind Wortlaut und Fragenfolge verbindlich vorgegeben, was wenig Freiraum für den Befragten lässt. Daher kommt häufig nur ein thematischer Rahmen in Form eines Leitfadens zum Einsatz, wodurch die inhaltlichen Schwerpunkte festgelegt werden. Explorative Interviews verlaufen völlig frei und werden häufig bei Experteninterviews angewandt, wo eine Strukturierung oder Orientierung im Vorfeld schwierig ist. Telefoninterviews sind eine Sonderform des Einzelinterviews. Da der Interviewer nicht direkt persönlich anwesend ist, werden diese Interviews als anonymer erlebt und besitzen geringere Verweigerungsraten als persönliche Interviews.¹⁴ Für Bibliotheken sind Telefoninterviews wichtig, wenn „Nicht-mehr-Kunden-Analysen“ durchgeführt werden sollen. Da die Kunden die Bibliothek seit einem bestimmten Zeitraum nicht mehr aktiv benutzen, ist eine direkte Kontaktaufnahme meist nur über das Telefon möglich.¹⁵ Telefoninterviews sind in der Regel stark standardisiert, um eine Vergleichbarkeit der Antworten bzw. eine Validität der Ergebnisse zu erreichen. In Gruppenbefragungen¹⁶ äußern sich gleichzeitig (ggf. in einem virtuellen Raum, z.B. im Chat) anwesende Teilnehmer zu einem vorgegebenen Thema unter Anleitung eines neutralen Moderators. Die Auswertung erfolgt anhand der Aufzeichnung mittels Inhaltsanalyse¹⁷. Bei wissenschaftlichem Anspruch müssen nicht nur der Text, sondern auch Aspekte wie Handlungsablauf, Intonation, Gestik, Mimik, Stellung der Teilnehmer zueinander dokumentiert und interpretiert werden. Zentraler Aspekt dabei ist, dass es nicht nur um die Erfassung thematischer Äußerungen mehrerer Einzelpersonen geht, sondern insbesondere um die entstehenden Wechselwirkungen zwischen Individuen und Gruppe. Hinsichtlich des Strukturierungsgrades lassen sich bei Einzel- und Gruppenbefragungen folgende Situationen unterscheiden:

14 Bortz, Döring 2006, S. 240. 15 Professionelle Marktforschungsunternehmen führen Telefoninterviews häufig mit dem Programm CATI (Computer Assisted Telephone Interviewing) durch, das eine Erfassung und Aufbereitung der Ergebnisse unterstützt. 16 Gruppen können natürliche Gruppen, wie sie im Alltag bestehen, oder künstliche Gruppen, die nach bestimmten Kriterien zusammengesetzt sind, sein. Vgl. Flick 2007, S. 252. 17 Inhaltsanalyse ist neben Befragung und Beobachtung die dritte grundlegende Methode zur systematischen Datenerhebung von Kommunikationsinhalten in Texten, Bildern, Filmen und Ähnlichem. Vgl. Häder 2010, S. 321.

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Strukturierungsgrad der Interviewsituation

Einzelbefragung

Gruppenbefragung

Wenig

Experteninterview exploratives Interview

Gruppendiskussion

Teilweise

Leitfadengespräch

Gruppenbefragung

Stark

Einzelinterview

Gruppeninterview

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Tab. 2: Formen mündlicher Befragung¹⁸

3.3.2 Delphi-Studien als Sonderform der mündlichen Befragung Bei einer Delphi-Studie werden mehrere Experten in einem mehrstufigen Verfahren zu einem komplexen Phänomen befragt, für das i.d.R. eine Prognose erstellt werden soll.¹⁹ Häufig werden Delphi-Studien für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens verschiedener Szenarien im Bereich der Bildung eingesetzt.²⁰ Oft stehen am Beginn einer Delphi-Studie offene, mündliche Interviews einer kleineren Expertengruppe über mögliche Szenarien und Einflussgrößen zukünftiger Entwicklungen. Auf den Ergebnissen dieser Interviews aufbauend wird meist ein Fragebogen entwickelt, der einer größeren Expertenrunde zur Beantwortung vorgelegt wird. Nach der Auswertung wird das Ergebnis in anonymisierter Form an die große Expertengruppe zurückgegeben, mit der Bitte, den Fragebogen vor dem Hintergrund des Gesamtfeedbacks aller Teilnehmer noch einmal auszufüllen. Auf diese Weise soll ein größtmöglicher Konsens erzielt werden.²¹ Im Bibliotheksbereich wurde z.B. 2001 eine Delphi-Studie zum Thema „Elektronische Zeitschriften im Wandel“ durchgeführt, die sich mit Fragen der zukünftigen Rolle und Funktion, der Verfügbarkeit, der Kosten sowie auch der technologischen Entwicklungen im Umfeld der elektronischen Zeitschriften befasste.²²

18 Schnell, Hill, Esser 2008, S. 323. 19 Häder, Häder 2000. 20 Linstone, Turoff 2002. 21 Die Delphi-Methode nutzt grundsätzlich mehrere Runden von Expertenmeinungen zur Problemlösung und setzt ein anonymes Feedback ein. Vgl. Häder 2010, S. 353. 22 Keller 2001.

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3.4 Schriftliche Befragung Bei den schriftlichen Befragungen wird unterschieden zwischen Offline-Befragungen und Online-Befragungen. Beide Formen sind in der Regel stark strukturiert und werden mithilfe eines Fragebogens durchgeführt. Ist keine Person in der Nähe, die zur Befragung Auskunft geben kann (z.B. wenn Fragebögen in einer Bibliothek ausliegen), dann wird einer schriftlichen Befragung ein Begleitschreiben oder ein Einleitungstext beigefügt, in dem verantwortliche und durchführende Institutionen, Ziele und Rahmenbedingungen der Befragung kurz erläutert werden. Da der Befragte beim Ausfüllen des Bogens alleine ist, entfällt ein möglicher Interviewereffekt, was durchaus positiv sein kann. Andererseits gibt es jedoch wenig Kontrolle über die gesamte Erhebungssituation, da nicht erkennbar ist, mit welcher Motivation oder Sorgfalt die Antworten gegeben werden. Darüber hinaus ist bei schriftlichen Befragungen auf postalischem Wege der Rücklauf oft problematisch, da er für die Befragten mit Mühe und Aufwand (Weg zum Briefkasten, Frankierung) verbunden ist. Personalisierte Anschreiben mit genauer Anleitung und ggf. frankiertem Rückumschlag können hier Vorteile bringen. Zunehmend beliebter werden daher Online-Befragungen, die besonders schnell und einfach Ergebnisse bringen, jedoch nicht für jede Grundgesamtheit einsetzbar sind, da nicht alle Personen in Deutschland Internetzugänge besitzen oder nutzen²³.

3.4.1 Kunden- und Mitarbeiterbefragungen Hinsichtlich der Zielsetzung der Befragung machen die sogenannten Zufriedenheitsbefragungen den größten Anteil aus. Kundenzufriedenheit besitzt als Faktor der Kundenbindung für Bibliotheken eine besondere Bedeutung, da sich darüber langfristig der Erfolg der Bibliothek definiert. Da allgemeine Studien zur Kundenbindung herausgefunden haben, dass es einfacher und kostengünstiger ist, bestehende Kunden zu halten, als neue zu akquirieren oder ehemalige zu reakquirieren, ist die Ermittlung der Kundenzufriedenheit auch ein Kerngebiet der Benutzerforschung in Bibliotheken.²⁴ Die Bedeutung von Mitarbeiterbefragungen liegt in der Natur von Bibliotheken als Dienstleistungseinrichtungen. Da der Kunde keine Produkte erwirbt, sondern von Menschen erstellte Dienstleistungen in Anspruch nimmt, kommt der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter in Form von Qualifikation und Motivation eine besondere Bedeutung zu. Kundenorientiertes Verhalten und adäquate Fähigkeiten der Mitarbeiter zur

23 Die aktuellen Internetnutzerzahlen werden unter http://www.nonliner-atlas.de dokumentiert bzw. seit 2001 regelmäßig erhoben (Abruf: 05.05.2012). 24 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch.

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Dienstleistungserstellung sind daher auch Ziele der Analyse im Marktforschungsbereich von Bibliotheken. Die Messung und Auswertung von Kundenzufriedenheit²⁵ beinhaltet häufig eine Menge sogenannter Kernfragen für alle Institutionen.²⁶ Diese betreffen folgende Bereiche: – Häufigkeit und Zweck des Besuches, – Zufriedenheit mit dem Besuch (besonders zufriedenstellende / besonders enttäuschende Situationen), – Einschätzung spezieller Dienstleistungen und Produkte hinsichtlich Qualität und auch der gebotenen Infrastruktur wie Freundlichkeit der Mitarbeiter, Service, Atmosphäre, – Ausmaß, zu dem das Kundenbedürfnis oder der Zweck erfüllt wurde, – Wahrscheinlichkeit der Weiterempfehlung sowie – demografische Daten, die dazu dienen, Kundenprofile zu erstellen (Geschlecht, Alter, Bildung …). Auch für Mitarbeiterbefragungen gibt es typische Aspekte, die sich in den Befragungen immer wieder finden:²⁷ – „Ewige“ Themen (Beurteilungen, Einstellungen, Werte) wie – Voraussetzungen für die Leistungserbringung, – Sichtbarkeit von Leistung, Feedback, – Folgen von Leistung, Belohnungssysteme, erwarteter Nutzen, – Gerechtigkeit, Fairness, Absprachen, Vertrauen, – Klima, – Organisationsbürgerverhalten, Commitment, Identifikation, – Leitbild, strategische und operative Ziele, – Aktuelles, Hot Topics, Evaluation von Maßnahmen, – bereichsspezifische Themen und – besondere Themen der Führungskräfte. Da es sowohl bei Kunden- als auch bei Mitarbeiterbefragungen in der Regel darum geht, eine möglichst große Menge von Personen zu erfassen, werden im Rahmen der üblicherweise schriftlichen Befragungen die Fragen meist als geschlossene Fragen formuliert. Die möglichen Antworten werden den Benutzern vorgegeben, sodass die Daten einfacher zu analysieren sind. Offene Fragen können zwar wertvolle Einblicke in

25 Die Normen zur Kundenzufriedenheit lauten: DIN ISO 10001, DIN ISO 10002 und DIN ISO 10003; Norm zur Reklamationsbearbeitung: DIN ISO 10002. 26 Zahlreiche Beispiele für Kundenbefragungen im Bibliotheksbereich finden sich unter http://www.bibliotheksportal.de (Abruf: 02.06.2012). 27 Borg 2002, S. 46.

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die Ansichten von Einzelkunden bringen, sie sind aber in der Masse schwierig und zeitaufwändig zu analysieren, da jede Antwort gesichtet und klassifiziert werden muss. Daher kommen sie in umfangreichen schriftlichen Befragungen kaum zum Tragen. Die am häufigsten durchgeführte Methode bei Kunden- und Mitarbeiterbefragungen ist die schriftliche Befragung in Form von Fragebögen, die den zu Befragenden gedruckt oder online zur Verfügung gestellt werden.

3.4.2 Aufbau und Struktur eines Fragebogens Das wichtigste methodische Werkzeug einer schriftlichen Befragung ist der Fragebogen, dessen Aufbau und Gestaltung oft unterschätzt wird.²⁸ Die inhaltliche und sprachliche Ausrichtung auf die zu befragende Zielgruppe sowie die Formulierung der Fragen und auch deren Abfolge muss genau überdacht werden, um möglichst valide Daten zu erheben. Der Umfang des Fragebogens hängt meist direkt mit der Bedeutung des Themas für die Zielgruppe und dem Hintergrund der Befragung zusammen. So kann eine Blitzlicht-Befragung zu einem aktuellen Thema durchaus nur aus ein bis drei Fragen bestehen, deren Ergebnisse schnell auf einer Internetseite publiziert werden. Eine ausführliche Kundenzufriedenheitsbefragung zu mehreren Dienstleistungen und deren Umfeld wird jedoch deutlich mehr und tiefer gehende Fragestellungen benötigen. Generell sollte allerdings auch bei längeren Befragungen die Zeit für die Bearbeitung eines Fragebogens acht bis zwölf Minuten nicht überschreiten. Da nicht immer gewährleistet ist, dass Begleitschreiben und Fragebogen zusammen gelesen werden, sollte auf der ersten Seite des Fragenbogens noch einmal eine knappe Einleitung Platz finden. Wichtig sind dabei eine freundliche und persönliche Ansprache der Teilnehmer und eine kurze Formulierung der Ziele und Zielgruppen des Fragebogens, was man mit den Worten „Wer wir sind und was (wen) wir wollen“ zusammenfassen könnte. Falls es besondere Instruktionen zum Ausfüllen oder Bearbeiten des Bogens geben sollte oder auch andere Hinweise (z.B. auf ein Gewinnspiel), so kann dies ebenfalls einführend erwähnt werden. Abschließend ist ein Hinweis auf die Speicherung der Daten und deren Anonymität wichtig. Die erste Frage des Fragebogens, auch als Einführungs- oder Eisbrecherfrage bezeichnet, ist für die Inhalte und das Ergebnis der Befragung oft von nachrangiger Bedeutung. Vielmehr ist wichtig, dass alle Teilnehmer einen guten Einstieg finden und sich positiv angesprochen fühlen. Daher sollte die Frage einfach zu verstehen sein und vom größten Teil der Befragten schnell und problemlos beantwortet werden können. Ein Beispiel dafür wäre: „Sind Sie heute zum ersten Mal hier?“ Mit dem leichten Einstieg wird teilweise auch die Positionierung der demografischen Angaben am

28 Borg 2002, S. 51.

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Abb. 4: Vorderseite eines Fragebogenentwurfs

Beginn des Fragebogens begründet, daran ist jedoch nachteilig, dass das eigentliche Thema des Fragebogens erst recht spät angesprochen wird (siehe Abb. 4). Der Hauptteil des Fragebogens enthält die inhaltlichen Fragen, strukturiert nach den verschiedenen Themenbereichen. Den Abschluss bilden die Fragen nach den demografischen Angaben der Teilnehmer. Die letzte Seite bzw. das Ende des Fragebogens sollte genutzt werden, um den Teilnehmern herzlich für die geleistete Mitarbeit zu danken und auch um ggf. Hinweise zur Verwendung und Veröffentlichung der Ergebnisse zu geben. An dieser Stelle kann beispielsweise angeboten werden, dass die Kunden optional ihre E-Mail-Adresse angeben, damit ihnen später die Ergebnisse bei Interesse zugesandt werden können. Hinsichtlich des grafischen Aufbaus des Fragebogens gibt es verschiedene allgemeine Hinweise zu beachten. So sollte man versuchen, den Fragebogen möglichst kurz zu halten, da eine zu hohe Seitenzahl bereits im Vorfeld der Befragung abschreckend auf die Teilnehmer wirken könnte. Bei Online-Fragebögen wird meist ein Fort-

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schrittsbalken eingeblendet, der dem Teilnehmer signalisiert, wie weit die Befragung bereits vorangeschritten ist. Übersichtlichkeit wird durch die thematische Untergliederung erzeugt. Um gute Lesbarkeit zu gewährleisten, sollte eine 10-Punkt-Schriftgröße nicht unterschritten werden. Eindeutige Anweisungen zum Ausfüllen der einzelnen Fragen („Regieanweisungen“) erleichtern und beschleunigen die Teilnahme. Um möglichst viele verschiedene Nutzertypen zu erreichen, sollte die Befragung an verschiedenen (Wochen-)Tagen über einen größeren Zeitraum durchgeführt werden. So werden dann auch die verschieden stark frequentierten Öffnungszeiten der Bibliothek in ihrer Gesamtheit einbezogen.

3.4.3 Pretest Ist der Fragebogen fertiggestellt, wird er auf Verständlichkeit und logische Richtigkeit mit ersten Testpersonen „ausprobiert“. Dieses Verfahren wird als Pretest bezeichnet und stellt den Test des Erhebungsinstrumentes vor der eigentlichen Erhebung dar. Idealerweise wird versucht, den Test an Personen aus der realen Zielgruppe durchzuführen. Verschiedenen Fragestellungen können durch einen Pretest im Vorfeld untersucht werden. Die ersten Testpersonen können beispielsweise sagen, ob der Fragebogen zum Mitmachen motiviert, ob er einen guten Einstieg bietet und ob alle Fragen verständlich formuliert sind. Neben den Fragestellungen geht es auch darum, ob die Antwortoptionen als vollständig und richtig erachtet werden. Ganz allgemein wird überprüft, ob die Befragten immer wissen, was getan werden soll und wie viel Zeit das Ausfüllen ungefähr in Anspruch nimmt.

3.5 Online-Befragungen / On-Site-Befragungen Online-Befragungen speichern die Fragebögen direkt im Internet und machen sie über einen Link dem Befragten zugänglich. Da weder Kosten für Interviewer noch für Ausdrucke und Porto anfallen, sind sie in der Regel kostengünstiger als die Offline-Alternativen. Ihre Erstellung erfolgt mit spezieller Software, die in einfachen Versionen sogar als Open-Source-Software verfügbar ist²⁹ und mit deren Hilfe in kurzer Zeit ein Online-Fragebogen programmiert werden kann. Auf diese Weise kann die Datenerfassung ortsunabhängig vom derzeitigen Standort der Nutzer automatisch über das Netz

29 Eine aktuelle Übersicht über Software für Online-Befragungen findet sich unter: http: // www. gesis.org / unser-angebot / studien-planen / online-umfragen / software-fuer-online-befragungen // #freesoftware (Abruf: 02.06.2012).

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erfolgen. Rücklauf und aktueller Auswertungsstand können online verfolgt werden. Teilautomatisierte Auswertungen stehen häufig zur Verfügung.³⁰ Als weitere große Vorteile gegenüber den Offline-Fragebögen gelten insbesondere die relativ einfache Einbindung von multimedialen Elementen sowie Filterungen in der Fragebogenkonstruktion. Diese Aspekte sind Gründe dafür, dass der Anteil von Online-Befragungen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist. Bei der Rekrutierung der Probanden für Web-Befragungen wird zwischen der Online- und der Offline-Rekrutierung unterschieden. Bei der Online-Rekrutierung kann der Fragebogen für alle zugänglich, d.h. als offene WWW-Umfrage ins Netz gestellt werden. Die Stichproben, die auf diese Weise erzeugt werden, werden als Ad-hoc- oder Gelegenheitsstichproben bezeichnet. Internetnutzer, die auf den Fragebogen aufmerksam werden und ihn ausfüllen wollen, kommen so „auf eigene Faust“ in das Sample bzw. die Stichprobe. Dieses Phänomen wird als Selbstselektion (ohne Zugangsbeschränkung) oder passive Rekrutierung bezeichnet. Wie aus dem Begriff abgeleitet werden kann, beschließt der User selbst, Teil der Stichprobe zu werden. Nach Bortz und Döring³¹ werden auf diese Weise solche Personen zur Befragung angeregt, die thematisch besonders interessiert sind und sich häufig im Netz aufhalten. Die Ergebnisse sind also nicht allgemeingültig, was jedoch auch nicht für jede Befragung benötigt wird. Wird der Fragebogen auf einer stark frequentierten Site angeboten oder mittels Werbebannern, Popups oder Links auf verwandten Seiten auf seine Platzierung aufmerksam gemacht, können so in kurzer Zeit große Teilnehmerzahlen, ggf. sogar aus mehreren Ländern, für die Web-Befragung erreicht werden. Der Vorteil solcher On-Site-Befragungen liegt darin, dass „im Gegensatz zu einer Testung im OnlineAccess-Panel die tatsächlichen Website-Nutzer eines Unternehmens befragt werden können. Dies kann vor allem im Rahmen von Website-Tests von Vorteil sein, da die Befragungsteilnehmer beim Besuch des Internetauftritts einen authentischen Bedarf haben.“³² Für Öffentliche Bibliotheken kommen Online-Befragungen derzeit allerdings noch weniger infrage, da die Bevölkerung einer Kommune nicht flächendeckend über Online-Zugänge verfügt. Damit besitzen nicht alle gewünschten Personen die benötigten technischen Voraussetzungen, und Repräsentativität ist allein über OnlineBefragungen für Rückschlüsse auf die Gesamtpopulation einer Kommune daher ohne komplexe Gewichtungsverfahren, die in der Institutsmarktforschung derzeit im Einsatz sind, (noch) nicht möglich. Öffentliche Bibliotheken kombinieren daher häufig Online- und Printbefragung. Im Falle von wissenschaftlichen Bibliotheken

30 Konrad 2007, S. 44. 31 Bortz, Döring 2006, S. 261. 32 YouGov Psychonomics 2011.

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dagegen ist diese Befragungsform ideal, da davon ausgegangen werden kann, dass die Zielgruppe vollständig per E-Mail und Internet erreichbar ist. Es gibt allerdings auch einige nachteilige Aspekte von Online-Befragungen. So kann der Fragebogen meist nicht in seiner Gesamtheit überblickt werden. Per Programm gibt es auch die Möglichkeit, den Befragten zum Ausfüllen von Fragen zu „zwingen“, indem die entsprechenden Fragen als Pflichtfragen definiert werden, ohne deren Beantwortung ein Vorankommen in der Befragung nicht möglich ist. Dies kann jedoch zu erhöhten Abbruchquoten der Gesamtbefragung beitragen. Da die Beantwortung ortsunabhängig ist, existiert keinerlei Kontrolle über die Erhebungssituation, d.h., es gibt z.B. keine Kenntnisse darüber, wer den Fragebogen tatsächlich ausgefüllt hat.³³

4 Beobachtung Zu den Datenerhebungsarten aus der Reihe der qualitativen Methoden gehört die Beobachtung, eine der wesentlichen empirischen Forschungsmethoden, die in der Marktforschung zum Einsatz kommen. Die wissenschaftliche Beobachtung versucht im Gegensatz zu der Alltagsbeobachtung systematisch und objektiv zu sein. Das Beobachtungsobjekt wird anhand von markanten Einzelfällen ausgewählt und eingesetzt, um als Ergebnistyp Hypothesen zu gewinnen, die Allgemeingültigkeit haben. Die Beobachtungen beziehen sich auf visuelle und / oder auditive Betrachtungen von Ereignissen, sozialen bzw. interaktiven Prozessen und Situationen.³⁴ Auch ohne bewusste Kenntnis einer Person kann die Beobachtung zum Einsatz kommen,³⁵ die Daten werden indirekt erhoben.³⁶

4.1 Beobachtungstypen Unterschieden wird zwischen standardisierter vs. nicht standardisierter Beobachtung, offener vs. verdeckter Beobachtung, weiterhin zwischen teilnehmender vs. nicht teilnehmender Beobachtung sowie zwischen Beobachtungssituation im Feld oder im Labor. Die unterschiedlichsten Datenformen kommen bei einer Beobachtung zum Einsatz, z.B. altes Material wie Scherben oder Briefe, Vor-Ort-Beobachtung in besonderen Milieus oder die Analyse von Kunstobjekten. Außerdem gibt es noch die Dimensionen der Selbst- oder Fremdbeobachtung und der direkten Kontaktaufnahme

33 34 35 36

Konrad 2007, S. 44. Stangl o.J. Kaya 2007, S. 46. Lamnek 1995, S. 25.

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mit den Beobachteten oder der indirekten über Medien. Man unterscheidet folgende Formen der Beobachtung: – standardisierte Beobachtung (mit Codierschema zur Dokumentation), – nicht standardisierte Beobachtung, – offene Beobachtung, – verdeckte Beobachtung, – teilnehmende Beobachtung (z.B. Tagebuchstudien) sowie – nicht teilnehmende Beobachtung.

4.2 Der Beobachtungsprozess Die Beobachtung integriert vielfältige Verfahren innerhalb einer Forschungsstrategie.³⁷ Beobachtungen basieren auf Erkenntnissen aufgrund von Aktivitäten am Ort des Geschehens. In jedem Fall sollten die Beobachtungsdimensionen in einem Beobachtungsleitfaden festgelegt werden. Ein Beobachtungsprotokoll hält während, in den Pausen oder nach der Beobachtung die Ereignisse fest. Eine Beobachtung durchläuft folgende Phasen:³⁸

Abb. 5: Phasen der Beobachtung

Im Gegensatz zu Befragungen ist die Beobachtung nicht auf die Auskunftsfreudigkeit von Testpersonen angewiesen, auch eine Interviewbeeinflussung findet nicht statt. Mit unterstützenden Medien, wie z.B. einer Foto- oder Videokamera, können Prozesse und Ergebnisse objektiv dokumentiert werden. Sachverhalte werden erkannt, die der Testperson ggf. selbst nicht bekannt sind. Der Forscher nimmt die Ereignismatrix als Ganzes in den Fokus; gesucht wird nach „Mustern in den Daten“.³⁹ Wie bei allen qualitativen Methoden, so ist auch bei der Beobachtung der Faktor Zeit als Bezugsgröße vorhanden. Nachteilig bei Beobachtungen ist, dass sich nur Informationen gewinnen lassen, die auf dem momentanen Verhalten beruhen. Die offene Beobachtung ist mit dem Beobachtungseffekt konfrontiert. Jeder Beobachter steht unter dem Einfluss der

37 Lueger 2010, S. 40. 38 Mayring 2002, S. 64. 39 Baur 2005, S. 235.

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selektiven Wahrnehmung.⁴⁰ Das Protokollieren der Ereignisse kann ggf. vorinterpretiert sein oder aufgrund der eingesetzten Medien bzw. technischer Restriktionen Einschränkungen unterworfen sein.⁴¹ Generell lässt sich qualitative Forschung schlechter systematisieren und systematisch darstellen als die quantitative Forschung.⁴² Außerdem können folgende Probleme bei einer Beobachtung auftreten: Der Forscher findet bei einer offenen Beobachtung keinen Zugang in das Feld, ohne zu stören. Bei einer verdeckten Beobachtung kann es zu einer Art „Unterwanderung“ kommen, die eine zu starke Identifizierung mit der Gruppe zur Folge haben kann.

4.3 Umfeldbeobachtung / Marktstrukturanalyse / Einzugsgebietsanalyse Die Umfeldbeobachtung stellt den Prozess der eigenen Erhebung von Umwelt- und Umfelddaten dar.⁴³ Für Bibliotheken ist diese meist weniger wichtig im Bereich der Primärforschung, da es ausreichend Sekundärquellen gibt, die herangezogen werden können. Gleiches gilt für die Marktstrukturanalyse und die Einzugsgebietsanalyse, für die in der Regel von Bibliotheken keine eigenen Primärdaten erhoben werden.⁴⁴

4.4 Mystery Shopping Mystery Shopping ist eine seit den 1970er Jahren in Deutschland⁴⁵ bekannte Methode der qualitativen Beobachtung im Dienstleistungsbereich, die in der Literatur auch unter den Begriffen „Testkauf“ oder „Silent Shopping“ zu finden ist.⁴⁶ Seit den 1990er Jahren finden Mystery-Shopping-Untersuchungen in Bibliotheken statt.⁴⁷ Mit dieser Methode, auch definiert als „aktive, teilnehmende, verdeckte Beobachtung unter Realbedingungen“⁴⁸, kann eine Stärken-Schwächen-Analyse durchgeführt und Verbesserungspotenzial erkannt werden.⁴⁹ Die Methode des Mystery Shoppings basiert

40 Kaya 2007, S. 57. 41 Lueger 2010, S. 41. 42 Baur 2005, S. 235. 43 Siehe den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch. 44 Borchardt, Flodell, Milz, Reinhardt, Reiter 1987, S. 90 ff. 45 Deckers, Heinemann 2006, S. 16 (Anfang der1920er Jahre Start mit Kundentests von der GfK, in den 1950er Jahren Testkauf im Einzelhandel). 46 Die Begriffe „Testkauf“ oder „Silent Shopping“ werden in der Literatur nicht einheitlich verwendet. So werden unter Silent Shopping teilweise auch Kundenlaufstudien verstanden. 47 Weng 2010, S. 20. 48 Weiss 2009, S. 23. 49 Vogt 2004, S. 28.

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auf vorher festgelegten standardisierten Qualitätskriterien, die ein geschulter Testkäufer in einer realen Kauf- bzw. Servicesituation beobachtet oder ausführt und anschließend direkt dokumentiert; dabei hat er unabhängig, kritisch, objektiv und anonym zu agieren.⁵⁰ Der Mystery Shopper soll in einem vorher festgelegten Szenario unerkannt als Kunde auftreten und führt damit eine sogenannte „verdeckt teilnehmende Beobachtung“ durch.⁵¹ Er kann unterschiedliche Rollen einnehmen. Es besteht die Möglichkeit, ihn als „Checker“, als Experten oder als Kunden einzusetzen.⁵² „Checker“ sind Personen, die betriebsintern Qualitätsstandards prüfen. Experten sind fachkompetente Tester von außen, die die jeweilige Branche gut kennen. Kunden sind externe Personen, die nach ihren soziodemografischen Merkmalen dem Idealtypus eines Kunden entsprechen. Beim Einsatz von Kunden wird von einem integrativen Verfahren gesprochen. Damit Mystery Shopping erfolgreich durchgeführt werden kann, ist eine gute Vorbereitung und Einführung besonders wichtig.⁵³ Besonderes Augenmerk kann der Mystery Shopper auf die Beurteilung der Dienstleistungsqualität legen.⁵⁴ Ansonsten gelten die Voraussetzungen einer klaren Zielformulierung,⁵⁵ Zeitplanung und Koordinierung der einzelnen Untersuchungsphasen wie bei anderen qualitativen Testverfahren. Bei der Durchführung einer Mystery-Shopping-Untersuchung gibt es vier Varianten, die aufgrund der beiden Merkmalspaare face-to-face vs. non-face-to-face und Selbstbedienung vs. Bedienung / Beratung unterschieden werden können.⁵⁶

Selbstbedienung

Bedienung / Beratung

face-to-face (gesichtsabhängig)

Variante 3 Diebstahl-Test Promotion Check Store Check

Variante 1 Einkaufs-, Schalter-, Service-, Werkstatt-Test

non-face-to-face (gesichtsunabhängig)

Variante 4 Laufzeitmessung

Variante 2 Mystery Calling Mystery E-Mail Preis-Check

Tab. 3: Die vier Varianten einer Mystery-Shopping-Untersuchung

50 51 52 53 54 55 56

Voeth, Herbst, Tobies 2007, S. 4. Deckers, Heinemann 2006, S. 12. Haller 1995, S. 134 ff., auch zit. in Blümel 2004, S. 63. Barth, Garbely, Kieser 2009, S. 14. Schmidt 2007, S. 124. Warmuth, Weinhold 2005, S. 107. Deckers, Heinemann 2006, S. 13.

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Fühles-Ubach

Im Bibliotheksbereich wurden Tester bisher in erster Linie zur Qualitätsmessung des Auskunftsdienstes eingesetzt,⁵⁷ d.h., die Variante 1 wird umgesetzt. Da jede Testsituation nur eine Momentaufnahme zeigt, sollte das Testverfahren regelmäßig wiederholt werden. Die einzelnen Durchführungsetappen einer Untersuchung unterscheiden sich nur im Schritt zur Auswahl und Schulung der Tester und in der Entscheidung für eine ideale, typische Kundenberatungssituation. Mystery Shopping eignet sich auch für Bibliotheken, um solche Servicebereiche zu identifizieren, die erfolgreich sind, und andere zu erkennen, die verbesserungswürdig sind.⁵⁸ Mystery Shopping bedarf einer guten und sensiblen Vorbereitung sowie einer frühzeitigen Einbeziehung der Mitarbeiter in das Verfahren, damit sie sich nicht überwacht oder kontrolliert fühlen. Darüber hinaus müssen die Tester gründlich geschult werden. Der Kosten- und Personalaufwand ist im Vergleich zu anderen Beobachtungsmethoden gering. Eine Mischform zwischen klassischer Kundenbefragung und Mystery Shopping bietet die Möglichkeit, Kunden direkt nach einem Bibliotheksbesuch über ihre Erfahrungen berichten zu lassen, auch bekannt als Kritische Ereignismethode (Critical Incident Technique – CIT).⁵⁹ Darüber hinaus ist Mystery Shopping auch für den Vergleich verschiedener Institutionen einsetzbar, wie Barth, Garbely und Kieser 2009 in einem Vergleich mehrerer Schweizer Bibliotheken belegten.⁶⁰ Fallbeispiele für Mystery Shopping in Bibliotheken gibt es aus dem Ausland sowie in Deutschland, u.a. aus Gütersloh, Würzburg, Berlin, Münster und München.⁶¹ Weng kam 2010 zu dem Schluss, dass Mystery Shopping nicht nur Verbesserungspotenzial für das Bibliotheksangebot aufzeigt, sondern auch als Instrument zur Personalentwicklung⁶² genutzt werden kann. In einer Untersuchung in der Stadtteilbibliothek Tempelhof-Schöneberg in Berlin wurde der Effekt festgestellt, dass Mitarbeiter die Beratungs- oder Servicesituation mit dem Kunden bewusster wahrnehmen und die Kundensicht genauer verstehen.⁶³ Ein weiteres Ergebnis war, dass Kunden ihr Qualitätsurteil stark von sogenannten Value-added-Angeboten beeinflussen lassen.

57 Vogt 2004, S. 29; Weng 2010, S. 20. 58 Vogt 2004, S. 29. 59 Vgl. CIT in: http: // de.wikibooks.org / wiki / Marketing_und_Vertriebscontrolling / _Instrumente_ MVC / _Kundenzufriedenheit (Abruf: 02.06.2012). 60 Barth, Garbely, Kieser 2009, S. 3. 61 Weng 2010, S. 29. 62 Semel 2006, S. 81. 63 Weng 2010, S. 52.

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5 Panel / Online-Access-Panels Neben der Selbstselektion durch den Internetnutzer gibt es die Möglichkeit, OnlineAccess-Panels als Grundlage für Befragungen zu nutzen. Die Richtlinie 25-2005 der ESOMAR, einer weltweiten Organisation der Marktforschungsverbände, definiert ein Online-Access-Panel als eine Datenbank mit potenziellen Teilnehmern für im Web durchzuführende Befragungen. Dabei haben sich die Kunden mit der Teilnahme an Umfragen einverstanden erklärt und geben neben den Kontaktdaten auch persönliche Daten bekannt, die eine Eingruppierung in Zielgruppen ermöglichen.⁶⁴ Für diese Panels werden die Teilnehmer häufig aktiv rekrutiert, d.h. schriftlich oder mündlich (i.d.R. offline) angesprochen, damit der Panel-Betreiber die Kontrolle über die Struktur und Zusammensetzung des Teilnehmerkreises behält und das Phänomen der Selbstselektion ausgeschlossen wird. Hinter dem Aufbau von Online-Access-Panels steht die Intention, „Zielgruppen online erreichbar zu machen und deren strukturelle Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur so ähnlich wie möglich abzubilden“⁶⁵. Da nicht jede Zielgruppe gleichmäßig online erreichbar ist, eignen sich trotz der Kenntnis der demografischen Angaben auch Online-Access-Panels nicht für bevölkerungsrepräsentative Umfragen. Für einzelne Zielgruppen, bei denen die Erreichbarkeit sehr hoch ist, wie z.B. bei den 14- bis 19-Jährigen, kann jedoch unter Berücksichtigung der relevanten Parameter wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand etc. durchaus eine Allgemeingültigkeit erzielt werden. Der eMafo-Almanach sieht bei einer parallelen Offline-Rekrutierung neben der Online-Rekrutierung und einer geeigneten Gewichtung das Kriterium der Repräsentativität von Online-Access-Panels zumindest für die Gesamtheit der Internetnutzer als erfüllt an.⁶⁶ Dies bezeichnet man als Selbstselektion mit Zugangsbeschränkung oder als selbstselektiertes Panel. Wie alle Panels bieten Online-Access-Panels grundsätzlich den Vorteil, dass von denselben Teilnehmern mehrere Male die gleichen Variablen erhoben werden und auf ihnen basierende Studien (z.B. Tracking-Studien) somit Entwicklungen im Zeitverlauf oder Korrelationen anzeigen können.

5.1 Mediennutzungsverhalten Studien zum Mediennutzungsverhalten werden ebenso wie Umfeldanalysen in der Regel nicht selbst erhoben. Für einzelne Öffentliche Bibliotheken kann es sinnvoll sein, im Rahmen einer Bürgerbefragung herauszufinden, welche Präferenzen es im

64 ESOMAR 2005, Abschnitt 7. a.E. 65 Smaluhn 2007, S. 144. 66 YouGov Psychonomics 2011.

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Bereich der Mediennutzung innerhalb der Kommune gibt, um sich ggf. hinsichtlich der Produktentwicklung auf bestimmte Fakten oder Veränderungen einzustellen. Darüber hinaus existieren zahlreiche Studien zum Mediennutzungsverhalten, die für Bibliotheken durchaus aufschlussreich sind und auch ohne eigene Erhebungstätigkeiten von großem Nutzen sein können. Dazu gehören insbesondere die jährlichen ARD-ZDF-Studien zur Nutzung des Internets⁶⁷, aber auch der (N)ONLINER Atlas⁶⁸ sowie die Studien der Stiftung Lesen⁶⁹, die jährlichen KIM- und JIM-Studien⁷⁰ oder die JISC-Studien⁷¹, die direkt den bibliothekarischen Bereich betreffen. Sie alle erheben Nutzungsdaten über die Qualität und Intensität des Gebrauchs der Medien selbst und beschreiben das Mediennutzungsverhalten mithilfe von soziodemografischen Merkmalen.⁷²

6 Datenaufbereitung 6.1 Auswertung und Analyse Bevor die erhobenen Daten ausgewertet werden können, geschieht häufig eine Datenaufbereitung in dem Sinne, dass die Daten für die Auswertung und Analyse vorbereitet werden. Dazu zählen nach Kuß und Eisend insbesondere – die Editierung der vorliegenden Erhebungsbögen, – die Codierung, – die Dateneingabe, falls keine Online-Erfassung vorliegt, – die Fehlerkontrolle und – ggf. die Ergänzung fehlender Daten und deren Gewichtung.⁷³ Die Datenanalyse geschieht hauptsächlich mithilfe spezieller Software⁷⁴ unter Anwendung statistischer Verfahren. Grundsätzlich unterscheidet man hierbei die deskriptiven, beschreibenden Verfahren, deren Auswertung lediglich bedeutsam ist für den Bereich der erhobenen Daten, und die induktiven, schließenden Verfah-

67 http://www.ard-zdf-onlinestudie.de (Abruf: 05.05.2012). 68 http://www.nonliner-atlas.de (Abruf: 05.05.2012). 69 http: // www.stiftunglesen.de / leseforschung-extern (Abruf: 05.05.2012). 70 Studien zum Stellenwert von Medien im Alter von Kindern und Jugendlichen: http: // www.mpfs. de / index.php?id=11 (Abruf: 05.05.2012). 71 http: // www.jisc.ac.uk / publications.aspx (Abruf: 05.05.2012). 72 Auf weitere Aspekte zum Mediennutzungsverhalten verweist der Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 73 Kuß, Eisend 2010, S. 175. 74 Zum Beispiel SPSS oder SAS.

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ren, die von Stichprobenergebnissen auf größere Grundgesamtheiten zurückschließen. Letztere sind in der Marktforschung besonders verbreitet, weil auf diese Weise anhand einer kleinen Anzahl von Aussagen oder Untersuchungen auch auf größere Bereiche referiert werden kann.⁷⁵ Multivariate Analyseverfahren wie die Varianz- oder die Conjoint-Analyse⁷⁶, die im Marketingbereich Anwendung finden, kommen jedoch im Bibliotheks- und Informationsbereich nur in Einzelfällen, wie z.B. an der UB Bielefeld, zum Einsatz.⁷⁷

6.2 Bericht und Präsentation Projektberichte dienen der Präsentation und Zusammenfassung der Ergebnisse des Marktforschungsprozesses. Neben der Darstellung des methodischen Vorgehens ist der zentrale Aspekt die Darstellung der Ergebnisse und der Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden können. Da der Gesamtumfang eines Projektberichts häufig zahlreiche Seiten umfasst, empfiehlt es sich, die wichtigsten Ergebnisse in Form einer Managementzusammenfassung für eilige Leser voranzustellen. Für die Präsentation vor einem größeren Auditorium empfiehlt sich die grafische Darstellung der Einzelund Gesamtergebnisse mithilfe einer Präsentationssoftware, wie z.B. Powerpoint oder Prezi⁷⁸.

7 Zusammenfassung und Ausblick Die Analyse und Erforschung des Marktes und seiner Teilnehmer ist ein zentraler Aspekt für zielgruppenorientierte Marketingaktivitäten. Dabei ist die korrekte Nutzung der Methoden der empirischen Sozialforschung von zentraler Bedeutung, um Ergebnisse zu erzeugen, die valide (gültig), reliabel (zuverlässig) und vor allem wissenschaftlich abgesichert sind. Auch in Bibliotheken steigt mit neuen Dienstleis-

75 Für eine ausführliche Darstellung der statistischen Verfahren zur Datenauswertung wird auf weiterführende Literatur verwiesen. 76 Die Conjoint-Analyse stellt eine indirekte Art der Befragung dar (Conjoint Measurement), bei der Befragungsteilnehmer mehrfach jeweils mit mehreren Produktprofilen konfrontiert werden, die verschiedene Kombinationen ausgewählter Merkmalsausprägungen aufweisen. Vgl. http://www.wirtschaftslexikon.gabler.de / Definition / conjointanalyse.html (Abruf: 05.05.2012). 77 http: // conjoint.ub.uni-bielefeld.de / homepage / vortrag-HBZ_Bibliothek_Lernraum.pdf (Abruf: 05.05.2012). 78 Plattformunabhängiges webbasiertes Präsentationsprogramm. Auf der Basis von FlashTechnologie kann eine Präsentation auf einem virtuellen, unendlich großen Blatt „Papier“ erstellt werden, auf dem man sich durch Maussteuerung bewegt sowie Inhalte hinein- und herauszoomen kann (http: // www.prezi.com) (Abruf: 05.05.2012).

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tungen die Anzahl der Erhebungen und Auswertungen, die in unterschiedlichen Kontexten durchgeführt werden. Da durch das Internet die Möglichkeiten der Befragung von Kunden einfacher und zahlreicher geworden sind, kommt der Qualität der Untersuchungen zukünftig noch mehr als bisher eine tragende Rolle zu.

Literaturverzeichnis Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung. 13. Aufl. Berlin, 2010 Barth, Robert; Garbely, Karin; Kieser, Marita: Mystery Shopping als Bewertungsmethode der Dienstleistungsqualität von Bibliotheken. Chur, 2009 Bassen, Günter: Aus der Defensive in die Offensive. In: BUB 59 (2007) 7 / 8, S. 538 – 539 Baur, Nina: Verlaufsmusteranalyse. Methodologische Konsequenzen der Zeitlichkeit sozialen Handelns. Wiesbaden, 2005 Blümel, Hermann: Mobilitätsdienstleister ohne Kunden: Kundenorientierung im öffentlichen Nahverkehr. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 2004. – (Discussion Paper SP III 2004-109) Borchardt, Peter; Flodell, Charlotta; Milz, Michael; Reinhardt, Klaus; Reiter, Gerhard: Eine Marketingkonzeption für Öffentliche Bibliotheken. Deutsches Bibliotheksinstitut, 1987 Borg, Ingwer: Mitarbeiterbefragungen – kompakt. Göttingen, 2002 Bortz, Jürgen; Döring, Nicola: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. 4 Aufl. Springer, 2006 Deckers, Ralf; Heinemann, Gerd: Mystery Shopping – Mit Testkäufen Verkauf und Service nachhaltig verbessern. Göttingen, 2006 ESOMAR: Conducting Market and Opinion Research Using the Internet. 2005. Download als PDF z.B. unter: http: // www.afg-research.com / doc_privacy / ESOMAR_codes_guidelines_conducting_research_ using_internet.pdf; http: // www.mrsa.com.au / files / ESOMAR-Internet%202006.pdf (Abruf jeweils: 08.12.2011) Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Hamburg, 2007 Häder, Michael: Empirische Sozialforschung. Wiesbaden, 2010 Häder, Michael; Häder, Sabine: Die Delphi-Technik in den Sozialwissenschaften: Methodische Forschungen und innovative Anwendungen. Wiesbaden, 2000 Haller, Sabine: Beurteilung von Dienstleistungsqualität. Dynamische Betrachtung des Qualitätsurteils im Weiterbildungsbereich. Wiesbaden, 1995 Kalka, Jochen; Allgayer, Florian: Zielgruppen – wie sie leben, was sie kaufen, woran sie glauben. Landsberg: mi-Fachverlag, 2006 Kaya, Maria: Verfahren der Datenerhebung. In: Albers, Sönke; Klapper, Daniel; Konradt, Udo; Walter, Achim; Wolf, Joachim (Hrsg.): Methodik der empirischen Forschung. Wiesbaden, 2007 Keller, Alice: Elektronische Zeitschriften im Wandel: Eine Delphi-Studie. Wiesbaden, 2001 Konrad, Klaus: Mündliche und schriftliche Befragung: Ein Lehrbuch. Landau, 2007 Kuß, Alfred; Eisend, Martin: Marktforschung: Grundlagen der Datenerhebung und Datenanalyse. 3. Aufl. Gabler, 2010 Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Weinheim, 1995 Lehrstuhl für Lehr-Lernforschung der Ruhr-Universität Bochum: Informationsblatt zur Erstellung empirischer Qualifizierungsarbeiten am Lehrstuhl für Lehr-Lernforschung. 2010, S. 2.

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Frauke Schade

Chancen und Grenzen der Marktsegmentierung auf der Grundlage von Milieustudien für Öffentliche Bibliotheken 1 Einleitung Die schnelle technologische Entwicklung und das Auseinanderdriften von Märkten stellen Individuum und Gesellschaft in der Postmoderne vor enorme Herausforderungen: Das Koordinatensystem, in dem das Leben und Denken in der industriellen Moderne befestigt ist – die Achsen von Familie und Beruf, der Glaube an Wissenschaft und Fortschritt −, gerät ins Wanken, und es entsteht ein neues Zwielicht von Chancen und Risiken.¹

Der Arbeitsplatz, die Partnerschaft, die Rente – nichts ist mehr sicher. Die steigende Gefährdungslage des Einzelnen führt zu einer „neuen Unübersichtlichkeit“² und zu einem „Plausibilitätsverlust in der Persönlichkeitsstruktur“³. In einer Atmosphäre aus Beschleunigung, Instabilität und Fragmentierung verlieren gesellschaftskonstituierende Werte und Tugenden der Moderne wie Arbeitsethos oder Solidarität an Bedeutung bzw. werden anders interpretiert.⁴ Vor dem Hintergrund einer empfundenen Unsicherheit und Nutzlosigkeit in der Schnelllebigkeit der Zeit tritt an ihre Stelle die Inszenierung des eigenen Ichs ohne biografische Kontinuität. Individualisierung, Selbstverwirklichung und -darstellung sind seit Ende der 1960er Jahre die Paradigmen, die westliche Industriegesellschaften prägen und die Grundlage für die postmoderne Gesellschaft darstellen.⁵ Die Gestaltung der Identität betont dabei stets das Eigene, in dem das Fremde zurückgewiesen wird.⁶ Distinktion und Abgrenzung sind die identitätsstiftenden Strategien, die nicht nur individualistisch, sondern auch gruppenkonstitutiv bzw. milieubildend wirken.⁷ Dabei ist die Gesellschaft immer weniger über soziodemografische und -ökonomische Variablen klassischer Verge-

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Beck 1986, S. 20. Habermas 1985. Siehe den Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. Vgl. Sennett 2005. Siehe Abschnitt 3.4 im Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. Ebd. Vgl. Klein 2001, S. 141.

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Schade

sellschaftungsmodelle – wie etwa dem Schichtenmodell – beschreibbar, sondern sie muss über die gesamte Lebenswelt sozialer Milieus erklärt werden: Soziale Milieus beschreiben Gruppen Gleichgesinnter mit ähnlichen Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten.⁸

Durch die Multioptionalität und die hohe Veränderungsdynamik der Gesellschaft differenzieren sich soziale Milieus stetig aus und prägen ein heterogenes Gesellschaftsbild, das nicht nur Unternehmen, sondern auch Kommunen vor die Herausforderung stellt, gesellschaftlich relevante Angebote zu unterbreiten.⁹ Die hohe Heterogenität der Gesellschaft spiegelt sich in der zunehmenden Segregation des kommunalen Raumes wider. Das sogenannte Nachbarschaftsaffinitätsprinzip¹⁰ lässt sich sprichwörtlich beschreiben mit „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ und zeigt, dass die Wahl des Wohnortes nicht nur von ökonomischen Faktoren und strategischen Überlegungen zur Infrastruktur, wie etwa der Nähe zum Arbeitsplatz, der Verkehrsanbindung oder Einkaufsmöglichkeiten, abhängig ist, sondern vor allem auch von dem Lebensstil und dem Zugehörigkeitsgefühl zu einem sozialen Milieu: Die Stadt als Form des Zusammenlebens vieler Fremder mit grundsätzlich gleichen Rechten wird abgelöst durch den „Kiez“ des Vertrauten und Eigenen.¹¹

Diese Segregationsprozesse zeichnen sich insbesondere in Städten ab und führen zu einer Polarisierung der Bevölkerung, indem sich Bevölkerungsgruppen mit ähnlichem sozialen Status oder ethnisch-religiöser Orientierung auf bestimmte Stadtteile konzentrieren. Integration und der Ausgleich sozialer Ungleichheit gehört zur Daseinsvorsorge von Kommunen, indem auf das spezifische soziale Setting und die Problemlagen von Stadtteilen eingegangen wird. Dies stellt nicht nur die Kommunalpolitik und -verwaltung vor hohe Herausforderungen, sondern auch diejenigen Einrichtungen, die mit einem öffentlichen Auftrag ausgestattet sind, kommunale Zielsetzungen umzusetzen. Eine milieuspezifische Profilierung von Angeboten öffentlicher Einrichtungen, die auf die spezifische Disposition und Problemlagen vor Ort reagieren kann, ist so nicht nur einem Marketinggedanken geschuldet, sondern auch der Gewährleistung von Integration, dem Ausgleich sozialer Ungleichheit und der Förderung der Bevölkerung in ihrer spezifischen Sozialstruktur vor Ort. Vor diesen Hintergrund wurden in den 1980er Jahre Disparitäts- und Ungleichheitsstudien in Stadtforschung und -entwicklung vorangetrieben.¹² Unternehmen

8 Hradil 2001, S. 425. 9 Vgl. Sinus 2010a; Weigel 2010. 10 Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 193. 11 Göschel 2012, S. 58. 12 Siehe Abschnitt 2 im Beitrag „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch.

Marktsegmentierung

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verwenden seit den 1980er Jahren Erkenntnisse aus der Lebensstil- und Milieuforschung zur Marktsegmentierung und strategischen Marketingplanung, um dem Auseinanderdriften der Gesellschaft wirksam begegnen und attraktive Angebote entwickeln zu können. In der Regel haben Bibliotheken jedoch keine Kenntnis über die spezifische Milieustruktur vor Ort bzw. haben keine Daten, die es erlauben würden, kommunale Daten im Zusammenhang mit umfassenderen Milieustudien zu nutzen. Nur wenige Städte und Kommunen in Deutschland nutzen in diesem Zusammenhang microm Geo Milieus¹³ oder machen diese für öffentlich finanzierte Einrichtungen zugänglich.¹⁴ Insgesamt und im Besonderen für Bibliotheken fehlen darüber hinaus „milieuorientierte Standards, die die sozialen und kommunikativen Kompetenzanforderungen klären und überprüfen“¹⁵. Marktforschung und insbesondere Kenntnisse aus der Milieu- und Lebensstilforschung würden entscheidend dazu beitragen, Zielgruppen präzise zu beschreiben und den lokalspezifischen Bedarf zu klären, um gesellschaftlich relevante Angebote entwickeln zu können, aber auch um nachhaltig Kundenzufriedenheit und -bindung herzustellen. In der bibliothekarischen Praxis zeigt sich bisher, dass Öffentliche Bibliotheken Zielgruppen anhand von Rollen oder soziodemografischen Daten beschreiben. Diejenigen Bibliotheken, die mit dem Milieuansatz arbeiten, schätzen in der Regel anhand des Sinus-Milieu®-Modells die für sie relevanten Milieus und leiten daraus Konsum-, Freizeit- und Mediennutzungspräferenzen ihrer Anspruchsgruppen auf der Grundlage relativ unspezifischer Milieuaussagen von Sekundärstudien ab. Oder sie setzen einfachere Modelle wie das Lebensstilkonzept von Gunnar Otte ein und führen eigene empirische Untersuchungen zur Milieuverortung ihrer Kunden durch.¹⁶ Beide Herangehensweisen sind legitim, weil sie dem Anspruch geschuldet sind, Zielgruppen trotz kapazitärer Grenzen umfassender zu beschreiben, als das über soziodemografische und -ökonomische Variablen möglich ist. Beide Herangehensweisen sind aber auch nicht genau und müssen in ihrer Aussagekraft hinterfragt werden. Die Schätzung der Milieus vor Ort bleibt spekulativ. Die Erhebung der Milieuverteilung von Bibliothekskunden bildet nur diejenigen Milieus ab, die von Bibliotheken bereits erreicht werden. Diese müssen jedoch nicht zwangsläufig übereinstimmen mit der tatsächlichen Milieustruktur in der Kommune, weshalb keine Aussagen darüber getroffen werden können, wie treffsicher die Bibliothek die Bevölkerung vor Ort tatsächlich erreicht. Insgesamt entspricht die genannte Praxis nicht den Anforderungen, die sich an eine aussagekräftige Marktsegmentierung stellen.

13 Geo-Milieus zeigen, wie die Milieus auf verschiedenen geografischen Ebenen der Kommune (z.B. Stadtteile) verortet sind. 14 Vgl. Bassen 2007; E-Mail-Auskunft Nicole Oehl / microm am 14.03.2011. 15 Motzko 2008, S. 53. 16 Vgl. Szlatki 2010.

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Schade

Wie können Bibliotheken zu einer präzisen Zielgruppenbeschreibung und Marktsegmentierung kommen, um ihre Angebote entsprechend zu profilieren? In diesem Beitrag wird zunächst dargestellt, welche Anforderungen sich an eine präzise Zielgruppenanalyse und Marktsegmentierung stellen und wie diese in das Marketingmanagement, insbesondere in die Marktanalyse, von Bibliotheken eingeordnet wird. Im Anschluss daran wird gezeigt, wie Erkenntnisse aus der Milieu- und Lebensstilforschung für die Zielgruppenbeschreibung und Marktsegmentierung von Bibliotheken genutzt werden können, wo ihre Grenzen, aber auch bisher wenig beachtete Perspektiven liegen. Dazu wird das aktuelle Sinus-Milieu®-Modell sowie die bisher im Bibliotheksbereich wenig bekannte Studie „Typologie der Wünsche“ vorgestellt. Da insbesondere die mikrogeografische Marktsegmentierung für Bibliotheken relevant ist, werden schließlich Instrumente der mikrogeografischen Marktsegmentierung aufgezeigt. Ziel dieses Beitrages ist es, Bibliotheken ein methodisches Spektrum zur Zielgruppenbeschreibung und Marktsegmentierung vorzustellen und in das Marketingmanagement einzuordnen. Dabei soll insbesondere gezeigt werden, dass für Bibliotheken, die mit dem Milieuansatz arbeiten wollen, eine präzise Marktsegmentierung nur im Zusammenspiel verschiedener Methoden leistbar ist. Wie präzise die Marktsegmentierung von Bibliotheken dann vorgenommen wird, wird abhängig sein von den zur Verfügung stehenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen, aber auch von dem vorhandenen Know-how bzw. der Unterstützung ihrer kommunalen Träger.

2 Zielgruppen im Fokus von Marktanalyse und -segmentierung Die Erforschung der Zielgruppen und ihrer Disposition in Werthaltungen, Einstellungen und Präferenzen sowie ihrer sozioökonomischen und -demografischen Bedingungen ist der Marktanalyse und -segmentierung zuzuordnen. Die Marktanalyse liefert Daten, die für die Prognose zukünftiger Kunden-, Wettbewerbs- und Umfeldentwicklungen relevant sind. Neben der Nachfrageanalyse werden darüber hinaus Wettbewerber und Umfeldentwicklungen sowie das Potenzial der eigenen Einrichtung bewertet, um Differenzierungs- und Wettbewerbsvorteile zu eruieren und die Einrichtung erfolgreich am Markt zu positionieren. Ziel der Marktanalyse ist insgesamt „[…] die Aufdeckung von Chancen und Risiken und damit die Schaffung einer Informationsgrundlage zur Unterstützung sämtlicher Marketingaktivitäten“¹⁷. Dabei wird deutlich, dass die sogenannte Nachfrageanalyse nur ein Analysefeld innerhalb der Marktanalyse darstellt und immer im Kontext weiterer Marktforschungsergebnisse interpretiert werden sollte.

17 Bruhn 2005, S. 100.

Marktsegmentierung

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In der Marktanalyse wird generell zwischen Primär- und Sekundärforschung unterschieden. Unter Primärforschung versteht man die zielgerichtete Datenerhebung zur Beantwortung marktrelevanter Fragen auf der Grundlage von Methoden der empirischen Sozialforschung. Die dabei gängigen Erhebungsverfahren − Beobachtung, qualitative und quantitative Befragung sowie Experiment − werden in diesem Handbuch in dem Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach vorgestellt. In der Sekundärforschung wird vorhandenes Informationsmaterial unter spezifischen, marktrelevanten Fragestellungen und mit verschiedenen Methoden der Marktforschung und des strategischen Marketings, wie z.B. der Faktoren- oder Clusteranalyse, ausgewertet. Quellen der Sekundärforschung sind unternehmensintern z.B. Kundendaten, Beschwerdefälle, Ausleihzahlen, Kundenanfragen etc.; unternehmensextern können Daten der statistischen Ämter aus statistischen Jahrbüchern, Veröffentlichungen wissenschaftlicher Institute und Marktforschungsunternehmen sowie Geschäfts- und Jahresberichte anderer Unternehmen und branchenübliche Statistiken, wie in diesem Kontext die Deutsche Bibliotheksstatistik¹⁸ oder der BIX¹⁹, zur Auswertung herangezogen werden. Im Hinblick auf den Kundenbedarf kann es für Bibliotheken hier durchaus sinnvoll sein, neben der Sinus-Studie weitere sozialwissenschaftliche und Markt- sowie Verbraucherstudien auszuwerten, die kostenfrei zur Verfügung stehen. Zu nennen sind u.a. die Typologie der Wünsche²⁰, die VuMa²¹ sowie die ARD / ZDF-Online-Studie²² oder Studien der Stiftung Lesen, gegebenenfalls im Hinblick auf Kinder und Jugendliche auch die KIM-Studie²³, die JIM-Studie²⁴, die SHELL-Studie oder die Studie U27²⁵. Darüber hinaus geben auch Verbände, Kirchen und Vereine  – wie z.B. der Börsenverein des Deutschen Buchhandels²⁶  – Studien heraus, die auf das Sinus-Milieu®-Modell rekrutieren, in der Regel aber nicht vollständig frei veröffentlicht werden. Unter Marktsegmentierung wird „die Aufteilung eines Gesamtmarktes in bezüglich ihrer Marktattraktion intern homogene und untereinander heterogene Untergruppen (Marktsegmente) sowie die Bearbeitung eines oder mehrerer Marktsegmente verstanden“²⁷. Dabei sind „Marktsegmente […] nachfrageseitig zu verstehen, d.h., es handelt sich um Gruppen von Konsumenten bzw. um eine Gruppierung von

18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. Deutsche Bibliotheksstatistik: http: // www.hbz-nrw.de / angebote / dbs / (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Der Bibliotheksindex: http: // www.bix-bibliotheksindex.de / (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Typologie der Wünsche: http: // www.imuk.de / tdw.html (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Verbrauchs- und Medienanalyse: http: // www.vuma.de / (Abruf: 05.05.2012). Vgl. ARD / ZDF-Online-Studie: http: // www.ard-zdf-onlinestudie.de / (Abruf: 05.05.2012). Vgl. KIM-Studie: http: // www.mpfs.de / index.php?id=10 (Abruf: 05.05.2012). Vgl. JIM-Studie: http: // www.mpfs.de / index.php?id=11 (Abruf: 05.05.2012). Vgl. Wippermann, Calmbach 2008. Vgl. Börsenverein 2007. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 182.

212

Schade

Zielkunden“²⁸. Die etwas abstrakte Definition meint darüber hinaus, dass Segmentierungskriterien im Vorfeld so definiert werden müssen, dass Zielgruppen trennscharf dargestellt werden können, indem sie sich im Hinblick auf die eingesetzten Marketinginstrumente homogen verhalten und sich darin maßgeblich von anderen Zielgruppen unterscheiden.²⁹ Dazu müssen sie Kaufverhaltensrelevanz aufweisen und messbar sein, wodurch auch sichergestellt wird, dass die Zielgruppe (vor Ort) existiert.³⁰ Als Marktsegmentierungskriterien werden in der Regel soziodemografische, sozioökonomische, psychografische und verhaltensorientierte Kriterien herangezogen. Unter die soziodemografischen Segmentierungskriterien fallen u.a. Alter, Geschlecht, Familienstand, Haushaltsgröße sowie Anzahl der Kinder.³¹ Sozioökonomische Segmentierungskriterien werden über die Parameter Ausbildung, Beruf und Einkommen festgelegt.³² Zu den psychografischen Segmentierungskriterien gehören Persönlichkeitsmerkmale wie Lebensstil, soziale Orientierung sowie produktspezifische Merkmale, die sich über Motive, Nutzenvorstellungen, spezifische Einstellungen  – z.B. Qualitätsanspruch oder Kaufabsichten  – beschreiben lassen.³³ Darüber hinaus haben verhaltensorientierte Kriterien Relevanz, da über diese Merkmale das beobachtbare Verhalten beschrieben werden kann. Deshalb werden insbesondere verhaltensorientierte Kriterien auch eigenständig zur Markterfassung unter spezifischen Fragestellungen berücksichtigt, indem beispielsweise evaluiert wird, wie gut einzelne Produkte beim Kunden ankommen. Zu den verhaltensorientierten Kriterien gehören z.B. Marken- oder Geschäftstreue, Preissensibilität oder Mediennutzungsverhalten.³⁴ Einen ersten Einstieg in die Marktsegmentierung liefern oft geografische Segmentierungskriterien. Die makrogeografische Marktsegmentierung bezieht sich dabei auf größere geografische Flächen wie Bundesländer, Landkreise oder Kommunen; die mikrogeografische Marktsegmentierung auf kleinere räumliche Einheiten, wie beispielsweise Ortsteile oder einzelne Straßenzüge.³⁵

28 29 30 31 32 33 34 35

Seidler-de Alwis 2011. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 189. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 190. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 194. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 195. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 191, 197. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 191, 206. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 193.

Marktsegmentierung

213

2.1 Psychografische Marktsegmentierung auf der Grundlage von Milieumodellen und Lebensstiltypologien Wie bereits festgestellt wurde, ist eine Marktsegmentierung auf der Grundlage soziodemografischer und sozioökonomischer Variablen heute nicht mehr ausreichend. Um Zielgruppen präzise zu beschreiben, müssen auch psychografische und verhaltensorientierte Parameter mit berücksichtigt werden. Seit den 1980er Jahren gewinnen die Lebensstil- und die Milieuforschung zur Marktsegmentierung und strategischen Marketingplanung an Relevanz, die die genannten Segmentierungskriterien in ihren Erklärungsmodellen miteinander verknüpfen und zu Lebensstilen bzw. sozialen Milieus verdichten.³⁶ Lebensstilkonzepte und Milieumodelle wurden nicht ausschließlich für das Marketing, sondern aus verschiedenen Forschungsperspektiven heraus entwickelt und finden ihren Ursprung vor allem in der Soziologie. In der politischen Kulturforschung modellierte Mario Rainer Lepsius unter Bezugnahme auf Émile Durkheim bereits in den 1960er Jahren den Begriff des sozialen Milieus in einer Studie über das Wahlverhalten in der Weimarer Republik. Ebenso war Pierre Bourdieus Theorie zur sozialen Ungleichheit impulsgebend für die Lebensstil- und Ungleichheitsforschung, die in den 1990er Jahren in Deutschland vor allem von Michael Vester vorangetrieben wurde. Im Marketingkontext wurde der Begriff des Lebensstils erstmals von William Lazer 1963 verwendet.³⁷ 1980 legten der Sozialwissenschaftler Jörg Ueltzhöffer und der Psychologe Berthold Bodo Flaig³⁸ unter dem Titel „Lebensweltanalyse: Exploration zum Alltagsbewusstsein und Alltagshandeln“ eine viel beachtete Studie vor, die später unter dem Namen Sinus-Milieus® bekannt wurde und das „soziologische Verständnis nachindustrieller Gesellschaften maßgeblich erweiterte“³⁹. Heute existiert zu Marktforschungszwecken eine Vielzahl unterschiedlicher Typologien, die sich im Wesentlichen durch die zugrunde liegenden Fragestellungen und die unterschiedliche Kombination von Lebensstilmerkmalen unterscheiden.⁴⁰ Im Marketing wird Milieumodellen und Lebensstiltypologien eine zunehmend hohe Bedeutung zugemessen, wobei die verschiedenen Ansätze in der Regel mit weiteren organisationsspezifischen Fragestellungen im Rahmen der Markt- bzw. auch Auftragsforschung verknüpft werden.⁴¹

36 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 200. 37 Vgl. Klein 2001, S. 140. 38 Jörg Ueltzhöffer gründete 1990 das Sigma-Institut; Bodo Flaig leitet das SINUS-Institut. Beide Unternehmen gehören heute zu den führenden Anbietern von Milieustudien. 39 Vgl. Ascheberg 2006, S. 2 f. 40 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 201. 41 Ebd.

214

Schade

2.2 Das Sinus-Milieu®-Model

Oberschicht / Obere Mittelschicht

Bei dem Sinus-Milieu®-Modell wird die Gesellschaft in zehn Milieus differenziert und in einer Matrix abgebildet, die auf der Ordinate (y-Achse) die soziale Lage anhand von Schichten und auf der Abszisse (x-Achse) die Grundorientierung anhand von Einstellungen und Wertorientierungen darstellt. Die Kombination aus beiden Merkmalen ergibt die Position des Milieus in der Matrix, das in seiner prozentualen Größe und Reichweite dargestellt wird, weshalb die Matrix auch als „Kartoffelgrafik“ bezeichnet wird.⁴² Dabei gehört es zum Milieukonzept, dass die Grenzen zwischen den SinusMilieus® fließend sind und sich überlappen können (siehe Abb. 1).⁴³

L ibe r a lI n te lle k tu e lle K o n s e r v a tiv E ta blie r te

7%

P erform er 7% E x pe d itiv e

10% Mittlere Mittelschicht

S o z ia lö k o lo g is c h e 7%

B ü r g e r lic h e M itte

6% A d a ptiv P r a g m a tis c h e 9%

14% 15% H e d o n is te n

S o z ia le L a g e

Untere Mittelschicht / Unterschicht

T r a d itio n e lle

15% Prekäre 9% © S in u s u n d m icr om

G r u n do r ie n tie r u n g Festhalten

B ewahren

T r a ditio n Traditions- Modernisierte verwurzelung Tradition

Haben & G enießen

S ein & Verändern

M o de r n is ie r u n g / I n div idu a lis ie r u n g Lebensstandard, Status, Besitz

Selbstverwirklichung, Emanzipation, Authentizität

Machen & E rleben

Grenzen überwinden

N e u o r ie n tie r u n g Multioptionalität, Beschleunigung, Pragmatismus

Exploration, Refokussierung, neue Synthesen

Abb. 1: Sinus-Milieus® 2010 (SINUS 2010)

Die Veränderungsdynamik der Gesellschaft macht es notwendig, dass das Modell auf der Grundlage umfangreicher qualitativer Befragungen sowie ihrer quantitativen Modellierung regelmäßig überarbeitet wird. Ende August 2010 gab die SINUS Marktund Sozialforschung GmbH das aktuelle Modell heraus, das wie das Modell von 2001 ebenfalls zehn Milieus berücksichtigt, sich aber hinsichtlich der Milieus grundlegend verändert hat.⁴⁴ Mehrere aktuelle Trends, die die deutsche Gesellschaft aktuell und nachhaltig beeinflussen, verändern dabei die innere Struktur der Milieus. Dazu

42 Vgl. Koch, Neuwöhner 2010, S. 93; Weigel 2010. 43 Vgl. Koch, Neuwöhner 2010, S. 94. 44 Vgl. Weigel 2010.

Marktsegmentierung

215

gehören demografische Verschiebungen sowie der Wandel der Sozialstruktur und Arbeitswelt und der damit verbundene technologische, soziokulturelle und ökonomische Wandel.⁴⁵ Insgesamt zeigt das neue Sinus-Milieu®-Modell, dass der Lebensund Wertekanon weiter auseinanderdriftet und die Standardisierbarkeit von Lebensläufen abnimmt, sodass die Milieuforschung davon ausgeht, dass es in Zukunft immer schwieriger werden wird, „große“ gesellschaftliche Milieus zu beschreiben.⁴⁶ Im Vergleich zu dem Modell von 2001 zeigt sich in dem aktuellen Milieumodell, dass Milieus sich neu konstituiert bzw. bestehende Milieus sich verlagert haben. So sind neue Milieus, wie das Prekäre Milieu oder das Sozialökologische Milieu, in dem Milieumodell von 2010 hinzugekommen; das Milieu der DDR-Nostalgiker oder das konsummaterialistische Milieu sind aus der aktuellen Milieulandkarte verschwunden.⁴⁷ Die Veränderung der inneren Struktur der Milieus machte darüber hinaus eine Veränderung der Milieubezeichnung notwendig. In Tab. 1 sind die aktuellen Milieus in einer kurzen Charakteristik dargestellt.

Sozial gehobene Milieus Konservativ-etabliertes Milieu 10 % MGM_S_KET

Das klassische Establishment: Verantwortungs- und Erfolgsethik; Exklusivitäts- und Führungsansprüche versus Tendenz zu Rückzug und Abgrenzung

Liberal-intellektuelles Milieu 7% MGM_S_LIB

Die aufgeklärte Bildungselite mit liberaler Grundhaltung und postmateriellen Wurzeln: Wunsch nach selbstbestimmtem Leben, vielfältige intellektuelle Interessen

Milieu der Performer 7% MGM_S_PER

Die multioptionale, effizienzorientierte Leistungselite mit globalökonomischem Denken und stilistischem Avantgarde-Anspruch: hohe IT- und Multimedia-Kompetenz

Expeditives Milieu 6% MGM_S_EPE

Die unkonventionelle kreative Avantgarde: hyperindividualistisch, mental und geografisch mobil, digital vernetzt und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und nach Veränderung

Milieus der Mitte Bürgerliche Mitte 14 % MGM_S_BUM

Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream: generelle Bejahung der gesellschaftlichen Ordnung; Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen

45 Vgl. Sinus 2010a; Weigel 2010. 46 Vgl. Sinus 2010a; Weigel 2010. 47 Vgl. Krauß-Leichert, Schade 2011a.

216

Schade

Adaptiv-pragmatisches Milieu 9% MGM_S_PRA

Die zielstrebige junge Mitte der Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül: erfolgsorientiert und kompromissbereit, hedonistisch und konventionell, flexibel und sicherheitsorientiert

Sozialökologisches Milieu 7% MGM_S_SOK

Idealistisches, konsumkritisches / -bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom „richtigen“ Leben: ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen; Globalisierungs-Skeptiker, Bannerträger von Political Correctness und Diversity

Milieus der unteren Mitte / Unterschicht Traditionelles Milieu 15 % MGM_S_TRA

Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs- / Nachkriegsgeneration: in der alten kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur verhaftet

Prekäres Milieu 9% MGM_S_PRE

Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments: Anschluss halten an die Konsumstandards der breiten Mitte als Kompensationsversuch sozialer Benachteiligungen; geringe Aufstiegsperspektiven und delegative / reaktive Grundhaltung, Rückzug ins eigene soziale Umfeld

Hedonistisches Milieu 15 % MGM_S_HED

Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mittelschicht: Leben im Hier und Jetzt, Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft

Tab. 1: Kurzcharakteristik der Sinus-Milieus®

Um auch die Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund abzubilden, hat SINUS im Auftrag eines Gremiums von Vertretern aus Politik, Medien und Verbänden in einer qualitativen ethnografischen Leitstudie die Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland untersucht und acht unterschiedliche Migranten-Milieus identifiziert, beschrieben und quantitativ bestätigt.⁴⁸ Darüber hinaus wurden von dem Unternehmen für 18 Nationen spezifische Milieus exploriert und validiert. Daraus wurden Sinus-Meta-Milieus® entwickelt, die im Ländervergleich kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede widerspiegeln und die sich so für internationales Marketing einsetzen lassen.⁴⁹ Zudem gibt die Sinus-Milieustudie „U27  – Wie ticken Jugendliche“ Auskunft über die Lebenswelt von Jugendlichen in ihrer Milieuverortung.⁵⁰ Es gehört zu dem Geschäftsmodell von SINUS, dass das Unternehmen seine umfangreichen Milieukenntnisse nicht frei öffentlich zugänglich macht, sondern lediglich Kurzcharakteristika der verschiedenen Milieus. Zwar rekrutieren zahlreiche

48 Vgl. Sinus 2008. 49 Vgl. Sinus-Website o.J. 50 Vgl. Wippermann, Calmbach 2008.

Marktsegmentierung

217

sozialwissenschaftliche und Markt-Media-Studien auf das Sinus-Milieu®-Modell, wie z.B. sinusbasierte Studien im Auftrag des Deutschen Börsenvereins; sie bilden jedoch die Milieus in der Regel unter spezifischen Fragestellungen und somit nicht vollständig ab, und sie sind auch nicht frei öffentlich zugänglich.⁵¹ Im Gegensatz dazu liefert die Verbraucherstudie „Typologie der Wünsche“ sehr aussagekräftige und repräsentative Daten zur Lebenseinstellung sowie zu dem Konsum-, Freizeit- und Medienverhalten der verschiedenen Milieus.⁵²

2.3 Typologie der Wünsche Die Typologie der Wünsche wird jährlich von dem Institut für Medien- und Konsumentenforschung − IMUK⁵³ herausgegeben. Die Studie entspricht den Vorgaben des Mikrozensus⁵⁴ und beruht auf computergestützten, persönlichen Interviews, die monatlich per Zufallsstichprobe erhoben werden. Die Grundgesamtheit bezieht sich auf die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren sowie auf EU-Ausländer und „weitere Ausländer“, sofern sie einen Schulabschluss besitzen bzw. gegenwärtig eine Schule besuchen. Mit rund 20.000 Befragten in jeweils zehn Monatswellen innerhalb von zwei Jahren gehört die Typologie der Wünsche zu den größten Verbraucherstudien in Deutschland.⁵⁵ Die Studie gliedert sich in die Bereiche Menschen, Medien und Märkte. In dem Bereich Menschen werden soziografische und -ökonomische Parameter sowie psychografische und verhaltensorientierte Merkmale dargestellt. Die Aussagen beziehen sich auf Einstellungen zu „grundsätzlichen gesellschaftlichen Themen als auch zu Konsum- und Freizeitverhalten, Umwelt und Ernährung sowie zur Werbung“⁵⁶. Seit 1995 integriert die Typologie der Wünsche dazu auch das Sinus-Milieu®-Modell. Im Bereich Medien wird das Lese- und Mediennutzungsverhalten abgefragt. Dazu wertet das Institut mehr als 160 Zeitschriften und zehn überregionale Tageszeitungen aus, ebenso wie TV, Kino und die Nutzung von ca. 150 Internetseiten.⁵⁷ In dem Bereich

51 Vgl. Börsenverein 2007. 52 Vgl. Typologie der Wünsche: http: // www.tdwi.de (Abruf: 05.05.2012). 53 Vgl. Institut für Konsum- und Medienforschung: http: // www.imuk.de (Abruf: 05.05.2012). 54 „Der Mikrozensus ist eine laufende Haushaltsstichprobe, bei der jährlich 1 Prozent aller Haushalte befragt wird. Er dient der Bereitstellung von statistischen Informationen über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt.“ Gabler Wirtschaftslexikon (Abruf: 05.05.2012). 55 Vgl. Typologie der Wünsche 2011: http: // www.imuk.de / Images / TdW / untersuchungssteckbrief_ tdw.pdf / (Abruf: 05.05.2012). 56 Vgl. http: // www.imuk.de / tdw / tdwmenschen.html (Abruf: 05.05.2012). 57 Vgl. http: // www.imuk.de / tdw / tdwmedien.html (Abruf: 05.05.2012).

218

Schade

Märkte werden Einstellungen und Konsumpräferenzen zu 1.800 Marken in 94 Marktsegmenten abgefragt.⁵⁸ Für allgemeine Abfragen oder den Vergleich von Zielgruppen, auf der Grundlage von verschiedenen soziodemografischen, -ökonomischen sowie psychografischen Parametern aus den oben genannten Bereichen, stellt das Institut auf seiner Website kostenfrei eine Datenbank zur Verfügung, über die auch komplexere Abfragen zu den genannten Merkmalen gestartet und in Kreuztabellen dargestellt werden können.⁵⁹ Dabei erlaubt das Instrument auch eine geografische Eingrenzung, z.B. auf Regierungsbezirksebene, und ist für die Zielgruppensegmentierung von Bibliotheken interessant, um Einstellungen und Präferenzen zu eruieren und Trends zu lokalisieren. Allerdings verlangt die komplexe Datenbank auch einiges Know-how, Zielgruppen zu definieren und aussagekräftige Verknüpfungen von Merkmalen zur Zielgruppenbeschreibung herzustellen. Sinusbasierte Auswertungen sowie dezidierte Aussagen zum Mediennutzungsverhalten können über das Online-Instrument nicht abgefragt werden. Die komplexe Lebenswelt verschiedener sozialer Milieus kann somit darüber nicht abgebildet werden. Dafür bietet das Institut an, Auftragsrecherchen durchzuführen, die sich nach Aufwand berechnen.⁶⁰ So können umfangreiche und äußerst aussagekräftige sinusbasierte Auswertungen zeitnah und relativ kostengünstig, gegebenenfalls in Kooperation von mehreren Bibliotheken, beschafft werden. Tab. 2 zeigt einen kleinen Ausschnitt aus den Freizeitaktivitäten des Milieus der Etablierten aus einer Auftragsrecherche des Instituts.⁶¹

58 59 60 61

Vgl. http: // www.imuk.de / tdw / tdwmaerkte.html (Abruf: 05.05.2012). Vgl. http: // www.imuk.de (Abruf: 05.05.2012). Eine Stunde kostet 100 Euro. Das Milieu der Etablierten ist aus dem Sinus-Milieu®-Modell von 2001.

Marktsegmentierung

219

Tab. 2: Ausschnitt aus einer Auftragsrecherche zum Freizeit- und Mediennutzungsverhalten der Sinus-Milieus® (Milieu-Modell 2001), September 2010

Mit einem solchen Rechercheauftrag lassen sich umfangreiche und dezidierte Aussagen zur Soziodemografie sowie zur Lebenseinstellung, dem Freizeitverhalten, der Mediennutzung in Medien-, Themen- und Genrepräferenzen – bis hin zur Nennung einzelner Titel verschiedener sozialer Milieus  – darstellen. Abbildung 2 gibt einen Einblick dahin gehend, wie hoch der Detaillierungsgrad der Aussagen bis hin auf die Ebene einzelner Zeitschriftentitel ist.⁶²

62 Studierende des Studiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement des Departments Information an der HAW Hamburg haben in einem interdisziplinären Projekt im Auftrag der Stadtbibliothek Bremen zahlreiche dieser Studien – u.a. die Typologie der Wünsche 2010 − ausgewertet und beschreiben die Sinus-Milieus® mit ihren typischen sowie medien- und bibliotheksspezifischen Bedarfen für Öffentliche Bibliotheken. Diese sind erschienen in dem „Milieu-Atlas. Eine Handreichung für Öffentliche Bibliotheken zum Konsum-, Freizeit- und Mediennutzungsverhalten der Sinus-Milieus®“, herausgegeben von Ute Krauß-Leichert und Frauke Schade.

220

Schade

Themen Zeitschriften

Beliebte Themeninteressen Zeitschriften der Postmateriellen 7

Handarbeit (Stricken, Nähen, Sticken) Pop- und Rockmusik Klassische Musik Humor, Witze und Cartoons Versicherungen und Geldanlagen Informationen über neue Produktideen Rätsel TV-Programm Haushaltsführung Ernährung, Rezepte Hintergrundberichte über Medien (Verlage, Fernsehen) Telekommunikation, Handy Computer, Internet, Online Unterhaltungselektronik (DVDs, CDs, etc.) Gastlichkeit, Bewirtung Selbermachen, kreative Hobbies Schönheit, Kosmetik Umfrageergebnisse Mode Promis, Stars und Style Berichte über Königshäuser, Adel Reportagen bzw. Interviews mit Prominenten Berichte über Kino und Spielfilme Geschichte und Zeitgeschehen Bauen, Wohneigentum Wohnen und Einrichten Haus und Garten Verbraucherfragen Wissenschaft und Technik Menschen und ihre Schicksale Natur, Tiere Romane, Kurzgeschichten Verbrechen, Gewalttaten und deren Aufklärung Gesundheit, Medizin Wellness/Fitness Beruf und Arbeit Familie, Kinder, Erziehungsfragen Genuss, Lebensart, Lifestyle Sex und Erotik Urlaub und Reisen Berichte über Musik, CDs, Konzerte Sport Kultur (Kunst, Literatur, Theater) Auto und Verkehr Börse/Aktien Umweltschutz Horoskope Politisches Geschehen in der Bundesrepublik und im Ausland/Weltgeschehen

17 11 19 13 20 19 38 18 29 9 21 29 18 23 21 17 11 20 12 9 13 13 25 14 24 30 26 25 28 29 13 21 41 21 33 27 22 12 38 14 28 18 17 12 30 8 48 0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Angabe in %

Abb. 2: Themeninteressen Zeitschriften des Postmateriellen Milieus, Daten: Auftragsrecherche Typologie der Wünsche 2010, Auswertung: Studierende des Departments Information 2011⁶³

63 Krauß-Leichert, Schade 2011b, o.S.

Marktsegmentierung

221

3 Mikrogeografische Marktsegmentierung Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es insbesondere für öffentliche Einrichtungen, die in einem relativ begrenzten Einzugsgebiet ihren Auftrag umsetzen, sinnvoll ist, genaue Kenntnisse über die Bevölkerungsstruktur sowie ihre spezifischen Ansprüche und Problemlagen zu haben, um optimal auf den spezifischen Bedarf ihres Einzugsgebietes eingehen zu können. Ein mikrogeografischer Segmentierungsansatz kann deshalb für Bibliotheken von Interesse sein. In Deutschland gibt es verschiedene Anbieter, die auf der Grundlage diverser Raumtypologien Dienstleistungen zur mikrogeografischen Marktsegmentierung anbieten. Zu nennen sind die Anbieter microm Micromarketing-Systeme und Consult GmbH, AZ direct⁶⁴ und infas geodaten⁶⁵. Auch das bereits genannte Institut für Medien- und Konsumentenforschung bietet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Post AG mikrogeografische Auswertungen an. Im Folgenden wird auf das Unternehmen microm näher eingegangen, weil es als einziges Unternehmen in Deutschland das Positionierungsmodell der Sinus-Milieus® mit mikrogeografischen Daten verknüpft.⁶⁶

3.1 microm Geo Milieus Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben mit den microm Geo Milieus für jedes Haus in Deutschland die statistische Wahrscheinlichkeit errechnet, mit der die einzelnen Milieus dort vorkommen.⁶⁷ Ziel ist es, eine Grundlage für die Identifizierung und Analyse von Zielgruppen auf Haus-, Straßenabschnitts-, PLZ8- und PLZ5-Ebene⁶⁸ zu liefern, um die Milieuzugehörigkeit darstellen zu können.⁶⁹ In die microm-Datenbank fließen geografische Informationen (z.B. Informationen zur Bebauungsstruktur), ökonomische Informationen (z.B. sozialer Status, berufliche Qualifikation, statistische Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen) und demografische Informationen (z.B. Alter des Haushaltsvorstandes, Familiengröße, Wahrscheinlichkeit von Singlehaushalten) mit ein. Zu den Datenlieferanten gehören Behörden, wie die statistischen Ämter des Bundes und der Länder, die Bundesagentur für Arbeit oder das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Marktforschungsunternehmen, wie die Michael Bauer Research GmbH, SINUS oder das Institut für

64 Vgl. az direct: http: // www.az-direct.com (Abruf: 05.05.2012). 65 Vgl. infas geodaten: http: // www.infas-geodaten.de / (Abruf: 05.05.2012). 66 Vgl. microm 2011, S. 61. 67 microm o.J., S. 8; vgl. microm 2011, S. 67. 68 PLZ ist die Abkürzung für Postleitzahlen, die eindeutig und flächendeckend sind. Die PLZ8-Ebene stellt eine feingliedrigere Unterteilung der PLZ5-Ebene dar, die beim Postversand angegeben wird. 69 Vgl. microm 2011, S. 61.

222

Schade

Medien- und Konsumentenforschung (Typologie der Wünsche), sowie privatwirtschaftliche Unternehmen, wie die Deutsche Post AG.

3.1.1 Kosten der microm Geo Milieus Das Unternehmen erstellt auf der Grundlage der Bevölkerungsgröße in der Kommune und des gewünschten Detaillierungsgrades der Flächengliederung ein Angebot. Der Aufwand kann von microm Micromarketing-Systeme und Consult GmbH erst nach Vorlage der entsprechenden Zuordnungstabelle (Amtliches Straßenverzeichnis)⁷⁰ zu der entsprechenden städtischen Gliederung abgeschätzt werden.⁷¹ Neben der tabellarischen Aufbereitung können die Daten darüber hinaus auch in Form von Karten aufbereitet werden. Hierbei entstehen zusätzliche Kosten für den Map&Market Viewer und die Datenaufbereitung und Implementierung der Daten.⁷² Zudem ist es möglich, Kundenprofile anhand der spezifischen kommunalen Milieuindikatoren zu erstellen. Der finanzielle Aufwand ist vor allem für kleinere Bibliotheken erheblich und nur dann realistisch, wenn sich kommunale Einrichtungen zusammenschließen bzw. wenn die öffentlichen Träger die microm Geo Milieus für ihre Kommunen erwerben. Derzeit haben in Deutschland 25 Kommunen und zehn Volkshochschulen microm Geo Milieus von microm erworben, vier Kommunen befinden sich noch in Verhandlungen.⁷³

3.1.2 Erhebung von microm Geo Milieus Das Unternehmen erstellt die statistische Wahrscheinlichkeit, mit der die microm Geo Milieus in dem gewünschten Aggregatsniveau vorkommen, auf der Grundlage des Amtlichen Straßenverzeichnisses⁷⁴ (siehe Tab. 3). Da Bibliotheken mit Zweigstellennetz sich auf einzelne Ortsteile bzw. Stadtteile beziehen, ist es für sie sinnvoll, microm Geo Milieus auf Ortsteil- bzw. Stadtteilebene zu beziehen, da für diesen Anwendungszweck eine kleinräumigere Aufteilung weder qualitativ noch quantitativ einen Mehrwert bietet.

70 Das Amtliche Straßenverzeichnis muss zur Angebotserstellung in Excel vorgelegt werden. 71 Kostenbeispiel: Der reguläre Preis der microm Geo Milieus auf Marktzellenebene (400 Haushalte im Durchschnitt) würde 2.400 Euro netto für das Bundesland Bremen kosten. Vgl. E-Mail-Auskunft von Nicole Oehl / microm am 06.09.2010. 72 Datenaufbereitung und Map&Market Viewer kosten ca. 1.500 Euro. Vgl. E-Mail-Auskunft von Nicole Oehl / microm am 06.09.2010. 73 Vgl. E-Mail-Auskunft von Nicole Oehl / microm am 14.03.2011. 74 Zur Erstellung der Milieudaten muss das Amtliche Straßenverzeichnis im Excel-Format vorliegen.

Marktsegmentierung

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Amtliches Straßenverzeichnis Bremen Statistisches Landesamt Bremen

Amtliches Straßenverzeichnis der Stadt Bremen - Stand: März 2010 StraßenSchlüssel 00010 00030 00050 00070 00060 00075 00080 00090 00110 00132 00134 00130 00150 00150 00150 00150 00150 00150 00150 00150 00150

Straßen, Wege, Plätze (amtl. Schreibweise) Aachener Straße Aarhuser Straße Abbentorstraße Abbentorswallstraße Abeggstraße Abfahrt Grolland Abfahrt Stephanibrücke Achelisweg Achimer Straße Achter de Beke Achter de Wischen Achterbergstraße Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek

Hausnr. ungerade

Straßen, Wege, Plätze (amtl. Kurzform) Aachener Str. Aarhuser Str. Abbentorstr. Abbentorswallstr. Abeggstr. Abfahrt Grolland Abfahrt Stephanibrücke Achelisweg Achimer Str. Achter de Beke Achter de Wischen Achterbergstr. Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek Achterdiek

Lagebezeichnung

243 111

ab Kattent. Heerstr. 218 ab Kattent. Heerstr. 218

von

Z

bis

Z

Hausnr. gerade von

003 017 002 001 017 002 003 005 002 003 065 002 003 005 002 ohne amtl. Hausnummern ohne amtl. Hausnummern 001 007 002 001 097 028 ohne amtl. Hausnummern ohne amtl. Hausnummern 003 027 002 000 000 034 000 000 018 000 000 032 000 000 094 000 000 160 000 000 172 001 039 002 043 075 000 087 147 000

Z

bis

Z

OrtsOrtsteilname teil Nr.

048 016 010 066 004

375 513 111 111 351

Blockdiek Burgdamm Altstadt Altstadt Borgfeld

006 090

434 313

Walle Peterswerder

434 341 361 361 361 361 375 343 341 361

Walle Horn Oberneuland Oberneuland Oberneuland Oberneuland Blockdiek Lehesterdeich Horn Oberneuland

014 082 030 032 136 160 182 016 000 000

A

Postleitzahl 28327 28719 28195 28195 28357 28259 28195 28219 28205 28277 28277 28219 28359 28359 28359 28355 28355 28327 28357 28359 28355

Tab. 3: Ausschnitt aus dem Amtlichen Straßenverzeichnis der Stadt Bremen. Stand: März 2010 (Statistisches Landesamt Bremen)

Am Beispiel Bremens zeigt Tab. 4 in einem Ausschnitt, wie die Rohdaten von microm geliefert werden. Sofern man sich den Aufwand der kartografischen Aufbereitung durch das Unternehmen spart, kann man die Milieuverteilung der Kommune gesamt sowie für die einzelnen Stadtteile selbst leicht als Excel-Grafik darstellen (siehe Abb. 4). Ortsteil 111 112 113 121 122 123 124 125 211 212 213 214 215 216 217 218 231 232 233 234 241 242 243 244

Ortsteilname Altstadt Bahnhofsvorstadt Ostertor Überseehafen Industriehäfen Häfen/Stadtbremisches Verwaltungsgebiet Neustädter Hafen Hohentorshafen Alte Neustadt Hohentor Neustadt Südervorstadt Gartenstadt Süd Buntentor Neuenland Huckelriede Habenhausen Arsten Kattenturm Kattenesch Mittelshuchting Sodenmatt Kirchhuchting Grolland

MBA_W_Haushalt 2.796 3.270 5.796 33 136 39 20 51 3.831 2.824 4.465 3.233 2.744 4.231 926 3.855 4.106 3.969 6.486 2.673 5.515 3.459 4.055 1.777

MGM_S_KET 11,06% 10,17% 10,27% 9,10% 10,33% 10,84% 11,57% 10,13% 10,24% 10,13% 10,49% 10,62% 8,62% 10,88% 10,50% 10,50% 12,45% 11,50% 8,30% 11,17% 9,47% 8,66% 10,11% 12,26%

MGM_S_LIB 10,74% 9,24% 11,45% 7,43% 7,04% 6,51% 8,56% 7,23% 8,95% 7,69% 9,82% 7,92% 6,86% 8,57% 8,69% 7,56% 11,22% 8,69% 6,68% 8,67% 7,36% 6,21% 7,75% 9,39%

MGM_S_PER 11,44% 8,70% 10,38% 7,50% 9,69% 7,94% 8,31% 8,53% 8,64% 8,01% 8,05% 7,83% 5,32% 8,18% 7,57% 7,07% 7,77% 7,39% 5,90% 6,30% 5,94% 5,01% 6,01% 6,65%

Tab. 4: Ausschnitt aus den Rohdaten der microm Geo Milieus auf Ortsteilebene Bremens 2010 (microm 2010)⁷⁵ MGM_S_KET = Konservativ-etabliertes Milieu, MGM_S_LIB = Liberal-intellektuelles Milieu, MGM_S_PER = Milieu der Performer, MGM_S_EPE = Expeditives Milieu.

75 Der vollständige Datensatz für 84 Ortsteile kann hier nicht dargestellt werden. Die Auflösung der Milieukürzel findet sich in Tab. 1: Kurzcharakteristik der Sinus-Milieus®.

224

Schade

Abbildung 3 zeigt die Milieuverteilung in dem Stadtteil Östliche Vorstadt im Vergleich zur Milieuverteilung von Bremen gesamt. Auffällig ist, dass mit dem Liberal-intellektuellen Milieu (MGM_S_LIB), dem Milieu der Performer (MGM_S_PER) sowie mit dem Expeditiven Milieu (MGM_S_EPE) sozial gehobene Milieus in diesem Stadtteil deutlich stärker vertreten sind als im Vergleich zu Bremen gesamt. Das überdurchschnittliche Vorkommen einzelner Milieus gibt Hinweise auf eine künftige strategische Positionierung der Bibliothek und eine zielgruppenspezifische Segmentierung. Interpretiert man die Milieuverteilung vor Ort darüber hinaus im Zusammenhang mit sinusbasierten Aussagen – z.B. aus der Typologie der Wünsche −, so lassen sich daraus aussagekräftige Erkenntnisse zur Profilierung des Dienstleistungsportfolios und der Gestaltung der Marketinginstrumente von Bibliotheken ableiten. 16,00% 14,00% 12,00% 10,00% 8,00% 6,00% 4,00% 2,00%

Bremen

M

GM

_S

_H

ED

_S _P RE GM M

M

GM

_S _T RA

_S _S OK GM M

GM M

M

GM

_S _

BU

_S _P RA

M

_S _E PE M

GM

_S _P ER GM M

GM M

M

GM

_S _

KE

T

_S _L IB

0,00%

Östliche Vorstadt

Abb. 3: Milieuverteilung Östliche Vorstadt im Vergleich zur Milieuverteilung Bremens in Prozent, Daten: microm 2010, eigene Auswertung 2011⁷⁶ MGM_S_KET = Konservativ-etabliertes Milieu, MGM_LIB = Liberal-intellektuelles Milieu, MGM_EPE = Expeditives Milieu, MGM_BUM = Bürgerliche Mitte, MGM_PRA = Adaptiv-pragmatisches Milieu, MGM_SOK = Sozialökologisches Milieu, MGM_TRA = Traditionelles Milieu, MGM_PRE = Prekäres Milieu, MGM_HED = Hedonistisches Milieu.

76 Die Milieubeschreibungen finden sich in Tab. 1: Kurzcharakteristik der Sinus-Milieus®.

Marktsegmentierung

225

3.1.3 Matchen der microm Geo Milieus mit Kundendaten der Bibliothek Um nicht nur abzubilden, wie sich die Milieuverteilung vor Ort in ihrer statistischen Wahrscheinlichkeit darstellt, sondern um darüber hinaus auch zeigen zu können, wie gut die Bibliothek einzelne Milieus erreicht, sollten microm Geo Milieus mit Kundendaten verknüpft werden. Auf der Grundlage des Amtlichen Straßenverzeichnisses können die Kundendaten dabei den einzelnen Orts- bzw. Stadtteilen mit ihrer spezifischen Milieuverteilung zugeordnet werden. Daraus lassen sich Kundenanteile und die Marktdurchdringung errechnen. Die Marktdurchdringung zeigt den Anteil der Kunden im Stadtteil im Verhältnis zu der Haushaltsgröße im Stadtteil. Auf dieser Grundlage kann eine Aussage darüber getroffen werden, wie viele Kunden die Bibliothek in den einzelnen Stadtteilen in Prozent erreicht. Der Kundenanteil gibt den Anteil an Kunden in Bezug zu den jeweiligen sozialen Milieus an und ist damit eine Kennzahl, die zeigt, welche Milieus die Bibliothek besonders gut bzw. nicht erreicht.⁷⁷ Abb. 4 zeigt am Beispiel der Stadtbibliothek Bremen die Marktdurchdringung in den einzelnen Milieus und Ortsteilen. 12,00%

10,00%

8,00% Ø 6% 6,00%

4,00%

2,00%

Va hr -L eh e Bo r Ob gfel d er ne ul an d Os te rh ol He z m el in ge n Bo ck la nd Fi nn do rf W al Gr l e öp el in ge Bu n rg da m m Ve ge sa ck Bl um en im th Du al rc hs ch ni tt Ho rn

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0,00%

AT_HS_HABges

Marktdurchdringung

Abb. 4: Marktdurchdringung in Bezug zur Haushaltsgröße in den einzelnen Ortsteilen, Daten: Stadtbibliothek Bremen 2010, eigene Darstellung 2011

Aus Abbildung 4 wird deutlich, dass die Stadtbibliothek Bremen eine durchschnittliche Marktdurchdringung von knapp über 6 % aufweist. Darüber hinaus ist erkennbar, dass die Bibliothek innerstädtische Stadtteile im direkten Einzugsgebiet zur Zen-

77 Anzumerken ist, dass die Darstellung dahin gehend nicht genau ist, da microm Haushalte und die Aufstellung der Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Bremen die Kundendaten erfasst.

226

Schade

tralbibliothek (Altstadt, Neustadt, Östliche Vorstadt, Finndorf und Walle) deutlich besser erreicht als Stadtteile, die in den Außenbezirken liegen (z.B. Blumenthal). Die Aussagen zur Marktdurchdringung bzw. auch zu Kundenanteilen sind für die strategische Positionierung und zielgruppenspezifische Segmentierung relevant. Im Rahmen des strategischen Marketings können hier Marktstellungsziele formuliert werden, die Aussagen zur Steigerung von Kundenanteilen oder der Höhe der Marktdurchdringung in Stadtteilen und einzelnen Milieus treffen.

4 Zusammenfassung und Fazit Durch die Multioptionalität und hohe Veränderungsdynamik der postmodernen Gesellschaft differenzieren sich soziale Milieus stetig aus und sind mit soziodemografischen und -ökonomischen Merkmalen nicht mehr präzise beschreibbar, weshalb die Lebensstil- und Milieuforschung für die Zielgruppensegmentierung zunehmend eine Rolle spielt. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft spiegelt sich dabei zunehmend in Segregationsprozessen im kommunalen Raum wider und führt zu einer Polarisierung der Bevölkerung, indem sich Bevölkerungsgruppen mit ähnlichem sozialen Status oder ethnisch-religiöser Orientierung auf bestimmte Stadtgebiete konzentrieren. Eine milieuspezifische Profilierung von Angeboten öffentlicher Einrichtungen sollte somit nicht nur einem Marketinggedanken geschuldet sein, sondern auch der Gewährleistung von Integration, dem Ausgleich von sozialer Ungleichheit und der Förderung der Bevölkerung in ihrer spezifischen Sozialstruktur. Bisher verfügen jedoch nur wenige Bibliotheken über Milieukenntnisse vor Ort. Öffentliche Einrichtungen und insbesondere Bibliotheken, die mit dem Milieuansatz arbeiten, schätzen deshalb in der Regel die Milieus vor Ort und leiten Zielgruppenbeschreibung und -segmentierung auf der Grundlage relativ unspezifischer Milieuaussagen ab, da umfassende Milieukenntnisse nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, sondern Gegenstand von Auftragsforschung sind. Die „Typologie der Wünsche“ ist als eine der größten Markt-Media-Studien eine gute Alternative, Zielgruppen zu beschreiben. Sie erlaubt eine präzise Zielgruppenbeschreibung, auch auf räumlicher Ebene, verlangt jedoch einiges Know-how in der Anwendung und Auswertung. Eine Einschränkung liegt darin, dass sich weder sinusbasierte Abfragen noch Abfragen zum Mediennutzungsverhalten darüber starten lassen. Eine kostengünstige Alternative ist es deshalb, den Recherchedienst des Anbieters in Anspruch zu nehmen – gegebenenfalls in Kooperation mit kommunalen Trägern und anderen öffentlichen Einrichtungen vor Ort bzw. in Kooperation mit anderen Bibliotheken. Darüber lassen sich aussagekräftige Daten zur Lebenseinstellung, dem Konsum-, Freizeit- und Mediennutzungsverhalten sozialer Milieus generieren.

Marktsegmentierung

227

Eine mikrogeografische Marktsegmentierung ist insbesondere für Kommunen und kommunale Einrichtungen relevant, jedoch nur unter einem hohen Aufwand zu realisieren. Sie trifft Aussagen zur Milieuverteilung vor Ort und gibt damit Hinweise zur milieuspezifischen Profilierung, die im Zusammenhang mit konkreten Milieubeschreibungen zur Zielgruppenbeschreibung und -segmentierung verwendet werden und im Zusammenhang mit Verbraucherstudien interpretiert werden können. Verknüpft man mikrogeografische Milieudaten mit den Kundendaten der Bibliothek, können darüber hinaus Aussagen zur Marktdurchdringung und zu Kundenanteilen sowohl in Stadtteilen als auch in den verschiedenen sozialen Milieus bestimmt und für die strategische Positionierung der Bibliothek im Rahmen des Marketingmanagements genutzt werden. Eine präzise Zielgruppenbeschreibung und Marktsegmentierung, die den Ansprüchen und Standards der Marktsegmentierung gerecht wird, lässt sich nur unter dem Einsatz mehrerer Instrumente realisieren. Da dies abhängig ist von den begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen von Bibliotheken, sollten diese sich mit anderen Einrichtungen zusammenschließen und auch darauf drängen, Unterstützung bei ihren kommunalen Trägern zu erhalten.

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Schade

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Marktsegmentierung

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Hans-Christoph Hobohm

Strategisches Informationsmarketing – Ziele und Strategien im strategischen Marketing und ihre Umsetzung im operativen Marketing 1 Strategie Strategie ist einer der am meisten strapazierten Begriffe im Management.¹ Schon seit Peter Drucker im Jahre 1954 seine „Praxis des Managements“ publizierte, ist Strategie mit Management eng verknüpft.² Sein in den zahlreichen Auflagen seines Standardwerkes beschriebenes „Management by Objectives“ (MBO) gilt immer noch als zentrales Credo der allgemeinen Managementliteratur. Henry Mintzberg definiert Strategie als: „a pattern in a stream of decisions“, bei denen er explizit „Entscheidung“ mit der Verpflichtung auf Handlung und Ressourcen verbunden sieht.³ Im Zentrum des strategischen Denkens im Management steht deshalb die Zielorientierung und die konkrete Verpflichtung auf Umsetzung. Die Weiterentwicklung der Strategiediskussion in der Managementliteratur verbindet bald das strategische Denken mit der Marktpositionierung des Unternehmens. So erweiterte Igor Ansoff, einer der Väter des Strategiekonzepts im Management, den Korpus des strategischen Diskurses im Management um die vielfach diskutierte und weiterentwickelte Produkt-Markt-Matrix⁴ (siehe Abb. 1), die Anregungen gibt, unter welchen Bedingungen ein Unternehmen Marktdurchdringung, Produktentwicklung (bei vorhandenen Märkten) bzw. Markterschließung oder gar eine (sogenannte) Diversifizierung (gänzlich neue Produkte in neuen Märkten) des eigenen Marktauftritts als zentrale Strategie verfolgen sollte.

1 2 3 4

Vgl. Corrall 2000, S. 3. Vgl. Drucker 1954. Vgl. Mintzberg 1978, S. 935. Vgl. Ansoff 1980.

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Hobohm

Neue Märkte

Vorhandene / gegenwärtige Märkte

Vorhandene / gegenwärtige Produkte

Neue Produkte

Marktdurchdringung

Produktentwicklung

Markterschließung

„Diversifizierung“

Abb. 1: Produkt-Markt-Matrix (nach Ansoff)⁵

Angesichts der dynamischen Entwicklung der aktuellen Informationsmärkte und der nicht zu negierenden Abnahme der Marktdurchdringung klassischer Informationseinrichtungen liefert alleine schon dieses Standardmodell der Strategieentwicklung wichtige Optionen: Will man bei den bisherigen Zielgruppen bleiben (wogegen sich Informationseinrichtungen oft gar nicht entscheiden können), bleibt praktisch nur die Entwicklung neuer Produkte⁶. Die Erschließung neuer Märkte mit den vorhandenen Produkten oder eine komplette Produktdiversifizierung (neue Produkte für neue Märkte) ist naturgemäß entsprechend schwieriger (Letztere stellt ja sogar im Non-Profit-Bereich den ursprünglichen Auftrag einer Einrichtung in Frage).⁷ Der ausschließliche Bezug nur auf die zwei Dimensionen Produkte bzw. Dienstleistungen (etwa Informationsvermittlung oder Buchausleihe) und Märkte (z.B. Mitglieder des lokalen oder institutionellen Einzugsbereichs) greift aber offensichtlich noch zu kurz. Dies wurde auch in der Diskussion um das strategische Management thematisiert und führte zu entscheidenden Erweiterungen des Instruments. Auf die selbst gestellte Frage „Was ist eigentlich Strategie?“ antwortet Michael Porter: „Strategie ist das Schaffen einer einzigartigen und werthaltigen Marktposition unter Einschluss einer Reihe differenter Geschäftstätigkeiten.“⁸ Im Grunde zielt Strategie also darauf ab, das Alleinstellungsmerkmal (auch USP = Unique Selling Proposition) zu finden, durch welches das Unternehmen sich am Markt erfolgreich positionieren lässt.

5 Vgl. ebd. 6 Hier sind stets „Produkte und Dienstleistungen“ gemeint, da z.B. auch die Kostenrechnung nicht zwischen beiden unterscheidet und durchweg von Produkten spricht: z.B. dem Produkt „Informationsberatung“ in Bibliotheken, zu dem teilweise sogar die Kosten für den einfachen Besuch einer Bibliothek gezählt werden. 7 Vgl. Walton 2007. 8 Porter 1997, S. 48.

Strategisches Marketing

233

Barbara Sen weist darauf hin, dass Marktorientierung in Non-Profit-Einrichtungen wie Bibliotheken naturgemäß nicht auf Profit, sondern auf Überleben ausgerichtet ist.⁹ In der allgemeinen Managementdiskussion ist Marktorientierung als grundlegende Strategie für Unternehmen allgemeiner Konsens, in Bibliotheken und Informationseinrichtungen ist dieser Ansatz aber noch nicht weit verbreitet.¹⁰ Vielleicht weil der „Markt“ für Informationsprodukte und -dienstleistungen oft verkürzt verstanden und ausschließlich auf die Wertschöpfungskette im engen Sinn bezogen wird: Externe Produktionsmittel (von Lieferanten) werden im Unternehmen mit Mehrwert versehen und an Abnehmer (Kunden / Nutzer) weitergeleitet. Dies ist der vielen Konzepten des Dokumentationskreislaufs zugrunde liegende Gedanke der Schaffung von Informationsmehrwert durch Erschließung und Vermittlung.¹¹ Die Erweiterung eines zu kurz greifenden Verständnisses vom Markt prägt jedoch auch schon die frühe Strategiediskussion der Wirtschaftswissenschaft. Vor diesem Hintergrund entwickelte Porter sein viel zitiertes „Fünf-Kräfte-Modell“ zur Branchenstrukturanalyse.¹² Die fünf Kräfte des Marktes sind: die konkreten Wettbewerber in der eigenen Branche, die den Kern des Wirtschaftsgeschehens ausmachen, die Lieferanten und die Kunden im Sinne der klassischen Wertschöpfungskette als die beiden Kräfte, die „verhandelbar“ sind, d.h., hier liegt die Beziehung eher in der Hand des Unternehmens selber. Hinzu kommen jedoch auch Kräfte von „außen“ als Bedrohung des engeren Wertschöpfungsprozesses, nämlich: potenzielle neue Konkurrenten und neue Produkte. Ein wichtiger Anteil strategischen Denkens von Unternehmen sollte nach Porter die Identifikation und Beobachtung dieser beiden „externen“ Kräfte sein. In der weiteren Strategiediskussion wird zunehmend darauf hingewiesen, dass auch dieses Modell zu kurz greift: Wettbewerb findet z.B. nicht nur im engen Branchenkontext statt, sondern ist vielmehr häufig branchenübergreifend ein allgemeinerer Wettbewerb um Ressourcen wie Geld, Zeit oder Aufmerksamkeit der Kunden. Im Strategiemodell des „Wertnetzes“ von Nalebuff und Brandenburger wird den fünf Kräften von Porter deshalb noch die Dimension der Stakeholder und die der Komplementoren hinzugefügt.¹³ Auch Ansoff betont zunehmend die Bedeutung des weiteren Umfelds eines Unternehmens für dessen Überlebenschancen: Er spricht hier von „Environmental Turbulence“, deren Ausprägung den Grad des Scheiterns einer Organisation bestimmt.¹⁴ Zur Strategieentwicklung zählen dabei dann die Einschätzung der Veränderbarkeit und der Vorhersehbarkeit von Umweltbedingungen, deren Komplexität, Neuheitsgrad, Veränderungsgeschwindigkeit und Zukunftsunbestimmtheit.

9 Vgl. Sen 2010, S. 345. 10 Vgl. Sen 2010, S. 350. 11 Vgl. Kuhlen 1995. 12 Vgl. Porter 1980; Linde, Stock 2011, S. 440. 13 Vgl. Linde, Stock 2011, S. 440 ff. 14 Vgl. Corrall 2000, S. 11 f.

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Hobohm

Unter Bezug auf Mintzberg¹⁵ kann man sagen, dass strategisches Denken zunehmend ganzheitlich, systemisch geworden ist und sich immer mehr von der Planung als konkretem Instrument entfernt hat: Strategie hat im Grunde viel mit Kreativität und „lateralem“ Denken zu tun.¹⁶ Deshalb wird auch eher von strategischem Denken gesprochen, als von der Strategie. Im Hinblick auf die aktuellen Veränderungen der Informations- und Bildungsmärkte, auf denen sich Informationseinrichtungen und Bibliotheken bewegen, sollten sich diese jedoch nicht (nur) auf ihre angestammte Intuition und Kreativität verlassen, sondern die Empfehlungen des strategischen Managements und seine Instrumente ernst nehmen. Elemente daraus könnten sein: – Zielorientierung, – Marktorientierung, – Kundenorientierung, – Portfolioanalyse, – Differenzierungs- und Wettbewerbsstrategie, – Umweltbeobachtung, – Stärken-Schwächen-Analyse (SWOT-Analyse), – Marktsegmentierung und – Strategieplan.

2 Informationsmarketing Die Basiskonzepte und Instrumente des strategischen Managements sind im Grunde die klassischen Marketing-Tools. Auf diese Kongruenz ist oft hingewiesen worden.¹⁷ Die spezielle Problematik der Vermarktung von Informationsprodukten ist an anderer Stelle in diesem Handbuch schon behandelt worden.¹⁸ Auf einzelne Aspekte sei dennoch an dieser Stelle noch einmal hingewiesen, um die Überlegungen im Folgenden einbetten zu können: Neben den Besonderheiten des Wirtschaftsgutes Information an sich ist im Marketing speziell der Dienstleistungsaspekt zu beachten, denn die meisten Informationsprodukte sind zumindest teilweise Dienstleistungen. Aber auch im klassischen Produktmarketing wird der Serviceaspekt immer wichtiger, wenn auf Erlebnis und Erfahrung mit dem Kauf und Konsum von Produkten geachtet wird. Helkkula geht dabei sogar von einem Paradigmenwechsel zur „Service-Dominant

15 Vgl. Mintzberg 1994. 16 Vgl. Fodness 2005. 17 Vgl. z.B. Corrall 2000, S. 17. 18 Siehe die Beiträge „Märkte für Information“ von Linde sowie „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch.

Strategisches Marketing

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Logic“ im Management aus.¹⁹ Werner Pepels definiert Dienstleistungen („Services“) wie folgt: Services sind marktfähige Verrichtungen und Leistungsbereitschaften am externen Faktor. Sie resultieren kumulativ aus der Bereitstellung interner Leistungspotenziale, der Durchführung kundenintegrierender Leistungsprozesse und dem Angebot immaterieller Leistungsergebnisse.²⁰

Ein wesentlicher Aspekt von Dienstleistungen ist ihre Immaterialität bzw. Unsichtbarkeit, die eine „Tangibilisierung“ erforderlich macht oder, wie es Elisabeth Orna in ihrem sehr anschaulichen Textbuch zum Management von Informationsprodukten empfiehlt: „make knowledge visible“²¹. Aber auch die Kundenintegration in den Dienstleistungsprozess (vom Konsument zum Prosument), die Nichtlagerfähigkeit von Service im „In-actu-Prinzip“ und die Zweistufigkeit der Serviceproduktion (Vorund Endkombination der Produktionsfaktoren anlässlich der Inanspruchnahme) sind für das Informationsmarketing besonders wichtige Faktoren. Neben der allgemeinen Marktorientierung ist die umfassende Kundenorientierung für Informationsprodukte ein kritischer Erfolgsfaktor. Schon früh fand die Servicemanagement-Forschung heraus, dass die Kundenwahrnehmung und das aktuelle positive Erleben einer Dienstleistung prägend sind für die Einschätzung der Qualität des Services (GAP-Modell)²², die die Motivation zu seiner erneuten Nutzung bedingt. Wichtig ist dabei vor allem die Differenz zwischen der Erwartung an die Dienstleistung und die tatsächliche Erfahrung damit bei ihrer Inanspruchnahme. Hier zeigt sich, von welch zentraler Bedeutung die Empfindung des Images von Informationsprodukten wie bibliothekarischen Angeboten ist: Die Erwartungen der potenziellen Kunden, die diese z.B. mit Bibliotheken verbinden, sind immer noch in starkem Maße auf das gedruckte Buch fokussiert.²³ Samuel Adeyoyin macht darauf aufmerksam, dass das Servicemarketing sowohl Leistung als auch langfristige Beziehungen vermarktet.²⁴ Kundenbindung und Relationship Marketing kommt deshalb im Informationsmarketing eine besondere Bedeutung zu.²⁵ Gerade im Non-Profit- oder gar im öffentlichen Bereich kommen weitere Aspekte hinzu, wie Elemente von im Konsumentenmarkt undenkbarer Unfreiwilligkeit z.B. bei der Vermittlung von Bildung und gesellschaftlichen Werten, die Vielfalt von gleichzeitig zu adressierenden Zielgruppen (Träger / Nutzer), die Schwierigkeit der Erfolgsmes-

19 Vgl. Helkkula 2011. 20 Pepels 2005, S. 27. 21 Vgl. Orna 2005. 22 Vgl. Parasuraman, Zeithaml, Berry 1985. 23 Vgl. De Rosa et al. 2011. Siehe auch den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 24 Vgl. Adeyoyin 2005, S. 505. 25 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch.

236

Hobohm

sung oder die Tatsache, dass Informationsdienstleistungen „unter öffentlicher Beobachtung“ bezüglich ihrer Finanzierung stehen (durch den Steuerzahler oder durch um die Ressourcen einer Organisation konkurrierenden Abteilungen).²⁶ Neben dem klassischen Marketing-Mix (s.u.) benötigt Informationsmarketing deshalb noch weitere Komponenten wie internes Marketing oder interaktives Marketing.²⁷ Die „internen“ Kundenbeziehungen etwa mit anderen Abteilungen oder zum Träger, aber auch die klassischen internen Prozesskunden, die insgesamt eine imagefördernde Unternehmenskultur bedingen, sowie verstärkte Aktivitäten im Bereich der Kundenbindung sind charakteristische Voraussetzungen für strategisches Informationsmarketing. Die Beziehung zum Kunden ist der wesentliche Faktor im strategischen Informationsmarketing. Sie variiert im Hinblick auf die gewählte Marketing- bzw. Wettbewerbsstrategie nach Porter: Preisführerschaft, Produktführerschaft oder Fokussierungsstrategie. Paswan, Blankson und Guzman konnten belegen, dass vor allem die Strategie der Produktführerschaft diejenigen Werte im Kundenbeziehungsmanagement unterstützt, die für das Non-Profit-Marketing ebenfalls zentral sind: Gegenseitigkeit, Rollenintegrität und Solidarität.²⁸ Das bedeutet, dass für Bibliotheken und Informationseinrichtungen vor allem „aggressive Marketingstrategien“ in Frage kommen, die Wert legen auf hochqualitative, innovative Produkte, die hochwertig beworben und vertrieben werden.²⁹ Grundlegende Überlegungen dieser Art sollten weitreichende Konsequenzen haben für die Marketingstrategie von Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Seidler-de Alwis und Fühles-Ubach fanden diesbezüglich in empirischen Untersuchungen heraus, dass zur Zukunftssicherung von Bibliotheken und Informationseinrichtungen folgende Vorgehensweisen – in dieser Reihenfolge – beitragen:³⁰ – Sei sichtbar und sichere Dir die Wertschätzung der Kunden. – Mach Dein Angebot messbar / nachweisbar. – Netzwerke (kooperiere) mit anderen Abteilungen. – Mach Deine Nutzer unabhängig und autonom. – Sei keine Insel, sondern mische Dich ein.³¹ – Ändere und erweitere den Bestand und die Angebote. – Bestimme die Agenda. Mit anderen Worten: Verhalte Dich strategisch in dem eingangs skizzierten Sinn.

26 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 27 Vgl. ebd., S. 502. 28 Vgl. Paswan, Blankson, Guzman 2011. 29 Vgl. ebd., S. 315 f. 30 Vgl. Seidler-de Alwis, Fühles-Ubach 2010, S. 187 (erweiterte, eigene Übertragung aus dem Englischen). 31 Daher z.B. der weit verbreitete amerikanische Begriff des „Embedded Librarian“, der sich in die Wissensproduktion etwa von Forschergruppen „pro-aktiv“ einbindet [Anm. des Autors], vgl. Shumaker, Tyler 2007.

Strategisches Marketing

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3 Marketing-Mix Zum Verständnis des Marketings insbesondere im Informationsbereich ist die Erläuterung des klassischen Marketing-Mix notwendig – bekannt auch als die auf Jerome McCarthy zurückgehenden „vier Ps“ des Marketings. Dabei handelt es sich um die im Marketing anzuwendenden Instrumente oder Stellschrauben, die je nach Branche unterschiedlich ausfallen können, aber meist in einer Liste von mindestens vier (s.u.) mit dem Buchstaben „P“ beginnenden Begriffen ausgedrückt werden. Dabei wird vor allem deutlich, dass die häufig im allgemeinen Sprachgebrauch anzutreffende Verengung des Marketingbegriffs auf Werbung und Absatzförderung nur ein „P“ unter vielen ist, nämlich „Promotion“. Vielmehr handelt es sich im Kern zunächst um die Konzepte „Product“ (Produkt), „Price“ (Preis) und „Place“ (Distribution).³²

4Ps

4Cs

Product (Produktpolitik) mit: Substanz, Kernnutzen, erweitertes Produkt

Customer solutions (Kundenproblemlösungen, -bedürfnisse und -wünsche)

Price (Preispolitik)

Costs (Kosten für den Kunden)

Place (Distributionspolitik)

Convenience (Konvenienz, Mühelosigkeit für den Kunden)

Promotion (Absatzförderung, Marketingkommunikation)

Communication (Kommunikation, Informationsverfügbarkeit)

Abb. 2: Marketing-Mix (in Anlehnung an Kotler, Keller, Bliemel)³³

Die Absatzförderung ist sicher eine nicht zu vernachlässigende Aufgabe im Marketing. Im Standardwerk von Philip Kotler wird diesem „P“ sogar ein eigener Mix zugestanden mit: Verkaufsförderung, Werbung, Verkaufsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit, Direct Mailing, Tele- und Online-Marketing. Aber: Ohne die Eingangsvariablen Produkt und Preis bzw. auch die Wahl der Distributionskanäle und -orte ist keine Werbung möglich. Nur ein gutes Produkt kann auch sinnvoll beworben werden. Zur Verdeutlichung der Kundenorientierung im Marketingkonzept werden gelegentlich den „vier Ps“ vier die Kundenperspektive darstellende „Cs“ gegenübergestellt (siehe Abb. 2), die im Beitrag immer wieder Erwähnung finden werden.

32 Vgl. Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 25 ff. 33 Vgl. Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 27.

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Hobohm

3.1 Produktpolitik Philip Kotler unterscheidet zwischen der Substanz des Produktes, seinem Kernnutzen und dem Produktumfeld.³⁴

3.1.1 Substanz des Produktes Auch wenn es sich um eine nicht greifbare (intangible) Dienstleistung handelt, sind an ihr als „Substanz“ Qualität, Produkteigenschaften, Styling, Markenname und Verpackung³⁵ auszumachen. Der Aspekt der „Qualität“ verweist auf das weite Feld des Qualitätsmanagements, das für den Dienstleistungsbereich, wie in Abschnitt 2 erwähnt, neben der eigentlichen Erfüllung des Angebots  – etwa „Informationsvermittlung“ – insbesondere weiche Faktoren wie Erwartung an und Image der Dienstleistung thematisiert.³⁶ Zu den „Produkteigenschaften“ zählen etwa, wie zugänglich, verständlich oder erreichbar eine entsprechende Dienstleistung ist, oder ob z.B. lange Wartezeiten in Kauf zu nehmen sind und ob die Dienstleistung nur online oder auch in der persönlichen Beratung in Anspruch genommen werden kann. Zum „Styling“ gehören Aspekte wie Höflichkeit der Mitarbeiter oder Ambiente des Ortes der Inanspruchnahme, während der „Markenname“  – etwa „Bildungsforum“ oder „Information Service“ – auch die von dem Anbieter gelebten Werte im sogenannten Branding vermittelt.³⁷ Die „Verpackung“ einer Dienstleistung ist nicht immer einfach von den anderen Faktoren zu unterscheiden und verweist z.B. auf die der „Distribution“ (Place) nahe Aufteilung auf verschiedene Standorte zur Inanspruchnahme der Dienstleistung (etwa in Zweigstellen, Filialen, Stadtteilbibliotheken; online vs. offline) oder geht in Aspekte der Ausstattung und des Ambientes über. Aber auch die Aufenthaltsqualität, die durch die Ausstattung und das Personal am Ort der Informationsdienstleistung vermittelt wird, ist ein Aspekt der „Verpackung“, wie an erfolgreichen Beispielen im Bibliotheksbau unschwer abzulesen ist.

34 Vgl. z.B. Kotler 1978, S. 164 ff. 35 Zum Beispiel im Sine von Orna 2005, die mit „Making Knowledge Visible“ gerade auch die haptischen Merkmale anspricht und darauf hinweist, dass Kunden und Unterhaltsträger Informationsarbeit nur dann Wert schätzen, wenn sie sichtbar und materialisiert ist im Sinne der oben erwähnten Tangibilisierung. Auch Kuhlen 1995 argumentierte bereits in dieser Richtung. 36 Siehe den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch. 37 Vgl. Hariff, Rowley 2011. Siehe auch den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch.

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3.1.2 Kernnutzen des Produktes Während die „Substanz“ sozusagen die wahrnehmbaren Eigenschaften des Produktes / der Dienstleistung ausmacht, ist sein / ihr „Kernnutzen“ oft zunächst nicht greifbar und kann nur vermittelt identifiziert werden. Es handelt sich hierbei um den eigentlichen Kundenvorteil, der die Motivation für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen oder den Kauf des Produktes auslöst. Der Kernnutzen ist vergleichbar mit der im Bereich der allgemeinen Geschäftsmodellentwicklung bekannten Kernfrage nach dem Wertangebot (Value Proposition) eines Anbieters für den Kunden: Das Wertangebot ist der Grund, weshalb Kunden sich eher dem einen Unternehmen zuwenden als dem anderen. Es löst ein Kundenproblem oder erfüllt ein Kundenbedürfnis.³⁸

Den Nutzer einer Informationsdienstleistung interessiert in erster Linie nicht, wie viele oder welche Literaturhinweise er in den Händen hält und ob diese DIN-gerecht strukturiert sind, sondern ob er seine Aufgabe (etwa das Schreiben eines wissenschaftlichen Artikels) damit erfüllen kann, bzw. dass er damit seiner wissenschaftlichen Karriere dient. Ein eher aus dem Produktbereich stammendes Beispiel von Kotler macht es plastischer: Die Frau, „die einen Lippenstift erwirbt, kauft keine chemischen und physikalischen Substanzen: sie kauft Schönheit“³⁹. Hier liegt eines der zentralen Probleme des Bibliotheks- und Informationsmarketings: Der Kern der Dienstleistung ist nicht, wie oft behelfsweise in der Kosten-Leistungs-Rechnung angenommen, die Medienausleihe oder die Zahl der Dokumente, die vermittelt werden. Es handelt sich sicher eher um so abstrakte Kundennutzen wie „Wissensproblemlösung“ oder „Bildungserfolg“. Das Problem der Operationalisierung des Kernnutzens teilt die Informationsbranche allerdings durchaus mit anderen, auch den produktorientierten Branchen, wie das Beispiel vom Lippenstift zeigt.

3.1.3 Produktumfeld Das „Produktumfeld“, oft auch erweitertes Produkt genannt, beinhaltet alles, was „auf den Konsumenten zukommt, während er das substantielle Produkt zu erwerben versucht“⁴⁰. Dazu gehören die fünf Dimensionen: Haltbarkeit, Komplexität, Sichtbarkeit, Risiko und Vertrautheit. Bezogen beispielsweise auf Produktangebote aus dem Bereich der Dokumentenlieferung ist ggf. der über eine (zeitlich begrenzte) Mitgliedschaft geregelte Zugang zu einer Digitalen Bibliothek nicht besonders „haltbar“,

38 Osterwalder, Pigneur 2011, S. 26. 39 Kotler 1978, S. 164 f. 40 Kotler 1978, S. 165.

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während eine subito-Lieferung ggf. Dokumente generiert, die der Nutzer unbegrenzt nutzen kann. Die Lieferung eines E-Books kann sich als „kompliziert“ erweisen, wenn nicht kompatible Formate vorliegen. Hier liegt auch ggf. noch eine zu geringe „Vertrautheit“ beim Kunden vor. Copyright- oder gar DRM-geschützte Dokumente beinhalten ein gewisses „Risiko“ bei ihrer Weiterverwendung. Und schließlich ist deutlich, dass digitale Dokumentenlieferung das Problem der geringen „Sichtbarkeit“ mit sich bringt – es sei denn, es werden z.B. spezielle E-Book-Reader verwendet, die das Digitale wieder zumindest teilweise materialisieren lassen. Bei einem auf den persönlichen Kontakt reduzierten Produkt wie der Informationsberatung oder -schulung fallen alle fünf Dimensionen  – im Sinne der oben erwähnten problematischen Aspekte des Wirtschaftsgutes Dienstleistung  – zusammen: Eine Dienstleistung ist per definitionem komplex, nicht haltbar, unsichtbar, durch die Kundenintegration risikoreich und erfordert eine hohe Vertrautheit.⁴¹ Diesen „Mängeln“ kann durch besondere Maßnahmen begegnet werden, wie etwa durch: – die Reduktion der Komplexität und die Erhöhung der Haltbarkeit des Wissenszuwachses durch eine explizite, zielgruppengerechte Didaktik und Kundenansprache, – die Erhöhung der Sichtbarkeit durch die Tangibilisierung des Informationsproduktes (z.B. Skript der Schulung), – die Reduktion von Risikokomponenten durch Normen und Standards des Qualitätsmanagements und – die Erhöhung des Vertrauens in das Produkt / die Dienstleistung durch den Aufbau langfristiger, persönlicher Kundenbeziehungen sowie durch Prozesse der Markenbildung und Imageprofilierung.

3.1.4 Produktlinie und Produktlebenszyklus Im Produktbereich des Marketings sind schließlich strategische Entscheidungen zu fällen zur Produktlinie (dem Portfolio) und zum Produktlebenszyklus. Neben der grundlegenden Überlegung zur Marktpositionierung mit der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff (siehe Abb. 1) wird häufig die Portfolio-Matrix der Boston Consulting Group (BCG) bzw. deren Weiterentwicklung durch McKinsey eingesetzt:⁴² Auf der Ordinate (y-Achse) wird die „Marktattraktivität“ abgebildet und auf der Abszisse (x-Achse) die eigene „Wettbewerbsstellung“ (siehe Abb. 3).

41 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 42 Vgl. zum Folgenden Meffert, Bruhn 2009, S. 196 ff.

hoch

Question Mark (I) /

Star (II) /

sofort verbessern

nicht nachlassen

niedrig

Marktwachstum / Kundenbedürfnis (Wichtigkeit)

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Poor Dog (IV) /

Cash Cow (III) /

mittelfr. verbessern niedrig

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in Ordnung hoch

Relativer Marktanteil / Kundenzufriedenheit Abb. 3: Überlagerte Portfolio-Modelle: nach BCG (fett) und McKinsey (kursiv)

Ein Produkt oder Geschäftsfeld, das einen wichtigen Markt beherrscht, ist ein „Star“. Als Beispiel für einen „Star“ aus dem Informationsbereich konnten bis vor Kurzem die „Citation Indices“ von ISI (jetzt Thomson Reuters) dienen: Kein anderer Informationsdienst konnte für den wissenschaftlichen Evaluationsmarkt vergleichbare Indikatoren wie den Journal Impact Factor (JIF) liefern. ISI kann diese Marktposition bekanntlich auch gut „vermarkten“. Für Öffentliche Bibliotheken war die Buch- und Medienausleihe im Markt des Lesens und der Unterhaltung bis vor wenigen Jahrzehnten noch die nicht hinterfragbare „Cash Cow“. Die Zunahme des Buchkaufs sowie von Open-Access-Digitalangeboten (bzw. Schwarzkopien von MP3-Dateien) verringert den relativen Marktanteil dieses Geschäftsfeldes beachtlich, wohingegen der Einsatz neuer Medien wie E-Book-Readern oder das Angebot von Computerspielen in Bibliotheken im Feld der „Questions Marks“ sicher eine Selektionsstrategie erfordert. Ein typischer „Poor Dog“ in Hochschulbibliotheken ist die klassische Informationsvermittlungsstelle mit ihrem Angebot an Fachinformationsdatenbanken. Angesichts anderer Informationsquellen wie Google hat hier der Marktanteil deutlich abgenommen und aufgrund politischer und finanzieller Entscheidungen ist die klassische Fachinformation in Deutschland kein bedeutender Markt mehr. Unter produktpolitischen Gesichtspunkten zieht die Platzierung eines Produktes oder eines Geschäftsfeldes im Feld „Poor Dog“ z.B. eine „Rückzugsstrategie“ oder als „Star“ eine „Investitionsstrategie“ nach sich, eine „Cash Cow“ generiert eine „Abschöpfungsstrategie“ und bei den unklaren Kandidaten im Feld „Question Mark“ ist eine „strategische Selektion“ oder eine „Offensivstrategie“ erforderlich. Die Einführung des sogenannten Bestseller-Service in Öffentlichen Bibliotheken macht z.B. eine erfolgreiche Abschöpfungsstrategie im Geschäftsfeld belletristische Lektüre anschaulich. Die vier Quadranten kennzeichnen auch die entsprechenden Phasen im Produktlebenszyklus. Man spricht hierbei von der Einführungsphase (I), der Wachstumsphase (II), der Reifephase (III) und der Sättigungsphase (IV). Diesen folgt die Degeneration eines Produktes oder Geschäftsfeldes. Entsprechend ist zu beobachten, ob sich neue Produkte tatsächlich zu „Stars“ entwickeln, d.h. in der Wachstums-

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phase einen für den Anbieter bedeutenden Marktanteil erobern, oder ob ausgereifte Produkte, wie z.B. das Angebot von Schulungen, nicht doch schon Anzeichen einer Sättigung erreichen. Dem BCG-Modell ist die Starrheit seiner Analysedimensionen und deren mangelnde Operationalisierbarkeit vorgeworfen worden. Wie lässt sich ein „Markt“ und noch dazu sein „Wachstum“ wirklich sauber abgrenzen? Dem versucht die Erweiterung durch McKinsey Rechnung zu tragen, indem sie ihren Fokus auf den Kunden statt auf den Wettbewerb richtet. Operationalisierbar werden die Dimensionen nun durch konkrete Kundenbefragungen im Sinne des GAP-Modells zur Dienstleistungsqualität: Erwartung an den Service (Kundenbedürfnis) vs. Erfahrungen mit dem Service (Kundenzufriedenheit). Die Strategierichtung an den jeweiligen Positionen der Skalen ändert sich dadurch leicht: Wenn Kunden Unzufriedenheit mit einem Angebot äußern und gleichzeitig betonen, dass es ihnen wichtig ist, gibt es im Sinne einer absoluten Ausrichtung auf den Kunden, als die sich das Marketing versteht, weniger Gestaltungsoptionen als bei einer abstrakten Prognose zur Marktattraktivität. Hier zu treffende Entscheidungen etwa in Bezug auf die Öffnungszeiten der Bibliothek, was als „Produkt“ häufig auf dieser Seite der Skalen-Enden anzutreffen ist, erfordern eine explizitere Einbettung in die allgemeine strategische Zielorientierung der Einrichtung, etwa als „Ort des Lernens“ (siehe dazu Abschnitte 4 und 5). Vorstellbar ist hierbei eine Differenzierung nach Zielgruppen im Sinne der Marktsegmentierung oder im Zusammenhang mit den Stadien des Informationsprozesses etwa im Sinne von Ellis oder Kuhlthau.⁴³ Jede Änderung der eigenen Marktpositionierung oder des Produktportfolios bedingt eine Innovation.⁴⁴ Diese kann radikal oder inkrementell erfolgen, als Innovation in der Marktposition in Bezug auf bestimmte Zielgruppen oder als Paradigmen-Innovation, die eine grundlegende Änderung des Selbstverständnisses der Informationseinrichtung mit sich bringt. Aufgrund der aktuellen Dynamik im Informationsmarkt sind entsprechende Änderungen in der Produktpolitik deshalb in eine Innovationsstrategie einzubetten.⁴⁵

3.2 Preispolitik Für Informationseinrichtungen scheinen Preis- und Entgeltfragen im klassischen betriebswirtschaftlichen Sinn eine geringere Rolle zu spielen, da sie häufig (zu Recht) als Cost Center der Organisation geführt werden. Dennoch finden auch hier die glei-

43 Vgl. Ellis 1989; Kuhlthau 2004; Foster, Ferguson-Boucher, Broady-Preston 2010. 44 Siehe den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch. 45 Vgl. Rowley 2011; Hobohm 2002c.

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chen Strategien Anwendung wie im For-Profit-Marketing. So können Pauschalpreise (z.B. Jahresgebühr) oder Einzelpreise (Pay-per-View) vorkommen oder Differenzierungen nach Zielgruppe, Medienart oder Aktualität (z.B. Bestseller-Angebote). Der Unterschied zu kommerziellen Unternehmen ist, dass diese Gewinnmaximierung anstreben, „während die Non-Profit-Organisation sich um die Fixierung eines fairen ,Preises‘ bemüht“⁴⁶. An dieser Stelle ist der Blick auf die „vier Cs“ als Komplement zum eigentlichen Marketing-Mix der „vier Ps“ aufschlussreich: Das Pendant zum Preis sind auf der Seite des Kunden die Kosten, die ihm bei der Inanspruchnahme des Dienstes entstehen. Und diese müssen nicht immer nur monetärer Natur sein. Auch der Zeitaufwand für die Nutzung, komplementäre Kosten (wie Parkgebühren) oder sonstige Unannehmlichkeiten (z.B. Zugänglichkeit, Usablility) sollten in Betracht gezogen werden. Der Kunde – wie auch der Anbieter selbst – wird stets zumindest implizit eine allgemeine Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen, ob die Inanspruchnahme des Informationsdienstes tatsächlich sein Problem löst und der Aufwand dazu dies wert ist. Die Preisbildung kann sich beziehen auf Gewinnmaximierung (was im Informationsbereich selten vorkommt) oder auf einen bestimmten Kostendeckungsgrad. Sie kann aber auch unter dem Gesichtspunkt der Nachfragesteuerung (Belebung, Abschreckung) eingesetzt werden. Sie kann konkurrenzorientiert sein („Google ist ja auch kostenlos“) oder nachfrageorientiert, wobei die Preiselastizität beim Kunden und eine Reihe von subjektiven Faktoren (Image, soziale Einstellungen) eine Rolle spielen. Komplementäre Angebote einer Bibliothek wie beispielsweise das Café oder der Kopierdienst haben zwar eine hohe Preiselastizität (d.h., der Kunde wäre bereit mehr zu zahlen, weil ihm nichts anderes übrig bleibt), dennoch ist der Preis dabei meist eher „fair“. Insgesamt gilt aber auch hier, dass die Ausgestaltung dieses Marketingfaktors von den Zielen und Prioritäten (siehe Abschnitt 5) der Organisation abhängt. Im Bereich des öffentlichen Rechts kommt hinzu, dass eine Gebührenpolitik, so sie denn überhaupt zu den Marketinginstrumenten zu zählen ist, besonderen verwaltungsrechtlichen Vorschriften unterliegt.

3.3 Distributionspolitik Grundsätzlich werden hierunter die Distributionskanäle, die Lage der Bezugsorte, die Warenbestände und die Warenlogistik sowie die Marktdurchdringung verstanden.⁴⁷ Dieses Element im Marketing-Mix ist bezeichnenderweise im Englischen mit „Place“ umschrieben. Es dreht sich also nicht allein um die klassische Vertriebspolitik im Sinne einer logistischen Steuerung der Absatzkanäle, sondern sehr wohl

46 Kotler 1978, S. 179. 47 Vgl. Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 27.

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ebenfalls um die Frage der „Convenience“ oder Mühelosigkeit der Inanspruchnahme des Dienstes durch die Kunden. Während die Preispolitik versucht, die Kosten für den Nutzer / Kunden strategisch zu steuern, will die Distributionspolitik unter prinzipiellen Gesichtspunkten die Erreichbarkeit der Dienstleistung gestalten. Dies hat sehr viel mit Standortmarketing zu tun,⁴⁸ aber auch mit oft produktbezogenen, strukturellen Entscheidungen. Hierher gehören die Fragen nach der Anzahl von Zweigstellen oder Filialen, nach Zwischenhändlern (wie Aggregatoren, kooperative Digitale Bibliotheken o.Ä.), aber auch nach Lieferdiensten und Vor-Ort-Service, etwa im Rahmen der aufsuchenden, sozialen Bibliotheksarbeit,⁴⁹ genauso wie die Angebote zur digitalen Fernnutzung. Auch zielgruppenorientierte oder medienspezifische Formen wie die fraktale Bibliothek oder das Retailkonzept⁵⁰ können als distributionspolitische Maßnahmen verstanden werden. Als Teil der Distributionspolitik wird auch die Ausstattungspolitik verstanden, die steuert, wie die unterschiedlichen Orte („Places“) der Inanspruchnahme der Informationsdienstleistungen gestaltet sind: So sieht in einer großen Bibliothek ggf. der historische Forschungslesesaal anders aus als das Business Information Center oder unterschiedliche Bereiche der Online-Informationsdienste. Im Zusammenhang mit der sich weiterentwickelnden bibliothekarischen Funktion im Rahmen des Wissensmanagements ist in letzter Zeit für Spezial-, aber auch für Hochschulbibliotheken immer öfter der „Embedded Librarian“ anzutreffen, der aufsuchende Bibliotheksarbeit insofern betreibt, als er in Projekten und fachlichen Zusammenhängen der Organisation den persönlichen Kontakt sucht, um vernetzend, vermittelnd und bestandsbildend wirken zu können.⁵¹

3.4 Absatzförderung und Marketingkommunikation Zur Absatzförderung („Promotion“) zählen neben Werbung, Verkaufsfördermaßnahmen oder persönlichem Kundenkontakt auch Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit allgemein.⁵² Das Instrumentarium ist reichhaltig und vielfach erprobt und reicht von der klassischen Plakat- oder Medienwerbung bis hin zur Schaffung von Atmosphären, etwa durch Events.⁵³ Häufig sind gerade hier auch besondere strategische Konzepte vorhanden, wie die Kommunikation mit dem Kunden zielgruppenspezifisch und entlang der Distributionspolitik umgesetzt wird (Marketingmaßnahmenplanung). Die Tatsache, dass es sich bei Informationsangeboten oft um erklärungsbedürftige

48 49 50 51 52 53

Siehe den Beitrag „Standortmarketing“ von Umlauf in diesem Handbuch. Siehe den Beitrag „Corporate Social Responsibility“ von Keite in diesem Handbuch. Siehe den Beitrag „Einzelhandelsmarketing“ von Kunst und van Woerkom in diesem Handbuch. Vgl. Shumaker, Tyler 2007. Siehe den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch. Vgl. Kotler 1978, S. 201 f.; Nahl, Bilal 2007.

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Produkte handelt, macht die Marketingkommunikation (wie die „Promotion“ auch genannt wird), d.h. vor allem die Information des und die Kommunikation mit dem Kunden, besonders wichtig. Im Gegensatz zu anderen Produktarten muss Marketingkommunikation im Informationsbereich stark auf die funktionalen Aspekte abheben und benötigt damit eine Aufmerksamkeitsspanne vom Kunden zur Information über das Produkt, die an Trainingskurse heranreicht und auf emotionale Ansprache oft verzichtet.⁵⁴ Es ist andererseits eigentlich erstaunlich, dass unter produktpolitischen Überlegungen („Information ist kompliziert“) so wenig Wert auf die emotionale Komponente gelegt wird – und das, obwohl in letzter Zeit in der Informationsverhaltensforschung deutlich gerade der emotionale Aspekt der Bibliotheksnutzung und der Informationsarbeit herausgestellt wurde.⁵⁵ Auch hier ist sicher eine genauere Analyse des Kunden und seines Verhaltens wie im klassischen Marketing notwendig, um „Verkaufserfolge“ zu zeitigen.⁵⁶

3.5 Weitere „Ps“: Package, People, Physical Evidence, Physical Environment, Process, Payment In der sehr vielfältigen Marketingliteratur wird von Fall zu Fall das ursprüngliche Modell des Marketing-Mix gerade auch für den Dienstleistungsbereich um weitere „Ps“ angereichert. Bei einigen lässt sich deutlich sagen, dass sie auch bei den „vier Ps“ schon Berücksichtigung gefunden haben, wie die Verpackung des Produktes („Package“) oder die physische Umgebung („Physical Environment“) als „Atmosphären“ in der Distributionspolitik und in der Marketingkommunikation. Die Prozessgestaltung („Process“) z.B. im Sinne des Qualitätsmanagements ist sicher eine wesentliche strategische Komponente bei Dienstleistungen, während die Auswahl moderner Zahlungsmethoden („Payment“) vielleicht doch im Informationsbereich noch nicht den Stellenwert einer eigenen Marketingkomponente hat. Andere verdienen in der Tat eine weiter gehende Hervorhebung für das Dienstleistungsmarketing, wie speziell der Hinweis auf die an der Dienstleistung beteiligten Personen („People“, Personalpolitik). Hierbei handelt es sich dann um Schulungsmaßnahmen und Verhaltenskodexe (z.B. Qualitätsstandards), die den Kontakt mit dem Kunden im Moment der Leistungserbringung optimal gestalten helfen sollen (vgl. vor allem Meffert und Bruhn, die diesem „P“ als „internem“ Instrument im Marketing-Mix besonderes Gewicht verleihen⁵⁷). Auch das „P“ für „Physical Evidence“ ist ein für Informations-

54 Vgl. Baltes, Leibing 2008. 55 Vgl. u.a. Kuhlthau 2004; Nahl, Bilal 2008. 56 Siehe die Beiträge „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach sowie „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 57 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 358 ff.

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dienstleistungen besonders wichtiger Aspekt. Die Unsichtbarkeit und Nichtgreifbarkeit von Dienstleistungen und speziell von Informationen könnte ein Hinweis darauf sein, dass hier in der Tat ein wichtiger Marketingfaktor vorliegt, der eigens strategisch zu gestalten ist. Er könnte aber wie unter 3.1.1 erwähnt eben auch als Teil der Produktpolitik („Package“, Verpackung) verstanden werden.

4 Der strategische Steuerungskreislauf Das zu Beginn erwähnte, von Mintzberg so benannte „Muster der Entscheidungen“ beim strategischen Vorgehen findet im operativen Bereich im sogenannten Steuerungskreislauf erste Anhaltspunkte (siehe Abb. 4). Strategische Geschäftsfelder können im Einzelnen die im Portfolio platzierten Produktkomponenten sein wie: persönliche Informationsberatung, Schulung, einzelne Komponenten der Medienbestände, Zugangsarten zu Medien- und Informationsbeständen, der Ort des Lernens / der Wissensverarbeitung durch den Nutzer, die Integration in den Arbeitsprozess (Workflow) der Nutzer etc. Es kann sich aber auch im übergreifenden Sinn zunächst um die ganze Informationseinrichtung handeln, da sie ja selbst meist Teil einer übergeordneten Organisation (Unternehmen, Hochschule, Stadt) ist. Der Kern des strategischen Vorgehens ist die Findung und Formulierung der Ziele des Handelns. Ihre Realisierbarkeit hängt von einer Reihe von Voraussetzungen ab, die in der Situationsund Potenzialanalyse vorher festgestellt werden müssen. Die sich daraus ergebenden Zielsetzungen und ihre Operationalisierung in konkreten Plänen und Programmen wirken letztlich steuernd auf den allgemeinen Auftrag und die übergreifenden Ziele

Abb. 4: Strategische Planung der Geschäftseinheit / des Produktes

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der Organisation, aber auch auf jeden einzelnen Schritt im Steuerungskreislauf und die situationsspezifische Differenzierung der strategischen Geschäftsfelder ein.

4.1 Situations- und Potenzialanalyse Kotler unterscheidet deutlich zwischen der „Analyse des Umfelds“ und der „Analyse der Leistungsfähigkeit“.⁵⁸ Das Akronym der mittlerweile häufig eingesetzten SWOTAnalyse wird im deutschen Sprachgebrauch allerdings oft mit „Stärken-SchwächenAnalyse“ wiedergegeben, womit nur eine der beiden Analyseperspektiven – nämlich die interne  – angesprochen wird: aufgelöst bedeutet das Akronym bekanntlich: „Strenghts“ (Stärken) und „Weaknesses“ (Schwächen) sowie eben auch externe: „Opportunities“ (Chancen) und „Threats“ (Gefahren). Beide Seiten sind aber mindestens gleichwertig und in Zeiten dynamischen Wandels ist vielleicht sogar die Umfeldbeobachtung besonders wichtig. Das Online Computer Library Center (OCLC) hat dies schon vor ca. zehn Jahren erkannt und gibt deshalb seither jährlich Berichte zum „Environmental Scanning“ für ihre Mitgliedsorganisationen – die Bibliotheken weltweit – heraus.⁵⁹ Dass dieser erste Schritt des strategischen Marketings im deutschen Bibliothekswesen noch nicht weit verbreitet ist, konnte der Autor des vorliegenden Beitrages nachweisen.⁶⁰ Die allgemeine Merkregel dafür, welche Aspekte in der Umfeldbeobachtung (Chancen-und-Gefahren-Analyse) fokussiert werden sollten, macht das Akronym PEST (oder SEPT) deutlich: Politics (Politik), Economics (Wirtschaft), Society (Gesellschaft) und Technology (Technologie). In der Erweiterung zur SEPTEMBER-Formel kommen fünf weitere Elemente hinzu:⁶¹

58 59 60 61

Vgl. Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 108 ff. Vgl. zuletzt De Rosa et al. 2011; Connaway, Radford 2011. Vgl. Hobohm 2009. Vgl. Corrall 2000, S. 27 ff.

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Society (Gesellschaft): beinhaltet die Beobachtung der sozio-demografischen Entwicklungen der Bevölkerung bzw. der Zielgruppe. Economics (Wirtschaft): die Entwicklung des Bruttosozialprodukts, aber auch Gehalts- und Tarifveränderungen, z.B. mit Effekt auf die Kaufkraft der Zielgruppe. Politics (Politik): betrifft als bestimmender Faktor nicht nur die Bildungs- oder Wissenschaftspolitik, sondern auch die allgemeinen Grundvorstellungen der jeweiligen Regierungsparteien. Technology (Technologie): Die technologische Entwicklung ist im Informationsbereich mit Sicherheit ein zentraler Bestimmungsfaktor. Education (Bildung): Bildungswerte und Tendenzen wie Alphabetisierungsrate, Kompetenzlücken oder Verschiebungen im Ausbildungssystem. Market (Markt): Produkte und Marktsegmente in ihrem Lebenszyklus und im Wettbewerb. Business (Geschäftsumfeld): Hierzu zählen Markt- und Branchenanalysen wie etwa der „Monitoring Report zur Informationswirtschaft“ von TNS-Infratest. Ethics (Ethik): Ändern sich die Normen im menschlichen Miteinander, gibt es berufsgruppenspezifische Verhaltenskodexe? Regulations (gesetzliche Bestimmungen): Ändern sich die Gesetze im Informationsbereich? Wichtig bei der Umfeldbeobachtung (dem „Environmental Scanning“) ist, dass diese systematisch und kontinuierlich vorgenommen wird, z.B. indem sie in ein Marketinginformationssystem integriert ist⁶² und eine Vielzahl unterschiedlicher Informationsquellen (interne, externe, Personen, Dokumente, Medien etc.) zu ihrer Durchführung genutzt wird. Ziel ist es dabei, Marketingchancen zu entdecken und frühzeitig auf Gefahren bei Entwicklungen im Markt hingewiesen zu werden. Bei identifizierten Chancen, z.B. einer Änderung in der Wissenschaftspolitik, werden diese auf eine Matrix mit den Dimensionen „Attraktivität“ und „Erfolgswahrscheinlichkeit“ abgebildet, um eine Prioritätensetzung zu ermöglichen. Das Gleiche gilt für Gefahren – oft auch Risiken genannt –, deren Bewertungsdimensionen „Gefährdungspotenzial“ und „Wahrscheinlichkeit des Eintretens“ sind. Als Beispiel für den Informationsbereich könnten hier Open-Access-Fachrepositories dienen, deren Gefährdungspotenzial für einen Dokumentenlieferanten sicher hoch ist – während die Realisierungswahrscheinlichkeit zumindest zur Zeit noch eher mäßig ist. Zur Ermittlung der Position der identifizierten Gefahrenmomente oder Chancen kann auch eine empirische Befragung dienen, bei der Organisationsmitglieder, Kunden oder Stakeholder zu den jeweiligen Dimensionen Skalenwerte etwa von 0 (nicht vorhanden) bis 4 (hoch) anzugeben haben.

62 Vgl. Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 152.

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Leistungsausprägung (eigene Kompetenzstärke) Merkmal

Große Schwäche  – – / 0

Kleine Schwäche –/1

Durchschnitt 0/2

Erfolgswichtigkeit (Kundenwert) Kleine Stärke +/3

Große Stärke + +/4

gering

mittel

hoch

Bekanntheitsgrad und Ansehen Relativer Marktanteil Standortvorteil Finanzielle Flexibilität Qualifizierte Mitarbeiter IT-Know-how Schnelle und umfangreiche Lieferung Innovative Führung Kundenorientierte Mitarbeiter Flexibilität Tab. 1: Stärken-Schwächen-Analyse⁶³

Die beiden Zahlenwerte ergeben übertragen auf eine Matrix ein „KompetenzPortfolio“ (siehe Abb. 5), nicht unähnlich dem Produktportfolio, das in Abb. 3 dargestellt ist. Wird z.B. festgestellt, dass das IT-Know-how aus Kundenperspektive zwar als wichtig, in der Einrichtung aber gering bewertet wird, so kann dazu entschieden werden, dieses outzusourcen oder aber die Anstrengungen in diesem Bereich intern zu verstärken. Wenn im anderen Fall etwa das Kriterium „Kundenorientierung“ in beiden Dimensionen hoch bewertet wird, so sollte überlegt werden, welche Produktkomponenten genau dieser Kernkompetenz am nächsten kommen. Während der Quadrant links oben kritische Erfolgsfaktoren aufweist, die hinterfragt werden müssen, finden sich rechts unten die überbewerteten. Auf ähnliche Weise lassen sich alle Geschäftseinheiten in der Einrichtung analysieren, um Schlussfolgerungen auf Potenziale zu erhalten. Auch bezogen auf Abteilungs- und Divisionalstrukturen in Informationseinrichtungen und deren Arbeitspro-

63 Geänderter Auszug aus Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 112; vgl. auch Gausemeier, Plass, Wenzelmann 2009, S. 156 ff.

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hoch

Kompetenz-Lücken (Anstrengungen verstärken; selektives Outsourcing)

Kernkompetenzen (weiter gute Arbeit leisten; ‚Insourcing’)

niedrig

Kundenwert

zesse lassen sich Kompetenzportfolios erstellen, etwa im Bereich des Datenbank- / Bestandsaufbaus mit den Komponenten: Akquisegeschwindigkeit, Vorakzession, Partnerschaften, Kundenorientierung oder Erschließung.

Kompetenz-Standards (Verbesserungen nicht dringlich; Outsourcing)

Kompetenz-Potenziale (Vorsicht vor übertriebenem Einsatz)

niedrig

hoch Kompetenzstärke

Abb. 5: Kompetenz-Portfolio⁶⁴

Allgemeine Aussagen zur Unternehmenskultur und den gelebten Werten lassen sich ebenfalls über solche Erhebungsinstrumente ermitteln. So kann z.B. über die FünferSkala von „Nicht vorhanden“ bis „Vorbildlich“ ein Unternehmenskulturprofil erstellt werden, z.B. mit den Merkmalen: Kundenorientierung, Mitarbeiterorientierung, Leistungsorientierung, Innovationsorientierung, Kostenorientierung, Unternehmensorientierung, Technologieorientierung.⁶⁵ Diese werden letztlich notwendig im Zusammenhang mit der Zielfindungsstrategie (s.u.) bzw. geben allgemein Aufschluss über Strategie-, Innovations- und Veränderungsfähigkeit einer Organisation.⁶⁶

5 Marketingziele Im strategischen Management wird üblicherweise von einer Zielepyramide ausgegangen.⁶⁷ An ihrer Spitze stehen die Mission (das „Mission Statement“) und eine Vision für die Organisation, die beide auf unternehmenskulturellen, ggf. vereinbarten Grundwerten beruhen (siehe Abb. 6).

64 65 66 67

Vgl. Gausemeier, Plass, Wenzelmann 2009, S. 162; Kotler, Keller, Bliemel 2009, S. 112. Vgl. Gausemeier, Plass, Wenzelmann 2009, S. 166. Vgl. Sherman, Rowley, Armandi 2007. Vgl. Hobohm 2002a; Corrall 2000, S. 77 ff.

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Abb. 6: Zielhierarchie im strategischen Management

Angesichts von existierendem Leistungs- und Produktportfolio sowie der Situationsund Potenzialanalyse gilt es nun, die Geschäftsfeld- und ggf. Organisationsprioritäten zu entwickeln und zu operationalisieren. Heruntergebrochen aus dem Auftrag (der Mission) und der Vision sowie der Entwicklungsrichtung, können dann Entscheidungen fallen z.B. zur Positionierung der in den Portfolios beobachteten Faktoren: Definiert sich die Bibliothek als „Ort des Lernens“, auch weil sie eine besonders empathische Unternehmenskultur pflegt, so könnte ihre Vision sein, als wichtige Einrichtung der informellen Bildung gesellschaftlich anerkannt zu sein. Die „prioritären Zielrichtungen“ bilden jeweils die strategischen Geschäftsfelder, die in der Zielhierarchie gleich verankert sein müssen, aber im Marketing-Mix jeweils verschieden realisiert werden. So hätte eine entsprechende Mission sowohl Einfluss auf die Gestaltung des Ortes der Bibliothek sowie z.B. ihrer Öffnungszeiten in der Produktpolitik als auch auf strategische Entscheidungen im Hinblick auf die jeweilige Zielgruppe im Bereich der Distributionspolitik. Auch auf die Personalpolitik – als eventuellem fünften „P“ – hätte diese Prioritätensetzung offensichtlich Einfluss, da dieses Selbstverständnis als Bildungseinrichtung vielleicht auch pädagogische und empathische Kompetenzen erfordert. In den strategischen Geschäftsfeldern konkretisieren sich die darauf bezogenen Ziele („Goals“) und Zieldimensionen („Targets“) jeweils in einer eigenen Unterhierarchie und bestimmen das strategische Handeln.

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Bei der Entwicklung von Zielen im Management gilt die Merkregel, dass diese SMART sein sollen:⁶⁸ Specific (spezifisch): ergebnisorientiert, verantwortungsbezogen. Measurable (messbar): quantitativ oder mit „Evidenzen“ belegbar im Sinne des „Evidence Based Librarianship“. Acceptable (akzeptierbar): idealerweise vereinbart mit den Stakeholdern: Träger, Mitarbeitern, Kunden, Partnern. Realistic (realistisch): bezogen auf die SWOT-Analyse und die notwendigen Ressourcen. Timebound (terminiert): einen Zeitpunkt festlegend, zu dem das Ziel erreicht wird. Neben der Zielausmaß- und der Zeitdimension ist zusätzlich immer der Marktsegmentbezug von Bedeutung: Für welche Zielgruppe wird hier strategisch geplant? Meffert und Bruhn schlagen hierbei als Zieldimensionen eine „dreidimensionale Geschäftsfeldabgrenzung“ mit den Dimensionen „Zielgruppen“, „Funktionen“ und „Technologien“ vor.⁶⁹ Im Informationsbereich könnte man z.B. entsprechend zwischen soziodemografisch differenzierten Zielgruppen, ihren Bedürfnissen in den Stadien des Informationsprozesses bzw. der Wissensproblemlösung sowie den eigentlichen Merkmalen des Informationsangebots unterscheiden.⁷⁰ Grundsätzlich können folgende Ziele definiert werden: – ökonomische Ziele (z.B. Kostendeckungsgrad), – Rentabilitätsziele (ROI, Outcome und Wert von Bibliotheken), – Marktstellungsziele (Marktdurchdringung), – finanzielle Ziele (Liquidität, finanzieller Spielraum), – psychologische Ziele (Kundenbindung, Kundenzufriedenheit), – Prestigeziele (Image, Unabhängigkeit), – soziale – mitarbeiterorientierte – Ziele (Mitarbeiterzufriedenheit, Mitarbeiterbindung), – soziale – gesellschaftsorientierte – Ziele (gesellschaftlicher Auftrag) und – ökologische Ziele.⁷¹ Schließlich unterscheiden Meffert und Bruhn auch zwischen unternehmens-, kunden- und mitarbeitergerichteten Zielen, um der Besonderheit des Marketings im Dienstleistungsbereich gerecht zu werden.⁷² In ihrem Zielsystem des Dienstleistungsmarketings sind Kundenbindung und Kundenzufriedenheit (mit den Variablen

68 69 70 71 72

Vgl. Corrall 2000, S. 76. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 148 ff. Vgl. Foster, Ferguson-Boucher, Broady-Preston 2010. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 138. Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 139.

Strategisches Marketing

253

Image, Bekanntheit, Vertrauen und Wiederkauf) sowie Mitarbeiterbindung und Mitarbeiterzufriedenheit (über Motivation, Leistungsqualität, Produktivität und geringe Fluktuation) die Voraussetzungen für den Erfolg der „unternehmensgerichteten“ Ziele wie Menge, Umsatz, Deckungsbeitrag etc.⁷³ Das Beispiel zeigt, dass neben der Zielhierarchie auch eine ausgewogene und aufeinander abgestimmte Auswahl von Zielen und Indikatoren wichtig ist. Bei der Sammlung der prioritären Zielrichtungen (Abgrenzung der strategischen Geschäftsfelder) und der daraus abgeleiteten Ziele ist in diesem Sinn auch immer eine Phase der Überprüfung der Optionen zwischengeschaltet, die deren gegenseitige Konsistenz oder den Bezug zu den allgemeinen Zieldimensionen bewertet und auch im Rahmen des Marketing-Mix prüft. So wird ggf. das Ziel, ein „24x7-Informationsservice“ zu sein, auf eine Reihe von weiteren Zieldimensionen Einfluss haben und vielleicht sogar andere prioritäre Zielrichtungen wie „kulturelles Gedächtnis“ verdrängen. Neben der Ausgewogenheit und Interdependenz von Zielsystemen ist die Bestimmung des Zielwertes für Steuerungsaktionen eine prinzipielle Schwierigkeit.⁷⁴ Damit dieses nicht allein auf Intuition beruht, ist es notwendig, sich eine Vergleichsbasis zu schaffen, etwa aus früheren Werten in vergleichbaren Portfolios oder über externe Benchmarks. Außerdem sollte die Zeitperspektive dynamisch gesehen werden, d.h. in mehreren Schritten vielleicht sogar rückwärts von einem langfristigen Optimalziel (Marktdurchdringung bei Zielgruppe x = 100 % in fünf Jahren) gedacht werden. So können im strategischen Steuerungskreislauf für verschiedene Zeiträume die Fortschritte dokumentiert und die Maßnahmen graduell angepasst werden.

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73 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 140. 74 Vgl. Wikenhauser 2011.

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Hobohm

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Tom Becker, Anja Flicker

Wissensmanagement und Wissensbilanzen in Öffentlichen Bibliotheken – ein Exkurs 1 Einleitung Basierend auf aktuellen Erfahrungen und neueren Untersuchungsergebnissen werden im Folgenden Zusammenhänge und Interdependenzen  – vor allem im Kontext der Öffentlichen Bibliotheken¹  – zwischen Wissensmanagement, Wissensbilanzen und Informationsmarketing aufgezeigt. Abschnitt 2 führt in das Thema Wissensmanagement ein, Abschnitt 3 skizziert den Forschungsstand zum Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken, und Abschnitt 4 führt praxisrelevante Handlungsfelder im Kontext von Wissensmanagement und Informationsmarketing² auf. Kann die Bilanzierung des „Intellektuellen Kapitals“ einer Bibliothek dazu beitragen, neben generellen strategischen und operativen Handlungsansätzen auch im Bereich Informationsmarketing Optimierungsvorschläge zu generieren? Diese Fragestellung wird in den Abschnitten 5 und 6 rund um die „Wissensbilanz  – Made in Germany“ theoretisch und am praktischen Beispiel der Stadtbibliothek Würzburg untersucht. Abschließend wird in Abschnitt 7 ein Blick in die Zukunft geworfen, und es werden Prognosen zum Wissensmanagement in Bibliotheken im Kontext von gegenwärtigen und zukünftigen Handlungsfeldern des Informationsmarketings und seinen Herausforderungen erstellt.

2 Von der Dateneinheit zum Wissensmanagement Ingold verortet im Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (LBI)³ den Begriff Wissensmanagement nahe am betriebswirtschaftlichen Informationsbegriff und bezeichnet Wissensmanagement quasi als Transformator, als Bindeglied des

1 Der vorliegende Beitrag befasst sich vorrangig mit Öffentlichen Bibliotheken. Sicherlich lassen sich viele Aussagen aber auch auf andere Arten von Bibliotheken, wie z.B. wissenschaftliche oder Spezialbibliotheken, übertragen. 2 Im Rahmen des vorliegenden Beitrags steht das Informationsmarketing im Vordergrund, wo es jedoch um Marketing ganz allgemein geht, wird dieses auch explizit so bezeichnet. 3 Ingold 2011, S. 414.

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Becker und Flicker

informationstechnischen mit dem bibliotheks- respektive informationswissenschaftlichen Informationsbegriff. Während ersterer hierarchisch in der Folge Daten – Information – Wissen aufgebaut ist, gliedert sich letzterer in die modifizierte Reihenfolge, nämlich Daten – Wissen – Information:

Abb. 1: Wissensmanagement im Kontext des Ingold’schen Informationsbegriffs

Nach der Terminologienorm ISO / IEC 2382 sind Daten […] Gebilde aus Zeichen oder kontinuierliche Funktionen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen Informationen darstellen, vorrangig zum Zweck der Verarbeitung und als deren Ergebnis.⁴

Im Kontext des „Europäischen Leitfadens zum Wissensmanagement“ wird diese Definition modifiziert, dort werden Daten zu […] diskrete(n), objektive(n) Fakten (Zahlen, Symbolen und Abbildungen) ohne Kontext und Interpretation.⁵

4 ISO / IEC 2382-4:1999-11 bzw. -5:1999-11. 5 Europäischer Leitfaden zur erfolgreichen Praxis im Wissensmanagement 2004, S. 138. Mayr und Umlauf (2011, S. 183) definieren Daten im LBI als „im Sinn der Bibliotheks- und Informationswissenschaft die kleinste Einheit von Information, die durch Menschen interpretiert und genutzt werden kann […]“.

Wissensmanagement

259

Das Erheben von Daten erfordert ein Beobachten mittels klassifikatorischer, komparativer bzw. metrischer Instrumente. Das Verarbeiten von Daten erfordert vom Beobachter, Unterscheidungen und Zu- oder Einordnungen zu treffen.⁶ Sind Unterscheidungen getroffen worden, […] die einen Unterschied machen im bekannten Kontext von Mustern und Entwürfen, […]⁷

so wurden Informationen bzw. Informationsbausteine gewonnen. Durch Einpassen in einen Kontext wird Daten ein relevanter Mehrwert zugewiesen: Informationen sind somit Daten, die – nachweislich richtig und aktuell sind, – spezifisch und zu einem bestimmten Zweck zusammengestellt wurden, – in einem sinnvollen und relevanten Kontext präsentiert werden und – zu einer Steigerung von Verständnis und einer Reduzierung von Unsicherheit führen.⁸

Anders gesagt: Informationen sind eine Menge an Daten, die von einem Sender direkt oder indirekt an einen Empfänger übermittelt werden. Dabei versieht der Sender die Information mit seinem subjektiven Empfinden bezüglich der „informellen Umwelt“⁹, aus der er diese Information erstellt hat. Informationen nutzen nur denjenigen, die sie interpretieren können bzw. die die Interpretation verstehen und so die Informationen in anwendbares Wissen umwandeln können. Wissen unterscheidet sich von Information insofern, als […] Wissen […] nicht nur die Information (umfasst), sondern auch deren Verfügbarkeit und Nutzbarkeit in Situationen, in denen auf Fragen Antwort gegeben werden muss.¹⁰

Somit entsteht erst in einem weiteren Schritt Wissen. Im „Europäischen Leitfaden zum Wissensmanagement“ wird Wissen beschrieben als

6 Vgl. Petkoff 1998, S. 35. 7 Ebd. 8 „Information = Data, that has been verified to be accurate and timely, is specific and organized for a purpose, is presented within a context that gives it meaning and relevance, and that can lead to an increase in understanding and decrease in uncertainty.“ (BusinessDirectory o.J.). Im Kontext von Wissensmanagement wird an dieser Stelle von einem idealtypischen Informationsbegriff ausgegangen, der voraussetzt, dass Informationen aus verifizierten, aktuellen und richtigen Daten zusammengesetzt sind, obwohl dies im operativen Alltag oftmals nicht oder nur eingeschränkt der Fall ist. 9 Als „informelle Umwelt“ bezeichnet Haefner (1984, S. 391 f.) „[…] eine Vielzahl von Visionen, Einsichten, Träumen, Erzählungen, Werten und einem Selbstbildnis […]“. 10 Ebd.

260

Becker und Flicker

[…] eine Gruppierung von Daten und Informationen […] und einer Kombination mehrerer mentaler Aktivitäten (Erfahrung, Werte, Intuitionen, Ahnungen, Neugierde, Verhalten, Lernfähigkeit, Synthesevermögen, Abstraktions- und Kommunikationsfähigkeit etc.).¹¹

Wissen, so heißt es weiter, […] dient der Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen und vernünftig zu handeln.¹²

Hierbei ist es relevant, neben den Unterschieden zwischen persönlichem (individuellem) und kollektivem (organisationalem / systemischem) Wissen auch eine Unterscheidung zwischen explizitem (formulierbarem) und implizitem (schwer bzw. nicht in Worte zu fassendem) Wissen zu treffen. Explizites Wissen („Explicit Knowledge“) beruht auf strukturierter, kodifizierter und dokumentierter bzw. dokumentierbarer Information. Es ist formulierbar und dadurch abrufbar und übertragbar. Implizites Wissen („Tacit Knowledge“) dagegen ist „stillschweigendes“ Wissen, menschenorientiert und eingebettet in Prozesse, Sozialisation, Traditionen und Kulturen. Es ist unbewusst verinnerlichtes, subjektives Erfahrungswissen. Es ist für den Wissenssender nur schwer formalisierbar oder / und dokumentierbar und dadurch nur bedingt übertragbar.¹³ Die charakteristischen Eigenschaften von Wissen liegen einerseits in seiner Opakheit, in dem Immateriellen, andererseits in seiner Emergenz: Wissen ist mehr als die Summe an Daten und Informationsbausteinen. Wissen ermöglicht, […] unbekannte Unterscheidungen im bekannten Kontext von Mustern und Entwürfen erkennen und vornehmen zu können, handeln zu können.¹⁴

Wissen ermöglicht Aktivität und (Weiter-)Entwicklung, ermöglicht Orientierung und ist die Voraussetzung dafür, nicht nur Unterscheidungen, sondern vor allem Entscheidungen treffen zu können. Folgende Wissensdimensionen unterstützen diese Entscheidungs(findungs)prozesse: – Know-how praktisches Wissen, das unter Beschreibung einer Situation und ihrer Einflussgrößen zu vorliegenden Aufgaben und Problemstellungen Lösungsansätze liefert, – Know-why analytisches (Hintergrund-)Wissen zu Ursachen und Wirkungsmechanismen,

11 12 13 14

Europäischer Leitfaden zur erfolgreichen Praxis im Wissensmanagement 2004, S. 145. Ebd. Vgl. Ball 2002, S. 26; Gaßen 1999, S. 7. Petkoff 1998, S. 35.

Wissensmanagement





– –

261

Know-what Gestaltungswissen, das aus der Synthese praktischen und analytischen Wissens zukunftsträchtige Vorstellungen entwickelt, Know-where (explizites) Informationswissen, das lokalisiert und zum Schließen von Wissenslücken herangezogen werden kann, Know-when zeitliches Wissen, wann Maßnahmen getroffen werden, Know-who Wissen, wer über notwendige Kenntnisse verfügt und in der Lage ist, diese auch situationsimmanent einzusetzen.¹⁵

Es hat sich „eine Vorstellung von Wissen als Bewegung“ entwickelt, „die man im Englischen mit der Bezeichnung ,knowing‘ ganz gut vom bewegungslosen ,knowledge‘ abgrenzen kann“.¹⁶ Wissen in Bewegung impliziert seinerseits die Möglichkeit des Lenkens und Steuerns, des ziel- und missionsorientierten Umgangs, des Managens von Wissen. Was aber bedeutet „Managen von Wissen“? Im vorliegenden Beitrag wird eine Definition übernommen, die bereits im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes zu Funktionen von Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken Anwendung findet: Wissensmanagement fördert Aktivitäten und Prozesse des Wissensaustausches und der Wissensidentifikation mit dem Ziel einer besseren Erzeugung und wirksameren Nutzung von individuellem und kollektivem Wissen. Wissensmanagement ist dann erfolgreich, wenn das „Intellektuelle Kapital“ des agierenden Subjekts (Mensch oder Organisation) um neues Wissen erweitert wird. Kurz gesagt: Wissensmanagement ist eine andauernde Querschnittsaufgabe mit dem Ziel der Entwicklung und des Ausbaus von „Intellektuellem Kapital“ des Einzelnen oder von Organisationen.¹⁷

3 Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken – Forschungsstand Im Rahmen einer Masterarbeit wurde 2004 ein Vergleich von Wissensmanagement und der Umsetzung von wissensmanagementrelevanten Prozessen in zwei ähnlich

15 Vgl. Capurro 2001. 16 Reinmann-Rothmeier 2000, S. 10 f. 17 Becker 2009, S. 2.

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Becker und Flicker

gelagerten öffentlichen Großstadtbibliotheken  – der Zentralbibliothek des Münchner Bibliothekssystems und der Hauptbücherei der Büchereien Wien – analysiert.¹⁸ Grundlage der Untersuchung bildete auf strategisch-konzeptioneller Ebene das sogenannte Münchner Modell zum Wissensmanagement.¹⁹ Dieses Modell verankert Wissensmanagement und wissensmanagementrelevante Prozesse im interdependenten Zusammenspiel der drei Faktoren Mensch, Organisation und Technik. Die Ergebnisse dieser Studie vermitteln ein eher defizitäres Bild von wissensmanagementrelevanten Prozessen, das im Folgenden illustriert wird: Die Technologie in den untersuchten Öffentlichen Bibliotheken ist nicht immer auf dem neuesten Stand oder ausreichend verfügbar. Eine Minderung dieses Defizits ist auch in naher Zukunft durch die mangelnden finanziellen und personellen Mittel nicht abzusehen. Auch innerhalb der Organisationsstrukturen sind z.B. eigenständige, technische Weiterentwicklungen schwer realisierbar, da viele Öffentliche Bibliotheken fest in die kommunale Verwaltung eingebettet sind. Daraus können sie sich zwar in Teilbereichen mittelfristig emanzipieren, eine Transparenz und Flexibilität wie sie in der freien Wirtschaft angestrebt und weitgehend realisiert ist, wird aber in Öffentlichen Bibliotheken nur schwer zu entwickeln sein. Ähnlich gelagert ist die Situation beim Faktor Mensch. Die Öffentliche Bibliothek als Anbieter von Dienstleistungen und als Arbeitgeber kann in ihren Möglichkeiten nur so flexibel und entwicklungsfähig sein, wie es die Kommune als Unterhaltsträger und „Kontroll“-Instanz ist. Gibt es hier Strukturdefizite, sind die Mitarbeitenden ständig gefordert, zwischen der Notwendigkeit zu Flexibilität und Innovation einerseits und starren Rahmenbedingungen andererseits ihren Gestaltungs- und Veränderungswillen aufrechtzuerhalten. Aufgabe und Vorbildfunktion des Managements ist es daher, eine offene Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien und den Prinzipien der wissens(austausch)freundlichen und erfahrungsnutzenden „Lernenden Organisation“²⁰ zu leben, zu gestalten sowie kontinuierlich zu fördern.

18 Im Rahmen dieser Masterarbeit wurden – u.a. durch einen Betriebsvergleich und eine Mitarbeiterbefragung – strategische und operative Ansätze von Wissensmanagement in den beiden Bibliotheken untersucht. Vgl. auch im Folgenden Becker 2005 und Becker 2007. 19 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2000. 20 Unter einer „Lernenden Organisation“ kann „[…] ein wirtschaftswissenschaftliches und systemtheoretisches Modell innerhalb eines komplexen, aber beeinflussbaren Umfeldes verstanden werden, [das] zum Ziel hat, die Lernprozesse der gesamten Organisation und die seiner Teams und Mitarbeiter in Einklang mit den aktuellen neurobiologischen und lerntheoretischen Erkenntnissen zu fördern und in einen organisationalen Lernprozess zu integrieren, um durch Lernen und kontinuierliche gemeinsame Selbsterneuerung die eigene Überlebensfähigkeit langfristig zu optimieren“ (Güldenberg 2003, S. 150).

Wissensmanagement

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Technik Organisation

Wissensmanagement

Mensch Gesellschaft

Technik Organisation

‡ veraltete und mangelnde Ausstattung ‡ kaum Spielraum für (eigene) Entwicklungen ‡ unzureichende technische Kompetenzen ‡ starre kommunale Sicherheitsvorschriften ‡ eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten

‡ statisch und hierarchiegeprägt ‡ kein bekanntes Leitbild ‡ interne Konkurrenz ‡ fehlende Transparenz ‡ unzureichender Entscheidungswille / unzureichend vermittelte Zuständigkeiten ‡ fehlende / nicht abgestimmte Spielregeln ‡ selten Mitarbeiterprofile ‡ keine monetären Anreize / starrer BAT ‡ kaum Möglichkeiten nicht-monetärer Anreizsysteme ‡ mangelnde Inanspruchnahme / geringes Angebot von Weiterbildungsangeboten ‡ ungenügend ausgebaute Besprechungskultur

Wissensmanagement

Mensch

Unternehmenskultur und -leitung Abb. 2: Münchner Modell des Wissensmanagements, ergänzt um herausfordernde Komponenten des Wissensmanagements im „Unternehmen“ Öffentliche Bibliothek

Bedingt durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Dienstleistungen und Anforderungen an betriebsinterne Abläufe und Strukturen, an die Organisationseinheit und an jeden einzelnen Mitarbeiter werden wissensmanagementorientierte Prozesse vielfältig und sehr unterschiedlich gestaltet. Dabei ist es wichtig, die Integration des Einzelnen zu steigern und somit gleichfalls mehr Interesse und eine bessere Identifikation mit den Zielen der Organisationseinheit und des Gesamtunternehmens

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Becker und Flicker

zu erreichen. Ein qualitativ hochwertiger und quantitativ adäquater Informationsaustausch bildet dafür das entscheidende Instrument. Eine Öffentliche Bibliothek, die den Anspruch erhebt, Medien- und Informationskompetenzen zu vermitteln, wird über ihre Produkte und Dienstleistungen wahrgenommen. Diese müssen mit den in der Bibliothek tatsächlich vorhandenen und gelebten Standards und Möglichkeiten übereinstimmen. An dieser Stelle werden die Interdependenzen von Marketing und Wissensmanagement dahin gehend sichtbar, dass einerseits Wissen als wichtige Entscheidungsgrundlage für Marketing angesehen werden kann, andererseits Marketing sich die konzeptionellen und operativen Direktiven des institutionellen Wissensmanagements zunutze machen kann. Eine laufende Untersuchung zu „Potentiellen Funktionen von Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken“²¹ bestätigt dies. Experten aus britischen und deutschen Bibliotheken haben für Öffentliche Bibliotheken vielfältige Einsatzmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte für „Externes, Individuelles, Internes und Systemisches Wissensmanagement“²² in Gegenwart und Zukunft aufgezeigt. Die (Zwischen-)Ergebnisse dieses (laufenden) Forschungsprojektes²³ werden im Folgenden in Beziehung zum Informationsmarketing gesetzt: Externes Wissensmanagement umfasst Maßnahmen der Öffentlichen Bibliothek, die die Entwicklung und den Ausbau von „Intellektuellem Kapital“ unterstützen. Entscheidendes Kriterium dabei ist, dass in diesem Prozess tatsächlich neues Wissen generiert wird. Im Vordergrund steht die Annahme, dass das Management von individuellem und kollektivem Wissen durch Bibliotheken als externe Dienstleistung angeboten werden kann. Die Verknüpfung zum Themenkomplex Marketing liegt in der Herausforderung, sich als Öffentliche Bibliothek […] im Kontext der kommunalen Kultur- und Bildungslandschaft mit einem innovativen Dienstleistungskonzept zu positionieren. Die Vielseitigkeit [des] Angebots, die schnelle Entwicklung immer neuer Medienformen sowie die rasche Vervielfältigung und Verbreitung von Information stellen dabei ebenso hohe Anforderungen an die Profilbildung und Vermarktung von Bibliothe-

21 24 deutsche und 24 britische Experten in Leitungsfunktion großstädtischer Zentralbibliotheken wurden im Rahmen einer szenariobasierten Delphistudie über den Status quo des Einsatzes von Wissensmanagement befragt. Die Ausgangsposition für Wissensmanagement wird wie folgt skizziert: „Der Einfluss von Wissen auf die berufliche und private Umwelt nimmt stetig zu. Die explosiv ansteigende Menge und zunehmende Komplexität von Informationen und Informationsbausteinen verlangen von jedem Einzelnen einen eigenständigen Umgang mit Wissen, Nicht-Wissen und Ungewissheiten. Eine gute Informationskompetenz und ein ausgebautes Individuelles Wissensmanagement sind Voraussetzungen für die gelungene Auseinandersetzung mit dem eigenen Wissensbestand, die Bewertung von Qualität sowie die Reduktion auf qualitative Wissenselemente.“ (Becker 2010, S. 3). 22 Hier als Eigennamen verwendet. 23 Angelehnt an Becker 2009.

Wissensmanagement

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ken und Informationseinrichtungen wie die Heterogenität [der] Zielgruppen, [der] differenzierte öffentliche Auftrag und die Finanzierungskonkurrenz mit anderen öffentlichen Einrichtungen.²⁴

In Zeiten knapper werdender Budgets und von Nothaushalten steht gerade die Öffentliche Bibliothek aufgrund der Freiwilligkeit, der sie unterliegt, in einem harten Wettbewerb mit anderen kommunalen Aufgaben  – seien es beispielsweise Pflichtaufgaben im Zusammenhang mit der sozialen Grundversorgung, dem Straßenbau, der Krippenplatzgarantie bis 2013 und / oder anderen freiwilligen Leistungen wie der Sanierung eines Bolzplatzes oder der Renovierung eines Theaters. Individuelles Wissensmanagement erfordert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wissensbestand, verlangt (lebenslanges) Lernen und wird zwangsläufig komplexer. Individuelles Wissensmanagement beschreibt den dazu notwendigen Umgang mit Wissen, Nicht-Wissen und Ungewissheit. Nicht nur für den Mitarbeitenden der Bibliothek (s. Internes Wissensmanagement) und die einzelne Bibliothek bzw. Informationseinrichtung hängt deren Zukunftsfähigkeit […] heute entscheidend davon ab, wie es ihnen gelingt, die schnellen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen zu antizipieren […],²⁵

sondern auch für den Endkunden, den Bürger, den es – so der Auftrag aus Politik und Verwaltung – zum mündigen Bürger auszubilden gilt. Marketing hat hier im Rahmen der Kommunikationspolitik die Aufgabe, an Politik und Verwaltung einerseits zu vermitteln, dass Bibliotheken und Informationseinrichtungen unverzichtbare Organisationen sind in dem oben angeführten Sinne, andererseits muss sichergestellt werden, dass der Endkunde ebendiese breite Dienstleistungs- und Angebotspalette kennt und zur Nutzung selbiger niederschwellig motiviert wird. Internes Wissensmanagement fördert die Entwicklung und den Ausbau von „Intellektuellem Kapital“ der Mitarbeiter und / oder der Organisation. Internes Wissensmanagement ist innerbetriebliches Steuerungsinstrument der Faktoren Mensch, Organisation und Technologie. Das Wissensmanagement wird durch die interne Kommunikation unterstützt, um so gezielter die eigene Institution legitimierende Öffentlichkeitsarbeit und Werbung an externe Adressaten (Kunden, Kooperationspartner, Unterhaltsträger auf verschiedenen Ebenen) zu organisieren:²⁶

24 Georgy, Schade 2011, S. 1. 25 Ebd. 26 Vgl. zum Zusammenhang von „interner Kommunikation als Voraussetzung für externe Kommunikation“ im Weiteren Zerfaß 2010.

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Becker und Flicker

[…] Bibliotheken und Informationseinrichtungen, die ihr Wettbewerbsumfeld, ihre Zielgruppen und ihre eigenen Stärken kennen und gesellschaftspolitische und technologische Trends orten und darauf reagieren können, sind deutlich im Vorteil, wenn es darum geht, sich aktuellen Herausforderungen zu stellen, Ressourcen dabei effizient einzusetzen und sich profilbildend zu positionieren. In der Finanzierungskonkurrenz mit anderen öffentlichen Einrichtungen können sie sich damit bei Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit besser behaupten, Kooperationschancen und Netzwerke optimal nutzen und haben es leichter, Spender und Sponsoren zu gewinnen.²⁷

Dafür braucht es Mitarbeiter, die up to date sind, und eine funktionierende Informationsinfrastruktur, die qualitativ hochwertige Dienstleistungen nicht nur erstellt, sondern  – frei nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“  – diese auch aktiv, selbstbewusst und kontinuierlich im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Werbung kommuniziert. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die bibliothekspolitische beziehungsweise bibliotheksethische Relevanz, die Informationsmarketing im NonProfit-Bereich von kommerziellem Informationsmarketing unterscheidet: Bei Bibliotheksprodukten und Informationsdienstleistungen [geht es] nicht mehr nur um die reine Vermarktbarkeit an sich, sondern auch darum, Ideen, die einen gesellschaftlichen Nutzen stiften, aufzugreifen und zu verbreiten.²⁸

Systemisches Wissensmanagement verbindet das Wissen von Personen mit dem von Organisationen. Systemisches Wissensmanagement konzentriert sich auf – die Regeln, Strukturen und Ziele des Systems²⁹ Kommune in seiner Funktion als „Stakeholder“ und Auftraggeber der einzelnen Öffentlichen Bibliothek, – die Rolle der Öffentlichen Bibliotheken als Gesamtheit innerhalb des Systems Gesellschaft, – den Endnutzer der Öffentlichen Bibliothek – den Bürger als Souverän und Kunde. Systemisches Wissensmanagement untersucht Interdependenzen im Zusammenspiel von Gesellschaft, Kommune, Öffentlicher Bibliothek und Bürger. Marketing umfasst Strategien, die mithilfe entsprechender Marketinginstrumente³⁰ und Mittel umgesetzt werden, um als Bibliothek und / oder Informationseinrichtung in dem durch diese Interdependenzen geprägten

27 Georgy, Schade 2011, S. 1. 28 Ebd. 29 Systeme setzen sich aus einer Vielzahl von Elementen (Organisationseinheiten und Personen) zusammen. Sie entwickeln dabei eine Komplexität, die sich durch die einzelnen Komponenten und deren Eigenschaften nicht mehr beschreiben lässt. 30 Beispielsweise die „sieben Ps“; vgl. dazu z.B. Abschnitt 3 im Beitrag „Strategisches Marketing“ von Hobohm in diesem Handbuch.

Wissensmanagement

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[…] Spannungsfeld zwischen bildungspolitischem Auftrag und Kundenorientierung [eine] Profilbildung voranzutreiben.³¹

Als kommunale Wissensmanager müssen Bibliotheken Informationsmarketing bewusst einsetzen, um so „die Entwicklung[en] der Informationsgesellschaft auf[zu] greif[en] und individuell, multioptional und vernetzend [zu] wirk[en]“³². Es geht aber auch darum, den gesellschaftlichen Mehrwert des Unternehmens und seiner Angebote konsistent und vielseitig über alle Marketingkanäle hinweg zu kommunizieren.³³

4 Wissensmanagement trifft Informationsmarketing – operative Handlungsfelder für Öffentliche Bibliotheken Basierend auf den oben angeführten Dimensionen von Wissensmanagement wird im Folgenden der Versuch unternommen, relevante Handlungsfelder, in denen Wissensmanagement und Informationsmarketing zusammentreffen, aufzuzeigen und so einen Transfer der aufgeführten theoretischen Studien sowie der getroffenen Definitionen in den Arbeitsalltag ansatzweise vorzunehmen: Handlungsfeld Unternehmensleitung Mit der Entscheidung, ob und wie Wissensmanagement implementiert bzw. personell, finanziell und technisch ausgestaltet wird, wird gleichzeitig auch eine Grundlage für die strategisch-konzeptionelle Ausrichtung von Marketing geschaffen. Gesetzt den Fall, die Qualität des internen Wissenstransfers entscheide maßgeblich über die Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie über deren kontinuierliche und nachhaltige Marktpositionierung, so sollte die Unternehmensleitung daran interessiert sein, – eine (intensive) Mitarbeiterführung und -betreuung zu gewährleisten, – ein breites Spektrum an Kooperation, Kommunikation und konzeptioneller Arbeit (systemübergreifend, aber auch hausintern – je nach Struktur der Bibliothek) zu ermöglichen, – Freiräume für eine institutionalisierte Face-to-Face-Kommunikation gezielt zu etablieren und dabei beispielsweise auf Instrumente wie den kontinuierlichen Einsatz von Führungsinstrumenten wie Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen und Beurteilungswesen zu setzen sowie

31 Georgy, Schade 2011, S. 1. 32 Ebd. 33 Vgl. ebd.

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Becker und Flicker

moderne technikgestützte Informationsinfrastrukturen und -plattformen für die interne Kommunikation anzubieten.

Damit ist es die Aufgabe der Unternehmensleitung, Wissen strukturiert und dokumentiert mit den notwendigen modernen Technologien verfügbar zu machen. Die notwendigen Strategien und Maßnahmen tragen zur Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sowie zur Sichtbarmachung des Unternehmens bei. Damit wird Wissensmanagement zu einer wichtigen Basis des Marketings. Handlungsfeld Bibliotheksprofil und Servicestandards In einem Leitbild sind Zielsetzung (Vision) und Arbeitsauftrag der Bibliothek (Werte / Orientierung) verschriftlicht. In ihm werden nicht nur die ethisch-politischen Grundlagen des täglichen Arbeitens auf einer Metaebene zusammengefasst, es ordnet die Handlungsfelder der Bibliothek im Idealfall auch in das kommunale Gefüge ein. Unternehmensgrundsätze werden dann auf die einzelnen Organisationseinheiten abgeleitet, indem einheitliche Regelungen und normierte Standards festgelegt werden. Marketing und Wissensmanagement gewährleisten ein tragfähiges Miteinander von theoretischem Anspruch und operativer Realität. In engem Zusammenspiel tragen beide dazu bei, organisationsspezifisch getroffene Leitbild- und Profildefinitionen nach innen und  – ggf. ergänzt um Servicestandards und / oder sprachlich modifiziert – nach außen mit Leben gefüllt zu kommunizieren. Handlungsfeld Unternehmenskultur und Unternehmenskommunikation Die interne Kommunikation – unabhängig davon, ob diese eher kodifiziert oder personalisiert³⁴ ausgerichtet ist – schafft die notwendigen Rahmenbedingungen für das Wissensmanagement. Das Wissensmanagement befördert die Vernetzung von Wissen und somit die Möglichkeiten der internen Kommunikation. Daraus kann sich neues Wissen generieren. Dabei spielen eine geregelte Sitzungs- und Besprechungskultur, ein adäquater Freiraum für Flurgespräche, Rückzugs- und Sozialräume sowie an den Interessen der Mitarbeitenden ausgerichtete soziale Events (außerhalb und während der Arbeitszeit), aber auch Social Media etc. eine tragende Rolle. Systemweite sowie hausinterne Informationen, die transparent strukturiert sind und die eine Auffindbarkeit aktueller Anleitungen und Anweisungen für gegenwärtige Arbeitsvorgänge

34 „Die Kodifizierung stellt den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in den Vordergrund. Im Gegensatz zur Personalisierung wird Wissen als Objekt betrachtet, welches in Datenbanken bzw. Wissensmanagementsystemen abgelegt wird. Dieser Ansatz wird der ersten Generation des Wissensmanagements zugeordnet.“ (Bick 2009a, o.S.). „Ziel der Personalisierung ist die Unterstützung der Wissenskommunikation, d.h. die Unterstützung des persönlichen Wissensaustausches. Im Gegensatz zur Kodifizierung wird Wissen als Prozess betrachtet; der Mensch als Wissensträger steht im Mittelpunkt. Dieser Ansatz wird der zweiten Generation des Wissensmanagements zugeordnet.“ (Bick 2009b, o.S.).

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und -prozesse gewährleisten, müssen in eine adäquate, die Rahmenbedingungen berücksichtigende Informationsinfrastruktur eingebunden sein. Aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren mit klaren Festlegungen bzgl. Kompetenzen, Zuständigkeiten, Spielregeln zu Entscheidungsprozessen, -trägern und -ergebnissen lassen sich Unternehmenskommunikation und -kultur für ein gutes, geschlossenes und tragfähiges Marketing nach außen nutzbar machen.³⁵ Je höher das Commitment und die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen, desto eher sind diese bereit, sich mit der Marke „Bibliothek“ zu identifizieren und dies auch offensiv nach außen zu tragen. Sie werden zu den entscheidenden Markenträgern der Institution.³⁶ Handlungsfeld Mitarbeiter und Mitarbeiterstruktur Feste Ansprechpartner, Einarbeitungspläne und Einführungsprogramme sowie weitere Anreiz- und Betreuungssysteme wie Hospitanz und Jobrotation sind für die gelungene Einführung und Integration eines neuen Mitarbeiters oder auch eines Praktikanten ebenso relevant wie aktuelle Dienstanweisungen, Tätigkeitsbeschreibungen und Arbeitsanleitungen als Basisinformationen. Mittels kontinuierlicher Betreuung des Einzelnen, die neben Instrumenten wie Führungsdialogen, Mitarbeiter- und Beurteilungsgesprächen auch immaterielle Instrumente zur Mitarbeitermotivation ausschöpft (dazu zählen u.a. flexible Arbeitszeitmodelle, das Gewähren von [unbezahltem] Urlaub, Job-Enlargement- und Job-Enrichment-Maßnahmen als Möglichkeit, Arbeitsbereiche auszuwählen und zu gestalten, Aufgabenreduzierung und Spezialisierungsmöglichkeiten) sowie materielle Leistungsanreize setzt, gelingt schließlich die erfolgreiche Integration als vollwertige Kraft im Sinne eines „kreativen Individualisten“³⁷.

35 Ausführliche Erläuterungen zum Zusammenhang von interner und externer Kommunikation bietet Zerfaß 2010. 36 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 37 Als gelungen kann sich die Einführung eines neuen Mitarbeiters in das Unternehmen nach Rischar (1994, S. 412) dann herauskristallisieren – und dies ist in Teilen auch in der Probezeit erkennbar –, wenn der Neuling als „kreativer Individualist“ ein „[…] vollwertiges, integriertes und loyales Unternehmensmitglied […]“ wird. Kieser (1985, S. 4) kennzeichnet den Typ des „kreativen Individualisten“ als einen Mitarbeiter, der „[…] die Ziele des Unternehmens [akzeptiert] und sich an sie gebunden [fühlt]. Gleichzeitig setzt er sich jedoch kritisch mit den übertragenen Stellenaufgaben und mit seiner Arbeitsumgebung auseinander.“ Ein solcher Mitarbeiter „[…] erfüllt den sensiblen, situations- und zielgerechten Umgang mit den Regeln, [arbeitet] an der Verbesserung betrieblicher Prozesse mit und [stellt] somit Innovationspotential für organisatorische Aufgaben und Abläufe dar“ (Kieser 1995, Sp. 1637). Als solches Unternehmensmitglied beherrscht er, wiederum nach Rischar (a.a.O.): – „[…] die selbständige und souveräne Wahrnehmung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeit in seiner Funktion, – die Kenntnis und Akzeptanz des von ihm erwarteten Rollenverhaltens,

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Dabei spielen auch eine weitestgehend autonome Aufgabenerfüllung mit guten informellen Strukturen sowie eine ausgebaute Besprechungskultur zu einem breiten Transfer von Wissen über Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einsatzmöglichkeiten von technischen und personellen Ressourcen eine wichtige Rolle. Das Wissensmanagement wird so zur entscheidenden Plattform, die die Organisationsstruktur mit prägt. In einer „Lernenden Organisation“ wird Qualifizierungsmaßnahmen eine hohe Wertigkeit zugewiesen, da sie zum kontinuierlichen Fördern von Arbeitsintelligenz und Arbeitskraft führen. Externe, aber auch unternehmensinterne Fortbildungsmaßnahmen von Mitarbeitern für Mitarbeiter sorgen dafür, dass kompetente Mitarbeiter, die in möglichst vielen Bereichen eingesetzt werden können, Standard werden. Freiräume für zukunftsweisende Projektarbeit gilt es dabei ebenso zu schaffen wie dafür Sorge zu tragen, dass ein oft ungewollt zementiertes Hierarchiegefälle zwischen bibliothekarischen und nicht bibliothekarischen Kräften, das sich über eine unterschiedliche „Wertigkeit“ der verschiedenen Tätigkeiten gerade im täglichen Miteinanderarbeiten ausdrückt, aufgebrochen wird. Wiki-gebundene Instrumente können beispielsweise transparente und abrufbare Mitarbeiterprofile sein, die zwar eine Zustimmung und Einbindung der Personalvertretung und der Mitarbeiter erfordern, aber bei einer klaren inhaltlichen Konzeption zu einem niederschwelligen Zugriff auf das Humankapital im Sinne eines kollaborativen Wissenstransfers führen. Ein anderes Beispiel für gelungene, kooperative Personalentwicklung wird später am Praxisbeispiel der Stadtbücherei Würzburg noch einmal dezidiert beschrieben (siehe Abschnitt 6). Klassische Weiterbildungsmaßnahmen rücken somit im Sinne eines modernen Wissensmanagements in den Hintergrund, da Qualifikations- und Kompetenzentwicklung zusammengeführt werden können, was zudem den interdisziplinären Dialog, der heute in allen Bereichen unabdingbar ist, befördert. Kompetenz bedeutet im Sinne des Wissensmanagements, mit Wissensbeständen (verantwortungsvoll) umgehen zu können, Wissen somit richtig anwenden und einsetzen zu können. Versteht man Internes Marketing [nun] als Methode, so wird primär der Versuch unternommen, die externen Marketingprinzipien und den externen Marketing-Mix auf die internen Leistungen zu übertragen.³⁸

Damit wird wissens(management)basiertes internes Marketing zu einer Schnittstelle zwischen Personal- und Marketingmanagement.³⁹

– die Integration in die Gruppe mit ihrem internen Werte-, Rang- und Normgefüge sowie ihren Kooperationsbeziehungen, – die Information über alle wichtigen betrieblichen und arbeitsspezifischen Daten und Einrichtungen sowie – die Identifikation mit dem Unternehmen und seiner Verfassung.“. 38 Gabler Verlag o.J. 39 Vgl. ebd.

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Handlungsfeld Organisation und Projektarbeit Transparentes Wissen über kundenbezogene Produkte und Dienstleistungen der Bibliothek wie das Medienangebot, Schulungen und Führungen, Arbeitsinhalte, Arbeitsstrukturen, Arbeitsabläufe, Kennzahlen, Abteilungsprofile, Arbeitsplatzbeschreibungen und Zielvereinbarungen sind Voraussetzungen für eine optimale Übersicht über die eigenen Aufgabenbereiche und die der Kollegen. Sie kennzeichnen eine moderne „Lernende Organisation“. Wissensmanagementrelevante Prozesse wie die bewusste Implementierung von „kreativem Chaos“⁴⁰, d.h. bewussten Umstrukturierungen von Arbeitsabläufen im Routinebereich, aber auch insbesondere im Zusammenhang mit strukturierter Projektarbeit unter klaren Spielregeln, Zuständigkeiten, Entscheidungskompetenzen und differenzierten Projektaufträgen, in denen Meilensteine, Ansprechpartner und der Informationsfluss über Protokolle fixiert werden, runden diese Aufstellung ab. Betriebsinternes Wissensmanagement im Sinne eines nachhaltigen internen Marketings wird erfolgreich, wenn die Mitarbeiter bereit sind, aktiv Wissen zu teilen, aus gewonnenen Erfahrungen zu lernen, vorhandene wissensmanagementrelevante Strukturen und Instrumente auszubauen und im Sinne eines organisationalen kontinuierlichen Verbesserungsprozesses einzusetzen verstehen. Handlungsfeld Technik Im Bereich der Informations-, Kommunikations- und Dokumentationstechnik sind, wie beschrieben, Bibliotheken als (öffentliche) Informationszentren selten up to date und verfügen oft über eine (stark) eingeschränkte Autonomie in Zugang und Optimierung der Informationsinfrastruktur. So können z.B. (vorgeschobene) Sicherheitsbedenken der übergeordneten IT-Abteilung, die seitens der Bibliothek mangels entsprechenden Know-hows nicht ausgeräumt werden können, es be- oder sogar ganz verhindern, dass aktuelle Angebote und Dienstleistungen verwirklicht werden, die die Kunden andernorts bereits kennen und selbstverständlich nutzen. Interne und externe Vielfalt⁴¹ der IT-Instrumente (Wiki, Intranet, Ordner- und Ablagesysteme, Internet, Website, Social-Media-Applikationen etc.) können so oft nicht in ausreichendem Maße bereitgestellt werden. Neben dem Ziel, den (informations)souveränen Umgang mit eingesetzten Technologien seitens Mitarbeitern und Kunden auszubauen, hat Marketing hier die Aufgaben, einerseits eine Mängelverwaltung gekonnt im Sinne der externen, kundenbezogenen Kommunikation zu betreiben, andererseits intern in der konstruktiven Diskussion mit Stakeholdern und IT-Abteilungen eine Politik der kleinen Schritte hin zu höherer Autonomie und mehr Kundenorientierung

40 „Kreatives Chaos“ ist eine der fünf Eigenschaften, die nach Nonaka und Takeuchi (1997) Prozesse im Sinne einer „Lernenden Organisation“ fördern. Vgl. auch Fußnote 52. 41 „Interne Vielfalt“ (wenn auch nicht wie in diesem Kontext auf das Handlungsfeld Technik beschränkt) ist eine der fünf Eigenschaften, die nach Nonaka und Takeuchi (1997) Prozesse im Sinne einer „Lernenden Organisation“ fördern. Vgl. auch Fußnote 52.

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im Sinne einer zeitgemäßen IT-Ausstattung zu verfolgen. Informationsmarketing hat dabei neben dem Aspekt der internen und externen Kommunikation im weiteren Sinne immer auch die Aspekte Produkt / Dienstleistung, Preis und Platzierung in gleichem Maße mit zu berücksichtigen – imagesteigernd durch Öffentlichkeitsarbeit, absatzfördernd durch Werbung.⁴² Implementierung, Ausgestaltung und stetige Modifikation von Informationsdienstleistungen (z.B. Auskunftsinterview, Auftragsrecherche, Bestandsmanagement in einer Bibliothek) sind vor allem unter dem Gesichtspunkt der permanenten medialen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen wissensintensive Dienstleistungen, die eine hohe Prozesskomplexität aufweisen. Dieser Wissensintensität, die weit über die Anwendungsbereiche des Informationsmarketings hinausreicht, kann durch entsprechend initiierte Wissensmanagementprozesse  – seien sie intern oder extern ausgerichtet – entsprochen werden.

5 „Wissensbilanz – Made in Germany“ Vor allem mittelständische Unternehmen, aber auch Non-Profit-Organisationen können über Wissensbilanzen aufzeigen, wie sie ihre immateriellen Werte wie Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter, interne Strukturen und externe Beziehungen erheben, darstellen, bewerten und besser nutzen können. Wissensbilanzen können somit die instrumentelle Schnittstelle zwischen den geschilderten Dimensionen und Handlungsfeldern des Wissensmanagements mit unterschiedlichen, in dem vorliegenden Handbuch aufgeführten Aspekten des Informationsmarketings sein. Der Vorteil der „Wissensbilanz – Made in Germany“⁴³ ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Strategie-Instrumenten den theoretischen Überbau der jeweils untersuchten Institution mit den tatsächlichen Organisationsprozessen, Dienstleistungen und vorhandenen Kapitalebenen (Human-, Beziehungs- und Strukturkapital) zusammenstellt und Interdependenzen aufzeigt.

42 Siehe dazu den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 43 Initiiert wurde die „Wissensbilanz – Made in Germany“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Erarbeitet wurde diese Methode der Bestandsaufnahme der immateriellen Erfolgsfaktoren einer Organisation vom Fraunhofer Institut IPK und internationalen Experten im „Arbeitskreis Wissensbilanz“. http: // www.akwissensbilanz.org (Abruf: 19.01.2012).

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Humankapital Wissen, Kompetenzen, Fähigkeiten, Fertigkeiten der Mitarbeitenden, die diese in die Bibliothek einbringen

Strukturkapital Strukturen, die den Mitarbeitern zur Verfügung stehen, um produktiv und innovativ zu arbeiten

Beziehungskapital Beziehungen zu Personen und Institutionen, die für die Bibliotheksarbeit genutzt werden Abb. 3: Human-, Beziehungs- und Strukturkapital als Bausteine des „Intellektuellen Kapitals“ der „Wissensbilanz – Made in Germany“

Über diese Interdependenzen wird nicht nur das Bewusstsein für die zahlreichen immateriellen Faktoren geweckt, die den Erfolg einer Organisation ausmachen. Es wird auch aufgezeigt, ob der eruierte Ist-Zustand der Stärken und Schwächen kongruent zu den formulierten Zielen und strategischen Überlegungen ist. Die Basis für ein stimmiges Informationsmarketing kann somit über eine Wissensbilanz ebenso ermittelt werden wie grundlegende „Hebel“ (siehe Abschnitt 6.1) zu einer besseren Profilierung und Ausrichtung der untersuchten Bibliothek oder Informationseinrichtung analysiert sowie Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Der große Vorteil der Methode ist die klar strukturierte Vorgehensweise: Nach einer Beschreibung des Geschäftsmodells werden Geschäftsprozesse und Geschäftserfolge skizziert und anschließend im Bezug dazu erfolgskritische Faktoren des Human-, Beziehungs- und Strukturkapitals definiert.⁴⁴ Die Einflussfaktoren werden anschließend in Workshops durch ein Wissensbilanzteam, das in seiner Zusammenstellung möglichst alle Organisationseinheiten und Hierarchieebenen widerspiegelt, nach Qualität, Quantität und Systematik bewertet:

44 Zur Verdeutlichung an dieser Stelle eine Beispieldefinition des Erfolgsfaktors „Sozialkompetenz & Kundenorientierung“ aus dem Humankapital: „,Sozialkompetenz & Kundenorientierung‘ bedeutet, sich in Interaktion mit Menschen situationsgemäß zu verhalten und gemeinsam Aufgaben zu bewältigen. Sozialkompetenz äußert sich in der Fähigkeit, fair, offen, kollegial und partnerschaftlich mit dem Gegenüber zu kommunizieren, und bestimmt die Zusammenarbeit untereinander sowie gegenüber unseren Dienstleistungspartnern – allen voran unseren Kunden […].“ (Becker 2011, o.S.).

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Quantität Wie wird die Menge des Faktors, der analysiert wird, eingeschätzt? Haben wir diesen Faktor in ausreichender Menge, um unsere Ziele zu erreichen? Qualität Wie wird die Güte des Faktors, der analysiert wird, eingeschätzt? Ist dieser Faktor gut genug ausgeprägt, um unsere Ziele zu erreichen? Systematik Wie werden Definition, Regelmäßigkeit und strukturierte(r) Weiterentwicklung / Einsatz / Kommunikation des Faktors, der analysiert wird, eingeschätzt? Verwenden bzw. entwickeln wir diesen Faktor systematisch genug, um unsere Ziele zu erreichen?

Diese Bewertung hat weder den Ist-Zustand noch den Rückblick im Fokus, sondern bezieht sich auf die eingangs festgeschriebenen Visionen, Ziele und Strategien und ist somit prognostisch angelegt. Bei der sich daran anschließenden Erhebung der Wechselwirkungen wird bewertet, welche Auswirkung eine Verbesserung des Faktors A (z.B. Mitarbeiterqualifikation) auf den Faktor B (z.B. Kundenservice) hat. Die Bewertung basiert jeweils auf der Fragestellung: „Wenn der betrachtete Einflussfaktor (Mitarbeiterqualifizierung) sich verändert oder aktiv verändert wird, wie stark ist die verändernde Auswirkung auf den jeweils anderen Einflussfaktor (in diesem Falle Kundenservice)?“ Es ist dabei irrelevant für die Bewertung, ob die Veränderung eine Verbesserung oder eine RisikoPerspektive beschreibt. Dokumentation und Analyse aller Bewertungen und Ergebnisse erfolgen über eine kostenlose Software.⁴⁵ Das Dokument „Wissensbilanz“ kann editiert, um Grafiken und Schaubilder ergänzt und schließlich z.B. im PDF-Format ausgegeben werden. Basierend auf den Ergebnissen entsteht als eines der zentralen Ergebnisse der Wissensbilanz ein „Potenzial-Portfolio“ (siehe die Abschnitte 6.1 und 6.2 sowie Abb. 4). Mit dessen Hilfe können nun die entwicklungsfähigen Einflussfaktoren bestimmt und Maßnahmen zur Optimierung des „Intellektuellen Kapitals“ der untersuchten Organisation abgeleitet werden. So können konkrete, für die Bibliotheksleitung und die Mitarbeitenden, aber auch für Träger, Kooperationspartner, Kunden und weitere Stakeholder nachvollziehbare Maßnahmen zur Organisationsentwicklung abgeleitet werden und in das institutsinterne Informationsmarketing einfließen.

45 Download möglich unter: http: // www.akwissensbilanz.org / Toolbox / toolbox-download.htm (Abruf: 24.01.2012).

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6 Praxisbeispiel Würzburg – von der Wissensbilanz zum operativen Wissensmanagement Die Stadtbücherei Würzburg hat 2010 eine Wissensbilanz nach der oben beschriebenen Methode „Wissensbilanz – Made in Germany“ erarbeitet. Mit dem Einsatz dieses Strategieinstruments werden verschiedene Ziele verfolgt: Motivation der Bibliotheksleitung und organisationsinterne Ziele – Vision, Geschäftserfolge und Ziele der Bibliothek gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu erarbeiten, verspricht ein hohes Maß an Akzeptanz der Ergebnisse und der später daraus abgeleiteten Maßnahmen sowie eine hohe Motivation, sich für die gemeinsam aufgestellten Ziele zu engagieren. – Die Methode ermöglicht es, Transparenz über vorhandene Ressourcen und deren Status quo zu erlangen. – So wird eine belastbare Entscheidungsgrundlage erarbeitet für die strukturierte strategische Organisationsentwicklung. – Gute Erfahrungen mit der Methode aus der freien Wirtschaft versprechen einen hohen Nutzwert für die Bücherei.⁴⁶ – Die neue Direktorin verfolgte außerdem das „versteckte“ Ziel, mittels gemeinsamer Arbeit im Wissensbilanz-Team „alle in ein Boot zu bringen“, zwischen Leitung und Mitarbeitenden ein Wir-Gefühl entstehen zu lassen. Hinsichtlich des Informationsmarketings relevante, nach außen gerichtete Ziele – Mit der transparenten und plausiblen Darstellung von Zielen, Status quo und Entwicklungsplänen wird die Basis geschaffen für eine belastbare Argumentation gegenüber dem Träger sowie für eine attraktive Selbstdarstellung der Bibliothek als Sponsoring-Nehmerin und Kooperationspartnerin. – Die Arbeit am Image der Bibliothek, indem das innovative Thema Wissensbilanz im Besonderen bzw. die strategische Organisationsentwicklung im Allgemeinen als „First Mover“ besetzt wird.

46 Anja Flicker hat die Methode als Wissensmanagerin und Piloter in der freien Wirtschaft mehrfach erfolgreich angewendet, die Weiterentwicklung über kleine und mittlere Unternehmen hinaus begleitet sowie Bilanzierungsprozesse in diversen Non-Profit-Organisationen bis hin zur Bilanz der Stadtbibliothek Mannheim (ko)moderiert.

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Hinsichtlich des Ziels, für die strukturierte strategische Organisationsentwicklung eine Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten, soll im Folgenden das weitere Vorgehen beschrieben werden. Damit gelangt die Bibliothek über die Methode „Wissensbilanz – Made in Germany“ vom Erarbeiten der Strategie zu operativen Wissensmanagementund Entwicklungsmaßnahmen, die in enger Interdependenz mit unterschiedlichen Dimensionen des Informationsmarketings stehen.

6.1 Allokation von Ressourcen Zur strategischen Organisationsentwicklung stehen in jeder Institution und jedem Unternehmen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. Bei einer Öffentlichen Bibliothek wirken sich diese Begrenzungen noch stärker aus als in einem Wirtschaftsunternehmen – sie sind quasi systemimmanent. Die Wissensbilanz betreibt nun in einem ersten Schritt eine Bestandsaufnahme aller immateriellen Erfolgsfaktoren mit dem Ziel, die zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Diese Effizienz wächst nicht aus der Wissensbilanz selber, sondern durch die Interpretation der Ergebnisse. Um zu initiierenden Maßnahmen zur Organisationsentwicklung zu gelangen, werden über die Wissensbilanz sogenannte „Hebel“ herausgearbeitet. Diese Hebel sind die Einflussfaktoren des „Intellektuellen Kapitals“, die eine große Relevanz für die Organisation und gleichzeitig viel Entwicklungspotenzial haben. Im Potenzial-Portfolio erscheinen diese Faktoren im Quadranten oben links (siehe Abb. 4). Über diese Faktoren werden die Auswirkungen von Maßnahmen am effizientesten in die untersuchte Organisation übertragen. Aufgabe der Bibliothek ist es nun, sich auf eben jene Maßnahmen zu konzentrieren, die die stärksten Hebelwirkungen versprechen und für eine optimierende, selbstverstärkende Entwicklung der eingesetzten Ressourcen strategisch sinnvoll scheinen. Hier gilt es zu fokussieren und Überlegungen zu bündeln – und so einem durch die Komplexität des Instrumentes Wissensbilanz irrtümlich abgeleiteten Maßnahmenüberengagement, das leicht zur Verzettelung und Organisationsüberforderung führen kann, vorzubeugen.

6.2 Ziele und Vision als Bezugsrahmen für die Bewertung Um ein gutes Ergebnis mit dem Instrument der Wissensbilanz erzielen zu können, gilt es, adäquate Bewertungskriterien für die verschiedenen Ranking-Stufen innerhalb des Bilanzierungsprozesses passend für den definierten Bilanzierungsbereich  – in diesem Fall somit für die Stadtbücherei Würzburg als Bibliothekssystem – zu formulieren. Das Wissensbilanz-Team der Stadtbücherei Würzburg (16 Mitarbeiter, die die gesamte Belegschaft repräsentieren) hatte für die eigene Organisation eine sehr ambitionierte Vision erarbeitet und verabschiedet:

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– – – – – –

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Wir gehören zu den besten Bibliotheken Deutschlands. Wir sind beispielhaft in unserer kundenorientierten, wirtschaftlichen, innovativen und professionellen Bibliotheksarbeit. Der Service für unsere Kunden mit hervorragenden Angeboten hat höchste Priorität. Beim Aufgreifen von Innovationen gehören wir zu den „First Movern“ im Bibliothekswesen. Wir haben Pioniergeist. Wir agieren als Team und sind eine „Lernende Organisation“.⁴⁷

Diese Vision war der Bezugsrahmen für die Bewertungen der Einflussfaktoren. Das Ergebnis der Bewertungen zeigt sich im Potenzial-Portfolio (siehe Abb. 4): Die Faktoren „Fachkompetenzen“ und „Innovation“ sind bezogen auf die Stadtbücherei Würzburg die vielversprechendsten Hebel und sollten vorrangig entwickelt werden.

Abb. 4: Potenzial-Portfolio Stadtbücherei Würzburg 2010

Auch die Faktoren „Sozialkompetenz und Kundenorientierung“ sowie „Führungskompetenz“  – wie „Fachkompetenzen“ aus dem Bereich Humankapital  – erscheinen im oberen Bereich des Potenzial-Portfolios. Das bedeutet, dass diese Faktoren im Wechselwirkungsgefüge des „Intellektuellen Kapitals“ ein hohes Einflussgewicht haben.

47 Flicker 2010.

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Abb. 5: Wirkungsnetz Stadtbücherei Würzburg 2010

Die Auswertung in einem mittels der Wissensbilanz-Toolbox generierten sogenannten Wirkungsnetz (siehe Abb. 5) bestätigt, dass alle genannten Faktoren innerhalb der Organisation starke und zum Teil interdependente Auswirkungen aufeinander, aber auch auf die Organisation Stadtbibliothek als Ganzes haben: Nur die Einflüsse der höchsten Wirkungsstärke mit der jeweiligen Wirkrichtung sind in der Grafik als Pfeile dargestellt. Sowohl aufeinander als auch auf die Faktoren des Geschäftserfolgs der Bibliothek (in der Grafik mit GE abgekürzt) „Akzeptanz durch Kunden“, „Wirtschaftlichkeit“, „Image“ bestehen starke Wirkungs- und Wechselwirkungszusammenhänge. Es liegt nahe, die drei Faktoren des Humankapitals zum Thema „Kompetenzen“ zusammenzufassen. Als Maßnahme zur Entwicklung dieses Hebels entschlossen sich die Direktion und das Bilanzierungsteam der Stadtbibliothek Würzburg, diesen Themenkomplex unter der Überschrift „Strategische Personalentwicklung“ als ersten Hebel festzulegen und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Der zweite Hebel, den es zu optimieren galt, setzt am Faktor „Innovation“ an. Um diesen zu entwickeln, wurde als Maßnahme ein „Systematischer Innovationsprozess“ aufgesetzt.

6.3 Maßnahmen erarbeiten Ebenso partizipativ, wie die Genese der Wissensbilanz im Team durchgeführt wurde, sollten die beschlossenen Maßnahmenkomplexe „Strategische Personalentwicklung“ bzw. „Systematischer Innovationsprozess“ durch eine hohe Mitarbeiterbeteiligung mit konkreten, an den operativen Arbeitsalltag anknüpfenden Handlungsempfehlungen gefüllt werden. Jeweils eine Hälfte des Wissensbilanz-Teams der Stadtbüche-

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rei Würzburg übernahm die Aufgabe, einen der Maßnahmenkomplexe entsprechend auszuarbeiten. Strategische Personalentwicklung Für diese Maßnahme stellte die entsprechende Arbeitsgruppe zunächst eine Liste der Kompetenzen auf, welche die Stadtbücherei in Zukunft  – mit Blick auf Vision und Ziele! – benötigt. Nun kann und muss nicht jeder einzelne Mitarbeiter alle Kompetenzen haben. Es wurden vielmehr im nächsten Schritt Rollen definiert (z.B. Auskunft / Beratung, Verbuchung, Zweigstelle, Buchpflege) und im dritten Schritt zugeordnet, welche Kompetenzen in welcher Rolle erforderlich sind. Die erarbeitete KompetenzMatrix wurde fertiggestellt, indem die Arbeitsgruppe diesen Fähigkeiten eine Priorität (eins, zwei oder drei) zuordnete. Die allgemeine Kompetenz-Matrix ist eine Übersicht – operativ umsetzbar wird sie erst, nachdem sie in individuelle Personalentwicklungspässe eingeflossen ist. Im Rahmen von Mitarbeitergesprächen wurde mit jedem Mitarbeiter besprochen, welche Rollen die jeweilige Person innehat: Welche Kompetenzen müssen demnach vorhanden sein, welche Kompetenzen sind bereits in welchem Maß vorhanden und welche Kompetenzen müssen aufgebaut werden? So entstand für jeden Einzelnen schließlich ein individueller Personalentwicklungsplan. Als alle Individualpläne vorlagen, galt es, eine logistische Herausforderung zu bewältigen: Wer (Mitarbeiter in sinnvoller Gruppenzusammensetzung) wird wann (Fortbildungstermine vor dem Hintergrund heute schon knapper Personalressourcen) von wem (interne / externe Trainer) wo (interne / externe Räume) nach welcher Methode (interne Trainer müssen Schulungskonzepte erstellen) geschult? Die für den Komplex „Strategische Personalentwicklung“ beschlossenen Einzelmaßnahmen implementieren eine neue Struktur, die die Stadtbibliothek Würzburg langfristig begleiten wird. Sowohl die übergeordnete Kompetenz-Matrix als auch die individuellen Entwicklungspässe müssen jedes Jahr geprüft und aktualisiert, die erforderlichen Fortbildungen dementsprechend geplant und umgesetzt werden. Damit wird für die als Hebel identifizierten Humankapital-Faktoren ein Plus an Qualität, an Quantität und an Systematik erreicht – die Faktoren „wandern“ im PotenzialPortfolio von oben links nach oben rechts. Die strategische Weiterentwicklung der Organisation Stadtbücherei wird somit über die Prozesse, die aus dem Maßnahmenkomplex „Strategische Personalentwicklung“ abgeleitet werden, ein Stück Strukturkapital, das dauerhaft stärken wird. Systematischer Innovationsprozess Die Arbeitsgruppe, die sich die Entwicklung dieser Maßnahme vorgenommen hatte, begann ihre Aufgabe mit folgender Definition des Begriffs „Innovation“: – Neuerungen mit externer Wirkung: Wir sind deutschlandweit die erste Öffentliche Bibliothek bzw. die erste Bibliothek in Würzburg (hier inkl. Uni- und FH-Bibliothek etc.).

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Neuerungen mit interner Wirkung: Alle Prozessverbesserungen, die uns intern weiterbringen, besser machen und effizienter arbeiten lassen.⁴⁸

In der Vergangenheit hatte die Stadtbücherei Würzburg immer wieder Innovationen auf hohem Qualitätsniveau realisiert. Die Bewertung des Wissensbilanz-Teams ergab jedoch, dass Quantität und Systematik ausbaufähig waren, und dass beides gesteigert werden musste, um die anfangs entworfene Vision vom „First Mover“ im Bibliotheksbereich zu erreichen. Mit dem Ziel, im Sinne eines Kontinuierlichen (Innovations-)Verbesserungsprozesses eine kontinuierliche Optimierung zu erreichen, die auch im Alltagsgeschäft greift, erarbeitete das Team ein Verfahren, das systematisch zu mehr Neuerungen im Sinne der oben angeführten Definition führen soll: 1. Markt beobachten Es wurde eine Übersicht der relevanten Wissensgebiete erstellt, die kontinuierlich beobachtet werden sollen; außerdem wurden die jeweiligen Personen und Informationsmittel benannt, die zur Marktbeobachtung eingesetzt werden. 2. Ideen sammeln Um den Strukturkapital-Faktor „Informationstechnik und dokumentiertes Wissen“ zu stärken, wurde als Plattform des internen Informationsaustausches ein Wiki eingeführt. Dieses Wiki unterstützt den Innovationsprozess, da jede / jeder Mitarbeitende schnell, unkompliziert und niederschwellig neue Ideen oder / und Optimierungsvorschläge beisteuern kann. 3. Ideen auswählen Aufgabe des Teams Innovation ist es, die Ideen regelmäßig zu sichten und diejenigen nach festgelegten Kriterien auszuwählen, die weiter verfolgt werden sollen. 4. Ideen ausarbeiten Es wurden Dokumentvorlagen entwickelt, mittels derer zur Realisierung vorgesehene Ideen in ein formales Projektmanagement übergehen: Um eine Idee konkreter auszuarbeiten, muss zunächst eine strukturierte Innovationsbeschreibung erstellt werden, die als Projektantrag der Bibliotheksleitung zur Entscheidung vorgelegt wird. 5. Projekte planen Soll die Innovation realisiert werden, ist ein Projektplan zu erstellen, der Ziele, Aktivitäten, Ressourceneinsatz und Termine enthält. 6. Projekte umsetzen Der Projektplan ist während der Realisierung stets zu beachten und auf aktuellem Stand zu halten.

48 Flicker 2011.

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7.

Publizieren Informationsmarketing ist Arbeit am Image: Erfolgreich eingeführte Innovation gilt es als solche zu vermarkten.⁴⁹ Veröffentlichungen in Lokal- und Fachpresse sowie Werbemaßnahmen in Richtung der potenziellen Kunden müssen auf den Weg gebracht werden. 8. Beobachten Aber damit ist es nicht getan: Projekt-Review(s) sowie ein Projektstatusbericht zum Controlling des laufenden Projektes sind erforderlich, wenn die Innovation dauerhaft und damit auch nachhaltig in das Dienstleistungsportfolio der Bibliothek integriert werden soll. So wird gewährleistet, dass die Stadtbücherei Würzburg als „Lernende Organisation“ Erfahrungen zur laufenden Optimierung von Produkten und Prozessen nutzt. Die Stadtbücherei Würzburg sieht in dieser Systematik die notwendige Voraussetzung, nachhaltig erfolgreiche Angebote zu kreieren, die im Sinne des Marketings wiederum entscheidend sind für ihr Image. Innovationen bleiben keine Strohfeuer, sondern können mit effizientem Ressourceneinsatz kundenorientiert entwickelt und erfolgreich angeboten werden.⁵⁰ Das sind entscheidende Faktoren für das Erreichen der definierten Ziele  – und so schließt sich der Kreis von strategischer Organisationsentwicklung mit der „Wissensbilanz – Made in Germany“ zu operativen (Wissensmanagement-)Maßnahmen und wieder zurück zum strategischen Marketing. Deutlich wird, dass nicht nur, aber insbesondere über die durch das Instrument der Wissensbilanz analysierten Maßnahmenkomplexe „Strategische Personalentwicklung“ und „Systematischer Innovationsprozess“ an vielen Stellen Informationsmarketing immer wieder als Katalysator erforderlich ist, um die beabsichtigten Ergebnisse „auf die Straße“ zu bringen: – Produktpolitik, d.h. ein innovatives und professionelles Dienstleistungsangebot in Richtung Kunde aufsetzen, – Preispolitik, d.h. dieses in Form einer belastbaren Kosten-Nutzen-Argumentation erst an den Träger, dann an die (potenziellen) Kunden kommunizieren, – Distributionspolitik, d.h. geeignete Kanäle für den Vertrieb der Produkte und Dienstleistungen, aber auch für die entsprechende Bewerbung auswählen, – Kommunikationspolitik, d.h. sich als Ganzes mit dem aktuellen Portfolio in Form einer attraktiven Selbstdarstellung promoten.

49 Die erfolgreiche „Promotion“ ist nur ein Prozessschritt im Informationsmarketing, der im Konzeptionellen ansetzt und hin zum Operativen die weiteren drei Prozessschritte Produkt / Dienstleistungsdefinition (Product), Preispolitik / Preisgestaltung (Price) sowie Platzierung (Place) ebenso berücksichtigt und neben der externen ebenso die interne Dimension der Kommunikationspolitik verfolgt. Vgl. dazu u.a. Zerfaß 2010 sowie den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 50 Siehe den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch.

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7 Wissensmanagement und Informationsmarketing – ein vorläufiges Fazit Wissensmanagement, Wissensbilanzen und Informationsmarketing können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, ihre Interdependenzen müssen nicht nur berücksichtigt, sie müssen gezielt verzahnt, ausgebaut und genutzt werden, um die Bibliothek als Ganzes mit ihren Produkten und Dienstleistungen besser im Gefüge ihrer Kommune zu positionieren. Diese Aussage soll noch einmal prognostisch und unter Bezug auf vier im Rahmen der bereits angesprochenen Dissertation zu „Potentiellen Funktionen von Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken“ entwickelte Trendprojektionen⁵¹ bestätigt werden. Diese Trendprojektionen werden hier – umformuliert und gekürzt – vorgestellt und jeweils abschließend um mögliche Konsequenzen für das Informationsmarketing von Bibliotheken und Informationseinrichtungen ergänzt. Trendprojektion 1: Bibliotheken werden impulsgebende Wissensmanager Bibliotheken managen und gestalten den lokalen Übergang zu Wissen. Als kommunale Wissensmanager fungieren sie als Multiplikatoren zwischen Kommune und Staat auf der einen und dem einzelnen Bürger auf der anderen Seite. Sie sind Stützpunkte im lebenslangen Lernen des Einzelnen mit niederschwellig zugänglichen und generationenübergreifend ausgerichteten Wissensangeboten und somit Impulsgeber im individuellen Prozess der Wissensgenerierung. Diese Funktion der Bibliothek muss offensiv an die sie finanzierenden Stakeholder einerseits, aber auch an die Adressaten der bibliothekarischen Produkte und Dienstleistungen – Bürger und Kunden – herangetragen werden. Informationsmarketing unterstützt dies mit dazu notwendigen Strategien und Instrumenten. Trendprojektion 2: Interne Vielfalt und Autonomie – Erfolgsfaktoren für Wissensmanagement Gute Rahmenbedingungen für Wissensmanagement sind in Bibliotheken grundsätzlich gegeben. „Interne Vielfalt“, d.h. eine hohe Flexibilität sowie ein gleichberechtigter Zugang zu Informationen und Informationssystemen, und „Autonomie“, d.h. eigenständige und unabhängige Mitarbeiter bzw. Teams, stellen dabei die entschei-

51 Vgl. auch im Folgenden Becker 2010.

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283

denden Erfolgsfaktoren dar.⁵² Beide Faktoren verlangen eine gut durchdachte und mit vielseitigen Rahmenbedingungen gestaltete Informationsinfrastruktur  – Informationsmarketing in seiner internen Dimension hat dies bei Implementierung, Ausbau und Pflege entsprechend zu berücksichtigen. Trendprojektion 3: Innovationen für ein nachhaltiges externes Wissensmanagement Aufgabe der Bibliothek im Kontext des externen Wissensmanagements wird es sein, Werkzeuge und Kompetenzen zu vermitteln, die den einzelnen Kunden beim Ausbau von Informationskompetenz und individuellem Wissensmanagement unterstützen. Im Sinne einer Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe sehen sich die meisten Bibliotheken darüber hinaus verpflichtet, neue Technologien anzubieten und die entsprechenden Nutzungskompetenzen zu vermitteln. In Bibliotheken entstehen zukünftige Angebote vermehrt in Kooperation mit anderen Institutionen. Sie werden so in erster Linie Partner im individuellen Wissensmanagement ihrer Kunden und stellen den virtuellen und physischen Raum zur Wissensvermittlung und zum Wissensaustausch zur Verfügung. Die Bibliothek alleine kann diese Aufgaben nur schwer stemmen – finanzielle, personelle und technische Ressourcen sind meist nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Um diese Trendprojektion verstärkt umsetzen zu können, muss die einzelne Bibliothek Informationsmarketing in seinen verschiedenen Dimensionen auf der Suche nach und der Werbung um kompetente, attraktive und schlagkräftige Partner einsetzen. Trendprojektion 4: Innovationen für ein nachhaltiges internes Wissensmanagement Die Balance zwischen einer ausgebauten institutionellen Mitarbeiterqualifikation und dem stetigen selbst gesteuerten und individuellen Lernen des Einzelnen ist Grundvoraussetzung für Bibliotheken, um in der gegenwärtigen und vor allem der zukünftigen „Wissensgesellschaft“ erfolgreich agieren zu können. Internes Wissensmanagement stützt sich in Öffentlichen Bibliotheken auch zukünftig primär auf die Personalisierungsstrategie. Im Vordergrund stehen persönlicher Wissensaustausch und Mitarbeiterqualifikation. Der Einsatz neuer Technologien wird diese Bereiche ortsunabhängiger und flexibler gestalten (PC-gestützte Videokonferenzen, Chats etc.) und neue Möglichkeiten der Absprache und des Miteinanderarbeitens schaffen.

52 Nach Nonaka und Takeuchi (1997) sind es fünf Eigenschaften, die eine Unternehmenskultur so fördern, dass Wissensaustausch und Wissensmanagement im Sinne der „Lernenden Organisation“ gut funktionieren: „Autonomie“, „Fluktuation und kreatives Chaos“, „Intention“, „Interne Vielfalt“ sowie „Redundanz“. Im Rahmen der Studie haben die Experten aus Öffentlichen Bibliotheken „Interne Vielfalt“ und „Autonomie“ als die für Bibliotheken stärksten Erfolgsfaktoren bewertet.

284

Becker und Flicker

Das Beispiel der Stadtbücherei Würzburg hat den Zusammenhang von Wissensmanagement, Wissensbilanzen und Informationsmarketing plastisch aufgezeigt. Informationsmarketing in seinen internen Dimensionen ist ein unverzichtbarer Baustein für erfolgreiche, nachhaltige und kontinuierliche Innovationen einerseits und eine strukturierte, strategische Personalentwicklung andererseits, beides auf vielfältigen Ebenen. Ein Fazit, wenn auch ein vorläufiges  – diese Überschrift wurde bewusst gewählt. Die Zusammenhänge von Wissensmanagement und Informationsmarketing sind in diesem Artikel angerissen worden. Viele Interdependenzen konnten dabei aufgezeigt werden. Offen bleibt allerdings eine theoretisch-methodologische Einordnung: Ist Wissensmanagement ein Teil des Informationsmarketings oder werden über Wissensmanagement generierte Handlungsansätze durch ein gelungenes Informationsmarketing intern und extern kommuniziert? Kann eine neue, erweiterte Definition von Informationsmarketing, in der die interne Funktion gleichberechtigt neben der externen stehen kann, gefunden werden – und, wenn ja, wie? Die Anwendung von Wissensmanagement und Wissensbilanzen geht über die Analyse von immateriellen Erfolgsfaktoren hinaus. Im Zusammenspiel von Wissensmanagement und Informationsmarketing kann es Öffentlichen Bibliotheken gelingen, Produkte und Dienstleistungen auf die Situation der jeweiligen Bibliothek vor Ort hin zuzuschneiden, passgenau zu modellieren sowie eine breite Akzeptanz aufseiten von Mitarbeitern, Stakeholdern und Kunden zu gewinnen.

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Wissensmanagement

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Becker und Flicker

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Cornelia Vonhof

Strategisches Qualitätsmanagement als Aspekt des strategischen Marketings – Strategisches Marketing als Aspekt des strategischen Qualitätsmanagements 1 Einleitung Qualitätsmanagement und Marketing sind zwei strategische Handlungsoptionen für Bibliotheken und Informationseinrichtungen, die ihre volle Wirkung nur durch den Bezug aufeinander und auf ein übergeordnetes Zielsystem erreichen. Beide strategischen Ansätze stellen den Kunden in den Mittelpunkt und machen die Anforderungen der Kunden und Zielgruppen zum Ausgangspunkt des Handelns und beide gestalten die Austauschprozesse zwischen Organisation und Kunden. Um erfolgreich zu wirken, müssen Qualitätsmanagement und Marketing verknüpft werden. In einer passgenauen Abstimmung der beiden Ansätze liegt die Chance, ein effektives und ganzheitliches Managementsystem entstehen zu lassen. Den Rahmen dafür bieten integrierte Management- und Führungskonzepte. Bleicher – ebenso wie Heintz¹ für den öffentlichen Sektor – unterscheidet dabei drei Ebenen des integrierten Managements: normatives, strategisches und operatives Management. Eine Verortung von Qualitätsmanagement und Marketing auf diesen Ebenen macht deutlich, dass sowohl Qualitätsmanagement als auch Marketing einerseits Funktionsbereiche des Managements sind und sich vertikal durch alle Handlungsebenen ziehen und andererseits als Querschnittsdisziplinen die Ebenen überlagern.

1 Vgl. Bleicher 1999, S. 71 ff.; Heintz 2000, S. 13.

288

Vonhof

Managementdimension

Reichweite in der Organisation

Normatives Management Organisationsweit Grundlegende Ziele, Prinzipien, Werte und Normen einer Organisation (Vision, Mission, Leitbild) Gewährleistung der Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Organisation ▸ Begründen der betrieblichen Aktivitäten Strategisches Management Aufbau, Pflege und Nutzung von Erfolgspotenzialen

Strategische Geschäftsfelder und einzelne Geschäftsbereiche

– Einsatz operativer Marketingprogramme und Instrumente – Marketing-Mix: Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik, Servicepolitik – Marktforschung, Werbung, Verkaufsförderung

▸ Steuern der betrieblichen Aktivitäten

▸ Vollziehen der betrieblichen Aktivitäten

– Umsetzung der Werte und – Umsetzung der Normen in MarketingWerte und Normen prinzipien und -normen in Qualitätspolitik (z.B. Corporate Identity, und Qualitätskultur Markenentwicklung) – Verständnis von Qualitätsmanagement als ganzheitlichem Führungskonzept (z.B. Führungsleitlinien, Customer Chartas) – Auswahl einer Marke– Auswahl einer tingstrategie auf Basis Qualitätsstrategie der internen und exter(Qualitätsmanagenen Analysen. mentmodell) auf Dabei sind folgende strateBasis der internen gische Entscheidungen im und externen STP-Marketing zu treffen: Analysen – Segmenting (Markt– Festlegung langsegmentierung nach fristiger QualitätsZielgruppen) ziele – Targeting (Auswahl der Zielgruppen nach Attraktivität) – Positioning (spezifische Positionierung der Produkte und Dienstleistungen für jedes gewählte Marktsegment)

Strategische Ressourcenallokation

Operationalisierte Leistungsziele

Beispielhafte Ausprägung im Qualitätsmanagement

Organisationsweit; strategische Geschäftsfelder

Externe und interne Analysen

Operatives Management Umsetzung der normativen und strategischen Vorgaben

Beispielhafte Ausprägung im Marketing

– Einsatz operativer Qualitätsmanagementinstrumente – Beschwerdemanagement – Prozessmanagement – Servicegarantien – Personalentwicklung – Kundenkommunikation

Tab. 1: Beispielhafte Ausprägungen von normativem, strategischem und operativem Management in Marketing und Qualitätsmanagement

Qualitätsmanagement

289

2 Qualitätsmanagement für Dienstleistungen Qualitätsmanagement hat sich als übergreifendes Managementkonzept international durchgesetzt und gewinnt v.a. im Dienstleistungssektor zunehmend an Bedeutung; Dienstleistungsqualität wiederum hat sich zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor entwickelt. In vielen Dienstleistungsmärkten scheint eine Ausweitung des Marktvolumens ohne weitreichende Dienstleistungs- oder Produktinnovationen kaum mehr realisierbar, sodass neben der Gewinnung neuer Kunden zunehmend Anstrengungen zur Bindung vorhandener Kunden ins Zentrum der Überlegungen rücken². Bruhn beschreibt den Zusammenhang von Dienstleistungsqualität und ökonomischem Erfolg anhand einer Erfolgskette: Werden (heterogene) Kundenerwartungen erfüllt, so steigt die Kundenzufriedenheit, die sich als positiv im Sinne der Kundenbindung erweist und damit letztlich den ökonomischen Erfolg eines Dienstleistungsbetriebs positiv beeinflusst.³

Dienstleistungs-/ Produktqualität

Kundenzufriedenheit

Kundenbindung

Ökonomischer Erfolg

Abb. 1: Erfolgskette des Qualitätsmanagements für Dienstleistungen (eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn)⁴

Die Wirksamkeit dieser Erfolgskette wird seit den 1980er Jahren in verschiedenen Studien zur Erfolgswirkung von Dienstleistungsqualität immer wieder bestätigt. Sowohl die durchgeführten qualitativen als auch die quantitativen Studien⁵ belegen, dass zwischen Dienstleistungsqualität und ökonomischem Erfolg eines Dienstleisters ein nachweisbarer Zusammenhang besteht.⁶ Eine deutliche Ausweitung des Marktvolumens lässt sich im Bibliotheksbereich kaum erwarten, auch wenn die Nachfrage (gemessen an den Medienentleihungen in

2 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 185. Siehe auch den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch. 3 Bruhn 2008, S. 10 – 12. 4 Vgl. Bruhn 2008, S. 11. 5 Qualitative Studien (wirkungs- oder aufgabenorientiert) arbeiten einzelfallbezogen und untersuchen Best-Practice-Beispiele; quantitative Untersuchungen aggregieren Einzelfälle oder streben Repräsentativität an, in dem Unternehmens-, Marketing- und Qualitätsstrategien verglichen werden (vgl. Bruhn 2008, S. 15 f.). 6 Vgl. Bruhn 2008, S. 14 – 17; Buzzell, Gale 1989, S. 9.

290

Vonhof

Öffentlichen wie wissenschaftlichen Bibliotheken) deutschlandweit in den letzten Jahren noch leicht zwischen 2 % und 5 % p.a. gewachsen ist.⁷ Ein weiterer Gedanke zur Marktpositionierung von Bibliotheken als konzeptionellem Hintergrund für die Beschäftigung mit Qualitätsmanagement soll nicht vernachlässigt werden: Bibliotheken agieren auf Märkten, auf denen sie als Nachfragerinnen (nach Sachgütern, Dienstleistungen und Personal) auftreten. Als Anbieterinnen agieren Bibliotheken, indem sie ihre Dienstleistungen anbieten und dabei – wie andere Organisationen auch – Marketinginstrumente einsetzen. Die Wettbewerbssituation auf Märkten bestimmt nicht zuletzt die Innovations- und Veränderungsbereitschaft einer Organisation.⁸ So betont Dieter Budäus in seiner Analyse des Verlaufs der Verwaltungsreform in Deutschland, dass Ineffizienzen in Öffentlichen Betrieben maßgeblich mit dem Fehlen eines funktionsfähigen Wettbewerbs zu begründen seien. Private Unternehmen sind hingegen durch Wettbewerb gezwungen, Kosten und Leistungen laufend zu überprüfen und zu entwickeln.⁹ Auf diese Wettbewerbssituation bezieht sich Ulrich Naumann, wenn er feststellt, dass sich in erster Linie Öffentliche Bibliotheken auf einem Käufermarkt bewegen, […] auf dem der Kunde entscheidet, ob er die Dienstleistungen, die ihm die Öffentliche Bibliothek anbietet, nutzen will oder nicht. Öffentliche Bibliotheken konkurrieren dabei weniger mit anderen Bibliotheken als in starkem Maße mit all den anderen Freizeitangeboten, die der Kunde nutzen kann (Sport, Fernsehen, Theater, Kino usw.). Da auch die Freizeit ein knappes Gut ist, wird sie vom Kunden dafür verwendet, was ihm den größten persönlichen Nutzen verspricht.¹⁰

Vor dem Hintergrund dieser Marktbetrachtungen scheint es für Bibliotheken mehr als angemessen, sich mit dem Thema Qualitätsmanagement zu befassen. Eine analoge Erfolgskette für Bibliotheken lässt sich so darstellen:

Dienstleistungs-/ Produktqualität

Kundenzufriedenheit

Kundenbindung

Erfolg

Abb. 2: Erfolgskette des Qualitätsmanagements für Bibliotheken (eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn)¹¹

7 Vgl. hbz o.J. 8 Siehe den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch. 9 Vgl. Budäus 1995, S. 38. 10 Naumann 2010, S. 4. 11 Vgl. Bruhn 2008, S. 11.

Qualitätsmanagement

291

Einzig die Frage, was Erfolg für eine Bibliothek ist, muss neu beleuchtet werden. Der ökonomische Erfolg kann bei einer Einrichtung, die zu 90 % aus öffentlichen Mitteln finanziert wird¹², nicht im Vordergrund stehen. Andere, nicht monetäre, aber gleichwohl messbare Erfolgsgrößen müssen dafür herangezogen werden: z.B. die intensive Nutzung der Angebote, Kundenzufriedenheit, eine angemessene Finanzausstattung und eine dauerhafte Existenzsicherung durch den Träger, die Bibliothek als Vorbild oder Benchmark in der Branche, eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter oder die Anerkennung der Bibliothek als attraktive Arbeitgeberin.¹³

2.1 Begriffliche Grundlagen: Dienstleistung – Qualität – Dienstleistungsqualität Trotz der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Dienstleistungssektors und der Fülle an Literatur, die sich mit diesem Themenfeld auseinandersetzt, fehlt eine einheitliche Definition von Dienstleistung. Neuere Versuche stellen zwei wesentliche Merkmale von Dienstleistungen heraus: ihre Immaterialität, die zu Nichtlagerfähigkeit führt, weswegen Dienstleistungen zeitgleich produziert und konsumiert werden müssen, sowie die Integration der Kunden oder Nachfrager in den Prozess der Leistungserstellung. Daraus ergibt sich ein besonderer Anspruch an das Qualitätsmanagement von Dienstleistungen und Dienstleistungseinrichtungen im Vergleich zu produzierenden Unternehmen. So verhindert z.B. die Nichtlagerfähigkeit alle Formen von Schlusskontrollen und Nachbesserungen. Darüber hinaus erhöht die Integration von Kunden in die Leistungserstellung die Anforderungen, z.B. an den Standort der Leistungserbringung (dieser wird als Umfeld wahrgenommen und häufig zum Bestandteil der Dienstleistung) oder an die Form der Kommunikation zwischen Kunden und Dienstleister. Die Integration von Kunden führt zudem fast zwangsläufig zu einer Individualisierung der erstellten Dienstleistung. Der Individualisierungsgrad beschreibt das passgenaue Zuschneiden einer Dienstleistung auf das Kundenbedürfnis („customized“ vs. standardisiert).¹⁴ Die Integration des Kunden kann sich in einem unterschiedlich intensiv ausgeprägten Maß der Interaktion zwischen Kunde und Dienstleistungsanbieter ausdrücken¹⁵ und je nach Dienstleistungsform unterschiedlich ausfallen.

12 Vgl. Deutscher Städtetag 2011. 13 Siehe die Beiträge „Strategisches Marketing“ von Hobohm sowie „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 14 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 15 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 20 ff.; Fließ 2009, S. 11 ff.

292

Grad der Inte G eraktion & Individualisierung

gering

hoch

Vonhof

Aktivität des Kunden Kunde bleibt weitgehend passiv Dienstleistung wird allenfalls initiiert (z (z.B. B durch Äußern von Wünschen oder Erzeugen von Nachfrage)

Aktivität des Dienstleisters

Bibliotheksdienstleistung g

Erstellung der Dienstleistung erfolgt unabhängig vom Kunden Dienstleistung ist standardisiert

Bereitstellung von Medien (inkl. Bestandsaufbau, Erschließung von Medien etc.) Bereitstellung von Repositorien Erstellung von Auswahllisten oder Bibliographien Bereitstellung einer Lernumgebung Veranstaltungsangebot

Dienstleistung erfordert Anwesenheit oder Aktivitäten des Kunden Vorgaben des Kunden sind erforderlich, um eine vollwertige Leistung zu erbringen Standarddienstleistung wird individualisiert

Profildienst Fernleihe Vorbestellung Mahnwesen

Mitwirkung des Kunden an der Erstellung der Dienstleistung ist zwingend erforderlich Kunde ist Koproduzent Dienstleistung ist hochgradig individualisiert

Auskunfts- und Beratungsgespräch Informationskompetenzschulung

Abb. 3: Dienstleistungstypen nach Interaktion und Individualisierung

Es ergeben sich drei Ausprägungsformen von Dienstleistungen, die durch unterschiedliche Intensität der zwischenmenschlichen Interaktion und der Individualisierung gekennzeichnet sind, und die spezifische Anforderungen an das Qualitätsmanagement von Dienstleistungen und Dienstleistungseinrichtungen stellen. Wie an den Beispielen der Bibliotheksdienstleistungen sichtbar wird, sind in Bibliotheken alle Dienstleistungstypen zu finden. In Bereichen mit geringer Interaktionsintensität und Individualisierung bestehen die Qualitätsanforderungen in erster Linie in der Erfüllung von Produktqualität. Diese wird z.B. durch die Gestaltung von Prozessen und Qualitätssicherungsmaßnahmen erreicht. In Bereichen mit hoher Interaktionsintensität werden hingegen hohe Anforderungen an die dienstleistenden Personen gestellt: Hier sind ausgeprägte soziale und kommunikative Kompetenzen der Mitarbeiter erforderlich, um die Dienstleistung in der erforderlichen Qualität zu erbringen. Wie der Dienstleistungsbegriff, so wird auch der Qualitätsbegriff in Theorie und Praxis aus höchst unterschiedlichen Perspektiven diskutiert und definiert. Die Entwicklung des Qualitätsbegriffs lässt sich in den letzten Jahrzehnten parallel zur Entwicklung des Verständnisses von Qualitätsmanagement verfolgen. Ausgehend von der technischen Orientierung, die sich auf den Fertigungsbereich konzentrierte und die Erfüllung von Produkteigenschaften mithilfe physikalischer, chemischer oder zeitbezogener Einheiten maß, hat sich ein umfassender Qualitätsbegriff entwickelt, der die Erfüllung von Bedürfnissen unterschiedlicher Anspruchsgruppen in den Mittelpunkt stellt.

Qualitätsmanagement

293

Mit der Entwicklung von Qualitätsmanagement zu einem eigenständigen Wissenschafts- und Praxisfeld nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine fachliche Verständigung über den zentralen Begriff erforderlich. Die verwendeten Definitionen reichen von einem eher umgangssprachlichen Verständnis bis zu sehr abstrakten Formulierungen. Vor allem im umgangssprachlichen Gebrauch ist der Begriff Qualität als Beschreibung der Güte oder des Wertes eines Objektes grundsätzlich positiv besetzt. Dies wirft ein erstes Schlaglicht darauf, warum auch Qualitätsmanagement als Managementkonstrukt positiv besetzt ist. Neben diesem umgangssprachlichen Definitionsansatz steht ein zweiter, der die Qualitätseigenschaft mittels der Beschaffenheit der betrachteten Einheit (Produkt, Dienstleistung, Prozess) definiert. Darin kommt keine Wertung zum Ausdruck, sondern die Erfüllung von zuvor festgelegten Qualitätsanforderungen (Quality Requirements). Damit kann Qualität nicht nur positiv ausfallen, sondern es ist bei Nichterfüllung der Qualitätsanforderungen auch eine „Minusqualität“ denkbar.¹⁶ Seit den 1970er Jahren wird der Begriff Qualität in der internationalen Fachsprache des Qualitätsmanagements genormt, wobei auch an dieser genormten Fachsprache durch die Arbeit der nationalen und internationalen Qualitätsgremien¹⁷ immer wieder Anpassungen erfolgen. In der seit Dezember 2005 gültigen Fassung der ISO 9000:2005-12 lautet die Definition von Qualität kurz und knapp: „[…] Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt.“¹⁸ Etwas konkreter definiert Geiger den Fachbegriff Qualität als „realisierte Beschaffenheit einer Einheit bezüglich der Qualitätsforderung an diese“¹⁹. Dabei versteht er „Qualitätsforderung“ als Summe der Einzelanforderungen an die Beschaffenheit einer Einheit und „Beschaffenheit“ als die Gesamtheit der Merkmale einer Einheit. Qualität wird damit zum Maßstab, an dem das Ergebnis des Vergleichs zwischen der tatsächlich festgestellten Beschaffenheit einer Einheit und der Qualitätsanforderung an diese Einheit (Sache, Dienstleistung oder Prozess) gemessen wird. Unklar bleibt bei dieser Definition jedoch, wer (Kunden, Wettbewerb, Mitarbeiter, Management) die Anforderungen an Dienstleistungsqualität festlegt und damit den Maßstab setzt. Für den Dienstleistungsbereich hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass unterschiedliche Perspektiven und Anspruchsgruppen berücksichtigt werden müssen, um zu einem ganzheitlichen Qualitätsverständnis zu kommen. Dabei spielt die Kundenperspektive die zentrale Rolle. Die Anforderungen und Erwartungen der Kunden sind der primäre Maßstab zur Bestimmung der Dienstleistungsqualität. Diese beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte der Dienstleistung: die Qualität der

16 Vgl. Zollondz 2011, S. 161 ff.; Bruhn 2008, S. 349. 17 Qualitätsgremien sind z.B.: ISO (International Organization for Standardisation, Genf); DIN (Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin); DGQ (Deutsche Gesellschaft für Qualität, Frankfurt). 18 DIN EN ISO 9000:2005, zit. n. Zollondz 2011, S. 176. 19 Geiger 2001, S. 801.

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Vonhof

Interaktion, die Qualität des Umfelds und die Ergebnisqualität. Die Ausprägung der Kundenerwartungen wird determiniert durch individuelle Ansprüche der Kunden in einer spezifischen Situation (z.B. durch einen dringenden Bedarf an einer Information aufgrund einer unmittelbar anstehenden Prüfungssituation), aber auch durch gemachte Erfahrungen mit dem Dienstleister in der Vergangenheit, durch Informationen anderer Kunden oder durch Werbeaussagen des Dienstleisters selbst (siehe hierzu auch das GAP-Modell im folgenden Abschnitt 2.2). Neben die Kundenperspektive tritt die Wettbewerbsperspektive. Hier wird die Dienstleistungsqualität des Mitbewerbers zum Maßstab für Qualität, die übertroffen werden muss, um eigene Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Letztlich bestimmt aber das Management als steuernder Akteur die Qualitätsstrategie einer Organisation, indem Anforderungen der unterschiedlichen Perspektiven und Anspruchsgruppen bewertet, priorisiert und verdichtet werden. Dieser organisationsbezogene Qualitätsbegriff weist dem Management die entscheidende Rolle dabei zu, den Stellenwert von Qualität in der strategischen Ausrichtung der Organisation einerseits, v.a. aber die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter als direkte Dienstleistungserbringer zum Tragen zu bringen.²⁰ Damit erweitert sich der Qualitätsbegriff: Qualität ist die realisierte Beschaffenheit einer Einheit, die entsprechend der vom Management einer Organisation festgelegten Qualitätsforderung festgelegt wird.²¹

Für das Management im öffentlichen Sektor kommen weitere, die Komplexität steigernde Faktoren hinzu, nämlich politische und rechtliche Rahmensetzungen. Diese beeinflussen die Entwicklung einer Qualitätsstrategie sowie die operative Umsetzung von Qualitätsmaßnahmen maßgeblich. So zeigt sich gerade im hoheitlichen Bereich des Verwaltungshandelns (Baugenehmigungen, Gewährung von Sozialleistungen, Strafvollzug), dass die Erfüllung von Kundenerwartungen hoch komplex ist, da sich widersprechende Kundenerwartungen einander gegenüberstehen (z.B. Freiheit vs. Sicherheit; Eigentumsnutzung vs. Umweltschutz etc.). Im öffentlichen Sektor muss daher ein differenzierter Kundenbegriff angewendet werden, der vom Adressaten eines hoheitlichen Verwaltungsaktes über den Zuwendungsempfänger bis zum Nutzer einer öffentlichen Einrichtung reicht,²² und ein Ausgleich zwischen individueller Kundenerwartung und Gemeinwohlorientierung geschaffen werden. Die Fähigkeit öffentlicher Einrichtungen, Kundenerwartungen durch Dienstleistungen zu erfüllen, wird aber auch von politischen Rahmensetzungen determiniert, so z.B. durch die Zuweisung oder die Kürzung von Mitteln durch das Parlament (bzw. den Gemeinde- oder Stadtrat) im Rahmen von Haushaltsberatungen oder durch Ziel-

20 Vgl. Zollondz 2011, S. 192. 21 Zollondz 2011, S. 193. 22 Vgl. KGSt 1995, S. 28.

Qualitätsmanagement

295

vorgaben der politischen Entscheider. Die typologisch jeweils zu unterscheidende Beziehung zwischen Kunden und Verwaltung sowie die politischen Vorgaben müssen vom Management im Sinne der Definition von Zollondz berücksichtigt werden und in die Qualitätsanforderungen einfließen.

2.2 Qualitätsmodelle als Abbild der Wirklichkeit Um trotz aller Komplexität sowohl den Qualitätsbegriff selbst als auch das Zusammenspiel von Qualitätsbewertung durch Kunden und angebotener Dienstleistungsqualität zur Grundlage pragmatischer und handlungsleitender Auseinandersetzung mit Qualitätsfragen zu machen, wurden eine Reihe von Qualitätsmodellen entwickelt. Modelle reduzieren die Komplexität durch eine Beschränkung auf die für das Verständnis unbedingt notwendigen Elemente. Dieses verkürzte Abbild der Realität dient dazu, Gesamtzusammenhänge sichtbar zu machen. Das „GAP-Modell der Dienstleistungsqualität“ von Zeithaml, Parasuraman und Berry kann als branchenunabhängiges Grundmodell der Dienstleistungsqualität aus Kunden- und Unternehmenssicht verstanden werden, das besonders weite Verbreitung fand. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, welche Ursachen für Qualitätsmängel in Dienstleistungsorganisationen identifiziert werden können und in welcher Weise Nachfrager die Qualität von Dienstleistungen bewerten. Das Modell wurde in den 1980er Jahren im Rahmen empirischer Studien (Fokusgruppeninterviews, Expertengespräche, Tiefeninterviews mit Verantwortlichen in Dienstleistungsorganisationen aus dem Bereich Banken, Kreditkartenunternehmen, Versicherungen, Broker und Reparaturdienstleister) entwickelt.²³ Zu den zentralen Erkenntnissen zählt, dass sich Dienstleistungsqualität aus einem Vergleich ergibt, den Kunden zwischen der erwarteten oder erwünschten Leistung und der tatsächlich erlebten Leistung anstellen. Diese Diskrepanz wird im Modell „GAP“²⁴ genannt. Die zentrale, die Dienstleistungsqualität bestimmende Diskrepanz zwischen erwarteter und wahrgenommener Leistung (GAP 5) resultiert aus vier anderen GAPs, die im Leistungserstellungsprozess entstehen können. Das Modell greift darüber hinaus auch auf, dass unterschiedliche „Informationsquellen“ die Kundenerwartungen prägen: der Austausch mit anderen Kunden, die persönliche Situation des Kunden, bereits in der Vergangenheit mit dem Dienstleister gemachte Erfahrungen sowie die Unternehmenskommunikation des Dienstleisters. Als hervorragend wird Dienstleistungsqualität von Kunden vor allem dann wahrgenommen, wenn ihre Erwartungen übererfüllt werden.

23 Vgl. Zeithaml, Parasuraman, Berry 1992. 24 Von engl. „gap“ = Lücke oder Differenz.

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Vonhof

Mund-zu-MundMund zu Mund Kommunikation

Erfahrungen in der Vergangenheit

P ö li h Wünsche Persönliche Wü h

Vom Kunden erwartete Leistung

Kunde

GAP 5 Vom Kunden wahrgenommene Qualität der Leistung

GAP 1 Ausführung der Leistung

GAP 4

Kundenkommunikation

GAP 3

Bibliothek

Umsetzung der KundenerKundener wartungen in konkrete Angebote

GAP 2

Durch die Bibliothek wahrgenommene Kundenerwartungen

Abb. 4: GAP-Modell der Dienstleistungsqualität (eigene Darstellung in Anlehnung an Zeithaml, Parasuraman und Berry)²⁵

Das GAP-Modell kann dazu dienen, systematisch Ursachen für potenzielle und tatsächliche Lücken im Prozess der Leistungserstellung in der eigenen Organisation zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen: GAP

Beschreibung / Ursachen

Einflussfaktoren / Gegenmaßnahmen

1

Diskrepanz zwischen den Kundenerwartungen und deren Wahrnehmung durch das Management Diese Diskrepanz tritt auf, wenn Klarheit über die Bedeutung einzelner Dienstleistungen oder Dienstleistungsmerkmale für die Kunden fehlerhaft oder gar nicht wahrgenommen wird.

Hier setzen Marktanalyse, Marktforschung und Konkurrenzanalysen an, die systematisch Kundenbedürfnisse ermitteln. Die Berücksichtigung der Erfahrungen und des Wissens von Mitarbeitern im direkten Kundenkontakt bringt hier wesentliche und aktuelle Erkenntnisse der Kundenerwartungen und deren Veränderung.

25 Vgl. Zeithaml, Parasuraman, Berry 1992, S. 62.

Qualitätsmanagement

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GAP

Beschreibung / Ursachen

Einflussfaktoren / Gegenmaßnahmen

2

Diskrepanz zwischen den vom Management wahrgenommenen Kundenerwartungen und deren Umsetzung in Spezifikationen der Dienstleistungsqualität Diese Diskrepanz tritt auf, wenn hinderliche Rahmenbedingungen (knappe Ressourcen, unklare Prioritäten, fehlendes Commitment, fehlende Qualifikation) dazu führen, dass wahrgenommene Kundenerwartungen nicht umgesetzt werden.

Hier setzt die Angebotspolitik an, die definiert, was für welche Zielgruppe angeboten wird und wie genau Angebote und Dienstleistungen beschaffen sein sollen. Dabei sind ggf. Schwerpunkte zu setzen und diese zu kommunizieren. Die Beschreibung der Dienstleistungen und Angebote sollte messbar (z.B. durch die Festlegung von Standards) gemacht werden. Denkbar ist in diesem Kontext auch die Formulierung von Servicegarantien26.

3

Diskrepanz zwischen den Spezifikationen der Dienstleistungsqualität und der tatsächlich erstellten Leistung Diese Diskrepanz tritt auf, wenn Mitarbeiter nicht in der Lage (fehlende Qualifikation, fehlendes „Handwerkszeug“) oder nicht willens (fehlende Information, Motivation, Kontrolle) sind, die Dienstleistung in der geplanten Weise zu erbringen.

Hier setzt erneut die Angebotspolitik an, die nicht nur Zielsetzungen definiert, sondern die Umsetzung der Leistungserstellung durch Festlegung interner Abläufe steuert und dabei die Erfüllung der festgelegten Standards ständig überwacht. Vor allem bei personenbezogenen Dienstleistungen ist der Faktor, die richtigen Mitarbeiter an der Kundenschnittstelle einzusetzen, von entscheidender Bedeutung. Personalmanagement und Personalentwicklung sind erforderliche Instrumente.

4

Diskrepanz zwischen tatsächlich erstellter Dienstleistung und der an den Kunden gerichteten Kommunikation über diese Dienstleistung Diese Diskrepanz tritt auf, wenn die Ausführung der Leistung und die Kommunikation über die Leistung nicht übereinstimmen.

Hier greift Kommunikationspolitik als Marketinginstrument. Offene und ehrliche Kommunikation über die tatsächlichen Leistungsmerkmale der Bibliotheksangebote schafft mehr Vertrauen und Kundenbindung als „Hochglanzbroschüren“, die eine Bibliothek weit ab der Realität darstellen. Das Ausmaß der Verärgerung von Kunden über eine nicht zufriedenstellende Dienstleistung wird umso größer, je höher die zuvor geweckten Erwartungen waren.

5

Diskrepanz zwischen der Kundenerwartung und der wahrgenommenen Dienstleistung Diese zentrale, kumulative Diskrepanz basiert weitgehend auf den GAPs 1 – 4.

Die Minimierung dieses GAPs erfolgt durch die Minimierung oder das Schließen der übrigen vier GAPs. Einfluss auf die Gesamtbewertung der Dienstleistungsqualität haben laut Zeithaml, Parasuraman und Berry die in den Studien identifizierten Qualitätsdimensionen.

Tab. 2: GAPs: Beschreibung / Ursachen und Einflussfaktoren / Gegenmaßnahmen

26 Zur Problematik des Einsatzes von Servicegarantien vgl. die Ergebnisse einer Untersuchung an der Hochschule der Medien Stuttgart im Sommer 2011 unter: http:// www.kundenorientiertebibliothek.de/ .

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Die Untersuchungen von Zeithaml, Parasuraman und Berry legten offen, anhand welcher Qualitätsdimensionen Kunden eine wahrgenommene Dienstleistung beurteilen:²⁷ „Tangibles“  – Äußeres Erscheinungsbild des Dienstleistungsortes, technische Ausstattung, Erscheinungsbild der Mitarbeiter.²⁸ „Reliability“ – Fähigkeit des Dienstleistungsanbieters, die versprochenen Leistungen zuverlässig und exakt auszuführen. „Responsiveness“  – Das Eingehen auf spezifische Wünsche der Kunden und deren Erfüllung: Reaktionsbereitschaft und Schnelligkeit. „Assurance“ – Fähigkeiten des Anbieters zur Erbringung der Dienstleistung: Wissen, Glaubwürdigkeit, Höflichkeit und Vertrauenswürdigkeit der Mitarbeiter. „Empathy“ – Bereitschaft und Fähigkeit des Dienstleistungsanbieters, dem Kunden Fürsorge und Aufmerksamkeit entgegenzubringen und auf Wünsche flexibel einzugehen. Diese fünf Qualitätsdimensionen dienen dazu, GAP 5 als Indikator für Dienstleistungsqualität zu operationalisieren. Mit dem daraus entwickelten Messinstrument SERVQUAL²⁹ entstand eine weitverbreitete, branchenunabhängige Methode, um Dienstleistungsqualität zu messen. Gefragt ist der Kunde, der sich hinsichtlich der erfahrenen Leistung ein Urteil bilden und bewerten soll, ob die wahrgenommene Dienstleistungsqualität seine Erwartungen erreicht, übererfüllt oder nicht erfüllt. Obwohl dieser Ansatz weite Verbreitung gefunden hat, lassen sich kritische Anmerkungen dokumentieren, die seine Allgemeingültigkeit für den Dienstleistungsbereich hinterfragen oder auch die Unmöglichkeit thematisieren, ein absolutes Niveau von Dienstleistungsqualität zu benennen.³⁰ Trotz dieser Kritik sind sowohl das GAPModell wie auch SERVQUAL als gedankliche Modelle geeignet, die erreichte Dienstleistungsqualität in Organisationen zu reflektieren und Verbesserungen anzustreben.

27 Vgl. Zeithaml, Parasuraman, Berry 1992, S. 34 ff.; Meffert, Bruhn 2009, S. 193; Bruhn 2008, S. 52 – 53. 28 Siehe die Beiträge „Emotion Marketing“ von Georgy sowie „Einzelhandelsmarketing“ von Kunst und van Woerkom in diesem Handbuch. 29 Eine Umsetzung der SERVQUAL-Methode erfolgte im bibliothekarischen Bereich durch die Entwicklung von LibQUAL (vgl. ARL o.J.). 30 Vgl. Küpers 2001, S. 596 f.; Bruhn 2008, S. 104 f.

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3 Qualitätsmanagement: Entwicklungen – Konzepte – Modelle Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Dienstleistungsqualität für den Erfolg einer Organisation wird deutlich, dass Qualitätsmanagement kein Selbstzweck ist, sondern zur nachhaltigen Sicherstellung der Dienstleistungsqualität beiträgt. Wer Qualität managen will, im Sinne von „aufeinander abgestimmten Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisationen bezüglich Qualität“ (vgl. ISO 9000:2005-12), sollte sich Klarheit darüber verschaffen, welche grundlegenden Elemente zum Erfolg von Qualitätsmanagement beitragen.³¹ Management: Führungsphilosophie, die vom Management vorgelebt werden muss: Qualitätsziele und Qualitätsstrategie sind zu formulieren und in operative Ziele umzusetzen. Mitarbeiter: Die hohe Intensität der Interaktion bei der Dienstleistungserstellung macht gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter unabdingbar, die sich aktiv und kreativ um kontinuierliche Verbesserungen bemühen und Qualitätsbewusstsein entwickeln. Ziel muss es sein, Verantwortung für Qualität zur Sache aller zu machen und nicht zu der einzelner „Beauftragter“. Kunden und Partner: Anspruchsgruppen (Kunden, Lieferanten, Öffentlichkeit, Gesellschaft³²), an deren Anforderungen sich die Organisation mit ihren Dienstleistungen ausrichten muss. Ressourcen: Investition von Zeit und Geld, die vom Management bereitgestellt werden müssen. Prozesse: Qualitätsfähigkeit der Prozesse (Kern-, Management- und Supportprozesse) zur Erstellung von Dienstleistungen sowie der Aufbau eines Prozessmanagements. Messen, Analysieren und Verbessern: Gezieltes Messen und Analysieren als Voraussetzung, inwieweit „die Beschaffenheit einer Einheit bezüglich der Qualitätsforderung an diese realisiert“ wurde³³. Diese Grundelemente lassen sich als zentrale Erfolgsfaktoren eines ganzheitlichen und strategisch ausgerichteten Qualitätsmanagements verstehen. Die Herausforderung, diese integralen Elemente in einem ausgewogenen Verhältnis zu berücksichtigen und in die strategische wie operative Arbeit zu transferieren, macht deutlich, dass

31 Vgl. Zollondz 2011, S. 234. 32 Berücksichtigt man, dass Öffentliche Bibliotheken eine durchschnittliche Marktdurchdringung von 15 % bis 20 % erreichen, so bedeutet dies, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung im Einzugsgebiet einer Bibliothek diese selbst nicht aktiv nutzt. Die Aufwendungen für den Betrieb einer Bibliothek werden jedoch auch von diesen Nichtnutzern getragen. 33 Vgl. die Qualitätsdefinition nach Geiger 2001, S. 801.

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Qualitätsmanagement ein langfristiger Prozess ist. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass Qualitätsmanagement in diesem ganzheitlichen Verständnis in die Organisation eingreift und sie nachhaltig verändert: seien es Veränderungen bezogen auf Prozesse und Organisationsstrukturen, Zielsysteme, Anforderungen an die Mitarbeiter oder ein verändertes Dienstleistungsportfolio. Qualitätsmanagement muss also immer auch Veränderungs- oder Change-Management-Ansätze aufgreifen, um die gesamte Organisation zu entwickeln und ein Scheitern von Qualitätsinitiativen zu verhindern.

3.1 Qualitätsmanagement: Entwicklungen und Konzepte Qualitätsmanagement hat in der Industrie, im Dienstleistungs- und auch im Bibliothekssektor eine lange Tradition. Für das Verständnis der bibliothekarischen Qualitätslandschaft mit ihren Vernetzungen ist ein Blick auf die historische Entwicklung der Konzepte für Qualitätsmanagement sinnvoll. Bemühungen, bibliothekarische Produkte und Dienstleistungen in hoher Qualität – häufig verstanden als Fehlerfreiheit – zu erbringen, prägen das Berufsethos, auch ohne dass diese Bemühungen von den handelnden Personen als Qualitätsmanagement verstanden würden. Hans Dieter Seghezzi hat für dieses „unsichtbare“ Qualitätskonzept den Begriff „Kulturtypus“ geprägt.³⁴ Seine prägenden Merkmale lassen sich auch in Bibliotheken nachweisen: – gute fachliche Qualifikation und hoher Ausbildungsstand der Mitarbeiter und Führungskräfte, – Qualitätskultur, in der Qualitätsdenken und Qualitätsbewusstsein einen hohen Stellenwert haben und vom Stolz der Mitarbeiter auf die Leistungen ihrer Organisation getragen werden, – Unterstützung durch die Leitung, indem sie Aktivitäten der Mitarbeiter unterstützt, ohne jedoch selbst aktiv zu werden, sowie – Verantwortlichkeit der Leitung für die Bereitstellung der für die Arbeit notwendigen Mittel und Ressourcen. Diese Merkmale entfalten Wirkkraft, ohne dass Qualität explizit geplant würde. Seghezzi führt dies auf die im deutschsprachigen Raum starken „Nachwirkungen“ der mittelalterlichen Zünfte mit ihrem Berufs- und Ehrenkodex zurück. Das Streben nach fehlerfreien Katalogisaten mag als Beispiel für dieses Qualitätsverständnis in Bibliotheken dienen. Soweit Selbstverpflichtung als professionelle Tugend nicht ausreichend erscheint, greifen und griffen Organisationen auf unterschiedliche Qualitätskonzepte zurück, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Stufen verfolgen

34 Vgl. Seghezzi, Fahrni, Herrmann 2007, S. 219.

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lassen. Bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein war das Konzept der Qualitätsprüfung dominant, das v.a. in der Produktion verwurzelt war und dort eine technik- und mengenorientierte Endkontrolle verfolgte. Bei dieser wurde am Ende des Produktionsprozesses durch „Inspektoren“ die Qualität der Produkte anhand definierter Prüfkriterien festgestellt und fehlerhafte Produkte wurden aussortiert. Diese Kultur der Qualitätskontrolle ist bis heute auch in Bibliotheken zu finden, wenn z.B. ausleihfertig bearbeitete und erschlossene Medien noch einmal zur „Schlusskontrolle“ über den Tisch einer Führungskraft gehen. Die Nachteile eines solchen Konzepts sind offensichtlich, denn je später ein Qualitätsmangel entdeckt wird, desto höher sind die Kosten, die bereits in der Produkterstellung entstanden sind. Hinzu kommen noch Reparatur- und Nachbesserungskosten. Die konsequenten nächsten Schritte waren daher die begleitende Qualitätskontrolle im Herstellungs- und Entwicklungsprozess, mit der Qualitätsverbesserung durch Vorbeugung erreicht werden sollte, sowie darauf aufbauend produkt- und organisationsorientierte Qualitätsverbesserungen durch eine durchgehende Prozesssicherung und mitarbeiterorientierte Instrumente wie Qualitätszirkel. Auch diese Schritte der Entwicklung lassen sich in Bibliotheken verfolgen: So können gezielte Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen oder auch der Einsatz detaillierter Regelwerke als Maßnahmen interpretiert werden, um die Qualität im Entstehungsprozess eines Produktes (z.B. eines Katalogisats) vorbeugend sicherzustellen. Auch schriftliche Arbeitsanweisungen als Vorläufer einer Prozessdokumentation oder Dienstbesprechungen, die die Funktion von Qualitätszirkeln übernehmen, sind in vielen Bibliotheken Standard. Die wirtschaftliche Entwicklung in den 1980er Jahren beförderte die Entwicklung der Normen-Modelle der ISO-Familie und parallel dazu das Aufgreifen der in Japan verbreiteten Philosophie der kunden- und dienstleistungsorientierten „Total-QualityKonzepte“. Damit begann die Entwicklung von Qualitätsmanagement zu einem Managementkonzept. Nimmt man die dokumentierte Fachdiskussion auf Branchenkongressen als Gradmesser der Relevanz eines Themas für die berufliche Praxis, wird das Thema Qualitätsmanagement seit Mitte der 1990er Jahre zu einer festen Größe in Bibliotheken. Dennoch ist in der praktischen Umsetzung das Verständnis von Qualitätsmanagement als übergreifendem und integrativem³⁵ Managementkonzept derzeit nur in Ansätzen zu finden. Interessant ist jedoch, dass sich die unterschiedlichen Qualitätsansätze im Zeitverlauf nie vollständig gegenseitig abgelöst haben, dass sich aber sehr wohl die Schwerpunkte der operativen Umsetzung und das dahinterstehende Verständnis verschoben haben.

35 Zur begrifflichen Abgrenzung von integrativen und integrierenden (Qualitäts-) Managementkonzepten vgl. Zollondz 2011, S. 370 – 372.

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3.1.1 Total Quality Management Total Quality Management (TQM) verfolgt das Ziel, die Organisation als Ganzes auf Qualität auszurichten. Bruhn definiert TQM anhand der drei zentralen Bestandteile des Begriffs: (1) Total, d.h. die Einbeziehung sämtlicher Personengruppen, die an der Dienstleistungserstellung beteiligt sind (Mitarbeiter des Unternehmens, Lieferanten, alle Kundengruppen), in den Qualitätsmanagementprozess, (2) Quality, d.h. die konsequente Orientierung aller Aktivitäten des Dienstleistungsunternehmens an den Qualitätsforderungen der externen und internen Kundengruppen, (3) Management, d.h. die übernommene Verantwortung und Initiative der obersten Führungsebene des Dienstleistungsunternehmens für eine systematische Qualitätsüberzeugung und -verbesserung im Rahmen eines partizipativ-kooperativen Führungsstils.³⁶

Damit wird TQM als die ganze Organisation umfassende Management- und Führungsphilosophie verstanden. Kamiske geht sogar noch weiter und formuliert: „TQM entwickelt sich zur übergeordneten Unternehmensstrategie.“³⁷ Ziele, die mit TQM erreicht werden sollen, sind gute, messbare Geschäftsergebnisse, Sicherung der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit und langfristiger Erfolg. Traditionelle und eher operative Qualitätsziele wie z.B. die Senkung der Fehlerquote, werden nicht explizit als Ziele formuliert, sondern als selbstverständliche Voraussetzung gesehen. Das TQM-Verständnis von Qualitätsmanagement spiegelt sich mehr oder weniger deutlich in den derzeit in Bibliotheken eingesetzten Qualitätsmanagementmodellen wider. Dabei sind die großen, aus der Industrie stammenden Modelle derzeit eindeutig in der Minderheit.

3.2 Qualitätsmanagement: Modelle Qualitätsmanagement wird heute auf unterschiedliche Arten realisiert. Wie beim Umgang mit dem Konstrukt Qualität, so ist auch beim Qualitätsmanagement das Modell das Bindeglied zwischen Qualitätsmanagementkonzepten (abstrakte Ideen und Denkgebäude) und dem in einer Organisationen praktisch umgesetzten Qualitätsmanagementsystem. Das Modell bildet komplexitätsreduzierend die Wirklichkeit ab.³⁸ Im Folgenden werden wesentliche Modelle und Ansätze mit Blick auf ihre Anwendung und Anwendbarkeit im Bibliothekssektor untersucht. Zur Systematisierung werden folgende Kategorien eingeführt:

36 Bruhn 2008, S. 78. 37 Kamiske 2000, S. 53. 38 Vgl. Schmitt, Pfeifer 2007, S. 157.

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– – –

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Kernmodelle des Qualitätsmanagements Branchenmodelle Operative Qualitätsinstrumente und Qualitätstechniken

3.2.1 Kernmodelle des Qualitätsmanagements a) Modell für Excellence der European Foundation for Quality Management Das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) weist deutliche Bezüge zur TQM-Philosophie auf und bildet als generelles Unternehmensführungsmodell alle Aufgaben der Unternehmensführung ab. Es wurde Ende der 1980er Jahre von europäischen Unternehmen entwickelt, die sich in der EFQM zusammengeschlossen hatten. Ziel war es, durch den Einsatz von umfassendem Qualitätsmanagement Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Inzwischen hat die EFQM rund 500 Mitgliedsunternehmen in über 50 Ländern aus nahezu allen Wirtschaftszweigen sowie dem öffentlichen Sektor. Nach Schätzungen der EFQM arbeiten weltweit über 30.000 Organisationen mit diesem Modell. Das Modell wurde immer wieder überarbeitet. Das Ergebnis der vierten Modellrevision wurde im Frühjahr 2010 mit dem EFQM-Modell 2010 vorgestellt.³⁹ Dass sich das EFQM-Modell als Führungsmodell versteht, wird v.a. an den acht Grundkonzepten für Excellence deutlich, die als Erfolgsfaktoren und Leitlinien für das Management einer Organisation zu verstehen sind und auf die sich die Kriterien des Modells beziehen (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Grundkonzepte der Excellence⁴⁰

39 Vgl. EFQM o.J. 40 EFQM 2009, S. 4.

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Das EFQM-Modell gliedert sich in neun Kriterien, von denen sich fünf auf die Potenziale der Organisation, die sogenannten Befähiger (Enablers), und vier auf die Ergebnisse (Results) beziehen. Dabei liefern die Befähiger als Potenzialfaktoren (Führung; Mitarbeiter; Strategie; Partnerschaften & Ressourcen; Prozesse, Produkte & Dienstleistungen) den strukturellen und humanen Input, um Ergebnisse zu erzielen, die auf die Stakeholder ausgerichtet sind (mitarbeiterbezogen, kundenbezogen, gesellschaftsbezogen) und sich letztlich als Schlüsselergebnisse niederschlagen. Diese messen die erzielten Verbesserungen der Geschäftsergebnisse. Die Prämisse ist also, dass sich Verbesserungen bei den Befähigern positiv auf die Ergebnisse auswirken. Die Auswertung der Ergebnisse liefert wiederum Ansätze für Verbesserungen der Befähiger. Das Modell bildet somit einen Regelkreis der kontinuierlichen Verbesserung ab (zur Veranschaulichung vgl. auch Abb. 6). Zollondz verbalisiert das Zusammenspiel der Kriterien so: Die Führung wirkt, – indem sie die Prinzipien des organisatorischen Lernens, kontinuierlichen Verbesserns und des Kreativitäts- & Innovationsmanagements gezielt verfolgt, – unter Einbeziehung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, – mithilfe einer qualitätsorientierten Strategie sowie geeigneten Partnerschaften & Ressourcen, – durch definierte und festgelegte Prozesse, über wohldefinierte Produkte (materieller und immaterieller Art), – [auf] die Kompetenz und Zufriedenheit der Mitarbeiter, – die Zufriedenheit der Kunden – und gesellschaftlichen Verantwortungsbereiche ein, – um langfristigen Geschäftserfolg zu erzielen.⁴¹

Die Kriterien werden im EFQM-Modell durch Teilkriterien spezifiziert, die ihrerseits wieder durch sogenannte „Ansatzpunkte“ beispielhaft erläutert werden. Die Teilkriterien⁴² dienen einer Organisation, die mit EFQM arbeitet, als Bewertungsraster. Die Ansatzpunkte fungieren hingegen nur als Anregung zur Operationalisierung der abstrakten Kriterien. Sie werden nicht bewertet, sondern sollen das Verständnis der Kriterien und Teilkriterien unterstützen. Die praktische Arbeit mit dem EFQM-Modell erfolgt in zwei Stufen: Intern wird eine Selbstbewertung durchgeführt, an die sich eine externe Bewertung (Assessment) der Organisation im Rahmen eines Qualitätswettbewerbs anschließen kann. Auf europäischer Ebene ist dies die Bewerbung für den EFQM Excellence Award (EEA), in Deutschland können sich Unternehmen und Non-Profit-Organisationen für den Ludwig-Erhard-Preis⁴³ bewerben. Zur Selbstbewertung wie auch im externen Assess-

41 Zollondz 2011, S. 348, Abb. 4.61. 42 Vgl. EFQM 2009. 43 Vgl. Initiative Ludwig Erhard Preis o.J.

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ment im Rahmen der Wettbewerbe wird mit der RADAR-Methode⁴⁴ ein komplexes Bewertungstool verwendet, das Ergebnisse, Vorgehen, Umsetzung und ein erfolgtes systematisches Überprüfen und Bewerten des Vorgehens je Teilkriterium prüft. Die Selbstbewertung wie auch das Assessment bei der Bewerbung um einen Qualitätspreis sind wirkungsvolle Diagnose-Instrumente, um das aktuelle Leistungs- und Qualitätsniveau einzuschätzen. Sie dienen der Identifikation von Stärken und Verbesserungspotenzialen der Organisation⁴⁵. Durch die Bewertung wird nicht aufgezeigt, wie Qualität zu verbessern ist, sondern wo Ausgangspunkte für Verbesserungsprojekte zu finden sind.⁴⁶ b) Common Assessment Framework Das Common Assessment Framework (CAF)⁴⁷, das „Gemeinsame Europäische Qualitätsbewertungssystem“ für Organisationen des öffentlichen Sektors, baut auf dem Grundkonzept der EFQM auf und wurde in den späten 1990er Jahren unter Federführung der bei der EU angesiedelten „Innovative Public Services Group“ gemeinsam mit der EFQM und der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer entwickelt, um die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung Europas voranzutreiben. Das CAF-Modell übernimmt die Struktur, die wesentlichen Inhalte und die methodische Vorgehensweise des EFQM-Modells, ist jedoch schlanker und damit einfacher zu handhaben. Wie das EFQM-Modell basiert das Common Assessment Framework auf neun Themenfeldern⁴⁸, die eine Organisation umfassend abbilden und die bei der Selbstbewertung durchleuchtet werden. Wie EFQM zielt auch CAF nicht auf punktuelle Maßnahmen zur Sicherung und Steigerung der Qualität in einzelnen Bereichen (z.B. in Bezug auf die Optimierung der Geschäftsprozesse), sondern versteht sich als umfassendes und ganzheitliches Leitkonzept für das Management der Organisation. Anders als beim EFQM-Modell bietet das Common Assessment Framework bislang noch keine Form eines Wettbewerbs⁴⁹, der eine externe Begut-

44 RADAR-Bewertungsmethode nach EFQM: Results (Ergebnisse), Approach (Relevanz und Nutzen), Deployment (Leistungen), Assessment (Bewertung) und Review (Überprüfung). 45 Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur externen Auditierung und Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9000 ff. EFQM (ebenso wie CAF und „Ausgezeichnete Bibliothek“) zielt auf die Stärken und Verbesserungspotenziale einer Organisation und nicht wie ISO auf die Konformität des Qualitätsmanagements mit den in der Norm geforderten Mindestanforderungen. 46 Siehe den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch. 47 Seit seiner Einführung wurde das Common Assessment Framework laufend weiterentwickelt und liegt derzeit in der dritten Version von 2006 vor. 48 EFQM und CAF verwenden eine unterschiedliche Nomenklatur. Folgende Entsprechungen gelten: Kriterium (EFQM) = Themenfeld (CAF); Teilkriterium (EFQM) = Kriterium (CAF); Ansatzpunkt (EFQM) = Indikator (CAF). 49 Momentan wird an der Entwicklung eines Feedback-Verfahrens gearbeitet, das in die Vergabe eines internen Labels als „Effective CAF User – ECU“ münden soll. Dieses wird sich jedoch

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achtung der Organisation ermöglicht. Im Mittelpunkt steht die Selbstbewertung der Organisation durch die eigenen Mitarbeiter. Im Vergleich zum EFQM-Modell arbeitet CAF mit einem deutlich stärker strukturierten Bewertungsraster.⁵⁰ Die Indikatoren (die dritte Ebene des Modells, die den Ansatzpunkten bei EFQM entsprechen) sind jedoch nicht als bloße Anregung und Erläuterung gedacht, sondern diese stellen bei CAF das Bewertungsraster für die Selbstbewertung dar. Damit werden die Bewertungsteams deutlich enger durch den Bewertungsprozess geführt. Zusammen mit einem Bewertungstool,⁵¹ das im Vergleich zur RADAR-Methodik einfacher zu nutzen ist, tragen diese Faktoren der Tatsache Rechnung, dass öffentliche Organisationen in aller Regel ihren Selbstbewertungsprozess ohne externe Begleitung durchlaufen. Diese Vereinfachung erscheint umso wichtiger, als die Praxis zeigt, dass die hohe Komplexität sowohl der Anwendung von CAF wie auch v.a. des EFQM-Modells für Excellence es erfordert, längerfristig mit diesen Modellen zu arbeiten, um die Selbstbewertungsmethodik sicher zu beherrschen und sich der Verknüpfungen innerhalb des Modells klar zu werden. Die Anwendung des EFQM-Modells und von CAF in Bibliotheken steht noch ganz am Anfang. So ist derzeit in der Fachliteratur nur dokumentiert, dass die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem EFQM-Modell arbeitet. Sie wurde 2007 mit „Committed to Excellence“ als erster von drei Stufen des europaweiten Anerkennungsprogramms der EFQM ausgezeichnet.⁵² Obwohl die Verbreitung des CAF im öffentlichen Sektor insgesamt in den letzten Jahren durch die Bemühungen des „Deutschen CAF-Zentrums“ auf Landes- und Bundesebene⁵³ und der KGSt als „Kommunalem CAF-Zentrum“⁵⁴ auf kommunaler Ebene deutlich vorangeschritten ist, wird dieses Modell in Bibliotheken kaum wahrgenommen. So gibt es bislang nur eine – allerdings sehr prominente  – bibliothekarische Anwenderin, nämlich die Staatsbibliothek zu Berlin  – Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie hat 2011 eine flächendeckende CAF-Selbstbewertung durchgeführt. Drei Bewertungsgruppen, besetzt mit Mitarbeitern und Führungskräften, durchleuchteten zwischen Mai und Oktober 2011 ihre etwa 900 Beschäftigte umfassende Organisation. Der Selbstbewertungsprozess wurde durch externe Moderatorinnen unterstützt sowie wissenschaftlich begleitet. Als Ergebnis des Selbstbewertungsprozesses ergaben sich Verbesserungsprojekte, die in der Folge angegangen werden. Eine Zertifizierung wird derzeit von der Staatsbibliothek nicht angestrebt.

ausschließlich auf die Qualität der Qualitätsmanagementprozesse beziehen. Die erzielten Bewertungsergebnisse und die Wirksamkeit der abgeleiteten Verbesserungsmaßnahmen sind nicht Gegenstand des Verfahrens. 50 Vgl. Vonhof 2010a, S. 20 ff. 51 Vgl. Vonhof 2010a, S. 25 – 28. 52 Vgl. Sommerstange 2011, S. 31. 53 Vgl. Bundesverwaltungsamt o.J. 54 Vgl. KGSt o.J.

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c) „Ausgezeichnete Bibliothek“ Eine breitere Resonanz finden das CAF und das EFQM-Modell für Excellence hingegen in ihrer Umsetzung im Modell „Ausgezeichnete Bibliothek“.⁵⁵ Mit der Entwicklung dieses Modells wurde dem steigenden Interesse in Öffentlichen wie wissenschaftlichen Bibliotheken an Qualitätsmanagement als ganzheitlichem Steuerungs- und Führungskonzept Rechnung getragen. Gegenüber den beiden zugrundeliegenden Basismodellen CAF und EFQM wurde das Modell „Ausgezeichnete Bibliothek“ erweitert um ein Element aus der „ISO-Welt“, nämlich die Vergabe eines Zertifikats. Neben die Selbstbewertung, die weiterhin die zentrale Form der Bewertung bleibt, tritt dadurch die Möglichkeit, sich einer Auditierung zu unterziehen. Ausschlaggebende Argumente für die Entwicklung eines solchen Qualitätsmanagementmodells, das sich an den national wie international in Industrie und Verwaltung eingesetzten und anerkannten Modellen orientiert, waren: – Die vielfältigen, in Bibliotheken bereits vorhandenen instrumentell geprägten Qualitätsanstrengungen können integriert und strategisch ausrichtet werden. – Qualitätsmanagement wird nicht als additives, sondern als integratives Managementkonzept verstanden. – Das Qualitätsmanagementmodell ist mit der Organisationskultur in Bibliotheken („Kulturtypus“) kompatibel (z.B. hohes Maß an Konsensorientierung und Mitarbeiterorientierung). – Es wird den besonderen Anforderungen eines öffentlichen Dienstleistungsbetriebs gerecht (z.B. Mitarbeiter als zentrale Schnittstelle zu den Kunden bei der Erbringung hochgradig interaktiver und individualisierter Dienstleistungen). – Es erlaubt den Anwendern ein hohes Maß an Autonomie in der Gestaltung des Qualitätsprozesses und ermöglicht es, auf wechselnde Rahmenbedingungen der Ressourcenausstattung zur reagieren (z.B. durch die Anpassung des Tempos im Projektverlauf). – Es lässt eine entsprechende Reputation und damit auch eine entsprechende Marketingwirkung des Zertifikats, vor allem im politischen Raum, erwarten. Gerade vor dem Hintergrund des letzten Punktes wird eine enge Orientierung an den Basismodellen CAF und EFQM zum Erfolgsfaktor. So werden die Struktur der Themenfelder, der zugeordneten Kriterien und Indikatoren sowie auch das Bewertungstool von CAF übernommen. Vor allem die Befähiger-Themenfelder lehnen sich eng an

55 Die Entwicklungsverantwortung für das Projekt liegt seit 2008 beim Forschungsschwerpunkt Bibliotheksmanagement, Evaluation und Organisationsentwicklung (BEO) der Hochschule der Medien (seit 2011: Forschungsinstitut für Qualität und Medienwandel in Bibliotheken und Hochschulen). Die Fachstelle Stuttgart unterstützt die Koordinierung des Pilotprojekts und bietet den teilnehmenden Bibliotheken den Rahmen für kollegialen Austausch und fachliche Beratung. Vgl. Hochschule der Medien 2011.

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die der Basismodelle an. Dies signalisiert, dass sich die grundlegenden Potenziale, die bei Bibliotheken vorhanden sein müssen, um exzellente Leistungsergebnisse zu erbringen, weder von denen anderer öffentlicher Einrichtungen noch von denen, die für Industrieunternehmen relevant sind, unterscheiden. In den Ergebnis-Themenfeldern werden hingegen zur Erfassung von Leistungsdaten auch bibliotheksspezifische Kenngrößen herangezogen, die aus dem BIX⁵⁶ oder der DBS⁵⁷ bekannt sind. Diese inhaltlichen Anpassungen auf Branchenerfordernisse, aber auch vorgenommene Straffungen oder sprachliche Anpassungen sind möglich, da das CAF von den anwendenden Organisationen frei an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden kann. Es unterliegt keinem Copyright.

Befähiger

Ergebnisse Mitarbeiterbezogene Ergebnisse

Personalmanagement

Führung

Strategie & Planung

Partnerschaft & Ressourcen

Prozesse, Produkte & Dienstleistungen

Kunden-/Nutzerbezogene Ergebnisse

Leistungsergebnisse

Gesellschaftsbezogene Ergebnisse

Lernen, Kreativität und Innovation

Abb. 6: Themenfelder des Qualitätsmanagementmodells „Ausgezeichnete Bibliothek“

Mit dem Modell „Ausgezeichnete Bibliothek“ arbeiten derzeit eine Reihe Öffentlicher Bibliotheken, Hochschulbibliotheken sowie eine bibliothekarische Serviceeinrichtung. Im Herbst 2011 wurden die ersten Zertifikate⁵⁸ „Ausgezeichnete Bibliothek“ ver-

56 Der Bibliotheksindex BIX bietet Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken die Möglichkeit, ihre Leistungen auf nationaler Ebene zu messen und zu vergleichen (vgl. BIX o.J.). 57 Die Deutsche Bibliotheksstatistik (DBS) ist eine umfassende jährliche Statistik, die alle wichtigen Kennzahlen in den Bereichen Ausstattung, Bestand, Entleihungen, Ausgaben, Finanzen und Personal der Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands enthält (vgl. hbz o.J.). 58 Zertifiziert wurden am 20.09.2011: Stadtbücherei Geislingen, Mediathek Neckarsulm, Stadtbücherei Öhringen. Vgl. Weidling 2011, S. 768.

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liehen. Dies zeigt, dass ganzheitliche Qualitätsmanagementmodelle in Bibliotheken unterschiedlicher Sparten und Größen erfolgreich einsetzbar sind. d) Normenreihe DIN EN ISO 9000 1987 wurde die erste Normenreihe von der International Standardization Organisation veröffentlicht, die Modelle für die Gestaltung von Qualitätssystemen enthielt. Diese Quaitätsmanagementnormen haben innerhalb weniger Jahre eine weltweite Verbreitung gefunden und werden heute in rund 150 Ländern und allen Branchen eingesetzt. Eine wichtige Zielsetzung und die zentrale Motivation⁵⁹ der Anwender der ISO ist die Zertifizierung ihres Qualitätsmanagementsystems. Diese hat das „Ziel der Überprüfung der Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems in Dienstleistungsunternehmen sowie die Gewährleistung einer bestimmten Dienstleistungsqualität“⁶⁰. Sie soll damit als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Kunden wirken. Eine erfolgreiche Zertifizierung ist zugleich ein Marketinginstrument, das in der Kundenkommunikation gegenüber aktuellen und potenziellen Kunden eingesetzt wird. Als Grundlage für die Zertifizierung wird die ISO 9001:2008 (Qualitätsmanagementsysteme: Forderungen an ein Qualitätsmanagementsystem) genutzt. Diese Norm beschreibt die Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem und zielt damit auf die Prozesse, die notwendig sind, um gegebene Kundenforderungen zu erfüllen, d.h. letztlich, um qualitätsfähig zu sein. Dem Modell liegt die Prämisse zugrunde, dass ein Qualitätssystem, das gemäß den Anforderungen der Norm umgesetzt und dokumentiert ist, auch in der Lage ist, fehlerfreie Produkte und Dienstleistungen zu erzeugen. Die Norm prüft also nicht  – was zumindest in der bibliothekarischen Praxis oft missinterpretiert wird – die Produkt- oder Dienstleistungsqualität, sondern die Qualität des Qualitätsmanagementsystems. Damit ist sie ein „Design-Code“ oder „Metastandard“, der die Anforderungen an ein Qualitätssystem festlegt.⁶¹ Zur Normenfamilie, die zuletzt abschließend 2009 einer Revision unterzogen wurde, gehören als weitere Bausteine die ISO 9000:2005, die die Grundlagen für Qualitätsmanagementsysteme beschreibt und die Terminologie festlegt, sowie die ISO 9004:2009, die als Leitfaden zur Leistungsverbesserung zu verstehen ist. Sie geht über die Forderungen der ISO 9001:2008 hinaus und unterstützt den Aufbau eines umfassenden prozessorientierten Qualitätsmanagementsystems. Die Verbreitung der ISO 9001 ist in deutschen Bibliotheken noch sehr überschaubar. ISO-zertifiziert sind bzw. waren (das Zertifikat muss nach drei Jahren durch eine Re-Zertifizierung bestätigt werden): die Stadtbibliothek Freiberg am Neckar (2001),

59 Zu den externen und internen Zielen einer Zertifizierung sowie zum Ablauf einer Zertifizierung vgl. Bruhn 2008, S. 428 ff. 60 Bruhn 2008, S. 432. 61 Vgl. Seghezzi 2007, S. 220 und 224.

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die Stadtbücherei Walldorf (2009), ein Verbund Öffentlicher Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen (2006) sowie die Bibliothek der Technischen Universität München (2007). Carolin Becker, Referentin für Qualitätsmanagement an der Bibliothek der TU München, kommt vor dem Hintergrund der erfolgten Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 zu dem lapidaren Schluss: „Qualitätsmanagement eignet sich für Bibliotheken“ und „der Aufwand für die Universitätsbibliothek der Technischen Universität München hat sich gelohnt“.⁶² e) Abschließende Einschätzung Bei allen vorgestellten Kernmodellen des Qualitätsmanagements lassen sich die von Zollondz benannten Grundelemente eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements nachweisen. Eine vollständige und ausgewogene Abbildung dieser Erfolgsfaktoren ist v.a. in den auf EFQM basierenden Modellen erkennbar.

3.2.2 Branchenmodelle Die Komplexität und der hohe Abstraktionsgrad der Kernmodelle des Qualitätsmanagements legen es nahe, im Bibliothekssektor  – ebenso wie in anderen Branchen  – eigenständige Qualitätsmodelle zu entwickeln. Denn der Gedanke liegt auf der Hand: Wenn die Kernmodelle des Qualitätsmanagements ohnehin eine branchenspezifische Anpassung erforderlich machen, warum sollten dann nicht eigenständige Modelle entwickelt werden, die passgenau für die jeweilige Branche sind? In einer Reihe von Branchen wurde diese Überlegung umgesetzt: So werden z.B. die ISO-Normen durch die „VDA6“ vom Verband der Deutschen Automobilindustrie ergänzt. Ähnliche Ergänzungen gibt es für die Telekommunikationsindustrie oder die Luft- und Raumfahrt. Darüber hinaus lassen sich Branchenmodelle z.B. im Gesundheitsbereich (KTQ: Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen), in der Tourismus- und Dienstleistungswirtschaft (ServiceQualität Deutschland) oder im Bildungssektor⁶³ finden (LQS: Lernerorientierte Qualität für Schulen; Systemakkreditierungen von Hochschulen; Qualitätszertifikat des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg). Diese Branchenmodelle sind dadurch, dass Sprache und Begriffswelt auf die jeweiligen Anwender abgestimmt sind, leichter zugänglich. Konzepte und ggf. auch Kennzahlen bieten einen hohen Wiedererkennungswert. Damit kann der Aufwand für die Einarbeitung reduziert und möglichen Widerständen, die

62 Becker 2011, S. 58 f. 63 Eine nicht mehr ganz aktuelle, dafür aber die einzige Übersicht über die vielfältige Qualitätslandschaft im Weiterbildungsbereich bietet das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung auf seiner Homepage: http: // www.die-bonn.de / Weiterbildung / Literaturrecherche / details. aspx?ID=3454 (Abruf: 20.11.2011).

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bei der Nutzung von abstrakten Kernmodellen immer wieder zu beobachten sind, vorgebeugt werden. In den letzten Jahren wurde sowohl im Bereich der Öffentlichen wie auch der wissenschaftlichen Bibliotheken eine Reihe von Branchenmodellen entwickelt. Vorreiter und bis heute Vorbild auch für deutsche Öffentliche Bibliotheken ist das Qualitätsmanagementprojekt der Autonomen Provinz Südtirol. In diesem Projekt wurden unter Leitung des Amtes für Bibliotheken und Lesen Qualitätsstandards sowie ein Qualitätssicherungsverfahren entwickelt. Die Erreichung und Einhaltung der Standards wird in einem ersten Schritt intern durch die Bibliotheken selbst und später durch Begutachter anderer Bibliotheken im Rahmen eines kollegialen Audits überprüft. Auch in Deutschland gab es in den letzten Jahren ähnliche Initiativen. Gemeinsam ist diesen Projekten in der Regel, dass sie sich der Methode des kollegialen Audits bedienen, bei dem die Erfüllung konkreter, meist von bibliothekarischen Expertengruppen erarbeiteter Standards geprüft wird. Zu nennen sind hier beispielhaft: – Öffentliche Bibliotheken in Niedersachsen haben seit dem Jahr 2009 die Möglichkeit, ihre Einrichtung mit dem Qualitätszertifikat „Bibliothek mit Qualität und Siegel“ auszeichnen zu lassen. – Im Juli 2008 ist ein Zertifizierungsprojekt in Sachsen-Anhalt gestartet, an dem sich 20 Öffentliche Bibliotheken beteiligen. Nach erfolgreichem Verlauf des Zertifizierungsverfahrens erhalten die Bibliotheken das Gütesiegel der Initiative „ServiceQualität Sachsen-Anhalt“. – In Bayern wird das Gütesiegel „Bibliotheken – Partner der Schulen“ verliehen. – Im Bereich der wissenschaftlichen bzw. der Spezialbibliotheken wurde das Zertifizierungsverfahren der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB) entwickelt. Erkennbar wird eine weitere Gemeinsamkeit der Branchenmodelle im Bibliotheksbereich: Sie weisen einen regionalen Zuschnitt oder einen Spartenbezug auf, der die notwendige Folge des spezifischen Zuschnitts und der Fokussierung auf Standards ist. Konkret formulierte Standards haben einerseits den Vorteil, gut messbar und damit vergleichsweise einfach zu bearbeiten zu sein (der Standard ist erreicht oder nicht erreicht, allenfalls können Zwischenwerte festgelegt werden), andererseits stellt sich die Frage, ob der gleiche Standard für strategisch unterschiedlich ausgerichtete Institutionen gültig sein kann und soll. Die sich daraus ergebenden Diskussionen sind im deutschen Bibliothekswesen wohl bekannt: Die Geschichte des BIX ist davon ebenso geprägt wie bibliothekspolitische Diskussionen um Strategiepapiere, die Standards definieren, wie „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“.⁶⁴

64 Vgl. BID 2009.

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Standardgestützte Branchenmodelle sind damit  – anders als Kernmodelle  – kaum zwischen den Bibliothekssparten übertragbar, und die Ergebnisse unterschiedlicher Modelle sind innerhalb einer Sparte nur schwer miteinander vergleichbar. Das Lernen voneinander im Sinne von Benchmarking ist damit nur eingeschränkt möglich. Ebenso wenig werden eine gemeinsame Außenwirkung der Qualitätsbestrebungen von Bibliotheken – seien es Öffentliche oder wissenschaftliche – sowie ein damit verbundener Marketingeffekt erzielt.

3.2.3 Operative Qualitätsinstrumente und Qualitätstechniken Anstrengungen, Qualitätsentwicklung oder Qualitätssicherung in Bibliotheken durch den Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente, Methoden und Techniken zu betreiben, sind weit verbreitet. Dieser instrumentelle Ansatz ist für viele Bibliotheken der erste Schritt zur Annäherung an das Thema Qualitätsmanagement. Damit zeigt sich in Bezug auf Qualitätsmanagement die gleiche Vorgehensweise wie insgesamt beim Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente: Überschaubare Einzelinstrumente werden integrativen, übergreifenden und strategisch ausgerichteten Managementsystemen vorgezogen.⁶⁵ So werden Kundenbefragungen durchgeführt oder „Kummerkästen“ als Minimalform eines Beschwerdemanagements für Kundenfeedback angeboten, Geschäftsgänge sind teilweise stark strukturiert, in Teilbereichen (z.B. für den Auskunftsdienst) existieren Verhaltensstandards oder man arbeitet mit dem Instrumentarium der Leistungsmessung. Peter te Boekhorst hat dies sehr passend „Qualitätsmanagement quasi ‚im kleinen Rahmen‘“ genannt.⁶⁶ Dieses Vorgehen hat Vorteile: Der Aufwand und das Risiko, ein einzelnes Managementinstrument zu implementieren, sind vergleichsweise gering. Ressourcen können auf ein Instrument fokussiert werden, die Bibliothek kann sich in überschaubaren Schritten betriebswirtschaftlichen Denkweisen nähern und diese punktuell erproben. Die Auswahlkriterien für den Einsatz des einen oder anderen operativen Instruments sind jedoch oft nicht transparent, häufig auch zufällig. Das Zusammenspiel und die Ausrichtung auf die übergeordnete Zielsetzung der gesamten Organisation werden nicht deutlich, sodass der Eindruck von Beliebigkeit entsteht. Es fehlt eine strategische Einbettung in die Führungsphilosophie der Organisation.

65 Vgl. Mundt, Vonhof 2007, S. 318 – 325. 66 Boekhorst 1996, S. 176.

Qualitätsmanagement

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4 Strategisches Qualitätsmanagement als integriertes Managementkonzept Die notwendige Verknüpfung der operativen Ebene (einzelne Qualitätsinstrumente und -techniken) mit einer qualitätsorientierten strategischen und auch normativen Gesamtsteuerung gelingt, wenn Qualitätsmanagement als Bestandteil eines integrierten Managements verstanden wird. Hier kann auf das bereits in der Einleitung vorgestellte integrierte Management- und Führungskonzept zurückgegriffen werden. In das von Bleicher entwickelte St. Galler Konzept des integrierten Managements⁶⁷ bettet Seghezzi Qualitätsmanagement ein und betont damit, dass Qualitätsmanagement als Führungsinstrument auf allen drei Managementebenen anzusiedeln ist.

Abb. 7: Ganzheitlicher Integrationsrahmen für Qualitätsmanagement⁶⁸

67 Vgl. Bleicher 1999, S. 71 ff. 68 Seghezzi 2007, S. 11.

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Das Scharnier und damit der Dreh- und Angelpunkt ist das strategische Qualitätsmanagement. Es verbindet normative Qualitätsansätze (v.a. Qualitätspolitik und Qualitätskultur), die notwendigerweise als abstrakt und „abgehoben“ wahrgenommen werden, mit der konkreten operativen Handlungsebene einzelner Instrumente, die ohne strategischen Rahmen, Ausrichtung und Verbindlichkeit im „luftleeren Raum schweben“. In der praktischen Umsetzung des Qualitätsmanagements in Bibliotheken können die EFQM-basierten Kernmodelle des Qualitätsmanagements diese Scharnierfunktion übernehmen, Einzelinstrumente systematisch zu verknüpfen und ihnen damit als Teil eines Gesamtsystems Ausrichtung und Gewicht zu geben.⁶⁹ So lassen sich die Vorteile einer schrittweisen Annäherung an Qualitätsmanagement mit den Vorteilen eines ganzheitlichen und Orientierung gebenden Qualitätsmanagementsystems verbinden.

5 Abschließende Thesen Qualitätsmanagement erfordert Marketing. Strategische Qualitätsmanagementmodelle wie das EFQM-Modell, das Common Assessment Framework oder das Modell „Ausgezeichnete Bibliothek“ entwickeln, ausgehend von Leitbild und Strategie einer Organisation, Qualitätsanforderungen in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Marketingprozess und Marketinginstrumente müssen auf diese Qualitätsanforderungen ausgerichtet werden. Die Beurteilung von Qualität durch Kunden wird maßgeblich von deren Erwartung an eine Organisation und ihre Dienstleistungen geprägt. Die Steuerung von Kundenerwartungen stellt damit eine wesentliche Aufgabe dar, bei der Instrumente des Qualitätsmanagements und des Marketings im Erwartungsmanagement⁷⁰ ineinandergreifen. Marketing liefert Input für Qualitätsmanagement. Wesentlicher Ausgangspunkt für das strategische Qualitätsmanagement ist die Kenntnis der internen und externen Kunden, der Partner und ihrer Anforderungen. Ohne die Nutzung von Marketing- und Marktforschungsinstrumenten sind diese nicht zu ermitteln.

69 Vgl. Vonhof 2010b, S. 321 ff. 70 Vgl. Becker 2007.

Qualitätsmanagement

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Qualitätsmanagement bietet Ansätze für Marketing. Die externe Bestätigung des Erfolgs von Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen durch eine Zertifizierung oder einen Award kann als internes und externes Marketinginstrument genutzt werden. Marketing und Qualitätsmanagement sind sich ergänzende Führungsinstrumente. Marketing und Qualitätsmanagement sind zentrale Bestandteile eines integrierten Managementverständnisses. Sie orientieren sich an den normativen und strategischen Unternehmenszielen. Sie in wirksamer Kombination einzusetzen, ist eine Führungsaufgabe.

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Vonhof

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Qualitätsmanagement

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Vonhof, Cornelia (2010b): Qualität ist kein Zufall: Die ausgezeichnete Bibliothek Teil 2. In: Becker, Tom; Vonhof, Cornelia (Hrsg.): Gut ist uns nie gut genug: Instrumente zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung für eine ausgezeichnete Bibliothek. Wiesbaden: Dinges & Frick, 2010 Weidling, Elisabeth: Impuls in die Bundesrepublik: HdM Stuttgart verleiht Gütesiegel „Ausgezeichnete Bibliothek“ an drei Bibliotheken. Neue Anwärter-Runde gestartet. In: BuB 63 (2011) 11 / 12, S. 768 Zeithaml, Valarie A.; Parasuraman, A.; Berry, Leonard L.: Qualitätsservice: was Ihre Kunden erwarten – was Sie leisten müssen. Frankfurt: Campus, 1992 Zollondz, Hans-Dieter: Grundlagen Qualitätsmanagement: Einführung in die Geschichte, Begriffe, Systeme und Konzepte. 3. Aufl. München: Oldenbourg, 2011

Ursula Georgy, Rudolf Mumenthaler

Praxis Innovationsmanagement 1 Einleitung In vielen Branchen und Unternehmen ist Innovationsmanagement ein selbstverständlicher Teil von Forschung und Entwicklung. Es ist die Grundlage für ein zukunftsgerichtetes Handeln, um im (weltweiten) Wettbewerb bestehen zu können. Dabei stehen meist Erfindungen, die in Patenten münden, oder auch neue Geschäftsmodelle im Vordergrund. Bibliotheken und viele Informationseinrichtungen sind im Vergleich zu diesen Unternehmen Einrichtungen mit einem eng umgrenzten Wirkungsbereich. Es geht hier nicht primär darum, weltweit einmalige Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln bzw. komplett neue Geschäftsmodelle auszuarbeiten, sondern eher darum, aktuellen Trends folgen zu können und den eigenen, häufig aus einem regionalen Umfeld stammenden Kunden attraktive Dienstleistungen und Produkte mit einem größtmöglichen Nutzen bieten zu können. Wesentlich dabei ist die Kundenerwartung, denn sie entscheidet bei der Markteinführung von Innovationen maßgeblich über den Erfolg oder Misserfolg. Insbesondere angesichts des immer schnelleren Wandels und der Entwicklung der Informationstechnologie sind Bibliotheken und Informationseinrichtungen gefordert, auf diese Veränderungen aktiver zu reagieren. Innovationsmanagement soll sie dabei unterstützen, Themen zu identifizieren, die für ihre Kunden wichtig sind, sowie Risiken und Gefahren frühzeitig zu erkennen, die durch Innovationen oder / und (neue) Mitspieler auf dem Markt der Informationsversorgung auftreten. Innovationsmanagement und Marketing ist das wichtigste Instrument in der Realisierung von Innovationen. […] Innovationsmarketing ist […] nicht alleine abhängig von der Höhe der Investition. Vielmehr ist der richtige Zeitpunkt, der richtige Trend, der konsequente Ausbau, die nachvollziehbare und attraktive Story sowie die professionelle Umsetzung das Erfolgsrezept.¹

Die Grundlagen des Innovationsmanagements werden durch Methoden und Instrumente zur Unterstützung oder Umsetzung des Innovationsmanagements ergänzt. Die in diesem Beitrag aufgeführten Beispiele entstammen der Praxis – nicht nur, aber vor allem aus der ETH-Bibliothek.² Viele der Grundlagen stammen aus den Forschungstätigkeiten an der Fachhochschule Köln und einem Lehrgang des Betriebswissen-

1 Innovationeninstitut o.J. 2 Vgl. Mumenthaler 2010, S. 134 ff.; ders. Mumenthaler 2011, S. 167 ff.

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Georgy und Mumenthaler

schaftlichen Instituts (BWI) der ETH Zürich. Wissen, Erfahrungen und Ergebnisse wurden auch in Buchform veröffentlicht.³, ⁴

2 Innovation und Innovationsstrategie Für den Begriff Innovation existieren zahlreiche Definitionen. Zentrale Aspekte von Innovation sind, dass durch systematische, zielgerichtete Prozesse neue Ideen in neuartige Produkte und Dienstleistungen umgesetzt und diese auch erfolgreich am Markt platziert werden. Bei Dienstleistungen handelt es sich vielfach um Prozessinnovationen, die für den Kunden oft nicht oder nur indirekt erkennbar sind, z.B. durch kürzere Prozesszeiten oder einen umfangreicheren Service. Selten finden sich Innovationen, die „radikal“ sind, d.h. solche, die sich an völlig neue Märkte richten und gänzlich neue Technologien verwenden. Vielmehr sind es die „inkrementalen“ Innovationen, die sich an den bisherigen Markt richten und eine Technologie bzw. einen Prozess nur geringfügig verändern bzw. optimieren. Die Innovationsstrategie einer jeden Institution sollte an ihrer allgemeinen Strategie anknüpfen. Idealerweise folgt die Ausarbeitung einer Innovationsstrategie und eines Innovationskonzepts auf eine Strategieentwicklung, die abgestimmt ist auf die Unternehmensstrategie.⁵ Vorangegangen sein sollte eine SWOT-Analyse, in der die aktuellen Stärken und Schwächen, aber auch die künftigen Chancen und Risiken analysiert wurden.⁶ Daraus abgeleitet werden dann die Felder, die Potenzial für innovatives Handeln aufweisen. Die Innovationsstrategie sollte Antwort geben auf folgende Fragen: – Welchen Stellenwert hat Innovation in der eigenen Bibliothek / Informationseinrichtung? – Welche Ziele verfolgt die Bibliothek / Informationseinrichtung mit Innovation und Innovationsmanagement? – Welches sind die Aufgaben des Innovationsmanagements? – Wie definiert man selbst Innovation? – Welchen Stellenwert haben radikale und inkrementelle Innovationen in der eigenen Einrichtung?

3 Vgl. Georgy 2010. 4 Vgl. Birkenmeier, Brodbeck 2010. 5 Alle für das Bibliotheksmanagement relevanten Dokumente werden an der ETH-Bibliothek im elektronischen Organisationshandbuch allen Mitarbeitenden zugänglich gemacht. Hier findet man die Strategie, eine SWOT-Analyse, die Beschreibung aller Gremien, das Innovationskonzept und vieles mehr unter: http: // intranet.ethbib.ethz.ch / organisationshandbuch / (nur ETH-Bibliothekintern zugänglich. Abruf: 18.01.2012). 6 Siehe den Beitrag „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis in diesem Handbuch.

Innovationsmanagement

– – – –

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In welchen Feldern will man selbst innovativ sein? Welches sind die Inputs für die Innovation (Mitarbeiter, Kunden)? Wie bindet man die eigenen Mitarbeiter in den Innovationsprozess ein? Wie misst man den Erfolg von Innovation?

Die ETH-Bibliothek hat für sich Innovation folgendermaßen definiert: Als innovativ wird ein Produkt oder eine Dienstleistung angesehen, wenn sie in der vorliegenden Form in der Schweiz oder im Bibliothekswesen allgemein noch nicht eingesetzt wurde oder noch nicht weit verbreitet ist.⁷

Damit definiert sich die Bibliothek nicht als „First Mover“, sondern als „Early Adopter“, d.h., sie gehört nach den eigentlichen Innovatoren zu den Ersten, die neue Ideen und Innovationen aufgreifen und auf die eigene Einrichtung anpassen. Somit haben sie den Anspruch, im Diffusionsprozess von Innovationen eine entscheidende Rolle zu spielen.

3 Innovationsprozess Innovation in einem Unternehmen wird als Prozess verstanden und als solcher organisiert. Pleschak und Sabisch charakterisieren den Prozess durch folgende Eigenschaften: Komplexität, Mehrstufigkeit, Zukunftsorientierung, Unsicherheit und Risiko, Kreativität sowie Durchsetzbarkeit.⁸ Diese Prozessorganisation sollte vor allem Raum geben für spontane und kreative Inputs aller Mitarbeiter. Zentral dabei ist die Definition der einzelnen Phasen und der Verantwortlichkeiten. Kreative Ideen und ein strukturierter Ablauf sind kein Widerspruch. In der Praxis hat sich das Stage-Gate-Modell nach Cooper⁹ bewährt: In diesem Trichtermodell werden möglichst viele Ideen aufgenommen und über mehrere Stufen verdichtet, sodass am Schluss nur die aussichtsreichsten Ideen umgesetzt werden, die dann als neue Produkte bzw. Dienstleistungen auf dem Markt platziert werden. Dabei stellen die Stages die Stufen im Innovationsprozess dar und die Gates die verschiedenen möglichst transparenten Auswahlprüfverfahren. Im Vergleich zu Unternehmen kann dieser Prozess in Bibliotheken relativ einfach gestaltet werden. Wichtig dabei

7 Mumenthaler 2010, S. 136. 8 Vgl. Pleschak, Sabisch 1996. 9 Vgl. Cooper 2002 und Birkenmeier, Brodbeck 2010, S. 182 ff. Im Anhang von Birkenmeier, Brodbeck findet sich ein „Quick Check“, bestehend aus 54 Fragen, mit dem man das Innovationspotenzial und den Innovationsbedarf des eigenen Unternehmens ermitteln kann.

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Georgy und Mumenthaler

ist, dass die Leitungsebene in den Entscheidungsprozess integriert ist. Die ETH-Bibliothek hat folgende Stufen des Innovationsprozesses für sich als relevant definiert:

Phase

Aufgabe

Resultat

Markt beobachten (Marktforschung)

Publikationen auswerten, Tagungen besuchen, User Feedback

Tagungsberichte

Ideen einbringen

Mitarbeitende reichen Ideen über Ideenpool ein

Weblog Ideenpool

Ideen aufnehmen

Innovationsmanager strukturiert Ideen, bewertet nach Kriterien

Liste Produktideen

Ideen bewerten

Geschäftsleitung beurteilt Ideen, Rückmeldung an Mitarbeiter

Entscheidung über Einstellung, Machbarkeitsstudie oder Umsetzung

Ideen ausarbeiten

Machbarkeit prüfen, Tests, Vorprojekt

Machbarkeitsstudie

Entscheidung Go – No Go

Geschäftsleitung entscheidet über Umsetzung der Projektidee

Projektauftrag oder Entscheidung über Einstellung

Umsetzung der Produktidee

Umsetzung der Idee mit Methode Projektmanagement

Aufnahme in Projektportfolio bzw. Produktpipeline

Controlling des Projekts

Controlling im Rahmen des Projektmanagements

Quartalsbericht

Abnahme des Projekts

Abnahme des Projektergebnisses

Aufnahme in Produktportfolio

Tab. 1: Innovationsprozess der ETH-Bibliothek¹⁰

Die Auflistung des Prozesses zeigt, dass das Innovationsmanagement eng mit dem Projekt- und dem Produktmanagement verknüpft ist. Das Projektmanagement kann als die Methode der Wahl zur Umsetzung der Produkt- und Dienstleistungsideen verstanden werden, wobei bei kleineren Vorhaben oft ein einfacher Auftrag genügt und die Umsetzung direkt erfolgen kann. Auf die Marktforschung wurde bereits hingewiesen. Sie kann als Basis für Innovationen angesehen werden. Und parallel zu den verschiedenen Stufen sollte Innovationskommunikation (intern und extern) betrieben werden.

10 Vgl. Mumenthaler 2011, S. 176.

Innovationsmanagement

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3.1 Innovationsorganisation Die Verantwortung für den Innovationsprozess trägt der Innovationsmanager. In Bibliotheken ist dieses Stellenprofil noch nicht weit verbreitet. Denkbar sind unterschiedliche Modelle: eine in der Linienorganisation möglichst hoch angesiedelte Stelle (z.B. in Kombination mit dem Produktmanagement und / oder dem Marketing) oder die Umsetzung durch eine Stabsstelle. Die erste Variante (Modell ETH-Bibliothek) hat den Vorteil, dass der Innovationsmanager Weisungsbefugnis innerhalb der Bibliothek hat. Da die Einführung eines Innovationsmanagements tendenziell zu Widerständen führen kann, ist die Erfolgschance mit diesem Modell höher. Aber auch beim Modell Stabsstelle bestehen mit der nötigen Rückendeckung durch die Direktion / Geschäftsleitung und dem Commitment der weiteren Mitarbeiter gute Aussichten auf Erfolg.

Abb. 1: Organigramm: Variante ETH-Bibliothek (eigene Darstellung)¹¹

Abb. 2: Organigramm: Variante Stabsstelle

3.2 Ideengenerierung Die Basis für gute Innovationen ist eine möglichst große Zahl von Ideen, sodass aus diesen die besten ausgesucht werden können. Je kleiner der Input im Rahmen dieses Trichtermodells ist, desto größer ist das Risiko, nicht die besten Ideen für die

11 Vgl. Littau, Mumenthaler 2011, S. 35.

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Georgy und Mumenthaler

Umsetzung auszuwählen. Möglicherweise muss man sich dann mit der zweit- oder drittbesten Lösung begnügen. In Bibliotheken und Informationseinrichtungen leistet die Führungsebene den größten Beitrag zu Innovationen. Erst mit deutlichem Abstand folgen die Mitarbeiter.¹² Sie aber stellen ein wesentliches Potenzial für die Ideengenerierung dar. Dauphinais und Price formulierten bereits 1999: We believe that some 80 percent of innovations come from people at least the levels below the top management team […].¹³

3.2.1 Kreativitätstechniken Kreativitätstechniken stellen eine gute Möglichkeit dar, die Zahl der Ideen deutlich zu steigern. Sie werden von Bibliotheken und Informationseinrichtungen dafür jedoch nur wenig eingesetzt, offenbar, weil man sie als wenig ernsthafte Instrumente betrachtet.¹⁴ Eine der bekanntesten Kreativitätstechniken ist das „Brainstorming“, eine Technik, um üblicherweise in einer Gruppe neue Ideen zu generieren. Einige Grundregeln sind für den Erfolg aber unbedingt einzuhalten: – Regel 1: Jede Kritik und Wertung sowie Korrekturen der geäußerten Ideen wird auf eine nachfolgende Phase verschoben. – Regel 2: Ideen anderer Teilnehmer können sofort aufgegriffen werden. – Regel 3: Die Teilnehmer sollen sich wohl fühlen (entspannte Atmosphäre), damit sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen können. – Regel 4: Quantität kommt vor Qualität – je mehr Ideen, desto besser. Die Gruppe sollte nicht zu groß sein (vier bis sieben Teilnehmer), die Sitzung nicht zu lange dauern (20 bis 30 Minuten). Ein Moderator führt in das Problem ein und überlegt sich gewisse Reizfragen, mit denen er den Ideenfluss anregen und nachlassende Ideenflüsse wieder stimulieren kann, denn oft folgt nach einer ersten intensiven Phase, in der Ideen geäußert werden, die man schon lange mit sich herumträgt, eine Flaute, das sogenannte „Tal der Ratlosigkeit“. Es ist die Aufgabe des Moderators, durch diese Phase zu führen. Denn erst nach der Sammlung der ersten Assoziationen folgen die wirklich innovativen Ideen. Es wird ein Protokoll mit den Ideen angefertigt, die Ideen werden nummeriert. In einem zweiten Schritt wird das Protokoll nachbereitet und besprochen, es werden noch Ergänzungen eingeholt und das Ergebnis wird allen Teilnehmern mitgeteilt.

12 Vgl. Georgy 2010, S. 40. 13 Dauphinais, Price 1999, S. 237. 14 Vgl. Georgy 2010, S. 60 ff.

Innovationsmanagement

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Eine weitere effektive Methode ist die sogenannte „Reizwortanalyse“.¹⁵ Hier stehen Assoziationen mit problemfremden Reizwörtern im Vordergrund. Das heißt, man formuliert zunächst das zu lösende Problem oder die Aufgabe, z.B.: Welche neue Dienstleistung kann unsere Bibliothek den Alumni der Hochschule anbieten? Anschließend sammelt man die vorhandenen, naheliegenden Ideen in einem Kurz-Brainstorming (drei Minuten). Dann wählt man fünf bis zehn beliebige gegenständliche Begriffe (Reizworte) aus, die mit dem Problem nichts zu tun haben. Es können also Gegenstände gewählt werden, die sich im Raum befinden und möglichst unterschiedlich sind, wie Insekt, Schirm, Teller, Bleistift, Apfel. In Gruppen werden nun die Eigenschaften, typischen Elemente, Funktionen etc. eines dieser Reizwörter analysiert und schriftlich festgehalten. In einem weiteren Schritt werden diese Eigenschaften mit der konkreten Problemstellung konfrontiert. Welche Lösungen bieten diese Funktionen und Eigenschaften für das formulierte Problem? Im Rahmen eines Workshops der ETH-Bibliothek wurde der Begriff Flasche gewählt. Bei der Analyse der Eigenschaften wurde u.a. die Funktion erwähnt, dass eine Flasche die Möglichkeit bietet, Flüssigkeit aufzubewahren. Daraus abgeleitet wurde dann als mögliche Dienstleistung, dass die Bibliothek den Alumni einen Speicherdienst anbieten könnte. Oder abgeleitet von der Eigenschaft einer Flasche, flüssige Inhalte zu transportieren (Versorgung mit Flüssigkeit unterwegs), wurde vorgeschlagen, mobile Dienstleistungen für Alumni anzubieten. Diese Analyse und Assoziation wird mit den verschiedenen Begriffen wiederholt. Zum Schluss kann man die verschiedenen Lösungsansätze bewerten (z.B. Punkte verteilen). Daneben gibt es zahlreiche weitere Kreativitätstechniken, die sich zur Aktivierung von Mitarbeitern und zur internen Gemeinschaftsbildung gut eignen. Beispiele sind u.a. die „Kopfstandtechnik“, die „Methode der manipulativen Verben“ sowie die „Analogietechnik“. Vor allzu hohen Erwartungen muss jedoch gewarnt werden: Die großen Ideen oder genialen Geistesblitze lassen sich nicht auf Knopfdruck abrufen. Studien zeigen, dass gute Ideen meist außerhalb der Büroräume entstehen  – in der Natur, in den Ferien, auf Geschäftsreisen, beim Fernsehen usw. – oder auch während langweiliger Sitzungen.¹⁶ Bei der Problemlösung braucht der Mensch eine gewisse Inkubationszeit, in der das aktuelle Problem mit Erfahrungen in Verbindung gebracht werden kann. Dieser Prozess spielt sich im Unterbewusstsein ab und findet dann  – manchmal  – seinen Abschluss in einem Geistesblitz.¹⁷ Die naheliegende Lösung wäre demnach, regelmäßig langweilige Sitzungen in der Natur durchzuführen.

15 Vgl. Birkenmeier, Brodbeck 2010, S. 136 ff. 16 Vgl. Fischer, Risch 1993. 17 Vgl. Birkenmeier, Brodbeck 2010, S. 113 f.

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3.2.2 Internes Blog Neben der gezielten Provokation von Ideen geht es auch darum, den Mitarbeitern einfache Möglichkeiten zu bieten, ihre Ideen zu nennen bzw. zu formulieren. Gab es früher Briefkästen für Verbesserungsvorschläge, bieten heute Web-2.0-Tools einfachere Möglichkeiten, um Vorschläge für neue Ideen oder auch Verbesserungen einzureichen. Die ETH-Bibliothek setzt ein internes Blog ein und nennt diese Plattform „Ideenpool“. Hier können alle Mitarbeiter einen Beitrag einreichen, der dann intern für alle sichtbar ist und auch kommentiert werden könnte. Die Erfahrung zeigt, dass an der ETH-Bibliothek diese Kommentarfunktion jedoch bislang kaum genutzt wird. Eine gewisse Hemmschwelle stellt sicherlich auch die interne Publikation der Ideen dar. Oft denken Mitarbeiter, dass ihre Idee doch gar nichts Großartiges sei und getrauen sich nicht, diese zur Diskussion zu stellen. Ein interner Wettbewerb für die Idee des Jahres mit einem attraktiven Hauptgewinn kann aber einen gewissen Anreiz zur Eingabe eigener Ideen schaffen.

Abb. 3: Ideenpool – internes Blog der ETH-Bibliothek¹⁸

18 Das interne Blog der ETH-Bibliothek findet sich unter: http: // intranet.ethbib.ethz.ch / ium / ideenpool / default.aspx (nur ETH-Bibliothek-intern zugänglich; Abruf: 18.01.2012).

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Ein wichtiger Aspekt des Ideenblogs ist die Signalwirkung an die Mitarbeiter, dass ihre Mitwirkung gefragt ist und dass Innovationskultur gelebt wird. Die Ideen, die auf diesem Weg generiert und aufgenommen werden, sind meist nicht die ganz großen Würfe. Aber – so steht es in der Definition der Innovation an der ETH-Bibliothek – auch kleinere Schritte und Produktverbesserungen sind erwünscht und wichtig.

3.2.3 Innovationszirkel und informelle Treffen In anderen Bibliotheken gibt es bereits Innovationszirkel, um innovationsfreudige Mitarbeiter in die Ideenfindung und Vorbereitung mit einzubeziehen. So befasst sich z.B. an der Universitätsbibliothek Wien und an der Bibliothek der TU München jeweils eine Gruppe von Mitarbeitern, die sonst in der Linie andere Aufgaben haben, mit dem Thema Innovation, koordiniert von einer verantwortlichen Person.¹⁹ Dies kommt der Erfahrung aus der Praxis entgegen, dass es meist ein überschaubarer Kreis von Mitarbeitern ist, die sich aktiv mit Innovationsfragen befassen, wobei sich ein Innovationsblog und ein Innovationszirkel oder -forum überhaupt nicht gegenseitig ausschließen. Im Beispiel der TU München befasst sich das Innovationsforum mit Ideen der (theoretisch) gesamten Belegschaft. Diese Organisationsform weist alle Vor- und Nachteile einer Matrixorganisation auf: Die Mitglieder des Innovationsteams sind in der Linie einer anderen Führungskraft unterstellt. Der Einfluss des Innovationsmanagers ist deshalb eher beschränkt und möglicherweise vom „Goodwill“ der direkten Vorgesetzten abhängig. Dafür besteht hier die Chance, dass die Teammitglieder als Innovationsbotschafter die Ideen in die Fachabteilungen tragen und für eine breite Abstützung sorgen können. Entscheidend für den Erfolg wird auch hier die Unterstützung durch Geschäftsleitung und Direktion sein. Auch informelle Gruppen und Treffen bieten Potenzial zur Einbindung von Mitarbeitern und zur breiteren Festigung des Innovationsgedankens in einer Institution. Das Konzept der Universitätsbibliothek Wien sieht z.B. regelmäßige informelle Zusammentreffen – „Monday Coffee“ – vor, die dem zwanglosen Austausch von Ideen dienen sollen, oder Veranstaltungen zur Vorstellung von Ideen der Mitarbeiter  – „Speakers Corner“. Noch weiter geht der Ansatz, dass nicht nur innerhalb der Bibliothek, sondern mit anderen Einheiten z.B. innerhalb der Hochschule oder allgemein des Trägers ein entsprechender Austausch stattfindet. Interessant kann es z.B. sein, die IT-Abteilung oder in einer Hochschule die E-Learning-Verantwortlichen mit einzubeziehen. Dies kann sehr effektiv sein, da Bibliotheken und Informationseinrichtungen moderne Technologien für ihre Dienstleistungen benötigen, z.B. E-Books, Mobile Phones oder Tablets.

19 Vgl. Seissl, Seidler 2011; Hennecke 2011.

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3.2.4 Open Innovation Die bisher diskutierten Techniken betrachten den Innovationsprozess als einen internen Prozess, d.h., die Ideengenerierung erfolgt durch einen (kleinen) Kreis von Spezialisten, z.B. aus der Bibliothek, was auch als „Closed Innovation Prinzip“ bezeichnet wird. Als Gegensatz bzw. als Ergänzung hat sich in den letzten Jahren das Prinzip „Open Innovation“ durchgesetzt. Nach Henry Chesbrough ist Open Innovation […] a paradigm that assumes that firms can and should use external ideas as well as internal ideas, and internal and external paths to market, as the firms look to advance their technology. Open Innovation combines internal and external ideas into architectures and systems whose requirements are defined by a business model.²⁰

In Ergänzung dazu definiert Henry Chesbrough: […] Open Innovation is the use of purposive inflows and outflows of knowledge to accelerate internal innovation, and expand the markets for external use of innovation, respectively.²¹

Zentrales Prinzip von Open Innovation ist somit die Einbindung Externer. Dies können Kunden, aber auch alle anderen Stakeholder sein. Diese Öffnung nach außen soll die Ideenbasis deutlich erhöhen. Gründe für das Engagement können z.B. die eigene Unzufriedenheit mit dem bisherigen Angebot, eine intrinsische Motivation (Freude an der Tätigkeit), soziale Motivation (Zugehörigkeit zu einer Gruppe), Erlangung individueller Vorteile durch die Einführung und Nutzung der Innovation oder die Erlangung materieller Vorteile (Bezahlung) sein. Open Innovation liegt im Trend. Es kann davon ausgegangen werden, dass je nach Branche zwischen 10 % und 40 % der Kunden bereit sind, sich an Innovationen zu beteiligen.²² Die Kunden können nicht nur über Feedback und Befragungen in den Innovationsprozess eingebunden werden. Gerade Web-2.0-Tools eignen sich sehr gut dafür, Kunden direkten Einfluss auf die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zu geben. Sehr ausgefeilte Produkte für die Interaktion mit Kunden bieten z.B. die Plattformen atizo²³, INNOCENTIVE®²⁴, OpenInnovatorTM²⁵, psfk²⁶, springspotters²⁷ sowie uservoice²⁸. Hier kann der Kunde Ideen oder Feedback einreichen und Vor-

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Chesbrough 2003, zit. n. Chesbrough, Vanhaverbeke, West 2006, S. 1. Ebd. Vgl. Lüthje, Herstatt, Hippel 2006. Vgl. atizo: https: // www.atizo.com (Abruf: 02.06.2012). Vgl. INNOCENTIVE®: http: // www.innocentive.com (Abruf: 02.06.2012). Vgl. OpenInnovatorTM: http: // www.openinnovators.de (Abruf: 02.06.2012). Vgl psfk: http: // www.psfk.com (Abruf: 02.06.2012). Vgl. springspotters: http: // www.springspotters.com (Abruf: 02.06.2012). Vgl. uservoice: http: // uservoice.com (Abruf: 02.06.2012).

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schläge anderer Kunden bewerten. Die Antworten des Unternehmens werden in den meisten Fällen für alle übrigen Kunden sichtbar angezeigt.²⁹ Einfacher kann man Kundenfeedback über interaktive Blogs oder auch über facebook in Form von einfachen Umfragen oder Kommentaren einholen.³⁰ In diesem Kontext bietet sich auch die Integration des Feedbackmanagements in das Innovationsmanagement an, denn Kritik und Beschwerden von Kunden geben unmittelbar Aufschluss über die Wünsche der Kunden, und teilweise bietet der Kunde im Rahmen dessen selbst Verbesserungsvorschläge an. Da ein Kunde in den meisten Fällen nur Rückmeldungen gibt, sofern er noch Interesse an der Institution selbst und ihrem Produkt- und Dienstleistungsportfolio hat, ist das Feedbackmanagement eine wichtige Form der Kundenintegration und -bindung. Anwendung finden im Kontext von Open Innovation auch Fokusgruppengespräche. Hierbei handelt es sich um Diskussionen von sechs bis zwölf Personen, die sich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen, wobei Erwartungen, Motivationen, Probleme und Wünsche artikuliert werden.

3.2.5 Kundenbeobachtung Kundenwünsche lassen sich auch durch Befragungen ermitteln. Oft wissen Kunden jedoch gar nicht, was sie wirklich wollen. Im Innovationsprozess benötigt jeder Anbieter von Dienstleistungen und / oder Produkten zwei Formen von Informationen: – Bedürfnisinformationen (Need Information) Informationen über Markt- und Kundeninformationen. – Lösungsinformationen (Solution Information) Informationen darüber, wie Kundenbedürfnisse präzise und effizient umgesetzt werden können.³¹

29 Das Tool ist z.B. bei PaperC im Einsatz: http: // feedback.paperc.de / forums / (Abruf: 14.01.2012). 30 Siehe den Beitrag „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch. 31 Georgy, 2010, S. 83 ff. Vgl. dazu auch Lüthje, Herstatt, Hippel 2006.

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Bedürfnisinformationen lassen sich  – zumindest teilweise  – durch Befragungen ermitteln, nicht artikulierte Bedürfnisinformationen sowie Lösungsinformationen lassen sich besser mit der Methode der Kundenbeobachtung ermitteln.³² Eine Bibliothek kann z.B. beobachten, wie sich Kunden bei der Nutzung elektronischer Angebote verhalten. Eine systematische Kundenbeobachtung erfolgt in mehreren Schritten:

– Wer soll beobachtet – Offene Fragen an werden? Kunden (Warum – Wer soll die tun Sie das?) Beobachtung – Beobachtungsdurchführen? protokoll – Welches Verhalten – Videoaufzeichnung soll beobachtet werden?

– Wo gibt es Probleme – Durchführung von bei der Anwendung? Workshops mit dem – Wo besteht der Team größte Verbesse– Anwendung von rungsbedarf? Kreativitätstechniken – Gibt es aus der – Dokumentation und Produktnutzung Bewertung erster Hinweise für Ideen Innovationen?

Abb. 4: Ablauf Kundenbeobachtung³³

Ähnlich wird auch die Usability von elektronischen Dienstleistungen wie Homepage, Suchportal, Datenbank etc. getestet. Auch hier kann aus „Fehlern“ der Nutzer beim Umgang mit den Tools Verbesserungspotenzial erkannt werden. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass auch das „Abspecken“ eines Produkts bzw. einer Dienstleistung, d.h. die Reduktion von Funktionen, zur Verbesserung dient und als Innovation gilt.

3.3 Ideenbewertung Für einen transparenten Umgang mit den Ideen der Mitarbeiter oder von Kunden werden Kriterien definiert, nach denen diese Vorschläge bewertet werden. Diese Kriterien werden aus der Definition von Innovation und von der Strategie der Bibliothek abgeleitet. Für die ETH-Bibliothek bedeutet dies, dass eine Innovation folgende Kriterien erfüllen muss:

32 Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 33 Nach Birkenmeier, Brodbeck 2009, S. 62.

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dem Kunden Nutzen stiften, die Leaderrolle der ETH-Bibliothek im Bibliothekswesen der Schweiz und des deutschen Sprachraums fördern, dem technischen State of the Art entsprechen, das Umfeld und die Bedürfnisse der ETH Zürich berücksichtigen, der Umsetzung der strategischen Ziele dienen und mit vertretbarem Aufwand an Ressourcen umgesetzt und betrieben werden können.

Nach diesen Kriterien werden die eingereichten Ideen bewertet (siehe die Beurteilungskriterien in Abb. 5: Strategie, Attraktivität, Vorteil, Ressourcen und Realisierbarkeit) und der Geschäftsleitung zur Entscheidung vorgelegt.

Abb. 5: Liste Produktideen mit Kriterien (Auszug)

3.4 Suchfelder Die Inputs durch Mitarbeiter und Kunden stimmen nicht unbedingt mit den strategischen Zielen überein. Eine systematischere Ideensuche ist – auch als Ergänzung zum freien Input – sinnvoll. Eine Methode besteht darin, dass man „Suchfelder“ definiert und anschließend das Innovationspotenzial für die Bibliothek in diesen Feldern prüft.

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Wie kann man diese Themen finden, die für die eigene Bibliothek hohes Innovationspotenzial aufweisen? Dazu lassen sich folgende Leitfragen formulieren: – Wo und wie gut unterstützen wir unsere Kunden bei der Wahrnehmung ihrer Interessen? – Was wollen die Kunden wirklich von uns? – Was beherrschen wir besonders gut, und zwar so gut, dass wir es in neue Produkte / Dienstleistungen umsetzen könnten? – Was können wir besser als unsere Konkurrenz? – Decken unsere Aktivitäten alle strategischen Schwerpunkte ab? Wo gibt es Lücken? – In welchen Bereichen sehen die Mitarbeitenden / sehe ich selber Bereiche mit Innovationspotenzial? – Wo gibt es Probleme und wo liegt Verbesserungspotenzial? Für die systematische Problemerkennung kann die „Methode der progressiven Abstraktion“ eingesetzt werden. Dabei wird immer wieder die Frage gestellt: „Worum geht es eigentlich?“ Dadurch wird stufenweise das Wesentliche vom Unwesentlichen getrennt und die Probleme werden gründlich analysiert. Zunächst wird ein Problem formuliert, dann werden mögliche Lösungen in einem Kurz-Brainstorming gesammelt. Die gefundenen Lösungen werden kritisiert: „Was ist unbefriedigend oder besser lösbar?“ Nun wird nach einer abstrahierten Problemformulierung gesucht: „Worum geht es eigentlich?“ Diese Problemformulierungen werden gesammelt, wieder kritisch analysiert und nach der eigentlichen Problemstellung analysiert.

3.5 Gezielte Entwicklung von Technologiestrategien Auch für Bibliotheken und Informationseinrichtungen spielt die technische Entwicklung eine maßgebliche Rolle. Es geht also darum, Trends rechtzeitig zu erkennen und in die Innovationsstrategie einzubinden. Verschiedene Methoden und Techniken können hier Hilfestellung bieten.

3.5.1 Trendberichte Unternehmen wie z.B. trendwatching.com ([Industry] Trend Report)³⁴, New Media Consortium (NMC Horizon Report)³⁵ und Gartner (Gartner Hype Cycle) veröffentlichen regelmäßig Trendberichte für verschiedene Industriebereiche und Branchen.

34 Vgl. trendwatching.com: http: // trendwatching.com (Abruf:14.01.2012). 35 Vgl. New Media Consortium: http: // www.nmc.org (Abruf: 14.01.2012).

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Besonders interessant an der Darstellung von Gartner ist, dass jede Technologie einer Phase zugeordnet wird und dass eine Zeitspanne angegeben wird, innerhalb derer Technologien voraussichtlich eine wichtige Rolle im Markt spielen und die Masse der Bevölkerung erreichen werden. Gartner unterscheidet folgende Phasen des Technologielebenszyklus: – Technology Trigger – technologischer Auslöser, – Peak of Inflated Expectations – Phase der überzogenen Erwartungen, – Through of Disillusionment – Tal der Enttäuschung, – Slope of Enlightenment – Pfad der „Erleuchtung“ und – Plateau of Productivity – Plateau der Produktivität.³⁶ Für Bibliotheken und Informationseinrichtungen sind diese Technologielebenszyklen hilfreich, um zu identifizieren, wo sich bibliotheks- und informationsrelevante Technologien auf dieser Kurve befinden. So können die Einrichtungen dann entscheiden, wo sie derzeit entlang dieser Kurve „leben“ und wo sie zukünftig „leben“ möchten bzw. müssen.³⁷ Die ETH-Bibliothek wird sicher eher „auf einen Zug aufspringen“ als eine Öffentliche Bibliothek einer mittelgroßen Stadt. Die Diffusionskurve nach Rogers kann hier als Orientierung dienen. Nur etwa 2,5 % aller Unternehmen / Einrichtungen sind den „Innovators“ zuzuordnen. Zu den „Early Adopters“ zählen rund 13,5 % der Unternehmen / Organisationen, zu der „Early Majority“ ca. 34 %, zu der „Late Majority“ ebenfalls ca. 34 % und zu den „Leggards“ ca. 16 %.³⁸ Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass rund 50 % aller Einrichtungen nicht innovationsorientiert sind, denn die „Late Majority“ sowie die „Leggards“ führen die Neuerungen erst dann ein, wenn die Ersten bereits den nächsten Innovationsschritt getan haben.

3.5.2 Technologieradar Um die für die Zukunft der Bibliothek entscheidenden Faktoren zu definieren und fortan aktiv zu verfolgen, eignet sich auch die Methode des „Technologieradar“. Eigentlich wurde diese Methode für Unternehmen entwickelt und wird auch dort eingesetzt. Zunächst werden die Themenfelder – die Segmente des Radars – definiert, die man aktiv beobachten will. Dabei wird noch die Zeitdimension berücksichtigt, indem aktuelle Themen innen im Kreis, künftige außen platziert werden. Für jedes Thema wird dann ein sogenannter „Gate-Keeper“ bestimmt, der die Aufgabe hat, diese Technologie zu beobachten und wichtige Neuerungen und Entwicklungen zu melden.

36 Vgl. Gartner Inc. 2012. 37 Vgl. Georgy 2011. 38 Vgl. Rogers 1983.

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Abb. 6: Technologieradar, Beispiel der ETH-Bibliothek (eigene Darstellung)

Eine einzelne Bibliothek dürfte tendenziell mit der Aufgabe überfordert sein, das gesamte Spektrum mit eigenen Mitarbeitern abzudecken. Diese Methode bietet aber auch die Möglichkeit, im Verbund mehrerer Partner betrieben zu werden. So können sich Experten aus verschiedenen Institutionen zusammenschließen und sich im Netzwerk gegenseitig informieren.³⁹

3.6 Controlling Aufgabe des Innovationsmanagers ist es, den gesamten Prozess zu überwachen und zu dokumentieren. Allerdings muss auch beachtet werden, dass gerade in der frühen Konzeptionsphase eine starre Planung nicht die Kreativität behindert. In dieser Phase steht das strategische Controlling im Vordergrund, also die Frage, ob man die richtigen Dinge tut: – Festlegung der Entscheidungskriterien, – Aufbau eines Ideen- bzw. Produktportfoliomanagements, – Gesamtüberblick über die Innovationspipeline,

39 Dies wird im Projekt Technologieradar der Zukunftswerkstatt, der Fachhochschule Potsdam und der ETH-Bibliothek umgesetzt: http: // technologieradar.elgg.com (Abruf: 02.06.2012).

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Einschätzung, ob genügend Produkte zu den strategischen Schwerpunkten in der Pipeline sind, sowie Dokumentation der Innovationsideen.

Zunächst dürften Excel-Tabellen für diesen Zweck reichen. Die ETH-Bibliothek führt eine Liste der Ideen (mit Status), eine Liste der Produktpipeline (genehmigte, aber noch nicht umgesetzte Ideen) und ein Produktportfolio mit allen Produkten und Dienstleistungen, die aktiv betrieben werden. Diese Listen sind über das Intranet (SharePoint) für alle Mitarbeitenden sichtbar. Für das Controlling sind die verschiedenen Listen nicht ideal. Es gibt eine ganze Reihe von kostenpflichtigen Tools, welche die Administration und das Controlling der Ideen übernehmen.⁴⁰ Der Übergang zum Wissensmanagement ist hier fließend. Da die größeren Vorhaben bei der Umsetzung von Ideen als Projekt organisiert werden, erfolgt in dieser Phase das Controlling über das Projektmanagement. Kleinere Vorhaben werden mit einer vereinfachten Methode durch das Innovationsmanagement betreut. Die ETH-Bibliothek z.B. plant, das Controlling im Rahmen des Projekt-, Prozess- und Innovationsmanagements einheitlich auf ihrer Intranetplattform SharePoint zu implementieren. Falls es noch kein Projektmanagement mit entsprechenden Tools gibt, müsste dies für das Innovationsmanagement separat aufgebaut werden. Der Tipp aus der Praxis lautet hier: Das Projektmanagement ist bereits bekannt und eingeführt; es eignet sich entsprechend als Vorreiter zur Etablierung interner standardisierter Mechanismen. Im Projektmanagementverantwortlichen findet der Innovationsmanager einen Partner mit sehr ähnlichen Interessen. Und es ist für das Innovationsmanagement leichter, sich an eine bereits etablierte Lösung anzuhängen als ein eigenes Controlling aufzubauen.

3.7 Sichtbarkeit der Ergebnisse Nicht nur die Geschäftsleitung, auch die Mitarbeitenden werden nach der offiziellen Einführung eines Innovationsmanagements mit hohen Erwartungen auf die ersten sichtbaren Ergebnisse warten. Der Tipp aus der Praxis lautet: Schaffen Sie möglichst schnell erste Erfolgserlebnisse. Wählen Sie erste Innovationsideen aus, die sich leicht und schnell umsetzen lassen. An der ETH-Bibliothek war eine der ersten Ideen die Einrichtung einer Facebook-Seite. Diese Idee konnte rasch umgesetzt werden und wurde somit zum sichtbaren Zeichen, dass sich etwas bewegt. Gerade im Bereich Social Media sind solche „Quick-Wins“ leicht zu erzielen.

40 Zum Beispiel Nokia Siemens Networks und ThyssenKrupp AG: Vgl. Der F&E-Manager 2008 und Thyssen-Krupp 2012.

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Eine andere, leicht umsetzbare Idee wurde an der Universitätsbibliothek Wien vorgeschlagen: Ein Sofa für jede Bibliothek – in allen Bibliotheken soll das gleiche Sofamodell aufgestellt werden, das als Erkennungszeichen für die UB als Wohlfühlort, Ort der Kommunikation und des Austausches steht.⁴¹ Auch diese Maßnahme scheint einfach umsetzbar und setzt doch ein für alle gut sichtbares Zeichen. Diese Beispiele zeigen zudem erneut auf, dass Innovationen im Bereich Dienstleistungen sehr individuell sind und in vielen Fällen die Anpassung bzw. Adaption bereits bekannter Technologien oder Dienstleistungen auf die eigene Einrichtung darstellen. Wichtig dabei ist aber, dass tatsächlich Anpassungen auf die speziellen Gegebenheiten einer Institution stattfinden und nicht die „blinde“ Übernahme ohne kritische Analyse und Bewertung, ob die Innovation für die eigene Einrichtung überhaupt geeignet ist oder welcher Rahmenbedingungen es für eine erfolgreiche Markteinführung bedarf.

4 Innovationskommunikation Innovationen sind nur erfolgreich, wenn sie auch rechtzeitig intern und extern kommuniziert werden. Innovationskommunikation wird […] definiert als systematische Initiierung von Kommunikationsprozessen mit internen und externen Stakeholdern, in denen technische, ökonomische oder soziale Neuerungen befördert werden sollen.⁴²

Aus der Definition geht hervor, dass Innovationen sowohl intern (z.B. an die Mitarbeiter und den Träger) als auch extern (z.B. an die Kunden und andere externe Stakeholder) kommuniziert werden müssen. Die interne Kommunikation ist nicht zu vernachlässigen, da insbesondere Prozessinnovationen bei den Mitarbeitern Ängste hervorrufen können, z.B. derart, dass sie im Rahmen der Einführung von automatisierten Dienstleistungen (z.B. RFID) um ihren Arbeitsplatz fürchten. Zerfaß und Huck berücksichtigen diesen Aspekt in ihrer Definition zur Innovationskommunikation ganz explizit: Innovationskommunikation als wesentlicher Teil der Unternehmens- bzw. Organisationskommunikation ist die systematisch geplante, durchgeführte und evaluierte Kommunikation von Neuerungen mit dem Ziel, Verständnis für und Vertrauen in die Innovation zu entwickeln […].⁴³

41 Vgl. Seissl, Seidler 2011, S. 3. 42 Zerfaß 2009, S. 23 ff. 43 Zerfaß, Huck 2007, S. 847 ff.

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Nach einer Studie von Zerfaß und Ernst⁴⁴ kommt Innovationskommunikation eine Reihe von Funktionen zu, u.a.: – Vermittlungsfunktion, – Bekanntmachungsfunktion, – Dialogfunktion, – Beobachtungsfunktion, – Vermarktungs- und Absatzfunktion, – Begleitfunktion sowie – Regulations- und Imagefunktion. Das bedeutet aber, dass die Innovationskommunikation integrierter Bestandteil der internen und externen Kommunikation sein muss.⁴⁵ Für den Erfolg der Einführung einer Innovation ist es letztendlich entscheidend, dass über alle Phasen des Innovationsprozesses hinweg interne und externe Kommunikation betrieben wird, denn nach Rogers⁴⁶ sind für eine Kaufentscheidung folgende fünf Stufen relevant: – „Knowledge“ (Wissen): von einer Innovation erfahren, – „Persuasion“ (Überzeugung): von der Innovation und ihren Vorteilen überzeugt werden, – „Implementation“ (Beschaffung und Umsetzung): sich Gedanken machen, wo eine Innovation erhältlich ist, mit welchem Aufwand sie zu implementieren ist (z.B. technische Geräte) und welche Voraussetzungen notwendig sind, – „Decision“ (Entscheidung): sich für oder wider eine Innovation entscheiden, – „Confirmation“ (Bestätigung): die Entscheidung z.B. durch regelmäßige Nutzung oder weiter gehende Informationen bestätigen. Als weiterer Schritt ist inzwischen das „Probieren“ hinzugekommen, das vor der Entscheidungsphase eine wichtige Rolle spielt. Die Innovationskommunikation muss letztendlich auch über alle Stufen eines Kaufentscheidungsprozesses informieren. Und wenn Kunden nicht oder zu spät über eine Innovation informiert werden, besteht die Gefahr, dass im Sinne einer Portfolioanalyse eine Innovation nicht über die Stufe des „Question Marks“ hinwegkommt und ggf. schnell wieder vom Markt genommen wird, da sie nicht erfolgreich ist. Aktive Innovationskommunikation betreiben z.B. die Bibliotheken des MIT, die bereits ihre „Betas“ der Öffentlichkeit vorstellen und um Feedback bzw. Weiterentwicklung bitten:

44 Zerfaß, Ernst 2008. 45 Siehe den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch. 46 Vgl. Rogers 1983.

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The MIT Libraries are experimenting with new technologies and services to help make access to information easier. The tools below are in „beta“ form and have been created or adapted for the MIT community. They are still being tinkered with, but we’d like you to try them out and tell us what you think! What works well? What doesn’t? Have you written any scripts or tools yourself? Let us know! E-mail us at [email protected].⁴⁷

Innovationskommunikation wird hier in hervorragender Weise mit Open Innovation verknüpft.

5 Fazit Gerade Bibliothekaren steht manchmal der eigene Perfektionismus bei der kreativen Umsetzung neuer Ideen etwas im Wege. Wer innovativ sein will, muss auch Mut zum Unperfekten haben. Dabei eignen sich Prototypen oder Beta-Versionen sehr gut, um den Nutzern zu zeigen, dass man sich mit neuen Themen befasst, und um gleichzeitig auch zu signalisieren, dass mit dem gewohnten Qualitätsstandard noch nicht gerechnet werden darf. Die MIT Libraries haben eine eigene Seite für ihre Beta-Anwendungen – sogar mit einem Beta graveyard⁴⁸. Transparenter kann man es nicht darstellen, dass nicht jede Idee auch zum regulären Produkt umgesetzt wird bzw. werden kann!⁴⁹ Eine Institution, die einen Friedhof der Beta-Versionen einrichtet und dort ihre nicht umgesetzten Ideen präsentiert, hat die höchste Stufe des Innovationsmanagements erreicht. Dies entbindet Bibliotheken und andere Informationseinrichtungen jedoch nicht davon, sich systematisch mit strategischem Innovationsmanagement auseinanderzusetzen, damit die Quote der erfolgreichen Innovationen steigt und der Erfolg nicht dem Zufall überlassen bleibt.

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47 MIT Libraries 2012. 48 Nicht weiter entwickelte und verfolgte Beta-Tools und Dienstleistungen, die aber trotzdem wertvoll für die Entwicklung anderer Tools und Dienstleistungen waren. 49 Vgl. ebd.

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Georgy und Mumenthaler

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Frauke Schade

Markenentwicklung für Bibliotheken 1 Einleitung Flynn Carsen ist immer auf der Jagd. Diesmal geht es um den Judaskelch. Fällt der Kelch in die Hände des russischen KGB-Kontrahenten, würde das großes Unheil über die Welt bringen. Denn mit dem Judaskelch kann man tote Vampire wiederbeleben und den Untergang der Menschheit vorantreiben. Das Besondere an der actionreichen Spielfilmtrilogie „The Quest“¹ ist nicht die durchaus fragwürdige Qualität der Handlung. Das Besondere ist der Protagonist Flynn Carsen. Der Held ist Bibliothekar und in einem geheimen Trakt der Metropolitan Public Library dafür zuständig, große Schätze der Menschheitsgeschichte zu bewahren, darunter die Bundeslade, die Büchse der Pandora und das legendäre Schwert Excalibur. Auf den ersten Blick hat die Geschichte wenig mit dem Thema „Markenentwicklung für Bibliotheken“ zu tun, auf den zweiten Blick fast alles, wie sich in diesem Beitrag noch zeigen wird. Zunächst aber kann festgestellt werden, dass hier das stereotype Image von Bibliothekaren auf bemerkenswerte Weise durchbrochen und ins Gegenteil verkehrt wird. Der Protagonist ist keine alte Jungfer im Faltenrock mit Brille und Dutt, wie das Bild der Bibliothekarin in der Literatur, im Film und in der Öffentlichkeit konsequent zementiert wird.² Der Protagonist ist ein Held und dabei nicht nur sehr belesen und klug, nein, er ist auch noch ausgesprochen attraktiv, witzig und abenteuerlustig. Er sagt auch nicht „Psst!“, sondern: „Lasst uns die Welt retten!“³ Image und Marke, Selbstbild und Fremdwahrnehmung sind beim Thema Markenentwicklung untrennbar miteinander verbunden. Denn: „Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen der Anspruchsgruppen […].“⁴ Annähernd gleichlautend wird das Image beschrieben als „Gesamtheit von Gefühlen, Einstellungen, Erfahrungen und Meinungen bewusster und unbewusster Art […] von einem Meinungsgegenstand (z.B. einem Produkt, einer Marke, einem Unternehmen) […]“⁵. Bevor Bibliothekare und Bibliotheken also danach fragen, wie sie von anderen gesehen werden, müssen sie sich fragen, wie sie sich selbst sehen und was ihre Botschaft ist. Alle Instrumente der Markenentwicklung und -führung richten sich dann darauf aus, das Selbstbild so

1 Frakes, Winther 2010. 2 Vgl. Engelkenmeier 2006. 3 Interessant ist, dass das englischsprachige Original der Spielfilmtriologie tatsächlich unter dem Titel „The Librarian“ geführt wird. 4 Esch 2012, S. 22. 5 Essig, Soulas de Russel, Bauer 2010, S. 23.

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Schade

prägnant und spezifisch zu fassen und als Markenbotschaft zu kommunizieren, dass das Fremdbild positiv beeinflusst wird und die Marke bekannt und nachhaltig erinnert wird, indem ihr Sympathie und Vertrauen entgegengebracht wird. Nun wissen Bibliothekare und Bibliotheken jedoch nicht nur sehr genau, was sie tun, sondern auch, warum sie es tun und welchen Wert dies in der Erfüllung des öffentlichen Auftrages in seiner Vielseitigkeit und Qualität für die Gesellschaft darstellt. Dies spiegelt sich nicht nur in der täglichen ambitionierten Praxis unzähliger Bibliotheken wider, sondern wurde auch in der Fachliteratur und politisch in bibliothekarischen Planungs- und Positionspapieren eingesetzt. Angekommen bei den Adressaten und in der Öffentlichkeit sind die vehementen Botschaften von Bibliotheken und ihren Verbänden bisher nicht so durchschlagend und breit, dass sie wesentlich zu einer Imageverbesserung in Politik und Öffentlichkeit beigetragen hätten. Lux stellt dazu fest: Ich glaube, dass die wenigsten Politiker wissen, was wirklich in Bibliotheken stattfindet. Immer noch ist die Vorstellung verbreitet, die Rolle der Bibliotheken beschränke sich darauf, Bücher zu lagern und über die Ausleihtheke zu schieben.⁶

Eine ähnliche Einschätzung dokumentiert Bassen: Obwohl die Bibliothek seit Jahren gute Arbeit macht, hat sie große Schwierigkeiten, den politischen Wert dieser Leistungen darzustellen, ist häufig mit der Zahl der erreichten Nutzer unzufrieden, sieht sich willkürlichen Sparbeschlüssen ausgesetzt und wird nicht selten sogar durch externe Prüfer und Berater infrage gestellt.⁷

Bibliotheken sind sich dessen durchaus bewusst. Bibliothekarische Planungs- und Positionspapiere nennen durchgängig zumindest die Notwendigkeit zur Profilentwicklung. Auch wenn der Begriff der Marke nicht explizit erwähnt wird, so hängt er doch eng mit dem Bibliotheksprofil zusammen (siehe Abschnitt 4). Vor allem durch die als permanent zu bezeichnende Haushaltskrise seit Mitte der 1990er Jahre, die politische Diskussion im Rahmen von „Bibliothek 2007“ und die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ sowie das Positionspapier „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“ ist das Thema Profilentwicklung noch viel deutlicher auf die Tagesordnung von Bibliotheken gerückt und zeigt sich in Initiativen zur Entwicklung von Bibliotheksprofilen in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und RheinlandPfalz.⁸

6 Lux 2004, o.S. 7 Bassen 2007, S. 538. 8 Vgl. Bassen 2007, S. 538.

Markenentwicklung

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Woran liegt es, dass Bibliotheken sich einerseits so genau in ihren Zielen und Aufgaben beschreiben, dies jedoch kaum durchschlagend nach außen kommunizieren können? Die IFLA hat bereits 1995 das negative Image von Bibliotheken untersucht und führt als Gründe u.a. die Unsichtbarkeit der bibliothekarischen Arbeit für den Kunden und die eingeschränkte Beurteilbarkeit der Qualität bibliothekarischer Dienstleistungen, aber auch Etatkürzungen und die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen schlechte Bezahlung sowie die fehlende klare Abgrenzung zu anderen beruflichen Tätigkeitsfeldern an.⁹ Die Ergebnisse der Untersuchung tangieren zentrale Problembereiche, wie sie sich insgesamt an die Markenentwicklung und -führung stellen; und sie zeigen, warum es für Bibliotheken auch außerordentlich schwierig ist, sich prägnant darzustellen und Strahlkraft zu entwickeln. Die Ursachen liegen in der Heterogenität ihrer Zielgruppen, in der Breite ihres Produkt- und Dienstleistungsportfolios sowie in der Immaterialität der Dienstleistungen, deren Qualität kaum von außen beurteilt werden kann,¹⁰ sowie in einem Bibliotheksimage, das über Jahrhunderte tradiert wurde und den Paradigmenwechsel vom analogen zum digitalen Medium, verbundenen mit einer Ausweitung der Tätigkeitsfelder, noch nicht nachvollzogen hat. Und es liegt daran, dass Bibliotheken als Non-Profit-Organisationen oftmals nicht über ausreichende Marketingbudgets und das entsprechende Knowhow verfügen, Markenentwicklung und -führung voranzutreiben.¹¹ In diesem Beitrag werden Konzepte der Markenentwicklung und Markenführung in Bezug auf Bibliotheken vorgestellt. Dabei wird zunächst der bereits beschriebene Zusammenhang von Image und Marke in dem Konzept der identitätsorientierten Markenführung aufgegriffen und anhand dessen dargestellt, was starke Marken ausmacht und welche Funktionen sie für Kunden und Unternehmen haben. Die Markenbotschaft und das Branding (siehe Abschnitt 4.2) sind essenziell, um Markenbekanntheit und ein positives Markenimage aufzubauen. Sie werden im Rahmen von Markenmodellen und -architekturen entwickelt und konsequent mit der Markenpositionierung im Marketingmanagement (siehe Abschnitt 4.3), insbesondere in der Markenkommunikation umgesetzt,¹² wie es im Folgenden aufgezeigt wird. Flynn Carsen wird in diesem Beitrag weiterhin eine Rolle spielen, da er in Charakter und Botschaft viel Markenpotenzial besitzt, auch wenn an dieser Stelle bereits deutlich wird, dass der Held weder zum Selbstbild noch zum angestrebten Image von Bibliotheken tatsächlich passt, auch wenn Bibliotheken die Schätze der Menschheit bewahren und zur Rettung der Welt beitragen.

9 Vgl. Prins, de Gier 1995, S. 11. 10 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 11 Bruhn 2005, S. 47. 12 Siehe den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch.

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2 Marken Der Begriff Marke leitet sich etymologisch aus dem mittelhochdeutschen Wort „marc“ in der Bedeutung von Grenzlinie bzw. Grenze ab, findet aber auch einen Ursprung in dem französischen „marquer“ in der Bedeutung von „markieren“, „kenntlich machen“, „kennzeichnen“ bzw. in dem englischen Wort „mark“, das für „Merkmal“, „Marke“ und „Zeichen“ steht. Neben der etymologischen Bedeutung wird die Marke als gewerbliches Schutzrecht definiert und ist im Markenrecht geregelt: Als Marke können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstiger Aufmachung einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet dazu sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.¹³

Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive hat sich das Verständnis von Marken und damit auch die Konzepte der Markenführung stark gewandelt. Die Definition der Marke steht in einem engen Bezug zu Konzepten der Markenentwicklung, die im Kontext von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen zu sehen sind. Zwar findet man bereits auf Tonwaren der Antike markentypische Siegel und Zeichen, verwenden Zünfte, Handwerksvereine und die Hanse seit dem Mittelalter eigene Zeichen als Qualitätszeichen und gewann Reklame und damit auch die ersten Marken (z.B. Coca-Cola, 1886 und Maggi, 1887) während der Industrialisierung durch das Aufkommen von Massenkommunikation und der Anonymisierung des Marktes an Bedeutung – von einem moderneren Markenverständnis im Rahmen von Marketing kann man aber erst seit den 1950er Jahren sprechen.¹⁴ Bis 1994 hießen Marken in Deutschland „Warenzeichen“ und konnten auch nur für Waren angemeldet werden; das Markengesetz trat erst im Januar 1995 in Kraft, womit es auch möglich wurde, für Dienstleistungen Marken anzumelden.¹⁵ Im Kontext des Marketings unterscheidet man wettbewerbsorientierte, wirkungsbezogene sowie identitätsorientierte Ansätze, die in einem engen Bezug zu dem entsprechenden Marketingverständnis der jeweiligen Zeit stehen. Bis in die 1970er Jahre war der sogenannte wettbewerbsorientierte Ansatz vorherrschend, der die Marke eng an seiner Wortbedeutung im Sinne des „Auszeichnens“ bzw. „Markierens“ führte und einem instrumentell verkürzten Marketingverständnis geschuldet ist, das Marketing reduzierte auf Werbung und Verkauf.¹⁶ Der Marke wurde in diesem Ansatz vor allem eine Differenzierungsfunktion zugewiesen. In den 1980er Jahren steht der wirkungs-

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§ 3 Abs. 1 MarkenG. Vgl. Esch 2005, S. 1; ders. 2012, S. 1. Vgl. Esch 2012, S. 19. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 10.

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bezogene Ansatz eng in Beziehung mit einem systematischeren Marketingverständnis, das u.a. davon ausging, dass die Berücksichtigung von Kundeninteressen in einem strategisch ausgerichteten Marketingmanagement maßgeblich zum Unternehmenserfolg beiträgt.¹⁷ Vor dem Hintergrund der Informations- und Medienentwicklung und der Informationsüberflutung der Gesellschaft seit Mitte der 1980er Jahre, sich ausdifferenzierender sozialer Milieus in der postmodernen Gesellschaft und des zunehmenden Qualitätspatts von Produkten¹⁸ verlagert sich die Differenzierung von Marken auf eine emotionale Ebene, die von dem identitätsorientierten Ansatz der Markenführung vorangetrieben wird. Die Marke wird als Persönlichkeit verstanden und „hat ein Gesicht wie ein Mensch“¹⁹. Dabei verdichtet das Konzept der identitätsorientierten Markenführung den verhaltensorientierten Ansatz der Markenführung, indem die Marke zu einer Markenpersönlichkeit entwickelt wird. Die Marke wird dabei nicht nur unter Berücksichtigung ihrer funktionalen und objektiv bewertbaren Eigenschaften gestaltet, sondern auch unter wirkungsbezogenen Aspekten wie Emotion, Motivation oder Einstellungen der avisierten Zielgruppen. Der Markenpersönlichkeit werden in dem identitätsorientierten Ansatz der Markenführung menschliche Persönlichkeitsmerkmale zugeschrieben (siehe Abschnitt 4.1).²⁰ Überträgt man die von Esch bereits genannte Definition auf Bibliotheken, dann kann die Bibliotheksmarke in diesem Kontext definiert werden als ein Qualitätsversprechen, das ein fest verankertes Vorstellungsbild von den Dienstleistungen der Bibliothek erzeugt und sowohl den Zielgruppen als auch der Bibliothek einen Nutzen bringen soll.²¹ Im Rahmen der identitätsorientierten Markenführung wird zwischen Markenimage und Markenidentität differenziert, um eine unternehmensinterne und eine unternehmensexterne Perspektive abzubilden und die Wirkungsmechanismen zwischen der Markenbildung und -führung auf der einen Seite und die Markenwahrnehmung auf der anderen Seite offenzulegen.

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Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 10. Vgl. Esch 2012, S. 33. Domizlaff 1992, S. 97, zit. nach Esch 2012, S. 2. Vgl. Esch 2012, S. 107. Vgl. Bernsee 2006, S. 23.

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Markenimage

Kunde Markenbekanntheit Assoziationen Sympathie Vertrauen Treue

Markenpositionierung

Aussagen

Akzeptanz

Markenidentität

Bibliothek Wer sind wir? Was bieten wir an? Wem nützen wir? Wie wirken wir? Wie treten wir auf?

Abb. 1: Beziehung zwischen Markenimage und Markenidentität (eigene Darstellung nach Meffert, Burmann und Kirchgeorg)²²

Abbildung 1 macht deutlich, dass die Markenidentität im Unternehmen entwickelt wird. Das Markenimage zeigt, wie die Marke von den externen Zielgruppen subjektiv wahrgenommen wird.²³ In diesem einfachen Sender-Empfänger-Modell wird die Markenidentität deshalb als Aussagekonzept und das Markenimage als Akzeptanzkonzept bezeichnet. Das Markenimage stellt dabei die Wirkungsebene aufseiten der externen Zielgruppen dar, die Markenidentität und die Markenpositionierung hingegen die Aktionsebene des Unternehmens. Unternehmen können demnach nur mittelbar über die Markenpositionierung auf das Markenimage Einfluss nehmen.²⁴ Die Markenpositionierung bezieht sich dabei auf die sichtbaren Merkmale der Markenidentität – sogenannte Brand Icons  – wie z.B. Markenzeichen und -namen, Eigenschaften des Produkts oder der Dienstleistung, Preis, Auftreten der Mitarbeiter, Aufenthaltsqualität am Point of Sale sowie alle Kommunikationsmaßnahmen einschließlich ihres Designs und weiterer akustischer oder olfaktorischer sowie haptischer Stimuli, wie sie im Marketing-Mix umgesetzt werden.²⁵

22 Nach Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 360; vgl. Esch 2012, S. 64, 73 f. 23 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 360. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. Esch 2012, S. 91 f.; http: // wirtschaftslexikon.gabler.de / Definition / markenpositionierung. html (Abruf: 12.02.2012).

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3 Markenimage – die Wahrnehmung der Marke Das Markenimage wird definiert als das „Ergebnis der individuellen, subjektiven Wahrnehmung und Decodierung aller von der Marke ausgesendeten Signale“²⁶ und beschreibt die Gesamtheit aller subjektiven Vorstellungen einer Person von einer Marke hinsichtlich der wahrgenommenen Eigenschaften und der Eignung dieser Marke zur Befriedigung der rationalen und emotionalen Bedürfnisse des Individuums.²⁷

Aus der Definition wird deutlich, dass das Image nicht ausschließlich objektiv, sondern vor allem subjektiv ist und sich in Einstellungen, Gefühlen und Meinungen²⁸ ausdrückt. Damit ist es nicht nur kognitiv, sondern auch emotional geprägt.²⁹ Dementsprechend sind Images „nicht nur sprachlich codiert, sondern auch bildhaft, episodisch, metaphorisch“³⁰. Charakteristisch für Images ist darüber hinaus, dass sie unmittelbar mit dem ersten Eindruck entstehen und nur zu Beginn variabel und beeinflussbar sind. Im Laufe der Zeit verfestigen sich Images stereotyp und sind nicht mehr so leicht zu beeinflussen bzw. veränderbar.³¹ Das Markenimage kann sich dabei auf ein Produkt, eine Dienstleistung, ein Unternehmen, eine Produktgruppe, eine Branche oder auf Personen beziehen. Im Management von Markenportfolios beeinflussen sich die Markenimages gegenseitig (siehe Abschnitt 4.3). Das Wissen über die Textur und Funktionsweise des Markenimages ist für die Gestaltung der Markenidentität von hoher Relevanz und wird heute in der Konsumentenforschung interdisziplinär erforscht.³² Ziel der Markenentwicklung und -führung ist es, Markenbekanntheit aufzubauen und Markensympathie, -vertrauen und -treue herzustellen.³³ Dabei wird die Markenbekanntheit als die notwendige Bedingung zur Entstehung von Markensympathie, -vertrauen und -treue betrachtet und misst sich in dem sogenannten Markenwissen als Summe der Assoziationen, die zu der Marke gebildet werden können. Sind diese Assoziationen positiv und emotional besetzt, tragen sie entscheidend dazu bei, Markensympathie, -vertrauen und -treue aufzubauen, und übernehmen sowohl für Konsumenten als auch für Unternehmen wichtige Funktionen.³⁴

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Meffert, Burmann, Koers 2005, S. 63. Meffert, Burmann, Koers 2005, S. 65. Vgl. Essig, Soulas de Russel, Bauer 2010, S. 23 f. Vgl. Esch 2012, S. 94. Trommsdorff 2004, S. 168. Vgl. Essig, Soulas de Russel, Bauer 2010, S. 23. Vgl. Kroeber-Riel, Weinberg, Gröppel-Klein 2009; Georgy 2011. Vgl. Esch 2012, S. 30. Vgl. Esch 2012, S. 64.

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Die Tatsache, dass sich ein Image im Laufe der Zeit stereotyp verfestigt und damit weniger beeinflussbar wird, ist auch für Bibliotheken relevant. Bibliotheken verstehen sich heute selbst als moderne, kundenorientierte Dienstleistungsunternehmen, die im Zuge der rasanten Informations- und Medienentwicklung ein breites Medienportfolio anbieten und vielseitige, gesellschaftlich relevante Aufgaben wahrnehmen. Dieses Bild konkurriert mit einem Bild von Bibliotheken, das seit der Antike geprägt wird und den Paradigmenwechsel vom analogen zum digitalen Medium und den damit verbundenen Wandel des Aufgaben- und Berufsverständnisses bisher nicht antizipiert hat, zumal das Bild der Bibliothek und der Bibliothekarin als stereotype Vorlage in Literatur, Bild und Film verwendet wird. Vor dem Hintergrund des Wissens über das Markenimage haben sich Faktoren herauskristallisiert, die Marken erfolgreich machen. Starke Marken sind einfach, einzigartig und haben ein differenzierendes Potenzial, das sie entscheidend von anderen Marken unterscheidet. Darüber hinaus kommunizieren starke Marken nicht nur rational, sondern auch emotional und sie stiften Vertrauen, Identifikation sowie einen Erlebniswert. Insgesamt zeigen sie Kontinuität und Konsistenz bei der Erweiterung des Markenportfolios.

3.1 Einfachheit und Einzigartigkeit Starke Marken bieten „Mental Convenience“³⁵, d.h. kognitive Entlastung in Entscheidungssituationen. Sie müssen eine schnelle Dechiffrierbarkeit bei Rezipienten gewährleisten und „eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion“ erfüllen.³⁶ Dies bedeutet, dass sich das Leistungsversprechen unmittelbar im Kontakt mit der Marke einlösen muss. Deshalb konzentrieren sich starke Marken auf das Wesentliche in der Markenbotschaft: Jede Marke besteht aus einer Vielzahl von Attributen, aber ein Attribut macht die […] Marke wirklich einzigartig.³⁷

Dabei ist es oftmals das Ziel, die Marke nur mit einem einzelnen Attribut oder Slogan zu verknüpfen, der die Konzentration auf das Wesentliche ausdrückt. Ohne über die genaue Wirkungsweise und Zusammensetzung Bescheid zu wissen, wird mit WICK MediNait „Erkältungs-Saft für die Nacht“ verbunden, mit Red Bull „Energy-Drink“, mit Café Hag „koffeinfrei“.³⁸ Je bedeutungshaltiger und assoziationsreicher der Mar-

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Vgl. Esch 2012, S. 30. Vgl. Esch 2012, S. 22. Brandtner 2005, S. 17. Vgl. Brandtner 2005, S. 16 f.

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kenname dabei gestaltet wird, desto besser kann er erinnert werden.³⁹ Schlecht erinnert werden können Namenskürzel, die sich dem Konsumenten nicht sofort erschließen und keine Assoziationen hervorrufen (siehe Abschnitt 4.2).⁴⁰ Ähnlich verhält es sich mit Slogans, die eine Marke als Wortmarke auf den Punkt bringen. Jeder weiß, dass MARS „mobil macht“, für TOYOTA „nichts unmöglich ist“ und Meister Proper so sauber putzt, „dass man sich drin spiegeln kann“. Markennamen und Slogans funktionieren dabei wie ein Brennglas, indem sie die im Gedächtnis des Rezipienten abgelegten Markeninformationen in Erinnerung bringen. Das Prinzip der Einfachheit und Einzigartigkeit zeigt sich jedoch auch in der Produktgestaltung. Weßner betont deshalb die Notwendigkeit des Alleinstellungsmerkmals und empfiehlt keine „ausufernden Produktvarianten“.⁴¹ Allein aus der Tatsache, dass Bibliotheken Bibliotheken sind, besitzen sie in der Kultur- und Bildungslandschaft bzw. auf dem Hochschulcampus ein Alleinstellungsmerkmal, da sie vor Ort oft die einzigen Orte mit dieser Funktion sind. Doch anders als Theater, von denen man treffsicher Theateraufführungen erwarten wird, lässt sich „Mental Convenience“ mit dem breiten Produkt- und Dienstleistungsportfolio von Bibliotheken nicht so leicht herstellen. Mit anderen Worten, Bibliotheksangebote bzw. die Leistung der Bibliothek erschließt sich nicht auf den ersten Blick.⁴² Zudem sind Bibliotheken Sekundärvermarkter von Produkten, die bereits markiert wurden. So sind Bücher beispielsweise durch das Markenzeichen des Verlages oder Datenbanken durch das Markenzeichen des Datenbankanbieters gekennzeichnet. Erschwerend kommt hinzu, dass Dienstleistungen immateriell sind. Sie bieten nicht nur keine Markierungsfläche wie Kosmetik, Süßwaren oder andere Gebrauchsartikel, sondern Qualität und Nutzen von Bibliotheksdienstleistungen und der Bibliothek an sich können von Zielgruppen kaum eingeschätzt werden, da Bibliotheksdienstleistungen hohe Anteile an Vertrauens- und Erfahrungsanteilen aufweisen.⁴³ Damit ist es für Bibliotheken und ihre Dienstleistungen schwieriger, mit ihrem Markenportfolio die Informations- und Orientierungsfunktion einzulösen, und sie müssen andere Wege finden, Markenversprechen, -qualität und -vorteil zu kommunizieren.⁴⁴ So kommt es nicht von ungefähr, dass Bibliotheken oft darauf reduziert werden, „Bücher zu lagern und über die Ausleihtheke zu schieben“⁴⁵, da Zielgruppen aufgrund der außerordentlichen Breite in Zielsetzung und Angebot von Bibliotheken kaum kognitiv entlastet werden können, weshalb dies von den verschiedenen Anspruchsgruppen eigenstän-

39 Vgl. Esch 2012, S. 228. 40 Vgl. Esch 2012, S. 223. 41 Weßner 2008, o.S. 42 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 43 Vgl. Plassmann, Rösch, Seefeldt, Umlauf 2011, S. 217; Meffert, Bruhn 2009, S. 57. 44 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 268. Siehe auch die Beiträge „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade sowie „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch. 45 Lux 2004, o.S.

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dig geleistet wird, indem die Bibliothek auf die Ausleihe von Büchern als einziges Merkmal verkürzt wird. Vielleicht eignet sich gerade deshalb der Slogan „Information hat viele Gesichter“ der Kampagne „Treffpunkt Bibliothek 2011“ nicht, weil er nicht das spezifische Gesicht der Bibliothek oder ihren Charakter zeigen möchte, sondern sich in der Beliebigkeit vieler Gesichter verliert.⁴⁶

3.2 Rationale und emotionale Botschaften der Marke Bei der Markenentwicklung und -führung wird davon ausgegangen, dass Marken nur dann nachhaltig erinnert und Markenbekanntheit und -image nur dann aufgebaut werden können, wenn sowohl die emotional-sprachliche rechte als auch die analytisch-sequenzielle linke Gehirnhälfte angesprochen werden. Bei der Markenentwicklung werden dabei Erkenntnisse aus der Hemisphärenforschung genutzt.⁴⁷ Nur wenn gleichermaßen emotionale und sachliche Botschaften einer Marke übermittelt werden, sind Menschen tatsächlich in der Lage, Marken nachhaltig im Gedächtnis zu verinnerlichen und Markenbekanntheit und -assoziationen aufzubauen.⁴⁸ Denn: „Starke Marken verfügen über tief verwurzelte Gefühlswelten und modalspezifische Eindrücke.“⁴⁹ So spielt neben den funktionalen und rationalen Eigenschaften der Marke „Meister Proper“, die sich z.B. in der fettlösenden Kraft der Inhaltsstoffe ausdrückt, die emotionale Aufladung der Marke durch die Darstellung des Flaschengeistes eine Rolle, der quasi suggeriert, dass sich die Wohnung „wie durch Geisterhand“ von selbst putzt. Ebenso prägen modalspezifische Eindrücke wie der Geruch und die Konsistenz von Verpackung und Produkt die Marke sinnlich. In der linken Gehirnhälfte werden die rational erfassbaren und bewertbaren Eigenschaften einer Marke gespeichert; in der rechten Gehirnhälfte werden die bildhaft emotionalen Eigenschaften einer Marke abgelegt.⁵⁰ Demzufolge muss die Markenidentität in der Lage sein, das „Big Picture“ einer Marke wiederzugeben, statt sich in vielen nebeneinanderstehenden Details zu verlieren.⁵¹ Insbesondere Marken mit hohem emotionalen Involvement nutzen affektive, intensive und kollative Stimuli (siehe Abschnitt 4.1).⁵²

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Vgl. http://www.treffpunkt-bibliothek.de (Abruf: 12.02.2012). Vgl. Esch 2012, S. 94. Vgl. ebd. Esch 2012, S. 94. Vgl. Esch 2012, S. 94 f. Vgl. ebd. Vgl. Gröppel-Klein 2009, S. 327.

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Setzt man dem gegenüber, wie sich Bibliotheken vor allem in der Kommunikation präsentieren, so stellt man fest, dass sie sich in ihrer Selbstdarstellung vor allem rational begründen, indem sie differenziert ihren gesellschaftlich relevanten Auftrag in Angebot und Leistungen beschreiben und darstellen, wie viele Medien oder Veranstaltungen sie anbieten oder wie hoch Ausleih- und Besucherzahlen sind.⁵³ Eine klare Botschaft, verbunden mit einem starken Bild, entsteht dadurch nicht. Und selbst wenn Bibliotheken sprachliche und visuelle Bilder verwenden, dann sind es die „Kathedralen des Wissens“, die „Tempel der Weisheit“, die „Oasen der Stille“.⁵⁴ Georgy stellt dazu fest, dass dies zwar durchaus starke Emotionen auslöst, diese aber negativ konnotiert werden: Leider nutzen zahlreiche Bibliotheken diese Assoziationen der Ohnmacht immer noch in ihren (Image-)Broschüren. Es werden lange Bücherregale gezeigt, mit denen dem Kunden seine Ohnmacht verdeutlicht wird: Er ist alleine nicht in der Lage, sich dort zurechtzufinden; dazu benötigt er Hilfe, und zwar vom Bibliothekar.⁵⁵

3.3 Identifikation und Chiffre der persönlichen Lebensstilorientierung Gerade die emotionale Seite der Markenpräsentation verweist auf die symbolische Funktion, die Marken für Konsumenten darstellen. Marken sind Chiffren der Lebensstilorientierung, mit der nicht nur Einstellungen und Wertorientierungen von Individuen kommuniziert werden, sondern auch die Zugehörigkeit und Abgrenzung zu oder von sozialen Gruppen. Identifikation und damit auch Distinktion⁵⁶ wird durch den Nimbus der Marke unterstützt, indem z.B. über die Marke Mercedes der soziale Status oder über die Marke Volvo die Lebenseinstellung demonstriert wird, da diese Marke Volvo – auch heute noch – vor allem mit Sicherheit in Verbindung gebracht wird. Identifikation wird aber auch über die Botschaft und ihre Geschichte hergestellt: Eine Marke ist nichts anderes als eine Geschichte – oder besser gesagt: ein ganzes Bündel von Geschichten. Die Geschichte, die das Unternehmen selbst erzählt, ist aber nur ein kleiner (wenn auch wichtiger) Teil davon. Eine langfristig erfolgreiche Marke lebt in Geschichten der Kunden, der Händler, der Presse, kurz, in einer Öffentlichkeit, deren Erzählen nicht direkt vom Unternehmen, das die Markenprodukte vertreibt, kontrollierbar ist.⁵⁷

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Vgl. u.a. Götz 2000. Georgy 2011, S. 371. Ebd. Siehe den Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. Frenzel, Müller, Sottong 2004, S. 145.

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Das Instrument „Story-Telling“ wird deshalb immer häufiger in der internen und externen Kommunikation, u.a. zur Unterstützung von Markenbildungsprozessen, verwendet.⁵⁸ Die Geschichte fokussiert dabei die zentrale Unternehmensbotschaft. Sie ist stets stereotyp und darf das Prinzip der Einfachheit nicht durchbrechen. Held und Gegner werden bspw. durch Archetypen verkörpert und bewältigen einen Konflikt.⁵⁹ In der Bewältigung dieses Konflikts und dem Sieg des Guten liegen die Moral und die Botschaft, die dann identifikationsstiftend wirken sollen.⁶⁰ Wie bereits erwähnt, existieren auch über Bibliotheken und insbesondere über Bibliothekare Geschichten, die sich stereotyp verfestigt haben. Ihre Rolle ist aber nicht die des Helden, sondern die des Verlierers (alte Jungfer im Faltenrock mit Dutt) oder zumindest die des Spielverderbers („Psst!“).⁶¹ Im Gegensatz dazu erzählt z.B. der Sportartikelhersteller Nike eine ganz andere Geschichte. Die Kernbotschaft von Nike wird getragen durch das Attribut „Sieg“. Dies drückt sich bereits im Unternehmensnamen aus. Denn Nike ist das griechische Wort für Sieg und steht für die Siegesgöttin Nike. Der Held in der Markenkommunikation von Nike, oft präsentiert durch bekannte Sportler, besitzt eine klassische Gewinnermentalität. Seine Botschaft ist, dass im Sport alles zu schaffen ist, wenn man den „inneren Schweinehund“ überwindet („If you have a body, you are an athlete.“; „JUST DO IT!“).⁶² Die Geschichte ist deshalb klug konstruiert, weil sowohl Protagonist als auch Antagonist auf den Konsumenten projiziert werden, der in der Überwindung eines inneren Konflikts zum Sieg kommt. Die Geschichte ist aber auch eng mit der erfolgreichen Unternehmensgeschichte und dem Unternehmensgründer Bill Bowerman verknüpft und wird als Verkörperung des „amerikanischen Traumes“ verkauft.⁶³ Sie wird in jeder Pressemeldung, vor allem aber in der Werbung und in Kampagnen mit Athleten, nicht zuletzt durch erfolgreiche Sportler, die Nike tragen, wieder und weiter erzählt.⁶⁴ Damit die Markenpersönlichkeit Identifikation stiftet und sich als Chiffre für die persönliche Lebensstilorientierung eignet, muss sie positiv besetzt sein. Hierbei wird deutlich, dass die Identifikation mit dem attraktiven und mutigen Bibliothekar Flynn Carsen deutlich leichter fällt als mit der „grauen Maus“, die hinter der Auskunftstheke versauert.

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Vgl. Frenzel, Müller, Sottong 2006, S. 10. Vgl. Fog, Budtz, Yakaboylu 2005, S. 87. Vgl. Bäßler 2011, S. 11. Vgl. Engelkenmeier 2006; Lux 2004. Vgl. Bäßler 2011, S. 28 f. Vgl. Bäßler 2011, S. 28. Vgl. ebd.

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3.4 Kontinuität und Konsistenz in der Markenführung An der Konsequenz und der Kontinuität, mit denen das Unternehmen Nike seine Siegesgeschichte erzählt, lässt sich ein weiteres Charakteristikum starker Marken festmachen: Damit Markenbekanntheit und Markenwissen aufgebaut werden können, muss die Marke im Zeitverlauf, aber auch bei einer Erweiterung des Markenportfolios sowie bei einer geografischen Markendehnung kontinuierlich und konsistent geführt werden, wobei eine Anpassung an den jeweiligen Zeitgeschmack und kulturellen Kontext notwendig ist.⁶⁵ Starke Marken, wie Coca-Cola, machen dies vor, indem sie ihre Botschaft im kulturellen und zeithistorischen Kontext immer wieder variieren, ohne dass die Kernaussage verloren geht. Deutlich wird dies an den Kampagnen von Coca-Cola. Während die Kampagne „You can’t beat the feeling“ (1998) noch ganz deutlich dem Lebensgefühl der 1980er Jahre geschuldet ist und in der Realität spielt, wird die Kampagne „Open Happiness“ fast zwanzig Jahre später, vor dem Hintergrund einer weltweiten wirtschaftlichen Depression, in eine in Zeit und Ort nicht auszumachende Fantasiewelt verlagert, wobei die Kernaussage der Marke in Unabhängigkeit, Lässigkeit und Jugendlichkeit eines amerikanischen Lebensgefühls beibehalten wird. Bemerkenswert ist zudem, dass Coca-Cola seit der Unternehmensgründung 1892 den Schriftzug und die Imagefarbe für die weltweit vertriebenen Produkte nicht verändert hat, sondern auch in den Markenerweiterungen von Coca-Cola light, zero etc. konsequent weiter führt. Was können Bibliotheken daraus lernen? Vielleicht kommt es bei der Markenentwicklung von Bibliotheken nicht so sehr darauf an, sich vehement gegen das tradierte Image von Bibliotheken zu stellen, sondern vielmehr die Bekanntheit von Bibliotheken und ihrer stereotypen Attribute zu nutzen und positiv zu besetzen. Dies würde zunächst bedeuten, Klischees zu verstärken, um sie erst in einem zweiten Schritt zu brechen oder mit weiteren, zeitgemäßen Attributen zu verknüpfen. Darin würde  – nach Ansicht der Autorin – Potenzial liegen, Überraschung, Sympathie und Aufmerksamkeit zu erzeugen.

4 Die Entwicklung der Markenidentität und ihre Umsetzung im Marketing Markenidentitäten werden anhand von Modellen entwickelt, die die wesentlichen imageprägenden Eigenschaften der Marke beschreiben. Aus der Markenidentität wird das sogenannte Branding abgleitet, das mit Markennamen, Markenzeichen und grafischer Gestaltung als tatsächliche Markierung die wichtigste signalgebende Funktion

65 Vgl. Esch 2012, S. 28, 54.

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im Rahmen der Markenführung hat und die Marke und ihr Versprechen auf den Punkt bringt. Der Aufbau und die Führung der Marke erfolgen dann jedoch nicht nur über das Branding, sondern vor allem auch über die Markenkommunikation.⁶⁶ Die Marke ist nur dann authentisch und glaubwürdig, wenn sie über alle Kanäle des Marketingmanagementprozesses konsequent umgesetzt wird. Mit anderen Worten, das Markennutzungsversprechen muss tatsächlich eingelöst werden. Die Markenpositionierung definiert deshalb nicht nur Zielgruppen und Positionierungsraum, sondern sie umfasst auch alle Strategien und Maßnahmen, die das Markennutzenversprechen für Zielgruppen darstellen und vom Wettbewerb abgrenzen.⁶⁷ Die Markenpositionierung wird als die „hohe Schule des Marketings“⁶⁸ bezeichnet, da das Markenversprechen widerspruchsfrei in einem „sympolisch-funktionalen Nutzenbündel“⁶⁹ in der Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik im Marketingmanagement umgesetzt werden muss.⁷⁰ Die Unternehmensmarke ist dabei richtungsweisend für die Markenpositionierung, indem kurzfristige, markenrelevante Zielsetzungen im Kontext dazu definiert werden und kohärent und schlüssig im strategischen und operativen Marketing so umgesetzt werden, dass sie im Marketingcontrolling evaluiert werden können. Im Rahmen der Markenstrategie ist nicht nur zu entscheiden, auf welcher Unternehmensebene Marken entwickelt werden, sondern auch, wie sie im Markenportfolio in einer sinnvollen Markenarchitektur nachvollziehbar organisiert werden. Markenbildungsprozesse können sich demnach als Einzelmarken auf einzelne Produkte oder Dienstleistungen beziehen oder als Familienmarken Produkt- und Dienstleistungsgruppen bzw. strategische Geschäftsfelder zusammenfassen, wenn sich dadurch in der Marktbearbeitung Synergien und Imagetransfereffekte generieren lassen. Dachmarken zielen darauf ab, das Unternehmen als Ganzes am Markt zu positionieren und sein Unternehmensprofil und seine Unternehmenskultur zu beschreiben. Die Dachmarke ist als Unternehmensmarke im Marketing nicht nur richtungsweisend für alle Marketingstrategien; das Spektrum der avisierten Zielgruppen ist hier auch breiter, da es nicht nur darum geht, Produkte und Dienstleistungen am Markt abzusetzen, sondern vor allem und für Non-Profit-Organisationen insbesondere, Stake- und Shareholder von dem Unternehmen zu überzeugen. Gerade für Non-Profit-Organisationen und Dienstleistungsunternehmen ist die Dachmarke aus bereits genannten Gründen von hoher Relevanz, von Bibliotheken wird sie jedoch als Teil des Bibliotheksprofils in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt.

66 Siehe den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch. 67 Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 372. 68 Kroeber-Riel, Esch 2011, zit. nach Esch 2012, S. 157. 69 Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 373. 70 Vgl. http: // wirtschaftslexikon.gabler.de / Definition / markenpositionierung.html (Abruf: 12.02.2012).

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In deutschen Bibliotheken noch weit verbreitet ist das Leitbild als einziges Instrument zur Entwicklung eines Bibliotheksprofils und zur Klärung des Auftrages und Selbstverständnisses. Im Gegensatz zur Bibliotheksmarke als Dachmarke kommt es beim Leitbild jedoch weniger auf die Vermarktbarkeit nach außen an als auf die Entwicklung von Unternehmensgrundsätzen und -werten, die intern „gelebt“ werden können und deshalb in der Regel weniger prägnant formuliert werden müssen.⁷¹ Die Unternehmensphilosophie hat vor allem eine intrinsische Qualität, soll inspirieren und motivieren und ein gemeinsames Verständnis über das Unternehmen zum Ausdruck bringen.⁷² Im Gegensatz zur Bibliotheksmarke kann es jedoch nicht „top-down“ entwickelt werden, sondern entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn es konsensual im Kollegium „buttom-up“ entwickelt wird. Dabei ist weniger das ausformulierte Leitbild von Bedeutung als die organisationsinterne Leitbildgenese. Vor dem Paradigma, dass eine Marke nur dann authentisch nach außen präsentiert werden kann, wenn sie in der Unternehmenskultur verankert ist und sich Mitarbeiter mit dem Unternehmen und der Unternehmensmarke sowie dem Markenportfolio identifizieren, stehen Unternehmensmarke und Leitbild in engem Zusammenhang miteinander.⁷³ Insgesamt setzt die Entwicklung einer Markenidentität im Markenportfolio von Unternehmen oder eben Bibliotheken die Analyse der Kundenbedürfnisse, der Wettbewerbssituation und des eigenen Markenportfolios im Rahmen des Marketingmanagementprozesses ebenso voraus wie bei bereits existierenden Marken die Erfassung der Ist-Identität durch Methoden der Imageevaluierung, die zeigen, wie die Marke bisher unternehmensintern und -extern wahrgenommen wird.

4.1 Markenmodell Die Markenidentität umfasst „die essenziellen und wesensprägenden Eigenschaften einer Marke“⁷⁴, die im Unternehmen entwickelt werden und die Markenpersönlichkeit auf den Punkt bringen. Für die Entwicklung von Markenidentitäten anhand von Modellen gibt es verschiedene Ansätze und Konzepte. Dabei gehören die Identitätsansätze von Aaker⁷⁵, Kapferer⁷⁶, icon brand navigation⁷⁷ und Esch⁷⁸ zu den bekanntesten. Diese Ansätze basieren in der Regel auf Modellen, anhand derer die Marke mit ihren spezifischen Attributen beschrieben und auf die wesentlichen Persönlich-

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Vgl. Esch 2012, S. 83 f. Vgl. Esch 2012, S. 84. Vgl. Esch 2012, S. 83. Esch 2012, S. 81. Vgl. Esch 2012, S. 95 f., 98. Vgl. Esch 2012, S. 97 f. Vgl. Esch 2005, S. 102 f. Vgl. Esch 2012, S. 101 f.

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keitsmerkmale konzentriert wird.⁷⁹ Die Funktion des Markenmodells liegt dabei in seiner Verdichtung, die gewährleisten soll, dass die Marke in der Markenpositionierung konsistent und einfach gesendet und im Marketing-Mix konsequent umgesetzt werden kann. Die Verwendung eines Markenmodells soll darüber hinaus garantieren, dass sowohl sachliche als auch emotionale Aspekte der Marke ausgewogen präsentiert werden (siehe Abschnitt 3.2). Eines der einfachsten und schlüssigsten Markenmodelle der identitätsorientierten Markenführung ist das Markenmodell von icon brand navigation:

Attribute, die das Selbstverständnis zeigen, z.B. modern, konservativ

Zielsetzung, Auftrag

Kompetenz der Marke

Tonalität der Marke

Wer bin ich?

Wie bin ich?

Benefit & Reason Why?

Markenbild

rational

emotional

Wie trete ich auf?

Was biete ich an?

Produkt-/ Dienstleistungsportfolio

Corporate Design Bilder

Abb. 2: Markenmodell von icon brand navigation (eigene Darstellung)⁸⁰

Den Fragen werden im Modell Attribute der Marke  – Markenkompetenz, Markentonalität, Markenbild und Benefit & Reason Why? – zugeordnet, zu denen dann Assoziationen gebildet werden, die in der Markenkommunikation und im operativen Marketing-Mix konsistent umgesetzt werden und sowohl kognitive als auch emotionale Aspekte der Marke bedienen. Die linke Seite repräsentiert dabei die rationalen, die rechte Seite die emotionalen Eigenschaften der Marke (siehe Abschnitt 3.2).⁸¹ Die Beschreibung einer Markenpersönlichkeit und insbesondere der Markentonalität und des Markenbildes, die durch menschliche Charaktermerkmale dargestellt werden, ist nicht einfach.⁸² In der Literatur existieren dazu Vokabulare, die anhand von menschlichen Persönlichkeitsmerkmalen ein Repertoire anbieten, Markenpersön-

79 80 81 82

Vgl. ebd. Vgl. Esch 2005, S. 102. Vgl. ebd. Vgl. Esch 2012, S. 108.

Markenentwicklung

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lichkeiten auszuarbeiten, die das Konzept der identitätsorientierten Markenführung unterstützen. So entwickelte Aaker anhand der menschlichen Persönlichkeitsmerkmale „Extrovertiertheit, Liebenswürdigkeit, Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein, emotionale Stabilität und Kultur“ ein Vokabular, Markenpersönlichkeiten treffend zu beschreiben, aber auch zu messen, das in Tabelle 1 dargestellt wird:⁸³

Faktorname

Facettenname

Merkmale

Faktorname

Facettenname

Merkmale

Aufrichtigkeit

bodenständig

bodenständig

Kompetenz

zuverlässig

zuverlässig

echt

ursprünglich

heiter

familienorientiert

hart arbeitend

kleinstädtisch

sicher

ehrlich

gewagt

technisch

echt

integrativ

gesund

erfolgreich

führend

heiter

zuversichtlich Kultiviertheit vornehm

vornehm

freundlich

glamourös

gewagt

gut aussehend charmant

aufregend temperament- temperamentvoll voll cool

charmant weiblich weich

Robustheit

jung

naturverbunden

phantasievoll einzigartig

modern

erfolgreich

ursprünglich

modisch

phantasievoll

intelligent

aufrichtig

gefühlvoll

Erregnung/ Spannung

intelligent

modern unabhängig zeitgemäß

Tab. 1: Merkmale zur Beschreibung von Markenpersönlichkeiten.⁸⁴

83 Vgl. ebd. 84 Nach Aaker 2005, S. 174, zit. nach Esch 2012, S. 108.

naturverbunden männlich abenteuerlich

zäh

zäh robust

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Schade

Einen etwas anderen Weg geht Bernsee, die auf der Grundlage des Konzepts „Inclusive Branding“ zwischen rationalen und emotionalen Differenzierungsfaktoren unterscheidet. Als Differenzierungsfaktoren nennt sie Ressourcen (z.B. Mitarbeiter, technische Ausstattung, Standorte), Kompetenz (z.B. Fachwissen, Beratungsqualität), Organisation und Lösungsorientierung (z.B. Sammlungskonzept, Gebühren, Dauer des Geschäftsgangs), Service (Kundenorientierung, Erreichbarkeit) sowie Vertrauen (Zuverlässigkeit, Diskretion, Aktualität).⁸⁵ Die Aufstellung ist insgesamt nicht systematisch und in der Zuordnung nicht stimmig, liefert jedoch in der organisationsbeschreibenden Auflistung von Attributen ein Schema, anhand dessen Differenzierungsmerkmale von Bibliotheken herausgearbeitet werden können. Für Unternehmen ist bei der Wahl ihrer Markenstrategie insgesamt entscheidend festzulegen, ob die Marke eine Einzelmarke, eine Familienmarke oder eine Dachmarke beschreibt, um sinnvolle Beziehungen und Imagetransfers im Markenportfolio festlegen zu können. Handelt es sich um die Unternehmensmarke, wird das Markenmodell als Grundaussage über das Unternehmen in einer kommunikativen Leitidee weiterverarbeitet, die die im Markenmodell beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale der Unternehmensmarke in einem kurzen Statement zusammenfasst, indem die dort aufgeworfenen Fragen „Wer sind wir?“, „Was bieten wir an?“, „Wie sind wir?“ und „Wie treten wir auf?“ mit kurzen prägnanten Sätzen beantwortet werden und zusätzlich die avisierten Zielgruppen benannt werden. Die kommunikative Leitidee ist das „Schlüsselsignal“⁸⁶ für die Markenkommunikation, an der sich alle weiteren Kommunikationsmaßnahmen inhaltlich ausrichten.⁸⁷

4.2 Branding – die Signale der Markenidentität Innerhalb der Markenpositionierung kommt dem Branding die signalgebende Funktion zu. Das Branding bezieht sich darauf, die Markenpersönlichkeit auszuzeichnen, indem sie mit visuellen, akustischen, haptischen und olfaktorischen Merkmalen ausgestattet wird, die die Marke einzigartig und klar von Wettbewerbsmarken unterscheidet.⁸⁸ Ziel des Brandings ist es, Identifikation und Differenzierung zu schaffen, damit sich die Marke im direkten Kundenkontakt sofort erschließt und nachhaltig und assoziationsreich erinnert werden kann:⁸⁹„Eine vorrangige Quelle innerer Markenbilder sind die visuellen Eindrücke von Design und Verpackung.“⁹⁰ Relevant beim

85 Vgl. Bernsee 2006, S. 27 – 29. 86 Bruhn 2009, S. 212. 87 Vgl. Bruhn 2009, S. 211 f. Siehe auch den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch. 88 Vgl. Esch 2012, S. 215. 89 Vgl. ebd. 90 Esch 2012, S. 214.

Markenentwicklung

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Markieren ist das sogenannte Branding-Dreieck, das Markennamen, Markenzeichen und Gestaltung umfasst und in der Markenkommunikation und in der Gestaltung umgesetzt wird.⁹¹ Markenname

BrandingDreieck

Markenzeichen

Gestaltung

Abb. 3: Branding-Dreieck (eigene Darstellung nach Esch)⁹²

Je besser die Markierung gestaltet ist, desto erfolgversprechender ist der Markenaufbau und desto geringer ist der kommunikative Aufwand.⁹³ Deshalb ist es notwendig, dass der Branding-Prozess ganzheitlich entwickelt und umgesetzt wird.⁹⁴ Assoziationsreiche, bildhafte Markennamen erschließen sich für Rezipienten sehr viel leichter als bspw. Namenskürzel, austauschbare oder komplizierte Markennamen⁹⁵ (siehe Abschnitt 3.1). Obwohl das IKMZ an der BTU in Cottbus nicht nur durch den spektakulären Bau eine hohe Bekanntheit erreicht hat, bleibt der Name weiterhin erklärungsbedürftig, da es Kombinationsgabe erfordert, daraus abzuleiten, dass sich dahinter das Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum der Brandenburgischen Technischen Universität verbirgt, und Phantasie, dass damit dann eine Bibliothek gemeint ist.⁹⁶ „The Berlin Brain“ ist als Bezeichnung nicht nur assoziationsreicher als der Name, unter dem die Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin tatsächlich geführt wird, sondern spiegelt auch gleichermaßen die Architektur von Lord Norman Foster wider, die einem Gehirn nachempfunden ist und die damit mit der Idee der Bibliothek als Wissensspeicher korrespondiert, die eine Analogie zum Gehirn aufweist.⁹⁷

91 Vgl. Esch 2012, S. 217 f., sowie im Weiteren dazu den Beitrag „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch. 92 Nach Esch 2012, S. 217. 93 Vgl. Esch 2012, S. 219. 94 Vgl. Esch 2012, S. 217. 95 Vgl. Esch 2012, S. 223, 228. 96 Vgl. http: // www.tu-cottbus.de / einrichtungen / de / ikmz / (Abruf: 12.02.2012). 97 Vgl. http: // www.fu-berlin.de / sites / philbib / architektur / index.html (Abruf: 12.02.2012).

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Schade

Was für den Markennamen gilt, ist ebenso für das Markenzeichen wichtig: Es muss einen eindeutigen Bezug zum Unternehmen und seinen Produkten und Dienstleistungen herstellen.⁹⁸ Dabei wird über das Markenzeichen bzw. die verschiedenen Markenzeichen im Markenportfolio eines Unternehmens die Unternehmenshierarchie (zu Dachmarkenkonzepten siehe Abschnitt 4.3) bzw. die Zugehörigkeit zu Markenfamilien am deutlichsten kommuniziert und dadurch transparent. Man unterscheidet in der visuellen Darstellung von Markenzeichen Wortmarken (z.B. Siemens, Coca-Cola), Wort-Bild-Marken (Lufthansa mit Kranich, Telekom mit dem großen T) und reine Bildmarken (das Krokodil von LACOSTE, die Apfelsilhouette mit Biss von Apple).⁹⁹ An die Gestaltung visueller Markenzeichen stellen sich hohe Ansprüche, weshalb es sinnvoll ist, diese Aufgabe Kommunikationsdesignern zu überlassen und nicht selbst in die Hand zu nehmen.¹⁰⁰ Das Markenzeichen muss die Markenidentität auf ein einfaches, wiedererkennbares, möglichst einzigartiges Zeichen reduzieren, das nicht nur in das Gestaltungskonzept des Unternehmens bzw. verschiedener strategischer Geschäftsfelder passt, sondern einen Bezug zu dem Markennamen herstellt und vom Rezipienten sofort entschlüsselt werden kann, indem es nicht zuletzt als einzigartig und in Abgrenzung zum Wettbewerb wahrgenommen wird (siehe Abschnitt 3.1).¹⁰¹ Damit Marken langfristig und konsistent aufgebaut werden können, sollte das Markenzeichen nicht zu stark dem Zeitgeist verpflichtet sein oder die Markenidentität klischeehaft umsetzen (siehe Abschnitt 3.4).¹⁰² Darüber hinaus stellen sich auch funktionale Ansprüche an die Gestaltung des Markenzeichens: Es sollte auf allen Kommunikationsmedien, in allen Größen und insbesondere bei Dienstleistungsunternehmen auch vor Ort dargestellt werden können.¹⁰³ Markenname und Markenzeichen werden in einem Corporate Design umgesetzt. Insbesondere Non-Profit- und Dienstleistungsorganisationen stehen dabei vor dienstleistungsspezifischen Markierungsproblemen, da Markenqualität, -vorteil und -zeichen nicht – wie bei Produktverpackungen – visuell dargestellt werden können. Deshalb kommt hier der Gestaltung der Unternehmensmarke eine ebenso hohe Bedeutung zu wie der Anforderung, dass die Marke vor Ort sowie im MitarbeiterKunden-Kontakt ausgestaltet und erlebbar wird.¹⁰⁴ Die Verwendung des Markenzeichens auf der Kleidung von Mitarbeitern bzw. eine einheitliche Kleidung von Mit-

98 Vgl. Böhringer, Bühler, Schlaich 2008, S. 550. 99 Vgl. Böhringer, Bühler, Schlaich 2008, S. 384 ff. 100 Siehe den Beitrag „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch. 101 Vgl. Esch 2012, S. 234. 102 Vgl. Esch 2012, S. 237, 240 f. 103 Vgl. Böhringer, Bühler, Schlaich 2008, S. 394, 550. Siehe auch den Beitrag „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch. 104 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 268.

Markenentwicklung

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arbeitern werden hier typischerweise eingesetzt.¹⁰⁵ Darüber hinaus kann das Branding am Point of Sale, z.B. im Orientierungs- und Leitsystem, umgesetzt werden.¹⁰⁶

4.3 Markenarchitektur – die logische Ordnung des Markenportfolios Ziel von Markenarchitekturen ist es, das Markenportfolio von Unternehmen mit einer inneren Logik auszustatten: Unter einer Markenarchitektur versteht man die Anordnung aller Marken eines Unternehmens zur Festlegung der Positionierung und der Beziehung der Marken und der jeweiligen ProduktMarkt-Beziehung aus strategischer Sicht.¹⁰⁷

Mit einer Markenarchitektur sollen einerseits Synergien und Imagetransfereffekte realisiert werden, andererseits die spezifische Zielgruppenansprache durch die Eigenständigkeit von Marken umgesetzt werden.¹⁰⁸ Dabei soll die Markenarchitektur durch Klarheit und Transparenz einen leichten Überblick über das Markenportfolio in der Unternehmenshierarchie geben (vgl. Abb. 3).

TopManagement

UnternehmensMarke

Strategische Geschäftsfelder

Familienmarke

Produkte/Dienstleistungen

Einzelmarken Markenzusätze Familienmarken

Unternehmenshierarchie

Markenhierarchie

Abb. 4: Zusammenhang von Unternehmenshierarchie und Markenhierarchie (eigene Darstellung nach Esch)¹⁰⁹

105 Vgl. Meffert, Bruhn 2009, S. 270. 106 Siehe den Beitrag „Einzelhandelsmarketing“ von Kunst und van Woerkom in diesem Handbuch. 107 Esch, Bräutigam 2005, S. 28, sowie Aaker, Joachimsthaler 2009, alle zit. nach Esch 2012, S. 502. 108 Vgl. Burckhardt 2000, S. 2. 109 Nach Esch 2012, S. 528.

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Schade

Die Gestaltungsoptionen von Markenarchitekturen bewegen sich dabei von offenen Markenarchitekturmodellen, die Marken durchweg eigenständig als Einzelmarken führen, bis hin zu geschlossenen Markenarchitekturen, in der die unter einer Dachmarke geführten Produkte, Dienstleistungen oder ihre Bündelung in strategischen Geschäftsfeldern nicht als vollkommen eigenständig wahrgenommen werden.¹¹⁰

Markenarchitekturkonzepte Branded House (Dachmarke) Synergie

Subbrands

Endorsed Brands

House of Brands

Integrierte Fokussierte Differenzierte Separate Markenführung Markenführung Markenführung Markenführung Dominante Unternehmensmarke Unternehmensmarke Wahrnehmung von Unternehmensmarke wird variiert, unterstützt Submarken; Einzelmarken Submarken werden Submarken werden als Submarken werden eigenständig als nicht differenziert eigenständig wahrgenommen. wahrgenommen. wahrgenommen. Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Siemens Unternehmensmarke, Henkel als Kraft Foods als Farbcodierungen für Unternehmensmarke, Unternehmensmarke, Produktlinien Persil als Milka als Familienmarke Familienmarke

Profilierung

Abb. 5: Markenarchitekturmodelle (eigene Darstellung nach Aaker und Joachimsthaler, zit. nach Burckhardt)¹¹¹

Offene Markenarchitekturkonzepte wie das Konzept „House of Brands“ gewähren eine hohe Eigenständigkeit der Einzelmarken und ermöglichen eine differenzierte Marktbearbeitung, da Zielgruppen sehr spezifisch über die Marke angesprochen werden können.¹¹² Vorteile dieser Konzepte liegen in der Flexibilität und in den Veränderungsmöglichkeiten der Markenidentität von Einzelmarken. Nachteile liegen darin, dass die Markenführung erheblich zeit- und auch kostenaufwendig ist, da für jede Marke ein Markenauftritt realisiert und im Marketingmanagement umgesetzt werden muss.¹¹³ Geschlossene Markenarchitekturkonzepte wie das Konzept „Branded House“ setzen Markenkonzeptkonsistenz voraus und werden dann eingesetzt, wenn sich Synergien und Imagetransfereffekte zwischen der Unternehmensmarke und den vertikal unter ihr geführten Familien- bzw. Einzelmarken erzielen lassen.¹¹⁴ Diese Konzepte setzen voraus, dass klare, starke und eindeutige Assoziationen mit der

110 111 112 113 114

Vgl. Burckhardt 2000, S. 2 f. Aaker, Joachimsthaler 2001, S. 115, zit. nach Burckhardt 2000, S. 2. Vgl. Burckhardt 2000, S. 3. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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Unternehmensmarke hergestellt werden können. Unternehmensmarken gelten als risikoresistenter und die unter der Dachmarke geführten Marken profitieren von der Markenbekanntheit und dem Markenimage der Dachmarke. Die Markenführung ist weniger flexibel und der Zeit- und Kostenaufwand ist vor allem dann hoch, wenn sich Veränderungen in der Markenstrategie ergeben, z.B. dahin gehend, dass die Markenidentität modifiziert wird: Denn dies muss dann konsequent auf alle Marken im Marketingmanagement angewendet werden. Ein Nachteil dieses Markenarchitekturkonzeptes liegt darin, dass keine differenzierte Marktsegmentierung mit einer spezifischen Zielgruppenansprache möglich ist und stets ein Massenmarkt bedient wird.¹¹⁵ Für die Entscheidung, wie das Markenportfolio organisiert wird, ist der Grad der zu realisierenden Synergien und Transfereffekte relevant: Je höher der Grad der zu realisierenden Synergien, umso stärker tritt die Unternehmensmarke in den Vordergrund. Eine zusätzliche Marke kann dabei die Unternehmensmarke modifizieren und / oder ergänzen, indem sie weitere Imagefaktoren hinzufügt.¹¹⁶ Je geringer der Grad der zu realisierenden Synergien und je höher die Notwendigkeit zur eigenständigen Gestaltung, umso mehr übernimmt die Unternehmensmarke eine unterstützende Funktion, indem sie Kompetenz und Vertrauen auf andere Marken überträgt.¹¹⁷

Bei der Gestaltung von Markenarchitekturen für Bibliotheken ist zu beachten, dass sie hinsichtlich ihres Marketings sowohl unter den Implikationen des Dienstleistungs- als auch des Non-Profit-Marketings stehen.¹¹⁸ Da Markenzeichen und Markenvorteil sowie die Qualität von einzelnen Dienstleistungen kaum visualisiert werden können,¹¹⁹ favorisieren Dienstleistungsunternehmen überwiegend Dachmarkenkonzepte und setzen auf die Stärke der Unternehmensmarke, wie z.B. Banken oder Versicherungen.¹²⁰ Im Hinblick auf die Tatsache, dass Bibliotheken Non-ProfitEinrichtungen sind, ist zu berücksichtigen, dass sie weitgehend eingebunden sind in das Markenportfolio ihrer Träger. Bis auf wenige Ausnahmen (wie z.B. Bremen) favorisieren Träger  – ob das nun Hochschulen, Institute oder Kommunen sind  – geschlossene Markenarchitekturkonzepte und verpflichten die unter ihnen alimentierten Einrichtungen, den Markenauftritt der Dachmarke zu übernehmen.¹²¹ Dies kann unter mehreren Gesichtspunkten kontraproduktiv sein. In erster Linie verfolgen Bibliotheken eigene Positionierungsziele und sehen sich erst in zweiter Linie

115 Vgl. ebd. 116 Esch 2012, S. 529. 117 Esch 2012, S. 530. 118 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 119 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 442. 120 Vgl. Meffert, Bruhn 2006, S. 448. 121 Vgl. Burckhardt 2010, S. 10.

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als „Profilierungsfaktor städtischer Interessen“¹²². Sie haben dabei im Rahmen von Dachmarkenkonzepten wenig Möglichkeiten, Sichtbarkeit zu erreichen und ihre Markenidentität umzusetzen. Darüber hinaus lassen sich Markenkonzeptkonsistenz und Imagetransfereffekte in einem Dachmarkenkonzept von Kommunen nicht durchgängig herstellen, weil  – um ein Beispiel zu geben  – Stadtreinigung, Stadtbibliothek, Volkshochschule und Stadtverwaltung unter den gleichen Identitätsmerkmalen in einem einheitlichen Markenauftritt realisiert werden, diese Einrichtungen jedoch andere Zielsetzungen, Aufgaben, Angebote und ggf. auch Zielgruppen haben, die so nicht spezifisch dargestellt bzw. angesprochen werden können.¹²³ Es ist jedoch hervorzuheben, dass Bibliotheken auch von dem Dachmarkenauftritt ihrer alimentierenden Einrichtungen profitieren können, wenn diese sich als starke Marken (z.B. Stadtmarken) bereits etabliert haben, aber auch, weil Träger mit ihren Marketingabteilungen mit Know-how und Budgets weitgehend über bessere infrastrukturelle Voraussetzungen verfügen und Marktforschung sowie Markenentwicklung und -führung im Rahmen des Marketingmanagements oftmals professioneller und effizienter vorantreiben können. Um dennoch einer zielgruppenspezifischen Profilierung unter den genannten Ansprüchen an die Markenentwicklung und -führung von Non-Profit-Organisationen im Dienstleistungsbereich gerecht zu werden, ist es hier jedoch zwingend notwendig, das starre Konzept reiner Dachmarken aufzulösen. Dies kann bspw. darüber realisiert werden, dass die Dachmarke die eigenständige Marke der Bibliothek und ihr Markenportfolio unterstützt (Endorsed Brands). Die Praxis zeigt hier jedoch, dass Bibliotheken oftmals entweder keine Sichtbarkeit im Markenkonzept des Trägers erreichen oder sich eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden Markenzeichen wiederfindet, die in ihrer Zuordnung nicht systematisch durchdacht wurden und eher Verwirrung als kognitive Entlastung bieten (siehe Abschnitt 3.1). Für die Profilierung und den Markenauftritt der Bibliothek eignet sich unter den dargestellten Aspekten ein Dachmarkenkonzept, da so Markenkonzeptkonsistenz hergestellt werden kann. Dieses sollte unter der Berücksichtigung des breiten Zielgruppenportfolios von Bibliothek jedoch offener gestaltet werden, da im Rahmen der Marktsegmentierung Zielgruppen nicht auf der Ebene des Gesamtangebotes und der Unternehmensmarke, sondern auf der Ebene spezifischer Angebote bzw. der Bündelung von Angeboten für verschiedene Zielgruppen in strategischen Geschäftsfeldern erreicht werden. Unter diesen Prämissen bietet sich für Bibliotheken die integrierte Markenführung über Subbrands bzw. die differenzierte Markenführung über Endorsed Brands an. Bei dem Konzept der Subbrands wird die Dachmarke für strategische Geschäftsfelder und / oder Produkte und Dienstleistungen als Einzeloder Familienmarke variiert, z.B. über eine Farbcodierung des Markenzeichens oder

122 Burckhardt 2010, S. 10. 123 Vgl. ebd.

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eine Ergänzung des Markennamens im Branding-Dreieck und in der Markenkommunikation. So wird bspw. die Kinderbibliothek der Bücherhallen Hamburg, deren Imagefarbe blau ist, mit gelb markiert. Bei Endorsed Brands werden strategische Geschäftsfelder und / oder Produkte und Dienstleistungen als eigenständige Marken wahrgenommen, z.B. dadurch, dass sie ein eigenständiges Logo haben, aber durch die Dachmarke unterstützt werden. So hat die Jugendbibliothek der Bücherhallen Hamburg ein mit dem Markenzeichen Hoeb4U eine eigenständige Markierung, die durch das Logo der Bücherhallen Hamburg unterstützt wird. Dabei ist es im Rahmen der Zielgruppensegmentierung für Öffentliche Bibliotheken insgesamt sinnvoll, die Marke über strategische Geschäftsfelder zu führen.

5 Fazit Kurz vor Fertigstellung dieses Beitrages postete die Göteborger Bibliothekarin Elin Nord am 15. Februar 2012 auf facebook einen Beitrag, der die Idee der identitätsorientierten Markenführung auf den Punkt bringt, indem das Selbstbild und die Fremdwahrnehmung von Bibliothekaren aus verschiedenen Perspektiven beschrieben und einander gegenübergestellt werden.

Abb. 6: Elin Nord: Librarians, facebook, 15. Februar 2012

Bibliothekare werden darin in ihrem Selbstverständnis  – wie Flynn Carsen  – als Helden abgebildet. Die Fremdwahrnehmung bezieht sich auf die Darstellung typischer Klischees. Bis zum 17. Februar 2012 gefiel der Beitrag 883 Social Networkern,

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er wurde 437-mal geteilt und mehrfach kommentiert. In bemerkenswerter Kürze und Eingängigkeit werden hier Anspruch und Wirklichkeit der Identität und des Images von Bibliothekaren festgehalten. Modelle und Konzepte der Markenentwicklung und -führung können Bibliothekare und Bibliotheken beim Aufbau eines positiv konnotierten Images unterstützen, das Selbst- und Fremdbild in Übereinstimmung bringt.

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Dorothee Kaser unter Mitarbeit von Pit Stenkhoff und Eva Wendel

Markenpräsentation: Entwicklung von Erscheinungsbildern 1 Ein Logo macht noch kein Erscheinungsbild Früher war neben der Kirche direkt das Gasthaus zu finden. Heute stehen dort gleich vier Gasthäuser, zwei amerikanische Schnellrestaurants, ein Lieferservice und ein Imbiss. Und im Nachbarort gibt es einen herrlichen Biergarten sowie einen Schnellimbiss, der neuerdings mit Haute Cuisine wirbt. Mit der Vielfalt entsteht Konkurrenz. Abwanderung und Konkurrenz rufen Nachahmer auf den Plan. Je mehr Spieler das Feld betreten, desto höher wird der Druck, sich strategisch zu positionieren und von den anderen Teilnehmern unterscheidbar zu machen. Höchste Zeit also, sich über die eigene Erscheinung Gedanken zu machen. Bibliotheken hatten es in der Vergangenheit verhältnismäßig einfach. In einer überschaubaren Kulturlandschaft stellten sie von öffentlicher Hand bestellte Einrichtungen dar, die ihre Bedeutung wie auch ihre Berechtigung qua Existenz bezogen. Heute werden sie nach dem Leistungsprinzip kommerzieller Interessen bewertet, sehen sich einem divergierenden Gesellschaftsleben gegenüber, stehen in Konkurrenz zu privaten Einrichtungen und werden bereits von der nächsten Welle  – den digitalen Medien – überrollt. All das macht es den bestehenden Einrichtungen nicht einfach, sich weiterhin in der öffentlichen Wahrnehmung zu behaupten. Das Erscheinungsbild (Corporate Design) als Teil der Unternehmenskommunikation ist grundsätzlich das wichtigste Mittel einer Einrichtung, um seine unternehmerischen Anliegen in der Öffentlichkeit visuell zu präsentieren. Es eröffnet dem Betrachter die Möglichkeit, sich ohne inhaltliche Vorkenntnisse ein Bild von der Einrichtung zu machen. War es in der Vergangenheit möglich, sich mit vergleichsweise einfachen Mitteln – bspw. dem Auslegen neuer Werbeflyer oder der Einrichtung eines besonderen Services – von seinen Mitbewerbern zu unterscheiden, so braucht es heute sehr viel mehr, um sein Umfeld zu dominieren. In einer immer komplexer werdenden Wirtschafts- und Warenwelt, die sich zudem einem sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaftsbild gegenübersieht, werden der Anspruch, aber auch die Anforderungen an die Erscheinung einer Einrichtung immer größer.

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Ein Logo allein macht dabei noch kein Erscheinungsbild. Seine Gestaltung lässt sich mit der Entwicklung zu einer Persönlichkeit umschreiben, die ihre Darstellung auch nicht darauf beschränken sollte, einen neuen, besonders auffälligen Hut aufzusetzen. Um diese Persönlichkeit zu definieren und ihre Authentizität zu wahren, muss der Vorgang ganzheitlich betrachtet werden. Dazu zählt die stimmige Zusammenstellung ihrer Kleidungsstücke und Accessoires ebenso wie ihr Gestus, ihre Sprache und schließlich ihr Verhalten. Mit dem Corporate Design tritt die Identität der Einrichtung visuell in Erscheinung und wird in allen Kommunikationsaufgaben unterstützt.

2 Sinn und Zweck eines Erscheinungsbildes Ein Erscheinungsbild dient, neben den bereits benannten Ansprüchen an seine Innen- und Außenwirkung, vor allem auch der Organisation und damit der Ressourcen- und Mitarbeiterplanung.

2.1 Integration der Arbeitsprozesse Durch gezielte Maßnahmen wird die Erstellung von Kommunikationsmitteln optimiert: Sogenannte Vorlagenschränke auf dem Server bieten für jede Handlung das entsprechende Template (Dokumentenvorlage): Briefverkehr, Versand, Ablage  – alle Arbeitsabläufe sind festgelegt und in entsprechenden Vorlagen umgesetzt. Das Anschreiben in Word, die Powerpoint-Präsentation, der Paketaufkleber – jedes einzelne Element liegt in diesem Vorlagenschrank zum Einsatz bereit. Vorausgegangen ist eine Schulung der Mitarbeiter, wie mit diesen Templates und Programmen umgegangen wird und wo sie zu finden sind. Ein Corporate-DesignHandbuch dient als Hilfsmittel und Nachschlagewerk für die korrekte Anwendung.

2.2 Optimierung von Arbeitsprozessen Ein sinnvolles Zeitmanagement zu entwickeln, fällt vielen Menschen schwer. Gerne verzettelt man sich in Unwichtigem, findet nicht die Überwindung, endlich anzufangen, und lässt sich von jeder sich bietenden Möglichkeit ablenken, an die eigentlichen Aufgaben heranzugehen. Da kommt eine Beschäftigung mit der Grafik, den Weiten der typografischen Möglichkeiten, dem Schieben von Textkästen oder der Recherche nach dem passenden Clipart zur Erstellung eines neuen Aushangs oder Infoflyers gerade recht. Das Ergebnis ist mehr oder weniger ansprechend, bleibt auf dem Rechner des Mitarbeiters

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oder wird weitergegeben. Manches wird benutzt, vielleicht auch mehrmals verwendet und entwickelt so ein Eigenleben, ohne jemals Bestandteil einer konsequenten visuellen Kommunikation zu werden. Dem Mitarbeiter gehen Zeit und Energie für die eigentlichen Aufgabenziele verloren und er verausgabt sich an falscher Stelle. Hier setzt das Erscheinungsbild an, das durch die Definition und Beschreibung von visuellen Hilfsmitteln ein effizientes, produktives Arbeiten begünstigt und damit nicht zuletzt zur Arbeitszufriedenheit beiträgt.

2.3 Durchsetzung der Zielvorgaben Ziel wäre es, dass das Erscheinungsbild beim Mitarbeiter nicht als Hürde oder „Gegner“ gesehen wird, die es zu überwinden oder gar zu bekämpfen gilt, sondern dass es in seiner Funktion als Hilfsmittel und Werkzeug − ebenso wie ein Faxgerät − genutzt wird. Die Mitarbeiter müssen also mit ihren neuen Arbeitshilfsmitteln vertraut gemacht werden. Alternative Methoden werden ausgeschlossen. Die betriebsinterne Vorstellung des Erscheinungsbildes in einer beeindruckenden Präsentation, die nicht nur den Alltag, sondern auch das Potenzial zeigt, die breite Verteilung eines Corporate-Design-Handbuches, das alle wichtigen Regeln und viele Anwendungsbeispiele enthält, sowie ein gut zugänglicher Vorlagenschrank an geeigneter Stelle auf dem Server sind dazu notwendig. Langjährige Verhaltensmuster und Gewohnheiten sind oft nicht einfach zu überwinden, weswegen der Gebrauch und die Ausführung der Dokumentvorlagen gerade in der Anfangsphase von der Bibliotheksleitung kontrolliert und durchgesetzt werden muss. Ein Erscheinungsbild ist ein fließendes System. Vorlagen und Designentwicklungen müssen an unterschiedliche Bedürfnisse und mediale Entwicklungen kontinuierlich angepasst und durchgesetzt werden. Mithilfe des Corporate-Design-Handbuches sollten Weiterentwicklungen im Sinne des Erscheinungsbildes an zentraler Stelle im Haus möglich sein oder durch einen Gestalter umgesetzt werden. Auch diese Änderungen müssen laufend von der Bibliotheksleitung genehmigt, kommuniziert und durchgesetzt werden.

2.4 Anforderungen an das Erscheinungsbild Das Erscheinungsbild, das all diesen Ansprüchen gerecht werden will, muss verschiedene Eigenschaften besitzen: Modularität, Flexibilität, Wiedererkennbarkeit, Kontinuität, Nachvollziehbarkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Diese sind einerseits den klar formulierten Anforderungen des Auftraggebers (Briefing und Ausschreibung), andererseits den Fähigkeiten des Gestalters geschuldet.

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3 Der Weg zu einem integrativen Erscheinungsbild In der Regel durchläuft die Entwicklung eines Erscheinungsbildes folgende Phasen: 1. Vorbereitung Briefing, Zeitplan 2. Analyse Gegenüberstellung von Ist- und Soll-Zustand, Handlungsempfehlungen, Maßnahmenkatalog 3. Entwurf Ideenfindung, Basiselemente, Kommunikationsmittel, Contenterstellung 4. Umsetzung Reinzeichnung, Druck, Programmierung 5. Implementierung Qualitätssicherung, Dokumentation, Schulung / Workshops

3.1 Vorbereitung: den richtigen Partner finden Eine Einheit in der Vielfalt zu schaffen, zu einem Wertgefüge zu verbinden in Verhalten, Kommunikation und Darstellung ist viel mehr, als ein Logo zu verbessern oder neu zu schaffen, Hausfarben und eine Hausschrift festzulegen und die Geschäftsdrucksachen zu ordnen.¹

Die Definition einer eigenen Marke und die darauf basierende Entwicklung eines Erscheinungsbildes ist für eine Einrichtung eine langfristige Aufgabe mit tief greifenden Maßnahmen und einschneidenden Veränderungen: Die gewohnte Perspektive auf das eigene Unternehmen verschiebt sich, interne, vielleicht über Jahre vollzogene Arbeitsabläufe ändern sich, große organisatorische Aufwände für Contenterstellung (Text, Bild, Film) und Abstimmungsphasen werden erforderlich.

3.1.1 Briefing und Angebot Für die Auswahl eines geeigneten Projektpartners wird dem Gestalter die Aufgabenstellung in einem möglichst detaillierten Briefing vorgelegt. Darin beschreibt die Einrichtung die genaue inhaltliche Aufgabenstellung, Hintergrund und Ziel des Projektes. Ein persönliches Gespräch kann das Briefing nicht ersetzen, denn am Anfang einer langfristigen und konstruktiven Zusammenarbeit müssen sich die möglichen Projektpartner kennenlernen. Findet man eine gemeinsame Sprache, hat man ähnliche Ansichten über die Herangehensweise und haben beide Seiten die Offenheit,

1 Weidemann 1997, S. 9.

Abb. 1: Ein detaillierter Zeitplan in Form eines Gantt-Diagramms gibt einen Überblick über alle Kommunikationsmittel und Projektphasen.

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mit Kritik oder kontroversen Sichtweisen umzugehen? In einem Rebriefing findet der Abgleich der gesetzten Ziele statt. Der Gestalter formuliert die Aufgabenstellung und Herangehensweise aus seiner Sicht. Auf Basis der gemeinsam formulierten Zielsetzung aus Briefing und Rebriefing kann der Gestalter ein verlässliches Angebot erstellen. Kommt es zu einer Beauftragung, wird im nächsten Schritt ein ausführlicher Zeitplan aufgesetzt.

3.1.2 Zeitplan: Gut Ding will Weile haben Ein Erscheinungsbild entsteht nicht von heute auf morgen, sondern entwickelt sich in einem Prozess aus vielen ineinandergreifenden Arbeitsschritten. In einem für alle Seiten verbindlichen Projektplan werden die einzelnen Phasen mit den jeweils verantwortlichen Personen dargestellt (siehe Abb. 1). Eine realistische Planung mit genügend Reserven hilft, das gesteckte Ziel zu erreichen. Je nach Größe des Projektes müssen in jedem Fall Zeitspannen von zwei bis sechs Monaten eingeplant werden.

3.2 Analyse: eine ganzheitliche Betrachtung Um einen Organismus verstehen zu können, muss man nicht nur sein Äußeres betrachten, sondern auch die Anatomie und die physiologischen Abläufe untersuchen. In der Biologie spricht man von Genotyp (der genetischen Ausstattung) und Phänotyp (dem Erscheinungsbild). Vervollständigt wird das Bild eines menschlichen Lebewesens aber erst durch seinen individuellen Charakter und sein Verhalten. In der Analysephase wird auch die Einrichtung in allen ihren Dimensionen untersucht. Die Erhebung von Analyseergebnissen und -daten ist in Teilen Aufgabe des Marketings mithilfe entsprechender Mess- und Erhebungsmethoden. In großen Teilen ist sie aber auch Aufgabe des Gestalters, der in einem Zusammenspiel aus theoretischen Erkenntnissen, handwerklichen Methoden und gestalterischer Sensibilität eine visuelle Sprache entwickelt. Entscheidend dabei ist, dass sowohl die Außensicht (Kunde, Geldgeber, Öffentlichkeit) auf die Einrichtung als auch die Innensicht (Leitung, Träger, Mitarbeiter) Berücksichtigung finden. Folgende Aspekte sollten daher in die Analyse einfließen:

3.2.1 Historischer Kontext der Einrichtung Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, die einen Teil seiner Persönlichkeit ausmacht. Ebenso kann eine Einrichtung nicht ohne ihren historischen Kontext betrachtet werden. Möglicherweise gibt es geschichtliche Begebenheiten oder Personen der Zeitgeschichte, die inhaltlich und visuell zitiert und zeitgemäß interpretiert werden

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können. Eine radikale Abkehr von der Vergangenheit kann manchmal gewollt und Teil einer Strategie sein. Aber erst mit der Kenntnis der eigenen Wurzeln kann ein Neuanfang glaubhaft werden.

3.2.2 Struktur und Organisationsform Bibliotheken stehen häufig im Kontext anderer öffentlicher Einrichtungen, Bildungseinrichtungen oder finanzieller Träger. Bereits im Vorfeld sollte geklärt werden, inwieweit sich die Bibliothek als eigenständige Einrichtung präsentieren kann bzw. wie stark sich diese „Nebenidentitäten“ im eigenen Erscheinungsbild wiederfinden müssen. Gibt es ein partnerschaftliches Nebeneinander der Identitäten oder klar definierte Hierarchien? Eine Universitätsbibliothek steht in enger Beziehung zur Hochschule, die in der Regel als übergeordnete Marke auftritt. Öffentliche Bibliotheken stehen zwar in Abhängigkeit von kommunalen Trägern und müssen die Neuentwicklung eines Erscheinungsbildes mit diesem abstimmen. In den meisten Fällen sind sie aber nicht gezwungen, es an das Erscheinungsbild des Trägers anzugleichen. Oft finden sich in diesen übergeordneten Einrichtungen Entscheidungsträger, die sich im künftigen Erscheinungsbild wiederfinden müssen und die man früh genug ins Boot holen sollte. Daneben ist es ebenso wichtig, dem zukünftigen Betrachter ein eindeutiges Abbild dieser Strukturen zu geben. Wer ist der Absender? Wer spricht? Eindeutigkeit schafft hier Sicherheit und damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Denn: Jeder Mensch möchte wissen, wer er selbst ist, und mit wem er es zu tun hat, ob er seinem Gegenüber vertrauen kann oder nicht. […] Hierzu benötigt er zuverlässige Identifikationsmittel, die prägnant, eindeutig und unmissverständlich sind.²

3.2.3 Einfluss von Region und Architektur Der besondere regionale und soziale Kontext kann eine Einrichtung prägen und somit helfen, ihren individuellen Charakter zu unterstreichen. Hier liegt auch die Chance von Kultur- und Bildungseinrichtungen, sich unterscheidbar zu machen und ein eigenes Gesicht zu bewahren. Auf diese Weise stellt sie sich einer allgemein vorherrschenden Tendenz der Gleichschaltung – wie es z.B. bei großen Buchhandels- oder Elektronikketten der Fall ist – entgegen und trägt zur kulturellen Vielfalt bei. Die Architektur verleiht der Einrichtung ihren Körper und ist für den Nutzer nicht nur visuell, sondern auch räumlich erfahrbar. Bei Bibliotheksneubauten ist mit den entsprechenden finanziellen Mitteln eine Integration der Architektur in das Marken-

2 Linneweh 1997, S. 11.

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konzept möglich. Wo die architektonische Situation bereits definiert ist, kann sie andersherum in die Entwicklung eines Erscheinungsbildes mit einbezogen werden (siehe auch Abb. 7).

Abb. 2: Semantisches Differenzial. Das Diagramm zeigt exemplarisch die Verortung einer Bibliothek im Vergleich zu ihren Mitbewerbern. Die Dimensionen stehen für die inhaltlichen Pole einer gewählten Fragestellung. Auf diese Weise lassen sich auch immaterielle Qualitäten einer Einrichtung bewerten.

3.2.4 Inhaltliche Ausrichtung Die Analyse der inhaltlichen Ausrichtung zeigt bereits ein gutes Bild der Einrichtung auf: Handelt es sich um eine wissenschaftliche Einrichtung? Welche Fachrichtungen werden bedient? Was bietet sie darüber hinaus an Services und Veranstaltungen an? Schon Attribute wie technisch, wirtschaftlich, sozial, künstlerisch lassen sich in visuelle Sprache übersetzen.

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Da Bibliotheken in erster Linie Dienstleistungen, also immaterielle Güter anbieten, erschließt sich dem Kunden deren Wert oft erst nach ihrer Nutzung. Diese unsichtbaren Qualitäten einer Einrichtung müssen definiert und im Erscheinungsbild visuell transportiert werden, damit sie schon vorab erkennbar werden (siehe auch Abb. 2).

3.2.5 Wahrnehmung in der Innen- und Außensicht Wie will die Einrichtung wahrgenommen werden und wie wirkt sie tatsächlich auf Außenstehende? Mit dieser Frage muss sich eine Einrichtung beschäftigen, da die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung oft groß ist. Mit Instrumenten der Marktforschung lässt sich diese Frage empirisch klären; exemplarische Befragungen aus den verschiedenen Besucher-, Mitarbeiter- und Zielgruppen lassen ein Meinungsbild entstehen, aus dem Erkenntnisse und Maßnahmen abgeleitet werden können. Hauptfragen dabei sind: Welche Zielgruppen werden angesprochen? Ist die Tonart angemessen? Welche Kernbotschaften kommen bei den Zielgruppen an? Deckt sich das Selbstverständnis von Abteilungen mit dem Selbstverständnis der gesamten Einrichtung?

3.2.6 Zielgruppen: Wer wird angesprochen? Neben der Selbstreflektion – wer ist der Sender der Information und woher kommt er – ist die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber zu suchen: Mit wem wird gesprochen. Um mit dem Gegenüber erfolgreich kommunizieren zu können, ist es entscheidend, nutzerrelevanten Inhalt in adäquater Darstellungsweise mithilfe des richtigen Mediums zu übermitteln. Die Analyse der Zielgruppe gibt Aufschluss über den sozialen und kulturellen Hintergrund der Kunden: Welchen Bildungsstand kann man voraussetzen, wie verhalten und wie kommunizieren die Nutzer? Handelt es sich dabei um eine homogene Gruppe oder mehrere heterogene Gruppen, die auch auf unterschiedliche Art und Weise angesprochen werden wollen? Welche Zielgruppen möchte man, über die bereits vorhandene hinaus, erreichen? Die Wahl der Kommunikationsmittel und der visuellen Sprache ist damit entscheidend von Art und Zusammensetzung der Zielgruppe(n) abhängig.

3.2.7 Konkurrenzsituation: Wie stellen sich die Anderen dar? Um in Erscheinung treten zu können, muss man sich abheben und von Anderen unterscheidbar machen. Neben den inhaltlichen Aspekten der Konkurrenzsituation ist auch die visuelle Erscheinung im Vergleich zu den Mitbewerbern zu betrachten. Welche visuellen Bilder und Assoziationen werden im Rahmen von anderen Erschei-

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nungsbildern bereits besetzt, welche visuellen Merkmale wie Farbe und Schrift werden verwendet? Welche Kommunikationsmittel und -kanäle nutzen die Anderen? Wo steht die eigene Identität innerhalb dieses Gefüges? Eine Sammlung und systematische Darstellung von Unternehmenspräsentationen der Branche kann Aufschluss geben über die eigene bzw. die angestrebte visuelle Ausrichtung. Wichtig dabei: Was tut man, weil es die Anderen auch tun oder weil es die Anderen gerade nicht tun?

3.2.8 Bisheriges Erscheinungsbild Eine genaue Bestandsaufnahme der visuellen Elemente (Zeichen, Farben, Schriften, Bildsprachen, Illustrationsstile, Formate und Raster³) und der bisher eingesetzten Kommunikationsmittel gibt Aufschluss über die formale Stringenz des visuellen Auftritts. Die Analyse des bestehenden Erscheinungsbildes wird aber nicht nur unter formal-ästhetischen Kriterien geführt. Auch die wirtschaftliche Effizienz bei der Herstellung der einzelnen Produkte wird berücksichtigt: Wie hoch sind die Auflagen der einzelnen Printmittel? Welche Publikationen werden zu wiederkehrenden Anlässen benötigt? Welche Kommunikationsmittel werden im Haus produziert? Welche Betriebssysteme und Softwareapplikationen sind im Einsatz? Besitzt die Einrichtung bereits eine eigene Hausschrift mit entsprechenden Lizenzen?

Abb. 3: Ein Strukturbaum zeigt den hierarchischen Aufbau einer digitalen Anwendung. Die Überprüfung des Ebenenmodells zeigt, ob bedeutungsgleiche Bereiche auf übereinstimmenden Ebenen innerhalb der Hierarchie liegen und die Anwendung strukturell konsistent ist.

3 Das Gestaltungsraster bestimmt die Anordnung der visuellen Elemente auf einer Fläche oder im Raum. Es gewährleistet einen einheitlichen Aufbau der verschiedenen Kommunikationsmittel.

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Nach der allgemeinen Bestandsaufnahme kann es sinnvoll sein, einzelne Kommunikationsmittel im Detail zu betrachten. Besonders im Bereich digitaler Medien sollten die bestehenden Anwendungen systematisch analysiert werden: Auf welchem Stand sind Funktionalität, Technologie, Benutzerfreundlichkeit und GUI (Graphical User Interface)? Die Betrachtung umfasst bspw. eine Katalogisierung der funktionalen und visuellen Elemente. Hierfür wird eine vollständige Übersicht über verwendete Schriften, Icons, Navigations- und Eingabeelemente erstellt. Die inhaltliche Struktur einer Anwendung wird durch die Darstellung in Ebenenmodellen erfasst und analysiert (siehe Abb. 3). Bei der Betrachtung der Funktionsräume  – wo befinden sich Haupt- und Subnavigation, Content, Zusatzinformationen – können Aussagen über den allgemeinen Aufbau der Anwendung und deren Benutzerfreundlichkeit getroffen werden (siehe Abb. 4). Auf Grundlage dieser Untersuchungen ist es in der späteren Entwurfsphase möglich, Funktionsräume zusammenzuführen, hierarchische Strukturen zu vereinfachen und ein einheitliches User Interface zu gestalten, welches im besten Fall zur Ausdifferenzierung einer ganzen Anwendungsfamilie (Portalseite, Desktopanwendung, mobile App) führt.

Abb. 4: In einer vereinfachten Darstellung lassen sich die Funktionsräume einer digitalen Anwendung verorten und gegebenenfalls reorganisieren. Wo stehen Navigationselemente, welchen Raum nimmt das Branding ein, was gehört zum Content?

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Abb. 5: In einer Prozessgrafik lassen sich verschiedene Arbeitsabläufe der internen und externen Kommunikation darstellen. Dabei werden die einzelnen Phasen chronologisch vertikal, die jeweils am Prozess beteiligten Personen horizontal, die jeweiligen Aktionen und Medien innerhalb der Grafik abgebildet. Die Übersicht wird zur Optimierung von Arbeitsabläufen und zur Definition benötigter Dokumentenvorlagen oder Softwaremodule genutzt.

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3.2.9 Arbeitsabläufe und Zuständigkeiten Großen Optimierungsbedarf gibt es häufig in der Handhabung von Arbeitsabläufen. Bei einer Untersuchung der einzelnen Prozesse der schriftlichen Kommunikation, ob im Briefverkehr, im Rechnungswesen oder in der Internetpflege, werden in einem Organigramm Akteure, Aktionen, Zeitabläufe und benutzte Medien dargestellt (siehe Abb. 5). So werden Gemeinsamkeiten und Redundanzen aufgedeckt und eine Restrukturierung und Optimierung der Prozesse entwickelt. In diesem Zusammenhang werden häufig auch personelle Engpässe deutlich: Wer zeichnet für welche Aufgaben verantwortlich? Wer liefert Content? Wer bereitet Content medienadäquat auf? Wer ist für die langfristige Pflege des Internetauftritts zuständig?

3.2.10 Fazit Die Bedarfsanalyse bildet somit den Ist-Zustand einer Einrichtung ab, der mit den im Briefing formulierten Zielvorstellungen, dem Soll-Zustand, verglichen wird. An dieser Stelle wird oft deutlich, ob und wie stark das reale vom angestrebten Bild der Einrichtung abweicht. Eine Positionierung muss auf tatsächlichen Qualitäten basieren und ist Voraussetzung zur Entstehung von Identifikationspotenzial.⁴

Aus diesem Vergleich werden Lösungsansätze entwickelt, die aufzeigen, in welcher Form und in welchem Umfang das bestehende Bild aufgebaut oder auch nur aus- oder umgebaut werden kann. Die Lösungsansätze werden in einer Handlungsempfehlung zusammengefasst und in einem gemeinsam formulierten Maßnahmenkatalog detailliert beschrieben. Dieser umfasst auch die Definition der konkreten Kommunikationsmittel.

3.3 Entwurf: Am Anfang steht die Idee Das Erscheinungsbild ist in den meisten Fällen der erste Kontakt zwischen Einrichtung und Kunde. Es macht die Unternehmensidentität direkt sichtbar und besitzt von daher große Bedeutung. Aufgabe des Gestalters ist es, eine adäquate visuelle Übersetzung für die individuelle Persönlichkeit der jeweiligen Einrichtung zu finden. Am Anfang des Entwurfsprozesses steht immer die gestalterische Idee, die zugrunde liegende Geschichte, der

4 Beyrow 2007, S. 16.

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visuelle Aufhänger, der sich stringent durch alle Visualisierungen ziehen sollte. Ein starkes inhaltliches Fundament macht das visuelle Konzept weniger angreifbar und unterscheidbar von rein oberflächlicher „schöner“ Gestaltung.

3.3.1 Basiselemente Die zugrunde liegende Idee wird in mehreren Entwurfsreihen visuell entwickelt. Dabei werden die Basiselemente wie Zeichen, Typografie, Raster, Farbe und Bildsprache definiert. Im Entwurfsprozess wird anfänglich ein möglichst breites Spektrum an visuellen Ausformulierungen angestrebt. Dem Gestalter stehen dabei unterschiedliche Methoden zur Verfügung (siehe Abb. 6). Die Entwurfsvielfalt wird in den nächsten Schritten einer genauen Prüfung unterzogen und nach Kriterien wie Anwendbarkeit, Wiedererkennbarkeit, Unterscheidbarkeit, Prägnanz, Konsequenz, Stringenz, Wirtschaftlichkeit, Modularität⁵ beurteilt. Bei der Beurteilung des Logos – dem Kernbestandteil eines Erscheinungsbildes – werden bspw. folgende Eigenschaften bewertet: Ist das Logo für verschiedene Darstellungsweisen (ein- oder mehrfarbig, schwarzweiß, positiv, negativ, dreidimensional) geeignet? Lässt es sich problemlos skalieren? Wie wirkt es in der Kombination mit anderen Logos (wenn die Einrichtung z.B. als Mitveranstalter auftritt)? Gibt es Varianten für unterschiedliche Anwendungsbereiche (z.B. eine Kurzform für mobile Anwendungen oder den Bereich Social Media)? Anhand verschiedener, exemplarischer Kommunikationsmittel und Anwendungssituationen wird das Zusammenspiel der einzelnen Elemente erprobt und dargestellt. Die Arbeitsergebnisse werden dem Auftraggeber präsentiert, die jeweiligen Handlungsweisen begründet und in Form einer Dokumentation übergeben. Nach einer gemeinsamen Festlegung des Favoriten kann  – in der sich anschließenden Umsetzungsphase  – das gestalterische Prinzip auf die konkreten Kommunikationsmittel übertragen werden.

5 In einem modularen Erscheinungsbild lassen sich die einzelnen Komponenten nach dem Baukastenprinzip auf unterschiedliche Art zusammensetzen. Dadurch wird die Varianz erhöht, aber gleichzeitig die Geschlossenheit der visuellen Darstellung gewährleistet.

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Abb. 6: Morphologischer Kasten. Kreativitätstechnik, die in der Entwurfsphase eine große Vielfalt an möglichen Visualisierungen erzeugt. Hier das Beispiel einer Logoentwicklung für die Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

3.3.2 Kommunikationsmittel Auf Basis des ausgewählten und verabschiedeten Favoriten wird das visuelle Konzept ausgearbeitet und verfeinert. Die Gestaltungsvorgaben werden hierbei auf die einzelnen Anwendungen und Medien übertragen. Grundlage für die Ausarbeitung ist der mit dem Auftraggeber abgestimmte bzw. durch den Auftraggeber gelieferte Content (Text, Bild, Film, Ton). Um zusätzliche Korrekturrunden zu vermeiden, empfiehlt es sich, Texte bereits vor der Einarbeitung in das Layout einem Lektorat zu unterziehen. In die Layoutphase fallen auch die Konkretisierung von Materialien (Papier, Textilien, Werkstoff für Beschilderung) und die Recherche und Wahl von Produktionspartnern wie Druckereien, Herstellern, Programmierern, Entwicklern.

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Abb. 7: Herleitung eines Logos. Für die Identität der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität sind drei Aspekte prägend: Die Institution ist eine Einrichtung der Bundeswehr, sie ist im Innern ein Ort der Bücher und Leser und nach außen hin sichtbar durch eine markante Architektur. Symbolisch dargestellt (das militärische Abzeichen, der Leser, das architektonische Detail) und grafisch übersetzt, werden die Zeichen durch Reduktion auf das Wesentliche in ein finales Logo überführt.

3.3.3 Content Auch der Ton muss stimmen: Das betrifft den Handzettel genauso wie den Jahresbericht. Bei der Erstellung von Content liegt die Kompetenz von Bibliotheken quasi im Haus. Die Nähe zum Wort − gegebenenfalls auch zu Film und Bild − ist vorhanden und kann als Potenzial genutzt werden. Die Qualität von Kommunikationsmitteln drückt sich neben der gestalterischen Professionalität auch in der Qualität des Inhalts aus. Dabei hat Qualität wie so oft nichts mit Quantität oder der reinen Informationsübermittlung zu tun. Die redaktionelle Aufbereitung von Inhalten sollte dem Medium, dem Anlass und dem Empfänger angemessen sein. In enger Abstimmung mit dem Gestalter und in Beziehung zum visuellen Konzept wird auch der Sprachstil einer Einrichtung definiert: Ist die Gestaltung klar und einfach, darf die Sprache nicht kompliziert werden.

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Gleiches gilt für die Bildsprache, die bereits in der Entwurfsphase definiert wird. Leider wird die Produktion von geeignetem Bildmaterial häufig vernachlässigt, da die entstehenden Kosten gescheut werden. Es gibt inzwischen zahlreiche  – auch kostengünstige – digitale Bildarchive (Photocase, fotolia, pixelio⁶). Die Qualität und vor allem die Individualität und Unverwechselbarkeit von Sujet und Stil sind aber häufig unbefriedigend. Um trotzdem zu einer eigenständigen Bildsprache zu gelangen, lassen sich im Vorfeld auch andere Arten der Bebilderung (s. Abb. 8) denken. Der illustrative Einsatz von Typografie oder grafischen Elementen kann unter Umständen identitätsstiftender wirken als ein aussageloses Bildmotiv, wie es auf zahllosen Unternehmenspublikationen zu finden ist.

Abb. 8: Plakatreihe. Der Buchstabe als kleinste Einheit von Text und damit von Büchern und Bibliotheken. In einem vielfältigen Zusammenspiel illustriert er die verschiedenen Fachrichtungen der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität.

6 Vgl. http: // www.photocase.de / ; http: // de.fotolia.com / ; http: // www.pixelio.de / (Abruf: 02.05.2012).

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3.4 Umsetzung Die Erstellung und Umsetzung der einzelnen Kommunikationsmittel sollte in Arbeitspaketen zusammengefasst werden, um die redaktionellen Aufwände, die nötigen Abstimmungsprozesse und die anschließende Distribution im Haus übersichtlich zu halten. An erster Stelle steht meist die visuelle Umsetzung der Geschäftsausstattung, dem Herzstück der Unternehmenskommunikation. Der Umfang kann variieren, umfasst jedoch mindestens den Geschäftsbogen mit Erst- und Zweitblatt, Faxvorlage, Visitenkarten in allgemeiner und personalisierter Ausführung, E-Mail-Signatur, Stempel und Freistempler sowie Briefumschläge DIN lang und Adressaufkleber für andere Formate. Im Weiteren gehören Kurzmitteilung und Grußkarte, DIN-A4-Mappe, Schreibblock und Dokumentvorlagen für unterschiedliche Zwecke wie z.B. Mahnwesen oder Rechnungsstellung zur Ausstattung. Gleichzeitig befasst sich die Einrichtung mit ihrer visuellen Erscheinung im Publikumsverkehr. Voran steht dabei die Website, die als Informationsmedium wie als Imageträger dient, begleitet durch eine gedruckte Image- und Infobroschüre, die an verschiedenen Orten ausliegt. Für die Bewerbung von Veranstaltungen und Aktionen werden Veranstaltungsflyer, Veranstaltungsplakate, Eindruckplakate, temporäre Infozettel, Aushänge und Einladungsvordrucke oder themenbezogene Einladungen benötigt. Teilweise werden diese als Word- oder Powerpoint-Vorlagen angeboten, die eine hausinterne Produktion einfach und kostengünstig möglich machen. Fassaden- und Schaufenstergestaltung, veranstaltungsbezogene Dekorationsmittel wie Fahnen und Banner, Fahrzeugbeschriftungen sowie Personal- und Imageanzeigen fallen ins Auge und unterstützen die Präsenz der Einrichtung im öffentlichen Raum. Leitsystem und Beschilderung im Innen- und Außenraum fügen sich als Teil des Erscheinungsbildes in die Gebäude- und Landschaftsarchitektur ein. Im internen Bereich der Einrichtung wird die Identifikation des Mitarbeiters unterstützt mit der Anpassung der GUI (Graphical User Interface) von Intranet und Buchungssystemen, mit Arbeitshilfsmitteln, wie Stiften und Blöcken, Mitarbeiterinformationen und der Gestaltung diverser betrieblicher Veranstaltungen. Nach außen tritt die Einrichtung mit Werbemitteln wie Tragetaschen, T-Shirts oder Aufklebern, mit temporären Aussendungen wie Weihnachtskarte oder Aktionstag-Flyern in Erscheinung. Eventuell werden auch Studien und Eigenpublikationen produziert, die in einem einheitlichen, wiedererkennbaren Layout erscheinen sollen.

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3.4.1 Ablauf Innerhalb jeder dieser Phasen folgt die Umsetzung nach den beschriebenen Arbeitsschritten Briefing, Entwurf, Präsentation, Contenterstellung, inhaltliche Korrektur, Umsetzung, finale Korrektur, Produktion. Nach der finalen Korrekturphase werden die einzelnen Kommunikationsmittel zur Produktion freigegeben. Die Printmittel werden ins Reine gezeichnet und für den Druck vorbereitet. Die Druckabwicklung (Kommunikation mit der Druckerei, Andrucktermine) wird in der Regel durch den Gestalter geführt. Dokumente, die intern von den Mitarbeitern genutzt werden sollen, werden als Vorlagen unter Berücksichtigung der vorhandenen Betriebssysteme und Programmversionen erstellt. Anwendungen für elektronische Medien werden in enger Absprache mit den jeweiligen Programmierern umgesetzt. Üblicherweise werden die Entwürfe als dokumentierte Vermaßungen zusammen mit den für die elektronische Verwendung bearbeiteten Bilddateien an den Programmierer übergeben. Der Umsetzungsprozess sollte vom Gestalter begleitet werden. Vor der Veröffentlichung werden die Anwendungen unter Realbedingungen getestet und auf die fehlerfreie Erfüllung der technisch-funktionalen und visuellen Vorgaben geprüft.

Abb. 9: Beispiel für ein DIN-A3-Eindruckplakat. Die Plakate werden in hoher Auflage als Farbfläche mit Logo gedruckt. Die Texte zur jeweiligen Veranstaltung können hausintern eingedruckt werden. Zusatzinformationen lassen sich durch Aufkleber realisieren.

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Abb. 10: Zwei Entwürfe für mögliche Publikationstitel. Als Illustrationsmittel lassen sich Fotografie oder Typografie einsetzen.

Abb. 11: Handzettel und Aushänge liegen als Word-Templates vor und können hausintern schnell und kosteneffizient produziert werden.

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Abb. 12: Entwurf für einen möglichen Internetauftritt der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er besitzt repräsentativen und informativen Charakter und bildet die Schnittstelle zu den Katalogen.

3.5 Implementierung 3.5.1 Qualitätssicherung Die Implementierung eines Erscheinungsbildes stellt nicht den End-, sondern den Anfangspunkt einer neuen Phase dar. Die Einhaltung der Corporate-Design-Vorgaben sollte regelmäßig von der Bibliotheksleitung und dem Gestalter überprüft werden. In einem fortwährenden Prozess muss ein Erscheinungsbild immer wieder an neue Gegebenheiten und technische Entwicklungen angepasst werden. Alle Anpassungen

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sollten im Einvernehmen mit dem visuellen Gesamtkonzept stehen. Flexibilität und Modularität sind ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für ein funktionierendes und lebendiges Erscheinungsbild.

3.5.2 Dokumentation: Wissen organisieren Als Referenzmaterial zur Qualitätssicherung, als Nachschlagewerk und als Gebrauchsanleitung zur Weiterentwicklung des Erscheinungsbildes wird ein Handbuch entwickelt. Als Abschluss der Implementierungsphase sollte es möglichst allen beteiligten Mitarbeitern und Dienstleistern in gedruckter und / oder digitaler Form zur Verfügung stehen. Das Handbuch erläutert das zugrunde liegende Gestaltungskonzept, beschreibt die visuellen Merkmale des Erscheinungsbildes, wie Zeichen, Farben, Schriften, Bildsprachen, Illustrationsstile, Formate, Raster, und zeigt Dos und Don’ts ihrer Anwendung. Es verzeichnet Papiersorten, Drucktechniken und Druckfarben und kann auch der Vermittlung von Intension und Haltung dienen. In einem zweiten oder gesondertem Teil wird die Erstellung der verschiedenen Kommunikationsmittel dokumentiert und durch Vermaßungen und Satzangaben sowie Hinweise zum Umgang mit Templates und Dateiensystematik ergänzt. Im Bereich der digitalen Anwendungen beschreibt ein „Implementation Guide“ technische Aspekte.

3.5.3 Schulung / Workshops Um ein Erscheinungsbild intern erfolgreich zu implementieren, ist es wichtig, die Mitarbeiter entsprechend einzuarbeiten. Durch Schulungen oder Workshops können die Mitarbeiter in die Arbeit mit den neu entwickelten Templates eingeführt werden, ebenso in die Handhabung eines Content-Management-Systems für die Pflege und Aktualisierung von Internetseiten. Nachdem die Mitarbeiter schon im Vorfeld in die Entwicklung des neuen Erscheinungsbildes einbezogen worden sind, kann eine interne Präsentation den Sinn und Zweck desselben deutlich machen und den Identifikationsprozess erleichtern.

Markenpräsentation

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4 Fazit Man kann nicht nicht kommunizieren. (Paul Watzlawick)⁷

Mit jedem Kommunikationsmittel, jeder Botschaft, vom Handzettel bis zum Leitsystem, wird die Identität der Einrichtung transportiert. Jedes noch so kleine Element eines Erscheinungsbildes ist Ausdrucksmittel und kommuniziert mit dem Betrachter. Oberste Priorität bei allen Handlungen sollte der Anspruch an die Qualität haben. Die Qualität der Erscheinung steht in direktem Zusammenhang mit dem Eindruck, den sie beim Betrachter hinterlässt.

Literaturverzeichnis Aicher, Otl: typographie. Berlin: Ernst & Sohn, 1988 Beyrow, Matthias: Einleitung. In: Daldrop, Norbert W. (Hrsg.): Corporate Identity und Corporate Design: Neues Kompendium. Ludwigsburg: avedition, 2007 Birkgit, K. (Hrsg.); Stadler, M. M.; Funck, H. J.: Corporate Identity: Grundlagen, Funktionen, Fallbeispiele. Landsberg am Lech: moderne industrie, 1980 Forssman, Friedrich; de Jong, Ralf: Detailtypografie, Mainz: Hermann Schmidt, 2002 Linneweh, Klaus: Corporate Identity – ein ganzheitlicher Ansatz. In: Daldrop, Norbert W. (Hrsg.): Kompendium Corporate Identity und Corporate Design. Stuttgart: avedition, 1997. Maack, Klaus Jürgen: Design oder die Kultur des Angemessenen. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg, 1993. − [Rat für Formgebung (Hrsg.)] Müller-Brockmann, Josef: Rastersysteme. Sulgen, Zürich: Niggli, 1981 Rathgeb, Markus: Otl Aicher. London: Phaidon, 2006 Robundo: International Corporate Identity 2. Tokyo: Evolution Graphics, 1992 Spiekermann, Erik: Studentenfutter. Nürnberg: Context, 1989 Uebele, Andreas: Orientierungssysteme und Signaletik. Mainz: Hermann Schmidt, 2006 Weidemann, Kurt: Einleitung. In: Daldrop, Norbert W. (Hrsg.): Kompendium Corporate Identity und Corporate Design. Stuttgart: avedition, 1997.

7 Siehe z.B. http: // www.paulwatzlawick.de / axiome.html (Abruf: 02.05.2012).

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Umfangreiche Sammlungen von Corporate Design Manuals finden sich unter: http: // www.ci-portal.de / index.php?id=42 (Abruf: 02.05.2012) http: // www.openbrandmanual.com / design_manuals.html (Abruf: 02.05.2012) http: // www.designtagebuch.de / wiki / corporate-design-manuals / (Abruf: 02.05.2012)

Abbildungen Alle Abbildungen: © Neue Gestaltung GmbH, Berlin

Ute Engelkenmeier

Strategische Markenkommunikation – zielgerichtet zum Erfolg 1 Einleitung Der stetige Wettbewerb auf dem Markt, die Komplexität der Angebote und das Informationsüberangebot in den Medien erschweren es Kunden, sich auf dem Informationsmarkt zu orientieren. Dienstleistungsanbieter müssen sich mit einem klaren Profil und Aufgabenspektrum gegenüber Mitbewerbern positionieren, um die Aufmerksamkeit ihrer gewünschten Zielgruppen zu erreichen. Dabei stehen Unternehmen vor zahlreichen Herausforderungen. Unter der Vielfalt der Kommunikationsinstrumente müssen sie diejenigen herausfinden, mit denen sie am besten ihre Zielgruppen erreichen. Gleichzeitig erwarten Kunden im Zeitalter von Sozialen Netzwerken nicht nur aktuelle Informationen zu Produkten und Dienstleistungen, sondern auch eine zunehmend dialogorientierte Kommunikation mit der Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen. Dies erfordert eine kundengerechte Kommunikation, die sowohl effektiv als auch effizient ihr Zielpublikum erreicht. Die Funktionen der Unternehmenskommunikation sind dabei vielfältig. Kommunikation bietet Information, Identifikation und Orientierung für Kunden, Mitarbeiter, weitere Stakeholder und die breite Öffentlichkeit. Die zentralen Botschaften, das Profil und das Aufgabenspektrum werden durch Kommunikation dargestellt, nicht nur um Kunden eine „Kaufentscheidung“ zu erleichtern, sondern vor allem um langfristig Vertrauen in die Angebote und das Unternehmen aufzubauen. Ziel der Unternehmenskommunikation ist es, nachhaltig eine Marke aufzubauen oder ein unerwünschtes Image zu verbessern. Letztendlich dient Kommunikation dem Unternehmenserhalt. Bibliotheken und andere Informationsanbieter als Dienstleistungsunternehmen im öffentlichen Sektor stehen dabei vor neuen Herausforderungen. Als städtische Einrichtung oder als Einrichtung einer Hochschule werden sie oft nicht als eigenständige und profilierte Marke erkannt, sondern im Rahmen von verschiedenen (Kultur-) Betrieben der Stadt oder als Gebäude auf dem Campus mit einem wenig transparenten Angebot an Dienstleistungen wahrgenommen. Dabei gelten für Non-Profit-Organisationen kaum andere Regeln als für Wirtschaftsunternehmen, wenn es um die Unternehmenskommunikation geht. Auch Bibliotheken stehen unter dem Druck, sich auf dem Markt der Informationsanbieter so zu positionieren, dass sie wahrgenommen werden. Sie müssen durch ein klares Profil erkennbar und wiedererkennbar sein. Dabei sollte sich die Einrichtung nicht auf Tradition oder alte Markenbilder verlassen:

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Unverwechselbarkeit und Identität entstehen nicht mehr allein auf der Basis von Tradition oder alten Markenbildern. Sie müssen vielmehr im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit bei den relevanten Zielgruppen kontinuierlich erarbeitet werden.¹

Dies erfordert eine kontinuierliche, geplante und zielgruppengerechte Kommunikation. Eine besondere Herausforderung, die sich an die Kommunikation von Bibliotheken als Non-Profit- und als Dienstleistungsunternehmen stellt, ist, dass die Leistungsfähigkeit von Dienstleistungen kaum darstellbar ist. Dienstleistungen sind nicht physisch, sie sind nicht lagerfähig und müssen permanent bereitgestellt werden.² Bibliotheksdienstleistungen entstehen vielfach durch Kommunikation mit den Kunden und setzen eine aktive Beteiligung der Kunden, z.B. bei der Beratungstätigkeit, voraus (Integration des externen Faktors). Die Bibliothek als Marke ist kaum zu präsentieren, wenn man nicht nur mit Büchern oder Computern assoziiert werden möchte. Eine Fernleihe ist auf einem Plakat genauso schwierig zu bewerben wie eine Auskunft durch einen Mitarbeiter im Auskunftsbereich.³ Hinzu kommt, dass sich Kunden bei fehlenden Erfahrungswerten oder mangelnden Vergleichsmöglichkeiten oftmals auf Empfehlungen oder das vorherrschende Image verlassen, um sich leichter auf dem Informationsanbietermarkt orientieren zu können. Dies erfordert, neben der Information über das Dienstleistungsspektrum, vor allem vertrauensbildende Kommunikationsmaßnahmen. Die Kernkompetenzen, die spezifischen Dienstleistungskompetenzen bzw. die Leistungsfähigkeit des Unternehmens müssen durch die Kommunikation stärker in den Fokus gerückt werden als die einzelnen Angebote selbst. Es muss glaubhaft dargestellt werden, dass das Unternehmen bzw. die Mitarbeiter über die notwendigen Kompetenzen verfügen, die der Kunde für seine Problemlösung benötigt.⁴ Bei der Kommunikation von Unternehmen und Non-Profit-Organisationen geht es nicht allein um den Einsatz einzelner Kommunikationsinstrumente wie Plakatwerbung, Pressemitteilungen, Lobbyarbeit oder Kontaktpflege. Um vorhandene Personal- und Finanzressourcen effizient und effektiv einzusetzen, müssen sämtliche Kommunikationsprozesse und -maßnahmen zielgerichtet sowohl auf strategischer Ebene als auch in der operativen Umsetzung geplant, koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Ebenso ist eine Evaluation der Kommunikationsmaßnahmen notwendig, um zu überprüfen, ob die Kommunikationsstrategie einen Beitrag zur Zielerreichung geleistet hat.

1 2 3 4

Beke-Bramkamp, Hackeschmidt 2001, S. 56. Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. Vgl. Bruhn 2011, S. 385.

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2 Integrierte Kommunikation Es gibt verschiedene Ansätze für eine strategische Kommunikation. In der aktuellen Fachliteratur weit verbreitet ist der Ansatz der Integrierten Kommunikation von Manfred Bruhn⁵, nach dem alle Kommunikationsaktivitäten des Unternehmens inhaltlich, formal und zeitlich aufeinander abgestimmt werden, um die für die Kommunikation zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiver und effizienter einzusetzen. Nach Bruhn⁶ soll die Integrierte Kommunikation die Effizienz der Kommunikation durch Synergieeffekte steigern. Integrierte Kommunikation unterstützt die Markenpositionierung eines Unternehmens dadurch, dass durch die Koordination und Integration sämtlicher Kommunikationsmaßnahmen versucht wird, das Markenversprechen in der Wahrnehmung der Zielgruppen zu verankern, sodass es in Abgrenzung zum Wettbewerb als einzigartig und unverwechselbar wahrgenommen wird und nachhaltig erinnert werden kann.⁷ Dies führt zu Synergien und schließlich zu einem effizienteren Einsatz des Kommunikationsbudgets. Bruhn definiert das Konzept der Integrierten Kommunikation folgendermaßen: Integrierte Kommunikation ist ein strategischer und operativer Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild des Unternehmens bzw. eines Bezugobjektes der Kommunikation zu vermitteln.⁸

Kommunikation setzt die Entwicklung einer Markenpolitik, die in einer entsprechenden Markenarchitektur realisiert wird, voraus.⁹ Eine falsche Markenpolitik kann somit nicht durch eine noch so gute Kommunikation ausgeglichen werden. Ebenso wichtig ist, dass durch eine entsprechende Markenführung die Angebotsvielfalt des Unternehmens reduziert bzw. versucht wird, eine entsprechende Komplexitätsreduktion zu erreichen. Denn dies erleichtert es, die wichtigsten Produkte und Dienstleistungen mit den entsprechenden Botschaften für Kunden wahrnehmbar zu machen und damit eine Kaufentscheidung bzw. die Entscheidung für eine Inanspruchnahme der Dienstleistung zu vereinfachen. Voraussetzung für eine strategische Kommunikation ist somit das Vorhandensein einer klaren und unverwechselbaren Markenidentität. Das Selbstbild des Unternehmens wie auch die Markenidentität seiner Produkte und Dienstleistungen muss exakt

5 6 7 8 9

Vgl. Bruhn 2009, S. 23. Vgl. ebd. Vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2008, S. 372. Bruhn 2009, S. 22. Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch.

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als Markenportfolio erarbeitet worden sein, um durch Kommunikation vermittelt werden zu können.¹⁰ Für die Markenkommunikation ist ein integriertes Vorgehen notwendig. Dabei geht es darum, sämtliche Kommunikationsmaßnahmen systematisch miteinander zu verknüpfen. Von der Definition der Zielgruppe, über die Festlegung konkreter Kommunikationsziele, der Entwicklung einer Kernbotschaft, der Auswahl und Gestaltung der Kommunikationsmittel bis hin zur Wahl der verschiedenen Distributionswege und des Distributionstimings müssen sämtliche Maßnahmen einheitlich, zielgerichtet, geplant und konsequent aufeinander bezogen und auf die Kundenwahrnehmung hin ausgerichtet werden. Schließlich geht es um die Messung der Kommunikationswirkung. Konzepte zu einer strategisch aufgebauten Unternehmenskommunikation benennen im Wesentlichen vier aufeinanderfolgende Phasen: – Zieldefinition, – Planung, – Durchführung und – Kontrolle. Zur Phase der Zieldefinition gehört eine vorangehende Ist-Analyse, in der im Hinblick auf die Unternehmenskommunikation Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken bewertet werden. Darüber hinaus werden die Positionierung und die Zielgruppen definiert. In der Planungsphase wird die Kommunikationsstrategie entwickelt, die zur Zielerreichung Erfolg versprechend zu sein scheint und die in der dritten Phase durch die Durchführung der entsprechenden Maßnahmen umgesetzt wird. Zuletzt erfolgt die Evaluation der Strategie und der Maßnahmen sowie eine Wirkungskontrolle des Kommunikationserfolges, an die sich ggf. eine Modifikation der Kommunikationsstrategie anschließt, die zu einem neuen Zieldefinitions-, Planungsund Durchführungszyklus führt. Bruhn beschreibt die Integrierte Kommunikation mit ihren vier Phasen als Managementprozess. Dieser stellt sich dabei auf zwei Ebenen dar: zum einen auf der Ebene der Gesamtkommunikation (Top-down-Planung) und zum anderen auf der Ebene der Einzelmaßnahmen (Bottom-up-Planung).¹¹ Die Planung auf Ebene der Gesamtkommunikation beinhaltet das umfassende Konzept der Unternehmenskommunikation, in welches sämtliche Kommunikationsmaßnahmen und damit auch alle beteiligten Ebenen innerhalb des Unternehmens einbezogen werden mit dem Ziel, alle Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Die Planung auf Ebene der Einzelmaßnahmen bezieht sich auf einzelne Kommunikationsinstrumente und damit ggf. auch auf Planungen durch verschiedene Kommunikationsverantwortliche (z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Sponsoring) innerhalb des Unternehmens.

10 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 11 Bruhn 2009, S. 167 f.

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Abb. 1: Managementprozess der Kommunikation¹²

Sowohl für die Gesamtkommunikation (Top-down-Planung) als auch für den Prozess bzw. den Einsatz einzelner Kommunikationsinstrumente (Bottom-up-Planung) unterteilt Bruhn die einzelnen Phasen in insgesamt acht Schritte (siehe Abb. 1). Dabei ist der Prozess mit den unterschiedlichen Phasen nicht als zeitlich stringente Abfolge zu sehen, sondern als Netzwerk mit zeitlichen und inhaltlichen Querverbindungen. Der Planungsprozess der Integrierten Kommunikation ist demnach als ein heuristischer, iterativer und ganzheitlicher Problemlösungsprozess zu interpretieren.¹³

Im Folgenden wird die strategische Kommunikation anhand der acht Schritte im Einzelnen dargestellt.

2.1 Analyse der Kommunikationssituation Voraussetzung für eine strategische Kommunikationsplanung ist eine systematische Sammlung von Informationen über Ressourcen, Zielgruppen sowie weiterer relevanter Rahmenbedingungen¹⁴ mit anschließender Analyse und Bewertung. Dabei bezieht sich die Analyse sowohl auf die Ebene der Gesamtkommunikation als auch auf die Ebene der Einzelkommunikation.

12 Vgl. Bruhn 2009, S. 167 f. 13 Bruhn 2009, S. 172. 14 So kann es beispielsweise ein wichtiger Faktor sein, ob und inwieweit die Kommunikationsabteilung einer Bibliothek in die Hochschulöffentlichkeit oder das Stadtmarketing eingebunden ist.

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Auf der Ebene der Gesamtkommunikation wird in der Analysephase die Kommunikationssituation für das gesamte Unternehmen mit folgenden Fragestellungen betrachtet: Wie wird das Unternehmen durch die Kunden wahrgenommen, welche Faktoren sind beeinflussend, welche Kommunikationsinstrumente werden eingesetzt und mit welchem Erfolg? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Zur Analyse stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, insbesondere kann auf Methoden der Marktforschung zurückgegriffen werden. Bibliotheken nutzen interne Daten wie Nutzungsstatistiken, Daten des Feedbackmanagements (Anzahl und Art von Beschwerden und anderer Rückmeldungen wie Vorschläge), Kostenrechnung und Controlling, Anfragestatistiken, aber auch externe Daten wie Marktstudien, Bevölkerungsdaten und externe Statistiken sowie zahlreiche unterschiedliche Arten von eigenen Befragungen: Ein Instrument der Situationsanalyse zur Beschaffung von Informationen ist neben Zählungen und Beobachtungen die Benutzerbefragung. Sie eignet sich besonders gut dazu, Meinungen, Einstellungen, Wissen und Wertvorstellungen offenzulegen und einen Eindruck vom Bild der Bibliothek auf der Nutzerseite zu erhalten.¹⁵

Zur Analyse der Kommunikationssituation bietet sich das Instrument der SWOTAnalyse¹⁶ an. Die Stärken und Schwächen der bisherigen Kommunikation und auch des Unternehmens werden überprüft und den Chancen und Risiken der beeinflussenden (äußeren und inneren) Faktoren gegenübergestellt.¹⁷ Für Non-Profit-Organisationen sind insbesondere Imageanalysen oder Einstellungs- und Zufriedenheitsanalysen sowie Kunden- und Mitarbeiterbefragungen adäquate Methoden, den Kommunikationserfolg zu bewerten. Insbesondere die Fragen, wie das Unternehmen wahrgenommen wird oder welche Erwartungen und Wünsche bei den Kunden / Nicht-Kunden existieren, können durch eine Imageanalyse beantwortet werden. Welche Wahrnehmung besteht bei den Kunden und den NichtKunden sowie in der Öffentlichkeit über das Unternehmen? Die Imageanalyse kann sich auf die Untersuchung der Bibliothek als Ganzes (Unternehmensimage) oder auch einzelner Produkte und Dienstleistungen (Image von Einzelmarken) erstrecken. Eine Imageanalyse beantwortet Fragen nicht nur nach der Kompetenz des Unternehmens, sondern auch danach, welche Produkte und Dienstleistungen mit ihr in Verbindung gebracht werden und welche Qualität ihnen zugeschrieben wird, ob die gewünschten Botschaften die Zielgruppen erreichen, welche Erwartungen die Zielgruppen an

15 Vgl. Die effektive Bibliothek 1992, S. 30 ff. 16 Strenghts – Weaknesses – Opportunities – Threats; Analyse von Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken. 17 Siehe die Beiträge „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis sowie „Strategisches Marketing“ von Hobohm in diesem Handbuch.

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das Unternehmen und sein Produkt- und Dienstleistungsportfolio haben und mit welchen Stärken und welchen Schwächen das Unternehmen wahrgenommen wird. Diese Methode kann auch als Kontrollinstrument genutzt werden, um den Kommunikationserfolg zu evaluieren. Eine regelmäßige Überprüfung ist notwendig, auch, um darauf aufbauend entsprechende Maßnahmen entwickeln zu können. Zudem muss die Erwartungshaltung der Kernzielgruppen kontinuierlich erhoben werden, um die geeigneten Strategien und Maßnahmen durchführen zu können. Als Methoden bieten sich hier sowohl eine differenzierte Längsschnittanalyse (in regelmäßigen Abständen Analysen durchführen) als auch eine Panelforschung an, in der zuvor festgelegte Personengruppen in regelmäßigen Abständen befragt werden. Eine Analyse erfordert ein ganzheitliches Vorgehen, um das Image möglichst umfassend in seiner Komplexität abzubilden. Bestehen hier Informationslücken und sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Situationsvariablen sowie deren Einfluss auf die Kommunikationsarbeit nicht bekannt, laufen Unternehmen Gefahr, sowohl die strategische Ausrichtung der Kommunikation falsch zu gestalten als auch beim Einsatz der verschiedenen Kommunikationsinstrumente Fehler zu begehen.¹⁸

Bruhn empfiehlt, bereits in der Analysephase die jeweiligen Verantwortlichen für einzelne Kommunikationsinstrumente aktiv einzubeziehen, um eine Integrierte Kommunikation erfolgreich umzusetzen. Auf der Ebene der Einzelkommunikation richtet sich die Analyse auf die Betrachtung der eingesetzten Kommunikationsinstrumente. Hier sind Daten der Erfolgskontrolle bzw. aus der Evaluation von Einzelmaßnahmen heranzuziehen, um die Wirkung zu bewerten. Auch bei der Erfolgskontrolle von Kommunikationsmaßnahmen kann man auf die Marktforschung zurückgreifen, wie beispielsweise auf Daten zum geänderten Kundenverhalten.

2.2 Zieldefinition, Festlegung der Ziele Liegen die Ergebnisse einer SWOT-Analyse sowie die Erkenntnisse über das Image vor, können auf der Grundlage dieser Ergebnisse konkrete Kommunikationsziele abgeleitet werden. Dabei müssen diese Ziele auf Grundlage der Unternehmensmarke wie auch der erarbeiteten Markenstrategie des Unternehmens entwickelt werden. Wesentliche Aufgabe bei der Zielformulierung ist es, die strategische Positionierung des Unternehmens in einer zentralen Aussage zu formulieren. Dabei werden das gewünschte Selbstbild sowie die Soll-Positionierung festgelegt. Dies wird zusammengefasst in einer kommunikativen Leitidee, die die Unternehmensmarke repräsentiert.

18 Bruhn 2009, S. 175.

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Im besten Fall wird daraus ein Slogan erarbeitet, der die Kernbotschaft verständlich und eingängig für sämtliche relevanten Zielgruppen in einem kurzen Satz kommuniziert. Die kommunikative Leitidee und der Slogan bilden für alle Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen die Grundlage. Die kommunikative Leitidee übernimmt für sämtliche Kommunikationsbotschaften die Führung („Leit“) und hat die zentrale unternehmerische Aufgabe bzw. den Nutzen einer Marke widerzuspiegeln („Idee“).¹⁹

Bruhn merkt an, dass die kommunikative Leitidee eine Vorgabe für alle Kommunikationsabteilungen wie auch für evtl. eingeschaltete Agenturen bildet. In Bibliotheken und Informationseinrichtungen sind diese Strukturen oft nicht vorhanden und es wird in den meisten Fällen aus Kostengründen keine Kommunikationsagentur beauftragt. Daher ist die kommunikative Leitidee für alle Abteilungen, die mit kommunikativen Maßnahmen betraut sind, bzw. für die Stelle, die gegebenenfalls für diesen Zweck koordinierend eingesetzt werden sollte, bindend.²⁰ Die Kommunikation setzt das Markenportfolio im Rahmen der Kommunikationspolitik um. Aufbauend auf den Markenidentitäten der Markenarchitektur wird zunächst auf den entsprechenden Ebenen die kommunikative Leitidee verfasst und davon werden lang- und mittelfristige Kommunikationsziele abgeleitet. Dabei entsteht ein hierarchischer Aufbau der Ziele mit einem jeweiligen Oberziel, das in Teilzielen operationalisiert wird, die die Markenarchitektur umsetzen und auf die verschiedenen strategischen Geschäftsfelder und Zielgruppen des Unternehmens bezogen werden. Die erforderliche Integration wird erreicht, indem die Unterziele an dem Oberziel ausgerichtet werden. Die Zielformulierung kann sich auf kognitive Ziele (Bekanntheitsgrad, Information), affektive Ziele (Image, Emotion) und konative Ziele (Kaufabsichten, Kaufverhalten) beziehen.²¹ Wichtig ist es, die Ziele konkret zu formulieren, denn: „Das Problem einer unpräzisen Zielformulierung ist in der Kommunikationspraxis sehr verbreitet.“²² Doch je konkreter ein Kommunikationsziel formuliert wird, desto einfacher ist es, das entsprechende Publikum, die darauf abgestimmte Botschaft und die einzusetzenden Mittel zu definieren. Wo immer möglich, sind Ziele zu quantifizieren und zeitlich einzugrenzen, um durch die Messbarkeit eine entsprechende Erfolgskontrolle zu ermöglichen. Dabei gilt sowohl für die Ebene der Gesamtkommunikation als auch für die der Einzelkommunikation, dass Ziele präzise formuliert sein müssen und möglichst wenig Interpretation zulassen. Außerdem müssen sie so formuliert

19 20 21 22

Bruhn 2009, S. 423. Vgl. Bruhn 2009, S. 178. Vgl. Bruhn 2009, S. 80. Bruhn 2009, S. 176.

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sein, dass sie operationalisiert werden können, d.h., dass man konkrete Maßnahmen daraus ableiten kann, die in ihrem Erfolg bzw. Misserfolg messbar sind. Bruhn²³ listet als Mindestbedingungen für eine Zielformulierung folgende Fragestellungen auf: – Was soll erreicht werden (Zielart)? – Wie viel soll erreicht werden (Ausmaß)? – Wann soll es erreicht werden (Zeitbezug)? – Für wen / was soll es erreicht werden (Objektbezug, für welche Marke)? – Bei wem soll es erreicht werden (Zielgruppe)?

2.3 Zielgruppenbestimmung Die Definition der Zielgruppen ergibt sich aus der Soll-Positionierung. Im Allgemeinen sind die Zielgruppen der Kommunikation gleichzusetzen mit den wichtigsten Anspruchsgruppen (Stakeholdern) wie Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern, Shareholdern sowie der allgemeinen Öffentlichkeit. Aus der Analysephase und auch der Zielformulierung ergibt sich die Festlegung der Hauptzielgruppen. Für Non-ProfitOrganisationen ergeben sich dabei besondere Herausforderungen, denn die Erwartungshaltungen sind vielschichtig. Eine stark heterogene Gesellschaft erwartet auch differenzierte Angebote. […] Dabei reicht es nicht, intern nur zwischen Mitgliedern, ehrenamtlich Tätigen und hauptamtlichen Mitarbeitern zu unterscheiden. Nicht minder schwer sind die externen Zielgruppen „unter einen Hut“ zu bekommen. Potenzielle Mitglieder wollen umworben werden und erwarten speziell auf sie zugeschnittene Angebote. […] Wer da nicht zielgruppenspezifisch wirbt, läuft Gefahr, den Überblick zu verlieren.²⁴

Es gilt daher, nach der Zielgruppensegmentierung Schwerpunkte zu setzen, die besonders wichtige Kundengruppen wie auch Einflussgruppen darstellen. Für die Kunden muss das Dienstleistungsangebot passgenau sein. Für die Kapitalgeber (Shareholder) als wichtige Einflussgruppe sind dagegen z.B. Erfolgsmeldungen über den Einsatz der von ihnen zur Verfügung gestellten Mittel von Interesse. Dabei sind die materiellen (z.B. Erfolgsrechnung) und auch die immateriellen Faktoren (Managementqualitäten, Produkte, Märkte) adäquat zu kommunizieren,²⁵ um weiterhin ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Aber auch die Öffentlichkeit sollte als Zielgruppe nicht vernachlässigt werden, da sie eine wichtige Rolle auf dem Meinungsmarkt spielt. Diese heterogene Zielgruppe lässt sich nicht genau beschreiben, da sie

23 Bruhn 2009, S. 177. 24 Langen, Albrecht 2001, S. 296. 25 Vgl. Bruhn 2009, S. 181.

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aus verschiedenen Teilöffentlichkeiten besteht, die unterschiedliche Medien nutzen. Eine weitere wichtige Zielgruppe, sowohl für Profitunternehmen als auch für NonProfit-Organisationen, bildet die Gruppe der Mitarbeiter. Da die Mitarbeiter einen großen Anteil an der Dienstleistungserstellung haben, müssen Sie über die Ziele und das Dienstleistungsangebot informiert sein, um die Leistungsfähigkeit der Institution zu garantieren. Zudem müssen Regeln zum Verhalten (z.B. zum Umgang im Social Web)²⁶ kommuniziert werden. Bei den spezifischen Teilzielen innerhalb der Bottom-up-Planung müssen die Zielgruppen differenzierter beschrieben werden, um die Kommunikationsinstrumente spezifisch auf sie abstimmen zu können. Eine detaillierte Zielgruppenbeschreibung kann über demografische oder sozioökonomische Kriterien (z.B. nach Alter, Geschlecht, Beruf, Bildungsgrad etc.), psychografische Kriterien (Einstellungen, Verhaltensweisen, Interessen, Nutzenvorstellungen), Kaufverhalten (Produktwahl, Einkaufsstättenwahl) oder auch nach Nutzen bestimmter Medien (Zeitung, OnlineNutzer etc.) vorgenommen werden.²⁷

2.4 Kommunikationsinstrumente Um das Dienstleistungsspektrum und die Leistungsfähigkeit zu kommunizieren, sind die geeigneten Kommunikationskanäle auszuwählen. In der Praxis wird oft ein Mix verschiedener Kommunikationsinstrumente eingesetzt. Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Sponsoring, Veranstaltungen, Ausstellungen, Eventmarketing bis hin zur internen Kommunikation bilden einen Teil der zur Verfügung stehenden Instrumente. Doch welches ist das richtige? Bei der Top-down-Planung werden die zur Verfügung stehenden Instrumente ausgewählt und kategorisiert, um zu entscheiden, welche Kommunikationsinstrumente zur Erreichung der Ziele und der Zielgruppen geeignet sind. Zudem sollte ein „Aufwand-Nutzen-Vergleich“ durchgeführt werden. Bruhn unterteilt jedes Kommunikationsinstrument in vier Klassen:²⁸ 1. Leitinstrumente mit größter strategischer Bedeutung als sogenannte Kerninstrumente in der Kommunikation (z.B. Werbung für Kunden von Profitunternehmen), 2. Kristallisationsinstrumente, die für eine bestimmte Zielgruppe unabdingbar sind (z.B. interne Kommunikation für die Zielgruppe der Mitarbeiter),

26 Vgl. z.B. die Social Media Guidelines der ZBW 2011. 27 Siehe die Beiträge „Marktsegmentierung“ von Schade sowie „Marketingforschung“ von FühlesUbach in diesem Handbuch. 28 Vgl. Bruhn 2009, S. 185 f.

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3.

Integrationsinstrumente, die einen hohen Grad an Integration mit anderen Kommunikationsinstrumenten haben und dadurch eine potenzierende Wirkung bei den Zielgruppen und eine Synergiewirkung der eingesetzten Mittel haben (z.B. Sponsoring, Eventmarketing), 4. Folgeinstrumente mit einer eher geringeren Bedeutung innerhalb der Gesamtkommunikation, die jedoch für einzelne Kommunikationsaufgaben oder Einzelzielgruppen eingesetzt werden können (z.B. Direct Marketing). Im Rahmen der Gesamtstrategie werden für das Unternehmen die betreffenden Kommunikationsinstrumente auf ihre Bedeutung überprüft und entsprechend hierarchisiert. Alle Instrumente sind an einem Leitinstrument auszurichten. Bruhn beschreibt eine Analyse der Beziehungsgefüge zwischen den einzelnen Kommunikationsinstrumenten, d.h., dass jedes Instrument auch in dieses Beziehungsgefüge passen muss. Als Vorgehensweise empfiehlt er eine Analyse der Interdependenzen durch verschiedene Methoden wie z.B. das Optimierungsverfahren, die Wechselwirkungsanalyse, Portfolioanalysen oder die analytische Hierarchisierungsanalyse.²⁹ Für Non-ProfitOrganisationen empfiehlt sich ein Aufwand-Nutzen-Vergleich. Oft reicht die Analyse einer Umfrage nach den bevorzugten Kommunikationsinstrumenten bei den Kernzielgruppen aus („Auf welchem Weg möchten Sie Informationen über unsere Dienstleistungen erhalten“?). Darüber hinaus bieten sich das Instrumentencontrolling, Nutzungszugriffsstatistiken oder konkretes Kundenfeedback innerhalb einzelner Instrumente (Anzahl von Blogkommentaren, Anzahl Nachfragen nach einem Presseartikel) an, um Hinweise darüber zu erhalten, welche Instrumente von den Zielgruppen bevorzugt genutzt werden. Wichtig bei der Wahl der Medien ist, sich an den Wahrnehmungsgewohnheiten der Zielgruppen zu orientieren. Die Vorstellungen, Erwartungen und Bedürfnisse sollten aus der Analysephase bekannt sein, sowohl was die Auswahl der Kommunikationskanäle betrifft als auch die Art der „Ansprache“. Unternehmen mit besonders heterogenen Zielgruppen und entsprechend unterschiedlichen Erwartungshaltungen müssen ihre zentralen Botschaften dabei in viele unterschiedliche Teilbotschaften zerlegen.³⁰ Ebenso erforderlich ist eine differenzierte Ansprache von aktuellen und potenziellen Kunden.³¹ Der Kunde sollte gezielt und möglichst persönlich angesprochen werden.³² Dabei stehen insbesondere bei Non-Profit-Organisationen nicht profitorientierte Ziele im Vordergrund: […] dabei geht es immer auch um Werte, Einstellungen und Meinungen. […] auch komplexe Sachverhalte müssen anschaulich, verständlich und darüber hinaus in einer ansprechenden „Verpackung“ auf dem öffentlichen Meinungsmarkt angeboten werden. […] Um in der modernen

29 30 31 32

Vgl. Bruhn 2009, S. 423. Vgl. Langen, Albrecht 2001, S. 297. Bruhn 2009, S. 181. Langen, Albrecht 2001, S. 296.

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Informationsgesellschaft öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen, müssen politische Inhalte immer auch „inszeniert“ werden. Nur so gewinnt man die Aufmerksamkeit der Massenmedien.³³

Unbedingt zu vermeiden ist, über verschiedene Kommunikationsinstrumente unterschiedliche oder gar widersprüchliche Aussagen zu machen, da einzelne Zielgruppen durchaus über mehrere Kommunikationsinstrumente erreicht werden können. Nicht zu vergessen bei der Festlegung der Kommunikationsmedien ist der Aspekt, dass die Kommunikationspolitik selbst imageprägend ist. Die Art und Weise, wie das Unternehmen sein Selbstbild nach außen trägt, wie Produkte und Dienstleistungen kommuniziert werden, wie einfach Informationen über das Unternehmen und die Angebote zugänglich sind, ist entscheidend dafür, wie das Unternehmen wahrgenommen wird. Auch der Unternehmens- und Markenname, als Teil des BrandingDreiecks³⁴, wirkt imagebildend bei den verschiedenen Zielgruppen. Wird bei der Analyse der Kommunikationssituation festgestellt, dass das Fremdbild deutlich negativer als das gewünschte Selbstbild ist, also ein Imageproblem existiert, sollte eine Imagekampagne durchgeführt werden, die mit entsprechender Zielformulierung auf spezielle Kernaussagen zu fokussieren ist, d.h., dass auf konkrete Schwachstellen eingegangen wird. Im Rahmen einer transparenten und offenen Kommunikation sollten Schwachstellen nicht geschönt dargestellt werden, sondern offen kommuniziert werden. Eine überhöhte Selbstdarstellung dient keinesfalls der Imageverbesserung und kann das Gegenteil bewirken, da für die Zielgruppen das Unternehmen unglaubwürdig wirkt. Imagekampagnen zielen darauf ab, den Zielgruppen die Ziele, Aufgaben und das Selbstverständnis des Unternehmens nahezubringen, nicht aber darauf, sich selbst zu „beweihräuchern“. Auf der Ebene der konkreten Unterziele wird die Auswahl bestimmter Instrumente umgesetzt. Für Non-Profit-Organisationen kommen dabei insbesondere die Instrumente persönliche Kommunikation, Veranstaltungen, Eventmarketing, Öffentlichkeitsarbeit, interne Kommunikation, Sponsoring und durchaus auch Werbung in Betracht: – Werbung zielt auf eine Steigerung des Bekanntheitsgrades von Produkten und Dienstleistungen ab. – Werbung ist sinnvoll bei der Einführung neuer Produkte bzw. Dienstleistungen oder bei Produkt- bzw. Dienstleistungsvariationen und -modifikationen. – Werbung soll sich positiv auf den Markenbekanntheitsgrad auswirken. – Werbung ist stets absatzorientiert und wird dann als wenig störend empfunden, wenn entsprechende Botschaften in redaktionelle Inhalte eingebunden werden. Beispielsweise wird das Bewerben eines neuen Service als Text auf der Internetseite weniger störend empfunden als eine Bannerwerbung.

33 Langen, Albrecht 2001, S. 287. 34 Das Branding-Dreieck besteht aus Markennamen, Logo und Gestaltung des Bezugsobjektes.

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Kommunikationsmaßnahmen haben immer die Erwartungshaltungen und Einstellungen der Adressaten zu berücksichtigen, woraus stilistische Besonderheiten in der Werbegestaltung für NPOs entstehen können. Einerseits geht es um die richtigen Argumente, andererseits auch um den Stil der Werbemittel. So kann eine technisch perfekte Werbemittelgestaltung dennoch Misstrauen auslösen und auf Einstellungsbarrieren stoßen, weil man die Uneigennützigkeit bezweifelt oder nicht einverstanden ist, dass für Werbung offensichtlich viel Geld ausgegeben wird. Diese Situation erfordert hohe Professionalität im Marketing für NPOs, Absicherung durch Marktforschung und Werbemitteltest oder Einbindung der Adressaten in die Kommunikationsarbeit.³⁵

Öffentlichkeitsarbeit ist im Gegensatz zu Werbung nicht absatzorientiert, sondern hat eine Informations- und Imageprofilierungsfunktion. Durch den Einsatz verschiedener Kommunikationsmittel wie Presse- und Medienarbeit, Broschüren, Flyer oder Veranstaltungen zielt Öffentlichkeitsarbeit darauf ab, das Markenimage aufzubauen bzw. zu stärken und langfristig Vertrauen in das Unternehmen und seine Angebote aufzubauen. Durch das Einhalten eines einheitlichen Erscheinungsbildes von den Druckschriften über die Kommunikation im Internet bis hin zur Inneneinrichtung erfüllt Öffentlichkeitsarbeit zudem eine Integrationsfunktion und erhöht die Wahrscheinlichkeit des Wiedererkennens von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen.³⁶ Der Jahresbericht ist ein weiteres geeignetes PR-Instrument von Non-ProfitOrganisationen für Kunden, Unterhaltsträger und / oder Sponsoren. Der Jahresbericht ist eine der besten Möglichkeiten, aufzuzeigen, wie viel Ihre soziale Arbeit wert ist. Ein guter Jahresbericht schafft Vertrauen. Es ist ein Kommunikationsinstrument erster Güte.³⁷

Der Internetauftritt ist heute das wichtigste Kommunikationsinstrument, das neben seinem schnellen und bequemen Informationszugang ein preiswertes Instrument darstellt, das zudem eine große Reichweite hat. Social Media, wie Blogs, twitter und Social Networks, bieten einen weiteren wichtigen Aspekt in der Kommunikation mit den Kunden: den direkten Dialog. Die Möglichkeit der aktiven Partizipation der Kunden stellt den entscheidenden Vorteil gegenüber den klassischen Massenmedien dar. Aber die Ansprüche der Kunden wachsen: Die Information wird schnell und direkt erwartet, vor allem jedoch transparent und authentisch. Social-Media-Kanäle stellen neue Anforderungen an die Kommunikationsverantwortlichen, sowohl was das technische Know-how als auch was die kommunikative Kompetenz angeht. Die Information, das direkte Kundenfeedback, das das Unternehmen durch die dialogorientierte Kommunikation erhält, kann sich auf einzelne Marken wie auch auf das Unternehmen als Ganzes beziehen. Insbesondere für Non-Profit-Organisationen bietet es sich an, die Social-Media-Instrumente zu nutzen.

35 Scheuch 2007, S. 271. 36 Siehe den Beitrag „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch. 37 Conta Gromberg 2006, S. 103.

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Sie stellen nicht nur ein preiswertes Kommunikationsinstrument dar, sondern sind durch ihre Dialogorientierung auch wertvoll im Hinblick auf die Kundenbindung. Wurden Social-Media-Kanäle als Leitmedium identifiziert, gilt es, die Mitwirkung der User zu fördern, beispielsweise durch das Anregen von Blogkommentaren oder kleine Umfragen auf der Startseite des Unternehmens.³⁸ Mumenthaler³⁹ stellt allerdings fest, dass die Hauptzielgruppen von Bibliotheken durch Web-2.0-Instrumente derzeit nicht zufriedenstellend erreichbar sind,⁴⁰ und dass die Ergänzung durch traditionelle Kommunikationsformen wie beispielsweise Flyer weiterhin notwendig ist, am besten sei eine Kombination von neuen und traditionellen Instrumenten. Es ist jedoch insgesamt zu beobachten, dass die interaktive Kommunikation sowie die interne Mitarbeiterkommunikation für den Erfolg immer bedeutender werden. Die Mitarbeiter sind aufgrund ihrer zentralen Stellung im Rahmen der Leistungserstellung von Non-Profit-Organisationen als glaubwürdiger Multiplikator im Kommunikationsprozess in einem ganzheitlichen Ansatz der Kommunikation zu berücksichtigen.⁴¹

Mitarbeiter in Non-Profit-Organisationen wie auch in Dienstleistungsunternehmen haben vielfach direkten Kundenkontakt, da die Dienstleistung erst im direkten Kontakt mit dem Kunden entsteht (Integration des externen Faktors). Mitarbeiter sind für Dienstleistungsunternehmen der wichtigste imagebildende Faktor. Daher müssen ihnen nicht nur die Ziele und Aufgaben des Unternehmens bekannt sein, um eine größere Akzeptanz zu erreichen und um die beabsichtigten Botschaften von jeder Stelle aus nach außen tragen zu können, sondern auch, um andere Mitarbeiter zu motivieren, sodass das „Wir-Gefühl“ gestärkt wird. Insbesondere bei Mitarbeitern mit Kundenkontakt muss Markenwissen vorhanden sein, um sich entsprechend markenkonform verhalten zu können. Dabei reichen Informationen über die im Unternehmen geführten Marken allein nicht aus. Mitarbeiter müssen die Leitlinien kennen und sie müssen wissen, was von ihnen im Rahmen der Dienstleistungserbringung erwartet wird. Dazu gehört auch das entsprechende „Corporate Behavior“ (Umgang mit den Kunden, Umgangston, Verhalten, Führungsstil). Das Kommunikationsinstrument der internen Kommunikation muss dabei über eine Bekanntgabe auf den Intranetseiten oder in den Besprechungen hinausgehen und ebenfalls einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der darauf abzielt, ein als angenehm empfundenes Klima aufzubauen.

38 Siehe den Beitrag „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch. 39 Mumenthaler 2011a, S. 133. 40 „Die User sind nicht unbedingt die Nutzer und Zielgruppe der ETH-Bibliothek. Marketing der Web-2.0-Dienste ist nicht einfach – wird schnell als Spam empfunden.“ (Mumenthaler 2011b). 41 Bruhn 2012, S. 384.

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Rico Piehler stellt als zentrale Wirkungsgröße für die „interne Markenführung“ nicht nur das Markenwissen der Mitarbeiter in den Vordergrund, sondern auch das sogenannte Brand Commitment, d.h. die innere Bindung an eine Marke: Wenn Mitarbeiter kein Markenwissen aufweisen, können sie sich entsprechend nicht mit der Marke identifizieren oder die Markenidentität internalisieren.⁴²

Mitarbeiter müssen nach Piehler Wissen über die Markenziele, die Markenidentität und das Markennutzungsversprechen besitzen, damit sie sich entsprechend verhalten können. Wenn Mitarbeiter dieses Wissen nicht haben, kann auch kein Brand Commitment entstehen: Die Mitarbeiter müssen wissen, dass ihr Verhalten wichtig für die Markenwahrnehmung externer Zielgruppen ist, sie müssen die Marke, d.h. insbesondere ihre Identität und das Nutzenversprechen, kennen und sie müssen wissen, wie sie sich konkret markenkonform verhalten können, um Verhaltensweisen zu zeigen, die im Einklang mit der Markenidentität und dem Markennutzenversprechen stehen und in Summe die Marke stärken.

Als weiteren einflussreichen Faktor des Markenwissens stellt Piehler das sogenannte Brand Citizenship Behavior  – zur Markenidentität konsistentes Verhalten  – dar. Sobald sich Mitarbeiter mit dem Unternehmen oder der Marke verbunden fühlen, setzen sie sich auch in ihrem Verhalten für das Unternehmen oder die Marke ein.⁴³ Als eine geeignete Maßnahme zum Aufbau von Markenwissen bei Mitarbeitern nennt Piehler die Häufigkeit der Kommunikation mit den Vorgesetzten. Neben der persönlichen Kommunikation sollte markenbezogene Information darüber hinaus über vielfältige Kanäle kommuniziert werden, da „mit der Anzahl der von Mitarbeitern genutzten Kommunikationsinstrumente deren Markenwissen steigt“⁴⁴. Einen wesentlichen Faktor für eine erfolgreiche Markenführung bildet für Piehler schließlich die interne Operationalisierung der Markenidentität bzw. die inhaltliche Konkretisierung der Markenidentität für die Mitarbeiter: So reichen Hochglanzbroschüren, die die Markenidentität in der Regel auf hohem Aggregationsniveau vorstellen, nicht aus, um einem Mitarbeiter in der Forschung & Entwicklung oder im Vertrieb klarzumachen, was von ihm erwartet wird. Erst die Konkretisierung […] führt zu einer höheren Kenntnis und dem Verständnis der Marke und ihrer Identität. […] Da er die Marke als Repräsentant im direkten Kundenkontakt verkörpert, kann von ihm ein besonders elegantes Auftreten erwartet werden, was sich beispielsweise in entsprechender Kleidung ausdrückt. Eine interne Operationalisierung der Markenidentität zeigt dem Mitarbeiter auf, dass die Marke relevant ist, sowie dass und insbesondere wie er mit seinem Verhalten die Markenwahrnehmung

42 Dieses und das folgende Zitat: Piehler 2011, S. 529. 43 Vgl. Piehler 2011, S. 529. 44 Piehler 2011, S. 532.

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beim Nachfrager beeinflussen kann. Insofern erfolgt eine Konkretisierung der eher abstrakten Markenidentität in spezifische Verhaltensweisen.⁴⁵

Nicht zielführend ist es, bei allen Mitarbeitern das gleiche Niveau des Markenwissens erreichen zu wollen. Nicht jeder Mitarbeiter auf jeder Hierarchieebene müsse die komplexe Markenführungsstrategie kennen, sondern je nach Funktion und Position des Mitarbeiters müssen das entsprechende Wissen und eine psychologische Verbundenheit aufgebaut werden.⁴⁶ Um das Wissen und die Verbundenheit aufzubauen, ist es erforderlich, eine aktive Unterstützung durch die Unternehmensleitung zu gewährleisten. Die Führungsebene muss die Mitarbeiter nicht nur informieren, sondern auch erläutern, warum und wie etwas geschieht. Gerade bei Veränderungen im Unternehmen muss deutlich werden, wohin es geht, was getan wird und welches Verhalten gewünscht wird. Für die Umsetzung der internen Markenführung haben Perrey und Meyer ein Vierstufenprogramm zur internen Umsetzung entwickelt:

Bewusstsein: Ich weiß es

Unterstützung: Ich kann es erklären

Teil der täglichen Arbeit: Ich lebe es

Fürsprache: Ich werbe dafür

Abb. 2: Vierstufenprogramm zur Umsetzung der internen Markenführung (eigene Darstellung nach Perrey und Meyer)⁴⁷

1.

Bewusstsein: Auf der ersten Stufe sollen Mitarbeiter das Wertversprechen, das dem Kunden gegenüber gilt, genau kennen und verstehen. 2. Unterstützung: Auf der zweiten Stufe sollen Mitarbeiter das Wertversprechen auch unterstützen können, indem sie es z.B. erklären können. Dies soll dazu führen, eine starke emotionale Verbundenheit mit den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmen zu entwickeln. 3. Teil der täglichen Arbeit: Auf der dritten Stufe sollen Mitarbeiter in der Lage sein, das Wertversprechen tagtäglich zu erfüllen, indem sie es „leben“. 4. Fürsprache: Auf der letzten Stufe sollen die Mitarbeiter letztendlich ermutigt werden, Kollegen und Kunden gegenüber für die Marke zu werben.⁴⁸ Sargeant⁴⁹ empfiehlt, zu diesem Themenkomplex Fortbildungen für Mitarbeiter von Non-Profit-Organisationen durchzuführen. Da jede Form der Kommunikation Ein-

45 46 47 48 49

Piehler, S. 539. Vgl. Piehler, S. 553. Perrey, Meyer 2011, S. 324 (Quelle: McKinsey). Vgl. Perrey, Meyer 2011, S. 325. Sargeant 2009, S. 176.

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fluss auf die Markenidentität hat, ist es wichtig, dass ein Trainingsprogramm für alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt entwickelt wird, um zu vermitteln, welcher Umgang mit diesen gewünscht ist. Um zu überprüfen, welche Kommunikationsinstrumente den höchsten Stellenwert für Dienstleistungsunternehmen haben, empfiehlt Bruhn die Überprüfung der verschiedenen Einflussgrößen (Dienstleistungsart, Persönlichkeitsstrukturen der Zielgruppen etc.).⁵⁰ Er weist der Mediawerbung den höchsten funktionalen Stellenwert zu, wenn es um die funktionale Bedeutung einzelner Kommunikationsinstrumente geht. Denn vor dem Hintergrund der Immaterialität von Dienstleistungen geht es insbesondere darum, das „unsichtbare Gut Dienstleistung“ sichtbar zu machen und damit gleichzeitig den Aufbau eines positiven Images zu unterstützen.⁵¹

Auch der persönlichen Kommunikation weist Bruhn einen erhöhten Stellenwert zu, da die Inanspruchnahme der Dienstleistung von der Kommunikationsleistung der Mitarbeiter abhängt. In Bibliotheken ist dies z.B. das Auskunftsinterview.⁵²

2.5 Integration Integrierte Kommunikation erfordert die Formulierung einer konkreten Strategie, in der sämtliche Kommunikationsmaßnahmen und -instrumente festgelegt, inhaltlich und formal spezifiziert und koordiniert werden. Bruhn definiert die Einheit der Kommunikation so: Die „Einheit der Kommunikation“ ist ein gedankliches Konstrukt, mit dem die Gesamtheit der Darstellung eines Unternehmens bzw. des Bezugsobjektes der Kommunikation und die gemeinsame Ausrichtung aller Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen wiedergegeben wird.⁵³

Die Formulierung der „Strategie der Integrierten Kommunikation“ muss logisch aufgebaut, widerspruchsfrei, verständlich, überprüfbar und dokumentiert sein. Bestandteile der schriftlich fixierten Strategie sind 1. das Soll-Bild (Markenidentität), das vermittelt werden soll, ein möglichst zielgruppenübergreifend formuliertes Oberziel der Kommunikation, aus welchem weitere Ziele abgeleitet werden, 2. die Fixierung der kommunikativen Leitidee, in welcher die Grundaussagen zielgruppenübergreifend enthalten sind, und

50 51 52 53

Vgl. Bruhn 2011, S. 64. Bruhn 2011, S. 64. Vgl. ebd. Bruhn 2009, S. 188.

410

3.

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die Spezifizierung der Leitinstrumente, in welcher die Instrumente eine klare Zuordnung von Funktionen und Aufgaben erhalten.⁵⁴

Aus diesen Kernelementen der Strategie der Integrierten Kommunikation werden dann konkrete Regeln abgeleitet: Diese Regeln haben die Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen der strategischen Positionierung, der kommunikativen Leitidee und den Leitinstrumenten für die einzelnen Zielgruppen und Kommunikationsinstrumente bzw. -maßnahmen zu konkretisieren und den Kommunikationsabteilungen eine Anleitung für deren Umsetzung zu bieten.⁵⁵

Langen weist darauf hin, dass bei der Entwicklung der Kommunikationsstrategie von Non-Profit-Organisationen besondere Aspekte berücksichtigt werden müssen, da sie im Vergleich zu Wirtschaftsunternehmen andere Inhalte, andere Organisationsformen, andere Strukturen, andere Zielgruppen und auch andere Mentalitäten bei den Mitarbeitern aufweisen. Diese Aspekte beeinflussen die Kommunikationsarbeit und müssen mit bedacht werden.⁵⁶ Bruhn beschreibt verschiedene Ebenen der Integration: die inhaltliche, die formale und die zeitliche Integration: – Inhaltliche Integration wird erreicht durch die Verbindung sämtlicher Kommunikationsinstrumente und -mittel im Hinblick auf ein Thema bzw. das angestrebte Kommunikationsziel.⁵⁷ Auch thematisch soll ein einheitliches Bild geschaffen werden. Die zu vermittelnden Aussagen werden beispielsweise gestützt durch den Einsatz einheitlicher Slogans, Kernbotschaften, die wiederkehrend und in verschiedenen Instrumenten verwendet werden. Durch entsprechendes Themenmanagement werden Kernargumente für unterschiedliche Produktinformationen verwendet. – Eine formale Integration wird dadurch erreicht, dass sämtliche Kommunikationsmittel durch den konsequenten Einsatz einheitlicher Gestaltungsprinzipien in einem einheitlichen Erscheinungsbild gestaltet werden.⁵⁸ Dies zeigt sich in der Praxis durch das Erarbeiten eines Corporate Designs, d.h., die Verwendung einheitlicher Markenzeichen, Logos, einer einheitlichen Schrift und abgestimmter Farben.⁵⁹ Diese Vorgaben werden fixiert und gelten als Gestaltungsregeln, die unternehmensweit umgesetzt werden.

54 Bruhn 2009, S. 189. 55 Ebd. 56 Vgl. Langen, Albrecht 2001, S. 286. 57 Vgl. Bruhn 2009, S. 80. 58 Vgl. Bruhn 2009, S. 83. 59 Siehe die Beiträge „Markenentwicklung“ von Schade sowie „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch.

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Die zeitliche Integration bezieht sich auf die Abstimmung der betreffenden Kommunikationsinstrumente und -mittel in bestimmten Zeiträumen, meist innerhalb der konkreten Planungsperioden. Durch den zeitlich aufeinander abgestimmten Einsatz der Kommunikationsinstrumente soll erreicht werden, dass sich einzelne Instrumente gegenseitig im Hinblick auf die „Botschaftsübertragung“ unterstützen, was zu einem erhofften Wiederholungs- und Lerneffekt bei der Zielgruppe führen soll.⁶⁰

Weiter empfiehlt Bruhn die Erarbeitung einer Botschaftsplattform: Ausgehend von der kommunikativen Leitidee werden konkrete Kernaussagen formuliert. Sowohl die Grundaussage als auch die daraus abgeleiteten Einzelaussagen werden festgehalten und ergeben ein unternehmensspezifisches Aussagen- und Argumentationssystem, die sogenannten Corporate Messages der Gesamtkommunikation.⁶¹ Die Planung der Einzelmaßnahmen sollte nicht unabhängig von der Gesamtstrategie erfolgen. Wenn für die Kommunikationsinstrumente verschiedene Abteilungen innerhalb des Unternehmens zuständig sind, müssen diese in die Top-down-Planung integriert werden, die Einzelpläne müssen sich in das Gesamtkonzept integrieren. Hier empfiehlt Bruhn eine Kombination der Top-down-Planung mit der Bottom-upPlanung, um durch eine entsprechende Beteiligung aller zuständigen Abteilungen oder Personen die Integrationsmaßnahmen entsprechend zu fördern.⁶² Die Verantwortung für eine strategische Ausrichtung der Kommunikationspolitik und eine Initiierung der Integration der Kommunikationsmaßnahmen liegt dabei bei den zuständigen Führungsebenen bzw. direkt bei der Unternehmensleitung oder je nach Organisationsstruktur bei den zuständigen Marketingmanagern, die alle Abteilungen in die Planungsprozesse einbinden und Kommunikationsregeln vorgeben, die für eine Integration der Instrumente notwendig sind.⁶³

2.6 Kommunikationsbudgets Zur Bestimmung der Höhe des Kommunikationsbudgets gibt es unterschiedliche Verfahren. Klassische Budgetierungsverfahren, die z.B. einen Prozentsatz von einer Bezugsgröße wie Absatz, Umsatz oder Gewinn definieren, hält Bruhn für ebenso wenig geeignet wie Budgetierungsverfahren, die das eigene Budget im Vergleich zur Budgethöhe der Konkurrenz festsetzen.⁶⁴ Für besser geeignet hält er eine „Ziel-Maßnahmen-

60 61 62 63 64

Vgl. Bruhn 2009, S. 86. Vgl. Bruhn 2009, S. 425. Vgl. Bruhn 2009, S. 169. Vgl. Bruhn 2009, S. 170. Vgl. Bruhn 2011, S. 192.

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Kalkulation“, in welcher anhand der festgelegten Ziele und der benötigten Maßnahmen zunächst die Kosten bestimmt werden, um dann das Budget zuzuweisen:⁶⁵ Im Rahmen der Budgetierung steht in der Integrierten Kommunikation letztlich die Frage im Mittelpunkt, ob es durch einen integrierten Einsatz der Kommunikationsinstrumente möglich ist, bei einem konstanten Kommunikationsbudget die Wirkung der Kommunikation zu erhöhen oder aber eine konstante Wirkung bei einem reduzierten Kommunikationsbudget zu erzielen. Damit wird deutlich, dass die Budgetierung enge Bezüge zur Frage nach dem Nutzen der Integrierten Kommunikation und damit zur Erfolgskontrolle aufweist.⁶⁶

Bruhn schlägt vor, zunächst das Budget grob in fixe und variable Anteile aufzuteilen und anschließend eine Aufschlüsselung anhand der festgelegten Gruppen von Kommunikationsinstrumenten (Leit-, Kristallisations-, Integrations- und Folgeinstrumente) vorzunehmen. Die Verteilung der fixen Anteile für jedes Kommunikationsinstrument bildet dabei das jeweilige Mindestbudget. Der variable Anteil des Budgets erfolgt nach vorher definierten Kriterien wie z.B. „Förderung der Integrierten Kommunikation durch das jeweilige Instrument“.⁶⁷ Die Festlegung und Verteilung des spezifischen Kommunikationsbudgets erfolgt durch die Verteilung auf die verschiedenen Kommunikationsinstrumente (Budgetallokation) wobei die Budgetverteilung dabei nicht pauschal, sondern wirkungsbezogen vorgenommen wird. Je nachdem wie wirkungsvoll die jeweiligen Instrumente in Hinblick auf die Zielerreichung einzuordnen sind, erfolgt die Mittelzuweisung. Den Leitinstrumenten ist „in der Regel der größte Anteil des Kommunikationsbudgets zuzuweisen“⁶⁸. Ein Nachweis über die speziellen Kommunikationswirkungen kann erbracht werden, wenn eine Evaluation erfolgt. Dann ist ggf. ein Effizienzvergleich einzelner Kommunikationsinstrumente möglich. Die Frage einer fundierten Grundlage für eine integrationsorientierte Budgetierung und Budgetallokation ist für Bruhn noch offen. Insbesondere sieht er Forschungsbedarf am Problem der „Berücksichtigung interinstrumenteller und intertemporaler Wirkungsinterdependenzen“⁶⁹, d.h. vor allem in der Zuordnung und Zurechnung kommunikativer Wirkungen.

65 66 67 68 69

Vgl. Bruhn 2011, S. 193. Bruhn 2011, S. 193 f. Bruhn 2009, S. 426. Bruhn 2009, S. 194. Bruhn 2009, S. 197.

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2.7 Realisierung der Gesamtkommunikation und Einzelmaßnahmen In der Phase der Realisierung der Gesamtkommunikation und der Einzelmaßnahmen werden alle zuvor geplanten Maßnahmen umgesetzt, wobei es gilt, die Durchführung der Integrierten Kommunikation „durch inhaltliche, organisatorische als auch personelle Maßnahmen sicherzustellen“⁷⁰. Während der Realisierungsphase muss stets darauf geachtet werden, dass ggf. eintretende Veränderungen bei der Durchführung von Kommunikationsmaßnahmen zielkonform sind. Eine entsprechende Dokumentation während der Realisierungsphase ermöglicht eine anschließende Evaluation.

2.8 Erfolgskontrolle Zur Erfolgskontrolle der Kommunikation gehört die Evaluation aller Ebenen, angefangen von der Konzeptions- und Prozessevaluation bis hin zur instrumentellen Evaluation und der abschließenden Wirkungskontrolle. Dazu zählt zum einen eine formative Kontrolle, eine Konzeptionsevaluation, in der die Qualität der Zieldefinition, der Bestimmung der Zielgruppen, der Ressourcen- und Maßnahmenplan betrachtet wird. Die Durchführung von Kommunikationsmaßnahmen wird durch eine geeignete Prozessevaluation begleitet, und die instrumentelle Evaluation kontrolliert jedes einzelne Kommunikationsinstrument nach der erfolgten Durchführung. Erst nach Abschluss aller Maßnahmen, am Ende des Kommunikationsprogramms, folgt eine abschließende Wirkungskontrolle. Parallel zum Managementprozess […] erfasst und bewertet die Evaluation jede Tätigkeit. Auf der Basis dieses Wissens ist es möglich, bei Erfolg oder Misserfolg eine detaillierte Ursachenforschung zu betreiben.⁷¹

Bruhn weist darauf hin, dass bei der Evaluation der Zielerreichung kein bloßer SollIst-Vergleich durchgeführt werden sollte, da es sein kann, dass das Ziel an sich infrage gestellt werden muss, wenn beispielsweise durch veränderte Rahmenbedingungen eine Zielerreichung nicht mehr möglich ist. Er sieht daher als Schwerpunkt des strategischen Kommunikationscontrollings die Überprüfung der strategischen Positionierung, Planungsprämissen und Strategien an.⁷² Die Überprüfungsbereiche des operativen Kommunikationscontrollings zielen auf eine Evaluation der Prozesse (Terminplanung, Aktivitätenplanung, Ressourcen-

70 Bruhn 2009, S. 198. 71 Besson 2008, S. 31. 72 Vgl. Bruhn 2011, S. 195.

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planung per Checklisten, Netzplantechnik, Audit oder auch Communication Scorecards⁷³), auf Wirkungskontrollen (Reaktionen der Zielgruppen) und Effizienzkontrollen, bei denen ein Kosten-Nutzen-Vergleich der Aktivitäten vorgenommen wird.⁷⁴ Ein Problem dabei ist, dass es bei einer starken Integration der Kommunikation aufgrund von Wirkungsinterdependenzen kaum möglich ist, den Erfolg auf spezifische Kommunikationsmaßnahmen zurückzuführen.⁷⁵

3 Integrierte Kommunikation – Anforderungen und Herausforderungen Bruhn benennt zehn Anforderungen an die Integrierte Kommunikation: 1. Schaffung von Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Integrierten Kommunikation, 2. Schaffung von Wissen über das Konzept der Integrierten Kommunikation, 3. Entwicklung einer Strategie der Integrierten Kommunikation, 4. Orientierung an der Positionierung des Bezugsobjektes, 5. bewusste Gestaltung von Kommunikationselementen, 6. kontinuierlicher Einsatz formaler Gestaltungsprinzipien, 7. Formulierung von Verbindungslinien, 8. Sicherstellung von Konsistenz, 9. Sicherstellung von Kongruenz zwischen Kommunikation und Verhalten sowie 10. Bewahrung von Kontinuität.⁷⁶ Die vordringlichste Anforderung ist, zunächst die internen Voraussetzungen für die Umsetzung einer strategischen integrierten Kommunikationsarbeit zu schaffen. Dies erfordert den Aufbau einer geeigneten Kommunikationsinfrastruktur für alle Kommunikationsprozesse und -zielgruppen. Bruhn schlägt vor, Kommunikationsabteilungen zusammenzulegen, insbesondere jedoch eine stärkere Prozessorientierung in der Kommunikationsarbeit und bei den zuständigen Abteilungen oder Zuständigen zu verankern.⁷⁷ Auch muss eine Kulturveränderung im Unternehmen stattfinden, wenn Integrierte Kommunikation gelingen soll. Ressortegoismen und Abteilungs-

73 Kennzahlenbasierte Scorecard-Methoden wie Communication Scorecards bilden die Wirkungszusammenhänge der Kommunikation unter mehreren Perspektiven (Finanzen, Kunden, Mitarbeiter, Prozesse) ab, dabei werden spezifische Kennzahlen für die Kommunikationsevaluation definiert. 74 Vgl. Bruhn 2011, S. 197. 75 Vgl. Bruhn 2009, S. 428. 76 In Anlehnung an Bruhn 2009, S. 106. 77 Vgl. Bruhn 2009, S. 108.

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denken müssen abgebaut werden zugunsten von Kooperation, Koordination und dem Grundverständnis darüber, dass Information und Kommunikation kein Machtfaktor sind, sondern „teilbares Gut“.⁷⁸ Barrieren der Integrierten Kommunikation sieht Bruhn im inhaltlich-konzeptionellen, im organisatorisch-strukturellen sowie im personell-kulturellen Bereich: – Im inhaltlich-konzeptionellen Bereich sei insbesondere eine Erfolgskontrolle problematisch, wie auch die Verbindung einzelner Instrumente, aber auch die Zielgruppenerfassung weise noch Lücken auf, oder es fehle an einer Zielformulierung „per se“ und das Konzept sei mangelhaft. – Organisatorisch-strukturelle Defizite sieht er in den oft unzureichenden Abstimmungs- und Entscheidungsregeln oder dem Mangel an notwendigen Daten. Auch gäbe es Probleme in der Verankerung der Integrierten Kommunikation auf Führungsebene, es fehle an verantwortlichen Personen oder Instanzen / Zuständigkeiten. – Bei den personell-kulturellen Aspekten innerhalb des Unternehmens führe oft ein zu starres Abteilungsdenken zum „Not-invented-here-Phänomen“⁷⁹. Konzepte könnten so nicht durchgängig umgesetzt werden. Es fehle an einer Einbeziehung von Mitarbeitern in Entscheidungen zur Integrierten Kommunikation. Zudem sehen Mitarbeiter oftmals nicht die Notwendigkeit zur Integrierten Kommunikation. Dazu käme Informationsüberlastung, mangelnde Vorbildfunktion der Vorgesetzten und mangelnde Abstimmungsbereitschaft für Maßnahmen.⁸⁰ Piehler sieht ein weiteres Problem im fehlenden Verständnis von (allgemeiner) Markenführung und interner Markenführung bei den Mitarbeitern. Es gäbe immer noch unzureichende Kenntnis über Markenmanagement.⁸¹ Bruhn gelangt zu dem Schluss, dass der notwendige Integrationsgedanke, der bei Umsetzung der Integrierten Kommunikation auch auf organisatorische Fragen eingehen muss, aufgrund der vielfältigen Barrieren durch die Aufbau- und Ablauforganisation eher gehemmt wird. Um den Integrationsgedanken am besten im Unternehmen durchsetzen zu können, sei eine gezielte Prozessorientierung als organisatorische Gestaltung vielversprechend:

78 Vgl. Bruhn 2009, S. 427. 79 Phänomen des Gruppendenkens: Schutzmechanismus zum Aufrechterhalten eingespielter Prozesse. Ursprung: Innovationsmanagement. Innovationen aus dem Umfeld haben generell eine geringere Bedeutung als eigene Innovationen. 80 Vgl. Bruhn 2009, S. 97. 81 Vgl. Piehler, S. 552.

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Als organisatorisches Idealkonzept wird die Schaffung einer Projektorganisation mit interdisziplinären Teams und einem Lenkungsgremium vorgeschlagen (sogenannte „crossfunktionale Teams“).⁸²

4 Fazit Durch eine konsequente Markenkommunikation wird erreicht, dass das Unternehmen mit seinem Angebot wahrgenommen wird, zentrale Kompetenzen deutlich herausgestellt werden, der Bekanntheitsgrad steigt und langfristig Vertrauen aufgebaut wird. Dabei muss bei der Markenkommunikation strategisch vorgegangen werden, um gesetzte Kommunikationsziele effizient und effektiv zu erreichen. Auf Basis eines Gesamtkonzepts müssen sämtliche Kommunikationsmaßnahmen systematisch verknüpft sowie inhaltlich und formal aufeinander abgestimmt werden, um die Bibliothek als Marke sowie ihre Produkte bei den Kunden verankern zu können.

Literaturverzeichnis Beke-Bramkamp, Ralf; Hackeschmidt, Jörg: Erfolgsfaktor Öffentlichkeitsarbeit – warum sich die Kommunikationsaufgaben von Unternehmen und Non-Profit-Organisationen nicht unterscheiden. In: Langen, Claudia (Hrsg.): Zielgruppe Gesellschaft: Kommunikationsstrategien für Non-Profit-Organisationen. Gütersloh: Verl. Bertelsmann-Stiftung, 2001, S. 53 – 62 Besson, Nanette Aimée: Strategische PR-Evaluation: Erfassung, Bewertung und Kontrolle von Öffentlichkeitsarbeit. 3., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss., 2008 Bruhn, Manfred: Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation: strategische Planung und operative Umsetzung. 5., überarb. u. akt. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2009 Bruhn, Manfred: Unternehmens- und Marketingkommunikation: Handbuch für ein integriertes Kommunikationsmanagement. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. München: Vahlen, 2011 Bruhn, Manfred: Marketing für Non-Profit-Organisationen: Grundlagen – Konzepte – Instrumente. 2., akt. u. überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, 2012 Conta Gromberg, Ehrenfried: Handbuch Sozialmarketing: Strategie, Praxis, Trends – durch zielgerichtete Kommunikation zum Erfolg. Berlin: Cornelsen, 2006 Die effektive Bibliothek: Endbericht des Projekts „Anwendung und Erprobung einer Marketingkonzeption für Öffentliche Bibliotheken“. Borchardt, Peter (Red.). Bd. 1. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1992 Langen, Claudia; Albrecht, Werner: Zentrale Ergebnisse – übertragbare Lösungen. In: Langen, Claudia (Hrsg.): Zielgruppe: Gesellschaft. Bertelsmann, 2001, S. 285 – 302 Meffert, Heribert; Burmann, Christoph; Kirchgeorg, Manfred: Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung: Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele. 10. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 2008

82 Bruhn 2009, S. 427.

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Mumenthaler, Rudolf (2011a): Library Marketing 2.0: experiences of the ETH-Bibliothek with social media. In: Dinesh Gupta u.a. (Hrsg.): Marketing Libraries in a Web 2.0 World. Berlin u.a.: De Gruyter Saur, 2011, S. 125 – 133 Mumenthaler, Rudolf (2011b): Social Media in der ETH-Bibliothek. Vortrag am 19. Mai 2011 im Rahmen der AG Informationskompetenz. http: // www.slideshare.net / ruedi.mumenthaler / social-media-in-der-ethbibliothek (Abruf: 29.01.2012) Perrey, Jesko; Meyer, Thomas: Megamacht Marke: Erfolg messen, machen, managen. 3., akt. u. erw. Aufl. München. Redline, 2011 Piehler, Rico: Interne Markenführung: Theoretisches Konzept und fallstudienbasierte Evidenz. Wiesbaden: Gabler, 2011 Sargeant, Adrian: Marketing Management for Nonprofit Organizations, 3. Aufl. Oxford u.a.: Oxford Univ. Press, 2009 Scheuch, Fritz: Marketing für NPOs. In: Handbuch der Non-Profit-Organisation: Strukturen und Management. 4., überarb. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2007, S. 258 – 273 ZBW: Social Media Guidelines. Kiel, Hamburg, 2011. http: // www.zbw.eu / docs / social_media_guidelines.pdf (Abruf: 21.01.2012)

Ralf Drechsler

Die Bibliothek in der finanziellen Krise: Handlungsempfehlungen für erfolgreiche Krisenkommunikation 1 Bibliotheken in finanziellen Notlagen Der „Bericht zur Lage der Bibliotheken 2010“ des Deutschen Bibliotheksverbandes dokumentiert die dramatische Unterfinanzierung von Öffentlichen Bibliotheken.¹ Neben anderen griff auch die taz das Thema im November 2010 auf und beschrieb, dass aus Mangel an finanziellen Mitteln für Öffentliche Bibliotheken der lange Leidensweg aus Kürzungen und Einfrieren des Medienetats nicht selten zur Schließung führt.² Zahlreiche Bibliotheken befinden sich bereits in einer existenzbedrohenden Situation, also einer Krise. Dass es sich lohnt, für das Weiterbestehen von Bibliotheken zu kämpfen, machte der Alt-Bundespräsident Horst Köhler in seiner Festrede anlässlich der Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar im Oktober 2007 deutlich: Die deutschen Bibliotheken – und zwar alle, von der hoch spezialisierten Forschungsbibliothek bis zur kleinen Stadtteilbibliothek – sind ein unverzichtbares Fundament in unserer Wissensund Informationsgesellschaft. Die Öffentlichen Bibliotheken sind weder ein Luxus, auf den wir verzichten könnten, noch eine Last, die wir aus der Vergangenheit mitschleppen: Sie sind ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.³

Die Untersuchungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestags führten darüber hinaus zu der konkreten Empfehlung, aufgrund der wichtigen Aufgaben von Bibliotheken die Existenzsicherung durch ein Bibliotheksgesetz oder einen länderübergreifenden Staatsvertrag zu regeln.⁴ Aufgrund der aktuellen Haushaltslage darf jedoch unterstellt werden, dass dieser Empfehlung kurz- bis mittelfristig nicht entsprochen werden wird.

1 2 3 4

Vgl. dbv 2010a, S. 2. Vgl. taz.de 2010. Köhler 2007. Vgl. dbv 2010b.

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Dieser Beitrag soll mit Handlungsempfehlungen zur Krisen-PR⁵ bzw. Krisenkommunikation für Bibliotheken den Verantwortlichen eine Unterstützung geben, um selbst Krisenprävention und Krisenbekämpfung zu betreiben, wenn sie in eine finanzielle Notlage geraten. Er komprimiert die Ergebnisse einer im Juli 2010 als Bachelorarbeit unter dem Titel „Krisen-PR für Bibliotheken in finanziellen Notlagen: Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation Öffentlicher Bibliotheken“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg durchgeführten Untersuchung.⁶

2 Die Untersuchung Die oben beschriebene Problematik, in der sich Öffentliche Bibliotheken befinden, aber auch die Notwendigkeit, sie nachhaltig zu schützen, macht die Entwicklung von Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation von Öffentlichen Bibliotheken in finanziellen Krisen notwendig. Neben der inhaltlichen Auswertung der Grundlagenliteratur zum Thema Krisenmanagement und Krisenkommunikation wurde das Krisenmanagement von Unternehmen in einer ihre Existenz bedrohenden Lage analysiert, da es im Bibliotheksbereich keine dokumentierten Vorgehensweisen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung gibt. Bereits die theoretischen Grundlagen zur Krisenbewältigung ließen zudem schnell erkennen, dass regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit in ruhigen Zeiten eine der wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiche Krisenkommunikation ist. Aus diesem Grund wurden Artikel zur Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken ausgewertet. Die Auswertung diente dazu, die Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit im Bibliothekswesen abzubilden und so Rückschlüsse auf den heutigen Stellenwert dieses Tätigkeitsfeldes ziehen zu können. Damit die Handlungsempfehlungen praxisrelevant sind, wurden außerdem Fachleute im Rahmen von Experteninterviews zum Thema befragt. Der vorliegende Beitrag gibt zu Anfang einen kurzen Einblick in die Ergebnisse der unterschiedlichen Teiluntersuchungen, um sich anschließend ausführlich den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Krisenkommunikation von Öffentlichen Bibliotheken in finanziellen Krisen zu widmen.

5 Public Relations (Abk. PR): Öffentlichkeitsarbeit, Bemühung um Einfluss und Vertrauen in der Öffentlichkeit seitens Einzelpersonen, Behörden, Parteien u.a. (vgl. Brockhaus 2004, S. 129). 6 Siehe auch Drechsler 2011.

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3 Die Krise Der Begriff Krise leitet sich vom griechischen Begriff „krisis“ ab und bezeichnet ursprünglich den Bruch in einer bis dahin kontinuierlichen Entwicklung.⁷ Heute bezeichnet eine Krise eine gefährliche, die Existenz bedrohende Situation und die Wende oder den Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung.⁸

3.1 Krisenphasen Köhler fasst die Erkenntnisse über Krisenphasen aus der betriebswirtschaftlichen Literatur wie folgt zusammen: Krisen sind Prozesse und vollziehen sich daher in mehreren Phasen. In der betriebswirtschaftlichen Literatur bedient man sich der modellhaften Darstellung von Krisenphasen. Das, laut Köhler, in der Literatur am meisten verbreitete Ablaufschema beinhaltet die vier Phasen potenzielle, latente, akute und nachkritische Krisenphase, die wie folgt beschrieben werden können:⁹

3.1.1 Potenzielle Krisenphase In dieser Phase mangelt es an Krisensymptomen, daher ist eine Krise noch nicht gegeben, aber möglich. Es wird auch von „Normalzustand“ gesprochen. Es gibt lediglich schwache potenzielle Krisensignale, die kaum wahrnehmbar sind. Die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter müssen in dieser Phase dafür sensibilisiert werden, potenzielle Krisenherde zu erkennen.

3.1.2 Latente Krisenphase Sobald die Signale der Krise erfassbar sind, ist von einer latenten Krise die Rede. Eine Gefährdung ist bereits gegeben, doch wird diese intern häufig nicht erkannt. Dies wäre jedoch von großer Bedeutung, da in dieser Phase noch die Möglichkeit besteht, im Rahmen der jeweiligen Handlungsspielräume steuernd einzugreifen, ohne dass eine Organisation gezwungen ist, unter Zeitdruck zu handeln oder zu entscheiden. Es ist ggf. sogar möglich, den Krisenausbruch durch die Anwendung von Krisenpräventionsmaßnahmen zu verhindern. Werden die Krisensignale überhört bzw. wird nicht darauf reagiert, verschlechtert sich die Situation.

7 Vgl. Herbst 2003, S. 331; Ditges, Höbel, Hofmann 2008, S. 12. 8 Vgl. BMI 2008, S. 8. 9 Vgl. Köhler 2006, S. 25 ff.

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3.1.3 Akute Krisenphase Die Krise wird in dieser Phase unternehmensintern und -extern wahrgenommen. Der Eintritt in diese Phase kann darin begründet sein, dass Präventionsmaßnahmen der latenten Phase nicht oder nur bedingt erfolgreich waren, oder auch darin, dass die Phase schneller eintritt als erwartet. Im Rahmen eines eingeengten Handlungsspielraums und unter Zugzwang kommt es zur Anwendung von Strategien zur Krisenbewältigung. In der akuten Phase entscheidet sich, ob das Unternehmen die Krise überwindet oder daran scheitert.

3.1.4 Nachkritische Krisenphase Auf dem Weg zu einer neuen Stabilität muss sich das Unternehmen in dieser Phase vor allem der Analyse der Krise widmen, um Krisenpräventions- und -bewältigungsmaßnahmen zu optimieren. Öffentliche Bibliotheken sollten daher schon in der latenten Krisenphase, also in der Phase, in der erste Krisensignale auszumachen sind, an eine kontinuierliche Dokumentation der Ereignisse und Entscheidungen denken, um später Analysen auf einer fundierten Informationsbasis durchführen zu können. Vorausgesetzt man verfügt über die entsprechenden Ressourcen, ist es sinnvoll, einen eigenen Mitarbeiter zur Dokumentation abzustellen. Die Durchführung der nachträglichen Analyse hilft, zukünftigen Krisensituationen mit Sachverstand und nicht mit Aktionismus zu begegnen, und sorgt somit für Entscheidungen, die schneller und nachhaltiger zur Krisenabwehr führen. Sie kann daher auch bereits als erster Baustein der Krisenprävention betrachtet werden.

3.2 Krisenbewältigung Die Praxis zeigt und die Literatur belegt es, dass Krisen erfolgreich bewältigt werden können, wenn sich die jeweils betroffene Institution spezieller, auf Krisensituationen zugeschnittener Management- und Kommunikationsmaßnahmen bedient.¹⁰ Krisenmanagement wird dabei als Instrument betrachtet, das bereits vor der akuten Krisenphase eingreift. Ziel ist es, eine Krise zu verhindern oder sich so gut wie möglich auf sie vorzubereiten, um die Krise so noch aktiv steuern zu können. Damit wird deutlich, dass es sich beim Krisenmanagement um eine Führungsaufgabe handelt, die sämtliche Organisationsbereiche einer Institution umfasst. Wichtig ist dabei, dass sich alle Bereiche abstimmen, wobei der Bereich Krisenkommunikation einer der wichtigsten

10 Vgl. BMI 2008; Krystek 1987; Krystek, Moldenhauer 2007; Töpfer 1999.

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ist, weil er die Aufgabe hat, die Stakeholder über Bedrohungen und Auswirkungen der Krise zu informieren.¹¹

3.3 Krisenkommunikation Die Krisenkommunikation umfasst alle Kommunikationsanstrengungen nach Eintritt eines Schadens und beinhaltet kommunikative Strategien und Maßnahmen, die dazu dienen, negative Konsequenzen wie Vertrauensverlust oder Imageeinbußen durch Krisen zu verhindern. Damit umfasst Krisenkommunikation alle praktischen kommunikativen Gegenmaßnahmen zur Abwendung, Schwächung und Beilegung bereits existierender Krisen.¹² Werden dem Begriff der Krisenkommunikation die Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit beigemessen, so werden auch die Adressaten der Krisenkommunikation deutlicher. Dabei handelt es sich u.a. um Interessengruppen, Mitarbeiter, Anrainer, Bürger oder politische Gruppierungen, also letztendlich alle Stakeholder. Eine Krise stört die Beziehung zu allen Umfeldgruppen und fordert daher ein hohes Identifikationspotenzial der Handelnden mit der jeweiligen Organisation, um die Adressaten mit den gewünschten Informationen versorgen zu können.¹³ Besonders hervorzuheben ist, dass ein Unternehmen in einer Krise sofort kommunizieren sollte, auch wenn die Information mit dem geforderten Informationsgehalt und Niveau noch nicht vorliegt. Inhalte der Krisenkommunikation müssen so ausgerichtet und gestaltet werden, dass die Botschaften unter den Empfängern Vertrauen gegenüber der Einrichtung schaffen.

4 Öffentlichkeitsarbeit als Voraussetzung für erfolgreiche Krisenkommunikation Grundlage für eine erfolgreiche Krisenkommunikation ist die regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit in ruhigen Zeiten. Diese Erkenntnis liegt der Aussage des Krisenkommunikationsforschers Hartwin Möhrle zugrunde, der feststellte, dass zur inhaltlichen Vorbereitung der Krisenkommunikation präventive Kommunikation gehört, die u.a. hilft, Themen mit Krisenpotenzial im alltäglichen, öffentlichen Handeln zu erkennen. Präventive Krisenkommunikation entfaltet ihre Wirkung daher nur, wenn sie als Teil täglicher professioneller Öffentlichkeitsarbeit angesehen wird.¹⁴ Für eine regel-

11 12 13 14

Vgl. Herbst 2003, S. 334; Ditges, Höbel, Hofmann 2008, S. 237. Vgl. BMI 2008, S. 14; Ditges, Höbel, Hofmann 2008, S. 45 f., 236. Vgl. Ditges, Höbel, Hofmann 2008, S. 45 f., 236. Vgl. Möhrle 2007, S. 17.

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mäßige Öffentlichkeitsarbeit als Krisenkommunikationsmaßnahme spricht darüber hinaus, dass erfolgreiche Krisen-PR zum einen die Positionierung von Kommunikation als Managementfunktion mit weitreichenden Handlungs- und Entscheidungsspielräumen innerhalb eines Unternehmens erfordert und dass zum anderen Akteure der Öffentlichkeitsarbeit über eine adäquate Qualifikation verfügen sollten.¹⁵ Um erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit in der Krise betreiben zu können, sollten Bibliotheken also über fest in die Organisation eingebundene PR-Stellen verfügen, die von Mitarbeitern bekleidet werden, die entsprechendes Know-how besitzen. Zur Untersuchung, ob und inwieweit die genannten Voraussetzungen für Bibliotheken derzeit gegeben sind, wurde die bibliothekarische Fachpresse ab den 1990er Jahren als Branchenspiegel für eine kurze Beurteilung über die Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit im Bibliothekswesen herangezogen. Die Analyse ergab, dass Öffentlichkeitsarbeit sowohl in wissenschaftlichen als auch in Öffentlichen Bibliotheken seit längerer Zeit eher sporadisch thematisiert wird. Dabei stehen einer hohen Anzahl von Empfehlungen, Veranstaltungshinweisen und negativen Beispielen nur wenige Berichte über erfolgreiche Marketingmaßnahmen und damit verbundene erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit gegenüber. Dies zeigt u.a. die Medienresonanzanalyse von Martin Götz aus dem Jahr 2000.¹⁶ Neuere Untersuchungen zu diesem Thema liegen nicht vor. Auch dadurch wird deutlich, wie wenig Relevanz der Öffentlichkeitsarbeit im Bibliotheksbereich beigemessen wird. Des Weiteren wurde beobachtet, dass die Diskussion und Berichterstattung über Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken in der bibliothekarischen Fachpresse stark abnimmt. Diese Informationen lassen den Schluss zu, dass dieser Bereich in Bibliotheken noch immer eine untergeordnete Rolle spielt und sich inhaltlich wenig weiterentwickelt hat.

5 Praxisbeispiele der Krisenbewältigung aus der Privatwirtschaft Da im Bibliotheksbereich bisher keine Vorbilder für erfolgreiche Krisenkommunikation dokumentiert wurden, erscheint eine Betrachtung von Fallbeispielen erfolgreicher Krisen-PR aus der Privatwirtschaft sinnvoll. Um die daraus abzuleitenden Handlungsempfehlungen so praxisnah wie möglich zu gestalten, wurden Best-Practice-Beispiele ausgewählt. Die im Folgenden beschriebenen Krisen und die von den betroffenen Unternehmen ergriffenen Maßnahmen wurden untersucht und die Ergebnisse flossen in die Handlungsempfehlungen ein.

15 Vgl. Köhler 2006, S. 123. 16 Vgl. Götz 2000.

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5.1 Krisenprävention 5.1.1 ING-DiBa AG (Allgemeine Präventionsmaßnahmen) Als eine der größten Direktbanken in Deutschland setzt die Unternehmenskommunikation der ING-DiBa AG einen Schwerpunkt auf die frühzeitige Identifikation von potenziellen Risiken. Folgende Maßnahmen werden zur Vermeidung von Krisen ergriffen: ¹⁷ – Intensive Kontaktpflege mit Kunden, Medien und Verbraucherschützern. – Pflege des internen Austauschs zwischen Beschwerdemanagement und Unternehmenskommunikation. – Förderung u.a. eines Journalistenpreises als Dialogplattform mit den Medien. – Austausch mit Stakeholdern bildet ein Krisen-Frühwarnsystem. – Bewusstsein, dass Präventionsmaßnahmen speziell zugeschnittene Reaktionen in der Krise nicht ersetzen.

5.1.2 TUI AG (Tsunami-Unglück in Thailand 2004) Die umfassenden Maßnahmen der Krisenprävention der TUI AG machten das Unternehmen nach dem Tsunami-Unglück in Thailand im Jahr 2004 umgehend handlungsfähig. Zu den wichtigsten Maßnahmen und Einrichtungen gehören dabei:¹⁸ – Sensibilisierung der Mitarbeiter für potenzielle Risiken, z.B. Unfallpotenziale in Hotelanlagen erkennen. – Im sogenannten „Operation Center“ laufen 24 Stunden am Tag Informationen (politische Lage, Wetter, Vorfälle aus Hotelanlagen etc.) aus der ganzen Welt ein und werden ausgewertet. – Es existiert ein selbst entwickeltes Ampelverfahren, um Risiken einzustufen. – Ein ständig aktualisiertes Krisenhandbuch enthält alle wichtigen Informationen wie z.B. Kontaktdaten verantwortlicher Personen, Verhaltensregeln sowie Kommunikationswege. Aufgrund einer guten Informationsbasis und klarer Handlungsstrategien konnte die TUI AG Touristen so bereits nach kurzer Zeit aus dem betroffenen Gebiet ausfliegen sowie Angehörige und die Presse über deren Zustand informieren.

17 Vgl. Ott 2007, S. 106 ff. Ulrich Ott ist Leiter der Unternehmenskommunikation und Pressesprecher der ING-DiBa AG in Frankfurt am Main. 18 Vgl. Dreyer, Rütt 2008, S. 57 ff.

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5.2 Akute Krisenphase und nachkritische Krisenphase 5.2.1 Daimler AG (Umkippen von Fahrzeugen der Mercedes A-Klasse 1997) Im Oktober 1997 kippten Fahrzeuge der gerade in den Markt eingeführten Mercedes A-Klasse aus der Produktion des Automobilherstellers Daimler AG (damals noch Daimler-Benz AG) bei einer Testfahrt um. Die Daimler AG leugnete und negierte den Vorfall zunächst und reagierte aufgrund fehlender Präventionsmaßnahmen innerhalb der akuten Krisenphase unangemessen. Folgende Lehren wurden aus der Krise gezogen und entsprechende Maßnahmen ergriffen:¹⁹ – Krisenprävention und Krisenfrüherkennung sind nach der überstandenen Krise ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskommunikation. – Auch wenn noch keine gesicherten Informationen vorliegen, sollten sofort nach Kriseneintritt Botschaften in die Öffentlichkeit kommuniziert werden, z.B. welche Schritte als Erstes zur Lösung des Problems eingeleitet werden. – Pressesprecher sollten kommunikativ geschult werden, um klare Botschaften, z.B. ohne „Buzz-Words“ (Schlagwörter), zu senden. – Kommunikation in der Krise muss ehrlich, transparent und selbstkritisch sein, um das Vertrauen der Interessengruppen zu halten oder zurückzugewinnen.

5.2.2 Flughafen Düsseldorf (Brandunglück 1996) Nach einem Brandunglück im Flughafen Düsseldorf im Jahr 1996 dauerte die Ursachenforschung so lange, dass das Unternehmen nicht schnell genug mit gesicherten Fakten an die Öffentlichkeit herantreten konnte. Die Presse sprach – statt mit dem Unternehmen – mit Augenzeugen, Betroffenen, Einsatzkräften, Experten und solchen Personen, die sich für Experten hielten. Somit war ein hervorragender Nährboden für Gerüchte und Spekulationen bereitet, die das Image des Flughafens stark beschädigten. Daher wurden u.a. folgende Maßnahmen ergriffen, um die Krise erfolgreich zu überstehen und nachhaltig Krisen abzuwehren:²⁰ – Anbindung der Unternehmenskommunikation direkt an die Top-ManagementEbene und ein integriertes Krisenkommunikationsmanagement. – Die Unternehmenskommunikation wird in alle relevanten Management- und Informationsprozesse eingebunden.

19 Vgl. Töpfer 1999. Prof. Dr. Armin Töpfer ist Leiter des Lehrstuhls für Marktorientierte Unternehmensführung der Technischen Universität Dresden sowie der Forschungsgruppe Management + Marketing in Kassel. Vgl. auch Puttenat 2009, S. 71 ff. Daniela Puttenat ist Leiterin Unternehmenskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der REpower Systems AG. 20 Vgl. Hiermann 2008, S. 29.

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Identifikation und Früherkennung von Risiken. One-Voice-Policy. Definition von Verantwortlichkeiten (Krisenstab), Eskalationsstufen, Meldewegen und Reaktionszeiten. Schaffung eines Krisenkommunikationskonzepts inklusive Aktualisierungs- und Kontrollmechanismen sowie der dafür notwendigen Voraussetzungen. Einsatz einer speziellen Software für effektives Issues Management²¹. Ständige Analyse von Krisenfällen für die eigene Krisenprävention. Auflösung von Alltagsstrukturen für die Krisenkommunikation. Regelmäßige Krisentrainings. Sensibilisierung für Krisen und Schaffung eines Krisenbewusstseins.

5.2.3 Humana GmbH (Lebensmittelskandal 2003) Die Humana GmbH geriet im Jahr 2003 in eine existenziell bedrohliche Krise, da eine von ihr hergestellte Sojanahrung für Säuglinge zu wenig Vitamin B1 enthielt. Vitamin B1 ist in den ersten Säuglingsmonaten lebenswichtig. Dank eines guten Managements und einer guten Kommunikation konnte Humana die Krise überstehen. Dabei waren folgende Punkte wichtig:²² – Offener Umgang mit mangelndem Krisen-Know-how durch Beauftragung externer Krisenprofis. – Strategie der schonungslosen und offenen Aufklärung. – Berechtigung der externen Krisenprofis, für das Unternehmen zu sprechen. – Schnelle Informationen über Maßnahmen und Ergebnisse an die Presse. – Schnelle und qualifizierte Beantwortung aller Presseanfragen. – Regelmäßige Informationen an Mitarbeiter und Geschäftspartner. – Beratung des Krisenstabs durch die Fachabteilungen im In- und Ausland. – Website und Hotline als Informationsquelle für Interessierte und Betroffene. – Unterrichtung der Anspruchsgruppen über Konsequenzen, die aus der Krise gezogen werden.

21 Issues Management = Themenmanagement. „Issues Management ist ein systematischer Managementprozess, der durch koordiniertes Zusammenwirken von Planungs- und Kommunikationsfunktionen einer Organisation strategische Issues in derem internen und externen Umfeld lokalisiert und deren Entscheidung über diese Issues in einer den Zielen der Organisation zuträglichen sowie dem gewünschten Verhältnis zu ihren Teilöffentlichkeiten adäquaten Weise aktiv zu beeinflussen sucht.“ (Lütges, zit. n. Baudenbacher 2009, S. 10). 22 Vgl. Ahrens, Möhrle 2007, S. 48 ff.

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Einsatz vielfältiger Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit wie Pressekonferenzen und -mitteilungen, Online-Fragen-und-Antwortenkatalog, direkter Brief und Anzeigen in Tageszeitungen. Aufarbeitung der juristischen und wirtschaftlichen Folgen der Krise.

5.2.4 Philipp Holzmann AG (Finanzkrise 1999) Dr. Heinrich Binder übernahm 1997 das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Philipp Holzmann AG von Lothar Mayer, der ihm rund 3,2 Milliarden D-Mark Schulden hinterließ. Eine Sanierung gelang u.a. deshalb nicht, weil er in der Außendarstellung die Themenhoheit – also die Bestimmung von Themen, über die Bericht erstattet wird – nicht innerhalb des Unternehmens halten konnte. Nach einer Analyse durch das Institut für Krisenkommunikation zeigt der Fall der Philipp Holzmann AG folgende wichtige Aspekte, welche bei der Krisenkommunikation zu berücksichtigen sind:²³ – Identifikation von möglichen Risiken durch politisches und gesellschaftliches Monitoring. – Pflege des offenen und ehrlichen Dialogs mit den Stakeholdern, wie z.B. Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären, in „ruhigen“ Zeiten. – Medienklischees muss entgegengewirkt werden, z.B. demjenigen, dass Banken sanierungsbedürftige Unternehmen eher zerschlagen wollen und nicht an einer erfolgreichen Zusammenarbeit interessiert sind. – Erlangung der Themenhoheit durch bildliches Kommunizieren und die Weitergabe von Hintergrundinformationen. – Verfolgung der KIS-Strategie („keep it simple“): wenige, verständliche Kernbotschaften. – Verfolgung der One-Voice-Policy: Eine klare Sprecherregelung vermeidet Missverständnisse bei Journalisten und der Öffentlichkeit. – Wenn es schon ähnliche Krisensituationen in der Vergangenheit gegeben hat, sollte offen und ehrlich kommuniziert werden, was sich seitdem geändert bzw. verbessert hat, um dem Eindruck eines Seriencharakters entgegenzuwirken.

5.3 Zusammenschau der Praxisbeispiele Die aufgelisteten Beispiele wurden in der Fachliteratur detailliert dargestellt und bewertet.²⁴ Eine Vorauswahl lehrreicher Darstellungen wurde somit bereits von den Autoren und Herausgebern der entsprechenden Arbeiten vorgenommen. Die zweite

23 Vgl. Priem 2001. 24 Vgl. u.a. Möhrle 2007; Roselieb, Dreher 2008; Puttenat 2009.

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Auswahl, die durch den Autor dieses Beitrags vorgenommen wurde und zu den schließlich dargestellten Beispielen führte, beruht auf dem Ziel, eine komprimierte facettenreiche Auswahl negativer und positiver Aspekte der Krisenkommunikation abzubilden und eine Quintessenz aus jedem Beispiel zu ziehen. Die Analyse der Best-Practice-Beispiele verdeutlicht noch einmal, dass regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit und damit verbunden der strukturierte Aufbau von Kommunikationswegen in die Interessengruppen hinein die wichtigsten Bestandteile erfolgreicher Krisenprävention und -bewältigung sind. Zudem wurden in allen betrachteten Unternehmen bewährte Maßnahmen zur Krisenabwehr, wie etwa die Erstellung eines Krisenhandbuchs, ergriffen.

6 Experteninterviews Die bisher vorgestellten Maßnahmen und Strategien zur Krisenprävention, -intervention und -nachbereitung wurden mit Hilfe von zwei Experteninterviews näher beleuchtet und stärker in Bezug zu Öffentlichen Bibliotheken gesetzt. Die Möglichkeiten von Krisenkommunikationsstrategien in der bibliothekarischen Praxis sollten zudem überprüft werden. Ziel der Experteninterviews war es, Impulse von Praktikern aus dem Bibliotheksbereich und dem Bereich Krisenkommunikation aufzunehmen und für die aufzustellenden Handlungsempfehlungen auszuwerten. Dabei wurden die Experten gebeten, die aktuelle finanzielle Situation Öffentlicher Bibliotheken einzuschätzen und Krisenkommunikation als Instrument gegen finanzielle Notlagen zu bewerten. Zudem wurden sie zur gegenwärtigen Praxis von Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken befragt.²⁵ Exkurs: Vorstellung der befragten Experten Harald Pilzer, Experte für den Bibliotheksbereich Harald Pilzer ist Leiter der Stadtbibliothek Bielefeld und stellvertretender Vorsitzender des „Verbandes der Bibliotheken des Landes Nordrhein Westfalen e.V. – vbnw“. Er gilt als Finanzexperte im Bereich der Öffentlichen Bibliotheken.²⁶ Die Arbeit als Bibliotheksdirektor und als Vorstandsmitglied des vbnw verschafft Harald Pilzer einen Gesamtüberblick über die bibliothekarische Praxis in NordrheinWestfalen, aber auch deutschlandweit. Das befähigt ihn dazu, auch zum Thema Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken Stellung zu nehmen.

25 Vgl. Drechsler 2011. 26 Vgl. dbv 2010c.

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Hartwin Möhrle, Experte auf dem Gebiet Krisenkommunikation Hartwin Möhrle studierte Pädagogik, Germanistik und Musik und war als freier Journalist tätig. Von 1990 bis 1993 war er Chefredakteur des „Journal Frankfurt“. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsagentur A&B One mit Sitz in Frankfurt am Main, die im April 2010 als PR-Agentur des Jahres ausgezeichnet wurde.²⁷ Außerdem ist er Gastdozent am Schweizerischen PR-Institut sowie an der Frankfurt School of Finance & Management. Die Arbeitsschwerpunkte von Harald Möhrle liegen in den Bereichen Unternehmenskommunikation, Krisen- und Risikokommunikation,²⁸ Issues Management und Compliance²⁹. Er veröffentlicht kontinuierlich zu Themen der Kommunikationsbranche.³⁰ Im Bereich der Krisenkommunikation veröffentlichte er das Handbuch „KrisenPR: Krisen erkennen, meistern und vorbeugen – ein Handbuch von Profis für Profis“.³¹ Die Ergebnisse der Experteninterviews sind in die Handlungsempfehlungen, die im folgenden Abschnitt erläutert werden, eingeflossen. An den entsprechenden Stellen erfolgt ein Verweis auf die Aussagen der Experten in den Interviews.

7 Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation in Öffentlichen Bibliotheken in finanziellen Notlagen Die Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation in Öffentlichen Bibliotheken beruhen auf den Erkenntnissen aus den theoretischen Grundlagen des Krisenmanagements und der Krisen-PR, der Entwicklung und des Status quo der Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken sowie der Praxisbeispiele und der Experteninterviews. Das Augenmerk dieser Empfehlungen liegt darauf, die wesentlichen Punkte der Krisenkommunikation kurz und verständlich darzustellen. Die Relevanzbeurteilung wurde durch den Autor aufgrund der oben aufgeführten Voranalysen durchgeführt.

27 Vgl. PR REPORT 2010. 28 Risikomanagement = Risikomessung und Steuerung aller Risiken. Risiko = potenzieller Vermögensverlust / Schaden ohne Gegenüberstellung möglicher Gewinne / Erträge (vgl. Wolke 2008, S. 3). 29 „Compliance bezeichnet alle zumutbaren Maßnahmen, die das regelkonforme Verhalten eines Unternehmens, seiner Leitungs- und Aufsichtsorgane sowie seiner Organisationsmitglieder im Hinblick auf alle gesetzlichen Ge- und Verbote begründen. Corporate Compliance kann – muss aber nicht – als ein Teil der ordnungsgemäßen Unternehmensführung (Corporate Governance) gesehen werden.“ (Jäger, Rödl, Campos Nave 2009, S. 57). 30 Vgl. A&B One 2010. 31 Vgl. Möhrle 2007.

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Das Kapitel gliedert sich in zwei Teile. In einem ersten Teil werden zur schnellen Übersicht alle Empfehlungen in Form einer Liste dargestellt. Der zweite Teil greift die Nummerierung der Liste wieder auf und enthält Erläuterungen zu den einzelnen Empfehlungen.

7.1 Übersicht 1. 2. 3.

Regelmäßige strategische Öffentlichkeitsarbeit als Voraussetzung für erfolgreiche Krisen-PR in Öffentlichen Bibliotheken Sensibilisierung der Mitarbeiter für Krisen durch Festlegung von Krisen- und Risikosignalen Erstellung eines Krisenhandbuchs zur kommunikativen und organisatorischen Vorbereitung auf eine Krise a) Festlegung der Kommunikationsstrategie b) Herausarbeitung der Empfänger der Krisenkommunikation c) Definition des Instrumentariums der Krisenkommunikation d) Mögliche Inhalte der Krisenkommunikation festlegen e) Personelle Ressourcen planen und Verantwortlichkeiten festlegen f) Räumliche und technische Organisation für den Krisenfall planen g) Einigung zur Dokumentation der Krise zur späteren Analyse

7.2 Die Handlungsempfehlungen im Einzelnen 7.2.1 Regelmäßige strategische Öffentlichkeitsarbeit als Voraussetzung für erfolgreiche Krisen-PR in Öffentlichen Bibliotheken Die Experteninterviews ergaben, dass Öffentliche Bibliotheken bisher nicht bzw. kaum die Voraussetzungen mitbringen, in einer Krise erfolgreich zu kommunizieren. Dies liegt laut Möhrle hauptsächlich daran, dass es als Folge fehlender Leistungsversprechen und Kernbotschaften gegenüber den Nutzern und der Bevölkerung keine regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit gibt. Auch Pilzer bemängelt die fehlende professionelle Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheken. Er bewertet es als „Katastrophe“, dass Öffentlichkeitsarbeit in den meisten Öffentlichen Bibliotheken mit maximal einer halben Stelle betrieben wird. Unterstrichen werden die Expertenaussagen durch die Analyse der Berichterstattung über Öffentlichkeitsarbeit in Bibliotheksfachzeitschriften. Diese zeigt, dass das Thema in Bibliotheken eher sporadisch behandelt wird und bisher nicht als etabliertes strategisches Marketinginstrument gilt. Öffentlichkeitsarbeit trägt einen entscheidenden Anteil dazu bei, die Wahrnehmung einer Marke oder einer Organisation zu beeinflussen. Sie will dabei ein posi-

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tives Image generieren.³² Deshalb sollte sie in Abhängigkeit einer Markenbotschaft erfolgen. Auch in einer Untersuchung der Öffentlichkeitsarbeit für Non-Profit-Organisationen, zu denen Öffentliche Bibliotheken zählen, wird empfohlen, sich vor Ort als unverkennbare Marke zu etablieren.³³ Daher sollten Bibliotheken Bibliotheksmarken entwickeln, die das Leistungsversprechen in eingängigen Botschaften kommunizieren. Ziel dieser Markenkommunikation ist es, das Image der Bibliothek zu steigern und diese als unverzichtbare Einrichtung in der Kultur- und Bildungslandschaft zu positionieren.³⁴ Um die bisher wenig berücksichtigten Leistungen der Bibliotheken in der Außenwirkung nicht nur auf Veranstaltungen zu reduzieren – so die Untersuchungsergebnisse von Götz  –,³⁵ sollte sich mindestens ein Mitarbeiter hauptberuflich oder, in kleineren Bibliotheken, ein professionell geschulter Mitarbeiter in angemessenem zeitlichen Rahmen um die Öffentlichkeitsarbeit der Bibliothek kümmern. Gemäß Möhrle müssen diese Ressourcen für die Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt werden. Auch Ansorge betont, dass Öffentlichkeitsarbeit nicht nebenbei gemacht werden sollte. Mindestens eine Person muss dafür hauptamtlich zuständig sein. Die Stelle ist bei der Leitung des Hauses anzusiedeln.³⁶ Der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit ist mit einer ganzen Stelle zwar auch in der Lage, den Rahmen von Veranstaltungen, z.B. durch Kooperationspartner, auszubauen, aber er kann vor allem auch andere Botschaften, die das Leistungsversprechen und einen Nachrichtenwert der Bibliothek beinhalten, entwickeln und so die Präsenz der Bibliothek in der Öffentlichkeit erhöhen. Öffentlichkeitsarbeit erfährt damit eine Spezialisierung und kann professionell und strategisch betrieben werden. Im Hinblick auf potenzielle, finanziell bedingte Krisen ist das Ziel von Öffentlichkeitsarbeit, die in einer Krise notwendigen Kontakte zu Multiplikatoren aufzubauen und zu pflegen. Die Multiplikatoren tragen dazu bei, die eigenen Botschaften zu verbreiten. Zudem kann Öffentlichkeitsarbeit, wenn ein Austausch mit den Empfängern integriert ist, auch das Ohr der Bibliothek in der Öffentlichkeit sein und so regelmäßig das Stimmungsbild der Bevölkerung gegenüber der Öffentlichen Bibliothek zeichnen. Bisher wurde häufig von Ressourcen für die Öffentlichkeitarbeit gesprochen, die verfügbar gemacht werden sollten. Bibliotheken befinden sich häufig in einer angespannten Haushaltslage und können daher kaum weitere Ressourcen in die Öffentlichkeitsarbeit investieren. Daher wird angeregt, alternative Ideen zu einer eigenen Stelle der Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln. Denkbar wäre beispielsweise die

32 Vgl. Puttenat 2007, S. 22. 33 Vgl. GEP 2004, S. 85. Siehe auch den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 34 Siehe den Beitrag „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch. 35 Vgl. Götz 2000. 36 Vgl. Ansorge 2005, S. 159.

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Buchung einer PR-Agentur durch mehrere Bibliotheken als Konsortium, Beteiligung der Bibliothek an der Öffentlichkeitsarbeit eines örtlichen Kulturvereins o.Ä. oder die Begeisterung von Bürgern für die Gründung eines speziellen Fördervereins „Außendarstellung der Bibliothek“, was zugleich den Gedanken des „Bürgerjournalismus“ fördern würde. Durch die Präsenz in der Bevölkerung würde so eine solide Grundlage geschaffen, auf der Krisenkommunikation im Ernstfall aufsetzen könnte. Das notwendige Wissen für Kommunikation in einer potenziellen Krise müsste dennoch zumindest teilweise innerhalb der Bibliothek aufgebaut werden.

7.2.2 Sensibilisierung der Mitarbeiter für Krisen durch Festlegung von Risiko- und Krisensignalen Mitarbeiter einer Öffentlichen Bibliothek sollten in der Lage sein, potenzielle Risikound Krisenherde zu erkennen. Das zeigen die Fallbeispiele. Auch laut Köhler ist für das Vermeiden bzw. schnelle und geordnete Reagieren auf Krisen zunächst eine Sensibilität für Krisen unter den Mitgliedern der Geschäftsleitung und den Mitarbeitern notwendig.³⁷ Ausgehend von der finanziell bedingten Krise in Öffentlichen Bibliotheken muss zunächst überlegt und analysiert werden, welche Signale eine solche Situation andeuten. Dazu zählen alle Kosten einsparenden Entscheidungen des Trägers, wie Kürzungen von Öffnungszeiten und Stellenstreichungen, aber auch Indikatoren des internen Rechnungswesens, wie ein Rückgang der Besucherzahlen oder Entleihungen. Primär geht es in diesem Beitrag zwar um finanziell bedingte Krisen, aber um den größtmöglichen Nutzen aus dem einmal angestoßenen Prozess der Auseinandersetzung mit der Krise zu ziehen, wird es als sinnvoll erachtet, auch andere mögliche Krisenursachen mit einzubeziehen und hierfür Krisenanzeichen herauszuarbeiten. Diese Maßnahme sollte von dem Krisenverantwortlichen ausgehen. In Öffentlichen Bibliotheken wird das in der Regel der Kommunikationsbeauftragte sein. Neben der Durchführung von Workshops und Befragungen der Bibliotheksmitarbeiter zu sämtlichen Themen der täglichen Arbeit, wie sie von Ditges et al.³⁸ beschrieben werden, bietet sich auch die Organisation eines Monitoring- und Frühwarnsystems zur Identifikation von Themen mit Krisenpotenzial an. Ebenso wie die Herausarbeitung der oben beschriebenen Signale zur Erkennung einer Krise kann ein solches System die Bibliothek vor möglichen Krisen warnen, indem Krisensignale der Berichterstattung der Medien  – wie Tageszeitungen, Fernsehen und Internet  – entnommen werden. Die kontinuierliche Erstellung eines Pressespiegels in „ruhigen Zeiten“ ist demnach sicher ein geeignetes und vor allem erschwingliches

37 Vgl. Köhler 2006. 38 Vgl. Ditges, Höbel, Hofmann 2008.

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Monitoring- und Frühwarninstrument für Öffentliche Bibliotheken. Je früher dadurch Krisenpotenziale erkannt und bewertet werden können, desto schneller kann eine Bibliothek kommunikativ darauf reagieren.

7.2.3 Erstellung eines Krisenhandbuchs zur kommunikativen und organisatorischen Vorbereitung auf eine Krise Der Einsatz eines Krisenhandbuchs bereitet eine Bibliothek auf eine potenzielle Krise vor, indem Vorgaben für das Verhalten in der Krise in dem Handbuch bereits festgehalten werden und damit ein schnelles Handeln nach Kriseneintritt ermöglicht wird. Nachfolgend werden daher die Empfehlungen der Maßnahmen begründet, welche in das Krisenhandbuch einer Öffentlichen Bibliothek einfließen sollten. Die Strategien und Maßnahmen dürfen dabei als weitestgehend universell, also nicht nur für den Fall einer Krise aufgrund eines finanziellen Notstands in Bibliotheken, betrachtet werden. Bei der Vorbereitung eines Krisenhandbuchs empfiehlt es sich daher, auch aus ökonomischer Sicht, weitere mögliche Krisenursachen mit in die kommunikative Vorbereitung einzubeziehen und entsprechende Erweiterungen vorzunehmen. Das Handbuch sollte in ruhigen Zeiten ausgearbeitet werden. Im Krisenhandbuch sollten u.a. die Kommunikationsstrategie, die Empfänger der Krisenkommunikation, die Verwendung des medialen Instrumentariums in der Krise, die Inhalte der Krisenkommunikation, die personellen Verantwortlichkeiten, die notwendigen räumlichen und technischen Voraussetzungen sowie die Einigung auf eine Dokumentation des Verlaufs einer Krise inklusive der getroffenen Maßnahmen zur späteren Analyse festgehalten werden. a) Festlegung der Kommunikationsstrategie Im Experteninterview legt Möhrle den Bibliotheken als kommunikatives Vorgehen in der Krise eine Zwei-Phasen-Strategie nahe. In der ersten Phase geht es darum, Zeit zu gewinnen, um überzeugende Argumente für den Erhalt der Bibliothek trotz finanzieller Engpässe zu sammeln. In Phase zwei müssen diese Argumente dann themeninduziert in die Öffentlichkeit getragen werden. Zudem sollte eine Strategie bezüglich der Art der Kommunikation entwickelt werden. Es wird empfohlen, eine ehrliche, authentische und transparente Kommunikation zu führen. Das gilt nicht nur für die Kommunikation in der Krise selbst, vielmehr ist dies oberstes Gebot von Öffentlichkeitsarbeit. Die in der zugrunde liegenden Untersuchung betrachteten Fallbeispiele privatwirtschaftlicher Unternehmen unterstreichen den Anspruch nach Offenheit und Transparenz im Umgang mit den Medien und der Öffentlichkeit. Gerade eine aus Steuern finanzierte Einrichtung wie eine Öffentliche Bibliothek sollte diesen Anspruch bereits in ihrer Öffentlichkeitsarbeit

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berücksichtigen.³⁹ Allerdings zeigen die Aussagen der beiden Experten Möhrle und Pilzer im Interview, dass im Vorfeld darüber entschieden werden muss, mit welchen Rezipienten eine öffentliche und mit welchen eine nicht öffentliche Kommunikation gepflegt wird. Laut Möhrle ist es beispielsweise eher möglich, einen Journalisten im Einzelgespräch für die Bedürfnisse der Bibliothek zu sensibilisieren, als man dies in einer klassischen Pressekonferenz könnte. Die Gespräche der nicht öffentlichen Kommunikation werden in der Regel im vertraulichen Kreis mit einem oder einer kleinen Gruppe von Ansprechpartnern geführt. b) Herausarbeitung der Empfänger der Krisenkommunikation Nach der Festlegung der Kommunikationsstrategie im Falle einer Krise muss in einem nächsten Schritt ebenfalls festgelegt werden, welche Empfänger mit der Kommunikation erreicht werden sollen. Die Grundlagenliteratur gibt Aufschluss darüber, dass Krisenkommunikation alle Gruppen, die ein Interesse an der Einrichtung haben oder entwickeln, erreichen sollte. Dazu zählen laut Ditges et al. Mitarbeiter, Anrainer, Bürger oder politische Gruppierungen.⁴⁰ Zu diesem Kreis können im Falle von Öffentlichen Bibliotheken zudem weitere Stakeholder aus Bildung und Kultur sowie Kooperationspartner hinzugezählt werden.

Abb. 1: Zielgruppen der Krisenkommunikation Öffentlicher Bibliotheken (angelehnt an BSI)⁴¹

39 Vgl. Ansorge 2005, S. 159. 40 Ditges, Höbel, Hofmann 2008. 41 Vgl. BSI 2011.

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Auch in den beiden Experteninterviews wird die Relevanz des direkten Kontakts zu Einfluss nehmenden Personen in der Bevölkerung betont. Als Beispiele werden Bürgermeister, Kulturdezernent, Vereinsmitglieder und Schulleiter, aber auch Journalisten der Lokalredaktion genannt. Dies bestätigt auch die Annahme von Ansorge, dass sich Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten knapper Kassen vermehrt zur Lobbyarbeit entwickelt.⁴² Dieser Ansatz sollte von Öffentlichen Bibliotheken daher unbedingt verfolgt werden. Multiplikatoren der eigenen Botschaft sind somit im direkten Gespräch mit den Interessengruppen, für die ein Zugang zu Information wichtig ist, bereits in der Präventionsphase zu suchen. Neben der durch die Lobbyarbeit erreichten Zielgruppe, die strategisch nicht öffentlich angesprochen werden sollte, sollte aber auch die Bevölkerung regelmäßig über die neuesten Entwicklungen über die Presse oder direkt, öffentlich angesprochen und informiert werden. Die offene Ansprache der von Ditges et al. aufgezählten und oben genannten Interessengruppen wird demnach empfohlen.⁴³ Im Rahmen der Krisenprävention können die Kontaktdaten der entsprechenden Ansprechpartner dokumentiert und gesammelt in ein Verzeichnis im Krisenhandbuch zusammengetragen werden. Zudem hilft ein solches Verzeichnis den Kommunikationsverantwortlichen der Bibliothek, den Überblick über ihre Kontakte zu wahren und aktive Kontaktpflege zu betreiben. c) Definition des Instrumentariums der Krisenkommunikation Die Öffentliche Bibliothek kann sich zur Ausführung von Krisenkommunikationsmaßnahmen aller gängigen Instrumente bzw. Kommunikationsmittel bedienen, für die Ressourcen bereitstehen. Die Empfehlung lautet daher, dass sich Bibliotheken intensiv mit den Instrumenten und Kommunikationsmitteln der Öffentlichkeitsarbeit auseinandersetzen sollten, um für die Situation passende Maßnahmen wählen zu können. Aus der Grundlagenliteratur zur Vorbereitung der Krisenkommunikation und den Praxisbeispielen geht hervor, dass die Nutzung vielfältiger Kommunikationswege die Chance erhöht, möglichst viele Interessen- und Zielgruppen mit der eigenen Botschaft zu erreichen. Wer in ruhigen Zeiten bereits vielfältige Kommunikationswege nutzt, erzielt bei den Empfängern seiner Botschaften den Lerneffekt, auch in Krisensituationen zu wissen, wo sie sich über neueste Entwicklungen informieren können. d) Mögliche Inhalte der Krisenkommunikation festlegen Wie bereits in Abschnitt 7.2.1 ausgeführt, sollten Bibliotheken u.a. eine Bibliotheksmarke entwickeln, um auf diese Weise Kernbotschaften für die regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit, aber auch für die Krisenkommunikation zu generieren.⁴⁴ Unabhängig

42 Vgl. Ansorge 2005, S. 159. Siehe auch den Beitrag „Lobbyarbeit“ von Lux in diesem Handbuch. 43 Vgl. Ditges, Höbel, Hofmann 2008. 44 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch.

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ob direkter Kontakt zur Öffentlichkeit oder über die Presse, die Bibliothek braucht immer, gerade auch in Krisenzeiten, eine eigene Botschaft, die sie vertritt. Möhrle weist darauf hin, dass die Botschaften der Bibliothek den Rezipienten die Aufgabe und Zweckmäßigkeit der Bibliothek glaubhaft vermitteln müssen. So wird erreicht, dass im Falle einer finanziell bedingten Krise ein Aufbegehren gegen die Schließung der Öffentlichen Bibliothek in der Bevölkerung wächst. Bei der inhaltlichen Gestaltung der Krisenkommunikation ist die Öffentliche Bibliothek gezwungen, einen Spagat auszuführen. Pilzer hat im Gespräch deutlich gemacht: Ist eine Bibliothek in ihrer Existenz bedroht und besteht eine Chance auf Rettung, suchen die Bibliotheksverantwortlichen Unterstützung in der Bevölkerung. Dabei ist entscheidend, dass die Bürger sich für den Erhalt der Bibliothek einsetzen, ohne dabei gegen den Träger der Bibliothek mobilisiert worden zu sein. Dies muss beachtet werden, da für die Bibliotheksleitung die Loyalität gegenüber dem Träger oberste Priorität haben muss. Möhrle schlägt auch hierzu die bereits oben beschriebene Zwei-Phasen-Strategie vor. In der ersten Phase, der Phase des Zeitgewinns, soll dabei über emotionale Inhalte Empörung über die Schließung einer Bibliothek erzeugt werden. Hier wird der Zwiespalt, in der sich die Krisenkommunikation der Öffentlichen Bibliothek befindet, noch deutlicher. Denn folgt man den Empfehlungen Möhrles, ist es sehr schwierig, eine Mobilisierung unter Verbreitung emotionaler Botschaften ohne Loyalitätsverletzung gegenüber dem Träger zu betreiben. Er rät hier zu geschicktem Vorgehen, wobei das strategische Konzept der stillen, also nicht öffentlichen Kommunikation greift. Es sorgt dafür, dass kritische Themen nicht von der Institution selbst in aller Öffentlichkeit angesprochen werden, sondern dass diese über Multiplikatoren als deren Meinung verbreitet werden. Nach den abstrakten Inhalten muss die Bevölkerung in der zweiten Phase dann anhand konkreter Beispiele und Szenarien überzeugt werden, dass der Erhalt der Bibliothek von großer Relevanz ist und die Bürger dafür einstehen sollten. Alle Botschaften sollten, wie bereits erwähnt, von Offenheit und Transparenz geprägt sein. Auch die nicht öffentliche Kommunikation, die als Lobbyarbeit angesehen werden kann, sollte sich an diesen beiden Grundsätzen orientieren, da es sich dabei nicht um ein Instrument handelt, um zu intrigieren. e) Personelle Ressourcen planen und Verantwortlichkeiten festlegen Öffentliche Bibliotheken sollten ihre Organisation dahin gehend anpassen, dass die Abteilung „Öffentlichkeitsarbeit“ bzw. die Person, die in kleineren Bibliotheken diese Arbeit hauptverantwortlich übernimmt, beispielsweise als Stabsstelle, zumindest hierarchisch in der Nähe der Bibliotheksleitung, angesiedelt ist. Denn der Verantwortliche für Kommunikation und Krisenkommunikation muss ebenfalls über Entscheidungsbefugnisse und die aktuellsten Informationen aus der Geschäftsleitung verfügen, um an Entscheidungs- und Managementprozessen mitwirken zu können. So kann er, gerade in der Krise, die Geschäftsleitung vor allem kommunikativ entlasten.

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Zudem sollte eine personelle Ressourcenplanung für den Ernstfall vorgenommen werden. Wichtig ist auch, Verantwortlichkeiten festzulegen: Der Bibliothekssprecher sollte z.B. immer die Kommunikation überwachen und steuern. Falls es sich um eine größere Öffentliche Bibliothek handelt bzw. um eine Bibliothek, die in einer Krise mit großem öffentlichen Interesse rechnen muss, ist die Organisation und die Festlegung der Mitglieder eines Krisenstabs in der Präventionsphase sinnvoll. Insbesondere die Qualifikation des Sprechers sollte bei der personellen Planung für die Krise berücksichtigt werden. Dieser sollte seine eigene Wirkung in den Medien und in der Öffentlichkeit einschätzen und aktiv steuern können. f) Räumliche und technische Organisation für den Krisenfall planen Für den Fall einer Krise sollte ein Raum mit ruhiger Atmosphäre bereitgehalten werden, in dem man angemessen beraten kann. Über die technische Grundausstattung eines Konferenzraums, d.h. Telekommunikationsmöglichkeiten, Beamer, Whiteboards und Flipcharts, braucht das Equipment für die Kommunikation und eventuelle Präsentationen in Öffentlichen Bibliotheken aber nicht hinauszugehen. Im Bereich der Telekommunikation sollte sichergestellt werden, dass jeder für die Krisenbewältigung wichtige Mitarbeiter zumindest telefonisch erreichbar ist. Dies kann vor Ort durch einen eigenen Hausanschluss für jeden Arbeitsplatz bzw. für den mobilen Einsatz über ein Mobiltelefon sichergestellt werden. Im Bereich der Post und der elektronischen Post sollte zudem die Erstellung und regelmäßige Aktualisierung von Adress-, E-Mail- und Fax-Verteiler in der Krisenpräventionsphase vorgenommen werden. g) Einigung zur Dokumentation der Krise zur späteren Analyse Die Ausführungen von Töpfer und Ditges et al. zeigen, dass Öffentliche Bibliotheken schon in der latenten Krisenphase, also in der Phase, in der erste Krisensignale auszumachen sind, an eine kontinuierliche Dokumentation der Ereignisse und Entscheidungen denken sollten.⁴⁵ Diese Dokumentation kann in einem sogenannten Krisenlog⁴⁶ erfolgen. Bereits in der Präventionsphase sollte ein Verantwortlicher für dieses Logbuch benannt werden. Aufgrund der knappen Personalausstattung in kleineren Bibliotheken wird der Sprecher diese Aufgabe übernehmen müssen. Aus einer Analyse der Aufzeichnungen geht dann später hervor, welche Aktionen in der Krise gut und welche weniger gut waren. So können Handlungen, die für positive Entwicklungen gesorgt haben, verstärkt und die übrigen Handlungen hinterfragt, korrigiert bzw. künftig vermieden werden, sollte es noch einmal zu einer Krise kommen. Diese Erkenntnisse sollten dann wieder nach der überstandenen Krise in Form von Maß-

45 Vgl. Töpfer 1999; Ditges, Höbel, Hofmann 2008. 46 (Einsatz-)Tagebuch, in dem alle Vorkommnisse und damit verbundenen Entscheidungen lückenlos dokumentiert werden.

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nahmen und Strategien in die Krisenprävention einfließen. Töpfer nennt diese Phase passend „Lernen aus der Krise“.⁴⁷ Diese Empfehlung beruht auch auf den Darstellungen der Praxisbeispiele. Bei vielen Fallbeispielen wurde die Relevanz der Krisenanalyse in der Phase nach der Krise betont, doch insbesondere der Fall des Brandes im Düsseldorfer Flughafen macht deutlich, wie weitreichend und wertvoll die Analyse einer überstandenen Krise ist.

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47 Töpfer 1999.

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Markus Trapp

Markenkommunikation im Web 2.0 1 Einleitung In einer immer komplexer werdenden Welt der Informationsgesellschaft kommt den Bibliotheken nach wie vor eine zentrale Rolle als Wissensvermittler zu. Um diese Rolle wirkungsvoll zu erfüllen, haben Bibliotheken ihr Aufgabenspektrum in den zurückliegenden Jahren enorm erweitert. Daraus resultiert auch eine Steigerung der vielfältigen Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit. Zur Markenkommunikation im Web 2.0 gehört es, sowohl die bereits bestehenden Nutzer der Bibliothek über die gewachsenen Informationsdienstleistungen zu informieren als auch neue Nutzer erstmalig auf die Angebotspalette der Bibliothek aufmerksam zu machen und sie dadurch als neue Kunden zu gewinnen. Vor allem Letzteres, die gezielte Ansprache potenzieller neuer Nutzer, wird in der Konkurrenz von Bibliotheken zu im Internet alternativ dargebotenen Informationszugängen von zentraler Bedeutung für die nahe Zukunft des Bibliothekswesens sein. Kurzum: Der Einsatz von Social Media hilft den Bibliotheken, die Nutzer dort abzuholen, wo sie sind. Die in dieser Einleitung aufgeführten zentralen Punkte werden im Folgenden durch konzeptionelle und arbeitspraktische Überlegungen ausgeführt, wobei die Praxisrelevanz im Vordergrund steht. Die praktischen Beispiele, mit denen die Umsetzung eines konkreten Social-Media-Konzeptes verdeutlicht werden soll, stammen aus der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg (SUB Hamburg), wo der Autor dieses Textes im Rahmen einer eigens für das Aufgabengebiet Social Media eingerichteten Stabsstelle beschäftigt ist. Fallbeipiele aus der Praxis können zwar nicht immer von jeder Bibliothek eins zu eins umgesetzt werden, doch helfen sie – übertragen auf die individuellen Begebenheiten anderer Institutionen – zu verdeutlichen, warum es sich lohnt, bestimmte konzeptionelle Wege einzuschlagen, und sie zeigen, was dies in der Arbeitspraxis konkret zu bewirken vermag.

2 Social Media – womit? Bei der Frage, auf welchen Wegen man Social-Media-Kommunikation umsetzen kann, sind an erster Stelle Blogs – chronologisch sortierte Online-Journale, bei denen der neueste Eintrag immer an oberster Stelle steht – und Soziale Netzwerke wie facebook oder twitter zu nennen. Unter Social Media fasst man die digitalen Kommunikationsdienste zusammen, mithilfe derer sich Anwender im Web untereinander austauschen. Inhalte werden präsentiert, gegebenenfalls bearbeitet und untereinander weitergelei-

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tet. Der Benutzer wird im Idealfall vom reinen Konsumenten durch das Weiterleiten oder gar Weiterbearbeiten von Inhalten auch zum Produzenten. Wie und mit welchen konkreten Diensten eine Bibliothek im Social Web mit ihren Nutzern in Kontakt treten kann, wird sicherlich von Fall zu Fall entschieden werden müssen. Unterschiedliche fachliche Ausrichtungen und die Tatsache, ob es sich um eine Öffentliche oder um eine wissenschaftliche Bibliothek handelt, werden die Wahl der Mittel und die jeweilige Schwerpunktsetzung sicher beeinflussen. Als die zurzeit am stärksten genutzten sozialen Netzwerke sollen hier facebook und twitter genannt werden. Wie ein kommunikatives Zusammenspiel des Dreiklangs „Blog  – facebook  – twitter“ aussehen kann, wird in der Folge anhand der Umsetzung an der SUB Hamburg erläutert.

2.1 Blog

Abb. 1: Screenshot Blog SUB Hamburg, 28.08.2011, blog.sub.uni-hamburg.de / ?p=5511 (Abruf: 15.03.2012)

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Im Weblog der SUB Hamburg¹ werden den Nutzern der Staatsbibliothek und der Fachbibliotheken an der Universität Hamburg sowie der interessierten Öffentlichkeit aktuelle Meldungen präsentiert. Dabei handelt es sich um Veranstaltungsankündigungen (Lesungen, Vorträge, Schulungen, Ausstellungen etc.) und Vorstellungen von E-Ressourcen (Online-Zeitschriften, E-Books, Datenbanken etc.) oder auch um Hinweise auf Monographien zu aktuellen Themen aus dem Bestand der Bibliothek. Neben betriebsrelevanten Informationen, wie z.B. neuen Räumlichkeiten, Geräten oder geänderten Öffnungszeiten, bietet das Blog auch Hinweise auf interessante Websites, stellt Web-2.0-Dienste vor oder liefert Verweise auf aktuelle Themen im Kontext von Bibliotheks- oder Bildungsthemen, wie z.B. Open Access, Urheberrecht, E-Learning, Literaturverwaltung. Die Vorteile eines Weblogs gegenüber einer statischen Website mit „Aktuellen Meldungen“, auf der ähnliche Nachrichten – wie oben genannt – für die Nutzer der Bibliothek auch kommuniziert werden könnten, liegen auf der Hand: – Jede Nachricht hat eine eigene Webadresse zur Weitergabe per E-Mail oder zum Abspeichern in den Lesezeichen des Browsers. Dies ist auch wichtig für das Veröffentlichen von Nachrichten in Sozialen Netzwerken, für die „Verlinkung“ auf anderen Webseiten und für das Auftauchen in Suchmaschinentreffern. – Nutzer haben die Möglichkeit, per Kommentar an Ort und Stelle zu einer bestimmten Nachricht Feedback zu geben: Lob, Kritik, Verständnisfragen, auf die  – im Falle einer Kritik  – im Sinne eines guten Beschwerde- bzw. Feedbackmanagements transparent für alle geantwortet und reagiert werden kann. – Durch die Einordnung der Blogartikel in bestimmte Kategorien kann übergreifend auf bestimmte Themen verlinkt werden. Um ein Beispiel zu geben: Der Satz „Folgende Datenbanken haben wir Ihnen im Blog vorgestellt.“ kann mit einem Link auf die Kategorie der Blogartikel mit Datenbankpräsentationen versehen werden. Durch Schlagwortvergabe sind sogar noch dezidiertere Verlinkungen möglich. Auch hier ein Beispiel: Der Hinweis „In diesen Blogartikeln haben wir Ihnen die Literaturverwaltungssoftware Citavi vorgestellt.“ kann mit einem einzigen Link einen Überblick über alle mit dem Schlagwort „Citavi“ versehenen Artikel liefern. – Die Nutzer müssen nicht auf einer Seite „Aktuelles“ nachschauen, ob es Neuigkeiten aus der Bibliothek gibt, sondern können bequem den RSS-Feed² des Blogs abonnieren, wodurch sie automatisch über neue Blogartikel informiert werden.

1 Neues aus Stabi und Fachbibliotheken: http: // blog.sub.uni-hamburg.de /. (Abruf: 15.03.2012). 2 RSS steht für Really Simple Syndication und bezeichnet einen Dienst, mit dem man sich über die Aktualisierung von Webseiten informieren lassen kann. Der Anwender nutzt dazu eine Software, die vergleichbar mit einer E-Mail-Software ist: Man abonniert mit einem RSS-Feedreader die RSS-Feeds bestimmter Webseiten und erfährt so bei Aufruf dieses Programms, wenn es auf den betreffenden Seiten Neuerungen gibt.

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2.2 facebook Mit einer eigenen facebook-Seite der Bibliothek oder Informationseinrichtung können prinzipiell die gleichen Themen unter die Nutzer gebracht werden, die schon im Abschnitt zuvor für das Blog genannt wurden. Es ist auch ohne großen Aufwand möglich, Blogartikel automatisiert über den RSS-Feed des Blogs in den facebookStream einzuspielen. In der SUB Hamburg werden die Blogartikel auf diese Weise automatisch auch in facebook angezeigt. Zusätzlich gibt es aber  – und dies empfiehlt sich zur Erhöhung der Akzeptanz – manuell erzeugte Status-Updates, d.h., im facebook-Account werden, über die reinen Hinweise auf Blogartikel hinaus, einzelne Nachrichten oder Hinweise veröffentlicht. Manche davon mit Verlinkung auf andere Websites, wie etwa im folgenden Screenshot zu sehen. Dazu auch mehr im Zusammenhang mit den Praxisbeispielen in Abschnitt 3.

Abb. 2: Screenshot facebook SUB Hamburg, 04.04.2011, on.fb.me / qWzjOx

Der wesentliche Vorteil eines facebook-Accounts liegt also, wie beim Blog, in der Information der Nutzer. Welches sind aber die weiteren Argumente, die für die Einrichtung einer bibliothekarischen Präsenz in facebook sprechen?

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Folgt man dem Motto „Bibliotheken sollen da sein, wo ihre Nutzer sind“, ist an erster Stelle der enorme Nutzerzuspruch zu nennen: facebook wird in Deutschland zurzeit von rund 20 Millionen Menschen³ genutzt. Für viele beginnt der Start einer Internetsitzung mittlerweile auf facebook. Die Anwender schauen, welche Meldungen ihr Netzwerk mit ihnen teilt. Gehört die Bibliothek zum Netzwerk ihrer Kunden, hat sie gute Chancen, dass ihre Meldungen zur Kenntnis genommen werden. Und das verteilt über verschiedene Altersgruppen und Milieus. Auch wenn die SUB Hamburg als Universitätsbibliothek einen hohen Anteil studentischer Nutzer hat, ist festzustellen, dass man in facebook auch die Generation 50+ erreicht. Die Vernetzung der Nutzer untereinander führt dazu, dass Meldungen der Bibliothek bei Interesse im Web „geteilt“ werden und so weitere neue Interessenten auf die Dienste der Bibliothek aufmerksam werden. Angenommen ein Mensch mit 100 Freunden auf facebook schreibt dort, dass er an einer Veranstaltung der Bibliothek teilnehmen möchte, auf die er auf der facebook-Seite der Institution aufmerksam geworden ist, so erfahren auf diesem Weg potenziell 100 Menschen von dieser Nachricht. Gegenüber einem Aushang oder einer Anzeige noch mit dem Vorteil, dass ein ihnen bekannter Mensch diesen Hinweis gibt. So kann der Nutzerkreis der Bibliothek erweitert werden. Es besteht zudem die Chance, dass die bereits auf facebook mit der Bibliothek vernetzten Nutzer untereinander auf Meldungen hinweisen, und dass so eine zügige Verbreitung der Nachrichten innerhalb der Zielgruppe erfolgt. Der explorative Charakter von facebook trägt zudem dazu bei, dass Nutzer auf Dienstleistungen der Bibliothek aufmerksam gemacht werden können, die sie von sich aus auf Unterseiten einer Bibliothekswebsite nicht gesucht hätten, mit denen sie sich aber befassen, wenn diese Services auf facebook dezidiert beworben werden. Ein Vorteil von facebook gegenüber Blogs ist die größere Bereitschaft der Nutzer zur Interaktion. Die Hemmschwelle, Feedback zu geben, ist für viele auf facebook deutlich niedriger, da die Nutzer sich innerhalb des gleichen Systems bewegen, während Nutzer ohne eigenes Blog weniger gerne in Blogs kommentieren. Außerdem ist es leichter, auf „Gefällt mir“ oder auf „Teilen“ – zum Weiterleiten eines facebook-Eintrages in das eigene Netzwerk – zu klicken als einen gleichlautenden Blogkommentar oder -artikel zu verfassen.

3 FAZ.net vom 01.06.2011: facebook – 20 Millionen Nutzer in Deutschland: http://www.faz.net / artikel / C32206 / facebook-20-millionen-nutzer-in-deutschland-30429011.html (Abruf: 15.03.2012).

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2.3 twitter Twitter ist ein Soziales Netzwerk, in dem Kurzbotschaften von maximal 140 Zeichen publiziert werden. Jeder Teilnehmer abonniert die Nachrichten der Autoren, die er interessant findet oder mit denen er sich gerne regelmäßig austauscht. So richtet sich jeder seinen eigenen Nachrichten- und Kommunikationskanal ein. Auch bei twitter steht aus der Sicht der teilnehmenden Bibliotheken und Informationseinrichtungen, wie schon bei den beiden zuvor genannten Kommunikationswegen „Blog“ und „facebook“, der Informationsaustausch mit den Kunden der Bibliothek im Vordergrund. Das formale Hauptunterscheidungsmerkmal ist die bereits genannte Reduktion auf 140 Zeichen, die ein Tweet maximal haben kann, während facebook Status-Updates bis zu 420 Zeichen erlaubt und Blogartikel keiner Zeichenbegrenzung unterliegen. Für kurze Mitteilungen, bei denen der Aufwand eines Blogartikels nicht gerechtfertigt ist, kann ein Tweet ein probates Mittel sein. Längeres kommt ins Blog und wird zusätzlich von twitter aus verlinkt. Ähnlich wie beim automatischen Einspielen von RSS-Feeds in facebook gibt es diese Möglichkeit auch bei twitter. An der SUB Hamburg werden Blogartikel jedoch manuell verlinkt (siehe dazu den zweiten Tweet im folgenden Screenshot mit Hinweis auf die Übersetzung von Websitebereichen in sieben Sprachen).

Abb. 3: Screenshot SUB Hamburg auf twitter, 28.08.2011, twitter.com / stabihh (Abruf: 15.03.2012)

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Weitere schon bei Blogs und facebook genannte Vorteile gelten auch für twitter und sollen hier nicht wiederholt werden. Die Wahl der Mittel muss jede Bibliothek für sich entscheiden. Wer den Aufwand des Betreibens eines Blogs scheut, mag den Einstieg in Social Media gegebenenfalls zunächst mit twitter und / oder facebook gestalten. Ein Blog ist spätestens dann hinzuzunehmen, wenn sich herausstellt, dass die Zeichenbeschränkung nicht ausreicht, um komplexere Informationen zu verbreiten. Wesentlicher Unterschied von Blog und twitter ist die Archivfunktion. Während im Blog kommunizierte Nachrichten meist über einen längeren Zeitraum von Bedeutung sind und über das Archiv des Blogs jederzeit aufgerufen werden können, sind twitter-Meldungen in der Regel im Moment der Rezeption – und nur kurze Zeit darüber hinaus – von Belang. Auch wenn die Library of Congress im Jahr 2010 das komplette twitter-Archiv vom Anbieter übernommen hat⁴, sind die Tweets einzelner Nutzer über Suchmaschinen bisher nur auf eine bestimmte Anzahl begrenzt – zurzeit die letzten 3.200 Tweets eines Accounts – recherchierbar. Der große Vorteil von twitter liegt jedoch, wie auch schon im Abschnitt 2.2 für facebook herausgestellt wurde, in der Vernetzung mit den Nutzern. Wie in Sozialen Medien üblich, werden Nachrichten von den Abonnenten des eigenen twitter-Netzwerkes im Idealfall wiederum in deren Netzwerk weitergetragen. So kann die Bibliothek auch mit einer überschaubaren Anzahl von „Followern“⁵ sehr viele Menschen auf twitter erreichen, wenn mögliche Multiplikatoren mit großer Anhängerschaft eigene Nachrichten wiederum an deren eigene „Follower“ weiterleiten. Und so wird aus dem Marketing in eigener Sache eine von den Nutzern getragene Werbung, die in Richtung virales Marketing⁶ geht. Die Bibliothek wirbt nicht nur selbst für ihr Dienstleistungs- oder Veranstaltungsangebot, sondern Dritte weisen wiederum ihr eigenes Netzwerk darauf hin, was für die Zielgruppe bekanntlich wesentlich überzeugender ist und so zur gesteigerten Nutzung der beworbenen Angebote führt.

4 Vgl. http: // www.loc.gov / today / pr / 2010 / 10-081.html (Abruf: 15.03.2012). 5 Als Follower bezeichnet man Leser, die die Beiträge eines Autors abonniert haben. 6 Unter viralem Marketing versteht man die Übertragung des Prinzips der Mund-zu-MundPropaganda auf das Internet. Nutzer leiten positive Nachrichten eines Unternehmens oder einer Institution innerhalb ihres eigenen Netzwerkes weiter, von wo aus sich die Botschaft wie ein Virus verbreitet. Ausgangspunkt solcher Kampagnen ist die Entwicklung einer Idee, die dann sehr gezielt über verschiedene Multiplikatoren gesetzt wird und sich im Erfolgsfall viral verbreitet.

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3 Arbeitspraktisches zum Einsatz von Social Media Ein Konzept, wie Social Media konkret in der Kommunikation von Bibliotheken und Informationseinrichtungen umgesetzt werden können und welche Ziele dabei mit Priorität avisiert werden sollten, kann nicht allgemeingültig vorgegeben werden. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Voraussetzungen (vor allem die Personalressourcen) und auch die Profile bzw. die Zielgruppen der jeweiligen Einrichtungen. In diesem Abschnitt soll deshalb exemplarisch die Umsetzung des Social-MediaKonzeptes an der SUB Hamburg als wissenschaftlicher Allgemeinbibliothek erläutert werden. Beispiele aus der Praxis im Umgang mit Social Media mögen darüber hinaus Anregungen geben, was jeweils an anderen Bibliotheken übernommen oder gegebenenfalls anders gemacht werden kann.

3.1 Eigene Stelle für das Social-Media-Marketing? An der SUB Hamburg wurde im Mai 2010 eine neue Stabsstelle „Social Media und E-Medien-Marketing“ geschaffen und mit einem unbefristeten Vertrag bei 50 % der wöchentlichen Arbeitszeit mit dem Autor dieses Beitrages besetzt. Selbstverständlich ist dieser nicht alleine für das Thema zuständig, sondern wird inhaltlich und in der praktischen Umsetzung durch Kollegen aus dem Haus unterstützt. Für eine Übergangszeit, in der für viele im Bibliotheksbereich das Thema Social Media noch ein neu zu erarbeitendes Feld ist, das in manchen Fällen nur schwer parallel zu bestehenden Aufgaben zu schultern ist, mag es ein gangbarer Weg sein, eine eigene Stelle oder Stellenanteile dafür einzusetzen, sofern die Ressourcen dazu frei gemacht werden können. Solange sich noch nicht kurzfristig alle Mitarbeiter einer Bibliothek in das Gebiet Social Media einarbeiten können, bietet es sich an, einen eigenen Verantwortlichen für diesen Bereich der Kommunikation im Web zu haben. Da in der bibliothekarischen Aus- und Weiterbildung dem Thema Social Media eine immer größere Bedeutung geschenkt wird, und da Berufseinsteiger zunehmend auch schon privat mit der Kommunikation in Sozialen Netzwerken vertraut sind, dürfte sich in absehbarer Zeit die Aufgabe leichter auf mehrere Schultern verteilen lassen. Wegen der steigenden Bedeutung der Thematik und der geradezu existenziellen Notwendigkeit für Bibliotheken, in Sozialen Netzen präsent zu sein, ist es durchaus wünschenswert, dass ein wachsender Teil der Bibliothekare sich mit diesem Thema beschäftigt. Kleinere Institutionen werden sicher keine eigenen Stellenressourcen dafür frei machen können und es, ähnlich wie beim Thema der herkömmlichen Öffentlichkeitsarbeit, nur so handhaben können, dass die betreffenden Personen sich das Arbeitsgebiet im laufenden Betrieb aneignen und das Social-Media-Marketing begleitend zu weiteren Aufgaben umsetzen.

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In größeren Institutionen sind Personen, die hauptverantwortlich für das Thema Social Media zuständig sind, auf Input aus dem Haus angewiesen. Nachrichten, die in die Netze kommuniziert werden sollen, werden von den Kollegen aus den einzelnen Abteilungen gemeldet bzw. vorgeschlagen. Dies sieht zumindest das Konzept an der SUB Hamburg vor und das hat sich bisher durchaus bewährt. So werden im Haus vorhandenes Wissen und Neuerungen der Dienstleistungsangebote nach außen kommuniziert, auch wenn noch nicht alle Mitarbeiter mit dem Thema Web 2.0 vertraut sind bzw. sich in dieses Gebiet einarbeiten konnten. Entweder wird dann gemeinsam ein Blogartikel verfasst oder es wird eine kurze Nachricht via facebook und / oder twitter veröffentlicht. Um ein Beispiel aus der Praxis für einen gemeinsam vorbereiteten Blogartikel zu geben: Die für den Webauftritt der Bibliothek zuständige Kollegin wollte im Blog eine neu eingerichtete Sektion der Website mit Basisinformationen in sieben Sprachen für fremdsprachige Nutzer vorstellen. Sie wurde kurz zum konkreten Vorgehen beraten, ihr wurde mit ein paar Screenshots geholfen und sie veröffentlichte daraufhin den Artikel „Welcome! Bienvenue! ¡Bienvenido! …“⁷. Auf lange Sicht, nicht zuletzt ob der zunehmenden Bedeutung der Sozialen Medien, ist eine Beschäftigung mit diesem Thema für einen Großteil der Beschäftigten im Bibliotheks- und Informationswesen als notwendig zu erachten, wobei die Bibliothek aber einen Leitfaden zur Verwendung publizieren sollte.⁸

3.2 Beispiele für Social-Media-Kommunikation Im Folgenden werden weitere Beispiele für die Social-Media-Kommunikation aus der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg dargestellt. Die Digitalisierungsabteilung der SUB Hamburg hatte historische HamburgKarten digitalisiert und zur Recherche in einer Online-Karte aufbereitet. Im Blog wurde das Ergebnis im Artikel „Digitalisierte historische Hamburg-Karten im Netz“⁹ präsentiert. Der auf den Artikel hinweisende Tweet machte nicht nur in Hamburg rasch die Runde, mit positiven Reaktionen der Besucher, die auf twitter teilweise begeistert davon berichteten, wie sie stundenlang in den Karten gestöbert hatten. Diese Nutzer hatten den Link natürlich auch in ihren Netzwerken weitergereicht, was besonders hohe Aufrufzahlen der Karten zur Folge hatte. Das erfreuliche Feedback der Nutzer wurde gerne per E-Mail an die betreffenden Kollegen weitergeleitet. Natürlich erreicht die Bibliothek auch Kritik auf dem Weg über Social Media. Diese muss, wie im herkömmlichen Beschwerdemanagement auch, sehr ernst genommen

7 Blogartikel vom 24.08.2011: http://blog.sub.uni-hamburg.de/?p=5637 (Abruf: 15.03.2012). 8 Beispiel ZLB: http://www.zbw.eu / docs / social_media_guidelines.pdf (Abruf: 15.03.2012). 9 Blogartikel vom 08.01.2010: http: // blog.sub.uni-hamburg.de / ?p=1529 (Abruf: 15.03.2012).

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werden bzw. muss in dieses mit integriert werden.¹⁰ Manchmal ist sie unberechtigt, dann kann man sie öffentlichkeitswirksam entkräften, was man nicht könnte, wäre man dort nicht präsent. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Nutzer formulierte als Reaktion auf einen Tweet der SUB Hamburg, in dem auf einen Artikel bei ZEIT ONLINE verwiesen wurde, den Vorwurf, dass im Lesesaal der Bibliothek DIE ZEIT nicht im gedruckten Exemplar zur Verfügung stünde. Nach kurzer Rücksprache mit dem Lesesaal, ob es dort momentan einen temporären Ausfall der Zeitung DIE ZEIT zu beklagen gäbe, was verneint wurde, konnte dem Nutzer geantwortet werden, dass DIE ZEIT dort wie immer in mehreren Exemplaren zur Verfügung stünde. Der twitter-Nutzer entschuldigte sich daraufhin für den unbegründeten Vorwurf. Ohne eine Reaktion hätte der Vorwurf unkommentiert im Netz gestanden, die Bibliothek verlinke zwar Online-Artikel der wichtigen Wochenzeitung, stelle aber keine gedruckten Ausgaben mehr im Lesesaal zur Verfügung. In einem anderen Fall wies eine Nutzerin auf twitter darauf hin, dass der Standort-Import von Trefferlisten aus dem Campus-Katalog in eine Literaturverwaltungssoftware nicht mehr korrekt funktioniere. Daraufhin wurde festgestellt, dass dieser Fehler durch ein Software-Update des Anbieters ausgelöst worden war. Nachdem der Nutzerin in einem ersten Schritt eine Klärung des Problems zugesagt worden war, konnte der Fehler zur Behebung an das Softwareunternehmen gemeldet werden. Ob die Kundin den umständlicheren Weg eines Telefonates oder einer E-Mail auf sich genommen hätte, ist sehr fraglich. Im Abschnitt 2 „Social Media – womit?“ wurde erwähnt, dass Blogartikel per RSSFeed automatisch in facebook eingespielt werden können. Darüber hinaus sollten aber auch manuelle Updates verfasst werden, um beim Nutzer nicht den Eindruck eines lediglich automatisierten Dienstes zu hinterlassen. So kann etwa ein Blick hinter die Kulissen und das Erzählen von Geschichten aus dem Bibliotheksalltag – sogenanntes Story-Telling – die Attraktivität der Informationen erhöhen und zu einer höheren Kundenbindung führen. Um ein Beispiel für Story-Telling zu geben: Beim Aufbau einer Ausstellung wurde von der Anlieferung eines besonderen Exponates, einer über 250 Jahre alten Löwenskulptur, mit einer Fotoserie und einem begleitenden Text berichtet: „Der Löwe des Jüdischen Friedhofs Altona ist angekommen.“¹¹ Somit hatte die Bibliothek eine Geschichte aus dem laufenden Betrieb erzählt, in dem konkreten Fall aus der Vorbereitungsphase einer Ausstellung. Dies geschah mit dem Ziel, Neugierde zu wecken und die Leser des Blogs zum Besuch der Ausstellung zu bewegen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, im Social Media Stream der Bibliothek an bereits veröffentlichte Informationen zu erinnern, wenn diese nochmals in den Fokus der Nutzer gerückt werden sollen. So wurde in dem unten abgebildetem facebook-

10 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch. 11 Blogartikel vom 31.05.2011: http: // blog.sub.uni-hamburg.de / ?p=5130 (Abruf: 15.03.2012).

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Update ein Blogartikel aus dem Vorjahr verlinkt, in dem das Einspielen von 350.000 E-Books in den Campus-Katalog und die Recherche nach E-Books erläutert wurde.

Abb. 4: Screenshot facebook SUB Hamburg, 02.08.2011, http:// www.facebook.com / stabihh / posts / 230866820284698

Als abschließendes Beispiel aus der Praxis soll der Blogartikel eines Studierenden der Universität Hamburg genannt werden, der zeigt, wie wichtig die Vernetzung mit den Nutzern ist und zu welchen Ergebnissen das führen kann. Ein Student der Sozialökonomie, der mit der SUB Hamburg auf facebook und auf twitter vernetzt ist, fühlte sich durch die kontinuierlichen E-Medien-Vorstellungen im Blog der Bibliothek offenbar dazu angeregt, in seinem Blog selbst einmal einen Recherchetipp zu publizieren. Seine ausführliche Präsentation „Juristische Datenbankrecherche“¹² liefert den Studierenden der Universität Hamburg einen guten Überblick über die fachlichen Quellen, die ihnen für ihre Recherche zur Verfügung stehen. Im Schwerpunkt werden im Blogartikel des Studierenden von der SUB Hamburg lizenzierte Online-Quellen vorgestellt, aber auch Hinweise auf vor Ort vorhandene gedruckte juristische Informationen gegeben.

12 Michael Karbacher, 16.08.2011: http: // www.socioeconomics.info / blog / 2011 / 08 / juristischedatenbankrecherche / (Abruf: 15.03.2012).

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4 Social Media – wozu? Den Bibliotheken und Informationseinrichtungen, die sich fragen, ob eine Beschäftigung mit Social Media für sie überhaupt sinnvoll bzw. notwendig ist, wurden im Abschnitt 2 „Social Media – womit?“ bereits wesentliche Argumente genannt, warum ein Engagement auf diesem Gebiet dringend notwendig ist. Die im Abschnitt 3 „Arbeitspraktisches zum Einsatz von Social Media“ genannten Beispiele haben dies ebenso verdeutlicht. Die Ziele, die sich durch den Einsatz von Social Media verwirklichen lassen, sollen in diesem abschließenden Abschnitt noch einmal zusammenfassend aufgeführt werden.

4.1 Nutzer dort abholen, wo sie sind Bibliothekarisches Lamentieren, die Nutzer würden heute nur noch das Internet konsultieren, statt auf die gut aufbereiteten Informationssysteme der Bibliotheken zurückzugreifen, ist nicht sinnvoll. Wenn Rechercheure ihre Suche nach Informationen zum Beispiel bei Google oder bei anderen Suchmaschinen starten, sollten sie auch dort möglichst auf Informationen der Bibliothek stoßen. Bibliotheken, die Informationen in Blogartikeln veröffentlichen, machen die Erfahrung, dass sie dadurch weiter oben bzw. überhaupt erst in den Trefferlisten der Suchmaschinen auftauchen und so die bibliothekarischen Angebote besser vermarktet werden.

4.2 Sichtbarmachen bibliothekarischer Arbeit Der Einsatz von Social Media führt dazu, dass die Arbeit der Bibliothek durch die Präsenz in den unterschiedlichen Webdiensten besser sichtbar gemacht werden kann: Sei es durch Ankündigungen, Statusmeldungen in Projektphasen oder Ergebnisberichte in Blogs, auf facebook oder auf twitter. Die Nutzer erfahren viel direkter und deutlich sichtbarer von Verbesserungen und Neuerungen des Informationsangebotes der Bibliothek, als wenn – wie in Zeiten vor dem Web 2.0 üblich – lediglich die Arbeitsergebnisse auf häufig schwer auffindbaren Unterseiten der Website veröffentlicht würden.

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4.3 Erweiterung des Nutzerkreises Hinter den hier vorgestellten Bemühungen der Markenkommunikation im Web 2.0 steht die Absicht, neue Nutzer zu akquirieren und die bestehenden Nutzer weiter an die Bibliothek zu binden.¹³ Community Management ist daher eine wichtige Aufgabe innerhalb der Social-Media-Arbeit. Institutionen, denen es gelingt, in ihrem Netzwerk insbesondere auch Multiplikatoren aufzunehmen, haben hier gute Karten. Dies können Vertreter der Presse sein, die über Dienste der Bibliothek publikumswirksam berichten, oder etwa Hochschuldozenten bzw. Lehrer, die ihre Studierenden bzw. Schüler nachhaltig auf bibliothekarische Services hinweisen, oder im Web publizierende anerkannte Experten, die für das Zielpublikum relevante Nachrichten der Bibliothek in deren Netzwerk verbreiten. Aber selbstverständlich kann auch jeder einzelne zufriedene Kunde dazu beitragen, den Nutzerkreis der Bibliothek zu erweitern. Die Mund-zu-Mund-Propaganda entscheidet nicht unwesentlich z.B. über den Erfolg eines Filmes an den Kinokassen. Dies kann durchaus auch für die Arbeit der Bibliotheken gelten.

4.4 Steigerung der Zugriffe auf das Veranstaltungs- und Medienangebot In engem Zusammenhang mit der zuvor genannten Erweiterung des Nutzerkreises steht auch eine beabsichtigte Steigerung der Zugriffszahlen auf die beworbenen Dienstleistungen (Online und Print) bzw. eine Steigerung der Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen. Hier muss warnend darauf hingewiesen werden, dass der bloße Anstieg von Zugriffszahlen auf Blogartikel oder die steigende Zahl von Fans auf facebook bzw. von Followern auf twitter noch nicht automatisch einen Ansturm auf die Dienste bzw. rapide steigende Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen oder einen Zuwachs von Bibliotheksnutzern nach sich zieht. Doch je besser eine Institution ihre Nutzer auf den beschriebenen Wegen erreicht, umso besser ist auch ihre Ausgangsposition, eine Steigerung der Nutzungszahlen zu erreichen. Die SUB Hamburg hat hier bereits gute Erfahrungen gemacht. Der Zugriff von mobilen Endgeräten (Smartphones oder Tablet-Rechner) auf das Blog hat deutlich zugenommen, seit sie twitter und facebook einsetzt, wo Blogartikel mit Neuigkeiten aus der Bibliothek gerne verlinkt werden. Zudem wird eine anhaltende Steigerung der Zugriffe auf die elektronischen Informationsangebote (wissenschaftliche Datenbanken, E-Zeitschriften) von außerhalb des Universitätscampus beobachtet, seit die Universitätsangehörigen  – sowohl die Dozenten als auch die Studierenden – auf diese Möglichkeit verstärkt in den Sozialen Netzen hingewiesen werden.

13 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch.

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4.5 Direkte und offene Kommunikation mit den Kunden Wer sich auf den beschriebenen Wegen mit seinen Kunden vernetzt, steht in direktem und offenem Kontakt mit ihnen. Der Bibliothek wird unaufgefordert Feedback gegeben. Schwierigkeiten in der Nutzung der Dienste können von den Kunden angesprochen werden, Verständnisfragen, von denen auch andere Nutzer profitieren, können transparent dargestellt werden, und die Bibliothek kann zeigen, dass sie diese Hinweise ernst nimmt, bzw. dass sie gerne Hilfestellung bei der Nutzung ihrer Angebote leistet. Deshalb ist das Monitoring – das Beobachten von Reaktionen im Web – eine wichtige Aufgabe in der Social-Media-Betreuung. Von den Benutzern angesprochene Probleme müssen entweder möglichst zeitnah gelöst werden oder – falls das nicht möglich ist  – müssen die Gründe genannt werden, warum dem so ist. So fühlen sich die Kunden ernst genommen, verstanden und ermuntert, diesen Dialog aufrechtzuerhalten. Wie gesagt, das ist keine Neuerung, die erst seit der Zeit des Web 2.0 Beachtung im Bibliothekswesen findet. Das ist lediglich die Übertragung des schon immer ausgeübten Beschwerdemanagements – vom Beschwerdebuch oder der Auskunftstheke – auf die Sozialen Medien.¹⁴ Das Ziel ist immer das gleiche: Erhöhung der Kundenzufriedenheit und der Kundenbindung. Die Markenkommunikation im Web 2.0 trägt somit dazu bei, dass der Benutzer „seine“ Bibliothek in sein eigenes Wissensnetzwerk integriert. Ein unbezahlbarer Vorteil für moderne Bibliotheken und Informationseinrichtungen.

14 Siehe den Beitrag „Kundenbindungsstrategien“ von Lison in diesem Handbuch.

André Vatter

Mobiles Marketing für Bibliotheken 1 Einleitung Es ist kein Trend, sondern vielmehr eine konsequente Weiterentwicklung: Das mobile Internet nimmt ununterbrochen an Fahrt auf. Im Jahr 2011 nutzten weltweit rund 825 Millionen Menschen ein Handy oder ein Tablet, um über das Mobilfunknetz auf das Internet zuzugreifen.¹ Der Boom hatte schnell auch Deutschland erreicht. Im selben Jahr verfügten laut einer gemeinsamen Studie des Bundesverbandes der Digitalen Wirtschaft (BVDW) und Google² über zwölf Millionen Deutsche über ein Smartphone, rund 65 Prozent von ihnen verließen ohne Handy nicht mehr das Haus. Mit LTE (Long Term Evolution), der jüngsten Stufe der mobilen Übertragungsverfahren, lassen sich mittlerweile Downloadraten von bis zu 100 MBit / s erzielen. Viele wollen heute auf das kabellose Internet nicht mehr verzichten: Von 2009 bis 2010 stieg das jährliche, im Mobilfunk generierte Datenvolumen von 32 Millionen auf 65 Millionen Gigabyte.³ Die Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen: Medienunternehmen überdenken ihre bisherigen Monetarisierungsstrategien und sehen Smartphones, Tablets und E-Reader als einige der wichtigsten Distributionskanäle der kommenden Jahre an (On-Demand). Zeitgleich hält in der Wirtschaft der M-Commerce Einzug: 60 % aller Besitzer mobiler Endgeräte informieren sich mittlerweile unterwegs über Preis- oder Produktinformationen, knapp 12 % geben wöchentlich ihre Bestellungen von unterwegs auf.⁴ Viele Unternehmen und Einrichtungen sind auf diesen Fortschritt noch nicht vorbereitet. Während sich beispielsweise etwa 61 % der deutschen SmartphoneNutzer Websites wünschen, die auch auf Handydisplays optimal dargestellt werden, so haben lediglich 37 % der deutschen Anbieter eingeräumt, eine solche Umstellung bereits vorgenommen zu haben. Auch Bibliotheken und Informationszentren müssen sich auf Reformen einstellen. Das mobile Internet hat bei vielen Kunden Bedürfnisse geweckt – die ständige und direkte Verfügbarkeit von Medien ist ein großes Thema. Bei fast jeder Nutzerbefragung steht heute der Wunsch nach unkompliziertem Zugriff auf Online-Ressourcen an oberster Stelle. Aus technischen, lizenzrechtlichen und damit oft finanziellen Gründen ist die Realisation eines entsprechenden Angebotes nicht immer machbar. Doch es gibt Möglichkeiten, sich dem Anspruch zu nähern.

1 2 3 4

Accenture 2011. Google, Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. 2011. Bundesnetzagentur 2011. Fikkau & Maaß Consulting 2011.

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Das Internet fernab des Desktops hat Bibliotheken Werkzeuge an die Hand gegeben, um zum einen das bestehende Publikum über neue Kanäle zu erreichen und zum anderen neue Kunden bzw. Kundensegmente hinzuzugewinnen. Denn der Mehrwert mobiler Dienste besteht nicht nur darin, ständig und ortsunabhängig verfügbar zu sein, sondern auch in der Personalisierung, die neue Möglichkeiten der Nutzeransprache erlaubt. Online-Dienstleister und vor allem Online-Werber haben dieses Prinzip im Laufe der Jahre im stationären Internet vorangetrieben. Das Einverständnis der Nutzer vorausgesetzt, erlauben individuell erhobene Informationen (Tracking) sowie explizit gemachte Vorgaben der Kunden, neue Formen der persönlichen Ansprache (Targeting). Das können zum einen protokollierte Surfgewohnheiten und zum anderen vom Nutzer offen bekundete Interessen sein, wie dies heute etwa in Sozialen Netzwerken geschieht. Im Tausch für seine Daten erhält der Nutzer auf ihn und seine Bedürfnisse zugeschnittene Inhalte und Angebote. Das Ergebnis: Die Relevanz wird erhöht, der Streuverlust minimiert und die Kundenbindung gleichzeitig gestärkt. Im Mobile Web wird diese Form des „Behavioral Targeting“ auf eine neue Stufe gehoben. Eine Vielzahl der Nutzer betrachtet ihr Smartphone aufgrund der hohen Personalisierbarkeit heute als unentbehrlichen Begleiter. Das Gerät weiß, wann er sich wo aufhält, welche Websites besucht werden, wann die nächsten Termine anstehen und kennt die Kontakte im Telefonbuch. Nicht wenige Anbieter mobiler Anwendungen nutzen diesen Reichtum an Daten als Grundlage für ihre Entwicklungen: Sofern der Nutzer zustimmt, können so bei Bedarf etwa Standortabfragen durchgeführt werden, um die Frage „Wo finde ich ein Hotel in der Nähe?“ zu beantworten. Auf dieselbe Weise erhalten Touristen in fremden Städten Informationen zu unbekannten Bauwerken, während sie davorstehen. Später lassen sich die mit der Handykamera aufgenommenen und mit GPS-Koordinaten versehenen Fotos auf einer Karte verorten. Bibliotheken stehen mit ihren mobilen Diensten noch am Anfang der Personalisierung. Voraussetzung für eine voranschreitende Entwicklung in der individuellen Ansprache ist es, dass Dienste angeboten werden, die den Kunden einen deutlichen Mehrwert versprechen. Im Folgenden werden drei Maßnahmen speziell für Bibliotheken vorgestellt, die sich dazu eignen, um mittels niedrigschwelliger Kundenangebote die Kommunikation und Bindung mit Nutzern zu fördern: Dazu zählt die Erstellung eigener Smartphone-Apps, die Nutzung standortbezogener Dienste und den Einsatz von QR-Codes in der Marketingstrategie.

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2 Mobile Apps: Dienste auf dem Handydisplay Im Frühjahr 2011 gab es einen Tumult in der norddeutschen Bibliotheksszene. In Apples App Store war eine Anwendung mit dem Namen Edsync⁵ aufgetaucht, die es Nutzern ermöglichte, ihre Konten bei diversen Bibliotheken des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV) mobil über das iPhone zu verwalten. Der Entwickler war der Hamburger Student Martin Kim Dung-Pham, der es leid war, stets das DesktopInternet aufsuchen zu müssen, wenn er sich über seine aktuell ausgeliehenen Medien informieren wollte. EDsync erlaubt hingegen einen ortsungebundenen, schnellen Zugriff auf die Titel der entliehenen Medien, ihre Signaturen und Bandnummern, das jeweilige Rückgabedatum, angefallene Gebühren und die Anzahl der Verlängerungen und Vormerkungen. Unterstützte Bibliotheken werden auf einer Google-MapsKarte angezeigt. Damit auch sehbehinderte Kunden die App nutzen können, wurde die VoiceOver-Funktion integriert, die auf Wunsch Display-Inhalte vorliest. Darüber hinaus bietet die App eine Katalogsuche sowie eine praktische Verlängerungsoption für Medien – ein Knopfdruck genügt. Insgesamt unterstützte die App ab dem ersten Release den Zugang zu neun Bibliotheksportalen des GBV.

Abb. 1: EDsync

5 Elbedev 2011.

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Ein wunderbarer Service, nur gab es ein Problem: Das Programm war von keiner Bibliothek autorisiert. Mangels standardisierter Schnittstellen der GBV-OPACs parst (analysiert) die App das HTML der Katalogseiten und simuliert damit den Nutzerzugriff. Ein umständliches Verfahren, das jedoch während der Bedienung den Anwendern verborgen bleibt. Einige Einrichtungen lobten den innovativen Ansatz des Programms, andere übten lauten Protest. Gerade die Verlängerungsfunktion war einigen Bibliotheken „ein Dorn im Auge“: Es bestand die Gefahr, dass hier eine lukrative Einnahmequelle versiegen könnte. Für den Programmierer wäre es ein Leichtes gewesen, statt der manuellen eine automatische Verlängerungsoption in den Quellcode der App einzufügen  – was aber nicht geschah. Auch die Tatsache, dass die Zugangsdaten der Kunden in der Anwendung lokal gespeichert wurden, provozierte Unmut. Der Entwickler Dung-Pham erklärte sich schnell bereit, den Kritikern der App einen Einblick in den Code der Anwendung zu gewähren, was auch in einigen Fällen geschah. Dennoch wollten sich die Wogen nicht glätten. Wie immer man den privaten Vorstoß bewertet, er zeigt – abseits neuer Studien und Umfragen – eines ganz deutlich: Der Bedarf an mobilen Lösungen ist für Bibliothekskunden gegeben. Doch es mangelt schlichtweg am Angebot. Und so befinden wir uns in einer paradoxen Situation, in der Kunden sich mittlerweile selbst den Service schaffen, den eigentlich die Servicestelle (also die Bibliothek) bieten müsste. „Die Idee mobiler Anwendungen ist bei vielen Bibliotheken noch nicht angekommen“, sagte Dung-Pham später in einem Interview.⁶ Auch diese Überlegung habe zur Entwicklung der App beigetragen. Wenn Bibliotheken sehen, dass Nutzer aus eigenem Antrieb damit beginnen, Apps zu schreiben – mit all den Hindernissen –, werde in der Branche vielleicht ein Umdenken stattfinden. „Das geschieht auch“, so Dung-Pham. „Aber sehr langsam.“

2.1 Was kostet eine mobile App? Im Sommer 2011 führte der HighTextVerlag eine Honorarumfrage⁷ unter deutschen Entwicklern und Agenturen durch, die auf die Programmierung mobiler Anwendungen spezialisiert sind. Das Ergebnis ist erstaunlich: Die Preise für professionelle Apps variieren kräftig und wirken auf manche Außenstehende beinahe willkürlich. Ausschlaggebend für die Berechnung sind neben dem Funktionsumfang auch das Betriebssystem (etwa iOS, Android, BlackBerry oder Windows® Phone), der Aufwand des Designs sowie die anschließende Vermarktungsstrategie. Die Entwicklung einer einfachen Anwendung  – mit minimalen Anpassungen am Standard-Layout, wenig

6 ZBW MediaTalk 2011a. 7 iBusiness 2011.

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Abb 2: appMakr

Logik und ohne Backend-Zugriff  – schlägt demnach mit Preisen zwischen 760 und 97.000 Euro zu Buche. Anspruchsvolle Anwendungen (etwa vom Komplexitätsgrad einer Anwendung für Online-Banking) kosten bis zu 520.000 Euro. Viele öffentliche Stellen würden angesichts dieser Summen schnell von dem Plan einer eigenen App abrücken. Doch es geht auch günstiger. Wer über Kompetenzen als Entwickler verfügt, kann die Programmierung selbst in die Hand nehmen. Apple stellt dazu beispielsweise das kostenlose SDK (Software Developer Kit) zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich in der objektorientierten Programmiersprache Objective-C eigene Apps schreiben lassen. Analog dazu hat Google für Android-Anwendungen den App Inventor⁸ im Internet veröffentlicht, ein browserbasierter und ebenfalls kostenloser Entwicklerdienst, der nach dem WYSIWYG-Prinzip („What you see is what you get“)

8 Google 2011.

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funktioniert. Konfigurierbare Module lassen sich auf diese Weise per Drag & Drop zu einer ganzheitlichen Anwendung verbinden. Doch auch bei dieser Methode werden an manchen Stellen Programmierkenntnisse erwartet. Noch einfacher lassen sich Apps mit sogenannten Entwickler-Frameworks erstellen: Gemeint sind App-Baukästen für mobile Betriebssysteme, die mittlerweile immer häufiger im Internet zu finden sind. Oft bieten sie lediglich einen rudimentären Funktionsumfang, sind aber ein guter Weg, um sich an das Thema heranzutasten. Viele der Angebote sind kostenlos, je nach Anspruch der Nutzer können aber auch Kosten von bis zu 2.000 Euro entstehen. Einer der populärsten Anbieter in diesem Feld ist appMakr (siehe Abb. 2).⁹ Der Dienst unterstützt die Betriebssysteme iOS, Android und Windows Phone und ist nach Zahlung einer Anmeldegebühr (unter 100 Euro) ohne Installation und somit direkt im Browser nutzbar. Auch appMakr funktioniert auf Basis von Modulen: RSS-Feeds lassen sich direkt einfügen, dasselbe gilt für Podcasts sowie Bilder- und Videogalerien. Auch TwitterStatusupdates können abgebildet werden. Für eine noch größere Personalisierung können zudem HTML-Elemente integriert werden. Nutzer der jeweiligen Anwendung haben über ein Kontaktfeld einen Feedback-Kanal zum Urheber, zudem können sie sich über (für den Anbieter kostenpflichtige) Push-Notifications¹⁰ über aktuelle Ereignisse informieren lassen. Nach Erstellung der App übernimmt appMakr auf Knopfdruck die Distribution der Anwendung zum jeweiligen App Store der Anbieter (Kosten können anfallen). Weitere bekannte Entwickler-Frameworks im Internet sind App.Co (http: // app. co), appbreeder (http: // www.appbreeder.com), BuildAnApp (http: // www.buildan app.com) und GENWI (http: // genwi.com).

2.2 Native Apps vs. Web Apps Neben nativen Apps, also eigens für bestimmte mobile Plattformen entwickelten Programmen, gibt es eine weitere Möglichkeit, um Inhalte in Smartphone-Displays anzeigen zu lassen: die sogenannten Web Apps. Im Grunde handelt es sich dabei um speziell aufbereitete Websites. Bibliotheksportale und Kataloge erkennen automatisch, von welchem Gerät aus der Zugriff erfolgt, und ändern dementsprechend die Darstellung. Web Apps werden nicht installiert, sondern direkt im Browser aufgerufen.¹¹ Gegenüber den nativen Anwendungen verfügen sie über einige Vorteile: Sie sind unabhängig vom Gerätetyp und somit beinahe universal einsetzbar. Zudem

9 appMakr 2011. 10 Automatische Mitteilungen bestimmter Dienste, die auch dann erscheinen, wenn die dazugehörige App nicht geöffnet ist. 11 Library Success 2011.

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können leichter Anpassungen an Design und Inhalt vorgenommen werden. Die für die mobile Nutzung optimierten Kataloge lassen sich dank HTML5 heute zudem mit Rich-Media-Elementen auch multimedial gestalten.

Abb. 3: Barcode-Scanner

Bei all der Flexibilität gibt es jedoch auch einiges zu bedenken: Web Apps können nur aufgerufen werden, wenn eine Online-Verbindung hergestellt wurde. Darüber hinaus sind sie nicht in der Lage, auf weitere Schnittstellen im Gerät zuzugreifen – etwa auf die integrierte Handykamera, um das Scannen von QR-Codes zu gestatten. Da webbasierte Anwendungen in keinem App Store zu finden sind, in dem sie bewertet und weiterempfohlen werden können, müssen Einrichtungen zudem oft auf besonders kreative Vermarktungsstrategien zurückgreifen.

2.3 Eine eigene App Wer den Entschluss gefasst hat, eine mobile App in Auftrag zu geben oder in Eigenregie zu entwickeln, sollte sich zunächst einige Fragen stellen: 1. Welche Dienste kann die Einrichtung anbieten? 2. Wie hoch sind die eingeplanten Investitionsmittel? 3. Was sind die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe?

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Auf alle drei Punkte müssen im Rahmen der Analyse passende Antworten gefunden werden, ehe das Projekt tatsächlich angegangen wird, wobei man den Bedürfnissen der Kunden am besten mit einer Nutzerbefragung auf die Spur kommt.¹² Die Größe der Einrichtung spielt bei diesen Überlegungen keine Rolle: Sofern die Möglichkeiten gegeben sind und die Zielgruppe einen klaren Mehrwert durch einen flankierenden mobilen Dienst geboten bekommt, können also auch One Person Libraries (OPL) eine App-Entwicklung in Angriff nehmen. Die Frage, was eine gute Bibliotheks-App leisten muss, lässt sich hingegen nicht pauschal beantworten, da die einzelnen Elemente von den oben genannten Faktoren abhängig sind. Wer den bestehenden Markt sondiert, kann jedoch eine Orientierung erhalten. Vor allem im angelsächsischen Raum sind folgende Funktionen oft in Anwendungen integriert: – Katalogsuche mit Verfügbarkeitsanzeige, – Nutzerkontenverwaltung, – Übersicht der ausgeliehenen Medien, – Übersicht der Mahngebühren, – Vormerkungsfunktion und – Informationen zur Einrichtung (Hilfe, Öffnungszeiten, Anfahrtsbeschreibung usw.). Optional finden sich weitere Module: – Notizfunktion, – Barcode-Scanner für die Büchererkennung, – Volltextzugriff, – Echzeit-Hilfe (via Chat oder „Text a Librarian“¹³), – Event-Kalender, – Anbindung an soziale Netzwerke, – Anfahrtskizzen, – Inhouse-Karten für das schnelle Zurechtfinden vor Ort, – Erinnerungsfunktion für abholbereite Bücher und – Kalenderintegration für Rückgabetermine.

2.4 Ein Beispiel: Die EconBiz-App der ZBW Das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW) veröffentlichte im Jahr 2010 eine erste iPhone-App¹⁴ für das virtuelle Fachportal EconBiz; knapp ein halbes Jahr später

12 Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 13 Über diesen Dienst können Bibliotheken Anfragen einfach per SMS beantworten und erweitern so den Auskunftsdienst. 14 EconBiz von ZBW 2011.

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wurde eine korrespondierende App für das iPad freigegeben. Das Programm wendet sich in erster Linie an Studierende und Forschende der Betriebs- und Volkswirtschaft und erlaubt ihnen Zugriff auf über fünf Millionen Einträge von Büchern, Zeitschriften, Aufsätzen und Working Papers. Mehrere Hunderttausend Volltexte lassen sich zudem im PDF-Format direkt in der App anzeigen. Noch während der Suche wird dabei die Verfügbarkeit einzelner Zeitschriftenaufsätze in Bibliotheken überprüft, deren Standorte sich auf einer interaktiven Karte anzeigen lassen. Auch ein Veranstaltungskalender wurde aufgenommen.

Abb. 4: EconBiz-App

Im Bereich der Personalisierung bietet die App eine individuelle Suchchronik, Notizfunktion und Favoritenliste. Nutzer können zudem ihre Heimatbibliothek explizit definieren oder sich die Verfügbarkeit der Literatur gemäß dem jeweiligen per GPS ermittelten Standort anzeigen lassen. Über einen Live-Chat (realisiert per Question Point¹⁵) können Nutzer zu Geschäftszeiten direkten Kontakt zum Recherche-Team der ZBW aufnehmen. In einer Neuauflage der iPhone-App wurde außerdem ein BarcodeScanner integriert. Dabei wird mittels der Gerätekamera die ISBN-Nummer eines vorliegenden Werkes erfasst. Die App durchsucht danach automatisch die Bestände und gibt in einer Einzeltitelanzeige entsprechende Rückmeldungen über die Verfügbarkeit.

15 QuestionPoint 2011.

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3 Standortbezogene Dienste: Einchecken in der Bibliothek Am Anfang war alles nur ein Spiel: Als 2009 der Startschuss für die modernen Location Based Services (Standortbezogene Dienste) fiel, standen zwei junge US-Unternehmen an der Spitze der Bewegung. Sowohl foursquare als auch Gowalla boten Besitzern von Smartphones die Möglichkeit, sich über einen mobilen Client in Locations einzuchecken. Das Prinzip war klar – der konkrete Nutzen zunächst weniger. Standortbezogene Dienste überziehen die reale Welt mit einem virtuellen Grid („Raster“ bzw. „Gitter“): Heutige Smartphones, ausgestattet mit einem GPS-Modul und Internetzugang, können metergenau ihren aktuellen Standort ermitteln. Es entsteht eine Art digitale Parallelwelt, die es Nutzern ermöglicht, „Locations“ real zu betreten und dabei gleichzeitig dort virtuell mit ihrem Handy „einzuchecken“. In dem Moment, in dem dies geschieht, werden alle Mitglieder einer zuvor angelegten „Freundesliste“ über den aktuellen Aufenthaltsort informiert. So lässt sich schnell nachvollziehen, wer sich gerade wo aufhält, um gegebenenfalls ein Treffen zu arrangieren. Auf diese Weise wird im Netzwerk auf neue Orte hingewiesen, die besonders beachtenswert sein können (Points of Interest): etwa ein Restaurant, ein Museum oder eine Bibliothek. Darüber hinaus bietet sich Reisenden die Möglichkeit, Hinweise der Vorgänger zu lesen oder eigene Tipps oder Fotos zur Location zu hinterlassen – was vor allem im gastronomischen Sektor von Vorteil sein kann.

Abb. 5: Vapiano (Screenshot)

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Sowohl foursquare als auch Gowalla waren zunächst als Spiel konzipiert: Je mehr Orte auf der GPS-Karte entdeckt und betreten werden, desto höher fällt die Belohnung aus. In beiden Fällen besteht diese aus sogenannten „Badges“  – kleinen Hinweisschildern, die im jeweiligen Profil gesammelt und öffentlich dargestellt werden. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Schnell erkannte auch die Wirtschaft den Nutzen der standortbasierten Dienste. Immerhin bedeutet jeder Check-in kostenlose Werbung für das jeweilige Unternehmen, da die Meldung über den Aufenthaltsort der Nutzer schnell verbreitet werden kann. Um die Check-in-Frequenz zu erhöhen, wurde von den Anbietern die Implementierung von Anreizprogrammen in Angriff genommen: Wer sich beispielsweise in ein Café eincheckt, kann nicht nur den Punktestand im Spiel aufbessern, sondern bekommt gleichzeitig einen Coupon im Display präsentiert, der zum kostenlosen Verzehr eines Kaffees einlädt. Als eine der erfolgreichsten Location-Based-Kampagnen gilt bislang eine Aktion, die von der Fastfood-Kette McDonald’s am foursquare day 2010 in den USA durchgeführt wurde. Das Unternehmen gab ein Gewinnspiel bekannt, in dessen Rahmen unter allen foursquare-Mitgliedern, die sich in einer der McDonald’s-Filialen eincheckten, hundert Gutscheine zu je fünf und zehn Dollar verlost wurden. Die Check-in-Rate und damit die Größe der Laufkundschaft innerhalb der foursquare-Gemeinde erhöhten sich daraufhin um 33 %,¹⁶ in der gesamten Woche des Specials waren es 40 %. Seit dem Start der Location Based Services vor einigen Jahren hat sich der Anbietermarkt stark vergrößert. Neben foursquare und Gowalla bieten mittlerweile unter anderem auch facebook, Google, QYPE und yelp dem Publikum Eincheck-Optionen an  – die aufgrund enger Verknüpfung mit den Sozialen Netzwerken ebenso intensiv wie regelmäßig genutzt werden. Laut einer Microsoft-Studie¹⁷ von Anfang 2011 kennen 58 % der Deutschen inzwischen mindestens einen standortbezogenen Dienst. Knapp ein Drittel von ihnen nutzt ihn inzwischen (trotz Datenschutzbedenken) regelmäßig ein bis zwei Mal im Monat: Das virtuelle Grid wird immer engmaschiger, im Sommer 2010 gab es in der Bundesrepublik bereits alle 300 Meter einen registrierten foursquare-Ort.¹⁸

3.1 Location Based Marketing in der Praxis Die meisten Orte in den Location Based Services werden von den Nutzern angelegt – eine Funktion, die in der Großzahl der mobilen Clients bereits integriert ist. Damit ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele virtuelle Pendants bereits existieren – selbst

16 E-consultancy.com 2011. 17 Microsoft Corporation 2011. 18 web evangelisten 2011.

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wenn sie aufsichtslos auf den GPS-Landkarten treiben. Wer Location Based Marketing in Angriff nehmen möchte, sollte also zunächst einen Ort (oder „Venue“) anlegen oder aber einen bereits registrierten übernehmen. Dies geschieht in vielen Fällen über die Portale der Anbieter, die mittels eigener Authentifizierungsverfahren den rechtmäßigen Besitzer eines Ortes ermitteln: In einigen Fällen reicht hier ein Verfahren per Telefonrückruf, in anderen werden schriftliche Nachweise verlangt, die per Post oder Scan übermittelt werden.

Abb. 6: Location Based Marketing

Wurde eine Location erfolgreich beansprucht, sollte zunächst eine Bestandsaufnahme bestehender Kommentare und Fotos der Nutzer geschehen. In einem weiteren Schritt geht es darum, fehlende Informationen (etwa Beschreibungstexte, Öffnungszeiten, Kontaktmöglichkeiten und eigene Fotos) zu ergänzen beziehungsweise bestehende Angaben zu korrigieren. Diese Informationen erhalten sowohl all diejenigen Nutzer, die sich einchecken, als auch die benachrichtigten Freunde. Um die Kundschaft auf den neuen Service hinzuweisen, ist es zudem ratsam, das Offline-Marketing vor Ort zu justieren. Viele Anbieter standortbezogener Dienste bieten dazu kostenlose Sticker oder Broschüren an, die in der Einrichtung angebracht oder verteilt werden können. Sofern mehrere Services gleichzeitig genutzt werden, lohnt sich die Gestaltung eines Willkommen-Badges, das Kunden schon beim Eintreten über die Möglichkeit zum Einchecken in diversen Diensten unterrichtet.

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Venue-Besitzer sollten mit gewisser Regelmäßigkeit die Entwicklung der Locations verfolgen: Dazu zählt das Kontrollieren der Check-in-Frequenz, aber auch das Sondieren und Beantworten von Kommentaren und Fragen.

3.2 Das Schaffen von Anreizmodellen Um die Check-in-Frequenz zu erhöhen, ist es ratsam, sich Gedanken über Anreizmodelle zu machen. Die meisten standortbezogenen Dienste bieten dazu drei Möglichkeiten an: ständige Angebote (für alle eingecheckten Nutzer), Treueangebote (für regelmäßige und damit wiederkehrende Besucher) oder Aktionen, die im Rahmen zeitlich begrenzter Kampagnen stattfinden. Die Frage bei jeder Option ist, welche Vorteile die Kunden durch das Check-in erhalten können. Das Ziel muss es sein, attraktive Mehrwerte zu schaffen, von denen der Nutzer profitieren kann, sobald er Informationen zu seinem jeweiligen Aufenthaltsort preisgibt: Dies ist der Handel der Personalisierung, bei dem die Daten die Währung darstellen. Anders als in der Gastronomie bietet das Umfeld von Bibliotheken und Informationszentren in dieser Hinsicht nur ein begrenztes Spektrum an Möglichkeiten, was einen kreativen Umgang mit dieser Frage erfordert. Einige Bibliotheken setzen auf exklusive Einzelberatungen oder Rechercheangebote. Andere bieten Coupons für das hauseigene Café. Eine weitere Lösung besteht darin, nicht länger benötigte Dubletten an eingecheckte Nutzer abzugeben. Wie immer der geplante Mehrwert aussieht: Anreizmodelle müssen bereits im Vorfeld sorgfältig geplant werden. Dazu zählt unter anderem, einen ausreichenden Vorrat angelegt zu haben, um eine gesteigerte Nachfrage auch erfüllen zu können. Zudem ist es unerlässlich, die Mitarbeiter darüber zu informieren, wie und unter welchen Bedingungen eingelöste Angebote abgegeben werden können. Um Verwirrung im Betrieb zu vermeiden, ist es daher ratsam, die festgelegten Details des Location Based Marketing auch in die Geschäftsbedingungen mit aufzunehmen. In einem letzten Schritt sollte dann die Vermarktung des Check-in-Angebots vor Ort vorangetrieben werden: Per Poster, Flyer oder Sticker kann die Kundschaft auf die standortbasierten Aktionen hingewiesen werden.

4 QR-Codes: Direkte Schnittstelle zum Kunden Mitte der 1990er Jahre erfand eine Tochterfirma des japanischen Automobilzulieferers Denso einen 2D-Code, der die Abläufe der Logistik vereinfachen sollte: Er wurde QR-Code (Quick Response, „schnelle Antwort“) genannt und es sollte noch ein halbes Jahrzehnt vergehen, ehe er erstmals auch in der Öffentlichkeit auftauchte. Wie bei einem Strich-Barcode stehen auch hinter einem QR-Code verschlüsselte Informationen, die beispielsweise mithilfe einer Handykamera (Scanner) und

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eines Decoder-Programms (meist eine Smartphone-App) ausgelesen und direkt weiterverarbeitet werden können. QR-Codes können Webadressen, Weiterleitungen zu Direkt-Downloads, Kontaktdaten, Texte und andere Botschaften enthalten und sind dabei fast beliebig skalierbar. Der Vorteil: Nutzer brauchen Angaben zu weiterführenden Informationen nicht erst zu notieren, sondern können direkt vor Ort auf die gewünschten Inhalte zugreifen. QR-Codes bilden damit eine leicht zu bedienende Schnittstelle zwischen analogen und digitalen Medien. Auch ihr Aussehen ist mittlerweile individuell konfigurierbar, sodass die einzelnen Elemente in Farbe und Design einem Corporate Design angepasst werden können. Heute ist das sogenannte Mobile Tagging aus dem Geschäftsalltag vieler Unternehmen, Medien und anderer Einrichtungen nicht mehr wegzudenken. Die Wikimedia Foundation bietet seit 2011 QR-Codes an, um die Artikel der Wikipedia-Enzyklopädie niedrigschwellig verfügbar zu machen. Dazu wurde das Projekt QRpedia¹⁹ ins Leben gerufen, über das Interessierte durch die Eingabe einer Wikipedia-URL per Knopfdruck entsprechende QR-Codes generieren lassen können. Mehrere Museen in den USA, Großbritannien und Spanien haben die Beschreibungstexte von Kunstwerken mittlerweile um Wikipedia-Codes ergänzt. Werden diese von Besuchern eingescannt, wird im Smartphone die codierte URL entschlüsselt. Über ein Rerouting auf Wikimedia-Servern wird zudem die voreingestellte Sprache des aktuellen Gerätes ermittelt, sodass die Nutzer den hinterlegten Wikipedia-Artikel in ihrer jeweiligen Sprache angezeigt bekommen. Auf diese Weise können direkt vor Ort zusätzliche Informationen abgerufen werden, etwa Künstlerbiografien oder entstehungsgeschichtliche Hintergründe zu den Ausstellungsobjekten. QRpedia kann zudem außerhalb von Museen Verwendung finden, indem beispielsweise Denkmäler und andere Sehenswürdigkeiten oder auch Veranstaltungen getaggt werden.

4.1 Der virtuelle Supermarkt Ein weiteres Beispiel stammt aus Südkorea. Die zweitgrößte Lebensmittelkette des Landes, TESCO, suchte im Sommer 2011 nach neuen Absatzwegen und der Möglichkeit, Marketing und Vertrieb zu vereinen. Ziel war es, Marktführer im Land zu werden, und zwar ohne die Anzahl der Filialen zu erhöhen. Gemeinsam mit der Werbeagentur Cheil Worldwide wurde ein Konzept entwickelt, in dessen Mittelpunkt eine MobileShopping-Kampagne²⁰ stand. Die Einwohnerzahl Südkoreas liegt bei 50 Millionen Menschen  – rund zehn Millionen von ihnen verfügen über Smartphones. Hinzu kommt eine (zumindest in den Großstädten) exzellente Infrastruktur für Mobilfunk: eine gute Ausgangslage für das Projekt.

19 QRpedia 2011. 20 The Telegraph 2011.

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Im Zuge der Kampagne wurden in verschiedenen U-Bahn-Stationen in Seoul mehrere Quadratmeter große Werbeplakate angebracht, auf denen zweidimensionale Supermarktregale abgebildet waren. Die darin dargestellten Produkte waren mit Preisschildern und QR-Codes versehen. Zeitgleich veröffentliche TESCO eine SmartphoneApp mit integriertem Code-Scanner. Pendler hatten damit die Möglichkeit, Waren zu scannen, sie in einen virtuellen Warenkorb zu legen und die Bestellung abzuschicken, während sie auf die nächste Bahn warteten. Die Einkäufe wurden anschließend per Lieferdienst direkt an die angegebenen Adressen der Kunden gebracht. Das Ergebnis: Während des Pilottests wuchs die Anzahl neu registrierter Online-Kunden nach eigenen Angaben um 78 %, die Online-Verkäufe nahmen um 130 % zu.²¹

Abb. 7: Semacode Kohlendioxid

Das Konzept der Virtual Stores wird seitdem von TESCO weiterverfolgt, und auch in Deutschland laufen Tests mit Quick-Response-Angeboten. Im Oktober 2011 kündigte die norddeutsche Drogeriekette Budnikowsky eine Kampagne für die hauseigene Naturkosmetikmarke ALIQUA an. Dazu wurden in mehreren deutschen Großstädten Quick-Response-Plakate in Shop-Optik in Wartezonen des öffentlichen Nahverkehrs angebracht. „In unseren Hamburger Ladengeschäften erreichen uns zunehmend

21 YouTube 2011.

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telefonische Anfragen aus anderen Bundesländern, die wir nun positiv beantworten können“, begründete Geschäftsführungsmitglied Christoph Wöhlke den Schritt.²² Das Prinzip des ortslosen Shops soll dem Unternehmen dabei helfen, überregional neue Märkte zu erschließen. Kunden, die über kein Smartphone verfügen, erfahren über die Plakate von neuen Produkten und können ihre Bestellungen später im OnlineShop aufgeben.

4.2 QR-Codes für Bibliotheken Die Anwendungsmöglichkeiten von QR-Codes für Bibliotheken sind vielfältig und reichen von zusätzlichen Kundeninformationen über Veranstaltungshinweise und Gewinnspiele bis hin zu konkreten Buchbestellmöglichkeiten. Das tatsächliche Szenario in der deutschen Bibliothekslandschaft ist verglichen mit angloamerikanischen Vorstößen heute jedoch noch überschaubar. Oft werden Broschüren, Flyer und Poster mit QR-Codes versehen; einige Einrichtungen nutzen das Instrument, um direkt an Bücherregalen auf korrespondierende Volltexte hinzuweisen, die online verfügbar sind. Ein konkretes Beispiel stammt aus den USA: Im Zuge des 100. Geburtstags des Stephen-A.-Schwarzman-Gebäudes, in dem die New York Public Library ihren Sitz hat, veranstaltete die Bibliothek eine interaktive Smartphone-Spielenacht,²³ zu der 500 Teilnehmer eingeladen wurden. Im Mittelpunkt der Aktion stand eine Schnitzeljagd, bei der Bücher und andere Gegenstände entdeckt werden mussten. Um den jeweiligen Fund registrieren zu können, wurden einige Exponate zuvor mit QR-Codes ausgestattet, mit deren Hilfe die Spieler ihre Funde dokumentieren konnten. Der Einsatz von QR-Codes lohnt sich immer dann, wenn aus Gründen von mangelndem Platz und Komfort (etwa auf Post- oder Visitenkarten) im bibliothekarischen Alltag Informationen vorenthalten werden müssen  – denn QR-Codes bieten eine ständig verfügbare Schnittstelle zum Internet. Sie wecken die natürliche Neugier, zudem sind einmal im Smartphone aufgerufene Inhalte leichter speicherbar. Die Signaturen können einen kostengünstigen, neuen Kanal zur Kundschaft etablieren. Um für Kampagnen oder den ständigen Gebrauch eigene QR-Codes selbst zu erstellen, ist kein großes Vorwissen nötig. Im Internet sind heute eine Reihe unkomplizierter Code-Generatoren wie z.B. goQR²⁴ zu finden, über die sich auslesbare Embleme gemäß individuellen Vorgaben anpassen und später weiterverarbeiten lassen.

22 BUDNI 2011. 23 ZBW MediaTalk 2011b. 24 goQR 2011.

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5 Ausblick Die vorliegenden Beispiele zeigen, dass Bereiche des Mobile Marketing – trotz einiger Hürden  – durchaus auch von Bibliotheken realisiert und genutzt werden können. Und sie täten gut daran, diese Entwicklung im Blick zu behalten. Die Marschroute digitaler Innovationen führt eindeutig und unweigerlich weiter in die Richtung von Mobile und Location: Technologien wie Near Field Communication (NFC), die aus handelsüblichen Smartphones Schnittstellen zum Bestellen und Bezahlen machen, sind auf dem Vormarsch. Ausleihprozesse werden in einigen Teilen der Erde bereits heute selbstständig durch die Nutzer vor intelligenten Regalen abgewickelt. Die Aufgaben des Personals wandeln sich und verlagern ihre Schwerpunkte hin zur Beratung und Vermittlung von Medienkompetenz; und auch dabei kommen zusehends mobile Medien zum Einsatz (App-Chats oder Dienste wie „Text a Librarian“). Bibliotheken sollten es also nicht versäumen, regelmäßig die Wünsche der Kunden zu sondieren, eigene Ziele zu formulieren und Schwerpunkte in der Kommunikation zu setzen. Diese Definitionen müssen in der Folge bei jeder Maßnahme berücksichtigt werden: Die Art des Contents, die Form der Ansprache und die Aktionsinhalte sind dabei individuell festzulegen. Der Einstieg in das Mobile Marketing kann der erste Schritt in einer Gesamtstrategie sein, deren Ziel es ist, konkrete Bibliotheksdienste, On-Demand-Services und Marketing im mobilen Web zu vereinen. Bis es tatsächlich so weit ist und Nutzerinnen und Nutzer die vollständige virtuelle Bibliothek auf dem Handy- oder Tabletdisplay wiederfinden, wird noch einige Zeit vergehen. Doch wenn es so weit ist, lohnt es sich, bereits ein Standbein in der mobilen Community zu haben.

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Barbara Lison

Kundenzufriedenheit und Kundenbindungsstrategien 1 Einleitung Im Rahmen des Qualitätsmanagements ist Kundenorientierung eine der herausragenden strategischen Konzeptionen; denn die „Qualität“ und der Nutzen einer Dienstleistung definieren sich immer aus der Kundensicht. Dies gilt auch für Bibliotheken, die als sogenannte Non-Profit-Unternehmen ihre Funktion als Dienstleister für Kunden erst vor nicht allzu langer Zeit gefunden haben. Ziel der Kundenorientierung ist es, den Kunden einen Service zu bieten, der von diesen als effektiv und effizient wahrgenommen wird, und damit deren Loyalität zur Bibliothek zu begründen. Damit soll erreicht werden, dass die Bibliothek eine möglichst große Marktdurchdringung bzw. Reichweite in die Bevölkerung hinein hat – und damit eine möglichst große Zahl an Kunden und Ausweisinhabern. Diese Größe ist eine wichtige Kennzahl für die Akzeptanz der Bibliothek und wird von deren Unterhaltsträger in der Regel als ein Gradmesser für die Bewertung der Wirkung der Einrichtung herangezogen. Daher muss es neben der Gewinnung von Neukunden auch ein strategisches Ziel des Bibliotheksmanagements sein, möglichst viele vorhandene Kunden zu halten bzw. an die Bibliothek zu binden. Kundenbindungsstrategien sind umso wirkungsvoller und erfolgreicher, je zufriedener die Kunden mit den Dienstleistungen sind und je mehr Nutzen sie aus dem Verhältnis zu dem Dienstleistungserbringer ziehen können. Dies gilt vor allem für Dienstleistungen, deren Wahrnehmung nicht obligatorisch ist, wie dies in der Regel bei Bibliotheken der Fall ist. Daher ist die Erzielung von Kundenzufriedenheit die Hauptbasis für alle Kundenbindungsstrategien. Im Unterschied zu kommerziellen Produkt- und Dienstleistungsanbietern ist für Bibliotheken das Ziel der Kundenbindung nicht ökonomisch (möglichst hoher Umsatz und Gewinn) definiert, sondern politisch. Als steuerfinanzierte Einrichtungen sollen sie auftragsgemäß eine maximale Wirkung in möglichst breiten Bevölkerungskreisen erzielen. Nur mit kundenorientierten Strategien − wie dem Qualitätsmanagement mit allen seinen Elementen, u.a. auch zur Kundenbindung − können Bibliotheken ihr Wirkungspotenzial wirklich ausschöpfen. Das Thema Kundenbindung / Kundenloyalität hat sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch in der unternehmenspsychologischen Forschung seit mehr als 20 Jahren einen festen Platz (siehe Literaturverzeichnis). Die entsprechenden Denkansätze und Methoden haben seit Beginn dieses Jahrtausends sowohl in die Theo-

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rien des Bibliotheksmanagements¹ als auch in die Praxis der deutschen Bibliotheken Einzug gehalten.

2 Theoretische Aspekte der wichtigsten Kundenbindungsstrategien Das Kundenbeziehungsmanagement, heute zumeist als Customer Relationship Management oder CRM bezeichnet, ist ein Bestandteil des Beziehungsmarketings, das den Aufbau und Erhalt möglichst langfristiger Kundenbeziehungen bezweckt. Der Fokus dieser Marketingstrategie liegt auf der ganzheitlichen Ausrichtung der Beziehung zwischen dem Unternehmen bzw. der Institution und dem Kunden. Es dient der Verbesserung der Kundenbindung durch eine angemessene Pflege der Kundenbeziehungen. Das CRM „charakterisiert“ eine Managementphilosophie, die eine komplette Ausrichtung des Unternehmens auf vorhandene und potenzielle Kundenbeziehungen vorsieht. Ziele sind der Aufbau und der Erhalt „dauerhafter und profitabler Kundenbeziehungen“² sowie von „Mehrwerten auf Kunden- und Lieferantenseite im Rahmen von Geschäftsbeziehungen“³. Der ganzheitliche Ansatz des CRM mit der Kundenbindung als Unternehmenszweck korreliert mit den Voraussetzungen, Elementen und Zielen des Qualitätsmanagements. Das CRM soll die Perspektive des Kunden in alle Geschäftsprozesse einbringen sowie Maßnahmen und Systeme installieren, die zur Erreichung dieses Ziels beitragen. Das CRM wird als eines der wichtigsten Konzepte betrachtet, um Kundenbeziehungen langfristig sowohl zu sichern als auch neue Kunden anzuziehen. Es besteht aus mehreren Unterzielen, darunter z.B. Kundenorientierung, Neukundengewinnung, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, aber auch Effizienzsteigerung und Imageverbesserung. Um diese Unterziele in die Tat umzusetzen, müssen im Rahmen des CRM Kundeninformationen systematisch gesammelt und analysiert werden. So entsteht eine systematische Dokumentation in einer Datenbank, die für die CRM-Aktivitäten genutzt werden kann. Das CRM wird daher auch unterteilt in „Operatives“ CRM (Marketing, Vertrieb, Dienstleistung), „Analytisches“ CRM (Datensammlung und -analyse) und „Kollaboratives“ CRM, wobei Letzteres sich am „durchgängigen Auftragsprozess“ orientiert und den ganzheitlichen Ansatz einlösen soll.⁴

1 Siehe z.B. Hobohm 1999; Vogt 2004. Auch die bibliothekarischen Ausbildungsstätten haben dieses Thema inzwischen fest in ihrem Curriculum installiert. 2 Raab, Werner 2009, S. 11. 3 Schnauffer, Jung 2004, S. 4. 4 Vgl. Schnauffer, Jung 2004, S. 27 ff., 118 ff.

Kundenbindungsstrategien

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Im Rahmen des CRM werden verschiedene Strategien und Instrumente für den Kundenkontakt eingesetzt, die den klassischen Marketingdimensionen – Produktpolitik, – Preispolitik, – Kommunikationspolitik, – Distributionspolitik, – Personalpolitik und – Ausstattungspolitik entstammen. Diese Strategien und Instrumente können sowohl auf schriftlichen, telefonischen oder elektronischen als auch auf persönlichen Kommunikationsschienen basieren. Eine praktikable Methode, die für den Aufbau nachhaltiger Kundenbeziehungen steuerungsrelevanten Kennzahlen zu nutzen, ist die Integration dieser Kennzahlen in die Balanced Scorecard. Dieses, inzwischen auch in Deutschland etablierte, strategische Steuerungssystem betrachtet im Grundsatz die Entwicklung einer Organisation oder eines Unternehmens aus vier Perspektiven: Finanzen, Kunden, Interne Geschäftsprozesse, Beschäftigte.⁵ Das CRM eines Unternehmens sollte durch spezielle Software, vor allem zur Verarbeitung der Daten und Kennzahlen über Kunden sowie für das Controlling der Kundenbeziehungen, unterstützt werden, sodass diese Daten für die Beschäftigten mit CRM-Funktionen in nach Bedarf aufbereiteter Form zur Verfügung stehen.⁶ Auch wenn eine gute Datenbasis vorhanden ist, ist es unabdingbar, dass die Beschäftigten nicht nur ein Verständnis für die Ziele und die Prozesse des CRM entwickeln, sondern sich mit diesen auch identifizieren, da sie Teil der CRM-Prozesse sind. Soweit möglich, werden die Aufgaben des CRM durch eine zentrale Stelle gebündelt, wo auch die operative Verantwortung für alle Prozesse des Kundenbeziehungsmanagements angesiedelt ist. Diese verantwortliche Stelle muss über klar definierte Schnittstellen in die anderen Bereiche des Hauses, vor allem zu den für den Servicebereich zuständigen Beschäftigten, hineinwirken können. Es ist daher zu empfehlen, dass das CRM in der Form einer Stabsstelle auf der Führungsebene eingebunden ist und die Funktion eines „aktiven Kundenservicecenters“ einnimmt.⁷

2.1 Kundenzufriedenheit Die wichtigste Grundlage für die Kundenbindung im Zusammenhang mit einem nichtmonopolisierten Angebot oder Produkt ist die Kundenzufriedenheit. Um die

5 Vgl. Raab, Werner 2009, S. 139 ff. 6 Vgl. Ott, Hubschneider 2009, S. 91 ff., 104 ff. 7 Vgl. Schnauffer, Jung 2004, S. 160.

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Zufriedenheit eines Kunden zu erzielen, „ist es notwendig, dessen Erwartungen zu kennen und zu wissen, was ihm gefällt oder missfällt“⁸. Kundenzufriedenheit stellt sich nämlich nur dann ein, wenn die „Erwartungen, Ziele und Normen“ des Kunden in Bezug auf die Leistungserbringung mindestens erfüllt werden, also zufriedenstellend sind. „Denn die Differenz zwischen erwarteter und wahrgenommener Leistung führt unmittelbar zu einem (Kunden-)Urteil über die Dienstleistungsqualität.“⁹ Es ist allerdings auch zu beachten, dass viele Kunden die aus ihrer Sicht selbstverständlichen Dienstleistungen zwar als durchaus akzeptabel betrachten, eine wirkliche Zufriedenheit bei ihnen aber erst dann eintritt, wenn ihre Erwartungen übertroffen werden. Dieser gesteigerte Zufriedenheitseffekt (Begeisterung) ist überhaupt die Basis für das Entstehen einer längerfristigen Kundenbindung. Eines der gängigsten Modelle zur Analyse von Kundenwünschen, das von Noriaki Kano entworfene KanoModell, dient dazu, die Wünsche (Erwartungen) von Kunden zu erfassen und diese bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. Es geht davon aus, dass die Kunden an ein Produkt „Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen“ haben können, die allerdings nicht linear verlaufen müssen.¹⁰ Grad der Kundenzufriedenheit

Begeisterungsforderungen

Fo rd er un ge n

n chunge Überras

Leistungsforderungen

un d

Er wa rtu ng en

sehr zufrieden

en lichkeit rständ e tv s lb Se Ze it

Au s

ge sp r

oc he ne

nicht erfüllt

vollständig erfüllt

Grad der Erfüllung der Kundenwünsche

Grundforderungen

sehr unzufrieden

Abb. 1: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit¹¹

8 Raab, Werner 2009, S. 83 ff. 9 Meffert, Bruhn 2009, S. 92. 10 Vgl. Haeske 2001, S. 171. 11 http: // www.economics.phil.uni-erlangen.de / bwl / lehrbuch / hst_kap2 / kuzufr / kuzufr.htm (letzter Abruf: 20.09.2011).

Kundenbindungsstrategien

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Dabei sind sowohl das Produkt bzw. die Dienstleistung selbst als auch die Organisation und deren Kommunikationswege sowie deren Beschäftigte die entscheidenden Faktoren für die Qualitätsbestimmung.¹² Die Zufriedenheitsforschung hat für die Messung der von den Kunden wahrgenommenen Dienstleistungsqualität in Relation zu deren Erwartungen das ServQual-Verfahren etabliert, das schnell und vielseitig einsetzbar ist.¹³ Eine Weiterentwicklung dieses psychometrischen Verfahrens zur Qualitätsmessung ist die Methode ServPerf, die fünf einstellungsorientierte Dienstleistungsdimensionen für die Bestimmung von Kundenzufriedenheit identifiziert hat und diese für die Qualitätsmessung nutzt: – Verlässlichkeit, – Verständlichkeit, – Reaktionsfähigkeit, – Vertrauen und – Einfühlungsvermögen.¹⁴ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufriedener Kunde die Dienstleistung ein weiteres Mal nutzt, ist drei Mal so hoch wie bei einem unzufriedenen Kunden. Ein zufriedener Kunde ist in der Regel ein Multiplikator für drei bis fünf weitere Personen, an die er das positive Erlebnis weitergibt, und wird damit zu einem wichtigen Werbeträger für den Erbringer der Dienstleistung. Ein unzufriedener Kunde ist ebenfalls ein Multiplikator – nur gibt er sein negatives Erlebnis an zehn bis zwölf Personen weiter, wodurch er das Image des Dienstleistungserbringers ernsthaft gefährden kann.¹⁵ Die so entstandene negative Haltung kann über einen relativ langen, mitunter mehrjährigen Zeitraum handlungsbestimmend bleiben. Dieses negative wie positive Potenzial an Meinungsbildnern muss bei der Unternehmensstrategie berücksichtigt werden.

12 13 14 15

Vgl. Kenzelmann 2008, S. 104 ff. Vgl. Kaiser 2005, S. 135 ff. Vgl. Jain, Gupta 2004. Vgl. Raab, Werner 2009, S. 84 ff.

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Zufriedene Kunden vermitteln an bis zu 3 Personen ihre positiven Erfahrungen weiter

Unzufriedene Kunden sprechen mit 10 bis 12 Personen über ihre negativen Erfahrungen

Abb. 2: Der Kunde als Multiplikator¹⁶

Die Kundenzufriedenheit zu messen ist eine komplexe Aufgabe. Die Forschung unterscheidet hierbei vor allem objektive und subjektive Messansätze.¹⁷ Die objektiven Verfahren beruhen sowohl auf der Beobachtung des Kundenverhaltens und objektiven Testverfahren als auch auf der Auswertung objektiv messbarer Größen (z.B. Umsatz, Marktdurchdringung, Abwanderungsrate u.Ä.).¹⁸ Die subjektiven Verfahren sind hingegen auf den individuellen Kunden selbst ausgerichtet. Letztere fokussieren die „interindividuelle leistungsspezifische Wahrnehmung des Kunden“ und können sowohl „merkmalsorientiert“¹⁹ (z.B. durch die Gegenüberstellung der Kundenerwartungen mit den wahrgenommenen Leistungen) als auch „ereignisorientiert“²⁰ oder „problemorientiert“²¹ (z.B. in Form der Beschwerdeanalyse) sein. Für den internen Verbesserungsprozess, in den die Resultate der Zufriedenheitsmessungen einfließen müssen, sind die Ergebnisse der ereignis- und problemorientierten Messverfahren erheblich aufschlussreicher; Meister und Meister sprechen deswegen sogar statt von KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) von PVP (Problemkonkretisierter Verbesserungsprozess).²² Der Vorteil liegt darin, dass diese Verfahren aus konkreten Dienstleistungssituationen ableitbar sind. Sie können daher auch direkt dazu beitragen, die konkrete Dienstleistung zu verbessern.²³ Die am häufigsten angewandten subjektiven Verfahren der Kundenzufriedenheitsuntersuchung sind die quanti-

16 http: // forge.fh-potsdam.de / ~hobohm / kunde.pdf (letzter Abruf: 20.09.2011). 17 Vgl. Kaiser 2005, S. 120 ff. Siehe auch die Beiträge „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis sowie „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 18 Vgl. Raab, Werner 2009, S. 105 ff. 19 Kaiser 2005, S. 127. 20 Kaiser 2005, S. 155 ff. 21 Kaiser 2005, S. 164 ff. 22 Vgl. Meister, Meister 1998, S. 67 ff., 91 ff. 23 Vgl. Meister, Meister 1998, S. 73 ff.

Kundenbindungsstrategien

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tative Befragung, das Interview, das Kundenforum²⁴, die Fokusgruppenarbeit sowie die konsequente kontinuierliche Auswertung der eingegangenen Beschwerden, aber auch der positiven Kundenrückmeldungen. In jedem Fall gehört zu einer Untersuchung der Kundenzufriedenheit auch die detaillierte Analyse der Untersuchungsdaten sowie entsprechende Reaktion der Organisation in Bezug auf Schwachstellenreduktion.

2.2 Beschwerdemanagement²⁵ Das Beschwerdemanagement ist ein fundamentaler strategischer Baustein der Kundenbeziehungspflege in einem kundenorientierten Betrieb. Dies ist sowohl wichtig für die klare Verantwortungszuordnung der internen Arbeitsabläufe als auch für die Transparenz der Prozesse den Kunden gegenüber.

Beschwerdestimulierung

Beschwerdeannahme

Beschwerdecontrolling

Beschwerdebearbeitung

Beschwerdeauswertung

Beschwerdereaktion

Abb. 3: Der Beschwerdemanagementprozess²⁶

Unter Beschwerdemanagement versteht man alle Verfahren, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit von Kunden vorgebrachten Beschwerden zu Produkten oder Dienstleistungen unternimmt. Darunter fallen alle Maßnahmen des Unternehmens, um Beschwerden für beide Seiten gewinnbringend zu erledigen. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob es sich um ein subjektives Problem des Kunden oder ein objektives

24 Bei einem Kundenforum werden mehrere (Schlüssel-)Kunden zu moderierten Gesprächen eingeladen mit dem Ziel, Informationen über deren Wünsche zu erhalten und diese in die Unternehmensstrategie einzubinden. So werden Kunden planmäßig zu mittel- bis langfristigen Akteuren in den Verbesserungsprozessen des Unternehmens (Kießling, Koch 1999). 25 Oft werden die Begriffe Beschwerdemanagement und Reklamationsmanagement synonym gebraucht. Reklamationen unterscheiden sich von Beschwerden dadurch, dass in diesen Fällen ein konkreter Rechtsanspruch geltend gemacht werden kann. Siehe Haas, von Troschke 2002, S. 14. 26 Jessen 2005, S. 24.

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Problem handelt.²⁷ Generell werden Beschwerden definiert als „Artikulationen von Unzufriedenheit, die gegenüber Unternehmen mit dem Zweck geäußert werden, auf ein subjektiv als schädigend empfundenes Verhalten eines Anbieters aufmerksam zu machen, Wiedergutmachung für erlittene Beeinträchtigungen zu erreichen und / oder eine Änderung des kritisierten Verhaltens zu erreichen“²⁸. Eine Beschwerde soll also als „kritisches Feedback“²⁹, als externe Schwachstellenanalyse verstanden und genutzt werden, als externer Hinweis und Chance für den internen kontinuierlichen Verbesserungsprozess eines Unternehmens. Kundenbeschwerden scheinen nur bei oberflächlicher Betrachtung eine Störung des „normalen“ Betriebsablaufes zu sein; im Gegenteil sind sie Teil der Beschwerdekultur eines Unternehmens, die sowohl für die Beschäftigten wie auch die Kunden transparent gemacht werden muss. Durch entsprechende Schulungen sind die Beschäftigten auf diese Beschwerdekultur hinzuorientieren, damit sie eine Beschwerde- und Konfliktkompetenz³⁰ entwickeln können, die ihnen im Kundenkontakt hilft, im Beschwerdefall angemessen und richtig zu reagieren. Der Nutzen von Kundenbeschwerden für die Entwicklung eines Unternehmens ist heute unbestritten; und viele Unternehmen, aber auch Einrichtungen der öffentlichen Hand, arbeiten inzwischen mit einem institutionalisierten Beschwerdemanagement. Denn Kunden mit schlechten Erfahrungen eröffnen mit diesem Angebot zur kritischen Kundenkommunikation eine Optimierungschance für das Unternehmen: Sie können beschreiben, was falsch läuft, und geben oft auch Anhaltspunkte, wie der Dienstleistungsprozess verbessert werden kann. Mit ihrer Beschwerde signalisieren Kunden eine zwar negativ motivierte, meistens aber auch kooperative und offene Dialogbereitschaft, die zeigt, dass der Kunde weiterhin Interesse an dem Unternehmen sowie seinen Produkten und Dienstleistungen hat. Der Haupteffekt eines gut funktionierenden Beschwerdemanagements ist jedoch die Zufriedenheit der Kunden, die wiederum unabdingbar notwendig ist für die Kundenloyalität. Damit ist das Beschwerdemanagement ein essenzieller Teil des immer wichtiger werdenden Kundenbindungsmanagements. Und eine schnelle und als konstruktiv wahrgenommene Beschwerdebearbeitung kann die Kundenbindung sogar verstärken, zumindest jedoch Abwanderungstendenzen reduzieren.³¹ Untersuchungen belegen außerdem, dass nur etwa 15 % derjenigen Kunden, die mit einer Dienstleistung unzufriedenen sind, initiativ werden und den Aufwand einer formellen Beschwerde auf sich nehmen; 70 % dagegen gehen kommentarlos zum

27 Siehe auch Haeske 2001, S. 10 ff. 28 Stauss, Seidel 2002, S. 47. 29 Jessen 2005, S. 22. 30 Vgl. Haeske 2010, S. 69. 31 Studien belegen, dass 95 % der Beschwerdeführer einem Unternehmen treu bleiben, wenn das vorgetragene Problem innerhalb von fünf Tagen gelöst werden kann (Raab, Werner 2009, S. 84).

Kundenbindungsstrategien

483

Wettbewerber über oder verzichten ganz auf die Dienstleistung. Kunden, die Probleme mit einem materiellen Gut haben, beschweren sich häufiger als unzufriedene Kunden eines Serviceprozesses, da hier die „Beweislage“ schwieriger ist. Eine relativ niedrige Beschwerdequote korreliert also nicht unbedingt mit einer hohen Kundenzufriedenheitsquote. Die Organisation des Beschwerdemanagements kann entscheidend zum Erfolg dieses Verfahrens beitragen. Dabei ist es wichtig, dass die eingehenden Beschwerden nach einem ganzheitlichen klaren, logischen Verfahren – Datenaufnahme, Analyse, Bearbeitung – behandelt werden, dem drei Phasen zugrunde liegen und das bereits im Vorfeld der Beschwerde wirksam werden muss:³² 1. Vor der Beschwerde: Im Rahmen des Qualitätsmanagements wird auf allen Hierarchieebenen eine kundenorientierte „Beschwerdekultur“ etabliert; die Beschäftigten erhalten entsprechende Schulungen. Die Kunden werden zu Rückmeldungen über ihre Zufriedenheit stimuliert, was bedeutet, dass dem Kunden auch verschiedene Beschwerdewege angeboten werden sollten. 2. Während der Beschwerde: Kompetente und schnelle Beschwerdebearbeitung nach den dafür festgelegten Grundprinzipien des eigenen Qualitätsmanagements; Beachtung des jeweils eigenen Handlungsspielraums der Beschäftigten. 3. Nach der Beschwerde: Das Beschwerdecontrolling analysiert und „controlled“ die Beschwerden sowie den Verlauf der einzelnen Fälle und passt gegebenenfalls die Dienstleistungen und die Strategien des Beschwerdemanagements neu an. Es kann sinnvoll sein, auch für diese Funktionen spezielle CRM-Software-Systeme einzusetzen, die eine größere Anzahl von Prozessen und Daten automatisch verarbeiten können. Für die Prozessgestaltung einer erfolgreichen Beschwerdebearbeitung selbst schlägt Haeske33 als strukturierenden Leitfaden das Modell EVA3 vor: E Entschuldigung V Verständnis zeigen A3 Analyse der Beschwerde Auflösung der Beschwerde Abschluss

32 Vgl. Haeske 2001, S. 113 ff. 33 Vgl. ebd.

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Lison

Vorgehen nach der EVA3-Methode

E

Entschuldigung

V

Verständnis

A

A

Analyse der Beschwerde

Nein

Auflösung der Beschwerde

Problemlösung gefunden? Ja

Nein

Gespräch dreht sich im Kreis

Ja

Gespräch aussichtslos Ja Nein Wunderfrage

A Abschluss

Notfallstrategie

Abb. 4: Beschwerdeablauf nach der EVA3-Methode34

Es ist außerdem zweckmäßig, dass es eine Person gibt, die auch im operativen Kontext für das Beschwerdemanagement verantwortlich zeichnet und Ansprechpartner für die Kunden ist.35 Natürlich sind alle Personen mit Kundenkontakt für die Kommunikation im Beschwerdefall zu schulen und zu sensibilisieren. Die von Haeske entworfene „Serviceuhr“ mit ihren zwölf Servicedimensionen gibt hier detaillierte Anhaltspunkte, wie sich die Beschäftigten den Beschwerdeführern gegenüber verhalten sollten.

2.2.1 Kulanz / Kalkulierte Kulanz Unter den Verfahren für die Regulierung von Kundenbeschwerden ist das Konzept der Kalkulierten Kulanz eines der wirkungsvollsten, aber auch anspruchsvollsten; es gehört zu den wichtigsten Kundenbindungsinstrumenten. Mit diesem Konzept

34 Haeske 2010, S. 115. 35 Haas und von Troschke gehen so weit, diesen Ansprechpartner als „Kundencoach“ zu bezeichnen (2002, S. 17).

Kundenbindungsstrategien

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Emotionaler Schaden

wird das Ziel verbunden, durch offensichtlichen  – zumindest partiellen  – Verzicht auf eine eindeutige Rechtsposition den Kunden zufriedenzustellen. Insbesondere für Beschwerden materiellen Inhalts, in Bibliotheken vor allem bei gravierenden Problemen mit kostenpflichtigen Dienstleistungen oder Mahnfällen, kann eine großzügige Geste auf Basis der Kalkulierten Kulanz dazu beitragen, die Abwanderung eines gravierend verärgerten Kunden zu verhindern. Entscheidend dabei ist allerdings, dass diese Geste weiterhin von der Handlungssouveränität der Kulanz gewährenden Instanz geprägt ist. Es wird sich aber in der Regel nicht um einen 100%igen Anspruchsverzicht bzw. eine 100%ige Entschädigungsleistung handeln können, sondern es sollte eine gute Kompromisslösung (Win-win-Lösung) angestrebt werden. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass die Beschäftigten im Kundenkontakt einen verlässlichen und eindeutigen Handlungsspielraum für eigene Kulanzentscheidungen haben und für komplexere Fälle die Einbeziehung der Führungskräfte klar geregelt ist. Der Handlungsspielraum von Beschäftigten im ServiceDienst von Bibliotheken kann bei einem Gebührennachlass z.B. auf eine Maximalsumme beschränkt sein oder in Bezug auf die Modifizierung von Ausleihbedingungen für bestimmte Medien. Als „großzügige Geste“ zur Kompensation von unerfreulichen, aber regelgerechten Entscheidungen für Kunden können Gutscheine für kostenpflichtige Sonderdienstleistungen wie z.B. die Bestsellerausleihe, Vormerkungen oder ein Getränk im Lesecafé ausgegeben werden; möglich sind auch kleinere Geschenke wie z.B. Taschen und Beutel oder exklusivere Werbeartikel der Bibliothek bzw. der Stadt.

Feld der „Kränkungen und Enttäuschungen“ Maßnahme: Persönliche Geste

Feld der „Katastrophen“ Maßnahme: Persönliche Geste & Kalkulierte Kulanz

Feld der „Lappalien“ Maßnahme: Standardisierung

Feld der „materiellen Beschwerden“ Maßnahme: Kalkulierte Kulanz

Materieller Schaden

Abb. 5: Beschwerdeanalyse / Beschwerdebearbeitung³⁶

36 In Anlehnung an Schiefer 2007 (http: // wbw.unileoben.ac.at / wbw / wbwskripten. nsf / 887ec92cfa76a684c1256c5a00490b88 / 981c7d50b9360c50c125739f00432496 / $FILE / QM%20 bei%20Dienstleistungen.pdf − letzter Abruf: 20.09.2011).

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2.3 Neue Theorien und Entwicklungen der Kundenbindungsstrategien Die klassischen Theorien und Verfahren der Kundenbindungsstrategien werden permanent weiterentwickelt, verfeinert und modifiziert. Zudem entstehen neue Theorien, zum Teil angeregt durch verwandte Wissenschaftsdisziplinen oder hervorgerufen durch technische bzw. gesellschaftliche Entwicklungen. Im Folgenden werden einige der wichtigsten neueren Ansätze präsentiert.

2.3.1 Neuro-CRM Ein relativ neuer theoretischer Ansatz für das Kundenbeziehungsmanagement ist das Konzept des Neuro-CRM, u.a. von Joost van Treeck. Dieser Ansatz beleuchtet die wichtigsten Faktoren von Kundenbeziehungen aus der Perspektive der psychologischen Forschungsfelder Markt-, Medien-, Werbe- und Sozialpsychologie. In diesem Zusammenhang entwickelte van Treeck auch die Grundlagen einer „Kundenbeziehungstherapie“³⁷, die nicht nur im Krisenfall eingesetzt wird, sondern auch zur „Optimierung der regulären Kundenkommunikation“³⁸ dienen soll. Eine der Hauptthesen van Treecks ist, dass ein Kunde, der nicht mehr für seine Interessen eintritt oder gar streitet, ein verlorener Kunde ist. Hier setzt er mit dem Methodenrepertoire der Psychologie an, um rechtzeitig die Loyalität der Kunden zu erzeugen und zu erhöhen, damit diese auch im Krisenfall Bestand hat. Hierunter fallen sowohl vertrauensbildende Maßnahmen (z.B. Qualitätsversprechen oder speziell für eine Bibliothek das Versprechen der Einhaltung des Datenschutzes bzw. der Maßnahmen zur Diskretion) als auch die Erzeugung einer emotionalen Bindung (z.B. über freundliches Personal und individuelle Behandlung). Im Rahmen seiner Untersuchungen zum Beziehungsmarketing hat van Treeck das Modell einer „Beziehungslandkarte“ entwickelt, das auf der These von einem begrenzten Repertoire von prototypischen Beziehungen basiert.³⁹

37 van Treeck 2011. Diese Theorie ist verwandt mit dem Konzept der „Kundenpartnerschaft“, die Rönnecke ausführlich beschreibt (2002, S. 124 ff.). 38 http: // www.neuro-crm.com / neuro-was-crm-mit-neuronen-zu-tun-hat. In seinem Blog http: // blog.neuro-crm.com berichtet van Treeck über die aktuellen Entwicklungen dieses Ansatzes (letzter Abruf: 20.09.2011). 39 Vgl. http: // www.neuro-crm.com / beziehungslandkarte (letzter Abruf: 20.09.2011).

Kundenbindungsstrategien

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2.3.2 Kundenbindung über Online-Marketing Die verstärkte Nutzung des Internets für den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen führt zum einen zu neuen Verfahren der Kundenorientierung wie z.B. zur permanenten und zur Ad-hoc-Kommunikation; zum anderen werden die Kunden auch „mobiler“ und wechseln schneller zwischen den Anbietern, wenn sie nicht zufrieden sind. In der Umgebung der Internetwelt ist es daher schwieriger, die Kunden mit den klassischen Loyalitätsverfahren zu binden. Andererseits sind die neuen Instrumente der Internetkommunikation – richtig angewandt – langfristig oft deutlich wirkungsvoller, weil sie die Präferenzen und die Profile der Kunden berücksichtigen und als Potenziale nutzen können.⁴⁰ Allerdings bedingt die Qualität der virtuellen Kommunikation mit dem Kunden die Qualität einer persönlichen Kommunikation auch nur partiell; vor allem dann, wenn die eigentliche Dienstleistung nicht oder nicht ausschließlich online erbracht wird bzw. erbracht werden kann.⁴¹ Die über das Internet verbreiteten Sozialen Netzwerke wie facebook, twitter oder andere Online-Communitys sind ideale Instrumente für die Kundenbindung und werden von vielen Unternehmen als solche professionell eingesetzt. Die digitale Welt eröffnet hier vielfältige Möglichkeiten, Loyalitäten mit einem Produkt, einer Dienstleistung oder einer Idee zu produzieren bzw. diese zu verstärken. Das sogenannte Social-Media-Marketing beeinflusst auch die Aktivitäten von Non-Profit-Organisationen zunehmend, die auf diese Weise Kunden an sich binden wollen, indem sie diese zu Community-Mitgliedern, Fans oder Followern machen. Instrumente wie der „Gefällt-mir“-Button bei facebook verführen geradezu zu einer schnellen und aktuellen bewertenden Meinungsäußerung, die wiederum vielen anderen Menschen auf virale Weise mit Empfehlungscharakter automatisch weiter vermittelt werden kann.⁴² Tatsächlich gleichen sich die Nutzerzahlen von klassischen Loyalitätsprogrammen und Social Community Features im Internet immer mehr an.⁴³ Die Kundenbindung über Soziale Netzwerke ist aber nicht eindimensional zu sehen:

40 Vgl. Vervest, Dunn 2002. Siehe z.B. auch die Ergebnisse des Kongresses “The 2011Customer Loyalty Conference Aligning Marketing Strategy and Customer Experience to Drive Significant Growth”, New York, October 18 – 19, 2011 (http: // www.conferenceboard.org / loyalty2 − letzter Abruf: 20.09.2011). 41 Vgl. Vervest, Dunn 2002, S. 72 ff. 42 Diese Instrumente zeigen vor allem das Potenzial des viralen Marketings für die Neukundengewinnung. 43 Vgl. z.B. http: // service-insiders.de / news / show / 857 / Studie-Loyalitaet-2-0-%E2 %80 %93-Istdie-Zukunft-der-Kundenbindung-digital (letzter Abruf: 20.09.2011). Siehe auch den Beitrag „Web2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch.

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Zum einen hängt es natürlich von den jeweiligen Zielgruppen ab, welche Maßnahmen bei der Kundenbindung die richtigen sind. Zum anderen darf kein Instrument isoliert laufen, und die Maßnahmen sollten aufeinander abgestimmt sein, da sich die Zielgruppen auf unterschiedlichen Kanälen bewegen.⁴⁴

Zu beachten ist außerdem, dass es auch in der Netz-Kommunikation unterschiedliche Nutzertypen gibt, die verschiedene Ansprachen bevorzugen. Die Funktion von „Apps“, speziellen Anwendungsprogrammen für mobile Endgeräte, führt z.B. dazu, dass die einmal als „App“ auf dem eigenen Gerät installierte Anwendung eines Anbieters immer wieder aufgerufen wird, wohingegen die Websites anderer Anbieter gar nicht mehr aufgesucht werden. Auch diese Funktionen tragen extrem zu einer Bindung der Kunden an bestimmte Anbieter bei.⁴⁵ Hinzu kommt, dass die Datentechnik es z.B. über Cookies ermöglicht, dass jeder Internetnutzer beim Aufrufen bestimmter Seiten als Individuum über seine Interessen, Vorlieben etc. persönlich angesprochen wird. Durch die Kombination bestimmter, im Netz verfügbarer Nutzerdaten aus immensen Datensammlungen lassen sich die Nutzer zielgenau identifizieren und ansprechen. Auch diese hoch personalisierten und hoch individualisierten Angebote im Verfahren des Retargeting können den Kunden an bestimmte Seiten binden, weil er dort bereits „bekannt“ ist und sich in seinen – ob echten oder suggerierten – Bedürfnissen a priori verstanden und akzeptiert fühlen kann. Dass die Kunden auf diese Weise immer mehr ihre Privatsphäre verlieren und immer mehr zu „gläsernen“ Zielpersonen werden, muss in diesem Zusammenhang jedoch auch erwähnt werden. Die datenschutzrechtlichen Aspekte müssen an anderer Stelle diskutiert werden. In aktuellen Studien wird auch eine Verschiebung in der Nutzenpräferenz durch die Kunden bei der Online-Kundenbindung beschrieben: Überwog z.B. bei Bonusprogrammen zum Punktesammeln bisher noch der individuelle materielle Nutzen in Form eines finanziellen Vorteils, werden den Menschen inzwischen soziale Effekte − und dann auf Online-Plattformen – immer wichtiger. Laut Befragungsergebnissen hat die Funktion des Online-Bewertens und -Empfehlens fast schon gleich große Bedeutung wie früher die Bonusprogramme als klassische Loyalitätsverfahren.⁴⁶ Sicherlich wird über den Einsatz des Kommunikationsinstruments Internet mit seinen Sozialen Netzwerken noch kein Kunde an einen Anbieter oder Dienstleister ausschließlich gebunden; aber das Internet offeriert zahlreiche und kostengünstige Möglichkeiten des CRM.⁴⁷

44 KEYLENS 2011: http: // www.keylens.de / uploads / tx_usercspublications / August_110831_ KEYLENS_Loyality-Studie_D_FINAL.pdf (letzter Abruf: 20.09.2011). 45 Siehe den Beitrag „Zukunft des Bibliotheksmarketings“ von Obst in diesem Handbuch. 46 Vgl. KEYLENS 2011. 47 Siehe die Beiträge „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp sowie zu Netzwerkeffekten „Märkte für Information“ von Linde in diesem Handbuch.

Kundenbindungsstrategien

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Besonders hohe Kundenloyalität kann ein Dienstleistungsanbieter über die Präsenz in den internetbasierten Sozialen Netzwerken unter anderem über folgende Funktionen erzielen:⁴⁸ – Experten-Chat und Blogs, – touristische Informationen, – Linksammlungen, – Foren, Bulletin Board Systems, – formalisierte Bonusprogramme (Loyalitätsprogramme), – Mailinglisten und Newsletter, – Community Building sowie – verlinkte Online-Shops. Die internetbasierten Sozialen Netzwerke haben vermehrt auch eine weitere Funktion der Meinungsbildung, wie in einer umfangreichen internationalen Studie der Unternehmensberatung Accenture⁴⁹ nachgewiesen wurde. Kunden verbreiten ihre negativen Erfahrungen über virale Netzwerke wie twitter, facebook oder YouTube noch schneller, unmittelbarer und ungleich wirkungsvoller und können darüber eventuell sogar bisher loyale Kunden in ihrer Haltung negativ beeinflussen. Diese Studie belegt auch, dass die Kundenloyalität in den letzten fünf Jahren weltweit um rund 50 % zurückgegangen ist, was laut Accenture auf schlechte Dienstleistungen der Anbieter, aber auch auf die Einflüsse der Sozialen Netzwerke und des Internets überhaupt zurückgeführt werden kann.

2.3.3 Strategisches Innovationsmanagement: Open Innovation Das strategische Innovationsmanagement fokussiert die Interessen der Kunden als Zielgröße des Entwicklungsprozesses einer Dienstleistung.⁵⁰ Konsequenterweise wird daher die Einbeziehung der Kunden in diesen Entwicklungsprozess als obligatorische Maßnahme für den Erfolg betrachtet. Das hat zur Folge, dass „je stärker und dauerhafter die Beziehung im Innovationsprozess zum Kunden ist, desto eher und besser können die Wünsche der Kunden ermittelt und umgesetzt werden“⁵¹. Dabei ist es wichtig, die Kunden als Berater und Mitwirkende am Innovationsprozess zu

48 Vgl. http: // www.competence-site.de / downloads / 74 / 32 / i_file_28396 / Kundenbindung%20 i.d.digi.Welt.pdf (letzter Abruf: 20.09.2011). 49 Vgl. http: // www.accenture.com / SiteCollectionDocuments / PDF / Accenture_The_New_Customer_ Equation.pdf (letzter Abruf: 20.09.2011). 50 Vgl. Georgy 2010. 51 Georgy 2010, S. 21. Man spricht in diesem Fall auch von einer situativ-offenen Beziehung, wenn die Kunden auf die Qualität der Dienstleistung direkt Einfluss nehmen können; siehe auch Meister, Meister 1998.

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verstehen und zu involvieren. Die Konzepte und Methoden der Open Innovation für die Einbeziehung der Kunden mit ihren Wünschen und Interessen variieren von der einfachen Beobachtung bis zur aktiven Integration des Kunden in den Innovationsprozess.⁵² Ein erfolgreiches Beschwerdemanagement, das als Schwachstellenanalyse durch die Kunden fungiert, sollte ebenfalls als Element der Open Innovation genutzt werden. Ebenso können die Social Communitys im Internet – quasi in der Funktion eines unanhängigen „Kundenforums“ – Innovationsmotoren sein, die für das Innovationsmanagement eines Unternehmens wichtige Anhaltspunkte geben. So können über die Weiterentwicklung und Innovation von Dienstleistungen auch Kundenzufriedenheit und Kundenbindung erzeugt werden.⁵³

3 Kundenbindung in der Bibliothek – praktische Beispiele In den vergangenen 20 Jahren haben die Ideen des Qualitätsmanagements und damit ebenso die Strategien zur Kundenorientierung auch in den Bibliotheken immer mehr Akzeptanz und Verbreitung gefunden. Die IFLA public library service guidelines von 2010 beschreiben dieses Konzept als Standard für jede Bibliothek.⁵⁴ Auf dieser Grundlage würden die Kunden zu treuen und verlässlichen Lobbyisten für die Bibliothek, wodurch sich das Image der Einrichtung noch verbessern kann. Weitere Vorteile der Kundenbindung für die Bibliothek sind sowohl die besseren Planungsmöglichkeiten für Öffnungszeiten, Angebot und Räumlichkeiten sowie eine stärkere, weil durch „Stammkunden“ gefestigte Position auf dem stark konkurrenzbesetzten Feld der Freizeitangebote.⁵⁵ Außerdem ist der Aufwand für viele Aktivitäten des Kundenmanagements wie Kundenschulungen und die Verwaltung bei langfristig gebundenen Kunden deutlich geringer. Die klassischen Kundenbindungsinstrumente aus der Wirtschaft können in NonProfit-Organisationen nur bedingt angewandt werden. Insbesondere die Gewährung finanzieller Vorteile für langfristige Kundenbeziehungen ist wegen der Vorschriften des öffentlichen Haushaltsrechts oder der zu beachtenden Entgelt- oder Gebührenord-

52 Siehe den Beitrag „Innovationsmanagement“ von Georgy und Mumenthaler in diesem Handbuch. 53 Vgl. Georgy 2010, S. 75. 54 “The policies and procedures of the library should be based on the needs and convenience of the customers and not for the convenience of the organisation and its staff. Quality services can only be delivered if the library is sensitive to the needs of its customers and shapes its services to meet those needs. Satisfied customers are the best advocates of the library service.” (IFLA public libraries service guidelines 2010, S. 50). 55 Vgl. Vogt 2004, S. 14.

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nungen nur sehr eingeschränkt möglich. Gleichzeitig haben Bibliotheken in der Regel nur ein relativ niedriges Budget für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing. Sie können deswegen kaum größer angelegte Kundenbindungsprogramme − schon gar nicht mit monetären Auswirkungen − auflegen. Sponsoringmaßnahmen, bei denen die Bibliothek als Unterstützerin einer „guten Sache“ auftritt, sind aus denselben Gründen nur sehr marginal einzusetzen. Auch die Effekte des Dialogmarketings können Bibliotheken zum einen wegen der Vorschriften des Datenschutzes, zum anderen wegen nicht ausreichender Ressourcen hierfür höchstens fallweise nutzen. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes für öffentlich finanzierte Dienstleistungen können in der Regel spezielle Treue- oder VIP-Karten nicht eingesetzt werden. Das sogenannte „Nachkauf-Geschäft“ und das Feld der Kundendienst-Geschäfte („After-SalesServices“) ist bei Bibliotheken nur begrenzt aktivierbar. Natürlich kann jede Verlängerung als „Nachkauf-Geschäft“ bezeichnet werden; allerdings ist die Kundenbindung die Bedingung dafür und nicht der Effekt. Kulanzregelungen für Einzelfälle müssen aus diesen Gründen sehr genau festgelegt werden; die Beschäftigten müssen klare Handlungsspielräume in einem rechtlich abgesicherten Rahmen erhalten. Die Kundenbindungsmaßnahmen dürfen in der Organisation nicht isoliert sein; sie müssen auf die Dienstleistungen, die sonstige interne und externe Unternehmenskommunikation und das intendierte öffentliche Image der Organisation abgestimmt sein. Die wichtigsten Kundenbindungsinstrumente der Bibliotheken sind also deren Angebote selbst bzw. sonstige Vorteile oder positive Erlebnisse auf der sozialen und emotionalen Ebene. Hier spielt die „gefühlte“ Servicequalität  – die individuelle Wahrnehmung der Dienstleistung und der damit verbundenen Menschen und Umstände – eine entscheidende Rolle. Wegen ihres Medien- und Dienstleistungsmix haben Bibliotheken vielfach noch ein Alleinstellungsmerkmal auf den Feldern Kulturelle Bildung und Informationsvermittlung, was ebenfalls zu einer Kundenbindung beitragen kann. Natürlich muss dieses Alleinstellungsmerkmal auch ein wesentlicher Inhalt der Unternehmenskommunikation – sowohl intern als auch extern – von Bibliotheken sein. Beispielhaft werden im Folgenden nach Bruhn und Homburg⁵⁶ Kundenbindungsinstrumente zu den wichtigsten Managementbereichen und Arbeitsfeldern der Bibliotheken präsentiert. Diese Instrumente betreffen die sechs Dimensionen: – Produktpolitik, – Preis- und Gebührenpolitik, – Kommunikationspolitik, – Distributionspolitik, – Personalpolitik und – Ausstattungspolitik.

56 Vgl. Bruhn, Homburg 2010, S. 242 ff.

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Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Produktpolitik: – Qualitätvolles, kundenorientiertes Angebot mit Mehrwert für das Kundenbeziehungsmanagement – Alters- und milieuspezifische Angebote⁵⁷ – Barrierefreiheit bei der Nutzung des Angebotes vor Ort und im Internet – Gut und leicht handhabbarer Online-Katalog⁵⁸ – Kundenschulungen und -führungen in möglichst kleinen Gruppen – Einbeziehung von Kunden in die Aufgaben und Angebote der Bibliothek: z.B. „Kunstwerk des Monats“ (Kunden wählen aus der Artothek ein Kunstwerk aus und begründen die Auswahl), „Auftritte“ und Engagement bei Veranstaltungen, Rolle von „Testimonials“. Diese Involvierung kann die Identifizierung mit der Bibliothek und damit die Kundenbindung erheblich verstärken. – Freiwilligenprogramme (z.B. Vorlesepaten, Unterstützung beim Bücherflohmarkt) – Wo immer es rechtlich und von der Ressourcenlage her möglich ist, sollten die Angebote die Möglichkeit zur Individualisierung haben: z.B. Zusammenstellung bestimmter Medien für einen besonderen Anlass, Nutzen von Kundenprofilen für individualisierte Information über Neuerscheinungen u.a. – Die Standardisierung der Angebote ist ebenfalls ein Kundenbindungsinstrument vor allem für Kunden, die unterschiedliche Standorte nutzen. Dadurch entsteht eine Vertrautheit mit der Einrichtung, die im besten Falle sogar zu einer verstärkten Loyalität führen kann („Meine Bibliothek!“). Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Preis- und Gebührenpolitik: – Einrichtung von Abonnements für Bibliotheksausweise: Die Bibliotheken Hamburg und Dresden z.B. bieten ihren Kunden die automatische Verlängerung der Bibliotheksausweise an mit dem Vorteil eines kleineren Rabatts gegenüber den einzeln aktivierten Bibliotheksausweisen. – Transparenz in den Gebühren- bzw. Entgeltregelungen: Die Kunden fühlen sich ernst genommen und zu selbstständigen Entscheidungen in die Lage versetzt. – Kombikarte (z.B. auch für die Nutzung anderer Bibliotheken / Kulturinstitute oder von Parkhäusern) – Als angemessen und fair empfundene Preisgestaltung für besondere Dienstleistungen (z.B. Bestseller, Vormerkungen, Bring-Service) – Den Unterschied zwischen einer reduzierten oder kostenlosen Kinderkarte und einer Karte für Erwachsene nicht zu drastisch machen. Möglichkeiten für

57 Siehe den Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch. 58 Die Mehrzahl der Website-Besuche zielt auf den Online-Katalog; z.B. in fast 90 % der WebsiteBesuche bei der Stadtbibliothek Bremen.

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Jugendliche einräumen, kostenlos oder zu deutlich reduziertem Preis weiterhin einen Bibliotheksausweis zu erhalten. Vergünstigter oder kostenloser Bibliotheksausweis für bestimmte Zielgruppen, z.B. Lehrkräfte, Beschäftigte in Kitas

Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Kommunikationspolitik: – Die vielfältigen Kommunikationswege, die heute auf technischer Grundlage schon selbstverständlich geworden sind, können auch von Bibliotheken gut und effizient genutzt werden. Andererseits ist darauf zu achten, dass die Bibliothek weiterhin  – insbesondere Nicht-Nutzern des Internets  – die Möglichkeit bietet, auch ohne Online-Technik zu kommunizieren. Die Kommunikationsmöglichkeiten über das persönliche Gespräch, Telefon, Rückmeldebögen, Handzettel oder Kundenbuch müssen für diese Kunden auch weiterhin aktiv angeboten werden. – Über die Website können viele Möglichkeiten des Online-Marketings (s.o.) genutzt werden, soweit die technischen und graphischen Bedingungen gegeben sind. Wichtig ist es, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Zur Bindung der Kunden trägt auch eine ständige Aktualisierung der Website mit neuen Infos und neuer Optik bei, sodass die Kunden sich animiert fühlen, die Website häufiger zu besuchen. Die Website sollte auch RSS-Feeds oder Recommendersysteme anbieten. – Die Wirkung der Sozialen Netzwerke im Internet für das Online-Marketing ist sehr hoch (s.o.). Bibliotheken sollten in diesen Communitys präsent sein, allerdings auch darauf achten, dass auf ihren Seiten genug Aktivitäten zu verzeichnen sind und die Seiten ausreichend oft besucht werden. Schlechte Besuchsfrequenzen erzeugen ein schlechtes Image, und es gilt, ihnen entgegenzusteuern oder ganz auf die Präsenz zu verzichten. – Der regelmäßige Newsletter bringt die Bibliothek mit ihren Angeboten immer wieder in Erinnerung. Newsletter mit eingebundenen Links ermöglichen auch eine Analyse der Häufigkeit der aufgerufenen Webseiten. – Das Beschwerdemanagement ist ein wichtiger Teil der Kommunikationspolitik, berührt aber auch die Dimensionen Produktpolitik, Personalpolitik und Distributionspolitik. – Proaktives Marketing mit Marktbeobachtung, Stärken- und Schwächenanalyse, Kundenumfragen führt direkt oder indirekt zu einer Intensivierung der Kundenloyalität. – Identifikation von „Kontaktpunkten“ als nicht sprachlicher Schlüssel zur Kommunikation (Räume, Info-Plätze, Telefonzeiten, Website, Beschäftigte) – Kundenorientierter Auftritt der Bibliotheksbeschäftigten (Kleidung, Erkennbarkeit als Bibliothekspersonal, Verhalten), der eine kundenorientierte Sprache einschließt, die frei ist von professionellem Jargon (OPAC, ILV, SBA u.Ä.).

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Dialogmarketing über die direkte persönliche Ansprache, z.B. wenn die Kunden ihren Bibliotheksausweis nicht verlängert haben.

Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Distributionspolitik: – Kundenfreundliche und verlässliche Öffnungszeiten – 24-Stunden-Präsenz im Netz – Möglichst zahlreiche und gut über das Stadtgebiet verteilte Standorte – Verlässlich bediente Bushaltestellen – Einfache Verlängerungs- und Rückgabemöglichkeiten überall – Leichte telefonische Erreichbarkeit – Berücksichtigung und Behebung von Problemen der Kunden bei der Nutzung der Bibliotheksangebote (Behinderungen, Sprache) – Leichte und intuitive Bedienung der Technik – Innovative Vertriebsangebote wie „Bahnhofsbibliothek“, „Buchstationen“ analog zu „Packstationen“, Automaten „Lib-Dispenser“, 24 / 7-Zweigstellen Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Personalpolitik: – Freundliches und einfühlsames Personal – wichtigster Faktor bei der emotionalen Bindung – Standards für den Umgang mit Kunden – Interkulturelle Kompetenz der Beschäftigten mit Kundenkontakt – Handlungsspielräume für die Beschäftigten erhöhen die Möglichkeit der freundlichen Souveränität im Kundenkontakt. Kundenbindungsinstrumente in der Bibliothek zur Dimension Ausstattungspolitik: – Ambiente mit Willkommen-Charakter und hoher Aufenthaltsqualität – Info-Plätze – Flexible Räumlichkeiten für wechselnde Kundenbedürfnisse – Leicht sicht- und erreichbare Positionierung von Serviceplätzen – Angenehme Lichtverhältnisse und Klimabedingungen

3.1 Maßnahmen der Kundenbindung für einzelne Zielgruppen der Bibliotheken Die Kunden von Bibliotheken können durchaus unterschiedliche Interessen haben, die sie mit der Inanspruchnahme der Dienstleistungen der Bibliothek verbinden. Deshalb besteht eine der wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiche Kundenbindungsmaßnahmen darin, die entsprechenden Kundengruppen zu identifizieren und zu definieren. Nicht alle Kunden reagieren gleichermaßen auf die Maßnahmen zur Kundenbindung. Dies kann zu einer dauerhaften komplexen Herausforderung für die Bibliothek werden. Es ist aber unabdingbar, den gesamten Kundenstamm effektiv

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zu segmentieren und die einzelnen Segmente individuell mit den jeweils wirkungsvollsten Angeboten anzusprechen.⁵⁹ Zum einen hängt es natürlich von den jeweiligen Zielgruppen ab, welche Maßnahmen bei der Kundenbindung die richtigen sind. Zum anderen darf keines der Instrumente isoliert eingesetzt werden, und alle Maßnahmen sollten aufeinander abgestimmt sein, da sich die Zielgruppen auf unterschiedlichen Kanälen bewegen und ganzheitlich angesprochen werden sollen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Kunden auch unterschiedliche Bindungsinteressen haben, wobei die Bindungswilligkeit wächst, je größer der Mehrwert der Bibliothek für den Einzelnen ist. Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt aber auch die Tendenz bei jüngeren Leuten gegen längerfristige Bindungen, sodass von der Bibliothek auf diese Zielgruppen ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss.

3.1.1 Kundenbindungsinstrumente der Bibliothek für Kinder Kinder, das sind in Bibliotheken in der Regel Kunden im Alter bis zu zwölf Jahren, müssen auf altersspezifische Weise an die Bibliothek gebunden werden. Dafür kann die Bibliothek, soweit überhaupt möglich, sich zum einen die Marketingmethoden zunutze machen, die ebenfalls in anderen Branchen eingesetzt werden. Es können aber auch andere, bibliotheksspezifische Kundenbindungsmaßnahmen ergriffen werden. Wichtig ist, dass alle Maßnahmen altersspezifisch sind und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit regelmäßig überprüft werden, weil diese Zielgruppe – genau wie Jugendliche – sehr starken modischen Schwankungen ausgesetzt sein kann. Besondere Maßnahmen für Kinder können z.B. sein: – Treue-Aktionen mit kleinen Geschenken (Kessi-Stempelbuch) – Gewährleistung, immer die neuesten Angebote vorzufinden – Eigene Website mit stets aktualisierten Informationen bzw. aktuellen attraktiven Inhalten Bei Kindern kann eine Kundenbindung auch erreicht werden, indem von der Bibliothek aus eine enge und dauerhafte Beziehung zu den sogenannten Multiplikatoren, im Wesentlichen den Eltern, Erziehern oder Lehrern der Kinder, aufgebaut wird, weil diese eine hohe Beeinflussungsmöglichkeit auf das Kind haben.

59 „Wer jeden Kunden gleich behandelt, der behandelt keinen Kunden gut.“ (Haeske 2010, S. 16).

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3.1.2 Kundenbindungsinstrumente für Jugendliche Viele Jugendliche nutzen die Bibliothek ausschließlich für schulische Zwecke oder während ihrer Ausbildung. Nach deren Beendigung gibt es häufig einen Knick in der Bibliotheksnutzung, weil dann keine Materialien für die Lernprozesse mehr nötig sind. Deswegen sollte die Bibliothek unbedingt versuchen, die Jugendlichen über andere Angebote als die rein schulisch motivierten zur Nutzung und zur Loyalität zu motivieren. Einige Beispiele: – Präsenz der Bibliothek im Internet und in möglichst vielen Sozialen Netzwerken⁶⁰ – Attraktive Online-Angebote, z.B. über die Onleihe – Sommerleseclub – mit der Inszenierung eines exklusiven Club-Ambientes – Vermittlung von Akzeptanz dieser Kundengruppe durch die Bibliothek, z.B. über eigene Räumlichkeiten, Einbeziehung in die Planungen der Angebote für die Zielgruppe

3.2 Controlling der Kundenbindung in der Bibliothek Das Controlling soll den Erfolg und die Wirksamkeit der Kundenbindungsstrategien und -instrumente konstatieren und die Grundlagen für die weitere Entwicklung und Steuerung des Kundenbindungsmanagements legen. Die Kundenbindung zu messen, ist deutlich komplexer, als die Messung der typischen Leistungskategorien von Bibliotheken. Immer häufiger werden heute die Kunden nach ihrer Zufriedenheit mit den Dienstleistungen der Bibliothek befragt, zum einen, um gegenüber Auftraggebern, Beschäftigten und auch in der allgemeinen Öffentlichkeit das Image der Bibliothek und deren Wirksamkeit bei den Kunden zu vermarkten. Zum anderen dienen Kundenzufriedenheitsanalysen dem internen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der wiederum zur Steigerung der Kundenzufriedenheit beitragen soll. Die Ergebnisse von Kundenzufriedenheitsanalysen können vom Bibliotheksmanagement auch bei der Einschätzung, wie stark die Bibliothek ihre Kunden bindet, herangezogen werden. Vor allem Fragen nach der erneuten Nutzungsabsicht der Kunden können hier aufschlussreich sein. Es werden dabei aber nicht mehr als generelle Stimmungsbilder entstehen können. Wie die Ergebnisse solcher Umfragen in einen nationalen Referenzkontext gestellt und mit Standardgrößen verknüpft werden können, zeigt die Veröffentlichung „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“ der BID (Bundesvereinigung Bibliothek & Information Deutschland).⁶¹ Dort wird als Indikator für die Kundenzufriedenheit ein Zufriedenheitsgrad von 90 % bei Erwachsenen und 75 % bei Kindern und bei Jugendlichen als anzustrebender Zielwert genannt.

60 Siehe hierzu auch Kneifel 2009. 61 Vgl. 21 gute Gründe für gute Bibliotheken 2009, S. 6.

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Eine Messgröße, die jede Bibliothek zur Verfügung hat, ist die Zahl bzw. die Quote der aktivierten Bibliotheksausweise. Unter der Annahme, dass diese Zahl diejenigen Kunden der Bibliothek widerspiegelt, die die Dienstleistungen der Bibliothek schätzen und sie weiterhin in Anspruch nehmen wollen, kann diese Quote zumindest als Anhaltspunkt für die reale Kundenbindung der Bibliothek genommen werden. Denn die Wahrnehmung der Dienstleistungen der Bibliothek ist in der Regel nicht obligatorisch, sondern beruht auf der freien Entscheidung des einzelnen – zumindest des erwachsenen – Kunden.

Aktivierungsquote der BibCards in % seit 2003 78,00% 76,00% 74,00% 72,00% 70,00% 68,00% 66,00% 64,00% 2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Abb. 6: Messung der Kundenbindung einer Bibliothek

4 Fazit Für die professionelle Einbindung von Verfahren zur Kundenbindung in das Bibliotheksmanagement sind sowohl entsprechende organisatorische als auch technische Maßnahmen notwendig. Der entscheidende Faktor für den Erfolg der Maßnahmen sind jedoch die Haltung der Bibliotheksbeschäftigten in Bezug auf den Kundenkontakt und das Erscheinungsbild sowie die Dienstleistungsqualität der Bibliothek in den Augen der Kunden. Wenn die Kunden eine Kongruenz zwischen ihren eigenen Ansprüchen und Erwartungen einerseits und den Qualitätsversprechen und der Qualitätsrealität der Bibliothek andererseits empfinden, dann erst stellt sich die Bindung an die Bibliothek als konstituierendes notwendiges Vertrauensverhältnis ein. Kundenbindungsmanagement muss daher sowohl als die ganzheitliche strategische Steuerung einer Organisation verstanden werden als auch als kontinuierliche Entwicklungsaufgabe eines vor allem mitarbeiterbasierten kundenorientierten Dienstleistungsunternehmens.

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Kundenbindungsstrategien

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Christian Jahl

Networking für Bibliotheken 1 Die Bedeutung von Networking für Bibliotheken 1.1 Veränderungen im Umfeld von Bibliotheken Bibliotheken¹ agieren in einem Umfeld, das vielfältigen Veränderungen ausgesetzt ist. Folgende Faktoren, die sich aus dem gesellschaftlichen, vor allem aber aus dem […] technologischen Wandel ergeben, sind hier besonders zu erwähnen: Smartphones, Tablets und leistungsfähigere Breitbandnetze für zu Hause, die den Download von Filmen in HD-Qualität innerhalb weniger Minuten erlauben, von Musik ganz zu schweigen, machen den Wechsel von physischen Datenträgern für Literatur, Film, Musik und Spiele bis hin zum Download dieser Inhalte technologisch möglich und angenehm. Eine wichtige Rolle spielen zudem die neuen Kunden – die „Digital Natives“.²

Sie sind die erste Generation, die vollständig digital sozialisiert wurde. Sie nutzen PCs, Netbooks, Tablets und Smartphones ganz selbstverständlich und intuitiv. Sie sind offen für technologische Neuerungen. Und sie wollen Informationen, Spiele und audiovisuelle Inhalte auch unterwegs nutzen. Diese beiden einander sich ergänzenden Veränderungen auf dem Medienmarkt und in der Medienrezeption sind die wesentlichen Herausforderungen für Öffentliche Bibliotheken der Gegenwart und der nächsten Jahre. Daneben gibt es u.a. Veränderungen im Schul- und Bildungswesen (z.B. Einführung der Kindergartenpflicht im Kleinkindalter [Österreich] sowie zunehmend mehr Ganztagsschulen), die – so begrüßenswert sie im Zusammenhang von Integration und Chancengleichheit auch sein mögen – Bibliotheken vor große Herausforderungen stellen. Wenn Kinder und Jugendliche den Tag im Kindergarten oder in Schulen verbringen, sinkt die Möglichkeit, mit ihren Eltern eine Bibliothek aufzusuchen. Entweder die Öffentliche Bibliothek wird mit der Führung von Schulbibliotheken oder Serviceeinrichtungen für Schulbibliotheken betraut oder sie schafft es, dass Teile des Unterrichts bzw. des Tagesprogramms z.B. des Kindergartens in der Öffentlichen Bibliothek und mit dieser gestaltet werden.

1 Der vorliegende Beitrag befasst sich in erster Linie mit dem Networking von Öffentlichen Bibliotheken. Gleichwohl gelten viele Aussagen natürlich auch für andere Arten von Bibliotheken, wie z.B. wissenschaftliche oder Spezialbibliotheken. Nur wenn es ausdrücklich um „Öffentliche Bibliotheken“ geht, werden diese auch so bezeichnet. 2 Personen, die zu einer Zeit aufgewachsen sind, in der Computer, Mobiltelefone und Internet bereits verfügbar waren und in großem Maße genutzt wurden.

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Auf der anderen Seite setzen Wirtschaftskrisen die Kommunen finanziell unter Druck und in manchen Städten und Gemeinden muss der Sparstift bei den freiwilligen Leistungen angesetzt werden, um überhaupt noch die gesetzlichen Leistungen erbringen zu können. Öffentliche Bibliotheken sind aber mangels Bibliotheksgesetzen kommunale freiwillige Leistungen, sodass sie besonders von den Sparzwängen betroffen sind. Beispielsweise berichtete Harald Pilzer in seinem Vortrag „Solange das Schiff nicht gesunken ist, spielt die Kapelle!“ auf dem Bibliothekartag in Erfurt 2009 über die Lage der Großstadtbibliotheken in Nordrhein-Westfalen sowie über die Folgen des Sparzwangs der Kommunen.³ Aber auch Veränderungen im örtlichen und regionalen Umfeld, die es immer gegeben hat, wie neue Schwerpunkte der Stadtplanung, Veränderungen und Verschiebungen der Zentren sowie der Verkehrsströme erzeugen einen Veränderungsdruck auf Bibliotheken: Manche Büchereizweigstelle ist plötzlich deplatziert, da sie z.B. nicht mehr wie bisher in die kommunale Infrastruktur eingebunden ist.⁴ Und „last, but not least“ erfordern auch demografische Veränderungen (Aging Society) und Zuwanderung eine Reaktion der Bibliotheken durch spezifische Dienstleistungen für diese Zielgruppen. Der stärkste Einschnitt jedoch ist die bereits erwähnte Virtualisierung der Medienwelt. Die These des Autors, die sich aus Änderungen beim Vertrieb und bei der Rezeption audiovisueller Inhalte, aber auch von Literatur (E-Books) ergibt, lautet: Die Öffentliche Bibliothek wird in naher Zukunft als Ort des Entleihens physischer Medien einen massiven Bedeutungsverlust erleiden. Dies resultiert aus komfortableren Distributionsmodalitäten sowie aus der Veränderung von Nutzungspräferenzen: Durch den Download von zu Hause oder unterwegs statt der Ausleihe physischer Medien (in der Bibliothek) wird der Ort „Bibliothek“ als Entleihort unwichtiger. Es ist eine der großen Herausforderungen, die Bibliothek als realen Ort im Zeitalter der „Digital Natives“ weiterhin attraktiv zu gestalten. Die Öffentliche Bibliothek ist somit wieder einmal herausgefordert, sich neu zu erfinden.⁵ Bestimmte Aufgaben, die Bibliotheken schon immer wahrgenommen haben, werden noch stärker akzentuiert, etwa die Bibliothek als Ort der Leseförderung, des Lernens, der Begegnung sowie des Wohlfühlens. Je nach gesellschaftlichen Herausforderungen, die es im ländlichen Raum oder in Städten gibt, werden

3 Vgl. Pilzer 2009. 4 Siehe die Beiträge „Standortmarketing“ von Umlauf sowie „Umfeldentwicklungen“ von Göschel in diesem Handbuch. 5 Bisherige Einschnitte in der Bibliotheksgeschichte waren z.B. das Ende der Thekenbibliotheken und damit des Anspruchs, eine Art intellektuelle Besserungsanstalt zu sein, oder die Einführung der AV-Medien ergänzend zu gedruckten Büchern und Zeitschriften.

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bestimmte Aufgaben stärker betont werden müssen als andere. Die Bibliothek agiert nicht im luftleeren Raum. Sie wird von der Bevölkerung vor Ort finanziert und muss ihre Relevanz stetig legitimieren. Dies wirft die Frage auf: Was kann die Öffentliche Bibliothek tun für die Menschen, die vor Ort leben, und die Menschen, die hier herkommen, was muss sie dem Kunden an Dienstleistungen, aber auch an Ambiente bieten? Die Antwort erfordert zum einen strategische Konzepte der Kundenorientierung und der Kundenbindung, um die Dienstleistungen so kundengerecht wie möglich anbieten zu können, zum anderen auch Lobbyarbeit.⁶

1.2 Der Kontext zu Networking? Bei der Umsetzung ihrer neuen Aufgaben brauchen Öffentliche Bibliotheken Partner und Verbündete. Die Hauptbücherei der Büchereien Wien hat in Abstimmung mit der Leitung des Gesamtsystems der Büchereien Wien folgende Schwerpunkte der bibliothekarischen Arbeit für sich definiert: – Leseförderung, Vermittlung von Medienkompetenz, Teaching Library, – die Bibliothek als Lern- und Veranstaltungsort, als kommunaler Treffpunkt sowie – interkulturelle Bibliotheksarbeit.⁷ Diese Schwerpunkte werden in Abstimmung mit den Referenten der Zentrale der Büchereien Wien bearbeitet, die für die Strategien zuständig sind. Die im Hinblick auf die „Digital Natives“ wesentliche Aufgabe der Erstellung und Vermittlung digitaler Angebote wird in der Zentrale der Büchereien Wien von einer eigenen Abteilung erfüllt. Für die Erstellung und operative Umsetzung dieser neuen Bibliotheksdienstleistungen sind Partner und Verbündete nötig: Networking ist gefragt. Networking für Bibliotheken bedeutet: externe Verbündete und Partner für die Unterstützung bei der Erstellung von Leistungen der Bibliothek finden. Ist die Öffentliche Bibliothek Teil einer kommunalen Verwaltung, gilt es zunächst innerhalb der eigenen Organisation Partner für die Erstellung der Leistung der Bibliothek zu finden. Wenn sie etwa eine Veranstaltung in ihren Räumlichkeiten musikalisch untermalen möchte, sollte sie zuerst an die Musikschule am Ort denken. Bestimmte Aufgaben, Kommunikationswege und Kooperationen ergeben sich aus der Geschäftseinteilung der eigenen Organisation. Aber auch Lieferanten sind Partner der Bibliothek, wobei bei Lieferantenbeziehungen ethische und gesetzliche Grenzen des Networkings

6 Siehe die Beiträge „Kundenbindungsstrategien“ von Lison sowie „Lobbyarbeit“ von Lux in diesem Handbuch. 7 Vgl. Jahl 2010.

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unbedingt zu beachten sind, wie später noch genauer ausgeführt wird. Leistungen der Bibliothek müssen auch „verkauft“ werden, daher ist Networking mit den Medien (Presse, lokaler Rundfunk und lokales Fernsehen) im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit unerlässlich. Nationale und internationale Beziehungen innerhalb der bibliothekarischen Welt erleichtern den Erfahrungsaustausch und die Überprüfung eigener Strategien ganz wesentlich. Die Arbeit in nationalen und internationalen Verbänden ist ebenso wichtig wie die Arbeit mit Politikern, um die Rahmenbedingungen der Arbeit der Bibliotheken in einem Land bzw. der eigenen Bibliothek im eigenen politischen Umfeld in einen geeigneten Kontext zu stellen. Und nicht zuletzt ist die Beziehungsarbeit mit den Kunden der Bibliothek unerlässlich, um Stammkunden zu halten, neue Kunden zu gewinnen und im Sinne eines zielgerichteten Marketings die Dienstleistungen so kundenspezifisch wie möglich erstellen und anbieten zu können.

1.3 Definitionen und Abgrenzungen von Networking Das Wesentliche ist immer einfach: Netzwerken heißt vor allem, mit sympathischen und interessanten Menschen Zukunft zu schaffen.⁸

Dieses Zitat aus dem Vorwort von Pero Mićić⁹, Vorstand der FutureManagementGroup AG, zu Monika Scheddins Buch „Erfolgsstrategie Networking“ mag als sympathisches Motto für die eigenen Networking-Aktivitäten gelten, eine Definition ist dieses Statement aber nicht. Networking kann vielmehr folgendermaßen definiert werden: Networking ist eine systematische Form der Beziehungspflege mit Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern und Förderern.¹⁰ Business networking is the process of establishing a mutually beneficial relationship with other business people and potential clients and / or customers.¹¹

Networking bezieht sich somit auf das private und das geschäftliche Umfeld. Partner im Netzwerk können Menschen aus dem privaten Umfeld, im geschäftlichen Networking andere Unternehmen, Bibliotheken, Institutionen, Behörden, Ämter, Vereine, NGOs¹², Politiker, Kunden sowie weitere Multiplikatoren der Kommunen sein. Der

8 Scheddin 2003, S. 11. 9 Vgl. http: // www.futuremanagementgroup.com / diefmg / vorstand / dr-pero-micic.html (Abruf: 05.05.2012). 10 Scheler 2000, S. 18. 11 Ward o.J. 12 Non-Governmental Organizations (deutsch: Nichtregierungsorganisationen).

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vorliegende Beitrag beschäftigt sich vorrangig mit dem geschäftlichen Networking für Bibliotheken. Vorteile von privaten Netzwerken werden in der Literatur sehr ähnlich beschrieben.¹³ Geschäftliches Networking setzt im Gegensatz zum privaten Networking eine stärkere systematische Pflege der Kontakte voraus, das heißt: Networking ist Arbeit. Wenn man Networking in der eigenen Bibliothek systematisch betreiben will, müssen dafür auch Ressourcen (Personal, Zeit) eingeplant werden. Networking hat das Ziel, den Networking-Partnern Vorteile zu verschaffen. Damit wird man keine Probleme haben, solange es sich dabei z.B. um die gemeinsame Durchführung von Veranstaltungen handelt und die Leistungen beider Partner im Vorfeld genau dokumentiert werden. Wenn man aber z.B. Teil der öffentlichen Verwaltung ist und Aufträge zu vergeben hat, kann man sich mit dieser Art von Networking Schwierigkeiten einhandeln. Natürlich kann man auch mit (potenziellen) Lieferanten „networken“, um etwa rascher verlässliche Informationen zu bekommen oder bei Personalengpässen des Lieferanten bevorzugt behandelt zu werden, bei der Vergabe von Aufträgen sind die gesetzlichen Grenzen und die institutionellen Vorgaben jedoch streng zu beachten, da man ansonsten schnell in den Verdacht der Korruption gelangen kann. Der frühere Magistratsdirektor Ernst Theimer schrieb dazu im Vorwort der Erstauflage des Handbuchs zur Korruptionsprävention der Stadt Wien: Korruption ist kein Kavaliersdelikt, sie schädigt das Ansehen von Verwaltung und Wirtschaft, bewirkt Wettbewerbsverzerrung und Verteuerung, schadet dem Standort und untergräbt in letzter Konsequenz die institutionellen Fundamente und die Wertmaßstäbe unserer Gesellschaft.¹⁴

Nicht zuletzt durch Menschen, die diese Grenzen zum Zwecke der persönlichen Bereicherung überschritten haben, ist Business Networking auch in Misskredit gebracht worden. Jeder kennt „Amigo-Affären“, „Freunderlwirtschaft und „Lobbying-Affären“.

1.4 Networking als Teil der integrierten Unternehmenskommunikation – Corporate Communications Networking ist Voraussetzung und Instrument in allen Bereichen der Corporate Communications:¹⁵ – Public Relations – Öffentlichkeitsarbeit (auch über die Medien wie Fernsehen, Rundfunk, Zeitung),

13 Vgl. z.B. Pilz 2009; Scheddin 2003. 14 Stadt Wien 2009, S. 35. 15 Corporate Communications stellt das strategische Dach für alle internen und externen Kommunikationsaktivitäten dar, um Erfolgspotenziale aufzubauen, auszuschöpfen und langfristig zu sichern. Vgl. Raffée, Wiedmann 1989.

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Investor Relations – Betreuung der Anteilseigner und Investoren, Employee Relations – Betreuung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Customer Relations – Betreuung der Kunden, Lobbying (Government Relations oder Public Affairs) – Interessensvertretung in Politik und Gesellschaft¹⁶.

Alle diese Aspekte betreffen auch Bibliotheken, wenn man sich als Zielgruppe für Investor Relations z.B. Mitglieder des Fördervereins der Bibliothek ansieht. In großen Unternehmen oder Stadtverwaltungen gibt es genaue Regeln für den Auftritt in den Medien, es gibt Vorgaben für die grafische Gestaltung des Auftritts nach außen: das Corporate Design als Bestandteil der Marke. Auch kleine Bibliotheken sind gut beraten, sich in der Außendarstellung professionell unterstützen zu lassen, denn niemand möchte mit Dilettanten „networken“. Dem Corporate Design kommt somit auch in diesem Kontext eine wichtige Imagefunktion zu¹⁷.

1.5 Arten von Netzwerken 1.5.1 Vorbemerkungen Networking unterscheidet sich wesentlich von einer Kooperation, wobei aus Networking durchaus Kooperationen entstehen können. Eine Kooperation ist eine auf Zeit angelegte Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Organisationen.¹⁸ Diese Zusammenarbeit wird meist durch Vereinbarungen oder Verträge abgesichert. Kooperationen können also Folgen erfolgreichen Networkings sein, aber aus jedem Kontakt folgt nicht zwangsläufig eine Kooperation. Damit ist eine klare Abgrenzung zwischen Networking und Kooperation gegeben.¹⁹ Obwohl das Thema dieses Beitrags sich auf geschäftliches Networking für Bibliotheken bezieht, muss auch das private Networking mit berücksichtigt werden, denn Networking wird von Menschen betrieben. Wer privat gut vernetzt ist, wird es auch beim geschäftlichen Networking leichter haben und daraus Vorteile generieren können. Das erste Netzwerk seines Lebens sucht man sich nicht aus – man wird hineingeboren. Mit der Familie haben manche schon einen Startvorteil für eine spätere berufliche Karriere. Freunde, Bekannte, Schul-, Studien- und Vereinskollegen sind weitere Teilnehmer eines privaten Netzwerks, das man natürlich auch beruflich nutzen kann und sollte. Wenn man nicht gerade in einer One Person Library (OPL) arbeitet, kann man

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Vgl. Pilz 2009, S. 141 ff. Siehe den Beitrag „Markenpräsentation“ von Kaser in diesem Handbuch. Vgl. Gabler Verlag o.J. Nähere Informationen zu den Kooperationen der Hauptbücherei Wien finden sich bei Jahl 2011.

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sich darüber hinaus auch die persönlichen Netzwerke des Bibliotheksteams zunutze machen. Aber: Die Summe der persönlichen Netzwerke der Teammitglieder darf nicht schon das gesamte geschäftliche Netzwerk der Bibliothek darstellen. Üblicherweise beschäftigen sich Ratgeber zu dem Thema mit der Frage, wie man mit dem Aufbau und der systematischen Pflege eines Beziehungsgeflechts seine berufliche Karriere befördern kann. Im Folgenden wird diskutiert, welche Arten von Netzwerken es gibt²⁰ und wie relevant diese für das Networking einer Bibliothek sind oder werden können. Eine einfache Form der Unterscheidung von Netzwerken ist die nach der Zugänglichkeit in allgemeine und spezifische Netzwerke.

1.5.2 Allgemeine Netzwerke Allgemeine Netzwerke sind offene Netzwerke, bei denen es keine oder geringe Zugangshürden gibt. Vereine sind in Österreich und Deutschland weitverbreitete allgemeine Netzwerke.²¹ Ob Brauchtumspflege, Dorfverschönerung, Sportverein oder die formelle Freiwilligenarbeit – Themen und Tätigkeiten gibt es genug, um sie gemeinsam mit anderen auszuleben. Wer eine Funktion in einem Verein übernimmt, sammelt netzwerktechnisch Pluspunkte. Eine spezielle Form allgemeiner Netzwerke sind Visitenkartenpartys, Empfehlungs- oder Lunchclubs, die die Gemeinsamkeit haben, Visitenkarten zu tauschen, miteinander zu diskutieren oder gemeinsam zu speisen und sich an einem attraktiven Ort zu treffen. Sehr klar beschreibt z.B. der Empfehlungsclub Flensburg Zweck und Möglichkeiten der Teilnahme auf seiner Homepage: Der Empfehlungsclub e.V. ist ein regionales Netzwerk von Unternehmen unterschiedlicher Branchen sowie Selbstständigen und Freiberuflern. Die Mitgliedsunternehmen stehen allesamt nicht in direktem Wettbewerb zueinander. Ziel des Empfehlungsclubs ist es, Aufträge unter den Clubmitgliedern zu vermitteln bzw. geschäftliche Empfehlungen auszusprechen. Die Clubmitglieder empfehlen für Geschäfte, die außerhalb der eigenen Kernkompetenz liegen, das jeweilig kompetente Clubmitglied und werden entsprechend der eigenen Kompetenz von den anderen Clubmitgliedern empfohlen.²²

Neben dem persönlichen Treffen kommunizieren die Mitglieder dieser Clubs vielfach im Internet in geschlossenen Bereichen. Die Internetpräsenz bietet so die Mög-

20 In der Literatur finden sich unterschiedliche Einteilungen und Systematiken. 21 Vereine Deutschland: In Deutschland gab es 2011 580.298 eingetragene Vereine (e.V.), das sind ca. 7.100 Vereine auf eine Million Bundesbürger. Vgl. npo-manager.de 2011. Vereine Österreich: 2009 gab es in Österreich 116.556 Vereine, die meisten davon in Wien und Niederösterreich. Vgl. Statistik Austria 2012. 22 Empfehlungsclub Flensburg 2011.

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lichkeit, auch außerhalb der Treffen zu kommunizieren und das Networking zu intensivieren. Nachteil fast aller allgemeinen Netzwerke ist die Unterschiedlichkeit der Menschen, die sich dort begegnen. Für eine spezifische Suche nach Kontakten sind sie daher nicht oder nur selten die optimale Plattform. Gerald Pilz schreibt dazu: Die Suche ist meist eher mühsam, denn hier gilt besonders die Hunderterregel, der zufolge Sie hundert Personen kontaktieren müssen, um eine Zielperson anzutreffen.²³

1.5.3 Spezifische Netzwerke In spezifischen Netzwerken treffen sich Menschen mit zumindest einer Gemeinsamkeit, wie z.B. Lebenseinstellung, politische Einstellung, karitatives Engagement, Beruf oder Sport. Manche davon sind darüber hinaus exklusive und / oder geschlossene Netzwerke. a) Absolventenvereinigungen / Alumni-Clubs Hier treffen sich ehemalige Schüler / Studierende einer (Hoch-)Schule, auch einzelner Jahrgänge. Bei den Treffen der Alumni²⁴, die im Allgemeinen halbjährlich oder jährlich stattfinden, begegnet man ehemaligen Mitschülern und Kommilitonen, die inzwischen in unterschiedlichsten Institutionen oder Unternehmen tätig sind und teilweise dort Führungspositionen erreicht haben. Neben dem geselligen Zusammensein und den gemeinsamen Erinnerungen an die Schul- und Studienzeit werden auch Kontakte geknüpft, erneuert und Ideen für Projekte geboren. Generell gilt: Gemeinsamkeiten erleichtern Networking. b) Parteien Sie stellen ebenfalls Netzwerke dar. Dort treffen sich Menschen mit derselben Lebenseinstellung und mit weitgehend übereinstimmenden Werthaltungen. Die Parteien haben im Allgemeinen Gremien, die sich mit bestimmten Themen des Lebens und der Politik beschäftigen. Für Bibliotheken sind z.B. die Bereiche Bildung, Kultur und Wissenschaft wichtig. Auch in den Parteiakademien und Stiftungen der Parteien²⁵ finden Veranstaltungen, Seminare, Workshops oder auch Bildungsreisen statt, bei denen

23 Pilz 2009, S. 54 ff. Die Networking-Philosophie von Gerald Pilz, die manchmal knapp am manipulativen Umgang mit Menschen (= Zielpersonen) „vorbeischrammt“, bei der man „zufällige“ Treffen mit wichtigen Menschen im Betrieb arrangiert, um sich gut darzustellen, ist möglicherweise nicht jedermanns Sache. 24 Vgl. http: // www.alumni-clubs.net / (Abruf: 05.05.2012). 25 In Deutschland z.B. Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung, Jakob-Kaiser-Stiftung.

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Bibliotheken ihnen nahestehende Themen diskutieren und entsprechende Kontakte knüpfen können. Für die Arbeit in der Bibliothek aber gilt: Hände weg von reinen Parteiveranstaltungen, schon gar nicht in der eigenen Bibliothek. Aber […] Freunde und Förderer können […] auch im nicht öffentlichen Bereich segensreich für die Bibliothek wirken, etwa in ihrem Service-Club (Rotary, Lions, Kiwanis), in Schul- und Kirchengremien und sicherlich auch auf internen Parteiveranstaltungen.²⁶

Die Öffentliche Bibliothek ist ein Ort für alle Bürger, und als Bibliotheksleitung ist man diesen gegenüber verantwortlich. Sollten Themen bei Veranstaltungen einer Bibliothek diskutiert werden, die die Teilnahme von Politikern erfordern, so sind Politiker unterschiedlicher Parteien einzuladen. Bibliotheken sind Orte der Aufklärung und des Diskurses. Besucher von Bibliotheksveranstaltungen sollen die Vielfalt verschiedener Meinungen zu einem Thema erhalten, um sich selbst eine Meinung zu bilden bzw. über die eigene Meinung nochmals nachzudenken. Gleichfalls gehört eine Präsenz in den verschiedenen Gremien und Ausschüssen der Lokalpolitik zur Pflicht, sofern sie möglich ist. c) Karitative und soziale Vereinigungen Hierzu zählen z.B. Lions-Club (Motto: „We serve“), Rotary Club (Motto: „Service above self“) oder Kiwanis Club (Motto: „Wir bauen den Kindern eine Brücke in die Zukunft!“). Sie bieten die Möglichkeit, sich sozial zu engagieren, sind aber auch Plattformen des Networkings. Außerdem haben sie eine Gemeinsamkeit mit den Business Clubs: Sie werden gemeinhin zu den exklusiven Netzwerken gezählt, weil es Zugangshürden finanzieller Art gibt und / oder die notwendige Empfehlung von Mitgliedern erforderlich ist, um aufgenommen zu werden. Dies bedeutet andererseits, dass man für diese Vereinigungen nur empfohlen wird, wenn man bereits erfolgreich in anderen Bereichen Networking betrieben hat, d.h. „Türöffner“ bei anderen Anlässen kennengelernt hat. Ein weiteres exklusives Netzwerk bilden die Freimaurer: Die Freimaurer verfügen über intensive internationale Beziehungen und zeichnen sich durch ein großes Engagement und eine weitläufige Haltung aus, die sich dem Grundsatz der Völkerverständigung widmet.²⁷

Damit haben Freimaurer insbesondere auch einen Schwerpunkt im internationalen Networking:

26 Ruppelt 2005, S. 42. 27 Pilz 2009, S. 65.

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Geht ein Freimaurer ins Ausland und sucht dort Kontakt, sei dies ferien- oder auch arbeitshalber, so kann er sicher sein, dass er innert kürzester Zeit ein Netz von gleich gesinnten Menschen um sich vereinen kann. Dass daraus auch geschäftliche und berufliche Kontakte entstehen können, versteht sich von selbst. Hält man sich die grosse Anzahl von Freimaurern auf der Welt vor Augen, lässt sich feststellen, dass in einer Logenmitgliedschaft durchaus Netzwerkpotential steckt.²⁸

d) Branchenvereinigungen oder Branchennetzwerke Diese eint der gemeinsame Beruf. Für Bibliotheken sind das insbesondere die Bibliotheks- oder Bibliothekarsverbände und -vereinigungen. Die aktive Tätigkeit in einem derartigen Verband  – wie etwa Referententätigkeit, Verfassen von Beiträgen für die Verbandszeitschrift, Übernahme von Verbandsfunktionen, aber auch Diskussionsbeiträge in Mailinglisten, Foren und Blogs – bereichert nicht nur inhaltlich, sondern macht die Bibliothek auch bekannt und verschafft ihr ein positives Image. Die Teilnahme an Bibliothekartagen bietet z.B. die Möglichkeit, Kontakte persönlich zu knüpfen und bestehende Kontakte zu pflegen. Anwendertreffen, bei denen sich die Anwender z.B. von Bibliothekssoftware oder Bibliothekstechnik mit Firmenvertretern treffen, sind ebenfalls Plattformen, um Erfahrungen auszutauschen, gemeinsame Interessen durchzusetzen und neue Kontakte zu knüpfen. Fortbildungsveranstaltungen von Verbänden²⁹ oder anderen Anbietern³⁰ bieten die Chance, Kollegen aus den unterschiedlichsten Bibliothekstypen zu treffen. Oftmals wundert man sich, wie ähnlich Probleme und Sorgen, aber auch Erfolgserlebnisse in den auf den ersten Blick unterschiedlichsten Bibliotheken sind. Auf der anderen Seite erkennt man konkret am Einzelfall, in welch unterschiedlichen Dimensionen etwa ehrenamtlich geführte Bibliotheken und kommunale, professionell betriebene Bibliotheken „denken und leben“. Bei diesen persönlichen Zusammentreffen ist der informelle Teil mindestens ebenso wichtig wie das gebotene Programm. Teilnehmer, die am Abend nach den Vorträgen eilig aufs Zimmer gehen oder an Social Events auf Tagungen nicht teilnehmen, versäumen die halbe Veranstaltung. Inzwischen werden ganze Tagungen als Networking Events veranstaltet. Sie bieten z.B. Zeiten für SpeedNetworking an.³¹ Bei diesen Veranstaltungen steht die Absicht im Zentrum, in kurzer Zeit möglichst viele neue und wertvolle Geschäftskontakte zu knüpfen (siehe hierzu auch Abschnitt 2.2 a.E. unter dem Stichwort: „Elevator Pitch“). Der Begriff „Branche“ sollte in diesem Zusammenhang nicht zu eng gefasst werden. Dazu zwei Beispiele: Für Bibliotheken sollte es eine Selbstverständlichkeit

28 Düblin 2008, S. 13 ff. 29 Zum Beispiel die Fortbildungsveranstaltungen des Österreichischen Büchereiverbandes im Bundesinstitut für Erwachsenenbildung. 30 In Deutschland z.B. das ZBIW – Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung der Fachhochschule Köln. 31 Vgl. z.B. Medien.NRW 2010.

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sein, gute Kontakte zum Hauptverband des Buchhandels und zu Verlagen zu pflegen. Auch die Teilnahme an der APA-E-Business-Community³² oder dem GENIOS Datenbankfrühstück im Rahmen der Frankfurter Buchmesse ist nicht nur wegen der Vorträge, sondern vor allem auch wegen der informellen Zusammenkünfte nach und zwischen den Vorträgen interessant. Den Branchennetzwerken verwandt sind Netzwerke, in denen Partner mit unterschiedlichem Hintergrund an einem gemeinsamen Thema arbeiten. Als Beispiel sei hier das ScienceCenter-Netzwerk in Österreich genannt, das seinen Zweck wie folgt beschreibt: Wissenschaft auf leicht zugängliche Weise unmittelbar erlebbar und begreifbar machen, das ist das Ziel des ScienceCenter-Netzwerks, einem Zusammenschluss von über 100 PartnerInnen aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung, Ausstellungsdesign, Kunst, Medien und Wirtschaft. Unsere vielseitigen Angebote laden zum selbstbestimmten Lernen, Experimentieren und Weiterdenken ein – unabhängig von Vorwissen und für alle Altersstufen.³³

Das Netzwerk wird von einem Verein getragen, es gibt regelmäßige Netzwerktreffen, Newsletter und einen eigenen Partnerbereich auf der Homepage. Die Büchereien Wien nehmen in loser Folge an Netzwerktreffen teil, machen Öffentlichkeitsarbeit für das Netzwerk und waren Ort von Veranstaltungen des ScienceCenter-Netzwerks.

2 Die Praxis des Networkings 2.1 Wer ist die Bibliothek? Welche Ziele hat sie? Welche Kontakte braucht sie? Um zu wissen, welche Kontakte man für welche Zwecke der Bibliothek sucht, muss man sich im Klaren sein, welches Leitbild, welche Aufgabendefinition die Bibliothek hat. Aus den Aufgabenfeldern der Büchereien Wien z.B. ergeben sich konkrete operative Tätigkeiten, für deren Durchführung Rahmenbedingungen geschaffen werden mussten und müssen. Wenn z.B. Leseförderung betrieben wird, benötigt man Kon-

32 Die APA-E-Business-Community ist eine Initiative von APA-MultiMedia (APA = Austria Presse Agentur). Getragen wird die Community von rund 15 Partnerunternehmen, die unterschiedliche Bereiche des E-Business repräsentieren. Ziel der E-Business-Community ist es, ein schlagkräftiges Netzwerk für erfolgreiches E-Business durch Erfahrungs- und Informationsaustausch zu schaffen. Im Rahmen dieser effektiven Kommunikationsplattform sollen Innovationen und Markttrends identifiziert und diskutiert sowie Initiativen ergriffen werden. Vgl. http: // ebc.apa.at / cms / ebc (Abruf: 05.05.2012). 33 Vgl. http: // www.science-center-net.at / (Abruf: 05.05.2012).

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takte zur Schulbehörde³⁴, zu einzelnen Schulen (Schulleitern und Lehrern) und ggf. zu spezialisierten Consultingfirmen, etwa wenn bei einzelnen konzeptionellen Projekten externe Betreuung und Beratung benötigt wird, sowie auch – z.B. für Veranstaltungen wie Vorlesestunden  – zu ehrenamtlichen Mitarbeitern.³⁵ Manche dieser Kontaktaufnahmen folgen genauen Regeln (Dienstweg), die innerhalb der Stadt Wien genau geregelt sind. Andere Kontakte sucht und stellt man selbst her. Wenn man mit dem Networking beginnt, sollte man sich zunächst die Fragen aus der Überschrift dieses Kapitels beantworten und sich dann die nötigen Informationen besorgen, welche konkreten Personen man für die Umsetzung der Aufgaben benötigt. Entscheidend ist: Vor der Kontaktaufnahme ist gut zu überlegen, was die Bibliothek selbst zu bieten hat. Welche Vorteile hat die Person bzw. Organisation, wenn sie mit der Bibliothek kooperiert? Welche Stärken hat die eigene Bibliothek, die man in die Waagschale werfen kann? Die eigenen Stärken können je nach Zielsetzung und Kontakt unterschiedlich bedeutsam sein. So kann für einen kleinen Verein, der Kompetenz auf einem Gebiet einbringt, dem man sich in der Bibliothek intensiver widmen möchte, ein bescheidener Geldbetrag, den die Bibliothek in ein gemeinsames Projekt einbringt, wichtig sein. Für ein Unternehmen, das einen Literaturpreis stiften möchte, wird dagegen die fachliche Kompetenz und das gute Image der Bibliothek wichtiger sein.³⁶ Das heißt, dass im ersten Fall die Bibliothek die Fachkompetenz gegen „kleines Geld“ geliefert bekommt und im zweiten Fall die Bibliothek die Fachkompetenz und das Image einer „seriösen Bibliothek“ liefert. Weitere Stärken, die eine Bibliothek einbringen kann, sind ihr Standort und ihr Ambiente, wenn sie etwa zentral gelegen, architektonisch spektakulär oder z.B. in einem bedeutsamen, historischen Gebäude untergebracht ist. Manche Partner der Hauptbücherei Wien führen die Lage, die urbane, offene Architektur oder die Anbindung an das städtische U-Bahn-Netz als (mit) entscheidend für die Kooperationsanfrage an. Aber auch die Kunden der Bibliothek können eine Stärke darstellen, wenn z.B. eine bestimmte Altersgruppe oder die Multikulturalität der Kunden für potenzielle Partner interessant sind  – nicht zuletzt sind Öffentliche Bibliotheken die am besten besuchten kommunalen Einrichtungen.³⁷ Erfolgsfaktoren sind zudem der Medienbestand, das kompetente Bibliotheksteam, der geeignete Veranstaltungssaal und vor allem: das unverwechselbare Profil

34 In diesem Fall zum Stadtschulrat Wien. 35 Siehe den Beitrag „Corporate Social Responsibility“ von Keite in diesem Handbuch. 36 Zum Beispiel der Literaturpreis ALPHA von Casinos Austria in Kooperation mit Büchereien Wien. http: // www.casinos.at / content.aspx?muid=c54aaf87-06c2-499a-844f-8af4312da2bd (Abruf: 05.05.2012). 37 Vgl. Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln 2011.

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der Bibliothek. Das ist das Bild, das in den meisten Köpfen der Menschen spontan entsteht bzw. vorhanden ist, wenn man von „dieser einen“ Bibliothek spricht. Es gilt beim Networking auch zu überlegen, was genau der jeweilige Kontaktpartner von der eigenen Bibliothek brauchen könnte.³⁸ Denn: Das Prinzip der Wechselseitigkeit ist für Netzwerke elementar. Nur dann, wenn ich selbst etwas gebe und geben kann, kann ich auch von anderen nehmen. Schon die alten Römer sagten: Do ut des. Heute heißt es: No give no get.³⁹

Das bedeutet aber auch, dass man die Bereitschaft mitbringen muss, zumindest manchmal in Vorleistung zu gehen. Networking heißt systematisches Arbeiten. Ein Beispiel: Dirk Wissen, Leiter der Stadt- und Regionalbibliothek Frankfurt (Oder), hat nach seinem Amtsantritt 100 (potenzielle) Partner der Bibliothek aus den Bereichen Bildung, Bibliotheken, Firmen / Sponsoren, Kultur, Medien, Kindertagesstätten, Schulen und Verlage zu Espresso und Einzelgesprächen in die Bibliothek eingeladen.⁴⁰ Niemand fängt beim Networking bei null an. Entscheidet man sich für systematisches Netzwerken, ist zu Beginn eine Bestandsaufnahme der eigenen Kontakte zu erstellen unter dem Gesichtspunkt: Welche Kontakte kann man für die eigene Bibliothek nutzen? Dabei bietet es sich an, die Methode der konzentrischen Kreise anzuwenden, d.h., dass man mit dem Naheliegendsten beginnt. Wenn man z.B. Teil einer Stadt- oder Gemeindeverwaltung ist, schaut man sich zuerst dort nach Kontakten um, bevor man Kontakte zu weiter entfernten Einrichtungen / Orten sucht.

2.2 Kontakte knüpfen, pflegen und verwalten So vielfältig die Netzwerke sind, so vielfältig sind die Orte, an denen Kontakte geknüpft werden können: Bibliothekartage, Fantreffen des Lieblingsfußballvereins, Besuche von kulturellen Veranstaltungen etc. – und sehr naheliegend: die Veranstaltungen in der eigenen Bibliothek. Der Erstkontakt, das Kennenlernen kann per E-Mail, besser aber persönlich erfolgen. Die sogenannte „Kaltakquise“, die telefonische Kontaktaufnahme im Vertrieb mit potenziellen, aber völlig unbekannten Kunden erfüllt auch manchen Vertriebsprofi mit Schaudern, also darf man sich nicht beirren lassen, wenn einem das Kontaktieren von fremden Menschen zunächst schwer fällt. Nicht jeder kann Networking perfekt beherrschen, trainierbar ist es allemal. Und Menschen,

38 In Abschnitt 3 werden z.B. Gründe angeführt, die Partner der Hauptbücherei der Büchereien Wien für ihre Kooperation mit dieser angegeben haben. 39 Scheler 2000, S. 26. 40 Eine Auflistung der Partner der Bibliothek finden Sie auf der Homepage der Stadt- und Regionalbibliothek Frankfurt (Oder). http: // www.srb-ff.de / partnerlinks.php (Abruf: 05.05.2012).

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die mit Beziehungsintelligenz⁴¹ ausgestattet sind, haben sicher gute Chancen beim Networking. Denn beziehungsintelligente Menschen haben Talent im Umgang mit anderen Menschen. Sie haben Empathie und nehmen auch auf andere Menschen emotionalen Einfluss. Falls die Bibliotheksleitung nicht über diese Eigenschaften verfügt, sollte das Networking von jemandem aus dem Team betrieben werden, wobei das AugenhöhePrinzip jedoch beachtet werden muss. Eine gute Methode, Kontakt zu jemandem aufzunehmen, den man noch nicht kennt, sind Veranstaltungen (siehe auch Abschnitt 1.5). Die Vorbereitung beginnt aber bereits im Vorfeld bei der Durchschau von Programmen von Bibliothekartagen, Buchmessen und anderen inhaltlich interessanten Events. Dabei sollten folgende Kriterien zugrunde gelegt werden: – Wer ist interessant? – Mit wem würde man gerne Erfahrungen austauschen? – Wessen Rat braucht man in nächster Zeit? – Wen möchte man als Teil des eigenen Netzwerkes haben? Wenn man z.B. nicht gleich nach einem Referat Gelegenheit hat, die betreffende Person anzusprechen, empfiehlt sich eine auf den Vortrag bezogene Mail. Wenn einem der Vortrag tatsächlich gut gefallen hat, kann ein ehrliches Lob nicht schaden. Wenn der Vortrag nicht gefallen hat, schreibt man höflich auch Kritikpunkte oder bietet eine Diskussion zu einzelnen Punkten an. Üblicherweise wird das erste Gespräch im Rahmen einer Veranstaltung, die keinen unmittelbaren fachlichen Bezug hat (Lesung, Theater, Podiumsdiskussion, Charity-Veranstaltung, Alumni-Treffen), in Form eines Small Talks verlaufen. Es ist offensichtlich, dass sich viele Menschen mit Small Talk schwer tun, weshalb es eine Vielzahl an Ratgebern gibt, die sich zur Gänze dem Thema widmen.⁴² Einige Charakteristika und Verhaltensregeln sollen trotzdem hier aufgezählt werden. Small Talk hat üblicherweise nicht viel Tiefgang, aber es gilt zu bedenken, dass parallel zu dem Gespräch, das im Vordergrund steht, im Hintergrund bereits die Einstufung des Gegenübers stattfindet. Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch beim Small Talk: Der erste Eindruck entscheidet. Daher sind Tabuthemen wie Geld, Religion, Gesundheit, Beziehungen oder Politik zu vermeiden. Man kennt sein Gegenüber zu wenig, um nicht unter Umständen ein heikles Thema zu berühren. Es ist beinahe klischeehaft, aber die häufigsten und geeignetsten unverfänglichen Themen des Small Talks sind Wetter und Anreise (Verkehr, Transportmittel). Um konkreter zu werden, knüpft man an die Rahmenbedingungen (Räumlichkeiten, Architektur, Umgebung) und

41 Beziehungsintelligenz sieht Uwe Scheler (2000, S. 27 ff.) als Sonderform der emotionalen Intelligenz nach Daniel Goleman an und widmet ihr in seinem Buch breiten Raum. 42 Vgl. Teufert 2010; Lermer, Kunov 2011.

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später z.B. an den gerade gehörten Beitrag an, fragt nach der Meinung des Gesprächspartners, hört selbst aufmerksam zu und geht konkret auf gerade Gesagtes ein. In diesem Moment ist der Gesprächspartner die interessanteste Person des Abends für einen selbst. Im Idealfall gibt es wechselseitiges Interesse oder gar Sympathie, es besteht der Wunsch nach weiteren Kontakten, und es werden Visitenkarten getauscht. Vor der neuen Bekanntschaft macht man sich keine Notizen auf die Visitenkarte, außer man hat konkret etwas vereinbart, z.B. die Zusendung von Informationen oder die Abstimmung eines Termins. In der Nachbearbeitung, beim Erfassen des Kontakts in der Kontakteverwaltung notiert man alle Informationen, die man erfahren hat und die einem wesentlich erscheinen. Zusätzliche Informationen können leicht recherchiert werden, indem man in Suchmaschinen und / oder gezielt in Social Networks wie facebook, Google+ oder XING nach der Person suchen. Diese Informationen über Personen sind essenzieller Bestandteil des Networkings, und daher ist es selbstverständlich, dass sie aktuell zu halten sind. Bei der nächsten Begegnung tut man sich leichter, wenn man z.B. über Leistungen des Gesprächspartners informiert ist oder etwa weiß, dass der Sohn des Gesprächspartners ein großartiger Stürmer in einem Fußballverein ist oder die Tochter eine angesehene Wirtschaftsanwältin der Stadt. Es ist aber auch eine Selbstverständlichkeit, sich über die wichtigsten Karrierestationen, Veröffentlichungen, Interviews, persönlichen Daten  – soweit öffentlich zugänglich (facebook, Lebenslauf auf Website) – von Gästen oder Vortragenden, die in die Bibliothek kommen, zu informieren. Auch die korrekte Aussprache des Namens zu erfragen, wenn man sich nicht sicher ist, ist ein unbedingter Akt der Höflichkeit. Gerade bei hochgestellten Persönlichkeiten ist die Kenntnis und Einhaltung der Etikette unabdingbar. Dieses Wissen kann hilfreich sein, um z.B. bei der Begleitung etwa von Politikern zur Veranstaltung und auf dem Weg von der Veranstaltung zum Wagen eine angemessene Unterhaltung führen zu können. Diese Art von Unterhaltung in knappster Form stellt einen Sonderfall des Elevator Pitch dar, den Pilz genauer beschreibt.⁴³ Als „Elevator Pitch“ bezeichnet man eine Technik, innerhalb kürzester Zeit eine Geschäftsidee, ein Produkt oder sich selbst zu präsentieren und interessant zu machen. Sie wird z.B. von Jungmanagern eingesetzt, die Führungskräfte gezielt am Lift erwarten, um sich und die Produkte des eigenen Unternehmens während einer Liftfahrt zu präsentieren (daher der Name). Die Zeit dafür beträgt üblicherweise ca. 30 bis 45 Sekunden – eben so lange, wie eine Fahrstuhlfahrt dauert. Diese Form der (Selbst-)Darstellung erfordert Schnelligkeit und Prägnanz. Wichtig ist es, sich kurze Sätze zurechtzulegen, bildliche Ausdrucksweisen zu verwenden, die einprägsam sind. Beim Elevator Pitch in der klassischen Form geht es darum, sich so interessant zu machen, dass ein Termin vereinbart werden darf, z.B. über das Sekretariat. Beim Elevator Pitch der Bibliothek geht es darum, mögliche

43 Vgl. Pilz 2009, S. 79 ff.

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weitere Kooperationsmöglichkeiten anzubieten und die Bibliothek kurz mit ihrem Profil und ihren Zielen darzustellen. Die Verwaltung der Kontakte hat der technische Fortschritt sehr vereinfacht. Sei es die Kontakteverwaltung in Microsofts Outlook bzw. der Business Contact Manager für Outlook oder der Outlook Connector für Soziale Netzwerke oder der von Samsung für seine Smartphones erfundene Social Hub. Sie und ähnliche Produkte anderer Unternehmen bieten umfangreiche Tools, um Kontakte aufzunehmen, zu beschreiben, nach Kriterien in Gruppen zu gliedern und mit der auf diese Kontakte bezogenen Kommunikation zu verknüpfen bzw. in Echtzeit zu zeigen, welcher der eigenen Kontakte in welchem Netzwerk oder Chat gerade aktiv ist.

2.3 Networking im Internet Das Internet hat die Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, vervielfacht und vereinfacht. Mit dem Web 2.0 hat es passive Konsumenten zu Produzenten von Content im Netz gemacht und Interaktivität zum Grundprinzip des Auftritts und der Präsenz im Internet erhoben. Viele Bibliotheken, darunter auch die Büchereien Wien, bieten bereits eine breite Palette an Angeboten im Netz an. Die Präsenz in digitalen Netzwerken ist die Konsequenz der Schaffung von Angeboten für die „Digital Natives“ wie der „Virtuellen Bücherei Wien“ (Onleihe)⁴⁴. Diese Angebote ziehen für die Zielgruppe adäquate Kommunikationskanäle nach sich. Wenn „Digital Natives“ facebook, andere Social Networks, YouTube und twitter nutzen, dann sollte die Bücherei auch dort präsent sein.⁴⁵ Zweifellos ist das Internet aber nicht nur Quelle, um nach Informationen über (potenzielle) Kontakte im Rahmen des Networkings zu recherchieren, sondern auch, um unmittelbar Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Allerdings scheint nach wie vor das persönliche Gespräch die beste Form des Austausches zwischen Menschen zu sein.⁴⁶ So kann man es durchaus zum Prinzip machen, z.B. auf facebook bei Freundschaftsfragen nur Freunde zu akzeptieren, die man persönlich kennt oder die vorhaben, einen persönlich kennenzulernen. Konzeptloses Sammeln von Kontakten nur um der großen Zahl willen, wie das manche Teilnehmer in Sozialen Netzwerken praktizieren, hat mit systematischem Networking nichts zu tun. Ein weiterer Faktor, der zu beachten ist, ist die Vergänglichkeit und Schnelllebigkeit von Trends im Internet: Wer kräht heute noch nach dem ehemals so gehypten Second Life? Auch myspace

44 Vgl. http: // www.buechereien.wien.at / de (Abruf: 05.05.2012). 45 Siehe den Beitrag „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch. 46 Außer Frage steht aber, dass das Web 2.0 die Gesprächskultur verändert. Vgl. dazu u.a. Institut für Demoskopie Allensbach o.J.

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hat schon bessere Zeiten gesehen. Wie das Match zwischen Facebook und Google+ ausgeht, wird man in ein, zwei Jahren abschätzen können. Es empfiehlt sich jedenfalls, für Präsenz und Aktivitäten in Social Media und Social Networks eine Strategie an den Anfang aller Unternehmungen zu stellen. Bernhard Jodeleit erklärt die Vorteile der „Social Media Relations“ so: […] Social Media Instrumente können Ihnen Vorteile beim Agenda-Setting und bei der klassischen Medienarbeit verschaffen. Wenn auch zögerlich: Journalisten nutzen das Web 2.0 zunehmend als Recherchequelle. Zudem können Sie soziale Netzwerke nutzen, um mit Ihnen persönlich bekannten Redakteuren im Kontakt zu bleiben. Gleichzeitig haben Sie die Möglichkeit, neue, bisher unerreichte Multiplikatoren in Ihre Kommunikationsstrategie einzubinden. Dazu zählen reichweitenstarke und glaubwürdige Blogger und Twitter-Nutzer. Dabei kommt es auf das persönliche Networking von Mensch zu Mensch, auf das kontinuierliche Kontakthalten mit relevanten Multiplikatoren an. Genau dieses Networking bezeichne ich als Social Media Relations. Der Begriff soll die starke Dialogorientierung und persönliche Note zum Ausdruck bringen, die PR-Verantwortliche beim Einsatz von Social Media und Social Networks an den Tag legen sollten.⁴⁷

Im Folgenden werden einige Plattformen im Netz kurz vorgestellt, die sich für Networking anbieten, eine Regel dazu, wann und wo eine Bibliothek einsteigen sollte, gibt es nicht. – Social Networks wie facebook⁴⁸, Google+⁴⁹, myspace⁵⁰ und andere bieten umfangreiche Möglichkeiten, sich als Privatperson oder Bibliothek zu vernetzen. Die Inhalte, die andere Partner in diesen Netzwerken produzieren, weisen eine große Bandbreite an Qualität auf. Dabei muss man sich selbst bewusst sein, dass auch die virtuelle Identität nicht teilbar ist – als Bibliotheksleitung oder gar als „Bibliothek“ darf man ein gewisses Niveau nicht unterschreiten. Eine der wesentlichen Unique Selling Propositions einer Bibliothek ist das Image als Lieferantin geprüften Contents. Dies gilt analog auch für die vielfältigen Medien im Web 2.0. Diese Social Networks sind allgemeine Netzwerke mit einer Filterfunktion, mit der bestimmte Inhalte nur Auserwählten zugänglich sind. Die Nutzergruppe ist jedoch heterogen. – Business-Netzwerke wie XING⁵¹ oder LinkedIn⁵² sind spezifische Netzwerke, deren Hauptfunktionen geschäftliches Networking und Jobsuche sind. XING bietet viele Möglichkeiten, Kontakte zu suchen und zu pflegen, sich selbst und

47 Jodeleit 2010. 48 Vgl. http: // www.facebook.com (Abruf: 05.05.2012). 49 Vgl. https: // plus.google.com (Abruf: 05.05.2012). 50 Vgl. http: // www.myspace.com (Abruf: 05.05.2012). 51 Vgl. https: // www.xing.com / (Abruf: 05.05.2012). 52 Vgl. http: // at.linkedin.com / (Österreich) oder http: // de.linkedin.com (Deutschland) (Abruf: 05.05.2012).

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die eigenen Qualifikationen umfangreich darzustellen. Es bietet sich für bibliothekarisches Networking speziell für die Suche nach Kooperationspartnern oder Sponsoren aus der Wirtschaft an. Bestimmte Funktionen bleiben zahlenden Premium-Mitgliedern vorbehalten, so etwa das interne Nachrichtensystem oder die Jobsuche. Das Bilden von Gruppen erleichtert das Networking von Menschen mit gemeinsamen Themen und Interessen.⁵³ Wikis sind gemeinsam erstellte Informationsquellen im Internet. Für das Networking sind Wikis gut geeignet, weil sie Menschen mit gemeinsamen Interessen zusammenbringen. Eine gute Zusammenstellung bibliothekarischer Wikis findet sich u.a. auf der Homepage der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.⁵⁴ Wikis eigenen sich auch ausgezeichnet als Plattformen des Wissensmanagements für Mitarbeiter in großen Bibliothekssystemen. Damit kommt ihnen eine interessante Doppelfunktion zu. Blogs sind Internettagebücher oder -journale und sind somit wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit. Bibliothekarische Blogs können neben der Öffentlichkeitsarbeit vielfältige Funktionen erfüllen. Zusammen mit anderen Instrumenten wie Social Networks bieten sie z.B. auch die Möglichkeit, die „Virtual Community“ der Bibliothek zu bilden und mit Content zu versorgen.⁵⁵ Darüber hinaus gibt es eine Menge Blogs, die über Werkzeuge für die Arbeit im Internet und mit moderner Kommunikationstechnologie informieren, etwa der Blog von Mark Buzinkay.⁵⁶ LibraryThing ist ein Webdienst zur Verwaltung von Bibliothekskatalogen und Medienlisten. Dieses Online-Literaturverwaltungsprogramm mit angeschlossener Community ist eine für Bibliotheken sehr sympathische Möglichkeit, im Web 2.0 präsent zu sein, um etwa Neuerwerbungen oder Medienschwerpunkte zu präsentieren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Büchereien Wien präsentieren in LibraryThing z.B. die Bestandsschwerpunkte von Büchereizweigstellen.⁵⁷ Das gemeinsame Interesse steht auch beim Social Bookmarking, beim individuellen oder kollektiven Anlegen von Internet-Lesezeichen, im Mittelpunkt, deshalb

53 Nähere Informationen zu XING u.a. in: Lutz, Rumohr 2010. 54 Vgl. http: // linksammlungen.zlb.de / 1.2.2.85.0.html (Abruf: 05.05.2012). 55 Vgl. http: // wiki.histnet.ch / Bibliothekarische_Weblogs (Abruf: 05.05.2012). Der Planet Biblioblog 2.0 vereint viele deutschsprachige Blogs mit bibliothekarischen Inhalten: http: // rss. netbib.de / (Abruf: 05.05.2012). 56 Vgl. http: // www.buzinkay.net / blog-de / (Abruf: 05.05.2012). 57 Hier findet sich das virtuelle Buchregal der Zweigstelle Erdberg zum Indien-Schwerpunkt: http: // www.librarything.com / catalog / erdberg (Abruf: 05.05.2012).

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sind auch Plattformen wie Delicious⁵⁸ oder LinkARENA⁵⁹ Instrumente des Networkings. RSS-Feeds und Newsletter dienen dazu, Mitglieder der eigenen Bibliothekscommunity im Netz auf dem Laufenden zu halten. Aktuelle Informationen können von Benutzern abonniert werden. Mit twitter⁶⁰ kann man den Followern der eigenen Bibliothek ebenfalls aktuelle Informationen zukommen lassen. Die Kürze des möglichen Textes von maximal 140 Zeichen führt oft dazu, dass z.B. nur Links zu Webseiten versendet werden müssen, wo man etwa den gesamten Text der gesendeten Veranstaltungsankündigung nachlesen kann. Dienste wie TweetDeck⁶¹ ermöglichen es, Postings an mehrere Social Networks zu senden, erhöhen also die Effizienz beim Bespielen der Netzwerke. Audio- und Videopodcasts sind Instrumente der Kundenbindung für Bibliotheken, aber auch die Chance, dass neue Menschen auf die Bibliothek aufmerksam werden. Die Büchereien Wien produzieren Audiopodcasts z.B. von eigenen Veranstaltungen⁶² und bespielen einen Channel auf YouTube⁶³.

Die Verbindung der realen mit der virtuellen Welt gehört für manche Gruppen in Social Networks zur Selbstverständlichkeit (XING-Gruppentreffen, twitter lunch u.a.). Die Büchereien Wien haben z.B. unter facebook-Freunden der Büchereien eine Führung mit dem Leiter der Hauptbücherei mit anschließender Jause⁶⁴ verlost. Für den Club wien.at⁶⁵ werden ebenfalls derartige Spezialführungen angeboten. Es macht Spaß, in gemütlicher Atmosphäre über die Büchereien Wien, zukünftige Trends und konkrete Anliegen der Nutzer und Nutzerinnen zu sprechen. Die Aufstellung zeigt, dass die Grenzen des Networkings im Internet zum „viralen Marketing“⁶⁶ und zur Öffentlichkeitsarbeit fließend sind.

58 Vgl. http: // delicious.com (Abruf: 05.05.2012). 59 Vgl. http: // linkarena.com (Abruf: 05.05.2012). 60 Vgl. http: // twitter.com (Abruf: 05.05.2012). 61 Vgl. http: // www.tweetdeck.com (Abruf: 05.05.2012). 62 Vgl. http: // www.buechereien.wien.at / de / programm / podcasts (Abruf: 05.05.2012). 63 Vgl. http: // www.youtube.com / buechereienwien (Abruf: 05.05.2012). 64 Österreichisch: Zwischenmahlzeit, kalte Abendmahlzeit (Brotzeit). 65 wien.at ist eine Zeitung der Stadt Wien, die alle Wiener Haushalte zugestellt bekommen und die über Angebote der Stadtverwaltung und über Veranstaltungen in der Stadt informiert. Der Club wien.at ist eine Community dieser Zeitung. http: // www.clubwien.at / Startseite.6.0.html (Abruf: 05.05.2012). 66 Der Kunde wird motiviert, eine Botschaft, z.B. zu einer Marke, an möglichst viele Personen weiterzuleiten, sodass sich diese Botschaft wie ein Virus verbreitet. Vgl. dazu z.B. Egli 2009; Langner 2007.

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3 Evaluation von Networking Beim Networking sollte periodisch das eigene Tun hinterfragt werden. Sehr einfach ist es, die Kontaktedatei herzunehmen und Kontakte darauf zu überprüfen, wie aktuell sie sind und wie oft sie tatsächlich genutzt wurden. Deshalb empfiehlt es sich, schon beim Anlegen von Kontakten Notizen über Aktivitäten zu machen, z.B. auch über eine Erinnerungsfunktion oder Wiedervorlagefunktion. Möglicherweise kommt man so darauf, dass es höchste Zeit wäre, mit einem Menschen essen zu gehen, um sich und die Bibliothek in Erinnerung zu bringen oder um neue gemeinsame Projekte zu besprechen. Eine weitere Möglichkeit ist es zu hinterfragen, wie viel Geld oder geldwerte Leistungen Kooperationen im vergangenen Jahr gebracht haben, die über Networking initiert wurden. Wie viel Geld kostete die Arbeitszeit, die man selbst und das Team in Kooperationen eingebracht haben? Das Image der Bibliothek, ihr unverwechselbares Profil, das bereits in Abschnitt 2.1 angesprochen wurde, ist aufwendig zu evaluieren. Im Zusammenhang mit Networking ist es naheliegend, die Kooperationspartner zu fragen, aus welchen Gründen sie mit der Bibliothek kooperieren. Die Büchereien Wien haben dies im Jahr 2010 getan. Folgende Gründe wurden, hier komprimiert wiedergegeben, genannt: Literatur-Kompetenz, gutes Image, spannendste Bildungseinrichtung der Stadt, niederschwellig, verlässlicher Partner, öffentlicher Ort, gleicher Auftrag, (Kulturvermittlung), unverwechselbares Profil, qualitative AutorInnenauswahl, nicht nur Mainstream, auch junge und fremdsprachige AutorInnen, kompetenter Partner, attraktiver Ort, junges Publikum, LeserInnen, literarisches Angebot, idealer Ort zum Netzwerken, architektonisch schöner Rahmen, interessiertes Publikum aus verschiedenen sozialen Schichten, Lesen als Thema interessant, Ort mit breiter Zielgruppe, Medien zu den Festwochenthemen im Angebot, kompetente MitarbeiterInnen, BüchereikundInnen überdurchschnittlich kulturinteressiert, hoch qualifiziertes Bibliotheksteam, Bibliothek steht für Meinungsfreiheit, einladende und visionäre Architektur, verlässliche Partnerin für Antirassismusarbeit, gelebte Wertschätzung für unterschiedliche Sprachen, Hauptbücherei Zentrum der Lesekultur, KundInnen der Hauptbücherei wichtige Zielgruppe, solidarischer und kompetenter Partner bei der Umsetzung kostenloser Bildungsangebote für Asylsuchende, Institution der gelebten Lesekultur, gleiche Anliegen, offen für das Neue, Respekt gegenüber den Büchern, Leseförderung großgeschrieben, niederschwellige Einrichtung, bester Partner im Feld „Migration / Interkutur“ in der Stadt […].⁶⁷

Wenn auch unterschiedlich artikuliert, kann man die genannten Gründe zu folgenden Bündeln zusammenfassen: – Kompetenz, – Gemeinsame Werthaltungen, – Interessantes Publikum, – Image / Profil, – Interessanter öffentlicher Ort.

67 Jahl 2011.

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Einerseits ist die Befragung ein wichtiges Feedback zum erfolgten Networking, andererseits bietet diese Auflistung Hilfestellung und Ansatzpunkte für die Knüpfung weiterer Kontakte. Hier helfen z.B. die „Kontakte der Kontakte“, wie man sie etwa in XING erkennen kann. Die „Kontakte der Kontakte“ nutzbar zu machen, ist eine mögliche Vertiefung des Networking-Prozesses. Neben der Möglichkeit, die diverse elektronische Plattformen bieten, um das Netzwerk, das man gemeinsam mit anderen Menschen hat, sicht- und nutzbar zu machen, kann auch das persönliche Gespräch dazu dienen, gemeinsame Kontakte zu erfragen. So zeigte sich z.B. im Gespräch mit dem neuen Direktor des BRITISH COUNCIL in Österreich, dass so mancher Kontakt der Hauptbücherei der Büchereien Wien auch einer des BRITISH COUNCIL ist. Gemeinsame Projekte unter Einbeziehung der eigenen Kontakte, die dann zu gemeinsamen Kontakten werden, könnten die Folge sein. Daher ist es durchaus zu empfehlen, auch bei einem Erstkontakt Projekte und Partner vorzustellen, wenn das Gespräch offen und von Vertrauen geprägt ist. Formelle Netzwerke, die die nötige Infrastruktur oder die nötigen finanziellen Mittel haben, können sich zwecks Evaluation der Netzwerkanalyse bedienen. So hat z.B. das bereits erwähnte ScienceCenter-Netzwerk (SCN) in den Jahren 2008 und 2009 eine derartige Analyse durchgeführt: Die vorliegende Analyse ist eine detaillierte Untersuchung des ScienceCenter-Netzwerks nach ca. 3-jährigem Bestehen bei einem Stand von 80 NetzwerkpartnerInnen. Ziel war es, Nutzen, Wirkungsweise, Vernetzungsgrad und Entwicklungspotenziale zu erheben und daraus für die Weiterentwicklung zu lernen. Die Ergebnisse basieren auf einer quantitativen Erhebung und Auswertung mittels sozialer Netzwerkanalyse sowie auf qualitativen Einzelinterviews mit allen NetzwerkpartnerInnen. Für die quantitative Analyse wurde ein Format mit großem spielerischen Potenzial entwickelt, das maßgeblich zur hohen Rücklaufquote (81 %) beitrug.⁶⁸

Durchgeführt wurde die Studie von AIT / Foresight & Policy Development (Social Network Analysis) und Barbara Wenk (qualitative Interviews).⁶⁹ Wesentliche Erkenntnisse waren beispielsweise eine hohe Zufriedenheit der Partner im Netzwerk sowie dass das Netzwerk eine dichte Struktur mit einem Kernbereich besonders aktiver Partner aufweist: Es [gibt] regionale und thematische Cluster wie Schule oder Forschung, die vorwiegend über Akteure aus dem Bereich Wissenschaftsvermittlung im Kontakt stehen. […] Die PartnerInnen nutzen das ScienceCenter-Netzwerk als eine Gelegenheit zum professionellen Austausch sowie zu Aufbau und Pflege von Kontakten […]. Sowohl ökonometrische Entscheidungsmodelle der sozialen Netzwerkanalyse als auch die qualitative Forschung bestätigten, dass die Angebote des ScienceCenter-Netzwerks für die PartnerInnen zu stärkerer Vernetzung und intensiveren

68 ScienceCenter-Netzwerk 2008 / 09, S. 1. 69 Vgl. http: // www.ait.ac.at / research-services / research-services-foresight-policy-development / (Abruf: 02.02.2012).

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Kooperationen führen […]. Besonderheiten des ScienceCenter-Netzwerks sind die hohe Diversität seiner PartnerInnen, die als „offen“ charakterisierte Kultur im Netzwerk sowie das theoriebasierte Management durch einen eigenen Verein […].⁷⁰

Besonders interessant war für die Partner auch die folgende Grafik, die Ergebnis einer Befragung mittels Kärtchen war und die Vernetzung der Partner untereinander veranschaulichte:

Abb. 1: Netzwerk der SCN-Partner (ohne Verein SCN) nach organisatorischer Kategorie⁷¹

Aus dieser Bestandsaufnahme mittels Netzwerkanalyse wurden Stärken und Besonderheiten des Netzwerks erkannt und Schlüsse für die künftige Arbeit gezogen. Für die Analyse Sozialer Netzwerke gibt es verschiedene Methoden, die bei Netzwerkkarten aus Karton beginnen und bei Softwaretools⁷² enden. In der vorliegenden

70 ScienceCenter-Netzwerk 2008 / 09, S. 1. 71 ScienceCenter-Netzwerk 2008 / 09, S. 3. 72 Eine Auflistung von Softwaretools findet sich u.a. bei Wikipedia unter: http: // de.wikipedia.org / wiki / Soziales_Netzwerk_%28Soziologie%29 (Abruf: 05.05.2012).

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Untersuchung wurden Netzwerkkarten benutzt, auf die die Tiefe der Beziehungen zu Partnern in bestehenden Netzwerken sowie die Anzahl der Beziehungen einzelner Netzwerkpartner zu anderen Partnern im Netzwerk eingetragen wurden, was dann die grafische Darstellung ermöglichte (siehe Abb. 1).

4 Fazit Professionelles Networking, das als systematische Arbeit verstanden wird, kann Bibliotheken helfen, sich in einer verändernden Medienwelt und unter zunehmend schwierigen ökonomischen Bedingungen neu zu positionieren und dafür verlässliche Partner zu finden. Kontakte suchen, Kontakte knüpfen und Kontakte pflegen in der realen und virtuellen Welt machen die Bibliothek zu einem wichtigen Knotenpunkt in der Vernetzung von Kultur- und Bildungseinrichtungen einer Stadt. Die Bibliothek als öffentlicher Ort, als kommunaler Treffpunkt wird Bühne für Aktivitäten der Partner im Netzwerk.

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Claudia Lux

Bibliothekspolitische Forderungen und Lobbyarbeit für Bibliotheken 1 Grundlagen der Bibliothekspolitik Bibliothekspolitische Forderungen richten sich an Unterhaltsträger und Kooperationspartner von Bibliotheken mit dem Ziel, verbesserte Rahmenbedingungen (Bibliotheksgesetz, Finanzierungszusagen, Einbindung in Drittmittelprojekte) zu schaffen. Zur Durchsetzung solcher Forderungen ist es auch für Bibliotheken zunehmend relevant, systematische Lobbyarbeit zu betreiben. Dafür ist es wiederum notwendig, die Grundlagen der Bibliothekspolitik zu verstehen. Bibliothekspolitik bezieht sich auch ganz konkret auf Politik. Kennzeichnend für Politik sind die drei Elemente Macht, Gestaltung und Werte.

1.1 Macht Macht kann als die Möglichkeit zur Durchsetzung der eigenen Interessen gegenüber anderen Interessen bezeichnet werden. Die genaue soziologische Definition des Begriffs „Macht“ von Max Weber lautet: Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.¹

Vor dem Hintergrund dieser Definition ist es das Ziel von Bibliothekspolitik, für die eigenen Interessen der Bibliotheken zu sprechen, dafür Argumente einzuüben und sie letztendlich durchzusetzen. Dabei müssen Bibliothekare gegen die Interessen anderer antreten, die die gleichen finanziellen Ressourcen im Auge haben. Neben einem klaren Ziel, das durch die Lobbyarbeit erreicht werden soll, steht also auch die Analyse, wer ebenfalls eingebunden werden muss, welche Netzwerke gesponnen werden können, wer Gegner ist oder sich neutral verhalten wird. Nicht immer sehen Bibliothekare, dass sie eine Machtposition in diesem definierten Sinn anstreben sollten, und versuchen es mit Zusammenarbeit, die ihren ethischen Grundsätzen von Kooperation und Netzwerkarbeit besser entspricht. Nichtsdestoweniger ist darauf zu achten, dass nicht der sogenannte „Piranha-Effekt“ die Durchsetzung der eigenen Interessen zunichte macht. Bibliothekspolitische Forderungen müssen daher

1 Weber 1956, S. 28.

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Lux

in klarer Kenntnis des Zusammenspiels von Macht, Gestaltung und Werten positioniert werden. Macht ist immer noch der von Bibliothekaren am wenigsten eingesetzte Faktor.

1.2 Gestaltung Bibliothekare nutzen die verschiedenen Möglichkeiten der politischen Gestaltung, um ihren bibliothekspolitischen Einfluss auszuweiten. Von dem Entwurf einer programmatischen Festrede eines Politikers bis hin zur Konzeption für das System der wissenschaftlichen Bibliotheken eines Landes – immer wieder werden Bibliothekare in die Gestaltung durch die Politik selbst eingebunden. Je besser das Lobbynetzwerk funktioniert, umso eher können Zuarbeiten oder auch Gesetzestexte im Sinne der Bibliotheken formuliert werden. Der durchschlagende Erfolg dieser Teilnahme an der Gestaltung entscheidet sich allerdings bei wichtigen Aspekten im Bereich der Macht. Erfolgreiche Beispiele für die bibliothekspolitische Gestaltung sind die Beteiligung von Bibliothekaren beim Konzept für die Hochschulbibliotheken im Land Brandenburg nach 1990², die interne Mitarbeit an Bibliotheksentwicklungsplänen wie in Berlin 1995 oder die Hinweise zu einem Bibliotheksgesetz durch den Deutschen Bibliotheksverband von 2008³. Grundsätzlich kann die Arbeit in Beiräten bei der DFG, im Wissenschaftsrat oder bei Ausschüssen der Kulturministerkonferenz als eine solche Teilnahme an der Gestaltung definiert werden. Diese findet ebenso statt, wenn die Verbände sich zu Gesetzgebungsvorschlägen im Bundestag oder auf der europäischen Ebene äußern sollen.

1.3 Werte Die Stärke der Bibliotheken liegt in ihren demokratischen Werten, von denen sie sehr viele vertreten, vielleicht mehr als in irgendeinem anderen Bereich. Einige dieser Werte sind: freier Zugang zur Information, Leseförderung, Vermittlung von Medienund Informationskompetenz, Unterstützung der freien Meinungsäußerung, Bildung, selbstständiges Lernen usw. Politiker benötigen Werte. Sie benutzen sie, um ihre politischen Vorstellungen den Menschen zu erläutern und positiv zu vermitteln. Damit finden Lobbyisten der Bibliotheken einen Ansatzpunkt, Politiker für die Bibliotheksinteressen zu gewinnen. Gleichzeitig wird dadurch deutlich, dass sich sehr selten Politiker prinzipiell gegen Bibliotheken aussprechen. „Wir sind die Guten“ könnte daraus als Marketingparole geschlossen werden; dennoch ist damit keine automatische

2 Vgl. Arbeitsgruppe Hochschulbibliotheken Brandenburg 1992. 3 Vgl. dbv 2008.

Lobbyarbeit

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Zustimmung zur verbesserten finanziellen Ausstattung von Bibliotheken gewährleistet. Harte Fakten und bewegende Beispiele sind zu liefern, um die Relevanz der Bibliotheksarbeit zu belegen und Unterstützung durch die Politik zu erhalten.

2 Wahrnehmung von Bibliotheksarbeit Die zwei folgenden Beispiele zeigen für Öffentliche wie auch für wissenschaftliche Bibliotheken die mögliche Wahrnehmung der bibliothekarischen Dienstleistungen bei wichtigen Zielpersonen der Lobbyarbeit. Situation 1: Stellen Sie sich ein Konzert in einer kleinen Stadt vor. Der Bürgermeister sitzt in der ersten Reihe. Eine Studentin der örtlichen Musikschule erscheint auf der Bühne und spielt ein wunderschönes Stück von Vivaldi. Der Bürgermeister ist begeistert, lobt die junge Solistin für ihr kunstvolles Spiel und erwähnt, dass dies erfolgreiche Spiel das Ergebnis eines intensiven Studiums des Geigenspiels und ständigen Übens ist. Am nächsten Tag besucht der Bürgermeister die Bibliothek. Eine junge Bibliothekarin erläutert gerade einem Kunden die Ergebnisse im OPAC⁴. Ein weiterer Mitarbeiter sitzt an der Ausleihtheke und verbucht einige Medien für eine ältere Dame. Nach ein paar netten Worten verabschiedet sich der Bürgermeister. Abends erzählt er von seinem Bibliotheksbesuch und erläutert seinen Freunden, wie einfach die Arbeit in der Bibliothek ist – das kann gut mit ehrenamtlichen Kräften erledigt werden. Warum ist ein Bürgermeister von dem eifrigen Studium einer Geigerin überzeugt, sieht aber nicht, dass auch für den Beruf in der Bibliothek ein komplexes Studium Voraussetzung ist, um die von den Nutzern geforderten Dienstleistungen erbringen zu können? Situation 2: Vergleichbare Situationen gibt es auch an Universitätsbibliotheken. Ein amerikanischer Professor trat für die Reduzierung der Gelder seiner Bibliothek ein und begründete dies damit, dass er alle Informationen, die er früher von der Bibliothek benötigt hat, heute über seinen Computer erhält, neben dem Internet vor allem per E-Books, E-Journals und Datenbanken, die er auf seinem PC verfügbar hat. Er war sehr erstaunt, als er von der Bibliotheksdirektorin erfuhr, dass dies alles das Ergebnis der Arbeit der Universitätsbibliothek war und nur durch den Anschaffungsetat für E-Books und die Lizenzen für die E-Journals und Datenbanken bei ihm so leicht verfügbar wurde.

4 Online Public Access Catalogue.

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Auch wenn man annehmen kann, dass diese beiden Beispiele nicht mehr so häufig wie noch vor einigen Jahren vorkommen, so zeigen sie die erste wichtige Aufgabe der Lobbyarbeit für Bibliotheken auf: Die Dienstleistungsprozesse in einer modernen Bibliothek müssen bei der Lobbyarbeit anschaulich vermittelt werden. Für die Lobbyarbeit ist die Frage zu beantworten, warum Bibliotheken und Bibliothekare auch heute noch notwendig sind: Eine Beispielantwort ist, dass sie das publizierte Wissen organisieren und es leicht zugänglich machen, und zwar auch jenes, dass im Deep Web⁵ von Google nicht gefunden wird. Das Einüben der sachgerechten Beantwortung provozierender Fragen spielt eine wichtige Rolle bei der erfolgreichen Lobbyarbeit. Der Standardbemerkung, dass das Internet die Bibliotheken abgelöst habe  – eine Bemerkung, die von China bis Südamerika den Politikern leicht von den Lippen geht –, muss klar begegnet werden. Das Internet ist nicht in der Lage, Bibliotheken und Bibliothekare zu ersetzen, es gibt ihnen allerdings sehr viel mehr Mittel in die Hand, sich in der weiter wachsenden Informationsflut zu orientieren und sie ihren Kunden zugänglich zu machen. Argumente, was Bibliotheken für die Informationsgesellschaft beitragen, insbesondere im Bereich Medien- und Informationskompetenz, müssen klar verständlich vermittelt werden. Mit den „21 guten Gründen für gute Bibliotheken“, die von dem Dachverband Bibliothek & Information Deutschland⁶ herausgegeben wurden, hat man eine Sammlung von Argumenten an der Hand, um gegenüber der Politik überzeugend zu argumentieren und die Bibliotheken auf die Tagesordnung zu setzen.

3 Wie arbeiten moderne Bibliotheken? Falsche Vorstellungen über die Arbeit in Bibliotheken existieren rund um den Globus. Egal ob in Brasilien oder China, immer wieder taucht das Argument auf, dass alle Informationen im Netz verfügbar sind, und die Frage nach der Zukunft der Bibliotheken wird aufgeworfen. Gleichzeitig digitalisieren Bibliotheken gemeinfreie Bücher und stellen sie ins Netz, d.h., sie sind selbst Produzenten von leicht zugänglichen Netzangeboten. Arbeiten sie damit gegen ihre eigenen Interessen? Nein, sie arbeiten gezielt für ihre Kunden und auf der Basis ihrer ethischen Grundlage, freien und leichten Zugang zu Information und Wissen zu ermöglichen. Dafür organisieren sie die Inhalte der unterschiedlichen Medien und bereiten sie so auf, dass sie für ihre Nutzer leicht zugänglich und nutzbar werden.

5 Deep Web nennt man einen versteckten Bereich im Internet, in dem Daten liegen (zumeist in Fachdatenbanken oder Katalogen), die durch normale Suchmaschinen nicht erfasst werden. 6 Vgl. BID 2009.

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Was man von einer Bibliothek sieht und was ein oberflächlicher Besucher sieht, das ist nur der äußere Schein einer Bibliothek. Ihre eigentliche Aufgabe, vorhandenes, publiziertes Wissen zu ordnen, zu organisieren und verfügbar zu machen, findet nicht sichtbar statt. Diese Arbeit findet vor allen Dingen im Kopf statt, sie ist nicht anschaulich, d.h., sie hat als Dienstleistung die Eigenschaft der Immaterialität.⁷ Nur das Ergebnis der Arbeit, wie es in Dateien und Datenbanken verankert ist, wird sichtbar. Auch der kombinatorische Prozess der Recherche und der Auskunft ist nicht sichtbar und oft für Außenstehende schwer verständlich, da dieser Prozess auf einem breiten Allgemeinwissen kombiniert mit Spezialwissen basiert, das sich täglich anreichert. Die „wirkliche“ bibliothekarische Arbeit ist also weitestgehend unsichtbar. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum es nicht einfach zu erläutern ist, was Informationsspezialisten wie Bibliothekare tun. Die Tätigkeit handelt nicht vom Buch, sondern von seinem Inhalt, es sind Information und Wissen aus dem Inhalt von Büchern, CDs, Videos, Datenbanken, Online-Repositorien usw. Es sind die kreativen Produkte der Menschen, oftmals aufbauend auf einer langen Geschichte der Entwicklung des Wissens. Diese Ergebnisse werden wiederum von Menschen für ihr tägliches Leben, von Wissenschaftlern, kreativen Personen oder Schülern benötigt. Der Inhalt hat seine äußere Form über die Jahrhunderte verändert. Es reicht nicht zu sagen, dass es Bibliotheken seit 2000 Jahren gibt und sie deshalb weiter existieren werden. Die Geschichte vermittelt deutlich, dass ein Umbruch in der Form noch nie ein Ende der Funktion von Bibliotheken bedeutet hat. Immer wurde Wissen festgehalten, bewahrt und musste weitergegeben werden. Was zunächst eine Schrift auf einer Felsenwand war, wurde danach auf Papyrus geschrieben oder in Schildkrötenpanzer geritzt, später auf Papier, in Videos festgehalten, auf CDs gebrannt oder auf Servern gespeichert. Die Form hat sich dramatisch verändert, sie ist heute multimedial. Sie entwickelt sich zu immer neuen Formaten. Der Inhalt übermittelt weiterhin Information und Wissen, welches organisiert, suchbar und zugänglich gemacht wird und für zukünftige Generationen bewahrt werden muss. Das Internet gibt Bibliothekaren neue Mittel an die Hand, sich in der wachsenden Informationsflut zu orientieren und die Kenntnis darüber an jedermann zu vermitteln.

4 Bibliothekspolitische Forderungen entwickeln Eine wichtige Basis der Lobbyarbeit für Bibliotheken ist es, klare und überzeugende bibliothekspolitische Forderungen präsentieren zu können. Argumente findet man in hervorragenden Beispielen aus aller Welt, die aufzeigen, welche Rolle Bibliotheken in den unterschiedlichen Politikbereichen einnehmen. Als übergeordneter Einstieg

7 Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch.

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können die Milleniumsziele der UN⁸ dienen. Einige Ziele sind eng mit der Arbeit von Bibliotheken verbunden und sie gelten nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für weniger entwickelte Stadtteile, für Armut im eigenen Land. Für den Aspekt der digitalen Spaltung, die in Deutschland sowohl zwischen Stadt und Land wie auch innerhalb der Gesellschaft in einem gewissen Rahmen sichtbar ist, bieten die Ziele des World Summit of the Information Society⁹, der von der UNESCO unterstützt wurde, hervorragende politische Ansätze. Zu beiden Themen hat die International Federation of Library Associations and Institutions – IFLA Stellungnahmen erarbeitet, in denen die Rolle der Bibliotheken bei der Erreichung der politischen Ziele dargestellt wird. Insbesondere das Dokument Libraries and WSIS Action Lines¹⁰ bietet konkrete Hinweise und praktische Beispiele, wie Bibliotheken solche politischen Ziele unterstützen und sich damit den Politikern als wichtige Institution vor allem im Bereich Bildung und Informationsgesellschaft präsentieren können. Gleichzeitig wurde eine Success-Stories-Datenbank¹¹ aufgebaut, in der relevante Aktivitäten einzelner Bibliotheken aus der ganzen Welt gespeichert sind. Diese können gegenüber Politikern als anschauliche Beispiele für die Relevanz der Bibliotheksarbeit in der Informationsgesellschaft genutzt werden. Sie dienen auch als Vorbilder für die Entwicklung eigener Ideen für die Verbesserung der Bibliotheksarbeit und die Formulierung konkreter bibliothekspolitischer Forderungen. Diese bibliothekspolitischen Forderungen vermitteln, was Bibliothekare für die Informationsgesellschaft leisten können, und sollten daher klar verständlich formuliert sein. Nur so können die Potenziale der Bibliotheken aufgezeigt werden und gutes Marketing für ihre Dienstleistungen und deren positive Wirkung für alle Menschen geboten werden, vor allem im Bereich der Bildung und persönlichen Entwicklung. Dabei ist es notwendig, das neue Image von Bibliotheken als frei zugänglichem Lernort und elektronischem Zugangsort zum Wissen der Welt deutlich zu einem zentralen Thema zu entwickeln. Ein besonderes Problem für Bibliothekare entsteht, wenn sie erst dann, wenn ein Gesetz, eine Verordnung oder ein Plan verabschiedet wurde, dagegen protestieren oder feststellen, dass sie wieder einmal nicht berücksichtigt worden sind, dass keiner sie gefragt hat. Ursache dafür ist vielfach die fehlende Vernetzung und Lobbyarbeit bei den Entscheidungsträgern. Um sinnvoll für die eigenen Interessen eintreten zu können, muss man sich zu allererst mit den Plänen und aktuellen Aktivitäten der jeweils zuständigen Regierung oder des Unterhaltsträgers befassen. Wird gerade ein Bildungsplan erstellt? Wird ein Gesetz zum Internet vorbereitet? Gibt es einen Gipfel zum Thema Migration? Werden die Aufgaben einer Hochschule neu formuliert oder wird eine Exzellenzinitiative gestartet? Bibliothekare wissen, dass sie zu allen diesen

8 Vgl. Njobvu, Koopman 2008. 9 Vgl. WSIS 2005. 10 Vgl. Mincio 2007. 11 Vgl. IFLA 2010.

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Themen einen wichtigen Beitrag leisten können: Diese detaillierte Kenntnis ist aber weder bei den zuständigen Mitarbeitern in den Verwaltungen noch bei den betroffenen Politikern vorhanden  – und falls doch, denken sie in diesem Moment nicht daran, Bibliotheken einzubeziehen. Die Bibliothekare müssen rechtzeitig und erfolgreich ihre Kompetenzen kommunizieren, sie können ihre Unterstützung und ihre Netzwerke anbieten, um einbezogen zu werden. Einbeziehung öffnet meist auch das Tor für eine mögliche Förderung. Beispiele, wie sie in der IFLA-Success-Datenbank zu finden sind, können belegen, dass Bibliotheken in vielen gesellschaftlichen Aspekten eine wichtige Rolle spielen. Selbst wenn es nicht im ersten Anlauf gelingt, zu einem Bildungsgipfel eingeladen zu werden, können anschließende Briefe und Stellungnahmen dennoch Berücksichtigung finden. Um den wesentlichen Kern der Lobbyarbeit zu bearbeiten, sollten Bibliothekare sich mit der Politik und den politischen Entwicklungen, vor allem der Entstehung von Gesetzen, rechtzeitig und systematisch beschäftigen. Dies ist in Deutschland einerseits auf der Bundesebene, aber im Bereich Kultur und Bildung noch wichtiger auf der Länderebene notwendig. Lobbyarbeit bedeutet: Politik zu beeinflussen, bevor sie entschieden wird. Die Ziele der Bibliothekare müssen klar formuliert und mit einer Strategie hinterlegt sein. Danach sind ein intensives Monitoring der verschiedenen Parteien z.B. auf Länderebene oder im Stadtrat sowie die Abschätzung der unterschiedlichen Interessenlagen oder Konflikte z.B. an einer Hochschule notwendig. Kontakte müssen geknüpft und verschiedene Methoden der Wahrnehmung der bibliothekarischen Interessen ausgelotet werden. Mit Energie an der Sache bleiben ist ein Kernpunkt der Aktivitäten. Am Ende zählen vor allen Dingen Ausstrahlung und authentische Kompetenz für den Erfolg, die Bibliotheksinteressen auf die Tagesordnung zu bekommen und positive Ergebnisse zu erreichen. Als weitere Herausforderung kommt hinzu, dass Bibliothekare es nicht gewohnt sind, für sich selbst zu sprechen. Die Rolle der Bibliotheken in der Gesellschaft wird zu unserer eigenen Sache. Diese Eigentümerschaft, dieser Besitz, ist wichtig für das notwendige Engagement der Bibliothekare in der Lobbyarbeit. Sie bedeutet auch, dass Bibliothekare für sich selbst sprechen und eintreten müssen und nicht erwarten können, dass andere diese Arbeit für sie erledigen. Natürlich ist es gut, wenn durch die Arbeit der Bibliotheken deren Kunden ebenfalls für die Interessen von Bibliotheken eintreten. Es entlässt aber die Bibliothekare nicht aus der Verantwortung, selbst aktiv zu werden und ihre Forderungen nicht nur zu formulieren, sondern auch zu vertreten. Dazu ist es wichtig, die Argumentationsstränge zu üben und auf Gegenargumente gut vorbereitet zu sein. Lobbyarbeit heißt, für die eigenen Interessen der Bibliotheken zu sprechen und dafür politische Forderungen einzuüben. Das persönliche Engagement bedeutet nicht, dass Lobbyarbeit einzelkämpferisch durchgeführt werden kann. Lobbyarbeit für Bibliotheken ist Teamarbeit. Jede Aktion

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in der Lobbyarbeit für Bibliotheken sollte von einem Team des Bibliotheksverbandes oder der Bibliothek durchgeführt werden. Es ist wichtig, dass viele eingebunden und in den grundlegenden Argumenten für die Forderungen geschult werden. Gleichzeitig muss die Lobbyarbeit koordiniert umgesetzt werden. Bestimmte, gezielt ausgesuchte Politiker sollten über längere Zeit von ein oder zwei Personen des Verbandes oder der Bibliothek betreut werden, damit Vertrauen und Kompetenz aufgebaut werden können. Die Information untereinander ist besonders wichtig, um frühzeitig Entwicklungen zu erfahren. Auch die enge Verbindung zu den Verwaltungen in Ministerien und regionalen und kommunalen Verwaltungen muss gesteuert werden. Die Bildung von Netzwerken über die Bibliotheken hinaus mit Archiven, Museen, Theatern, Schulen und Musikschulen, Betrieben oder verschiedenen Bildungsträgern ist vor allem im kommunalen Bereich wichtig. Dadurch erfährt man rechtzeitig von Aktivitäten und Plänen, bei denen sich die Bibliothek mit ihrem Angebot selbst aktiv einbringen kann. Unabhängig von der Notwendigkeit, viele Mitglieder in die Lobbyarbeit mit einzubeziehen, sollte ein Ansprechpunkt für Lobbyarbeit gebildet werden, bei dem die verschiedenen Stränge und Aktivitäten zusammenlaufen. Dieser ist zugleich für andere Verbände, für Journalisten und für Politik der Ort der Nachfrage.¹² Die Einbeziehung von Mitarbeitern, Freunden, Bürgerinitiativen und Partnern muss durchgängig organisiert werden. Es ist wichtig, diese Partner immer wieder aktuell über die Ziele und Aktivitäten der bibliothekarischen Lobbyarbeit zu informieren. Die Ziele der Lobbyarbeit sollten dabei über einen längeren Zeitraum konsistent bleiben, da es einige Zeit dauert, bis sich eine bibliothekspolitische Forderung bei allen durchgesetzt hat und bekannt ist. Klar und knapp formulierte Forderungen bleiben besser im Gedächtnis als zu detailliert ausgearbeitete Darlegungen. Die Forderungen selbst sollten daher eher plakativ sein, während die Begründungen ausführlich und gut belegt sein müssen. Bewegende Beispiele und harte Fakten liefern, um die Relevanz der Bibliotheksarbeit zu belegen – das ist die Basis eines guten Bibliotheksmarketings. Für die Lobbyarbeit ist es von Bedeutung, den Einfluss der wichtigen Personen richtig einzuschätzen und dafür ihr Umfeld genauer zu betrachten. Da Bibliotheken breit aufgestellt sind und oft das Spektrum vieler Bereiche wie Kultur, Jugend, Familie, Gesundheit, Sport, Wirtschaft, Bau usw. umfassen, sollte es gelingen, Personen aus allen Interessengebieten zu erreichen. Ein Politiker, der in erste Linie den Sport fördern möchte, könnte somit auch für die Bibliothek und die Anschaffung von Sportbüchern, Videos zur Technik verschiedener Sportarten und so vielleicht sogar für den Ausbau der Bibliothek gewonnen oder wenigstens neutralisiert werden.

12 Siehe den Beitrag „Networking“ von Jahl in diesem Handbuch.

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Die Analyse des Umfelds von Personen, der Gruppierungen oder Parteien, mit denen sie verbunden sind, ist für die Lobbyarbeit notwendig. Welche Aufgaben könnten sie im Interesse der Bibliothek befördern? Würden sie einzelne Aktionen und Forderungen unterstützen, wie Briefe schreiben, eine Pressekonferenz oder eine öffentliche Diskussion durchführen oder Kontakte zu wichtigen Personen herstellen? Wenn möglich, sollte man eine Liste solcher wichtigen Kontaktpersonen für die Lobbyarbeit aufstellen und regelmäßig aktualisieren. Die Rolle des einzelnen Bibliothekars bei der Lobbyarbeit ist klar umrissen: Er muss die Entwicklungen im Umfeld des Projekts bzw. der Forderungen laufend beobachten, seine Leser und Freunde regelmäßig aktiv informieren und Aufgaben für sie in diesem Kontext finden und formulieren. Dabei sind „Feinde“ einzubinden und Differenzen mit ihnen beizulegen oder unbeachtet zu lassen. Wichtig ist, dass der Bibliothekar unbeirrt auf das Ziel orientiert hin arbeitet. Dabei ist Selbstmotivation eine der wichtigsten Eigenschaften, weil in einem langen Lobbyingprozess nur dadurch die Energie zur Zielerreichung erhalten bleibt. Unterstützend wirkt dabei, wenn man das für die Bibliothek zu erreichende Ziel innerhalb seiner Familie und bei seinen Freunden verbreitet. Sie sind natürliche Propagandisten dieser Forderung und verbreiten die Nachricht an eine Vielzahl weiterer Personen. Auch dafür ist ein breites Netzwerk, das regelmäßig über den Stand der Dinge informiert wird, wichtig.¹³ Lobbyarbeit bedeutet, ein Netzwerk aufzubauen und sich selbst zu motivieren. In der Lobbyarbeit wirkt man auf besondere Weise durch die eigene Persönlichkeit und nicht allein durch das sachliche Ziel. Es gibt hier einige konkrete Tipps, wie man sich bei guter Lobbyarbeit verhält. Ein wichtiger Tipp ist, dass man nicht negativ über andere  – vor allen Dingen nicht über andere Bibliotheken und Bibliothekare – spricht. Damit würde man eine durchgängige positive Haltung gegenüber Bibliotheken und Bibliothekaren nur verhindern, die für die Lobbyarbeit doch so wichtig ist. Immer wieder gute Beispiele auch von anderen Bibliotheken aufzuführen, bereitet den Boden für eine positive Grundstimmung, die die Verfolgung der eigenen Ziele vereinfacht. Auf das eigene Ziel muss man sich immer positiv orientieren, auch wenn es zwischendurch mal sehr schwierig aussieht. Wichtig sind gute Erfolgsgeschichten auch aus anderen Bibliotheken und die Fähigkeit, bei den Ansprechpartnern im politischen Raum neue Bilder in den Köpfen zu produzieren, um die alten Bilder und das veraltete Image von Bibliotheken zu verdrängen.¹⁴ Es ist weiterhin notwendig, positive Geduld bis zum Erreichen der gesetzten Ziele an den Tag zu legen und dabei

13 Siehe die Beiträge „Markt- und Wettbewerbsanalyse“ von Seidler-de Alwis sowie „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch. 14 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch.

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sehr stur die Ziele weiterzuverfolgen – und nicht beim ersten Gegenwind gleich aufzugeben. Weiterhin ist es für die Lobbyarbeit unbedingt notwendig, immer kontrolliert zu bleiben. Das mag manchmal sehr schwer sein, wenn man sich von Gegnern des Projekts gereizt fühlt, aber es ist sehr wichtig für eine erfolgreiche und ernsthafte Rolle in der Lobbyarbeit. Für die Darstellung eines Lobbyziels ist es notwendig, dieses gut zu präsentieren. Manchmal wird ein gutes Projekt allein durch eine schlechte Präsentation beschädigt. Dies darf einem trainierten Lobbyisten nicht passieren, daher müssen die Grundregeln der Präsentation genau beachtet werden. Merke: Der Schlüssel jeder Präsentation ist die Persönlichkeit des Vortragenden. Nur wenn man voll hinter der Präsentation steht, werden die Zuhörer die Botschaft mitnehmen. Der Vortrag muss kurz sein und die Sprechweise sehr klar, möglichst nach dem Prinzip KISS – Keep it short and simple. Dies erreicht man, indem man sich mit Stichpunkten vorbereitet und frei vorträgt. Durch die Stichpunkte bleibt man im Konzept und im logischen Aufbau, kann aber seine eigene Akzentuierung der wesentlichen Aspekte und die eigene Persönlichkeit besser darstellen und sich der aktuellen Situation noch kurzfristig anpassen. Durch Fragen werden die Zuhörer direkter angesprochen und hören oft aufmerksamer zu. Wichtig ist eine gute Portion Humor, die aber angepasst sein muss an die Verhältnisse vor Ort. Witze auf Kosten irgendwelcher Gruppen oder Personen sind tabu. Lächeln ist eine der wichtigsten Übungen für die erfolgreiche Präsentation bei der Lobbyarbeit. Das gilt übrigens schon für die telefonischen Kontakte, denn wenn man lächelt, dann hört sich die Stimme für den Zuhörer freundlicher an. Und eines ist noch wichtig: beim Annehmen eines Telefonates nicht beim ersten Klingeln abnehmen, wenn man noch in eine andere Tätigkeit vertieft ist, sondern sich bewusst und neu auf das Telefonat einstellen. Außerdem macht erfolgreiche Lobbyarbeit sehr viel Spaß und bringt eine Menge Freude. Daher sollte jede Präsentation mit einem Lächeln und einem Dank an die Zuhörer beendet werden. Damit schafft man die Basis für den weiteren Erfolg.

5 Fazit Gute Lobbyarbeit besteht aus vielen verschiedenen Elementen, die alle erlernbar und trainierbar sind. Lobbyarbeit ist am erfolgreichsten, wenn sie als Teil eines umfassenden Marketingkonzepts einer Einrichtung verstanden und realisiert wird. Damit schafft man im Rahmen der Lobbyarbeit Vertrauen zu den vorgetragenen Aspekten und Leistungen, die der Partner dann im Kontakt mit der Bibliothek bestätigt findet.

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Literaturverzeichnis Arbeitsgruppe Hochschulbibliotheken Brandenburg: Empfehlungen für die Hochschulbibliotheken in Brandenburg. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1992 BID – Bibliothek & Information Deutschland (Hrsg.): 21 gute Gründe für gute Bibliotheken. Berlin, 2009. http: // www.bideutschland.de / download / file / 21 %20GUTE%20GRUENDE_endg_16-1-09.pdf (Abruf: 06.11.2011) mit einer Anlage: Grundlage für gute Bibliotheken – Leitlinien für Entscheider http: // www.bideutschland.de / download / file / 21 %20GUTE%20GRUENDE-Anlagen_ endg_16-1-09.pdf (Abruf: 06.11.2011) dbv – Deutscher Bibliotheksverband: Musterbibliotheksgesetz. 2008. http: // www.bibliotheksverband.de / fileadmin / user_upload / DBV / themen / Musterbibliotheksgesetz_09_04_08.pdf (Abruf: 06.11.2011) IFLA: Success Stories. 2010. http: // www.ifla.org / en / success-stories (Abruf: 06.11.2011) Mincio, Danielle: IFLA President’s Information Society WG: Libraries and the WSIS Action Lines – Guideline for international, regional and local advocacy for libraries in relation with implementation of the WSIS by Action Line 2005 – 2015. Tuula Haavisto 2006, Update: Danielle Mincio 2007. http: // www.ifla.org / files / wsis / Documents / libraries-and-the-wsis-action-lines-en.pdf (Abruf: 06.11.2011) Njobvu, Benson; Koopman, Sjoerd: Libraries and Information Services Towards the Attainment of the UN Millennium Development Goals. München: K.G. Saur, 2008 (IFLA Publications Series; 134) Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 4., neu hrsg. Aufl. Besorgt von Johannes Winckelmann. Tübingen: Mohr, 1956 WSIS: Action Lines. 2005. http: // www.ifla.org / III / wsis.html (Abruf: 06.11.2011)

Ursula Georgy, Frauke Schade

Fundraising 1 Einleitung Fundraising dient Non-Profit-Organisationen (NPOs) bzw. -Einrichtungen dazu, benötigte Ressourcen jedweder Form zu beschaffen. In Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Kassen stehen die verschiedenen Einrichtungen in einer Finanzkonkurrenz, sodass das professionelle Beschaffen von (Dritt-)Mitteln in Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen eine zunehmend wichtige Rolle spielt, um auch weiterhin das bisherige Angebot von Produkten und Dienstleistungen aufrechterhalten bzw. erweitern zu können. Fast scheint dies für öffentliche Einrichtungen unverzichtbar zu sein, um z.B. ihren bildungspolitischen und / oder kulturellen Mehrwert in die Öffentlichkeit kommunizieren zu können. Daraus resultiert, dass Fundraising für Non-Profit-Einrichtungen wie Bibliotheken in das strategische Konzept ihres Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsmarketings zu integrieren ist. Fundraising wird sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen betrieben. Für Unternehmen bedeutet Fundraising in vielen Fällen auch die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, die über die rechtlichen Pflichten hinausgeht. Corporate Social Responsibility (CSR)¹ bietet den Unternehmen damit zudem die Möglichkeit, gesellschaftliche Ziele über einen längeren Zeitraum zu verfolgen. Für Unternehmen besteht darüber hinaus die Chance, sich über gesellschaftliche Ziele zu positionieren, was maßgeblichen Einfluss auf die Markenprofilierung und das Image hat. Das Wort „Fundraising“ hat seinen Ursprung in den USA. Es setzt sich aus den englischen Begriffen „fund“ (Kapital, Vermögen, Kasse, Geld und heute auch geldwerte Mittel) und „to raise / raising“ (steigern, erhöhen) zusammen. Die wortwörtliche Übersetzung lautet demzufolge „Vermögenserhöhung“ oder „Mittelsteigerung“, wobei mit Vermögen oder Mittel nicht alleine die monetären Mittel oder Sachanlagen gemeint sind, sondern vielmehr alle zur Verfügung stehenden Ressourcen. Streng genommen zählen somit auch die durch den Träger erhaltenen, zugewiesenen Mittel dazu, auch wenn der Begriff in den seltensten Fällen in diesem Kontext verwendet wird. Urselmann definiert Fundraising im Sinne eines integrierten Marketingkonzeptes als […] die systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten einer Non-Profit-Organisation (NPO), welche darauf abzielen, alle benötigten Ressourcen (Geld-, Sach- und Dienstleistungen) durch eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Ressourcenbereitsteller ohne marktadäquate materielle Gegenleistung zu beschaffen.²

1 Siehe den Beitrag „Corporate Social Responsibility“ von Keite in diesem Handbuch. 2 Urselmann 2007, S. 11.

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Georgy und Schade

Folgendes Beispiel mag diese Definition veranschaulichen. Eine Öffentliche Bibliothek mit einem großen regionalen Einzugsgebiet veranstaltet eine Lesenacht für Kinder. Als besonderen Service bietet die Bibliothek an, die Kinder von zu Hause abzuholen und am nächsten Morgen wieder nach Hause zu bringen. Selbstverständlich werden die Kinder in der Bibliothek auch verpflegt (Abendessen, Snacks, Frühstück und Getränke). Folgende Fundraisingaktivitäten sind denkbar: – Freiwillige / Ehrenamtliche stellen ihre Zeit für den Transport der Kinder und das Vorlesen zur Verfügung.³ – Eine Erzieherin oder Kinderpädagogin der benachbarten Schule übernimmt die Aufsicht in der Nacht, während die Kinder schlafen. – Ein Autovermieter stellt als Leihgabe die Fahrzeuge für den Transport der Kinder zur Verfügung, dafür wird der Autovermieter auf allen Einladungen und Plakaten genannt. – Ein Automobilclub und ein Versicherungsunternehmen übernehmen die Vollkaskoversicherung für die Fahrzeuge sowie den Versicherungsschutz für die Ehrenamtlichen. – Damit das Lesen noch mehr Spaß macht, erhält die Bibliothek von der Stiftung Lesen eine Leselok als neues attraktives Möbelstück für die Bibliothek.⁴ – Ein Getränkemarkt und eine Pizzeria sorgen für das leibliche Wohl der Kinder. Als Kundenbindungsinstrument erhalten alle Kinder einen Gutschein für eine Pizza im Wert von 6 Euro, der innerhalb eines Monats eingelöst werden kann. In diesem konkreten Beispiel erfolgt die Unterstützung nicht durch finanzielle Mittel, sondern ausschließlich durch die direkt benötigte Unterstützung als geldwerte Vorteile. In den USA wird diese Form der Unterstützung auch als „Non-Cash-Assistance“ bezeichnet. Sowohl für Personen als auch für Unternehmen kann diese Form der Unterstützung sehr interessant sein, da die variablen Kosten vielfach niedriger liegen als der dazugehörige (Verkaufs-)Wert. Stellt z.B. ein IT-Unternehmen für einen Arbeitsraum einer wissenschaftlichen Bibliothek technischen Support, Software oder Hardware im Wert von 10.000 Euro zur Verfügung, so sind die tatsächlichen Kosten für das Unternehmen zweifellos deutlich niedriger, insbesondere bei Software oder technischem Support. Aber es lassen sich alle Produkte und Dienstleistungen monetarisieren, da diesen üblicherweise exakte Marktpreise zugeordnet sind. Grundsätzlich kommen, wie auch oben in dem Beispiel dargestellt, als Fundraiser Einzelpersonen als Privatpersonen (Individual Giving), Unternehmen (Corporate Giving), Stiftungen (Foundation Support) und andere öffentliche Einrichtungen, wie eine Schule oder ein Museum bzw. die Kommune, das Land oder der Staat (Public Giving), infrage.

3 Zu beachten wäre in diesem Fall ein Versicherungsschutz im Ehrenamt. 4 Vgl. http://www.stiftunglesen.de (Abruf: 01.11.2011).

Fundraising

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2 Begrifflichkeiten und Fakten rund um das Fundraising Insbesondere in Deutschland wird der Begriff „Fundraising“ nicht eindeutig verwendet, da er häufig gleichgesetzt wird mit Spenden oder auch noch undifferenzierter Verwendung findet. Im Rahmen des Fundraisings sind für Bibliotheken und Informationseinrichtungen vor allem Spenden und das Sponsoring von großer Bedeutung. Eingebettet in diese gibt es jedoch weitere Formen des Fundraisings wie z.B. die Schenkung oder das bürgerschaftliche Engagement, die für Bibliotheken ebenfalls eine hohe Relevanz aufweisen und in Bibliotheken auch in Teilen bereits etabliert sind. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Formen, ihre Charakteristika, Besonderheiten sowie Abgrenzungen zu den anderen Fundraising-Möglichkeiten, bevor auf die wesentlichen Aspekte einer Fundraising-Strategie am Beispiel des Sponsorings eingegangen wird.

2.1 Spende Im Jahr 2010 wurden in Deutschland rund 2,3 Milliarden Euro von 21 % der über Zehnjährigen gespendet, von denen ein großer Teil auf die Katastrophenhilfe und Menschen in Not entfällt. Die durchschnittliche Spendenhöhe der Einzelspenden lag bei knapp 28 Euro.⁵ Grundsätzlich gilt aber, Spenden gehört in Deutschland auch für die Großzahl von Unternehmen ebenfalls zu einer Selbstverständlichkeit. Spenden sind freiwillige und unentgeltliche Aufwendungen, die weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten darstellen. Es muss sich hierbei um Ausgaben handeln, die in Geld oder Geldeswert bestehen und beim Spender eine Vermögensminderung darstellen. Abzugsfähig sind nur Ausgaben zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke. Die Zuwendungen müssen daher für die ideellen Aufgaben der Körperschaft oder für einen Zweckbetrieb bestimmt sein. Spenden für einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (z.B. Fest- oder Verkaufsveranstaltungen) sind nicht begünstigt.⁶

Die zentralen Aspekte bei dieser Definition sind die Freiwilligkeit und die Unentgeltlichkeit. So liegt z.B. keine Freiwilligkeit vor, wenn bei der Aufnahme in einen Verein eine (Sonder-)Zahlung zu leisten ist; Unentgeltlichkeit bedeutet, dass die Spende ohne Gegenleistung des Empfängers erfolgen muss bzw. dass es keinen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Leistung (Spende) und möglicher Gegenleistung geben darf.

5 Vgl. Deutscher Spendenrat 2011 http: // www.spendenrat.de / index.php?id=103,179,0,0,1,0 (Abruf: 01.11.2011). 6 Vgl. Wachter 2011 http: // www.vereinsbesteuerung.info / spende.htm#4 (Abruf: 01.11.2011).

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Georgy und Schade

Auch für das Einwerben von Spenden gilt es, den Spender langfristig an die eigene Einrichtung zu binden und idealerweise die Zahl der Spenden und / oder die Höhe der Spenden langfristig zu steigern, um die Erträge pro Spender zu maximieren. Somit gilt es, die Bemühungen um Spenden analog einem Kundenbindungsprogramm aufzubauen.

Intensität des Engagements

Spendenpyramide

Aktivenpyramide

Erblasser

Vorstände

Großspender

Vereinsaktive

Dauerspender

Mitglieder

Mehrfachspender

Erstspender

Aktivisten

Multiplikatoren

Interessenten Anzahl Personen Abb. 1: Doppelpyramide des Engagements: Spender- und Aktivenpyramide⁷

Die Basis der Spendenpyramide bildet der Interessent, der zu einer ersten Spende veranlasst werden soll. Markenbekanntheit und Markenimage sind Voraussetzungen dafür, Spender zu überzeugen, da man andernfalls unter der Vielzahl von Spendenmöglichkeiten keine Aufmerksamkeit erfährt. Nach einer ersten Spende sollte es im Interesse der Einrichtung stehen, den Spender zu einer Wiederholungsspende zu animieren, um langfristig einen Dauerspender zu gewinnen. Bei Spendern, die Einzelüberweisungen vorziehen, sollte versucht werden, die Spendenbeträge langfristig zu steigern. Die Pyramide verdeutlicht, dass jedoch nur wenige bereit sind, größere Beträge zu spenden. Üblicherweise gilt auch hier die Pareto-Regel: Circa 20 % der Spender tragen zu 80 %, die Basis (80 %) trägt zu 20 % des Spendenaufkommens bei. Auch daraus wird deutlich, wie wichtig das Beziehungsmanagement im Rahmen des Fundraisings über Spenden ist.

7 Hölderle 2011 (http://pluralog.de/doppelpyramide [Abruf 01.11.2011] − Abdruck der Grafik mit freundlicher Genehmigung des Autors).

Fundraising

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2.2 Vermächtnis / Erbschaft Nach § 1939 BGB kann der Erblasser durch Testament einem anderen, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil zuwenden (Vermächtnis, Legat).⁸ Die bedachte Person oder Einrichtung wird damit nicht zum Erben, sie hat aber eine Forderung gegenüber den Erben bzw. anderen Vermächtnisnehmern. Ein Geldbetrag, ein lebenslanges Nutzungsrecht von Immobilien, die Übertragung von Unternehmensanteilen oder die Übertragung von Sachgegenständen können Gegenstand eines Vermächtnisses sein. Im Gegensatz zum Vermächtnis tritt man bei einem Erbe mit allen Rechten und Pflichten an die Stelle des Erblassers, d.h., dass auch Schulden und andere Verbindlichkeiten vererbt werden können. Anders der Vermächtnisnehmer, der einen Anspruch auf das ihm zugedachte Vermächtnis hat, auf der anderen Seite aber nicht am weiteren Erbe partizipiert. Vermächtnisse werden wie Erbschaften nicht an direkte Erben in einem Testament formuliert. Das Vermächtnis / Erbe stellt die oberste Stufe der Spenderpyramide dar (siehe Abb. 1). Die Motive, ein Vermächtnis / Erbe an eine Non-Profit-Organisation (NPO) zu hinterlassen, sind vielfältig: u.a. Dankbarkeit, enge Verbundenheit zu der Einrichtung, gesellschaftliche und ethische Werte sowie fehlende gesetzliche Erben. Da immer mehr Menschen bereit sind, Teile ihres Vermögens gemeinnützigen Einrichtungen zu vermachen, betreiben auch immer mehr NPOs professionelles sogenanntes Erbschaftsmarketing oder Legatfundraising. Es handelt sich um ein sehr sensibles Feld des Fundraisings, denn es bedarf üblicherweise einer langjährigen (persönlichen) Bindung zu einzelnen Personen. Jedoch weisen immer mehr Einrichtungen auf ihren Webauftritten auf die Möglichkeiten eines Vermächtnisses hin, insbesondere Stiftungen wie z.B. das Deutsche Rote Kreuz, Stiftung Freiburg⁹ oder die Gemeinschaftsstiftung terre des hommes¹⁰. Aber auch der Webauftritt der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz hat eine Seite „Spenden – Schenken – Fördern“¹¹, wo auf die Möglichkeiten der Erbschaft und des Vermächtnisses hingewiesen wird. Auch Bibliotheken sollten klare Bestimmungen definieren, die an Vermächtnisse und Schenkungen geknüpft sind. Selbstverständlich sind Bibliotheken schon seit Jahrhunderten Vermächtnisnehmer, i.Allg. jedoch in Form von (alten) Büchern und Drucken sowie von ganzen Privatbibliotheken bzw. -sammlungen. Daher erscheint es fast nur logisch, dass die dbv-AG „Handschriften und alte Drucke“ im Jahr 2009 Empfehlungen zur „Erwerbung von Nachlässen“ herausgegeben hat.¹²

8 Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (a). 9 Siehe auch http: // www.drk-stiftung-freiburg.de / vererben_vermaechtnis.php (Abruf: 01.11.2011). 10 Siehe auch http: // www.tdh-stiftung.de / inhalt / vermaechtnis.htm (Abruf: 01.11.2011). 11 Siehe auch http: // staatsbibliothek-berlin.de / die-staatsbibliothek / spenden-schenkenfoerdern / (Abruf: 01.11.2011). 12 Vgl. http: // www.bibliotheksverband.de / fachgruppen / arbeitsgruppen / handschriften-und-altedrucke / aktivitaeten / empfehlungen.html?0= (Abruf: 01.11.2011).

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2.3 Schenkung Eine Schenkung ist nach § 516 BGB wie folgt definiert: Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, ist Schenkung, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.¹³

Auch hier gilt wie bei der Spende, dass Unentgeltlichkeit vorliegt, „wenn sie rechtlich von einer den Erwerb ausgleichenden Gegenleistung unabhängig ist“¹⁴. In vielen Fällen sind Schenkungen vorgezogene Vermächtnisse oder Erbschaften. Bibliotheken betrachten Schenkungen durchaus zwiespältig, insbesondere wenn es sich um unangekündigte Schenkungen handelt, die z.B. von Erben vorgenommen werden, die gar keinen Bezug zu der betreffenden Bibliothek, Sammlung etc. haben und nur ihr Erbe schnell loswerden möchten (siehe auch Abschnitt 2.2). Einer Schenkung liegt jedoch immer ein Schuldvertrag¹⁵ zugrunde, und aus dem die Erfordernis eines Vertragsschlusses folgt, dass sich niemand gegen oder ohne seinen Willen etwas schenken zu lassen braucht. Einem Schenkungsangebot hat eine Schenkungsannahme zu erfolgen. Sofern in dem Schenkungsangebot aber eine Frist gesetzt ist, kann ein Schweigen als Annahme gelten. Schenkungen können aber von Bibliotheken auch gezielt angestrebt werden, und sollten genau dann ebenso strategisch behandelt werden wie z.B. das Einwerben von Spenden oder das Sponsoring. Jürgen Chr. Gödan hat sich in einem Artikel intensiv mit dem Thema Schenkungen an Bibliotheken befasst.¹⁶

2.4 Mäzenatentum Der Begriff Mäzenatentum bzw. Mäzen leitet sich von dem Römer Gaius C. Maecenas ab, der zu augusteischer Zeit u.a. die Dichter Vergil und Horaz förderte. Im Gegensatz zur Spende stand und steht beim Mäzenatentum die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Förderung geeigneter Vorhaben von sozialer oder gesellschaftlicher Bedeutung im Vordergrund. Allerdings liegt dem Mäzenatentum  – im Gegensatz zum Sponsoring – keinerlei Erwartung an einen geschäftlichen, kommerziellen Nutzen zugrunde. Heute wird als Mäzen bezeichnet, wer in größerem Umfang Künstler, Sportvereine, kulturelle Einrichtungen oder andere gemeinnützige Tätigkeiten fördert. Von Spenden unterscheidet sich das Mäzenatentum insbesondere

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Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (b). Jura Forum 2011 http: // www.juraforum.de / lexikon / schenkung (Abruf: 01.11.2011). Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (b). Vgl. Gödan 2002, S. 755 ff.

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durch zwei Fakten: Zum einen zeichnet sich ein Mäzenatentum i.Allg. durch eine längerfristige Zusage von Mitteln aus, zum anderen ist damit z.B. entweder ein Einfluss auf einen geförderten Künstler verbunden oder eine gezielte Einflussnahme auf die öffentliche Meinung durch die gezielte Förderung bestimmter Vorhaben. Mäzene sahen und sehen sich auch vielfach der Bildung verpflichtet: Die feierliche Einweihung „der Claudiusstraße“ fand am 26. Oktober 1907 statt: Der Neubau war Sitz der Städtischen Handels-Hochschule Cöln. Als Initiator gilt Gustav von Mevissen, ein Kölner Großkaufmann, Mäzen und Industrieller. Von Mevissen wollte ursprünglich ein Polytechnikum in Köln errichten und spendete eine große Menge Geld zum Bau eines neuen Hochschulgebäudes.¹⁷, ¹⁸

Heute spielen Mäzene im Hochschulbereich insbesondere bei privaten Hochschulen und der Besetzung von Professuren eine maßgebliche Rolle. Beispiele für Mäzene der heutigen Zeit sind Dietmar Hopp (TSG 1899 Hoffenheim) und Dietrich Mateschitz (Red Bull Racing) oder auch Besitzer wertvoller StradivariGeigen, die Nachwuchsviolinisten diese Instrumente als Leihgabe zur Verfügung stellen. Wie der Einfluss von Mäzenen aber auch aussehen kann, zeigte sich im Jahr 2007, als die Mäzene „Freunde von Bayreuth“ dem damaligen Leiter der Bayreuther Festspiele Wolfgang Wagner nahelegten, sein Amt niederzulegen.¹⁹ Diese Beispiele veranschaulichen, dass ein gezieltes Bemühen um Mäzene nicht einfach und durchaus – bedingt durch die Einflussnahme – sogar problematisch sein kann und daher für die meisten Bibliotheken nicht infrage kommt.

2.5 Bürgerschaftliches Engagement Der Begriff „Bürgerschaftliches Engagement“ setzt sich immer mehr durch. Er vereint zahlreiche Aktivitäten wie Ehrenamt, freiwillige (soziale) Arbeit, freiwilliges (soziales) Engagement, aber z.B. auch Selbsthilfe. Die Bürgergesellschaft, jenes Netzwerk von selbstorganisierten, freiwilligen Assoziationen  – Vereine und Verbände, NGOs²⁰, Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen, Stiftungen und Freiwilligendienste, aber auch politische Parteien und Gewerkschaften usw. –, bildet ein Tätigkeitsfeld eigener Art zwischen Staat, Wirtschaft und Familie. Bürgergesellschaft als Reformperspektive erfordert vonseiten der Wirtschaft Unternehmen, die sich dem Gemeinwesen gegenüber

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Fachhochschule Köln 2011. Die Claudiusstraße ist heute Sitz der Fachhochschule Köln. Vgl. Focus online 2007 (Abruf: 01.11.2011). Anm. der Autorinnen: Non-Governmental Organizations.

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verantwortlich verhalten und in diesem Sinne als „Corporate Citizens“²¹ selbst Teil der Bürgergesellschaft sind.²²

Aber um sich zu engagieren, bedarf es nicht immer der Mitgliedschaft in Vereinen oder Verbänden wie z.B. Fördervereinen (siehe Abschnitt 2.6). Auch das nicht-organisierte ehrenamtliche Engagement ist dazu zu rechnen. Arbeitskreise bürgerschaftlichen Engagements, die inzwischen in vielen Städten und Gemeinden gegründet wurden, bringen engagierte Personen und Institutionen, die dieses Engagement benötigen, zusammen. Ein Beispiel ist die Freiwilligen Agentur Bremen²³. Aber auch die Städte und Gemeinden selbst bieten inzwischen zahlreiche Informationen auf ihren Webseiten an, wie man vor Ort ehrenamtlich aktiv werden kann. Und sie belohnen das Engagement der Bürger, z.B. in Bremen mit der Ehrenamtskarte, die einen vergünstigten Eintritt in zahlreiche Einrichtungen in Bremen bietet. Die Stadtbibliothek Bremen geht so weit, dass sie der Freiwilligen Agentur einen Beratungsplatz in ihren Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, die die Präsenz der Initiative im öffentlichen Raum erhöht und für Menschen, die sich engagieren möchten, einen ersten persönlichen Kontakt ermöglicht. Für Bibliotheken haben u.a. der dbv²⁴ sowie der Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen (vbnw)²⁵ eine Reihe nützlicher Tipps, Erhebungen und Publikationen zu dem Thema zusammengestellt.

2.6 Förderverein Ziel eines Fördervereins, der einen nicht wirtschaftlichen Verein gemäß § 21 BGB darstellt²⁶, ist es, einen anderen gemeinnützigen Verein oder eine Einrichtung zu unterstützen. Für diese Unterstützung werden i.Allg. die Beiträge der Mitglieder des Fördervereins sowie akquirierte Spenden verwendet. Ein Förderverein ist ein eingetragener Verein, der in seiner Rechtsform, Organisation und Verfassung anderen Vereinen entspricht, jedoch gemeinnützig sein muss, da er andernfalls z.B. keine Spendenbescheinigungen ausstellen kann. Ein Förderverein weist jedoch eine Besonderheit auf:

21 Anm. der Autorinnen: „Corporate Citizenship“ bezeichnet das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen, wodurch sich diese als „gute Bürger“ präsentieren. Quelle: Gabler Verlag (a). Siehe auch den Beitrag „Corporate Social Responsibility“ von Keite in diesem Handbuch. 22 Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 2002, S. 3. 23 Siehe auch http: // www.freiwilligen-agentur-bremen.de (Abruf: 01.11.2011). 24 Siehe auch dbv: Bürgerschaftliches Engagement in Bibliotheken. http: // www. bibliotheksverband.de / dbv / themen / ehrenamt-in-bibliotheken.html (Abruf: 01.11.2011). 25 Siehe auch vbnw: Freiwilligenarbeit in Bibliotheken. http: // www.vbnw.de / freiwillige.html (Abruf: 01.11.2011). 26 Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (c).

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[…] er [darf] nahezu alle seine Vermögensmittel an eine andere gemeinnützige Körperschaft weiterleiten. Andere Körperschaften dürfen dies nur bis höchstens 50 Prozent.²⁷

Üblicherweise wird in der Satzung eines Fördervereins festgelegt, wer gefördert werden soll (z.B. eine bestimmte Bibliothek), es können aber auch globale Förderziele wie Kultur, Literatur etc. definiert werden. Die geförderte Einrichtung darf keinen direkten Einfluss auf den Förderverein nehmen. Susanne Häcker schreibt: „Der Förderverein ermöglicht der Bibliothek das Besondere.“²⁸ Fördervereinen kommt aber neben der Unterstützung im Sinne des Fundraisings noch eine wichtige Aufgabe zu: die Lobbyarbeit.²⁹ Analog zur Spenderpyramide ist die Aktivenpyramide zu betrachten (siehe Abb. 1). Und hier gehören Aktive in (Förder-)Vereinen oder die Vorstände zur Spitze dieser Pyramide, was bedeutet, dass diese Personen eine hohe Affinität und Bindung zu der jeweiligen Einrichtung haben. Auf der untersten Ebene gibt es aber durchaus Überschneidungen zwischen Geld- und Aktivitätsspendern. Und die Aktivität beginnt durchaus nicht erst mit der Mitgliedschaft, sondern eine E-Mail an Freunde, welche über ein Projekt informiert, kann eine wertvolle Aktivitätsspende darstellen.³⁰ Fördervereine von Bibliotheken haben eine lange Tradition, sodass auch die Literatur zu dem Thema entsprechend umfangreich ist.³¹ Die Fördervereine der Bibliotheken des dbv können darüber hinaus z.B. Mitglied der „Konferenz der Freundeskreise“ im dbv werden, der eine Reihe von Hilfestellungen etc. zur Verfügung stellt und den Austausch fördert.³²

2.7 Stiftung Eine Stiftung ist nach Gablers Wirtschaftslexikon eine Zuwendung von Vermögenswerten für bestimmte, oft gemeinnützige oder wohltätige Zwecke (Stiftungsgeschäft). Eine Stiftung hat keine mitgliedschaftliche Struktur. Der Stifter setzt ein Kuratorium, einen Stiftungsrat ein, der sich i.d.R. durch Kooptation (Berufung) selbst ergänzt.³³

27 meinverein Service GmbH http: // vereinsknowhow.meinverein.de / foerderverein.cfm (Abruf: 01.11.2011). 28 Häcker 2005, S. 2. 29 Siehe den Beitrag „Lobbyarbeit“ von Lux in diesem Handbuch. 30 Vgl. Hölderle 2010. 31 Vgl. u.a. Hauke, Busch 2005. 32 Vgl. dbv: Konferenz der Freundeskreise: http: // www.bibliotheksverband.de / mitglieder / konferenz-der-freundeskreise.html (Abruf: 01.11.2011). 33 Gabler Verlag (b).

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Die Großzahl der Stiftungen wird in privatrechtlicher Form errichtet und dient i.Allg. der Unterstützung gemeinnütziger Tätigkeiten. Im Jahr 2010 gab es in Deutschland mehr als 18.150 Stiftungen.³⁴ Generell unterscheidet man fördernde und operative Stiftungen: Fördernde Stiftungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie steuerbegünstigte Einrichtungen und deren Projekte fördern. […] Eine operative Stiftung realisiert ihre Zwecke selbst − wie z.B. ein „Altenstift“, ein Krankenhaus, ein Jugendheim, eine Forschungseinrichtung etc. […] Nicht selten beschreiten sie völlig neue Wege und entwickeln ungewöhnliche Lösungsstrategien für gesellschaftliche Problemkonstellationen.³⁵

Dabei widmen sich Gemeinschaftsstiftungen i.d.R. speziellen Themen (z.B. caritas), wohingegen Bürgerstiftungen vielfach mit einer Region, einer Stadt verbunden sind und somit regionale Projekte fördern (z.B. Bürgerstiftung Köln: Projekt Eselsohr³⁶, ³⁷, Duisburger Bürgerstiftung Bibliothek³⁸). Mehrere öffentlich-rechtliche Stiftungen sind Träger bedeutender Bibliotheken, wie z.B. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Staatsbibliothek zu Berlin) und die KLASSIKSTIFTUNG WEIMAR (Herzogin Anna Amalia Bibliothek). Wenn es um die Realisierung und Unterstützung von Projekten geht, sind für Bibliotheken u.a. die Stiftung Lesen, die Cornelsen-Stiftung Lehren und Lernen, die ZEIT-Stiftung, die VolkswagenStiftung sowie regional agierende Stiftungen³⁹ von Bedeutung. Interessant ist aber auch der Arbeitskreis Bildung und Ausbildung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen⁴⁰, wo Bildungsstiftungen und -projekte gebündelt werden.⁴¹

34 Vgl. Bundesverband deutscher Stiftungen 2011 http: // www.stiftungen.org / de / presse / pressematerial / grafiken-zahlen-daten.html (Abruf: 01.11.2011). 35 Deutsche Stiftungsagentur http: // www.stiftungsagentur.de / recht-a-steuern / rechtsformen.html (Abruf: 01.11.2011). 36 „Bereits gelesene Bücher können in eigens aufgestellten wetterfesten Bücherschränken abgestellt werden. Im Gegenzug kann man sich aus dem Regal wieder ein ,neues‘ Buch mitnehmen.“ (Quelle: Bürgerstiftung Köln). 37 Siehe auch http: // www.buergerstiftung-koeln.de / mitteilungen / 94-aktion-qeselsohrq-einprojekt-der-buergerstiftung-koeln (Abruf: 01.11.2011). 38 Siehe auch http: // www.duisburg.de / micro / stadtbibliothek / kooperationen / buergerstiftung. php (Abruf: 01.11.2011). 39 Z.B. die VGH-Stiftung, die alle zwei Jahre den Bibliothekspreis für Niedersachsen und Bremen auslobt. Vgl. http: // www.vgh-stiftung.de / vgh / aktivitaeten / bibliothekspreis / bewerbung.html (Abruf: 01.11.2011). 40 Siehe auch http: // www.stiftungen.org (Abruf: 01.11.2011). 41 Siehe auch http: // www.bildungsstiftungen.org (Abruf: 01.11.2011).

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2.8 Landes-, Bundes- und EU-Mittel Im Kontext von Fundraising denkt zunächst kaum jemand daran, dass Landes-, Bundes- und EU-Mittel ebenfalls in diesem Kontext Erwähnung finden müssen. Projektmittel, die z.B. über Ausschreibungen akquiriert werden können, ermöglichen es vielen Institutionen vielfach erst, Themen zu bearbeiten oder Innovationen zu realisieren, die aus dem eigenen Etat nicht finanziert werden könnten. Daher lohnt es sich in jedem Fall, Förderdatenbanken regelmäßig auf geeignete Projekte zu durchsuchen. Und zahlreiche Projekte sind geeignet oder explizit darauf ausgerichtet, dass sich ein Konsortium bewirbt, sodass sich der Aufwand auf mehrere Bibliotheken verteilt. Explizit für Bibliotheken bietet das Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (knb) eine Förderdatenbank an.⁴² Zahlreiche Institutionen geben Hilfestellung bei der Antragstellung, z.B. die EU-Beratungsstelle des knb: Der Arbeitsbereich berät und unterstützt Bibliotheken, die an EU-Projekten und internationalen Projekten teilnehmen möchten und informiert über Fördermöglichkeiten auf EU-Ebene.⁴³

Es sei aber auch erwähnt, dass Gelder, die von der EU zur Verfügung gestellt werden, einen sehr hohen Verwaltungsaufwand bedeuten und auch immer mindestens einen Partner aus einem anderen EU-Land oder einem Nicht-EU-Land, das speziell gefördert werden soll, brauchen. Bei einer Projektförderung gilt es unbedingt zu beachten, dass diese kein Mittel ist, eine fehlende oder gefährdete Basisfinanzierung aufzufangen oder zu sichern, da die Förderung zeitlich befristet ist und nur selten 100 % beträgt, sodass im Rahmen des geförderten Projektes vielfach eigene Ressourcen (meistens Personal, Räume und auch technisches Equipment) mit eingebracht werden müssen. Zudem wird bei vielen Projekten eine Zusage des Trägers erwartet, dass das Projekt nach seiner Beendigung in den Regelbetrieb übergeht, und dass dann die notwendigen Aufwendungen dafür gesichert sind, wovor zahlreiche Träger – aus guten Gründen – zurückschrecken, denn wer vermag schon eine Mittelzusage für fünf oder mehr Jahre im Voraus zu machen. Inzwischen sind die meisten Projekte auch mit aufwendigen und zeitfressenden internen und teils externen Evaluierungen verbunden, die dazu beitragen sollen, die Nachhaltigkeit der Projekte frühzeitig zu sichern. Auch dies muss im Rahmen der Ressourcenplanung bei größeren Projekten unbedingt berücksichtigt werden.

42 Siehe auch http: // www.bibliotheksportal.de / themen / foerderdatenbank / foerderprogramme. html (Abruf: 01.11.2011). 43 Deutscher Bibliotheksverband, knb − Kompetenznetzwerk für Bibliotheken http: // www. bibliotheksportal.de / wir-ueber-uns / kompetenznetzwerk / arbeitsbereiche.html (Abruf: 01.11.2011).

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2.9 Sponsoring Im Jahr 2010 konnten deutsche Kultureinrichtungen ca. 13 % ihres Haushaltes durch Sponsoringmittel abdecken, im Gegensatz zum Jahr 2007, wo es nur 6,7 % waren.⁴⁴ Die Studie, im Rahmen derer verschiedene Kultureinrichtungen befragt wurden, zeigt, dass inzwischen die Mehrzahl der Einrichtungen ihre Sponsoringbemühungen strategisch plant. Der Fachverband Sponsoring definiert Sponsoring anhand verschiedener Kriterien, von denen hier die drei wichtigsten aufgeführt sind: Sponsoring basiert auf dem Prinzip von Leistung (vom Sponsor) und Gegenleistung (vom Gesponserten), die beide in einem Sponsoringvertrag festgelegt werden. Typischerweise werden dem Sponsor Rechte zur kommerziellen Nutzung eingeräumt. Diese Rechte können sich auf Institutionen, Verbände, Vereine, Events, Personen, Teams etc. beziehen. Der Gesponserte erhält vom Sponsor als Gegenleistung im Rahmen des Sponsorings Finanz-, Sach- und / oder Dienstleistungen.⁴⁵

Entscheidende Elemente des Sponsorings sind somit der Vertrag, der zwischen Sponsor und Gesponsertem geschlossen wird, und die dort vereinbarte(n) Gegenleistung(en). Der Fachverband Sponsoring hat in seine Definition aber auch integriert, dass […] aus der Sicht der Unternehmen […] Sponsoring ein integrierter Bestandteil der Kommunikation [ist] und […] dabei als Instrument zur Erreichung bestimmter Kommunikationsziele und / oder als Content-Plattform⁴⁶ für andere Kommunikationsinstrumente im Rahmen der integrierten Kommunikation [dient].⁴⁷

Das bedeutet, dass für Unternehmen Sponsoring keine spontane Entscheidung ist, sondern integrierter Bestandteil ihrer langfristigen Marketingstrategie. Daher werden auch die meisten Sponsoringverträge über Zeiträume von mindestens einem, oft aber mehr als zwei Jahren geschlossen. Für Bibliotheken bedeutet dies, dass sie innerhalb eines erfolgreichen Sponsoringengagements Teil der Marketingstrategie des sponsernden Unternehmens werden, und dass das Unternehmen diese Aktivitäten im Rahmen seines Marketingcontrollings auch messen will. Für ein kurzfristiges Engagement kann es sinnvoller sein, Unternehmen als Spender zu gewinnen.

44 Vgl. Causales Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH 2010, S. 51. 45 Fachverband für Sponsoring e.V. (FASPO) http: // www.faspo.de / definition.html (Abruf: 01.11.2011). 46 Anm. der Autorinnen: Über eine solche Plattform werden die Stakeholder eines Unternehmens über die Sponsoringstrategie sowie das Engagement ausführlich informiert. 47 Fachverband für Sponsoring e.V. (FASPO) http: // www.faspo.de / definition.html (Abruf: 01.11.2011).

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3 Das Fundraising-Konzept am Beispiel des Sponsorings Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Fundraising einer Bibliothek und Informationseinrichtung ein strategisches Vorgehen zugrunde liegen muss, um erfolgreich auf dem sehr umkämpften Markt zu agieren. Insbesondere das Sponsoring erfordert ein durchdachtes Konzept sowie ein strategisches Vorgehen, das im Folgenden beschrieben wird.

3.1 Sponsoringziele der Unternehmen durch Gegenleistungen Sponsoring ist heute für Unternehmen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Corporate Social Responsibility (CSR) und damit auch des Marketings. Damit steht fest, wer die Entscheidungen zum Sponsoring üblicherweise trifft: die Geschäftsführung, respektive der Vorstand. Und mit den Entscheidungen sind wesentliche Marketingziele verbunden. Für das Jahr 2010 wurden von Unternehmen folgende Sponsoringzielsetzungen formuliert: – Image, – Kontaktpflege zu Geschäftspartnern und potenziellen Partnern / Kunden (B2B)⁴⁸, – Bekanntheit, – mittel- und langfristige Absatz- bzw. Umsatzziele, – Kundenbindung bei Endverbrauchern (B2C)⁴⁹, – Kontaktpflege bei Meinungsführern, Medienvertretern etc., – gesellschaftliche Verantwortung, „Good Citizenship“, – Mitarbeitermotivation.⁵⁰ Unternehmen, die Sponsoring betreiben⁵¹, erhalten pro Jahr durchschnittlich 827 Anfragen.⁵² Dies verdeutlicht noch einmal, wie wichtig ein gutes Konzept ist, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Und zu diesem Konzept gehört es auch, den Nachweis zu erbringen, dass durch das Sponsoringengagement die o.g. Unternehmensziele (Indikatoren) messbar zu verfolgen sind. Sponsoren bemängeln immer noch die mangelnde Professionalität vieler Sponsoringanfragen, wenn die Steigerung der Sponsoringeinnahmen − z.B. der Kulturan-

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Business-to-Business. Business-to-Customer. Fachverband für Sponsoring e.V. (FASPO) 2009, S. 392. Befragt wurden 148 Kultur- und Sportsponsoren aus Deutschland und der Schweiz. Vgl. Fachverband Sponsoring 2011, S. 72.

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bieter − aber auch zeigt, dass das Sponsoring mit immer mehr Professionalität geplant wird, obwohl z.B. nur 8 % der Kulturbetriebe eigene Sponsoringabteilungen haben.⁵³ Betrachtet man die obige Aufzählung, so wird deutlich, dass der Imagetransfer zwischen Gesponsertem und Sponsor für Bibliotheken von besonderer Bedeutung sein dürfte, dazu bedarf es jedoch einer Marken- und Profilbildung durch die Bibliothek(en). Gelingt es nicht, ein spezifisches Image zu transportieren, so dürfte in den meisten Fällen bereits daran ein Sponsoring scheitern. Schließlich müssen die Images von Sponsor und Gesponsertem passgenau sein (Fit).⁵⁴ Für ihr Engagement erwarten Unternehmen Gegenleistung(en). Für Kultureinrichtungen gilt z.B.: Als Gegenleistung wird den Sponsoren zu 77,4 % eine Präsentation auf Drucksachen wie Flyern, Broschüren, Programmheften oder Eintrittskarten der Kultureinrichtung ermöglicht. Die Präsentation auf Internetseiten hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. […] Die Präsentation auf Außenwerbung wie Plakaten, Bannern und Verkehrsmitteln wird zu 65,4 % von den Kultureinrichtungen realisiert und steht damit noch vor der Präsentation in der Presseund Öffentlichkeitsarbeit und auf Veranstaltungen (61 %).⁵⁵

Vorbildliche Sponsorenakquise wird z.B. durch die New York Public Library betrieben. Sie bietet den Sponsoren folgende Gegenleistungen an: – Credit line and / or logo recognition in programs, brochures, catalogs, posters, postcards and other printed materials dedicated to the specific event or exhibition, – Special exhibition viewing opportunities, – Verbal recognition at events, – Tables and VIP tickets for events, lectures and receptions with premier seating, – Prominent corporate logo acknowledgement on printed materials, co-branded media and online marketing campaigns related to the sponsored project, – Special events at landmark Library locations with reduction or waiving of room rental fee, – Right to display company materials at sponsored events, – Complimentary Corporate Partners membership including full member benefits.⁵⁶

53 Causale Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH 2010, S. 23 http: // issuu.com / causales / docs / kultursponsoringmarktstudie_2010 (Abruf: 01.11.2011). 54 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 55 Causale Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH 2010, S. 54 http: // issuu.com / causales / docs / kultursponsoringmarktstudie_2010 (Abruf: 01.11.2011). 56 New York Public Library http: // www.nypl.org / support / corporate / sponsorship (Abruf: 01.11.2011).

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3.2 Was wird gesponsert? Grundsätzlich sind der Phantasie beim Sponsoring keine Grenzen gesetzt. Gesponsert werden können aus Sicht einer Bibliothek u.a. der Bestand bzw. Bestandssegmente, Zeitschriftenabonnements, Broschüren, PC-Arbeitsplätze, Spielekonsolen, Datenbanken, Öffnungszeiten (Personal), Raum, Raumausstattung, Restaurierung alter Bestände, Know-how z.B. für technischen Support, Lesecafé, Internetauftritt, Ausstellungen, Veranstaltungen oder auch Wiedergutmachungen bei Beschwerden.⁵⁷ Wie bereits ausgeführt, kann sich Sponsoring auf Geld-, Sach- und Dienstleistungen beziehen.

3.3 Das Konzept Ein Sponsoringkonzept ist wie folgt gegliedert: 1. Sponsoringrichtlinie, 2. Sponsorensuche, 3. Anfrage bzw. Offerte und Vertrag, 4. Dokumentation und Erfolgsmessung.

3.3.1 Die Sponsoringrichtlinie Es empfiehlt sich, eine Sponsoringrichtlinie zu erstellen, da diese für alle Beteiligte eine verbindliche Arbeitsgrundlage darstellt. Vor allem sollten sich Bibliotheken erkundigen, ob der Träger (Stadt, Kommune, Hochschule) über ein derartiges Papier verfügt. Diese Richtlinien haben insbesondere im Hinblick auf Korruption und die Richtlinien für das Verbot der Annahme von Vergünstigungen noch einmal eine größere Bedeutung erhalten. Die Richtlinie enthält u.a. Leitlinien für die Auswahl der Sponsoren und die Entscheidung über den Abschluss des Sponsoringvertrages. Dazu gehören Hinweise auf die Neutralität, die Grenzen der zu erbringenden Gegenleistungen, die Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit des Gesponserten, die Beachtung des Wettbewerbsrechts (Abhängigkeiten) sowie die moralischen und ethischen Grundsätze bzgl. der Auswahl der Sponsoren. Darüber hinaus ist in der Richtlinie die Vertragsgestaltung ausführlich beschrieben; sie behandelt u.a. Form, Dauer, Kündigung, Leistung(en), Gegenleistung(en), Haltung gegenüber Medien in Bezug auf den Sponsor, Übernahme von (Neben-)Kosten, Haftung, die haushaltsrechtliche und steuerliche Behandlung der Sponsoringleistung sowie die Verantwortlichkeiten.

57 Vgl. Georgy 2004, S. 6.

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In gleicher Weise verfügen zahlreiche Unternehmen über Sponsoringrichtlinien, die in vielen Fällen auch im Internet verfügbar sind. Letztendlich müssen beide Richtlinien zueinander komplementär sein. Den Hauptdiskussionspunkt stellen meistens die Gegenleistungen dar. Hilfreich ist es, wenn die Bibliothek bereits einen Katalog mit möglichen Gegenleistungen erstellt hat, die abhängig vom Sponsoringengagement sein sollten.⁵⁸

3.3.2 Die Sponsorensuche Zunächst einmal ist zu entscheiden, ob man eher einen großen Sponsor oder eher mehrere kleinere Sponsoren wünscht. Fällt die Entscheidung für mehrere (kleinere) Sponsoren, so ist die Abhängigkeit von einem einzelnen Unternehmen nicht so groß. Auf der anderen Seite kann sich das Unternehmen nicht in der Form präsentieren, als wenn es alleiniger Sponsor wäre. Bei der Auswahl der Sponsoren gibt es aber eine Reihe weiterer Kriterien zu beachten, so z.B. die Bekanntheit des Unternehmens, geographische Nähe und nicht zuletzt die finanziellen Möglichkeiten der Firma. Zudem sollte die Bibliothek sich darüber Gedanken machen, welche Affinität das Unternehmen zu der Bibliothek hat und ob überhaupt eine erwünscht bzw. notwendig ist. […] Zur Vorbereitung eines Sponsorenvertrages gehört die Recherche über die potenziellen Sponsoren. Diese reichen vom exakten Firmennamen über Umsatzzahlen, angebotene Dienstleistungen / Produkte bis hin zu den Marketing- und Werbeformen, die das Unternehmen praktiziert.⁵⁹

Aber auch das bisherige Sponsoringengagement sollte sorgfältig recherchiert werden, da es bereits Aufschluss darüber geben kann, ob der Sponsor grundsätzlich geeignet ist (Einstellung, Image, aber auch Sponsoringvolumen).

3.3.3 Die Anfrage bzw. Offerte und der Vertrag Die Bibliothek muss sich bereits auf den ersten Blick mit ihrer Anfrage / Offerte als professioneller Partner präsentieren, um sich so aus der großen Zahl an Mitbewerbern um Sponsoringmittel abzuheben. In die Offerte gehören u.a. die Vorstellung der eigenen Bibliothek, die Beschreibung des geplanten Projektes, Zeitpunkt / Zeitdauer des Projektes, Zielgruppendefinition, Sponsoringvision, Vorteile für den Sponsor, genaue und detaillierte Darlegung des Budgets des Projektes, gewünschte Leistungen

58 Vgl. z.B. New York Public Library http: // www.nypl.org / support / corporate / sponsorship (Abruf: 01.11.2011). 59 Georgy 2004, S. 7.

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des Sponsors, Gegenleistungen durch die Bibliothek, Ansprechpartner sowie (mögliche) Erfolgskontrolle. Ideal ist es, wenn mit dem Unternehmen ein Termin vereinbart werden kann, um das Konzept persönlich vorzustellen. Ein gutes Networking erleichtert den Zugang zu den Sponsoren ganz wesentlich.⁶⁰ Ist in der Sponsoringrichtlinie die Vertragsgestaltung sorgfältig beschrieben und ggf. bereits ein Mustervertrag formuliert, so sollte sich der Vertragsabschluss für die Vertragspartner als Abschluss erfolgreicher Verhandlungen entsprechend einvernehmlich und ohne weiteren höheren Aufwand gestalten lassen.

3.3.4 Die Dokumentation und Erfolgsmessung Die Erfolgsmessung lässt sich grundsätzlich unterteilen in – Leistungsparameter, – Wirkungsparameter und – unternehmensinterne Parameter. Zu den Leistungsparametern gehören u.a. Besucherzahlen, Ausleihzahlen und Medienkontakte sowie andere Kontaktzahlen. Sie sind durch eine Bibliothek üblicherweise gut zu liefern. Schwieriger wird es bei den Wirkungsparametern. Daher ist es unbedingt erforderlich, dass im Vorfeld des Sponsorings systematisierte, konkrete und messbare Methoden und Ziele festgeschrieben werden, sodass sich Wirkungsmessungen durchführen lassen. Dazu gehören z.B. die Medienresonanzanalyse (MRA), die qualitative Inhaltsanalyse sowie die Befragung oder Beobachtung.⁶¹ Über Letztere lassen sich Erinnerungswirkung, Wahrnehmung und Sympathie einer Marke sowie der Botschaften ermitteln, aber auch die Einschätzung des übermittelten Images. Unternehmensinterne Parameter sind Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit sowie eine durch Sponsoring erzielte positive Absatz- und Umsatzentwicklung. Die Messung des Sponsoringerfolgs durch Bibliotheken ist jedoch nicht unproblematisch. Zum einen gibt es Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Kommunikations- und Werbeformen eines Unternehmens, wovon das Sponsoring nur eine darstellt; zum anderen hat das Sponsoring eine Langzeitwirkung, sodass eine eindeutig messbare Wirkung − z.B. nach nur einem Projekt − nur schwer definierbar ist. Da es beim Bibliothekssponsoring insbesondere um den Kontakt zu (potenziellen) Kunden aus der Bevölkerung geht, bietet sich für Bibliotheken aber immer eine qualitative Medienanalyse an. Hier sind eindeutig die Einrichtungen im Vorteil, die bereits

60 Siehe den Beitrag „Networking“ von Jahl in diesem Handbuch. 61 Siehe den Beitrag „Marketingforschung“ von Fühles-Ubach in diesem Handbuch.

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gute PR-Arbeit im Rahmen ihres Marketings leisten und über entsprechende Kontakte zu den Medien verfügen.

4 Fazit Im Rahmen des Beitrags wurden verschiedene Formen des Fundraisings vorgestellt. Sie können alternativ, aber auch additiv eingesetzt werden. Entscheidend für den Erfolg sind die Systematik, Professionalität und Authentizität des Vorgehens. Und Bibliotheken sollten nicht vergessen: Auch renommierte Fundraiser tragen zur Profilbildung der Bibliothek maßgeblich bei und verleihen der Bibliothek ein entsprechend modernes Image. Gutes Fundraising sollte daher für Bibliotheken in gleicher Weise zum strategischen Marketing gehören wie für Unternehmen.

Literaturverzeichnis Bundesverband Deutscher Stiftungen: Stiftungen in Zahlen 2010. 2011. http: // www.stiftungen.org / de / presse / pressematerial / grafiken-zahlen-daten.html (Abruf: 01.11.2011) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (a): Erbrecht − BGB Buch 5 § 1939 BGB, Vermächtnis. http: // www.buergerliches-gesetzbuch.info / bgb / 1939.html (Abruf: 01.11.2011) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (b): Recht der Schuldverhältnisse − BGB Buch 2 § 516 BGB, Begriff der Schenkung. http: // www.buergerliches-gesetzbuch.info / bgb / 516.html (Abruf: 01.11.2011) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (c): Allgemeiner Teil − BGB Buch 1 § 21 BGB, Nicht wirtschaftlicher Verein. http: // www.buergerliches-gesetzbuch.info / bgb / 21.html (Abruf: 01.11.2011) Bürgerstiftung Köln: Aktion „Eselsohr“, ein Projekt der Bürgerstiftung Köln. http: // www.buergerstiftung-koeln.de / mitteilungen / 94-aktion-qeselsohrq-ein-projekt-derbuergerstiftung-koeln (Abruf: 17.02.2012) Causales Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH: Kultursponsoringmarktstudie 2010. Berlin: Causales, 2010. http: // issuu.com / causales / docs / kultursponsoringmarktstudie_2010 (Abruf: 01.11.2011) Deutscher Bibliotheksverband, knb − Kompetenznetzwerk für Bibliotheken: Bibliotheksportal: Arbeitsbereiche und Dienstleistungen des KNB im Überblick − EU-Beratungsstelle. http: // www.bibliotheksportal.de / wir-ueber-uns / kompetenznetzwerk / arbeitsbereiche.html (Abruf: 01.11.2011) Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode: Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“: Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Drucksache 14 / 8900, 03.06.2002, S. 3 Deutscher Spendenrat: Bilanz des Helfens 2011. Spendenaufkommen legt 2010 deutlich zu. Pressemitteilung vom 01.04.2011. http: // www.spendenrat.de / index.php?id=103,179,0,0,1,0 (Abruf: 01.11.2011)

Fundraising

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Uta Keite

Bürgerengagement im Rahmen von Corporate Social Responsibility als integraler Bestandteil der „Medienboten“ der Bücherhallen Hamburg 1 Einleitung Immer mehr Unternehmen engagieren sich außerhalb ihres eigentlichen Geschäftsfeldes mit vielfältigen Maßnahmen für die Zivilgesellschaft auf freiwilliger Basis. In Kultureinrichtungen und insbesondere in Bibliotheken spielt diese zunehmende Sozialverantwortung der Unternehmen aber bislang kaum eine Rolle. Und auch in der bibliothekarischen Fachpresse sind Begriffe wie „Corporate Social Responsibility“, „Corporate Citizenship“ und „Corporate Volunteering“ (ausführliche Erläuterungen zu diesen drei Termini in Abschnitt 3) noch nicht zu finden.¹ Viele Kulturschaffende wissen nicht einmal, was diese Termini inhaltlich bedeuten, sodass aufgrund von Unkenntnis und mangelnder Erfahrung vielerorts erhebliche Berührungsängste bestehen und stattdessen von Bibliotheksexperten immer noch darüber diskutiert wird, ob und wie sich Engagement von außen, insbesondere durch Ehrenamtliche, überhaupt sinnvoll in die Bibliothekswelt integrieren lässt.² Das ist bedauerlich, eröffnen doch die zunehmenden Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten von Unternehmen auch Kulturinstitutionen und damit Bibliotheken neue Chancen für deren eigene Tätigkeitsfelder und deren Lobbyarbeit. Bei den Bücherhallen Hamburg, mit 4,5 Millionen Besuchern jährlich die mit Abstand am stärksten frequentierte Kultureinrichtung der Hansestadt³, ist das Bürgerengagement seit vielen Jahren als einer von fünf gleichberechtigten Kundenbereichen in der Organisation fest verankert. Die Bücherhallen Hamburg gehen bei ihrem ehrenamtlichen Dienstleistungsportfolio aber noch einen Schritt weiter: Seit 2008

1 Vgl. hierzu z.B. Hauke 2003; selbst im Kontext von bibliothekarischer Lobbyarbeit taucht der Begriff „Corporate Social Responsibility“ bislang nicht auf: Ratzek 2010. 2 Vgl. hierzu z.B.: Reisser 2008; Uhlemann 2008; Umlauf 2008; Deutscher 2011; Zeddies 2011; Sprengel 2011; Berufsverand Information Bibliothek 2011. 3 Die Bücherhallen Hamburg (Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen) sind das öffentliche Bibliothekssystem der Freien und Hansestadt Hamburg mit 36 Standorten sowie knapp 500 Mitarbeitern. Das Bibliothekssystem verzeichnet pro Jahr deutlich mehr Besucher (2010: rund 4,5 Millionen) als alle Hamburger Theater und Museen zusammen (2010: rund 2,8 Millionen); vgl. Bücherhallen 2011, S. 50.

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engagieren sich Mitarbeiter der Montblanc International GmbH⁴ im vom Unternehmen aufgelegten „Corporate Volunteering Programm“ für das gemeinnützige Medienboten-Projekt der Bücherhallen Hamburg. Ursprünglich kam diese Kooperation zufällig zustande (siehe Abschnitt 4.2), inzwischen hat sie sich zu einer langfristigen, gewinnbringenden Partnerschaft für alle Beteiligten entwickelt – und ist auf andere Kulturinstitutionen und Bibliotheken übertragbar.

2 Das Projekt Medienboten⁵ Das Projekt Medienboten ist viel mehr als eine „Bücherhalle auf zwei Beinen“: Für ältere, behinderte und / oder weniger mobile Menschen, für die der Weg in die nächstgelegene Bibliothek zu beschwerlich ist, sind seit März 2007 die ehrenamtlichen Medienboten der Bücherhallen Hamburg da. Bei diesem Service bringen „Zeitspender“ ans Haus gebundenen Personen regelmäßig einmal monatlich die jeweils gewünschten Medien direkt nach Hause. Rund 150 Medienboten versorgen  – nach vorheriger Terminabsprache und ausgestattet mit einem offiziellen Ausweis – derzeit etwa 300 nicht mobile Personen (200 Einzelkunden, 100 Gruppenkunden in Einrichtungen; Durchschnittsalter: 81 Jahre; 80 % Frauen). Dabei bringen die Ehrenamtlichen nicht nur Medien mit, sondern lesen bei Bedarf auch vor. Ein weiterer Service des Projektes: Institutionen wie Seniorenwohnanlagen oder Tagesstätten können für jeweils zwei bis drei Monate komplette Medienkisten als mobile Mini-Bibliothek ausleihen. Auf Wunsch lesen die Medienboten dort ebenfalls vor. Geplant ist, diesen Service zukünftig zusätzlich in Krankenhäusern anzubieten.

2.1 Ziele Das Medienboten-Projekt verfolgt drei wichtige Zielsetzungen: – Unmittelbarer Zugang zu Bibliotheksdienstleistungen und die Teilhabe an aktueller Information und Kultur für Menschen, die nicht mobil sind. – Förderung der sozialen Integration und die Erhöhung der Lebensqualität, insbesondere die Verhinderung von Einsamkeit, denn für viele der besuchten Personen ist der monatliche Medienboten-Besuch sehr wichtig, zum Teil ist er der einzige Außenkontakt. Es entwickeln sich nicht nur vertrauensvolle Beziehun-

4 Das Unternehmen wird im weiteren Verlauf mit „Montblanc“ bezeichnet. 5 Beschreibung des Projektes auch in: Keite 2009, S. 635−637; Keite 2010, S. 16−17; Keuchel 2010, S. 128.

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Abb. 1: Medienboten (Foto: Nicola Eisenschink)



gen, sondern immer wieder auch Freundschaften, die weit über den eigentlichen Medienlieferdienst hinausgehen. Stärkung des politisch geforderten und gesellschaftlich notwendigen bürgerschaftlichen Engagements bei den Bücherhallen Hamburg. An interessierten Ehrenamtlichen mangelt es nicht; im Gegenteil, die Bücherhallen führen für dieses Projekt eine Warteliste. Reizvoll ist für viele „Zeitspender“ die sozial-kulturelle Kombination. 150 Ehrenamtliche sind derzeit aktiv: jung und alt, 40 % Berufstätige, 25 % Männer, mehr als die Hälfte mit Abitur und Studium.

2.2 Trägerschaft und Organisation Zur organisatorischen Verankerung des bürgerschaftlichen Engagements wurde 2006 die gemeinnützige Bücherhallen Medienprojekte GmbH gegründet, die zu 100 % eine Tochter der Bücherhallen Hamburg ist (siehe Abschnitt 5.5). Als hauptamtliche Medienboten-Projektleitung ist ein Soziologe eingestellt. Denn der Grundsatz der Bücherhallen Hamburg lautet: Kein Ehrenamt ohne Hauptamt. Permanente Qualitätskontrollen und die professionelle Organisation des Projektes, beides wichtige Voraussetzungen für die Gewinnung von Kooperationspartnern, haben eine hohe Priorität: Medienkauf, Buchhaltung sowie Marketing und

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Fundraising verantworten bibliothekarisches Fachpersonal sowie weitere Bücherhallen-Experten. Der hauptamtlichen Projektleitung hingegen obliegen die sorgfältige Auswahl der Ehrenamtlichen (individuelle Einstellungsgespräche und Beschäftigungsverträge, konsequente Ablehnung nicht geeigneter Bewerber), regelmäßige Kontrollen der Kundenkontakte sowie die Organisation professioneller Fortbildungsangebote (Vorlesetechniken, Literaturkunde, Umgang mit dem Alter) und regelmäßiger Treffen zum Erfahrungsaustausch sowie geselliger Veranstaltungen (Sommerfest, Weihnachtsfeier). Als Gegenleistung und Anerkennung für das ehrenamtliche Engagement gewähren die Bücherhallen Hamburg den „Zeitspendern“ eine kostenlose Bücherhallen-Kundenkarte, die Erstattung der Fahrtkosten sowie eine Unfall- und Haftpflichtversicherung. Denn: Ehrenamt braucht Wertschätzung.

2.3 Öffentlichkeitsarbeit Damit die Kunden bzw. deren Angehörige oder Bekannte, aber auch am Ehrenamt interessierte Personen von diesem Service erfahren, haben die Bücherhallen Hamburg diverse aufeinander abgestimmte Maßnahmen aufgelegt: kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit (lokal, regional, überregional), intensive Kontakte zu Institutionen und Multiplikatoren (Senioren-Institutionen, Tagesstätten, Pflegedienste, Behinderteneinrichtungen, „Essen auf Rädern“ u.a.) sowie Aushänge und Flyer in allen 36 Bücherhallen-Standorten. Hinzu kommt die Darstellung des Medienboten-Projektes auf der BücherhallenHomepage (Juli 2011: monatliche Hits auf die gesamte Bücherhallen-Seite: 12 Millionen, monatliche Zahl der Anwendersitzungen: 330.000), aber auch die Präsenz des Projektes bei Vermittlungsorganisationen (z.B. Freiwilligenagenturen) sowie die Online-Präsenz in verschiedenen lokalen, regionalen und bundesweiten Ehrenamtsund Sponsorenportalen.⁶ Auch auf der jährlich stattfindenden Freiwilligenbörse in der Hamburger Handelskammer sind die Bücherhallen Hamburg, Gründungsmitglied des AKTIVOLI-Netzwerkes⁷, mit einem eigenen Stand zur Akquise von Ehrenamtlichen regelmäßig präsent.

6 Vgl. z.B. http: // www.aktivoli.de; http: // www.sponsoren-fuer-hamburg.de; http: // www.generationendialog.de. 7 Das AKTIVOLI-Netzwerk ist ein Zusammenschluss von mehr als 40 Hamburger Organisationen, der sich stark macht für Ehrenamtlichkeit in Hamburg. Das Netzwerk, das die Bücherhallen Hamburg mitgegründet haben, hat das Ziel, freiwilliges Engagement aufzuwerten, dafür zu werben und es zu vernetzen. Somit setzen sich die Bücherhallen Hamburg auch auf politischer und institutioneller Ebene dafür ein, dass ehrenamtlicher Arbeit mehr Anerkennung zuteil wird und dass Standards für die Rahmenbedingungen von Bürgerengagement entwickelt und verbessert werden (http: // www.aktivoli.de).

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Wesentliches Betätigungsfeld ist außerdem die medienwirksame Teilnahme an Wettbewerben: So sind die Medienboten Gewinner des „start art Hamburg“-Wettbewerbes der Hamburgischen Kulturstiftung 2006⁸, „Ausgewählter Ort im Land der Ideen 2009“⁹ unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten sowie LeuchtturmPreisträger des Wettbewerbs „Generationendialog in der Praxis  – Bürger initiieren Nachhaltigkeit“ des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung 2009.¹⁰

3 Corporate Social Responsibility Bei Montblanc wurde 2008 ein Corporate-Volunteering-Programm aufgelegt, das als Bestandteil der Unternehmenskommunikation eine wichtige Säule der firmeneigenen Corporate Social Responsibility (CSR) bildet. CSR wird in Wissenschaft und Praxis unterschiedlich definiert¹¹, meint aber im Allgemeinen die gesamte gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens, die über das eigentliche Geschäftsfeld hinausgeht und alle Wertschöpfungsprozesse beinhaltet. Man spricht bei CSR auch von der „Triple Bottom Line“, dem nachhaltigen Mehrwert, den ein Unternehmen in ökonomischer (Profit), ökologischer (Planet) sowie sozialer (People) Hinsicht schafft. Der Begriff CSR stammt aus dem angloamerikanischen Raum und wird dort oft synonym mit Corporate Citizenship verwendet.¹² Nach europäischem Verständnis ist CSR hingegen ein Oberbegriff und umfasst sämtliche Beziehungen zu allen relevanten Stakeholdern (Anspruchs- oder Interessengruppen).¹³ Zu diesen gehören externe Personengruppen (z.B. Handelspartner, Kunden, Staat, Gesellschaft, Medien) sowie interne Personengruppen (z.B. Unternehmensbeschäftigte, Inhaber, Kapitalgeber, Aktionäre), insgesamt somit alle gesellschaftlichen Gruppen, die von den unternehmerischen Tätigkeiten direkt oder indirekt berührt sind bzw. die selbst wiederum die Erreichung der Ziele eines Unternehmens mit beeinflussen können. Die Bandbreite der möglichen CSR-Maßnahmen, die auf Nachhaltigkeit angelegt sein sollten, ist groß und bezieht marktwirtschaftliche Aspekte (z.B. faire Preisgestaltung für Zulieferer), die eigenen Mitarbeiter (z.B. familienfreundliches Arbeitsumfeld, Fortbildungen), ökologische Aspekte (z.B. Energiesparmaßnahmen) sowie gesellschaftliche Themen (z.B. Sponsoring, Corporate Volunteering) ein. Wesentliches

8 Vgl. Hamburgische Kulturstiftung 2007. 9 Deutschland 2009, S. 198. 10 http: // www.nachhaltigkeitsrat.de / projekte / eigene-projekte / bin. 11 Vgl. z.B. Dreyer 2011; Habisch 2008; http: // wirtschaftslexikon.gabler.de; http: // www.nachhaltigkeit.info. 12 Vgl. hierzu Janes 2009; Heuberger 2003. 13 Vgl. hierzu z.B. http: // www.csreurope.org.

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Kriterium von CSR ist, dass sämtliche dieser Unternehmensaktivitäten auf freiwilliger Basis jenseits gesetzlicher Vorgaben erfolgen. Das Thema CSR hat in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewon¹⁴ nen , da die Öffentlichkeit von den Unternehmen zunehmend gesellschaftliche Verantwortung einfordert und ein glaubwürdiges CSR-Konzept erheblich zur Akzeptanz und positiven Wahrnehmung einer Firma beitragen kann. Dass ein Unternehmen CSR in der Regel nicht nur aus altruistischen Motiven betreibt, sondern damit zugleich auch das eigene Image und letztlich auch den eigenen Erfolg, also die Umsätze, steigern will, wird allgemein akzeptiert: Solange die aufgelegten Maßnahmen zum Unternehmen passen, glaubwürdig und langfristig angelegt sind, ehrlich kommuniziert werden und gleichzeitig das Gemeinwohl positiv beeinflussen, kann CSR den Erfolg eines Unternehmens wirksam unterstützen. Durch die strategisch geschickte Verzahnung von Geschäftsinteressen mit Gemeinwohlinteressen profitieren beide Seiten: einerseits die Unternehmen mit besseren Bilanzen und andererseits die Zivilgesellschaft, deren Wohl das Unternehmen mit seinen eingesetzten Ressourcen fördert.

3.1 Corporate Citizenship Corporate Citizenship (CC) ist ein Baustein von CSR und umfasst in der Regel – auch dieser Terminus wird nicht immer einheitlich verwendet¹⁵ – alle systematisch betriebenen, auf die Gesellschaft bezogenen, also extern ausgerichteten Aktivitäten von Unternehmen. Mit CC wird das unternehmerische Engagement für die Öffentlichkeit bezeichnet: Das Unternehmen betätigt sich sozusagen als „verantwortungsbewusster Bürger“ für das Gemeinwohl. Zu CC gehören sämtliche Maßnahmen, die die Zivilgesellschaft aktiv unterstützen. Sie reichen von finanzieller Unterstützung (z.B. Spenden, Beteiligung an Bürgerstiftungen, Förderpreise, Sponsoringmaßnahmen) über Dienstleistungen und Produkte (z.B. kostenlose Überlassung eines Firmenfahrzeuges, mietfreie Nutzung eines Büros) bis hin zu Netzwerken und Kontakten (z.B. Vermittlung von Medienkontakten, Bekanntmachung eines gemeinnützigen Projektes durch den Unternehmenschef beim Bürgermeister), aber auch die Förderung des ehrenamtlichen, gemeinnützigen Engagements von Unternehmensangehörigen (Corporate Volunteering; siehe Abschnitt 3.2), bei dem diese Zeit und Expertenwissen zur Verfügung stellen, gehört dazu. CC, ebenfalls nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehörend, ist strategisch auf übergeordnete Unternehmensziele ausgerichtet. Es ist integriert in die

14 Vgl. Braun 2010a; ders. 2010b; Boccalandro 2010; vgl. hierzu auch diverse deutschlandweit gestartete Projekte, z.B.: Kulturpaten (http: // www.koelnerkulturpaten.de); start social (http: // www.startsocial.de); Düsedau 2009 (http: // www.initiative-zivilengagement.de). 15 Vgl. z.B. Crane 2010; Habisch 2008.

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gesamte Unternehmensstrategie und prägt gleichzeitig die Unternehmenskultur positiv. Durch genau geplante und aufeinander abgestimmte Aktivitäten, den Corporate-Citizenship-Mix, übernimmt ein Unternehmen in kultureller, sozialer oder ökonomischer Hinsicht Verantwortung für die Zivilgesellschaft.

3.2 Corporate Volunteering Corporate Volunteering (CV) ist wiederum Teil des CC-Mixes und beschreibt die unternehmensseitige Unterstützung der eigenen Arbeitnehmer, die sich in sozialen, kulturellen oder anderen gemeinnützigen Projekten jenseits ihres originären beruflichen Aufgabenfeldes bürgerschaftlich engagieren oder zukünftig engagieren wollen. Oftmals bezeichnet mit „Betriebliche Engagementförderung“ oder „Förderung der Freiwilligenarbeit“, übernehmen Unternehmen über ihr eigenes Personal somit soziale Verantwortung im lokalen Raum und beteiligen sich an der Gestaltung des Gemeinwesens.¹⁶ Die Vielfalt der CV-Variationen ist groß: Unternehmen unterstützen Mitarbeiter zum Beispiel in bereits bestehenden freiwilligen Engagements, oder die Belegschaft wird für eigens ausgewählte gemeinnützige Freiwilligenprojekte motiviert und gezielt geworben. Eingesetzt, also gespendet, wird Zeit und / oder Know-how, entweder während der Arbeitszeit – zum Beispiel nach einem festgelegten Stundenkontingent – oder außerhalb. Dabei kann es um einmalige Aktionen gehen (z.B. „Day of Caring“: Gestaltung des Gartens einer Kita, auch anstelle eines Betriebsausfluges), aber auch um zeitlich befristete Tätigkeiten in einer gemeinnützigen Institution (z.B. kostenlose Beratung einer Schule bezüglich der Einführung von Schüler-PC-Arbeitsplätzen, Entwicklung eines PR-Konzeptes für einen kleinen Verein) bis hin zu dauerhaftem wöchentlichen, monatlichen, in jedem Fall aber regelmäßigen Engagement, wie es bei den Medienboten der Bücherhallen Hamburg praktiziert wird. Dabei beschränkt sich das betriebliche Freiwilligenprogramm nicht immer nur auf aktive Mitarbeiter: Auch Ruheständler können integriert werden, denn diese lassen sich sogar oftmals besonders gut für CV motivieren. CV ist ein Instrument des Unternehmensmarketings und hat u.a. die Profilierung und Verbesserung des eigenen Images, die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und letztlich auch bessere Bilanzen zum Ziel. Bei CV spielt für ein Unternehmen insbesondere aber auch die persönliche Weiterentwicklung der teilnehmenden Kollegen eine Rolle: Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation, stärkere

16 Vgl. z.B. F.A.Z.-Institut 2011. Die in den letzten Jahren erheblich gewachsene Bedeutung von CV zeigt sich auch darin, dass im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 erstmals die European Employee Volunteering Awards in mehr als 20 nationalen Wettbewerben sowie europaweit in verschiedenen Kategorien vergeben wurden.

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Bindung an das Unternehmen und damit weniger Fluktuation, Erschließung neuer Erfahrungshorizonte sowie Erweiterung der Kompetenzen. Gelegentlich gehen sogar Firmeninhaber oder Vorstandsmitglieder persönlich mit gutem Beispiel voran und engagieren sich selbst bei gemeinnützigen Organisationen.¹⁷

4 CC und Kulturengagement von Montblanc Bei Montblanc hat die Kunst- und Kulturförderung eine lange Tradition, passend zur Unternehmensgeschichte und zum Geschäftsfeld: Der Erschaffung der Schrift verdanken wir, dass Kunst und Kultur in einer schier unerschöpflichen Vielfalt von Formen Ausdruck finden können. Weil die Wurzeln der Marke Montblanc fest mit der Schreibkultur  – dem ersten Ausdruck menschlichen kulturellen Lebens  – verbunden sind, hat sich Montblanc besonders der Kulturförderung verschrieben. Montblanc unterstützt Aktivitäten weltweit, die jeweils auf ihre eigene Weise zum kulturellen Leben der Gesellschaft beitragen.¹⁸

Das kulturelle Unternehmensengagement ist national und international aufgestellt und umfasst Kulturprojekte in den Bereichen Theater, klassische Musik, Mäzenatentum und zeitgenössische Kunst. Dazu gehören zum Beispiel die Unterstützung der Philharmonie der Nationen, die Förderung junger aufstrebender Künstler (Montblanc Young Artists World Patronage), die 1998 gegründete Kulturstiftung „Montblanc Cultural Foundation“ in enger Zusammenarbeit mit der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, aber auch die Förderung junger, internationaler Theaterregisseure und ihrer Ensembles im Rahmen des „Young Directors Project“ der Salzburger Festspiele.¹⁹

4.1 Das CV-Programm Seit April 2008 motiviert das Unternehmen seine Mitarbeiter durch ein eigenes CV-Programm zu ehrenamtlichen Tätigkeiten, wobei das Programm auf zwei Säulen ruht: das allgemeine Engagement im gesellschaftlichen und sozialen Bereich sowie das Engagement im kulturellen Bereich gemäß den Werten der Marke Montblanc. Das Unternehmen fördert das ehrenamtliche Engagement seines Personals, indem gemeinnützige Aktivitäten der Beschäftigten, sofern gewollt oder notwendig,

17 Vgl. Corporate Volunteering speziell im kulturellen Bereich: Lichtenberg 2011. 18 http: // www.montblanc.de / 12.php. 19 Vgl. ebd.

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unterstützt werden. Auf Wunsch vermittelt die Personalabteilung aktiv zwischen interessierten Mitarbeitern auf der einen und drei offiziell kooperierenden Hamburger Institutionen auf der anderen Seite: der Hamburger Kunsthalle, den Kulturpaten der Handelskammer Hamburg und den Medienboten der Bücherhallen Hamburg. Mit seinem CV-Programm möchte Montblanc dazu beitragen, das kulturelle, gemeinnützige Engagement seiner Mitarbeiter in ihrem direkten Umfeld zu fördern und existierende Projekte als nachahmenswerte Beispiele privaten und selbstlosen Engagements zu ehren und zu prämieren. Dadurch soll auch der Arbeitsalltag der Mitarbeiter bereichert werden. Zugleich sollen die Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, berufsfremde Kontakte zu knüpfen und neue Fähigkeiten an sich zu entdecken – und sich letztlich dadurch mit der Unternehmensstrategie identifizieren. Dazu Lutz Bethge, Geschäftsführer Montblanc: Montblanc und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilen gemeinsam die Überzeugung, dass aus unternehmerischem Erfolg auch eine Verantwortung erwächst, seinem gesellschaftlichen Umfeld etwas zurückzugeben und am Erfolg der Marke teilhaben zu lassen.²⁰

Damit das Engagement des Einzelnen ideell honoriert und unternehmensöffentlich wird, berichten interne Unternehmensmedien, wie das Intranet oder die Mitarbeiterzeitung, über die gemeinnützigen Aktivitäten der Kollegen. Zusätzlich wird einmal jährlich herausragendes ehrenamtliches Engagement im Rahmen einer Feierstunde gewürdigt. 2008 wurde Montblanc für sein CV-Programm in der Kategorie „Mittleres Unternehmen“ mit dem Deutschen Kulturförderpreis ausgezeichnet – insbesondere auch aufgrund der vorbildlichen und gut funktionierenden Kooperation mit den Medienboten der Bücherhallen Hamburg, die bei der Preisverleihung in Berlin als Ehrenamtsprojekt im Mittelpunkt standen und besonders beachtet und gewürdigt wurden.²¹

4.2 Die Partnerschaft Montblanc – Medienboten Im Jahr 2006 startete die Hamburgische Kulturstiftung den Wettbewerb „start art Hamburg! – Ehrenamtliches Engagement in der Kultur“²² mit dem Ziel, Kulturinstitutionen und Unternehmen über neun Monate zum Thema „Ehrenamt“ zu fördern und zu beraten. Montblanc, die Bücherhallen Hamburg und einige weitere Organisationen gehörten zu den prämierten Teilnehmern und gewannen eine über mehrere Monate laufende Beratung durch einen im Bürgerengagement erfahrenen Profi, der

20 Bethge 2008, S. 2, zitiert in Schoeller & Rellingen 2008, S. 2. 21 Vgl. http: // www.kulturkreis.eu / index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=165&I temid=292. 22 Vgl. Hamburgische Kulturstiftung 2007.

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diese Beratung jeweils ehrenamtlich übernahm, sie somit stiftete. Die Bücherhallen Hamburg ließen sich zur professionellen Implementierung ihres neuen ehrenamtlichen Projektes „Medienboten“ beraten, wohingegen Montblanc Expertise zur Einführung von Corporate Volunteering erhielt. Im Rahmen dieses Wettbewerbes entwickelten die Beraterin von Montblanc sowie die Beraterin der Bücherhallen Hamburg die Idee, beide Projekte zu vernetzen, sodass das Unternehmen die Medienboten als eines von drei Projekten in sein offizielles Corporate-Volunteering-Programm aufnahm und die Bücherhallen dadurch neue Ehrenamtliche gewannen und vom Know-how der Montblanc-Mitarbeiter profitierten.²³ Im März 2008 schlossen Montblanc und die Bücherhallen Medienprojekte gGmbH, Träger des Medienboten-Projektes, einen unbefristeten Kooperationsvertrag. Dieser regelt dezidiert die gegenseitige Zusammenarbeit. Dazu gehören zunächst die Ziele der Kooperation, z.B.: „Montblanc möchte die Mitarbeiter persönlich in das generelle unternehmerische Engagement einbinden.“, „Die Bücherhallen Hamburg möchten durch die Kompetenz der Montblanc-Mitarbeiter das ehrenamtliche Engagement bereichern und stärken sowie dessen Stellenwert positiv unterstützen.“. Ebenso werden der konkrete Ablauf, z.B. „Montblanc informiert seine Mitarbeiter über die Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements bei den Bücherhallen Hamburg.“, aber auch der gegenseitige regelmäßige Informationsaustausch, Schulungsangebote, gemeinsame Werbe- und PR-Arbeit, Versicherung der Ehrenamtlichen sowie der Ausschluss von Angebots- bzw. Leistungsverbindlichkeiten geregelt. Zum Auftakt dieser Kooperation gab es 2008 im Rahmen einer Montblanc-Personalversammlung ausführliche Informationen zu den drei offiziellen CV-Projekten des Unternehmens, die sich jeweils mit einem Stand persönlich vorstellten und somit gleich vor Ort erste Kontakte zu Unternehmensangehörigen knüpfen konnten. Darüber hinaus unterstützt Montblanc das Medienboten-Projekt jährlich mit einer Geldspende, von der die Medienkataloge für Ehrenamtliche und Einzelkunden sowie die Medienboxen für institutionelle Kunden finanziert werden. Beide Partner, Montblanc und die Bücherhallen Hamburg, stellten darüber hinaus bei einer CSRVeranstaltung in der Hamburger Körber-Stiftung im Mai 2009 ihre erfolgreiche Kooperation einem interessierten Fachpublikum vor.²⁴

23 Vgl. Lichtenberg 2011, S. 45−47. 24 Vgl. http: // www.hamburg-anstiften.de / aktuelles / 2009-05-13.php.

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5 Voraussetzungen für CV-Kooperationen Kulturinstitutionen und somit auch Bibliotheken müssen sich bewusst sein, dass CV-Kooperationen in den seltensten Fällen – wie bei den Medienboten – zufällig entstehen, sondern sorgfältig geplant werden müssen, vergleichbar mit Sponsoringmaßnahmen²⁵ oder der Akquise neuer Kundengruppen. Für Kulturinstitutionen und Bibliotheken liegen im CV große Chancen, allerdings bedarf es gewisser Voraussetzungen, damit eine solche Partnerschaft für alle Beteiligten zum langfristigen Erfolg wird.²⁶

5.1 Bürgerengagement als professionelles Betätigungsfeld Für die Bücherhallen Hamburg, die sich als kommunaler Dienstleister für alle Bürger der Metropolregion Hamburg verstehen, ist die Engagementförderung weit mehr als ein optionales Betätigungsfeld: Sie ist integraler Bestandteil des bibliothekarischen Geschäftsfeldes. Dabei haben alle Ehrenamtsprojekte nicht nur jeweils eine hauptamtliche Projektleitung, sondern der Kundenbereich insgesamt wird zusätzlich durch ein eigens eingerichtetes „Referat Bürgerengagement“ professionell geleitet. Durch diese professionelle Organisation gelingt es zu vermitteln, dass die Ehrenamtlichen-Projekte der Bücherhallen nicht nur bibliothekspolitisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich von hoher Relevanz sind. So wird für die Zivilgesellschaft offensichtlich, dass alle Beteiligten gleichermaßen profitieren: der Kunde, dem die Dienstleistung direkt zugutekommt, die Ehrenamtlichen, die sich sinnstiftend mit ihren Talenten als Bibliotheksbotschafter engagieren können, die Bücherhallen selbst, die sich neue Geschäftsfelder aufbauen und mit dem Ehrenamt als Marketingmaßnahme positive Resonanz in der Öffentlichkeit und in den Medien generieren sowie auch neue Kunden gewinnen, und nicht zuletzt die gesamte Gesellschaft, die von dem ehrenamtlichen Engagement unmittelbar profitiert. Diese gesellschaftliche Relevanz der Ehrenamtlichen-Projekte wird kontinuierlich mit differenzierter Öffentlichkeitsarbeit nach außen kommuniziert und als Marketingmaßnahme genutzt, sodass die Bücherhallen Hamburg aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung und ihrer umfassenden Professionalität als natürlicher Partner für bestehende und neue Projekte im Bereich des Bürgerengagements wahrgenommen und zunehmend angefragt werden. Professionelles Management²⁷ und höchste Qualitätsansprüche im bürgerschaftlichen Bereich sind unerlässliche Voraussetzungen für den Aufbau einer erfolgrei-

25 Vgl. Keite 1997. 26 Vgl. Klein 2010. Siehe auch den Beitrag „Fundraising“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. 27 Hilfreiche Tipps zum professionellen Ehrenamtlichen-Management finden sich bei Loock 2004.

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chen CV-Kooperation mit einem Unternehmen. Bibliotheken als stark frequentierte kulturelle Breiteninstitutionen haben hier beste Chancen, wenn sie sich selbst und ihre Dienstleistungen attraktiv präsentieren.²⁸

5.2 Kompatibilität von Bibliothek und Unternehmen Die Bibliothek und das kooperierende Unternehmen müssen in vielfacher Hinsicht zueinander passen. Das Image des Unternehmens sollte bei den Bürgern im Einzugsgebiet, den Kunden sowie Handelspartnern und in der jeweiligen Branche hervorragend sein, ebenso wie das der Bibliothek. Bibliotheken sollten grundsätzlich nur dann eine Kooperation eingehen, wenn der Stellenwert des Unternehmens die eigene öffentliche Wahrnehmung positiv stärken kann und ein entsprechender Imagetransfer zwischen beiden Partnern zu erwarten ist. Es geht um eine Partnerschaft auf Augenhöhe, bei der sich beide Partner selbst treu bleiben: Die Bibliothek tut gut daran, auf eine CV-Partnerschaft zu verzichten, wenn das interessierte Unternehmen nicht in jeder Hinsicht (Image, wirtschaftliche Lage, Umgang mit Personal, Medienresonanz) überzeugt. Darüber hinaus sollte das Unternehmen seinen Hauptsitz im Einzugsbereich der Bibliothek haben, sodass der lokale oder regionale Bezug gegeben ist. Ebenso ist es wichtig, dass die Größenordnung der Partner übereinstimmt: Ist die Bibliothek der wichtigste Kulturplayer vor Ort, sollte sie aktiv auf Unternehmen zugehen, die selbst eine herausragende Wirtschaftsbedeutung in der Region haben. Relevant ist ferner ein thematischer Bezug zwischen Bibliothek und dem Kerngeschäft des Unternehmens, sodass die betreffenden Mitarbeiter ihr branchenspezifisches Know-how in das gemeinnützige Projekt einbringen können. Ideal sind für Bibliotheken z.B. Unternehmen aus der Buch-, Druck-, Papier-, Schreibgeräte- und Medienbranche oder aus der Informationstechnologie, aber auch Unternehmen, die sich bereits kulturell vor Ort z.B. im Bereich der Leseförderung durch Sponsoring oder Förderpreise engagieren. Beispiele: Mitarbeiter einer großen IT-Firma bieten ehrenamtlich Computerschulungen für Senioren an öffentlichen PC-Arbeitsplätzen in der Bibliothek an. Oder: Soll CV in einem Integrationsprojekt der Bibliothek verwirklicht werden, lassen sich insbesondere Unternehmen ansprechen, die selbst viele Beschäftigte mit Zuwanderungsgeschichte haben. Beim Beispiel der Medienboten passt all dies: Montblanc hat wie die Bücherhallen Hamburg eine lange Tradition, steht für Schreibkultur sowie vielfältige Aktivitäten im Bereich der Kulturförderung und hat außerdem seine Unternehmenszentrale in Hamburg. Zu beachten ist außerdem, dass Unternehmen und Bibliotheken oftmals stark voneinander abweichende Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen

28 Vgl. http: // www.buecherhallen.de / ehrenamt.

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(Trägerschaft, Handlungsspielräume, Kontrollorgane) haben oder über gänzlich unterschiedliche Ressourcen (Finanzmittel, Personal, Räumlichkeiten) verfügen. Eine Kooperation muss darauf gezielt Rücksicht nehmen und diese Aspekte von Anfang an integrieren, sodass sich die Zusammenarbeit realistisch planen und in der späteren Praxis unkompliziert gestalten lässt.

5.3 Das Selbstverständnis der Bibliothek Die Bibliothek muss ihre Stärken offensiv kommunizieren: Insbesondere Öffentliche Bibliotheken sind die am stärksten frequentierten Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen in den Kommunen. Vielerorts kennen in Städten mit leistungsfähigen Bibliotheken bis zu 90 % der Einwohner die Bibliothek und bis zu 40 % nutzen sie auch. Und unter Kunden Öffentlicher Bibliotheken ab 14 Jahren sind die meisten zwischen 20 und 29 Jahre alt, berufstätig oder in der Ausbildung, also eine sehr interessante Zielgruppe. Und keiner anderen kulturellen Einrichtung einer Kommune gelingt es, auf freiwilliger Basis so viele Kinder zu erreichen. Bibliotheken haben somit häufig kein Akzeptanz-, sondern ganz eindeutig ein Wahrnehmungs- und Imageproblem. Insofern sollte die Bibliothek nicht als Bittstellerin agieren, sondern sich mit Selbstbewusstsein und überzeugendem Auftreten präsentieren. Ein weiterer Vorteil, der stärker kommuniziert werden müsste: Öffentliche Bibliotheken haben in Städten kleinerer und mittlerer Größenordnung häufig eine Monopolstellung in den Bereichen Kultur und außerschulische Bildung sowie im Bereich der Medienkompetenz. In vielen kleineren Kommunen sind sie oftmals das einzige Stadtteil- und Kommunikationszentrum vor Ort. Dadurch eröffnen sich realistische Chancen für eine CV-Kooperation, weil sich eine Konkurrenzsituation in diesem Segment nicht stellt. Und da bislang CV-Partnerschaften mit Bibliotheken kaum existieren, können die Bibliothek wie auch das kooperierende Unternehmen relativ sicher sein, dass sie mit ihrer Zusammenarbeit auffallen. Ein vielfältiges Netz persönlicher Kontakte in die Geschäftswelt ist eine wichtige Voraussetzung für CV. In der Realität aber erschweren die üblicherweise fehlenden Kontakte vom Bibliothekspersonal zur Wirtschaft und die damit verbundenen Berührungsängste den Aufbau einer Unternehmenskooperation erheblich.²⁹ Auch aus diesem Grund sollte die für dieses Thema in der Bibliothek verantwortliche Person in der betrieblichen Hierarchie ganz oben angesiedelt sein, bei kleineren Bibliotheken gehört das Thema CV in jedem Fall in die Hände der Leitung.

29 Siehe den Beitrag „Networking“ von Jahl in diesem Handbuch.

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5.4 Projektvoraussetzungen Ein Unternehmen für eine Partnerschaft mit der Bibliothek zu gewinnen, hat nur da eine Chance, wo es um attraktive, sinnstiftende und gesellschaftlich unverzichtbare Ehrenamtsprojekte mit einem klaren Konzept geht, das sich auf den ersten Blick erschließt. Dazu gehören insbesondere Projekte für Behinderte, Familien, Jugendliche, Kinder, Senioren sowie Zuwanderer. In diesem Segment aber sind Bibliotheken nicht die einzigen Player, sondern sie konkurrieren mit zahlreichen weiteren gemeinnützigen Organisationen aus der Kultur, dem Sozialen, dem Sport, der Gesundheit, der Bildung oder dem Umweltschutz, da diese sich ebenfalls für die genannten Zielgruppen engagieren. Bei den Bücherhallen Hamburg werden Ehrenamtlichen nur Tätigkeiten übertragen, die als zusätzliche Dienstleistungen von der öffentlichen Hand nicht finanziert werden und die sich ohne das Engagement der „Zeitspender“ definitiv nicht realisieren ließen. Bürger werden somit nur außerhalb der originären Bibliotheksarbeit eingesetzt, sodass Ehrenamt kein Hauptamt verdrängt. Dieser Aspekt ist nicht unbedeutend bei der Akquise eines Unternehmens für eine CV-Kooperation. Nicht zu unterschätzen ist ferner die konkrete Bezeichnung des Projektes. So war für Montblanc 2008 auch der einprägsame, kurze und verständliche Projektname ein überzeugendes Kriterium: „Medienboten“ klingt deutlich attraktiver als „Ehrenamtlicher Bücherlieferdienst“, „Hausbesuchsdienst“ oder „Bibliotheksservice für Senioren“ – der Projektname selbst transportiert bereits ein positives Image. Ohne eine professionelle, verständliche und optisch ansprechende Präsentation des Projektes in vielfältigen Kommunikationskanälen (Flyer, Plakate, Homepage, Pressearbeit, facebook oder twitter) wird sich eine CV-Kooperation nicht anbahnen lassen – hier muss von der Bibliothek Zeit und Know-how investiert werden, um als attraktiver Partner wahrgenommen zu werden. Und: Das Projekt sollte erst dann nach außen kommuniziert werden, wenn die Planung und Organisation abgeschlossen und erste Maßnahmen, vielleicht sogar erste Erfolge, vorzuweisen sind. Also erst etwas bewirken, dann darüber reden und Kooperationspartner suchen. Hilfreich ist darüber hinaus die Teilnahme an Wettbewerben (siehe Abschnitt 2.3), denn preisgekrönte Projekte generieren Medienaufmerksamkeit und erringen leichter das Interesse der Öffentlichkeit.

5.5 Trägerschaft des Bürgerengagements Bei den Bücherhallen Hamburg wurden alle Ehrenamtsprojekte in einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) gebündelt. Dadurch wird das Ehrenamt vom Hauptamt inhaltlich und organisatorisch getrennt und somit die Abkopplung ehrenamtlicher Dienstleistungen von der gemeinen Bibliotheksarbeit klar vollzogen. Mit diesem Schritt wurde auch Ängsten in der Bücherhallen-Belegschaft vor der Konkurrenz durch Ehrenamt-

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liche begegnet und der ergänzende Charakter des Freiwilligenengagements deutlich gemacht. Diese organisatorische Trennlinie ist aber letztlich nur intern gezogen, denn nach außen werden die bei der gGmbH verankerten Projekte als originäre Bibliotheksprojekte kommuniziert und mit den Bücherhallen identifiziert, sodass sie für das gesamte System einen beträchtlichen Imagegewinn generieren. Weiterer Vorteil der gGmbH-Gründung: Kleine Organisationen können deutlich flexibler und schneller reagieren als große Systeme wie die Bücherhallen Hamburg, sodass hiermit auch die Spendeneinwerbung und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern erheblich erleichtert werden.³⁰

5.6 Akquise eines Unternehmens Aufgrund des zunehmenden Interesses von Unternehmen im Bereich CSR wird es für Kultureinrichtungen und Bibliotheken zukünftig voraussichtlich leichter werden, eine CV-Partnerschaft mit einem Unternehmen einzugehen. Dennoch ist es eine große Herausforderung, ein zum Projekt passendes und zur Kooperation bereites Unternehmen zu finden. Aber auch Unternehmen, die sich im Bereich von CV engagieren wollen, suchen dafür kompetente Partner. Wo suchen sie diese und wo werden sie fündig? Auch hier kommt es für die Bibliothek darauf an, im Einzugsgebiet bestens vernetzt und gut präsent zu sein, sodass ein Unternehmen, wenn es nach möglichen Kooperationspartnern aus dem Gemeinwesen sucht, garantiert auch auf die Ehrenamtsprojekte der Bibliothek stößt. Erster Ansatzpunkt könnte z.B. ein bereits bestehendes Sponsoring-Projekt sein, in das CV integriert wird. Oder die Bibliothek nutzt ihre vielfältigen Kontakte, über die sie aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen bereits verfügt, z.B. zu Verlagen, Buchhandlungen, Lieferanten, und kontaktiert Verantwortliche in den entsprechenden Unternehmen. Diese sogenannte Warmakquise ist, da sie sich auf bereits bekannte Ansprechpartner stützt, deutlich effizienter und meistens erfolgreicher als die Kaltakquise, bei der ein Unternehmen, zu dem es bislang keine Kontakte gab, erstmals angesprochen wird. Insbesondere bei der Kaltakquise ist es notwendig, dass die Bibliothek ihre Ehrenamtsprojekte breit registriert, zum Beispiel bei Freiwilligenagenturen, bei lokalen, regionalen und bundesweiten Online-Portalen zum bürgerschaftlichen Engagement, auf den Internetseiten der Kommune / des Trägers, auf der eigenen Homepage und –

30 Die Medienboten konnten sich in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens mit einer extern akquirierten Fördersumme von insgesamt 180.000 Euro selbst finanzieren. Einige Kooperationspartner der ersten Stunde unterstützen bis heute das Projekt finanziell.

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soweit möglich – bei den großen Wohlfahrtsverbänden.³¹ Auch auf Länderebene gibt es Organisationen, die im Bereich CSR interessante Anlaufstellen bieten, oftmals mit der öffentlichen Hand kooperieren sowie als Vermittler und Ideengeber herangezogen werden können. Häufig sind hier auch Praxisbeispiele mit den jeweils kooperierenden Unternehmen dargestellt.³² Interessant sind auch bundesweit agierende Organisationen, wie z.B. „Unternehmen: Partner der Jugend“³³, die zur Verbreitung und Vertiefung des Engagements von Unternehmen bei Non-Profit-Organisationen beitragen wollen und über bundesweite Netzwerke von Mittlerorganisationen verfügen. Darüber hinaus ist die aktive Mitarbeit in lokalen bzw. regionalen Ehrenamtsnetzwerken (in Hamburg: AKTIVOLI-Netzwerk³⁴) unerlässlich, ebenso die intensive Kontaktpflege zu behördlichen bzw. städtischen Stellen, z.B. Amt für Integration, Sozialamt oder Jugendamt, in deren Tätigkeitsbereich das Thema Bürgerengagement fällt. Hilfreich sind auch die Präsenz auf lokalen bzw. regionalen Ehrenamtsmessen / -börsen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen wie die mittlerweile bundesweit stattfindenden „Marktplätze für gute Geschäfte“.³⁵ Bei der ersten Kontaktaufnahme der Bibliothek zum Unternehmen ist es wichtig zu wissen: CV ist für ein Unternehmen in der Regel eine Personalentwicklungsmaßnahme und somit häufig in der Personalabteilung verankert, oftmals aber auch in der Kommunikationsabteilung oder bei einigen großen Unternehmen auch in den in jüngster Zeit zunehmend neu entstandenen Abteilungen für CSR oder für Nachhaltigkeit. Vor der Kontaktaufnahme ist es somit unerlässlich, den richtigen Ansprechpartner für eine CV-Partnerschaft zu recherchieren und sich zu überlegen, ob die mit dieser Kooperation verbundenen Maßnahmen mit den Zielen des Unternehmens konform laufen werden. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Partnerschaft zwischen Unternehmen und Bibliothek ist, sich vorab dezidiert auszutauschen über jeweilige Ziele, Erwartungen und Ressourcen. Auch sollten eventuelle Vorbehalte seitens des Unternehmens oder der Bibliothek unbedingt thematisiert werden.

31 Zu den wichtigsten Verbänden gehören u.a. Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk sowie die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. 32 Beispiel Baden-Württemberg: http: // www.csr-bw.de. 33 Vgl. http: // www.upj.de. 34 Vgl. http: // www.aktivoli.de. 35 Vgl. http: // www.gute-geschaefte.org: Bei dieser Marktplatz-Methode treffen sich Unternehmen und gemeinnützige Organisationen und handeln individuelle Kooperationen aus (kein Geldtransfer).

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5.7 Rechtliche Fixierung der Kooperation Sind beide Partner zu einer auf Dauer angelegten Zusammenarbeit entschlossen, sollte ein Kooperationsvertrag abgeschlossen werden, in dem explizit die Erwartungen auf beiden Seiten sowie die genaue Bestimmung der Aufgaben festgelegt werden. Denn nur wenn bis ins Detail schriftlich vereinbart wird, was realisierbar ist und was nicht mehr zur Kooperation gehört, kann die Zusammenarbeit langfristig gelingen. Ein Kooperationsvertrag enthält somit neben den gemeinsamen allgemeinen Zielen, z.B. der Vermittlung von Montblanc-Unternehmensangehörigen an das Medienboten-Projekt, auch Vereinbarungen zu Leistung und Gegenleistung, zur Öffentlichkeitsarbeit, zur Fortbildung und Betreuung der Ehrenamtlichen sowie zur Benennung der für das Kooperationsprojekt Verantwortlichen auf beiden Seiten. Ebenso gehören der Ausschluss von Dienstleistungen, die Laufzeit (unbefristet), die Kündigungsfristen (jederzeit) sowie weitere formale Regelungen (Nebenabreden, Möglichkeiten von Vertragsveränderungen, unwirksame Bestimmungen) dazu.

5.8 Pflege der Kooperation Ist die Kooperation besiegelt, muss sie professionell umgesetzt sowie aktiv gepflegt und weiterentwickelt werden. Wie bei allen anderen Geschäftsbereichen der beteiligten Partner entstehen hier gegenseitige Ansprüche an die Leistungsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sowie umfassende Pflichten, die beide Seiten dauerhaft und sorgfältig zu erfüllen haben. Wichtig ist die Transparenz nach innen ins Unternehmen sowie in die Bibliothek und nach außen in die Öffentlichkeit. Dazu gehören die regelmäßige Information des Unternehmens über die Weiterentwicklung des Projektes durch die Bibliothek, der gegenseitige Austausch von Ideen, die Einladung der Unternehmensverantwortlichen zu wichtigen Bibliotheksveranstaltungen, die gemeinsame Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Erstellung eines jährlichen Projektberichtes, die Nennung des kooperierenden Unternehmens bei allen Publikationen, ein regelmäßiges gegenseitiges Feedback sowie die aktive Einbindung der Ehrenamtlichen in die Gestaltung und Weiterentwicklung des Projektes.³⁶ Je deutlicher der Nutzen für alle Beteiligten wird, desto größer ist die positive Wirkung, Würdigung und Akzeptanz dieser Kooperation jeweils hausintern sowie in der Öffentlichkeit.

36 So entscheidet bei den Medienboten eine Arbeitsgruppe aus Ehrenamtlichen, welche Medien erworben werden. Eine andere Arbeitsgruppe ist für die Akquise neuer Kunden zuständig. Wiederum weitere Ehrenamtliche tragen zur Finanzierung des Projektes durch den Verkauf von gelöschten Bibliotheksbeständen auf einem regelmäßig stattfindenden Flohmarkt bei.

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5.9 Beendigung der Kooperation Einmal jährlich sollten sich beide Partner darüber verständigen, ob sie die Kooperation fortführen wollen und wie sie diese, falls notwendig, modifizieren oder Vertragsbestandteile neu vereinbaren bzw. ergänzen. Allerdings gilt: Erfüllt die Kooperation nicht die gemeinsam getroffenen Vereinbarungen, z.B. wegen Unzuverlässigkeit der Ehrenamtlichen des Kooperationsunternehmens oder nicht abgesprochener PR, sollte die Partnerschaft in letzter Konsequenz mit einem Schlussstrich beendet werden, anstatt sie mit minderer Qualität fortzuführen.

6 Fazit CV-Kooperationen sind für Bibliotheken nicht nur zeitgemäß, sondern gesellschaftlich zunehmend notwendig. Zum einen geben sie eine adäquate Antwort auf die große und weiter zunehmende Nachfrage von Menschen, die außerhalb ihres Berufes sinnstiftende Betätigungsfelder suchen und ihre vielfältigen Talente sowie innovativen Ideen in das Gemeinwohl einbringen wollen. In der Regel werden die Freiwilligen dann zu professionellen Bibliotheksbotschaftern, wenn sie von „ihrer“ gemeinnützigen Organisation sehr überzeugt sind und das auch in ihrem Umfeld kommunizieren. Darüber hinaus ist CV sowohl für das Unternehmen wie auch für die Bibliothek eine wirkungsvolle Marketingmaßnahme, mit der es beiden Partnern gelingen kann, positive Resonanz in der Öffentlichkeit sowie in den Medien zu generieren. Und: Ehrenamtsprojekte können für beide Partner ein Türöffner für weitere Kooperationsmöglichkeiten und Projekte sein, insbesondere im sozial-kulturellen Sektor. Die Basis für eine erfolgreiche und nachhaltige Zusammenarbeit bilden der gegenseitige Respekt und die Begegnung auf Augenhöhe. Wenn man die beschriebenen Spielregeln beachtet, ist eine solche Partnerschaft für beide Seiten ein Gewinn.

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Oliver Obst

Die Zukunft des Bibliotheksmarketings 1 Einführung Mit Marketing ist nicht nur das sprichwörtliche Klappern gemeint, das zum Handwerk gehört, sondern es umfasst die gesamte Interaktion zwischen der Bibliothek (und ihren Dienstleistungen) und dem Nutzer. Beim Marketing geht es nicht nur darum, Gutes zu tun und darüber zu reden, sondern vielmehr in einem komplexen Ablauf von Bedürfnis- und Marktanalysen erfolgreiche Informationsprodukte zu erstellen. Wie Cole, Graves und Cipkowski treffend sagen: „Marketing is needed for the library to be proactive and to meet its users’ needs.“¹ Dies ist umso notwendiger, da sich die einst enge Bindung zwischen der Bibliothek und ihren Kunden durch die folgenden Faktoren zunehmend abschwächt: den Wegfall des Informationsmonopols, die Unübersichtlichkeit des Informationsmarkts sowie die Virtualisierung und Enträumlichung der Bibliotheksangebote. Hinzu kommt der zunehmende Druck vonseiten der Unterhaltsträger, einen messbaren Nutzen (Return on Investment  – ROI) nachzuweisen. Die Konkurrenz mit anderen Einrichtungen um Ressourcen wie Geld, Raum, Personal oder Aufmerksamkeit sowie die Behinderung der Arbeit durch das Klischee „Bibliothekar“ machen ebenfalls eine ausgeprägte Marketingstrategie notwendig.² Die Zukunft des Marketings soll unter den folgenden drei Aspekten behandelt werden: 1. Marketing als Öffentlichkeitsarbeit: Welche modernen Möglichkeiten der Unternehmenskommunikation existieren? 2. Marketing als Marktanalyse: Für welche Produkte und Dienstleistungen gibt es einen Bedarf? 3. Marketing als Zukunftsaufgabe: Wie wird sich das Marketing in den nächsten Jahren verändern? Gute Produkte sind die halbe Miete des Marketings, erfolgreiche Dienstleistungen vermarkten sich selber. Das Marketing der Zukunft wird deshalb primär auf erfolgreiche Produkte setzen. Die Zukunft des Marketings für Bibliotheken ist deshalb ohne die Zukunft der Bibliotheken nicht zu denken. Was sind die restlichen 50 % des Marketings? Wo immer es um Marketing geht, hilft ein Blick auf die Aktivitäten von Google. Google ist eines der innovativsten Unternehmen und erwirtschaftet 98 % seiner Einnahmen mit Werbung. Google’s Traum

1 Cole, Graves, Cipkowski 2010, S. 183. 2 Vgl. Obst 2007.

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ist „virtuous advertising, matching up buyers and sellers to the benefit of all, where the advertiser is paying for a slice of our limited attention“.³ Marketing ist damit der Kampf um die heißeste Ware im Universum in der ablenkungsreichsten Periode der Menschheit: unsere Aufmerksamkeit, unsere Zeit. Marketing ist demzufolge „die Summe aller Maßnahmen, die darauf abzielen, dass der Kunde seine Aufmerksamkeit dem beworbenen Produkt zuwendet“.⁴ Laut Ratzek hat eine Bibliothek drei Optionen des Überlebens: Zukunftstrends zu negieren, Erfolgskonzepte zu kopieren oder selber innovativ zu werden. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den beiden letzten Optionen.⁵

2 Der Kunde Hochschulbibliotheken haben zwei wichtige Kundengruppen: Studierende und Wissenschaftler. Während Studierende noch zuhauf in die Bibliothek kommen, sieht man dort kaum noch Forscher (zumindest in den STM-Fächern⁶). In den letzten 15 Jahren sind die Besuche von Wissenschaftlern und Ärzten in der Medizinbibliothek Münster nach eigenen Beobachtungen von 25 % aller Besucher auf unter 1 % gesunken, und die Welch Medical Library der John Hopkins University, eine der größten und renommiertesten Medizinbibliotheken der Vereinigten Staaten, wird am 31. Dezember 2011 ihre Pforten aufgrund der geringen Nutzerzahlen endgültig schließen.⁷

2.1 Studierende Obwohl Studierende die Bibliothekare „irgendwie nett“ finden, zeigen aktuelle Umfragen, dass sie keinen blassen Schimmer von deren Aufgaben und Fähigkeiten haben.⁸ In ihren Köpfen steckt das Klischee, dass Bibliothekare nur für die Buchausleihe zuständig sind und ansonsten kaum Fragen beantworten können, die über „Wo steht das Buch XY?“ hinausgehen. Das ist ein absoluter Marketing-Gau. Hinzu kommt der Verlust von Alleinstellungsmerkmalen. Ein Beispiel: Zurzeit sind Prüfungsanwendungen, mit denen Studierende sich online auf ihre Examina vorbereiten können, der große Renner in Medizinbibliotheken. Der Vorteil dieser Online-Anwendungen: Sie

3 4 5 6 7 8

Gleick 2011. Siehe auch Franck 1998. Vgl. Ratzek 2011, S. 148. Science, Technology, Medicine. Kelley 2011. Vgl. Duke, Asher 2011.

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sind ubiquitär nutzbar, sie können von überall aufgerufen und mit ihnen kann überall gelernt werden. Was lässt den Studierenden dann noch in die Bibliothek kommen? In einer aktuellen Umfrage in Münster wurden zunehmend auch Wohlfühlfaktoren als Grund des Bibliotheksbesuchs benannt wie z.B. „In der Bib kann ich am besten lernen“ (52 %), „Mitarbeiter sind nett“ (52 %), „Hier lernen auch andere, das motiviert“ (49 %), „Hier sind die Leute, die ich kenne“ (27 %) oder „Ich gehe gern ins Bibliotheks-Bistro“ (9 %).⁹ Marketing würde hier ansetzen und diese „weichen“ Bedürfnisse gezielt bedienen. Zum einen könnte dies durch geeignete Räumlichkeiten geschehen, wie z.B. Bistros und Gruppenarbeitsräume, in denen es ruhig auch einmal laut werden kann, sowie stille Arbeits- und Rückzugsplätze wie Einzelarbeitskabinen und auch Ruheräume. Zum anderen durch Maßnahmen jeder Art, um den Prüfungsstress zu reduzieren. Marketing für Studierende heißt für Bibliotheken also u.a., ein stimmiges Umfeld zu schaffen, in dem Studierende sich wohlfühlen. Szenario Das Paul-Ehrlich-Semester der Medizinischen Fakultät Münster steht vor einem einschneidenden Ereignis: Das zweite Staatsexamen steht in drei Monaten an. Es wird aufgrund seines Umfangs auch als „Hammerexamen“ bezeichnet. Nun ist Büffeln angesagt bis der Arzt kommt! Die Medizinbibliothek vor Ort steht ebenfalls in den Startlöchern. Wie jedes Jahr hilft sie den Prüflingen mit einem ganz besonderen Service durch diese stressige Zeit. Von den wichtigsten Lehrbüchern wurden zusätzliche Exemplare gekauft, Online-Zugänge für Prüfungstools wurden lizenziert und zusammen mit weiteren Lernhilfen wie ausgewählten, prüfungsrelevanten Kapiteln aus Online-Lehrbüchern in einem strukturierten Lernprogramm zusammengestellt. Auf der Bibliothekshomepage ist dieses Lernprogramm prominent verlinkt. Wie in einem Weihnachtskalender finden die Studierenden für jeden Tag den zu lernenden Prüfungsstoff und die entsprechenden Medien vor. Verlängerte Öffnungszeiten, Tischkicker, Billardtische, Massagen¹⁰, Ruheräume und „Silent Dance Parties“¹¹ helfen beim Stressabbau. Per E-Mail, facebook und twitter erfolgen täglich Erinnerungen zu weiteren Aktionen und Hilfsangeboten. Besonders beliebt ist das Programm „Lunch and Learn“, das den Studierenden wertvolle Zeit spart, weil das Mittagessen in die Bibliothek geliefert wird. Kaffee und Kuchen folgt an zweiter Stelle in der Beliebtheitsskala, an dritter die Massagen. Grundidee ist es, den Studierenden in jeder Phase der Prüfung zu begleiten und zu unterstützen. Am Morgen vor der Prüfung twittert die Bibliothek ein letztes Mal: „Wir drücken allen Studierenden zum Hammerexamen kräftig die Daumen!“ Nach bestandener Prüfung beglückwünscht die Bibliothek die erfolgreichen Prüflinge und stellt

9 Vgl. Obst 2011b. 10 Vgl. Rodriguez 2009. 11 Vgl. Wolf 2009.

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Taschentücher und Süßigkeiten für die Durchgefallenen zur Verfügung. Dann wird ordentlich gefeiert! Wie jedes Jahr steht der „Tanz um die Katalogkästen“ in der Bibliothek auf dem Programm. Vorher übergibt der Studiendekan die Urkunden, und die Bibliothek ehrt die besten drei Studierenden mit dem „Preis der Medizinbibliothek“ und großzügigen Büchergutscheinen. Die Bilder der drei werden mit einer kurzen Biographie in der nächsten Ausgabe der Bibliothekszeitung veröffentlicht.

2.2 Wissenschaftler Kein Wissenschaftler kommt in die Bibliothek, wenn er nicht muss. Forscher der STMGebiete nutzen die Bibliothek ausschließlich als Zeitschriftenlieferant, mit der elektronischen Zurverfügungstellung dieser Inhalte hat sich der Besuch endgültig erübrigt. Während Studierende sich wenigstens ab und zu noch in der Bibliothek zeigen und dort angesprochen werden können, nehmen Wissenschaftler die Bibliothek fast nur noch durch das Schlüsselloch ihrer Homepage wahr. Die zuvor genannten Probleme der fehlenden Kundenbindung durch Enträumlichung, Virtualisierung des Angebots etc. betrifft insbesondere diese Klientel. Zwei Fragen ergeben sich daraus: „Was kann die Bibliothek dagegen unternehmen?“ und „Wird es demnächst noch schlimmer?“. Die Chance, die Bibliothek in diesem Kontext zukünftig zu „vermarkten“, besteht darin, sich der Wissenschaft gegenüber als Organisator und Archivar von wissenschaftlichen Primärdaten anzudienen, so wie dies die TIB Hannover im DFG-Projekt CoData exemplarisch für den Bereich der Geowissenschaften getan hat.¹² Die Nachnutzung solcher Daten wird in Zukunft in den sogenannten Virtuellen Forschungsumgebungen (VRE¹³) geschehen. VREs umfassen darüber hinaus digitale Infrastruktur, Dienstleistungen und generell alles, was die Forschung erleichtert. Die Struktur der VRE ist einem Framework ähnlich, in das Werkzeuge (wie Gensequenzierer), Ressourcen (wie Substanzdatenbanken) und Dienstleistungen (wie Vermittlung von Experten) eingebunden werden können – darunter auch solche der Bibliothek.¹⁴ Bei den möglichen Bibliotheksservices, die dort angesiedelt werden könnten, sollte man eher an nutzer- als an produktorientierte Dienstleistungen denken, da sich alle Ressourcen der Arbeitsumgebung und Arbeitsweise des Wissenschaftlers unterzuordnen haben. Ein Beispiel: Heute verzeichnen Bibliotheken üblicherweise ihre Bücher im Katalog, ihre Zeitschriften in der EZB und ihre Datenbanken in DBIS¹⁵. Einige wenige Bibliotheken haben bereits den nächsten Schritt vollzogen und alle

12 http: // www.tib-hannover.de / de / die-tib / projekte / abgeschlossene-projekte / codata / (Abruf: 08.02.2012). 13 Virtual Research Environment. 14 Vgl. Fraser 2005. 15 Elektronische Zeitschriftenbibliothek und Datenbankinformationssystem Regensburg.

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Ressourcen zu einem Fachgebiet (wie z.B. Urologie) an einer Stelle auf der Webseite zusammengeführt. In der Zukunft der VREs wird es allerdings notwendig sein, diese Ressourcen weiter zu aggregieren, sodass dem Urologen bei der Behandlung seines Prostatapatienten automatisch die dazu relevanten Ressourcen angezeigt werden können. Und dies nicht etwa nur auf der Ebene der Medieneinheit, sondern auf der Ebene eines Buchabsatzes, eines Datenbankeintrags, einer Tabelle in einem Artikel. Ob Bibliothekare überhaupt in der Lage sind, innerhalb von VREs nützliche Dienste anzubieten bzw. sich dort zu vermarkten, ist aber auf bibliothekarischer Seite umstritten.¹⁶

2.3 Prosumer Der Terminus „Prosumer“ wurde von Alvin Toffler in seinem Buch „Der Zukunftsschock” etabliert.¹⁷ Heutige Nutzer tummeln sich im Web mehr oder weniger häufig in einer Art Doppelfunktion: Sie sind sowohl als Konsumenten unterwegs wie auch als Produzenten (von facebook- und twitter-Nachrichten, Blog- und Forumsbeiträgen etc.). Studierende z.B. wenden sich bei Fragen zumeist an Kommilitonen oder Google. Sie sind bzw. fühlen sich informationsautark, jeder Nutzer ist sein eigener Experte.¹⁸ Die neue Mentalität des Prosumers hat auch Auswirkungen auf das Marketing, treten Produzenten von Wissen doch selbstbewusster und fordernder auf, da sie wissen (oder zu wissen glauben), wie Informationen produziert und distributiert werden. In der Zukunft wird sich das Bibliotheks- und Informationsmarketing verstärkt mit diesem Phänomen beschäftigen müssen. Dazu ist es notwendig, einen Fuß in die Sozialen Netzwerke und Recommendersysteme der Studierenden (facebook, StudiVZ, Google+), aber auch der Forscher (XING, ResearchNet, MENDELEY) zu bekommen und Bibliotheksklischees aufzubrechen.¹⁹ Die Beziehung zwischen Bibliothek und Kunde wird in Zukunft eher als ein Informationsaustausch unter Gleichberechtigten zu gestalten sein denn als ein hierarchischer wie zwischen Behörde und Antragsteller. Marketing muss dies berücksichtigen in Sprache und Anrede. Man kann und sollte aber auch positiven Nutzen daraus ziehen, dass man es mit teils kompetenten Ansprechpartnern zu tun hat: So kann man z.B. die Gestaltung von Werbevideos für Bibliotheken ruhig in Nutzerhände legen, wie zahlreiche Library Video Contests beweisen.²⁰

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Vgl. Christensen 2010. Vgl. Toffler 1970. Vgl. Obst 2008a. Siehe den Beitrag „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp in diesem Handbuch. Vgl. American Library Association 2011; Deutsche Zentralbibliothek für Medizin 2011.

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2.4 Personifizierung Im Film „Minority Report“ flieht Tom Cruise durch eine Shopping Mall. Er versucht sich zu verbergen, wird aber von den Geschäften identifiziert und persönlich mit Namen angesprochen. Die Personifizierung erfolgt per Iriserkennung.²¹ Was im Film eine klaustrophobe Atmosphäre schafft, könnte über kurz oder lang Realität werden: Die Technik dazu steht längst bereit.²² Algorithmen zur Gesichtserkennung sind so gut und Kameras so allgegenwärtig, dass bereits heute die Realnamen von Kunden identifiziert werden können, sobald ein benamtes Foto aus dem Internet vorliegt, z.B. aus facebook.²³ Der Designerladen oder die Bäckerei um die Ecke könnten dann statistische Aussagen über ihren Kundenstamm treffen, wie z.B. Altersgruppen, Geschlecht oder Ausbildungsgrad.²⁴ Dafür würden sogar anonymisierte Daten genügen. Geht man mehr in die Tiefe, können individualisierte Kunden- und Benutzungsprofile erstellt werden, wie z.B. über wiederkehrende (treue) Kunden oder tagesrhythmisches Konsumverhalten. Der Kunde kann aber auch in Echtzeit mit für ihn bestimmten Werbebotschaften angesprochen werden, wie aus „Minority Report“ bekannt. Targeting-Möglichkeiten aus der OnlineWerbung könnten so in die Offline-Welt übertragen werden.²⁵ Auch die Google-Macher haben schon früh zu erkennen gegeben, dass sie die Zukunft im personifizierten Marketing sehen. Im Zeitalter der „augmented humanity“²⁶ werden große Anstrengungen und Ressourcen in die Identifizierung und Profilierung von Personen gesteckt – meist durch Sammlung des Surfverhaltens des Benutzers. Die Folge: Google kann detaillierte Benutzerprofile und ebenso detaillierte Werbeeinblendungen erstellen, die gezielt auf einen Ort, eine Zeit oder einen individuellen Kunden zugeschnitten sind  – notwendige Voraussetzung für die Erfüllung des Marketingtraums, nur noch das als Werbung anzeigen zu lassen, was der Kunde sehen will. Obwohl sie nicht mit den technischen und finanziellen Möglichkeiten von Google mithalten können, besitzen Bibliotheken einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Sie kennen ihre Benutzer und besitzen deren Namen, Adresse, Geburtsdatum, E-Mail usw. Haben Bibliotheken damit schon einen Informationsvorsprung vor Google oder facebook? Nein, denn sie wissen in der Regel weniger über die Vorlieben und Freunde ihrer Nutzer als die beiden großen Internetplayer. Hier wäre es wichtig, Benutzungs-

21 Identifizierung einer Person durch visuelle Erfassung der Iris. 22 Vgl. Acquisti, Gross, Stutzman 2011. 23 Ebd. 24 Zu der Katastrophe in der Privatsphäre, die da über uns alle hereinzubrechen droht, und den bereits existierenden Möglichkeiten der vollkommenen staatlichen Überwachung vgl. Smith 2011. 25 Vgl. Lischka 2010. 26 Vgl. Claburn 2009.

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profile zu erstellen, im Voraus zu wissen, was welchen Benutzer interessieren könnte, und diese Bedürfnisse proaktiv zu befriedigen. Trotz der im Prinzip guten Ausgangslage wissen Bibliotheken aber bei Weiten nicht genug: Wie viel Prozent des vierten Semesters nutzen die Dienste der Bibliothek? Wie heißen die Nichtnutzer? Wo hat jeder seine informationelle Schwachstelle? Wie kann ich ihn in die Bibliothek locken? Ohne eine Kenntnis der individuellen Ursachen für Nutzung bzw. Nicht-Nutzung gibt es keine Grundlage für eine vernünftige Marketingaktion, ohne eine Kenntnis der einfachsten Performancekriterien gibt es keine Grundlage für eine vernünftige Evaluierung. Bei Letzterer stoßen rein quantitative Nutzungsmessungen sehr schnell an ihre Grenzen. Dies gilt sowohl für die studentische Nutzung von Lehrbüchern als auch für die wissenschaftliche Nutzung von Zeitschriften. So sagen die stetig steigenden Nutzungszahlen der Universität nichts über den Prozentsatz der aktiven Nutzer oder die spezifische Nutzerklientel aus. Deshalb gilt es, die Datenlage zu verbessern, z.B. könnten die Verträge mit OnlineAnbietern so modifiziert werden, dass ein Zugriff auf personalisierte Nutzungsdaten möglich wäre. Marketing der Zukunft ist personalisiertes Marketing. Dies bedeutet herauszufinden, welche potenziellen Kunden die Dienstleistungen der Bibliothek nicht oder nur unzureichend in Anspruch nehmen und welche individuellen Gründe dahinter stehen. Noch kennen wir unsere Nutzer, weil die meisten Studierenden einen Benutzerausweis haben und Bücher ausleihen. Aber E-Book-Nutzer sind nicht im Ausleihsystem nachgewiesen, von ihnen wissen wir nichts. Noch ist die Datenlage gut, aber in Zukunft muss vielleicht verstärkt auf Werbeaktionen und Gewinnspiele zurückgegriffen werden, um herauszubekommen, wer unsere Nutzer sind und was sie machen.

3 Die Bibliothek 3.1 Kundenbindung Viele Studenten bezeichnen die Bibliothek als ihr Zuhause. Dies ist nicht (nur) auf die Zeit gemünzt, die man dort verbringt, sondern auch auf die Atmosphäre, die man dort empfindet. Und dann möchte man es auch so wie zu Hause haben: Nutzer wünschen sich Wasserspender, Mikrowellen, Espressomaschinen, Schlafgelegenheiten, Punchingbälle, Yogamatten.²⁷ Wenn sich ein Student zu der Aussage hinreißen lässt: „The library is my home away from home“, hat es die Bibliothek marketing- und kundenbindungstechnisch wohl geschafft.²⁸

27 Vgl. Obst 2011c. 28 Vgl. Kueh 2006.

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Wenn Studierende dank Google, Google Books und der ubiquitären Ressourcen der mobilen Bibliothek jederzeit und überall lernen können, dann entscheiden nicht die Basics, sondern die Marginalien über den Erfolg der Bibliothek: „weiche“ Faktoren wie die Anwesenheit von Peers, Essen und Trinken, Wohlfühlstimmung, Atmosphäre. Bibliotheksmarketing verlagert sich somit vom Verkauf des „Steaks“ zum Verkauf des „Brutzelns“.²⁹ Circle bestätigt, dass es nicht nur mehr um die Inhalte geht („Libraries want to be all about content. But now that content is everywhere“), sondern darum, dass der große Vorteil der Bibliotheken in der emotionalen und persönlichen Verbindung zum Nutzer besteht.³⁰ Während Studierende leicht erreichbar sind, weil sie in der Regel die Bibliothek noch besuchen, ist die Kundenbindung zum Wissenschaftler lose und brüchig geworden. Ursache ist der Übergang von den gedruckten zu den elektronischen Zeitschriften, der seit einigen Jahren (zumindest in der Medizin) abgeschlossen ist. Es gibt keinen Grund mehr, die Bibliothek aufzusuchen, alles ist im Internet. Vielfach fehlt beim Kunden selbst das Wissen darüber, wieso die Zeitschriften im Internet verfügbar sind, wer sie abonniert hat. Man versteht den Sinn der Bibliothek nicht so richtig und fühlt sich nur vage an sie gebunden. Auch wenn der Wissenschaftler auf die Dienste der Bibliothek zurückgreift, weiß er vielfach nicht mehr, wessen Kunde er ist. Ein Eingreifen erscheint dringend erforderlich, nicht zuletzt, weil einige dieser Wissenschaftler über den Etat und die Zukunft der Bibliothek entscheiden. Welche Maßnahmen zur Generierung von Mehrwerten könnten an einem solchen Punkt das Bewusstsein und die Bindung zur Bibliothek stärken? Eine viel benutzte Methode zur Verstärkung der Kundenbindung sind Belohnungen wiederholter Käufe innerhalb von Customer Loyality Programs. Bekannt sind Payback-Karten, Rabattmarken oder bloße Ehrentitel wie der „Major“ bei foursquare. Kunden lieben es, etwas geschenkt zu bekommen, sei es der kostenfreie Frapucchino und freies WLAN bei Starbucks oder mehr Freigepäck und die Senator Lounge bei Lufthansa. Die Lufthansa hat mittlerweile aus Miles & More einen geschlossenen Geschäftskreislauf gemacht: Die Prämie für x-tausend geflogene Meilen besteht aus einem Paar Socken; die Prämie für den Kauf eines Paares Socken beträgt x-tausend Meilen.³¹ Damit hat sich ein Kundenbindungsmodell (Vielflieger) zu einem neuen Geschäftsmodell entwickelt.³² In Bibliotheken sind die nicht materiellen Anreize interessanter als die materiellen Prämien, da Letztere naturgemäß schwerer zu beschaffen sind. Andererseits

29 Wheeler 1940. 30 Vgl. Circle 2009, S. 29. 31 Prämienmeilen bei Blacksocks (http: // www.miles-and-more.com / online / portal / mam / de / earn / shopping / offer?nodeid=3178898&l=de&cid=18002) (Abruf: 05.05.2012). 32 Das Prinzip von Blacksocks ist, dass jede Socke zu jeder Socke passt, auch bei Nachbestellung.

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ist Geld nicht alles und wird durch Kreativität oft mehr als aufgewogen.³³ Spezielle Mitgliedschaften, Ausweise, Zugänge zu limitierten Events, Räumen oder exklusiver Service vermitteln den Kunden das Gefühl, einer auserwählten Elite anzugehören, „etwas Besseres zu sein“ und dementsprechend umworben und bedient zu werden. Hier sind der Phantasie des Marketings keine Grenzen auferlegt, sich Belohnungssysteme auszudenken. Mit der bevorzugten Behandlung dürften sich allerdings Bibliotheken etwas schwerer tun als die freie Wirtschaft, da gerade der barrierefreie und gleichberechtigte Zugang zu Informationen und die Förderung aus Steuergeldern einer Vorzugsbehandlung eher entgegenstehen. Weitere Beispiele in Bibliotheken sind Bonuspunkte für Ausleihen, wie Bieselin es beschreibt:³⁴ Punkte für jede Ausleihe, extra Bonuspunkte bei Verlängerungen über das Internet, ein Stempelpass für Kinder für ihre Bibliotheksbesuche mit einer kleinen Überraschung bei zehn Stempeln. Bei Studenten bietet sich ein Schulungspass an, für jede Einführungsveranstaltung gibt es einen Stempel; für einen vollen Pass bekommt man ein Zertifikat der Informationskompetenz oder zwanzig CMEPunkte. Auch mit kleinen Give-aways lässt sich hier Aufmerksamkeit erzielen, wie die Pharmavertreterbranche beweist. Eine andere Form, Kundenloyalität herzustellen, besteht in der Errichtung von Wechselbarrieren: Der Kunde soll so fest gebunden werden, dass es negativ für seine Arbeit wäre, wenn er auf ein Konkurrenzprodukt ausweichen würde. Die Universität Münster hat das Literaturverwaltungsprogramm RefWorks für ihre Angehörigen lizenziert. Etliche Wissenschaftler haben nun viel Zeit und Mühe investiert, dort ihre Literatur einzutragen. Es mag sehr viel bessere Programme geben, aber alleine der Aufwand, der mit einem Wechsel verbunden wäre, lohnt sich nicht und lässt die Kunden davor zurückschrecken. Sie bleiben RefWorks-Kunden, weil der Wechsel mehr kosten würde als das Bleiben. Das Produkt macht sie zum Dauerkunden. Sobald man allerdings den Geschäftserfolg nicht als Kundenbindung definiert, sondern als Kundenzufriedenheit, geht diese Rechnung möglicherweise nicht mehr auf. Der große Vorteil lokaler Dienstleister wie z.B. der Bibliothek einer Hochschule besteht darin, dass der Kunde „bekannt“ ist und von der Immatrikulation bis zum letzten Examen sowie darüber hinaus kontinuierlich begleitet werden kann. Dies ist eine stabile, oft langjährige Beziehung, die es gilt vom Bibliothekar bewusst wahrzunehmen, zu pflegen und entsprechend damit zu arbeiten. Eine freundschaftliche, vertrauensvolle Beziehung zwischen Kunde und Bibliothekar ist im Sinne des Marketings höchst wünschenswert, stärkt sie doch die Kundenbindung und ist gegenüber Mitbewerbern ein echtes Alleinstellungsmerkmal.

33 Vgl. Ratzek 2011, S. 149. 34 Vgl. Bieselin 2005, S. 370.

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Statt sich nun aber der Pflege dieser Beziehung zuzuwenden, geht in Bibliotheken viel Mühe und Energie bei der Beseitigung von historisch gewachsenen Nutzungsbarrieren verloren. Wie Christensen berichtet, trat z.B. in Lüneburg eine hochschulpolitische Gruppe auf, deren erste Forderung der Wegfall der Pflicht zur Abgabe der Garderobe in der Zentralbibliothek war.³⁵ Und in der Tat bereitet es einige Mühe, einen solchen Paragraphen angesichts von Buchsicherungsanlagen heutzutage noch zu rechtfertigen. Wie die Leiterin der dortigen Benutzungsabteilung muss wohl jeder Bibliothekar nach einem kurzen Stöbern in der Benutzungsordnung seiner Bibliothek zugeben, dass einige dieser Regeln „die Selbstbestimmtheit unserer Benutzer beeinträchtigen, ohne dabei allzu viel zu gewinnen“.³⁶ Christensen fordert darum „das konsequente und ehrliche Bemühen darum, eine Bibliothek so einladend wie möglich zu gestalten und den Besuch so einfach wie es eben geht“.³⁷ Ein starker Gedanke zur Neuaufstellung einer benutzergetriebenen öffentlichen Einrichtung und eine hervorragende Marketingidee, da die Aufhebung von Verboten „richtiggehend Marketing für Bibliotheken sein“ kann, wie Georgy feststellt.³⁸ In dieselbe Kerbe schlägt Bill Mayer, Universitätsbibliothekar der American University, Washington DC. Er findet es sehr schade, dass die meisten Entscheidungen in Bibliotheken aufgrund von Misstrauen getroffen werden. Bibliothekare seien oft wie gelähmt, Risiken einzugehen, weil sie leicht glauben würden, die Benutzer könnten etwas stehlen, zerstören, missbrauchen oder nicht verstehen. Diesem „fear-based decision-making“ stellt Mayer das „trust-based decision-making“ entgegen: „Trust is the most important aspect of the work we do – without it, there can be no change, no movement, no growth“³⁹… und keine tragfähige Beziehung mit dem Nutzer. Nach Nunn lohnt es sich absolut, Vertrauen zu investieren, da „most satisfying customer service exchanges happens with trusted people“.⁴⁰ Nur durch gegenseitiges Vertrauen zwischen Benutzer und Bibliothekar ist ein Fortschritt in der Beziehung möglich, ein Fortschritt, der beide Gruppen zufriedener und erfolgreicher macht. Gerade das Personal an der Ausleihstelle und der Auskunft weiß von langjährigen, vertrauensvollen Beziehungen mit Studierenden zu berichten. Diese sind für beide Seiten von großem Nutzen: Der Studierende bekommt das, was er will, in angenehmer Atmosphäre, er bekommt ein positives Bild von der Bibliothek und gibt es per Mundpropaganda weiter. Es gibt wenige Institutionen, die es in puncto „trust economy“ mit der Bibliothek aufnehmen können.⁴¹

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Vgl. Christensen 2011. Christensen 2011. Ebd. Vgl. Georgy 2010. Mathews 2010. Nunn, Ruane 2011, S. 296. Vgl. Circle 2009, S. 28.

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Wie eingangs festgestellt, bedeutet Marketing einen Kampf um die Aufmerksamkeit des Kunden. Der Kunde opfert gerne seine Aufmerksamkeit, wenn er sich mit der Bibliothek / den Bibliothekaren emotional verbunden fühlt. Die emotionale Verbindung kann durch verschiedene Mittel wie Umfragen, Fokusgruppen, Bibliotheksclowns⁴², Abstimmungen, Kaffee und Kuchen etc. verbessert und gepflegt werden. Ein wichtiges Ziel dabei ist es, dass die Studierenden sich wertgeschätzt fühlen  – nicht nur als Benutzer oder Kunden, sondern als selbstbestimmte Persönlichkeiten. Das Kundenerlebnismanagement (Customer-Experience-Management  – CEM) ist eine weitere Stufe der Kundenbindung. Laut Wikipedia zielt CEM auf die „Schaffung positiver Kundenerfahrungen zum Aufbau einer emotionalen Bindung zwischen Anwender und Produkt oder Anbieter ab“.⁴³ Aus zufriedenen Kunden sollen loyale Kunden und schließlich „begeisterte Botschafter“ des Produkts gemacht werden. Ohne direkten Kundenkontakt wird dies nicht möglich sein: „[…] one-on-one personal assistance will remain its centrepiece.“⁴⁴

3.1.1 Hausbesuche Bibliothekare, die Kunden bei ihrer Arbeit aufsuchen, sind nichts Neues. Speziell in angloamerikanischen Hochschulbibliotheken ist diese Spezies als „Roving, Liaison oder Clinical Medical Librarian (in der Medizin)“ recht weit verbreitet. Die Zweigbibliothek Medizin in Münster bietet seit 2008 sogenannte Hausbesuche an, die zu 90 % eine reine Marketingmaßnahme sind. Sie dienen als Türöffner und Kontaktbörse, in einem zweiten Schritt werden diese vertieft und institutionalisiert, und es werden personalisierte Schulungen vor Ort durchgeführt.⁴⁵ Angesichts der Entmaterialisierung der Beziehung zwischen Bibliothek und Wissenschaftler ist zu erwarten, dass dieser Servicebereich ausgebaut und professionalisiert wird und werden muss, um die Kundenbindung zu verbessern. Als Vorbild könnte hier die sprichwörtliche AVON-Beraterin dienen, die „ein gepflegtes Auftreten besitzt“ und „selbstsicher und freundlich im Umgang mit Kunden ist“,⁴⁶ oder die reisenden Vertreter der pharmazeutischen Industrie, die „kommunikative, offene Typen sind, redegewandt und in der Lage, selbstständig zu arbeiten. Man betreut sein Gebiet in der Regel sehr eigenverantwortlich, ist an keine fixen Dienstzeiten gebunden und muss sich auch selbst motivieren können, außer Haus zu gehen.“⁴⁷ Eigenschaften,

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Vgl. Obst 2011a. Wikipedia 2011a. Nunn, Ruane 2011, S. 299. Vgl. Obst 2008b. http: // www.avon.de / PRSuite / your_dream_opportunity.page (Abruf: 05.05.2012). Kraule 2011.

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die auch in zukünftigen Stellenbeschreibungen für Informationsbibliothekare oder Fachreferenten nicht fehlen sollten. Die Bibliothek wird und muss immer mehr „auf die Straße“ gehen, dort (pro) aktiv potenzielle Kunden suchen, sie in ihren Lebenszusammenhängen aufsuchen.⁴⁸ Dies wird zum einen physisch geschehen, wie u.a. bereits jetzt in Freiburg (Roadshow), Köln (Visiting Librarian), Münster (Hausbesuche) oder Baltimore (Embedded Librarian⁴⁹). Zunehmend wird dies aber auch virtuell stattfinden müssen. Bibliothekare surfen im Web, suchen nach Kunden, antworten auf dort gestellte Fragen und weisen auf die Dienste von Bibliotheken hin. Dies kann alleine oder in Kooperation mit anderen Institutionen erfolgen.⁵⁰ Dazu muss sich die Bibliothek bewegen – sowohl geistig als auch räumlich. Die Nähe zu den Kunden, zu den wissenschaftlichen Communities ist unabdingbar für ihren Erfolg. TESCO bewirbt seine virtuellen Einkaufsregale in südkoreanischen U-Bahnhöfen mit exakt der gleichen Idee: „Take the Store to the Customer.“⁵¹ Dabei können neue technische Hilfsmittel wie das iPad⁵², ubiquitäre Ausleihe⁵³ und Anbindung an die Datenbanken der Bibliothek den rein persönlichen außerhäuslichen Kontakt ergänzen und durch unmittelbare Einbeziehung aller weltweiten Informationsressourcen auf ein neues Level heben. Der Slogan hinter diesem Konzept lautet: „You could literally take your library anywhere.“⁵⁴ Das schließt natürlich den Bibliothekar mit ein. Das partizipative Bibliothekswesen greift dieses Konzept auf.⁵⁵ Dabei gehen Bibliothekare in die Communities hinein mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedern der Communities und zwischen verschiedenen Communities zu fördern. Sie nehmen also eine Mittler- und Schnittstellenfunktion ein. Lankes bemerkt dazu: Dieses Erleichtern der Wissensschöpfung in Partnerschaft mit den Communities macht eine Bibliothek aus – nicht ihre Sammlungen, Blogs, Kataloge oder das Efeu an den Mauern.⁵⁶

Die eigentliche Wertschöpfung (und Kunst) ist es, den Mitgliedern der Communities Inhalte und Antworten zu liefern, bevor sie überhaupt danach gefragt haben.

48 Vgl. Rundle 2011. 49 Vgl. Kelley 2011. 50 Zum Beispiel Chasing the Sun, InfoDesk Bayern, DigiAuskunft NRW. 51 http: // www.golem.de / 1107 / 84836.html (Abruf: 05.05.2012). 52 Vgl. Tennant 2011. 53 Ubiquitäre oder mobile Ausleihe ermöglicht die Ausleihe von Büchern „at the point of need“. Vgl. Holmquist 2010. 54 Tennant 2011. 55 Vgl. Hamilton 2011. 56 Lankes 2009.

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Szenario Es ist wieder Herbst – Reisezeit, Kongresszeit. Die Tagungen sprießen aus dem Boden wie Pilze nach einem Regen. Die Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim ist vorbereitet und hat sich auf die Lauer gelegt. Der Kalender der Medizinkonferenzen vom Spitta-Verlag ist dabei eine große Hilfe, aber noch wichtiger sind die Hashtags (Schlagworte) von twitter. #jtdgk11 ist die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, #dvgkcmd2011 der Kongress der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik und #dgss11 ist die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin – alle finden in Mannheim statt! Kurz nach Konferenzbeginn twittern bereits die ersten Teilnehmer um die Wette. Da sie brav die Hashtags benutzen, sind die Konferenztweets leicht zu finden. Aha, da ist schon der erste interessante Tweet. @karddoc07 schreibt: „Doll über Geschichte der Kardiologie in Dtland. Müsste man eigentlich mehr drüber wissen #jtdgk11“. Die Bibliothek reagiert sofort und tweetet an @karddoc07: „Standardwerk über Geschichte der DGK steht in Medbib Mannheim im Lesesaal unter WG113 / 5. Öffnungszeiten Mo-So 8-24 Uhr. Weitere Infos an Messestand 546“, zusammen mit einem Link zur Titelaufnahme im Katalog. Und da kommt auch schon der nächste Tweet, diesmal von @mercksalesrep: „Rupert Knecht über Galloperidolsäure bei Interstiellen Abszessen. Nie gehört. Wer ist das? #jtdgk11“ Die Bibliothek twittert sogleich zwei Links zurück: Den Wikipedia-Eintrag über Knecht und die Liste seiner Paper bei PubMed. So geht es munter weiter, und nach kurzer Zeit ist der Konferenzstand der Mannheimer Medizinbibliothek von Informationen heischenden Messebesuchern nur so umlagert.

3.2 Elektronische Medien In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren haben Bibliotheken ein umfangreiches Portfolio an elektronischen Ressourcen angehäuft, das in vielen Fällen sogar die Menge der gedruckten Bestände deutlich überschreiten dürfte. Der Übergang von gedruckten zu elektronischen Medien hat sich bei den meisten Bibliotheken jedoch nicht auf das Marketing ausgewirkt. Noch immer beschränkt sich die Bewerbung von E-Ressourcen auf die Verzeichnung in Nachweisinstrumenten (und dies eher aus administrativen als aus Marketinggründen) oder das Aufhängen von Verlagsplakaten im Lesesaal. Dabei gibt es eine Vielzahl von interessanten Möglichkeiten, die sich aus der Art des Mediums ergeben, diese Ressourcen zu bewerben, sei es mit QR-Codes⁵⁷ (siehe Abschnitt 4.3.1) am Regal der Lehrbuchsammlung, mit wöchentlichen Rezensionen

57 QR-Codes sind zweidimensionale Barcodes, die Texte wie Titelaufnahmen oder Webadressen codieren und mit Handykameras auslesbar sind. Siehe auch den Beitrag „Mobiles Marketing“ von Vatter in diesem Handbuch.

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von elektronischen Neuerwerbungen in Blogs, auf Homepages oder in Mailinglisten. Verlinkungen verführen zu Klicks und steigern die Zugriffsraten signifikant.⁵⁸ In Übersee werden diese deutlich aktiver vermarktet.⁵⁹ Wie das zukünftige bibliothekarische Marketing aussieht, wird davon geprägt sein, wie die zukünftige Bibliothek aussieht. Hier einige Prognosen: Wissenschaftler kommen nicht mehr in die Bibliothek, da alles was sie brauchen online zur Verfügung steht. Die Bibliothek muss also zu ihnen gehen. Der zukünftige Bibliothekar bzw. Fachreferent wird seine Kunden in ihrer Arbeitsumgebung aufsuchen⁶⁰, sie schulen, die Dienstleistungen der Bibliothek (oder anderer Institutionen⁶¹) bewerben und im Idealfall sogar Teil der Forschungsgruppe werden.⁶² Im Front- und im Backoffice bilden Fachreferenten mit Bibliothekaren ein schlagkräftiges Team. Die Bibliothek als Ort entwickelt sich zu einer optimierten und angenehmen Lernumgebung (unter vielen) für Studierende mit allem, was benötigt und angemessen ist: Café, komfortable Sitz- und Relaxmöbel, PCs, Laptops, Tablets, E-Book-Reader, WLAN usw. Alle nur denkbaren Arbeitsweisen werden unterstützt: Einzelarbeitskabinen, Kleingruppen, Großgruppen, Vorlesungen, Audio-Video, Virtuelle Realität, 3D, simulierte Operationen (Medizin). Die retrospektive Erwerbungspolitik richtet sich strikt nach den Bedürfnissen der Nutzer und der Statistik ihrer Zugriffe, die prophylaktische wird auf Benutzervorschläge zurückgreifen (Patron Driven Acquisition). Ein Hauptaugenmerk wird auf der möglichst langfristigen Sicherung und Verfügbarkeit sowohl von erworbenen als auch von hochschulintern produzierten Daten liegen (Data Curation).⁶³ Inhalte werden zentralisiert (Konsortial- und Nationallizenzen). Da Verlage, Google und Nutzer zunehmend originäre Funktionen der Bibliothek (Content Access) übernommen haben, verlegt sich das Wirken der Bibliothekare auf vermittelnde, schulende und organisatorische Aufgaben. Image und Klischees von Bibliothekaren werden aufgebrochen und überwunden. Die Bibliothek entwickelt sich zur Teaching Library; Blended Learning wird erfolgreich eingesetzt, um Informationskompetenz zu lehren. Studierende werden dann wieder mehr von Bibliothekaren erwarten, als nur Bücher auszuleihen. Die Bibliothek wird generell alle Informationen und Auskunftsdienste in einem sozial nutzbaren Format anbieten.⁶⁴ Zuerst natürlich RSS, dann aber auch Bilder,

58 Vgl. Obst 2010a. 59 Vgl. Kennedy 2011; Nooshinfard, Ziaei 2011. 60 Vgl. Obst 2008b. 61 Die Bibliothek weiß als gut vernetzte, zentrale Universitätseinrichtung, was anderswo läuft, und bringt Menschen und Projekte zusammen. 62 Vgl. Plutchak 2011. 63 Ebd. 64 Vgl. Henry 2011.

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Audios, Videos, Schulungen, Mashups⁶⁵, APIs⁶⁶. Sie wird zurechtgeschnittene, technologisch passende Informationen liefern, die perfekt zum Activity Stream des Nutzers passen.

4 Die Mobile Revolution Mit Sozialen Netzwerken, die Jederzeitdevices mit hochpersönlichen Informationen füttern können, und Smartphones, mit denen man immer und überall ins Internet kann, […] sind Technologien auf dem Vormarsch, welche die Macht haben, jeden Winkel der Welt zum Warenregal zu machen, die Beziehung zwischen Verkäufer und Kunden umzudefinieren, und welche die Freiheit des Konsumenten gleichzeitig erweitern und bedrohen. Technologien, die bereits begonnen haben, unsere Wahrnehmung und unser Verhalten zu ändern. Immer engmaschiger wird das mobile Internet. Eine neue Konsumära bricht an. Die Welt wird zu einem einzigen, alles durchdringenden Werbebanner.⁶⁷

2011 sollen 450 Millionen Smartphones an den Kunden ausgeliefert worden sein, 50 % mehr als noch 2010. Es gibt rund vier Milliarden Mobilfunkverträge weltweit, 95 % der Menschen aus der jüngeren Generation besitzen ein Mobiltelefon, weltweit ist eine Vervierfachung der mobilen Nutzung des Internets von 2008 auf 2010 zu verzeichnen gewesen, es gibt mehr internetfähige Handys als PCs, und bis 2015 wird ein 300-faches Wachstum der übertragenen Datenmenge erwartet. Der Anteil der mobilen Internetnutzung steigt in Deutschland Jahr für Jahr an und hat sich z.B. in der bibliotheksrelevanten Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen innerhalb nur eines Jahres verdoppelt.⁶⁸ Dabei werden Datenraten immer höher und Flatrates immer preiswerter. Der Pew Internet & American Life Report sagt voraus: „In the year 2020, the mobile device will be the primary connection tool to the internet for most people in the world.“⁶⁹ Folgerichtig wird mobiles Marketing sehr bald der Hauptweg sein, Kunden zu erreichen.⁷⁰ Es wird prognostiziert, dass im Jahre 2015 mindestens 80 % aller Werbeausgaben auf mobile und soziale Anwendungen entfallen werden.⁷¹ Das Bedürfnis, alles dabeihaben zu wollen, wird auch vor den Kunden der Bibliothek nicht haltmachen. Es ist so mächtig wie ein Wirbelsturm, der über alles hinweg-

65 Mashups verknüpfen Dienste und Informationen über APIs und dienen so der Erstellung neuer Inhalte. 66 Application Programming Interface, eine Programmierschnittstelle z.B. zum direkten Zugriff auf den Bibliothekskatalog und Bibliotheksdaten allgemein. 67 Schultz 2011. 68 Vgl. Statistisches Bundesamt 2011. 69 Pew Internet & American Life Project Record 2008. 70 Vgl. Circle 2009, S. 27. 71 Vgl. Farb 2011.

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fegen und jeden Informationsanbieter, der dieses Bedürfnis nicht befriedigen kann, wie eine baufällige Holzhütte zerquetschen wird, wie Matt Galigan, der CEO von SimpleGeo, betont: Your mobile device will touch every part of your life: it will be your wallet, your identity, your car keys, house keys, communication, social life and far more. All of these technologies already exist, but they will become more pervasive and engrained in everyday society in just a few short years.⁷²

Als Nicht-mehr-Monopolist und Nur-noch-Zwischenhändler wird es für Bibliotheken immer wichtiger, die Inhalte in einer geeigneten Form zum Konsumenten zu transportieren. Es reicht nicht aus, einfach eine Webseite für mobile Geräte zu erstellen. Denn: Wo mein Handy, Smartphone oder Laptop ist, ist mein Arbeitsplatz. Die einstigen mobilen Spielzeuge könnten eines Tages über die Existenz von Bibliotheken entscheiden. Ein weiterer Grund, sich schnell in mobile Angebote einzuklinken: Immer mehr Fachgebiete bauen auf mobile Anwendungen. Die Medizin ist hier federführend mit der mobilen Patientenakte, der mobilen Patientenaufklärung und mobilen klinischen Informationssystemen. Mobiles Computing ist nicht nur etwas für Technikfreaks, sondern wird zukünftig Handwerkszeug aller Fachbereiche und Bevölkerungsschichten sein, mit denen die Bibliothek zu tun hat. Einige positive und wegweisende Beispiele finden sich in Abschnitt 4.2 „Appsologie“. In diesem Zusammenhang sei auf die Gartner Hype Cycles⁷³ verwiesen, die Bibliotheken Hinweise darauf geben können, was die Zukunft bringt.

4.1 Near Field Communication Near Field Communication (NFC) ist eine Funktechnologie, die auf RFID⁷⁴ basiert. NFC funktioniert auf kurze Entfernungen und kann je zwei Geräte zum Datenaustausch miteinander verbinden. Laut Unternehmensberater Stefan Wannmacher ist NFC ein Türöffner für den mobilen Zahlungsverkehr.⁷⁵ Fast alle Smartphone-Hersteller haben NFC-Unterstützung angekündigt. Die Vision des besonders auch von Google gepushten Zahlungsverkehrs:

72 73 74 75

Galligan 2011. Vgl. Gartner 2011. Radio-Frequency Identification. Vgl. Kleinz 2011, S. 2.

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Beim Einkaufsbummel schicken die Geschäfte in der Umgebung ihre Sonderangebote direkt aufs Smartphone des Kunden. [Diese] vergleicht die Angebote und führt den Kunden ins richtige Geschäft, in dem die Ware schon auf ihn wartet.⁷⁶

Mit dem mobilen Bezahlsystem Google wallet⁷⁷ – „designed for an Open Commerce Ecosystem“ – ändert sich laut Google die Art und Weise, wie wir unsere Waren und Rechnungen bezahlen, zum dritten Mal in der Geschichte. Google sieht sich in der Tradition von Münzen – Geldscheinen – Kreditkarten – E-Wallet gut aufgestellt. Virtuelle Versionen des Plastikgeldes werden im Smartphone abgelegt, es wird kurz gegen die Kasse gehalten und per NFC wird der Zahlungsvorgang authentifiziert und abgeschlossen. Werbung krankt bisher daran, dass keiner so genau weiß, welche Hälfte des Werbeetats erfolgreich Käufer angelockt hat. NFC könnte der Ungewissheit ein Ende bereiten. Da auf die Smartphone-Werbung der Smartphone-Kaufakt unmittelbar folgt, kann beides miteinander in Verbindung gesetzt werden. Zu wissen, dass jemand etwas gekauft hat, weil er irgendwo eine Werbeanzeige gesehen hat, ist der heilige Gral des Marketings.⁷⁸ NFC-Technologie kann auch für Bibliotheksdiensleistungen genutzt werden, z.B. für Leitsysteme, Audiotouren und generell für alles, wofür heute QR-Codes eingesetzt werden, darüber hinaus aber auch für Bezahl- und Verbuchvorgänge.

4.2 Appsologie Mein Haus. Mein Auto. Meine App. Anwendungsprogramme für Smartphones und mobile Computer erobern die Welt – weil sie nützlich sind, Spaß machen und natürlich auch ein Statussymbol sind. Apps zeigen kontext- und geosensitive Informationen, machen Handlungsvorschläge und verweisen auf interessante Events und Restaurants. Apps bieten Fragen und Antworten zugleich – ohne dass man vorher fragen müsste.⁷⁹ Werbung stellt sich in diesem Kontext etwas anders dar, als man es aus der Zeitung oder dem Fernsehen kennt. Neben nervigen Anzeigen in werbefinanzierten Apps findet man Apps, die einen Nutzen bieten, sei es ein Bonus oder ein Rabatt, der nur über die App zu erhalten ist (wie z.B. bei U-snap⁸⁰), sei es eine McDonald’sApp, die nicht nur die Big-Mac-Imbisse, sondern alle Restaurants in der Umgebung

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Vgl. Kleinz 2011, S. 1. http: // www.google.com / wallet / (Abruf: 05.05.2012). Frommer 2011a. Vgl. Frommer 2011b, S. 7. http: // usnap.de / (Abruf: 05.05.2012).

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anzeigt. Apps wie SHAZAM®⁸¹ sind viel genutzt, da sie Musikstücke identifizieren können. Das ist nicht kostenlos, denn man wird auf eine Seite weitergeleitet, wo diese gekauft werden können. Es existieren auch Apps, die – ähnlich wie das Moorhuhnspiel – auf spielerische Weise für bestimmte Produkte werben. Alle drei Werbearten  – per Anzeigen, per Nutzen, per Spiel – können auch miteinander kombiniert vorkommen. Neben zahlreichen Verlagen sind auch Bibliotheken auf dem App-Markt aktiv. Meist handelt es sich um größere wie die British Library, die National Library of Medicine oder die Bayerische Staatsbibliothek, die ihre berühmten Rara auf dem berühmten iPad unter die Leute bringen wollen⁸². Die WorldCat® Mobile App von OPLC erlaubt die Buchsuche in benachbarten Bibliotheken,⁸³ ebenso wie die App der Seattle Public Library. Wirklich innovative Apps sind schwer zu finden, die New York Public Library ist hier mit „Biblion“, einem interaktiven Multimediapaket zur Weltausstellung 1939 / 40, am weitesten.⁸⁴ Verlage sind hier naturgemäß experimentierfreudiger und finanzkräftiger (geht die Entwicklung von Apps doch schnell in die Tausende):⁸⁵ 3D-Anatomie, Animationen, Quiz-Spiele erlauben einen Vorausblick auf das Lehrbuch der Zukunft. Hier ist insbesondere auch der App-Hersteller inkling⁸⁶ mit einem interaktiven Lehrbuch zur Physiologie zu nennen.⁸⁷ Schön und hilfreich auch die App EconBiz⁸⁸, ein Literaturrechercheportal für Wirtschaftswissenschaftler. Eine sehr nützliche App für Bibliothekskunden wurde von einem Benutzer (!) geschrieben: Die App EDsync bringt das Ausleih- und Gebührenkonto auf das iPhone sowie dessen Kalender und erleichtert so den Überblick über Bibliotheksbücher und die Vermeidung von Mahngebühren.⁸⁹

81 http: // www.shazam.com (Abruf: 05.05.2012). 82 British Library Treasures: http: // itunes.apple.com / de / app / british-library-treasures-hd / id412352817 (Abruf: 05.05.2012); Famous Books – Treasures of the Bavarian State Library: http: // itunes.apple.com / de / app / famous-books-treasures-bavarian / id380668385 (Abruf: 05.05.2012); NLM Turning The Pages: http: // itunes.apple.com / de / app / turning-the-pages-ttp / id423830194 (Abruf: 05.05.2012). 83 Die WorldCat Mobile App wurde am 01.07.2011 auf eine mobile Webseite (eine sogenannte „WebApp“) umgestellt: http: // www.worldcat.org / (Abruf: 05.05.2012). 84 http: // exhibitions.nypl.org / biblion / worldsfair / (Abruf: 05.05.2012). 85 Vgl. Pohla 2010. 86 http: // www.inkling.com / (Abruf: 05.05.2012), Slogan: Interactive textbooks for iPad. 87 Vgl. Husain 2011. 88 http: // itunes.apple.com / de / app / econbiz / id419108453?mt=8 (Abruf: 05.05.2012), von der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Kiel und Hamburg und der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. 89 Vgl. Dung-Pham 2011. Zu beiden Apps siehe auch ausführlich den Beitrag „Mobiles Marketing“ von Vatter in diesem Handbuch.

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4.2.1 Mash up everything Jetzt sind alle Apps noch voneinander getrennt. Mit TV Spielfilm stellt man sein Fernsehprogramm zusammen, mit Outlook verwaltet man seine Termine, mit Toodledo die Aufgaben. In naher Zukunft werden aber diese Programme Informationen untereinander austauschen können: Spielfilme und Aufgaben erscheinen in Outlook, ein Klick und der Fernsehbildschirm öffnet sich oder andersherum: TV Spielfilm warnt bei Filmstart vor Kollisionen mit dienstlichen Terminen. Die Programmierschnittstelle (API) macht’s möglich. In Scoble’s Vision „Location 2012“ werden Dienstleister in einer Matrix aus LBS-Apps vernetzt.⁹⁰ Nur wer dort mitspielt und über APIs eingebunden werden kann, wird wahrgenommen und genutzt.

4.3 Augmented Reality Augmented Reality (AR) ist die Erweiterung der Realität durch elektronische Informationen, die in Echtzeit in die Realität eingeblendet werden. Dazu werden meist Sehhilfen wie die Bildanzeige von Smartphone-Kameras benutzt, aber auch akustische, haptische oder weitere sensorische Signale sind denkbar. Im Grunde handelt es sich dabei um die virtuelle Annotation realer Objekte. Für die Basisversion ist nicht viel mehr nötig als eine Bilderkennungssoftware, die mit GPS und Kamera kombiniert wird und so die Anzeige von Zusatzinformationen für jeden möglichen Gegenstand ermöglicht, indem man die Kamera seines Smartphones auf diesen richtet. Während sich der reale Beobachter in SecondLife in eine virtuelle Umgebung begibt, holt man sich mit AR die virtuelle Information in die reale Welt: Der Avatar bin ich, und ich bewege mich durch eine „enhanced reality“. Will man heutzutage auf Informationen zugreifen, ist ein dazwischen geschaltetes Medium nötig, dass sich außerhalb von uns befindet: ein Hinweisschild, ein Buch, ein Computer. Dieses „Außerhalb“ wird nun sukzessive zum „Innerhalb“: Zuerst ist es der Bildschirm des Smartphones, dann eine Kontaktlinse, dann ein Retinaimplantat, dann ein Gehirnchip. So verschiebt sich die Grenze zwischen der externen Information und dem internen Ich immer weiter, bis es keine Grenze, keinen Unterschied mehr zwischen innen und außen gibt, die Informationen ganz in unser Inneres integriert sind. AR ist der erste Schritt zu der fundamental neuen Art, wie demnächst Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Einige heutige und zukünftige Anwendungen:⁹¹

90 Vgl. Scoble 2010. 91 Nach Wikipedia 2011b.

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Zusatzinformationen: Für einen Mechaniker werden die Teile eines Gerätes „beschriftet“. Der Arzt bekommt einen „Röntgenblick“, der Körper wird quasi durchsichtig. Der Architekt kann digitale Planungsdaten mit vorhandenen Geometrien abgleichen. Der Soldat hat am Körper tragbare Systeme, die Freund und Feind anzeigen. Navigation: Darstellung von Navigationshinweisen in Abhängigkeit von der Verkehrslage in der Windschutzscheibe, Head-up-Displays in Flugzeugen. Computer: Programmfenster und Icons werden als virtuelle Geräte im realen Raum dargestellt und durch Blicke oder Zeigen mit dem Finger bedient. Darstellung virtueller Geräte aller Art. Konferenzen mit realen und virtuellen Teilnehmern, gemeinsame Arbeit an simulierten 3D-Modellen. Geschichte: Darstellung zerstörter historischer Gebäude, zukünftige Architekturprojekte. Unterhaltung: Virtuelle Objekte in Museen und Ausstellungen, Spiele, pseudoholografische virtuelle Bildschirme, sogenannte „Holodecks“. Darstellung virtueller Objekte zur Verschönerung der alltäglichen Umwelt. Virtuelle Schaufenster, Plakate, Verkehrsschilder etc.

Die in die Realität überlagerten Informationen werden oft auch als „Layer“ oder Ebenen bezeichnet. Eine der am weitesten fortgeschrittenen Anwendungen heißt denn auch layar.⁹² Diese iPhone-App verfügt mittlerweile über 2.000 Ebenen, die auf dem Kamerabildschirm eingeblendet werden können, wie z.B. Restaurants, Supermärkte, Wikipedia-Einträge oder Tweets in der Umgebung. Auch Bibliotheken sind hier bereits unter der Kategorie „Universitäten und Forschung“ aufgeführt. Die private Initiative LibraryThing ermöglicht sogar eine lokale Buchsuche in Buchhandlungen und Bibliotheken. Szenario Dies könnte weiter ausgebaut werden zu einem „Bibliothekskanal“: einer Ebene, die alle Informationen zu Bibliotheken oder Literaturinformationen bündelt. So könnte bereits heute per AR kostenlose Werbung für Bibliotheksbestände betrieben werden. Dieser Kanal würde dem Nutzer eine „Bibliothekssicht auf die Welt“ bieten. Nicht nur Bücher und Bestände ließen sich dort einbinden sowie die Navigation zu diesen, sondern auch Angaben zu einzelnen Bibliothekaren. Neben der Antwort auf die Frage „Wo ist das nächste Buch zum Thema XY?“ ließe sich auch darstellen „Wo ist der nächste Bibliothekar (Mensch) mit Ahnung von XY?“. Infoboxen, die virtuell über den Köpfen von Personen schweben und Zusatzinformationen zu diesen liefern, werden bereits auf Konferenzen für Sprecher oder Vortragsthemen eingesetzt.

92 http: // www.layar.com / (Abruf: 05.05.2012).

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4.3.1 QR-Codes QR-Codes sind zweidimensionale Barcodes, die Texte wie Titelaufnahmen oder Webadressen codieren. Durch das Einscannen und Auslesen der Codes mithilfe eines mobilen Gerätes wie z.B. eines Smartphones oder eines Tablet-PCs lassen sich Informationen auf das Gerät übertragen, ohne sie mühsam eintippen zu müssen. Dies können Webadressen oder die Authentifizierung von Fahrkarten sein. Das Interessante daran ist, dass es zu einer Verknüpfung zwischen gedruckten und digitalen Medien kommt, was ganz neue Arten des Marketings ermöglicht. So kann man schnell zu einer bestimmten Internetseite springen oder die Daten einer digitalen Visitenkarte im Handyadressbuch speichern. Dieser Schnelligkeit verdanken die QRCodes auch ihren Namen: „QR“ steht für Quick Response).⁹³ QR-Codes finden in letzter Zeit immer häufiger Verwendung in Bibliotheken. 57 % aller facebook- und twitter-Nutzer haben schon einmal einen QR-Code gescannt, eine explosionsartige Steigerung innerhalb weniger Monate.⁹⁴ In Bibliotheken werden die QR-Codes z.B. verwendet für Links zur mobilen Website auf Plakaten und InfoFoldern, Links zu Schulungsterminen, Regalbeschreibungen im Lesesaal, Beschreibungen einzelner Nachschlagewerke und Datenbanken oder Beschreibung einzelner Räume bzw. den darin angebotenen Diensten. Im Buchkatalog der ULB Münster wird es QR-Codes geben, mit denen Titel und Signatur eines Buchs auf das Handy übertragen werden können, und auch die Beschilderung der Stationen der Audiotour wurden um QR-Codes ergänzt, die zu den entsprechenden Audio-Files verlinken.⁹⁵ Eine Liste von Bibliotheken im deutschsprachigen Raum, die mit QR-Codes experimentieren, wird von Viola Voß betreut.⁹⁶ QR-Codes bieten einfache und preiswerte Gelegenheiten, um bei SmartphoneNutzern mit branded digitalen Inhalten zu werben (und so den Produkterfolg zu steigern). Die mobile Technologie macht das Shoppen nicht nur einfacher und spaßiger, sondern auch lukrativer für den Werbenden. Mobile Zusatzinfos und Interaktivität können die Shopping-Erfahrung deutlich verbessern und zu einem ganzheitlicheren Erlebnis werden lassen. Das führt auch zu Erscheinungen wie dem Kampf um die Informationshoheit für Produkte: Produkterkennungs-Apps führen auf unabhängige Seiten mit eventuell kritischen Informationen. Dem setzt der Hersteller QR-Tags entgegen, die den Käufer zu den Seiten des Herstellers leiten.

93 Mehr zu diesem Thema auch in Abschnitt 4 des Beitrags „Mobiles Marketing“ von Vatter in diesem Handbuch. 94 Vgl. Taylor 2011. 95 http: // www.ulb.uni-muenster.de / hilfetexte / qr-code / index.html (Abruf: 05.05.2012). 96 Vgl. Voß 2011.

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Zahlreiche Anwendungen beweisen aber, dass es keine QR-Codes braucht, um Offline- und Online-Werbung miteinander zu verknüpfen. Bei Usnap führt ein simples Abfotografieren der Bushaltestelle den Kunden zur Instant-Gratifikation auf der entsprechenden Webseite. Bei snaptell reicht das Platten- oder Buchcover und bei Shazam die Musik. Und so wird bereits diskutiert, ob QR-Codes ein Auslaufmodell sind, das in Kürze von NFC ersetzt wird, da NFC dieselben Informationen sehr viel einfacher zur Verfügung stellen soll (siehe hierzu Abschnitt 4.1).⁹⁷

4.4 Location Based Services Die kostenfreie Zurverfügungstellung von geodätischen Kartendaten und den entsprechenden APIs durch Google Maps hat viele Internetdienste, die auf Geodaten basieren (sogenannte Location Based Services – LBS),⁹⁸ revolutioniert oder überhaupt erst ermöglicht. Zahlreiche Bibliotheken haben sich in Google Maps verzeichnen lassen und nutzen die API, um z.B. die Standorte von Institutsbibliotheken anzuzeigen. In Google Places kann man ebenfalls mit Kontaktinformation präsent sein. Doch bieten GPS-Daten sehr viel weiter gehende Möglichkeiten des Marketings. Im Zusammenwirken mit Indoor-GPS-Sendern und -Repeatern lassen sich z.B. die Bestände einer Bibliothek mit eindeutigen Koordinaten versehen, selbst wenn es über mehrere Stockwerke geht und kein Satellit „sichtbar“ ist. Der Bibliothekskatalog könnte solcherart als Routenplaner fungieren und den kürzesten (oder schnellsten) Weg zum Buchstandort anzeigen. Bereits jetzt lassen sich ausgeliehene Bibliotheks-iPads mit kostenfreien Bordmitteln ohne Probleme lokalisieren, iCloud macht’s möglich.⁹⁹ Prognose: In Zukunft lässt sich jederzeit feststellen, wo sich ein von der Bibliothek ausgeliehenes Medium befindet, egal ob gedruckt oder elektronisch. Denn im „Internet of Things“ wird jedes Ding nicht nur über eine Netzadresse sondern auch über einen Standort verfügen. Das Marketing der Zukunft wird dies wissen und ausnutzen, z.B. über Geofencing.

4.4.1 Geofencing Laut Giswiki wird mit Geofencing eine Funktion zur Positionsüberwachung z.B. von Fahrzeugen bezeichnet. Dafür wird die aktuelle GPS-Position laufend mit einem vordefinierten Gebiet verglichen. Beim Betreten oder Ver-

97 Vgl. Rosoff 2011. 98 Siehe auch den Beitrag „Mobiles Marketing“ von Vatter in diesem Handbuch. 99 Vgl. Obst 2010b.

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lassen des Gebietes wird eine Meldung per SMS oder GPRS¹⁰⁰ abgesetzt. Geofencing wird z.B. von Mietwagenfirmen verwendet, die die Benutzung ihrer Fahrzeuge nur in einem bestimmten Gebiet zulassen.¹⁰¹

Die Möglichkeiten, die Geofencing erlaubt, sind faszinierend, weitreichend, naheliegend – und für die Privatsphäre unter Umständen höchst gefährlich. Weigert prophezeit: Das Check-in-Prinzip wird vorerst Bestand haben, aber mit Optionen rund um die automatische Standorterkennung unter Einsatz von Geofencing erweitert werden. Klar ist: Was Web- und Technik-Interessierte in den vergangenen zwölf Monaten […] erlebt haben, ist nichts im Vergleich zu dem, was demnächst kommt. Das Social Web wird ortsbezogen und bald kaum noch wiederzuerkennen sein.¹⁰²

Szenario Genauso wie man auf der Straße vor dem Starbucks Café einen Rabatt für einen Kaffee auf sein Smartphone gebeamt bekommt¹⁰³, können Erstsemester, wenn sie an der Bibliothek vorbeikommen, auf die in fünf Minuten beginnende Führung aufmerksam gemacht werden. Das gewünschte Buch meldet sich als verfügbar, ein Schließfach ist frei, ebenso wie dein Lieblingsarbeitsplatz. Ein Buch aus dem Präsenzbestand wird unbrauchbar gemacht oder auf „vermisst“ gesetzt, wenn es sich weiter als 20 Meter von der Bibliothek entfernt hat. Ein Bibliothekar, der auf Hausbesuchstour durch das Klinikum ist, zieht eine Schleppe an LBS- und AR-Daten hinter sich her, durch die er identifiziert und lokalisiert werden kann.

5 Das Social Web 5.1 Schwarm-Marktforschung Fortschritte in der Computerlinguistik erlauben die automatisierte Analyse und Klassifikation von Texten und Inhalten jeglicher Art. Monitoringdienste ermöglichen die Verbindung von Menschen und ihren Meinungen zu Produkten für Evaluierungs- und Prognosezwecke. Ein Beispiel ist die Vorhersage von Börsenkursen aus den Kurznachrichten von twitter (TweetTrader.net). Im Gegensatz zu limitierten Befragungen (mit oft beeinflussenden Fragen) werden hier Milliarden Einzelmeinungen in Sozia-

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General Packet Radio Service. Giswiki 2006. Weigert 2010. Frommer 2011c, S. 8.

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len Netzen gesammelt und analysiert. Stimmungen können so zum einen bewertet, zum anderen vorhergesagt und beeinflusst werden. Wie Ingram schreibt, ist die soziale Aktivität auf twitter und facebook ein Großteil dessen geworden, was die Leute heute so im Internet machen, und weiter: That’s why Google launched Google+ and is adding social features to its search engine, so that it can understand social intent and behavior and how it influences search relevance. And that’s presumably why Walmart has a research lab that is focused on making sense of social-behavior data.¹⁰⁴

Google und Walmart haben es erkannt: Klicks sind Geld. Deswegen wird in Zukunft die Analyse des Surf- und Klickverhaltens von Webseitennutzern und hier insbesondere die Echtzeitanalyse an Wichtigkeit zunehmen. Nicht umsonst hat twitter vor Kurzem den Echtzeitanalyse-Spezialisten backtype gekauft. Es gilt noch mehr und noch genauere Daten aus dem Klickrauschen zu extrahieren. Prognose: Preisgünstige Webdienstleister und Open-Source-Tools werden es in Zukunft auch Bibliotheken ermöglichen, solche Monitoringdienste für die Analyse von Nutzermeinungen in Anspruch zu nehmen. In und um das Bibliotheksmarketing werden sich Dienstleistungen entwickeln, welche den Impakt von Bibliotheken auf Nutzergruppen in Echtzeit analysieren und bewerten.

5.2 Virales Marketing Virales Marketing (VM) wird von Gablers Wirtschaftslexikon als Marketingform beschrieben, die sich der Mundpropaganda bedient, um in elektronischen Netzen Aufmerksamkeit auf Marken, Produkte oder Kampagnen zu lenken.¹⁰⁵ VM nutzt die Tatsache aus, dass im Social Web dem Peer das meiste Vertrauen geschenkt wird, nicht der Firma. Auch wenn dieses Glaubwürdigkeitsphänomen vielleicht für Bibliotheken nicht so existenziell ist, da es sich bei diesen in der Regel um eine Institution handelt, der Vertrauen entgegengebracht wird, funktionieren diese „neuen“ Marketingmechanismen im Verhältnis zwischen Bibliothek und Benutzer ebenso.¹⁰⁶ Wie leicht lassen sich über Mundpropaganda Serviceangebote verbreiten oder schlecht machen! Wissen über erweiterte Öffnungszeiten wird sich auch ohne großes Zutun der Bibliothek in Windeseile in der Nutzerschaft ausbreiten. Wie kann die Bibliothek diesen passiven Effekt nun im Sinne eines viralen Marketings aktiv für sich ausnutzen?

104 Ingram 2011. 105 Vgl. Gabler; s.a. Wikipedia 2011c. 106 Vgl. Obst 2007.

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Ein schönes Beispiel einer VM-Bibliothekskampagne ist die Ghostbusters-Kampagne der New York Public Library, die von Improv Everywhere durchgeführt wurde.¹⁰⁷ Eine Bibliothek wird jetzt sicher keine Geisterjäger einstellen oder Ballerspiele verteilen, und der Unterhaltungswert bibliothekarischen Marketings wird sich auch in Grenzen halten, aber die übrigen vier Punkte kann man relativ leicht bedienen: Denke man nur an nützliche Tipps, wie man komplizierte Wege zum Ausweis, zur Literatur genial verkürzen kann, an eine Library Toolbar, die das Wetter oder Vorlesungstermine anzeigt, oder an die witzigen Werbevideos für Bibliotheken auf YouTube.¹⁰⁸

5.3 Guerilla-Marketing Leichter umzusetzen als virales Marketing ist das sogenannte Guerilla-Marketing (GM). Bei diesem werden unkonventionelle und / oder preiswerte Aktionen durchgeführt, um eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Beispiele und Ideen für GM-Kampagnen werden bei Bieselin aufgeführt:¹⁰⁹ – „Empfehlen Sie uns weiter“-Links, – Link- und Bannertausch, – Geschenkgutscheine für Leseausweise, Internetnutzung, Veranstaltungen, – edler Aufruf: Regenwald retten (Krombacher), Regionalsponsoring, Mahngebühren in Naturalien für Bedürftige, – außergewöhnliche Give-aways (Werbegeschenke), z.B. Puzzles mit Motiven der Bibliothek, – Drive-in- oder Bring-Service, – Weltrekord im Bücher-Domino, – Preisausschreiben: Lyric-SMS, – Book Slam (drei Minuten pro Lieblingsbuch).

5.4 Gamification Über die wachsende Bedeutung von Gamification heißt es in einer Gartner-Analyse: Bis 2015 wird mehr als die Hälfte aller Organisationen, die Innovationsprozesse managen, diese Prozesse „gamifyen“, d.h. mit Spielstrukturen und Spielregeln versehen, die es ermöglichen, spielerisch(e) Erfahrungen zu machen.¹¹⁰ Ganz allgemein wird die Motivationssteigerung von jeder Art von Tun (sei es zielgerichtet oder ziellos,

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http: // improveverywhere.com / 2010 / 05 / 18 / who-you-gonna-call / (Abruf: 05.05.2012). http: // www.youtube.com / watch?v=pyLTqBARFt8 (Abruf: 05.05.2012). Bieselin 2005. Gartner 2011b.

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Arbeit oder Spiel) durch spielerische Anreize und Mechanismen betont. Kniffelige Aufgaben zu lösen und herausgefordert zu werden verschafft eine immense Befriedigung.¹¹¹ Dabei kann die Figur des Clowns wichtige Impulse geben und so als Türöffner dienen, wie Bowen White alias Dr. Jerko betont: The Clown creates an environment for people that it is save to laugh and have fun and (as a results) they drop their defences. We don’t educate students in ways that are playful. We tend to not honour as a value for adults. When we’re valuing playing more, then […] we paying attention in new ways with beginners minds, and see options and possibilities.¹¹²

Als besonderer Vorteil mag gelten, dass es im Spiel keine Hierarchien gibt. Zu Spielbeginn sind alle gleich, Bibliothekar und Kunde. Es gibt keinen Allwissenden und keine Dummies. Der Bibliothekar sagt nicht: „Oh, dieser Student kann es nicht.“ Stattdessen spielen beide zusammen ein Spiel. Und aus diesem Spiel heraus sieht sich der Studierende Dingen ausgesetzt, von denen er lernen kann.¹¹³ Das kommt dem Digital Native entgegen, der keine Hierarchien mag, der sein eigener Experte ist und der niemandem gegenüber seine Unwissenheit zugeben mag  – außer vielleicht bei seinen Peers. Gamification ist auch im bibliothekarischen Umfeld ein wichtiges Thema. Nicht nur für das Innovationsmanagement,¹¹⁴ auch beim Einwerben von Dokumenten für Repositories, bei Schulungen, beim Marketing, bei jeder Art von Erfahrung im Austausch mit Bibliothekaren und Bibliotheksinhalten sind Spielansätze hilfreich, um eine positive Nutzererfahrung, eine Verstärkung der Nutzerbindung bis hin zum Erschweren des Ausstiegs aus dem „Spiel“ zu erreichen. Es geht nicht nur darum, den jeder Tätigkeit innewohnenden Spaßfaktor heraus zu kitzeln, um z.B. Erfolg, Effizienz, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden zu erreichen¹¹⁵, sondern dem Nutzer eine Erfahrung zu bieten, die ihn wiederkommen lässt, d.h. die Kundenbindung zu stärken. Social-Media-Anbieter wie Foursquare holen einen Großteil ihrer Attraktivität aus einem Punkte- und Belohnungssystem und versuchen so „den Alltag ihrer Nutzer zum Spiel machen“.¹¹⁶ Spiele und spielerische Elemente kann man auch nutzen, um sein Marketing voranzubringen. Spielekonsolen wie die MicroSoft Kinect, Nintendo WII oder DSi werden erfolgreich benutzt, um Barrieren zu überwinden, seien es geografische, Sprachbarrieren, Lernschwierigkeiten, Behinderungen etc. Sie können z.B. im Verein mit spielerischen

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Vgl. McGonical 2011. White 2000. Vgl. Brooks 2002. Siehe auch Open Innovation, Georgy 2010b. Kim 2008. Vgl. Neeb 2010.

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Anwendungen vielfältige Unterstützung geben und einen vollkommen neuen Zugang zu Informationen verschaffen.¹¹⁷ Erfolgreiche Beispiele für Spiele in Bibliotheken ist z.B. „Find the Future“, mit dem die New York Public Library ihr 100-jähriges Bestehen feierte. Der Preis war ein nächtlicher Abenteueraufenthalt in der New York Public Library für 500 Benutzer.¹¹⁸ Interessant ist auch ein Ansatz der finnischen Nationalbibliothek, die ein Spiel dazu benutzt, um die Texterkennung ihrer Digitalisate zu verbessern.¹¹⁹

6 Sieben Marketing-Tipps 1.

Im Gespräch bleiben: Nutzen Sie jede Möglichkeit, jeden Bucheingang, jedes Ereignis in der Bibliothek, um bei den Nutzern ins Gedächtnis zu rufen, dass sie noch existiert, dass die Bibliothek noch lebt. 2. Auf den Kunden hören: Die Erfahrungsumwelt des Nutzers ist eine vollkommen andere als die des Bibliothekars. Umfragen helfen, dort einzudringen. Auch wenn dies kein „wahres“ Bild vermittelt und die Umsetzung schwierig ist: Die Botschaft ist raus und kommt rüber: Wir hören auf euch! Und selbst wenn nichts davon umgesetzt wird: Man hat das Gefühl vermittelt, dass man am Ball ist und sich kümmert. The survey is the message. 3. Ein Pionier sein: Sei die erste Bibliothek, die eine neue Dienstleistung oder einen neuen E-BookReader anbietet. Man bezahlt zwar den Early-Adopter-Preis¹²⁰, lernt aber auch entsprechend viel und bleibt flexibel. Die Message ist klar: Wir sind innovativ, unser Image ist positiv und zukunftsgerichtet. 4. Ungewöhnlich agieren: Ob Bibliotheksclown oder Camping in der Bibliothek: Die Bibliothek, die fähig ist, den Nutzer zu überraschen, bricht alte Klischees auf. Der Nutzer nimmt die Bibliothek auf einmal mit anderen Augen wahr und traut ihr mehr zu. 5. Emotional sein: Emotional sein heißt verfügbar sein, verlässlich sein. In der Kommunikation mit dem Nutzer kann man sich ruhig auch mal duzen, mit der entsprechenden facebook / twitter-Etiquette spielen, witzig sein und nicht verstaubt. Was gibt es Besseres zu erreichen als eine (Art) Freundschaft mit dem Nutzer?

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Vgl. Ermerging Pactice in a Digital Age 2011. http: // game.nypl.org / (Abruf: 05.05.2012). http: // www.digitalkoot.fi / en / splash (Abruf: 05.05.2012). Bergeron 1999.

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Risikofreude zeigen: Was riskieren, risikofreudig sein, Garderobenpflicht abschaffen, Dienste im Beta-Stadium anbieten. „In face of budget cuts libraries struggles with connecting with their communities and making them aware of the value of literary institutions. Try it out, take the risk!“¹²¹ Investitionen in Foursquare und twitter: „Cost of trying this out is so minimal and low risk it’s worth it.“¹²² Rausgehen: Aus dem Büro, aus der Bibliothek hinausgehen z.B. in Krankenhaus und Universität, in Stadt und Land. Wird sehr vom Nutzer honoriert, wirbt Nicht-Kunden, stärkt die Kundenbindung.

7 Fazit Wie an den vorstehenden Marketing-Tipps deutlich wird, unterscheiden sich die Grundregeln des Marketings der Zukunft nicht sonderlich vom Marketing der Vergangenheit oder der Gegenwart. Das „Wie“ ist dasselbe, nur das „Wo“ hat sich geändert. Die Nutzer sind im Web, bei sozialen Medien, „in einer App“. Wenn man das „Wie“ beherrscht und das „Wo“ beachtet, sollte sich der Erfolg zwangsläufig einstellen. Bei Bibliotheken (und hier insbesondere bei den wissenschaftlichen) setzt sich erst langsam die Vorstellung durch, dass Marketing etwas zum Bibliothekserfolg beiträgt. Obwohl Bibliotheken nicht unbedingt bekannt dafür sind, topaktuellen Trends zu folgen, gibt es doch auch hier genügend innovative Beispiele für zukunftsweisendes Marketing.

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121 Boekesteijn 2011. 122 Baldino 2011.

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Ursula Georgy

Emotionale Nutzenberechnungen des Gehirns: Erfolg durch Emotion Marketing 1 Einleitung Emotion Marketing ist ein junges Forschungsfeld innerhalb des Marketings bzw. der Neuroökonomie. Seine Zielsetzung besteht darin, mithilfe des Neuromarketings bzw. konkreter des Emotion Marketings Dienstleistungen und Produkte so zu gestalten, dass der Kunde sie bewusst wahrnimmt und über Emotionen positiv stimuliert wird. Ein Großteil aller Käufe erfolgt unbewusst, was auch nicht verwundert, wenn man berücksichtigt, dass pro Sekunde ca. elf Millionen Bits an Informationen von den Sinnesorganen an das Gehirn gesendet werden, aber von diesen nur rund 40 Bits in das Bewusstsein gelangen, was weniger als 0,0004 % sind.¹ Man spricht auch vom expliziten System. Die anderen 10.999.960 Bits werden jedoch auch wahrgenommen, verarbeitet und gespeichert, aber unbewusst – implizit. Zu diesen unbewussten Wahrnehmungen gehören Assoziationen, Automatismen, Emotionen, intuitive Entscheidungen, Lernvorgänge, nonverbale Kommunikation, Sinneswahrnehmungen, spontane Reaktionen sowie spontanes Verhalten.² Gegenüber dem expliziten System arbeitet das implizite System sehr viel schneller und effizienter. Deshalb nutzt man im Marketing diese intuitiven und spontanen Reaktionen und Handlungen mehr und mehr, zumal bekannt ist, dass es den rein rational entscheidenden Konsumenten nicht gibt, sodass Fakten, Preis und andere messbare Größen möglicherweise nicht die entscheidenden Faktoren für den Kauf von Produkten oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen sind. Häusel formuliert den Kontext zwischen Ratio und Emotion wie folgt: […] rationale Entscheidungen [sind] emotionale Entscheidungen mit positiven Konsequenzen, irrationale Entscheidungen hingegen emotionale Entscheidungen mit negativen Konsequenzen.³

Die Agentur May drückt es wie folgt aus: „Kaufentscheidungen sind emotionale Nutzenberechnungen des Gehirns.“⁴ Zahlreiche erfolgreiche Unternehmen bewerben ihre Produkte inzwischen überwiegend über Emotionen oder sie sorgen zumindest

1 2 3 4

Vgl. Häusel 2008, S. 91. Vgl. Scheier, Held 2007, S. 146 ff. Häusel 2006, S. 71. May Kommunikation und Gestaltung o.J.

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für positive Stimmung im Umfeld der Produkt- bzw. Dienstleistungspräsentation, z.B. durch anregende Räume, angenehme Farben etc. Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen können sich diesem Trend ebenfalls nicht länger verschließen, da das Gehirn mit seinen impliziten Entscheidungen nicht zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Einrichtung sowie dem Ort unterscheidet.

2 Emotionen 1981 stellten Kleinginna und Kleinginna 92 Definitionen zum Begriff „Emotion“ zusammen. Sie selbst definierten Emotion wie folgt: Emotion is a complex set of interactions among subjective and objective factors, mediated by neural / hormonal systems, which can (a) give rise to affective experiences such as feelings of arousal, pleasure / displeasure; (b) generate cognitive processes such as emotionally relevant perceptual effects, appraisals, labeling processes; (c) activate widespread physiological adjustments to the arousing conditions; and (d) lead to behavior that is often, but not always, expressive, goaldirected, and adaptive.⁵

Wesentlich bei dieser Definition ist, dass sie sowohl die affektiven Aspekte, die kognitiven Prozesse, die physiologischen Anpassungsprozesse als auch das Verhalten berücksichtigt. Die Definition von Emotion in Gablers Wirtschaftslexikon greift diese Aspekte exakt auf: Affekt, Gefühl, psychische Erregung; innere Empfindung, die angenehm oder unangenehm empfunden und mehr oder weniger bewusst erlebt wird, z.B. Freude, Angst, Kummer, Überraschung. Die Emotion ist ein komplexes Muster aus physiologischen Reaktionen (z.B. Steigerung des Blutdrucks), Gefühlen (z.B. Liebe, Wut), kognitiven Prozessen (Interpretation, Erinnerung und Erwartung einer Person) sowie Verhaltensreaktionen (z.B. lachen, weinen).⁶

Inzwischen hat man jedoch herausgefunden, dass für das Marketing im Bereich Emotionen zusätzlich das Alter sowie das Geschlecht eine entscheidende Rolle spielen. Besonders dem geschlechts- und genderspezifischen Marketing (siehe Abschnitt 4) kommt im Rahmen des Emotion Marketings eine immer größere Bedeutung zu.

5 Kleinginna, Kleinginna 1981, S. 355. 6 Gabler Verlag o.J.

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3 Markenkommunikation im Emotion Marketing Scheier und Held zählen zur Markenkommunikation sämtliche Kontaktpunkte des Konsumenten mit einer Marke.⁷ Coca-Cola fordert sogar den Kunden direkt auf, mit der Marke in Kontakt zu treten: „Connecte dich mit Coke Zero. Zeig deinen Freunden, dass du auf Coke Zero stehst und verbinde dich mit der Marke in deinen sozialen Netzwerken.“⁸ Hier werden Markenbotschaft und Kommunikation eng verzahnt, sodass eine optimale Markenkommunikation entsteht.⁹ Sie bietet dann auch entsprechende Freiräume für Emotionen, da sich die Kommunikation auf mehrere Kontaktpunkte gleichzeitig bezieht und nicht auf einzelne, so wie sie von Davis und Dunn beschrieben werden: – Präkauf-Kontaktpunkte, – Kauf-Kontaktpunkte, – Nachkauf-Kontaktpunkte und – beeinflussende Kontaktpunkte.¹⁰ Und je stärker die Marke bzw. die Markenkommunikation durch die Kontaktpunkte wirkt, desto mehr erzeugen Marken starke Vorstellungsbilder.¹¹ Nach Esch werden Marken nur dann nachhaltig im Gedächtnis verinnerlicht, wenn sowohl emotionale als auch sachliche Botschaften einer Marke ver- und übermittelt werden.¹² So assoziiert man mit Lila sehr schnell die „Lila Kuh“ und damit Milka-Schokolade, die für die „zarteste Versuchung“, „Alpenwelt“ und somit für Genuss steht. Dabei ist es durchaus beabsichtigt, dass „der Rezipient […] dabei den Eindruck haben [soll], als wäre die Marke der eigentliche Sinnstifter eben jener Bedeutungen, die sie in Wirklichkeit nur entliehen hat“.¹³ So assoziierten z.B. mehr Menschen die Musik aus Carmina Burana mit der Schokolade von Nestlé als mit dem Oratorium von Carl Orff, sodass die Musikindustrie damit warb: „Carmina Burana, bekannt aus […]“. Der Musik kommt in diesem Fall somit eindeutig die Funktion der Verstärkung der Emotion und der Erinnerungswirkung zu. Jedoch muss sich eine gute Markenkommunikation nicht immer positiv auf Verkaufszahlen auswirken, wie das Beispiel von Daewoo und die außergewöhnliche Werbung mit der Sängerin Jennifer Rush im Jahr 1995 zeigt. Zwar konnte die Bekanntheit der Marke innerhalb kürzester Zeit durch die außergewöhnliche Werbung, an die sich viele auch nach mehr als 15 Jahren gut erinnern können,

7 Scheier, Held 2007, S. 89 ff. 8 Coca-Cola o.J. 9 Siehe den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 10 Davis, Dunn 2002, S. 60. 11 Schade 2010. 12 Vgl. Esch 2005, S. 94, sowie auch hierzu den Beitrag „Markenentwicklung“ von Schade in diesem Handbuch. 13 Baetzgen 2007, S. 105.

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auf über 50 % gesteigert werden, gekauft wurden die koreanischen Autos zu der damaligen Zeit trotzdem nicht, da es damals viel zu viele Vorbehalte gegen technische Produkte aus Korea gab.¹⁴

3.1 Lovemarks Von Roberts stammt der Begriff der Lovemarks, den er wie folgt definiert: Lovemarks are the charismatic brands people get emotional about. Take away a brand, people find a replacement. Take away a lovemark and people protest.¹⁵

Damit wird deutlich, dass es heute nicht mehr ausreicht, Marken zu kreieren, sondern die Marke zum Teil des Lebens des Kunden zu machen: Creating Lovemarks is all about the ability to understand consumers’ dreams, to know what they want and when they want it and to create great experiences that make your brand a part of their lives.¹⁶

Marken werden nach Roberts zu (erfolgreichen) Lovemarks, wenn sie „Mystery“ (Mythen, Träume), „Sensuality“ (die fünf Sinne) und „Intimacy“ (Empathie, Passion) in einer positiven Weise ansprechen.¹⁷ Ein Beispiel dafür sind die viele Jahre verpönten Tees in Teebeuteln. Die Erinnerungen an diese Tees – meistens Kamillen-, Fenchel- und Pfefferminztee sowie eine Sorte Früchtetee – assoziieren bei vielen Jugendherberge des alten Stils, Kaserne und Krankenhaus. Wer Tee genießen wollte, kaufte losen Tee mit klangvollen Namen wie z.B. Formosa Green Jade Oolong oder Dehong Wild Arbor Pu Erh, die von den Teeläden mit ähnlich emotionalen Beschreibungen beworben wurden und werden wie edle Weine. Aber den Teebeutelherstellern ist ein Imagewandel par excellence gelungen, denn Hersteller wie z.B. Teekanne setzen heute auf Erlebnis und Emotionen. So heißt es auf der Website von Teekanne z.B. „So schmeckt der Winter“ oder „So schmeckt der Sommer“. Und die Tees werden nicht mehr nach ihrem Inhalt bezeichnet, sondern die Namen vermitteln Emotionen wie z.B. „Hüttentraum“, „Kaminabend“ oder auch „Einfach schön“, „Hol Dir Kraft“ und „Freu Dich“. Früher transportierte das Unternehmen dagegen ausschließlich Tradition.¹⁸

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Vgl. Rushmusic 2009. Roberts 2005, S. 16. Ebd., S. 73. Saatchi & Saatchi 2011. Vgl. Garber 2005.

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Ähnliches gilt für die Firma Koziol. Inzwischen werden in der Kunststofffabrik nicht mehr einfach nur Kunststoffprodukte für Haushalt und Büro hergestellt, sondern es wird Glück produziert. „koziol your life. Um dem Glück entgegen zu gehen, statt ihm hinterher zu laufen, gibt’s jetzt die Glücksfabrik […].“¹⁹ Die Botschaft ist: Bei Koziol werden Glück und Glücksgefühle produziert. Aus einer Kunststoffspritzgießerei wurde die Glücksfabrik: „Die Koziologie ist die Wissenschaft vom Glück durch gutes Design. Die Marke koziol steht für better Design – bigger smile oder koziol Design. Besser. Glücklicher.“²⁰ Und nach Koziologie no.1 vermittelt das Design von Koziol ausschließlich Emotionen: Design von Koziol hat eine gefühlte Temperatur von 37o und bereitet einfach Freude. Haptisch, weil es sich gut anfasst. Optisch, weil das Auge gerne drüber fährt. Und emotional, weil es Gefühle auslöst an einer Stelle, an der man sonst keine Gefühle hätte.²¹

Die Eigenschaften der Produkte stehen nicht im Vordergrund, sondern die positiven Emotionen, die entstehen, wenn man diese Produkte kauft und benutzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Funktionalität und Qualität der Produkte außer Acht gelassen werden dürfen. Im Gegenteil, sie müssen zusammen mit den positiven Emotionen zur Identifikation mit der Marke führen.

3.1.1 Der Ort als Erlebnismarke Für Saatchi & Saatchi werden im Kontext der Lovemarks auch die Points of Sale als Ort immer wichtiger: Stores will host the next creative revolution as they become Theaters of Dreams. […] The store is where over 80 percent of shopper decisions are made and an amazing 50 percent of brand switches happen.²²

Für Bibliotheken und ihre Marketingstrategie könnte dies bedeuten: „Die Bibliothek als Ort“ sollte in den Augen des Kunden zum „Theater der Träume“ werden genauso wie ein Shoppingcenter gegenüber der Bibliothek. Der Besuch in der Bibliothek muss zum Erlebnis werden, wobei in diesem Kontext das Erlebnis als ein Bündel von positiven Emotionen verstanden werden kann, denn die Begriffe „Erlebnis“ und „Emotion“ sind nicht streng trennbar, wie auch z.B. die Definition von Müller zeigt, der ein Erlebnis als „ein außergewöhnliches, subjekt- und situationsbezogenes, inneres emotiona-

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Koziol 2010a. Koziol 2010b. Ebd. Ebd.

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les Ereignis“²³ bezeichnet. Räume werden somit genutzt, den Kunden in seinem Verhalten und in seiner emotionalen Wahrnehmung zu beeinflussen. Räume stellen für den Menschen kurzfristige Lebensumgebungen dar, die es gilt, zu inszenieren. Welche Bedeutung die Inszenierung von Räumen hat, zeigt sich z.B. am Erfolg der Vergnügungsparks, die letztendlich reine Kunstwelten sind, die sich bewusst von der realen Welt deutlich abgrenzen. Dies erfolgt z.B. durch Thematisierung (Themenwelten), im Rahmen derer eine positive Stimmung durch die Konstruktion einer spezifischen, thematisch geprägten Atmosphäre geschaffen wird.²⁴ Für den Erfolg von Erlebniswelten wesentlich mit entscheidend ist, dass die Erlebnisse üblicherweise gemeinsam, z.B. in einer Gruppe, erfahren werden, da die Erlebnisse und damit die Emotionen so gegenseitig gesteigert werden. Aus Gruppen von Besuchern werden Erlebnisgemeinschaften.²⁵ In gleicher Weise schaffen heute Automobilhersteller Lovemarks. Die „gläserne Manufaktur“ der Volkswagen AG in Dresden war der Auftakt einer Reihe von Erlebnisorten, die die Automobilhersteller inzwischen haben errichten lassen. In München ist es die „BMW Welt“, in Wolfsburg die „Autostadt“: Die Autostadt lädt ihre Besucher zu einer Reise in die Welt der Mobilität ein. […] Ausstellungen zeigen Klassiker der Automobilgeschichte und illustrieren, warum sie in ihrer Zeit Maßstäbe setzten. Kunstwerke und Filme regen zur Auseinandersetzung an; Forschungsstationen laden zum Mitmachen ein. Und Veranstaltungen – von der Themenkommunikation bis zu den Movimentos Festwochen der Autostadt  – eröffnen neue Horizonte. So entsteht für jeden Gast der Autostadt ein ganz eigenes Kaleidoskop aus Erlebnissen und Erfahrungen.²⁶

Und ganz nebenbei können dort auch noch die bestellten Autos abgeholt werden – eine Automobilstadt als Brand Land bzw. Park oder auch bezeichnet als Corporate Land bzw. Park, wo der Automobilhersteller in direkter One-to-one-Kommunikation mit seinen (potenziellen) Kunden steht. Die Unternehmen präsentieren dort „ein dauerhaftes Angebot von interaktiven, alle Sinne des Besuchers ansprechenden Erlebnissen, thematisch auf die Marke und ihre Positionierung bezogen“.²⁷ Ähnliche Angebote gibt es auch von den großen Anbietern von Sportbekleidung, wie z.B. den adidas Original Store oder den Nike Store, und in den Apple Stores. Das bedeutet aber, dass diese Unternehmen plötzlich zu direkten Wettbewerbern von Freizeitparks, aber auch von Theatern, Konzerthallen, Kinos, Wissenschaftsmuseen und Bibliotheken geworden sind.

23 24 25 26 27

Müller 2001, S. 41. Scherrieb 1997, S. 30. Vgl. Grötsch 2006, S. 60 ff. Autostadt o.J. Zanger 2008, S. 76.

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3.1.2 Architektur und Design als Erlebnismarke Die Architektur spielt im Rahmen der Erlebnisorte eine wichtige Rolle: Architektur und Design zielen darauf, bestehende Mythen um die Marke zu beleben und die Markenpersönlichkeit zu unterstützen.²⁸

Entscheidend ist es, ein „konsistentes Bild der Marken in der Wahrnehmung der Besucher“²⁹ zu erzeugen. Und das kann durch Showrooms oder Brand Lands dauerhaft exakt ausgerichtet auf eine einzige Marke erfolgen. Und diese Chance hat auch der Ort Bibliothek. Architektur, Einrichtung etc. müssen im Sinne der Markenbildung zueinander stimmig sein, damit sich positive Vorstellungsbilder entwickeln können, die dann dazu beitragen, dass der Kunde die Bibliothek als ein Brand Land empfindet, das er gerne besucht und wo man ihn im Sinne der One-to-one-Kommunikation informiert und unterhält. Das Berlin Brain, das IKMZ der BTU Cottbus, das Jacob-undWilhelm-Grimm-Zentrum, das Rolex Learning Center Lausanne und die Stadtbibliothek Stuttgart Mailänder Platz sind gute Beispiele dafür, wie Architektur und Design Bibliotheken zu Brand Lands machen. Für den Kunden wird der „Point of Sale“ (POS) dann zum „Point of Experience“ (POE).³⁰ Betitelte DIE ZEIT im Juli 2011 einen Beitrag zur Ausstellung in München zum Thema „Die Weisheit baut sich ein Haus“ mit „Der erotischste Ort der Erde – Eine Ausstellung in München feiert die Bibliothek als himmlischen Ort des Wissens und der Blicke“³¹, so war es möglicherweise das erste Mal, dass eine Bibliothek als erotischer Ort bezeichnet wurde. Welch wunderbare emotionale Verknüpfung zwischen Bibliothek und Architektur. Aber was tun Bibliotheken? „Bibliotheken sind auratische Orte: Kathedralen des Wissens, Tempel der Weisheit, Oasen der Stille.“³² Aber was assoziiert der Mensch mit Kathedrale und Tempel? Der Mensch ist ein Untertan, und er soll sich auch bewusst klein und ohnmächtig fühlen. Leider nutzen zahlreiche Bibliotheken diese Assoziation der Ohnmacht immer noch in ihren (Image-)Broschüren. Es werden lange Bücherregale gezeigt, mit denen dem Kunden seine Ohnmacht verdeutlicht wird: Er ist alleine nicht in der Lage, sich dort zurechtzufinden; dazu benötigt er Hilfe, und zwar vom Bibliothekar. […] Dagegen können mit moderner Architektur zahlreiche positive Emotionen ausgelöst werden. Moderne Architektur definiert den „Raum Bibliothek“ völlig neu. So kann auch eine große Bibliothek Vertrauen wecken und den Kunden als selbstbewussten Menschen ansehen […].³³

28 Nadler, Rennhak 2009, S. 14. 29 Binder 2008, S. 184. 30 Vgl. Kilian 2008, S. 63, sowie den Beitrag „Einzelhandelsmarketing“ von Kunst und van Woerkom in diesem Handbuch. 31 Schmidt 2011. 32 Höfer 2009. 33 Georgy 2011, S. 371.

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Es geht also nicht darum, die Architektur der Bibliothek in den Vordergrund zu stellen, sondern eine Verbindung zum Kunden über die Architektur herzustellen. Die Innenarchitektin Lütfiye Erbas formuliert dies wie folgt: „Räume aus der Architektur heraus formen […]. Das geschieht mit Emotionen zum Raum […]. Und mit Emotionen zum Menschen.“³⁴ Und den Bibliotheken bieten sich durch die zahlreichen Neubauten, umgebauten und umgenutzten Gebäude alle Chancen, genau dies in den Mittelpunkt zu stellen. Das alles ist wichtiger als die Information, dass die Strecke der Bücherregale einer Bibliothek mehr als 70 km beträgt. Diese Form des Marketings, die das „Höher – Weiter – Schneller“ in den Vordergrund stellt, kann nur Angst beim Kunden auslösen: Wie soll ich da etwas finden und wie soll ich dies überhaupt schaffen?

3.1.3 Sensorisches Branding Wie bereits oben ausgeführt, spielen die Sinne beim Emotion Marketing eine entscheidende Rolle. So versucht die Industrie heute Marken multisensual zu gestalten, um die Wirkung der Marke zu verstärken und die Markeninhalte tiefer zu verankern.³⁵ Daraus hat sich das 5-Sense-Branding³⁶ entwickelt, d.h., es geht nicht nur um das Erscheinungsbild einer Marke, sondern auch darum, wie sie sich anhört und anfühlt oder auch wie sie riecht oder / und schmeckt. Bei Automobilen ist dieses multisensorische Branding seit vielen Jahren Standard: Ein PORSCHE z.B. hat ein unverwechselbares Design, einen besonderen Sound, die Tür fällt mit einem charakteristischen Geräusch ins Schloss, die Oberflächen z.B. des Armaturenbretts sind aus edlen Materialien und fühlen sich angenehm an (z.B. glattes Wurzelholz, Leder) und das Auto hat einen typischen Geruch. Und dies gilt letztendlich für jedes Automobil. Und es kommt nicht von ungefähr, dass z.B. Kinder allein eine Automobilmarke oder sogar ein spezielles Modell anhand des Motorgeräusches erkennen können oder man selbst sein eigenes Auto unter vielen anderen Autos wie selbstverständlich heraushört. Natürlich sind nicht alle Sinne bei allen Produkten gleich wichtig. Nach Rennhak und Nufer sind es bei der Sportbekleidung vor allem die Optik und die Haptik, bei Home Entertainment die Optik und – wenig verwunderlich – die Akustik (aber nahezu gleich wichtig), beim Automobil Optik, Akustik und Haptik und bei Seife die Haptik und die Olfaktorik.³⁷ So verwundern Werbeslogans wie „Hören Sie den Sommer“ von Mercedes, „have a brake, have a KIT KAT®“ von Nestlé, „pure Gold“ von Radeberger, „We Believe“ oder „Touch the Stars“ von Apple nicht, da sie mindestens einen weiteren Sinn ansprechen als das Produkt selbst.

34 35 36 37

Erbas o.J. Vgl. Möll, Esch 2009, S. 32. Vgl. diffferent, MetaDesign 2006. Vgl. Kilian 2007.

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Multisensorisches Marketing gewinnt insbesondere bei Dienstleistungen eine immer größere Bedeutung. Da Dienstleistungen immateriell und im Allgemeinen wenig greifbar sind,³⁸ weicht der Kunde vielfach auf die fassbaren Elemente  – die „Physical Facilities“ – aus. Beim Strom ist es die Farbe, begonnen hat dies mit Yello Strom, heute ist der Strom von E.ON rot, von RWE blau und Ökostrom wie selbstverständlich grün. Bestimmte Tarife werden z.B. in Flaschenform dargestellt³⁹ oder der Kreditkartenanbieter American Express bietet seine VIP-Kreditkarte Centurion in edlem Titan an. Titan ist ein Metall mit opalisierender Oberfläche und hat die Festigkeit von vergütetem Stahl. Damit wirkt die Karte mit ihrer kühlen, schlichten Oberfläche nicht nur auf den Besitzer, sondern auch auf jeden Verkäufer, der die Karte in die Hand nimmt, denn er weiß, dass er es mit einem außerordentlichen Kunden zu tun hat.⁴⁰ Auch Bibliotheken können sich überlegen, wie sich ihre Dienstleistungen anfühlen, z.B. die digitalen Dienstleistungen. Die Neue Zürcher Zeitung macht ihre E-Paper-Ausgabe durch die Abbildung eines zusammengerollten Tablets greifbar und betitelt diese z.B. in Zeitungsannoncen mit dem Slogan: „Entscheidend ist nicht, wie, sondern was Sie lesen.“⁴¹ Der Trend zur Materialisierung des Virtuellen wird in Zeiten der digitalisierten Welt im Sinne des sensorischen Brandings immer wichtiger⁴², was nicht zuletzt der Umgang mit Bildern von Digitalkameras bestätigt: Anteil der Deutschen, die eine Digitalkamera besitzen, in Prozent: 60 Anteil der Deutschen mit Digitalkamera, die von ihren Fotos Papierabzüge machen lassen, in Prozent: 84⁴³

4 Geschlechts- und genderspezifisches Marketing Geschlechtsspezifisches Marketing bezieht sich primär auf die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau, das Gendermarketing hingegen auf das „soziale Geschlecht“. Das soziale Geschlecht „gender“ bezeichnet die gesellschaftlichen Geschlechterrollen – die Vorstellung und Erwartung darüber, wie Frauen und Männer sind bzw. sein sollen. Weibliche und männliche Rollen ändern sich im Laufe der Zeit und sind sowohl innerhalb als auch zwischen den Kulturen sehr unterschiedlich.⁴⁴

38 39 40 41 42 43 44

Siehe den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch. Vgl. RWE 2011. Ramge 2011, S. 122. NZZ 2011, S. 106. Weitere Beispiele finden sich bei: Böttcher, Boße 2011. brand eins 2011, S. 146. Kreienkamp 2010 / 2011.

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Somit geht es zum einen darum, für Frauen und Männer spezifische Werbung für Produkte und Dienstleistungen zu machen bzw. die Produkte mit geschlechts- und genderspezifischen Attributen auszustatten, auf der anderen Seite sollen darüber neue Märkte erschlossen werden. In der Literatur werden die beiden Begriffe meist synonym verwendet, und in weiten Teilen sind Geschlecht und Gender auch schwer voneinander zu trennen. Geschlechtsspezifisches Marketing setzt bevorzugt auf die tief im Menschen verwurzelten Archetypen, z.B. den des Jägers und Sammlers: Verknappung eines Produkts löst die diesem Archetyp entsprechenden Verhaltensweisen aus. Die Discounter und Tchibo nutzen dies in ihrer Marketingstrategie aus, indem sie jede Woche Produkte anbieten, die nur für begrenzte Zeit im Angebot sind und damit den Eindruck erwecken, als gäbe es diese Produkte später überhaupt nicht mehr. Genderspezifisches Marketing betreibt z.B. Coca-Cola mit seinen Produkten Cola Light (für Frauen) und Cola Zero (für Männer). Frauen kaufen Diät- bzw. Lightprodukte, damit sie schlank bleiben oder werden, und Zero ist phonetisch Hero sehr ähnlich. Zudem unterstützt die schwarze Farbe die Männlichkeit im Gegensatz zum Silber der Cola Light. Genderspezifisches Marketing versucht heute vor allem, neue Märkte zu erschließen. Und das ist mit Cola Zero auch gelungen: Männer kaufen Light- bzw. Diätprodukte, auch wenn sie sie nie so bezeichnen würden. Der Markt der Kinderwagen ist ein weiteres Beispiel dafür. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titulierte einen Artikel mit „Buggy statt Porsche“.⁴⁵ Insbesondere Männer – hier junge Väter – achten besonders auf das Design und die Marke. Und da mag der Markenname MACLAREN für Buggies zwar nur zufällig phonetisch mit dem Rennwagenhersteller McLaren identisch sein, aber entsprechende emotionale Assoziationen sind nicht ausgeschlossen und werden von dem Buggyhersteller sicher gerne in Kauf genommen. Und so sind Kinderwagen heute zu Statussymbolen geworden, mit denen sich hervorragend Geld verdienen lässt. Eine weitere Branche hat den Mann als Markt entdeckt: Die Men’s World bietet auch in diesem Jahr wieder alles, was kochbegeisterte Männerherzen höher schlagen lässt. Schon in der Steinzeit war es die Aufgabe des Mannes, die Beute zu erlegen, und wer die schärfste Pfeilspitze hatte, hatte gewonnen. Prinzipiell hat sich daran in den letzten 50.000 Jahren wenig geändert, bis auf die Tatsache, dass moderne Männer auch das Zubereiten des Jagdgutes nicht mehr unbedingt ihren Frauen überlassen. Und genau diese echten Kerle können sich in diesem Jahr wieder auf die Men’s World freuen. In Zusammenarbeit mit BEEF!, dem Koch- und Lifestylemagazin für Männer, entsteht auf über 1.500 Quadratmetern wieder eine außergewöhnliche Welt, in der Männer riechen, fühlen, schmecken und selber machen können.⁴⁶

45 Vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 2007. 46 eat&STYLE 2011.

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Dabei ist BEEF! das Kochmagazin „für Männer mit Geschmack“. Und es ist bekannt, dass Männer, die kochen, bereit sind, besonders viel Geld für das Zubehör auszugeben: eine Vielzahl sehr teurer Messer, z.B. aus Damaszener Stahl. BEEF! beschreibt dies so: Männlich, opulent, unique und edel – das ist die Philosophie von BEEF! Und die spiegelt sich in allen Details wider. In den Rezepten, die nicht leicht, gesund und einfach sein müssen, sondern ausgefallen, herausfordernd und hochwertig sein sollen. […] Und natürlich in den Präsentationen von Produkten – Messern, Espressomaschinen, Hightech-Küchengeräten –, bei denen es auf Qualität und Design manchmal mehr ankommt als auf Praktikabiliät und Preis.⁴⁷

Auch Bibliotheken können überlegen, wie sie ihre Produkte und Dienstleistungen mit neuen Attributen versehen, sodass sie für Jungen und Männer, die als Kunden fast in allen Öffentlichen Bibliotheken in der Unterzahl sind⁴⁸, attraktiv werden. Berücksichtigt werden sollte dabei auch, dass Frauen als Mitarbeiter in Bibliotheken fast immer in der Überzahl sind. Möglicherweise gestalten sie unterbewusst Produkte und Dienstleistungen eher für Mädchen und Frauen als für Männer, da sie selbst nur auf eine bestimmte Form der Kommunikation ansprechen und auch nur genau so angesprochen werden möchten. Vielleicht wünschen Väter, wenn sie mit dem Nachwuchs in die Bibliothek kommen, eine andere Form der Unterhaltung als Mütter. Modegeschäfte für Frauen haben dies bereits erkannt. Sie bieten immer häufiger für begleitende Männer gemütliche Sitzecken mit Getränkeautomaten und Zeitschriften oder auch Internetplätzen an.

5 Emotionen in der Kommunikation Gablers Wirtschaftslexikon definiert den Begriff „Kommunikation“ als Austausch von Informationen zwischen Personen.⁴⁹ Der Kommunikationsprozess findet dagegen auf drei unterschiedlichen Ebenen statt: auf verbaler (gesprochenes Wort und geschriebener Text), paraverbaler (Art und Weise des Sprechens) und nonverbaler (Körpersprache, äußere Erscheinung) Ebene. Ziel von Emotionen in der Kommunikation ist es, den Kunden so zu emotionalisieren, dass er zum Verkäufer, zum Produkt, zur Dienstleistung und zum Unternehmen positive Gefühle entwickelt bzw. behält und schließlich selbst zum Markenbotschafter wird. Das Ziel ist erreichbar durch überzeugende Kommunikation.⁵⁰

47 48 49 50

Culinaris 2011. Vgl. Leitner 2011. Vgl. Gabler Verlag o.J. Bittner, Schwarz 2010, S. 14 ff.

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5.1 Das 90:10-Prinzip der Wahrnehmung Wenn in einem Gespräch 90 % der Kommunikation gut war und 10 % schlecht, dann reagiert der Kunde mit 90 % der Aufmerksamkeit auf diese 10 %. In der Konsequenz bedeutet dies, dass positive Äußerungen zwar wahrgenommen werden, aber nicht ins Langzeitgedächtnis gelangen. Negative Emotionen dagegen haben Vorrang im Gehirn. Sie bilden die Primärmotivation, die bereits oben ausgeführt wurden, und werden daher auch im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Vielfach geht es um den Schutz vor Gefahren, womit der Mensch wie bereits erläutert mit Flucht reagiert.⁵¹

Somit entscheidet sich der Erfolg eines Kundengesprächs innerhalb weniger Sekunden durch die richtige oder falsche Wortwahl. negativ Frau … ist nicht da Dafür bin ich leider nicht zuständig Heute nicht mehr, und diese Woche auch nicht Ich habe die Unterlagen nicht zur Hand Das ist nicht unsere Schuld Ich kann Ihnen aber nichts versprechen Das geht überhaupt nicht

positiv Frau … kommt wieder um … Zuständig ist Herr … Nächste Woche am … Ich hole mir mal die Unterlagen Als Lösung schlage ich vor … Ich verspreche Ihnen, daß … Können wir Ihnen einen anderen Vorschlag machen?⁵²

Aber vielleicht fällt die Entscheidung über den Erfolg / Misserfolg auch schon viel früher. Bibliotheken sind vielfach immer noch gepflastert mit Verbotsschildern und der Androhung möglicher Konsequenzen wie z.B. Hausverbot, wenn die Verbote missachtet werden. Zudem führt die häufige Wiederholung eines Verbotsschildes nicht zwangsläufig zu der gewünschten Wirkung. Im Gegenteil. Und unter Betrachtung des 90:10-Prinzips der Wahrnehmung bleiben in einem Bibliotheksraum nur die Verbote in Erinnerung. Trotzdem versuchen zahlreiche Bibliotheken immer noch, Verbote durch häufige Wiederholung durchzusetzen. Da viele Bibliotheken ihre Verbotsschilder bereits in großer Zahl am Eingang anbringen, geht möglicherweise so mancher potenzielle Kunde wieder, bevor er überhaupt die Bibliothek betreten hat. Ein weiteres Beispiel: Mobile Angebote sind heute für alle Smartphone-Besitzer Standard. Viele Bibliotheken dagegen verbieten diese immer noch in ihren Räumen. Sie müssen den Spagat zwischen dem Ort der Ruhe, um zu lernen und zu arbeiten, und dem Aufenthalts- und Sozialraum der Kommunikation im Sinne des emotionalen Marketings anders lösen als durch Verbote.⁵³ So können z.B. Key-Visuals (Schlüsselbilder) zu einem bestimmten Verhalten beitragen. Bibliotheken können ihre Räume mit pas-

51 Georgy 2011, S. 369. 52 Tippscout.de 1999. 53 Vgl. auch Georgy 2010.

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senden Key-Visuals ausstatten, um auch bestimmte Emotionen und ein bestimmtes Verhalten in ihren Ruhe- und Kommunikationsinseln zu befördern.

6 Fazit und Ausblick Kunden kaufen Emotionen. Emotions make the money.⁵⁴

Viele erfolgreiche Hersteller und Anbieter von Produkten und Dienstleistungen setzen auf Emotionen in ihrem Marketing. Dabei wird auf ein positives Lebensgefühl gesetzt. Und die Verkäufer sind sympathisch, vertrauenswürdig, kompetent. Vor allem müssen sie authentisch sein und dem Kunden vermitteln, dass er im Mittelpunkt steht.⁵⁵ Und so gilt es auch für Bibliotheken, die Marke „Bibliothek“ mit einem hohen (positiven) Emotionswert auszustatten und vor allem die Emotionalisierung systematisch und langfristig zu planen. Dann kann es auch gelingen, den Kunden emotional an die Bibliothek zu binden. Zentrale Bestandteile sind dabei die Räume – „Bibliothek als Ort“  –, das Personal sowie die Kommunikation. Dann wird die Bibliothek auch zu einer physischen Markenplattform. Museen sind gute Beispiele dafür, dass sehr wohl der Schritt vom „Lernen im Museum“ zum „Lust auf Museen“ bzw. „Lernen in Erlebniswelten“⁵⁶ durch Emotion Marketing gelingen kann, wie z.B. die zahlreichen Wissenschaftsmuseen – vielfach bezeichnet als Science Center – beweisen.

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54 Bittner, Schwarz 2010, S. 14 ff. 55 Vgl. ebd. 56 Vgl. Grötsch 2007, S. 120 ff.

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Hanneke Kunst, Isabelle van Woerkom übersetzt von Nina Schoof

Einzelhandelsmarketing in niederländischen Bibliotheken 1 Einleitung: Die aktuelle Situation in den Niederlanden Öffentliche Bibliotheken sind hinsichtlich ihrer Reichweite und Kundenbindung die erfolgreichsten öffentlichen Einrichtungen in den Niederlanden. Mehr als vier Millionen Kunden besitzen einen Bibliotheksausweis; dies ist ca. ein Viertel der niederländischen Bevölkerung. Neben der hohen Marktdurchdringung ist auch die Nutzung der Bibliotheken eindrucksvoll: Es werden jährlich beachtliche 100 Millionen Bücher entliehen, während pro Jahr 46 Millionen Bücher gekauft werden. Die Bibliotheken sind in den Niederlanden folglich der größte „Lieferant“ von Büchern. Und doch hat sich die Situation in den letzten Jahren verschlechtert. Durch die Zunahme des Wohlstands und den großen Wettbewerb in den Bereichen Information und Unterhaltung ist die Bibliothek als Anlaufpunkt weniger selbstverständlich geworden und in der Öffentlichkeit weniger präsent. Dies zeigt sich u.a. in rückläufigen Besucherzahlen und Entleihungen. Zudem sind viele Bibliotheken gegenwärtig von Sparmaßnahmen bedroht oder schon betroffen. Viele Kunden sind der Meinung, dass Angebote und Dienstleistungen der Bibliotheken nicht mehr ihren aktuellen Bedürfnissen entsprechen. Es fehlt eine passende und kundenorientierte Zusammenstellung des Sortiments und eine verlockende und reizvolle Präsentation desselbigen. Kunden kritisieren, dass z.B. Öffnungszeiten und Service nicht zu ihren Arbeitszeiten passen. Auch zeigt sich aus Kundenbefragungen, dass Kunden so einfach wie möglich finden wollen, was sie suchen. Wichtige Hilfsmittel sind dabei eine übersichtliche Strukturierung des Bestandes, ein schlüssiges Kundenleitsystem und eine gute Beschriftung. Um die Tendenz der rückläufigen Kundenzahlen zu stoppen und die Bibliotheksnutzung zu steigern, wird in den Niederlanden intensiv an einer neuen Marketingstrategie gearbeitet. Durch Fördergelder des niederländischen Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft konnten zehn Bibliotheksverbünde in den Jahren 2010 und 2011 an der Entwicklung eines landesweiten Konzeptes zusammenarbeiten. Die dabei entstandene Marketingstrategie basiert auf Konzepten des Einzelhandelsmarketings. Unter Einzelhandelsmarketing versteht man alle betriebswirtschaftlichen Aktivitäten, die sich auf den direkten Absatz von Produkten und Dienstleistungen beziehen, die von Endverbrauchern gekauft werden. Bibliotheken können von der Welt des Einkaufens, kurz vom Einzelhandelsmarketing, lernen. Einzelhandelsmarketing denkt

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konsequent aus der Sicht des Kunden und erforscht, wie sich Kunden verhalten. Einzelhandelsmarketing zeigt Bibliotheken, wie sie sich einladend für ihre Kunden präsentieren können, und auch, wie sie ihre Kunden nachhaltig an sich binden. Die Anwendung von Konzepten aus dem Einzelhandelsmarketing hat geholfen, die Leistungen von Bibliotheken in den Niederlanden erheblich zu verbessern. Inzwischen wird Einzelhandelsmarketing in rund fünfzig niederländischen Bibliotheken angewandt. Die Zahl der Kunden mit Mitgliedsausweis stieg dort seit Einführung der Konzepte um 10 % und die Anzahl der Entleihungen um 30 %. Hierbei handelt es sich nicht um kurzfristige einmalige, sondern um langfristige strukturelle Verbesserungen: ein bleibendes Resultat! In dem vorliegenden Beitrag wird gezeigt, was die Stärken des Einzelhandelsmarketings sind und wie sich Bibliotheken von eher unzugänglichen Bücherlagern zu einladenden und verführerischen Schatzkammern entwickeln können.

2 Eine „verkaufsstarke“ Bibliothek Einzelhandelsmarketing bezieht sich auf die Realisierung eines starken Verkaufskonzeptes, das den Marketing-Mix von Bibliotheken vollständig ausschöpft. Die Theorie des Einzelhandelsmarketings von van der Kind und Quix unterscheidet einen externen und einen internen Marketing-Mix.¹ Diese Theorie präsentiert einen abweichenden Marketing-Mix, nämlich einen, der spezifisch auf einen physischen Ort ausgerichtet ist. Mit dem externen Marketing-Mix (siehe Abschnitt 3) versucht eine Bibliothek (potenzielle) Kunden anzusprechen. Der externe Marketing-Mix bezieht sich auf die Namensbekanntheit sowie das Image und besteht aus den Marketing-Ps² People (Publikum), Product (Produkt), Place (Ort), Price (Preis) und Promotion (Verkaufsförderung). Umso einladender sich eine Bibliothek präsentiert, desto stärker zieht sie Kunden an. Der interne Marketing-Mix (siehe Abschnitt 4) spielt sich „innerhalb“ der Bibliothek ab. Er bezieht sich auf alles, was eine Bibliothek tun kann, um Kunden dazu anzuregen, die Bibliothek aktiv zu nutzen und deren Produkte und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Dies kann als ein Maß für die Effektivität der Bibliothek interpretiert werden: die Bibliothek „als Verkaufsmaschine“. Der interne MarketingMix bezieht sich vor allem auf den physischen Verkaufsraum und besteht aus den Marketing-Ps Präsentation, Personal und Produktivität. Es sind die Ps, die schließ-

1 Vgl. van der Kind, Quix 2008, S. 41. 2 Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 3 im Beitrag „Strategisches Marketing“ von Hobohm sowie den Beitrag „Implikationen des Marketings“ von Georgy und Schade in diesem Handbuch.

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lich die Effektivität der Bibliothek bestimmen. Je größer die Effektivität und Effizienz, desto mehr werden Kunden die Bibliothek vor Ort nutzen. In den folgenden Abschnitten wird anhand des externen und internen MarketingMixes beschrieben, welche Optimierungen und Verbesserungen Bibliotheken in den Niederlanden angewandt haben, die auf Konzepten des Einzelhandels basieren.

3 Der externe Marketing-Mix: Kundengewinnung Der erste Schritt der externen Marketingplanung ist die Konzeption eines neuen Markenzeichens und einer neuen Positionierung für niederländische Bibliotheken. Für die Bibliotheken in den Niederlanden ist ein neues Markenzeichen im Rahmen des Corporate Designs entwickelt worden. Dabei ist die Markenpositionierung ein wichtiger Marketingansatz, der versucht, bewusst einem Produkt oder einer Dienstleistung einen Platz im Denken des Konsumenten zu verschaffen, indem das Angebot sehr deutlich abgegrenzt wird von Angeboten der Wettbewerber.³ Die Positionierung zielt darauf ab, ein positives und unverwechselbares Image bei der Zielgruppe aufzubauen. Dieses Image basiert oft auf einem beständigen Wettbewerbsvorteil, der das Alleinstellungsmerkmal und den Mehrwert des eigenen Angebotes beständig demonstriert. Bei einem solchen Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb ist es wichtig zu formulieren, warum der Kunde gerade die Bibliothek schätzen soll: Für die einen ist es der kostenfreie Zugang zu Informationsressourcen, für andere ist es der kulturelle Ort, ein Ort des Austausches und der sozialen Begegnung. Hieraus wird die Markenidentität der Bibliothek abgeleitet: eine Schatzkammer und ein Begegnungsort für Inspiration, Wissen und Freude am Lesen. Auf der Grundlage dieser Markenidentität wurden für die Bibliotheken in den Niederlanden ein neues Markenzeichen und ein Corporate Design entwickelt (siehe Abb. 1). Inzwischen verwendet eine große Anzahl der Bibliotheken dieses Markenzeichen. Der Vorteil gegenüber früher ist: Die rund 170 unterschiedlichen Markenzeichen der einzelnen Bibliotheken verschwinden, und es entsteht dadurch eine neue, eindeutige Positionierung der Bibliotheken in den Niederlanden. Der Markenwert bezieht sich auf die Markenpersönlichkeit sowie auf die internen und externen Werte der niederländischen Bibliotheken. Die verschiedenen Markenattribute bilden zusammen das Markenzeichen der Bibliotheken. Mehr und mehr wird das neue Markenzeichen im Straßenbild, in der Bibliothek selbst und im Schriftverkehr einen Platz einnehmen, wodurch die Bibliotheken landesweit sichtbar werden.

3 Vgl. hierzu die Beiträge „Markenentwicklung“ von Schade sowie „Markenkommunikation“ von Engelkenmeier in diesem Handbuch.

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Abb. 1: Die Marke der Bibliothek

Äußerer Kreis Interne waarden: Innere Werte – Betrouwbaar: Zuverlässig, – Rijk / delend: Reich / teilend, – Uitnodigend, overtuigend: Einladend, überzeugend, – Open, zorgend, warm: Offen, fürsorglich, warm, – Vrolijk, levenslustig: Fröhlich, lebenslustig, – Systematisch, consciëntieus: Systematisch, gewissenhaft. Externe waarden: Äußere Werte – Ik ontwikkel me: Ich entwickle mich, – Ik heb een bredere belangstelling: Ich habe ein breiteres Interesse, – Ik sta open voor verrassingen: Ich bin offen für Überraschungen, – Ik kan genieten van het leven: Ich kann das Leben genießen, – Ik houd van leven, verhalen, muziek: Ich mag das Leben, Geschichten, Musik, – Ik sta midden in de wereld: Ich stehe mitten im Leben. Merkpersoonlijkheid: Markenpersönlichkeit – Hoe praat en gedraagt de bibliotheek zich: Wie spricht und verhält sich die Bibliothek, – Modern, vrolijk, levenslustig; Modern, fröhlich, lebenslustig, – Geïnteresseerd, contact zoeken: Interessiert, Kontakt suchen.

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Mittlerer Kreis Bewijsvoering: Beweisführung – Centrum van de stad: Stadtzentrum, – Browsen en proberen zonder druk en controle: Browsen und Ausprobieren ohne Druck und Kontrolle, – Je kan altijd om hulp vragen: Man kann immer jemanden um Hilfe fragen, – Vrije toegang, vrije werk- en ontmoetingsplekken: Freier Zugang, frei zugängliche Arbeits- und Treffpunkte, – Elke stad: Jede Stadt, – Alle NL boeken, cd’s, dvd’s: Alle niederländischen Bücher, CDs, DVDs, – Blijven zolang je wilt: Bleiben, so lange man will. Waardepositie: Werteposition – De ideale proeftuin; alles voorhanden tegen een niet te overtreffen prijs: Das ideale Experimentierfeld; alles vorhanden für einen nicht zu übertreffenden Preis. Innerer Bereich – Een schatkamer en een ontmoetingsplaats voor inspiratie, kennis en leesplezier: Eine Schatzkammer und ein Begegnungsort für Inspiration, Wissen und Freude am Lesen. Im Folgenden wird auf die Bestandteile des externen Marketing-Mixes eingegangen.

3.1 Kunden Die Zielgruppen Öffentlicher Bibliotheken sind vor allem Kinder und Erwachsene. Um mehr Einblick in die Wünsche der Zielgruppen zu bekommen, ist eine Kundensegmentierungsstudie durchgeführt worden. Auf dieser Grundlage sind Kunden nach Lebensstil und dazugehörendem Interessenprofil eingruppiert worden.⁴ So konnten insgesamt sechs Kundengruppen identifiziert werden: Die Erwachsenen bilden einen primären Fokus auf drei Kundengruppen, darunter eine große Gruppe, die „romantische Bücher“ sehr schätzt. Ein weiteres Kundensegment schätzt vor allem spannende Bücher, wie Thriller und Kriminalromane. Und schließlich gibt es das Kundensegment, das gehobene Literatur schätzt und ein Interesse an Kunst und Kultur hat. Innerhalb der Gruppen der Erwachsenen sind es vor allem Frauen, die zur Entspannung lesen und sehr leseaffin sind.

4 Vgl. dazu umfassend theoretisch sowie auch speziell für den deutschsprachigen Raum den Beitrag „Marktsegmentierung“ von Schade in diesem Handbuch.

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Kinder sind in drei Altersgruppen einzuteilen, nämlich aufgrund ihrer Leseentwicklung und ihres kindlichen bzw. adoleszenten Entwicklungsstandes: bis einschließlich acht Jahre, von neun bis einschließlich elf Jahren und ab zwölf Jahren. Kinder bis acht Jahre kommen meistens in Begleitung ihrer (Groß-)Eltern. Eltern haben das Bedürfnis, beraten und inspiriert zu werden. Kinder der Altersgruppe von neun bis elf Jahren kommen zum Teil alleine und wollen in jedem Fall selbstständig suchen. Jugendliche ab zwölf Jahren wollen nicht mehr als Kind gesehen werden und kommen hauptsächlich alleine in die Bibliothek. In der Bibliothek selbst wollen sie gern einen eigenen Bereich haben und auf keinen Fall mit den jüngeren Altersgruppen in Verbindung gebracht werden.

3.2 Produkt- und Dienstleistungspräsentation Nachdem deutlich geworden ist, welche Kundengruppen es gibt und welche Ansprüche diese stellen, wird es möglich, ein passenderes Produkt- und Dienstleistungsangebot zu entwickeln, um damit den Kundenbedürfnissen genauer zu entsprechen. Damit lassen sich die Kundennachfrage und das Angebot der Bibliothek viel besser aufeinander abstimmen. Mit anderen Worten, dem Kunden wird das geboten, was er sich wünscht. Das bedeutet z.B., dass die Bibliothek sich stark auf den vom Kunden gewünschten Bestand konzentriert und innerhalb dieser Bestandsthemen mehr Medien anschafft  – sowohl mehr unterschiedliche Titel als auch mehr Exemplare pro Titel. Der physische Bestand bekommt so mehr Bedeutung für den Kunden: Der Bestand fordert heraus, überrascht und bereichert. Unter Berücksichtigung des Einzelhandelsgedankens ist es wichtig, das Sortiment höchst attraktiv zu präsentieren, um Aufmerksamkeit zu wecken. Deshalb werden weitere Bücher um die drei definierten Genres (Literatur, Spannung und Romantisches) gruppiert, da diese Genres gemäß der Kundensegmentierung die großen Publikumsmagneten sind. Zu diesen Belletristik-Genres werden z.B. Sachbuch-Genres platziert mit dem Ziel des Querverkaufs: Bibliotheksbesucher, die wegen beliebter Romane kommen, stoßen auf ihrem Weg dorthin auf diese Sachbücher und werden so verführt, auch diese anzuschauen und mitzunehmen. Das gruppierte Sortiment erzeugt auf diese Weise „eine Welt“, die zu dem Interessengebiet der Zielgruppen passt.

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Abb. 2: Platzierung des Bestandes „Wohnen und Natur“ neben „romantischen Romanen“ (Bibliothek Haren)

Abb. 3: Frontalpräsentation der Gruppierung „Spannend“ als Blickfang

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Abb. 4: Platzierung der Kochbücher zwischen „romantischen Romanen“ (Bibliothek Haren)

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3.3 Standort Der Standort einer Bibliothek ist von großer Wichtigkeit. Je mehr Besucherströme an der Bibliothek vorbeikommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch die Bibliothek besuchen. Eine Filiale in einer geschäftigen Ladenstraße oder am Marktplatz im Zentrum der Stadt ist bei Weitem die beste Wahl. Man findet Bibliotheken auch öfter in multifunktionalen Gebäuden, die sie mit anderen (kulturellen) Einrichtungen teilen. Dies kann ein geeigneter Ort sein, vorausgesetzt, dass dort noch genug andere große Publikumsmagneten ansässig sind. Die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur ist vorteilhaft, was sich z.B. auch positiv auf die Öffnungszeiten und -dauer auswirken kann. Bibliotheken gewinnen auch an Anziehungskraft, wenn sie bereits von außen einladend wirken. Sie verführen neben dem interessierten Besucher auch den zufällig vorbeikommenden Passanten, sich in der Bibliothek umzuschauen. Eine Bibliothek wird so zu einer Verlängerung der Straße. Der Eingang muss potenzielle Besucher förmlich hinein „saugen“. Das gelingt vor allem dann, wenn die Bibliothek ihre für die Kunden attraktiven Produkte für die Passanten sichtbar präsentiert. Sehr wichtig für Bibliotheken sind in diesem Kontext großzügige Öffnungszeiten. Bibliotheken, die mindestens 50 Stunden pro Woche geöffnet haben, sind im Vorteil. Supermärkte und andere Läden haben in den letzten Jahren ihre Öffnungszeiten erweitert, Konsumenten haben ihre Erwartungen an diese Entwicklung angepasst. Wenn die Bibliothek ihre Öffnungszeiten auf die Ladenöffnungszeiten in der näheren Umgebung abstimmt, hat dies außerdem den Vorteil, dass Kunden Bibliotheksbesuch und Einkauf miteinander verbinden können. Darüber hinaus ist es auch sehr wichtig, jeden Tag dieselben Öffnungszeiten zu haben, da die Kunden sich diese dann einfacher merken können.

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Abb. 5: Anziehungspunkt: atmosphärische Bilder im Eingangsbereich (Bibliothek Almelo)

Abb. 6: Anziehende Wirkung von Displaytischen im Eingangsbereich (Bibliothek Haren)

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3.4 Preise und Gebühren Einer der wichtigen Pluspunkte der Bibliotheken ist, dass es für Kunden nicht teuer ist, einen Benutzerausweis zu erwerben. Die Gebühren der Bibliotheken sind sehr niedrig, sodass Bibliotheken zu den attraktivsten Anbietern von Büchern und Informationsdienstleistungen gehören. In den Niederlanden konnte eine landesweit klare und eindeutige Preis- und Gebührenpolitik bislang noch nicht etabliert werden, Ziel ist jedoch eine Gebührenpolitik, die möglichst wenig Varianten in niederländischen Bibliotheken aufweist. Zudem steht auf der Wunschliste von vielen Bibliotheken in den Niederlanden, jedem Niederländer den Zugang zu jeder Bibliothek zu ermöglichen, unabhängig davon, an welchem Ort er sich gerade befindet. Eine landesweite Preis- und Gebührenpolitik ist dafür ebenso eine der Voraussetzungen wie ein landesweiter Bibliotheksausweis.

3.5 Werbung und Öffentlichkeitsarbeit Das Produkt- und Dienstleistungsangebot der Bibliotheken sollte die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erlangen. Hierfür werden Werbung und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt. Dabei wäre an Werbung für Produkte, Dienstleistungen und Kunden zu denken. Darüber hinaus zielen Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeit darauf ab, langfristig ein positives Image von Bibliotheken in der Bevölkerung aufzubauen. In den Niederlanden können Bibliotheken an zentralen, landesweiten Imagekampagnen teilnehmen. Darüber hinaus entwickeln sie selbstständig Konzepte der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für den spezifischen Markt vor Ort. Bibliotheken können hierbei das überregional entwickelte Corporate Design nutzen. Die Verwendung des Corporate Designs ist kostenlos, und die Bibliothek bezahlt nur die Publikationskosten, die vor Ort entstehen. Jede Werbekampagne ist abgestimmt auf die bereits genannten Markenwerte der Bibliothek. Daneben werden in den Bibliotheken selbst verkaufsfördernde Maßnahmen durchgeführt. So werden z.B. anziehende Produktpräsentationen für Bibliotheksbesucher arrangiert (siehe die Abb. 2 bis 6). Die Wahl der Themen sowie die Gestaltung und Wahl des Werbematerials hierfür werden zentral organisiert.

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4 Der interne Marketing-Mix: Verführung des Kunden Im Folgenden wird auf den internen Marketing-Mix von Bibliotheken eingegangen. Was kann die Bibliothek tun, um Kunden, die sich in der Bibliothek aufhalten, also den Weg in die Bibliothek bereits gefunden haben, so erfolgreich wie möglich zu „verführen“, die Produkte und Dienstleistungen der Bibliothek auch zu nutzen?

4.1 Präsentation: Die Bibliothek als einladender und anziehender Laden Wenn der Kunde die Bibliothek betritt, sollte er auf eine sehr natürliche Weise in ihren Bann gezogen werden. Es muss mit einem Blick deutlich werden, wo der Kunde finden kann, was er sucht. Schon das Betreten muss zum Erkunden der Räumlichkeiten und zum Verweilen verführen. Ein schlüssiges Leit- und Orientierungssystem, das beim Eintreten sofort ins Auge fällt, ist das Instrument par excellence, um dem Kunden sofort einen Überblick zu verschaffen, wie Räumlichkeiten und Angebote strukturiert sind.

Abb. 7: Die in einem Bogen verlaufenden Regale führen den Kunden durch den Bibliotheksbereich (Bibliothek Almere).

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Der Suchaufwand des Kunden muss so gering wie möglich sein. Es ist wichtig, dass Kunden beim Betreten der Bibliothek einen klaren und übersichtlichen Eindruck bekommen, wo sie etwas finden können. Das Leit- und Orientierungssystem ist so zu gestalten, dass Kunden sich „gleichsam an die Hand genommen“ fühlen und sich überall schnell orientieren können. Eine zentrale Hauptroute führt den Kunden zügig durch das ganze Gebäude. Der Kunde kann diese Hauptroute über Nebenstrecken verlassen, z.B. in die verschiedenen Bücherwelten hinein, wobei diese Nebenstrecken ihn immer wieder zurück auf die Hauptroute führen sollten.

4.1.1 Leit- und Orientierungssystem Ein klares Leit- und Orientierungssystem im Gebäude und in den Abteilungen der Bibliothek muss sowohl die Runshopper (Schnellkäufer), die nur schnell ein paar ausgeliehene Bücher zurückbringen oder ein paar Bücher aus dem Bestsellerservice ausleihen und dann das Gebäude wieder verlassen, als auch die Funshopper (Spaßkäufer) bedienen, die durch die Regale stöbern und länger bleiben möchten, als nötig wäre, um den reinen Medien- und Informationsbedarf zu decken. „Verführen“ und „Überraschen“ sind die Schlüsselwörter in einer Bibliothek. Dazu ist Transparenz erforderlich. In alle Richtungen und aus allen Richtungen müssen die Produkte und die Hinweise auf die Dienstleistungsangebote gut sichtbar sein und ein klares Bild von dem präsentierten Angebot erzeugen.

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Abb. 8: Leitsystem und Beschilderung unterstützen „Runshoppers“ bei einer schnellen Orientierung (Bibliothek Almelo).

4.1.2 Eine eigene Identität für jede Welt Um Kunden zu verführen und zum Verweilen einzuladen, ist eine kompakte Aufstellung mit Bücherregalen, die mitten im Raum stehen, nicht geeignet. Stattdessen ist es zu empfehlen, so viele Bücherregale wie möglich mit ihrer Rückseite an die Wände zu stellen. Nur dann ist es möglich, offene Welten zu kreieren, die durch ein entsprechendes Leit- und Orientierungssystem für Transparenz sorgen. Jede Welt innerhalb der Bibliothek muss ihre eigene Atmosphäre haben, die sich in Ausstattung, Dekoration und dem Leit- und Orientierungssystem widerspiegelt und damit verstärkt wird. Diese Vielschichtigkeit des Ambientes kreiert Erlebniswelten. Der Konsument steht nicht in einem Büchermagazin und muss nicht wie ein Bibliothekar Bücherrücken lesen, der Konsument flaniert durch ein Warenhaus von Lesewelten.

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Abb. 9: Durch die Nutzung von Wandregalen bleibt genug Platz für Sitzgelegenheiten (Bibliothek Haren).

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Abb. 10: Auch für Displaytische bleibt Platz durch die optimale Nutzung der Wand (Bibliothek Haren).

4.1.3 Präsentation Frontalpräsentationen von Büchern und anderen Materialien sind durch die Konditionierung des Kunden im Einzelhandel auch in Bibliotheken heute unentbehrlich und unterstützen den Kunden bei der Medienauswahl. Dies stellt bestimmte Anforderungen an das Präsentationsmobiliar. Es ist für Kunden ansprechend, wenn die Medien z.B. auf „Verkaufstischen“ wie in einer Buchhandlung präsentiert werden. Dies macht es dem Kunden leichter, eine Entscheidung zu treffen. Darüber hinaus werden Kunden dazu angeregt, mehr Medien mitzunehmen. Auch für die Regalpräsentation ist es anregender, wenn z.B. auf zwei Regalböden auf Augenhöhe frontal präsentiert wird.

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Abb. 11: Präsentation auf Tischen und im Regal (Bibliothek Zwolle)

Abb. 12: Gut ausgeleuchtete Präsentationsflächen unterstützen Kunden bei der Medienauswahl (Bibliothek Almere).

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Abb. 13: Themenpräsentation (Bibliothek Zwolle Süd)

4.1.4 Ein angenehmer Aufenthalt Viele Kunden möchten sich in der Bibliothek aufhalten, was bedeutet, dass sie an einem ruhigen Platz kürzere oder längere Zeit verweilen möchten, um zu lesen oder das Internet zu nutzen. Für größere Bibliotheken ist die Funktion als Aufenthaltsraum besonders wichtig.

Abb. 14: Ein separierter Bereich für „games“ (Bibliothek Vianen)

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Abb. 15: Sitzgelegenheiten zwischen dem Bestand (Bibliothek Zwolle)

4.2 Personal Wie intensiv auch in den kommenden Jahren an Verbesserungen und (Er-)Neuerungen der Bibliotheksangebote gearbeitet wird, der Bibliothekserfolg steht oder fällt mit der Qualität des Personals. Ein hervorragender Service durch fachkundige und kundenorientierte Mitarbeiter ist für Dienstleistungsunternehmen essenziell. Die Entscheidung für einen stärker markt- und kundenorientierten Einzelhandelsansatz fordert andere und zusätzliche Qualitäten von der Bibliothek und ihren Mitarbeitern. Die ideale Bibliothek hat nach diesem Ansatz keine feste Auskunftstheke mehr, hinter der die Mitarbeiter sitzen, sondern lediglich Informationspunkte und Mitarbeiter, die sich im Kundenbereich bewegen. Für die Bibliotheksmitarbeiter bedeutet dies, dass sich ihre Arbeit wesentlich verändert. Selbstbedienung und Selbstverbuchung sind dazu erste Ansatzpunkte. Durch die Eigeninitiative werden Personalkapazitäten frei, die für andere personalintensive Bereiche genutzt werden können.

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4.3 Produktivität Der Einzelhandel ist charakterisiert durch sichtbare und unsichtbare Merkmale. Sichtbar ist der direkte Verkauf an den Endkunden. Dieser bezieht sich auf den unmittelbaren Kontakt mit dem Kunden in einem physischen Raum, in dem Waren ausgestellt, gekauft und mitgenommen werden. Sichtbar ist auch ein digitaler Verkaufskanal über das Internet (Internet-Shop). Alles, was bislang in diesem Beitrag dargestellt wurde, betrifft genau diesen sichtbaren Teil der Bibliotheks- und Medienpräsentation. Aber wie sieht es mit den unsichtbaren Aspekten aus? Der Einzelhandel trägt vor allem dafür Sorge, dass die operationelle Ausführung im Verkaufsraum so effizient wie möglich verläuft. Diese Prozesse sind für den Kunden unsichtbar, beeinflussen jedoch stark die Kultur einer erfolgreichen Einzelhandelsumgebung, denn dieser Unterbau durchdringt alle Prozesse in der Einzelhandelsumgebung. Faktisch sind die dargebotenen Produkte und Dienstleistungen als Spitze eines Eisbergs zu betrachten, denn nur dieser Teil des Angebots ist deutlich sichtbar. Die vor- und nachgelagerten Prozesse zur Angebotserstellung sind für den Kunden nicht sichtbar. Einzelhandelsmarketing, wie es bisher durch niederländische Bibliotheken angewandt wird, geht über die physische Gestaltung einer Bibliothek und den sichtbaren Teil von Dienstleistungen weit hinaus. Um neue Dienstleistungen erfolgreich implementieren zu können, wird neben der physischen Einrichtung der Bibliothek noch ein breites Kompetenzspektrum genutzt. Es geht um Themen wie Bestandspolitik, Distribution, Einkauf, Marktforschung, Arbeitsmethoden und Organisationsformen, Steuerung und Monitoring, Sicherstellung der Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit und Personalpolitik. Diese betreffen die Prozesse, die für die Kunden nicht direkt sichtbar, aber für die Qualität des Angebotes entscheidend sind.

4.3.1 Nutzung von Standards Einer der wichtigsten Bereiche, woran Bibliotheken arbeiten können, ist ihre Produktivität. Wie viele Stunden hat eine Bibliothek im Durchschnitt im Frontoffice nötig? Wie groß muss eine Bibliothek sein? Um diese Fragen beantworten zu können, ist es unverzichtbar, Qualitätsstandards und ggf. Normen zu etablieren, die zu einem hilfreichen Bezugsrahmen führen, die Leistungen der Bibliotheken in einer definierten Qualität anzubieten und auch vergleichbar zu machen.⁵ Hiermit können Bibliotheken auf spezifische Problembereiche hinweisen und gezielte Verbesserungsmaßnahmen bei Produkten, Dienstleistungen und Prozessen durchführen, wie z.B. bei der Mitgliederwerbung und der Kundenbindung, der Erhöhung von Ausleihen, der Arbeitsproduktivität, der Logistik und den Öffnungszeiten etc. Gerade in Zeiten von

5 Siehe den Beitrag „Qualitätsmanagement“ von Vonhof in diesem Handbuch.

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Sparmaßnahmen können mit der effektiven Steuerung durch Qualitätsstandards und Normen sowie der Neuverteilung von Ressourcen, insbesondere finanzieller Mittel, Einsparungen abgefedert werden. Mit neuen Normen entstehen auch Richtlinien für eine optimale Verteilungspolitik.

5 Schlussbetrachtung Eine große Herausforderung der kommenden Jahre wird es sein, mehr Bürger mit einem passenden und einladenden Angebot in die physische und die digitale Bibliothek zu locken. Dies wird nur dann gelingen, wenn das Angebot und der Service an den Bedürfnissen, der Neugier und den Lebensumständen der Bevölkerung ausgerichtet werden. Die kommenden Jahre stehen also im Zeichen von Servicekomfort, der Optimierung des Angebots und der Ausrichtung auf die unterschiedlichen Zielgruppen. Außerdem wird die Bibliothek mit ihren Dienstleistungen mehr nach außen treten und präsent sein müssen. Um niederländische Bibliotheken weiter bei der Einführung von Einzelhandelsmarketing zu unterstützen, wurde mithilfe von Fördergeldern des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaften ein landesweites Konzept entwickelt, in dem viele der oben genannten Aspekte und Faktoren aufgenommen wurden. In den kommenden Jahren wird dieses Konzept weiterentwickelt. Eine andere wichtige zukünftige Entwicklung betrifft die Integration von Instore-, Online- und mobilen Apps.⁶ Dies erfordert eine Strategie des Cross Channel Retailings. Aber darüber ein nächstes Mal mehr …

Literaturverzeichnis van der Kind, Rob P.; Quix, Frank W.J.: Retailmarketing. Groningen: Noordhoff Verlag, 2008

6 Siehe dazu die Beiträge „Web-2.0-Kommunikation“ von Trapp sowie „Mobiles Marketing“ von Vatter in diesem Handbuch.

Über die Autoren Prof. Tom Becker M.A. war Bibliotheksleiter und lehrt seit 2011 in den bibliotheksbezogenen Studiengängen an der Fachhochschule Köln Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken. Kontakt: [email protected] Ralf Drechsler B.A. war nach seinem Studium des Bibliotheks- und Informationsmanagements als PR-Berater tätig. Seit Oktober 2011 ist er Projekt-Manager für Online-Marketing bei der Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH. Kontakt: [email protected] Ute Engelkenmeier M.A. war Öffentlichkeitsarbeiterin an der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Dortmund (vormals Universität Dortmund) und leitet dort seit 2011 das Hauptreferat Benutzung. Kontakt: [email protected] Anja Flicker arbeitete als Diplom-Bibliothekarin an der Münchner Stadtbibliothek, bevor sie 2001 als Referentin für Wissensmanagement in die freie Wirtschaft wechselte. Seit 2010 leitet sie die Stadtbücherei Würzburg. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Simone Fühles-Ubach ist Dokumentarin und Informationswissenschaftlerin und lehrt seit 1998 am Institut für Informationswissenschaft der Fachhochschule Köln Statistik und Bibliotheksmanagement. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Ursula Georgy war selbstständige Informationsmanagerin und lehrt seit 2000 in den bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengängen an der Fachhochschule Köln Informationsmarketing. Kontakt: [email protected] Dr. Albrecht Göschel, Diplom-Ingenieur, ist Stadt- und Kultursoziologe und Stadtplaner. Er arbeitete von 1987 bis 2006 als Projektleiter am Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin; 2007 bis 2010 Vorsitzender des Forums Gemeinschaftliches Wohnen, Hannover; freie Vortrags- und Publikationstätigkeit mit den Schwerpunkten Kulturpolitik und Kulturmanagement, Wertewandel, Demografie, Stadtentwicklung und Planungstheorie. Kontakt: [email protected]

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Über die Autoren

Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm war Marketingleiter am Informationszentrum Sozialwissenschaften und lehrt seit 1995 Bibliotheksmanagement am Fachbereich Informationswissenschaften an der Fachhochschule Potsdam. Kontakt: [email protected] Christian Jahl studierte Volkswirtschaft und ist seit 1984 bei den büchereien wien in der Hauptbücherei tätig. Seit 2001 ist er Leiter der Hauptbücherei in der Skodagasse, seit Eröffnung 2003 Leiter der Hauptbücherei Am Gürtel. Kontakt: [email protected] Dorothee Kaser ist selbstständige Diplom-Designerin und arbeitet seit 2000 mit dem Gestaltungsbüro Neue Gestaltung GmbH in Berlin zusammen. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in den Bereichen Corporate Design Entwicklung und Digitale Medien. Kontakt: [email protected] Uta Keite, Bibliothekarin und Kulturmanagerin, war als Bibliotheksleiterin, Geschäftsführerin einer Bildungseinrichtung und Fachredakteurin tätig. Seit 2008 arbeitet sie als Referentin der Direktion und als Referentin Bürgerengagement bei den Bücherhallen Hamburg. Kontakt: [email protected] Dr. Hanneke Kunst arbeitet als Senior Beraterin bei Van Spaendonck Management Consultants. Sie führte das Einzelhandelsmarketing in der niederländischen Bibliotheksbranche ein und implementierte dies zusammen mit Isabelle van Woerkom bei verschiedenen Bibliotheken auf lokalem, überregionalem und landesweitem Niveau. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Frank Linde ist Volkswirt und lehrt seit 2000 in den bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengängen an der Fachhochschule Köln mit Schwerpunkt Informationsökonomie. Kontakt: [email protected] Barbara Lison ist Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und Geschäftsführerin des gleichnamigen Eigenbetriebs. Ihre besonderen Schwerpunkte im Bibliotheksmanagement sind Kundenorientierung, Innovationsmanagement und Ressourcenmanagement. Kontakt: [email protected]

Über die Autoren

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Prof. Dr. Claudia Lux ist Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und Honorarprofessorin am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Bibliothekspolitik, Veränderungsmanagement und Informationskompetenz. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler ist Historiker und arbeitete von 1997 bis 2012 an der ETH-Bibliothek Zürich. Er war dort ab 2009 für Innovation und Marketing zuständig. Seit Mai 2012 ist er Professor für Bibliothekswissenschaft an der HTW Chur. Kontakt: [email protected] Dr. Oliver Obst war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Gefäß- und Kreislauferkrankungen in Aachen. Er ist seit 1993 Fachreferent der Universitäts- und Landesbibliothek Münster und seit 1996 Leiter der Zweigbibliothek Medizin. Kontakt: [email protected] Prof. Frauke Schade M.A. ist Bibliothekarin und Kulturmanagerin und lehrt seit 2006 in den bibliotheksbezogenen Studiengängen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Informationsmarketing, Öffentlichkeitsarbeit und Bestandsmanagement. Kontakt: [email protected] Prof. Ragna Seidler-de Alwis MBA war Leiterin der Informationsabteilung (Information Research Center) einer internationalen Unternehmensberatung und lehrt seit 2003 in den bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengängen an der Fachhochschule Köln mit dem Fokus auf Wirtschaftsinformationen und Market Intelligence. Kontakt: [email protected] Klaus Stelberg, Diplom-Psychologe, ist seit 1991 als freiberuflicher Korrektor und Lektor tätig. Er lebt und arbeitet in Köln. Kontakt: [email protected] Markus Trapp M.A. ist seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg und dort seit 2010 zuständig für Social Media und E-Medien-Marketing. Kontakt: [email protected]

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Über die Autoren

Prof. Dr. Konrad Umlauf war Bibliotheksleiter und lehrt seit den 1980er Jahren in bibliotheksbezogenen Studiengängen. Er ist seit 1992 Hochschullehrer und seit 1993 am heutigen Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HumboldtUniversität Berlin tätig. Kontakt: [email protected]. André Vatter M.A. ist Journalist und Social Media Berater aus Hamburg. Seit 2010 verantwortet er zudem das Community Management im ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Kontakt: [email protected] Prof. Cornelia Vonhof ist Bibliothekarin und Betriebswirtin und lehrt seit 2004 Public Management überwiegend in den bibliothekarischen Studiengängen an der Hochschule der Medien Stuttgart. Kontakt: [email protected] Dr. Isabelle van Woerkom arbeitet als Senior Beraterin bei Van Spaendonck Management Consultants. Sie führte das Einzelhandelsmarketing in der niederländischen Bibliotheksbranche ein und implementierte dies zusammen mit Hanneke Kunst bei verschiedenen Bibliotheken auf lokalem, überregionalem und landesweitem Niveau. Kontakt: [email protected]

Register 4-C-Analyse-Konzept 140, 152, 237, 243 s.a. Markt- und Wettbewerbsanalyse, Marktforschung 5-Sense-Branding 618 s.a. Branding 21 gute Gründe für gute Bibliotheken 77 s.a. Bibliothekspolitische Forderung

A Absatzförderung 237, 244 Absatzmarketing 9 Absatzvermittler 25 Absolventenvereinigung 508 s.a. Alumni Aktionsparameter 167 Alleinstellungsmerkmal 138, 147, 150, 232, 349, 491, 580, 587, 629 s.a. Marke Allokation von Ressourcen 276, 288 s.a. Ressourcenallokation Alumni 508 s.a. Absolventenvereinigung Anreizmodell – intern 24, 263, 269, 326 Anreizmodell – extern 469, 586, 604 Ansoff-Matrix 140, 152 – 154, 225 – 227, 231 – 233, 240, 255, 299, 320, 480, 627, 628 s.a. Produkt-Markt-Matrix, Marktund Wettbewerbsanalyse, Strategisches Marketing App 459 – 465, 470, 471, 488, 595 – 598 Audit 307, 311, 414 s.a. Qualitätsmanagement Aufenthaltsqualität 21, 23, 26, 35, 55, 69, 71, 150, 238, 346, 494, 644 s.a. Ausstattungspolitik Augmented Reality 597 s.a. Zukunft Marketing Ausstattungspolitik 20 – 23, 26, 35, 55, 69, 71, 94, 150, 238, 244, 346, 477, 491, 494, 612, 627, 632, 633, 634, 638 – 643, 644 s.a. Marketing-Mix

B B2C-Markt 170, 549 s.a. Business-toConsumer-Markt Basisnutzen 117, 118 Befragung 21, 22, 142, 143, 184 – 196, 200, 201, 211, 242, 248, 312, 377, 398, 399 s.a. Marktforschung, Primärforschung

Benchmarking 150, 151 s.a. Markt- und Wettbewerbsanalyse Beobachtung 140 – 143, 183, 196 – 200, 329, 330, 480, 490, 553 s.a. Marktforschung, Primärforschung Beschwerdemanagement 24, 69, 312, 329, 398, 425, 451, 456, 481 – 485 s.a. Feedbackmanagement Bestandspräsentation 26, 612, 627, 632 – 634, 638, 642 s.a. Ausstattungspolitik Beziehungskapital 272, 273 Beziehungsmanagement 454, 455, 540 s.a. Community Management, Networking Bibliothekarische Standards 28, 30, 36, 44, 76 – 78, 311, 490, 496 Bibliotheken ‘93 76 s.a. Bibliothekspolitische Forderung Bibliotheksdienstleistung 10 – 16, 238, 239, 290, 292, 298, 394 s.a. Dienstleistung Bibliotheksmarke 29, 345, 355, 432, 436 s.a. Marke Bibliotheksplanung 44, 60, 89 – 92 Bibliothekspolitik 33, 42, 97, 265 – 267, 506, 508, 525, 526 s.a. Lobbyarbeit Bibliothekspolitische Forderung 76, 77, 525, 529 – 532 Bibliotheksprofil 34, 268, 354 s.a. Marke Bilanzierung 257, 276 Bildmarke 360 s.a. Corporate Design, Marke Bildungspolitik 33, 97, 267, 537 Bildsprache 378, 382, 385, 390 s.a. Corporate Design Blog 28, 322, 326, 329, 405, 406, 443 – 453, 489, 518, 583, 590, 592 s.a. Weblog, Web 2.0 Branchenmodell 310 – 312 Branchennetzwerk 510, 511 Branchenstrukturanalyse 159, 160 s.a. Marktund Wettbewerbsanalyse Branchenvereinigung 510 Branded House 31, 362 s.a. Markenarchitektur Branding 31, 32, 68, 238, 349, 353, 356, 358 – 361, 369 – 391, 404, 618, 629 Branding-Dreieck 359, 404 s.a. Branding Brand Land 616, 617 s.a. Emotion Marketing Bürgerschaftliches Engagement 510, 512, 527, 539, 543, 544, 557 – 569

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Register

Business-to-Consumer-Markt 170, 549 s.a. B2C-Markt

C C2C-Markt 170 s.a. Consumer-toConsumer-Markt CAF 305, 307 s.a. Common Assessment Framework Common Assessment Framework 305, 307 s.a. CAF Community Management 454, 455, 540 s.a. Beziehungsmanagement, Networking, Soziales Netzwerk Competitive Intelligence 140 Consumer-to-Consumer-Markt 170 s.a. C2C-Markt Corporate Citizenship 544, 557, 562, 563 Corporate Communication 505, 506 s.a. Markenkommunikation Corporate Design 32, 356, 358 – 361, 369 – 391, 506, 629 s.a. Branding, Markenkommunikation Corporate Social Responsibility 537, 549, 557 – 574 s.a. CSR Corporate Volunteering 557, 558, 561 – 566 CRM 235, 476, 477, 483, 486, 488, 506 s.a. Customer Relationship Management, Kundenbindungsstrategie CSR 537, 549, 557 – 574 s.a. Corporate Social Responsibility Customer-Experience-Management 537, 549, 589 Customer Relationship Management 235, 476, 477, 483, 486, 488, 506 s.a. CRM, Kundenbindungsstrategie

D Dachmarke 31, 32, 69, 72, 354, 355, 358, 362 – 365 s.a. Markenarchitektur Daseinsvorsorge 41 – 43, 47, 60, 208 Database Marketing 22, 170 Datenaufbereitung 22, 141, 202, 203, 211, 398 s.a. Marktforschung, Primärforschung Daten – Begriff 258, 259 Delivery Service 25 s.a. Distributionspolitik Delphi-Studie 189 s.a. Umfeldanalyse

Demografischer Wandel 8, 51 Digitales Rechtemanagement 129 s.a. DRM Dienstleistung 10 – 21, 26, 27, 49, 103 -116, 118, 122, 138 – 144, 161, 164, 166, 169, 171, 175, 176, 179, 235, 238, 239, 289 – 294, 349, 376, 394, 409, 529, 582 Dienstleistungsgesellschaft 7, 47, 55, 59, 60 Dienstleistungsmarketing 7, 10, 14, 17, 20 – 29, 141, 142, 144, 179, 235, 245, 253, 294, 349 Dienstleistungspolitik 20, 23, 147 s.a. Produktpolitik Dienstleistungsqualität 21, 22, 24, 27, 242, 289 – 298, 309 s.a. Qualität Dienstleistungssektor 8, 20, 235, 289, 291 Digitales Rechtemanagement 129 s.a. DRM DIN EN ISO 9000 293, 309, 310 s.a. ISO 9000, Qualitätsmanagement, Zertifizierung Disintermediation 29, 35 s.a. Distributionspolitik Distributionspolitik 20, 25, 26, 29, 35, 67, 79, 139, 237, 238, 243, 244, 640, 643 s.a. Marketing-Mix Diversifizierung 154, 231, 232 s.a. Ansoff-Matrix, Produkt-Markt-Matrix Drittmittel 547 s.a. Fundraising DRM 129 s.a. Digitales Rechtemanagement

E E-Commerce 25, 35, 470 EFQM 303 – 305 s.a. European Foundation for Quality Management, Qualitätsmanagement Ehrenamt 510, 512, 527, 543, 544, 557 – 574 s.a. Bürgerschaftliches Engagement Einzelhandel 26, 72, 73, 79 – 81, 627 – 632, 642, 646 Einzelhandelsmarketing 26, 94, 96, 244, 627 – 646 s.a. Retailmarketing Einzelmarke 31, 358, 362, 398 s.a. Markenarchitektur Einzelmarkenstrategie 31 s.a. Markenarchitektur Elevator Pitch 515 Emotion 6, 49, 50, 55, 69, 350, 588, 589, 605, 612 – 621, 640 Emotion Marketing 611 – 623 Endorsed Brand 32, 362, 364, 365 s.a. Markenarchitektur

Register

Erbschaft 541 s.a. Fundraising Erfahrungseigenschaft 13, 26, 116, 171, 235, 349 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik Erlebnismarke 615, 617 s.a. Emotion, Marke Erlebnisorientierung 50, 69 s.a. Emotion Erlebniswelt 6, 49, 55, 60, 69, 616, 640 s.a. Emotion Erreichbarkeit 26, 67, 79, 244 s.a. Distributionspolitik Erscheinungsbild 369 – 391 s.a. Corporate Design European Foundation for Quality Management 303 – 305 s.a. EFQM, Qualitätsmanagement EVA3 483 Externalisierung 23 s.a. Internalisierung Externalität 119, 120 Externer Faktor 11, 14, 21, 106, 141, 142, 235, 394 s.a. Dienstleistung

655

Gated Communities 57 s.a. Segregation Gendermarketing 619 s.a. Geschlechtsspezifisches Marketing Geofencing 600, 601 s.a. Web 2.0, Zukunft Marketing Geschlechtsspezifisches Marketing 619 s.a. Gendermarketing Globalisierung 9, 48, 59, 68 s.a. Internationalisierung Google+ 515, 517, 602 s.a. Web 2.0, Soziales Netzwerk Guerilla-Marketing 603

H Harter Standortfaktor 82 – 84, 88 s.a. Standortfaktor House of Brands 31, 362 s.a. Markenarchitektur Humankapital 52, 270, 273, 277 – 279

F I Facebook 329, 335, 365, 443 – 455, 467, 487, 489, 515 – 519, 570, 581 – 584, 599, 602, 605 s.a. Soziales Netzwerk, Web 2.0 Familienmarke 354, 358, 361 – 364 s.a. Markenarchitektur Feedbackmanagement 24, 69, 312, 329, 398, 425, 451, 456, 481 – 485 s.a. Beschwerdemanagement Finanzielle Krise 8, 41, 59 s.a. Krise First-Copy-Cost-Effekt 18, 109, 110, 111, 170 Five Forces 159, 160, 233 s.a. auch Fünf-Kräfte Fünf-Kräfte 159, 160, 233 s.a. Five Forces Fokusgruppe 329, 481, 589 s.a. Innovationsmanagement, Qualitätsmanagement Fragebogen 181, 185, 189 – 196 s.a. Befragung, Primärforschung Förderverein 506, 544, 545 s.a. Fundraising Fundraising 88, 506, 537 – 554, 562, 564, 571 Fundraising-Konzept 548 – 554

G Gamification 603 – 605 s.a. Zukunft Marketing GAP-Modell 21, 27, 235, 242, 295 – 297 s.a. Qualitätsmanagement

Ideenbewertung 280, 322, 330, 331 s.a. Innovationsprozess Ideengenerierung 280, 322 – 330 s.a. Innovationsprozess Image 7, 31, 80 – 95, 138, 139, 149, 152, 235 – 243, 252, 253, 272, 275, 278, 281, 337, 341 – 354, 358, 363, 366, 393, 394, 398 – 400, 405, 409, 426, 432, 479, 490 – 493, 496, 506, 510, 512, 530, 533, 537, 540, 549, 550 – 553, 562, 563, 568 – 571, 592, 605, 614, 615, 628, 629, 637 Image Stadt 89 s.a. Stadtimage Imageanalyse 398 s.a. Image Imagetransfer 32, 354, 361 – 364, 550, 568 s.a. Image Immaterialität 12, 14, 26, 235, 291, 349, 376, 394, 409, 529 s.a. Dienstleistung Information – Begriff 259, 257 Informationsasymmetrie 19, 26, 109, 112, 113, 164, 169, 171, 175 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik Informationsdienstleistung 11, 17, 106, 138, 144, 239 s.a. Dienstleistung Informationsgut 19, 103 – 109, 115 – 118, 122, 161 – 166, 171, 174, 176 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik

656

Register

Informationsökonomik 13, 18, 19, 26 – 28, 103 – 109, 115 – 118, 122, 125, 128, 129, 144, 159 – 165, 168, 171, 174, 176, 235, 349 Informationsmarkt 106, 159, 162 s.a. Informationsökonomik Informationsparadoxon 19, 115, 171 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik Informationsprodukt 11, 106, 107, 233 – 235, 240, 579 Informationsqualität 27, 113 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik, Qualität Informationsverteilung 18, 19, 28, 113 s.a. Informationsökonomik Innovation 49, 50, 145, 164, 242, 277 – 281, 319 – 338 Innovationscontrolling 334 s.a. Innovationsmanagement Innovationskommunikation 322, 336 – 338 s.a. Innovationsmanagement Innovationsmanagement 242, 319 – 338, 481, 489, 589, 604 Innovationsorganisation 323 Innovationsprozess 278 – 280, 321 – 323, 328 – 330, 489 Innovationsstrategie 242, 320, 332 s.a. Innovationsmanagement Intangibilität 14, 16, 238 s.a. Dienstleistung Integrierte Kommunikation 395, 409, 414, 505 s.a. Kommunikation Integrierte Markenführung 32, 364 s.a. Markenkommunikation Intellektuelles Kapital 257, 264, 274 Intelligence Cycle 140 s.a. Competitive Intelligence Internalisierung 23 s.a. Externalisierung Internationalisierung 9, 48, 59, 68 s.a. Globalisierung Interne Kommunikation 21, 24, 265, 268, 269, 402 – 409 s.a. Kommunikation Interview 143, 184, 187 – 189 s.a. Befragung, Primärforschung ISO 9000 293, 309, 310 s.a. DIN EN ISO 9000, Qualitätsmanagement, Zertifizierung Issues Management 427, 430

K Kano-Modell 478 s.a. Kundenbindung, Kundenzufriedenheit

Kapitalebene 272 Kartoffelgrafik 214 s.a. Milieumodell, Sinus-Milieu-Modell Käufermarkt 34, 235 KGSt 76 s.a. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement Knowledge 49, 258 – 260 s.a. Wissen Knowledge Management 69, 257 – 284 s.a. Wissensmanagement Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement 76 s.a. KGSt Kommunale Kultur 71, 80, 86 – 89 s.a. Standortfaktor Kommunales Freizeitangebot 82 s.a. Standortfaktor Kommunalpolitik 30, 41, 42, 49, 54, 55, 67, 87, 89, 208 Kommunikation 21, 24, 33, 237, 244, 268, 269, 369, 374, 377, 386, 393 – 403, 409 – 414, 420, 423, 425, 426, 430, 434 – 438, 447 – 450, 455, 486 – 488, 505, 506, 553, 560, 561, 570, 579, 590, 613, 616, 621, 637 Kommunikationsanalyse 374 Kommunikationsbudget 411 Kommunikationscontrolling 396 – 398, 413, 438, 455, 553 Kommunikationserfolg 399 Kommunikationsinstrument 33, 394, 402, 436, 488 Kommunikationskanal 377, 386, 402, 447 Kommunikationsmaßnahme 394 Kommunikationsmittel 377, 383, 436 Kommunikationsorganisation 386, 411, 419, 424, 425, 432 – 438, 450 Kommunikationsplanung 372, 381, 397 Kommunikationspolitik 18, 20, 27, 29, 33, 141, 400, 491, 493 s.a. Marketing-Mix Kommunikationsprozess 394 Kommunikationsstrategie 33, 244, 374, 394 – 399, 403, 409, 423, 434, 449 Kommunikationsziel 399 Kommunikative Leitidee 250, 358, 400, 411 s.a. Markenbotschaft, Markenkommunikation, Mission Komplement 122 – 124, 130, 169, 243 Komplementor 162 – 164, 169, 172 – 174 Konkurrenz 137, 148, 160, 162, 163, 173, 233 s.a. Wettbewerb Konkurrenzprinzip 125,127

Register

Kontaktpflege 425, 501 – 523, 572 s.a. Networking Kontinuierlicher Verbesserungsprozess 271, 280, 299, 304, 480 s.a. KVP, Qualitätsmanagement Kopierschutzmanagement 167, 169 Kreativitätstechniken 324, 325 s.a. Innovationsmanagement Krise 8, 41, 42, 52, 59, 419, 420 Krisenhandbuch 425, 434 – 439 Krisenkommunikation 419 – 439 Krisenlog 438 Krisenmanagement 420, 422, 430 Krisenprävention 425, 436, 438 Kulanz 484, 485 Kultur- und Bildungslandschaft 28, 30, 33, 36, 151, 264, 349, 432 Kundenanalyse 147 s.a. Nachfrageanalyse Kundenbeziehungsmanagement 476 Kundenbindung 7, 21, 235, 252, 253, 289, 329, 475 – 497, 582, 585, 586, 589 Kundenbindungsstrategie 235, 475 – 497, 506 Kundendaten 211, 225 – 227 Kundenerlebnismanagement 589 s.a. Emotion Kundengewinnung 475, 629 Kundenorientierung 7, 16, 21, 210, 287, 377, 399, 453, 627, 644 Kundensegmentierung 146, 631, 632 s.a. Marktsegmentierung Kundenverhalten 21, 139, 377, 480 s.a. Nachfrageanalyse Kundenzufriedenheit 7, 21, 190, 253, 289, 295, 304, 475 – 480 KVP 271, 280, 299, 304, 480 s.a. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Qualitätsmanagement

L Lagerfähigkeit 15, 16, 235, 291, 394 s.a. Dienstleistung Lebenslanges Lernen 49, 50, 265 Lebensstil 23, 50, 80, 207, 351 s.a. Milieu Lebensstilforschung 209 s.a. Milieuforschung Leistungsmessung 36, 151, 312 Leistungstyp 12, 13, 16, 292 Leistungstypologie 12, 13, 16 Leitbild 8, 47, 74, 268, 288, 354 s.a. Marke

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Lernende Organisation 262, 270, 277 s.a. Knowledge-Management, Wissensmanagement Lobbyarbeit 33, 42, 265 – 267, 436, 503, 504, 506, 509, 525 – 534 Location Based Marketing 467 – 469 Location Based Service 466, 600, 601 Logo 31, 365, 369, 382, 383 s.a. Branding, Corporate Design Lovemark 614 – 616 s.a. Emotion Marketing

M Marke 8, 29 – 34, 47, 49, 55, 68, 74, 138, 147, 150, 232, 250, 268, 276, 344 – 353, 372, 393, 432, 491, 580, 587, 613 – 617, 629, 630, 640 Markenarchitektur 29 – 32, 69, 72, 347, 354, 361 – 365, 375, 396 – 398, 399, 629 Markenbotschaft 250, 342, 343, 348, 358, 400, 411, 432, 613 s.a. Mission, Kommunikative Leitidee Markenentwicklung 32, 353 – 358, 614 Markenführung 31, 343, 395 Markenidentität 353 – 358, 360, 370, 372, 381, 395, 629 Markenimage 343 – 353, 363, 405, 540 s.a. Image Markenkern 31, 355 Markenkommunikation 24, 32, 250, 352, 258, 360, 364, 369, 378, 382, 385, 393 – 416, 432, 443, 505, 506, 613, 629 Markenmodell 355 – 358 Markenname 238, 349, 358 – 360 s.a. Branding Markenportfolio 347, 359, 396 s.a. Markenarchitektur Markenpositionierung 240, 346, 354, 369, 395, 629 Markenpräsentation 369 s.a. Corporate Design Markenstrategie 31, 69, 358 Markenzeichen 358, 629 s.a. Branding, Marke Marketingbudget 22, 491 Marketingcontrolling 9, 30, 179 Marketingforschung 142, 179 Marketinginstrument 9, 20 s.a. Marketing-Mix Marketingmanagementprozess 10, 30, 138, 142 Marketing-Mix 9, 18, 20 – 29, 35, 55, 67, 69, 94, 112, 113, 130, 139, 141, 150, 160, 174, 236, 237 – 246, 251, 270, 281, 288, 400, 477,

658

Register

491 – 494, 627 – 632, 637, 638 – 640, 643, 644 Marketingplanung 8, 136, 141, 226, 244 Marketingstrategie 32, 138, 147, 148, 231 – 253, 288, 476, 548 s.a. Strategisches Marketing Marketingziel 23, 139, 250, 549 s.a. Strategisches Marketing Marktabgrenzungsstrategie 35, 145 s.a. Strategisches Marketing Marktanteil 35, 36, 79, 139 – 141, 156, 167, 241, 242, 249 Marktbegrenzungsstrategie 159 Marktdurchdringung 153, 154, 225 – 227, 231, 232, 299, 320, 480, 627 s.a. Ansoff-Matrix, Produkt-Markt-Matrix Markterschließung 153, 154, 231, 320 s.a. Ansoff-Matrix, Produkt-Markt-Matrix Marktform 34 Marktforschung 8, 21, 22, 33, 35, 41, 69, 135 – 156, 159 – 176,179 – 204, 210 – 213, 242, 248, 249, 288, 312, 322, 329, 330, 377, 398, 399, 480, 490, 553, 601 Marktinformation 18, 104, 110, 128, 172 Marktleistungsziel 28, 36 s.a. Strategisches Marketing Marktpositionierung 137, 231, 240, 242, 290, 629 s.a. Strategisches Marketing Marktsegmentierung 9, 22, 33, 69, 143, 145, 146 – 152, 153, 207, 210, 220, 363, 377, 401, 631, 632 s.a. Strategisches Marketing Marktstellung 36, 103, 145, 226, 231, 252 s.a. Markt- und Wettbewerbsanalyse Marktstellungsziel 36, 103, 226, 252 s.a. Strategisches Marketing Markt- und Wettbewerbsanalyse 21, 35, 135 – 156,159 – 176, 198, 210 – 213, 225 – 227, 231 – 233, 234, 237, 240 – 243, 249, 255, 299, 320, 377, 398, 480, 627, 628 s.a. Marktforschung Markt- und Wettbewerbsstrategie 236 s.a. Strategisches Marketing Marktversagen 109, 113, 114, 124, 129, 164 Medienkonvergenz 17 Mediennutzungsverhalten 201, 212 Mental Convenience 31, 348 Microm Geo Milieus 221 s.a. Milieu Mikrogeografische Marktsegmentierung 220 s.a. Marktsegmentierung

Milieu 8, 23, 48, 50, 56, 80, 146, 207, 208, 214, 221, 351, 492 Milieuforschung 209 s.a. Lebensstilforschung Milieumodell 213, 214 s.a. Sinus-Milieu-Modell Milieustudie 207 Mission 250, 348, 358, 400, 411, 432 s.a. Kommunikative Leitidee, Markenbotschaft Mitarbeiterkommunikation 21, 406 – 409 s.a. Interne Kommunikation Mitarbeitermotivation 269, 406 – 409, 549, 563 Mitarbeiterzufriedenheit 24, 252, 253, 563 Mobile Revolution 593 s.a. Zukunft Marketing Mobiles Marketing 457 – 473, 593, 594 Mobiles Web 458, 593 – 601 Multisensorisches Marketing 618, 619 Mund-zu-Mund-Propaganda 454 Mystery Shopping 183, 198 – 200 s.a. Beobachtung, Primärforschung, Qualitätsmanagement Mäzenatentum 542, 564 s.a. Fundraising

N Nachbarschaftsaffinitätsprinzip 208 s.a. Segregation Nachfrageanalyse 18, 21, 33, 139, 147, 210, 377, 399, 480 s.a. Primärforschung Near Field Communication 473, 594 s.a. Mobiles Marketing, NFC Networking 425, 454, 455, 476, 501 – 523, 525, 540, 572 Netzeffektnutzen 117 s.a. Informationsökonomik Netzexternalität 122 Netzwerk 19, 334, 443, 501, 506, 525, 531 – 533, 562, 572 Netzwerkeffekt 19, 105, 116 – 118, 122, 161, 164, 168, 171, 176 s.a. Informationsökonomik Netzwerkgut 19, 109, 116 s.a. Informationsökonomik Neuro-CRM 486 s.a. CRM Neuroökonomie 486, 611 NFC 473, 594 s.a. Near Field Communication s.a. Mobiles Marketing Nicht-Gut 104 Non-Cash-Assistance 538 Non-Profit-Marketing 7, 29 – 36, 156, 235, 236, 363

Register

Non-Profit-Organisation 8, 29 – 36, 235, 236, 354, 375, 393, 537, 541 Nutzwertanalyse 94 – 99, 104, 112 s.a. Standortwahl

O Öffentliche Information 18, 164 s.a. Informationsökonomik Öffentlicher Auftrag 30 – 34 Öffentliches Gut 18, 109, 125, 129, 164, 169, 171 s.a. Informationsökonomik Öffentlichkeitsarbeit 420, 423, 450, 560, 570, 637 s.a. Public Relations, Kommunikation Online-Befragung 189, 194 s.a. Befragung, Primärforschung Online-Marketing 457, 487, 493, 584, 600 Open Innovation 328, 338, 489, 490 s.a. Innovationsmanagement Operatives Marketing 9, 20, 30, 33, 35, 238 – 246 s.a. Marketing-Mix Organisationsentwicklung 275, 276, 477

P Panel 183, 195, 201 – 202, 399 s.a. Befragung, Primärforschung Pauschaler Paarevergleich 95 s.a. Standortmarketing Personalentwicklung 270, 278, 279, 281 Personalisierung 28, 458, 462, 465, 488, 585, 589 Personalpolitik 20, 245, 644 s.a. Marketing-Mix Personifizierung 584 s.a. Web 2.0 PMS 143, 146, 152, 153 s.a. Produkt-MarktSegmentierung, Marktsegmentierung Politisches Umfeld 41 s.a. Umfeldanalyse Portfolioanalyse 234, 240 – 242 s.a. Strategisches Marketing Preisgestaltung 112, 113, 130, 174, 242, 243 s.a. Preis- und Gebührenpolitik Preis- und Gebührenpolitik 20, 33, 112, 113, 130, 174, 237, 242 – 244, 492, 637 s.a. Marketing-Mix Primärforschung 18, 21, 22, 33, 139 – 147, 179 – 204, 210, 211, 242, 248, 312, 329, 377, 398, 399, 480, 490

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Problemkonkretisierter Verbesserungsprozess 480 s.a. PVP, Kundenzufriedenheit, Qualitätsmanagement Produktentwicklung 153, 154, 231, 321, 478 s.a. Ansoff-Matrix, Produkt-Markt-Matrix Produktivität 49, 644, 645 Produktmarketing 20 Produkt-Markt-Matrix 140, 152 – 154, 225 – 227, 231 – 233, 240, 255, 299, 320, 480, 627, 628 s.a. Ansoff-Matrix, Markt- und Wettbewerbsanalyse, Strategisches Marketing Produkt-Markt-Segmentierung 143, 146, 152, 153 s.a. PMS, Marktsegmentierung Produktpolitik 20, 23, 147, 160, 237, 238, 242, 246, 281, 288, 477, 491 – 493 s.a. Marketing-Mix Produkt- und Dienstleistungspräsentation 612, 621, 632 – 634, 638 Profilierung 7, 30, 208, 364, 393, 563 Prosument 235, 583 Public Library Service Standards 77 Public Relations 420, 423, 450, 560, 570, 637 s.a. Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation Punktbewertungsverfahren 96 s.a. Einzelhandelsmarketing PVP 480 s.a. Problemkonkretisierter Verbesserungsprozess, Qualitätsmanagement

Q QR-Code 458, 463, 469 – 472, 591, 595, 599, 600 Qualität 13, 21 – 24, 27, 113, 190, 238, 242, 289 – 298, 309, 475 Qualität – Begriff 294 Qualitätscontrolling 27, 298, 299, 479, 483 Qualitätsdimension 297, 298 Qualitätsinstrument 312 Qualitätsmanagement 21, 22, 27, 198, 235, 238, 242, 271, 280, 287 – 315, 414, 475, 479, 480 Qualitätsstandard 76, 311, 645 Qualitätstechnik 312

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Register

R Raumzeitliches Präsenzkriterium 25, 640, 643 s.a. Distributionspolitik Rentabilitätsziel 30, 252 Ressourcenallokation 276, 288 s.a. Allokation von Ressourcen Retailmarketing 26, 94, 96, 244, 627 – 646 s.a. Einzelhandelsmarketing RSS-Feed 445, 446, 448, 462, 519, 592 s.a. Web 2.0

S Sachleistung 11 Schenkung 542 s.a. Fundraising Segregation 43, 57, 208 Sekundärforschung 22, 179, 182, 198, 211, 217, 398 Sensorisches Branding 618 s.a. Branding, Emotion Marketing Servicemanagement 235 Serviceuhr 484 SERVQUAL 22, 27, 298, 479 s.a. Qualitätsmanagement Signaling 18, 27, 114, 169 Sinus-Milieu 146, 213 – 220 s.a. Milieu Sinus-Milieu-Modell 213, 214 s.a. Milieumodell Situations- und Potenzialanalyse 246, 247 Slogan 348 – 350, 400 s.a. Wortmarke Social Media 443 – 456 Social-Media-Kommunikation 443 – 456 Social-Media-Marketing 450, 487 Social Network s.a. Soziales Netzwerk Social Web 487, 601 s.a. Web 2.0 Soziales Netzwerk 329, 335, 365, 443 – 456, 467, 487 – 489, 493, 496, 515 – 519, 525, 540, 570, 581 – 584, 591, 593, 599, 602, 605 Spende 539, 544, 545, 548, 562 s.a. Fundraising Sponsoring 88, 547, 548 – 554 562, 571 s.a. Fundraising Sponsoringkonzept 551 – 554 Sponsoringrichtlinie 551 Stadtentwicklung 41, 42, 48, 49, 69 s.a. Stadtplanung Stadtimage 89 s.a. Image Stadt Stadtmarke 68, 364 s.a. Standortmarketing

Stadtplanung 41 – 49, 67 – 70, 78, 89 Stadt- und Regionalmarketing 67, 71, 75, 81, 87 s.a. Standortmarketing Stakeholder 33, 167, 168, 176, 252, 266, 304, 336, 354, 393, 401, 423, 425, 428, 435, 560, 561 Standardisierung 13 – 15, 44, 166, 167, 492 Standort 25, 67, 69, 79, 81, 89, 94 – 99, 635 Standortbezogener Dienst 466, 600 Standortfaktor 28, 82, 83 – 92 Standortgebundenheit 15, 25 Standortmarketing 67 – 99, 244, 364 Standortpolitik 67 – 69, 96, 635 Standortprofilvergleich 98 Standortqualität 79 Standortstrategie 68, 69, 96 s.a. Standortmarketing, Standortpolitik Standorttheorien 94 Standortwahl 69, 67, 79, 81, 89, 94 – 99, 635 s.a. Standort Steuerungskreislauf 246, 247, 253 Stiftung 541, 543, 545, 562, 564 s.a. Fundraising Story-Telling 352, 452 Strategisches Geschäftsfeld 22, 365 241, 246, 247 Strategisches Marketing 8, 9, 22 – 36, 69, 137, 140 – 154, 159, 166 – 170, 207, 210, 213, 220, 225 – 227, 231 – 253, 255, 281, 287, 288, 290, 299, 314, 320, 363, 377, 401, 476, 480, 548, 627 – 632 Strategisches Ziel 30, 35, 139, 242, 246, 251, 252, 299, 302, 399, 475 Stärken-Schwächen-Analyse 35, 150 – 153, 198, 234, 247 – 252, 398, 399 s.a. SWOT-Analyse, Markt- und Wettbewerbsanalyse Strukturkapital 272, 280 Subbrand 32, 364 s.a. Markenarchitektur Sucheigenschaft 13, 115, 171 SWOT-Analyse 35, 150 – 153, 198, 234, 247 – 252, 320, 398, 399 s.a. StärkenSchwächenanalyse, Markt- und Wettbewerbsanalyse Systeminformation 18, 128 s.a Informationsökonomik

Register

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T

W

Technologielebenszyklus 333 s.a. Innovationsmanagement Technologieradar 333, 334 s.a. Innovationsmanagement Timing Markteintritt 167, 168 s.a. Strategisches Marketing Total Quality Management 302 s.a. TQM, Qualitätsmanagement TQM 302 s.a. Total Quality Management, Qualitätsmanagement Trend 22, 48, 214 s.a. Zukunft Marketing Twitter 443, 444, 448 – 455, 487, 516 – 519, 581, 591, 599, 601, 602 s.a. Soziales Netzwerk, Web 2.0

Web 2.0 26, 28, 322, 326, 329, 335, 365, 405, 406, 443 – 455, 462, 467, 487, 489, 515 – 519, 570, 581 – 584, 590, 591, 592, 599, 600 – 602, 605 Weblog 28, 322 – 329, 405, 406, 443 – 453, 489, 518, 583, 590 – 592 s.a. Blog, Web 2.0 Weicher Standortfaktor 28, 82, 88 s.a. Standortfaktor Werbung 71, 72, 124, 144, 162, 237, 244, 265, 266, 272, 288, 344, 352, 394, 402 – 405, 449, 467, 637 Wertewandel 8, 48, 208, 214 s.a. Milieu Wertnetz 159 – 165, 172, 233 Wertschöpfung 7, 27, 29, 49, 160, 233, 561, 590 Wettbewerb 7, 34, 68, 79, 137 – 154, 160 – 164, 173, 233, 360, 369, 377, 393 Wettbewerbsanalyse 35, 149, 150, 163, 377 s.a. Markt- und Wettbewerbsanalyse, Marktforschung Wettbewerbsstrategie 159, 166, 170 s.a. Strategisches Marketing Wirkungsnetz 278 Wirtschaftsförderung 48, 70, 73 – 75, 94 Wissen 49, 258, 259, 260 s.a. Knowledge Wissensbilanz 257, 272, 275 – 281 s.a. Wissensmanagement Wissensbilanz Made in Germany 257, 272 – 274 s.a. Wissensmanagement Wissensdimension 260 Wissensgesellschaft 49, 443 Wissensmanagement 69, 257 – 284, s.a. Knowledge-Management Wissensmanager 267, 282 Wort-Bild-Marke 348 – 350, 360, 400 s.a. Corporate Design, Marke Wortmarke 360 s.a. Corporate Design, Marke

U Ubiquität 94, 581, 586, 590 Umfeldanalyse 33, 41, 189, 198 s.a. Marktforschung Unique Selling Proposition 232 s.a. USP, Alleinstellungsmerkmal Unteilbarkeit 15 s.a. Dienstleistung Unternehmenskommunikation 268, 269, 369, 386, 393, 396, 423, 425, 426, 430, 450, 505, 506, 561 s.a. Kommunikation Unternehmensmarke 354, 358 – 364, 399 s.a. Markenarchitektur USP 232 s.a. Unique Selling Proposition, Alleinstellungsmerkmal

V Value Added Service 19, 28 – 30 s.a. Zusatznutzen Verbundeffekt 19, 34 Vermächtnis 541 s.a. Fundraising Versionierung 174 Vertrauenseigenschaft 13, 26, 115, 116, 144, 349 s.a. Dienstleistung, Informationsökonomik Virales Marketing 602 Virtuelle Forschungsumgebung 582 Virtueller Supermarkt 470, 590 Vision 250, 251, 274 – 276 s.a. Marke

X XING 517 s.a. Soziales Netzwerk, Web 2.0

Z Zertifizierung 293, 309, 310 s.a. Qualitätsmanagement

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Register

Zielgruppe 21, 22, 33, 136, 147, 181, 191, 195, 200, 210, 212, 377, 401, 423, 435, 454 Zielgruppenanalyse 210, 399 s.a. Nachfrageanalyse Zielgruppensegmentierung 22, 218, 365, 401 s.a. Marktsegmentierung

Zielhierarchie 251, 253 s.a. Strategisches Marketing Zusatznutzen 19, 28 Zukunft Marketing 22, 48, 214, 481, 579 – 606