Praxis der Therapie des Typ-II-Diabetes: Pathophysiologische Grundlagen, Metabolisches Syndrom, Differentialtherapie, Komplikationen [Reprint 2020 ed.] 9783110886825, 9783110140026

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Praxis der Therapie des Typ-II-Diabetes: Pathophysiologische Grundlagen, Metabolisches Syndrom, Differentialtherapie, Komplikationen [Reprint 2020 ed.]
 9783110886825, 9783110140026

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Klassifikation und Epidemiologie
2. Pathophysiologic
3. Verlauf
4. Klinik des unkomplizierten Typ-II-Diabetes
5. Das hormonell-metabolische Syndrom bei Typ-II-Diabetes
6. Diagnostik
7. Therapie
8. Spezielle therapeutische Aspekte
9. Spätfolgen des Diabetes
10. Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen
Sachwortregister
Autorenverzeichnis

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Praxis der Therapie des Typ-II-Diabetes

Praxis der Therapie des Typ-II-Diabetes Pathophysiologische Grundlagen, metabolisches Syndrom, Differentialtherapie, Komplikationen

Herausgegeben von M. Hanefeld Mit Beiträgen von S. Fischer, M . Hanefeld, U. Julius, S. Meisel, H. Rietzsch, H.-E. Schröder, J. Schulze, M . Weck

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin • New York 1993

Herausgeber Prof. Dr. med. sc. Markolf Hanefeld Abt. Stoffwechselkrankheiten und Endokrinopathien Klinik für Innere Medizin Medizinische Akademie „Carl-Gustav-Carus" Fetscher Str. 74 8019 Dresden

Die Deutsche

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ClP-Einheitsaufnahme

Praxis der Therapie des Typ-II-Diabetes : pathophysiologische Grundlagen, metabolisches Syndrom, Differentialtherapie, Komplikationen / hrsg. von M . Hanefeld. Mit Beitr. von S. Fischer ... - Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 ISBN 3-11-014002-0 NE: Hanefeld, Markolf [Hrsg.]; Fischer, Sabine

© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskripterstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin. — Druck: Gerike GmbH, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz &c Bauer GmbH, Berlin. Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin. Printed in Germany.

Gewidmet den Mitarbeitern in der Diabetesinterventionsstudie: Hans Haller, Markolf Hanefeld, Ulrich Julius, Jan Schulze, Sabine Fischer, Ruth Capeck, Gottfried Groh, Margitta Manfraß, Karin Kuropka, Hans-Jürgen Ziegelasch, Joachim Lindner, Ursula Köberle, Annegret Nehring, Inge Raab, Heinrich Schneider, Hannelore Kindel, Cornelia Hora, Gerhard Rößger, Claus Klinkenstein, Harald Schmechel, Helmut Dude, Uta Schwanebeck, Christa Augsburg, Marianne Gauck, Gisela Rothe und unseren Patienten, die diese und andere Therapiestudien mit bewundernswertem Einsatz, großer Ausdauer und viel Verständnis unter schwierigen Umständen mit äußerst bescheidenen Mitteln als gemeinsame Aufgabe realisiert haben. Aus diesen Langzeitbeobachtungen haben wir die Erfahrungen gewonnen, die uns veranlaßt und ermutigt haben, diesen Leitfaden zu schreiben.

Vorwort

Der Typ-II-Diabetes oder — weniger anspruchsvoll — der nichtinsulinpflichtige Diabetes ( N I D D M ) ist eine „Volkskrankheit", an der in Ländern mit Überernährung und Bewegungsmangel 4 bis 10% der Bevölkerung im mittleren und höheren Lebensalter leiden. Im Gegensatz zu den koronaren Herzkrankheiten steigt in den entwickelten Industrieländern, aber auch in weiten Gebieten der sogenannten Dritten Welt die Zahl der Diabetiker noch ständig rasant an, und für Deutschland werden für die Jahrtausendwende über 4 Millionen Diabetiker, zu über 90% N I D D M , prognostiziert. D a s impliziert, daß Vorbeugung, Erkennung und Behandlung des N I D D M nur als Gemeinschaftsaufgabe von Präventivmedizin, niedergelassenen Ärzten und Klinikern, vor allem aber einem speziell interessierten und ausgebildeten Pflegepersonal und Diätberaterinnen realisiert werden können. All diese Bemühungen werden nur Erfolg haben, wenn wir sie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit unseren Patienten, dem Diabetikerbund und anderen Organisationen der öffentlichen und privaten Gesundheitsfürsorge umsetzen. Konrad Lorenz hat diese Kette von Erkenntnis, Weitergabe und regelmäßiger Durchführung auf prägnante Weise so formuliert: „Gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden, einverstanden ist nicht durchgeführt und durchgeführt ist noch lange nicht für ständig eingehalten." Unsere Kenntnisse über die molekularen und pathophysiologischen Grundlagen des Typ-II-Diabetes, das Bedingungsgefüge, das zu seiner Manifestation führt und den Verlauf prägt, haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. Die Konzeption des metabolischen Syndroms hat wesentlich zum besseren Verständnis beigetragen und den Blick für eine integrierte Diagnostik und Therapie erweitert, in deren Zentrum intensivierte Gesundheitserziehung steht. Behandlung des N I D D M heißt daher auch stets, Bekämpfung von Übergewicht, Blutdruckkontrollen, Korrektur der Dyslipoproteinämie und anderer assozierter Störungen, die dafür verantwortlich sind, daß die exzessive kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität noch immer dazu führt, daß ein Typ-II-Diabetiker mit Krankheitsmanifestation im mittleren Alter 5 bis 10 Jahre früher stirbt als vergleichbare Nichtdiabetiker. Dieser Leitfaden will praktische Anleitung sein, um Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität zu verbessern. D a s beinhaltet Schulung, subtile Diabeteskontrolle inklusive assoziierter Risikofaktoren und Selbstkontrolle. Ein Grund für dieses Buch war aber auch, Grundlagen für eine rationelle Anwendung von oralen Antidiabetica und Insulin bei N I D D M zu vermitteln. Gerade

VIII

Vorwort

auf diesem Gebiet hat es in den letzten Jahren eine lebhafte, teilweise kontroverse Diskussion gegeben, da mit den neuen Erkenntnissen und neuen Medikamenten heute eine Differentialtherapie möglich und notwendig ist, die mehr als Blutzukkerkosmetik zum Ziel hat. Wegen ihrer überragenden Bedeutung f ü r die M a k r o und Mikroangiopathie wurde auch die diabetesgerechte Behandlung von Hypertonie und Dyslipoproteinämie entsprechend abgehandelt. Gleiches gilt für den diabetischen Fuß und die Nephropathie. Markolf Hartefeld Dresden, April 1993

Inhalt

1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

3

4 4.1 4.2 4.3

5 5.1

Klassifikation und Epidemiologie M. Hartefeld Einleitung und Klassifikation 1 Untergruppen des NIDDM 2 Impaired Glucose Tolerance (IGT) 3 Epidemiologie des NIDDM 3 Mortalität und Todesursachen bei NIDDM Zusammenfassung 6

5

Pathophysiologie M. Weck Genetische und Umweltfaktoren 9 Das Triumvirat B-Zelle, Muskulatur, Leber — verantwortlich für den NIDDM 10 Zelluläre Mechanismen der Insulinresistenz 16 Rolle der FFS in der Pathogenese der Insulinresistenz bei NIDDM 19 Pathophysiologische Abläufe in den Frühstadien des NIDDM 20 Glukosetoxizitätshypothese 22 Zusammenfassung 22

Verlauf Sabine Fischer

25

Klinik des unkomplizierten Typ-II-Diabetes J. Schulze 29 Anamnese 30 Klinischer Befund 32 Zusammenfassung 33

Das hormonell-metabolische Syndrom bei Typ-II-Diabetes Adipositas M.Weck 38

35

X

5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

6 6.1 6.2

7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7

8 8.1 8.2

Inhalt

Dyslipoproteinämie M. Hanefeld 46 Hypertonie J. Schulze 53 Hyperurikämie H.-E. Schröder 60 Störungen in der Gerinnung und der Rheologie U. Julius 65 Störungen im Leber-Gallenbereich M. Hanefeld 72

Diagnostik Klinische Diagnostik J. Schulze 77 Labordiagnostik und Selbstkontrolle M. Weck 80

Therapie 95 Gesundheitserziehung und Schulung U. Julius 97 Gewichtsreduktion M. Weck 104 Gesundheitsfördernde Ernährung U.Julius 118 Physische Konditionierung M. Hanefeld 133 Orale Antidiabetika M. Hanefeld, U. Julius 137 Insulintherapie J. Schulze, H. Rietzsch 170 Medikamentöse Differentialtherapie M. Hanefeld 180

Spezielle therapeutische Aspekte Behandlung der Hypertonie J. Schulze, Silke Meisel, M. Hanefeld Behandlung der Dyslipoproteinämie M. Hanefeld 192

185

Inhalt

8.3 8.4

9 9.1 9.2 9.3 9.4

10

Behandlung der Hyperurikämie H.-E. Schröder 200 Behandlung von Gerinnungsstörungen und Störungen des Blutflusses U. Julius 204

Spätfolgen des Diabetes Der diabetische Fuß Sabine Fischer, H. Rietzsch 211 Die diabetische Polyneuropathie H. Rietzsch 247 Retinopathie J. Schulze 261 Nephropathie J. Schulze 267

Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen Silke Meisel 275

Sachregister

283

Autorenverzeichnis

289

XI

1 Klassifikation und Epidemiologie M.

Hanefeld

1.1

Einleitung und Klassifikation

Der Diabetes mellitus ist eine chronische, genetisch determinierte Krankheit infolge absolutem oder relativem Mangel an Insulin, charakterisiert durch Hyperglykämie und tiefgreifende, komplexe Störungen im Kohlenhydrat-, Fett-, Eiweiß- und Mineralstoffwechsel, die kurzfristig zum Coma diabeticum, mittelfristig zu Infektionen und langfristig zu Schäden an den kleinen und großen Gefäßen führen können. Bereits A. Bouchardat erkannte, daß es sich dabei um kein einheitliches Krankheitsbild handelt, sondern um ein Syndrom und unterschied in seiner 1875 herausgegebenen Monographie „De la glucosurie du diabete sucre: Son traitement hygiénique" einen „diabète maigre" und einen „diabète gras" als zwei Grundtypen des Diabetes, die auch eine unterschiedliche Therapie erfordern. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden dafür die Begriffe „juvenile onset" und „maturity onset" eingeführt, womit man der Tatsache Rechnung trug, daß beide Formen des Diabetes sich nicht nur durch das Körpergewicht sondern auch durch das Manifestationsalter deutlich unterscheiden. Himsworth differenzierte 1936 einen „insulin résistant" und „insulin sensitive" Diabetes. Die Termini Typ-I- und TypIi-Diabetes für diese beiden Grundformen wurden 1976 von A. Gudworth eingeführt. Wegen der Schwierigkeiten, diese genetisch determinierte Klassifikation in praxi vorzunehmen, werden an Stelle dessen in der W H O Klassifikation von 1985 (Tab. 1) [1] als Synonyme „insulin-dependent diabetes mellitus" (IDDM) und „non-insulin-dependent diabetes mellitus" (NIDDM) verwendet. Die Diagnose N I D D M bedeutet jedoch nicht, daß diese Diabetiker lebenslang ohne Insulin auskommen. Nach 10 —15 Jahren NIDDM-Dauer erhalten 60 — 80% der Patienten Insulin. Bei insulinpflichtigen N I D D M erhebt sich oft die Frage, ob es sich nicht um einen langsam manifest werdenden IDDM handelt. Nach unseren Erfahrungen in der Diabetesinterventionsstudie lassen sich auch bei NIDDM, die innerhalb der ersten 5 Jahre nach Entdeckung des Diabetes Insulin erhielten, mit dem Glukagontest noch in über 80% der Fälle C-Peptid-Werte nach Stimulation mit Glukagon von > 1,1 nmol/1 nachweisen. Da im Gegensatz zum Typ-I für den Typ-Ii (NIDDM) genetische Marker bis heute nicht bekannt sind, muß die Diagnose NIDDM letztlich ex iuvantibus gestellt werden. Die genetische Heterogenität des N I D D M ist wahrscheinlich, aber bis heute nicht bewiesen. Besonders gefährdet sind offensichtlich Patienten mit Manifestation vor dem 40. Lebensjahr, die möglicherweise eine Untereinheit bilden [101]. Ob sie eine eigene Subgruppe bilden ist aber unbewiesen.

2

M. Hanefeld

Tab. 1: W H O Klassifikation des Diabetes mellitus A. Klinische Klassen Diabetes

mellitus

— Insulin-dependent Diabetes mellitus (IDDM) — Non-insulin-dependent Diabetes mellitus (NIDDM) (a) nicht adipös (b) adipös — Mangelernährungs-Diabetes — Andere Diabetestypen assoziiert mit spezifischen Bedingungen und Syndromen (Pankreatitis, Cushing etc.) — Gestationsdiabetes Impaired Glucose Tolerance (IGT) (a) nicht adipös (b) adipös (assoziiert mit anderen Bedingungen und Syndromen) B. Statistische Risiko-Klassen Frühere Anomalien der Glukosetoleranz Potentielle Anomalien der Glukosetoleranz

1.2

Untergruppen des NIDDM

NIDDM mit Adipositas (Typ IIb) und ohne Adipositas (Typ IIa). Adipositas ist ein häufiger Begleiter des NIDDM. Je nach Population schwanken die Prävalenzen der Adipositas bei NIDDM von 3 0 - 5 0 % [12, 13], Während der Typ IIb bei Manifestation regelmäßig durch Hyperinsulinismus, Insulinresistenz und das Cluster des metabolischen Syndroms charakterisiert ist, besteht beim Typ-Ii a-Diabetes von Beginn an meist ein deutliches Insulindefizit. Daraus ergeben sich unterschiedliche therapeutische Konsequenzen. Es muß allerdings bemerkt werden, daß umfassende prospektive Studien inklusive Bestimmung der Insulinresistenz durch Clamp bis heute für Typ II a nicht vorliegen. Maturity Onset Diabetes of Young People (MODY): Diese erstmals 1974 von Tattersal [11] beschriebene Sonderform des NIDDM tritt bereits im Kindesalter auf und folgt einem dominanten Erbgang. Als MODY wird ein NIDDM mit Manifestation vor dem 25. Lebensjahr definiert, der keine für einen IDDM typischen genetischen und immunologischen Marker aufweist und zumindest 5 Jahre ohne Insulin geführt werden kann. In der geschlossenen Diabetikerpopulation des Bezirkes Erfurt fanden Panzram und Adolph [7] unter 40 927 Diabetikern 61 Fälle (0,15%), die die Kriterien eines MODY erfüllten. Auf Grund der vorliegenden Daten kann kein Zweifel bestehen, daß der MODY mit deutlich unter 1% eine seltene Unterform des NIDDM ist.

1 Klassifikation und Epidemiologie

3

Gestationsdiabetes: Darunter verstehen wir Störungen der Glukosetoleranz, die erstmalig in der Schwangerschaft auftreten und danach wieder verschwinden können. Die Mehrzahl davon wird später als N I D D M reklassifiziert. Auf die besondere Bedeutung des N I D D M in der Schwangerschaft weisen zwei übereinstimmende Beobachtungen bei Pirna-Indianern [8] und der DIS Studie [3] hin: die Erkrankungshäufigkeit an N I D D M der Nachkommen diabetischer Mütter war doppelt so häufig als die diabetischer Väter; eine Umkehrung der Situation bei IDDM. Dies unterstreicht die Bedeutung einer optimalen Stoffwechselführung Schwangerer als faszinierende Möglichkeit der Diabetesprophylaxe für deren Kinder.

1.3 Impaired Glucose Tolerance (IGT) Mit der Kategorie IGT wird eine Gruppe von Personen benannt, deren oraler Glukosetoleranztest (s. Kapitel 6.2) von der gesunder Erwachsener abweicht. Nur 10 — 30% dieser Personen entwickeln innerhalb von 5 — 10 Jahren einen Diabetes [12]. Die Besonderheit dieser Personen besteht vor allem darin, daß sie neben dem Diabetesrisiko eine erhöhte Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen aufweisen, wie in der Praxis Prospective Study [2] und der Whitehall Study [4] nachgewiesen werden konnte.

1.4 Epidemiologie des NIDDM In Deutschland leben zur Zeit über 3 Millionen Diabetiker, etwa 95% davon sind N I D D M . Mit dem Anstieg des Anteils älterer Menschen und der höheren Lebenserwartung muß mit einer weiteren Zunahme bis zu 4 Millionen im Jahre 2000 gerechnet werden. In einer großangelegten Diabetesfrüherkennungsaktion von Mehnert 1967 in München [5] waren nur zwei von drei Diabetikern bekannt. In der Diabetesinterventionsstudie suchten nur 23% der neuentdeckten Diabetiker wegen diabetesbezogener Symptome den Arzt auf [3 a]. Der N I D D M ist vorwiegend eine Krankheit des höheren Lebensalters. Ein Blick auf die geographische Epidemiologie läßt enorme Unterschiede bei verschiedenen Rassen erkennen (Tab. 2) [13]. Neben ethnischen Faktoren kommt dabei Umwelteinflüssen und dem Lebensstil offensichtlich eine große Bedeutung zu. So war der N I D D M bei Polynesiern und Pimaindianern vor der Übernahme des westlichen Lebensstils mit Überernährung und Bewegungsarmut kaum bekannt. Eindrucksvolle Beispiele für Umwelteinflüsse und Ernährung bieten Migrationsstudien mit Verdreifachung der NIDDM-Prävalenz bei Indern in Südafrika oder Japanern in USA im Vergleich zu den in der Heimat lebenden Zeitgenossen. Nicht zuletzt haben Kriegs- und

4

M . Hanefeld

Tab. 2: Prävalenz des N I D D M in verschiedenen Ländern und ethnischen Gruppen (nach Zimmet [13]) Land

Altersgruppe (Jahre)

Papua Neu Guinea China Solomon Inseln Indonesien Tanzania Australien Singapur (Chinesen) Israel Argentinien USA Kiribati Malta Fiji (Inder) Australien (Aborigines) USA (mexikanische Amerikaner) Nauru USA (Pirna Indianer)

20 + 20 + 18 + 15 + 20 + 25 + 18 + 30-65 20-74 20-74 20 + 30-69 20 + 20 + 25-64 20 + 20 +

Prävalenz

(%)

0,0 1,3 0,7 1,7 1,9 3,4 4,0 4,1 5,0 6,6 8,9 10,0 13,5 15,6 17,0 30,3 34,1

Tab. 3: Manifestationsbegünstigende Faktoren des N I D D M Umwelt

Überernährung Bewegungsmangel Fehlernährung Alkoholismus

Krankheiten

Insulinresistenzsyndrome (Hypertonie, Adipositas, Hypertriglyzeridämie) Chronische Leberkrankheiten, Schilddrüsenerkrankungen Andere Endokrinopathien

Medikamente

Thiaziddiuretika Steroidhormone Beta-Blocker Nikotinsäurepräparate

N a c h k r i e g s j a h r e m i t d e m R ü c k g a n g des D i a b e t e s in der K r i e g s z e i t u n d

dem

d r a m a t i s c h e n A n s t i e g in d e r Ü b e r f l u ß g e s e l l s c h a f t d e n E i n f l u ß e x t e r n e r F a k t o r e n d e m o n s t r i e r t . T a b e l l e 3 f a ß t die m a n i f e s t a t i o n s b e g ü n s t i g e n d e n F a k t o r e n z u s a m m e n . Bei B e t r a c h t u n g der R o l l e der A d i p o s i t a s d a r f n i c h t v e r g e s s e n w e r d e n , d a ß vieles a n der d i a b e t o g e n e n P o t e n z des Ü b e r g e w i c h t e s A d i p ö s e r g e s c h u l d e t ist.

dem

Bewegungsmangel

1

1.5

Klassifikation und Epidemiologie

5

Mortalität und Todesursachen bei NIDDM

Die Lebenserwartung bei NIDDM im mittleren Alter ist noch immer um 5 — 10 Jahre verkürzt. Dies ist vor allem auf eine Exzeßmortalität an kardiovaskulären Erkrankungen zurückzuführen [6, 9], die bei Männern das zweifache und bei Frauen das vierfache nichtdiabetischer Personen erreicht. Die Multimorbidität von N I D D M im mittleren Lebensalter bereits bei Feststellung des N I D D M wird an den auslesefreien Patienten der DIS-Studie deutlich: 2,5% hatten bei Feststellung des Diabetes bereits einen Infarkt erlitten, 1,3% einen Schlaganfall, 0,3% wiesen eine Gangrän auf und 8,8% litten an Leberzirrhose und anderen schweren Erkrankungen [3]. Als Todesursachen stehen Herzkreislauferkrankungen an der Spitze. Nach einer Übersicht von Pyörälä und Laakso [9] versterben weltweit 70 — 75% der N I D D M an einer Makroangiopathie. Die wichtigste spezifische Todesursache ist dabei die koronare Herzkrankheit mit ca. 30% (Tab. 4), an der Männer und Frauen etwa Tab. 4: Todesursachen der Diabetiker des Bezirkes Erfurt, 1960 — 1970 (nach Panzram [6]) Ambulante

Klinische

Diagnose

Diagnose

n = 961

n = 362

Gefäßkrankheiten

Autopsie n =

55,2

66,0

46,4

— Koronare Herzkrankheit

38,9

30,9

27,5



25,6

20,4

1,5

3,9

14,1 4,8

Hirngefäßkrankheiten

— Allgemeine Sklerose inkl. Gangrän

371

Nierenkrankheiten

0,9

4,7

6,2

C o m a diabeticum

1,4 5,2

4,7

6,2

8,3

9,2

Tuberkulose Neoplasien

0,6

1,1 8,6

1,3 14,3

Unnatürlicher Tod

2,2

2,5

Andere Ursachen

9,4

13,8

1,6 14,6

Unbekannt

5,5

1,1

0,3

Infektionen

8,8

gleich häufig sterben. An zweiter Stelle steht der Schlaganfall mit ca. 15%, dem zweifachen der nicht-diabetischen Bevölkerung. Nierenerkrankungen erscheinen in ca. 5% der Fälle als Todesursache, in der Bevölkerung 2 , 9 % . Insgesamt treten Mikroangiopathien als Todesursache bei N I D D M in den Hintergrund. In der DIS-Studie war nach 5 Jahren Diabetesdauer bei Patienten im Alter von 35 — 60 Jahren die Leberzirrhose die zweithäufigste Todesursache [3 a]. Somit kann festgestellt werden, daß der N I D D M keinesfalls eine milde Form des Diabetes darstellt, der keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Im Gegenteil,

6

M . Hanefeld

Multimorbidität, Komplexität und die Möglichkeit, durch eine pathophysiolog i s t orientierte Differentialtherapie wirkungsvoll zu helfen, erfordern große Erfahrung und umfassendes Fachwissen.

1.6 Zusammenfassung Der Diabetes ist ein heterogenes Krankheitsbild, dessen Hauptvertreter in der WHO-Klassifikation der Non-insulin-dependent Diabetes mellitus ist. Der N I D D M ist mit ca. 3% in der europäischen Bevölkerung vertreten. Er betrifft 95% aller Diabetiker. Es handelt sich um eine Erbkrankheit, deren genetischer Defekt bis heute unbekannt ist. N I D D M sind bereits bei Diagnosestellung multimorbide. Bei ihnen läßt sich meist das Cluster der Risikofaktoren des metabolischen Syndroms nachweisen. Die Makroangiopathie ist die wichtigste Todesursache. Sie tritt beim N I D D M häufiger auf, was zu einer Verkürzung der Lebenserwartung um 5 — 10 Jahre führt. Literatur [1] Diabetes mellitus. Report of the W H O Study Group. W H O Technical Report Series, No. 646. Geneva, Switzerland 1985. [2] Eschwege, E., J. Richard, N . Thibult et al.: Coronary heart disease mortality in relation with diabetes, blood glucose and plasma insulin levels. The Paris Prospective Study, ten years later. H o r m . Metab. Res. 15 (Suppl.) (1985) 4 1 - 4 6 . [3] Hanefeld, M., J. Schulze, S. Fischer et al.: The Diabetes Intervention Study (DIS). A cooperative multiintervention trial with newly manifested type II diabetics. In: R. W. James, D. Pometta (eds.): Dyslipoproteinaemias and diabetes. Monogr. on Atherosclerosis, S. 9 8 - 1 0 3 . Karger, Basel 1985. [3a] Hanefeld, M., S. Fischer, J. Schmechel et al.: Diabetes intervention study. Multiintervention study in newly diagnosed N I D D M . Diabetes Care 14 (1991) 7 3 2 - 7 3 7 . [4] Jarett, R. J.: Type 2 non-insulin-dependent diabetes mellitus and coronary heart disease - chicken, egg or neither. Diabetologia 26 (1984) 9 9 - 1 0 2 . [5] Mehnert, H.: Diabetes mellitus. In: H. Mehnert (Hrsg.): Stoffwechselkrankheiten. H. Mehnert (Hrsg.), S. 1 1 5 - 2 5 8 . Thieme Verlag, Stuttgart 1990. [6] Panzram, G.: Mortality and survival in type 2 (non-insulin-dependent) diabetes mellitus. Diabetologis 30 (1987) 1 2 3 - 1 3 1 . [7] Panzram, G., W. Adolph: Results of clinical and genetic studies in 58 non-insulin dependent patients in childhood and youth. 21 (1981) 76 (Abstract). [8] Pettitt, D. J., K. A. Aleck, H. R. Baird et al.: Congenital susceptability to N I D D M . Role of intrauterine environment. Diabetes 37 (1988) 622 — 628. [9] Pyörälä, K., M . Laakso: Macrovascular disease in diabetes mellitus. In: J. Mann, K. Pyörälä, A. Teuscher (eds.): Diabetes in epidemiological perspective studies, S. 183 — 247. Churchill Livingstone, Edinburgh 1983. [10] Rahilly, O., S. Spivey, R. S. Holman et al.: Type 2 Diabetes of early onset: a distinct clinical and genetic syndrome? Br. med. J. 294 (1987) 9 2 3 - 9 2 8 . [11] Tattersal, R. B.: Mild familial diabetes with dominant inheritance. Quart. J. Med. 43 (1974)339-357.

1 Klassifikation und Epidemiologie

7

[12] Zimmet, P., G. Dowse, C. Finch et al.: The epidemiology and natural history of N I D D M . Diabetes Metab. Rev. 6 (1990) 91 - 1 2 4 . [13] Zimmet, P. G. Dowse, R. La Porte et al.: Epidemiology. Its contribution to understanding of the etiology, pathogenesis, and prevention of diabetes mellitus. In: W. Creutzfeldt, P. Lefebvre (eds.): Diabetes mellitus: Pathophysiology and therapy, S. 5 - 2 6 . Proc. of the Bayer AG Centenary Symposium, Edinburgh, U. K., May 25 — 28, 1988. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1989.

2

Pathophysiologic

M. Weck

2.1

Genetische und Umweltfaktoren

Die Genetik des N I D D M fand in den vergangenen Jahren verglichen mit dem I D D M weniger Aufmerksamkeit. Der Typ-I-Diabetes galt landläufig als wesentlich stärker genetisch beeinflußt als der Typ-II-Diabetes. Genau das Gegenteil ist der Fall! Die folgenden Beobachtungen unterstützen diese Aussage: — eine über 9 0 % ige Konkordanz für N I D D M bei monozygoten Zwillingen — die familiäre Aggregation des N I D D M — ausgeprägte Differenzen zwischen ethnischen Gruppen hinsichtlich der Diabetesprävalenz — bei Populationen mit der höchsten NIDDM-Prävalenz ist ein autosomaldominantes Vererbungsmuster ähnlich dem M O D Y (maturity onset diabetes of the youth) anzunehmen. Allerdings wurden im Gegensatz zum I D D M , wo gut definierte HLA-Assoziationen als M a r k e r der genetischen Suszeptibilität existieren, solche Marker beim N I D D M bisher nicht gefunden. Andererseits deuten sich durch den raschen Fortschritt der Molekularbiologie für den N I D D M entsprechende genetische M a r k e r an. Die Insulinresistenz ist eines der frühesten Kennzeichen im Verlauf der Diabetesentwicklung. Strukturelle und funktionelle Veränderungen am Insulinrezeptor und im sogenannten „Postrezeptor"-Bereich scheinen die zellulären Ursachen der Insulinresistenz zu sein. Aus diesem Grunde konzentriert sich die genetische Forschungslinie beim N I D D M auf das Insulinrezeptorgen. Verschiedene Mutationen könnten differente funktionelle Konsequenzen nach sich ziehen. Die enorme Bedeutung der Umgebungseinflüsse in der Pathogenese des N I D D M mag der bekannte Ausspruch dokumentieren: Wer genügend alt und dick wird, wird wahrscheinlich auch diabetisch. Gestörte Energiebalance infolge übermäßiger Kalorienzufuhr, verminderter körperlicher Aktivität und reduzierter Energieumsätze sowie die daraus resultierende vermehrte Fettablagerung, insbesondere im viszeral-abdominalen Depot, gelten nach wie vor als wesentliche Sequenz der NIDDM-Pathogenese. Vermehrte Nahrungszufuhr kann dabei direkt zur Stimulation der Insulinsekretion führen. Andererseits wurde auch die Fettzellhypertrophie als eine Teilursache für Hyperinsulinämie und Insulinresistenz beschrieben.

10

M. Weck

Das lange bekannte metabolische Syndrom wird in den letzten Jahren als Syndrom X oder auch Insulinresistenz-Syndrom bezeichnet. Dieser Terminus soll die zentrale Bedeutung der Insulinresistenz nicht nur für Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels sondern auch für weitere Defekte im Lipid- und Proteinstoffwechsel besser kennzeichnen (Tab. 1). Tab. 1: Krankheiten, die mit Insulinresistenz verbunden sind Adipositas Hypertonie Hypertriglyzeridämie Glukoseintoleranz HDL-Defizienz Hyperurikämie? Acanthosis nigricans

Die Penetranz einzelner genetischer Mutationen bzw. Umweltfaktoren dürfte dann dafür ausschlaggebend sein, welche der Erkrankungen oder Symptome des Syndrom X (Adipositas, N I D D M , Hypertriglyzeridämie, Hypertonie) dominiert. Es soll nochmals betont werden, daß die Insulinresistenz als mögliches zentrales Stellglied dabei genetisch bedingt oder auch erworben sein kann.

2.2 Das Triumvirat B-Zelle, Muskulatur, Leber — verantwortlich für den N I D D M Der Erhalt der normalen Glukose-Homöostase hängt von drei simultan ablaufenden Prozessen ab: Insulinsekretion, Stimulation der Glukoseaufnahme in den peripheren Geweben sowie Leber und Darm und Suppression der hepatischen Glukoseproduktion (Tab. 2). Nach Glukosezufuhr wird die Insulinsekretion des Pankreas stimuliert und Hyperinsulinämie plus Hyperglykämie fördern die Glukoseaufnahme der peripheren Tab. 2: Faktoren, die für die Glukosehomöostase beim Menschen verantwortlich sind Insulinsekretion Glukoseaufnahme — Periphere Gewebe (Muskulatur) — Glukoseoxidation — nicht-oxidative Glukoseverwertung (Glykogensynthese, Glykolyse) — Splanchnische Gewebe (Leber, Darm) Hepatische Glukoseproduktion

2 Pathophysiologie

11

(vorwiegend der Muskulatur) und splanchnischen Gewebe (Leber, Darm) und supprimieren die hepatische Glukoseproduktion. Diese Kurzfassung der pathophysiologischen Abläufe demonstriert, daß Defekte auf der Ebene der B-Zelle, der Muskulatur oder der Leber zu Glukoseintoleranz oder manifestem Diabetes führen können. Oder anders ausgedrückt, weil einprägsamer und häufiger genannt: Glukoseintoleranz kann durch einen Defekt der Insulinsekretion oder Resistenz gegenüber der Wirkung des Hormons an den Zielorganen entstehen. Diese theoretischen Überlegungen werden klinisch belegt: Bei einigen N I D D M Patienten startet der primäre Defekt auf der Ebene der B-Zellen und manifestiert sich als Störung der Insulinsekretion. Diese Patienten werden durch den schlanken Typ-II-Diabetiker repräsentiert. In der größeren Gruppe der NIDDM-Patienten ist der dominierende Defekt eine Störung der Gewebsempfindlichkeit gegenüber Insulin. Diese Individuen werden durch die adipösen Typ-II-Diabetiker repräsentiert. Beachtet werden muß, daß zum Zeitpunkt der Diabetesmanifestation die Patienten bereits in einem fortgeschrittenen Stadium des Krankheitsprozesses sind und hier meist beide Defekte — Insulinresistenz und (relative) Sekretionsstörung — nachweisbar sind. Um die berühmte Frage zu klären, welcher der beiden Prozesse das primum movens ist, müßten „Prädiabetiker" in Verlaufsuntersuchungen studiert werden. Ein solch aufwendiges Studiendesign ist bisher nicht realisiert worden. 2.2.1 Insulinsekretion

— Starling-Kurve

des Pankreas

Im allgemeinen ist bekannt, daß beim adipösen N I D D M eine Hyperinsulinämie vorliegt. Dieser erhöhte Insulinspiegel ist aber in Beziehung zur Hyperglykämie zu niedrig. Wir sprechen dann vom relativen Insulinmangel. Die Starling-Kurve der Insulinsekretion [2] macht diese Abläufe klar (Abb. 1). Wenn man den Nüchternblutzucker als Index des Diabetes-Schweregrades gegen die mittlere Plasmainsulinkonzentration im o G T T plottet, erhält man die typische umgekehrte U-Kurve. Bei einem Individuum mit einem Nüchternblutzucker von 4,4 mmol/1 (80 mg/dl) würde man einen mittleren Plasmainsulinspiegel (oGTT) von ca. 50 nU/ml erwarten. Steigt der Nüchternblutzucker weiter an, erkennt die B-Zelle, daß die Glukosehomöostase gestört ist und steigert ihre Insulinsekretion, um die Hyperglykämie zu überwinden. Dennoch würde ein Patient mit einem Nüchternblutzucker von ca. 6,6 mmol/1 (120 mg/dl) (gestörte Glukosetoleranz = IGT) bzw. früher N I D D M etwa doppelt so viel Insulin sezernieren wie der Proband mit dem Nüchternblutzucker von 4,4 mmol/1 (80 mg/dl). Übersteigt der Blutzukker dieses Limit von 6,6 mmol/1 (120 mg/dl) kann die B-Zelle ihre akzelerierte Insulinsekretion nicht länger aufrechterhalten und der weitere Anstieg des Blutzuckers ist mit progressivem Abfall des Plasmainsulinspiegels verbunden. Dem-

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M . Weck

Nüchterninsulin

E.I

0

80

120 6,6

4.4

160

8.8

200 11.1

mg/dl mmol/1

Nüchternblutzucker

Abb. 1: Starling-Kurve des Pankreas (nach DeFronzo).

nach sezerniert ein Diabetiker mit einem Nüchternblutzucker von 8,3 — 8,8 mmol/1 (150—159 mg/dl) etwa so viel Insulin wie ein Nicht-Diabetiker. M i t weiterem Anstieg der Glukosekonzentration wird die Insulin-Response zunehmend insulinopenisch. Wegen der Analogie zur Starling-Kurve des Herzmuskels wurde der Terminus Starling-Kurve der Bauchspeicheldrüse geprägt. Diese Daten demonstrieren, daß der absolute Plasmainsulinspiegel bei den meisten Diabetikern mit milder oder moderater Nüchternhyperglykämie normal oder erhöht ist und daß deshalb die Insulinresistenz eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Glukoseintoleranz spielen muß. Andererseits ist klar ersichtlich, daß isolierte Insulinspiegelbestimmungen zu Fehlinterpretationen des Diabetesstadiums und damit der Behandlungsstrategie führen können.

2.2.2

Insulinsensitiv ität

2.2.2.1

Messung

der

Insulinresistenz

Bereits Ende der 30er Jahre dieses Jahrhunderts wurde von Himsworth und Kerr die Insulinresistenz beim N I D D M dokumentiert. Die Probanden erhielten eine standardisierte orale Glukosezufuhr in Kombination mit einem i.v.-Bolus Regularinsulin. Die Fähigkeit des injizierten Insulins, den Glukosespiegel ausreichend zu senken, war bei NIDDM-Patienten im Vergleich zu Gesunden gestört. Seit Ende der 70er Jahre wird die Insulinresistenz mit der Glukose-Clamp (Klemm)-Technik dokumentiert: der Nüchtern-Insulinspiegel wird durch einen i.v.-Insulinbolus und nachfolgende kontinuierliche Insulininfusion akut gesteigert und auf einem Niveau von ca. lOO^IE/ml gehalten. Durch die gleichzeitige

50 Zeit x x x

75

(min)

Blutzucker Glukose -Infusionsrate

Abb. 2: Euglykämische Glukose-Clamp-Technik: Beispiele. Abb. 2 a: Patient mit normaler Insulinsensitivität. G. M . , 57 Jahre, männlich, Größe 177 cm, Gewicht 78 kg, Diabetesdauer 5 Jahre, H b A l c 8 , 8 % , Therapie: Glibendamid 7,5 mg/ die.

Zeit

(min]

Abb. 2 b: Patient mit ausgeprägter Insulinresistenz. H . W., 55 Jahre, weiblich, Größe 166 cm, Gewicht 77 kg, Diabetesdauer 2 Jahre, H b A l c 1 0 , 9 % , Therapie: Gewichtsreduktion.

14

M. Weck

Infusion von Glukose wird versucht, dem Blutzucker-Abfall entgegenzuwirken und den Blutzucker im euglykämischen Bereich, d. h. bei ca. 5,5 mmol/1 (100 mg/ dl) zu „clampen" (klemmen). Unter diesen Steady-state-Bedingungen entspricht die infundierte Glukosemenge dem Glukoseanteil, der von den Geweben aufgenommen wird und ist so ein M a ß des Insulin-vermittelten Glukosemetabolismus oder anders ausgedrückt der Insulinsensivität der Gewebe bzw. der Insulinresistenz. Ein Patient, der während einer solchen Clamp-Untersuchung sehr viel Glukose zur Aufrechterhaltung der Euglykämie infundiert bekommen muß, weist demzufolge nur eine geringe Insulinresistenz auf, während umgekehrt die Zufuhr nur geringer Glukosedosen ausgeprägte Insulininsensitivität (-resistenz) anzeigt. Die Abb. 2 zeigt Auswertungsprotokolle zweier euglykämischer Glukose-Clamp-Untersuchungen der beschriebenen Patientengruppen. Die Glukose-Clamp-Methode ist allerdings sehr speziellen Fragestellungen vorbehalten und wird nur an wenigen Zentren ausgeführt. 2.2.2.2

Orte der

Insulinresistenz

Insulin kontrolliert die Glukosehomöostase durch drei koordinierte Mechanismen, wobei jeder dieser Mechanismen Ursache der Insulinresistenz sein kann: — Suppression der hepatischen Glukoseproduktion — Stimulation der Glukoseaufnahme der splanchnischen Gewebe — Stimulation des Glukose-Uptakes der peripheren Gewebe. Hepatische

Glukoseproduktion

(HG?)

Im Basalzustand produziert die Leber diejenige Menge an Glukose, die erforderlich ist, um das Hirn in den Perioden zwischen den Mahlzeiten mit Brennstoff zu versorgen. Dagegen wird direkt nach Glukosezufuhr Insulin freigesetzt, um diese HGP zu unterdrücken. Geschieht dies nicht, haben wir zwei Glukose-Inputs — Leber und aufgenommene Glukose aus dem Magen-Darm-Trakt — und es resultiert eine deutliche Hyperglykämie. Beim N I D D M ist die Zunahme des Nüchternblutzuckers streng korreliert mit der Zunahme der HGP! Zwei zusätzliche Fakten müssen beachtet werden, um dieses komplizierte Wechselspiel zu verstehen: — Die Nüchtern-Insulinkonzentration im Plasma war bei N I D D M etwa doppelt so hoch wie bei Gesunden. Da dieses Insulin der potente Inhibitor der HGP ist, muß eine ausgeprägte Insulinresistenz der Leber vorhanden sein, um den erhöhten Glukose-Output der Leber (die erhöhte HGP) zu erklären. — Hyperglykämie per se kann auch eine suppressive Wirkung auf die HGP ausüben. Es müßte also auch eine „Glukoseresistenz" an der Leber vorliegen.

2 Pathophysiologie

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Aus diesen Daten kann gefolgert werden, und dies ist auch experimentell belegt, daß — Mit Zunahme des Schweregrades des N I D D M die Störung des inhibitorischen Insulineffekts auf die HGP eskaliert und — bei N I D D M mit niedrigeren Plasma-Insulinspiegeln sich diese defekte Suppression der HGP bereits bei niedrigeren BZ-Werten manifestiert. Exzessive HGP läuft vorwiegend in den Nachtstunden ab, wenn die Patienten schlafen und der basale Insulinspiegel sein Minimum erreicht. Es erscheint daher theoretisch sinnvoll, bei Patienten, die auf Diät, orale Antidiabetika oder übliche Insulingaben nicht reagieren, ein Intermediärinsulin zur Schlafenszeit zu verabreichen, um die nächtliche HGP und damit morgendliche Hyperglykämie zu unterdrücken. Die erhöhte HGP wird vor allem durch erhöhte Glukoneogenese (weniger Glykogenolyse) bewirkt. Ein weiterer therapeutischer Angriffspunkt wären daher Substanzen, die primär die hepatische Glukoneogenese hemmen. Splanchnische

Glukoseaufnahme

Ein weiterer potentieller Mechanismus, der zur Störung der Insulinwirkung während der Clamp-Untersuchung beitragen könnte, ist eine Reduktion der splanchnischen Glukoseverwertung. Allerdings wurde eben durch diese Glukose-ClampStudien nachgewiesen, daß nur 7 % der Glukoseaufnahme des Gesamtkörpers in der splanchnischen Region passieren. Für die Praxis bedeutet dies, daß bei NIDDM-Patienten mit milder bzw. moderater Hyperglykämie weder die Störung der HGP-Suppression noch die Reduktion der splanchnischen Glukoseverwertung einen bedeutenden Beitrag zur Insulinresistenz der Gewebe leisten und daß letztlich die Hauptursache der Insulininsensitivität an der Muskulatur zu suchen ist. Splanchnische Glukoseaufnahme, Insulinsensitivität dieser Gewebe und FFS stehen in engem Zusammenhang. Von schwedischen [12] und amerikanischen [6] Autoren wurde jüngst nachgewiesen, daß die Insulinbindung an Leberzellen durch FFS in physiologischen Konzentrationen stark gehemmt wird. Abdominal-viszerale Fettsucht mit ihrer verstärkten FFS-Mobilisation in den Portalkreislauf ist somit durch herabgesetzte Insulinaufnahme der Leber und konsekutiven Hyperinsulinismus charakterisiert. Da vermehrte FFS auch die hepatische Glukoneogenese steigern, kommen diesen Prozessen Bedeutung bei der Hyperglykämieund Insulinresistenz-Entstehung zu. Detaillierte Angaben zu diesem Problem finden sich im Kapitel 5.1. Periphere

(Muskel-)Glukoseaufnahme

Bei Gesunden macht die Glukoseverwertung der Muskulatur ca. 75 — 8 0 % und die des Fettgewebes etwa 1% des gesamten Glukose-Disposals aus. Mit den bereits bekannten Glukose-Clamp-Techniken wurde eindeutig nachgewiesen, daß

16

M. Weck

der größte Anteil der Störung der insulinvermittelten Glukoseverwertung beim N I D D M auf die Muskulatur zu beziehen ist. Zusammenfassend gilt: Gewebsinsensitivität gegenüber Insulin ist ein bedeutender pathogenetischer Faktor der Glukoseintoleranz bei N I D D M : — Im Basal- (Nüchtern-) zustand repräsentiert die Leber den Hauptort der Insulinresistenz. Zunahme der HGP ist der Schlüsselfaktor für die Zunahme des Nüchternblutzuckers. — Nach Nahrungs-(Glukose-)aufnahme, d. h. im Insulin-stimulierten Zustand, ist die Muskulatur Hauptort der Insulinresistenz. Bei Diabetikern mit ausgeprägter Nüchternhyperglykämie ist die Zunahme der HGP auch im postabsorptiven Zustand pathogenetisch bedeutsam. Daraus resultieren die therapeutischen Angriffspunkte, die zu einer Steigerung der Glukoseverwertung bzw. Abnahme der Insulinresistenz führen sollen: — Hemmung der basalen HGP und — Stimulation des Glukose-Uptakes der Muskulatur.

2.3 Zelluläre Mechanismen der Insulinresistenz (Tab. 3, Abb. 3) Grob verallgemeinernd wurde bisher davon gesprochen, daß — und dies erscheint einleuchtend — Rezeptordefekte und Postrezeptordefekte zur Insulinresistenz beitragen. Wie ist dies nun im einzelnen zu verstehen? Insulin entfaltet seine biologischen Wirkungen an den Zielzellen und damit auf die Glukoseaufnahme und Metabolisierung insbesondere in der Muskulatur über die Bindung an spezielle Rezeptoren. Nach der Rezeptorbindung wird das Glukose-Transportsystem aktiviert, so daß tatsächlich ein Influx von Glukose in die Zellen der Zielgewebe stattfinden kann. Diese einströmende Glukose wird dann unter Vermittlung einer Kaskade von Enzymen, die unter Kontrolle des Insulins stehen, metabolisiert. Es handelt sich dabei insbesondere um die Glykogensynthetase (Schlüsselenzym der Glykogensynthese) und die Pyruvatdehydrogenase (Schlüsselenzym der Glukoseoxidation).

Tab. 3: Zelluläre Mechanismen der Insulinresistenz: Rezeptor- und Postrezeptordefekte Rezeptordefekte Postrezeptordefekte — reduzierte Aktivität der Rezeptorkinase — Störung des intrazellulären Glukosetransports und -metabolismus: Glukose-TransporterSystem, Enzyme (Glykogensynthetase, Pyruvatdehydrogenase)

2 Pathophysiologic

17

Insulin

Abb. 3: Zelluläre und molekulare Ursachen der Insulinresistenz. 1 Störung der Rezeptorsynthese im endoplasmatischen Retikulum (EPR) 2 Störung des Transportes der Rezeptoren zur Zelloberfläche 3 gestörtes Recycling der Rezeptoren 4 Rezeptor-alpha-Untereinheit: Down-Regulation der Insulinrezeptoren 5 Rezeptor-beta-Untereinheit: Störung des Kinase-Mechanismus 6 Aktivierung des Glukose-Transporter-Systems (GT) gestört 7 Störung der Postkinase-Signaltransducer: Glukose-Carrier-Defekt 8 Störung der Glukosemetabolisierung: Glykogensynthetase und Pyruvatdehydrogenase

„Rezeptor

defekte"

In vielen früheren Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß die Insulinbindung an Monozyten und Adipozyten bei N I D D M um 20 — 30% vermindert ist. Diese reduzierte Insulinbindung wurde auf eine verminderte Anzahl der Insulinrezeptoren bezogen. Allerdings gibt es verschiedene Hinweise, wonach diese Rezeptorhypothese nicht der wesentliche Faktor bei der Entstehung der Insulinresistenz sein kann: — Eine Abnahme der Rezeptorzahl wurde bei 30 — 50% der NIDDM-Patienten nicht gefunden. — Eine Korrelation zwischen reduzierter Insulinbindung und der Schwere der Insulinresistenz ließ sich ebenfalls nicht aufzeigen. — Weder Monozyten noch Adipozyten sind als Hauptzielzellen des Insulins anzusehen. „Postrezeptor

defekte"

Der Insulinrezeptor besteht nach heute gängiger Meinung aus einer Alpha- und einer Beta-Untereinheit. Eigentliche Rezeptoreigenschaften weist dabei die AlphaUntereinheit auf, die auch extrazellulär lokalisiert ist. Damit kann die Beta-

18

M. Weck

Untereinheit bereits zum Postrezeptorbereich gerechnet werden. Diese Beta-Einheit ist ein transmembranales Protein mit Kinase-Aktivität [5]. Die Aktivierung dieser Kinase durch Insulin fördert den Glukosetransport in die Zelle. Reduzierte Aktivität der Rezeptorkinase scheint ein Schlüsselmechanismus der Insulinsresistenz bei N I D D M auf zellulärer Ebene zu sein. Auch die Mechanismen des intrazellulären Glukosetransports und der Glukosemetabolisierung sind in jüngster Zeit Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. Dabei wurde dem sogenannten Glukose-Transporter-System große Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Glukosetransporter sollen Glykoproteine sein, und deren Anzahl scheint genetisch determiniert zu sein. Die Aktivität dieses GlukoseTransporter-Systems wurde beim N I D D M recht übereinstimmend als reduziert gefunden. Distal dieses Glukose-Transport-Mechanismus findet die Metabolisierung der Glukose durch die oben bezeichneten Enzymsysteme statt. Die Fähigkeit des Insulins, die Glykogensynthetase und die Pyruvatdehydrogenase von Adipozyten oder Muskelzellen von Patienten mit N I D D M zu stimulieren, soll ebenfalls reduziert sein. Folgende klinisch-experimentelle Hinweise für die Insulinresistenz als primum movens bei N I D D M liegen vor: — Im Verlauf der Diabetesentwicklung ist die Störung der Gewebssensitivität gegenüber Insulin die früheste metabolische Abnormität. — Wenn normalgewichtige Probanden überfüttert werden, entsteht eine moderate bis ausgeprägte Insulinresistenz. — Werden übergewichtige, insulinopenische Diabetiker einer Gewichtsreduktion unterzogen, so wird zuerst die Gewebssensitivität gegenüber Insulin verbessert, und später kann sich auch die Insulinsekretion etwas erholen. — In den Populationen mit hoher NIDDM-Prävalenz (Pima-Indianer) liegt generell Insulinresistenz vor und diese scheint genetisch determiniert zu sein. Zusammenfassend scheint es so zu sein, daß Rezeptor- und Postrezeptordefekte zur Insulinresistenz bei N I D D M beitragen. Verminderte Insulin-Rezeptorbindung ist vorwiegend bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz oder sehr mildem N I D D M zu finden, während bei Blutzucker-Werten > 7,7 mmol/1 (140 mg/dl) die Postrezeptordefekte hauptsächlich für die Insulinresistenz dieser Patientengruppe verantwortlich sein sollen.

2

Pathophysiologie

19

2.4 Rolle der FFS in der Pathogenese der Insulinresistenz bei NIDDM (Abb. 4) FFS beeinflussen die Insulinresistenz hauptsächlich auf drei Wegen: -

Hemmung der Glukoseoxidation reduzierte Insulin-Hemmbarkeit der Lipolyse direkte Inhibierung der Insulinaufnahme. vermehrte

Fettmasse

(viszeral-abdominales

I .

Lipolyse T — I

Fettgewebe)

Insulinhemmbarkeit der Lipolyse gestört

FFS-Mobilisierung f (Hyperlipozidämie)

Rändle fand bereits vor über zwei Jahrzehnten, daß vermehrte FFS-Oxidation die Glukoseoxidation in der Muskulatur inhibiert, insbesondere durch Einwirkung auf verschiedene Enzyme der Glykolyse. Die klassischen Untersuchungen von Rändle wurden durch neuere Befunde erweitert und ergänzt, so daß heute als gesichert gelten kann, daß vermehrte FFS-Oxidation alle wesentlichen intrazellulären Mechanismen der Insulinresistenz bewirken kann (reduzierten Glukosetransport, verminderte Aktivitäten der Glykogensynthetase und der Pyruvatdehydrogenase). Aber nicht nur die basalen FFS-Spiegel und die Lipidoxidation sind beim NIDDM erhöht, sondern es liegt zusätzlich noch eine Störung der normalerweise vorhandenen Insulinhemmbarkeit dieser Prozesse vor. Schließlich wurde, wie bereits mehrfach betont, in jüngsten Untersuchungen demonstriert, daß FFS direkt die Insulinbindung und -internalisation an isolierten Hepatozyten hemmen.

20

M . Weck

Zusammenfassend gilt: Die vermehrte Fettmasse bei Adipösen (Diabetikern und Nichtdiabetikern) ist verbunden mit vermehrter Lipolyse und konsekutiver Steigerung der FFS-Spiegel im Blut (Hyperlipazidämie). Durch die vermehrte zelluläre Aufnahme der FFS wird die Lipidoxidation stimuliert. In der Muskulatur führt dies zur Hemmung der Insulin-vermittelten Glukoseverwertung, während in der Leber die Glukoneogenese stimuliert wird. Alle Mechanismen zusammen bewirken ausgeprägte Hyperglykämie und Insulinresistenz.

2.5 Pathophysiologische Abläufe in den Frühstadien des N I D D M (Abb. 5) Wir hatten bereits ausgeführt, daß bei Manifestation der Nüchternhyperglykämie diese mit der HGP korreliert ist. Zu diesem Zeitpunkt besteht der Diabetesprozeß aber bereits geraume Zeit, und es entsteht die Frage, ob in den Frühstadien des 300

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HO

— UJ120 o A 100 a_ o

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»•

100

300

E 3

Abb. 5: Beziehungen zwischen Blutzucker, Insulin und Insulinsensitivität (nach DeFronzo).

2 Pathophysiologie

21

N I D D M der Blutzuckeranstieg durch Zunahme der HGP oder Abnahme des Glukose-Uptakes der Gewebe, d. h. Insulinresistenz, bedingt ist. Vergleicht man die HGP mit dem Nüchternblutzucker bei Gesunden und NIDDM-Patienten, so zeigte sich, daß bei Nüchternblutzucker-Werten unter 7,7 mmol/1 (140 mg/dl) die HGP der Diabetiker mit der der Gesunden vergleichbar ist und erst bei BlutzuckerWerten > 7,7 mmol/1 (140 mg/dl) es zur Zunahme der HGP kommt. Exzessive hepatische Glukoseproduktion scheint somit nicht für die Nüchternhyperglykämie der Diabetesfrühstadien verantwortlich zu sein. Die Effizienz des Glukose-Uptake in Frühstadien des N I D D M läßt sich durch Vergleich des Nüchternblutzuckers mit der über Clamp-Untersuchungen gemessenen Glukose-Clearance-Rate (Maß der Glukoseaufnahme der Gewebe und damit der Insulinresistenz) darstellen. Bei Diabetikern mit Nüchternblutzuckerwerten im Bereich von 4,4 — 7,7 mmol/1 (80—140 mg/dl) fällt diese GlukoseClearance-Rate proportional zur Zunahme des Blutzuckers, während bei Blutzucker-Werten > 10 mmol/1 (180 mg/dl) sich ein Plateau einstellt. Abnahme der Glukoseaufnahme der Gewebe bzw. zunehmende Insulinresistenz ist eine der frühesten Abnormitäten im NIDDM-Prozeß.

Abb. 6: Pathogenetische Abläufe beim NIDDM (nach DeFronzo).

Die Interaktionen zwischen Blutglukose, Insulinsekretion und Gewebesensitivität gegenüber Insulin sind in Abb. 6 nochmals dargestellt. Beim adipösen Nichtdiabetiker findet bereits ein drastischer Abfall der Insulinsensitivität, d. h. eine Zunahme der Insulinresistenz statt. Die Glukosetoleranz bleibt trotzdem normal, da die B-Zelle ihre Insulinsekretionsleistung steigert. Wird der Obese leicht Glukose-intolerant, tritt eine weitere Reduktion der Insulinsensitivität ein, wobei aber die weiter zunehmende Insulinsekretion den Blutzucker in Grenzen hält. Die weitere Progression zum manifesten Diabetes geschieht nicht durch Zunahme der Insulinresistenz, sondern die Insulinsekretion hat ihren Gipfelpunkt überschritten

22

M. Weck

und fällt nunmehr ab. Bei adipösen N I D D M mit geringer Insulinsekretion ist die Glukosetoleranz am meisten gestört. Insulinresistenz ist demnach ein frühes Charakteristikum bei Adipositas und adipösen N I D D M . Allerdings ist die Insulinresistenz allein meist nicht in der Lage, einen manifesten N I D D M zu bewirken. In diesem Falle muß ein zusätzlicher Defekt der Insulinsekretion vorliegen.

2.6

Glukosetoxizitätshypothese

Im letzten Jahrzehnt wurde die Hypothese, daß Glukose per se diabetogen wirkt, mit experimentellen Daten belegt. Chronische Hyperglykämie könnte auf mehreren Wegen in der Pathogenese des N I D D M bedeutsam sein: 1. Down-Regulation des Glukosetransportersystems in Insulin-Zielgeweben: In diesem Sinne bewirkte eine chronische Hyperglykämie eine Abnahme der Glukosetransporter um bis zu 50% und andererseits führt Hypoglykämie zu einer Zunahme von Anzahl und Aktivität der Glukosetransporter. 2. Desensibilisierung der B-Zelle gegenüber dem glykämischen Stimulus. Chronische Hyperglykämie könnte demnach sowohl Defekte in der Insulinwirkung als auch der Insulinsekretion bewirken bzw. aggravieren (s. auch Abb. 6). Für diese Hypothese sprechen vor allem die Ergebnisse von Therapieversuchen bei N I D D M . Danach bewirkte eine Normalisierung des Blutzuckerprofils unabhängig vom Behandlungsverfahren (Gewichtsreduktion, körperliche Konditionierung, Sulfonylharnstoffe, Insulin) eine Verbesserung der Insulinsekretion. Auch diese Hypothese hätte enorme praktische Konsequenzen, denn bei einem schlecht eingestellten Diabetiker mit Blutzuckerwerten > 11,1 mmol/1 (200 mg/dl) wäre die Indikation zu einer drastischen Kalorienbeschränkung oder einer kurzfristigen Insulintherapie gegeben, um die deletären Folgen der Hyperglykämie auf Insulinsekretion und -resistenz reversibel zu gestalten.

2.7

Zusammenfassung

N I D D M ist ein heterogenes Krankheitsbild, das durch zwei primäre metabolische Störungen initiiert wird: — Defekt der Insulinsekretion der B-Zelle — Defekt der Insulinwirkung auf zellulärer Ebene (Insulinresistenz). Jeder der beiden Mechanismen könnte als primäres Agens gelten und ist allein in der Lage, Hyperglykämie zu induzieren. Eine Reihe von Gründen scheinen auf die Insulinresistenz als primum movens beim N I D D M hinzudeuten.

2 Pathophysiologic

23

Ausgeprägte Formen des N I D D M gehen immer mit Störungen beider Pathomechanismen, d. h. der Insulinsekretion und der Insulinresistenz einher, wobei jeder Mechanismus sekundär den anderen bewirken kann und dies über mehrere Wege! Für den einzelnen Patienten ist es kaum möglich, den primären Defekt zu lokalisieren. Therapeutischer Imperativ ist es, die pathogenetische Kette, die zum N I D D M führt, frühzeitig zu unterbrechen. In aller Regel kann dies mit einer effektiven Gewichtsreduktion und physischer Konditionierung geschehen, da diese sowohl die Insulinresistenz durchbrechen als auch der geschädigten B-Zelle die Möglichkeit zur Erholung und damit zur Steigerung der Insulinsekretion geben können. Im fortgeschrittenen Stadium sollte der therapeutische Einsatz des Insulins nicht hinausgezögert werden. Weiterführende

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3

Verlauf

Sabine Fischer

Der Typ-II-Diabetes wird in der Regel bei Personen, die älter als 30 Jahre sind, manifest, jüngere Patienten mit einem Typ-II-Diabetes (MODY-Typ) stellen eine ausgesprochene Rarität dar. Oft ist der Typ-II-Diabetes eine Zufallsdiagnose, typischerweise haben die Patienten über lange Zeit keine oder nur gering ausgeprägte klinische Symptome. Es ist anzunehmen, daß die diabetische Stoffwechsellage bei vielen Patienten schon über lange Zeit besteht, bevor der Diabetes entdeckt wird. Gerade der prädiabetischen Phase scheint eine besondere Bedeutung zuzukommen, da bereits zu diesem Zeitpunkt Insulinresistenz, Hyperinsulinismus und weitere Risikofaktoren bestehen, die aber oft nicht bekannt sind und damit nicht behandelt werden [1], Gefäßveränderungen können sich ebenfalls bereits in dieser Phase entwickeln. Die Häufigkeit der Erkrankung steigt mit dem Alter. Manifestationsauslösend sind oft akute Infektionen oder Streßsituationen. Der typische Verlauf der Erkrankung ist in Abb. 1 zusammengestellt.

IGT A b b . 1:

manifester

Diabetes

— Jahre

Diabetesverlauf.

Wenn die Betazellen des Pancreas durch Erhöhung der Insulinsekretion die Insulinresistenz nicht mehr kompensieren können, steigt der Nüchternblutzucker an, der Diabetes wird manifest. Klinische Symptome können auftreten, sind häufig wenig ausgeprägt, können auch fehlen. Oft ist der Diabetes über einen gewissen Zeitraum rein diätetisch führbar, entscheidend dafür ist neben der Umsetzung basaler Therapieprinzipien durch den Patienten die Schwere der Insulinresistenz. Hierfür wiederum sind genetische Ursachen und die Ausprägung

26

Sabine Fischer

der Adipositas bedeutsam. Bei einem Teil der Patienten mit hohen Blutzuckerwerten sind allerdings bereits bei oder kurz nach klinischer Manifestation des Diabetes orale Antidiabetika notwendig. Gelingt es dem Patienten, sein Körpergewicht effektiv zu reduzieren und dieses reduzierte Gewicht über einen längeren Zeitraum zu halten, wird damit die Insulinresistenz durchbrochen oder zumindest gesenkt und die Glykämielage bessert sich [2]. D a der Diabetes eine chronisch fortschreitende Krankheit ist, läßt die Fähigkeit der Bauchspeicheldrüse im Laufe der Zeit nach, noch genügend Insulin zu produzieren, die Insulinresistenz bleibt bestehen oder nimmt noch zu (d. h. die Insulinsensitivität sinkt), infolgedessen steigt der Blutzucker an. Damit werden orale Antidiabetika erforderlich, um die Hyperglykämie zu reduzieren. Glibenclamid stimuliert die Insulinsekretion der Bauchspeicheldrüse, über Jahre k o m m t es infolgedessen zur Erschöpfung der B-Zellen. O b durch das andere Wirkprinzip des Medikamentes Acarbose dieser Prozeß langfristig aufgehalten werden kann, ist heute noch nicht zu beurteilen. Schließlich reicht die endogene Insulinproduktion trotz oraler Antidiabetika nicht mehr aus, den Blutzucker einigermaßen in vertretbarem Bereich zu halten. Es k o m m t zum echten Insulinmangel, die Einleitung einer Insulintherapie wird erforderlich. Die Führung des Diabetes unter exogener Insulinzufuhr ist wegen der weiter bestehenden Insulinresistenz und der meist weitervorhandenen Adipositas nicht unproblematisch, so daß eine Euglykämie oft nicht erreicht wird. Entscheidend ist hier wiederum, ob es dem Patienten gelingt, sein Körpergewicht effektiv zu reduzieren und damit die Insulinresistenz zu senken. Der Krankheitsverlauf wird durch viele Faktoren beeinflußt, neben dem schicksalshaften Fortschreiten der Erkrankung und dem eventuellen Vorhandensein von Zweiterkrankungen und anderen Risikofaktoren spielt das Verhalten des Patienten und seine aktive Einflußnahme auf den Krankheitsverlauf eine bedeutende Rolle, so zum Beispiel durch Änderung der Lebensgewohnheiten, Beeinflussung anderer Risikofaktoren, Gewichtsreduktion oder Selbstkontrolle. Entscheidend für die Verhinderung bzw. Verzögerung des Auftretens von Spätkomplikationen ist eine gute Stoffwechselführung, da Beziehungen zwischen der Güte der Stoffwechselführung und der Herausbildung der Mikro- und Makroangiopathie bestehen. Eine gute Stoffwechselführung erhöht die Chancen für das Ausbleiben bzw. zeitliche Hinausschieben von Komplikationen, kann sie aber wegen der multiplen Einflußfaktoren nicht absolut sicher verhindern. Ein pathogenetisch entscheidender Faktor für eine gute Stoffwechsellage ist eine Gewichtsnormalisierung. Trotz der großen Fortschritte in der Behandlung des Diabetes ist die Lebenserwartung der Patienten im Vergleich mit einer Normalbevölkerung auch heute noch herabgesetzt, drei Viertel aller Diabetiker sterben an Gefäßerkrankungen [4]-

3

Verlauf

27

Wie aus Abb. 1 zu sehen ist, beginnt die Entwicklung der makrovaskulären Gefäßkomplikationen bereits vor der klinischen Manifestation des Typ-II-Diabetes, also im Stadium der „impaired glucose tolerance" ( I G T ) , während sich die mikrovaskulären Komplikationen erst ab dem Zeitpunkt der Manifestation des Diabetes mellitus herauszubilden beginnen, da sie entscheidend durch die Hyperglykämie beeinflußt werden. Die Mikroangiopathie bildet sich nach einer durchschnittlichen Diabetesdauer von 10 bis 15 Jahren heraus [3]. Zusammenfassung Der Typ-II-Diabetes manifestiert sich überwiegend bei Patienten nach dem 30. Lebensjahr, oft bestehen zum Manifestationszeitpunkt keine oder nur geringe klinische Symptome. Ein Teil der Patienten ist primär rein diätetisch führbar, andere Patienten benötigen rasch zur Stoffwechselrekompensation orale Antidiabetika. Über einen Zeitraum von Jahren geht der in den ersten Jahren bestehende Hyperinsulinismus zurück, bis sich infolge Nachlassens der Betazellfunktion ein Insulinmangel herausbildet, der schließlich zur Notwendigkeit der exogenen Insulinapplikation führt. Pathophysiologisch bedeutsam für die Entstehung und den Verlauf des Diabetes ist die Ausprägung der Adipositas und deren Beeinflußbarkeit. Die Prognose des Diabetes wird heute durch die mikro- und makrovaskulären Gefäßkomplikationen bestimmt, deren Auftreten und Verlauf wird von der Güte der Stoffwechselführung und der Bekämpfung der anderen Risikofaktoren entscheidend beeinflußt. Die makrovaskulären Gefäßkomplikationen beginnen sich bereits vor der klinischen Manifestation des Diabetes herauszubilden, während die mikrovaskulären Komplikationen von der Hyperglykämie und damit von der Diabetesdauer abhängen. Literatur [1] Hanefeld, M., H. Haller, J. Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie (DIS) - eine multizentrische Multiinterventionsstudie bei Typ-II-Diabetikern. 1. Mitteilung Dt. Gesundheitswesen 39 (1984) 1 8 8 9 - 1 8 9 4 . [2] Henry, R. R., B. Gumbiner: Benefits and limitations of very-low-calorie diet therapy in obese NIDDM. Very low Calory Diet Therapy in Obese NIDDM. Diabetes Care 14 (1991) 802-23. [3] Mehnert, H. (Hrsg.): Stoffwechselkrankheiten. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1990. [4] Panzram, G., R. Zabel-Langhennig: Prognosis of diabetes mellitus in a geografically defined population. Diabetologia 20 (1981) 5 8 7 - 5 9 1 .

4

Klinik des unkomplizierten Typ-II-Diabetes

J. Schulze

Der Typ-II-Diabetes ist durch sein überwiegendes Auftreten im Erwachsenenalter und seine primäre Insulinunabhängigkeit charakterisiert. Im Gegensatz zu seiner Häufigkeit und Bedeutung wird der Typ-II-Diabetes infolge Symptomarmut oft nicht bzw. erst lange nach Manifestation diagnostiziert. Von den wenigen dramatischen hyperglykämisch hyperosmolaren Entgleisungen bzw. Manifestationen im Rahmen fieberhafter Begleitkrankheiten abgesehen, läßt der unkomplizierte Typ-Ii die klassischen Diabetessymtome lange vermissen. Die Entdeckung der gestörten Glukosetoleranz erfolgt entweder zufällig durch Screening oder Check-up-Untersuchungen im Rahmen der haus- oder betriebsärztlichen Vorsorge (Abb. 1) oder durch sogenanntes selektives Screening bei Erkrankungen, die wie Fettsucht, Hyperlipoproteinämie (HLP), Hypertonie, Gicht u. a. eine enge Syntropie zum Typ-II-Diabetes aufweisen. Erst bei der Anamneseerhebung ergeben sich retrospektiv Hinweise auf diabetesassoziierte Symptome und Befunde (Tab. 1).

Abb. 1: Modalitäten der Diabetesfeststellung (DIS).

30

J . Schulze

T a b . 1: Anamnestische Angaben und Symptome bei Diabetes mellitus — Polydipsie, Polyurie —

— Allgemeine Infektanfälligkeit (Hautinfektionen, Harnwegsinfekt)

Gewichtsabnahme

— Müdigkeit, Leistungsschwäche

— Pruritus

— Heißhunger, Polyphagie

— Neurologische Symptome

— Übelkeit, Erbrechen

(Sensibilitätsstörungen)

— Abdominelle Schmerzen

— Nachlassen der Libido und Potenz



— Kopfschmerzen, Schwindel

Muskelkrämpfe

— Transitorische Refraktionsanomalien

— Vorzeitige Arteriosklerose (Claudicatio, Angina pectoris)

4.1

Anamnese

Familienanamnese Nach den repräsentativen Daten der DIS-Studie treten in den Familienanamnesen bei den Müttern vermehrt Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertonie auf; bei den Vätern wird dagegen der Myokardinfarkt doppelt so häufig beobachtet wie bei den Müttern. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede deuten darauf hin, daß genetische Faktoren sowohl für den Typ-II-Diabetes, als auch für weitere Erkrankungen und Komplikationen des Metabolischen Syndroms von Bedeutung sein könnten (Tab. 2) [2]. T a b . 2: Familienanamnese von Typ-II-Diabetikern (DIS-Studie) bezüglich metabolischer und kardiovaskulärer Erkrankungen (im Vergleich dazu: Familienanamnesen von unausgewählten N o r m a l p e r s o n e n — Dresdner Studie — [2]) DIS-Studie (n =

1139)

Im Vergleich dazu: Dresdner Studie (n =

M u t t e r Vater 0/ 0/ /o /o

Geschwister

%

%

Adipositas

46,4

24,8

35,3

15,8

Diabetes mellitus

24,1

11,2

0,8

Hyperlipoproteinämie

0,7

0,7

11,1

0,1

Gicht Myokardinfarkt

1,6 4,5

1,1 9,2

1,1 0,7 2,3

0,1 0,2

6,2

0,8

Apoplexie

9,8

9,4

0

6,2

0,2

21,1

9,6

1,9 6,9

12,3

1,1

Hypertonie

Kinder

1,9

Eltern

%

Geschwister

%

1216) Kinder

%

nicht erfragt 7,1 0,4

1,2 -

0,1 -

nicht erfragt -

0,2

Eigenanamnese Außer der Ermittlung von Krankheiten des metabolischen Syndroms (s. o.), die kausal verknüpft gehäuft mit IGT oder manifestem Diabetes mellitus einhergehen, bedarf es der Aufdeckung weiterer diabetogener und aterogener Noxen.

4 Klinik des unkomplizierten Typ-II-Diabetes

31

Auch hier zeigt sich bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung des Typ-IIDiabetes eine deutlich höhere Prävalenz von assoziierten Risiken im Vergleich zu den Nichtdiabetikern und teilweise auch zu den verglichenen Typ-I-Diabetikern (Tab. 3) [2]. Tab. 3: Eigenanamnese von Typ-II-Diabetikern (DIS-Studie) bezüglich metabolischer und kardiovaskulärer Erkrankungen (im Vergleich dazu: Eigenanamnese einer unausgewählten, repräsentativen Bevölkerungsgruppe — Dresdner Studie — und eines Kollektivs insulinpflichtiger Diabetiker) [2]

Hypertonie Hyperlipoproteinämie Gicht Angina pectoris

DIS-Studie (n = 1139) %

Dresdner Studie (n = 1216) %

insulinpflicht. Diabetiker (n = 230) %

47,7 7,8 5,3 17

5,2 0,5 nicht erfragt 2,8

23 3,5 nicht erfragt 19,6

Zu den erworbenen Ursachen eines Diabetes mellitus rechnet man heute chronische Leber-und/oder Pankreaserkrankungen, endokrine Störungen, Gaben von diabetogenen Medikamenten oder Hormonen. Verdachtsdiagnosen werden auch von Fachkollegen geäußert, die mit typischen Befunden der manifesten Mikrooder Makroangiopathie bei bisher unbekanntem Diabetes mellitus konfrontiert werden: Augenarzt: Hautarzt: Nervenarzt: Frauenarzt:

Mikroaneurysmen, Degenerationsherde, Katarakt u. a. Pyodermien, Furunkel, Karbunkel, Xanthome, Xanthelasmen Polyneuritis, Radikulär-, Pseudoradikulärsyndrom Schwangerschaftskomplikationen, Vulvovaginitis, „Big babies" Allgemeinmedizin: Fettleber, arterielle Durchblutungsstörungen, Koronarsklerose Das klinische Bild wird in der Regel durch manifestationsfördernde Faktoren, Begleiterkrankungen (Tab. 4) [1] und kardiovaskuläre Komplikationen bestimmt. Nach den Ergebnissen der Diabetesinterventionsstudie (DIS) betrugen bei frisch diagnostizierten N I D D M die Prävalenzraten für Hypertonie 53%, für Adipositas 49%, für Raucher 34%, für Hyperurikämie 22,5% und für HLP 17,6%! In diesem repräsentativen Typ-II-Segment im Leistungsalter (30 — 55 Jahre) fanden sich bereits bei Diagnosestellung hohe Komplikationsraten kardiovaskulärer und zerebrovaskulärer Ereignisse als Ausdruck deletären Wirkens atherogener Risiken.

32

J. Schulze

Tab. 4: Manifestationsfördernde Faktoren des Typ-II-Diabetes [1]

Fettsucht Überernährung

Ernährung

Mangel an ballaststoffhaltiger Kost Diabetesmorbidität nimmt zu

Alter

Glukosetoleranz nimmt ab Streß

Lebensweise

Infektionen Operationen akut bedrohliche Zustände Mangel an Bewegung sowie Pankreatitis

Alkohol

Fettleibigkeit Leberzirrhose

latrogener

Diabetes

Kortikosteroide Thiazidpräparate Ovulationshemmer

Schwangerschaft Endokrine

4.2

Erkrankungen

Klinischer Befund

Von 1846 neuentdeckten Diabetikern hatten 2 , 5 % bereits einen Infarkt, 1 , 3 % einen Schlaganfall und 0 , 3 % eine G a n g r ä n der F ü ß e erlitten. Vergleichsweise lag die Infarktprävalenz im gleichen Altersbereich bei Nichtdiabetikern unter 1 % [3]. Die herabgesetzte Lebenserwartung von Typ-II-Diabetikern m a c h t eine möglichst frühzeitige Aufdeckung des phasenhaft ablaufenden metabolisch vaskulären Syndroms erforderlich. Aus klinischer Sicht ergeben sich unter Z u h i l f e n a h m e anamnestischer, klinischer und paraklinischer Befunde für eine möglichst pathogenetisch orientierte C h a rakterisierung und T h e r a p i e zwei Patiententypen (s. auch Kap. 1): a) der übergewichtige N I D D M mit kurzer Diabetesdauer ( < 5 Jahre): Insulinresistenz mit kompensierender Hyperinsulinämie; b) der n o r m - oder untergewichtige N I D D M mit langer Diabetesdauer (5 —10 Jahre): Insulinresistenz mit zunehmendem Insulinmangel und laufender Gewichtsabnahme. Die Erkennung und Klassifizierung der N I D D M nach diesen einfachen klinischen Verlaufsdaten ist eine unabdingbare Voraussetzung für differentialtherapeutische

4 Klinik des unkomplizierten Typ-II-Diabetes

33

Tab. 5: Charakteristika für N I D D M und IDDM NIDDM

IDDM

Manifestationsalter

mittleres und höheres Alter

Kinder und Jugendliche

Insulinabhängigkeit

meist erst 2 - 3 Jahre nach Diagnose

meist von Beginn an

Genetisches Risiko bei einem VEG 1 ' mit identischem Diabetestyp

20,8-37,9%

3,5-4,5%

HLA-Assoziation

Insulin und Inselzellantikörper Glutamatdecarboxylase

-



C-peptid nach Glukagonstimulation

> 1 . 1 nmol/1

Mikroangiopathie

(+ )

Cluster des metabolischen Syndroms initial vorhanden

+

11

DR 3 DR 4 + + + 0 - < 1 . 1 nmol/1

+ -

Verwandte ersten Grades

und prognostische Schlußfolgerungen. Die Abgrenzung zu einem langsam manifestierenden Typ-I-Diabetes ist in manchen Fällen nur durch eingehendere Untersuchungen möglich (Tab. 5).

4.3

Zusammenfassung

Der unkomplizierte Typ-II-Diabetes ist der Prototyp einer häufig klinisch blande erscheinenden, komplexen metabolischen Regulationsstörung, der infolge Symptomarmut oft erst Jahre nach seiner Manifestation diagnostiziert wird. Die frühzeitige Erkennung und Klassifizierung gestörter KH-Toleranz sollte Anlaß zur Fahndung nach assoziierten Risiken des Metabolischen Syndroms (Hypertonie, Adipositas, Rauchen, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie) sein, da nur so differentialtherapeutische und prognostische Schlußfolgerungen gezogen werden können.

34

J . Schulze

Literatur [1] Bruns, W., H. Mehnert, G. Use: Diabetestherapie heute, ein praktischer Leitfaden in Tabellen. Aktuelles Wissen Hoechst; Reihe Diabetes mellitus: 1. 5. Frankfurt 1991. [2] Fischer, S., M . Hanefeld, J . Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie (DIS), eine multizentrische Multiinterventionsstudie bei Typ-II-Diabetikern. 2. Mitteilung. Z. Klin.Med. 42 (1987) 1 6 1 3 - 1 6 1 6 . [3] Hanefeld, M . H. Haller, J. Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie (DIS), eine multizentrische Multiinterventionsstudie bei Typ-II-Diabetikern. 1. Mitteilung. Dtsch. Gesundh.wes. 39 (1984) 1 8 8 9 - 1 8 9 4 .

5 Das hormonell-metabolische Syndrom bei Typ-II-Diabetes

Unsere Arbeitsgruppe hat zu Beginn der 70er Jahre im Rahmen der Dresdner Studie die enge Assoziation von Fettsucht, Diabetes mellitus (NIDDM), Fettleber, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie und Hyperurikämie, die zu arteriosklerotischen Manifestationen führt, aufgezeigt und als metabolisches Syndrom bezeichnet (Abb. 1, Tab. 1). Bereits in den 60er Jahren hatte der Franzose Camus die Bezeichnung „trisyndrome metabolique" (Diabetes, Hypertriglyzeridämie, Gicht) verwendet und die Münchner Gruppe um H. Mehnert sprach bei einer ähnlichen Konstellation vom „Wohlstandssyndrom".

Neuerdings taucht in der Literatur für dieses Cluster metabolischer Störungen der Begriff Syndrom X auf, der von Reaven geprägt wurde und die Insulinresistenz in den Mittelpunkt rückt. Im folgenden wird der derzeitige Kenntnisstand der Verknüpfungen zwischen den genannten Einzelbausteinen des hormonell-metabolischen Syndroms unter besonderer Berücksichtigung des N I D D M herausgearbeitet. Als Zusammenfassung unserer heutigen Sicht dieses Syndroms kann das Paradigma (Abb. 2) dienen.

36

M .

Weck

U

" 2 = g ! 8 < cu O

(A

¿ ! S ' co.
1,0 (m) > 0,85 (w)

W H R < 1,0 (m) < 0,85 (w)

Abdominal Android Stammbetont Zentral Upper body Apfelform Hypertroph

Gluteal-femoral Gynoid Hüftbetont Peripher Lower body Birnenform Hyperplastisch

Adipositas

39

Tab. 3: Morphologische und metabolische Unterscheidungsmerkmale zwischen abdominellem und gluteal-femoralem Fettgewebe abdominal-

gluteal-

viszerales

femorales Fettgewebe

Insulindynamik — Sekretion

>

— hepatische Extraktion




Fettgewebsmorphologie und -funktion — Fettzellgröße

>

— Lipolyse

>

— Lipaseaktivität




Sexualhormone — Testosteron (m)




Gerinnungsdaten — PAI (Plasminogen-Aktivator-Inhibitor)

>

— Fibrinogen

>

demiologischen Studien geht hervor, daß die abdominale Fettakkumulation mit einer Reihe von kardiovaskulären und metabolischen Folgekrankheiten verbunden ist. Generell gilt, daß Männer mit abdomineller Fettsucht (dem typischen „Bierbauch") und Frauen, die ihre wohlproportionierte Figur verlieren und Abdominalfett anhäufen (Abb. 3), ein hohes kardiovaskuläres Risiko aufweisen (Tab. 4, 5). Die biochemischen Grundlagen dieser Prozesse werden im folgenden dargestellt. Dieses viszeral-omentale Fettgewebe ist besonders sensitiv gegenüber LipolyseStimuli und zeigt eine verminderte Response auf den antilipolytischen Insulineffekt. Es entsteht so ein drastisch gesteigertes FFS-Potential in der portalen Zirkulation, das mehrere metabolische Wirkungen nach sich zieht (Abb. 4): 1) auf die hepatische Insulin-Clearance 2) auf den Kohlenhydratstoffwechsel 3) auf die hepatische Lipoproteinsynthese

40

M . Weck

Abb. 3: Schematische Darstellung der Fettverteilungstypen. Tab. 4: Regressionsanalyse (stepwise logistic regression) 10 ausgewählter Parameter bei 286 Männern, die sich einer Koronarangiographie unterziehen mußten (nach Hauner [6]) Variable

P

LDL-Cholesterol Alter WHR Total-Cholesterol BMI (Body mass index) Insulin HDL-Cholesterol Triglyzeride Systolischer Blutdruck Diastolischer Blutdruck

0,0001 0,0005 0,013 0,154 0,197 0,238 0,243 0,293 0,735 0,973

ad 1) Effekte der portalen FFS auf die hepatische Insulin-Clearance: Adipositas ist mit reduzierter hepatischer Insulin-Clearance verbunden. Dies ist sogar als Charakteristikum der abdominalen Fettsucht anzusehen. Von einer schwedischen und einer amerikanischen Gruppe wurde jüngst unabhängig voneinander an isolierten Leberzellen gezeigt, daß die Insulinbindung durch FFS in physiologischen Konzentrationen stark gehemmt wird. Dieser FFS-Effekt betrifft nicht nur die Insulinbindung sondern auch die weiteren Prozesse der Insulin-Internalisation,

Adipositas

41

Tab. 5: Korrelationen zwischen kardiovaskulären Risikofaktoren, Endpunkten und der Adipositas (BMI) bzw. deren abdomineller Lokalisation (WHR) (nach Björntorp) [1]

Kardiovaskuläre Erkrankungen Apoplexie Diabetes mellitus Vorzeitiger Tod Hypertonie Cholesterol Triglyzeride Insulin Fibrinogen Rauchen

BMI

WHR

0 0 + 0

+

+ +

+

+

+

+

0 + + 0

+ + + + +

ADIPOSITAS

Gluteal-femorales Fettgewebe

Abdominal-viszerales Fettgewebe

Triglyzeride

NIDDM

\

Hypertonie

Gemischte Hyperlipidämien

Hypertriglyzeridämie

Abb. 4: Rolle der Fettgewebstypen und der FFS in der Pathogenese des N I D D M und des metabolischen Syndroms.

des I n s u l i n a b b a u s u n d der W i r k u n g . A b d o m i n e l l e F e t t s u c h t ist s o m i t m i t h e r a b g e s e t z t e r I n s u l i n - A u f n a h m e d e r L e b e r a s s o z i i e r t . K o n s e k u t i v e n t s t e h t ein p o r t a l e r u n d p e r i p h e r e r H y p e r i n s u l i n i s m u s , d e r ü b e r die d o w n - r e g u l a t i o n d e r I n s u l i n r e z e p t o r e n ebenfalls Insulinresistenz b e w i r k e n k a n n . M i t d e r

progredienten

42

M. Weck

Störung der Insulin-Glukose-Homöostase kann der vermehrte FFS-Flux und die Fettsäure-Oxidation zu zunehmender Überforderung des Pankreas bis hin zur Entwicklung einer Hypoinsulinämie führen. Diese gestörte Insulindynamik im Zusammenhang mit dem bekannten stimulierenden Effekt der FFS auf die Glukoneogenese befördern die relativ ungehemmte hepatische Glukoseproduktion bis hin zur Hyperglykämie. Portale Hyperlipazidämie mit nachfolgendem Hyperinsulinismus und Insulinresistenz sind zentrale Pathomechanismen der viszeralen Adipositas und des N I D D M . ad 2) Effekte der FFS auf den Kohlenhydratstoffwechsel: Erhöhte portale FFS steigern den Blutzucker über die Stimulierung der hepatischen Glukoneogenese. Lipolysehemmer (Acipimox, Olbemox®) sind entsprechend Blutzucker-senkend wirksam. Aber nicht nur die portalen FFS-Spiegel sind bei der abdominellen Fettsucht erhöht, sondern auch periphere FFS. Eine wesentliche Rolle bei diesem Defekt dürfte die Muskulatur spielen, da diese bei Gesunden vorwiegend FFS als oxidatives Substrat nutzt. Herabgesetzter muskulärer FFS-Verbrauch würde zu erhöhten Plasma-FFS und gesteigerter hepatischer Lipidoxidation mit nachfolgend vermehrter Glukoseproduktion führen und somit einen Mechanismus darstellen, der Defekte in Muskulatur und Leber bei N I D D M verknüpft. ad 3) Effekte der portalen FFS auf die hepatische Lipoproteinsynthese: Portale Hyperlipazidämie führt zu vermehrter Produktion von V L D L und T G , wobei die Verfügbarkeit der FFS die VLDL-Syntheserate bestimmt. Konsekutiv kommt es zur Zunahme der Konzentrationen an L D L und ApoB-100, etablierter Risikofaktoren arteriosklerotischer Manifestationen. 5.1.3

Hormonelle

Regulation

der

Fettgewebsverteilung

In den letzten Jahren wurden neuroendokrine Regulationsprozesse wieder mehr in die Betrachtung der Adipositaspathogenese einbezogen. Einerseits sollen bestimmte Typen von Streß, hoher Alkoholverbrauch und Nikotinabusus mit hormoneller Dysbalance und einer Präponderanz des Fettgewebes in der Abdominalregion verbunden sein. Andererseits ist die Größe des Fettdepots abhängig von der Anzahl der Fettzellen und deren Lipidgehalt. Schlüsselenzym für Fettablagerung und -Spaltung ist die Lipoproteinlipase (LPL). Die Lipidfreisetzung wird über das lipolytische System vermittelt, das primär durch das sympathische Nervensystem aktiviert und hauptsächlich durch Insulin inhibiert wird. Diese enzymatischen Prozesse werden hormonell vor allem von Steroidhormonen, sowohl adrenokortikalen als auch Sexhormonen, gesteuert. Die Effekte dieser Hormone sind letztlich von der Dichte und Affinität ihrer Rezeptoren am Erfolgsorgan, d. h. dem Fettgewebe, abhängig.

Adipositas

5.1.3.1

43

Kortikosteroide

Daß Kortisol die LPL-Aktivität steigert, ist von Patienten mit Morbus Cushing bekannt, die eine drastisch erhöhte Aktivität dieses Enzyms im abdominalen Fettgewebe aufweisen. Wenn man diesen Daten folgt, würde Kortisol über die hohe Dichte seiner Rezeptoren im viszeralen Fettgewebe die LPL-Aktivität und damit die Fettakkumulation in dieser Region befördern. Natürlich ist die NettoAblagerung von Fett ebenso vom lipolytischen System abhängig, wobei angenommen wird, daß Kortikosteroide die Lipolyse über einen permissiven Effekt auf die katecholaminstimulierte Glyzerolfreisetzung steigern. Bei Cushing-Patientinnen war die Lipolyse des abdominellen Fettdepots aber signifikant niedriger gegenüber gesunden Frauen und unterschied sich außerdem nicht vom femoralen Depot. Schließlich kommt den Kortikoiden eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der hyperplastischen Fettsucht zu. Präadipozyten können durch physiologische Glukokortikoidkonzentrationen bei Anwesenheit von Insulin in reife Fettzellen konvertiert werden. 5.1.3.2

Testosteron

Testosteron scheint regional unterschiedliche Wirkungen auf den Fettgewebsmetabolismus auszuüben. Eine Hemmung der LPL und Stimulierung der Lipolyse im abdominalen Depot wurden beschrieben, wobei beide Mechanismen zur Fettdeposition führen würden. Adipöse Männer weisen niedrige Serum-Testosteronspiegel auf und diese sind invers mit dem Grad der Fettsucht korreliert, normalisieren sich aber nach Gewichtsreduktion. Jüngst wurde nachgewiesen, daß die Blutspiegel an freiem und Gesamttestosteron sowie SHBG (Sex-Hormonbindendes Globulin) bei Männern negativ mit der W H R , der Größe des viszeralen Fettdepots sowie erhöhten Blutzucker-, Insulin- und C-Peptid-Werten korreliert sind [13]. Im Gegensatz zu Männern sind erhöhte Spiegel an Gesamt- und freien Testosteron sowie niedriges SHBG charakteristisch für abdominal adipöse Frauen und werden bei der gluteal-femoralen Fettsucht nicht beobachtet. In der Göteborg-Studie war niedriges SHBG ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines N I D D M bei Frauen. Neuere Studien haben eine positive Korrelation zwischen freiem Testosteron und der mittels Glukose-Clamp-Technik eruierten Insulinresistenz adipöser Frauen demonstriert. Der Effekt der erhöhten Androgenspiegel wirkt sich auch und vor allem an der Muskulatur aus. Muskelmasse und Muskelfaserzusammensetzung dieser Frauen weisen männliche Charakteristika auf, d. h. eine Zunahme der Typ-Ii b-Muskelfasern, die gegenüber den Typ-I-Fasern eine geringere Insulinsensitivität haben [9], 5.1.3.3

Progesteron

Progesteron bewirkt eine Zunahme der LPL-Aktivität im gluteal-femoralen Bereich.

44

M. Weck

5.1.3.4

Östrogene

Sichere Hinweise auf eine abnormale Sekretion von Östrogenen fanden sich bei Adipositas nicht. Erst bei exzessivem Übergewicht (BMI > 40) wurden erhöhte Östron- und Östradiolwerte berichtet. Allerdings werden durch das Fettgewebe adrenale Androgene zu Östron konvertiert und diese Konversion ist natürlich infolge der vermehrten Fettmasse gesteigert. Glukokortikoide und Sex-Hormone üben demnach sehr differente Effekte auf die Regulation des Fettgewebsmetabolismus in den beiden Hauptregionen aus. Störungen der Balance der beiden Hormongruppen bewirken auch Aberrationen im Fettgewebsstoffwechsel. Kortisol scheint die Akkumulation von Fett in der intraabdominalen Region zu bedingen, während die Geschlechtshormone dem entgegenwirken. Progesteron führt zur Anhäufung von Depotfett in der Peripherie. Diese biochemischen Befunde spiegeln sich in allseits bekannten klinischen Bildern wieder. Das Cushing-Syndrom mit seiner massiven Fettdeposition im Abdominalbereich ist mit Glukokortikoid-bedingter, drastisch erhöhter LPL-Aktivität in dieser Region assoziiert. Auch die Menopause (normales Kortisol, abnehmendes Testosteron) zählt zu diesen hormonellen Dysbalancen, die mit Veränderung der regionalen Fettablagerung einhergehen. Das abdominale, insbesondere viszerale Fettgewebe wirkt somit einerseits als Erfolgsorgan, andererseits aber als Potentator für die beschriebenen Aberrationen des endokrin-metabolischen Syndroms und dessen Folgekrankheiten; kardio- und cerebrovaskuläre Erkrankungen, N I D D M . 5.1.4

Zusammenfassung

Die einzelnen Bausteine des hormonell-metabolischen Syndroms stellen Risikofaktoren der Arteriosklerose und deren Folgeerkrankungen dar. Abdominalviszerale Fettakkumulation mit vermehrtem FFS-Einstrom in den Portalkreislauf, Hyperinsulinismus und Insulinresistenz sind zentrale pathogenetische Mechanismen des beschriebenen metabolischen Syndroms. Nicht die Fettsucht generell, sondern die zentrale Fettanhäufung, meßbar an Hand der W H R (Taillen-zuHüftumfangs-Relation), ist mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko assoziiert. Weiterführende

Literatur

[1] Björntorp, P.: Obesity and diabetes. In: K.G.M.M Alberti, L. P. Kral (eds.): The diabetes annual/5, S. 373 - 395. Elsevier, Amsterdam 1990. [2] Haffner, S. M., D. Fong, H. P. Hazuda et al.: Hyperinsulinaemia, upper body adiposity and cardiovascular risk factors in non-diabetics. Metabolism 37 (1988) 338 — 345. [3] Hanefeld, M., W. Leonhardt: Das metabolische Syndrom. Dt. Gesundh.-Wesen 36 (1981) 545-551. [4] Hanefeld, M.: Untersuchungen zur Fettleberproblematik unter besonderer Berücksichtigung metabolischer Gesichtspunkte. Habilitation, Medizinische Akademie, Dresden 1973.

Adipositas

45

[5] Hauner, H.: Fettgewebsverteilung und Adipositasrisiko. Dtsch. med. Wschr. 112 (1987) 731-735. [6] Hauner, H., K. Stangl, C. Schmatz et al.: Body fat distribution in men with angiographically confirmed coronary artery disease. Atherosclerosis 85 (1990) 2 0 3 - 2 1 0 . [7] Jequier, E., Y. Schutz: New evidence for a thermogenic defect in human obesity. Int. J . Obesity 9 (1985) (Suppl. 2) 1 - 7 . [8] Kissebah, A. H., A. N. Peiris, D. J . Evans: Mechanism associating body fat distribution to glucose intolerance and diabetes mellitus. Window with a view. Acta Med. Scand. 723 (1988) (Suppl.) 7 9 - 8 9 . [9] Krotkiewski, M . , P. Björntorp: Muscle tissue in obesitiy with different distribution of adipose tissue. Effects of physical training. Int. J . Obesity 10 (1986) 3 1 1 - 3 4 1 . [10] Peiris, A. N., R. A. Mueller, M . F. Struve et al.: Relationships of androgenic activity to splanchnic insulin metabolism and peripheral glucose utilization in premenopausal women. J . Clin. Endocrinol. Metab. 64 (1987) 1 6 2 - 1 6 9 . [11] Ravussin, E., S. Lilioja, W. C. Knowler et al.: Reduced rate of energy expenditure as a risk factor for body weight gain. N. Engl. J . Med. 318 (1988) 4 6 7 - 4 7 2 . [12] Reaven, G. M . , B. B. Hoffmann: A role for insulin in the aetiology and course of hypertension. Lancet II (1987) 4 3 5 - 4 3 6 . [13] Seidell, J . C., P. Björntorp, L. Sjöström et al.: Visceral fat accumulation in men is positively associated with insulin, glucose and C-peptide levels, but negatively with testosterone levels. Metabolism 39 (1990) 8 9 7 - 9 0 1 . [14] Svedberg, J . , P. Björntorp, U. Smith et al.: Free-fatty acid inhibition of insulin binding, degradation and action in isolated rat hepatocytes. Diabetes 39 (1990) 570 - 574. [15] Week, M . : Abdominale Fettsucht im Rahmen des metabolischen Syndroms. Gewichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor. Therapiewoche 42 (1992) 1 5 6 0 - 1 5 6 6 .

5.2

Dyslipoproteinämie

M.

Hartefeld

N I D D M , Lipidstoffwechselstörungen und Arteriosklerose sind eng miteinander verbunden. Noch immer gilt die von E. P. Joslin 1927 getroffene Feststellung: „Ich glaube, der Hauptgrund für die frühzeitige Entwicklung der Arteriosklerose bei Diabetikern, der ein hohes Alter verhindert, ist ein Überschuß an Fett im Körper, die Adipositas, ein zuviel an Fett in der Nahrung, zuviel Fett im Blut. Mit einem Exzeß an Fett sterben die Diabetiker, früher am Koma, jetzt an Arteriosklerose." 5.2.1

Epidemiologie

Beim Typ-II-Diabetes tritt die Dyslipoproteinämie vor allem in zwei Erscheinungsbildern auf, als Hypertriglyzeridämie und als HDL-Mangel [1, 4]. Zur familiären Hypercholesterolämie bestehen keine direkten Beziehungen. Bei 40 — 80% der Patienten findet man Triglyzerid- und/oder Cholesterol-Erhöhungen, die über den Grenzwerten der Europäischen Arteriosklerosegesellschaft (Tab. 1) [3] liegen. Die Prävalenz ausgeprägter Hyperlipoproteinämien (HLP) (Triglyzeridkonzentrationen > 2,9 mmol/1, Cholesterol > 7,8 mmol/1) bei gut eingestellten diätetisch geführten N I D D M war mit 17,6% ca. 3 mal höher als auf Bevölkerungsebene [4]. Unter den Patienten der Diabetesinterventionsstudie hatten 5 Jahre nach Erfassung des Diabetes trotz intensiver Therapie 12% einen HDL-Cholesterolwert < 0,9 mmol/1. Eine Syntropie von N I D D M und primären Hypertriglyzeridämien ist offensichtlich. So finden sich in 30 — 70% der Patienten mit familiärer Hypertriglyzeridämie, familiärer kombinierter Hyperlipidämie und familiärer Dysbetalipoproteinämie (Typ III) Störungen in der Glukosetoleranz oder ein leichter N I D D M [5]. Auch nach Optimierung der Diabetestherapie in den nahenormoglykämischen Bereich lassen sich noch in ca. 10% Hypertriglyzeridämien nachweisen resp. bleibt eine abnorme Zusammensetzung der Lipoproteine bestehen. So sind selbst nach optimaler Diabeteseinstellung primäre und sekundäre Dyslipoproteinämien nicht immer sicher zu trennen. Wie aus prospektiven Studien deutlich wird, ist bei IGT die Hypertriglyzeridämie sowohl ein Risikofaktor für eine spätere Diabetesmanifestation als auch für Hypertonie und Arteriosklerose [14]. Hinsichtlich der Bedeutung von Lipiden und Lipoproteinen als Risikofaktoren für Arteriosklerose bei N I D D M haben die in letzter Zeit publizierten Ergebnisse prospektiver Studien deutlich gemacht, daß neben den „klassischen" Indikatoren LDL-Cholesterol und HDL-Cholesterol, die Triglyzeride ein schwerwiegender

5.2

Dyslipoproteinämie

47

Tab. 1: Häufigkeit der Hyperlipidämien zum Zeitpunkt der Diagnose des Typ-II-Diabetes: die Diabetesinterventionsstudie [3]. Kategorien der Europäischen Arteriosklerosegesellschaft. n A

B

C

D

E

mg/dl

mmol/1

Männer (n 606)

Frauen (n 479)

Signifikanz

30,2%

30,5%

n. s.

Cholesterol (TC) 200 - 250 + Triglyzeride (TG) 2,3 mmol/1) 3,3 mal höher als bei gut eingestellten Patienten ( < 1,7 mmol/1) [7]. Wieweit ApoBErhöhung und ApoA^Mangel eine praktische Bedeutung als unabhängige Risikofaktoren besitzen, bedarf weiterer Abklärung. Kein Zweifel kann mehr an der hohen Wertigkeit einer Lp(a)-Erhöhung als eigenständiger Risikofaktor auch bei N I D D M bestehen. Eine Zusammenfassung der Lipoproteinanomalien, für die in epidemiologischen Studien eine Bedeutung als Risikofaktor nachgewiesen wurde, bietet Tab. 2. Die besondere Bedeutung der Lipidanomalien bei N I D D M wird aus dem Vergleich des relativen Risikos von Cholesterolerhöhungen bei Diabetikern und Nichtdiabetikern im MRFIT [12], der größten bisher durchgeführten prospektiven Studie zur koronaren Herzkrankheit, deutlich. Danach war nach Adjustierung auf glei-

48

M . Hanefeld

Tab. 2: Anomalien NIDDM

des Lipoproteinprofils

mit Wirkung auf das Arterioskleroserisiko

Gesamt-Cholesterol

= f

Apo A I

|

LDL-Cholesterol

= j

Apo B

f

Apo B / A

\

HDL-C/Al

j

HDL-Cholesterol Triglyzeride

| | t

bei

VLDL — Kern — Triglyzeride

f

— Cholesterolester

J.

— Oberfläche — Freies Cholesterol

t

— Phospholipide

J,

— Anomalien der Apolipoproteine (CIII/CII j ) — Anteil kleiner dichter V L D L f LDL TG

t

Kleine dichte LDL-Subfraktionen f HDL TG

t

HDL 2

|

Lp(a)

=T

ches Risikoniveau die jeweilige Cholesterolkonzentration bei Diabetikern mit einer dreifach höheren Infarktquote belastet als bei Nichtdiabetikern. Santen [11] hatte bereits 1972 darauf hingewiesen, daß bei Diabetikern ein wesentlich niedrigerer Triglyzeridspiegel erforderlich war, um von klinischer Manifestation der Arteriosklerose frei zu bleiben als bei Nichtdiabetikern. 5.2.2 Pathophysiologie

des Lipidstoffwechsels

bei

NIDDM

Die Diabetes-induzierten Veränderungen betreffen vor allem den Stoffwechsel triglyzeridreicher Lipoproteine (Abb. 1) und der HDL. Die Regulation und Störungen des VLDL-Metabolismus bei NIDDM sind sehr komplex [8, 6]. Die VLDL-Synthese hängt in hohem Maße vom Niveau der Insulinsekretion und Insulinresistenz, der Glukosekontrolle und dem Übergewicht ab. Die typische androide Fettsucht führt zur verstärkten Anflutung freier Fettsäuren zur Leber und treibt zusammen mit der Hyperglykämie die Triglyzeridsynthese an. Solange ausreichend Insulin sezerniert wird, ist die gesteigerte hepatische VLDL-Synthese die wichtigste Determinante für den Triglyzeridspiegel. Trotz Hyperinsulinismus ist aber auch die fraktionelle Abhubrate verringert [13]. Die Erklärung dafür wird in der Insulinresistenz der Muskulatur und Leber gesehen, die zu einem relativen Lipoproteinlipasedefizit führt. Die Folge davon ist ein Anstieg der VLDL-

5.2 Dyslipoproteinämie

49

Blut Glukose

Fettgewebe

V Muskulatur

VLDL

T LDL

=[> Makrophagen [> erhöhter Fluß reduzierte Aufnahme 1 Gluconeogenese

Abb. 1: Pathophysiologie des Lipoproteinmetabolismus bei NIDDM mit Hyperinsulinismus.

und Chylomikronenremnants. Mit Versagen der Insulinsekretion tritt die VLDLÜberproduktion zurück und es dominiert die Abbaustörung, d. h. die Verhältnisse nähern sich denen bei Typ-I-Diabetes mit absolutem Insulindefizit an (Abb. 2). Für die Atherogenese ist bedeutungsvoll, daß sich auch die Zusammensetzung der VLDL ändert. Diese werden triglyzerid- und cholesterolreicher, wodurch sich Fettgewebe

Blut Glukose

Rezeptor

• erhöhter Fluß reduzierte Aufnahme 1 Gluconeogenese

Abb. 2: Pathophysiologie des Lipoproteinmetabolismus bei Insulinmangel.

50

M. Hanefeld Normal

Hypertriglyzeridämie und NIDDM

VLDL CE-reich

VLDL CE-arm

c

Atherogenese

^Makrophagen

LDL CE-arm

VLDL-LDLStoffwechsel physiologisch über B- und ERezeptoren

HDL CE-arm

HDLStoffwechsel Gefäßwand

LDL CE-reich

| \

HDL CE-reich

TG = Triglyzeride CE = Cholesterinester Abb. 3: Störungen im VLDL- und HDL-Metabolismus bei Hypertriglyzeridämie und NIDDM (modifiziert nach Eisenberg [15]).

ihr Abbau in Richtung Makrophagen und myointimale Muskelzellen der Gefäßwand verschiebt (Abb. 3) [2], Der LDL-Metabolismus ist bei noch vorhandener Insulinsekretion nur wenig verändert. In Abhängigkeit von der Glykämielage k o m m t es zur nichtenzymatischen Anbindung von Glukose an das Apoprotein B. Die Glykatierung erreicht maximal 5 —10% und führt zum verzögerten L D L - A b b a u , der aber durch einen stärkeren Abfluß über den Scavengerpathway keine wesentliche LDL-Cholesterolerhöhung verursacht. Über die Bedeutung weiterer chemischer Modifikationen ist wenig bekannt. Die niedrigen HDL-Spiegel werden z. T. durch einen beschleunigten Abbau infolge Glykatierung erklärt [9]. Faßt man die vorhandenen Kenntnisse über die Dyslipoproteinämie bei N I D D M zusammen, so lassen sich die Folgen für die Interaktion von Gefäßwand und Lipoproteinen des Blutes als negativer Synergismus charakterisieren. Die exzessive Synthese von abnorm zusammengesetzten und chemisch modifizierten V L D L führt zu Anstieg und Ab-

5.2

Dyslipoproteinämie

51

baustörungen von Remnants und kleiner dichter LDL, die bevorzugt über den Scavengerpathway in Makrophagen und glatte Muskelzellen der Gefäßwand gelangen. Dort werden sie verstärkt als kristallines Cholesterol abgelagert, da die Rücktransportkapazität durch den HDL-Mangel und die Anomalien der HDLMoleküle verringert ist. Die Glykatierung der Interzellulärsubstanz (Kollagen) wirkt zusätzlich wie ein Netz für LDL-Cholesterol. In letzter Zeit ist eine weitere Dimension der negativen Auswirkungen der Hypertriglyzeridämie herausgearbeitet worden: die Hemmung der fibrinolytischen Aktivität. Dies alles liefert plausible biochemische Erklärungen für die im Vergleich zu Nichtdiabetikern gesteigerte atherogene Potenz von Störungen des Lipoproteinstoffwechsels bei N I D D M . 5.2.3

Zusammenfassung

Dyslipoproteinämien finden sich in 60 — 80% der N I D D M . Anomalien im Bereich triglyzeridreicher Lipoproteine und HDL-Mangel sind dabei am häufigsten. Erhöhungen des LDL-Cholesterols und der Triglyzeride und HDL-Defizienzen besitzen bei Diabetikern eine höhere atherogene Potenz als bei Nichtdiabetikern. Neben genetischen Defekten sind zu Beginn des Diabetes Insulinresistenz, Hyperinsulinismus, Adipositas und Bewegungsmangel die wichtigsten pathogenetischen Faktoren der Dyslipoproteinämie, später spielt Insulinmangel eine zunehmende Rolle. Die atherogene Wirkung der Dyslipoproteinämie wird potenziert, wenn sich Störungen imVLDL-LDL-Bereich mit HDL-Defiziten kombinieren und durch deren gleichzeitiges Vorkommen mit anderen Risikofaktoren, insbesondere Hyperinsulinismus. Chemische Modifikationen der Lipoproteine, bei schlechter Stoffwechsellage vor allem Glykatierungen, eskalieren weiter die Atherogenität. Literatur [1] Assmann, G., H. H. Schulte: T h e prospective cardiovascular Münster (PROCAM) study: prevalence of hyperlipidemia in persons with hypertension and/or diabetes mellitus and the relationship to coronary heart disease. Am. Heart J. 116 (1988) 1713 — 1724. [2] Eisenberg, S.: Very low density lipoprotein metabolism. Proc. Biochem. Pharmacol. 15 (1979) 1 3 9 - 1 6 5 . [3] Fischer, S. et al.: Hyperlipidämien bei Typ-2-Diabetes. Zur Publikation eingereicht. [4] Fontbonne, A., M. A. Charles, N . Thibult: Hyperinsulin aemia as a predictor of coronary heart disease mortality in a healthy population: the Paris Prospective Study, 15-year followup. Diabetologia 34 (1991) 3 5 6 - 3 6 1 . [4a] Fontbonne, A., E. Eschwege, F. Cambien et al.: Hypertriglyceridemia as risk factor for coronary heart disease mortality in subjects with impaired glucose tolerance or diabetes: results from the five year follow-up of the Paris Prospective Study. Diabetologia 32 (1989) 300-304. [5] Haller, H., M . Hanefeld: Primäre HLP mit diabetischer Stoffwechselstörung. In: H. Haller, M. Hanefeld, W. Jaroß (Hrsg.): Lipidstoffwechselstörungen. Diagnostik, Klinik, Therapie, S. 2 5 2 - 2 5 4 . G. Fischer Verlag, Jena 1983.

52

M. Hanefeld

[6] Hanefeld, M.: Diabetes, obesity and dyslipoproteinemia. Implications for atherosclerosis. Clin. Invest. Arteriosclerosis 3 (1991) 171 - 177. [7] Hanefeld, M., H. Schmechel, U. Julius et al.: Five-year incidence of coronary heart disease related to major risk factors and metabolic control in newly diagnosted non-insulindependent diabetes. The Diabetes Intervention Study (DIS). Nutr. Metab. Cardiovasc. Dis. 1 (1991) 1 3 5 - 1 4 0 . [8] Howard, B. V.: Lipoprotein metabolism in diabetes mellitus. J. Lip. Res. 28 (1987) 613 — 628. [9] Kesaniemi, A.: Pathophysiology of low density lipoprotein and high density lipoprotein glycosylation. In: R.W. James, D. Pometta (eds.): Dyslipoproteinaemias and diabetes. Monogr. Atheroscler. No 13. Proceedings of the European Atherosclerosis Group Meeting, Montreux, March, 1 5 - 1 6 , 1985, S. 6 3 - 7 3 . Karger, Basel 1985. [10] Manninen, V., O. Elo, H. Frick et al.: Lipid alterations and the decline in the incidence of coronary heart disease in the Helsinki Heart Study. JAMA 260 (1988) 6 4 1 - 6 5 1 . [11] Santen, R. J., P. W. Willis, S. S. Fajans: Atherosclerosis in diabetes mellitus. Correlations with serum lipid levels, adiposity and serum insulin level. Arch. Intern. Med. 130 (1972) 833-843. [12] Stamler, J.: Epidemiology, established major risk factors and the primary prevention of coronary heart disease. In: W. W. Parmley, P.A. Chatterjee (eds.): Cardiology, S. 1—41. Lippincott, Philadelphia, PA. 1987. [13] Taskinen, M. R., W. F. Beltz, I. Harper et al.: The effects of non-insulin-dependent diabetes mellitus on VLDL triglycerides and VLDL apoB metabolism: studies before and after sulfonylurea therapy. Diabetes 35 (1986) 1268 - 1 2 7 7 . [14] Wilson, W. F., W. B. Kannel, K. M. Anderson: Lipids, glucose intolerance and vascular disease: the Framingham study. In: R.W. James, D. Pometta (eds.): Dyslipoproteinaemias and diabetes. Monogr. Atheroscler. No 13. Proceedings of the European Atherosclerosis Group Meeting, Montreux, March, 1 5 - 1 6 , 1985, S. 1 - 1 1 . Karger, Basel 1985.

5.3 J.

Hypertonie Schulze

5.3.1

Einführung

Die arterielle Hypertonie ist bei Diabetes mellitus ein häufiger und schwerwiegender Risiko- und Progredienzfaktor, der die ohnehin vorliegende atherogene Potenz für die Entwicklung der Makro- und Mikroangiopathie erheblich verstärkt. Die erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität der Diabetiker im Vergleich zu Nichtdiabetikern muß vordergründig im Zusammenhang mit der Verdreifachung der Hypertonieprävalenz gesehen werden [1, 5]. Neuere Erkenntnisse zur Epidemiologie, Pathophysiologie und Prognose der Hypertonie bei Diabetes mellitus lassen diesen gefährlichen Synergismus erkennen, den es gilt, mit neuen Therapiekonzepten wirksam zu begegnen [20]. 5.3.2

Epidemiologie

Seit Beginn des Jahrhunderts sind Wechselbeziehungen zwischen Diabetes und Hypertonie bekannt und immer wieder untersucht worden. In einer Reihe von Studien konnte nachgewiesen werden, daß bei Hypertonikern im Vergleich zu Normotonikern eine Häufung von gestörter KH-Toleranz und Diabetes auftritt [2]. Vice versa konnte bei NIDDM in über 50% der Fälle ein arterieller Hypertonus festgestellt werden [6, 8, 15]. Anamnestische Erhebungen ergaben bei essentiellen Hypertonikern mit gleichzeitigem Diabetes, daß bei 63% der Hochdruck der gestörten Glukosetoleranz voraus ging [2]. Von Maranon [9] wurde schon 1922 die Vermutung geäußert, daß die arterielle Hypertonie einen prädiabetischen Zustand darstellt. Nach Ergebnissen der Framingham-Studie liegen die Morbiditätsraten an Herzund Gefäßkomplikationen bei hypertensiven Diabetikern 5fach höher im Vergleich zu normotonen Nichtdiabetikern. Diese Rate steigt noch an, wenn eine linksventrikuläre Hypertrophie vorliegt (Abb. 1) [18]. Auch in der PROCAMStudie [1] verdoppelt sich das Infarktrisiko bei Männern im mittleren Lebensalter, die sowohl einen Diabetes als auch eine Hypertonie aufweisen. In der Diabetesinterventionsstudie [6] war die Hypertonie der wichtigste unabhängige Risikofaktor! Die Infarktinzidenz betrug bei Blutdruckwerten < 140/90 mmHg 18/1000 Patienten/Jahr, bei 140 - 159/90 - 94 mmHg 57/1000 und R R > 160/95 mmHg 92/1000 Patienten/Jahr in den ersten 5 Jahren nach Feststellung des NIDDM [7]. Die enttäuschenden Ergebnisse einer effektiven medikamentösen Blutdrucksenkung auf die KHK-Mortalität in mehreren Interventionsstudien — das sog.

54

J . Schulze niedriges Risiko 35

hohes Risiko

195 mmHg

I - Raucher

Nichtraucher

_ 30 _ kein Diabetes keine Linksherzhypertrophie im EKG V 25

Diabetes / / Linksherzhypertrophie' / • im EKG

Ic 20 XI

° 15

o 10 ^=r .c

X

*

5 J 185

235

285 335 185 235 Cholesterinspiegel (mg 7.)

L 285

durchschnittliches Risiko 335

A b b . 1: K o r o n a r r i s i k o in Abhängigkeit von B l u t h o c h d r u c k und anderen R i s i k o f a k t o r e n , F r a mingham-Studie, initial 40jährige M ä n n e r , 16 J a h r e follow-up [18].

„KHK-Paradoxon" — wurde auf die fehlende oder ungenügende Kontrolle weiterer Risikofaktoren bezogen, teilweise auch ungünstigen Nebenwirkungen verwendeter Antihypertensiva im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel angelastet. Es stellte sich heraus, daß die in den Studien vor allem verwendeten Beta-Blocker und Thiaziddiuretika nicht nur den Hochdruck wirksam kontrollierten und damit die Schlaganfallinzidenz um 30 — 80% verminderten, sondern auch negative Stoffwechseleffekte auslösten, die sich ungünstig auf die Koronarien auswirkten [16, 17]. Als weitere wichtige Komponente für das Gefäßrisiko scheint sich eine Hyperinsulinämie zu erweisen. Aus mehreren großen epidemiologischen Studien [4, 7, 8] geht hervor, daß der Hyperinsulinismus bei Diabetikern ein schwerwiegender koronarer Risikofaktor ist, der auch eng mit Hypertonie und Hyperlipoproteinämie korreliert. 5.3.3 Bedeutung von Insulinresistenz

für die Pathogenese

der

Hypertonie

In den letzten Jahren konnten diabetologische Forschergruppen zeigen, daß Insulinresistenz bzw. Hyperinsulinismus mit gestörter Glukosetoleranz als Bindeglieder zwischen essentieller Hypertonie, androider Fettsucht, HLP und einer akzelerierten Atherogenese fungieren, [10, 19]. Aus einer Vielzahl von Studien läßt sich die gut gesicherte Hypothese ableiten, daß die essentielle Hypertonie per se mit einer verminderten Insulinsensitivität verbunden ist. Die gegenwärtig bekannten Mechanismen, die über eine kompensatorische Hyperinsulinämie zu einer Blutdruckerhöhung führen können, sind 1. gesteigerte tubuläre Natriumretention 2. Steigerung des Sympathikotonus 3. Änderung des transmembranalen Ionentransports.

5.3 Hypertonie

55

ad 1. Die antinatriuretische Wirkung von Insulin kann über die Zunahme des extrazellulären Raumes zu einem Volumen-Hochdruck führen. (Merke: auch „Insulinödeme"!) ad 2. Erhöhte Insulinkonzentrationen steigern die Aktivität des sympathischen Nervensystems (hypothalamischer Insulineffekt?) und führen über erhöhte Noradrenalinkonzentrationen zu Vasokonstriktion, Herzfrequenz- und Blutdruckanstieg. ad 3. Der insulinabhängige transmembranale Ionentransport für Kationen und Protonen soll über erhöhte intrazelluläre Natrium-Konzentrationen und veränderte Salzkonzentrationen der Gefäßendothelien ebenfalls zur Vasokonstriktion beitragen (Abb. 2), [10, 11].

Abb. 2: Insulinresistenz und Hypertonie [11].

Nach der dargestellten Ätiopathogenese der Hypertonie bei Insulinresistenz mit kompensatorischer Hyperinsulinämie kann es sich sowohl um eine Kombination von Volumen- und Widerstandsmechanismen entsprechend einem systolisch-diastolischen Hochdruck als auch um isoliertes Auftreten von systolischer oder diastolischer Hypertonie handeln. Das aktuelle klinische Bild der Hypertonie bei gestörter Glukosetoleranz resultiert aus Fehlregulationen und Kompensationen

56

J. Schulze

pressorischer und depressorischer Systeme, wobei die Insulinresistenz als pathophysiologisches Primärereignis sowohl die Ätiologie, als auch Verlauf und Prognose des Bluthochdruckes beeinflußt. 5.3.4

Neue Anforderungen

an die

Diagnostik

Die Blutdruckmessung erfolgt noch weitgehend konventionell, d. h. durch Gelegenheitsmessungen im Sitzen in der Praxis. Die Diagnose Hypertonie sollte nur gestellt werden, wenn an zwei verschiedenen Terminen mindestens drei Werte > 160/95 m m H g liegen, wobei auf 2 m m H g genau abgelesen werden sollte. Im Hinblick auf eine autonome Neuropathie muß bei Diabetikern stets eine Blutdruckmessung im Stehen die Diagnose ergänzen. Die Blutdruckeigenmessung ermöglicht im Gegensatz zur Praxismessung die Erstellung eines alltagsnahen Blutdruckprofils. Die Werte der Eigenmessung liegen tiefer als die der Praxismessung, wobei diese Unterschiede bei Hypertonikern stärker als bei N o r m o t o nikern ausgeprägt sind. Neben der Messung des Gelegenheitsblutdruckes und der Eigenkontrolle durch den Patienten haben sich für eine maßgeschneiderte Blutdrucktherapie 24-hBlutdruckprofile mit automatischen Meßgeräten bewährt [14]. Es dürfen nur Geräte eingesetzt werden, die von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt zugelassen sind, wie z. B. Space-Labs, Medilog ABF (Fa. Oxford), Accutracker 11/104 (Fa. Reynolds/Suntech), wobei die allein oszillometrisch messenden Geräte (Space-Labs 90207) bevorzugt werden sollten. Damit können auch bei Diabetikern häufige Störungen in der Tagesrhythmik, Aufweckhypertonien und die vegetative Neuropathie, erkenntlich an der Aufhebung des nächtlichen Blutdruckabfalles, erfaßt werden. In Abb. 3 a — c sind 3 typische Blutdruckverläufe bei N I D D M dargestellt. Da bereits bei Diagnosestellung von I G T oder manifestem Typ-II-Diabetes ein kardiovaskuläres Risikoprofil mit hoher Prävalenz des metabolischen Syndroms vorliegt, [6], sind zur exakten Therapieplanung alle die Untersuchungen sinnvoll, die zur Charakterisierung des Insulin-Resistenz-Syndroms beitragen. Ein diesen Ansprüchen genügendes Diagnostik-Programm zur Charakterisierung der Stoffwechselsituation bei arterieller Hypertonie stellen die Parameter der sog. „EuroN o r m " der N I D D M Policy Group dar [3]. Eine sinnvolle und notwendige Ergänzung dieser Kontrollrichtlinien sollte durch die Erfassung der Rauchgewohnheiten und die Messung der Waist/Hip Ratio (WHR) erfolgen (Taille/HüftQuotient: M ä n n e r > 1; Frauen > 0,85 entspricht dem pathologischen Befund einer androiden Adipositas). Z u r Beurteilung der Gesamtsituation bedarf es einer gezielten Anamnese (familiäre Herz-Kreislauf-Belastung, Nieren- und Stoffwechselkrankheiten) sowie der Erhebung wichtiger klinischer und weiterer paraklinischer Befunde (Kreatinin,

5.3 Hypertonie

57

Durchschnittlicher stündlicher Blutdruck 260

18

20 22 0 Uhrzeit (Stunde)

- • - Diastolisch

•MAD

Abb. 3 a: Diabetiker mit physiologischer Blutdruckregulation.

Durchschnittlicher stündlicher Blutdruck 260

-o-Systolisch

-•-Diastolisch

18 20 22 Uhrzeit (Stunde) - o - MAD

Abb. 3 b: Hypertoner Diabetiker mit nächtlicher Blutdruckentgleisung bei Neuro- und Nephropathien.

58

J . Schulze Durchschnittlicher stündlicher Blutdruck

»

iü-

_L

10

-o-Systolisch

16

-•-Diastolisch

_L _L 18 20 22 Uhrzeit (Stunde) -o-MAD

0

_L 2

X

U

Herzfrequenz

A b b . 3 c: Diabetiker mit labiler H y p e r t o n i e und sogenannter A u f w a c h h y p e r t o n i

Elektrolyte, Harnbefunde, Nierensonographie, einschließlich Duplex, EKG, Thorax-Röntgen, Echokardiographie, Funduskopie) (siehe Kap. 6). Der Ausschluß sekundärer Hypertonien sollte durch Hormonanalysen bei Verdacht auf Hyperthyreose, Phäochromozytom, Cushing-Syndrom, Conn-Syndrom oder Akromegalie erfolgen. Die möglichst frühzeitige Erfassung aller für die Prognose mit entscheidenden Risikofaktoren und Begleitleiden erlaubt eine Hypertoniebehandlung, die mehr ist als einfache Blutdrucksenkung. 5.3.5

Zusammenfassung

Im Hinblick auf die Prognose der Makro- und Mikroangiopathie ergibt sich bei Typ-II-Diabetes und Hypertonie ein gefährlicher Synergismus. Nach Daten der Framingham-Studie liegen bei hypertensiven Diabetikern Herz- und Gefäßkomplikationen 5fach höher im Vergleich zu normotonen Nichtdiabetikern. Weitere Studien (z. B. DIS und PROCAM) belegen bei Vorliegen mehrerer Risiken einen potenzierenden Einfluß auf die KHK-Morbidität. Als Bindeglieder zwischen essentieller Hypertonie und Typ-II-Diabetes konnte in den letzten Jahren eine genetisch determinierte Insulinresistenz mit verschiedenen Stadien gestörter Insulinsekretion festgestellt werden. Zur Diagnostik können neben Blutdruckprofilen und einer subtilen Überprüfung der Nierenfunktion die Parameter der NIDDM Policy Group empfohlen werden.

5.3 Hypertonie

59

Literatur [1] Assmann, G., H. Schulte: PROCAM-Studie. Panscientia Verlag, Hedingen, Zürich 1986. [2] Baumann, R., C. Graff: Die Vergesellschaftung des Frühstadiums der essentiellen Hypertonie mit latenten und asymptomatischen diabetischen Kohlenhydrat-Stoffwechseldefekten. Dtsch. Gesundh. wes. 34 (1968) 2390-2398. [3] European NIDDM Policy Group: A Desktop Guide for the Management of NIDDM. IDF Bulletin 35 (1990) 9. [4] Fontbonne, A., E. Eschwege, F. Cambien et al.: Hypertriglyceridemia as a risk factor of coronary heart disease mortality in subjects with impaired glucose tolerance or diabetes. Results from the 11-year follow-up of the Paris Prospective Study. Diabetologia 32 (1989) 300-304. [5] Hanefeld, M., S. Fischer, H. Schmechel et al.: Diabetes Intervention Study — MultiIntervention Trial in Newly Diagnosed NIDDM. Diabetes care 14 (1991) 3 0 8 - 3 1 7 . [6] Hanefeld, M., H. Haller, J. Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie (DIS) — Eine multizentrische Multiinterventionsstudie bei Typ-II-Diabetikern. I. Mitteilung Dtsch. Gesundh. wes. 39 (1984) 1889-1894. [7] Hanefeld, M., H. Schmechel, U. Julius et al.: Five-year incidence of coronary heart disease related to major risk factors and metabolic control in newly diagnosed non-insulindependent diabetes — The Diabetes Intervention Study (DIS). Nutr. Metab. Cardiovasc. Dis. 1 (1991) 1 3 5 - 1 4 0 . [8] Janka, H. U.: Herz- und Kreislaufkrankheiten bei Diabetikern. Urban und Schwarzenberg, München — Wien — Baltimore 1986. [9] Maranon, G.: Über Hypertonie und Zuckerkrankheit. Zentralbl. Inn. Med. 43 (1922) 169-176. [10] Reaven, G. M.: Role of insulin resistance in human disease. Diabetes 37 (1988) 1595 — 1607. [11] Simonson, D. C.: Etiology and prevalence of hypertension in diabetic patients. Diabetes Care 11 (1988) 8 2 1 - 8 2 7 . [12] Standi, E., H. U. Janka, H. Mehnert: Verbesserung der Lebenserwartung von Diabetikern durch Präventionsmaßnahmen. Nierenhochdruckkrankheiten 14 (1985) 310. [13] Langhlin, K. D., P. J. Sherrard, L. Fisher: Comparison of clinic and home blood pressure levels in essential hypertension an variables associated with clinic-home differences. J. Chron. Dis. 33 (1975) 197 - 206. [14] Schräder, J., G. Scholl: 24-Stunden-Blutdruckmessung, Einsatz in Diagnostik und Therapie. Akuelles Wissen Hoechst, S. 2 0 - 2 1 . [15] Uusitupa, M.: Coronary heart disease and left ventricular performance in newly diagnosed noninsulin-dependent diabetics. Publications of the university of Kuopio, (Ac. Diss.) 1983. [16] Lithell, H., C. Berne: Diabetogenic drugs. In: C. E. Mogensen, E. Standi (eds.): Pharmacology of diabetes, S. 5 7 - 7 4 . De Gruyter, Berlin, New York 1991. [17] Middeke, M., P. Weisweiler, P. Schwandt et al.: Serum lipoproteins during antihypertensive therapy with beta blockers and diuretics: A controlled longterm comparative trial. Clin. Cardiol. 10 (1987) 9 4 - 9 8 . [18] Kannel, W. B.: Status of risk factors and their consideration in anti-hypertensive therapy. Am. J. cardio. 59 (1987) 80 A - 9 0 A. [19] Rett, K., M. Wicklmayr, G. Dietze: Das verkannte Stoffwechselsyndrom essentielle Hypertonie — Chronologie einer interdisziplinären Meinungsänderung. Med. Klin. 86 (1991) 86-91. [20] Schulze, J.: Typ-II-Diabetes und Hypertonie, ein gefährlicher Synergismus. Therapiewoche 42 (1992) 1542-1548.

5.4 H.-E.

5.4.1

Hyperurikämie Schröder

Epidemiologie

und genetischer

Hintergrund

Die Kombination eines Typ-II-Diabetes mit einer Hyperurikämie stellt kein seltenes Ereignis dar. Dies hat in jüngster Zeit die Diabetesinterventionsstudie erneut bewiesen [1]. Im Gegensatz zu einer Vergleichsgruppe, in der eine Hyperurikämie nach den gewählten Grenzwerten nur in 3,8% der Fälle auftrat, betrug die Hyperurikämiefrequenz in dem Diabeteskollektiv 22,5%. Umgekehrt lassen sich auch bei Patienten mit einer primären Hyperurikämie häufiger als in einer Normalbevölkerung Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels nachweisen [4, 7], Dabei scheint die Prävalenz der Purinstoffwechselstörung mit der Dauer zuzunehmen. So fanden wir bei Patienten mit einer Hyperurikämie in 20% der Fälle und bei Patienten mit einer Arthritis urica (Krankheitsdauer 5 — 10 Jahre länger) in 33% Störungen des Glukosestoffwechsels [5]. Sowohl bei Typ-II-Diabetikern als auch bei Patienten mit Purinstoffwechselstörungen muß deshalb prinzipiell davon ausgegangen werden, daß mehrere metabolische Störungen in latenter oder klinisch manifester Form vorliegen [4, 7]. Für Patienten mit primärer Hyperurikämie haben wir auf Grund von Langzeitbeobachtungen feststellen können, daß die einzelnen metabolischen Entgleisungen häufig eine zeitliche Staffelung aufweisen. Die Purinstoffwechselstörung tritt bereits mit der Pubertät bzw. im jüngeren Erwachsenenalter auf. Als zweite Entgleisung folgt die Dys- bzw. Hyperlipoproteinämie, während die Störungen im Glukosestoffwechsel erst im mittleren bis späteren Erwachsenenalter auftreten. Welche Störung zuerst auftritt, hängt sicher von den genetischen Normabweichungen im Zusammenspiel mit krankheitsbegünstigenden Faktoren ab. Beim hormonell-metabolischen Syndrom handelt es sich häufig um polygenetische Störungen mit geringen Abweichungen der Proteinfunktionen, die erst durch die krankheitsbegünstigenden Zusatzfaktoren phänotypisch in Erscheinung treten [6]. Der genetische Defekt mit der stärksten Abweichung wird damit zum Leitsymptom. Die unterschiedlichen Häufungen von Stoffwechselstörungen in den einzelnen Untersuchungsgruppen lassen sich auf dieser Grundlage zur Zeit am einfachsten erklären.

5.4

Nahrungspurine

( -20 7.)

61

De-novoBiosynthese

©

bakterielle Urikolyse

Hyperurikämie

© renale Ausscheidung

(-807.)

( ! ) - p r i m ä r oder s e k u n d ä r v e r r i n g e r t e renale Ausscheidung (häufigste F o r m ) ( D - gesteigerter P u r i n a b b a u (vermehrter Zellzerfall) erhöhte e n d o g e n e N e u b i l d u n g durch angeb. E n z y m d e f e k t e

A b b . 1: S c h e m a d e s n o r m a l e n H a r n s ä u r e s t o f f w e c h s e l s u n d d e r w i c h t i g s t e n

5.4.2

Störmöglichkeiten.

Pathophysiologie

Pathogenetisch lassen sich primäre und sekundäre Ursachen abtrennen. Bei den primären Formen ist der Regelkreis zwischen Harnsäurebildung und Harnsäureausscheidung durch angeborene Defekte, bei den sekundären durch übergeordnete Erkrankungen bzw. Medikamenteneinflüsse gestört. K o m m t zu einer primären Hyperurikämie eine sekundäre Form hinzu, sind die Serumharnsäurewerte meist sehr stark erhöht. Die Harnsäureausscheidung erfolgt zu 8 0 % renal, der Rest wird über den Darm ausgeschieden (Abb. 1). Die Hyperurikämie läßt sich auf zwei Grundformen zurückführen, die Harnsäureüberproduktion und die renale Ausscheidungsstörung. Etwa 2 0 % der primären Hyperurikämien beruhen auf einer exogenen und/oder endogen induzierten Harnsäureüberproduktion. Rund 8 0 % entstehen durch einen angeborenen renalen Ausscheidungsdefekt. Bei der renalen Form der primären Hyperurikämie ist wahrscheinlich ein Carrier für den aktiven Transport der Harnsäure in das Tubuluslumen ganz oder teilweise blockiert [3]. Die sekundären Hyperurikämien beruhen ebenfalls auf einem renalen Harnsäurestau, wenn die Harnsäurebildung größer als die maximale renale Harnsäureelimination ist oder die renale Harnsäureausscheidung direkt herabgesetzt wird [2]. Die wichtigsten Ursachen für sekundäre Hyperurikämien sind in T a b . 1 zusammengefaßt. Im Unterschied zu den primären Hyperurikämien normalisiert sich der Harnsäurespiegel bei den sekundären Formen, wenn die Ursache ausgeschaltet wird.

62

H.-E. Schröder

Tab. 1: Wichtige Ursachen sekundärer Hyperurikämien verminderte renale Harnsäureausscheidung

vermehrte Harnsäurebildung — — — —

myeloproliferative Erkrankungen maligne Lymphome

— chronische Nierenkrankheiten mit Nierenfunktionseinschränkungen

Leukämien Bestrahlungen

— — — — —

Sekundäre

Hyperurikämien

durch

vermehrte Harnsäurebildung — — -

Zytostatika Fruktose Sorbit Xylit

5.4.3

Klinisches

höhere Dosen

isolierte tubuläre Defekte Ketoazidose Hyperlaktazidämie respiratorische Insuffizienz Vergiftungen

Arzneimittel verminderte renale Ausscheidung Diuretika — Thiazide — Schleifendiuretika Antituberkulotika — Pyrazinamid — Ethambutol Ciclosporin Niedrige Dosen von — Salizylsäure — Probenecid — Phenylbutazon ^-Rezeptorenblocker — Cimetidin — Ranitidin

Bild

Die Hyperurikämie stellt zunächst eine biochemische Entgleisung dar. In Abhängigkeit von der Höhe des Serumharnsäurespiegels und der Zeitdauer der Störung können sich gichtspezifische Organmanifestationen entwickeln. Sie treten im Bereich des Skelettsystems am häufigsten in Form von akuten Gichtanfällen auf (Abb. 2). Die schweren tophösen Formen mit einer destruierenden Knochen- bzw. Gelenkgicht werden dank verbesserter Diagnostik und Therapie heute nur noch selten beobachtet (Abb. 3). Bedeutsamer sind die nephrogenen Störungen, da sie häufig übersehen werden. Sie äußern sich in Form einer Proteinurie (häufig nur intermittierend nachweisbar), einer Urolithiasis bzw. einer Nierenfunktionseinschränkung. Folge dieser Störung kann die Entwicklung einer Hypertonie sein. Vergleichbare renale Veränderungen treten auch beim Diabetes auf (vgl. Kap. 5.3), so daß bei Patienten mit einem Typ-II-Diabetes und einer Hyperurikämie die Nierenfunktionsparameter besonders sorgfältig überwacht werden müssen.

5.4

Hyperurikämie

Abb. 3: Knochendestruktionen mit scholligen Verkalkungen des Os metacarpale 2 und 5.

64

H.-E. Schröder

5.4.4

Zusammenfassung

E i n e H y p e r u r i k ä m i e tritt bei T y p - I I - D i a b e t i k e r n h ä u f i g e r als in einer b e v ö l k e r u n g auf. E s liegt j e d o c h w a h r s c h e i n l i c h k e i n e g e m e i n s a m e

Normalgenetische

A b w e i c h u n g v o r . U n t e r d e n O r g a n m a n i f e s t a t i o n e n spielt die N i e r e n b e t e i l i g u n g b e i m T y p - I I - D i a b e t e s eine w i c h t i g e R o l l e , d a d u r c h sie d a s

Hypertonierisiko

deutlich erhöht werden kann.

Literatur [1] Fischer, S., M . Hanefeld, J . Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie bei Typ-IIDiabetikern. II. Mitteilung. Z. klin. Med. 42 (1987) 1 2 7 - 1 3 7 . [2] Gröbner, W.: Sekundäre Hyperurikämie. In: N. Zöllner (Hrsg.): Hyperurikämie, Gicht und andere Störungen des Purinstoffwechsels, S. 234 — 252. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1990. [3] Lang, F., R . Greger, H. Oberleithner et al.: Renal handling of urate in healthy man in hyperuricaemia and renal insufficiency: circadian fluctuation, effect of water diuresis and of uricosurie agents. Eur. J . Clin. Invest. 10 (1980) 2 8 5 - 2 9 2 . [4] Mertz, D. P.: Primäre Gicht als Allgemeinkrankheit. In: D. P. Mertz (Hrsg.): Gicht, S. 151 - 178. Thieme, Stuttgart, New York 1987. [5] Schröder, H.-E.: Untersuchungen zur Optimierung der Diagnostik und Therapie von Störungen des Purinstoffwechsels unter Berücksichtigung begleitender Krankheiten und der Nierenfunktion. Med. Habilitationsschrift, Medizinische Akademie Dresden 1982. [6] Schuster, H.: Vererbung und Molekulargenetik. In: N. Zöllner (Hrsg.): Hyperurikämie, Gicht und andere Störungen des Purinhaushalts. S. 81 — 115. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1990. [7] Thiele, P.: Assoziierte Krankheiten bei Störungen des Purinstoffwechsels. In: P. Thiele, G. Heidelmann, H.-E. Schröder (Hrsg.): Hyperurikämie und Gicht, S. 67 — 74. Fischer, Jena 1986.

5.5 Störungen in der Gerinnung und der Rheologie U. Julius

5.5.1

Störungen in der

Gerinnung

Störungen in der Hämostase und in den Blutfließeigenschaften sind wesentlich an der Manifestation von Mikro- und Makroangiopathie beteiligt [2, 6]. Dies gilt insbesondere für Typ-II-Diabetiker, die meist in fortgeschrittenem Lebensalter sind und bei denen gleichzeitig Bedingungen vorliegen, die auf diese Systeme ebenfalls einen Einfluß ausüben. 5.5.1.1

Teilsysteme der

Hämostase

Die Hämostase verkörpert ein sehr komplex reguliertes System, das normalerweise eine Thrombusbildung im strömenden Blut verhindert, jedoch unter bestimmten Bedingungen rasch die Blutgerinnung in Gang setzen kann. Ablauf der Thrombusbildung in einer Arterie: Endothelläsion —* Thrombozytenadhäsion und -aggregation —» sekundär Fibrinthrombus Vene-. verlangsamte Blutströmung —• primär Fibrinthrombus (der Erythrozyten einschließt) Eine erhöhte Blutviskosität (z. B. bei Polyglobulie) begünstigt ebenfalls die Thrombenbildung sowohl in der arteriellen als auch in der venösen Strecke (Tab. 1). Gerinnungs- bzw. Fibrinolysefunktionen resultieren aus den Wechselwirkungen zwischen den angeführten Teilsystemen. So wird die in vitro meßbare Fibrinolysekapazität wesentlich durch das Verhältnis von Gewebs-Plasminogen-Aktivator (tPA) und Plasminogen-Aktivator-Inhibitor (PAI) determiniert. Bezüglich Einzelheiten muß auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen werden. 5.5.1.2

Gerinnungskomponenten

als

Risikofaktoren

In einer prospektiven Studie [3] erwiesen sich die Beziehungen zwischen innerhalb von 5 Jahren nach Studienbeginn auftretender Episoden von chronisch-ischämischer Herzerkrankung (CIHK) und aktiviertem Faktor VII sowie dem Fibrinogenspiegel als stärker als die für Cholesterol. Interessanterweise kann eine fettreiche Ernährung Einfluß auf die Faktor-VII-Aktivität nehmen. In anderen pro-

66

U. Julius

Tab. 1: An der Hämostase beteiligte Teilsysteme Teilsystem

Funktion

Wesentliche Komponenten

— Gerinnung

Bildung des Fibrinthrombus

Klassische Gerinnungsfaktoren

— Inhibitoren der Gerinnung

Hemmung der Gerinnung

Antithrombin III, Protein C, Protein S, a 2 -Makroglobulin

— Fibrinolyse

Auflösung eines Fibrinrombus

Gewebs-Plasminogen-Aktivator, Plasminogen

— Inhibitoren der Fibrinolyse

Hemmung der Fibrinolyse

a 2 -Antiplasmin, a 2 -Makroglobulin, Plasminogen-Aktivator-Inhibitor

— Thrombozyten

Abgabe von Mediatoren, Aggregation, Bildung des Thrombozytenthrombus

Faktor 4, ß-Thromboglobulin, Prostanoide

— Endothelzellen

Abgabe von Mediatoren, Interaktionen mit Blutzellen, Integrität der Gefäßinnenwand

Faktor VIII-ass. Antigen, Prostanoide

spektiven Studien konnte eine Interaktion zwischen Fibrinogen und Blutdruck in ihrer Beziehung mit KHK und Apoplex herausgearbeitet werden. Der Plasmafibrinogenspiegel stellt einen wichtigen und unabhängigen Risikofaktor für den Myokardinfarkt dar. Hinsichtlich seiner Auswirkungen wurde der Fibrinogenspiegel mit den Risikofaktoren Blutdruck und Hypercholesterolämie verglichen. Bei prospektiver Beobachtung hatten höhere Werte für eine spontane Thrombozytenaggregation, das Faktor VHI-assoziiertes Antigen und das Fibrinogen eine signifikante prädikative Aussagekraft für neue Gefäßverschlüsse und Gefäßtod bei diabetischen Männern [7]. Erhöhungen des Faktor VHI-assoziierten Antigen sind bei diabetischen Frauen insbesondere mit peripheren Gefäßerkrankungen verbunden. Das Risikoprofil für zerebrovaskuläre Erkrankungen schließt bei diabetischen Männern neben dem Alter und dem Bluthochdruck eine gesteigerte Plättchenaggregation ein [7]. Bei Diabetikern steht ein erhöhter Plasmafibrinogenspiegel in engem Zusammenhang mit der Mikroangiopathie [2]. Erhöhte Fibrinogenspiegel wurden mit vielen „Risikofaktoren" für Beinvenenthrombosen verknüpft: Alter, Adipositas, Varikosis, Tumoren, Herzfehler, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Schwangerschaft, orale Antikonzeptiva, nephrotisches Syndrom, Trauma, Operationen. Jedoch haben, trotz Hyperfibrinogenämie, weder Raucher noch Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Beinvenenthrombosen.

5.5 Störungen in der Gerinnung und der Rheologie

5.5.1.3

Hämostase bei Diabetes

67

mellitus

Möglicherweise sind bei einer Vielzahl von Typ-II-Diabetikern Störungen in all diesen Teilsystemen vorhanden [5, 7]. Ein abschließendes Bild über die pathogenetischen Zusammenhänge, auch über die Interrelationen zwischen diesen Teilsystemen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gezeichnet werden. Das hat auch methodische Gründe, da viele Studien nur partielle Aspekte bzw. einzelne Komponenten untersuchen und die möglichen Einflußfaktoren nicht umfassend berücksichigen [5]. Hinzu kommt, daß die zu messende Konzentration einer Komponente nicht zwangsläufig ihre Aktivität in vivo widerspiegelt. Generell anerkannt ist, daß bei Typ-II-Diabetikern häufig folgende Konstellation vorliegt [4, 7]: — Aktivierung des Gerinnungssystems — Einschränkung der Fibrinolysekapazität — Gesteigerte Neigung der Thrombozyten zur Aggregation. Insgesamt ergibt sich also der Befund der „Thrombophilie" (Hyperkoagulabilität) [!]• Folgende Faktoren können im Einzelfall die Ausprägung der genannten Abweichungen modifizieren: — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Alter Geschlecht Akute Zweiterkrankung (z. B. bakterielle Infektion) Höhe der Hyperglykämie Grad des Insulindefizits oder Hyperinsulinismus Störungen des Fettsäuremetabolismus Begleitende (primäre oder sekundäre) Hyperlipoproteinämie Erhöhung von Lipoprotein (a) Abdominelle Adipositas Hypertonie Grad der körperlichen Aktivität bzw. Inaktivität Vorhandene arteriosklerotische Gefäßläsionen Pharmaka (z. B. Diuretika, Antikoagulantien, Antirheumatika) Genetische Defekte (z. B. Protein-C- und -S-Mangel) chronische Leber- oder Nierenerkrankungen Neoplasien, immunologische Erkrankungen Postoperative und posttraumatische Zustände Streßsituationen

In dieser Aufstellung sind wesentliche Komponenten des Metabolischen Syndroms enthalten.

68

U. Julius

5.5.1.4

Diagnostische Empfehlungen

für die Praxis

Nicht alle bestimmbaren Parameter erlauben direkte therapeutische Schlußfolgerungen. Eine unmittelbare Thrombosegefährdung läßt sich bislang mit keinem Test sicher voraussagen. Ein zu langer venöser Stau kann die erhobenen Daten wesentlich beeinflussen. Folgende Kenngrößen sollten zur Kontrolle der Thrombophilie gemessen werden: 1. 2. 3. 4.

Quick, Partielle Thromboplastinzeit Thrombozytenaggregation (Standardisierung noch problematisch) Fibrinogenspiegel Faktor VIH-assoziiertes Antigen

Insbesondere bei Vorliegen einer Gefäßerkrankung sind diese Parameter bedeutungsvoll. Sie dienen jedoch auch der Risikoabschätzung im Rahmen einer komplexen Untersuchung eines Patienten mit Metabolischem Syndrom. 5.5.1.5

Zusammenfassung

Die Beurteilung des Risikos für eine M a k r o - und Mikroangiopathie bei Typ-IiDiabetikern schließt unbedingt relativ einfach zu bestimmende Gerinnungsparameter (Fibrinogen, Faktor VIH-assoziiertes Antigen) mit ein. Auf diesem Gebiet laufen vielfältige Untersuchungen, so daß zu erwarten ist, daß subtilere Gerinnungs-/Fibrinolyseanalysen (z. B. Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-Aktivität) bald Eingang in die klinische Praxis finden werden. Die Interpretation dieser Parameter muß unter Beachtung einer Vielzahl von möglichen Einflußfaktoren erfolgen. Literatur [1] Bartheis, M . , H. Poliwoda: Gerinnungsanalysen. Thieme-Verlag, Stuttgart, N e w York 1987. [2] Jones, S. L., C. F. Close, M . B. Mattocket et al.: Plasma lipid and coagulation factor concentrations in insulin dependent diabetics with microalbuminuria. Brit. Med. J. 298 (1989) 4 8 7 - 4 9 0 . [3] Meade, T. W., S. Mellows, M . Brozovic et al.: Haemostatic function and ischaemic heart disease: principal results of the Northwick Park Heart Study. Lancet II (1986) 533 — 537. [4] Mehnert, H.: Stoffwechselkrankheiten. Thieme-Verlag, Stuttgart, New York 1990. [5] Ostermann, H., J. van de Loo: Factors of the Hemostatic System in Diabetic Patients. Haemostasis 16 (1986) 3 8 6 - 4 1 6 . [6] Pyörälä, K.: Diabetes und Herzerkrankungen. In: C. E. Mogensen, E. Standi (Hrsg.): Spätkomplikationen des Diabetes mellitus, S. 1 6 7 — 186. De Gruyter, Berlin, New York 1990. [7] Standi, E., H. Stiegler, H. U. Janka et al.: Erkrankungen zerebraler und peripherer Gefäße unter besonderer Berücksichtigung des diabetischen Fußes. In: C. E. Mogensen, E. Standi (Hrsg.): Spätkomplikationen des Diabetes mellitus, S. 1 8 7 — 220. De Gruyter, Berlin, New York 1990. [8] Van Wersch, J. W. J., J. Rompelberg-Lahaye, F. A. Th. Lüstermans: Plasma concentration of coagulation and fibrinolysis factors and platelet function in hypertension. Eur. J. Clin. Chem. Clin. Biochem. 2 9 (1991) 3 7 5 - 3 7 9 .

5.5

Störungen in der Gerinnung und der Rheologie

69

[9] Wysocki, M . , M . Krotkiewski, M . Braide et al.: Hemorheological disturbances, metabolic parameters and blood pressure in different types of obesity. Atherosclerosis 88

21-28. 5.5.2 5.5.2.1

Störungen

in der

(1991)

Rheologie

Blutfließeigenschaften

Blut ist keine homogene Flüssigkeit, seine Zusammensetzung sowie Gefäß- und Kreislaufparameter (z. B. Querschnitt, Innenverkleidung, Strömungsgeschwindigkeit) modifizieren sein Strömungsverhalten. Die Blutrheologie wird durch mehrere Determinanten beeinflußt (Abb. 1): Vollblutviskosität

im Gefäß Abb. 1. Interrelationen hämorheologischer Determinanten (nach [1]).

Die entscheidende Größe, die in die Plasmaviskosität eingeht, ist die Fibrinogenkonzentration, daneben spielen in gewissem Umfang andere Makromoleküle, z. B. Lipoproteine, eine Rolle. Wesentliche Funktionen der Plättchen sind Adhäsion und Aggregation. Der Fluß in größeren Gefäßen wird durch die Gesamtviskosität des Blutes, die Mikrozirkulation dagegen maßgeblich durch die Plasmaviskosität und die Erythrozyteneigenschaften beeinflußt. Kapillarmikroskopisch

70

U. Julius

sind die Wechselbeziehungen zwischen Blutbestandteilen, Plasmafluß und Gefäßwandeigenschaften erfaßbar. Ein Hyperinsulinismus bei androider Fettsucht kann offenbar die Verformbarkeit der Erythrozyten negativ beeinflussen [6]. 5.5.2.2 Rheologische

Besonderheiten

bei Diabetes

mellitus

Diabetiker haben rheologische Auffälligkeiten, die vor allem auf eine gesteigerte Plasmaviskosität (Fibrinogenerhöhung) und eine verstärkte Erythrozytenaggregation (ebenfalls mögliche Folge der Fibrinogenerhöhung [5]) zurückgeführt werden [2, 3, 4]. Die Ausprägung der Hyperglykämie ist für die Blutfließeigenschaften bedeutsam, im Coma diabeticum wird (auch wegen der Exsikkose) die höchste Blutviskosität gemessen. Mikrozirkulationsstörungen sind mit Blutfluß-Abnormitäten gekoppelt. Die beim diabetischen Spätsyndrom vorhandene Weitstellung der Kapillaren führt zur Stase, die u. a. Interaktionen zwischen Blutzellen und Endothelzellen ermöglicht. Solche Interaktionen wurden auch in Mikroaneurysmen beobachtet. Bei Vorliegen einer Makroangiopathie bzw. eines Myokardinfarktes wurden Veränderungen Theologischer Parameter gemessen, deren sichere Zuordnung als Primär- oder Sekundärerscheinung im Einzelfall nicht möglich ist [1, 4]. Es ist vorstellbar, daß in diesen Fällen bereits eingeschränkte Durchblutungs-Reserven durch eine Verschlechterung der Fließfähigkeit des Blutes weiter limitiert werden. Vergleichbar mit den Gerinnungsstörungen führen eine ganze Anzahl von zusätzlichen Faktoren zu Veränderungen der Blutrheologie. Unter anderem kann Rauchen zur Anhebung der Erythrozytenzahl beitragen, ohne das Plasmavolumen zu beeinflussen. Ein körperliches Langzeittraining hat durchweg positive Effekte auf die Blutfließeigenschaften. 5.5.2.3 Diagnostische

Empfehlungen

für die Praxis

Zwei Parameter mit wesentlicher prognostischer Bedeutung sind überall meßbar: 1. Hämatokrit 2. Fibrinogenkonzentration Erhöhte Hämatokrit bzw. Hämoglobin-Konzentrationen erwiesen sich in der Framingham-Studie als Indikatoren eines erhöhten Apoplexie-Risikos. Auf die prognostische Wertigkeit des Fibrinogenspiegels war bereits bei Besprechung des Gerinnungssystems hingewiesen worden. Es gibt relativ einfache Verfahren zur Bestimmung der Plasmaviskosität. Weitere, pathophysiologisch durchaus interessante Parameter sind noch nicht ausreichend standardisiert und bleiben Spezial-Laboratorien vorbehalten.

5.5 Störungen in der Gerinnung und der Rheologie

5.5.2.4

71

Zusammenfassung

Mittels einfacher Verfahren lassen sich zwei Hauptfaktoren (Hämatokrit, Fibrinogen) bestimmen, die für die rheologischen Eigenschaften des Blutes entscheidend sind. Die Berücksichtigung der Blutfließeigenschaften ist für den Therapeuten beim einzelnen Patienten insofern bedeutsam, als bei bereits bestehender Ischämie (Gefäßwandveränderung) die Gewebsnekrose unmittelbar mit einer Verschlechterung der rheologischen Situation zusammenhängen kann.

Literatur [1] Dormandy, J. A.: Cardiovascular diseases. In: S. Chien, J. Dormandy, E. Ernst et al. (eds.): Clinical Hemorheology, S. 1 6 5 - 1 9 4 . Martinus Nijhoff Publishers, Dordrecht, Boston, Lancaster 1987. [2] Janka, H. U.: Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei Typ-II-(nicht-insulinabhängigem) Diabetes mellitus. In: C. E. Mogensen, E. Standi (Hrsg.): Spätkomplikationen des Diabetes mellitus, S. 3 3 - 4 5 . De Gruyter, Berlin, New York 1990. [3] Koenig, W.: Hämorheologische Parameter und kardiovaskuläres Risiko. Münch, med. Wschr. 130 (1988) 8 6 7 - 8 7 0 . [4] Leschke, M., B. E. Strauer: Die Bedeutung rheologischer Mechanismen in der Atherogenese. Arzneimittel-Forschung 40 (1990) 3 5 6 - 3 6 2 . [5] Lowe, G. D. O.: Thrombosis and hemorheology. In: S. Chien, J. Dormandy, E. Ernst et al. (eds.): Clinical Hemorheology, S. 195 - 226. Martinus Nijhoff Publishers, Dordrecht, Boston, Lancaster 1987. [6] Wysocki, M., W. Krotkiewski, M. Braide et al.: Hemorheological disturbances, metabolic parameters and blood pressure in different types of obesity. Atherosclerosis 88 (1991) 21-28.

5.6 Störungen im Leber-Gallenbereich M.

Hanefeld

5.6.1

Lebererkrankungen

Die prominenteste und häufigste Veränderung der Leber im Rahmen des metabolischen Syndroms bei NIDDM ist die Fettleber (Tab. 1) [4], Knick [5] hatte bereits zu Ende der sechziger Jahre auf die enge Verknüpfung von Fettleber und Störungen der Kohlenhydrattoleranz hingewiesen. Zeitgleich mit Beringer [1] konnten wir nachweisen, daß die Fettleber bei Diabetes keine eigene Krankheit ist, sondern Symptom der Störungen im Kohlenhydrat-Fettstoffwechsel [3] (Abb. 1). Der Triglyzeridgehalt der Leber ist danach vor allem eine Funktion der Konzentration der freien Fettsäuren im Blut. Diese vor 20 Jahren erhobenen Befunde haben jetzt ihre Bestätigung durch Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Björntorp [2] zur Rolle der abdominalen Fettsucht in der Pathogenese der Insulinresistenz erhalten. Dem entspricht auch die Dignität der Fettleber als Frühsymptom des Diabetes, wie an Untersuchungen von Blutspendern deutlich wird, bei denen zur Abklärung unklarer Transaminasenerhöhungen eine Leber-

Tab. 1: Prävalenz der Fettleber bei Diabetes, vorwiegend N I D D M [3] Autoren

Robbers et al. (1968) Leevy et al. (1952) Kalk (1959) Creutzfeldt (1959) Tiszai et al. (1960) Dominici (1963) Kautzsch (1963) Zschoch u. Mohnicke (1963) Dobrzanski (1963) Rostlapil u. Zrustova (1968) Takac et al. (1965) Thaler (1966) T h o m s (1966) Haller et al. (1967) Beringer et al. (1968) Summe

Zahl der Diabetiker

Fettleber n %

171 30 102 40 68 122 60 51 40 100 165 396 52 161 100

120 7 49 24 34 55 17 20 12 47 43 185 29 79 58

70 21 48 60 50 46,7 28 40 30 47 26 46,7 55 49 58

1658

779

47

5.6

Störungen im Leber-Gallenbereich

73

Dünndarm Glukose

Fettgewebe ®

©

TG = Triglyzeride a - G P = a-Glyzerolphosphat PI = Phospholipide Lipoproteine

Steigerung Erniederung

A b b . 1 . : F e t t l e b e r a l s B i l a n z p r o b l e m [4],

biopsie vorgenommen wurde, die als histologische Diagnose eine Fettleber ergab (Tab. 2). Jede kryptogenetische Fettleber, die leicht durch eine Sonographie erfaßt werden kann, sollte deshalb Anlaß für eine subtile Diabetes- und Lipiddiagnostik sein. Wieweit die Leberverfettung selbst zur Insulinresistenz beiträgt, ist unbekannt. Es ist eher anzunehmen, daß dies nur indirekt als Wegbereiter chronischer Leberschäden geschieht. So findet man bei NIDDM auch vermehrt Leberzirrhosen. In der DIS-Studie betrug bei Diagnosestellung des Diabetes der Anteil der Patienten mit Leberzirrhose über 7%. Obwohl klinisch manifeste Leberzirrhosen nicht in die Studie aufgenommen wurden, war die Zirrhose nach den kardiovaskulären Erkrankungen in den ersten 5 Jahren nach der Diabetesdiagnosestellung die zweit häufigste Todesursache. Es mehren sich die Berichte, wonach Lebererkrankungen eine zunehmende Bedeutung für Diabetesmorbidität und Mortalität gewinnen. Hierfür gibt es prinzipiell zwei mögliche Szenarios: 1. Lebererkrankungen, insbesondere Fettleber und Leberzirrhose, erhöhen die Insulinresistenz und damit das Manifestationsrisiko für NIDDM. 2. Diabetiker verstoffwechseln Alkohol und seine toxischen Inhaltsstoffe schlechter. Die für NIDDM typische Fettleber trägt dazu wesentlich bei. Deshalb treten hier häufiger Leberzirrhosen bei gleichem Alkoholkonsum auf. Es spricht vieles dafür, daß sich beide Prozesse negativ aufschaukeln.

74

M . Hanefeld

Tab. 2: Analyse ätiologischer Faktoren der Fettleber bei 70 Blutspendern (ALAT 2 x Hmol/1) [4] Wahrscheinliche Ursache

n

%

Fettsucht (Broca ^ 1,1) Subklinischer Diabetes Hyperlipoproteinämie*) Manifester Diabetes Alkoholabusus Unklar

24 17 16 10 1 2

35 24 23 14 1 3

14 13 0 11 1

20 19 0 16 1

>2,5

Kombinierte Ursachen Diabetes und Fettsucht Hyperlipoproteinämie und Fettsucht Diabetes mellitus und Hyperlipoproteinämie Diabetes, Hyperlipoproteinämie und Fettsucht Diabetes, Hyperlipoproteinämie, Fettsucht und Alkohol

*) Bei Triglyzeriden ^ 2,9 mmol/1 und Cholesterol > 7,8 mmol/1 wurde als Hauptursache eine Hyperlipoproteinämie angenommen.

5.6.2 Gallensteine und Cholezystitis NIDDM weisen ein erhöhtes Gallensteinrisiko auf, da sie meist adipös sind und häufig an Anomalien des Lipoproteinmetabolismus leiden. In beiden Fällen resultiert eine lithogene Galle. Hinzu kommt, daß die autonome viszerale Neuropathie zu einer verzögerten Entleerung der Gallenblase führen kann. Dies und die herabgesetzte Infektresistenz mit erhöhter Neigung zur Keimaszension infolge der gastrointestinalen Motilitätsstörungen begünstigten das Entstehen entzündlicher Prozesse in der Galle und im Gallengangsystem. 5.6.3

Zusammenfassung

Leber- und Gallenerkrankungen treten bei NIDDM gehäuft auf. Die Fettleber und Cholesterolsteine sind ein Teilaspekt des metabolischen Syndroms. Kryptogene Leberverfettungen sind Frühsymptome des Diabetes. Leberzirrhosen erhöhen die Insulinresistenz. Vice versa ist die Alkoholtoleranz des NIDDM herabgesetzt, weshalb Leberzirrhosen hier gehäuft auftreten und schwerer verlaufen. Literatur [1] Beringer, A., H. Thaler: Z u s a m m e n h ä n g e zwischen Diabetes und Fettleber. Dt. med. Wochenschr. 95 (1970) 836 - 840. [2] Björntorp, P.: Obesity and diabetes. In: K. G . M . M . Alberti, L. P. Krall (eds.): T h e diabetes annual/5, S. 3 7 3 - 3 9 5 . Elsevier, N e w York 1990.

5.6 Störungen im Leber-Gallenbereich

75

[3] Hanefeld, M.: Untersuchungen zur Fettleberproblematik unter besonderer Berücksichtigung metabolischer Gesichtspunkte. Med. Habilitationsschrift, Medizinische Akademie Dresden 1973. [4] Hanefeld, M.: Fettleber. In: H. Haller, M. Hanefeld, W. Jaroß (Hrsg.): Lipidstoffwechselstörungen. Diagnostik, Klinik und Therapie, S. 297 — 304. Fischer Verlag, Jena 1983. [5] Knick, B., H.-J. Lange, K. Heckmann: Korrelationen zwischen latent-diabetischer Stoffwechsellage, Adipositas und Steatosis hepatis. Dtsch. med. Wschr. 90 (29) (1965) 1286 — 1289.

6

Diagnostik

6.1 Klinische Diagnostik J. Schulze

Die Diagnose eines Diabetes mellitus läßt sich durch eine subtile Anamneseerhebung, klinische Untersuchung und einfache paraklinische Befunde stellen. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, bei den diagnostischen Maßnahmen zwischen — Suchmethoden und — Methoden zur Verlaufsbeurteilung zu unterscheiden. Große Bedeutung haben regelmäßige Screening- bzw. Check-up-Untersuchungen zur Erfassung von Risikoträgern > 35 Jahre, da zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eines blanden Typ-II-Diabetes in hoher Zahl organpathologische Befunde nachweisbar sind (Tab. 1), [1]. Tab. 1: Wichtige Untersuchungsbefunde bei frisch manifestierten, diätetisch führbaren Typ-IiDiabetikern. (Häufigkeit in % ) [1] — — — -

Hepatomegalie Xanthome Nichtauslösbarkeit des Achillessehnenreflexes K H K * (Ruhe-EKG) (n = 1126)

-

K H K (Ergometrie) (n = 796)

-

Linksherzhypertrophie (Rö.-Aufnahmen d. T h o r a x ) Lungenstauung (Rö.-Aufnahmen d. T h o r a x )

Männer Frauen Männer Frauen

33% 4% 7% 8,9% 21,6% 14,6% 32,0% 4,2% 0,4%

* K H K = Koronare Herzkrankheit

Diagnostik, Behandlung und die Betreuung von Diabetikern sollten als lebensbegleitende „wohnortnahe Rehabilitation" verstanden werden, wobei das Gros der Patienten vom niedergelassenen Hausarzt betreut wird. Patienten mit diabetischen Komplikationen und Problemfälle sollten in Schwerpunktpraxen durch spezialisierte Internisten in enger Abstimmung z. B. mit Ophthalmologen, Nephrologen, Kardio-Angiologen, Neurologen, Gynäkologen, Stomatologen beraten werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Patient-Arzt-Beziehung ist die vertrauensvolle partnerschaftliche Zusammenarbeit im Betreuungsteam mit dem Ziel, den Patienten zur Stoffwechselselbstkontrolle zu befähigen. Nach gründli-

78

J . Schulze

eher Schulung und Wissensvermittlung kann der Patient wichtige Stoffwechselparameter und Körperfunktionen eigenverantwortlich kontinuierlich einschätzen und wenn notwendig korrigieren (s. Kap. 6.2): — Allgemeinzustand — Körpergewicht — Stoffwechsellage (BZ evtl. UZ) — Blutdruck, Puls — Haut-Beurteilung Die ärztlichen Kontrolluntersuchungen betreffen eine gründliche initiale Erhebung und 1—2jährliche Wiederholung des klinischen Status, um Folge- und Begleiterkrankungen rechtzeitig zu erfassen (Tab. 2). Zur weitergehenden Abklärung und besseren Beurteilung haben in den letzten Jahren neben den technischen Standarduntersuchungsverfahren eine Reihe moderner medizintechnischer Möglichkeiten Einzug gehalten, die frühzeitigere und differenziertere Behandlungsmaßnahmen gestatten (Tab. 3).

Tab. 2: Worauf ist bei der klinischen Untersuchung zu achten? Kopf: Hals: Thorax: Abdomen: Extremitäten:

Rubeosis, Hyperostosis, Hirsutismus bei Frauen, Xanthelasmen, Lückengebiß Struma, Gefäßgeräusche über Carotiden trockene Haut, Furunkel, evtl. Schweißdrüsenabszess Hepatomegalie, positives Murphyzeichen, androide Adipositas (WHR), Klopfschmerz im Nierenlager, Blasenfüllung Neuropathie mit Sensibilitäts- und Reflexausfällen, trophische Störungen, evtl. Mykosen, Fußpulse abgeschwächt/aufgehoben

Tab. 3: Physikalische Untersuchungen bei N I D D M (einmal pro Jahr) Augenhintergrund: Nierenmorphologie: Nervenfunktion: Gefäßstatus: Füße: Herz-Kreislauffunktion: Lungenbeurteilung:

Ophthalmoskopie, evtl. Fluoreszenzangiographie, Fundusfotographie Sonographie evtl. C T ; cave! iv. Pyelographie autonome Neuropathieteste: Herzfrequenzmessung mit Valsalva sowie in In- und Exspiration. RR-Messung im Liegen, Sitzen, Stehen Dopplersonographie, evtl. digitale Subtraktionsangiographie Stimmgabeltest, Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) evtl. Pedographie EKG, Ergometrie, 24 h-Profile von R R und EKG Thorax-Röntgen, Lungenfunktionstest

Zusammenfassung Die klinische Diagnostik zur frühzeitigen Aufdeckung einer diabetischen Stoffwechsellage hat im Hinblick auf Komplikationshäufigkeit und Exzeßmortalität große Bedeutung. Neben der Erfassung gefährdeter Einzelpersonen, die durch

6.1

Klinische Diagnostik

79

genetische oder umweltbedingte Faktoren belastet sind, sollten Stoffwechselkrankheiten in größerem Umfang im Rahmen von Screening oder Check-upUntersuchungen bei haus- oder betriebsärztlicher Vorsorge diagnostiziert werden. Literatur [1] Fischer, S., M . Hanefeld, J . Schulze et al.: Die Diabetesinterventionsstudie (DIS), eine multizentrische Multiinterventionsstudie bei Typ-II-Diabetikern, 2. Mitteilung. Z. Klin. M e d . 42 (1987) 1613 - 1616.

6.2 Labordiagnostik und Selbstkontrolle

M. Weck

Bei einer Besprechung diagnostischer Kriterien des N I D D M m u ß unterschieden werden zwischen solchen, die als (Routine-) Tests zur Auffindung und Klassifizierung diabetischer Probanden geeignet sind und solchen, die für die Verlaufs- und Therapiekontrolle erforderlich scheinen. 6.2.1

Blutzucker

Ein Diabetes mellitus ist zu diagnostizieren, wenn der Nüchternblutzucker (NBZ) bei mehr als einer Bestimmung über 6,7 mmol/1 (120 mg/dl) u n d / o d e r der Blutzucker 2 Stunden nach einer 75 g Glukosebelastung über 11,1 mmol/1 (200 mg/ dl) gefunden wird (Tab. 1). Der Nüchternblutzucker von Stoffwechselgesunden Tab. 1: Bewertungskriterien für die Diagnose Diabetes mellitus (kapilläres Vollblut) BZ

mg/dl mmol/1 Manifester Diabetes mellitus Pathologische Glukosetoleranz Kein Diabetes

> 120 > 6,7 > 100 < 120 > 5,6 < 6,7 < 100 < 5,6

BZ 2 Std. nach Glukosebelastung (75 g o G T T ) mg/dl mmol/11 > 200 >

11,1

> 140 < 200 > 7,8 < 11,1 < 140 < 7,8

BZ = Blutzucker

liegt zwischen 3,3 und 5,6 mmol/1 (60 und 100 mg/dl). Diese Werte gelten für kapilläres Vollblut, das in aller Regel zur Blutzuckerbestimmung herangezogen wird und insbesondere bei der Selbstkontrolle Verwendung findet. Untersucht man Venenblut, erhält man immer einen etwas niedrigeren Blutzucker, so d a ß gerade im Grenzbereich die Interpretation schwierig werden kann. Auch die Interpretation eines scheinbar so simplen Laborwertes wie des Nüchternblutzukkers erfordert Sorgfalt. Hier m u ß insbesondere auf die tatsächliche Einhaltung der Fastenbedingungen hingewiesen werden (10 bis 16 Stunden sollte der Patient nüchtern sein!). Ein normaler Nüchternblutzucker garantiert nicht unbedingt auch den normalen Ausfall des oralen Glukose-Toleranz-Testes (oGTT). Da die Dia-

6.2 Labordiagnostik und Selbstkontrolle

81

gnose Diabetes mellitus für den Patienten weitreichende Konsequenzen hat, ist eine äußerst sorgfältige Diagnostik unabdingbar. Blutzuckerwerte, die unklar oder grenzwertig sind, erfordern immer einen oGTT. Bei der Bewertung des Nüchternblutzuckers ist genauso wie beim o G T T auf interkurrente Erkrankungen, den Ernährungsstatus und medikamentöse Einflüsse zu achten. Die Bewertungskriterien für die Diagnose „Diabetes mellitus" sind in Tab. 1 zusammengefaßt. Der Umrechnungsfaktor von mmol/1 in mg/dl ist 18 und sollte in einem Land und Kontinent mit derzeit noch zwei unterschiedlichen Maßsystemen geläufig sein. In allen Zweifelsfällen hat es sich bewährt, einen oralen Glukosetoleranztest nach den Empfehlungen der W H O mit 75 g Glukose durchzuführen. Folgende Bedingungen sollten eingehalten werden, um die ohnehin schlechte Reproduzierbarkeit des o G T T günstig zu gestalten: — dreitägige kohlenhydratreiche Vorernährung: kein o G T T aus einer Hungerperiode heraus! — eine schon anhand der Nüchtern- und postprandialen Blutzuckermessung eindeutige Diagnose Diabetes muß nicht noch durch einen o G T T „abgesichert" werden; eher werden die Patienten durch massive Hyperglykämie noch gefährdet — kein o G T T bei akuten Erkrankungen — Verfälschung des Testergebnisses durch Medikamente beachten (Glukokortikoide, Diuretika, ß-Blocker u. ä.) — keine exzessive körperliche Aktivität im Vorfeld. Procedere: Entnahme des Nüchternblutzuckers. Danach trinkt der Patient 75 g Glukose aufgelöst in 250 — 300 ml Wasser oder Tee. Die Glukosemenge sollte innerhalb von 5 Minuten konsumiert werden. 2 Stunden danach erfolgt die zweite Blutzuckerabnahme. Oft ist es üblich, auch zu weiteren Zeiten (30, 60 Minuten) den Blutzucker zu bestimmen. Dies ist zur Diagnose nicht erforderlich, kann sie aber weiter erhärten. Die Blutzuckerbestimmung bei einem o G T T sollte immer mit üblichen Labormethoden erfolgen und nicht mit Teststreifen. Die Zusammenstellung der möglichen oGTT-Resultate gibt die Tab. 2 a [4]. Für die Schwangerschaft und die Problematik des Gestationsdiabetes gelten etwas andere Richtlinien hinsichtlich der Diagnostik und der Bewertung des oGTT, die in Tab. 2 b aufgelistet sind. Zur Verlaufskontrolle der Glykämielage sollten nicht nur die Nüchternblutzukkerwerte herangezogen werden, sondern ebenso prä- und postprandiale Werte, d. h. Vi Stunde vor, bzw. 1 — 2 Stunden nach den Hauptmahlzeiten. Für viele gut motivierte Diabetiker, auch NIDDM-Patienten, ist die BlutzuckerSelbstkontrolle zu einem wesentlichen Bestandteil der Stoffwechselführung ge-

82

M.Weck

Tab. 2 a: Klassifikationskriterien für die Testresultate des o G T T (nach Bibergeil [4]) Kapilläre BZ-Konzentration (mmol/1) unter dem 7 5 - g - o G T T 0 min Normale G T

120 min

11,1

W i = baldige Testwiederholung infolge Progressionsrisiko zum manifesten Diabetes W2

=

kurzfristige Testwiederholung zur Bestätigung der Diabetesdiagnose; Eingruppierung nach dem 2. o G T T - R e s u l t a t

worden. Auch für den N I D D M lassen sich so Blutzuckerentgleisungen und die Tendenz zur Verschlechterung der Stoffwechsellage frühzeitig erkennen. Wir empfehlen unseren Patienten den Haemoglucotest 20-800R. (Boehringer Mannheim) oder Glucostix-Streifen (Bayer-Diagnostica). Das zur Zuckerbestimmung erforderliche Blut entnimmt sich der Patient am besten mit Hilfe einer Injektionsnadel feinsten Kalibers selbst aus den seitlichen Anteilen der Fingerbeere, da diese Region relativ schmerzarm ist. Viele Diabetiker, die Angst vor dem Einstich haben, benutzen Stichgeräte (Autoclix, Autolet, Autolance). Bei ambulanten Kontrollen sollte der Arzt die Fingerkuppen des Patienten inspizieren und so die fachgerechte Blutentnahme kontrollieren. Die exakte Handhabung der Teststreifen ist von entscheidender Bedeutung. Bei Verwendung des Haemo-Glukotests muß das Blut vom Teststreifen mit einem

6.2 Labordiagnostik und Selbstkontrolle

83

Tab. 2 b: Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Gestationsdiabetes (nach Lowy [12]) alle Schwangeren Screening in der 28. SSW

Hochrisikopatientinnen Screening bei der 1. Vorstellung und in der 28. SSW

NBZ > 6 mmol/1 (108 mg/dl)

— Adipositas — exzessive Gewichtszunahme in der Gravidität — fetale Makrosomie — Hydramnion — Glukosurie — früherer Gestationsdiabetes — diabetische Blutsverwandte

und/oder BZ > 8 mmol/1 (148 mg/dl) 1 h nach 75 g Glukose oral

75 g oGTT

NBZ > 5,2 mmol/1 (94 mg/dl) 2 Std-BZ > 9 mmol/1 (162 mg/dl)

Gestationsdiabetes BZ = Blutzucker NBZ = Nüchternblutzucker

Tupfer abgewischt werden. Dagegen soll das Blut vom Glucostix-Teststreifen vorsichtig abgetupft werden. Das Gerät ExacTech (Fa. MedSense) mißt den Blutzucker (kapillär) innerhalb von 30 Sekunden. Der Vorteil ist hierbei die Schnelligkeit der Messung. Allerdings ist die fehlende optische Kontrolle als großer Nachteil anzusehen. Die Handhabung der Teststreifen ist besonders initial dem Patienten genaustens zu erklären. Auch der Arzt sollte diese Methoden kennen und beherrschen und sein Praxispersonal auf exakte Handhabung und Wissensvermittlung kontrollieren. Die Blutzuckerselbstkontrolle bei stabilen NIDDM-Patienten sollte mindestens zweimal wöchentlich nüchtern und postprandial erfolgen. Situationen, die zu akuter Stoffwechselverschlechterung führen oder disponieren, verlangen nach häufigeren Kontrollen. Beim Übergang auf eine zusätzliche oder alleinige InsulinTherapie wird außerdem noch ein Blutzucker-Tagesprofil pro Woche gefordert (Tab. 3). Im allgemeinen genügt die visuelle semiquantitative Blutzucker-Auswertung mittels Farbvergleich von Teststreifen und Komperator. Für bestimmte Patienten

84

M. Weck

Tab. 3: Häufigkeit von Selbstkontrollen beim N I D D M Kontrollart

Körpergewicht

HZ

BZ

Behandlungsart Diät allein Orale Antidiabetika

1 — 3 x wö l - 2 x wö

3 x wö pp 3 x wö pp

2 x wö nü + pp

1 x wö

3 x wö nü

Insulin in Kombination mit oralen AD oder feste Dosis AD = wö = nü = HZ = BZ = AZ = 5-Punkt

-

2 x nü 1 x 5 Pkt. Kontrolle

AZ

-

bei Verschlechterung bei Komplikationen

Antidiabetika wöchentlich nüchtern Harnzucker Blutzucker Azeton Kontrolle = morgens nüchtern, vor jeder der drei Hauptmahlzeiten, 21.00 Uhr

(Farbsehstörungen, Visuseinschränkungen, besonders motivierte Patienten) hat sich die zusätzliche Messung und digitale Anzeige mittels Blutzuckermeßgerät bewährt (Reflolux, Glucometer II, ExacTech u. a.). 6.2.2

Harnzucker

Sobald der Blutzucker über Werte von 8,9 bis 10,0 mmol/1 (160 bis 180 mg/dl ansteigt, wird über die Niere Zucker in den Harn ausgeschieden. Diesen Grenzwert, der individuell sehr unterschiedlich sein kann, bezeichnet man als Nierenschwelle. Eine erhöhte Nierenschwelle mit fehlender Zuckerausscheidung wird häufig bei älteren Typ-II-Diabetikern oder bei Patienten mit Nephropathie gefunden. Andererseits kann auch eine verminderte Nierenschwelle, d. h. Glukosenachweis im Harn bei normalem Blutzucker, beobachtet werden. Manche Autoren sind aus diesem Grunde gänzlich von Harnzuckermessungen im Sinne der Diagnostik abgekommen. Aber: Die individuelle Nierenschwelle läßt sich ermitteln, indem man Glukose mehrfach im Blut und frisch gelassenem Urin bestimmt. Dann ist die Harnzuckermessung im Sinne einer Verlaufskontrolle und Therapieüberwachung des N I D D M durchaus sinnvoll, da sehr einfach. Man unterscheidet bei der Harnzuckerbestimmung den frisch gelassenen Urin (auch Spot-Urin), den Spontanurin und den 24-Stunden-Sammelurin. Für Rückschlüsse auf die aktuelle Blutzuckerlage ist nur der frisch gelassene Urin geeignet. Soll beispielsweise die Stoffwechsellage 1 Stunde vor oder nach einer Mahlzeit geprüft werden, so sollte der Patient 15 — 30 Minuten vor der geplanten Kontrolle

6.2

Labordiagnostik und Selbstkontrolle

85

die Blase entleeren, ca % 1 Flüssigkeit zu sich nehmen, zum Kontrolltermin die Blase entleeren und den Harnzucker mittels Teststreifen messen. Für die Harnzuckerbestimmung werden verschiedene Teststreifen angeboten: Glukotest, Clinitest, Clinistix, Diastix oder Diabur 5000. Als behandelnder Arzt entweder im niedergelassenem Bereich oder auch stationär sollte man sicher darauf achten, daß dem betreuten Patienten nicht die ganze Vielfalt der Streifen angeboten wird, sondern im Sinne der besseren Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit ein Teststreifen empfohlen wird. Bei einer guten Stoffwechseleinstellung und normale Nierenschwelle vorausgesetzt, sollte der postprandiale Urin zuckerfrei sein. Bei einer Verschlechterung des Stoffwechsels, insbesondere bei einem Infekt, kann ein positiver Harnzuckernachweis diagnostisch hilfreich sein. Der Spontanurin umfaßt meist eine Sammelperiode von drei bis vier Stunden, womit sinnvollerweise Zuckerausscheidungen über mehrere Stunden, beispielsweise nach einer Mahlzeit, erfaßt werden können. Aus dem 24-Stunden-Sammelurin kann zwar die Gesamtmenge der Zuckerausscheidung während eines Tages erfaßt werden, nicht jedoch der Zeitpunkt der Blutzuckerspitzen. Diese kann man aus Teilportionen einfacher herausfinden. 6.2.3

Ketonkörper

Bei positivem Ausfall einer Harnzuckeruntersuchung sollte zur weiteren Beurteilung des Ausmaßes der Stoffwechselstörung eine Kontrolle des Urins auf Ketonkörper erfolgen. Ketonkörper entstehen bei gesteigerter Lipolyse: Acetessigsäure, ß-Hydroxybutyrat und Aceton. Ketonkörper werden bei Ketose oder Ketoacidose vermehrt ausgeschieden und können ein drohendes Koma anzeigen. Auch zum Acetonnachweis befinden sich zahlreiche Teststreifen im Handel (Ketur, KetoDiabur 5000, Ketostix, Ketodiastic, Acetest). 6.2.4

Hämoglobin

Aj — glykosyliertes

Hämoglobin

Die Bezeichnung „glykosyliertes" Hämoglobin bezieht sich auf einige Hämoglobinvarianten, die durch die Ablagerung von Glukose oder von Glukose-Stoffwechselprodukten an das adulte Hämoglobin (HbA 0 ) entstehen. Diese Varianten — H b A l a , H b A l b HbAi c — werden auch unter dem Begriff HbAt zusammengefaßt. Das Glukose-Molekül wird an den N-terminalen Valin-Rest der B-Kette des Hämoglobins mittels einer Aldimin-Bindung angelagert (Schiff'sche Base). Durch eine sogenannte Amadori-Umlagerung entsteht aus dem Aldimin ein stabiles irreversibles Ketoamin (Abb. 1). Der Spiegel des glykosylierten Hämoglobins (entweder H b A j oder HbA ] c ) reflektiert den integrierten Blutzuckerverlauf über einen Zeitraum der etwa der halben

86

M. Weck

Glukose

Aldimin

Ketoamin H

H —C = 0

I

H-C-OH | HO — C - H + H2N - Valyl — R | H-C-OH

I

H-C-OH

I

CH20H

I

H — C = N — Valyl — R

I

H-C-OH | AMADORI — H O - C - H | Umlagerung H-C-OH

I

H-C-NH-Valyl-R

I

C=0 | •HO-C-H | H-C-OH

H-C-OH

I

CH20H

I

H-C-OH

I

CH20H

Abb. 1: Glykosylierung von Hämoglobin: Reaktion zwischen Glukose und dem amino-terminalen Valin der Hämoglobin-ß-Kette mit dem Zwischenprodukt Aldimin.

Lebenszeit der Erythrozyten (entspricht 4 — 6 — 8 Wochen). Umgekehrt ist ein signifikanter Abfall des glykosylierten Hämoglobins bei schlecht eingestellten Diabetikern frühestens ca. 4 Wochen nach Verbesserung der Glykämie zu erwarten. Die Messung des HbAi c ist demnach sinnvoll als Kontrollparameter der Stoffwechseleinstellung, nicht aber zur Diabetes-Diagnostik. Das HbA l c stellt bei normalen Blutzuckerkonzentrationen ca. 4 — 6% des Gesamt-Hämoglobins dar. Dieser HbAj-Wert gehört heute in jede Diabetiker-Sprechstunde, denn er ist das Kriterium für die Güte der Stoffwechseleinstellung. Auf dem „HbAi-Meßstab" kann der Wert für jeden Patienten eingetragen und damit die Qualität der Stoffwechselführung visuell erlebbar gemacht werden (Abb. 2). Auch beim NIDDM empfiehlt es sich deshalb alle 3 bis 4 Monate eine Bestimmung des glykosylierten Hämoglobins durchzuführen. Der Bestimmung des HbA J c sollte wegen der höheren Spezifität gegenüber dem HbA, der Vorrang gegeben werden. Folgende Faktoren können den HbA^Wert beeinflussen: — Akuter und chronischer Blutverlust vermindern die Erythrozyten-Lebenszeit und damit auch das glykosylierte Hämoglobin. Deshalb Vorsicht bei Eisenmangelanämie, gastrointestinalen Blutungen, Hämochromatose, Hämolyse etc.! — Bei chronischer Niereninsuffizienz kann das glykosylierte Hämoglobin einerseits eine Carbonylierung durchmachen (erhöhte HbA r Werte) oder auch durch Hämolyse und gastrointestinalen Blutverlust zu den bereits besprochenen verminderten HbAj-Werten führen. — Die sicher seltenen Hämoglobinopathien beeinflussen natürlich auch das HbAj.

6.2 HbA, c (7«)

HbA,(7o)

L a b o r d i a g n o s t i k und Selbstkontrolle

mittlere Blutglukose ca.-Werte ( m g / d l ) (mmol /l)

87

Q u a l i t ä t der Einstellung

14

12

8

miserabel

- -

12

230

12.8

schlecht

10

170

9.4

tolerabel

110

6.1

sehr gut

gut

Abb. 2: Der H b A l c - M e ß s t a b . H b A i c ( H b A , ) und Q u a l i t ä t der Stoffwechseleinstellung.

Probleme entstehen bei deutlichen Diskrepanzen zwischen den anderen Parametern der glykämischen Kontrolle (vor allem den Blutzuckerdaten, insbesondere den selbst-bestimmten Blutzuckerwerten) und dem glykosylierten Hämoglobin. Vorausgesetzt, daß das HbAi-Testverfahren exakt ist und die Fehlermöglichkeiten beachtet werden, ist der HbA^Wert als der validere Index der Glykämielage anzusehen. 6.2.5 Glykosyliertes

Albumin und

Serumproteine

Wie Hämoglobin haben natürlich auch Albumin und andere Serumproteine Aminosäurereste, die zur Glykosylierung disponieren. Die in-vivo-GIykosylierung von Albumin macht ca. 90% der Glykosylierung des Serum-Gesamteiweißes aus. Wegen der kürzeren Halbwertzeit der Serumproteine, reflektiert die Messung glykosylierter Proteine den integrierten Verlauf der Glykämie über einen viel kürzeren Zeitraum als beim HbA! (7—14 Tage). Dies eröffnet die Möglichkeit, Therapieeinflüsse rascher erlebbar und kontrollierbar zu machen, als es mit dem glykosyliertem Hämoglobin möglich ist. Das Fruktosamin-Testverfahren nutzt die Fähigkeit von Ketoaminen, als Reduktionsmittel in alkalischen Lösungen zu wirken. Diese Methode ist einfach, schnell und gut reproduzierbar. Als Nachteil gilt die starke Beeinflussung durch Schwankungen der Serum-Eiweißverhältnisse. 6.2.6 Serum-Insulin und

C-Peptid

Insulin und C-Peptid werden im allgemeinen mit Radioimmunoassays oder Enzymimmunoassays nachgewiesen. Beide Methoden sind diagnostischen Problemfällen vorbehalten. Für die Bewertung von Insulin- und C-Peptid-Spiegel ist die

88

M. Weck

Kenntnis der Physiologie von Insulinsekretion und -degradation erforderlich. Hier ist insbesondere auf die sogenannte „Starling-Kurve" des Pankreas zu verweisen. Danach sind gleichhohe Insulinspiegel bei Diabetikern in einem frühen Stadium des N I D D M mit noch kompensatorisch erhöhter Insulinsekretion als auch in einem späteren Stadium mit bereits sich erschöpfender Insulinsekretion möglich (s. Kap. 2). Das „connecting peptide" (C-Peptid, humanes C-Peptid, HCP) wird mit der Sekretion des Proinsulins aus den B-Zellen des Pankreas als Verbindungsglied zwischen der A- und B-Kette des Proinsulins abgespalten und wird nahezu unverändert über die Niere ausgeschieden (Abb. 3). H C P ist damit ein Marker der Insulinsekretion. c

B Proinsulin

C

B

B

65-66 split Proinsulin

32-33 split Proinsulin

C

C

B

B

des 6 i - 6 5 Proinsulin

des 31-32 Proinsulin

C-Peptid

B Insulin

Abb. 3: Vom Proinsulin zum Insulin.

Das Insulin wird dagegen bei der Leberpassage zum Teil metabolisiert und es kann, u. a. abhängig von Anzahl und Affinität der Insulinrezeptoren, die hepatische Clearance des Hormones herabgesetzt oder erhöht sein. Es resultiert Hy-

6.2

Labordiagnostik und Selbstkontrolle

89

perinsulinämie im peripheren Blut. Damit ist klar, daß erhöhte Insulinwerte i. S. keine Aussage über die Sekretionsleistung der Bauchspeicheldrüse zulassen. Das C-Peptid kann im Serum und im Urin nachgewiesen werden. Die Urinausscheidung an C-Peptid korreliert gut mit den integrierten Plasma-C-Peptid-Spiegeln, aber die Exkretion weist eine hohe inter- und intraindividuelle Variabilität auf. Aus diesen Gründen gilt die Messung der C-Peptid-Ausscheidung im Urin als ungenauer Marker der B-Zell-Funktion. Im Serum kann das C-Peptid sowohl nüchtern als auch unter Stimulationsbedingungen nachgewiesen werden. Das Nüchtern-C-Peptid weist eine „weiche" Korrelation zum Blutzucker und eine inverse Korrelation zur Kreatinin-Clearance auf. Bei gestörter renaler Funktion sind deshalb C-Peptid-Werte mit Vorsicht zu interpretieren. Die C-Peptid-Bestimmung ist nach wie vor international nicht standardisiert, so daß Vergleiche mit der Literatur ebenso unter Vorbehalt zu treffen sind. Als Funktionstest der B-Zell-Funktion gelten die C-Peptid-Messungen nach einer Standardmahlzeit bzw. nach Glukagonstimulation. Nach einer Testmahlzeit wird das Maximum der C-Peptid-Sekretion etwa nach 60 — 90 Minuten erreicht, nach i. v.-Gabe von Glukagon bereits nach 6 Minuten. Procedere: Gabe von 1 mg Glukagon i. v. im Nüchternzustand, 6 Minuten später Blutabnahme zur C-Peptid-Bestimmung. Dieses sogenannte postglucagon C-Peptid gilt als sicherster Diskriminator zwischen IDDM und NIDDM. Das absolute Fehlen des C-Peptids gilt als sicherer Indikator für einen labilen IDDM. Ein Serum-C-Peptid < 0,32 nmol/1 weist mit einer Spezifität von 90% auf IDDM und ein C-Peptid > 1,1 nmol 1 weist mit 90%iger Spezifität auf einen NIDDM (Tab. 4), [8]. Die exakte Einordnung von C-Peptid-Daten und insbesondere der Vergleich derartiger Werte sowohl zwischen verschiedenen Patienten als auch vor und nach therapeutischen Manipulationen ist eigentlich nur bei gleichen Blutzukkerverhältnissen zulässig!

Tab. 4: Diskrimination zwischen N I D D M und I D D M an H a n d des postglucagon C-Peptids

0

0,32

1,1

mit 9 0 % Spezifität

Grenzbereich, Zuordnung

mit 9 0 % Spezifität

IDDM

nicht sicher möglich

NIDDM

90

M. Weck

Therapeutische Entscheidungen allein an Hand eines C-Peptid-Wertes zu treffen, kann zu gravierenden Behandlungsfehlern führen. Immer ist das klinische Bild und das jeweilige Stadium des NIDDM mit ins Kalkül zu ziehen (Tab. 5). Tab. 5: Typische Fallbeispiele der Einordnung des NIDDM unter Nutzung von klinischen Daten und C-Peptid Fall A 58jähriger Patient, BMI 31 kg/m 2 , Diabetesdauer 3 Jahre, HbA ] C 10,3%, Nüchternblutzucker 210 mg/dl (11,7 mmol/1), postglucagon C-Peptid 1,9 nmol/1, bisherige Therapie: „Diät". Diagnose: NIDDM mit annehmbar deutlicher Insulinresistenz, sicher noch in der Phase der kompensatorischen Hyperinsulinämie bei nur kurzer Diabetesdauer. Therapie:

Gewichtsreduktion

Fall B 61jährige Patientin, BMI 29 kg/m 2 , Diabetesdauer 11 Jahre, H b A l c 11,2%, Nüchternblutzucker 260 mg/dl (14,4 mmol/1), postglucagon C-Peptid 1,0 nmol/1, bisherige Therapie: Glibenclamid. Diagnose: NIDDM mit prävalierender Sekretionsstörung Therapie: kombinierte Glibenclamid/Insulinbehandlung, evtl. nach vorangehender Gewichtsreduktion. Alternative: alleinige Insulinierung. Fall C 52jähriger Patient, BMI 27 kg/m 2 , Diabetesdauer 6 Monate, H b A l c 9,9%, Nüchternblutzucker 220 mg/dl (12,2 mmol/1), postglucagon C-Peptid 0,6 nmol/1, bisherige Therapie: Glibenclamid. Diagnose: annehmbar langsam manifestierter IDDM. Therapie:

Insulingabe.

6.2.7

Eiweißausscheidung

6.2.7.1

Kontrolle

der

im Urin Mikroalbuminurie

Die Nierenschäden bei Diabetes sind nicht nur Folge der diabetischen Nephropathie, sondern meist durch eine Kombination der Glomerulosklerose der Nierengefäße und der Pyelonephritis bedingt. Häufigkeit und Schwere dieser Nephropathie korreliert mit der Dauer des Diabetes und der Güte der Stoffwechseleinstellung. Beim NIDDM ist bereits eine leichte Zunahme der physiologischen Albuminurie mit erhöhtem Risiko für Nephropathie und kardiovaskuläre Erkrankungen korreliert. Die Bestimmung der Mikroalbuminurie (30 — 300 mg/die = 20 — 200 mg/1) ist deshalb von besonderer Bedeutung für die Einschätzung der Prognose des Krankheitsverlaufs. Nur bei frühzeitigem Nachweis einer Mikroalbuminurie können therapeutische Interventionen den Krankheitsverlauf noch günstig beeinflussen. Der Micral-Test erlaubt eine spezifische, semiquantitative Abschätzung der Albuminkonzentration im Urin.

6.2 Labordiagnostik und Selbstkontrolle

91

Die Proteinurie wird gewöhnlich definiert als eine Proteinausscheidung von mehr als 0,5 g/die. Patienten mit Proteinuie haben eine schlechte Prognose. Die bisher übliche M e t h o d e der Gesamteiweißausscheidung i. U. sollte durch die Albuminausscheidung ersetzt werden. Einer Proteinurie von 0,5 g/die entspricht eine Mikroalbuminurie von 300 mg/die. Der prädikative Wert der Mikroalbuminbestimmung für eine diabetische Nephropathie ist allerdings bei Typ-II-Diabetikern oft deutlich eingeschränkt. Bei den meist älteren Patienten können eine Reihe anderer Faktoren (Harnwegsinfekte, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Prostatahypertrophie, schlechte Diabeteseinstellung) eine Mikroalbuminurie verursachen. 6.2.7.2

ß 2 -Mikroglobulin

Das ß 2 -Mikroglobulin ist ein weiterer wesentlicher Parameter zur Bestimmung der Nierenfunktion. Durch seine Messung im Serum und Urin kann sowohl die glomeruläre als auch die tubuläre Funktion eingeschätzt werden. ß 2 -Mikroglobulin gehört zu den kleinmolekularen Serumproteinen, wird glomulär filtriert und im proximalen Tubulus überwiegend resorbiert bzw. metabolisiert. Demnach liegt ß 2 -Mikroglobulin im H a r n nur in geringen Mengen vor. Generell spricht ein Anstieg des Serumspiegels dieses Proteins f ü r eine Einschränkung der glomerulären Funktion, während eine Z u n a h m e der renalen Ausscheidung auf einen tubulären Defekt hinweist. ß 2 -Mikroglobulin kann mit Hilfe eines kommerziell verfügbaren Radioimmunoassays nachgewiesen werden. Bei einer einlaufenden globalen Nierenfunktionseinschränkung steigt das ß 2 -Mikroglobulin bereits im sogenannten „Kreatininblinden" Bereich deutlich an. Der besondere Wert der ß 2 -Mikroglobulinbestimmung liegt aber eher in der Abgrenzung der primär tubulär-interstitiellen von den primär glomerulären Nierenerkrankungen. Bei der Interpretation der Befunde m u ß berücksichtigt werden, daß es z. B. während der Gravidität und einigen malignen Erkrankungen z. T. zu stark erhöhten ß 2 -Mikroglobulinwerten im Serum kommt. 6.2.8

Weitere

Kontrolluntersuchungen

Z u einer kompletten Diagnostik, insbesondere Verlaufsdiagnostik des N I D D M , gehört die Abklärung weiterer Parameter, insbesondere der anderen Komponenten des metabolischen Syndroms (Blutdruck, Lipide, Gerinnungsdaten, Harnsäure). Von besonderer Bedeutung für die Lebenserwartung der Patienten ist eine intakte Nierenfunktion. Deshalb sind halbjährliche Untersuchungen der Proteinausscheidung im Urin (Streifentest bzw. quantitative Bestimmung) sowie des Kreatinins und auch der Kreatinin-Clearance erforderlich, um frühzeitig therapeutisch wirksam werden zu können. Eine Übersicht der Strategie dieser Kontrolluntersuchungen gibt Tab. 6.

92

M . Weck

Tab. 6: Kontrolluntersuchungen bei N I D D M durch den Arzt • bei jeder ambulanten Visite (alle 6 — 8 Wochen) Körpergewicht (BMI) Blutzucker (postprandialer B Z ) Harnzucker Blutdruck HbAlc Kontrolle von H a u t und Füßen sowie evtl. Injektionsstellen • halbjährlich Mikroalbuminurie Lipidstatus (Chol., T G , H D L - C h o l . ) Urinstatus

6.2.9

Selbstkontrolle

Die Stoffwechsel-Selbstkontrolle ist seit Jahren integraler Bestandteil der Diabetestherapie. Den Patienten stehen heute moderne Untersuchungsmethoden zur Verfügung, mit denen alle wesentlichen Parameter ihres Stoffwechsels mit ausreichender Genauigkeit untersucht werden können. Da der Patient diese Meßwerte während seines normalen Tagesablaufs erhebt, sind sie für die Behandlung viel sinnvoller und aussagefähiger als „Momentaufnahmen" beim Hausarzt. Es wurde nachgewiesen, daß Patienten, die regelmäßig Selbstkontrolle betreiben, besser eingestellt sind. Dies gilt durchaus auch für den Typ-II-Diabetes. Die Selbstkontrolle sollte sofort mit dem Bekanntwerden der Erkrankung eingeleitet werden und sie richtet sich nicht nur auf paraklinische Daten, sondern auch auf durch den Patienten bemerkbare Symptome (Tab. 7). Die Patienten sollten diabetesspezifische Symptome kennen und auf die Wichtigkeit der Inspektion der Füße hingewiesen werden. Tab. 7: Selbstkontrollen durch den Diabetiker als Voraussetzung für eine effektive Therapie — Patient und Arzt sind Partner in der Behandlung

— mehr als bei anderen chronischen

Erkrankungen — Selbstkontrolle beginnt mit Bekanntwerden der Erkrankung — Selbstkontrolle richtet sich auf durch den Patienten bemerkbare und auch stumme Symptome — Selbstkontrolle ist: Voraussetzung für eine Therapie, welche Krankheitssymptome behebt und den Spätschäden vorbeugt

Auch die Einhaltung der (kalorienreduzierten) Diät beim übergewichtigen NIDDM ist durchaus Glied der „self-control". Die Patienten sollten regelmäßig Gewicht, Blutdruck, Blutzucker und Harnzucker messen und die Bestimmungsmethoden für Azeton und Mikroalbumin kennen (Tab. 8). Die Hilfsmittel zur Selbstkontrolle beim NIDDM sind in Tab. 9 aufgelistet. Im Rahmen der Patien-

6.2

Labordiagnostik und Selbstkontrolle

93

Tab. 8: Selbstkontrolle beim N I D D M Selbstkontrolle \ Klinische Symptome

Paraklinische Prameter NIDDM Körpergewicht Blutdruck Harnzucker pp Blutzucker Azeton Mikroalbuminurie

+ + +

(+) (+) (+)

Einhaltung der Diät

Tab. 9: Hilfsmittel zur Selbstkontrolle Personenwaage Teststreifen für Blut- und Harnzucker Spiegel zur Inspektion der Füße (plantar) Blutdruckmeßgerät wünschenswert

tenschulung bzw. wenigstens ein Mal pro Jahre sollte die Genauigkeit geprüft werden, mit der die Patienten ihre Selbstkontrollwerte erheben. Fehler beim Ablesen der Teststreifen können so rechtzeitig bemerkt und korrigiert werden. Die Selbstkontrollwerte sollten vom Patienten in sein Diabetes-Tagebuch eingetragen werden. Sie bilden die Basis für Anpassungen der Therapie und die Diskussion der Resultate beim nächsten Arztbesuch! 6.2.10

Zusammenfassung

Die Diagnose Diabetes mellitus ist zu stellen, wenn der Nüchternblutzucker bei mehr als einer Bestimmung über 6,7 mmol/1 (120 mg/dl) und/oder der Blutzucker 2 Stunden nach einer oralen Glukosebelastung (75 g o G T T ) über 11,1 mmol/1 (200 mg/dl) liegt. Für die Einschätzung des Verlaufs der Erkrankung bzw. der Therapiekontrolle sind Blutzuckerbestimmungen der Harnzuckermessung vorzuziehen. Die Bestimmung der Ketonkörper im Urin sollte bei einer Stoffwechseldekompensation immer zum diagnostischen Repertoire gehören. Alle diese Methoden sind auch vom Patienten mittels Teststreifen im Rahmen der Selbstkontrolle durchführbar. Die Bestimmung des HbA : ( H b A j J ist sicher der entscheidende Parameter für die Kontrolle der Stoffwechseleinstellung, da er den

94

M . Weck

i n t e g r i e r t e n B l u t z u c k e r s p i e g e l ü b e r einen Z e i t r a u m v o n 4 — 8 W o c h e n reflektiert. I m Vergleich d a z u zeigt F r u k t o s a m i n eine k u r z f r i s t i g e E n t g l e i s u n g a n . D i e M i k r o a l b u m i n a u s s c h e i d u n g im U r i n sollte h e u t e in jeder

Diabetes-Sprech-

s t u n d e g e p r ü f t w e r d e n , d a sie eine F r ü h d i a g n o s t i k d e r N e p h r o p a t h i e z u l ä ß t u n d s o m i t r e c h t z e i t i g e t h e r a p e u t i s c h e I n t e r v e n t i o n e n n a c h sich ziehen k a n n . D i e S e l b s t k o n t r o l l e ist ein b e d e u t e n d e r B a u s t e i n für die O p t i m i e r u n g d e r D i a b e t e s t h e r a p i e . Sie r i c h t e t sich n i c h t n u r a u f p a r a k l i n i s c h e D a t e n , s o n d e r n a u c h a u f d u r c h den P a t i e n t e n b e m e r k b a r e S y m p t o m e . Weiterführende

Literatur

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7

Therapie

Das M o t t o der Weltgesundheitsorganisation

„Füll life despite diabetes", das

anläßlich der 50. Wiederkehr der Isolierung von Insulin für therapeutische Z w e c k e durch Banting und Best vor allem mit Blick auf den insulinpflichtigen Typ-IDiabetes formuliert wurde, gilt in vollem M a ß e auch für den N I D D M . Bei diesen Patienten besteht im Gegensatz zum I D D M selten die akute Gefährdung durch ein K o m a am Anfang der Krankheit. Dennoch ist auch hier die Einstellung des Blutzuckers auf zumindest akzeptable Werte, wie sie in den Euronormen (Tab. 1) vorgegeben sind, eine vordringliche M a ß n a h m e , um Symptomfreiheit und altersentsprechende Leistungsfähigkeit zu sichern. Eine nur auf Komaverhütung gerichtete antidiabetische Therapie wird dem auch im hohen Alter nicht gerecht und sollte die Ausnahme in desolaten Fällen bilden. M a n muß dabei stets bedenken, daß viele auch akute lebenslimitierende Komplikationen des älteren und hochbetagten Diabetikers wie G a n g r ä n , Pyelonephritis und andere Infekte wesentlich von der Qualität der Glykämiekontrolle abhängen. Tab. 1: Kontrollrichtlinien nach der „Euro-Norm"

Blutglukose — nüchtern

mg/dl

— postprandial

mg/dl

HbA! HbAlc Uringlukose Cholesterin

mg/dl

mmol/1 mmol/1 % %

0//o

mmol/1 HDL-Cholesterin

mg/dl

mmol/1 Nüchtern-Triglyceride

mg/dl

Body-Mass-Index

kg/m 2

Blutdruck

mmHg

mmol/1

gut

akzeptabel

schlecht

80-120 4,4-6,7 80-160 4,4-8,9 < 8,5 < 7 0 < 200 < 5,2 > 42 > 1,1 < 150 < 1,7 c? < 25 9 < 24 < 140/90

< 140 < 7,8 < 180 < 10,0 8,5 - 9,5 7-8 < 0,5 < 250 < 6,5 > 35 > 0,9 < 200 < 2,2 < 27 < 26 < 160/95

> > > > > > > > > < < > > > >
WHR > BMI 3 0 - 4 0 WHR > WHR > BMI > 40

0,85 (w) 1,0 (m) 0,85 (w) 1,0 (m)

Gewichtsreduktion

Z u r Gewichtsreduktion stehen grundsätzlich die in Tab. 2 aufgeführten Methoden zur Verfügung.

7.2

Gewichtsreduktion

107

Tab. 2: Methoden zur Gewichtsreduktion Verhaltenstherapie Diätregimes zur Gewichtsreduktion — totales Fasten (sog. „Nulldiät") — hypokalorische Mischkosten (Energiegehalt 800 — 1500 kcal/Tag) — sehr niedrigkalorische Diäten (VLCD, „proteinsparendes Fasten", Energiegehalt 400 — 800 kcal/Tag) Gastroplastie u. a. invasive Verfahren

Unser Hauptaugenmerk gilt den diätetischen Verfahren: • Viele Autoren sehen in einer hypokalorischen Mischkost die Therapieform der Wahl, insbesondere weil bei dieser Variante der größte Lerneffekt beim Patienten eintreten soll. Nach unseren Erfahrungen sind solche hypokalorischen Mischkosten für Patienten mit moderatem Übergewicht (BMI 25 — 30) durchaus geeignet, über längere Zeit eine Gewichtsabnahme zu erzielen. Dem Patienten muß klar gesagt werden, wieviel Gewichtsverlust pro Zeiteinheit unter einer solchen Kost überhaupt möglich ist (durchschnittlich 0,5 kg/Woche), da oft übertriebene Vorstellungen existieren. Reale Therapieziele sollten von Arzt und Patient gemeinsam erstellt werden. Kostpläne für hypokalorische Mischkosten sind in Tab. 3 aufgeführt. Allerdings ist diese Diätform für die Mehrzahl der sehr adipösen Typ-II-Diabetiker nach unserer Meinung nicht geeignet. Diese Patienten sollten aus zwei Gründen rasch und effektiv abnehmen: 1. Bei exzessivem Übergewicht und dekompensierter Stoffwechsellage ist ein schnelles Durchbrechen der immer vorhandenen Insulinresistenz angezeigt. 2. Bei deutlichem Übergewicht erscheint eine drastische Gewichtsabnahme von 10 —15 kg in 4 — 6 Wochen sinnvoll, um den Patienten zu weiterer Gewichtsreduktion zu motivieren. •



Die Nulldiät hat stets einen größeren Verlust an Wasser und Proteinen, d. h. an aktiver Körpermasse, zur Folge und kann zu schweren Ketoazidosen führen. Diese Diät- bzw. Fastenform ist heute deshalb nicht mehr zu akzeptieren. Die sogenannten Außenseiterdiäten sorgen zwar immer wieder für Publizistik, haben aber wegen ihrer Einseitigkeit, der mangelnden Langzeitwirkung und vielen Komplikationen einer ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung nicht standgehalten. Die sehr niedrigkalorischen Diäten (in Form des sogenannten proteinsparenden oder auch proteinsubstituierten Fastens), deren Anfänge bis in die dreißiger Jahre zurückreichen, vereinen die Vorzüge des totalen Fastens — effektive Abnahme von 300 bis 400 g pro Tag — und der niedrigkalorischen Diäten — weitgehende Schonung der aktiven Körpermasse und hohe Sicherheit. Eine

108

M . Weck

Tab. 3: Kostplan für hypokalorische 1000 kcal/Mischkost 1. Frühstück (250 kcal) 40 g Brot (Vollkorn od. Mischbrot) oder 25 g Knäcke oder 25 g Haferflocken o. ä. oder 40 g Schrotbrötchen o. ä. 10 g Halbfettmargarine 100 g Magerquark oder 50 g Magerkäse oder 50 g mageres Fleisch oder 25 g Schnittkäse od. Frischkäse oder 25 g magere Wurst oder 15 g Dauerwurst/Streichwurst oder 1 Hühnerei 2. Frühstück (100 kcal) 250 ml Buttermilch od. Magerjoghurt oder 180 ml Trinkmilch oder 200 g Obst oder Obstsaft oder 20 g Knäcke und 5 g Diätmargarine oder 400 g Gemüse 3. Mittag (325 kcal) 100 g Kartoffeln oder 25 g Reis/Nudeln (Rohgewicht) 1 0 0 - 2 0 0 g Gemüse 50 — 100 g mageres Fleisch/Geflügel oder 1 0 0 - 1 5 0 g Fisch aller Art oder 100 — 150 g Magerquark oder 1 Hühnerei 5 —10 g Diätmargarine oder Öl (anstatt Vorsuppe 1 Tasse magere Brühe) 4. Vesper (75 kcal) 150 g Obst oder 20 g Knäcke od. Vollkornkeks oder 10 g Knäcke und 10 g Honig/Marmelade (Sorbitmarmelade bzw. Kuchen, Keks oder Eis für Diabetiker aussuchen) 5. Abendbrot (250 kcal) 40 g Brot 5 g Halbfettmargarine 100 g Magerquark oder siehe Frühstück 1 0 0 - 2 0 0 g Gemüse (Frischkost/Salate) Tägliche Trinkmenge

mindestens 1 V2 Liter als Tee, Mineralwasser, 2 — 3 Tassen Kaffee

7.2 Gewichtsreduktion

109

ganze Reihe kommerziell verfügbarer VLCD's („very low calorie diet") ist auf dem Markt, wobei deren Energiegehalt und Nährstoffrelationen nur etwas differieren. In Deutschland haben sich Modifast® und die Cambridge Diet® bewährt. Als Proteinquelle wird meist Magermilchpulver oder Eiklar verwendet. Wir selbst verwenden den sogenannten „Dresdner Schlankheitstrunk" für die Behandlung der Fettsucht bei den Erkrankungen des metabolischen Syndroms (Tab. 4, Tab. 5.1 und 5.2). Der wesentliche Unterschied zu den industriell hergestellten Diäten besteht darin, daß der „Dresdner Schlankheitstrunk" auf einem Rezeptsystem mit natürlichen Nahrungsmitteln basiert, die der Patient auch während des stationären Aufenthaltes in den ersten Tagen der Gewichtsreduktion selbst herstellt. Damit gestaltet der Diabetiker aktiv seine Energiebilanz und lernt das notwendig Know how der Herstellung und Berechnung einer VLCD. Ein nicht unwesentlicher Vorteil gegenüber den kommerziellen Instant-Produkten ist der geringe Preis. Ein weiterer, uns sehr wesentlicher Vorteil der VLCD besteht darin, daß nach 6—10 Tagen durch die Umschaltung des Stoffwechsels auf Ketokörper der Hunger weitgehend verschwindet und die Patienten stimmungsmäßig ein „Hoch" durchmachen. Tab. 4: Self-made VLCD („Dresdner Trunk") 440 100 20 100 2

kcal pro Tag g Magermilchpulver g Weizenkleie g Gemüse g Sonnenblumenöl

= 40 g Eiweiß 58 g Kohlenhydrate 4 g Fett 550 130 20 100 2

kcal pro Tag g Magermilchpulver g Weizenkleie g Gemüse g Sonnenblumenöl

= 51 g Eiweiß 73 g Kohlenhydrate 4 g Fett

Der Gewichtsverlust besteht etwa zur Hälfte aus Fett und Wasser. Körpereiweiß wird dagegen praktisch nicht oder nur in sehr geringen Mengen eingeschmolzen. Unterschiedliche Meinungen existieren in der Literatur zur optimalen Zusammensetzung einer VLCD. Von einer Expertenkommission des britischen Gesund-

110

M. Weck

Tab.5.1: Teilfasten (VLCD) Dresdner Schlankheitstrunk (440 kcal/die): Praxis der Durchführung — 28 Tage Küchenplan Vorbereitung/Verbrauch 1. Protokoll eines 28-Tage-Planes (Früh/ Mittag/ Abend/ Gewicht/ Bemerkungen) führen und bei der wöchentlichen Arztkonsultation vorlegen. 2. Für die Grundausstattung 3—4 Päckchen Magermilchpulver und 1 - 2 Päckchen Weizenkleie (bran flakes) einkaufen. Ebenfalls: verschiedene Teesorten und Mineralwasser. Tägliche zusätzliche Trinkmenge an allen Tagen: 2 Liter als Seiter, Brunnen, Tee, 1 — 2 Tassen Kaffee, Gemüsewasser (Kochwasser). Keine anderen Nahrungsmittel und/oder kalorienhaltige Getränke in dieser Zeit! Früh: täglich 300 ml Magermilch (30 g Magermilchpulver, % 1 warmes Wasser) 10 g Weizenkleie (bran flakes) oder 5 g Knäckebrot 1 Tasse Kaffee oder Wasserkakao oder Tee zum Würzen: Natreen, Zitrone, Aromen Tee und/oder Seiter o. ä. Milch, Kleie und Kaffee jedes extra oder gemischt und gewürzt anbieten Mittag: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 300 ml Magermilch (40 g Magermilchpulver, V* 1 warmes Wasser) oder 300 ml Buttermilch oder 300 ml Magerjoghurt und 100 g Frischgemüse (Tomate, Gurke, grüner Salat, Weißkohl, Blumenkohl) als Salat — gewürzt mit Pfeffer, Salz, Paprika, Natreen, Essig, Kräutern und 2 g Sonnenblumenöl. Mittwoch, Sonnabend 100 g Magerquark — mit Wasser glatt rühren, mit Kräutern und Gewürzen abschmecken und 2 g Sonnenblumenöl dazugeben, einrühren und 50 g Frischobst (kleinen Apfel o. ä.) Tee und/oder Seiter o. ä. Sonntag 70 g mageres Fleisch/Geflügel/Fisch (kochen/grillen/braten) und 100 g Gemüse oder 50 g Obst. Alle Gewürze sind möglich, auch Salz und Pfeffer. Tee und/oder Seiter o. ä. Abend:

täglich 300 ml Magermilch (30 g Magermilchpulver, % 1 warmes Wasser) oder 300 ml Buttermilch oder 300 ml Magerjoghurt und 10 g Weizenkleie (bran flakes) Tee und/oder Selter o. ä. Würzen mit Kräutern, Aroma, Natreen, Kakao, Kaffee, Hagebuttentee

Zubereitungstip: Wer möchte, kann jede Milchportion mit Gelatine festigen „eßbar". (Auflösen und einrühren nach Vorschrift).

% 1 wird durch 7 g Gelatine

heitsministeriums wurde empfohlen, nur VLCD's mit folgenden Minimalanteilen an Kalorien und Proteinen zu verwenden: — für mäßig adipöse Frauen: 400 kcal/die und 40 g Protein/die — für Männer und große bzw. deutlich adipöse Frauen: 500kcal/die und 50 g Protein/die.

7.2 Gewichtsreduktion

111

Tab. 5.2: Teilfasten (VLCD) Dresdner Schlankheitstrunk (550 kcal/die): Praxis der Durchführung — 28 Tage Küchenplan (Allgemeines wie Tab. 5.1) Früh:

täglich 400 ml Magermilch (40 g Magermilchpulver, lA 1 warmes Wasser) 10 g Weizenkleie (bran flakes) oder 5 g Knäckebrot 1 Tasse Kaffee oder Wasserkakao oder Tee zum Würzen: Natreen, Zitrone, Aromen Tee und/oder Seiter o. ä. Milch, Kleie und Kaffee jedes extra oder gemischt und gewürzt anbieten

Mittag: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 400 ml Magermilch (50 g Magermilchpulver, % 1 warmes Wasser) oder 400 ml Buttermilch oder 400 ml Magerjoghurt und 100 g Frischgemüse (Tomate, Gurke, grüner Salat, Weißkohl, Blumenkohl) als Salat — gewürzt mit Pfeffer, Salz, Paprika, Natreen, Essig, Kräutern und 2 g Sonnenblumenöl. Mittwoch, Sonnabend 150 g Magerquark — mit Wasser glatt rühren, mit Kräutern und Gewürzen abschmecken und 2 g Sonnenblumenöl dazugeben, einrühren und 50 g Frischobst (kleinen Apfel o. ä.) Tee und/oder Seiter o. ä. Sonntag 70 g mageres Fleisch/Geflügel/Fisch (kochen/grillen/braten) und 100 g Gemüse oder 50 g Obst. Alle Gewürze sind möglich, auch Salz und Pfeffer. Tee und/oder Seiter o. ä. Abend:

täglich 400 ml Magermilch (40 g Magermilchpulver, lA 1 warmes Wasser) oder 400 ml Buttermilch oder 400 ml Magerjoghurt und 10 g Weizenkleie (bran flakes) Tee und/oder Seiter o. ä. Würzen mit Kräutern, Aroma, Natreen, Kakao, Kaffee, Hagebuttentee

Z u s ä t z l i c h sollten die U S A R D A ( „ r e c o m m e n d e d d i e t a r y a l l o w a n c e s " ) für Vita m i n e und M i n e r a l i e n eingehalten w e r d e n . Von a n d e r e n A u t o r e n w i r d die in T a b . 6 v o r g e s c h l a g e n e K o m p o s i t i o n einer V L C D e m p f o h l e n . F ü r D e u t s c h l a n d ist gesetzlich festgelegt, d a ß der P r o t e i n g e h a l t einer k o m m e r z i e l l e n D i ä t zur

Ge-

w i c h t s r e d u k t i o n 5 0 g / d i e nicht u n t e r s c h r e i t e n sollte u n d d a ß dieses P r o t e i n biologisch h o c h w e r t i g sein m u ß . Bei massiver A d i p o s i t a s ( „ m o r b i d o b e s i t y " , B M I >

4 0 ) , die mit einer deutlichen

R e d u k t i o n der L e b e n s e r w a r t u n g einhergeht, ist die I n d i k a t i o n zu invasiven Ver-

Tab. 6: Empfehlungen zur Proteinzusammensetzung einer VLCD 1. Proteinqualität: exzellenter biologischer Wert 2. Proteingehalt pro Tag: 55 g: Frauen geringer oder mittlerer Größe und moderater Adipositas 70 g: adipöse Männer und große bzw. deutlich adipöse Frauen 100 g: massiv adipöse Männer

112

M. Weck

fahren der Gewichtsreduktion zu prüfen. Diese Patienten sollten dazu einem spezialisierten Zentrum überwiesen werden. Verhaltenstberapeutiscbe sein. 7.2.5 Indikationen

Techniken sollten Bestandteil jeder Gewichtsreduktion

zur Gewichtsreduktion

beim

NIDDM

Wie bereits ausgeführt, sollte jeder Patient mit einem Stoffwechselleiden das wünschenswerte Gewicht nach der EURO-Norm in Verbindung mit der entsprechenden W H R anstreben. Das Ausmaß des Übergewichts entscheidet über die Wahl der Diätform. Dabei gilt natürlich immer, daß eine Gewichtsreduktion dann angestrebt werden sollte, wenn eine substantielle Besserung der Stoffwechsellage, des Risikofaktorenprofils, des physischen und psychischen Leistungsvermögens, d. h. letztlich Wohlbefinden zu erwarten ist. Bei älteren adipösen Diabetikern mit guter Stoffwechselführung ist eine straffe Gewichtsreduktion natürlich nicht indiziert. 7.2.6

Kontraindikationen

Die Kontraindikationen für eine Gewichtsreduktion mittels VLCD sind in Tab. 7 dokumentiert. Dabei sind im Einzelfall immer Risiko und Nutzen abzuwägen. Kontraindikationen bei einer hypokalorischen Mischkost werden dagegen nur in seltenen Fällen schwerer akuter und chronischer Erkrankungen zu sehen sein. Bei Einhaltung der genannten Einschluß- und Ausschlußkriterien haben wir keine wesentlichen Entgleisungen des Elektrolyt- und Säure-Base-Haushalts beobachtet, insbesondere keine Ketoazidosen. Mittels Holter-EKG-Registrierung fanden wir lediglich benigne Arrhythmien. Wir leiten deshalb unter VLCD alle 2 Wochen ein EKG bzw. bei spezieller Indikation auch ein Holter-EKG ab. Bei Patienten mit bekannter koronarer Herzerkrankung oder erhöhtem Thromboserisiko (AnaTab. 7: Kontraindikationen für den Einsatz einer sehr niedrigkalorischen Diät (VLCD) bei NIDDM — Diabetes-spezifische Kontraindikationen: schweres Spätsyndrom (Retinopathie > I. Grades, erhebliche Nephropathie, autonome Neuropathie, ausgeprägte Polyneuropathie, diabetische Gangrän). — Instabile Angina pectoris oder dokumentierte stenosierende Koronarsklerose — Herzinsuffizienz — Höhergradige Herzrhythmusstörungen — Psychische Erkrankungen — Alle konsumierenden Erkrankungen incl. Erkrankungen des hämatopoetischen Systems — Manifeste Gicht — Schwere Leber- und Niereninsuffizienz — Unzuverlässiger Patient

7.2 Gewichtsreduktion

113

mnese, Fibrinogen, Hämatokrit, Plasmaviskosität) empfehlen wir zusätzlich eine Low-dose-Heparinierung. Die Indikation ist somit letztlich immer eine individuelle, unter Abwägung von Risiko und Nutzen. Die beschriebene, variable „self-made VLCD" wird von unseren Patienten gegenüber kommerziellen Instant-Produkten favorisiert. Durch Selbstkontrollen von Gewicht, Blutzucker und Blutdruck erleben die Patienten rasch selbst die günstigen Effekte der VLCD. Bei unkomplizierten Fällen ist nach einer stationären Run-in-Phase von 5 — 8 Tagen eine ambulante Fortführung dieser Diätform möglich. 7.2.7 Praktische

Durchführung

Vor jeder Gewichtsreduktion sind neben der Indikation die Motivation des Patienten zu prüfen und gemeinsam mit ihm Prinzipien, Durchführung und Ziele zu besprechen. Dazu bietet sich die Gruppentherapie mit maximal 10 Patienten an. Die Zeitdauer der VLCD-Phase sollte zwischen 4 und 6 Wochen liegen und kann bei besonders motivierten Patienten auf 8 Wochen ausgedehnt werden. Meist leiten wir diese Behandlung mit einer ca. 3 —4tägigen stationären Phase ein, in der der Patient gründlich untersucht wird und die Zubereitung der Diät erlernt. Danach schließt sich die ambulante Gruppentherapie an. Voraussetzung zur erfolgreichen Durchführung der Reduktionsdiät ist das Aufstellen der Diätpläne gemeinsam mit der Diätassistentin. Eine weitere Grundbedingung ist die Einhaltung einer Flüssigkeitszufuhr von 2,5 1 pro Tag inklusive des Volumens an „Dresdner Trunk". Die wöchentlich durchzuführenden Kontrolluntersuchungen sind in Tab. 8 aufgelistet. Danach ergibt sich oft die Notwendigkeit Kalium zu substituieren. Allopurinol verordnen wir erst bei Harnsäure-Werten über 600 |xmol/l. Eine behandlungspflichtige Azidose haben wir in den letzten Jahren nicht beobachtet. Die oralen Antidiabetika können rasch abgesetzt oder drastisch

Tab. 8: Kontrollparameter bei VLCD-Behandlung Vor Beginn der Diätphase: klinische Untersuchung, Blutdruck, EKG, evtl. Langzeit-EKG, Thorax-Rö, ESG, BB, Na, K, Ca, Fe, Krea, HS, ALAT, BZ, H b A l c , Astup Täglich: Körpergewicht, Azeton i. U., BZ Wöchentlich: klinische Kontrolle, Blutdruck, Na, K, Krea, HS, ALAT, BZ, Astrup Nach spätestens 4 Wochen: zusätzlich Ca, Fe, H b A l c , Langzeit-EKG Bei Problemfällen evtl. zusätzliche Kontrollen!

114

M. Weck

in der Dosis reduziert werden. Die lange Halbwertszeit von bspw. Glibenclamid ist in die Überlegungen unbedingt einzubeziehen! Durch die Teilfastenbehandlung wird die Wirkung der meisten Medikamente verstärkt oder verändert. Während der Diätphase müssen diese deshalb in der Regel reduziert oder abgesetzt werden. Oft kann nach Abschluß des Fastens die medikamentöse Therapie dauerhaft reduziert werden. Regelmäßige leichte sportliche Betätigung während der Diätperiode ist sinnvoll, um dem Abfall des Ruheenergiestoffwechsels entgegenzuwirken. Nach Abschluß der Diätphase ist eine sehr langsame und schrittweise Anpassung des Organismus an höhere Nahrungszufuhr notwendig. Die Patienten sollten über 1 Woche 600 kcal, 1 Woche 800 kcal und 1 Woche 1000 kcal-Mischkost zu sich nehmen und diese Kalorienzufuhr noch für 5 Wochen einhalten. Zeitdauer/Zielgrößen-. Die VLCD sollte über mindestens 6 Wochen durchgeführt werden. Nach neueren Erkenntnissen können bessere Resultate hinsichtlich Gewichtsverhalten und metabolischer Parameter erzielt werden, wenn die VLCDPhase bei strikter Kontrolle weiter ausgedehnt wird. Ergebnisse: Wir haben diese Diätform inzwischen bei über 200 Typ-II-Diabetikern erfolgreich und ohne wesentliche Zwischenfälle eingesetzt. Besonders günstig sind die Kurzzeitergebnisse, aber auch die Langzeitresultate sind bei der ungünstigen Auswahl des Patientengutes (meist sogenannte „Sulfonylharnstoff-Versager") noch beachtlich (Tab. 9). Prinzipiell sollten adipöse N I D D M sofort nach der Manifestation der Erkrankung einer Gewichtsreduktion (mittels VLCD) unterzogen werden. Diese Frühphase des diabetischen Prozesses mit ausgeprägter Insulinresistenz und noch vorhandener Insulinsekretion ist die Domäne der Gewichtsreduktion. Die größten Erfahrungen mit sehr niedrigkalorischen Diäten wurden von Kirschner bei über 3000 Patienten berichtet [7]. Diese eindrucksvollen Ergebnisse sind in Tab. 10 dokumentiert. Wie kann das reduzierte Gewicht gehalten

werden?

Das Hauptproblem aller Formen und Methoden der Gewichtsreduktion liegt in der Erhaltung des reduzierten Gewichts. Meist sind die diesbezüglichen Langzeitresultate schlecht. Oft wird der unter dem Fasten oder Teilfasten veränderte Energiehaushalt nicht in die Betrachtung einbezogen. Folgende pathophysiologische Gesichtspunkte sind in der Phase nach Gewichtsreduktion, bei sogenannten Aufbaudiäten, zu beachten. Gewichtsreduktion ist mit der Verminderung von metabolisch aktiver Masse, d. h. der Nicht-Fett-Masse verbunden. Damit sinkt auch der Basal- bzw. Ruhenüchternumsatz, d. h., die Ausgabeseite der Energiebilanz (Abb. 1) ist deutlich vermindert. Demzufolge kann nach einer VLCD oder auch hypokalorischen Mischkost die Kalorienzufuhr nur sehr langsam und schrittweise gesteigert werden. Die Patienten sollten sich weiter regelmäßig wiegen und

7.2 Gewichtsreduktion

115

Tab. 9: Beispiel einer VLCD Behandlung Patientendaten W. G. 57 Jahre Diabetesdauer Behandlung BMI 28,1 W H R 1,01 Körperfettanteil

männlich 5 Jahre 5 mg Glibenclamid/die

28,1%

VLCD-Behandlung: 8 Wochen 500 kcal „Dresdner Trunk", danach 6 Wochen Kostaufbau bis auf 1200 kcal/die Mischkost Ergebnis Anthropometrische Daten und metabolische Parameter von VLCD und nach Kostenaufbau vor VLCD Körpergewicht (kg) 85,0 BMI 28,1 RR (mmHg) 155/100 N B Z (mmol/1) 13,1 ppBZ (mmol/1) 16,4 HbAi C (%) 8,8 euglykämische Glukose-Clamp-Untersuchung: 2,3 M-Wert (mg/kg/min) Cholesterol (mmol/1) 7,3 Triglyzeride (mmol/1) 3,2

nach VLCD und Kostaufbau 73,3 24,3 130/85 5,9 8,3 5,2 7,8 5,2 1,7

Tab. 10: Resultate einer VLCD-Behandlung (Optifast®) bei 3020 adipösen Patienten (nach Kirschner [8]) 1. Hypertonie (41% der Patienten) Blutdruck normalisiert, Medikamente abgesetzt Blutdruck normalisiert, noch Medikamente Blutdruck nach Gewichtsreduktion weiter erhöht

71% 12% 17%

2. Hypercholesterolämie (41% der Patienten) Cholesterol normalisiert durch die Diät Cholesterol reduziert

73% 27%

3. Hypertriglyzeridämie T G normalisiert T G reduziert

(29% der

4. Diabetes mellitus orale Antidiabetika abgesetzt Insulin abgesetzt Insulindosis reduziert

Patienten) 77% 23% 100% 87% 10%

116

M . Weck

bei Gewichtszunahme „Schalttage" mit erneuter Kalorienrestriktion einlegen. Auf diese Weise kann im Verlaufe mehrerer Wochen ein neues Steady state eingestellt werden und die zur Erhaltung des reduzierten Gewichts individuell mögliche Kalorienzufuhr austitriert werden. Bei Frauen liegt diese oft im Bereich von 800—1000 kcal/die! In dieser Phase hat körperliches Training seine besondere Bedeutung, da durch Aktivitätssteigerung ein Teil des Abfalls des Basalumsatzes kompensiert werden kann! 7.2.8

Zusammenfassung

Gewichtsreduktion, die auf die Depletion des abdominalen Fettdepots zielt, hat bei adipösen NIDDM-Patienten profunde metabolische Wirkungen und ist die Therapie der Wahl in der Frühphase dieser Diabetesform mit prävalierender Insulinresistenz! Insbesondere die Behandlung mit sehr niedrigkalorischen Diäten (VLCD) stellt eine effektive, sichere und kostengünstige Methode dar, um schlank und eumetabol zu werden. Es kommt unter dieser Diät zu einer drastischen Besserung des Zucker- und Fettstoffwechsels, ebenso des Blutdrucks. Die Erfolge sind umso besser, je aktiver der Patient seine Behandlung gestaltet. Durch Selbstkontrolle von Gewicht, Blutzucker und Blutdruck erlebt er die Vorteile der Behandlung. Für den Langzeiterfolg sind zusätzliche physische Konditionierung und verhaltenstherapeutische Führung sowie das beschriebene Procedere in der Nach-FastenPeriode entscheidend. Weiterführende

Literatur

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7.2 Gewichtsreduktion

117

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7.3 Gesundheitsfördernde Ernährung U. Julius

7.3.1

Grundlagen der Kost bei

Typ-II-Diabetes

Jede effektive Behandlung des Typ-II-Diabetikers schließt die Durchsetzung von Empfehlungen zur Kostoptimierung ein. Dies ist besonders verständlich bei Berücksichtigung der Tatsache, daß in der Bevölkerung der führenden Industriestaaten — die Energieaufnahme vielfach den Bedarf überschreitet, — der Fettanteil in der Nahrung zu hoch und in seiner Zusammensetzung nicht optimal (zuviel tierisches Fett) ist, — ein erheblicher Anteil an M o n o - und Disacchariden verzehrt wird, — die Zufuhr bestimmter Nahrungskomponenten (z. B. Ballaststoffe, Vitamine, Mineralien) oft nicht bedarfsgerecht erfolgt. Im Rahmen der Diabetes-Interventionsstudie [10] konnte der Nachweis erbracht werden, daß durch intensivierte Gesundheitserziehung eine bessere Glykämielage nach 5 Jahren mit weniger Antidiabetika zu erzielen ist. Ein wesentlicher Teil der nicht-medikamentösen Therapie ist die Diät. In der Studie war bei den Interventionspatienten der Konsum an mehrfach ungesättigten Fettsäuren erhöht worden (Anhebung des P/S-Quotienten), es gelang jedoch durchschnittlich nicht, die Gesamtenergiezufuhr abzusenken sowie den hohen Fettanteil zu vermindern. Dabei ist zu bedenken, daß die Versorgungslage mit Lebensmitteln sich seitdem in den Gebieten, wo die Studie gelaufen war, wesentlich geändert hat. Allerdings sind auch von anderen Gruppen in den alten Bundesländern bzw. außerhalb Deutschlands hohe Fettanteile in der Kost von Diabetikern dokumentiert worden. Eine Diabeteskost ist prinzipiell bei jedem Patienten einzusetzen und nie kontraindiziert, sie dient wesentlich der Erhaltung der Arbeits- und Lebensfähigkeit. Welche Ziele sollen mit der Ernährung erreicht werden? Schwerpunktmäßig k o m m t es darauf an, — das Körpergewicht zu optimieren (oft: Gewichtsreduktion), — einen starken postprandialen Blutglukoseanstieg zu verhindern, — begleitende Dys- und Hyperlipoproteinämien zu mindern bzw. zu beseitigen (Antiatherogenität), — das Risiko diabetischer Spätschäden zu reduzieren, — essentielle Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe ausreichend bereitzustellen.

7.3

Gesundheitsfördernde Ernährung

119

Die modernen Empfehlungen zur Diät bei Typ-II-Diabetes umfassen folgende Grundprinzipien: a) b) c) d)

Knappe Energiezufuhr Verzehr mehrerer kleinerer Mahlzeiten (5 — 6 pro Tag) Weitgehende Einschränkung des Verzehrs von M o n o - und Disacchariden Geringe Cholesterolzufuhr ( < 300 mg pro Tag)

e) Restriktion des Alkoholkonsums ( < 30 g pro Tag) Folgende Anteile an der täglichen Energieaufnahme sollen eingehalten werden: Kohlenhydrate 50%

Fette 35%

Eiweiß 15%.

Dies entspricht etwa einer täglichen Z u f u h r von: 1 5 0 - 2 0 0 ( - 3 0 0 ) g Kohlenhydraten 60 — 80 g Eiweiß (entsprechend 0,8 — 1,0 g pro kg Körpergewicht) 60 —80 g Gesamtfett (entsprechend 1,0 g pro kg Normalgewicht). Individuelle Besonderheiten und Bevorzugungen können, soweit sie den Grundregeln der Diabetes-Diät nicht völlig zuwiderlaufen, Berücksichtigung finden [15]. 7.3.2

Einstellung auf wünschenswertes

Gewicht

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bei der Therapie des Typ-II-Diabetes steht die Gewichtsreduktion. Dabei gibt es zwei Vorgehensweisen: a) Allmähliche Gewichtsreduktion durch hypokalorische Mischkost oder b) zeitlich limitierte Fastenbehandlung. Am einfachsten kann mittels regelmäßiger Dokumentation des Körpergewichtsverlaufes festgestellt werden, ob die Energiezufuhr vermindert werden muß. Nach einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (zitiert bei [11]) liegt der tägliche Energiebedarf Erwachsener je nach Alter und Geschlecht zwischen 2200 (9,20 MJ) und 2600 kcal (10,88 MJ). Für praktische Zwecke eignen sich für die Ermittlung des individuellen Energiebedarfs Übersichtstabellen, die Geschlecht, Idealgewicht, Alter und körperliche Aktivität berücksichtigen (Tab. 1). Wenn eine Reduktion von Übergewicht erforderlich ist, m u ß die tägliche Energieaufnahme um mindestens 500 kcal unter dem berechneten Bedarf liegen. Wenn Sie mit einer fehlenden Gewichtsreduktion (Adhärenzproblemen) k o n f r o n tiert werden, sollten Sie Ihre Z u w e n d u n g zu dem Patienten verstärken. Ein überzeugender Beweis f ü r die Überlegenheit einer bestimmten Diät für die Gewichtsreduktion ist bisher nicht verfügbar. Die Patienten, die kein Gewicht verlieren, sind durch strengere Empfehlungen auf der Basis von genauerer Energieberechnung zu unterstützen. Eventuell k o m m e n einfache Formen der Verhaltensmodifikation in Betracht. Besonders wenn das Ziel der Behandlung nicht auf Anhieb erreicht wird, erweist sich die längerfristige Betreuung durch eine Diät-

120

U. Julius

-O •••s

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BE*

Abendessen

£

Verteilung der BE auf die Tagesmahlzeiten 1 BE = 12 g Kohlenhydrate

KH

3. Frühstück

Eiweiß g

2. Frühstück

Fett g

1. Frühstück

Kalorien

1 2 2 2 3 3 3 3 3 4 4 4 4 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6

1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 5

2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 4 4 4 4 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6

1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3

60 «

d, Umsetzung auf konkrete Nahrungsmittel

Hierzu lassen sich Nahrungsmitteltabellen verwenden. In der Regel ist für eine subtile Anleitung eine Diätassistentin oder Diabetesberaterin erforderlich. Im Rahmen der Diabetesschulung für Typ-II-Diabetiker, die nicht Insulin spritzen, werden einfache Demonstrationskärtchen verwendet.

128



U. Julius

e, Aushändigung einer Kohlenhydrat-Austauschtabelle (soweit eine Berechnung der Kohlenhydrate eingesetzt werden soll)

Grundlage der Berechnung ist eine Einheit: Kohlenhydrateinheit = KHE 1 K H E = 10 g Glukose

Broteinheit = BE 1 BE = 12 g Glukose

Beispiel: Der Kohlenhydratgehalt einer Mischbrot-Schnitte von 25 g entspricht einer Einheit. Im Rahmen zu erwartender EG-Richtlinien ist es denkbar, daß der Begriff „Broteinheit" nach 1992 offiziell nicht mehr benutzt wird. Folgende Lebensmittelgruppen sind zu berechnen: 1. 2. 3. 4. 5.

Getreide, Getreideerzeugnisse, Brot und Backwaren Obst Kartoffeln Milch und Milchprodukte Gemüse (nur Schoten frisch und Mais betreffend; andere Gemüsearten können ohne Berechnung in den üblichen Mengen verzehrt werden!).

Innerhalb der Gruppen 1 — 4 kann mit Hilfe einer Austausch-Tabelle variiert werden. Um jedoch die Nährstoffrelation und die Zufuhr an essentiellen Mineral-, Ballaststoffen und Vitaminen zu gewährleisten, ist ein Austausch von Brot gegen Obst oder ein Austausch von Kartoffeln gegen Milch abzulehnen. 7.3.3.5

Beachtung von

Begleiterkrankungen

Bei der Diätverordnung muß der behandelnde Arzt vorhandene Begleiterkrankungen ausreichend berücksichtigen. Bei akuten gastrointestinalen Störungen (Erbrechen, Durchfall) sind Tee und Suppen empfehlenswert. Die Zufuhr von Zuckern (Glukose! — Saccharose wird bei Anwendung von Disaccharidasehemmern nicht resorbiert) sollte Patienten mit Hypoglykämien vorbehalten bleiben. Eine deutliche Eiweißrestriktion kommt für Typ-II-Diabetiker erst bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz in Betracht. 7.3.3.6

Durchführung

der

Diätberatung

Alle Diabetiker sind zu Ernährungsfragen nach der Manifestation sowie auch später, z. B. im Rahmen einer Verschlechterung der Glykämielage, wiederholt (mündlich und schriftlich) zu schulen (vgl. 7.1). Dabei hat sich die Einbeziehung von Diätassistentinnen als zweckmäßig erwiesen. Professionell gestaltete Kostpläne können die gewünschte Kost gut veranschaulichen. Wichtig ist, den Patienten in einer Diät-Beratung selbst aktiv werden zu lassen (z. B. mit Lebensmittel-

7.3 Gesundheitsfördernde Ernährung

129

attrappen oder Kochen in einer Lehrküche). Die Einladung des Partners (der Partnerin) zur Diätberatung ist anzuraten. In erster Linie soll mit Empfehlungen und positiver Motivation gearbeitet werden, Verbote sind auf das absolut Notwendige zu beschränken. 7.3.3.7 Hinweise

zu weiteren

Nahrungskomponenten

Getränke Besonders zu empfehlen sind Mineralwasser, die auch Elektrolyte zuführen. Tee und Kaffee sind ohne Einschränkungen erlaubt, ggf. unter Verwendung von Süßungsmitteln. Industriell gefertigte, zuckerfreie Getränke mit niedrigem Energiegehalt, üblicherweise Süßstoffe enthaltend, sind für viele Diabetiker nützlich. Alkohol Unter Anrechnung der Energie darf der Diabetiker kohlenhydratfreie Alkoholika in geringem Umfang trinken, z. B. Cognac, Weinbrand, Whisky, und alle klaren Schnäpse und Getränke mit einem geringen Kohlenhydratanteil, z. B. DiabetikerBier und trockene Weine. Bier (Malzgehalt beachten!) regt o f t den Appetit an, so d a ß eine unerwünschte zusätzliche N a h r u n g s a u f n a h m e gefördert werden kann. Selbstverständlich sind andere Erkrankungen, die eine Verschlechterung durch Alkoholkonsum erwarten lassen (z. B. Hypertriglyzeridämie, Hypertonie, Gicht/ Hyperurikämie, Fettleber) zusätzlich zu berücksichtigen. Diätetische

Lebensmittel

Diätetische Lebensmittel, die als Ergänzung oder zur Abwechslung gedacht sind, werden von Ernährungsfachleuten nicht unbedingt f ü r nötig gehalten. Vor einigen wird wegen eines hohen Fettgehaltes gewarnt. Lebensmittel, die unter Verwendung von Süßstoffen produziert wurden, sind energiereduziert und können für übergewichtige Patienten durchaus zweckmäßig sein. Vitamine Der Vitaminbedarf von Diabetikern ist gleich dem von Nichtdiabetikern. Gerade im Hinblick auf Obst, Gemüse und Kartoffeln ist zu berücksichtigen, daß bei der Lagerung, Konservierung und Zubereitung erhebliche Vitaminverluste eintreten können. Insbesondere bei älteren Menschen sind Resorptionsstörungen ins Kalkül zu ziehen. Vitaminmangelerscheinungen, auch in subklinischer Form, kann durch Absicherung einer vielfältig gemischten Kost unter Einbeziehung von Frischkost entgegengewirkt werden. Für fettlösliche Vitamine stellen die Milch und Fischleberöle wertvolle Quellen dar. Durch die Vitaminierung bestimmter Produkte, z. B. von Margarinen, k a n n ebenfalls ein Teil des Bedarfs gedeckt werden.

130

U. Julius

Mineralien,

Spurenelemente

Zu den Mengenelementen der Nahrung gehören Kalzium, Phosphor, Magnesium, Natrium, Kalium und Chlor. Von den genannten Elementen ist die KalziumZufuhr wegen der häufigen Osteoporose von herausragender Bedeutung. Kalzium ist besonders in Milch und Milchprodukten, in Obst und Getreideerzeugnissen enthalten. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung implizieren einen höheren Bedarf im Greisenalter. Die Gefahr einer Unterversorgung mit Magnesium besteht insbesondere bei unzureichendem Vollkorn- und Gemüseverzehr in Verbindung mit überhöhtem Eiweiß-, Fett- und Alkoholkonsum. Kalium wird mit Gemüse aufgenommen. Als Spurenelemente werden Mineralstoffe bezeichnet, die in relativ kleinen Mengen mit der täglichen Kost aufgenommen werden. Eine regelmäßige Aufnahme von Jod ist für die normale Funktion der Schilddrüse unbedingt erforderlich. Seefisch ist als natürliche Jodquelle gut geeignet, er sollte regelmäßig (1 — 2mal wöchentlich) verzehrt werden. Ein Zinkmangel kann bei sehr geringem Konsum von Fleisch und Molkereiprodukten (Vegetarier) auftreten. Die Bedarfsdeckung an Mangan erfolgt hauptsächlich aus Getreideerzeugnissen, Hülsenfrüchten und schwarzem Tee. Selen wird vor allem mit Fleisch, Fisch und Getreideerzeugnissen aufgenommen. Eine Unterversorgung mit Selen kann bei längerdauernder parenteraler Ernährung sowie in Gebieten mit selenarmem Boden auftreten. Ballaststoffe Ballaststoffreiche Lebensmittel haben eine geringe Energiedichte und sind deshalb bei Typ-II-Diabetikern besonders geeignet. Auf ihren gezielten Einsatz als adjuvante Therapie wird in Kapitel 7.5.5 eingegangen. Süßungsmittel Man unterscheidet: Süßstoffe: Aspartam, Saccharin, Zyklamat Sehr geringer Energiegehalt, keine Anrechnung im Diätplan. Diese Stoffe sind in den üblichen verzehrbaren Mengen ungefährlich und aus geschmacklichen und energetischen Gründen zu empfehlen. Zuckeraustauschstoffe:

Fruktose, Mannit, Sorbit, Xylit

Hoher Energiegehalt wie in Glukose (1 g » 4 kcal), Anrechnung im Diätplan erforderlich. Zur Zeit hauptsächliche Verwendung bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln.

7.3 Gesundheitsfördernde Ernährung

131

Die Einnahme von Zuckeraustauschstoffen m u ß mengenmäßig begrenzt werden. Häufig tritt bei einem Konsum von mehr als 30 g Sorbit bzw. Xylit pro Tag eine Diarrhoe auf. Dies ist vor allem bei Gabe von Alpha-Glukosidasehemmern zu beachten! Fruktose in natürlichem Vorkommen (Obst) ist erlaubt, allerdings bei Berechnung von Kohlenhydrateinheiten mengenbegrenzt (nicht über 50 g pro Tag, auf mehrere Mahlzeiten verteilen). Die unmittelbare glykämische Wirkung der Fruktose ist gering, kann aber bei schlecht eingestellten Diabetikern deutlich werden. Der Verzehr großer Mengen von Fruktose kann sich nachteilig auswirken, da Hypertriglyzeridämien, Hyperurikämien und Hyperlaktatämien beobachtet wurden. Isomalt ist bei Diabetikern in kleineren Mengen ( < 30 g pro Tag) einsetzbar. Es hat nur etwa die Hälfte der Energie des Kochzuckers und wirkt nicht kariesfördernd. Kochsalz,

Gewürze

Wegen der häufigen Kombination mit einer Hypertonie ist die tägliche Kochsalzmenge unter 5 g zu halten. Da viele Nahrungsmittel bereits Kochsalz enthalten, ist ein Zusalzen in der Regel unerwünscht. In der Diabetesdiät kann man alle Gewürze nutzen. Dem immer noch viel zu beliebten Salzgeschmack sollte man mit Kräutern und Gewürzen entgegenwirken. Es wird empfohlen, darauf zu achten, daß kein Gewürz den Eigengeschmack einer Speise übertönt. Industriell hergestellte Würzen sollten wegen ihres Zuckerzusatzes vermieden werden (z. B. T o m a t e n m a r k , -ketchup). Fisch,

Fischöl-Kapseln

Fisch liefert reichlich biologisch hochwertiges Eiweiß, wertvolle Mineralien wie Phosphor, Kalium, Jod und Vitamin A, Bj und B 2 , Niacin und Vitamin D. Der Fettgehalt ist in der Regel gering. Die Fettfische wie Hering, Makrele, Lachs u. ä. sind reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Nach den Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte ein- bis zweimal pro Woche Fisch gegessen werden, möglichst Seefisch, der gleichzeitig die Jodzufuhr sichert. Das Fischfleisch enthält k a u m Bindegewebe und ist deshalb sehr zart, gut bekömmlich und leicht verdaulich. Während der Verzehr von Fisch uneingeschränkt bejaht wird, sind die Empfehlungen zum Einsatz von Fischöl-Kapseln noch uneinheitlich. Auf keinen Fall sollten größere Dosen ( > 4 g pro Tag) von den Diabetikern eingenommen werden. 7.3.4

Zusammenfassung

Für die meisten Typ-II-Diabetiker k o m m t die Verordnung einer „Kalorienkost" mit 50% Kohlenhydraten, 35% Fett und 15% Eiweiß in Betracht. Der hohe Kohlenhydratanteil ist durch Verwendung von Vollkornprodukten, Obst, Gemüse und Müsli bzw. Teigwaren abzusichern. Wichtig ist die Reduzierung des Fettan-

132

U. Julius

teiles u n d d a b e i die V e r m i n d e r u n g des V e r z e h r s a n t i e r i s c h e n F e t t e n . P f l a n z l i c h e Ö l e m i t e i n f a c h u n d m e h r f a c h u n g e s ä t t i g t e n F e t t s ä u r e n sind z w e c k m ä ß i g . E s w i r d ein r e g e l m ä ß i g e r F i s c h k o n s u m e m p f o h l e n . D e n P a t i e n t e n sollten e i n f a c h e T a b e l l e n z u m E n e r g i e g e h a l t v o n N a h r u n g s m i t t e l n zur V e r f ü g u n g s t e h e n . D a z u

kommen

Ü b e r s i c h t e n , die die N a h r u n g s m i t t e l in für D i a b e t i k e r g e e i g n e t e b z w . n i c h t geeign e t e klassifizieren. M e h r m a l s w ö c h e n t l i c h soll d e r P a t i e n t sein

Körpergewicht

d o k u m e n t i e r e n u n d d a d u r c h die G e s a m t - E n e r g i e a u f n a h m e d e m B e d a r f b z w . der häufig notwendigen Gewichtsreduktion anpassen. Literatur [1] Assmann, G.: Fettstoffwechselstörungen und koronare Herzkrankheit. M M V Medizin Verlag, München 1991. [2] Beebe, C. A., J . G. Pastors, M . A. Powerset et al.: Nutrition management for individuals with noninsulin-dependent diabetes mellitus in the 1990s: a review by the Diabetes Care and Education dietetic practice group. J. Am. Diet. Assoc. 91 (1991) 1 9 6 - 2 0 2 , 2 0 5 - 2 0 7 . [3] Bruns, W., K. Vetter, H. Bibergeil: Diabetiker-Kost heute - 50 Jahre nach Veröffentlichung der „Grazer Thesen". Z. Klin. Med. 43 (1988) 2 6 1 - 2 6 5 . [4] Bruns, W.: Neue Erkenntnisse zur Diättherapie des Typs 2 (non insulin dependent)Diabetes. Z . gesamte inn. Med. 45 (1990) 2 9 0 - 2 9 4 . [5] Canzler, H., H. Kasper, R . Kluthe et al.: Rationalisierungsschema 1990 der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung und Diätetik geV für die Ernährung und Diätetik in Klinik und Praxis. Akt. Ernährungsmedizin 15 (1990) 9 7 - 1 0 2 . [6] Deutsche Diabetes-Gesellschaft: Grundlagen der Ernährung und Diätempfehlungen für Diabetiker. Akt. Ernährungsmedizin 15 (1990) 2 7 - 3 8 . [7] Diabetes and Nutrition Study Group of the European Association for the Study of Diabetes: Nutritional recommendations for individuals with diabetes mellitus. Diab. Nutr. Metab. 1 (1988) 1 4 5 - 1 4 9 . [8] Haller, H., M . Hanefeld, W. Jaroß: Lipidstoffwechselstörungen - Diagnostik, Klinik und Therapie. VEB Gustav Fischer Verlag, Jena 1983. [9] Hanefeld, M . , G. Crepaldi: Diabetes and glucose intolerance. In: A. G. Olsson (Hrsg.): Atherosclerosis — Biology and Clinical Science, S. 445 — 452. Churchill Livingstone, Edinburgh, London, Melbourne, New York 1987. [10] Hanefeld, M . , S. Fischer, H. Schmechel et al.: Diabetes Intervention Study. Multi-Intervention Trial in Newly Diagnosed N I D D M . Diabetes Care 14 (1991) 3 0 8 - 3 1 7 . [11] Kasper, H.: Ernährungsmedizin und Diätetik. Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore 1987. [12] Ketz, H.-A.: Grundriß der Ernährungslehre. Gustav Fischer Verlag, Jena 1990. [13] Lean, M . E. J . , J . I. Mann: Dietary Management of Non-Insulin-Dependent Diabetes Mellitus. In: J . Pickup, G. Williams: Textbook of Diabetes, S. 453 - 461. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1991. [14] Mehnert, H.: Diabetes mellitus. In: H. Mehnert (Hrsg.): Stoffwechselkrankheiten. Grundlagen, Diagnostik, Therapie, S. 115 — 261. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1990. [15] Petzoldt, R.: Grundlagen der Diabetesdiät: ernährungswissenschaftliche Aspekte. Ernährungs-Umschau 38 (1991) 3 9 5 - 3 9 9 . [16] Rosak, C.: Diabetes mellitus und Ernährung. Der Feinschmecker für Ärzte 1990, Heft 6, 19-21. [17] Use, G. (unter wissenschaftlicher Beratung von W. Bruns und H. Mehnert): DiabetesTherapie heute. Ein praktischer Leitfaden in Tabellen. Aktuelles Wissen Hoechst, Reihe Diabetes, 1991.

7.4 Physische Konditionierung M.

7.4.1

Hanefeld

Einleitung

Physische Konditionierung wurde schon von G. Katsch als eine Säule der Diabetesbehandlung empfohlen. Dennoch führt sie bis heute eher ein Aschenbrödeldasein im Therapiekonzept des NIDDM. Sehr zu Unrecht, denn die Muskulatur ist das wichtigste Organ der Glukoseverwertung und aerobes Training beeinflußt in komplexer Weise (Tab. 1) den Stoffwechsel und die hormonelle Regulation [5], Tab. 1: Effekte physischen Trainings auf den Stoffwechsel, die hormonelle Regulation und das Herzkreislaufsystem Stoffwechsel und Gerinnung — Glukosetoleranz — Triglyzeride — HDL-Cholesterol — LDL-Cholesterol — Harnsäure — Fibrinolytische Aktivität — Vollblut Viskosität — Fibrinogen — Thrombozytenaggregation

\ J. | = f j. J. j.

Hormonelle Regulation — Insulinresistenz — Hyperinsulinismus — Stresshormone

j. J, j

— Endorphine — Testosteron

f |

Herzkreislaufsystem — Herzökonomie — Elektrische Stabilität

f f

— 0 2 - B e d a r f des Herzens — Blutdruck — Muskelblutfluß

J, J. T

Physisch aktive Personen, nicht nur Ausdauerathleten, haben gegenüber inaktiven Vergleichsgruppen niedrigere Insulinwerte und eine verbesserte Glukosetoleranz, was nur durch eine erhöhte Insulinsensitivität der Muskulatur und Leber erklärt werden kann [4]. Sie weisen auch ein besseres kardiovaskuläres Risikofaktoren-

134

M . Hanefeld

profil auf. Beginnen bis dato inaktive Personen mittleren Alters ein Ausdauertrainingsprogramm von durchschnittlich 20 — 30 Minuten pro Tag bei 60 — 8 0 % V 0 2 m a x , dann verbessert sich innerhalb von 3 — 6 Wochen die Ganzkörperglukoseutilisation und die Insulinsensitivität der Muskulatur [1]. Einen ersten direkten Beweis für die präventive Wirkung physischen Trainings liefert eine Longitudinalstudie von Frisch [2], wonach sportlich aktive CollegeStudenten später seltener an Diabetes erkrankten als ihre passiven Komilitonen.

7.4.2

Therapeutische

Effekte der physischen

Konditionierung

Wie beim Gesunden beeinflußt ein regelmäßiges Ausdauertraining beim N I D D M die Insulinwirkung und Glukosetoleranz. Während des Trainings erhöht sich die insulinabhängige Glukoseutilisation. Der Insulinspiegel fällt ab. Sowohl die periphere als auch die hepatische Insulinwirkung bleiben nach einer intensiven Ausdauerbelastung über 12 —16 Stunden erhöht. Damit verbunden ist eine verminderte hepatische Triglyzeridproduktion und ein beschleunigter Abbau triglyzeridreicher Lipoproteine via Zunahme der muskulären Lipoproteinlipaseaktivität. O b auf diesem Wege auch erhöhter Blutdruck gesenkt werden kann, ist unklar. Wichtig ist auch ein anderer Effekt der Konditionierung: die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens ingesamt und eine Erhöhung des Selbstbewußtseins.

7.4.3

Praxis der physischen

Konditionierung

bei NIDDM

Grundsätzlich ist festzustellen, daß die positiven Effekte physischer Konditionierung nur für aerobe, d. h. Ausdauersportarten, gelten. Im Hinblick auf die begrenzte Wirkungsdauer einer Übung (12— 16 Stunden) sollte täglich eine Trainingseinheit mittlerer Intensität erfolgen. Um bei Patienten, die Sulfonylharnstoffe oder Insulin erhalten, Schocks zu vermeiden, ist die beste Zeit jeweils 1 — 2 Stunden nach einer Mahlzeit. Bei adipösen N I D D M sollte im Anfang unbedingt mit Übungen, die eine geringe statische Belastung beinhalten wie Schwimmen, Radfahren, Rudern o. ä. begonnen werden. Der Wechsel von einem bewegungsarmen Lebensstil zu regelmäßigem körperlichem Training muß sorgfältig geplant, überwacht und aufgebaut werden (Tab. 2) [3]. Die geeigneten Trainingsformen und Intensitäten sind in Tabelle 3 zusammengefaßt. Bei alten Menschen genügt ein täglicher zügiger Spaziergang von 30 — 45 Minuten Länge. Gefahren gehen vor allem vom Herzkreislaufsystem aus. Die gefährlichsten Komplikationen sind Herzrhythmusstörungen, die häufigste Ursache plötzlicher Todesfälle während des Sports. Deshalb sollte vor Start eines Trainingsprogramms stets ein E K G geschrieben werden. Warnsymptome sind Crescendo-Angina-pectoris während

7.4 Physische Konditionierung

135

Tab. 2: Richtlinien für die Praxis der Konditionierung bei N I D D M Voraussetzung:

Ärztliche Untersuchung, Schulung, Motivation

Auswahl und Organisation:

Ausschluß medizinischer und psychosozialer Kontraindikationen, Gruppentraining mit 10 — 15 Personen ähnlicher Leistungsbreite, Alter und sozialer Situation, attraktives Programm, ein Therapeut

Bevorzugte Formen:

Wandern, Schwimmen, Radfahren, leichtes Jogging, Skilanglauf, Rudern

Kontrollen:

Blutzucker, Puls, Blutdruck, Lipide, Gewicht

Tab. 3: Trainingsempfehlungen bei N I D D M Intensität Lebensalter (Jahre) 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 über 70

Puls/Minute 130-155 120-145 110-135 100-125 80-110 80-100

Häufigkeit/Woche täglich 3 x 2 x

Mindestdauer (min) 12-15 25-30 45 90

1 X

Grundregeln — Nach Möglichkeit täglich oder jeden zweiten Tag trainieren — Lieber länger mit geringerer Intensität — Bei Stenokardien, Rhythmusstörungen und starker Erschöpfung — Arzt konsultieren — Nicht bei Hitze, feuchtwarmer Luft und akuten Infekten trainieren

d e r Ü b u n g e n u n d R h y t h m u s s t ö r u n g e n , s o w i e u n g e w ö h n l i c h e A t e m n o t . Dies sollte in j e d e m F a l l e A n l a ß zu einer Ü b e r p r ü f u n g d u r c h ein 2 4 h H o l t e r - E K G sein. G u t e Turnschuhe

(Adidas-Torsion,

Nike

mit Aerostab),

Strümpfe

aus

saugfähigen

Naturstoffen mit guter Wärmeleitung und sorgfältige A u f w ä r m u n g s - und L o k kerungsübungen vor Trainingsbeginn schützen Gelenke und Sehnen vor b e l a s t u n g . Bei f e u c h t w a r m e r , s c h w ü l e r W i t t e r u n g sollten s t ä r k e r e mit Blutdruckerhöhung vermieden werden.

Über-

Belastungen

136

M. Hanefeld

7.4.4

Zusammenfassung

Physische aerobe Konditionierung ist ein integraler Bestandteil der Therapie des N I D D M . Regelmäßiges Training verbessert die Glykämiekontrolle und Insulinwirkung. Trainiert werden sollte täglich 2 0 — 3 0 Minuten bei Pulswerten um 150 — Lebensalter/Minute. Gewichtsentlastete Übungen, sorgfältiger Trainingsaufbau, Fußpflege und Kreislaufüberwachung schützen vor Komplikationen. Literatur [1] DeFronzo, R. A., R. S. Sherwin, N. Kraemer: Effect of physical training on insulin action in obesity. Diabetes 37 (1987) 1379-1385. [2] Frisch, R. E., G. Wyshak, T. E. Albright et al.: Lower prevalence of diabetes in former college athletes compared with nonathletes. Diabetes 35 (1986) 1101 — 1105. [3] Hanefeld, M., J. Huttunen: Exercise. In: A. G. Olsson (ed.): Atherosclerosis. Biology and clinical science, S. 4 8 1 - 4 8 6 . Churchill Livingstone, Edinburgh 1987. [4] Koivisto, V. A., H. Yki-Jarvinen, R. DeFronzo: Physical training and insulin sensitivity. Diabetes Metab. Rev. 1 (1986) 4 4 5 - 4 5 1 . [5] Vranic, M., M. Berger: Exercise and diabetes mellitus. Diabetes 28 (1979) 1 4 7 - 1 6 7 .

7.5

Orale Antidiabetika

7.5.1

M.

Alpha-Glucosidase

Inhibitoren

Hanefeld

7.5.1.1

Einleitung

Mehr als 30 Jahre waren nach der Einführung der Sulfonylharnstoffe und Biguanide vergangen, bis mit der Zulassung von Acarbose in mehreren europäischen Ländern 1991 ein neues Wirkprinzip — die Optimierung der Glukosefreisetzung und Monosaccharidabsorption im Dünndarm — in die Diabetestherapie eingeführt wurde [8]. Es ist bemerkenswert, daß ein Jahr nach Einführung bereits über hunderttausend NIDDM in Deutschland auf Acarbose eingestellt waren. Alpha-Glukosidasen sind wichtige Enzyme im Pflanzen- und Tierreich, die im Dünndarm des Menschen die Freisetzung von Glukose aus Di- und Polysacchariden bewirken. Über ihre Hemmung kann somit das Tempo der Kohlenhydratverdauung verlangsamt und der postprandiale Glukoseanstieg abgeflacht werden, was von Vorteil im Hinblick auf die träge Insulinfreisetzung sowohl bei NIDDM als auch bei IDDM mit exogener Insulinzufuhr ist. Bei der systematischen Suche nach potenten Inhibitoren der Disaccharidasen im Naturstoffpool wurden schließlich mit Acarbose und Miglitol zwei wirksame Substanzen isoliert. Mit der Zulassung von Miglitol, das sich hinsichtlich Wirkungsspektrum, Pharmakokinetik und Nebenwirkungen von Acarbose unterscheidet, wird 1994/95 gerechnet. 7.5.1.2

Klinische

Pharmakologie

Acarbose wird aus der Kulturbrühe eines Stammes der Bakterienfamilie der Aktinoplanaceen isoliert. Chemisch ähnelt Acarbose einem Tetrasaccharid (Abb. 1), wie es in der Nahrung natürlicherweise vorkommt. Dadurch bindet dieses Pseudotetrasaccharid an die Alpha-Glucosidasen des Dünndarms und verdrängt so die Kohlenhydrate der Nahrung (Abb. 2). Die Affinität von Acarbose ist 10 —100 000 mal größer als die der Kohlenhydrate. Mit röntgenkristallographischen Methoden konnte jetzt eine französische Forschergruppe den direkten Nachweis erbringen, daß Acarbose sich tatsächlich an das aktive Zentrum der Alpha-Amylase anlagert. Die Bindung ist reversibel und dauert nur Minuten. Acarbose ist also ein quasi extern wirksamer kompetitiver Inhibitor der lediglich an den Dünndarmzotten wirkt. Die Resorption von Monosacchariden wie Glukose und Fruktose wird nicht gehemmt. Weniger als 1% der aufgenommenen

138

M. Hanefeld, U. Julius

CHjOH

Abb. 1: Strukturformel des Pseudotetrasaccharides Acarbose.

Abb. 2: Angriffspunkte von Acarbose am Dünndarm, Abbau von Stärke, Maltose und Rohrzucker durch Glucosidasen (links) und deren Blockierung durch Acarbose (rechts). G = Glucoamylase; M = Maltase; S = Saccharase; O aktives Enzym; • geblocktes Enzym

Acarbose erscheint im Blut. Jedoch werden nur 79% der zugeführten Dosis in den Faeces ausgeschieden, 14% im Urin und geringe Mengen von C 14 -Acarbosebruchstücken erscheinen in der Atemluft. Dies zeigt, daß ca. 20% der aufgenommenen Acarbose im Intestinaltrakt abgebaut wird und diese Spaltprodukte auch verarbeitet werden. In chronischen Toxizitätsstudien an Hunden wurde

7.5

Orale Antidiabetika

139

keine Schädigung am Gastroenteron und der Leber registriert. Es gibt bis heute keine Beweise dafür, daß die in den USA und Israel in seltenen Fällen beobachteten passageren Transaminaseanstiege auf lebertoxische Effekte von Acarbose zurückzuführen wären. Dafür spricht auch die Tatsache, daß unter Miglitol, das weitgehend resorbiert wird, bis heute keine hepatotoxischen Nebenwirkungen beobachtet wurden. Die Anwendung von Acarbose ist also weitgehend unabhängig von einer intakten Leber- und Nierenfunktion. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die Anwendung bei multimorbiden älteren Diabetikern. Acarbose in therapeutischen Dosen hemmt die verschiedenen Glucosidasen des Dünndarms in unterschiedlicher Intensität: Glukoamylase 8 2 % , Saccharase 6 8 % , Maltase 31,2%, Isomaltase 8 % , Trehalase 3,6% und Lactase 0% [1]. Da Acarbose nur in minimalen Konzentrationen unverändert resorbiert wird, ist bisher ein Effekt auf intrazelluläre lysosomale Enzyme und die damit verbundene exzessive Glykogenspeicherung nicht registriert worden und auch nicht zu erwarten. Interaktionen zu den meisten anderen Medikamenten, insbesondere Sulfonylharnstoffen, Digitoxin und Betablockern traten nicht auf. 7.5.1.3

Wirkungsmechanismus

Wie Metformin ist Acarbose primär ein antihyperglykämisches Medikament. Durch die kompetitive Hemmung der Alpha-Glucosidasen wird die Kohlenhydratverdauung vorwiegend in den unteren Dünndarm verlagert, wie dies bei Naturvölkern mit einem hohen Anteil komplexer Kohlenhydrate in der Nahrung noch heute der Fall ist. Dadurch wird eine Kette von Ereignissen ausgelöst (Abb. 3), die über eine Reduzierung der postprandialen Hyperglykämie, vermin-

- 3 0 cm

~120 cm

~130 cm

Abb. 3: Resorptionsverzögerung durch Alpha-Glucosidasehemmer [8].

140

M . Hanefeld, U. Julius

derte Insulinausschüttung eine Verbesserung der peripheren Insulinwirkung bewirken. Nur so ist die Senkung des Nüchternblutspiegels bei Monotherapie des N I D D M um 10 — 2 0 % zu erklären [4]. Die Insulinsekretion gemessen am CPeptid wird durch Acarbose primär nicht beeinflußt. Wieweit langfristig im Sinne der Glukosetoxizitätstheorie über die Euglykämie bei leichten bis mittleren Diabetesfällen eine Verbesserung der Insulinsekretionsdynamik erreicht werden kann, bedarf noch der Abklärung. Weitere Effekte auf den Gastrointestinaltrakt betreffen eine verzögerte Magenentleerung und Sekretion des Gastric Inhibitory Peptide (GIP). Die Hemmung der Kohlenhydratverdauung im oberen Magendarmtrakt führt jedoch nicht zu einer nennenswerten Malabsorption, so daß das Körpergewicht bei therapeutischen Dosen konstant bleibt. Langzeit-Beobachtungen bei Ratten haben gezeigt, daß es zu einer Enzymadaption im unteren Dünndarm kommt. Eine analoge Anpassung ist beim Menschen zu vermuten, da 4 — 8 Wochen nach Therapiebeginn die gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Flatulenz, Meteorismus und Diarrhoe weitgehend abklingen. In subtilen Untersuchungen konnte W. F. Caspary nachweisen, daß die Kohlenhydrate, soweit sie infolge der Einnahme von Acarbose in den Dickdarm gelangen, dort durch Bakterienhydrolasen und Disaccharidasen zu Monosacchariden abgebaut werden, die wiederum zu kurzkettigen Fettsäuren, Wasserstoff, Kohlendioxyd und Methan umgewandelt werden. Die Folge davon sind ein Absinken des pH und Erhöhung der Osmolarität im Kolon, was zu den obengenannten Erscheinungen führen kann. Wieweit sich dem die Kolonflora langfristig anpaßt, ist bis heute nicht definitiv geklärt. Eine weitere Fernwirkung von Acarbose betrifft den Stoffwechsel triglyzeridreicher Lipoproteine. Der postprandiale Anstieg der Triglyzeride nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten wird abgeflacht. Wie Nestel et al. [4] nachweisen konnte, liegt dem eine verminderte hepatische Triglyzeridsynthese zu Grunde, als deren Ursache sowohl der Effekt von Acarbose auf die Hyperglykämie als auch auf den Hyperinsulinismus angenommen werden darf. 7.5.1.4

Monotherapie

mit

Acarbose

Acarbose kann auf Grund ihres Wirkungsmechanismus als first-line drug bei adipösen N I D D M mit Hyperinsulinismus angesehen werden. Grundsätzlich gilt dies aber auch für die Frühphasen des schlanken Typ II a, solange noch Insulinresistenz und konsekutiver Hyperinsulinismus bestehen. Eine wichtige Indikation ist auch die Kombination N I D D M mit milder Hypertriglyzeridämie [3]. Acarbose ist besonders als Monotherapie bei N I D D M mit niedrigen Nüchtern- und hohen postprandialen Blutzuckerwerten wirksam (Tab. 1). Die gepoolten Daten kontrollierter Studien bei Patienten, deren N I D D M diätetisch nicht länger führbar war, ergeben eine Senkung des Nüchternblutzuckers um ca. 10% und der postprandialen Werte um 20 — 3 0 % . Dieser Effekt ließ sich länger als 5 Stunden nach einer kohlenhydratreichen Testmahlzeit nachweisen.

7.5

Orale Antidiabetika

141

Tab. 1: Indikationen der Therapie mit Acarbose bei N I D D M — Diätetisch nicht länger führbarer N I D D M — Sulfonylharnstoffversagen mit ausreichender Insulinrestsekretion — Unzureichende Wirkung von Metformin — Diätetisch geführter N I D D M mit Hypertriglyzeridämie (?) — Gewichtsstabilisierung nach erfolgreicher Entfettungskur — Massiver p. p. Blutzuckeranstieg trotz hoher Insulindosen — Insulineinsparung bei insulinpflichtigem N I D D M

In Abhängigkeit von der Ausgangslage fällt das HbAj resp. H b A l c n a c h 1 2 - 2 4 Wochen um 0,6 — 2,5 Prozentpunkte. Weitere therapeutische Effekte sind die Reduzierung des postprandialen Hyperinsulinismus und der Hypertriglyzeridämie. Dieses Ergebnis ist von besonderer Bedeutung, da die triglyzeridreichen Lipoproteine bei Diabetikern sowohl zur Insulinresistenz beitragen als auch einen eigenständigen koronaren Risikofaktor darstellen. Da Acarbose keine Malabsorption verursacht, wird das Körpergewicht nicht beeinflußt. Es gibt aber Hinweise dafür, daß Acarbose das Halten des Gewichtes nach erfolgreicher Entfettungskur erleichtert. Alpha-Glucosidaseinhibitoren verändern die Nahrungsaufnahme nicht signifikant. Bei Patienten, die kaum auf das Medikament ansprachen, ließ sich wiederholt als Ursache ein sehr niedriger Anteil von komplexen Kohlenhydraten in der Nahrung und dafür reichlich Fleisch-, Milch- und Milchprodukteverzehr, sowie ein hoher Alkoholkonsum nachweisen. Voraussetzung für eine optimale therapeutische Wirkung von Acarbose ist eine Diät, die reich an komplexen Kohlenhydraten ist, wie sie von der Europäischen Diabetesgesellschaft empfohlen wird. Acarbose ist aber kein Diätersatz, sondern setzt eine gesundheitsfördernde Kost voraus und begünstigt deren Einhaltung. Nebenwirkungen Meteorismus, Flatulenz und Diarrhoe sind die häufigsten Beschwerden unter Acarbose (Tab. 2). Sie treten vor allem in den ersten 4 — 6 Wochen nach Behandlungsbeginn auf. Durch Aufklärung der Patienten über die Ursachen und Harmlosigkeit dieser Beschwerden läßt sich dies meist beherrschen. Die Abbruchquote

Tab. 2: Nebenwirkungen von Acarbose Flatulenz Meteorismus Diarrhoe Transaminaseanstiege Abfall des Serumeisens

142

M . Hanefeld, U. Julius

liegt unter 3 % . Ein großer Vorteil des Medikamentes vor allem bei älteren Menschen ist die Tatsache, daß es bei Monotherapie unter Acarbose keine Hypoglykämien gibt. Auch ist die Ausscheidung weitgehend unabhängig von der Leber- und Nierenfunktion. In den Fällen, wo auch nach Monaten noch Magendarmbeschwerden bestehen, sollte zunächst durch eine subtile Diätanamnese geklärt werden, ob nicht zuviel einfache Zucker oder Diätnahrungsmittel mit Zuckeralkoholen als Süßstoffe genommen werden. Eine weitere Ursache für Diarrhoe können latente Magendarmerkrankungen, insbesondere des Kolon, sein. Bei Studien in den USA und Israel wurden in Einzelfällen Transaminaseanstiege beobachtet, die nach Absetzen des Medikamentes reversibel waren. In Deutschland liegen bisher keine Angaben über Leberenzymentgleisungen oder hepatotoxische Effekte vor. Beeinträchtigungen der Nierenfunktion und des hämatopoetischen Systems wurden bislang nicht beschrieben. In zwei Studien wurde unter Acarbose ein Abfall des Serumeisenspiegels beobachtet [2].

Kontraindikationen Als Kontraindikationen sind in erster Linie entzündliche Magendarmerkrankungen, die per se zu Durchfällen und Meteorismus führen, anzusehen.

Praktische

Aspekte

Die Verträglichkeit und Compliance hängt in entscheidendem M a ß e von der richtigen Herangehensweise ab. Hierzu gehört zum einen die umfassende Information des Patienten über die Wirkungsweise und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Diät, um die Nebenwirkungen zu minimieren. Z u m anderen ist es wichtig, mit einer niedrigen Dosierung von 50 mg am Morgen zu beginnen und in Intervallen von 2 — 3 Wochen auf maximal 3 x 200 mg p. d. zu steigern. Meist genügen 50 —100 mg zum Frühstück und Abendbrot, um bei leichten bis mittelschweren N I D D M eine gute Stoffwechselkontrolle zu erreichen.

7.5.1.5

Kombinationstherapie

Acarbose kann zur Glättung und Insulineinsparung sowohl bei I D D M als auch bei insulinpflichtigen N I D D M verwandt werden. Die praktisch wichtigste Kombination betrifft aber die mit anderen oralen Antidiabetika, wenn die Monotherapie nicht mehr ausreicht oder - seltener genutzt - um die Nebenwirkungen zu reduzieren oder komplementäre Wirkungen primär zu nutzen. Z u letzteren Möglichkeiten liegen jetzt erste kontrollierte Studien vor.

Sulfonylharnstoffe

und

Acarbose

Hierzu erfolgten mehrere kontrollierte Studien, die von Clissold und Edwards [2] und Willms [9] referiert wurden. In den Fällen mit unzureichender Glukosekontrolle unter Sulfonylharnstoffen, meist handelte es sich um Glibenclamid, konnte

7.5

Orale Antidiabetika

143

das H b A j um 1 — 2 Prozentpunkte reduziert und die Glykämielage um 10 — 20% gesenkt werden. In der Regel wird eine Dosis von 3 x 100 mg Acarbose zur maximalen Sulfonylharnstoffdosis gegeben. Interaktionen mit der Glibenclamidpharmakokinetik traten nicht auf. Nach Ansicht von Willms [9] ist bei älteren Diabetikern die Kombination von Acarbose mit Glibenclamid bei Entgleisung des Stoffwechsels neben der Intensivierung von Diät und physischer Konditionierung die letzte Chance, den Diabetes ohne Insulin zu führen. Wegen der langen Liste von Kontraindikationen scheidet M e t f o r m i n hier als Alternative weitgehend aus. Es liegt in der Logik der von uns vertretenen Konzeption der Therapie des N I D D M , d a ß wir f ü r die Z u k u n f t das umgekehrte Procedere, die Zugabe von Sulfonylharnstoffen bei unzureichender Effizienz von Acarbose als die sinnvolle Reihenfolge bei obesen N I D D M sehen. Die vorliegenden Erfahrungen zeigen, d a ß wie bei der Monotherapie, die Glykämie innerhalb weniger Tage nach Absetzen von Acarbose wieder das Ausgangsniveau erreicht. Metformin

und

Acarbose

Diese Kombination wurde in einer großen Studie in Kanada getestet, die eine ähnliche Effektivität wie die Kombination Acarbose — Sulfonylharnstoffe zeigte. Erstaunlicherweise waren die Nebenwirkungen, auch von Seiten des Gastroenteron, bei dieser Kombination nicht wesentlich häufiger als mit der Monotherapie. Insulin und

Acarbose

Bei insulinbehandelten N I D D M wird regelmäßig eine Verbesserung der Glykämielage und Einsparung von Insulin durch Z u g a b e von Acarbose erreicht. Acarbose ist vor allem dann von Nutzen, wenn durch Kombinationsinsulin bei älteren Patienten der postprandiale Blutzuckeranstieg nicht beherrscht werden kann. 7.5.1.6

Zusammenfassung

Die Alpha-Glucosidaseinhibitoren (Acarbose, Miglitol) führen zur verzögerten Freisetzung von Glukose aus Di- und Polysacchariden im D ü n n d a r m und damit zu einem flacheren und späteren Blutzuckeranstieg. Im weiteren k o m m t es zu Reduzierung des postprandialen Hyperinsulinismus und der Hypertriglyzeridämie, wahrscheinlich auch der Insulinresistenz. Acarbose hat sich als first-linedrug bei diätetisch nicht länger führbaren N I D D M bewährt. Weitere Indikationen sind die Kombinationsbehandlung bei Sulfonylharnstoffversagen, die Durchbrechung der Insulinresistenz durch Kombination mit M e t f o r m i n und die Insulineinsparung bei insulinpflichtigen N I D D M . Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Flatulenz und Diarrhoe am Anfang der Behandlung. Ernste Nebenwirkungen wurden bisher nicht beobachtet.

144

M. Hanefeld, U. Julius

Literatur [1] Caspary, C. W.: Inhibitors influencing carbohydrate absorption. In: W. Creutzfeldt, P. Lefebvre (eds.): Diabetes mellitus: Pathophysiology and Therapy, S. 172—196. Springer Verlag, Berlin 1988. [2] Clissold, S., C. Edwards: Acarbose. A preliminary review of its pharmacodynamic and pharmacokinetic properties and therapeutic potential. Drugs 35 (1988) 214 — 243. [3] Fölsch, U. R., B. Lembcke: Inhibition der intestinalen Alpha-Glukosidasen in der Therapie des Diabetes mellitus. Internist 32 (1991) 699 - 707. [4] Hanefeld, M., S. Fischer, J. Schulze et al.: Therapeutical potentials of acarbose as first-linedrug in non-insulin dependent diabetes insufficiently treated with diet alone. Diabets Care 14 (1991) 7 3 2 - 7 3 7 . [5] Hanefeld, M.: Acarbose monotherapy in non-insulin dependent diabetes mellitus — the german experience. In: P. Lefebvre, E. Standi, (eds.): New Aspects in Diabetes, S. 147. De Gruyter, Berlin 1992. [6] Lefebvre, P. J., A. J. Scheen: Update on the treatment of N I D D M . In: P. Lefebvre, E. Standi (eds.): New Aspects in Diabetes, S. 71. De Gruyter, Berlin 1992. [7] Nestel, P., J. Bazelmans, M . Reardon et al.: Lower triglyceride production during carbohydrate-rich diets through acarbose, a glycoside hydrolyse inhibitor. Diabet. Metab. 11 (1985) 3 1 6 - 3 1 7 . [8] Puls, W., U. Keup, H. P. Krause et al.: Glucosidase inhibition: a new approach to the treatment of diabetes, obesity and hyperlipoproteinemia. Naturwissenschaften 64 (1977) 536-537. [9] Willms, B.: Therapie des Typ-II-Diabetes - Alpha-Glukosidasehemmer (Acarbose). Akt. Endokr. Stoffw. 13 (1992) 5 1 - 5 6 .

7.5.2

M.

7.5.2.1

Biguanide

Hanefeld

Einleitung

Biguanide werden seit über drei Jahrzehnten für die orale Diabetestherapie eingesetzt [3], Metformin (Dimethylbiguanid) (Abb. 1) ist das einzige Biguanid, das in Deutschland zugelassen ist. Phenformin (Phenylaethylbiguanid) und Buformin (Butylbiguanid) wurden bereits 1978 in der Bundesrepublik aus dem Handel gezogen, da in den USA und Europa unter Phenformin eine Häufung von Todesfällen durch Laktazidosen beobachtet wurde. In der DDR war Buformin bis 1990 zugelassen. Der Anteil der Biguanide an der oralen Diabetestherapie war, bedingt durch Änderungen im Indikationsbereich und Entwicklungen in der pathophysiologischen Sicht des Diabetes, starken Schwankungen unterworfen. Diese Unterschiede gelten noch heute für Europa. So beträgt der Anteil als Monotherapie in den romanischen Ländern ca. 25%. In Frankreich ist Metformin das am häufigsten benutzte orale Antidiabetikum. Für Deutschland wird es nur als Kombinationspräparat mit Sulfonylharnstoffen empfohlen. Prinzipiell ist aber eine Monotherapie bei korrekter Indikationsstellung und Beachtung der Kontraindikationen zulässig.

NH

Abb. 1: Strukturformel von Metformin.

7.5.2.2 Klinische

Pharmakologie

Biguanide sind Substanzen, in denen zwei Guanidinmoleküle miteinander verbunden sind. Sie werden im Dünndarm resorbiert. Die Halbwertzeit für Metformin beträgt 2 — 4 Stunden. Es wird nicht verstoffwechselt, sondern unverändert durch die Nieren ausgeschieden. Deshalb ist eine intakte Nierenfunktion eine wesentliche Voraussetzung für eine sichere Therapie. Zwei zelluläre Mechanismen sind für potentielle Gefahren wichtig: Biguanide inhibieren die Zellatmung und stimulieren die anaerobe Glykolyse, wodurch die Laktatbildung ansteigt. Dies ist besonders kritisch, wenn hypoxische Zustände vorherrschen, z. B. bei fortgeschrittener Arteriosklerose und Herzinsuffizienz. Ein zentraler Angriffspunkt

146

M . H a n e f e l d , U. Julius

scheint die Verbesserung der Adenylzyklaseaktivitätshemmung endogenen Insulins via eines G-Proteins zu sein. Wesentlich für die Toxizität von Biguaniden ist die Bindung an lipophile Membranbestandteile und die damit verbundene Akkumulation in der Leber. Diese steigt in Abhängigkeit von der Länge der Kohlenwasserstoffseitenkette von Metformin über Buformin zum Phenformin steil an. Hierin liegt offensichtlich ein wesentlicher Grund für die geringe Toxizität von Metformin im Vergleich zu Phenformin [1, 8], 7.5.2.3

Wirkungsmecbanismus

Metformin wirkt wie Acarbose nur beim Diabetiker blutzuckersenkend, es ist also im engeren Sinne eine antihyperglykämische Substanz. Dabei greift das Medikament an mehreren Punkten des Glukosestoffwechsels ein [1, 11]. Der entscheidende Unterschied zu den Sulfonylharnstoffen besteht darin, daß es die Insulinsekretion nicht signifikant direkt beeinflußt, sondern ausschließlich extrapankreatisch wirkt. Seit langem war bekannt, daß unter der Biguanidbehandlung initial ein Gewichtsverlust von 2 —3 kg auftritt [3]. Als Grund dafür konnte eine milde anorexigene Wirkung nachgewiesen werden. Biguanide hemmen die intestinale Glukoseabsorption und verzögern die postprandiale Hyperglykämie, ohne daß dadurch eine Malabsorption entsteht. Die für Metformin wichtigsten antidiabetischen Wirkungen sind die Hemmung der hepatischen Glukoneogenese und die Steigerung der peripheren Glukoseutilisation in Muskulatur und Fettgewebe [1], Metformin verstärkt die Insulinwirkung auf den Glukosetransport von Muskelzellen und Adipozyten, ist also auf eine noch ausreichende Insulinsekretion angewiesen. So konnte nach Zugabe von Metformin die Aktivität der Tyrosinkinase als Schlüsselenzym der Insulinsignalübertragung bei diabetischen Ratten normalisiert werden. Der Einbau von Glukose in Glykogen in Rattenleberzellen steigt unter therapeutischen Dosen von Metformin. Klinisch relevant sind die Untersuchungsergebnisse von Jackson [9] bei N I D D M , daß die hepatische Glukoneogenese, wahrscheinlich über eine verbesserte Insulinwirkung, unter Metformin signifikant absinkt, was sich in einer besonders effektiven Korrektur der Nüchternhyperglykämie reflektiert. Wieweit es sich bei der Senkung der Triglyzeride und den therapeutischen Effekten auf Gerinnung und Fibrinolyse um direkte Wirkungen oder indirekte Folgen der verbesserten diabetischen Stoffwechsellage handelt, ist noch unklar. 7.5.2.4

Monotherapie

mit

Metformin

Auf Grund des Wirkungsmechanismus ist Metformin vor allem in den Frühphasen des N I D D M indiziert, da zu diesem Zeitpunkt die Patienten zumeist noch hyperinsulinämisch sind. Das gilt insbesondere für den adipösen Typ-IIb-Diabetiker. Im höheren Alter wird der Einsatz durch eine Vielzahl von Kontraindikationen limitiert, so daß Patienten über 70 Jahre de facto nicht in Betracht kommen. Die

7.5

Orale Antidiabetika

147

Tab. 1: Therapeutische Effekte von Metformin — Verbesserung der peripheren Insulinwirkung — Verbesserung der hepatischen Insulinwirkung und Reduzierung der Glukoneogenese — Hemmung der Glukoseabsorption im Dünndarm — Anorexigen — Triglyzeridsenkung — Erhöhung der Fibrinolyse (PAI j.) — Hemmung der Thrombozytenaggregation

zu erwartenden therapeutischen Effekte sind in Tab. 1 zusammengestellt. Besonders wirksam ist Metformin bei Patienten mit hohen Nüchternblutzuckern, wegen der eingangs beschriebenen Suppression der exzessiven hepatischen Glukoneogenese. In einer Zusammenstellung von Schernthaner [11] betrug die mittlere Senkung des Nüchternblutzuckers bei 15 kontrollierten Studien im Mittel 2 5 % . Allerdings waren die Fallzahlen teilweise klein und die Beobachtungszeit kurz, so daß langfristig die Glykämiesenkung bei oder unter 2 0 % liegen dürfte. Der mittlere HbA l c -Abfall betrug 1,5 Prozentpunkte. Dies entspricht in etwa den mit Sulfonylharnstoffen erreichten therapeutischen Effekten. Vorteilhaft ist die mit der anorexigenen Wirkung verbundene Gewichtsreduktion um 1 —3 kg [3]. Im Hinblick auf die Langzeitprognose sind die zusätzlichen Wirkungen auf das koronare Risikofaktorenprofil von Bedeutung (Tab. 1). In mehreren, aber nicht allen Studien, wurden die Triglyzeride signifikant gesenkt und das HDL-Cholesterol erhöht [11]. Verbunden damit war ein Abfall der Plasminogen-ActivatorInhibitor (PAI) Aktivität [12]. Dies bestätigt tierexperimentelle Ergebnisse über antithrombotische Eigenschaften von Metformin. Der Insulinspiegel wird durch Metformin kaum beeinflußt. Gerade zu den möglichen antiatherogenen Eigenschaften fehlen solide kontrollierte Langzeitstudien. Nach den vorliegenden Erkenntnissen tritt ein Sekundärversagen seltener als unter Sulfonylharnstoffen auf. Eine subtile Reevaluierung von Metformin, die jetzt anläuft, ist dringend erforderlich. Nebenwirkungen Die wichtigste Nebenwirkung (Tab. 2) ist die Laktazidose. Eine Laktazidose wird bei einem Laktat > 5 mmol/1 und pH Werten < 7,25 diagnostiziert. Allerdings wird die Gefährdung meist überschätzt. So betrug die Metformin assoziierte Mortalitätsrate in England von 1 9 7 6 - 1986 0,017/1000 Patienten) ahre, in Kanada sogar 0. Dagegen traten unter Phenformin in Schweden 0,30 und der Schweiz sogar 0,48 fatale Fälle pro 1000 Jahre auf. Warnsymptome sind Inappetenz, Erbrechen, Schwäche und Übelkeit. Die Letalität beträgt noch immer bis zu 5 0 % [11].

148

M. Hanefeld, U. Julius

Tab. 2. Nebenwirkungen von Metformin Magen-/Darmbeschwerden (Druck, Übelkeit, Erbrechen, Metallgeschmack, Durchfall) Inappetenz Laktazidose Hautallergien Blutbildungsstörungen

5 - 20% häufig sehr selten selten sehr selten

Die Behandlung besteht in Zufuhr von reichlich Flüssigkeit, Glukose und Insulin. Der Einsatz der Hämodialyse in schweren Fällen hilft Metformin und Laktat zu eliminieren. Gastrointestinale Nebenwirkungen sind relativ häufig. In 5 — 20% treten initial Appetitlosigkeit, Brechreiz, Bauchschmerzen und Durchfall auf [4]. Dies kann durch einschleichende Dosierung vermieden werden. In weniger als 5% muß deshalb das Medikament abgesetzt werden. Kontraindikationen Die Kontraindikationen (Tab. 3) betreffen vor allem alle Zustände von Hypoxie, die bei alten multimorbiden Patienten die Anwendung verbieten. Eine grundsätzliche Kontraindikation stellen auch der Alkoholismus und Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin > 140 |imol/l) dar. Gleiches gilt für Leberschädigungen. Die bekanntgewordenen Laktazidosen unter Metformin betreffen fast ausschließlich diesen Patientenkreis. Tab. 3: Kontraindikationen der Metformintherapie Alle hypoxischen Zustände — respiratische Insuffizienz — Herzinsuffizienz — arteriosklerotische ischämische Gefäßerkrankungen (IHK, PÄD, CVD) — Anämien Lebererkrankungen (außer Fettleber) Eingeschränkte Nierenfunktion [Kreatinin > 140 nmol/1 (1,4 mg/dl)] Hohes Alter Multimorbidität

7.5.2.5

Kombinationstherapie

Metformin

und

Sulfonylharnstoffe

Bereits 1958 war von Mehnert und Seitz [10] bei Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen nicht ausreichend zu kompensieren waren, die kombinierte Behandlung mit Biguaniden vorgeschlagen worden. Diese Behandlung ist bis heute weit

7.5

Orale Antidiabetika

149

verbreitet. Dennoch gibt es bislang nur wenige kontrollierte Studien [6], in denen die Effizienz gegenüber Insulin oder Insulin plus Sulfonylharnstoffe evaluiert wurde. Da beide Medikamente sich im Wirkungsmechanismus und den Angriffspunkten unterscheiden, ist eine Wirkungsverstärkung auch bei Sulfonylharnstoffversagen wahrscheinlich. Der umgekehrte Weg ist bisher kaum gegangen worden. Es ist unbekannt, ob die Wirkung lediglich additiv, synergistisch oder gar potenzierend ist. Auch die direkten Medikamenteninteraktionen wurden kaum analysiert. In einer prospektiven offenen Studie von 200 normalgewichtigen N I D D M mit Sulfonylharnstoffversagen waren 50% nach 3 Jahren noch erfolgreich mit Chlorpropamid plus Metformin eingestellt [2], Die Erfolgsquote (64,6%) war am höchsten in der Altersgruppe 60 — 74 Jahre. Extrapoliert man die Daten der wenigen kontrollierten Studien, so zeigt sich, daß die Kombination vor allem bei älteren nur mäßig unter Monotherapie entgleisten NIDDM wirksam ist. Die mittlere zusätzliche Nüchternblutzuckersenkung ist 18 — 40% [11]. In einer randomisierten Doppelblindstudie erreichte Hermann [7] mit der Zugabe von Metformin zu Glibenclamid eine zusätzliche HbA l c -Senkung von 29% nach 6 Monaten Therapie. Die umfangreichsten Untersuchungen wurden kürzlich von Haupt [5] vorgelegt. Bei 1833 konsekutiven Patienten, die trotz maximaler Sulfonylharnstofftherapie dekompensiert waren, konnte das HbAj von 11% auf 9,1% gesenkt werden. Gastrointestinale Beschwerden traten nach Metformin bei 7% auf, bei 4,2% mußte die Metformineinnahme wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Fundierte Aussagen über Nebenwirkungsquoten unter der Kombinationstherapie für das Gefäßsystem liegen nicht vor. Eine mögliche Indikation zur Kombinationstherapie ist die Reduktion der Nebenwirkungen der Monotherapie durch Dosisreduktion bei Kombination. Bei Sulfonylharnstoffversagen sollte unter Beachtung der Kontraindikationen schrittweise die maximale Metformindosis (2500 mg) gegeben werden. Liegen dennoch das HbA] > 8,5% und die C-Peptidwerte nach Glukagonstimulation unter 1,1 nmol/1, dann darf die Insulinierung nicht länger hinausgezögert werden. Wir möchten uns der Meinung Schernthaners anschließen, daß der Einsatz von Metformin bei Sulfonylharnstoffversagen, wenn die Insulinreserven oft schon erschöpft und die Patienten multimorbide sind, wesentlich gefährlicher und weniger sinnvoll ist als die frühzeitige Monotherapie mit Metformin. Metformin

und

Acarbose

Die ersten hierzu vorliegenden Ergebnisse sprechen dafür, daß diese Therapie ähnlich wirksam wie die Kombination Sulfonylharnstoffe plus Biguanide ist. Nutzen und Nebenwirkungen dieser Kombination müssen weiter evaluiert werden. Sie erscheint besonders aussichtsreich bei Insulinresistenz mit Hyperinsulinismus, die durch die jeweilige Monotherapie nicht ausreichend kompensierbar ist.

150

M . Hanefeld, U. Julius

Metformin

und, Insulin

Diese Kombination hat sich als wenig effektiv oder wirkungslos erwiesen und sollte nicht länger eingesetzt werden.

7.5.2.6

Zusammenfassung

Biguanide verbessern die periphere Insulinwirkung und hemmen die hepatische Glukoneogenese. Sie sind somit antihyperglykämische Substanzen, die besonders bei adipösen N I D D M mit Hyperinsulinismus und Hypertriglyzeridämie eingesetzt werden sollten, die einen hohen Nüchternblutzucker aufweisen. Wegen der zahlreichen Komplikationen ist die Anwendung bei multimorbiden alten N I D D M nicht zu empfehlen. Prinzipiell ist eine Monotherapie nach Ausschluß von Kontraindikationen nach Versagen der Diättherapie bei obesen N I D D M mit ausreichender Insulinreserve sinnvoll. Wegen der Gefahr von Laktazidose vor allem bei Nieren- und Leberkrankheiten sollten Kreatinin, Transaminasen und — bei entsprechenden Symptomen — Laktat mit überwacht werden. Die Kombination mit Sulfonylharnstoffen bei Versagen der Monotherapie hat sich bewährt. Für den Nutzen der Kombination mit Acarbose sprechen erste Ergebnisse kontrollierter Studien, der Einsatz bei insulinpflichtigen N I D D M ist nicht sinnvoll.

Literatur [1] Bailey, C. J.: Metformin revised: Its actions and indications for use. Diabet. Med. 5 (1988) 315-320. [2] Clarke, B. F., L. J . Duncan: Comparison of chlorpropamide and metformin treatment on weight and blood glucose response of uncontrolled obese diabetics. Lancet 1 (1968) 123 - 1 2 6 . [3] Haller, H., S. E. Strauzenberg: Orale Diabetestherapie. Thieme Verlag, Stuttgart 1966. [4] Gerich, J . T . : Oral hypoglycemic agents. New Engl. J . Med. 321 (1989) 1 2 3 1 - 1 2 4 5 . [5] Haupt, E., B. Knick, H. Koschinsky et al.: Oral antidiabetic combination therapy with sulfonylureas and metformin. Diab. Metab. 17 (1991) 224 — 231. [6] Hermann, L.: Biguanides and sulfonylureas as combination therapy in N I D D M . Diabetes Care 13 (suppl. 3) (1990) 3 7 - 4 2 . [7] Hermann, L., T. Kjellström, P. Nilson-Ehle: Effect of metformin and glibenclamide alone and in combination on serum lipids and lipoproteins in patients with non-insulin-dependent diabetes mellitus. Diab. Metab. 17 (1991) 1 7 4 - 1 7 9 . [8] Hermann, L. S.: Metformin. A review of its pharmacological properties and therapeutic use. Diab. Metab. 9 (1983) 1 4 8 - 1 6 3 . [9] Jackson, R. A., M . Hawa, J . Jaspan et al.: Mechanism of metformin action in non-insulindependent diabetes. Diabetes 36 (1987) 6 3 2 - 6 4 0 . [10] Mehnert, H.: Sulfonylharnstoffe oder Biguanide in der Behandlung des Typ 2 Diabetes. Deutsch. Med. Wschr. 114 (1989) 1 0 8 6 - 1 0 8 8 .

7.5 Orale Antidiabetika

151

[11] Schernthaner, G.: Kritische Analyse der antidiabetischen Therapie mit Metformin: Stoffwechselwirkungen, antiatherogene Effekte und Kontraindikationen. Akt. Endokr. Stoffw. 13 (1992) 4 4 - 5 0 . [12] Vague, P., J. Jühan-Vague, M . Alessi et al.: Metformin decreases the high plasminogen activator inhibition capacity, plasma insulin and triglyceride levels in non-diabetic obese subjects. Thromb. Haemost. 57 (1987) 3 2 6 - 3 2 8 .

7.5.3 Sulfonylharnstoffe U. Julius

7.5.3.1

Einleitung

Mit der Zufallsentdeckung von Janbon und Loubatieres im Jahre 1942, daß bestimmte Sulfonamide als Nebenwirkung einen hypoglykämisierenden Effekt haben, wurde die Ära der oralen Diabetestherapie zunächst tierexperimentell eingeleitet. Franke und Fuchs gebührt das Verdienst, die Sulfonylharnstoffe (SuH) im Jahre 1954 in die Behandlung des menschlichen Diabetes mellitus eingeführt zu haben. Umfassende klinische Untersuchungen mit dieser Präparategruppe erfolgten in den 50er/60er Jahren in Dresden (Haller und Strauzenberg 1966). Unter den verfügbaren Präparaten hat sich Glibenclamid am weitesten durchgesetzt, das 1967 erstmalig vorgestellt worden war. Der Anteil von Typ-II-Diabetikern, die SuH erhalten, wird meist mit über 40% angegeben. In der DiabetesInterventionsstudie wurde im Verlauf der Studie bzw. bei den Kontrollen als orales Antidiabetikum meist Glibenclamid (Maninil®) eingesetzt. Laut den Studienkriterien mußten die Patienten anfänglich rein diätetisch führbar sein. Während bei den Interventionspatienten nach 5 Jahren in 28,2 bzw. 34,0% (Gruppen mit und ohne Ciofibrinsäure) orale Antidiabetika zum Einsatz kamen, hatten zu diesem Zeitpunkt 47,4% der Kontrollpatienten diese Präparate verordnet bekommen. Interessanterweise war trotzdem bei den Kontrollpersonen die mittlere Glykämielage schlechter als bei den Interventionspatienten. Aus prinzipiellen Erkenntnissen zur Pathogenese des Typ-II-Diabetes leitet sich ab, daß es wünschenswert ist, den Anteil der SuH-behandelten Patienten zugunsten der nichtmedikamentösen Therapie bzw. von Antidiabetika mit anderem Wirkprofil zu senken. Insbesondere wird es als nicht zweckmäßig angesehen, einen schon vorhandenen Hyperinsulinismus mit Hilfe der SuH noch weiter zu stimulieren. 7.5.3.2

Wirkungsmechanismus

Die Hauptwirkung der SuH besteht in der Stimulierung der Insulinsekretion [12]. Die Synthese von Insulin wird offenbar nicht gesteigert. Es gibt keinen Beweis dafür, daß der Wirkungsmechanismus verschiedener Substanzen dieser Stoffgruppe unterschiedlich ist. An den insulinproduzierenden Beta-Zellen der Langerhans'schen Inseln des Pankreas wurden Sulfonylharnstoff-Rezeptoren gefunden. Die Reihenfolge der Bindungsstärke der SuH an diese Rezeptoren geht parallel ihrer Potenz zur Insulinfreisetzung. Die potentesten Vertreter der 2. Generation der SuH, Glibenclamid und Glipizid, werden in nanomolaren

7.5

Orale Antidiabetika

153

Konzentrationen an den Rezeptor gebunden [2]. SuH scheinen auf die zusätzliche Wirkung modulierender Faktoren angewiesen zu sein. An erster Stelle steht hier die Glukose, welche die insulinfreisetzende Wirkung des SuH potenziert. Experimentell konnten Hinweise auf extrapankreatische Wirkungen der SuH gewonnen werden. Diese Wirkungen haben jedoch keine klinische Relevanz. Beim Typ-I-Diabetiker sind SuH wirkungslos. Folgende Faktoren beeinflussen die Effektivität der SuH [9]: 1. Vorhandensein einer Insulineigenproduktion Die anfänglich erhöhte Insulinausschüttung nimmt im weiteren Verlauf über Jahre ab (siehe Kap. 3). 2. Dauer des Diabetes In der Regel kann nach der Manifestation die höchste Wirksamkeit bereits kleiner Dosen von SuH erwartet werden. 3. Begleiterkrankungen Begleiterkrankungen können die periphere Insulinresistenz so steigern, daß SuH praktisch unwirksam sind. 4. Begleitmedikation Bei mit Glibenclamid behandelten Typ-II-Diabetikern verschlechterte sich unter Propranolol-Medikation die Glukosetoleranz (geprüft im 75 g oralen Glukosetoleranztest), die Insulinspiegel nahmen ab. Oft werden orale Antidiabetika zu früh (wenn noch nicht alle Möglichkeiten der nicht-medikamentösen Therapie ausgeschöpft sind) eingesetzt und zu spät (wenn ihre Effektivität nicht mehr gegeben ist) abgesetzt [11]. 7.5.3.3

Pharmakokinetik

Die auf dem Markt befindlichen SuH-Präparate (Abb. 1) unterscheiden sich in folgender Hinsicht: — — — — —

Bioverfügbarkeit Einzusetzende Dosis Halbwertszeit Wirkungsstärke Abbau, Ausscheidung.

Glibenclamid hat sich als das effektivste Präparat erwiesen. Es kann in sehr niedrigen Dosen (bei Präparaten mit guter Bioverfügbarkeit) eingesetzt werden.

Substanz

Übliche Dosis

Präparate

Glibenclamid

1 , 7 5 - 1 0 , 5 mg

Daonil, Euglucon N, Maninil

C1 CO - NH - (CH 2 ) 2

S 0 2 - NH - CO - NH

OCH 3 Glibornurid

Glutril, Gluborid

1 2 , 5 - 7 5 mg

H3C

CH 3 ,CH,

OH H 3 C - Q - SO3-NH-CO-NH Glipizid

5 - 3 0 mg

Glibenese

N CH3^Ö)-C0-NH-(CH2)2H(0>N Gliquidon

1 5 - 9 0 mg

O 11 S02-NH-C-NH-

Glurenorm

SO2-NH-CO-NH

Glisoxepid

2 - 1 2 mg

Pro-Diaban

H3C CO - NH - ( C H 2 ) 2 - ^ ~ V - S 0 2 - NH - CO

Tolbutamid

0,5 - 1,5 g H3C

Gliclazide

Rastinon, Orabet S 0 2 - NH - CO - NH - (CH 2 ) 3 - CH 3

40 — 240 mg

Diamicron O

V

CH 2 /

CH 3 - ( 5 ) " S 0 2 - N H - C - N H - N \ CH 2

Abb. 1: Auswahl verfügbarer SuH-Präparate.

CH 2 CH^ \ I CH 2 CH^ / CH 2

- o

7.5

O r a l e Antidiabetika

155

Die Plasma-Bindung von Glibenclamid an Albumin (zu 9 0 - 9 9 % ) erfolgt über nicht-ionische Kräfte. Glibenclamid wird fast vollständig in der Leber zu Hydroxy-Derivaten umgewandelt. Eine blutglukosesenkende Wirkung wurde auch für die Hauptmetaboliten nachgewiesen, jedoch ist sie 5 — 1 0 mal schwächer. Unverändert werden etwa nur 4 — 6 % mit den Fäzes ausgeschieden. Die Elimination der Metaboliten erfolgt zu etwa 5 0 % über die Galle mit den Fäzes und zu 5 0 % über die Nieren mit dem Urin. Die Halbwertszeit von Glibenclamid wird mit 6—12 Stunden (im Mittel 10 Stunden) angegeben [8], allerdings könnten bei Langzeit-Anwendung teils wohl auch längere Eliminations-Halbwertszeiten vorliegen. Das Wirkungsmaximum wird nach 3 — 5 Stunden erreicht. Bei niereninsuffizienten Patienten erfolgt in Abhängigkeit vom Grad der renalen Ausscheidungsstörung eine verstärkte Exkretion der Metaboliten über die Galle. Für ältere Diabetiker und Patienten mit besonderer Hypoglykämiegefährdung (siehe Nebenwirkungen der SuH) ist dagegen ein Präparat mit kürzerer Halbwertszeit, z. B. Tolbutamid oder Glibornurid, zu empfehlen. 7.5.3.4

Monotherapie

Indikationen

mit SuH

zum Einsatz der SuH

SuH sind beim Typ-II-Diabetes indiziert, wenn • •

Diät und Muskelkonditionierung allein nicht mehr ausreichen vorher eine Minderung des häufigen Übergewichts und eine Regelung der Lebensweise erreicht wurden



keine akute oder chronische Zweiterkrankung vorliegt und keine Operation absehbar ist (die einen negativen Effekt auf den Stoffwechsel haben können)



eine regelmäßige Nahrungsaufnahme gesichert ist.

Die generelle Einstellung muß sein: Zurückhaltung mit SUH-Therapie, solange die nicht-medikamentösen Maßnahmen nicht ausgeschöpft sind und noch ein Hyperinsulinismus besteht. Es gibt keine Blutglukosekonzentration, bei deren Überschreiten die Verordnung von SuH zwingend notwendig erscheint. So ist es durch Einleitung einer Diättherapie bei Manifestation des Typ-II-Diabetes durchaus möglich, auch relativ hohe Blutglukosespiegel abzusenken. Bei einem sehr niedrigen Insulinbedarf bei Typ-II-Diabetikern kann eine Umstellung auf Glibenclamid durchaus erfolgreich sein [13]. Durch Glibenclamid wird die Blutglukose im Verlaufe von Wochen abgesenkt (Abb. 2). Mit einer gewissen Verzögerung kommt es auch zum Absinken des glykosylierten Hämoglobins (Abb. 3).

156

M . Hanefeld, U. Julius 13

-2

Z (1) I

Lmg/dl]

• Glibenclamid (n = 29)

[mmol/l]

220

200

11

180

10

\

postprandial

\

160

140 nüchtern 120

J -2/-4

0

L

J

8 12 Wochen

16

L 20

24

Abb. 2: Blutglukoseverlauf (nüchtern und postprandial) von Typ-II-Diabetikern 24wöchiger Gilbenclamid-Behandlung (modifiziert nach [15]).

12

unter

-

Glibenclamid (n = 29)

s IS

\

10 \

\

\

•c 9 h

-

8

-

-2/-4

0

4

8 12 Wochen

16

20

24

Abb. 3: HbA r Verlauf von Typ-II-Diabetikern unter 24wöchiger Glibenclamid-Behandlung (modifiziert nach [15]).

7.5

Orale Antidiabetika

157

Kontraindikationen — — — — — — —

Typ-I-Diabetes mellitus (fehlende Insulineigenproduktion) Gravidität, Stillperiode akute Ketoazidose, Praecoma, Coma diabeticum Stoffwechseldekompensationen im Verlaufe von Infektionskrankheiten bekannte Überempfindlichkeit gegenüber SuH bzw. Sulfonamiden schwerere Organinsuffizienzen (z. B. der Leber, der Nieren) größere Operationen.

Relative

Kontraindikationen

— Hirnleistungsstörungen (z. B. Zerebralsklerose, Demenz) — hochfieberhafte Infekte — Unzuverlässigkeit des Patienten im Hinblick auf die Nahrungsaufnahme, z. B. im höheren Lebensalter oder bei Alkoholismus — SuH-induzierte Hypoglykämien in der Anamnese. Praktisches

Vorgehen

Ersteinstellung: Der Beginn der Behandlung erfolgt mit Vi bis 1 Tablette Glibenclamid 1,75 vor dem Frühstück. Diese Dosis wird einige Tage beibehalten. Nach 3 — 5 Tagen erfolgt eine Stoffwechselkontrolle (in der Regel ambulant). Falls erforderlich, wird die Dosis um jeweils Vi — 1 Tablette Glibenclamid 1,75 bis zur Optimierung der Stoffwechsellage gesteigert. Auf keinen Fall sollte diese Steigerung aber zu rasch erfolgen, da der maximale Effekt erst nach Wochen zu erwarten ist. Bei Tagesdosen von 2 Tabletten Glibenclamid 1,75 oder mehr ist auch eine Anwendung von Glibenclamid 3,5 möglich. Glibenclamid wird unzerkaut mit Flüssigkeit eingenommen. Tagesdosen bis zu 2 Tabletten werden einmalig bis 30 Minuten vor dem Frühstück appliziert. Bei Verordnung von mehr als 2 Tabletten sind 2 Tabletten vor dem Frühstück und der Rest bis 30 Minuten vor dem Abendessen einzunehmen. Eventuell ist auch die Einnahme einer Teildosis vor dem Mittagessen möglich. Die termingerechte Einnahme ist wichtig! Vergessene Tabletten sollten nach mehr als 1 — 2 Stunden nicht mehr eingenommen werden. In der Ein- oder Umstellungsphase kann das Reaktionsvermögen und damit auch die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt werden. Langzeitanwendung-. Die jeweils minimale und gleichzeitig effektive Dosis ist als Erhaltungsdosis (meist etwa 3,5 bis 7 mg täglich) geeignet. Im allgemeinen wird das Wirkungsmaximum mit täglich 3 Tabletten Glibenclamid 3,5 erreicht, mehr Tabletten sollten also nicht eingesetzt werden.

158

M . Hanefeld, U. Julius

Folgende Hinweise sollten beachtet werden: — Wenn bei einem mit einem SuH-Präparat behandelten Diabetiker die orale Nahrungsaufnahme nicht möglich ist, bedarf er ganz kurzfristig ärztlicher Beratung und Behandlung. — Bei besonderer Belastung (z. B. Unfälle, Operationen, hochfieberhafte Infekte) kann eine zeitweilige Umstellung auf Insulin erforderlich sein. — Durch Alkohol kann die Wirkung der SuH verstärkt werden (Hypoglykämie); chronischer Alkoholismus kann zur Verschlechterung der Stoffwechsellage führen (Hyperglykämie). Die erlaubte Alkoholmenge ist mit dem Patienten zu vereinbaren. Therapieziel: Bei jüngeren und kooperativen Patienten sollten unter der SuHTherapie Nüchtern-Blutglukose-Konzentrationen unter 6 mmol/1 (110 mg/dl) und postprandiale Blutglukose-Spiegel unter 11 mmol/1 (200 mg/dl) sowie Hämoglobin Al c -Konzentrationen unter 6% angestrebt werden. Bei älteren Patienten ist eine straffe Stoffwechselführung oft nicht möglich und auch nicht zweckmäßig. Hier besteht wegen veränderter Elimination und unzuverlässiger Nahrungsaufnahme Hypoglykämiegefahr. In jedem solchen Einzelfall muß geprüft werden, ob bei hohen postprandialen Blutglukose-Werten (etwa über 15 mmol/1 entsprechend 270 mg/dl) nicht doch besser eine Insulintherapie die orale Diabetestherapie ergänzen bzw. ablösen sollte. Auslaßversuche: Wenn der Nüchtern-Blutglukosespiegel während der Behandlung mit Glibenclamid normalisiert wird, ist eventuell die Durchführung eines Tablettenauslaßversuches sinnvoll. Präparatewechsel: Innerhalb der Gruppe der SuH hat ein Präparatewechsel nur von einem schwächer wirksamen Präparat zu Glibenclamid einen gewissen Sinn. Nebenwirkungen

der SuH

Folgende relevante Nebenwirkungen wurden unter Glibenclamid beobachtet: — hypoglykämische Reaktionen — gastrointestinale Störungen — allergische Hautreaktionen. Die Hypoglykämie ist die in der Praxis wichtigste Nebenwirkung, die nach Literaturangaben bei über 1% der Behandelten auftreten kann. Systematische Untersuchungen belegen, daß symptomlose Hypoglykämien offenbar wesentlich häufiger sind. Faktoren, die das Auftreten von Hypoglykämien begünstigen können, sind: — fehlende Nahrungszufuhr (zu wenig Kohlenhydrate) — nicht kompensierte Störungen des endokrinen Systems (z. B. Nebennierenrindeninsuffizienz)

7.5

Orale Antidiabetika

159

— extreme körperliche Anstrengung — eingeschränkte Nierenfunktion — Alkoholaufnahme. Zwischen 1971 und 1982 wurde in Schweden über 57 Fälle von Glibenclamidinduzierter Hypoglykämie bei älteren Patienten in über 300 000 Patienten-Jahren berichtet. In 24 Fällen war die Hypoglykämie protrahiert ( 1 2 - 7 2 Stunden), 10 Patienten starben. In der Schweiz wurde in einer Zehn-Jahres-Beobachtungsperiode umgerechnet auf 100000 Patienten-Jahre folgende „Risikoreihenfolge" von Hypoglykämien ermittelt: Glibenclamid 38, Chlorpropamid 34, Glipizid 15, Glibornurid 9, Karbutamid 8, Tolbutamid 7. Bei 25% der Patienten fanden sich akute Infektionen, die für eine ungenügende Nahrungsaufnahme verantwortlich gewesen sein können. Von den chronischen Begleiterkrankungen ist vor allem die bei nicht weniger als 21% vorliegende Niereninsuffizienz beachtenswert. Klinische Anzeichen einer Hypoglykämie sind Heißhunger, aber auch mangelhafte Konzentrationsfähigkeit, akuter, oft schleichender Leistungsabfall, Schweißausbruch, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Nervosität, Verwirrtheitszustände bis hin zu Bewußtlosigkeit und Krämpfen. Therapie der Hypoglykämie: Leichte Hypoglykämien bekämpft der Patient selbst mit der Zufuhr von oraler Glukose in Tee oder von Fruchtsaft. Darüber muß er unbedingt detailliert belehrt werden. Mit Glibenclamid behandelte Diabetiker müssen stets einige Stücke Trauben- oder Würfelzucker bei sich tragen. Im Notfall sollte die Benachrichtigung eines Arztes durch vorinformierte Personen gesichert sein. Beim Bewußtseinsverlust ist die intravenöse Applikation von Glukose, möglichst zunächst als Bolus (z. B. 50 g Glukose in Form von 20% oder 40%iger Lösung) und anschließend als Dauerinfusion, erforderlich, bis der Patient wieder mit oraler Kohlenhydratzufuhr stabilisiert werden kann. Erforderlichenfalls kann Glucagon iv., sc. oder im. appliziert werden. Die Nachbeobachtungsperiode sollte nicht zu kurz gewählt und muß häufig mit stationärer Überwachung gekoppelt werden. Beim älteren Patienten (über 70 Jahre) ist die Hypoglykämie eine besonders gefährliche Komplikation und wurde auch bei relativ niedrigen Dosen des Präparates beobachtet. Eine vorbestehende vaskuläre oder degenerative zerebrale Insuffizienz kann dies einerseits maskieren, andererseits aber auch durch sie verschlechtert werden. Dazu kommt noch, daß die physiologischen Gegenregulationsmechanismen im Alter abstumpfen. Sehr selten auftretende Nebenwirkungen sind: Blut, blutbildendes System: Thrombozytopsenien; Nervensystem: Paraesthesien, Optikusatrophie; Alkoholintoleranz.

160

M . Hanefeld, U. Julius

SuH-Versagen Bei von Anfang an nicht zu erreichender optimaler Einstellung unter Glibenclamid, dem sogenannten Primärversagen, besteht der Verdacht auf eine ungenügende Insulinbereitstellung durch das Pankreas. Sekundärversagen: Ein Sekundärversagen liegt vor, wenn nach mindestens 3monatiger guter Stoffwechseleinstellung eine zunehmende Verschlechterung der Stoffwechsellage trotz Diät und optimaler Dosierung der SuH mit anhaltender Entgleisung der mittleren postprandialen Blutzucker über 11 mmol/1 (200 mg/dl) auftritt. Da Glibenclamid das potenteste blutzuckersenkende SulfonylharnstoffDerivat ist, kann erst bei seinem erfolglosen Einsatz vom „Sekundärversagen" gesprochen werden. Die Quote der Sekundärversager wird mit jährlich 5 —10% angegeben, jedoch sind in früheren Auswertungen auch Patienten enthalten gewesen, die nach heutigen Vorstellungen nicht für eine orale antidiabetische Therapie geeignet waren. Beim Sekundärversagen sind zunächst alle Möglichkeiten einer Verbesserung der nicht-medikamentösen Diabetes-Therapie (Diät, Gewichtsreduktion, Muskeltraining) auszuschöpfen. Dies ist umso bedeutungsvoller, da das Versagen oft nicht ein Versagen der SuH als solche darstellt, sondern Fehlern der Patienten angelastet werden muß („Sekundärversagen" bei SuH-Therapie). Bei Fehlen von Kontraindikationen gegen Biguanide (dies muß sorgfältig geprüft werden!) kann eine Kombination mit einem Präparat dieser Gruppe (Metformin) zur Stoffwechselverbesserung führen. Auch eine Kombination mit einem a-Glucosidasehemmer (z. B. Acarbose) ist möglich. Bei ungenügender Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist eine Insulintherapie, heutzutage von einigen Autoren bevorzugt als Kombinationstherapie mit Glibenclamid, einzuleiten. 7.5.3.5 Kombination

Kombinationstherapie mit Insulin

Auch bei der Kombination von SuH mit Insulininjektionen [10, 13] ist das NochVorhandensein einer endogenen Insulinsekretion eine wichtige Voraussetzung. Folgende Indikationen sind möglich: 1. Typ-II-Diabetiker, die mit Insulin-Monotherapie unbefriedigend zu führen sind, was nicht auf Diätfehler, Begleiterkrankungen oder eine weitgehend fehlende endogene Insulinsekretion zu beziehen ist. Bei technischer Unmöglichkeit der Durchführung einer eigentlich erforderlichen zweiten täglichen

7.5

Orale Antidiabetika

161

Insulin-Injektion kann eventuell eine einmalige Injektion mit einer oralen SUHTherapie kombiniert werden (psychosoziale Indikation). 2. SuH-Sekundärversager, bei denen die SuH-Therapie belassen werden kann und durch eine zusätzliche Insulin-Injektionsbehandlung ergänzt wird. Kombination

mit Biguaniden

oder

Alpha-Glucosidase-Hemmern

Wegen der unterschiedlichen Wirkungsmechanismen kann eine Kombination dieser Präparate mit Glibenclamid durchaus sinnvoll sein. Wechselwirkungen

mit anderen

Pharmaka

Bei gleichzeitiger Gabe eines SuH und anderer Medikamente sind sowohl unerwünschte Blutglukosesenkungen als auch -erhöhungen beschrieben worden. Die Praxisrelevanz einiger dieser Angaben ist allerdings nicht besonders groß. Glibenclamid kann bei Patienten, die unter Antikoagulantien stehen, eingesetzt werden. Betablocker könnten die Reaktion des Organismus auf eine Blutglukoseabsenkung beeinträchtigen. 7.5.3.6

Zusammenfassung

Bei Dekompensation des Stoffwechsels (Anstieg der Blutglukose) unter Diättherapie und trotz Gewichtsreduktion kann die Stimulation der Insulineigenproduktion mit Sulfonylharnstoffen sinnvoll sein. Das ist besonders zutreffend, wenn die Insulinsekretion zunehmend nachläßt. Unter den Sulfonylharnstoff-Präparaten hat sich Glibenclamid als das wirksamste erwiesen. Es sollte möglichst niedrig dosiert werden. Wichtig ist — vor allem bei älteren Diabetikern —, auf die Vermeidung von Hypoglykämien zu achten. Man sollte bei Versagen der oralen Therapie nicht zu lange mit dem Beginn einer Insulintherapie (möglichst als Kombinationstherapie Sulfonylharnstoff — Insulin) warten. Literatur [1] Althoff, P. H.: Das Sulfonylharnstoff-Sekundärversagen - Definition und Therapie. In: NOVO Industrie GmbH, Pharmaceutika Med.-wiss.-Abteilung, Neue Aspekte des Typ-IiDiabetes, S. 117—125. Berichtsband über den Workshop am 14. und 15. September 1987 in Leipzig. [2] Ammon, H. P. T.: Molekularer Wirkungsmechanismus der Sulfonylharnstoffe. Dtsch. med. Wschr. 113 (1988) 8 6 4 - 8 7 0 . [3] Beck-Nielsen, H.: Treatment of NIDDM patients with peroral antidiabetic drugs — sulfonylureas, biguanides and new pharmacological approaches —. In: C. E. Mogensen, E. Standl: Pharmacology of Diabetes. Present Practice and Future Perspectives, S. 75 — 92. Walter de Gruyter, Berlin, New York 1991. [4] Gerich, J. E.: Oral Hypoglycemic Agents. New England Journal of Medicine 321 (1989) 1231-1242. [5] Haller, H., S. E. Strauzenberg: Orale Diabetestherapie. Thieme-Verlag, Leipzig 1966.

162

M . Hanefeld, U. Julius

[6] Hanefeld, M . , S. Fischer, H. Schmechel et al.: Diabetes Intervention Study. Multi-Intervention Trial in Newly Diagnosed N I D D M . Diabetes Care 14 (1991) 3 0 8 - 3 1 7 . [7] Holman, R . R., R. C. Turner: Oral Agents and Insulin in the Treatment of Non-InsulinDependent Diabetes Mellitus. In: J . Pickup, G. Williams: Textbook of Diabetes, S. 4 6 2 - 4 7 6 . Blackwell Scientific Publications, Oxford, London 1991. [8] Jackson, J . E., R. Bressler: Clinical pharmacology of sulphonylurea hypoglycaemic agents. Part 1. Drugs 22 (1981) 2 1 1 - 2 4 5 . [9] Julius, U.: Indikationen und Kontraindikationen der Sulfonylharnstoffe. In: N O V O Industrie GmbH, Pharmaceutika Med.-wiss.-Abteilung, Neue Aspekte des Typ-II-Diabetes, S. 99 — 109. Berichtsband über den Workshop am 14. und 15. September 1987 in Leipzig. [10] Lötz, N., W. Bachmann, H. Mehnert et al.: Combining insulin with oral antidiabetic agents (including problems of secondary failure). In: C. E. Mogensen, E. Standi: Pharmacology of Diabetes. Present Practice and Future Perspectives, S. 113 —133. Walter de Gruyter, Berlin, New York 1991. [11] Mehnert, H.: Differentialtherapie mit oralen Antidiabetika. Medizinische Klinik 86 (1991) 521-525. [12] Melander, A.: Clinical pharmacology of sulfonylureas. Metabolism 36 (1987) Suppl. 1, 12-16. [13] Mezitis, N. E. E., S. Heshka, V. Saitas et al.: Combination therapy for N I D D M with biosynthetic human insulin and glyburide. Diabetes Care 15 (1992) 265 — 269. [14] Ratzmann, K. P.: Das sekundäre Sulfonylharnstoff-Versagen. Dtsch. med. Wschr. 115 (1990) 1404-1407. [15] Spengler, M . , G. Hansel, K. Boehme: Acarbose und Glibenclamid bei Typ-II-Diabetes. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 66 (1990) 3 - 1 5 .

7.5.4

Anorektika

U. Julius

7.5.4.1

Definition der

Anorektika

Anorektika (Appetitszügler) sollen durch Verminderung des Hungergefühls die Menge der aufgenommenen Nahrung herabsetzen und damit zur Gewichtsreduktion beitragen. Wie bereits ausgeführt (Kap. 7.2), besitzt die Beseitigung des Übergewichtes bei Typ-II-Diabetes eine hohe Priorität für die Diabetesführung und Risikofaktorenkontrolle. Die über längere Zeit hauptsächlich eingesetzten Anorektika waren Amphetaminähnliche Substanzen, deren Verwendung wegen ihrer Nebenwirkungen und begrenzten Effektivität jetzt nicht mehr empfohlen werden kann. Von gewisser Bedeutung ist jedoch Fenfluramin, das auch dem Amphetamin chemisch ähnlich ist, aber keinen zentral stimulierenden Effekt besitzt. Fenfluramin repräsentiert eine racemische Mischung aus D- und L-Stereoisomeren. Die rechtsdrehende D-Form (Dexfenfluramin, Präparat: Isomeride®) hat sich als die wirksame (Serotoninagonist) und nebenwirkungsärmere Komponente erwiesen [1, 3]. Diese Substanz hat dadurch besonderes Interesse gewonnen, daß sie auch unabhängig von der Gewichtsreduktion direkte positive Effekte auf die Insulinsensitivität bei adipösen Typ-II-Diabetikern auslöst. 7.5.4.2

Wirkung

Dexfenfluramin vermindert das Hungergefühl, verlängert postprandial die Zeit bis zum Auftreten von Hunger und führt zur Verringerung der Nahrungsenergieaufnahme. Die Substanz wurde gegen Plazebo getestet und induzierte eine im Mittel größere Gewichtsreduktion [1, 2, 6]. Gewichtsverluste von ca. 3 kg in einem Monat und von 7 kg in 3 Monaten wurden beschrieben, ohne daß sich die Patienten einer zusätzlichen Änderung ihrer Lebensweise bewußt waren. Stets erfolgten ausführliche Diätunterweisungen, die Patienten wurden regelmäßig betreut. In der internationalen Multicenter-Studie [2] war (bei einjähriger Anwendung von Dexfenfluramin) die durchschnittliche leichte Gewichtszunahme im Zeitraum nach 6 Monaten bis zu 1 Jahr im Vergleich zur Plazebogruppe geringer. Interessant sind experimentelle Ergebnisse bei Tier und Mensch, die auf eine Umstellung des Eßverhaltens (Verringerung der Kohlenhydratzufuhr und Ab-

164

M . Hanefeld, U. Julius

nähme von impulsiven Eßanfällen) hinweisen. Dexfenfluramin verhinderte in einer Studie eine initiale Dysphorie nach Aufhören mit Rauchen [7]. Dabei trat bei diesen Patienten im Gegensatz zur Plazebogruppe eine Gewichtsabnahme auf, es wurden weniger Kohlenhydrate verzehrt. Dexfenfluramin hatte einen positiven Effekt bei Frauen mit prämenstruellem Syndrom (Spannung, Müdigkeit etc.). Auch hier wurde die in dieser Phase überreichliche Kohlenhydratzufuhr gebremst [8],

Bei nicht optimal kompensierten Typ-II-Diabetikern senkte Fenfluramin [4] den Blutglukosespiegel und verbesserte die Insulinempfindlichkeit, ohne die Insulinsekretion zu beeinträchtigen. Bereits nach einer einwöchigen, plazebokontrollierten Anwendung von Dexfenfluramin [5] konnte mittels Clamp-Untersuchungen bei übergewichtigen Typ-II-Diabetikern eine Senkung der Blutglukose und der freien Fettsäuren trotz Gewichtskonstanz nachgewiesen werden. Dabei nahm der Glukoseabstrom zu. Letzteres war bei parallel untersuchten adipösen Normalpersonen (ohne Diabetes) nicht zu beobachten.

7.5.4.3 Indikation

und

Therapie

Es ist noch nicht möglich festzulegen, welche adipösen Patienten am meisten von Dexfenfluramin profitieren könnten. Sein Einsatz sollte jedoch nur bei den Patienten erfolgen, die metabolische, degenerative oder kardiorespiratorische Folgen ihrer Adipositas haben. Damit kann die Anwendung bei Typ-II-Diabetikern als unter bestimmten Umständen sinnvoll eingeschätzt werden. Es ist denkbar, daß die Substanz als first-line-drug bei leichtem Typ-II-Diabetes mit Adipositas betrachtet werden kann, wenn rein diätetisch eine ausreichende Stoffwechselkompensation nicht erreicht wurde. Denkbare Indikationen zum Einsatz von Dexfenfluramin sind: 1. Gegenüber nicht-medikamentöser Therapie resistente Adipositas mit Komplikationen (z. B. Typ-II-Diabetes) 2. Verhinderung einer Gewichtszunahme nach Beendigung von Rauchen 3. Frauen mit ausgeprägten prämenstruellen Beschwerden und Eßverhaltensstörungen (im Rahmen von Gewichtskontrollprogrammen) 4. Nachbehandlung nach Teilfasten zur Verhinderung des erneuten Gewichtsanstieges 5. Adipositas mit zwanghafter Hyperphagie, eventuell streßinduziert. •

Prinzipiell ersetzt diese Pharmakotherapie nicht diätetische Bemühungen!

Dexfenfluramin kann entsprechend dem jetzigen Wissensstand über Monate bis zu einem Jahr verordnet werden. Die tägliche Dosis beträgt 15 —30 mg ( l x l bzw. 2 x 1 Tablette).

7.5

Orale Antidiabetika

165

Nebenwirkungen Wesentliche Nebenwirkungen sind: Müdigkeit, Diarrhoe, Mundtrockenheit, Polyurie, Schläfrigkeit. Weiterhin waren selten Schlafstörungen, Sehstörungen, Hypotension, Impotenz, Libidoverlust, Hautausschläge, Blutveränderungen und eine pulmonale Hypertension beschrieben worden.

Kontraindikationen Das Präparat sollte bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen nur mit Vorsicht eingesetzt werden, es ist in der Schwangerschaft und bei renaler oder hepatischer Funktionsstörung, bei Vorliegen eines Glaukoms, bei psychiatrischer Erkrankung (auch Alkoholismus) kontraindiziert.

Komedikation Monoaminooxidase-Hemmer müssen mehrere Wochen vor Dexfenfluramin-Anwendung abgesetzt werden. Dexfenfluramin kann die Wirkungen von Sedativa, von Anthihypertensiva und Sulfonylharnstoffen und die hypotensiven Effekte trizyklischer Antidepressiva verstärken.

7.5.4.4

Zusammenfassung

Der Serotoninagonist Dexfenfluramin kann bei leichtem Typ-II-Diabetes mit Adipositas zur Blutglukosesenkung und Gewichtsreduktion beitragen. Besonders in kritischen Phasen (Entgleisung des diätetisch geführten Diabetes, Aufhören mit Rauchen, Stabilisierung des Effektes einer Fastenkur) sollte unter Beachtung der Kontraindikationen an das Präparat gedacht werden. Nach dem heutigen Wissensstand ist die Therapie nicht über ein Jahr hinaus durchzuführen.

Literatur [1] Editorial: Dexfenfluramine. Lancet 337 (1991) 1 3 1 5 - 1 3 1 6 . [2] Guy-Grand, B., G. Crepaldi, P. Lefebvre et al.: International trial of long-term dexfenfluramine in obesity. Lancet II (1989) 1 1 4 2 - 1 9 9 0 . [3] Lehnert, H., J. Beyer, H. K. Biesalski etal.: Bedeutung des zentralnervösen serotoninergen Systems für die Pathogenese der Adipositas. Akt. Ernährungsmedizin 16 (1991) 232 — 240. [4] Pesteil, R. G., P. A. Crock, G. M. Ward et al.: Fenfluramine increases insulin action in patients with NIDDM. Diabetes Care 12 (1989) 2 5 2 - 2 5 8 . [5] Scheen, A. J., G. Paolisso, T. Salvatore et al.: Improvement of insulin-induced glucose disposal in obese patients with NIDDM after 1-wk treatment with d-fenfluramine. Diabetes Care 14 (1991) 3 2 5 - 3 3 2 . [6] Schmiilling, R.-M., D. Luft, U. Arnold et al.: Gruppentherapie bei Adipositias: Wirkung einer adjuvanten Pharmakotherapie mit Dexfenfluramin. Akt. Ernähr. 14 (1989) 221—224. [7] Spring, B.: Smoking withdrawal, eating behaviors, body-weight control and dexfenfluramine treatment. Abstrakt. In: Overweight and dexfenfluramine: a perspective for the 90's. International symposium organized on the occasion of the Illrd European congress on Obesity

166

M . Hanefeld, U. Julius

(EASO) by the Institut de Recherches Internationales Servier and Ardix Médical, France, Nice, May 3 0 - J u n e 1, 1991. [8] Wurtman, J., A. Brzezinski, R. Wurtman et al.: Premenstrual syndrome, eating behavior, body weight control and dexfenfluramine treatment. Abstrakt. In: Overweight and dexfenfluramine: a perspective for the 90's. International symposium organized on the occasion of the Illrd European congress on Obesity (EASO) by the Institut de Recherches Internationales Servier and Ardix Médical, France, Nice, May 30 —June 1, 1991.

7.5.5

Ballaststoffe

U. Julius

7.5.5.1

Definition

Ballaststoffe sind (fast ausschließlich pflanzliche) Nahrungsbestandteile, die der Hydrolyse durch die Verdauungsenzyme entgehen und damit im Dünndarm nicht resorbiert werden. Folgende Stoffgruppen werden u. a. dazu gerechnet: — — — — — — — —

Zellulose, Hemizellulosen Lignin Pektinstoffe Exsudate und Schleimstoffe Stärke Verschiedene Polysaccharide Nicht resorbierbare Di- und Oligosaccharide Laktose

Es handelt sich also vorwiegend um Gerüst- und Stützsubstanzen von Pflanzenzellen. Stärke und Laktose werden zwar prinzipiell aufgespalten, erreichen aber teilweise doch den Dickdarm. Man unterscheidet lösliche und unlösliche Ballaststoffe. 7.5.5.2

Gastrointestinale

Effekte

der

Ballaststoffaufnahme

Ballaststoffe haben folgende Auswirkungen [4]: — Verdünnung der Energie- und Nährstoffkonzentration in der Nahrung — Einwirkung auf die intestinale Morphologie und Physiologie und den Transit (im Sinne einer Beschleunigung) von Chymus — Bindung von Wasser, Substanzen, Enzymen und Beeinflussung von Verdauung und Resorption — Lieferung von Substrat für die Mikroorganismen der Darmflora — Beteiligung an der Stuhlbildung. Hochvisköse hydrokolloidale Ballaststoffe (z. B. Pektin, Guar) verzögern die Geschwindigkeit der Magenentleerung deutlich. Es ist zu beachten, daß pflanzenreiche Nahrung zu Mineralstoffverlusten, z. B. von Kalzium, Zink oder Eisen, führen kann. Allerdings ist dies bei moderaten Erhöhungen der Ballaststoffzufuhr nicht wahrscheinlich.

168

M. Hanefeld, U. Julius

7.5.5.3

Stoffwechselwirkungen

Für Ballaststoffe wurde eine erhöhte fäkale Ausscheidung von mit der Nahrung zugeführtem Cholesterol nachgewiesen. Eine langfristige stabile Reduktion des Cholesterolspiegels ist durch bestimmte Ballaststoffe (wasserlösliche Hydrokolloide) allerdings nur in begrenztem Ausmaß möglich. Die Resorption von Kohlenhydraten kann durch Ballaststoffe verzögert werden. Experimentell wurde belegt, daß der postprandiale Anstieg der Plasmaglukosekonzentration nach Aufnahme verschiedener kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel (z. B. Kartoffeln, Makkaroni, Hülsenfrüchte) sehr unterschiedlich ist. Im Vergleich zum Plasmaglukoseverlauf nach oraler Glukosezufuhr (äquivalente Kohlenhydratmenge) wurde der „glykämische Index" definiert. Dieser Wert ist nach dem Verzehr ballaststoffreicher Kohlenhydratträger niedrig. Auch die zusätzliche Gabe von Pektin oder Guar kann die Elevation der Plasmaglukose abschwächen. Im Keim und den Randschichten des Getreidekornes sind Eiweiß, Fett, Mineralstoffe und Vitamine zu finden. Das ist ein weiterer Grund, Getreide als volles Korn zu verzehren und nicht als Auszugsmehl. 7.5.5.4

Empfehlungen

In den Industrieländern wird die Ballaststoffzufuhr als durchschnittlich zu niedrig angesehen. Die wünschenswerte tägliche Gesamtzufuhr an Ballaststoffen wird mit 30 bis 40 g angegeben. Allerdings können bei empfindlichen Personen bei einer solchen Qualität nicht selten Verdauungsprobleme (Völlegefühl, Meteorismus, Diarrhoe) auftreten. Viele Nahrungsmitteltabellen enthalten keine oder sehr allgemeine Angaben zum Ballaststoffgehalt. Eine genaue Berechnung oder Bestimmung der zugeführten Ballaststoffe ist in der diabetologischen Praxis nicht möglich und nicht erforderlich. Der gegenwärtige Wissensstand erlaubt für Diabetiker noch keine gesicherten Empfehlungen für eine minimale oder optimale Höhe der täglichen Zufuhr. Jedoch sollte in den Kostplänen großer Wert auf den nicht zu knappen Verzehr pflanzlicher Produkte gelegt werden. •

Raten Sie also Ihren Patienten zu Vollkornbrot, Schwarzbrot, Grahambrot, Leinsamenbrot, Knäckebrot, Kleiebrötchen, Roggen- und Haferkeksen, Müsli. Gemüsesorten wie Sellerie, Rosenkohl, Broccoli, grüne Bohnen, Kohl, Porree und andere sichern eine Ballaststoffzufuhr und sind energiearm. Wenn Hülsenfrüchte vertragen werden, kommen neben Erbsen auch Bohnen oder Linsen in Betracht.

Von einigen Diabetologen wird Guar (Glucotard®) eingesetzt [2, 5]. Dabei handelt es sich um eine Polysaccharid-Komponente (Galactomannan), die einen nicht-

7.5

Orale Antidiabetika

169

absorbierbaren viskosen Brei bildet. Es sind jeweils 5 g in 250 ml Wasser zu den Mahlzeiten zu geben. Grobpartikuläre (also nicht fein vermahlene) Kleie kann bei Obstipationsproblemen Verwendung finden ( 3 x 1 Eßlöffel). 7.5.5.5

Zusammenfassung

Ballaststoffreiche Lebensmittel sind für die Ernährung der Typ-II-Diabetiker sehr zu empfehlen. Neben der Verdünnung der Energiedichte der Nahrung sind die Anregung der Darmtätigkeit sowie eine gewisse Senkung der Cholesterolkonzentrationen und postprandialer Blutglukosespiegel klinisch bedeutsam. Vollmehlprodukte sowie besonders Gemüse und Hülsenfrüchte sind wertvolle Ballaststoffträger, die auch das Sättigungsgefühl fördern. Die Quantität der täglichen Aufnahme wird allerdings nicht selten durch Verdauungsprobleme limitiert. Literatur [1] Anderson, J . W., A. O. Akanji: Dietary fiber — an overview. Diabetes Care 14 (1991) 1126 — 1131. [2] Bain, S. C., P. M . Dodson: The pharmacological treatment of obesity and diabetes mellitus. In: C. E. Mogensen, E. Standi: Pharmacology of Diabetes, S. 163 — 179. Walter de Gruyter, Berlin, New York 1991. [3] Deutsche Diabetes-Gesellschaft: Grundlagen der Ernährung und Diätempfehlungen für Diabetiker. Akt. Ernährungsmedizin 15 (1990) 2 7 - 3 8 . [4] Friedrich, M . , J. Schulze: Bedeutung der Ballaststoffe für die Ernährung. In: H.-A. Ketz (Hrsg.): Grundriß der Ernährungslehre, S. 1 4 9 - 165. VEB Gustav Fischer Verlag, Jena 1990. [5] Mehnert, H.: Diabetes mellitus. In: H. Mehnert (Hrsg.): Stoffwechselkrankheiten. Grundlagen, Diagnostik, Therapie, S. 1 1 5 - 2 6 1 . Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1990. [6] Riccardi, G., A. A. Rivellese: Effects of dietary fiber and carbohydrate on glucose and lipoprotein metabolism in diabetic patients. Diabetes Care 14 (1991) 1 1 1 5 - 1 1 2 5 . [7] Scheppach, W.: Bedeutung von Ballaststoffen für die Entstehung und Therapie gastroenterologischer Erkrankungen. Akt. Ernährungsmedizin 16 (1991) 143 - 145.

7.6

Insulintherapie

J. Schulze, H. Rietzsch

7.6.1

Einleitung

Das Problem der Therapie des N I D D M besteht in der Heterogenität und im phasenhaften Verlauf der Erkrankung, die ja per definitionem als „insulinunabhängig" gilt. Für die Sequenz der Pathogenese, das klinische Bild und den Verlauf des genetisch programmierten Typ-II-Diabetes mellitus sind der Grad der Insulinresistenz und deren Kompensation durch endogene Insulinmehr-, norm- und -mindersekretion verantwortlich [2], Eine weitere Besonderheit stellen manifestationsbegünstigende Umweltfaktoren dar (Über-/Fehlernährung,

körperliche Inaktivität, Streß,

Begleitkrankheiten,

Operationen, Schwangerschaft, diabetogene Medikamente u. a.), die für das Schicksal von Typ-II-Diabetikern ganz entscheidende Bedeutung besitzen (Metabolisches Syndrom). Ohne Berücksichtigung dieses Clusters kardiovaskulärer Risikofaktoren bleibt ein Therapiekonzept, das sich nur auf die Kompensation der gestörten KH-Toleranz konzentriert, unbefriedigende Blutzucker-Kosmetik. Durch konsequente Ausschöpfung der Diabetes-Basistherapie und stadiengerechten Einsatz oraler Antidiabetika, Antilipämika und Antihypertensiva

können

assoziierte Risikofaktoren langfristig zielgerichtet therapeutisch beeinflußt werden. Trotz dieses Vorgehens k o m m t es durch den natürlichen Verlauf der Typ-IIDiabetes-Erkrankung bei ca. 5 —10% aller Patienten pro Jahr zum sogenannten Sekundärversagen konventioneller antidiabetischer Therapie. Nach den Empfehlungen der europäischen Konsensus-Konferenz soll Insulin nun „nicht zu früh und nicht zu spät" gegeben werden, um hyperglykämiebedingte Symptome zu vermeiden und sogenannte Spätschäden zu verhindern, die durch chronische metabolische Entgleisungen des Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsels entstehen (Euro-Norm).

7.6.2 Indikation zur Insulintherapie

beim

Typ-II-Diabetes

Eine dauerhafte Insulintherapie ist indiziert bei: 1. Typ-II-Diabetikern mit primärem oder sekundärem Sulfonylharnstoff (SuH)versagen 2. Schweren diabetischen Spätkomplikationen: Retinopathie höheren ausgeprägte Polyneuropathie, fortgeschrittene Nephropathie

Grades,

7.6

Insulintherapie

171

Eine vorübergehende Insulintherapie ist indiziert bei: 1. 2. 3. 4. 5.

schweren Operationen schweren Infektionen Kortikoidbehandlung und interkurrenten Erkrankungen Resorptionsstörungen von oralen Antidiabetika Diabetes und Schwangerschaft (orale Antidiabetika kontraindiziert)

Längerfristige Stoffwechseldekompensationen gehen klinisch mit typischen Symptomen, so mit muskulärer Schwäche, Gewichtsverlust, Mattigkeit, mangelndem Antrieb und depressiver Verstimmung einher. Derartige Symptome sowie bereits nachweisbare Diabeteskomplikationen bei jüngeren Typ-Ii a-Diabetikern, rechtfertigen den unverzüglichen Beginn mit einer Insulintherapie! Das für den TypIi-Diabetes charakteristische hyperosmolare Koma erfordert im Vergleich zur ketoazidotischen Entgleisung einen sparsameren Insulineinsatz. Für das Gros der Typ-II-Diabetiker bedarf es vor einer so einschneidenden Maßnahme wie der Insulinierung einer exakten Nutzen-Risiko-Kalkulation mit Festlegung individueller Therapieziele, bezogen auf Alter, Lebenserwartung, begleitende Risikofaktoren und bereits nachweisbare Spätkomplikationen. Als Entscheidungshilfe für oder gegen eine Insulinierung hat sich uns die CPeptid-Messung vor und sechs Minuten nach Glukagonstimulation bewährt. Mit Hilfe des Testergebnisses kann auf die endogene Insulinsekretion als Indikator für oder gegen Insulinbedürftigkeit geschlossen werden [4]. •

Entscheidungshilfe für die Indikationsstellung einer Insulintherapie beim TypIi-Diabetes — Nachweis der Ketoazidose — Blutzuckerentgleisung mit Gewichtsverlust — typische Diabetes-Symptome im sekundären Sulfonylharnstoffversagen In Zweifelsfällen: Nachweis der verminderten Insulinsekretionsleistung der B-Zellen durch Glukagonstimulation: Cave: Der Glukagontest sollte nicht bei dekompensiertem Zuckerstoffwechsel durchgeführt werden, da hohe Blutzucker eine zusätzliche toxische Wirkung auf die B-Zelle ausüben. Dadurch kann es zu einer die Aussage verfälschenden Erniedrigung der Sekretionsantwort nach dem Glukagonreiz kommen. Eine vorübergehende Insulintherapie zur Rekompensation einer Stoffwechselentgleisung stört die C-Peptid Bestimmung prinzipiell nicht. Durchführung des Glukagontestes: Vor und sechs Minuten nach i. v. Applikation von 1 mg Glukagon wird der C-Peptid-Spiegel im Serum bestimmt. Die Serumproben müssen gekühlt in das Labor gelangen. Der

172

J . Schulze, H . Rietzsch

Test sollte nüchtern erfolgen, der Patient kann vor dem Test aber auch gefrühstückt haben. Der Blutdruck ist zu überwachen. Bewertung des Glukagontestes: C-Peptid soll nach Stimulation nicht über 1,1 nmol/1 ansteigen, wenn von einer verminderten Insulinsekretionskapazität ausgegangen werden soll. Ein Nüchtern-C-Peptid von über 0,6 nmol/1 läßt bereits auf ausreichendes Eigeninsulin schließen. Der Glukagontest läßt keine Aussagen über den Grad der Insulinresistenz zu. Somit kann trotz Nachweis einer prinzipiell ausreichenden Insulineigenproduktion in der Praxis der Einsatz von exogenem Insulin erforderlich werden. Kontraindikationen Hypertonie. 7.6.3

Strategien

für den Glukagontest:

der Insulintherapie

beim

Phäochromozytom, schwere

Typ-II-Diabetes

Zur Applikation des Insulins haben sich eine Zahl von prinzipiellen Vorgehensweisen eingeführt, welche auch beim Typ-II-Diabetes zur Anwendung kommen können. Jedoch ergeben sich für ihren Einsatz bestimmte Indikationen. Vor Beginn einer Insulintherapie ist eine intensive Wiederholungsschulung angezeigt, um den Patienten mit dem beabsichtigten Insulinregime, der korrespondierenden Nahrungsaufnahme und notwendiger Blutzuckerselbstkontrollen vertraut zu machen. In jüngster Zeit ergeben sich neue Indikationen zum kombinierten „first line"Einsatz von Acarbose bzw. von Biguaniden mit Insulin. In diesem Zusammenhang wird auf Kapitel 7.7 verwiesen [5]. Neueinstellungen auf Insulin sollten mit Humaninsulin erfolgen. Andererseits gibt es keine Indikation für die Umstellung eines auf ein hochgereinigtes tierisches Insulin gut eingestellten Patienten. 7.6.3.1

Kombinationstherapie

Insulin plus

Acarbose

Die vorliegenden klinischen Daten zur Wirkung von Alpha-DisaccharidaseHemmstoffen weisen Acarbose als neues potentes Antidiabetikum aus, das durch kompetitive Hemmung intestinaler Alpha-Glucosidasen zur Reduktion postprandialer Glukosespitzen und damit zu einer Besserung der diätetischen Stoffwechsellage beiträgt. Acarbose wirkt antihyperglykämisch durch „Glättung" postabsorptiver Glukoseauslenkungen. Die Substanz ist sowohl bei Typ-Ii- als auch bei labilem Typ-I-Diabetes wirksam. Somit ergeben sich außer den Kombinationsmöglichkeiten mit Diät und oralen Antidiabetika (s. Kap. 7.5) günstige additive Effekte mit einer Insulintherapie. Nach Untersuchungen am künstlichen Pankreas (Biostator) und nach eigenen klinischen Erfahrungen kam es bei insulinabhängigen Typ-II-Diabetikern zu einem Insulinspareffekt (20 — 30%) sowie zur Glättung postabsorptiver Blutzuckerspitzen. Die Senkung von Nüchternblutzuckerwerten

7.6 Insulintherapie

173

wird erst 4 - 8 Wochen nach Gaben von Acarbose erreicht; das gilt ebenso für H b A j und Triglyceride.

7.6.3.2

Kombinationstherapie

Insulin plus

Sulfonylharnstoffe

Bei erhaltener Restsekretion, normalem Körpergewicht und fortgeschrittenem Lebensalter bietet die Kombinationstherapie für viele Patienten mit SuH-Versagen den Vorteil eines einfachen und sicheren Therapieregimes. Es konnte nachgewiesen werden, daß mit weniger Insulin und reduzierter Zahl von Injektionen pro Tag eine gleichwertige Stoffwechselführung im Vergleich zur Insulinmonotherapie gelingt [1]. Die Applikation des Insulins kann wahlweise erfolgen. Bewährt hat sich die morgendliche Spritze in Kombination mit Sulfonylharnstoff vor dem Frühstück und letzterer allein zum Abend (Abb. 1). Gleichfalls hat sich aber auch die alleinige abendliche Spritze zur Senkung der nächtlichen BZ-Werte bewährt. Die Insulin-Dosissteigerung sollte sehr langsam erfolgen, um die eigene Insulinproduktion nicht zu unterdrücken. Verwendet wird ein Verzögerungs- oder ein Mischinsulin. Sollten mehr als 24 IE Insulin oder mehrere Injektionen nötig werden, so sollte diese Behandlungsform verlassen und auf eine alleinige Insulintherapie übergegangen werden. SuH

Abb. 1: Beispiel einer Kombinationsbehandlung Sulfonylharnstoff plus Verzögerungsinsulin (Insulingabe am Morgen).

7.6.3.3

Konventionelle

Insulintherapie

Für alle jüngeren Typ-II-Diabetiker im Alter unter 60 Jahren, bei denen aufgrund ihrer Lebenserwartung mit diabetesspezifischen Komplikationen gerechnet werden muß, gilt die Forderung nach normoglykämischer Stoffwechseleinstellung. Aus klinischer Erfahrung weiß man, daß nach langfristiger „gequälter" SuHTherapie mit schlechter Stoffwechsellage oft auch mit sekundären Hyperlipoproteinämien die Insulintherapie nicht sofort zu dem gewünschten Erfolg führt. Trotz der Gabe hoher Insulindosen nicht selten von bis zu 80 - 1 2 0 IE bleiben längerfristig Hyperglykämie und Hyperlipoproteinämie bestehen (Resistenz, Rezeptor down regulation, Glukotoxizität). Von diesen komplizierten Sondersituationen abgesehen, die oft einer längeren stationären Abklärung und Behandlung bedür-

174

J. Schulze, H. Rietzsch

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175

176

J. Schulze, H. Rietzsch

fen, lassen sich Typ-II-Diabetiker ohne Adipositas mit unbefriedigender Stoffwechsellage in der Regel mit 2 Insulingaben einstellen. Üblicherweise benutzt man Mischinsulinpräparate mit fixen Anteilen von N P H - und Normalinsulin. Dieses Insulin wird in verschiedenen Präparationen von der Industrie angeboten (Tab. 1). Die Zusammensetzung besteht zu etwa einem Drittel aus Normal- und zu etwa zwei Drittel Verzögerungsinsulin. Das Insulin wird in der Regel zum Frühstück und vor dem Abendbrot gespritzt. In seltenen Fällen führt eine Insulinspritze zu einer befriedigenden Stoffwechseloptimierung (Abb. 2). Insulin

Insulin

Insulin

Abb. 2: Schema der konventionellen Insulintherapie (oben Einmalgabe, unten Zweimalgabe eines Mischinsulins).

7.6.3.4

Intensivierte

Insulintherapie

Bei kritischer Betrachtung werden mit der konventionellen Insulintherapie nur etwa 10 — 20% der Patienten eine Normalisierung der Glykämie nach den Maßstäben der N I D D M Policy Group erreichen [3]. Bei diesen Patienten, die Folgeschäden befürchten müssen, sollen Normalinsulingaben zu den Hauptmahlzeiten und evtl. auch eine spätabendliche Injektion eines Basalinsulins empfohlen werden. Dieses Vorgehen läßt sich unter Nutzung der modernen Spritzhilfen und Schulung zur Selbstkontrolle und flexibler Stoffwechselführung, vergleichbar der Behandlung des Typ-I-Diabetes gut durchsetzen (Abb. 3). Eine Alternative für jüngere Typ-II-Diabetiker mit wenig Restsekretion stellt die funktionelle Insulinsubstitution nach dem Basis-Bolus-Konzept dar. Dieses Vorgehen unterscheidet sich nur sehr unwesentlich von der oben angeführten Variante. Lediglich kommt zu der Morgenspritze eine Basalinsulingabe hinzu (Abb. 4).

7.6 Insulintherapie Normalinsulin

7.00

Normalinsulin

12.00

177

Normalinsulin V e r z ö g e r u n g s i n s u l in

7.00

19.00 21.00

Abb. 3: Schema der intensivierten Insulintherapie nach dem Tag-Nacht-Konzept (Normalinsulingaben zu den Hauptmahlzeiten und Verzögerungsinsulin zur Nacht). Normalinsulin +• Verzögerungsinsulin

7.00

Normalinsulin

Normalinsulin Verzögerungsinsulin

12.00

19.00 21.00

7.00 Uhr

Abb. 4: Schema der intensivierten Insulintherapie nach dem Basal-Bolus-Prinzip.

7.6.3.5

Insulinpumpenbehandlung

In seltenen Fällen kann beim Typ-II-Diabetes eine Insulinpumpenbehandlung erforderlich werden. Das trifft besonders für Patienten mit einer erheblichen Insulinresistenz zu, bei denen mit einer Erhöhung des Insulins keine Verbesserung des Blutzuckers erreicht werden konnte. Dieses Vorgehen hat sich oft bewährt. Die beispielsweise Verringerung des Insulinbedarfs durch CSII von 150 IE auf 80 IE pro Tag soll dies veranschaulichen. In der Regel kommt man mit einer vorübergehenden subkutanen Pumpenbehandlung aus. Bei hoher hepatischer Insulinresistenz besteht die Möglichkeit der intraperitonealen Applikation des Insulins über ein Portsystem. Diese Methode befindet sich derzeit in dem Stadium der klinischen Studien. Im Zusammenhang mit der Insulinpumpenbehandlung sei an die vorübergehende intravenöse Insulinapplikation erinnert, die zur Durchbrechung einer Insulinresistenz zum Beispiel bei schweren Infektionen oder in der Notfallmedizin mit Erfolg eingesetzt wird. 7.6.4

Ergänzende

Maßnahmen

bei der

Insulintherapie

Ohne eine einhergehende Schulung zur Stoffwechselselbstkontrolle und Handhabung von gern genutzten Spritzhilfen, Nutzung von Blutzucker- und auch Urinzuckerteststreifen sowie der Unterweisung von Patienten und deren Ange-

178

J . Schulze, H. Rietzsch

hörigen in die möglichen Krankheitskomplikationen, bleibt die Insulintherapie eine angstbesetzte Methode. Die Spritztechnik hat sich in den letzten Jahren erfreulich wesentlich verbessert. Das lästige Desinfizieren der Materialien zur Insulininjektion gehört der Vergangenheit an. In den Einmalspritzen mit angegossener Kanüle steht ein universelles Injektionsmedium zur Verfügung, welches zu dem Repertoire eines jeden insulinspritzenden Diabetikers gehören sollte. Diese Spritzen gibt es für das gebräuchliche U 40 Insulin. Sie sind aber auch für das in anderen Ländern der EG und in den Pens und Pumpen verwendete U 100 Insulin erhältlich. Gern benutzt werden die verschiedenen Pens. Bei der Einstellung auf eine solche Spritzhilfe sollte man folgende Gesichtspunkte berücksichtigen: 1. Insulinsorte und die Verfügbarkeit in der entsprechenden Penampulle 2. Handhabbarkeit des Pens und die „technische Begabung des Patienten"; man sollte den Patienten durchaus unter den für das Insulin in Betracht kommenden Fabrikaten auswählen lassen. 3. Individuelle Anleitung im Umgang mit dem Pen ist erforderlich. Dabei kann die Demonstrationsampulle Verwendung finden. 4. Für schwerfällige Patienten erscheint das „Novolet-System" als ein willkommener Weg zur Überwindung der Schwierigkeiten beim Erlernen des Spritzens. Das System besitzt außerdem bei eingeschränkter Sehkraft nutzbare Tastsymbole. Umfassende Unterrichtung und Schulung, auch des älteren Patienten und seiner Angehörigen, ermöglicht eine exakte Stoffwechselführung, Meidung von Hyperglykämien oder Komata durch selbstkontrollierte Verlaufseinschätzung und Therapietreue. Damit kommt man dem für den Typ-II-Diabetiker in besonderem Maße wichtigen Therapiegrundsatz möglichst sparsamer Insulindosierung und Dosisanpassung näher, um eine Überinsulinierung zu vermeiden, welche wiederum zu unerwünschter Lipogenese mit zunehmender Adipositas und Hyperlipoproteinämie führen kann. Außerdem reduziert man mit diesem Vorgehen gefährdende Hypoglykämien. 7.6.5

Zusammenfassung

Heterogenität und phasenhafter Verlauf des N I D D M machen eine individualisierte medikamentöse Therapie erforderlich, welche sich an der aktuellen pathophysiologischen Situation orientieren sollte. Wesentliche Prädikatoren für den Therapieerfolg sind die verbliebene Insulinsekretionskapazität, gemessen am CPeptid, und Begleitkrankheiten des metabolischen Syndroms, die nach heutigen Kenntnissen Ursache und Folge der Insulinresistenz darstellen. Bevor man sich für eine differenzierte Insulintherapie entscheidet, sollten die heute möglichen sinnvollen Kombinationen mit Acarbose, Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen ausgeschöpft werden. Bleiben die Kontrollparameter (Glykämie, Lipide) trotz dieser Maßnahmen über dem therapeutisch angestrebten Zielbereich und handelt

7.6

Insulintherapie

179

es sich u m einen n o r m - o d e r u n t e r g e w i c h t i g e n P a t i e n t e n m i t l a n g e r D i a b e t e s d a u e r u n d d i a b e t e s s p e z i f i s c h e n K o m p l i k a t i o n e n , ist eine I n s u l i n i e r u n g a b s o l u t e r f o r d e r lich. D a m i t tritt d e r P a t i e n t in eine q u a l i t a t i v n e u e T h e r a p i e ein. D a s sollte in einer intensiven N e u s c h u l u n g m i t I n t e n s i v i e r u n g d e r S e l b s t k o n t r o l l e B e r ü c k s i c h t i g u n g finden. Literatur [1] Bachmann, W.: Kombinationstherapie mit Sulfonylharnstoffen. Dtsch. Med. Wschr. 113 (1988) 6 5 2 - 6 5 4 . [2] DeFronzo, R . A.: T h e triumvirate beta cell, muscle, liver: A collusion responsible for N I D D M . Diabetes 37 (1988) 667. [3] European N I D D M Policy Group: A Desktop Guide for the Management of Non-insulindependent Diabetes mellitus (NIDDM). IDF Bulletin 35 (1990) 1 - 1 1 . [4] Faber, O. K., C. Binder: C-peptide response to glucagon: a test for the residual B-cell function in diabetes mellitus. Diabetes 26 (1977) 605 — 610. [5] Hanefeld, M . , J . Schulze: Medikamentöse Differentialtherapie des Typ-2-Diabetes, Ärzteblatt Sachsen 7 (1992) 744 - 752.

7.7 Medikamentöse Differentialtherapie M.

Hartefeld

7.7.1

Ein differentialtherapeutischer

Leitfaden

Für die medikamentöse Differentialtherapie stehen im wesentlichen die in den vorangestellten Kapiteln dargestellten Optionen und deren Kombination zur Verfügung (Tab. 1). Bis heute existieren keine Medikamente, die direkt die InTab. 1: Medikamente zur Behandlung des Typ-II-Diabetes Hemmer der intestinalen Glukosefreisetzung (Alpha-Glucosidase-Inhibitoren, Guar) Anorektica — D-Fenfluramin Biguanide (Metformin) Sulfonylharnstoffe Insulin

sulinresistenz überwinden, indem sie die Insulinwirkung intrazellulär potenzieren. Deshalb sind für die Frühphasen des Diabetes und möglicherweise auch für Hochrisikopatienten mit IGT oder Diabetesvorstadien zunächst antihyperglykämische Medikamente, die den Blutzuckeranstieg vermindern, indiziert. Es spricht vieles dafür, daß es von Vorteil ist, wenn dabei gleichzeitig der basale und/oder glukosestimulierte Hyperinsulinismus reduziert wird. Daraus leitet sich ab, daß für die Frühphasen des N I D D M an erster Stelle Acarbose, Metformin und — mit Einschränkungen — D-Fenfluramin stehen (Abb. 1). Die Dresdner Schule

Insulinsekretion Insulinresistenz Normalbereich Diabetesverlauf | Insulin | Insulin + SuH o. Acarbose^ | SuH • Acarbose o. Metformin | Sulfonylharnstoffe (SuH) | Acarbose + SuH o. Metformin | Metformin | Acarbose, Guar, D-Fenfluramin Basistherapie Diät, Schulung. Aerobe Konditionierung

Abb. 1: Stufenplan der Therapie des N I D D M .

7.7

Medikamentöse Differentialtherapie

181

befindet sich damit in weitgehender Übereinstimmung mit dem von Mehnert und Standl implizierten Stufenplan [5]. Damit werden Insulinresistenz und noch vorhandene Insulinsekretionskapazität zu entscheidenden Kriterien für die Wahl des First-line-drug. Beide Größen sind aber unter Praxisbedingungen schwer meßbar. Auch existieren hierfür bis heute keine einheitlichen Grenzwerte oder Entscheidungslimits. Hinzu kommt, daß durchaus nicht alle N I D D M primär eine Insulinresistenz aufweisen. Somit ist der Arzt bei seiner Entscheidung weitgehend auf klinische Daten und rasch verfügbare Laborwerte angewiesen (Tab. 2). Übergewicht und Gewichtskonstanz sprechen immer für ausreichend Insulin gemäß der Faustregel: „Wer fett ist, hat auch Insulin." Soweit verfügbar, sind basale und Ein- und Zwei-Stunden-Insulinwerte nach 75 g Glukosebelastung eine wesentliche Hilfe. Tab. 2: Klinische und paraklinische Indikatoren für die Insulinsekretionskapazität bei N I D D M Residuale Insulinsekretion ausreichend

erschöpft

Anamnese

Diabetesdauer < 5 J. Gewicht = "f keine Diabetessymptome (Durst etc.)

Diabetesdauer > 5 J. Gewicht J, Zunehmende Symptome

Status

Keine oder nur leichte diabetesspezifische Komplikationen

Neuropathie Albuminurie (Proteinurie) proliferative Retinopathie

Paraklinik

Base-excess, Laktat = C-Peptid > 1,1 nmol/1 nach Stimulation Serum Insulin > ls Bereich (basal und stimuliert)

Azidose, Laktat | C-Peptid < 1 , 1 nmol/1 nach Stimulation Serum-Insulin { , verringerter und verzögerter pp Anstieg

Einfacher geschieht dies an Hand der C-Peptidbestimmung beim Glukagontest. Ein C-Peptidwert > 1,1 nmol/1 nach Glukagonstimulation und ein Anstieg um das 2 —3fache über den Basalwert sprechen für eine ausreichende verbliebene Restsekretion. Gleiches gilt, wenn die Insulinwerte über der 9 5 % Perzentile oder dem l s Bereich der jeweiligen Insulinreferenzwerte liegen. Selbstverständlich sind die absoluten Insulin- und C-Peptidkonzentrationen in hohem M a ß e von der aktuellen Blutzuckerlage abhängig. Dennoch können sie schon als wesentliche Entscheidungshilfe genutzt werden. Ist nach Klinik und Labordaten von ausreichender Restsekretionskapazität auszugehen, dann sind Acarbose und Metformin als Mittel der 1. Wahl zu betrachten. D a vergleichende Langzeitstudien zu diesen Medikamenten nicht vorliegen, muß die Entscheidung auf Grund des Wirkungsprofils, der Kontraindikationen und der Nebenwirkungen getroffen werden.

182

M. Hanefeld

7.7.1.1

Wann Acarbose, wann

Metformin?

Acarbose ist auf Grund ihres Wirkungsprofils vorteilhaft bei Patienten mit NIDDM, deren Blutzucker besonders postprandial im Laufe des Tages ansteigt. Da Acarbose im Dünndarm unter 1% resorbiert wird und die Abbauprodukte, die im Kolon aufgenommen werden, rasch und vollständig in Nieren und Atmungsluft ausgeschieden werden, ist auch bei eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion nicht mit einer Anhäufung im Organismus zu rechnen. Deshalb hat Acarbose bei älteren, meist multimorbiden Patienten gegenüber Metformin den Vorrang der größeren Sicherheit. Das gilt auch für die Kombinationstherapie mit Sulfonylharnstoffen. Metformin ist besonders wirksam bei Patienten, deren gesteigerte nächtliche hepatische Glukoneogenese zu hohen Nüchternblutzuckerspiegeln führt. Seine Domäne ist der adipöse Diabetiker im mittleren Lebensalter mit erhöhten Blutlipiden, da hier die komplexen Wirkungen auf das Übergewicht, die Insulinresistenz der Leber und die Hyperlipidämie besonders zur Geltung kommen (Tab. 3) [2, 5], Der Einsatz bei Sulfonylharnstoffversagen sollte auf diesen Personenkreis beschränkt sein. Sinnvoller erscheint die umgekehrte Reihenfolge, also die Zugabe von Sulfonylharnstoffen bei ungenügender oder nachlassender Wirkung von Metformin [5] (Abb. 1). Tab. 3: Differentialtherapie mit oralen Antidiabetica als First Line Drug bei N I D D M Acarbose höheres Lebensalter Multimorbidität N B Z TT

PP BZ TT Hyperinsulinismus beg. Insulinmangel Adipositas Hypertriglyceridämie Hypertonie

7.7.1.2

Sulfonylharnstoffe

+ + + + +

+

+

+ +

Metformin -

-

SuH -

-

-

+ + +

+

+ + +

+

-

-

-

+ + +

+ + +

-

+ -

— wann, wie, welche?

Wie bereits ausgeführt, gehören die Sulfonylharnstoffe in die Phase des beginnenden relativen Insulinmangels. Dieser findet sich häufig bei Typ-IIa-Diabetes oder kündigt sich durch HbA l c -Anstieg oder Gewichtsabnahme unter der bisherigen Monotherapie an. Dabei sollte man für ältere Patienten oder solche mit Leber- und/oder Nierenschäden dem Tolbutamid den Vorrang geben als dem „weichen" Sulfonylharnstoff mit geringer Retentions- und Schockgefährdung. Glibenclamid als wirksamstes und am besten untersuchtes Sulfonylharnstoffderivat der zweiten Generation ist vor allem vor dem 70. Lebensjahr indiziert [1].

7.7

Medikamentöse Differentialtherapie

183

Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist das Glipizid von Vorteil, da seine aktiven Komponenten kaum retiniert werden. Bei der Kombination mit Insulin kommen nur die Sulfonylharnstoffe der zweiten Generation, Glibenclamid und Glipizid, in Betracht. 7.7.1.3

Insulineinsatz

— so früh wie notwendig,

aber so spät wie

möglich

Es kann kein Zweifel bestehen, daß auch beim N I D D M der rechtzeitige Einsatz von Insulin die zuverlässigste Methode zur primären oder sekundären Prävention von Spätkomplikationen ist. Dennoch ist auf Grund konsistenter epidemiologischer Daten [3, 4] vor dem vorzeitigen Einsatz von Insulin zu warnen, da damit Körpergewicht und andere Risikofaktoren nach oben getrieben werden. Nicht zuletzt sind die sozialen Probleme, die trotz aller modernen Hilfsmittel bei älteren Menschen mit der Anwendung von Insulin verbunden sind, erheblich. Bei der Entscheidung für eine der Optionen oder ihre Kombination, sollten deshalb das Risiko-Nutzen-Verhältnis und die Therapieziele sorgfältig abgewogen werden (Tab. 4, 5). Die Kombinationsbehandlung von Insulin mit Sulfonylharnstoffen stellt da, wo sie ausreicht, einen sinnvollen Kompromiß dar. Allerdings gibt diese Therapie nur Sinn, wenn die Stoffwechselkontrolle mit einer Injektion,

Tab. 4: Therapeutische Effekte verschiedener Monotherapien auf das metabolische Syndrom bei Typ-II-Diabetes

Übergewicht Hyperglykämie Insulinresistenz Hyperinsulinismus Triglyzeride Cholesterol HDL-C Hypertonie Arteriosklerose

Insulin

SuH

Metformin

Acarbose

T t 1 l T = T 1T

t 1 T = t

1 1 1 1 1

1 1 ? 1 I =

=

= 1

=

T =T T?

=

= t

=

=

T?

=

= 1 = =

i ?

1 ?

Tab. 5: Nebenwirkungen unter verschiedenen Monotherapien bei Typ-II-Diabetes Insulin Hypoglykämie

+

Gastrointest. Störungen

-

Blutbild

-

Lactazidosen Tödliche Komplikationen

-

(+)

+

SuH

+ -

(+) -

+

Metformin

Acarbose

-

-

+

+ -

+ +

-

+

184

M. Hanefeld

die maximal 24 E eines Basal-, Intermediär- oder Kombinationsinsulins enthält, gelingt. Ist dies nicht möglich, ist eine reguläre Insulinierung mit mehreren Injektionen vorzuziehen. 7.7.2

Zusammenfassung

Die Wahl des oralen Antidiabetikums wird entscheidend von der verbliebenen Insulinsekretionskapazität, dem Lebensalter und Begleitkrankheiten bestimmt. Bei Hyperinsulinismus, d. h. im ansteigenden Schenkel oder Plateau der Starlingkurve der Insulinsekretion, sind Acarbose und Metformin die Mittel der 1. Wahl. Mit zunehmendem relativen Insulindefizit werden Sulfonylharnstoffe und Insulin erforderlich. Acarbose hat Vorteile bei älteren Patienten und dominierender postprandialer Hyperglykämie. Metformin ist indiziert bei jüngeren NIDDM und hohen Nüchternblutzuckerwerten. Als Zwischenstufen kommen die Kombinationen Acarbose plus Metformin, Acarbose plus Sulfonylharnstoffe und Sulfonylharnstoffe plus Acarbose in Betracht. Die Kombination Sulfonylharnstoffe plus Insulin verringert den Insulinbedarf und ermöglicht in geeigneten Fällen eine einmalige tägliche Injektion. Literatur [1] Gerich, J. E.: Oral hypoglycemic agents. New Engl. J. Med. 321 (1989) 1 2 3 1 - 1 2 4 5 . [2] Hermann, L. S.: Biguanides and Sulfonylureas as combination therapy in NIDDM. Diabetes Care 13 (Suppl. 3) (1990) 3 7 - 4 2 . [3] Janka, H. U., A. G. Ziegler, E. Standi et al.: Daily insulin dose as a predictor of macrovascular complications in diabetes mellitus. Diab. Metab. 13 (1987) 359 — 364. [4] Knatterud, G., C. Klimt, M. Goldner et al.: Effects of hypoglycemic agents on vascular complications in patients with adult onset diabetes. VIII Evaluation of insulin therapy. Final report 31 (Suppl. 5) (1982) 1 - 2 6 . [5] Mehnert, H.: Diabetes mellitus. In: H. Mehnert (Hrsg.): Stoffwechselkrankheiten, S. 1 1 5 - 2 5 8 . Thieme Verlag, Stuttgart 1990. [6] Schernthaner, G.: Kritische Analyse der antidiabetischen Therapie mit Metformin: Stoffwechselwirkungen, antiatherogene Effekte und Kontraindikationen. Akt. Endokr. Stoffw. 13 (1992) 4 4 - 5 0 .

8

Spezielle therapeutische Aspekte

8.1

Behandlung der H y p e r t o n i e

J. Schulze,

Silke Meisel,

Hypertoniebehandlung senkung.

bei

M.

Hanefeld

Typ-II-Diabetes

mellitus

ist mehr

als

Blutdruck-

Primäres Ziel der Behandlung ist neben den klassischen — der Verhinderung arteriosklerotischen Gefäßkrankheiten, insbesondere Schlaganfall, KoronarNephrosklerose sowie der Linksherzhypertrophie und kardialen Insuffizienz, dies in den Konsensuspapieren der deutschen Hochdruckliga formuliert ist — die Prävention der Mikroangiopathie, vor allem mit Blick auf die Niere.

8.1.1

Die

von und wie [2],

Basistherapie

Diese sogenannte Basistherapie zielt auf eine komplexe Verbesserung des Clusters atherogener Faktoren hin. In ihrem Zentrum steht die Optimierung der Insulinwirkung an Muskulatur, Leber und Fettgewebe durch Gewichtsnormalisierung und Steigerung der körperlichen Aktivität. Die Basistherapie stützt sich auf 5 Säulen nichtmedikamentöser Intervention: 1. Stoffwechselgrunddiät/Basiskost (Tab. 1) [5] 2. Korrektur von Übergewicht, besonders der androiden Adipositas [7] (Teilfasten) 3. Physische Konditionierung (i. S. eines aeroben Ausdauertrainings), die neben der Gewichtsreduktion mit einer Zunahme der Insulinsensitivität einhergeht [8],

4. Ausschalten begleitender Risikofaktoren (Alkohol, Nikotin, Streß, NaCl-Abusus; Normalisierung von Glykämie und Lipiden) 5. Schulung/Selbstkontrolle (Einzel- und Gruppenberatungen nach strukturierten Lehrprogrammen [13]) und Blutdruckmeßkurse für Arzthelferinnen und Assistenzpersonal [3]. Erfolgreiche Hochdrucktherapie ist nur durch Patientenschulung, Selbstkontrolle und flexible Anpassung der Behandlungsmaßnahmen erreichbar. Hilfreich für eine Therapie nach M a ß sind auch Blutdruckprofile, gewonnen durch Selbstmessung oder durch ein objektives 24-Stunden-Monitoring.

186

J. Schulze, Silke Meisel, M. Hanefeld

Tab. 1: Nichtmedikamentöse Basistherapie der Hypertonie bei Stoffwechselkrankheiten [5] Gesundkeitserziehung — Akoholkarrenz — Raucherentwöhnung — Ausdauertraining (Langlauf, Skilanglauf, Rudern, Radfahren, touristisches Wandern) — Ausreichende Erholungsphasen Ernährung — Fettreduktion auf 30% d. Energieaufnahme 10% gesättigte Fettsäuren 10% Monoensäuren 10% Polyensäuren reichlich Kaltwasserfisch — Kochsalzreduktion unter 8 g/d — Kohlenhydrate reichlich unbearbeitetes Obst und Gemüse, wenig raffinierte Kohlenhydrate — Eiweiße hoher Anteil an Pflanzenproteinen (bes. Soja, Bohnen, Hirse)

8.1.2

Antihypertonika

— Nutzen und

Risiko

Erst nach Ausschöpfung dieser basistherapeutischen Maßnahmen, die gleichermaßen günstige Effekte auf Blutdruck, Gewicht, Diabetes und Fettstoffwechsel entfalten, darf bei unbefriedigender Einstellung des Hypertonus nicht zu lange mit medikamentöser Therapie gezögert werden. Bei Werten ab 140/90 mmHg ist bei Mehrfachrisiko die Indikation für „stoffwechselneutrale" und progressionsverhütende Antihypertensiva gegeben — dies gilt auch für eine isolierte systolische Hypertonie (Abb. 1), [2]. Mittel der ersten Wahl sind Kalziumantagonisten, ACEHemmer und Alpha-l-Blocker. In zweiter Linie kommen selektive Betablocker, kaliumsparende Diuretika (Triamteren- oder Aldosteronantagonisten), Vasodilatantien und Sympatholytika in Betracht. Wegen diabetogener und ungünstiger Wirkungen auf den Lipid- und Purinstoffwechsel sollten Thiaziddiuretika und nichtselektive Betablocker bei prämanifestem oder manifestem Diabetes oder Dyslipoproteinämien mit Hypertonie nicht mehr angewendet werden [1, 15]. Die neueren Antihypertensiva sind nicht nur wirksam, effektiv und weitgehend stoffwechselneutral, sie üben darüber hinaus günstige Effekte auf weitere assoziierte Risikofaktoren aus (Tab. 2), [6, 16]. Nach dem aktuellen Erkenntnisstand sollten Alpha-l-Blocker, ACE-Hemmer, einige Kalziumantagonisten und einige Beta-l-Blocker wegen nachweisbarer Rückbildungspotenz linksventrikulärer Hypertrophie favorisiert werden [7, 8]. Darüber hinaus konnte sowohl für ACE-Hemmer als auch für Alpha-l-Blocker eine verbesserte Insulinsensitivität mittels Glukose-Clamp-Technik nachgewiesen werden [12].

8.1

Behandlung der Hypertonie

187

Monotherapie

Betablocker")

ACEHeraraer

Kalziumantagonist

Diuretikum'"")

Zweier-Kombinationen

Diuretikum'"')

plus

Betablocker)

Kalziumantagonist

ACE-Hemmer

Alpha-l-Blocker

oder

Kalziumantagonist

plus

Betablocker*)

ACE-Hemmer

*) Beta-l-selektive Blocker bevorzugen **) Triamteren, Aldosteronantagonisten bevorzugen Abb. 1: Therapievorschläge der Deutschen Hochdruckliga [2].

Auch im Hinblick auf begleitende Lipidstoffwechselstörungen verhalten sich ACEHemmer und Kalziumantagonisten neutral. Unter Langzeitanwendung mit peripheren Alpha-l-Blockern vom Doxazosin-Typ kommt es über eine Steigerung des Lipoproteinkatabolismus zu einer HDL-Cholesterin-Anhebung [9]. Bei Ödemneigung sind Schleifendiuretika, z. B. Furosemid, unter Elektrolytkontrolle indizidert, wobei sich kleine Dosen von Diuretika in Kombination mit einem ACEHemmer als sehr wirksam erwiesen haben. Die gegenwärtig gebräuchlichen Antihypertensiva und deren klinischer Stellenwert bei Hypertonie im Rahmen des Metabolischen Syndrom sollen noch einmal kurz zusammengefaßt werden (Tab. 3), [5]. Diuretika: Hydrochlorothiazidpräparate können die Triglyzeride bis zu 25% und das LDL-Cholesterol um 6% erhöhen [11]. Die Insulinempfindlichkeit wird herabgesetzt und das HbAi und die Blutglukose steigen an. Diese Medikamente sollen deshalb — wenn erforderlich — bei N I D D M nur als Kombination mit ACE-Hemmern und in niedriger Dosierung gegeben werden. Gleiches gilt für

188

J. Schulze, Silke Meisel, M . Hanefeld

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B
64

101,4

1,9 9,9

gesamt

59,7

2,0

Oftmals wird die Patientengruppe mit diabetischen .Fußkomplikationen denen mit durchblutungsbedingten Beinkomplikationen gleichgestellt und zu rasch und zu umfangreich amputiert. In der Deklaration von Saint Vincent wird eine Senkung der Amputationsrate um 50% angestrebt, was einerseits auf eine indikationsgerechte Anwendung dieser Therapieform, andererseits auf Ausschöpfung der Prophylaxe abzielt. Der diabetische Fuß als eine häufige und ernstzunehmende Komplikation des Diabetes mellitus verursacht mindestens 20% der Gesamtbehandlungskosten der ohnehin aufwendigen Therapie dieses chronischen Krankheitsbildes. Nicht selten führen Symptome einer diabetischen Fuß-Komplikation zu der Diagnose eines über längere Zeit unentdeckt gebliebenen und längere Zeit dekompensierten Diabetes mellitus Typ II. Es finden sich neben der Neuropathie dann auch schon diabetesbedingte Veränderungen häufig am Herz-KreislaufSystem, bei Typ-II-Diabetikern seltener an den Augen und den Nieren. An dieser

236

Sabine Fischer, H . Rietzsch

Stelle sei herausgestellt, d a ß der derzeitige Betreuungsstand der Diabetiker von Seiten ihrer Fußkomplikationen in ganz Deutschland sehr verbesserungsbedürftig ist. Kaum mehr als 10% der Diabetiker werden regelmäßigen Fußinspektionen unterzogen, von den Möglichkeiten einer sinnvollen Prophylaxe ganz zu schweigen. Die Diabetikerschulung und die Schulung der Ärzte nimmt bei der Überwindung dieses Zustandes eine herausragende Stellung ein. 9.1.2.2

Pathologische

Anatomie

und

Pathophysiologie

Lange bevor sich Nekrosen entwickeln, zeigen sich am diabetisch-neuropathischen Fuß pathologische Veränderungen. Das trophische Fußödem kann als eine Folge der autonomen Innervationsstörung mit Beeinträchtigung der Mikrozirkulation angesehen werden. Eine Hyperperfusion ist zu beobachten. Die Diskrepanz der guten Durchblutung des neuropathischen Fußes zu den trophischen Störungen m u ß in vermehrtem Shunt-Blut mit verminderter Sauerstoffausschöpfung gesehen werden. Besondere Bedeutung erlangt dieser Umstand in der nutritiven Versorgung des Knochens. Dem Auftreten von Osteolysen folgen oft Osteomyelitis mit umfangreichen Weichteilabszessen sowie Sepsis. Durch die Knochenveränderungen wird die mechanische Belastbarkeit des Fußskeletts erheblich gemindert, es k o m m t zu Fußdeformitäten, zu pathologischen Frakturen, zum Z u s a m m e n b r u c h des Fußgewölbes im Sinne eines C H A R C O T s c h e n Fußes. Aus der klinischen Erfahrung fällt auf, daß von dieser Komplikation besonders die Patienten betroffen scheinen, welche zur diabetisch-neuropathischen Genese Hinweise f ü r eine mögliche Alkoholschädigung des Nervensystems aufweisen (Bureau-BarriereS y n d r o m l ) . Die Innervation der Schweiß- und Talgdrüsen der Fußhaut ist in vergleichbarer Weise gestört. Daraus folgt eine verminderte Belastbarkeit der H a u t . Es k o m m t zu auffällig trockener, rissiger H a u t mit Neigung zu Hyperkeratosen. Diese Veränderungen bilden die Voraussetzung für das Auftreten von Rhagaden, den möglichen Eintrittspforten von Infektionen. Nicht selten nehmen die Hyperkeratosen extreme Ausmaße an, so d a ß sie wie ein Fremdkörper wirken und zu Drucknekrosen an den daruntergelegenen Gewebeabschnitten führen. Die Folge sind H ä m a t o m e , welche nach außen exulzerieren und sich infizieren. So kann ein klassisches neurotrophes Ulkus entstehen. Es tritt in den Hauptbelastungszonen des Fußes, so an den Köpfchen der Metatarsalia I und V, sowie an der Ferse auf. Pathogenetisch vergleichbar wirken Fremdkörper und Unebenheiten in den Schuhen, so wie auch einengendes Schuhwerk (Modeschuhe). Bei unsachgemäßer Fußpflege aufgetretene Verletzungen können gleichfalls die Entstehung eines Ulkus nach sich ziehen. Voraussetzung für die Entstehung und Chronifizierung des Ulkus ist die periphere sensible symmetrische Polyneuropathie, durch welche die Schmerzleitung blockiert und die biologisch sinnvolle Reaktion auf den Entzündungsschmerz, die Ruhigstellung, unterlaufen wird. N u r so ist erklärlich, daß Patienten mit schmierig belegten und nässenden Fußulzera über Jahre

9.1 Der diabetische Fuß

237

mit schnell nachlassendem eigenen Interesse an einer Behandlung umherlaufen, was dem Umstand der Minderbeachtung der Fußkomplikationen bei Diabetes mellitus nur Vorschub leistet. Bei Vorliegen einer motorischen und sensiblen, peripheren, symmetrischen diabetischen Polyneuropathie ist mit weiteren Lokalisationen von Druckulzera zu rechnen. Die motorische Komponente der Neuropathie führt zur Muskelatrophie und zur bevorzugten Beeinträchtigung der Adduktoren. Als Folge beobachtet man Druck- und Reibeschwielen, sowie Ulzera an den dorsalen Hautpartien der Gelenke. Die diabetische Gangrän ist keine nosologische Einheit. Chantelau [1] unterscheidet sehr praxisbezogen in: 1. Neuropathisch infizierter Fuß 2. Ischämisch-gangränöser Fuß bei peripherer arterieller Verschlußkrankheit 3. Fuß mit peripherer Neuropathie und arterieller Verschlußkrankheit. 9.1.2.3

Klinische Befunde und

Diagnostik

Die diagnostischen Bestrebungen richten sich beim diabetischem Fuß-Syndrom auf: Früherkennung

von prädisponierenden

Fußsymptomen

— Inspektion der Füße — Hautzustand, Ödeme, Schwellungen, Rötungen, Pilzinfektionen, Zustand der Zehennägel, Hornhautschwielen, Hühneraugen, Druckstellen In jedem Falle: Inspektion des Schuhwerkes! — Neurologische Untersuchung Stimmgabeltest, Wärmediskrimination, Reflexe, motorische und sensible Nervenleitgeschwindigkeit — Fußarchitektur Rigidität des Großzehengrundgelenkes, Fußgewölbe, gegebenenfalls orthopädische Diagnostik anschließen — Röntgendiagnostik Früherkennung von Osteolysen, Gelenkveränderungen, Gichtmanifestationen — Angiologische Untersuchung Dopplersonographie, Venenverschlußplethysmographie, Cruro-brachialer Index, Angiographie — Pedographie Druckverteilung und Druckaufnahme auf der Fußsohle [3, 4] — Gangbild

238 —

Sabine Fischer, H. Rietzsch Knochenszintigraphie N a c h w e i s einer K n o c h e n b e t e i l i g u n g bei u n k l a r e m R ö n t g e n b e f u n d , z u r Verlaufskontrolle

Untersuchungen —

bei Nekrose,

Ulkus,

allgemeinen

Infektzeichen

Inspektion Ausbreitung der N e k r o s e (Haut, Bindegewebe, Sehnen, Knochen)

— Mikrobiologische Diagnostik Wundabstrich, Blutkultur — Neurologische und angiologische Untersuchung — —

Röntendiagnostik Knochenszintigraphie N a c h w e i s einer K n o c h e n b e t e i l i g u n g bei u n k l a r e m R ö n t g e n b e f u n d , zur Verlaufskontrolle

F ü r die P l a n u n g der T h e r a p i e ist die g e n a u e Z u o r d n u n g d e r F u ß l ä s i o n u n e r l ä ß l i c h . T a b . 2 zeigt d a s d i f f e r e n t i a l - d i a g n o s t i s c h e V o r g e h e n a u f .

Tab. 2: Differentialdiagnose bei diabetischem Fuß

Anamnese:

Neuropathie

Angiopathie

langjähriger Diabetes mellitus + Nephropathie + Retinopathie

zusätzliche Risikofaktoren + Fettstoffwechselstörung + Chronische, ischämische Herzkrankheit + Nikotinabusus

+ Hinweis für Dekompensation, HbA l c TT

+ Claudikatio intermittens

Lokalisation:

plantar selten dorsal; Druckstellen und Schwielen

Sensibilität: (Stimmgabeltest)

reduziert, oft aufgehoben

Schmerzen:

wenig bis keine

vorhanden

Inspektion:

Fuß warm, rosig, trocken, verstrichene Konturen, voluminöser Fuß

Fuß kalt, blaß livide, atrophische Haut und Unterhaut

Fußpulse:

vorhanden (bei Fußödem evtl. schwer zu tasten)

Defizit

Röntgen:

frühzeitig Osteolysen

unauffällige Knochenstruktur oft auch im Nekrosebereich

akral Zehe, Ferse

9.1

Der diabetische Fuß

239

Abb. 1: Neurotrophes Ulkus an typischer Stelle. Der Patient ist seit 13 Jahren Diabetiker. Der Lokalbefund besteht seit über einem Jahr. Die Beteiligung des Gelenkspaltes ist gut zu erkennen. Osteolysen waren nicht nachweisbar. Der Befund heilte innerhalb von 6 Wochen ab.

Beim Fuß mit peripherer Neuropathie und arterieller Verschlußkrankheit sind Symptome aus beiden Gruppen anzutreffen. Das klassische neuropathische Ulkus (Abb. 1) zeichnet sich bei typischer Lokalisation durch folgende Befunde aus: — hyperkeratotischer Randwall — torpider Ulkusgrund, zum Teil tiefliegend, schmierig belegt — Begrenzung der Nekrose auf das Ulkusgebiet — stationärer Befund oft über längere Zeit — keine Heilungstendenz bei unverminderter Belastung des Fußes — Besiedlung durch unproblematische Hautkeime und Sproßpilze. Die Komplikationen bei derartigen Befunden (Abb. 2 und 3) bestehen in: — Mitbeteiligung des Bindegewebes und der plantaren Aponeurose mit ausgeprägter Phlegmone und rasch umsichgreifender Nekrose — Einbruch in Gelenkkapseln — Osteomyelitis mit Sequesterbildung, bevorzugt im Bereich der Zehen und des Mittelfußes (nicht Bedingung) — aufsteigende Infektionen entlang der Sehnenscheiden — Fieber, Sepsis

240

Sabine Fischer, H. Rietzsch

Abb. 2: Lokalbefund bei Patientin mit schwerer destruierender Osteomyletis an beiden Füßen. Es findet sich das klassische Bild des Malum perforans. Das Restulkus medial am linken Bein kam rasch zur Abheilung nach Resektion des Zehengrundgelenkes nach Cleyton. Das laterale schlecht heilende Ulkus liegt im Bereich einer ungünstigen plantaren OP-Narbe. (Original)

— Problemkeime kommen hinzu: Staphylokokken, Pseudomonas aeruginosa, Proteus mirabilis, Klebsiellen, E. coli, Enterokokken. In jedem Falle ist an Gasbrand zu denken — Die Immunisierung gegenüber Tetanus ist zu überprüfen, gegebenenfalls zu ergänzen. 9.1.2.4

Therapie

Die beste Therapie ist auch hier die Prophylaxe. Der Diabetiker als chronischer Patient bedarf einer intensiven Zuwendung mit dem Ziel der optimalen Stoffwechseleinstellung. Somit gelten alle diejenigen Hinweise, welche für die Behandlung der diabetischen Polyneuropathie dienlich sind. Da die diabetische Polyneuropathie im fortgeschrittenen Stadium irreversible Spätschäden zeigt, müs-

9.1

Der diabetische Fuß

241

A b b . 3: Ansicht der gleichen Patientin. Die beginnende Fußdeformation (Charcot) ist deutlich zu erkennen. Dorsale Inzisionen heilen in der Regel komplikationslos ab. (Original)

sen sich die Bemühungen am Fuß gegen das Auftreten von Nekrosen bzw. das Entstehen derartiger Rezidive richten. Für die spezielle Problematik ergeben sich folgende Schwerpunkte: Schulung

des

Patienten

Bei jeder Diabetikerschulung soll man der Problematik der Fußkomplikationen peinlichste Aufmerksamkeit schenken: — tägliche Fußinspektion — Nagelpflege gegebenenfalls durch den Arzt unterstützen lassen — Hornhautschwielen — Ursache beseitigen (Schuh, Druckstelle) — Abtragen nach Fußbad mit Bimstein möglich — keine schneidenden Werkzeuge zur Fußpflege verwenden — Fußbäder nur handwarm, Thermometer benutzen — Rückfetten der Haut nach dem Fußbad — Baumwollstrümpfe ohne Stopfstellen und Falten

242

Sabine Fischer, H . Rietzsch

-

Achtung auf Pilzinfektionen, Therapienotwendigkeit, Achtung in Schwimmbädern! - kein Barfußlaufen, auch zu Hause nicht — keine lokale zusätzliche Wärme — spezielle Fußgymnastik und ausreichende Bewegung sind sehr wichtig. Schuhe Bei Minimalveränderungen muß in der Regel nicht auf orthopädisches Schuhwerk zurückgegriffen werden. Der Patient soll geräumige, weiche Schuhe tragen, welche nicht reiben oder drücken. Gegebenenfalls können diese Schuhe mit einer weichen Einlage kombiniert werden. Grundsatz: Der Schuh ist dem Fuß anzupassen, niemals

umgekehrt!

Leider tragen viele Patienten selbst noch mit schweren Fußkomplikationen völlig ungeeignetes Schuhwerk. Es finden sich Löcher im Fußbett, zum Teil harte, nicht passende Einlagen, welche von Schuh zu Schuh weitergereicht werden. Nicht selten kann man aus den Schuhen hineingefallene Fremdkörper entfernen oder Nägel aus der Sohle spießen sehen. Derartige Umstände können für das mehr oder weniger plötzliche Auftreten von Nekrosen verantwortlich zeichnen. In jedem Falle sollte verantwortungsbewußt von Fall zu Fall entschieden werden, für welchen Patienten eine orthopädische Schuhversorgung indiziert ist. Eine Überweisung in eine Spezialsprechstunde kann dabei sehr hilfreich sein. In einigen Einrichtungen werden Pedographen eingesetzt, mit deren Hilfe man die Druckverteilung auf der Fußsohle graphisch darstellen kann. Ein Druck von über 50 N/ qcm wird als Gefahrengrenze für das Entstehen eines Druckulkus angesehen. Ein solcher Befund ist der orthopädischen Schuhversorgung zuzuführen. Das trifft selbstverständlich auch für die Patienten zu, bei denen Nekrosen abgeheilt, vielleicht sogar auch Amputationen durchgeführt wurden. Das orthopädische Schuhwerk für den diabetischen Fuß muß den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt sein, was besonders wichtig erscheint bei wechselnden Lokalbefunden, um dem erneuten Auftreten von Läsionen vorzubeugen. Das oberste Gebot der Schuhgestaltung besteht in der Vermeidung von Druckstellen, somit entspricht ein Schuh für einen Diabetiker nicht den sonst üblichen Ansprüchen der orthopädischen Schuhversorgung, welche auf Erhaltung und Wiederherstellung von Funktionseinheiten und der natürlichen Fußform abzielen. Um den deformierten Fuß weich und druckstellenfrei zu betten, sollte immer die Kooperation mit einem auf diesem Gebiet erfahrenen orthopädischen Schuhmacher gesucht werden, wie es bereits in Zentren gut realisiert wurde. Die Schuhe besitzen eine durchgehende harte Sohlenversteifung und eine Ballenrolle zur

9.1

Der diabetische Fuß

243

Entlastung der Metatarsophalangealgelenke. Die Einlage ist immer weich. Sie unterliegt einem Verschleiß und ist von Zeit zu Zeit nachzubessern. Durch Schuhe kann man ein Ulkus kaum zur Abheilung prophylaxe sind sie unerläßlich. Fachambulanz

für diabetischen

bringen,

zur

Rezidiv-

Fuß

Es wäre wünschenswert, wenn Patienten mit diabetischen Fußproblemen in Fachambulanzen zur Mitbetreuung vorgestellt würden. Derartige Ambulanzen funktionieren schon an einigen Zentren. Die Effektivität einer solchen Einrichtung konnte durch die Untersuchungen von Hanfland und Paetow bestätigt werden [2, 3, 5]. Die Versorgung im Einzugsbereich einer Spezialambulanz kam bei 68% des eingewiesenen Patientengutes mit einer konservativen, organerhaltenden Behandlung aus, während in einem untersuchten Krankengut eines Krankenhauses der Regelversorgung die Amputationsrate bei 49% lag. Zusätzlich fiel eine besonders hohe postoperative Mortalität und ein sehr hoher Anteil an hohen Amputationen auf (Oberschenkel). Bei der Behandlung des komplizierten diabetischen Fußes zahlt sich die reiche Erfahrung des Personals in der spezialisierten Betreuung aus. Als besonders vorteilhaft muß eine integrierte stationär-ambulante Behandlung der diabetischen Fußkomplikationen angesehen werden [3]. Besonderheiten im Verlauf der Behandlung und Rehabilitation eines jeden Patienten können im Interesse der Stabilisierung und Erhaltung des Behandlungserfolges wirksam werden. Bei Vorhandensein einer spezialisierten ambulanten Nachsorge ist es möglich, die oft recht langwierige stationäre Behandlung zeitlich abzukürzen und so auch den Kostenaufwand der gesamten Behandlung zu senken. Ganz besondere Aufmerksamkeit muß man der großen Rezidivgefahr nach abgeheilter Hautläsion schenken. Die Behandlungseinheit von Diabetologen und erfahrenem Orthopäden, sowie Orthopädie-Schuhmacher gestattet die unkomplizierte laufende Anpassung des Schuhwerkes bei nicht selten hinzutretenden Änderungen in der Fußbelastbarkeit. Von großer Bedeutung ist dabei das stabile Angebot für Patienten und Hausarzt, ohne Zeitverzug zu der erforderlichen spezialisieren Behandlung zu gelangen. Dadurch können schwere Befundverschlechterungen und stationäre Wiederaufnahmen deutlich reduziert werden, wie uns die Erfahrung bei der Arbeit in unserer der diabetologischen Station angeschlossenen „Ambulanz für diabetischen Fuß" zeigt. Die Behandlung

des neuropathisch

infizierten

Fußes

1. In der Regel wird eine stationäre Behandlung erforderlich sein. Die Einweisung soll in eine spezialisierte Klinik erfolgen, wo die Zusammenarbeit zwischen Diabetologen und Chirurgen/Orthopäden geübt ist. Es kann gelten, daß der Patient primär in die internistische Station mit einem erfahrenen

244

2.

3.

4.

5.

6. 7.

Sabine Fischer, H . Rietzsch

Diabetologen eingewiesen werden soll. Der Lokalbefund ist absolut ruhig zu stellen. Jede kompromißgeartete Belastung vor Abschluß der Heilung verzögert den Krankheitsverlauf! In derartige Überlegungen ist sogar der Gang zu der Toilette einzubeziehen! Normoglykämische Stoffwechseleinstellung mit Insulin: Diese erfordert im Regelfalle eine intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT). Die Insulinpumpenbehandlung (CSU) kann unter Umständen nötig und hilfreich sein. Eine unterstützende Neuropathiebehandlung mit Alphaliponsäure hat sich klinisch bewährt. Zusätzliche neuropathiebegünstigende Lebensgewohnheiten wie Alkoholgenuß sind abzubauen. Tägliche Lokalbehandlung: — antiseptisches Fußbad — Nekrektomie — Hornhautentfernung — Wundspülungen mit NaCl 0,9%, Wasserstoffperoxyd 3% nur oberflächlich — Feuchthalten der Wunde mit Dauerspülung oder Salbentüll je nach Lokalbefund — Verbandswechsel muß gegebenenfalls mehrmals täglich erfolgen. Antibiotische Therapie: — systemische Antibiotika nach Antibiogramm (Wundabstrich aus den tiefen Bereichen der Wunde) Penizillin/Cephalosporin + Clindamycin + Aminoglycosid — Langzeitbehandlung mit Clindamycin bei Knochenläsion (Röntgen/Szintigraphie) unter Umständen über mehrere Monate. Bei gastrointestinaler Unverträglichkeit des Clindamycin ist alternativ an andere grampositiv wirksame Antibiotika (Linkomycin, Teicoplanin) zu denken. — Lokale Antibiotika sind zum Teil umstritten. Gentamycinketten (Septopal®) und antiobiotischer Salbentüll (Sofratüll®) bringen in der Praxis gute Ergebnisse. Antimykotische Therapie: Für die Behandlung der Hautmykose ist Sol. Castellani SR in der Wirkung überzeugend. Weiterhin kann Nystatin-Zinköl zum Einsatz kommen. Nagelmykosen sind ebenfalls zu behandeln. Der Einsatz von Ungt. Kai. iodati 35% SR hat sich bewährt. Eine Hauttransplantation ist in der Regel nicht erforderlich. Amputationen und Sequesterentfernung: Sparsamste Amputation soll immer oberstes Gebot sein. Der neuropathische Fuß hat mit seiner intakten Blutversorgung wesentlich verbesserte Heilungstendenzen als der angiopathische Fuß. Sollte eine Operation nötig werden, so wäre diese nach ausreichender antibiotischer Behandlung und Demarkierung im Grenzzonenbereich zu planen. Beim neurotrophen diabetischen Fuß

9.1

Der diabetische Fuß

245

wird eine schwere, nicht beherrschbare Sepsis die seltene Ausnahme darstellen, welche dann als Indikation für eine Amputation größeren Ausmaßes stehen kann. 8. Hautpflege: Hornhautprophylaxe und -entfernung, Nagelpflege, Hautfettung mit Ol. ped. tauri sind angezeigt. 9. Orthopädische Schuhversorgung nach Abschluß der Wundheilung [6]: Für Langzeitverläufe kann ein Übergangsschuh eventuell nur als Kompromiß dienen. Der sogenannte Fersenschuh ermöglicht bei Ulzera im vorderen Fußbereich eine frühere Mobilisierung des Patienten und eine bessere ambulante Behandlung. Die Patienten sollten ihr eigenes bis zuletzt getragenes Schuhwerk nicht mehr verwenden. Gegebenenfalls sind Zweit- und Hausschuhe zu beantragen. 10. Medikamentöse Allgemeinmaßnahmen (Heparin, ASS zur Thromboseprophylaxe). 9.1.2.5

Zusammenfassung

Der „Diabetische Fuß" stellt neben Retinopathie und Nephropathie in den Endstadien eine schwere Diabeteskomplikation dar. Bedauerlicherweise wird dieser Umstand in der klinischen Praxis allzuoft unterbewertet, was die immer noch recht große Zahl an nicht indikationsgerecht behandelten Patienten zeigt. Einerseits erfolgt die zu schnelle Einweisung in eine chirurgische Klinik mit der Folge einer oft übereilten Operation und zu hohen Amputation. Im Gegensatz dazu stehen die Patienten, bei denen das neurotrophe Ulkus über lange Zeit mit Salben und dergleichen „gepflegt" wird, ohne daß es dabei zur Abheilung kommt. Im Vordergrund steht die Prophylaxe des diabetischen Fuß-Syndroms, die Schulung und Motivierung des Patienten, den Frühsymptomen entgegenzuwirken. Die spezialisierte Betreuung des Patienten mit diabetischem Fuß in Zentren kann wesentlich dazu beitragen, die Ziele der Saint-Vincent-Deklaration mit der Reduzierung der Amputationsrate um 5 0 % als realistisch einzuschätzen. Literatur [1] Chantelau, E., M . Spraul, M . Schmid: Das Syndrom des diabetischen Fußes. Dtsch. med. Wschr. 114 (1989) 1 0 3 4 - 1 0 3 9 . [2] Hanfland, J.: Welchen Beitrag leistet eine Spezialambulanz bei der Behandlung von Patienten mit „diabetischem Fuß"? Med. Welt 38 (1987) 1 4 0 5 - 1 4 0 9 . [3] Kardorff, B.: Ergebnisse einer integrierten ambulanten und stationären internistischen Behandlung des „diabetischen Fußes". Präv.-Rehab. 4 (1992) 1 - 8 . [4] Most, R., P. Sinnock: T h e epidemiology of lower extremity amputations in diabetic individuals. Diab. Care 6 (1983) 87. [5] Paetow, P.: Operative und konservative Therapie des „diabetischen Fußes" in einem Krankenhaus der Grundversorgung. Präv.-Rehab. 3 (1991) 1 1 2 - 1 1 8 .

246

Sabine Fischer, H. Rietzsch

[6] Schaff, P. S., W. E. Siebert: Ulcusprophylaxe am diabetischen Fuß. Orthopädie-Schuhtechnik 6 (1988) 1 6 - 2 3 . [7] Standl, E., H. U. Janka: Der diabetische Fui?. In: H. Mehnert, K. Schöffling (Hrsg.): Diabetologie in Klinik und Praxis, 2. Aufl., S. 5 1 3 - 5 2 8 . Thieme Verlag, Stuttgart, New York.

9.2 Die diabetische Polyneuropathie H.

9.2.1

Rietzsch

Einleitung

Vor rund 200 Jahren beschrieb Rollo die diabetische Neuropathie als eine Erscheinungsform bei Diabetes mellitus. Mit einem Anteil von über 30% an allen Polyneuropathien stellt sie heute neben der alkoholinduzierten Polyneuropathie eine ganz wesentliche Krankheitsform dar. Zweifellos prägt nach wie vor die mögliche lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung die Begründung von therapeutischen Maßnahmen zur Behandlung des Diabetes mellitus. Die Konsequenzen einer Therapieform, welche eben nur gerade die unmittelbaren Gefahren durch den Diabetes mellitus verschwinden läßt, scheinen jedoch in einer ausgeprägten Begünstigung der diabetesbedingten Nervenschädigung zu liegen. Neuropathiesymptome werden im klinischen Alltag oft unterbewertet, zu spät diagnostiziert und können dann nur noch ungenügend therapeutisch beeinflußt werden. Der besonders in den letzten beiden Jahrzehnten enorm angewachsene Kenntnisstand ließ diese über lange Zeit gering geschätzte Diabetes-Komplikation verstärkt in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Es zeigte sich durch Untersuchungen zu Morphologie, Stoffwechsel und Funktion der betroffenen Nerven recht bald, daß der klassische, klinisch definierte Polyneuropathiebegriff für die Beschreibung des Krankheitsbildes nicht mehr ausreicht. So ist durch den fehlenden Nachweis von Nervenläsionen, zum Beispiel als Resultat der Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit kein Ausschluß einer diabetischen Polyneuropathie gegeben. Die Kenntnisse zum Krankheitsbild werden derzeit besonders durch neues Wissen um die „autonome diabetische Polyneuropathie" gemehrt. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Störungen und Symptome werden noch oft isoliert voneinander betrachtet und untersucht. Zunehmend greift aber die Erkenntnis, daß die autonome der peripheren diabetischen Polyneuropathie vorausgeht und damit das Auftreten von irreversiblen Schäden („Point of no return") eher prognostiziert werden kann. In Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sollte für die diabetische Nervenschädigung der Begriff „Diabetische Polyneuropathie" besser verwendet werden. Die Diagnostik dieser Diabetes-Komplikation ist damit umfangreicher geworden. Sie stellt einen therapiebegleitenden und therapiebestimmenden Faktor in der Diabetesbehandlung dar. Neuere Untersuchungen geben zu der Vermutung Anlaß, daß das Syndrom der diabetischen Spätschäden einen Schlüssel in der diabetischen Polyneuropathie findet. Es ist zu erwarten, daß zukünftig sensible Methoden zur frühzeitigen Erfassung derartiger Störungen der Bewertung einer erfolgreichen Diabetesbehandlung dienen können. Als Hauptursache für die dia-

248

H. Rietzsch

betische Polyneuropathie wird der durch die Hyperglykämie gestörte Nervenstoffwechsel angesehen. Daraus leitet sich als Therapieziel zur Vorbeugung der diabetischen Spätschäden die Erreichung der Normoglykämie ab. Einem Patienten mit diabetischer Polyneuropathie m u ß man ständig ein Maxim u m an Aufmerksamkeit schenken. Subtile klinische Untersuchungsbefunde und auch diskrete Hinweise aus der Krankheitsschilderung sollten immer unter dem Gesichtspunkt gewertet werden, daß der Patient durch seine Erkrankung großer Teile seiner Selbstwahrnehmung beraubt ist. Der schmerzlos aufgetretene, zu spät behandelte Herzinfarkt oder lange bagatellisierte schwere Fußkomplikationen können allzuoft zu Schicksalsschlägen im Krankheitsverlauf und im Leben des Diabetikers werden. 9.2.2

Epidemiologie

und

Pathogenese

Die diabetische Polyneuropathie wird den sogenannten Spätschäden zugerechnet. Diese Aussage erweckt den trügerischen Anschein, als ob eine angenommene Latenz der klinischen Symptome ein Abwarten mit konsequenten therapeutischen Interventionen rechtfertige. Pirart [9] zeigte, daß bei 7,5% der erfaßten Diabetiker bereits bei Diagnosestellung klinische Symptome der diabetischen Polyneuropathie nachweisbar waren. Die Prävalenz der Polyneuropathie erhöhte sich auf 40% bei 20, sogar auf 50% bei 25 Jahren Diabetes-Dauer. Diese Zahlen belegen, daß sich die Polyneuropathie mit Beginn der diabetischen Störung zu entwickeln beginnt. N a c h Vinik (Ann Arbor 1987) k a n n mit dem Auftreten einer diabetischen Polyneuropathie bei 90% der Diabetiker gerechnet werden. Die Angaben in der Literatut schwanken zwischen 10 und 100% [7]. Die Häufigkeit der diabetischen Polyneuropathie ist bei I D D M und N I D D M etwa gleich. BeimTyp-I-Diabetes werden erste klinische Symptome der Polyneuropathie frühestens nach einem Jahr nachweisbar, wie zum Beispiel das herabgesetzte Vibrationsempfinden an den Füßen [12]. Anders beim Typ-II-Diabetes, w o die Stoffwechselstörung der klinischen Diagnose über Jahre vorangeht und die Polyneuropathiesymptome nicht selten bei der Erstuntersuchung aufallen, unter Umständen der Diabetes mellitus zum Beispiel durch eine Fußkomplikation entdeckt wird. Die N e u r o p a thie tritt bei älteren Diabetikern häufiger auf. 9.2.3

Pathologische

Anatomie

Histologische Untersuchungen an den Nerven zeigten segmentale Zonen der Schwann'schen Zellen mit De- und Remyelinisierungsgebieten, letztlich mit Axondegenerationen. Im Falle der neuropathologischen Schmerzen konnte der bevorzugte Befall der dünnen Nervenfasern nachgewiesen werden [2], Eine Reduzierung der Kapillaren wurde in positiver Korrelation zur Schwere der Neuropathie gefunden. In Fällen lokaler Neuropathie kann, wie bei der sogenannten „Diabe-

9.2 Die diabetische Polyneuropathie

249

tischen Amyopathie" eine Atrophie der Muskelfasern nachgewiesen werden. Pathologisch anatomische Veränderungen finden sich an den Nervenfasern des autonomen Nervensystems bis hin zu den Ganglien. 9.2.4

Pathophysiologie

Zur Pathophysiologie der Nervenschädigung werden mehrere Hypothesen diskutiert, wobei für keine der endgültige Beweis erbracht ist. 1. Eine Erhöhung des Abbaus von Glukose zu Sorbitol durch Aldosereductase führt zur Verminderung der Konzentration an freiem Myoinosit, eines 6wertigen Alkohols, worauf sich eine Störung der Phospholipid-Hüllmembranen und der Na-K-ATPase aufpfropft. Folgeerscheinung ist die energetische Insuffizienz der Nervenfasern. 2. Vieldiskutiert ist die Hypoxiehypothese, wonach auf dem Boden einer Mikroangioorganopathie der Vasa nervorum eine Minderversorgung der Nerven resultiert. Diese Vorstellungen würden auch mit dem Myoinosit Stoffwechsel zu vereinen sein. Der bevorzugte Befall der dünneren Nervenfasern könnte damit eine Erklärung finden. Zudem verschlechtern sich die Flußeigenschaften des Blutes bei ungünstiger Glykämielage. 3. Der gestörte axonale Transport von Neurotransmittern wurde untersucht. 4. Die nichtenzymatische Glykatierung der Nervenproteine ist in ihrer speziellen Bedeutung noch ungeklärt. Erwiesen ist, daß eine schlechte Glykämielage ein wesentlicher Faktor für die Entstehung der diabetischen Polyneuropathie ist. Bei unbehandelten Typ-II-Diabetikern korrelierte die Störung der Nervenleitgeschwindigkeit mit den HbA^Spiegel [10]. Nächtliche Neuropathieschmerzen ließen sich durch Normalisierung des Blutzuckers mittels Insulinpumpe erfolgreich behandeln [1], Weiterhin ist die Ausprägung der autonomen diabetischen Polyneuropathie bei Typ-I- und Typ-II-Diabetikern gleichhäufig, was ebenfalls als Hinweis auf die kausale Bedeutung der Hyperglykämie angesehen wird [8]. 9.2.5 Einteilung und klinische Symptome

der diabetischen

Neuropathieformen

Verschiedene Erscheinungsbilder haben zur Klassifikation der diabetischen Neuropathie geführt, wobei klinische als auch subklinische Kriterien Einfluß haben. Aus praktischer Sicht sind Einteilungen nach klinischen Befunden von Vorteil: 1. autonome diabetische Polyneuropathie 2. bilateral distale, vorwiegend sensible, sensibel-motorische Polyneuropathie 3. fokale Neuropathien. Diese Unterscheidungen schließen ein, daß die Formen miteinander kombiniert vorkommen können.

250

9.2.5.1

H. Rietzsch

Die autonome

vegetative

Polyneuropathie

Wegen ihrer großen Bedeutung aus pathophysiologischer Sicht soll diese Neuropathieform an vorderer Stelle abgehandelt werden. Irreversible Schäden am autonomen Nervensystem haben sich nicht selten eingestellt, bevor Symptome der peripheren Neuropathie auftreten und erkannt werden. Besonders alarmierend sind die Hinweise auf eine extrem erhöhte Mortalität bei Diabetikern mit autonomer Polyneuropathie. Z u m Beispiel fand Ewing [4] eine 5 0 % ige Mortalität 21/2 Jahre nach Diagnose einer autonomen Neuropathie. Auch Hasslacher [5] findet eine bis dreifach höhere Mortalität bei Diabetikern mit im Vergleich zu ohne autonomer Neuropathie. Offenbar bestehen wichtige Beziehungen der autonomen Neuropathie zu den anderen sogenannten Spätkomplikationen des Diabetes mellitus. So steht die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang von Neuropathie, Nephropathie und Retinopathie. Der Einfluß der Nervenstörung auf die Mikrozirkulation der betroffenen Organe muß als möglicher Progressionsfaktor angesehen werden [6]. Das vegetative Nervensystem mit seiner allgegenwärtigen Verbreitung im Organismus kündigt sich durch eine große Zahl von möglichen Ausfallerscheinungen in den verschiedenen Organsystemen an. Diese können aus praktischen Gründen in viszerale und periphere Störungen unterteilt werden.

Polyneuropathiebedingte

Störungen am kardiovaskulären

System

Klinik Orthostatische Dysregulation mit zum Teil erheblichem Abfall der Blutdruckwerte ist Ausdruck für eine Störung im Sympathikus. Durch die Blutdruckschwankungen, insbesondere durch den Orthostaseeffekt kann unter Umständen eine Hypertonie übersehen werden. Bei Diabetikern mit autonomer vegetativer Neuropathie fehlt oft der physiologische nächtliche Blutdruckabfall, woraus ein erhöhter Tagesmitteldruck resultiert. Dieses Symptom ist jetzt durch die Möglichkeit einer 24 h-Blutdruck-Messung mit Pulskontrolle gut zugänglich. Eine Ruhetachykardie mit Herzfrequenzen bis 90/min ist bereits ein deutlicher Hinweis auf eine kardiale, parasympathisch bedingte Neuropathie. Differentialdiagnostisch muß an eine Tachykardie als Folge einer Komedikation mit Nifidepin, Prazosin oder anderen Pharmaka gedacht werden. Durch die hinzukommende Starre der Herzfrequenz, z. B. das Fehlen der, bei Gesunden vorkommenden, sogenannten respiratorischen Arrhythmie kann diese Störung gesichert werden. Spezielle Diagnostik Prinzipiell können orientierende Parameter durch einfache Untersuchungen erreicht werden. Die respiratorisch bedingte Herzfrequenzvariabilität kann bei tiefer In- und Expiration im Fünf-Sekunden-Takt bei gleichzeitiger EKG-Ableitung dokumentiert werden. Eine Frequenzveränderung von weniger als 10/min ist

9.2

Die diabetische Polyneuropathie

251

verdächtig auf eine kardiale autonome Neuropathie. In Kombination mit dem Valsalva-Druckversuch (über ein Mundstück wird die Quecksilbersäule des Blutdruckmessers auf 40 mm Hg für fünf Sekunden gepreßt) läßt sich die Diagnose Parasympathikusschädigung durch Nachweis der fehlenden Herzfrequenzabsenkung sichern. Die Auswertung der gewonnenen EKG-Streifen kann in der Praxis nach folgendem Schema erfolgen: Kürzester R-R-Abstand im EKG Quotient Längster R-R-Abstand im EKG Normalbereich Grenzbereich Pathologisch

über 1,21 1,11 — 1,20 unter 1,10

Hinzu kommt die Bestimmung der QT-Zeit im EKG. Sie ist in Fällen einer autonomen kardialen Neuropathie verlängert, wodurch das erhöhte Risiko eines plötzlichen Herztodes erklärt werden kann. An dieser Stelle sei auf die Bedeutung der Schäden an der kardialen, viszeralen Schmerzsensorik verwiesen. Schmerzarme oder schmerzlos ablaufende Herzinfarkte sind die Folge. Die Orthostasereaktion kann mit dem allgemein üblichen Schellong-Test erfaßt werden. Mit rechnergestützten Untersuchungsmethoden der Herzfrequenzveränderungen in Ruhe, bei forcierter Atmung, während des Valsalva-Druckversuch und mit dem Ewing-Test lassen sich die Symptome recht gut dokumentieren, wie die mit dem „ProSciCard"-System dokumentierten Untersuchungsbefunde veranschaulichen (Abb. 1 und 2). Herzfrequenz 160

BpM 140 120

100 80

~A A. A

A

A

A

A A

A

A A

60 40

20 Abb. 1: Herzfrequenzvariation bei forcierter A t m u n g bei einem Diabetiker o h n e P a r a s y m p a thikusschädigung, n o r m a l e r Befund, R - R Variationskoeffizient 1 2 , 4 % ; 55jähriger TypIi-Diabetiker, H b A l c 7 , 1 % , ( P r o S c i C a r d , Original)

252

H. Rietzsch Herzfrequenz 160 r BpM

U0 120

100 80 60 40 20

Abb. 2: Herzfrequenzstarre bei forcierter Atmung bei einem Patienten mit ausgeprägter kardialer autonomer Polyneuropathie, R - R Variationskoeffizient 1,66%; 43jähriger Typ-IiDiabetiker, H b A l c 9 , 5 % , (ProSciCard, Original)

M i t der 2 4 - S t u n d e n - B l u t d r u c k - u n d P u l s m e s s u n g k a n n neben einer manifesten H y p e r t o n i e v o r allem die n ä c h t l i c h e H y p e r t o n i e sicher n a c h g e w i e s e n w e r d e n , wie die mit d e m „ S p a c e L a b s " - S y s t e m g e w o n n e n e n Untersuchungsbeispiele verdeutlic h e n (Abb. 3 und 4 ) . Z u k ü n f t i g w e r d e n d e r a r t i g e spezialisierte U n t e r s u c h u n g e n der täglichen P r a x i s bei d e m A u f s p ü r e n dieser N e u r o p a t h i e f o r m sehr hilfreich sein.

260 240 " 5 220 |

200

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100 80 60 40

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14

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18

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2

4

6

8

10

Abb. 3: 24Stunden-Blutdruckprofil bei einem Patienten ohne Hinweis auf eine Sympathikusschädigung, Normotonie und nächtlicher Blutdruckabfall sind physiologisch vorhanden 52 jährige Typ-II-Diabetikerin, H b A , c 7,5%,(SpaceLabs, Original)

9.2 Die diabetische Polyneuropathie

253

Tag 1

260

240

'S 220 g 200 £

180

^ 160 S

140

2 120 S 100 80 60 40

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14

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18

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22 Uhrzeit

0 2 (Stunde)

4

6

8

10

12

Abb. 4: 24Stunden-Blutdruckprofil bei einem Diabetiker mit ausgeprägter nächtlicher Hypertonie, 57jähriger Typ-II-Diabetiker, H b A l c 9,3%, (SpaceLabs, Original)

Polyneuropathiebedingte

Störungen am

Gastrointestinum

Klinik An Speiseröhre, Magen, Darm und auch Gallenblase macht sich die Neuropathie vor allem durch Motilitätsstörungen bemerkbar. Klinische Symptome werden besonders bei Typ-I-Diabetikern beschrieben. Sie treten bei fortgeschrittener Polyneuropathie auf. Erhebliche Verzögerungen der Magenentleerung mit nachfolgenden Resorptionsstörungen können erhebliche Probleme bei der Diät- und Insulinbehandlung hervorrufen. Für den Patienten besonders quälend sind die Störungen der Darmmotilität. Die bei bis zu 20% der Diabetiker zu beobachtende Obstipation des Kolon stellt dabei das geringere Problem dar. Wässrige Durchfälle als Folge einer autononomen Neuropathie des Dünndarms trifft man leider nicht selten an. Dabei kommt es zu Keimaszensionen im Darm und so zu bakteriellen Dysenterien, woraus sich weitere therapeutische Zusatzprobleme ergeben. Innervationsstörungen des Analsphinkters können eine Inkontinenz zur Folge haben. Die Entleerungsstörungen der Gallenblase, welche sich sonographisch nachweisen lassen, sind nach heutiger Kenntnis von geringer klinischer Bedeutung, werden aber für das gehäufte Auftreten von Gallensteinen bei Diabetikern mitverantwortlich gemacht.

254

H. Rietzsch

Spezielle Diagnostik D u r c h Kineradiographie kann die Mobilitätsstörung des Ösophagus und M a g e n s nachgewiesen werden. N e b e n radiologischen und nuklearmedizinischen M e t h o den wird die wenig belastende ultraschallgestützte B e o b a c h t u n g der M a g e n e n t leerung nach Flüssigkeitszufuhr in letzter Z e i t bei entsprechender Erfahrung des Untersuchenden häufig geübt. D a b e i treten aber nicht selten divergente Befunde auf. So kann es Untersuchungstage geben, an denen die Störung weniger, an anderen wiederum mehr ausgeprägt ist. D i e aussagekräftigste

Untersuchungs-

methode scheint die M a g e n - D a r m - P a s s a g e mit 9 9 m Technetium

markiertem

standardisiertem Nahrungsbrei zu sein.

Polyneuropathiebedingte

Störungen am

Urogenitalsystem

Klinik Als wichtige Folge der Nervenstörung m u ß die D e t r u s o r s c h w ä c h e

angesehen

werden, wodurch eine Blasenatonie mit H a r n v o l u m e n von nicht selten über 5 0 0 ml folgt. Pollakisurie, Streßinkontinenz und Restharn über 5 0 ml sind wichtige Hinweiszeichen auf eine Blasenbeteiligung und deuten auf eine weitere Komplik a t i o n , die Entstehung eines chronischen Harnwegsinfektes hin. Anamnestisch oft übersehen wird die Störung der Sexualfunktion.

Wichtiges

S y m p t o m ist eine erektile Impotenz bei unbeeinträchtigter Libido. Weiter werden O r g a s m u s a b n o r m i t ä t e n beschrieben. So kann bei n o r m a l e m O r g a s m u s die normale E j a k u l a t i o n ausbleiben. So k o m m t es zur retrograden E j a k u l a t i o n in die Blase. Innervationsstörungen der Nebenniere mit Störungen der Kortisolsekretion haben besonders bei Typ-I-Diabetes Bedeutung. Spezielle Diagnostik Die retrograde E j a k u l a t i o n läßt sich durch Spermanachweis im

Katheterurin

nachweisen. D a s Restharnvolumen k a n n leicht sonographisch beurteilt werden.

Periphere Störungen am autonomen

Nervensystem

D a s Syndrom des diabetischen Fußes ist auch Folge der diabetischen a u t o n o m e n Polyneuropathie. Erstes S y m p t o m ist hierbei das F u ß r ü c k e n ö d e m . Wegen der herausragenden klinischen Bedeutung wird auf das entsprechende Kapitel verwiesen. Weiterhin bedeutungsvoll ist eine Störung der Schweiß- und Talgdrüsensekretion. N e b e n der typisch trockenen F u ß h a u t treten ausgeprägte Schweißabsonderungen am K ö r p e r s t a m m auf. So finden sich die Patienten oftmals nachts schweißgebadet. Diese S y m p t o m e sind beim Typ-I-Diabetes häufiger als beim Typ-II-Diabetes.

9.2

9.2.5.2 Die bilateral

distale sensible,

Die diabetische Polyneuropathie

sensibel-motorische

255

Polyneuropathie

Hierbei handelt es sich um die klassische Form der Erkrankungsgruppe. Sie ist die am häufigsten, weil klinisch relativ eindeutig zu diagnostizierende Form. Erste Symptome sind Kribbeln, Dys- und Parästhesien an der unteren Extremität. Im weiteren Verlauf können typische neuropathische Schmerzen auftreten, welche sich besonders nachts beim Patienten melden. Sobald die Patienten zur Ruhe kommen, beginnen diese Beschwerden in unterschiedlicher Höhe an den Beinen. Es fällt den Betroffenen dann schwer, die Beine ruhig zu halten, z. B. unter der Bettdecke zu belassen. Eine Erleichterung verspüren sie bei Bewegung, ja auch beim nächtlichen Umhergehen. Eben wegen dieser Symptomatik haben sich die Begriffe „Brennende

Füße"

und

„Rastlose Füße"

bei der klinischen Beschreibung als sehr treffend herausgestellt. Die geschilderten Beschwerden können bei rasch fortschreitenden Formen der Polyneuropathie auch Wochen und Monate zurückliegen und zum Untersuchungszeitpunkt durch den hinzugetretenen Sensibilitätsausfall überlagert werden. Die Diagnose stützt sich neben den anamnestischen Informationen auf klinische Befunde: — vorzugsweiser Befall der unteren Extremität, Arme sind sehr selten mit beteiligt — bevorzugter Ausfall oder Abschwächung des Achillessehnenreflexes, aber auch des Patellarsehnenreflexes und des Radiusperiostreflexes — von den Füßen aufsteigende sensible Ausfälle, dabei ist besonders auch die Tiefensensibilität der Beinmuskulatur mitbetroffen — pathologisch geminderte Vibrationsempfindung — oft schwer gestörtes Wärme-Kälte-Empfinden bis hin zu einer Analgesie. Der für das Vibrationsempfinden repräsentative Stimmgabeltest ist allerdings eine subjektive Untersuchungsmethode. Er eignet sich zur orientierenden Untersuchung und zur Verlaufsbeobachtung. Er ist einfach durchzuführen und kann als verläßliches diagnostisches Hilfsmittel empfohlen werden. Damit der Patient die Vibration der Stimmgabel sicher fühlen kann, empfiehlt es sich, einen ReferenzUntersuchungspunkt mit hoher Sensibilität, so z. B. im Schulterbereich zu Beginn der Untersuchung zu prüfen. Am Bein untersucht man verschiedene Etagen, so Zehen, Fußmitte, Malleoli innen und außen, Unterschenkel im Seitenvergleich. Auf definierte Untersuchungspunkte ist zu achten, damit die einzelnen Untersuchungen miteinander vergleichbar werden. Auch einen Lerneffekt beim Patienten muß man mit berücksichtigen. Die Vibrationsintensität der Stimmgabel (f = 128/ s) kann in 8/8 abgelesen werden. Die Sensibilitätsempfindung nimmt nach distal und mit zunehmendem Alter ab. Unter Berücksichtigung der Subjektivität kann man sich an folgenden unteren Grenzen orientieren [3]:

256

H. Rietzsch

Untersuchung des Innenknöchels Normuntergrenze bis zum Alter von 40 Jahren: 6/8 Normuntergrenze im Alter von über 40 Jahren: 4/8 Mit der Stimmgabeluntersuchung erhobene Befunde hängen von vielen Einflußfaktoren ab. Insbesondere ist dabei die Mitarbeit des Patienten von entscheidender Bedeutung. Für systematische Untersuchungen ist die Methode offenbar nicht geeignet, wohl aber für die orientierende Untersuchung. Die methodisch genauere Vibratometrie läßt sich nicht ohne großen Aufwand am Krankenbett durchführen, ist aber für systematische Erhebungen unerläßlich. Einfache Sensibilitätstests können die Untersuchung komplettieren: — Lokalisierung des Berührungspunktes — spitz/stumpf-Untersuchungen — warm/kalt-Unterschiede (eine Temperaturdifferenz von 10 Grad soll noch erkannt werden) — Reizdiskriminierung mit Stechzirkel (Die Reizstellen werden im Normalfall dann als zwei Reize wahrgenommen, wenn sie an den Fingerspitzen 3 — 5 mm, am Fußrücken 30 — 40 mm auseinanderliegen) — Untersuchung der motorischen und sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit — Suche nach motorische Paresen — selten treten Gangstörungen und gehäufte Stürze als Symptome des Ausfalles der Tiefensensibilität auf. Die bilateral distal-sensible, sensibel-motorische Polyneuropathie tritt sowohl bei Typ-I-, als auch bei Typ-II-Diabetes auf. Sie stellt sich im klinischen Verlauf und in der Prognose eher ungünstig dar. Heilungen sind selten. Der Manifestation folgt bei schlecht behandeltem Diabetes nicht selten eine rasche Progredienz. Bei Therapieoptimierung des Diabetes kommt es in der Regel zu Teilremissionen mit Fortbestehen neuropathischer Beschwerden, welche sich aber für den Patienten oft in überzeugender Weise bessern. Die vollständige Rückbildung der Symptome bildet die Ausnahme. 9.2.5.3 Fokale

Neuropathien

Nur beim Typ-II-Diabetes treten Störungen an verschiedenen Einzelnerven auf, die in der Regel von motorischen Lähmungen gefolgt werden. Für die Manifestation scheinen Dauer und Schwere der Stoffwechselentgleisung von geringerer Bedeutung zu sein. Auffällig ist die Häufung bei akuten Zusatzerkrankungen. Die sogenannte amyotrophische asymmetrische proximale Polyneuropathie befällt bevorzugt die Rumpfmuskulatur. Folge sind Lähmungen am Mm. quadriceps und psoas, bei z. B. erhaltenem Patellarsehnenreflex! Andere Muskeln, so auch am Schultergürtel (M. deltoidens) können ebenfalls betroffen sein. In der Regel fallen Atrophien auf. Ein Anteil von 25% aller Neuropathien wird für die fokalen

9.2 Die diabetische Polyneuropathie

257

Formen angegeben. Charakteristisch für diese Nervenschädigung ist der Wechsel der Lähmungsbilder im Krankheitsverlauf. Auch Hirnnerven (III, IV, VI, VII), bevorzugt aber die Augenmuskelnerven sind betroffen. Die Ophtalmoplegie setzt akut ein und zeigt einen einseitigen, zumindest asymmetrischen Befall. Die Lähmungen werden von erheblichen periorbitalen Gesichtsschmerzen bekleidet. Facialisparesen treten bei Diabetikern häufiger auf als bei Stoffwechselgesunden. Weiterhin finden sich vermehrt das Karpaltunnelsyndrom und auch die Peroneuslähmung als Folge von Druckschäden. Selten können auch Interkostalnerven und der N. phrenicus betroffen sein. Diese Nervenläsionen haben eine gute Prognose, viel günstiger als bei der sensomotorischen Form. Es finden sich rasche Remissionen bei nur sehr geringer Neigung zur Defektheilung. 9.2.6

Differentialdiagnose

der diabetischen

Polyneuropathie

Diabetes mellitus und toxische Alkoholwirkung bedingen 2A der Polyneuropathien. Zu bemerken ist, daß die Erkrankung bei Vorliegen beider Noxen einen schweren Verlauf nehmen kann. Von der langen Liste der verbleibenden Ursachen seien stellvertretend genannt: — — — — — — — —

Urämie Folsäure und Vitamin B12-Mangel Hypothyreose und andere Endokrinopathien Porphyrie Schwermetallintoxikation Vaskulitis Paraneoplasie Parainfektiöse Genese.

9.2.7 Therapie der diabetischen

Polyneuropathie

Eine optimale Stoffwechseleinstellung mit Normoglykämie ist das wichtigste therapeutische Mittel zur Beeinflussung der diabetischen Polyneuropathie. Es ist zu beachten, daß eine Rückbildung der Symptome nur solange möglich ist, sofern die Schäden nicht den Punkt des Verlusts der Regenerationsfähigkeit der Nervenzellen („point of no return") überschritten haben. So sind die Therapieaussichten von ohne Effekt bis zur völligen Rückbildung der Beschwerden, in jedem Falle aber in einer Verhütung des Fortschreitens der Veränderungen, zu sehen. Daraus leitet sich zwangsläufig ab, daß die Therapie der Polyneuropathie so frühzeitig, wie nur möglich einsetzen muß. Die Maßnahmen zur Stoffwechseloptimierung können durch medikamentöse Maßnahmen flankiert werden, welche einen unterschiedlichen Stellenwert haben.

258

H. Rietzsch

1. In der Regel lassen sich schwere Neuropathieformen nur mit einer suffizienten Stoffwechseleinstellung, so zum Beispiel mit einer intensivierten Insulinbehandlung beeinflussen und in der Progredienz aufhalten. Neuerdings wird der Einsatz von Insulinpumpen zur Optimierung des Stoffwechsels in komplizierten Fällen empfohlen. 2. Alpha-Liponsäure als natürlich vorkommende Substanz greift in den Energiestoffwechsel der Zellen durch Aufhebung der Glykolyseblockierung und Verringerung der Ketogenese ein. Unter hochdosierter parenteraler Gabe der Substanz werden überzeugende klinische Besserungen der Symptome, insbesondere Milderung der nächtlichen Schmerzen und Wiederkehr des Gefühls gesehen. Die Effekte auf die autonome vegetative Polyneuropathie werden derzeit intensiv untersucht. Die Effekte einer alleinigen oralen Therapie sind umstritten. 3. Benfotiamin als lipophiles Vitamin B1 soll besser in die lipophilen Nervenmembranen eindringen können. Es soll oral wirksam sein. Um die sichere Wirksamkeit der Substanz nachzuweisen, werden noch weitere plazebokontrollierte Studien erforderlich sein. 4. Bei älteren Patienten kommt nicht selten ein allgemeiner Vitamin-B-Mangel vor, so daß eine Vitamin-B-Therapie in diesen Fällen gute klinische Effekte zeigen kann. Ein Vitamin-B-Mangel bei Patienten mit zusätzlichem Alkoholkonsum gilt als unbestritten. Hingegen kann ein genereller Vitamin-B-Mangel bei Diabetikern nicht angenommen werden [11]. 5. Ist mit intensivierter Insulintherapie (Insulinpumpe) und Liponsäure keine Besserung zu erreichen, ist bei der sensomotorischen Neuropathieform der Einsatz von Analgetika und trizyklischen Antidepressiva nicht zu umgehen. Oftmals wirken auch Salizylate. Auch eine lokale Capsicin-Therapie hat sich bewährt. 6. Eine flankierende Physiotherapie ist von großem Nutzen. 7. Zur Behandlung der Orthostaseneigung hat sich Fludrokortison als günstig erwiesen. 8. Die Störungen des Gastrointestinaltraktes sind äußerst therapieresistent: — Therapieversuche der Motilitätsstörung mit Meclopropramid und Cisaprid — Doxycyclin bei bakterieller Dysenterie, Erythromycin soll sich zusätzlich günstig auf die Motorik auswirken. — Cholestyramin gegen den Durchfall kann versucht werden. — Clonidin hat die in die Substanz gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. — Symptomatisch muß gelegentlich mit Opiaten und Atropinderivaten behandelt werden. 9. Am Urogenitalsystem ist eine konsequente Infektbehandlung durchzuführen. Cave: Chronische Pyelonephritis durch chronischen Harnverhalt!

9.2

Die diabetische Polyneuropathie

259

10. Zur Behandlung der Störungen der Sexualfunktion insbesondere der erektilen Impotenz hat sich die Schwellkörperautoinjektionsbehandlung (SKAT) bisher sehr bewährt. Die Therapie sollte in Zentren eingeleitet werden, da eine individuelle Dosisfindung nötig ist, um einem eventuellen Priapismus vorzubeugen. Auch mechanische Hilfsmittel haben sich als erfolgreich erwiesen. Die Behandlungsführung sollte durch ein Zentrum erfolgen. Zusammenfassung

9.2.8

Die diabetische Polyneuropathie hat als eine wesentliche diabetesassoziierte Erkrankungsform bei diagnostischen und therapeutischen Bemühungen ihren festen Platz gefunden. Ausführungen zur diabetischen Polyneuropathie finden sich in jedem diabetologischen Standardwerk. Zur Pathophysiologie liegen viele Untersuchungen vor, wobei die endgültige Klärung der Entstehungsgeschichte noch aussteht. Nicht selten gerät die klinisch manifeste Polyneuropathie wegen der schlechten symptomatischen Beeinflußbarkeit im therapeutischen Vorgehen an untergeordnete Stelle. Zur Verbesserung der noch oft dürftigen Behandlungserfolge ist eine frühzeitige Diagnose von ersten neuropathischen Veränderungen erforderlich. Dabei soll der autonomen diabetischen Polyneuropathie besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die wirksamste Prophylaxe, sowie das einzige nachgewiesene therapeutische Prinzip zur Besserung, beziehungsweise Verhinderung der Progredienz der Polyneuropathie, ist die optimale Diabeteseinstellung. Zur Therapie der manifesten diabetischen Polyneuropathie stehen zusätzliche Medikamente zur Verfügung, deren Wirksamkeit zum Teil umstritten ist. Erfolge bei der symptomatischen Therapie geben Anlaß zu intensivem Suchen nach Wegen zur Linderung der Beschwerden. Oft tabuisiert, aber therapeutisch befriedigend angehbar ist die erektile Impotenz. Die Therapie sollte von Anbeginn unter dem Anliegen der Vorbeugung der diabetischen Polyneuropathie geführt werden, um das Überschreiten des so genannten „Point of no return" zu verhindern. Literatur [1] Boulton, A. J. M . , J. Drury, B. Clarke et al.: Continuous subcutanous insulin infusión in the management of painful diabetic neuropathy. Diabetes Care 5 (1982) 3 8 6 — 91. [2] Brown, M . J., J. R. Martin, A. K. Asbury: Painful diabetic neuropathy: a morphometric study. Arch. Neurol. 33 (1976) 164 - 71. [3] Claus, D., V. P. Carvalho, B. Neundörfer et al.: Z u r Untersuchung des Vibrationsempfindens. Nervenarzt 5 9 (1988) 138 - 142. [4] Ewing, D., J. I. W. Campbell, B. F. Clark: T h e natural-history of diabetic autonomic neuropathy. Q. J. Med. 4 9 (1980) 9 5 - 1 0 8 . [5] Hasslacher, C., G. Bässler: Prognose der kardialen autonomen Neuropathie bei Diabetikern. M M W 125 (1983) 3 7 5 - 3 7 7 .

260

H. Rietzsch

[6] Lilja, B., B. Nosslin, B. Bergstrom et al.: Glomerular filtration rate, autonomic nerve function and orthostatic blood pressure in patients with diabetes mellitus. Diabetes Res. 2 (1985) 1 7 9 - 8 1 . [7] Melton, L. J., P. J. Dyck: Epidemiology. In: P. J. Dyck, R K. Thomas, A. I. Winegard et al. (eds.): Diabetic Neuropathy, S. 27 - 35. WB Saunders, Philadelphia 1987. [8] Pfeifer, M. A., C. R. Weinberg, D. L. Cook et al.: Autonomic neural dysfunction in recently diagnosed diabetic subjects. Diabetes Care 7 (1984) 447 — 53. [9] Pirart, J.: Diabetes mellitus and its degenerative complications: A prospective study of 4,400 patients observed between 1947 and 1973. Diabetes Care 1 (1978) 168 - 188,252 - 263. [10] Porte, D., R. J. Graf, J. B. Halter et al.:: Diabetic neuropathy and plasma glucose control. Am. J. Med. 70 (1981) 1 9 5 - 2 0 0 . [11] Schiffter, R., W. Reuter, K. Borner: 1st Vitamin B1 ein Mittel gegen Neuropathien? Deutsches Ärzteblatt 46 (1979) 3 0 4 4 - 3 0 4 6 . [12] Terkidsen, A. B., N. J. Christensen: Reversible nervous abnormalities in juvenile diabetics with recently diagnosed diabetes. Diabetologia 7 (1971) 113.

9.3

Retinopathie

J. Schulze

Die mikroangiopathischen diabetischen Augenkomplikationen sind auch im Zeitalter moderner Diabetestherapie die Hauptursache für Erblindung in der berufstätigen Bevölkerung industrialisierter Länder. Bei frühzeitigem Einsatz moderner Laserphotokoagulation ließen sich die Erblindungsraten durch die diabetische Retinopathie um ca. 6 0 % senken. Da die riskante Retinopathie in frühen therapierbaren Stadien nicht mit Sehstörungen einhergeht, kommen die Patienten zu einer effektiven Therapie oft zu spät. 9.3.1

Epidemiologie

Bei etwa drei Millionen manifest erkrankter Diabetiker in Deutschland muß man nach lOjähriger Krankheitsdauer mit ca. 5 0 % und nach 20 Jahren Diabetes mit ca. 80% diabetischer Retinopathie (d. R.) rechnen, die unerkannt oder unzureichend behandelt zu einer kumulativen Zunahme diabetesbedingter Augenveränderungen und Sehbehinderungen führen kann [6], Abb. 1 [2].

Abb. 1: Häufigkeit der Retinopathie in Abhängigkeit von der Diabetesdauer (Diabetesdiagnose ab 30. Lebensjahr) [2].

Nach Angaben von Standl [8] beträgt die Prävalenz an diabetischer Retinopathie bei Typ-II-Diabetikern zum Diagnosezeitpunkt 1 0 % . In der DIS-Studie wurden bei rein diätetisch führbaren N I D D M zum Zeitpunkt der Diagnosestellung in mehr als 4 % exsudative und okklusive Frühstadien sogenannter „Background"-

262

J. Schulze

Retinopathien gefunden [3]. Als Besonderheit darf nicht unerwähnt bleiben, daß durch Fluoreszenzangiographien bereits initial Präretinopathien in über 40%, also lOfach häufiger beobachtet werden. Weiterer Ausdruck der „Gefäßbelastung" sind hypertensive und atherosklerotische Retinaveränderungen, die ophthalmologisch initial bei 32,8% der DIS-Diabetiker im Alter von 30 — 55 Jahren nachweisbar waren. Es konnte in dieser Interventionsstudie erstmalig gezeigt werden, daß die Langzeitbehandlung assoziierter Risikofaktoren zu einer Verlangsamung der Progression mikroangiopathischer Augenhintergrundsveränderungen führt. Die Vermeidung, Früherkennung und rechtzeitige Behandlung ist deshalb immer mehr in das Interesse diabetologisch tätiger Ärzte, Selbsthilfegruppen und Gesundheitspolitiker gerückt. Als realistisches Ziel wurde von einer WHO-Arbeitsgruppe in der sogenannten St. Vincent Deklaration die Senkung der Erblindungsraten um 30% (oder mehr) bis 1995 durch regelmäßige augenärztliche Kontrollen gefordert [5]. Eine Stadieneinteilung der d. R. ist die Voraussetzung für adäquate Therapiemaßnahmen und eine Verlaufsbeurteilung. 9.3.2

Diagnostik, klinisches Bild und Stadieneinteilung Retinopathie

der

diabetischen

Die Phänomenologie der d. R. ist vielgestaltig, wechselhaft und von Phasen der Pro- oder Regredienz bzw. des Persistierens der Mikroangiopathie am Augenhintergrund gekennzeichnet. Aus den vielfältigen Vorschlägen zu einer Stadieneinteilung hat sich letztlich eine auf morphologischen und therapeutischen Kriterien fußende Zweiteilung bewährt: 1. die nicht proliferative diabetische Retinopathie (sogenannte Hintergrunds,,Background"-Retinopathie) (Abb. 2) 2. die proliferative diabetische Vitreoretinopathie (Abb. 3). ad 1.: Nach Diagnosestellung eines Diabetes mellitus sollte frühzeitig eine Augenuntersuchung erfolgen, da sich in der oft langen Latenzperiode der diabetischen Stoffwechsellage bis zur klinischen Manifestation bereits typische Zeichen der diabetischen Hintergrundretinopathie wie Mikroaneurysmen, diskrete Blutungsherde, Exsudate, Gefäßobliterationen oder ischämisches Netzhautödem entwickelt haben können. Nicht selten überweist der Augenarzt zum Internisten Patienten mit solchen pathognomonischen Befunden. Auf der anderen Seite gibt es so diskrete Frühveränderungen am diabetischen Fundus, daß diese nur mit Hilfe einer Fluoreszenzangiographie nachzuweisen sind. Nach i. v.-Injektion von Fluorescein-Natrium lassen sich Netzhautangiogramme anfertigen, auf denen sogenannte präretinopathische Frühveränderungen schon nachweisbar sind, lange bevor dies klinisch-ophthalmoskopisch möglich ist (Abb. 4a, 4b).

9.3 Retinopathie

Abb. 2: Diabetische Hintergrund-Retinopathie (Background)

263

Abb. 3: Proliferative diabetische Retinopathie

Abb. 4: (a, links) Fluoreszenzangiographische Erstmanifestation einer diabetischen Angiopathie, die ophthalmoskopisch (b, rechts) noch nicht erkennbar ist.

264

J. Schulze

Bei bestehender diabetischer Stoffwechselstörung sind auch bei beginnenden Fundusveränderungen regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchungen in Vi bis 1jährigen Abständen erforderlich, um den Zeitpunkt zur aktiven Koagulationstherapie nicht zu verpassen. Oft sind die Patienten nur schwer von solchen Kontrollen und der Therapie zu überzeugen, da sie trotz deutlicher diabetischer Gefäßveränderungen keine Störungen des Sehvermögens feststellen. Zur objektiven Dokumentation, Verlaufsbeurteilung und nicht zuletzt zur Patienten-Motivation hat sich bei uns die Fundusfotografie bewährt. Hier kann man weitere wichtige Netzhautbefunde wie intraretinale Exsudate (syn. gelbe oder harte Exsudate) als Ausdruck z. T. reversibler Lipoidablagerungen dokumentieren. Davon zu unterscheiden sind die auch beim malignen Hypertonus auftretenden weit flüchtigeren „weichen Exsudate" oder Cottonwool-Exsudate als Ausdruck ischämisch bedingter Verquellung von Nervenfasern. Dilatation und Schlängelung der Netzhautvenen, Kapillarschwund (avaskuläre Areale) und in einigen Fällen auch der Maculabefall sind weitere typische Befunde der diabetischen Retinaveränderung, wobei letztere mit deutlichen Visusbeeinträchtigungen einhergehen. Als Therapieziel gilt die Verhinderung des Überganges der Hintergrundsretinopathie in die gefährliche proliferative diabetische Retinopathie. ad 2.: Die proliferative diabetische Vitreoretinopathie ist durch irreguläres Gefäßwachstum aus der Netzhautebene heraus in die hintere Glaskörperschicht hinein charakterisiert. Diese Neovaskularisation pathologisch veränderter Netzhautgefäße kann durch Schrumpfungs- und Vernarbungsprozesse einerseits zu Glaskörperblutungen und andererseits zur traktiven Netzhautablösung führen. Man diskutiert heute sog. „extrazelluläre Modifikationsfaktoren" und versteht darunter Gefäßwachstum induzierende chronische retinale Ischämie, die einen angiogenen oder proliferierenden Reiz auslöst. Entsprechend der Vielgestaltigkeit der pathologisch anatomischen Prozesse — mit und ohne Traktion, Blutung, Proliferation und Destruktion von Retina und Glaskörper — sind auch die klinischen Bilder, die von marginaler Beeinträchtigung des Sehvermögens bis zur Erblindung reichen können. Beim Typ-II-Diabetiker spielen solche schwerwiegenden Krankheitsformen eine untergeordnete Rolle. 9.3.3

Verlauf und Therapie der diabetischen

Retinopathie

Für die Entwicklung, den Verlauf und die Schwere der d. R. spielen der Diabetestyp, die Diabetesdauer, der Stoffwechselkompensationsgrad ( H b A J und Begleiterkrankungen (Hypertonie, Adipositas sowie Rauchergewohnheiten) eine wichtige Rolle. Bei guter Diabeteseinstellung, gemessen an HbA l c -Werten < 7,5% und Ausschaltung o. g. Risikofaktoren konnten die Inzidenzen an d. R. für TypI- und Typ-II-Diabetiker deutlich gesenkt werden [1, 4]. Bei der gestiegenen

9.3 Retinopathie

265

Lebenserwartung der Diabetiker ist der Komplikationsentwicklung, deren frühzeitiger Diagnostik und adäquaten Therapiemaßnahmen besonderes Augenmerk zu schenken. 9.3.3.1

Basistherapie

Als primäre Behandlungsziele der Mikro- und Makroangiopathie gelten besonders für Typ-II-Diabetiker eine Optimierung des Metabolischen Syndroms nach den Euro-Normen (s. ebenda) (Normalisierung von Blutzucker, Lipiden, Körpergewicht, Blutdruck < 140/90) und strikte Meidung von Nikotin-, Alkohol- und Kochsalzabusus. Mit diesen Basismaßnahmen kann man die Entwicklung der nichtproliferativen Retinopathie günstig beeinflussen, wobei der Einfluß dieser auf eine proliferative Retinopathie deutlich geringer zu sein scheint. Es gilt noch immer die Forderung der Schulmedizin, den auf orale Therapie „unbefriedigend eingestellten" Diabetiker bei nachgewiesenen Gefäßveränderungen zu insulinieren. Um ein optimales Therapiekonzept zu realisieren, bedarf es der engen Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, diabetologischer Schwerpunktbetreuung und Ophthalmologen. 9.3.3.2

Die medikamentöse

Therapie

Der medikamentöse Therapieansatz, die nichtproliferative Retinopathie mit gefäßabdichtenden permeabilitätshemmenden Pharmaka wie Kalzium, Vit. C, Rutin, Hämostyptika zu beeinflussen, ist bisher gescheitert. Es konnte weder für diese Präparate noch für Kalziumdobesilat, Antikoagulantien, Vasodilatatoren, Dextrane, Prostaglandininhibitoren oder Aldose-Reduktase-Hemmer ein gesicherter Therapieeffekt nachgewiesen werden. Der Bedarf für eine wirksame medikamentöse Therapie der diabetischen Retinopathie besteht in starkem Maß. Ein neuer hoffnungsvoller Ansatz könnte im Wirkprofil der Gruppe der ACEHemmer gesehen werden. Heroische Verfahren wie Adrenal- oder Hypophysektomien sind wegen zweifelhafter Wirkung bzw. hormoneller Folgen aufgegeben worden. 9.3.3.3

Fokale und panretinale

Lasertherapie

Somit stellt sich bereits für ausgeprägte Befunde der nichtproliferativen Retinopathie, die mit pathologisch veränderten Netzhautgefäßen, Blutungen, Ödem, Lipidablagerungen einhergehen können, die Frage nach einer wirksamen Therapie. In Abhängigkeit von der Lokalisation und Schwere des Befundes wird gegenwärtig eine relative Indikation zur fokalen Laseranwendung gesehen [7]. Eine absolute Indikation zur Photokoagulation besteht bei den geringsten Zeichen des Überganges nichtproliferativer in proliferative Fundusveränderungen. Durch

266

J. Schulze

Fluoreszenzangiographie und Fotodokumentation sollte es heute durch eine rechtzeitige panretinale Laserkoagulation gelingen, den Stillstand bzw. eine Rückbildung proliferativen Gefäßwachstums zu erreichen. 9.3.4

Zusammenfassung

Fortgeschrittene Retinopathien sind in den zivilisierten Ländern auch noch gegenwärtig die häufigsten Erblindungsursachen. Die Vermeidung, Früherkennung und komplexe rechtzeitige Behandlung von Grundleiden und lokalen Manifestationen am Augenhintergrund sind in das Interesse diabetologisch tätiger Ärzte, Selbsthilfegruppen und Gesundheitspolitiker gerückt. Es gilt die Forderung, bei bestehendem Diabetes regelmäßige 'A-ljährige Augenkontrolluntersuchungen durchzuführen, Eumetabolisierung und möglichst normalen Blutdruck zu erreichen und die Progredienz einer Hintergrundsretinopathie in die gefährliche proliferative diabetische Retinopathie zu vermeiden. Da alle bisherigen alternativen Therapieverfahren und insbesondere die Vielfalt medikamentöser M a ß n a h m e n ohne gesicherten Effekt auf die Progredienz der diabetischen Retinopathie geblieben sind, ist die Ausschöpfung der internistischen Therapie und der rechtzeitige Einsatz von Licht- und Laserkoagulation von erstrangiger Bedeutung für den Erhalt des Augenlichtes beim Diabetiker. Literatur [1] Chase, H. P., W. E. Jackson, S. L. Hoops et al.: Glucose control and the renal and retinal complications of insulin-dependent diabetes. JAMA 261 (1989) 1155 — 1160. [2] Klein, R., B. E. K. Klein, S. E. Moss et al.: Wisconsin Epidemiologic, Study of Diabetic Retinopathy when age at diagnosis is 30 or more years. Arch. Ophthalmol. 102 (1984) 527 - 532. [3] Klein, R., E. M. Beer etal.: Epidemiologie, Klinik und Verlaufskontrolle der diabetischen Retinopathie bei Diabetes mellitus Typ-Ii. Klin. Mbl. Augenheilk. 189 (1986) 3 7 4 - 3 7 5 . [4] Klein, R., B. E. Klein, S. E. Moss et al.: Glycosylated haemoglobin predicts the incidence and progression of diabetic retinopathy. JAMA 260 (1988) 2 8 6 4 - 2 8 7 1 . [5] Krans, H. M. I., M. Porta, H. Keen: Diabetes care and research in Europe: the St. Vincent Declaration action programme. Giornale Italiano di Diabetologia 12 (suppl. 2) (1992) 2 - 44. [6] Kroll, P., P. Berg: Diabetische Retinopathie und ihre Behandlung. Dt. Ärztebl. 88 (1991) 1147-1154. [7] Lücke, K., H. Laqua: Die stadiengerechte Behandlung der diabetischen Retinopathie. Internist 31 (1990) 2 3 6 - 2 4 2 . [8] Standi, E.: Diabetische Retinopathien — internistische Aspekte. Verh. Dtsch. Ges. Inn. Med. 93 (1987) 1 9 5 - 2 0 1 .

9.4 J.

Nephropathie Schulze

Renale Komplikationen finden sich in hoher Zahl bei Diabetikern, wobei die Kenntnisse über Nierenkrankheiten bei Typ-II-Diabetes sehr viel geringer sind als beim Typ-I-Diabetiker. Definition: Bei der sogenannten diabetischen Nephropathie handelt es sich um unterschiedliche Kombinationen von Glomerulosklerose, Arterio-/Arteriolosklerose, Pyelonephritis mit Papillennekrosen. Eine möglichst frühzeitige subtile Diagnostik erbrachte in den letzten Jahren wesentlich günstigere therapeutische und prognostische Resultate. 9.4.1

Epidemiologie

Im Vergleich zum IDDM unterscheiden sich Entwicklung und Prävalenz der diabetischen Nephropathie beim NIDDM deutlich, wobei die Verbesserung der Stoffwechselführung und eine optimale Blutdruckeinstellung zur Senkung der Nephropathie-Inzidenz geführt haben. Die Prävalenz klinisch manifester Proteinurie beim NIDDM schwankt in verschiedenen Studien von 3—16% [2, 4], für Mikroalbuminurie werden 15 — 55% angegeben [5, 8]. Beim NIDDM scheint die Zeit vom klinischen Diagnosezeitpunkt des Diabetes bis zum Nachweis der Nephropathie kürzer zu sein als beim IDDM, da oft mehrere Jahre zwischen Diabetesmanifestation und Diagnosestellung liegen. 9.4.2

Diagnostik

Biochemisches Leitsymptom der diabetischen Nephropathie ist die persistierende Albuminurie, die in der Regel zeitabhängig mit abfallender glomerulärer Filtrationsrate und ansteigendem Blutdruck einhergeht (Tab. 1), [6], Eine Harnproteinausscheidung von > 0,5 g p. d. an mindestens zwei aufeinanderfolgenden Sammeltagen bei Diabetikern ohne kardiale Insuffizienz oder andere Nierenerkrankungen spricht für eine gefährdende persistierende Proteinurie, die leider das irreversible Stadium der Niereninsuffizienz anzeigt. Diesem Stadium gehen lange Phasen der beginnenden diabetischen Nephropathie voraus, die durch den Nachweis der Mikroalbuminurie (30 —300 mg p. d. oder 20 —200 ng/min) mittels sensitiver Analytik (z. B. Radioimmunoassay) diagnostiziert werden können (Abb. 1), [1], Mittels Albumin-Streifentest lassen sich Urinalbumin-Ausscheidungen von etwa 300 mg p. d. oder 200 (Xg/min gut feststellen.

268

J . Schulze

Tab. 1: Stadien der diabetischen Nephropathie [6] Stadium

Nierenbefund

Jahre der Diabetesdauer

Therapieaussichten

Albuminurie

I

NierenHypertrophie, Hyperfunktion

0-2

reversibel

< 2 0 ^lg/min < 3 0 mg/24 h

II

Glomeruläre Läsionen ohne klin. Symptome

>2

Fortschreiten aufzuhalten

Mikroalbuminurie ( > 3 0 mg/24 h) nur unter körperlicher Belastung

III

Beginnende Nephropathie

10-15

Besserung möglich

2 0 - 2 0 0 ng/min 3 0 - 3 0 0 mg/24 h

IV

Klinisch manifeste Nephropathie

10-20 (einige Jahre nach III)

geringe Besserung möglich

Makroalbuminurie >200 ^/min > 3 0 0 mg/24 h

V

Niereninsuffizienz

20-25

irreversibel

Proteinurie ( > 5 0 0 mg/24 h)

Radioimmunoassay

Albumin-positiver Streifentest

Normalbereich

Mikroalbuminurie

Makroalbuminurie

reversibel

Besserung möglich

irreversibel

| nephr. Syndrom

irreversibel

mg/d 10

30

300

20

200 Gesamt Eiweiß im Urin ~ 500 mg/d

Abb. 1: Grenzwerte für N o r m o - , Mikro-, Makroalbuminurie [1],

Hg/min

AlbuminexcretionsRate (AER)

9.4 Nephropathie

269

Für die prognostische Bewertung einer konstanten Proteinurie dürfen beim Patienten keine derangierten Stoffwechselverhältnisse vorliegen, da diese per se einen Anstieg der Albuminausscheidungsrate bedingen. Ebenso können auch körperliche Belastungen, Hypertonie und kardiale Dekompensation unabhängig von einer diabetesbedingten glomerulären Erkrankung zu gesteigerter Albuminausscheidung im Urin beitragen. Zur Abklärung sind weitere diagnostische Maßnahmen wie Blutdruckmonitoring, Beurteilung des Fundus oculi, Urinsedimente und Kulturen sowie Messung der glomerulären Filtrationsraten und Lipidstatus erforderlich. Eine Nierensonographie gibt Auskunft über Form und Größe, entzündliche Folgen, Zysten oder Anomalien. Wird neben der diabetischen Nephropathie aufgrund atypischen Verlaufes an eine Zweiterkrankung gedacht, wie z. B. eine Glomerulonephritis, so sollte in Absprache mit dem Nephrologen eine Nierenbiopsie erwogen werden. Als Indikationen zur Nierenpunktion werden von Mogensen genannt: — Nephropathie ohne Retinopathie — rasche Verschlechterung der Nierenfunktion — Absinken der Nierenfunktion ohne vorangegangene Proteinurie. 9.4.3

Klinischer

Verlauf

Parallel zu den zunächst funktionellen Nierenveränderungen mit Mikroalbuminurie und glomerulärer Hyperfiltration kommt es zu gesteigertem renalem Blutfluß und Hypertrophie der Nieren. Im Frühstadium sind diese Veränderungen prinzipiell reversibel; sie können jedoch auch die Vorstufe für die spätere Entwicklung einer klinischen Nephropathie sein, wobei genetische Disposition, männliches Geschlecht und Qualität der Diabetes- und Blutdruckeinstellung verlaufsbestimmend sind. Die sich entwickelnde Kapillaropathie an den Glomerula geht nicht nur mit einer Albuminurie einher, sondern ist Ausdruck einer generalisierten Vasopathie an der Mikrostrombahn. Weitere Abnormitäten bei Patienten mit persistierender Albuminurie sind Blutdrucksteigerung und Fettstoffwechselstörungen mit Erhöhung von LDL-Cholesterol, Triglyzeriden und auch Fibrinogen sowie Reduktion von HDL-Cholesterol. Diese atherogene Konstellation führt zu einer zehnfach gesteigerten kardiovaskulären Mortalität im Vergleich zu Patienten ohne Proteinurie [7], Ebenso ist die Inzidenz der proliferativen Retinopathie um ein vielfaches gesteigert. Die Todesursachen von Typ-II-Diabetikern mit Nephropathie beziehen sich auf Herzinfarkt, Herzversagen und cerebrovaskuläre Insulte; erst in zweiter Linie auf eine Nierenkomplikation mit Nierenversagen oder Urämie [3]. Eine der häufigsten entzündlichen Nierenkomplikationen findet sich insbesondere bei diabetischen Frauen in Form der aufsteigenden Harnwegsinfektion. Zystitiden mit aszendierenden Pyelonephritiden lassen sich bei Diabetikern im Vergleich zu

270

J. Schulze

Nichtdiabetikern vielfach häufger nachweisen. Bei nicht rechtzeitiger Diagnosestellung und unzureichender antibiotischer Behandlung besteht Neigung zur Chronizität und zu Komplikationen. Besonders gefürchtet sind perinephritische Abszesse, Papillennekrosen oder „schleichende" Niereninsuffizienz. 9.4.4

Prävention

und

Therapie

Da es bis heute keine Methoden gibt, nephropathiegefährdete Individuen vor dem Auftreten einer Mikroalbuminurie zu erfassen, bedarf es der möglichst frühzeitigen und wiederholten Kontrolle dieses Parameters und anderer Nierenfunktionstests (s. Kap. 6.2). Große Bedeutung besitzt auch die frühzeitige Erkennung und Behandlung der Pyelonephritis. "Weiterhin sind euglykämische Stoffwechselführung mit HbA l c -Werten von 6 — 7% anzustreben, und auch Typ-II-Diabetiker müssen — wenn nötig — insuliniert und in der Blutzucker-Selbstkontrolle unterwiesen werden. Die Diät sollte reich an schwer aufschließbaren Kohlenhydraten sein und bereits beim Nachweis einer Mikroproteinurie und/oder einer kompensierten Retention eine Eiweißbeschränkung auf 45 g/d berücksichtigen. Früher propagierte scharfe Kochsalzrestriktionen sind nur bei schwer kompensierbaren Hypertonien relevant. Bei erhöhtem Blutdruck bedarf es zielstrebiger diätetischer und medikamentöser Bemühungen, um N o r m o t o n i e unter Blutdruck-Selbstkontrollen zu erreichen. Im Falle einer Nephropathie gelten also im Prinzip dieselben Limits wie bei Typ-IDiabetes. Selbstverständlich m u ß der Risikofaktor Albuminurie/Proteinurie im Kontext mit der verbliebenen Lebenserwartung und möglicher Nebenwirkungen einer rigorosen Blutdrucksenkung im höheren Alter gesehen werden. Die Bevorzugung Kohlenhydrat-stoffwechselneutraler und „lipidfreundlicher" Antihypertensiva ist dringend zu empfehlen (s. Kap. 8.1). Auch die Behandlung von Hyperund Dyslipoproteinämien sollte zunächst diätetisch — wenn erforderlich medikamentös — erfolgen, wobei bei Einschränkung der Nierenfunktion reduzierte Dosen angewendet werden müssen, um Kumulation zu vermeiden. Die Verbesserung der Diabetesbetreuung hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Senkung der Inzidenzen an diabetischer Nephropathie um 30% geführt. N u r die frühzeitige Erfassung, häufige Kontrollen und komplexe Interventionen können diese Prognose erhalten bzw. noch weiter stabilisieren (Tab. 2). 9.4.5

Zusammenfassung

Bei Typ-II-Diabetikern rechnet man mit einer Nephropathieprävalenz von 3 - 1 6 % . Leitsymptom der diabetischen Nephropathie ist eine konstante Albuminurie von > 300 mg/d, die mit einem Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und einem Blutdruckanstieg einhergeht. Diesem manifesten Stadium gehen

9.4

Nephropathie

271

Tab. 2: Diagnostik und Therapievorschläge bei diabetischer Nephropathie (modif. nach [9])

Stadium M;kroalbuminurie

Verlaufskontrollen

Therapie

— Blutdruck ('/ijährl.)

— Blutdruckeinstellung

— Glykämiekontrollen (BZ, HbAj, Fructosamin) — Proteinurie-Nachweis (Eiweiß, Albumin, ß 2 -Mikroglobulin) — Labor: Kreatinin, Elektrolyte, Harnsäure, Elektrophorese, Urinsedimente bzw. Kulturen, Gerinnungsanalytik — Paraklinik: Nierensonographie, EKG — Kontrolle kardiovaskulärer Risiken (Lipide, Rauchen, Kochsalz)

— Stoffwechseloptimierung

Zusätzlich zu den o. g. Maßnahmen: Stadium — Glomeruläre Filtrationsrate Ma&roalbuminurie (GFR) — Kreatinin-Clearance ('/ 2 - 1 jährlich) — EKG-Blutdruck-Monitoring (1/J) — Kardio- und Nierensonographie (1/J) — Autonome Funktionsteste — Uroflowmessung; Restharnbestimmung — Ophthalmoskopie mit Fundusfotographie

— Mäßige Eiweißrestriktion

— Adäquate Substitution bei gestörter Homoiostase

-

Korrektur der Risikofaktoren

Strenge Eiweißrestriktion

Differenzierte Behandlung des Diabetes und seiner Komplikationen im Team!

oft viele J a h r e einer b e g i n n e n d e n N e p h r o p a t h i e v o r a u s , die bei einer M i k r o a l b u m i n u r i e v o n 3 0 - 3 0 0 m g / d n u r m i t sensitiven M e t h o d e n , z . B .

Radioimmu-

n o a s s a y , d i a g n o s t i z i e r b a r sind. Ist die U r i n a l b u m i n a u s s c h e i d u n g m i t

Albumin-

sensitiven T e s t s t r e i f e n n a c h w e i s b a r , so liegt bereits eine M a k r o a l b u m i n u r i e m i t abfallender G F R vor. D i e A l b u m i n u r i e bei d i a b e t i s c h e r N e p h r o p a t h i e resultiert aus d e r Z e r s t ö r u n g d e r G l o m e r u l a u n d g e h t in der R e g e l m i t e r h ö h t e r I n z i d e n z a n d i a b e t i s c h e r R e t i n o p a t h i e einher. T y p - I I - D i a b e t i k e r m i t N e p h r o p a t h i e h a b e n e i n e n m e h r f a c h e n A n stieg d e r k a r d i o v a s k u l ä r e n M o r t a l i t ä t . W e g e n d e r s c h w e r w i e g e n d e n

Komplika-

t i o n e n ist eine f r ü h e E r f a s s u n g d e r I n d i k a t o r p r o t e i n e s o w i e w e i t e r e r R i s i k o f a k t o r e n e r f o r d e r l i c h u n d d a m i t a u c h eine s t a d i e n g e r e c h t e B e u r t e i l u n g u n d T h e r a p i e

272

J . Schulze Überlebensrate 1.0

< 15 < 40 < 200

A

0.5

B C

10

5

Jahre

Abb. 2: Mortalität bei NIDDM-Patienten (n = 503) mit verschiedenen Werten für die Albuminkonzentration im Urin (|Xg/ml) im Morgenurin bei der ersten Untersuchung [5],

m ö g l i c h . E s w u r d e ü b e r e i n s t i m m e n d dargestellt, d a ß die M i k r o a l b u m i n u r i e nicht n u r V o r l ä u f e r einer k o n s e k u t i v e n P r o t e i n u r i e darstellt, s o n d e r n ein S i g n u m m a l i ominis

für

weitere

Komplikationen

und

Frühmortalität

bei

diesen

Patienten

(Abb. 2). D u r c h E u m e t a b o l i s i e r u n g und aggressive B l u t d r u c k s e n k u n g k a n n die Progredienz der N e p h r o p a t h i e gestoppt bzw. v e r l a n g s a m t werden. Parallel dazu ging

auch

die k a r d i o v a s k u l ä r e M o r t a l i t ä t z u r ü c k .

Literatur [1] D e c k e n , T . , A. Grenfell: Epidemiology and natural history o f diabetic nephropathy. In: J . C. Pickup, G. Williams (eds.): T e x t b o o k of Diabetes, S. 6 5 1 - 6 5 6 . Blackwell Scientific Publications, O x f o r d 1991. [2] Fabre, J . , L. P. Balant, P. G . Dayer et al.: T h e Kidney in maturity onset diabetes mellitus: A clinical study of 510 patients. Kidney Int. 21 (1982) 7 3 0 - 7 3 8 . [3] Friedmann, E. A.: Diabetes with Kidney failure. Lancet 1 (1986) 1285 - 1 2 8 8 . [4] Garancini, P., G. Gallus, G . Calori: Microalbuminuria and its associated risk factors in a representative sample of Italian type II diabetics. J . Diabetic Compl. 2 (1988) 1 2 - 1 5 . [5] Mogensen, C. E.: Microalbuminuria predicts clinical proteinuria and early mortality in maturity onset diabetes. N. Engl. J . M e d . 310 (1984) 3 5 6 - 3 6 0 . [6] Reinauer, H.: Stadien der diabetischen Nephropathie. Internist 31 (1990) 13 (modifiziert). [7] Schmitz, A., M . Vaeth: Microalbuminuria: A major risk factor in non-insulin-dependent diabetes. A 10-year follow up study of 503 patients. Diabetic M e d . 5 (1988) 1 2 6 - 1 3 4 .

9.4 Nephropathie

273

[8] Standi, E., B. Rebell, H. Stiegler: Prevalence and risk profile of incipient diabetic nephropathy in type 2 (non insulin dependent) diabetes mellitus. Diabetologia 30 (1987) 584 A — 585 A. [9] Grenfell, A.: Clinical features and management of established diabetic nephropathy. In: J. C. Pickup, G. Williams (eds.): Textbook of Diabetes, S. 677 - 697. Blackwell scientific publications, Oxford 1991.

10 Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen Silke Meisel

Diabetes und

Berufswahl

Nicht mit Insulin behandelte Diabetiker ohne Komplikationen sollten dieselben Berufe wie Nichtdiabetiker ausüben können. Als besonders geeignet werden für Diabetiker die Berufe angesehen, bei denen eine geregelte Arbeitszeit besteht und die Möglichkeit der Selbstkontrolle am Arbeitsplatz gegeben ist. Dazu gehören alle kaufmännischen Berufe, Lehrer, Zahntechniker, medizinische Hoch- und Fachschulberufe und Feinmechaniker. Demgegenüber stehen die Berufe, bei deren Ausübung die Einhaltung der Diät nicht immer gegeben ist und die Gefahr der Stoffwechselentgleisung vorprogrammiert scheint wie Bäcker und Konditor, Koch und Gastwirt. Diese Berufe sind deshalb für Diabetiker ungeeignet und können nicht empfohlen werden. Ebenfalls ungeeignet für Diabetiker sind Schichtdienste. Die größten Einschränkungen bei der Berufswahl oder weiteren Berufsausübung ergeben sich bei insulinpflichtigen Diabetikern, bei denen es aufgrund von Hypoglykämien zur Eigen- oder Fremdgefährdung kommen kann. So erhalten Piloten, bei denen eine Störung des Kohlenhydratstoffwechsels vorliegt, international keine Lizenz. Differenzierter wird die Tauglichkeit von Diabetikern bei der Bundesbahn betrachtet. Für Diabetiker, die rein diätetisch behandelt werden können, bestehen keine Einschränkungen. Einer arbeitsmedizinischen Tauglichkeitsuntersuchung müssen sich alle mit oralen Antidiabetika Behandelten unterziehen. Letzteres gilt auch für Berufskraftfahrer und Kranführer. Arbeiten mit einem — hypoglykämiebedingten — erhöhten Absturzrisiko (Dachdecker, Schornsteinfeger) sollten von spritzenden Diabetikern nicht ausgeführt werden, ebenso Arbeiten unter Tage. Da insulinierte Diabetiker grundsätzlich keinen Dienst mit der Waffe ausüben dürfen — sie sind vom Wehrdienst befreit —, sind sie naturgemäß auch für den Polizeidienst nicht geeignet, obwohl ein Innendienst möglich wäre. Diabetes und

Führerschein

Die Regelungen hierfür sind in dem Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr" vom Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin beim Bundesminister für Verkehr und beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erlassen.

276

Silke Meisel

Danach müssen Diabetiker, die einen Führerschein erwerben wollen, ein ärztliches Zeugnis vorlegen. Dieses soll die Art des Diabetes, einschließlich Dauer und eventueller Häufigkeit der Selbstkontrolle, die Therapie und Hypoglykämiegefährdung beinhalten. Nach dem Hypoglykämierisiko werden drei Gefahrengruppen unterschieden: Gefahrengruppe 1: Diabetiker mit rein diätetischer Behandlung Gefahrengruppe 2: Behandlung mit Diät und oralen Antidiabetika- v. a. Sulfonylharnstoffen Gefahrengruppe 3: Mit Insulin behandelte Diabetiker. Diabetiker der Gefahrengruppe 1 und 2 dürfen jedes Kraftfahrzeug führen, sofern sie eine ausgeglichene Stoffwechsellage haben und mindestens drei Monate ohne Hypoglykämie waren. Mit Ausnahme von Kraftfahrzeugen der Klasse 2 oder Fahrzeugen, die der Personenbeförderung dienen, trifft dies auch auf die Gefahrengruppe 3 zu. Bei Diabetikern mit einer Retinopathie entscheidet zusätzlich der Augenarzt über die Fahrtauglichkeit. Es wird diabetischen Kraftfahrern empfohlen, ihren Diabetesausweis stets bei sich zu tragen, um vor allem auch die regelmäßige ärztliche Stoffwechselkontrolle und Häufigkeit der Harn- und Blutzuckerselbstkontrolle nachweisen zu können. Diabetiker mit labiler Stoffwechsellage und Neigung zu Hypo- und Hyperglykämien sind zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet. Diabetiker, die weniger als drei Monate Insulin spritzen, sollen in dieser Zeit nicht Auto fahren. Diabetes und

Sekwerbehinderung

Es hängt vom Grad der Behinderung ab, ob ein Diabetiker als schwerbehindert anerkannt wird oder nicht. Grundlage hierfür ist das Schwerbehindertengesetz in der Fassung vom 26. 8. 1986 (BGB 1.1 S. 1421 — 1550) mit seinen Änderungen in Verbindung mit dem Einigungsvertrag. Im ersten Abschnitt des Gesetzes werden die Begriffe „Behinderung", „Schwerbehinderte" und „Gleichgestellte" definiert: Schwerbehindertengesetz (SchwbG) Erster Abschnitt Geschützter Personenkreis § 1 Schwerbehinderte Schwerbehinderte im Sinne dieses Gesetzes sind Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50, sofern sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs. 1 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben.

10

Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen

277

§ 2 Gleichgestellte 1) Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im übrigen die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, sollen auf Grund einer Feststellung nach § 4 auf ihren Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs. 1 nicht erlangen oder behalten können. Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Antrags wirksam. Sie kann befristet werden. 2) Auf Gleichgestellte ist dieses Gesetz mit Ausnahme des § 47 und des Elften Abschnitts anzuwenden. § 3 Behinderung 1) Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten. Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. 2) Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung ist als Grad der Behinderung (GdB), nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. 3) Für den Grad der Behinderung gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht" vom November 1983 wird beim Diabetes mellitus wie folgt bewertet: Grad der Behinderung Durch Diät oder durch Diät und orale Antidiabetika gut ausgleichbar, ohne Komplikationen

0—10 v. H.

weniger gut ausgleichbar, mit größeren ToleranzSchwankungen

20 v. H.

mit Insulin und Diät ausgleichbar, ohne Komplikationen

30 v. H.

mit Insulin schwer einstellbar

40 — 60 v. H.

Organkomplikationen sind zusätzlich zu bewerten. Der Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter ist an das zuständige Versorgungsamt zu stellen. Diese Behörden stellen einen Ausweis über die Eigenschaften als Schwerbehinderter aus. Die Schwerbehinderung wird rückwirkend

278

Silke Meisel

mit dem Eintritt der Behinderung (medizinischer Tatbestand) anerkannt. Schwerbehinderte haben gemäß § 15 ff. des Schwerbehindertengesetzes einen verstärkten Kündigungsschutz. Außerdem besteht Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr. Gleichgestellte genießen den verstärkten Kündigungsschutz des Schwerbehinderten, jedoch nicht den Zusatzurlaub. Aus der Einschätzung des Grades der Behinderung wird jedoch deutlich, daß für den größten Teil der NIDDM-Patienten keine Schwerbehinderung anerkannt werden kann. Diabetes

— Informationen

zur

Abrechnung

Jeder Arzt sollte sich immer wieder vor Augen führen, wie entscheidend die Diagnosestellung „Diabetes mellitus" für den Patienten ist. Der Diabetes als chronisches Leiden beeinflußt das weitere Leben. Bei vielen Patienten findet sich anfangs ein Nicht-Wahrhabenwollen, später aus der Verzweiflung ein Kampf gegen den Diabetes. In den glücklichen Fällen entsteht daraus das bewußte Leben mit dem Diabetes. So hängt die Prognose der Erkrankung wesentlich davon ab, ob der Patient die Krankheit und den damit verbundenen Lebensstil akzeptiert oder nicht. Die Annahme der Erkrankung ist umso leichter, je besser der Diabetiker darüber Bescheid weiß. Deshalb wird heute die Schulung der Diabetiker neben der Diät, körperlicher Aktivität und medikamentösen Therapie als eine wichtige Säule der Behandlung angesehen. Es wurden besonders in den letzten 15 Jahren verschiedene Schulungsprogramme entwickelt, wobei der Schwerpunkt einerseits auf eine mehrtägige stationäre Schulung gelegt wurde (v. a. viele Universitäten in den USA, das Diabetes-Schulungszentrum an der Universität Düsseldorf), andererseits die kontinuierliche Schulung durch den Hausarzt favorisiert wurde (z. B. Praxen in Großbritannien und Australien). Die Wahrheit liegt wohl wie so oft in der Mitte, also durchaus Schulungsbeginn im Krankenhaus und lebenslange begleitende, effektive und gut organisierte Schulung und Motivation durch den Hausarzt bzw. die Schwerpunktambulanzen. Eine wertvolle Ergänzung können Selbsthilfegruppen des Deutschen Diabetiker-Bundes sein. Die ärztliche Schulung von NIDDM-Patienten in Gruppen ist seit 1. 7. 1991 in Deutschland bundesweit für Ersatzkassenversicherte, teilweise auch für Primärkassenversicherte eingeführt worden. Nach einem Vorbereitungsseminar ist das Diabetes-Schulungsprogramm — N I D D M — für niedergelassene Ärzte abrechnungsfähig, wenn die Genehmigung hierfür bei der KV beantragt wurde. Schwerpunkte der Gruppenschulung, die von einem Team, bestehend aus Arzt, Diabetesschwester und wenn möglich Diätassistentin, durchgeführt wird, sind Diabetesdefinition und Symptome des Diabetes mellitus, die Harnzuckereigenkontrolle, die richtige Ernährung sowie die Spätkomplikationen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den diabetischen Fuß gelegt wird. Es ist das Ziel, daß jeder nicht insulinierte Typ-II-Diabetiker durch die Schulung eine gute Einstellung

10

Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen

279

erreicht. Dabei kann die EBM-Nr. 15 je Teilnehmer und Sitzung bis viermal, die EBM-Nr. 8015 einmal abgerechnet werden. Diabetes-Schulungsmaterial kann über den Deutschen Ärzte-Verlag bezogen werden. Zur Zeit werden folgende Schulungspakete angeboten: — Set zur Schulung von 10 Patienten für D M 9,38 je Patient, — Set zur Schulung von 5 Patienten für D M 11,40 je Patient, — Set zur Schulung eines Patienten für D M 13,70. Die Abrechnung des Schulungsmaterials erfolgt über den Abrechnungsschein (Krankenschein oder Überweisungsschein) mit EBM-Nr. 8015 — Pauschalerstattung für Diabetes-Schulungsmaterial je Patient (DM 12,50) und EBM-Nr. 15 — Programmierte ärztliche Schulung und Betreuung von Typ-II-Diabetikern in Gruppen in der Praxis des behandelnden Arztes bei einer Teilnehmerzahl von 4 bis 10 Personen, je Teilnehmer und Sitzung (DM 15, —/im Vertragsgebiet Ost zunächst allerdings nur D M 9 , - ) . Diabetes und Kur Eine Kur wird vom Diabetiker bei den Krankenkassen bzw. den zuständigen Stellen der Sozialversicherung beantragt. Dabei kann der Patient auf den Zeitpunkt der Kur und den Ort einen gewissen Einfluß nehmen. Die Diabetes-Kur zählt als eine Rehabilitationsmaßnahme. Deshalb muß durch den behandelnden Hausarzt oder Diabetologen die Notwendigkeit der Kur medizinisch eingeschätzt werden. Der Diabetiker in unserer

Gesellschaft

„Diabetes geht alle an" — unter diesem Motto stand der 1. Welt-Diabetiker-Tag, der am 27. Juni 1991 erstmals begangen wurde. Ziel war es, über eine Aufklärungskampagne die Öffentlichkeit für das Problem „Diabetes" zu sensibilisieren. Die einzige deutsche Veranstaltung an dem von W H O und IDF proklamierten Tag war die Vorstellung des „Diabetes-Diagnostik-Bus" in Berlin. Es stellte sich ein großes Defizit in der Bevölkerung bezüglich der Volkskrankheit Diabetes heraus. Deshalb wurde beschlossen, auch weiterhin den 27. Juni zum WeltDiabetiker-Tag zu erklären. Bereits 1989 wurde mit der St. Vincent-Deklaration die mangelhafte Versorgung von Diabetikern und das damit für Europa an Bedeutung zunehmende Gesundheitsproblem beklagt und von Regierungen und Gesundheitsbehörden die Bereitstellung von Mitteln und Lösungen in Form von nationalen und internationalen Programmen gefordert. In Deutschland wurde am 2. Januar 1951 der Deutsche Diabetiker-Bund e.V. gegründet (DDB). Der Zweck und die Ziele des Vereins bestehen in der Information und Schulung der Diabetiker, Vertretung der Dia-

280

Silke Meisel

betiker gegenüber Ämtern und Behörden, Versicherungen etc., Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Probleme der Diabetiker und Förderung der Diabetesforschung durch enge Zusammenarbeit mit Diabetologen und Ernährungsberatern gemäß dem Motto: „Gemeinsam sind wir stärker". Im September 1963 schlössen sich die auf dem Gebiet des Diabetes tätigen Ärzte zur Deutschen Diabetes Gesellschaft e. V. (DDG) zusammen, die derzeit 1300 Mitglieder zählt. Eine enge Zusammenarbeit mit dem DDB wurde von Beginn an angestrebt. Erst mit Gründung der Deutschen Diabetes-Union am 28. 9. 1990 in Düsseldorf wurden DDB, DDG und der BdKJ (Bund diabetischer Kinder und Jugendlicher) unter einem Dachverband zusammengeschlossen. DDB-Landesverbände: — LV Baden-Württemberg e. V., Probsteiweg 2, W-7812 Bad Krozingen Tel. (0 76 33) 18 09 - LV Bayern e. V., Liebherrstraße 5/IV., W-8000 München 22 Tel. (0 89) 22 73 41 - LV Berlin e. V., Mittelstraße 2, W-1000 Berlin 20 Tel. (0 30) 335 53 88 - LV Brandenburg e.V., F.-Hegel-Str. 18, 0 - 1 2 0 0 Frankfurt/O. Tel. (03 30) 32 48 20 — LV Bremen e. V., Gröpelinger Heerstraße 386 b, W-2800 Bremen 21 Tel. (04 21) 616 43 23 - LV Hamburg e. V., Von-Essen-Str. 85, W-2000 Hamburg 76 Tel. (0 40) 279 10 21 — LV Hessen e. V., Apfelgäßchen 9, W-3578 Schwalmstedt-Treysa Tel. (0 66 91) 249 57 — LV Mecklenburg-Vorpommern e.V., Prenzlauer Ch. 10, 0 - 2 1 5 2 Woldegk Tel. (0 39 63) 4 18 — LV Niedersachsen e.V., Büroservice Schröder PF 13 10, W-3057 Neustadt Tel. (0 50 32) 35 64 - LV Nordrhein-Westfalen e.V., Musfeldstr. 1 6 1 - 1 6 3 , W-4100 Duisburg 1 Tel. (02 03) 66 64 00 - LV Rheinland-Pfalz e. V., Heidelbergerfaßgasse 14, W-6500 Mainz 1 Tel. (0 61 31) 23 79 19 — LV Saarland e. V., Hahnenstraße 24, W-6686 Eppelborn Tel. (0 68 81) 74 38 — LV Sachsen e. V., c/o Hygiene-Museum Dresden Zi. 146/Frau Bonk, Lingnerplatz 1, 0 - 8 0 1 0 Dresden Tel. (03 51) 484 64 81 - LV Sachsen-Anhalt e. V., Dr. Grosz-Str. 7, 0 - 3 0 3 4 Magdeburg Tel. (03 91) 22 32 78

10 Sozialmedizinische Aspekte und gesetzliche Bestimmungen — LV S c h l e s w i g - H o l s t e i n

e. V., i m H a u s e d e s

281

Landeskrankenpflegeseminars,

K r o n s h a g e n e r W e g 1 3 0 a, W - 2 3 0 0 Kiel 1 Tel. (04 31) 18 0 0 0 9 — LV T h ü r i n g e n e. V., T u r n i e r g a s s e 17, 0 - 5 0 2 0 Erfurt Tel. (03 61) 5 9 17 2 2 Mitgliedsorganisationen: — A r b e i t s k r e i s der P a n k r e a t e k t o m i e r t e n e. V. K r e f e l d e r Str. 5 2 , 4 0 4 7 D o r m a g e n 1, Tel. (0 2 1 06) 4 2 3 2 9 — F ö r d e r k r e i s Eltern d i a b e t i s c h e r K i n d e r u n d J u g e n d l i c h e r e. V. O c h s e n b e r g 2 3 , 6 7 5 0 K a i s e r s l a u t e r n 2 8 , Tel. (06 31) 4 2 4 2 2 — Berliner F ö r d e r g e m e i n s c h a f t junger D i a b e t i k e r e. V. F a h r e m u n d s t r . 7 1 , 1 0 0 0 Berlin 2 0 , T e l . (0 30) 3 6 1 4 2 5 3 — B u n d e s v e r b a n d der I n s u l i n p u m p e n t r ä g e r e. V. R e i n e k e s t r . 3 1 , 5 0 0 0 K ö l n 9 0 , Tel. (0 2 2 03) 2 5 8 6 2 Weiterführende

Literatur

Liebermeister, H.: Diabetes — was Sie darüber wissen sollten, mit einer sozialmedizinischen Übersicht von Dr. H . Bürger-Büsing. Gerhards Verlags- und Vertriebs-GmbH, Baumertstr. 28 — 30, 6000 Frankfurt a. M. 60. Vertrieb über Deutschen Diabetiker-Verband e. V., Frankfurt 1990. Mehnert, H.: Handbuch für Diabetiker, 5. Auflage. TRIAS, Thieme, Hippokrates, Enke, Stuttgart 1991. Rauschelbach, H.-H.: Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1983. Mehr wissen über Diabetes-Typ-II. Tips und Informationen über Behandlung und Soziales. Schriftenreihe Deutscher Diabetiker-Bund e.V. Verlag Kirchheim & Co., Mainz 1991.

Sachwortregister

Acarbose 137, 149, 182 - Monotherapie 142 - Verträglichkeit 142 ACE-Hemmer 190 Adenosintriphosphat 224 Adipositas 26, 38 - massive 111 Aldosereduktase 249 Alkohol 73 Allopurinol 202 Alpha-l-Blocker 190 Alpha-Glukosidase 137 - -Hemmer 161 Alpha-Liponsäure 258 Amputation 225, 229, 245 Angiographie 214 Anionenaustauscher 197 Anorektika 163 - Indikation 164 - Kontraindikationen 165 - Nebenwirkungen 165 Antidiabetika - orale 26, 137 — Nebenwirkungen 141 — Pharmakologie 137 — Wirkmechanismus 139 Antihypertensiva - stoffwechselneutrale und progressionsverhütende 186 Antikoagulantien 205, 223 Augenkomplikationen 261 Augenmuskelnerven 257 Ausdauertraining 134 Azetylsalizylsäure 205, 223 ß 2 -Mikroglobulin 91 Ballaststoffe 167 Begleiterkrankungen 31 Behinderungsgrad (GdB) 277 Benfotiamin 258 Benzbromaron 202 Berufswahl 275 Beta-Blocker 190 Betreuungsteam 77 Bewegung, körperliche 98

Biguanide 145, 161 — Kontraindikationen 148 — Wirkungsmechanismus 146 Blutdruckprofil 56 — Eigenkontrolle 56 — 24-Stunden-Monitoring 191 Blutfließeigenschaften 69, 225 — bei Diabetes mellitus 70 Blutlipide, Zielwerte 192 Blutzucker — Euro-Norm 95 — -messung, prä- und postprandiale

81

— - S e l b s t k o n t r o l l e 83

Body mass index (BMI) Buflomedil 222

105

C-Peptid 87 — Bestimmung 89 — Sekretion 89 Check-up-Untersuchungen 77 Cholesterolkonzentration 48 Claudicatio-intermittens 213 CSE-Hemmer 197 Cushing-Syndrom 44 Darmmotilität 253 Deutsche Diabetes-Union 280 Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) 280 Deutscher-Diabetiker-Bund (DDB) 279 Dexfenfluramin 163 Diabetes mellitus — — — —

Charakteristika 33 Diät 118 Klinik des Typ-II 29 Sekundärversagen konventioneller Therapie 170

— Symptome 30 — Typ-1 und -II 1 — Typ-IIa und IIb Diabetes — -diät 118, 217 — — — —

2

-feststellung 29 -Interventionsstudie -kost 118 -Stadium 12

97, 118, 152

284

Sachwortregister

Diabetikerschulung Diät

Fundusfotografie

236, 241

Fußmykose

118, 194, 2 7 0

— Austausch-Tabelle — Beratung

Fußpflege

128

119

Gallensteine

— energiedefinierte Diabetes-Diät — Kategorien

121

253

Gallensteinrisiko

121

Gangrän

— kohlenhydratberechnete Diabetes-Diät

122

74

226

Gastroplastie

107

Gefäß

113

— sehr niedrigkalorische ( V L C D )

107

Differentialtherapie, medikamentöse Diuretika

241

128

— Empfehlungen

— Pläne

264

227

180

— -operation — -status

218

213

— -training

187

Dresdner Trunk

221

— -Verschluß

109

215

Durchblutungsstörungen

— prophylaktische M a ß n a h m e n

— arterielle

— Therapie

211

— prophylaktische M a ß n a h m e n — Stadieneinteilung nach Fontain Dyslipoproteinämie Eigenanamnese

Getränke

60

118, 186

Familienanamnese

95, 112, 195

30 180

23, 26, 104, 119

131

Glomerulosklerose Glukagontest

90

171

— Kontraindikationen

172

— -Clamp-Technik

— viszeral-omentales Fettgewebsverteilung — Typen

38

39 38

40 72

— -homöostase

231

Fettsucht, abdominelle

41, 7 2

15, 19

14

— -intoleranz

12

— -oxidation

19

— -produktion, hepatische

10

— -toleranz, pathologische

80

— -Transportsystem

16

50

Glykogensynthetase Gruppentherapie

207

22, 140

— -Uptakes der Muskulatur Glykatierung

196

18 113

198

— -Kapseln

131

Hämodilution

Fluoreszenzangiographie Freie Fettsäuren,

262

siehe FFS

15

12

— -toxizitätshypothese

Fettstoffwechselstörung

Fibrinolytika

15, 20, 4 2 , 147

146

— -aufnähme, splanchnische

— viszeral-abdominelles

Fischöl

97, 186

129

— -absorbtion

123

Fibrate

81, 83

Glukose

Fettgewebe

FFS

Gewürze

204

44

Glukoneogenese, hepatische

194

Fettleber

65, 2 1 2

Gewichtsreduktion

104

E u r o - N o r m , Blutzucker-

Fette

Gerinnung

Gesundheitserziehung

9

Fenfluramin, D -

62

9, 25

Gestationsdiabetes

270

Entgleisung, metabolische Ernährung

Genetik

Geschlechtshormone

124

Energiebilanz

Gelenkgicht

Gerinnungsstörungen, Therapie

30

Energiebalance

Fett

215

192

Eiweißbeschränkung Eiweiße

217

217

218

Hämoglobin A, Hämostase

222 85

65

Fruktosamin

87

— bei Diabetes mellitus

Führerschein

275

Harnsäuresenker

201

67

16

Sachwortregister — Kapazität 181 — -sensitivität 14, 133 — -therapie 170 170 — Indikationen — intensivierte 176, 258 — Kombinationstherapie 172 — konventionelle 173 — -Wirkung 140

— bei Niereninsuffizienz 203 — Wechselwirkungen 203 H a r n z u c k e r 84 H a u p t n ä h r s t o f f e 122 Hauttransplantation 229 H b A , 249 H b A l c 141 H D L 48 — Mangel 46 H e p a r i n 206 Herzfrequenzvariabilität 250 H e r z t o d 251 Hirnnerven 257 H o r n h a u t e n t f e r n u n g 244 Hornhautschwielen 237 Hühneraugen 237 Hypercholesterolämie 197 Hyperinsulinämie 11 Hyperinsulinismus 25, 41, 47, 152 Hyperlipazidämie 20, 42 Hyperlipoproteinämie 46, 217

Kalziumantagonisten 190 Kathetertherapie, p e r k u t a n e transluminale Ketonkörper 85 Klassifikation 1, 32 Knochengicht 62 Knochenszintigraphie 238 Kochsalzrestriktion 270 Kohlenhydrate 122 Kombinationstherapie 142, 148, 160, 183 Konditionierung 195 — physische 23, 133 — W a r n s y m p t o m e 134 Kontrollparameter 113 Kontrolluntersuchungen 92 Koronarrisiko 54 Kortikosteroide 43 Kostplan, Erstellung 124 Kumarinderivate 221 Kündigungsschutz 278

— sekundäre 193 Hypertonie 217 — arterielle 53 — Ätiopathogenese 55 — A u f w a c h h y p e r t o n i e 58 — Behandlung 185 — sekundäre 58 Hypertriglyzeridämie 46, 196 Hypertrophie, linksventrikuläre H y p e r u r i k ä m i e 60, 200

53

— medikamentöse T h e r a p i e 201 — nichtmedikamentöse Therapiemöglichkeit 200 — O r g a n m a n i f e s t a t i o n 62 — primäre,Ursachen 60 — sekundäre, Ursachen 61 Hypoglykämierisiko 276 I G T (impaired glucose tolerance) Infarktinzidenz 53 I n f a r k t q u o t e 48 Insulin 143, 150 — -Clearance, hepatische

40

— -bildung 40 — - p u m p e 177, 258 — -resistenz 11, 25, 54, 73 zelluläre Mechanismen — -rezeptor 17 — -Sekretion

10, 11

27

Laktazidose 147 Laserkoagulation, panretinale Lasertherapie 265 L D L - M e t a b o l i s m u s 50 Lebenserwartung 5 Lebensmittel, diätische 129 Lebensqualität 96 Leberzirrhose 73 Lifestyle H e a r t Trial 97 Lipidoxidation 19 Lipolyse 20 Lipolysehemmer 42 Lipoproteinlipase siehe LPL Lp(a)-Erhöhung 47 LPL 42, 134 Lysetherapie, lokale 218 — Kontraindikationen

16

285

266

220

M a k r o a l b u m i n u r i e 271 M a k r o a n g i o p a t h i e n 27, 212 M a t u r i t y Onset Diabetes of Young People, siehe M O D Y

218

286

Sachwortregister

Mediasklerose, Mönckebergsche Metformin 143, 145, 182 Mikroalbuminurie 90, 267 Mikroangiopathien 27, 211 Mikrozirkulation 250 Mineralien 130 Mischkost, hypokalorische 107 MODY 2 Mortalität bei NIDDM-Patienten

211

Postrezeptordefekte 17 Prävention, sekundäre 231 Progesteron 43 Proinsulin 88 ProSciCard-System 251 Prostaglandin 224 Proteinurie 91 prothetische Versorgung 230 Pyruvatdehydrogenase 18

272

Naftidrofuryl 222 Nebenniere 254 Nekrosen 213 Nekrotomie 244 Nephropathie 90, 250, 267

Rauchverbot 217 Rehabilitation, wohnortnahe Restharn 254 Retinopathie 250, 261

— Prävalenz 270 Nervenleitgeschwindigkeit 237 Neuropathie, diabetische 213, 250 NIDDM 1 — ethnische Faktoren 3 — Lebenserwartung 5 — manifestationsbegünstigende Faktoren 32 — Mortalität 272 Niereninsuffizienz 215 Nierenpunktion, Indikation 269 Nierenschädigung 62 Nierenschwelle, individuelle 84 Nierenveränderungen, funktionelle 269 Nikotinsäurepräparate 197 Normabweichung, genetische 60 Normoglykämie 217 Novolet-System 178 Nüchternblutzucker (NBZ) 80 obesity, morbid 111 Östrogene 44 o G T T 80, 82 Ophtalmoplegie 257 Oraler Glukose-Toleranz-Test, Orthostasereaktion 251 Osteomyelitis 239

4,

siehe o G T T

Patientenschulung 185 Pedographie 237 Pens 178 Pentoxiphyllin 222 Physiotherapie 258 Plasminogen-Activator-Inhibitor (PAI) Polyneuropathie 226

147

77

— Background- 262 — Prävalenz 261 — Therapie 264 Rezeptordefekte 17 Rezeptorkinase 18 Rheologie 69 — verbessernde Therapie 207 Rhythmusstörungen 135 Risikofaktoren 133, 192, 212 — kardiovaskuläre 41, 104 Risikokonstellation 47 Rohfasergehalt 194 Ruhenüchternumsatz 38, 105, 114 Schuhmacher, orthopädischer 243 Schulungsprogramme 101, 278 Schwellkörperautoinjektionsbehandlung 259 Schwerbehindertengesetz 276 Screening-Untersuchungen 77 Sekundärversagen, konventioneller antidiabetischer Therapie 170 Selbstkontrolle 92, 185 Sequesterentfernung 244 Serum-Insulin 87 SpaceLabs-System 252 Spontanurin 85 Spritzhilfe 178 St. Vincent-Deklaration 279 Stimmgabeltest 237, 255 Streptokinase 219 Streß 99 Sulfonylharnstoffe 142, 148, 152 — Effektivität 153 — Ersteinstellung 157 — Indikationen 155 — Kontraindikationen 157

Sachwortregister - Langzeitanwendung 157 - Nebenwirkungen 158 - Wirkungsmechanismus 152 Sulfonylharnstoffversagen 149, 160, 182 Süßungsmittel 130 Syndrom - hormonell-metabolisches 35, 60 - metabolisches 10, 35, 91 - Syndrom X 35 Testosteron 43 Teststreifen 82 Therapievorschlag der Deutschen Hochdruckliga 187 Thermogenese 38 - postprandiale 105 Throbolytika 219 Thrombophilie, Therapie 204 Thrombozytenaggregationshemmer Thyrosinkinase 146 Todesursachen 5 Toxizitätsstudien 138 Trainingsempfehlungen 135 Transaminasenanstieg 139 Triglyzeridsynthese 140

221

Ulkus, neurotrophes

236

Ultraschall-Untersuchung

214

Umgebungseinflüsse 9 Untersuchung, klinische und physikalische Urikostatika, siehe Harnsäuresenker Urikosurika, siehe Harnsäuresenker Urokinase 219 Valsalva-Druckversuch 251 Vasa nervorum 249 Vasodilatantien 222 Verhaltenstherapie 107 Versorgungsamt 277 Vitamin-B 258 Vitreoretinopathie, proliferative diabetische VLCD 109 VLDL 48

287

262

Wärmediskrimination 237 Welt-Diabetiker-Tag 279 W H R (waist-to-hip-ratio) 106 Wundbehandlung 228

78

Autorenverzeichnis

Dr. med. habil. Sabine Fischer Prof. Dr. med. habil. Markolf Hanefeld Prof. Dr. med. habil. Ulrich Julius Dr. med. Silke Meisel Dr. med. Hannes Rietzsch Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze Dr. med. habil. Matthias Weck Medizinische Akademie „Carl Gustav Carus" Klinik für Innere Medizin Abteilung für Stoffwechselkrankheiten und Endokrinopathien/Fettstoffwechselforschung Fetscherstraße 74 8019 Dresden Prof. Dr. med. habil. Hans-Egbert Schröder Medizinische Akademie „Carl Gustav Carus" Hochschulpoliklinik Abteilung für Innere Medizin mit Rheumaabteilung und Allgemeinmedizin Fetscherstr. 74 8019 Dresden