Politische Parteien im Wandel: Ihre Entwicklung zu wettbewerbsbeschränkenden Staatsparteien – und was daraus folgt [1 ed.] 9783428537341, 9783428137343

Die politischen Parteien haben, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, einen grundlegenden Wandel erfahren. Vom Steuerza

146 121 650KB

German Pages 95

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Politische Parteien im Wandel: Ihre Entwicklung zu wettbewerbsbeschränkenden Staatsparteien – und was daraus folgt [1 ed.]
 9783428537341, 9783428137343

Citation preview

Politische Parteien im Wandel Ihre Entwicklung zu wettbewerbsbeschränkenden Staatsparteien – und was daraus folgt

Von Hans Herbert von Arnim

Duncker & Humblot · Berlin

HANS HERBERT VON ARNIM

Politische Parteien im Wandel

Politische Parteien im Wandel Ihre Entwicklung zu wettbewerbsbeschränkenden Staatsparteien – und was daraus folgt

Von Hans Herbert von Arnim

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13734-3 (Print) ISBN 978-3-428-53734-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83734-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die politischen Parteien haben, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, einen grundlegenden Wandel erfahren. Vom Steuerzahler alimentiert, flankiert von den noch sehr viel großzügiger subventionierten Fraktionen und unterstützt von einem Heer staatsfinanzierter Abgeordnetenmitarbeiter und Nutznießern parteilicher Patronage, entwickeln sie sich allmählich von den Bürgern weg zu regelrechten Staatsparteien. Die Richtung der parteilichen Willensbildung dreht sich um: Statt auch von unten erfolgt sie immer mehr nur noch von oben. Kleinere außerparlamentarische Konkurrenten bleiben von den kräftig sprudelnden Quellen an Geld und Posten ausgeschlossen. Mit demokratischen Grundsätzen ist das nicht mehr vereinbar und verlangt nach Konsequenzen. Die grundsätzliche Berechtigung von Fraktionsfinanzierung und Abgeordnetenassistenz soll allerdings keineswegs in Frage gestellt werden. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie, um das Wieviel und Wofür. Das zentrale Problem der ganzen Entwicklung ist die mangelnde Kontrolle bei gleichzeitig leichter Verfügbarkeit der Mittel und großer Versuchung zum Missbrauch. Das vorliegende schmale Bändchen setzt eigene Arbeiten über die Finanzierung von Fraktionen (Der Verfassungsbruch, 2011) und Abgeordnetenmitarbeiter (Abgeordnetenmitarbeiter: Reservearmee der Parteien?, Die Öffentliche Verwaltung 2011, S. 345 ff.) fort, stellt sie in den größeren Zusammenhang der politikwissenschaftlichen Forschungen über Parteienwandel, unterzieht sie einer sorgfältigen juristischen Wertung und zeigt die Klagemöglichkeiten für entmündigte Bürger und diskriminierte Parteien auf. Einen Schnellüberblick über das Thema geben das Inhaltsverzeichnis am Anfang und die Zusammenfassung am Ende.* Speyer, im August 2011

Hans Herbert von Arnim

* Elmar Wiesendahl danke ich sehr herzlich für die Durchsicht einer früheren Fassung des Textes und für wertvolle Hinweise, Joachim Wieland für die hilfreiche Kommentierung des verfassungsprozessualen Abschnitts. Alle verbliebenen Mängel gehen natürlich zu meinen Lasten.

Inhaltsverzeichnis A. Parteien: der formal-juristische Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

B. Privilegien der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatliche Zweige der Parteien: Finanzexplosion der Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsfinanzierung der Fraktionen: vervierhundertfünfzigfacht . . . . . . . 2. 10.000 Abgeordnetenmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parteistiftungen: über 300 Millionen Euro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontrolldefizite bei scheinbar grenzenlosem Bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstbewilligung – leicht gemacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Instrumente des Machterhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Parteien: Opfer oder Täter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auf der Überholspur: die Parteien im Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unzureichende Verwendungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auch hier: Entscheidung des Parlaments in eigener Sache . . . . . . . . b) Verfassungswidrige Extra-Diäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Exkurs: Parlamentsverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Privilegien der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ämterpatronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ochsentour, Verbeamtung der Parteien und Parlamente . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss von Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privilegien ohne Funktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 12 12 13 15 16 16 16 17 17 18 18 19 19 20 20 22 22 23 24

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre potenten staatlichen Zweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktionale Äquivalente zur Parteienfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgabenverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fälle anerkannter Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parteisteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestätigung der Verlagerung durch die historische Entwicklung . . . . . . . . . III. Exkurs: Parteien in der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ämterpatronage, Beckett-Effekt und Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . .

25 25 25 27 28 30 31 33

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wandel der Parteien: die politikwissenschaftliche party-changeForschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35

8

Inhaltsverzeichnis II. III. IV. V.

Erweiterung des Begriffs: Parteien im materiellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . Umfragen und Medien als Ersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reanimation der Parteibasis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre: unterschiedliche Sichtweisen und Erkenntnisinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Parteien im Parlament: zwischen allen Stühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 39 40

E. Beurteilungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der rechtswissenschaftliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Missbrauchsverbot und Gemeinwohlgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Freiheit vom Staat bzw. Bürgernähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der missverständliche Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relative Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Absolute Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftsnahe Ausgestaltung der Staatsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . 5. Innere Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Politische Gleichheit der Bürger und Abgeordneten sowie Chancengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichheit der Diäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schwelle von 0,5 bzw. 1 Prozent für die Beteiligung an der staatlichen Parteienfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Beteiligung sämtlicher Parteien an der steuerlichen Begünstigung von Beiträgen und Spenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beteiligung unabhängiger Kandidaten an der Staatsfinanzierung . . . . . 6. Fünf-Prozent-Klausel im Kommunalwahlrecht: verfassungswidrig . . . . 7. Chancengleichheit bei der Ämterbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 44 45 46 47 47 48 48 49 50

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament und ihre außerparlamentarischen Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das explosive Wachstum: Mutter der Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bisher keine Anwendung der Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgernähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss kleiner Konkurrenzparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bevorzugung von Abgeordneten im innerparteilichen Wettbewerb . . III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen für die Parteien im Parlament . . . . . . 1. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewilligung für Fraktionen und Parteistiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgeordnetenmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 42

50 50 51 51 52 53 53 54 56 56 56 57 58 59 59 60 60 60 60 62

Inhaltsverzeichnis

9

c) Rechenschaft über die Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missbrauchsverbot und Gemeinwohlgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bürgernähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Absolute Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relative Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kontrollinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Durchsetzungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Volk selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsgerichte: wer ist befugt, zu klagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechnungshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 65 65 66 68 69 69 69 70 70 73

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Tabelle 1: Zahlungen an Abgeordnetenmitarbeiter des Bundes 1969–2011 . . . . . . .

78

Tabelle 2: Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter in Bund und Ländern Ende Dezember 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

Tabelle 3: Zahlungen an Abgeordnetenmitarbeiter in Bayern 1981–2011 . . . . . . . .

81

Tabelle 4: Bezahlung von Abgeordnetenmitarbeitern in Bund und Ländern 2010 (Globalbewilligungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

Tabelle 5: Zahlungen an Abgeordnetenmitarbeiter in Nordrhein-Westfalen 1979–2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Tabelle 6: Abgeordnetenmitarbeiter. Gesetze und Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

Tabelle 7: Fraktionsfinanzierung 2010. Vergleich von Ländern mit und ohne gesetzliche Nennung der Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

A. Parteien: der formal-juristische Ausgangspunkt Nach § 2 PartG sind Parteien, knapp zusammengefasst, Vereinigungen von Bürgern, die sich an Parlamentswahlen beteiligen, die Auffassungen der Bürger in den Staat hineintragen und dem Parteiengesetz unterfallen, das vor allem ihre Finanzierung regelt und ihnen eine Reihe von Vorschriften, Kautelen und Grenzen auferlegt, um die Parteienfinanzierung unter der Kontrolle der Gemeinschaft zu halten. Die Parteien sind – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „frei miteinander konkurrierende und aus eigener Kraft wirkende Gruppen von Bürgern, die sich außerhalb der organisierten Staatlichkeit zusammengeschlossen haben, um mit eigenen Zielvorstellungen und Programmen auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen.“1 Doch im Laufe der Jahrzehnte haben neue, den Parteien politisch eng verwandte Akteure die politische Arena betreten, deren selbst bewilligte staatliche Ressourcen mit gewaltigen Raten wachsen und die zunehmend an die Stelle der eigentlichen Parteien treten und als deren funktionale Äquivalente auftreten. Damit stellt sich die Frage, ob diese finanzkräftigen Klone der Parteien weiterhin von den Fesseln ausgenommen bleiben dürfen, die den Parteien mit guten Gründen angelegt worden sind, und ob die neuen Akteure nicht ihrerseits an das Volk zurückgebunden und dem Gebot der Chancengleichheit unterworfen werden müssen.

1

BVerfGE 104, 14 (19).

B. Privilegien der Macht I. Staatliche Zweige der Parteien: Finanzexplosion der Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen Die Staatsfinanzierung von Parlamentsfraktionen und persönlichen Mitarbeitern von Abgeordneten ist in den letzten Jahrzehnten geradezu explodiert. Das wurde jüngst im Einzelnen aufgezeigt.2 Auch die Parteistiftungen werden in großem Umfang staatlich finanziert. 1. Staatsfinanzierung der Fraktionen: vervierhundertfünfzigfacht Die Fraktionen haben ihre Mittel im Laufe der Zeit, von Öffentlichkeit und Staatsrechtslehre kaum bemerkt, stark ausgeweitet. Die Zuschüsse für die Bundestagsfraktionen wurden seit 1950 ver-450-facht und betrugen 2010 78,7 Millionen Euro. Zusammen mit den Fraktionen der Landesparlamente bewilligen sie sich – zahlreiche Zusatzleistungen noch gar nicht mitgerechnet – jährlich 187 Millionen Euro vom Staat, mehr als die eigentlichen Parteien, die bisher 133 Millionen erhielten und ab 2012 150,8 Millionen bekommen werden.3 Die Zahlungen machen immer wieder große Sprünge.4 So haben die Fraktionen in Bayern, Thüringen und im Saarland kürzlich auf einen Schlag eine Erhöhung um fast 50 Prozent beschlossen.5 Dabei haben die Fraktionen mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts lediglich die Aufgabe, „den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit in gewissem Grade zu steuern und damit zu erleichtern.“ 6 Das mag 1966, als das Gericht 2 Hans Herbert von Arnim, Der Verfassungsbruch, 2011, 25 ff.; ders., Abgeordnetenmitarbeiter: Reservearmee der Parteien?, DÖV 2011, 345; von Arnim/Drysch, Drittbearbeitung des Art 48 GG im Bonner Kommentar (2010), Rn 279; jeweils m.w. N. 3 Dazu von Arnim, Die Parteiendiäten-Novelle – Ein Blitz-Gesetz (erscheint in NJW 2011). 4 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 25 ff., und die dortigen Anlagen 5 (Fraktionszuschüsse im Deutschen Bundestag 1949–2011), 6 (Fraktionszuschüsse des Bundes und der Länder 1965 und 2010) und 7 (Fraktionszuschüsse im Bayerischen Landtag 1949– 2012). 5 Dazu im Einzelnen von Arnim, Der Verfassungsbruch, 24, 44 ff. m.w. N. 6 So BVerfGE 20, 56 (104). Ebenso BVerfGE 80, 188 (231).

I. Staatliche Zweige der Parteien

13

sich erstmals mit der Finanzierung der Bundestagsfraktionen befasste, durchaus noch der Fall gewesen sein. Jedenfalls ging es seinerzeit lediglich um Zuschüsse von 3,1 Millionen Mark, also um kaum mehr als 2 Prozent der heutigen Größenordnung. Das Gericht hatte aber schon damals gewarnt: Halten die Fraktionen diese Zweckbestimmung nicht ein und bewilligen sich Zuschüsse in einer Höhe, „die durch die Bedürfnisse der Fraktionen nicht gerechtfertigt“ sind, so sei das „ein die Verfassung verletzender Missbrauch.“7 In der Tat als einen Missbrauch muss der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis die eingetretene Entwicklung empfunden haben, als er drei Jahrzehnte später die hoch geschossenen Fraktionsmittel kommentierte. Der „erreichte Ausbau“ der Fraktionen, ermöglicht durch die „absolut fantastische Explosion“ der Zuschüsse, war für ihn „aus geschichtlicher Perspektive ein Skandal.“8 Dazu muss man wissen, dass Hennis Anfang der Fünfzigerjahre selbst der erste wissenschaftliche Assistent der SPD-Bundestagsfraktion gewesen war.9 Das erklärt seine Fassungslosigkeit über die hochgeschossene Zahl der Fraktionsmitarbeiter.10 Inzwischen sind die Zuschüsse weiter gewachsen.11 2. 10.000 Abgeordnetenmitarbeiter Eine unerhörte Dynamik haben auch, von Staatsrechtslehre und Öffentlichkeit bisher erst recht nicht bemerkt, die persönlichen Mitarbeiter von Parlamentsabgeordneten entwickelt, die Ende der Sechzigerjahre von der Großen Koalition eingeführt worden waren. Bereits damals war man sich durchaus der Gefahr bewusst, dass die Neuerung missbraucht und zur Parteienfinanzierung oder persönlichen Bereicherung zweckentfremdet werden könnte. Man versprach deshalb im Bundestag, Vorkehrungen zu treffen, damit die Gelder nur für „Leute, die wirklich hier im Hause helfen,“ verwendet würden und nicht für Parteifunktionäre,12 ein Versprechen an das heute, da das Geld „wie Manna vom Himmel“ regnet (so das Ex-MdB Konrad Schily), kaum noch ein Abgeordneter erinnert werden möchte. Rund die Hälfte der Mitarbeiter arbeitet inzwischen im Wahlkreis.

7

BVerfGE 20, 56 (105). Die drei Zitate stammen von Wilhelm Hennis, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.3.1996, 9 (bei Besprechung einer Veröffentlichung von Hans Meyer). 9 Sven Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, 278. 10 Im Dezember 1995 beschäftigten die Bundestagsfraktionen 782 Mitarbeiter (Schüttemeyer, Fraktionen im Deutschen Bundestag, 1998, 44 f.); Anfang 2009, waren es dann 918 (Hölscheidt, Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, DVBl 2010, 78 [83]). 11 von Arnim, Der Verfassungsbruch, Anlagen 5–7. 12 So MdB Günther Müller, Deutscher Bundestag, V. Wahlperiode, Plenarprotokoll, S. 8721. Siehe auch den damaligen Berichterstatter MdB Wilhelm Rawe (S. 12346) und den Bundestagspräsidenten Kai Uwe von Hassel (S. 12405). 8

14

B. Privilegien der Macht

Von 1969 bis 2010 ist der jedem Bundestagsabgeordneten zur Verfügung stehende Betrag von monatlich 1.500 DM auf 14.889 Euro angewachsen (siehe Tabelle 1 im Anhang). Nimmt man Zusatzleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung hinzu, die anfangs noch nicht zusätzlich gewährt wurden, so erhöht sich der Betrag auf rund 20.000 Euro, also 26-mal so viel wie 1969.13 Die gesamten Mittel, die sich Bundestagsabgeordnete für ihre persönlichen Mitarbeiter bewilligt haben, waren 2010 mit 149,2 Millionen Euro fast doppelt so hoch wie die Zuschüsse an die Bundestagsfraktionen (78,7 Millionen Euro) und sogar höher als die deutsche staatliche Parteienfinanzierung auf Bundes-, Landes- und Europaebene, die, wie erwähnt, damals 133 Millionen Euro betrug. Entsprechend stark hat die Anzahl der Mitarbeiter zugenommen: von 663 im Jahre 1970 über 1.401 in 1983 auf 6.784 im Jahre 2009.14 Das heißt, im Durchschnitt hat jeder Bundestagsabgeordnete rund zehn Helfer. Davon sind etwa ein Drittel voll- und zwei Drittel teilbeschäftigt.15 Auch in den Ländern werden Abgeordneten die Kosten für die Beschäftigung von Mitarbeitern erstattet.16 Eine Ausnahme machen nur Bremen und das Saarland. Jeder der 1728 Landesabgeordneten17 hat im Durchschnitt etwa zwei vom Staat bezahlte Helfer (siehe Tabelle 2 im Anhang). Die Selbst-Bewilligungen weisen – bezeichnender Weise (siehe unten S. 62) – allerdings große Unterschiede auf, auch unter vergleichbaren Ländern: Während im Jahre 2011 jeder der 187 bayerischen Landtagsabgeordneten für monatlich 7.157 Euro Mitarbeiter beschäftigen kann (Tabelle 3), begnügen sich ihre 191 nordrhein-westfälischen Kollegen mit 3.833 Euro (Tabelle 5). Die 88 Mitglieder des Potsdamer Landtags können 3.640 Euro für Mitarbeiter verwenden, ihre 95 Kieler Kollegen dagegen nur 900 Euro. Bayerische und Brandenburger Abgeordnete können sogar Vettern und Geschwister auf Staatskosten beschäftigen (Tabelle 6). Im Jahre 2010 wurden in den Ländern insgesamt rund 75 Millionen Euro für Abgeordnetenmitarbeiter zur Verfügung gestellt (Tabelle 4). Zusammen mit dem Bund beträgt die Summe 224 Millionen Euro (siehe wiederum Tabelle 4), und 13 Zum Vergleich: Die durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen sind im selben Zeitraum auf etwa das Fünffache gestiegen. 14 Im Jahre 2010 waren es 6.067 Mitarbeiter (Quelle: Bundestagsverwaltung). Die Zahl für 2009 dürfte besonders hoch sein, weil die Mittel wegen der im Jahre 2009 stattgefundenen Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen voll ausgeschöpft wurden und weil die Mitarbeiter früherer und neuer Abgeordneten sich teilweise überlappten. Die Zahl für 2010 dürfte relativ niedrig sein, weil neue Abgeordnete wohl noch nicht alle Möglichkeiten in Anspruch genommen hatten. Der zutreffende, den generellen Trend widerspiegelnde Betrag dürfte deshalb in der Mitte liegen. 15 Näheres bei von Arnim, DÖV 2011, 345 ff. m.w. N. 16 von Arnim/Drysch, Art. 48 GG, Rn 284 ff. 17 Die 83 Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft und die 51 Mitglieder des Saarländischen Landtags, die keine staatlich finanzierten Mitarbeiter haben, sind nicht mitgezählt.

I. Staatliche Zweige der Parteien

15

die Zahl der Mitarbeiter ist mit rund 10.000 sicher nicht zu hoch angesetzt (siehe erneut Tabelle 2). Sachsen und Bayern haben sich dafür erst kürzlich einen Zuschlag von 38 bzw. 50 Prozent bewilligt, und Baden-Württemberg hat seinen Mitarbeiterfonds jüngst sogar um 100 Prozent aufgestockt.18 Das Mitarbeiterheer lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf amerikanische Kongressabgeordnete und ihren gewaltigen Stab rechtfertigen. In deren Händen liegt die Gesetzesinitiative und die Last, die Gesetzentwürfe auszuarbeiten. Bei uns dagegen zeichnen dafür regelmäßig die Regierung und die Ministerialbürokratie verantwortlich. 3. Parteistiftungen: über 300 Millionen Euro Sehr großzügig werden auch die Parteistiftungen19 subventioniert.20 Allein die so genannten Globalzuschüsse, die sie für ihre Inlandsarbeit erhalten und die den Mutterparteien ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil zugute kommen,21 belaufen sich im Jahre 2011 auf 98 Millionen Euro jährlich, 1967 waren es noch 9 Millionen DM.22 Hinzu kommen noch einmal mehr als 200 Millionen Euro für Projekte im Ausland. Allerdings entwickeln sich die Subventionen der Stiftungen, die bis 1992 rasant gestiegen waren, seitdem eher seitwärts. Die massive öffentliche Kritik und immer wieder drohende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die wie ein Damoklesschwert über der Stiftungsfinanzierung hängen, zwingen seitdem zur Zurückhaltung.23

18

von Arnim, DÖV 2011, 345 (350 f.). Eine ausführliche Darstellung der Parteistiftungen, allerdings noch ohne die damals noch nicht existierenden Stiftungen der Grünen und der Linken, findet sich in BVerfGE 73, 1 (2–12). 20 Näheres z. B. bei von Arnim, Die Deutschlandakte, 2008, 122 ff. 21 Siehe z. B. Martin Morlok, Thesen zu Einzelaspekten der Politikfinanzierung, in: Dimitris Th. Tsatsos (Hg.), Politikfinanzierung in Europa, 1997, 77 (90): „Die Unabhängigkeit dieser Stiftungen von ihren Bezugsparteien erscheint allerdings weit gehend als eine Fiktion. Auch hier liegt es nahe, diese Mittel der Parteienfinanzierung zuzurechnen.“ 22 Quellen: Haushaltspläne des Bundes. 23 Das Bundesverfassungsgericht hatte die Stiftungsfinanzierung zwar in einem äußerst großzügigen Urteil vom 14.7.1986 abgesegnet (BVerfGE 73,1). Ein am selben Tag ergangenes, ebenfalls großzügiges Urteil zur Parteienfinanzierung (BVerfGE 73, 40) hat das Gericht aber – aufgrund gewandelter Rechtsauffassung – sechs Jahre später zu Gunsten einer sehr viel strengeren Linie aufgegeben (Urteil vom 9.4.1992: BVerfGE 85, 264). Seitdem befürchten die Stiftungen eine ähnliche Verschärfung der Rechtsprechung hinsichtlich ihrer Finanzierung. 19

16

B. Privilegien der Macht

4. Kontrolldefizite bei scheinbar grenzenlosem Bedarf Hier soll die grundsätzliche Berechtigung der Finanzierung etwa von Fraktionen und Abgeordnetenassistenz keineswegs in Frage gestellt werden. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie, das Wieviel und Wofür. Das zentrale Problem ist die mangelnde Kontrolle bei gleichzeitig leichter Verfügbarkeit – auch zum Missbrauch für eigene und Parteizwecke. Das schafft Versuchungen, denen auf Dauer wohl nur ein Gott widerstehen könnte. a) Selbstbewilligung – leicht gemacht Die Gründe für das enorme Wachstum liegen zum einen in der leichten Beschaffbarkeit der Mittel. Die Fraktionen und die Abgeordneten bewilligen ihre Staatsgelder und die der Parteistiftungen selbst, suchen sie einträchtig vor der Öffentlichkeit zu verbergen, und können mit ihrer Patronage- und Gesetzgebungsmacht auch mögliche Kontrollen bei der Verwendung der Mittel und der Mitarbeiter weitgehend entschärfen.24 Der Geldbedarf folgt dann leicht den unbegrenzten Wünschen und tendiert damit gegen unendlich.25 Es geht allerdings weniger um individuelle Vorwürfe, sondern primär um das institutionelle Problem mangelnder Kontrolle in eigener Sache entscheidender Parlamente. Das gewaltige Wachstum der öffentlichen Mittel ist das Resultat weit gehend unkontrollierter Selbst-Bewilligung der Parlamente. b) Instrumente des Machterhalts Die Dynamik der Entwicklung ist allerdings nicht voll zu verstehen, wenn man nicht auch die Intention des Machterhalts einbezieht, des wohl virulentesten Motivs in der Politik überhaupt. Mit dem Anschwellen ihrer Ressourcen haben Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeiter eine Art Metamorphose durchlaufen. Ursprünglich sollten sie das Parlament gegenüber der Regierung und die Hinterbänkler gegenüber dem Fraktionsestablishment stärken. Im Laufe der Zeit aber wuchsen sie weit über diesen Sinn hinaus26 und entwickelten sich, wie im Fol24 Näheres zur Ausschaltung der Kontrollen bei von Arnim, Der Verfassungsbruch, 25 ff., 49, 98 ff.; ders., DÖV 2011, 345 (348 f.), jeweils m.w. N. 25 So treffend der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) bei der zweiten Beratung des Fraktionsgesetzes des Bundes (Bundestag, Stenografisches Protokoll/12/155, S. 16420): Ohne wirksame Kontrollen tendiere „der Geldbetrag der Fraktionen und Parteien in Richtung unendlich“. 26 Die ursprüngliche Absicht, die Abgeordneten gegenüber parlamentarischer Führung zu stärken, kann die übliche Verwendung der Mitarbeiter auch im Wahlkreis schwerlich rechtfertigen. Mit dem Anliegen, die parlamentarische Opposition „aufzurüsten“, ist es kaum vereinbar, dass Regierungsfraktionen – trotz Oppositionsbonus – meist mindestens genau so hohe Zuschüsse erhalten.

I. Staatliche Zweige der Parteien

17

genden dargelegt wird, unter der Hand zu Instrumenten der Macht,27 die der politischen Klasse28 – zusammen mit der Ämterpatronage und dem selbst gemachten Wahlsystem – auch dazu dienen, neue politische Konkurrenten klein und die Bürger auf Abstand zu halten. Dieses Machtmotiv hat der Dynamik einen enormen zusätzlichen Schub verschafft. c) Parteien: Opfer oder Täter? Gelegentlich wird das Problem allerdings verdrängt und behauptet, das Hochschießen der selbst bewilligten Mittel sei lediglich eine Reaktion auf den höheren Finanzbedarf, der durch den Rückgang der Mitglieder und Stimmenanteile, die hoch kommerzialisierten Wahlkämpfe und sonstige steigende Kosten der großen Parteien hervorgerufen worden seien. Die Parteien seien also nur Opfer gesellschaftlicher Entwicklungen.29 Doch das trifft, wie Elmar Wiesendahl nachgewiesen hat, nicht zu. Besonders hohe Wachstumsraten waren gerade in den Siebzigerjahren zu beobachten, als die Wähleranteile der großen Parteien hoch waren, ihre Mitgliederzahl sich praktisch verdoppelte und die Kommerzialisierung der Wahlkämpfe erst am Anfang stand.30

5. Auf der Überholspur: die Parteien im Parlament Die Fülle ihrer öffentlichen Mittel hat die genannten Akteure zu einer Art Ersatzparteien gemacht. Die Parteien im Sinne des Parteiengesetzes fühlen sich nämlich nicht nur wegen des Gesetzesvorbehalts und der absoluten und der relativen Obergrenze finanziell beengt (dazu Näheres unten S. 45 und 48), sondern

27 Dazu generell Rudolf Wildenmann. Regeln der Machtbewerbung, 1963, in: ders., Gutachten zur Frage der Subventionierung politischer Parteien aus öffentlichen Mitteln, 1968, 70 ff.; Michael Greven, Die Parteien in der politischen Gesellschaft sowie eine Einleitung zur Diskussion über die ,allgemeine Parteiendemokratie‘, in: Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hg.), Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, 1993, 277 (290). 28 Den Begriff „politische Klasse“ als Inbegriff der Berufspolitiker mit gemeinsamen Status-Interessen hat Klaus von Beyme mit seinem Buch „Die politische Klasse im Parteienstaat“ (1993) in der Politikwissenschaft salonfähig gemacht. Die Gemeinsamkeit der eigenen Berufsinteressen führt dazu, dass Regierungs- und Oppositionsfraktionen und -abgeordnete sich bei Erhöhung der Zahlungen für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahe Stiftungen sowie bei Vornahme und Tolerierung von Ämterpatronage meist einig sind. 29 So z. B. Klaus von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, 44 ff. 30 Elmar Wiesendahl, Die Parteien in Deutschland auf dem Weg zu Kartellparteien?, in: von Arnim (Hg.), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute“ und bürgernahe Politik?, 1999, 49 (50 ff.).

18

B. Privilegien der Macht

auch wegen des anhaltenden Schwundes an Mitgliedern und Beiträgen. Zudem werden die Mitglieder im Durchschnitt immer älter, was ihre Zahlungsbereitschaft und natürlich auch ihre Vitalität und Schlagkraft nicht gerade erhöht.31 Bei den „Ersatzparteien“ im Parlament herrscht dagegen Überfluss; das wird bei den Fraktionen besonders deutlich. Ihre Subventionen hatten, Bundes- und Landesfraktionen zusammengenommen, im Jahre 1966 noch etwa 25 Pfennig je Wahlberechtigten betragen; heute belaufen sie sich auf drei Euro. Demgegenüber erhielten die Parteien 1966 etwa eine Mark pro Wahlberechtigten; heute sind es 2,14 Euro.32 Während die Pro-Kopf-Beträge an Parteien sich seit 1966 also etwa ver-viereinhalb-facht haben, haben sich diejenigen der Fraktionen ver-vierundzwanzig-facht.33 Aufgrund ihres immensen Wachstums haben die Fraktionszuschüsse, die 1966 erst etwa ein Viertel der Parteisubventionen ausmachten, diese inzwischen weit hinter sich gelassen, so dass sich die finanziellen Verhältnisse umgedreht haben. Nicht weniger stark sind die öffentlichen Gelder für persönliche Mitarbeiter von Abgeordneten angewachsen, die 1969 geschaffen wurden. Ähnliches gilt für die Parteistiftungen, jedenfalls bis 1992 (siehe soeben S. 13 ff.). 6. Unzureichende Verwendungskontrolle a) Auch hier: Entscheidung des Parlaments in eigener Sache Die Verwendung der finanziellen Ressourcen wird nicht oder nur unzureichend kontrolliert. Auch ihre Regelung liegt in den Händen der Kontrollierten selbst. Eine Kontrolle, wer als Abgeordnetenmitarbeiter bestellt und wie und wo die Mitarbeiter eingesetzt werden, findet praktisch nicht statt, weder durch die Öffentlichkeit noch in der Regel durch Parlamentsverwaltungen oder Rechnungshöfe. Auch die Kontrolle der Fraktionen ist mangelhaft. Sie wird zwar in eigenen Fraktionsgesetzen oder in Paragrafengruppen der Abgeordnetengesetze geregelt. Die Pflicht zur Veröffentlichung ist aber lückenhaft. Auch die Prüfung durch die Rechnungshöfe wird durch gesetzliche Vorbehalte eingeschränkt, ganz abgesehen davon, dass die Fraktionen ihre Kontrolleure meist selbst aussuchen.34 Die Vorschriften werden in ihrer Funktion geradezu umgedreht, indem sie die Einschränkung der Kontrolle legalisieren und verfassungsrechtlich zweifelhaften oder auch

31

von Arnim, Volksparteien ohne Volk, 2009, 192 f. Dabei entfällt ein Teil davon noch auf die deutschen Europawahlen, wohingegen die anteiligen Fraktionszuschüsse im Europäischen Parlament nicht einbezogen sind. 33 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 29. 34 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 98 ff. m.w. N. 32

I. Staatliche Zweige der Parteien

19

eindeutig verfassungswidrigen Verwendungen den Schein der Rechtmäßigkeit verleihen, etwa der Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen.35 b) Verfassungswidrige Extra-Diäten Ein weiteres Beispiel ist die Zahlung von Extra-Diäten an Fraktionsfunktionäre. Die Selbst-Bewilligung der Mittel bei mangelnder Kontrolle ihrer Verwendung hat es den Fraktionen bisher ermöglicht, – an der Verfassung und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts36 vorbei – ihren Funktionären Extra-Diäten in Millionenhöhe zu zahlen. Die Gesetze scheinen das zu erlauben und eine Veröffentlichung der genauen Beträge geradezu zu verbieten. Auf dieser selbst-gemachten Grundlage verweigern etwa die Fraktionen der Union und der SPD im Bundestag und im Bayerischen Landtag selbst auf Anfrage der Medien jegliche Auskunft darüber, welche Funktionäre wie hohe Zulagen erhalten.37 Trotz des Verfassungsbruchs fühlen sie sich unangreifbar, da fast alle Fraktionen in fast allen deutschen Parlamenten ebenfalls verfassungswidrige Zulagen zahlen, und deshalb die normalen parlamentarischen Korrekturmechanismen versagen.38 7. Exkurs: Parlamentsverwaltungen Parlamentsverwaltungen können nicht, auch nicht in einem weiteren Sinn zu den hier allein zu behandelnden Parteien im Parlament gerechnet werden. Kennzeichen der Fraktionen, der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter sowie der Parteistiftungen ist ihre große Nähe zu den jeweiligen Mutterparteien. Von politischer Neutralität kann bei ihnen keine Rede sein. Dagegen nehmen die Angehörigen der Parlamentsverwaltung bei ihrer Arbeit faktisch und zum Teil auch rechtlich39 35 Hans Meyer, Die Fraktionen auf dem Weg zur Emanzipation von der Verfassung, Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994, 319 (341 ff.). 36 BVerfGE 40, 296 (317 f.); 102, 224 ff.; 119, 302 (309). Erlaubt sind lediglich Funktionszulagen an Parlamentspräsidenten, ihre Stellvertretet und Fraktionsvorsitzende. – Die Verbotsurteile beziehen sich zwar auf Zulagen etwa an stellvertretende Fraktionsvorsitzende oder Parlamentarische Geschäftsführer, die das Parlament im Diätengesetz gewährt, also nicht unmittelbar auf solche, die von den staatsfinanzierten Fraktionen gezahlt werden. Doch, was dem Parlament verboten ist, kann auch auf dem Umweg über die Fraktionen nicht erlaubt sein, zumal dann auch noch die Transparenz Not leidet. Dazu von Arnim, Der Verfassungsbruch, 49 ff., 56 ff. jew. m.w. N.; von Arnim/Drysch, Art. 48 GG, Rn 180 ff. 37 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 80, 83 m.w. N. 38 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 49 ff. m.w. N. 39 So z. B. die Dienst- und Geschäftsanweisung des Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen. Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst. Grundsätze für die Aufgaben und Arbeitsweise 1/2001, 2 f. Ähnlich Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

20

B. Privilegien der Macht

eine neutrale Haltung gegenüber Fraktionen, Abgeordneten und Parteien ein.40 Das gilt auch für die parlamentarischen Hilfs- und Beratungsdienste, von denen zum Teil auch Abgeordnete und Fraktionen Gebrauch machen können und die – mit unterschiedlicher Bezeichnung und in unterschiedlicher Form – in allen Parlamenten vorhanden sind.41 Die Mittel für Parlamentsverwaltungen bewilligen zwar auch die Abgeordneten selbst. Da hier aber in der Regel dokumentiert ist, wem welche Beratungs- oder Gutachtensdienste geleistet werden, die Mitarbeiter nicht zum Status der Abgeordneten oder Fraktionen gehören, sich nur schwer parteilich instrumentalisieren lassen und die Rechnungshöfe ungehindert prüfen können, sind die Möglichkeit und die Versuchung zu missbräuchlicher Verwendung für Partei- oder private Zwecke relativ gering (wenn man einmal von der doch eher seltenen Beschaffung von Material für die Doktorarbeit eines Abgeordneten absieht). Die politikwissenschaftliche party-change-Forschung rechnet Parlamentsverwaltungen und die für sie bewilligten Mittel deshalb mit Recht nicht zu den Parteien im Parlament (siehe unten S. 38 und 40).

II. Weitere Privilegien der Macht 1. Ämterpatronage Die Versuchung der Parteien, sich die staatlichen Ressourcen dienstbar zu machen, bezieht sich nicht nur auf die Finanzen, sondern auch auf das Personal. Die Parteien stellen nicht nur die Parlamente und Regierungen, sondern beeinflussen auch die Personalauswahl in der Verwaltung und in öffentlichen Wirtschaftsunternehmen. Sie suchen auf diese Weise die wohl dotierten Posten, über die der öffentliche Dienst in großer Zahl verfügt, für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dann werden nicht unbedingt diejenigen eingestellt und befördert, die sich für das Amt am besten eignen, honoriert wird vielmehr die Treue zur Partei. Damit wird, wie schon Theodor Eschenburg herausgestellt hatte, ein dreifaches Ziel verfolgt: die Belohnung von Parteigängern (Versorgungspatronage), die Sicherung der Macht (Herrschaftspatronage) und zusätzlich die Demonstration des eigenen Einflusses nach außen (Demonstrationseffekt), was einen disziplinierenden Effekt auf alle anderen ausübt, die im Staat etwas werden wollen, deren Kooperationsbereitschaft erhöht und dadurch wiederum die Macht der etablierten Parteien ver40 Sven Hölscheidt, Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, DVBl 2010, 78 (83); Hans Herz, Die Verwaltung der Parlamente. Stellung, Organisation und Funktionen der Landtagsverwaltungen und ihr Verhältnis zu den Landtagen, ZParl 2008, 528 (529 f.). 41 Siehe die Übersichtstabelle bei Herz, ebenda, 540 f. – Anders allerdings, wenn wie in Baden-Württemberg der parlamentarische Beratungsdienst den Fraktionen zugewiesen ist (siehe von Arnim, Staatliche Fraktionsfinanzierung ohne Kontrolle?, 1987, 18 f.).

II. Weitere Privilegien der Macht

21

mehrt.42 Da alle Teilhaber an der Macht Patronage betreiben – auf Bundes-, Landes-, Kommunal- und Europaebene, nur eben mit unterschiedlichen politischen Vorzeichen –, pflegt kaum einer das hintergründige System offen zu kritisieren. Vor allem mögliche Kontrollinstanzen suchen die Parteien mit ihren Leuten zu durchsetzen; mit unterschiedlichem Erfolg zwar – es gelingt ihnen noch nicht immer und überall, aber doch ziemlich oft. Macht dehnt sich eben aus, bis sie an wirksame Grenzen stößt, und diese werden immer durchlässiger, weil die Parteien sich die grenzziehenden Instanzen gefügig zu machen suchen. Davon betroffen sind – hohe Gerichte, auch Verfassungsgerichte, – die Spitzen der Rechnungshöfe, – wichtige Positionen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, – Sachverständigenkommissionen und sonstige Einrichtungen der wissenschaftlichen Politikberatung. Auch dies wird vor der Öffentlichkeit einvernehmlich abgeschirmt – durch ein Kartell des Verschweigens und des Bagatellisierens. Deshalb ist die politische Klasse besonders an Schlüsselstellungen der so genannten Demokratieerziehung interessiert wie den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, die sie im Proporz zu besetzen pflegt. Das Thema der parteipolitischen Ämterpatronage ist – nach den erwähnten Hinweisen von Theodor Eschenburg vor einem halben Jahrhundert – in der Bundesrepublik zurückgetreten43 und auch von der Wissenschaft teilweise geradezu tabuisiert worden,44 bevor es vor drei Jahrzehnten monografisch wieder aufgegriffen wurde45 und seitdem von Juristen46 und Politologen47 vielfach behandelt 42

Theodor Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, 12 ff. Bezeichnend war, dass die sog. Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstrechts das Thema „Ämterpatronage“ in ihrem Bericht von 1973 nicht erwähnte. 44 So ließ z. B. die öffentlich-rechtliche Habilitationsschrift von Helmut Lecheler (Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977) das Thema „Ämterpatronage“ gänzlich aus. – Anders allerdings Helmut Quaritsch, Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?, Referat auf dem 48. Deutschen Juristentag 1970, S. O 35 (41 ff.). 45 von Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980. Die kleine Schrift wurde abgedruckt u. a. in: Die Personalvertretung 1981, 129 ff. Vgl. auch ders., Auswirkungen der Politisierung des öffentlichen Dienstes, Die Personalvertretung 1982, 449 ff. 46 Siehe z. B. Baum/Benda/Isensee/Krause/Merrit, Politische Parteien und öffentlicher Dienst, 1982; Manfred Wichmann, Parteipolitische Ämterpatronage, ZBR 1988, 365; Michael Kloepfer, Politische Klasse und Ämterpatronage, in: von Arnim (Hg.), Politische Klasse und Verfassung, 2001, 107 ff.; Rainer Wahl, Ämterpatronage – ein Krebsübel der Demokratie?, in: von Arnim (Hg.), Die deutsche Krankheit: Organisierte 43

22

B. Privilegien der Macht

wird. Auch wenn empirische Daten (wie bei politischer Korruption) schwer zu erheben sind, bestehen über die Existenz und die Verbreitung des Phänomens keine Zweifel.48 2. Bestimmung der Abgeordneten Machtorientiert gestaltet ist auch das Wahlsystem. Wer Abgeordneter wird, entscheiden nicht die Wähler, sondern im Wesentlichen die etablierten Parteien. Die Bürger können, jedenfalls mit der wichtigen Zweitstimme, nur Kandidatenblöcke ankreuzen, die die Parteien, für die Wähler unveränderbar, auf ihren starren Listen zusammengezurrt haben. Das nimmt den Wählern die Personalauswahl. Auch in Wahlkreisen, in denen eine Partei dominiert (sog. sichere Wahlkreise), entscheidet sie allein, wer ins Parlament kommt, zwingt dem Bürger also seinen Vertreter auf.49 Und wer im Wahlkreis verliert, ist häufig über die Liste abgesichert und kommt dann, sozusagen durch die Hintertür, doch ins Parlament. So stehen 60 bis 70% der Abgeordneten faktisch bereits fest, bevor die offizielle Wahl überhaupt stattgefunden hat.50 Die Parteien demonstrieren auch ganz offen, dass sie es sind, denen die Abgeordneten ihr Mandat verdanken, indem sie ihnen dafür hohe monatliche Sonderzahlungen abverlangen (sog. Parteisteuern), dazu unten S. 28. 3. Ochsentour, Verbeamtung der Parteien und Parlamente Abgeordneter wird also nicht, wen die Wähler mehrheitlich für den Besten halten, sondern, wen die Parteien an aussichtsreicher Stelle nominieren. Diese legen dabei aber ihre eigenen Kriterien an. Für sie ist die Nominierung nicht zuletzt Belohnung für langwierige, bedingungslose Treue. Nach ungeschriebener innerparteilicher Konvention erdient man sich ein Mandat durch eine Zeit raubende so genannte Ochsentour, in welcher innerparteilicher Goodwill, SeilschafUnverantwortlichkeit?, 2005, 107 ff.; Wolfgang Franz, Zur Geltung des Leistungsprinzips bei sog. politischen Beamten, DÖV 2009, 1141 ff.; Rudolf Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl., 2010, Art. 21 Abs. 1, Rn 90 ff. 47 Klaus von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, 1993, 60, 88; Thomas Poguntke, Parties in a Legalistic Culture: The Case of Germany, in: Richard S. Katz/ Peter Mair (eds.), How Parties Organize. Change and Adaption in Party Organization in Western Democracies, 1994, 185 (197 ff.); Wiesendahl, Parteien, 2006, 120 ff. 48 So z. B. auch Poguntke, Parties in a Legalistic Culture, 185 (198 f.). 49 BVerfGE 41, 399 (418): In sicheren Wahlkreisen können die Parteien „den Wählern ihren Wahlkreisbewerber faktisch diktieren“. 50 von Arnim, Volksparteien ohne Volk, 2009, 74.

II. Weitere Privilegien der Macht

23

ten und Netzwerke aufgebaut werden. „Zeitreiche“ und „Immobile“, also nicht unbedingt die Leistungsfähigsten, haben dabei besonders gute Chancen.51 Das gilt zwar keineswegs ohne Ausnahmen, ist aber – jedenfalls in den alten Volksparteien – immer noch die Regel (und Namen wie zu Guttenberg oder von Boetticher taugen neuerdings schon gar nicht mehr als Gegenbeispiele). Diese Art der Rekrutierung hat weitreichende Konsequenzen für die für Deutschland typische Verfilzung von Parteien und öffentlichem Dienst.52 Die zeitaufwändige Ochsentour erleichtert es nämlich öffentlichen Bediensteten, ein bezahltes Mandat zu erlangen. Vor allem Lehrer, die in Deutschland immer noch primär am Vormittag Unterricht geben, können über die eigene Zeit disponieren und sind so für den parteiinternen Einsatz abkömmlich. Zudem stellen die Gesetze Staatsbeamte – bei ungekürzten Bezügen – vom Dienst frei, damit sie ein kommunales Mandat wahrnehmen können. Aktivitäten in den Parteien können auf diese Weise doppelten Ertrag bringen: die Nominierung für ein Mandat in einer Volksvertretung und/oder die Förderung der Verwaltungskarriere durch parteipolitischen Rückenwind im Wege der Ämterpatronage (siehe oben S. 20). Als Folge sind Karrieristen in den Parteien im Vormarsch,53 was idealistisch Orientierte eher abschreckt. Zugleich sind Beamte und öffentliche Angestellten in den Parlamenten stark überrepräsentiert. Fast die Hälfte der 2708 deutschen Parlamentarier des Bundestags, der 16 Landesparlamente und des Europäischen Parlaments kommt aus dem öffentlichen Dienst, obwohl dieser kaum mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht. 4. Ausschluss von Konkurrenz Die Abschottung von den Bürgern wird weiter vertieft durch den Ausschluss politischer Konkurrenten. Mit Hilfe der Gesetzgebung, über die die Etablierten verfügen, haben sie einen unsichtbaren Kordon um sich gelegt, der ihnen unliebsame Konkurrenz vom Leibe hält. Sperrklauseln schließen Parteien, die bei Bundestags-, Landtags- oder Europawahlen nicht mindestens fünf Prozent der Stim51 Ulrich Pfeiffer, Eine Partei der Zeitreichen und Immobilen, Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 1997, 392 ff. Zum „Prinzip der ,Ochsentour‘“ Ralf Paprotny, Der Alltag der niedersächsischen Landtagsabgeordneten, 1995, 105 f.; Anton-Andreas Guha, Seiteneinsteiger oder ungenutzte Chance der Parteien zur Regeneration, Vorgänge 1998, 54 ff.; ders., Ochsentour, Seiteneinsteiger oder ungenutzte Chancen der Parteien, in: von Arnim (Hg.), Reform der Parteiendemokratie, 2003, 31 ff.; Wolfgang Klages, Republik in guten Händen? – Leistungsschwächen des politischen Personals in Deutschland, 2001, 34 ff., 50 ff. Vgl. auch Wolfgang Schäuble, Das personale Element in repräsentativen Demokratien, in: Eckart Klein (Hg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, 1995, 221 (228). 52 von Arnim, Fetter Bauch regiert nicht gern, 1997, Kap. 4 (S. 205–258). 53 Klaus von Beyme, Parteien im Wandel, 2000, 37.

24

B. Privilegien der Macht

men erlangt haben, aus den Parlamenten aus. Dadurch wird diesen nicht nur die Möglichkeit der politischen Mitgestaltung genommen; sie werden auch von der öffentlichen Aufmerksamkeit im Parlament und den Pfründen, welche die, die drin sind, sich erschlossen haben, abgeschnitten: den Abgeordnetendiäten sowie der reich fließenden Fraktions-, Mitarbeiter- und Stiftungsfinanzierung.

III. Privilegien ohne Funktion? Die politische Klasse besitzt eine privilegierte Stellung: Sie kann sich ihre Ressourcen selbst bewilligen, ihre Kontrolleure bestellen und auch sonst die Verwendungskontrolle in ihrem Sinne regeln – oder sie eben auch nicht regeln. Ferner kann sie sich mit ihrem Wahlsystem die Bürger und Konkurrenten vom Leib halten. Der Politikwissenschaftler Peter Mair vergleicht dieses System mit den Privilegien des Adels im früheren Feudalsystem.54 Auch der Schutz und die Förderung, die die Parteien ihren Gefolgsleuten – sozusagen als Gegenleistung für deren Treue – bei der Verschaffung von Ämtern und Mandaten erweisen, trügen feudale Züge. Die seinerzeitigen Privilegien hatten, wie Alexis de Tocqueville55 darlegt, allerdings nur so lange Bestand, wie der Adel seine gesellschaftlich-politischen Funktionen noch wahrnahm. Mit deren Erosion war auch die Rolle, ja teilweise auch die Existenz des Adels besiegelt. Mair versucht nun aufzuzeigen, dass auch die Parteien – z.T. gerade wegen des Missbrauchs ihrer Privilegien – zentrale Funktionen einbüßten und an Kredit in der Öffentlichkeit verlören. Das Missverhältnis von Leistungsschwäche und Privilegien, das das feudalistische System unterhöhlte und schließlich seinen Zusammenbruch begünstigte, bilde auch heute eine Ursache für den Legitimationsschwund der Parteien und die allgemeine Unzufriedenheit mit ihnen und ihrer politischen Klasse. Mair formuliert also die These: Schwinden wesentliche politisch-gesellschaftliche Funktionen der Parteien, lassen sich schließlich auch die Privilegien ihrer politischen Klasse immer weniger noch rechtfertigen.56 Im Folgenden wird sich zeigen, wie plausibel diese These erscheint.

54

Mair, Party System Change, 1997, 152 ff. Alexis de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, hrsg. von J. P. Mayer, o. J., S. 47 (zuerst erschienen unter dem Titel „L’Ancien Regime et la Revolution“ 1856). 56 Mair, a. a. O. 55

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre potenten staatlichen Zweige I. Funktionale Äquivalente zur Parteienfinanzierung 1. Aufgabenverlagerung Die genannten „Ersatzparteien“ sind programmatisch und personell mit den Parteien verschmolzen und ziehen politisch am selben Strang.57 Partei und Fraktion bilden eine politische Einheit.58 So sind Verlautbarungen der Fraktionen, auch wenn ihr Logo darauf steht, „notwendig parteiisch“ und kommen zwangsläufig immer auch der jeweiligen Mutterpartei zugute.59 Die Bürger ignorieren die formalen Unterschiede sowieso und rechnen Aktionen der Fraktionen automatisch ihren jeweiligen Mutterparteien zu.60 Auch Abgeordnete sind vor allem hervorgehobene Parteivertreter und häufig auch in formaler Hinsicht gleichzeitig Parteifunktionäre. Landtagsabgeordnete, die, wie Insider freimütig einräumen,61 eigentlich auch in Teilzeit agieren könnten, haben ihr Mandat dennoch in eigener Sache zur Vollzeittätigkeit erklärt und lassen sich entsprechend bezahlen. Die Überfinanzierung gibt den Parteien die Möglichkeit, ihre Abgeordneten als „vom Landtag bezahlte Parteiarbeiter von Montag bis Freitag einspannen zu können“ (so der ehemalige Bundestagspräsident Kai Uwe von Hassel), was deren Diäten umso mehr in den Verdacht in-

57 Dazu hinsichtlich der Fraktionen auch von Arnim, Der Verfassungsbruch, 40 ff.; hinsichtlich der Abgeordnetenmitarbeiter von Arnim, DÖV 2011, 345 (346 ff.), jeweils m.w. N. 58 Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, 307 ff. 59 So ausdrücklich auch VGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.8.2002, NVwZ 2003, 75 (78 f.). 60 Hölscheidt, 606. 61 So z. B. die früheren Landtagsdirektoren von Thüringen und Niedersachsen: Joachim Linck, Beruf Abgeordneter?, FAZ vom 28.8.2006 (Leserbrief); ders., Zurück zum ehrenamtlichen Landesparlamentarier?, in: von Arnim (Hg.), Defizite in Staat und Verwaltung, 2010, 91 ff.; ders., Wie ein Landtag laufen lernte, 2010, 40 f.; Albert Janssen, Der Landtag im Leineschloss – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Präsident des Niedersächsischen Landtags, Rückblicke – Ausblicke, 1992, 15 (31). Siehe auch von Arnim/Drysch, Bonner Kommentar, Drittbearbeitung 2010, Art. 48 GG, Rn 162 ff. m.w. N.

26

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre staatlichen Zweige

direkter Parteienfinanzierung bringt.62 Als Parteivertreter setzen Abgeordnete ihre Mitarbeiter oft auch unmittelbar für Parteizwecke ein.63 Die Parteistiftungen gehören ebenfalls hierher. Große Teile zumindest ihrer im Inland verwendeten Mittel ersparen den Parteien Ausgaben, indem sie Aufgaben für sie erfüllen.64 Das Bundesverfassungsgericht musste selbst in einer sehr stiftungsfreundlichen Entscheidung einräumen, dass die Arbeit der Stiftungen „der ihnen jeweils nahe stehenden Partei in einem gewissen Maße zugute“ kommt,65 was noch eine ziemliche Untertreibung ist: Nahezu alle Stiftungsaktivitäten sind parteipolitisch geprägt. In der Realität „verschmelzen Parteien und Stiftungen zu einer Kooperationseinheit.“ 66 Aus der Sicht von Funktionären, die häufig in den Parteien und im Parlament das Sagen haben, erscheint es deshalb nur folgerichtig, dass die finanziell aus den Nähten platzenden Fraktionen und die Abgeordneten mit ihrem Mitarbeiterheer – vor allem, wenn sie in der Opposition stehen und deshalb über keinen Regierungsapparat verfügen – immer mehr Funktionen der Parteien übernehmen, so dass sie zunehmend in die Rolle von Ersatzparteien hineinwachsen. Das gilt erst recht, seitdem die Fraktionen sich die Zulässigkeit ihrer Öffentlichkeitsarbeit – trotz großer verfassungsrechtlicher Bedenken67 – gesetzlich attestiert haben68 und sich keineswegs mehr auf die parlamentsinterne Koordination beschränken, deren Finanzierung das Bundesverfassungsgericht gestattet.69 Politikwissenschaftler sprechen ganz offen davon, dass Abgeordnetenmitarbeiter „heute das eigentliche organisatorische Rückgrat der Parteien“ darstellen,70 und die erstarkte Rolle der Fraktionen kommt auch darin zum Ausdruck, dass Kenner den Begriff „Fraktionsparteien“ geprägt haben (siehe unten S. 36). Die Folge der finan62

von Arnim, Die Deutschlandakte, 2009, 61 f., 155. Siehe auch die zahlreichen Beispiele in FOCUS 32/2010 vom 16.8.2010 („Tretmine aus Steuermitteln“) und im Bericht von REPORT MAINZ vom 9.5.2011 („Warum Abgeordnete immer mehr Mitarbeiter brauchen?“). 64 Poguntke, Parties in a Legalistic Culture, 185 (196). 65 BVerfGE 73, 1 (39). 66 Heike Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, 137. Siehe auch Rolf Ebbighausen und Mitverfasser, Die Kosten der Parteiendemokratie, 1996, 235 ff. 67 Hans Meyer, Fraktionsgesetze: Flucht aus der Verfassung?, Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht 1/1995, 87; Martin Morlok, Thesen zu Einzelaspekten der Politikfinanzierung, in: Dimitris Tsatsos (Hg.), Politikfinanzierung in Deutschland und Europa, 1997, 77 (99). Siehe auch schon von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, 1993, 25. – Anderer Ansicht Hans-Jürgen Papier, Zur Verfassungsmäßigkeit der Fraktionsfinanzierung, BayVBl. 1998, 513 (522 f.); Hölscheidt, Parlamentsfraktionen, 604 ff. Zur Einordnung dieser beiden Publikationen von Arnim, Verfassungsbruch, 32 ff. 68 Für den Bund: §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. f AbgG. 69 BVerfGE 20, 56 (104); 80, 188 (231). Siehe auch oben S. 12. 70 So z. B. Peter Lösche, in: ders. (Hg.), Zur Lage des deutschen Regierungs- und Parteiensystems, 2002, 60. 63

I. Funktionale Äquivalente zur Parteienfinanzierung

27

ziellen Schwerpunktverlagerung ist also eine Verlagerung auch von Parteiaufgaben. 2. Fälle anerkannter Rechtswidrigkeit Gelegentlich werden finanzielle Zuwendungen einer Partei an ihre Fraktion bekannt, die schon jetzt als eindeutig rechtswidrig anerkannt sind (für den Bund: § 50 Abs. 4 Satz 2 AbgG und § 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG). Dazu gehört auch die Begleichung von Parteischulden durch die Fraktion. So z. B. geschehen 2006 in der rheinland-pfälzischen CDU unter dem damaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Christoph Böhr.71 Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter können ebenfalls zweckentfremdet werden, für private oder Parteibelange. Der frühere CDU-Landtagsabgeordnete von Sachsen-Anhalt, Thomas Madl, hatte eine „gute Bekannte“ von 2002 bis 2009 in seinem Abgeordnetenbüro und zugleich in seinem Büro als Bürgermeister, je in Vollzeit, beschäftigt. Dafür muss er nun rund 86.000 Euro an das Land zurückzahlen.72 Vielfach werden auch Parteifunktionäre als Abgeordnetenmitarbeiter bezahlt, was ebenfalls unzulässig (für den Bund: § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG), aber im Einzelfall schwer nachweisbar ist. Das Fernsehmagazin Report Mainz hat in einer repräsentativen Umfrage unter 100 Bundestagsabgeordneten ermittelt, dass 54 Prozent in den Wahlkreisbüros Mitarbeiter beschäftigen, die auch herausgehobene und zeitintensive Funktionen in der Partei oder Fraktion ausüben wie Kreisgeschäftsführer oder städtische Fraktionsvorsitzende, was den Verdacht verdeckter Zweckentfremdung nahelegt.73 Auch der Rechnungshof von Sachsen-Anhalt, der einzige, der in den letzten Jahren Abgeordnetenmitarbeiter geprüft hat, hat Anhaltspunkte für Grenzüberschreitungen festgestellt und Handlungsbedarf des Gesetzgebers angemahnt.74 Abgeordnete verfügen frei über die Einstellung und Verwendung ihrer Mitarbeiter und unterliegen dabei praktisch keiner Kontrolle, weder durch die Öffentlichkeit noch meist durch Rechnungshöfe,75 und auch die Kontrolle der Verwendung von Fraktionsmitteln ist eingeschränkt.76 Das Risiko, dass selbst grob rechtswidrige Aktionen herauskommen, ist gering. Publik werden sie höchstens durch Zufall oder, wenn interne Streitigkeiten dazu führen, dass Insider plau71

Dazu von Arnim, Verfassungsbruch, 46. So entschieden vom Verwaltungsgericht Halle am 6.7.2011 auf Grund eines Vergleichs (Aktenzeichen: 1 A 110/10). 73 Presseerklärung Report Mainz vom 9.5.2011. 74 Ebenda. 75 von Arnim, DÖV 2011, 345 (349). 76 von Arnim, Verfassungsbruch, z. B. 98 ff., siehe auch oben S. 18 f. 72

28

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre staatlichen Zweige

dern; so war es auch in Sachsen-Anhalt und in Rheinland-Pfalz. Die bekannt gewordenen Fälle dürften deshalb nur die Spitze des Eisbergs sein. Selbst wenn Verdachtsmomente bekannt werden, fällt der Nachweis meist schwer. Grenzüberschreitungen lassen sich leicht kaschieren: bei Fraktionen, weil sie sich Öffentlichkeitsarbeit und anderes Problematisches inzwischen als scheinbar erlaubt attestiert haben (für den Bund: §§ 47 Abs. 2 und 3, 52 Abs. 2 Nr. 2 AbgG), bei Abgeordnetenmitarbeitern, weil Scheinbeschäftigungen, z. B. durch entsprechende Vertragsgestaltung, leicht gemacht werden. Vor allem kommt auch das, was noch als zulässig gilt, den Parteien zwangsläufig zu Gute. Durch die Übernahme von Parteiaufgaben (siehe S. 25 ff.) kommen in Wahrheit ganz ähnliche Effekte zustande wie bei der Übernahme von Parteischulden. Fraktionen und Abgeordnete nehmen auf Grund ihrer Geld- und Personalfülle ihren Parteien in großem Stil Aufgaben ab und entlasten sie so finanziell. Die Problematik erschöpft sich also keineswegs in Fällen direkter Rechtswidrigkeit, obwohl vornehmlich sie von Rechtswissenschaft, Gerichten und Öffentlichkeit bisher in den Blick genommen werden. Die Frage, wo Gerichte und Rechnungshöfe derzeit die genaue Grenze des Erlaubten ziehen und so die Quadratur des Kreises versuchen, berührt deshalb die zentrale Argumentation dieser Arbeit nicht. Auch jenseits dieser Grenze finden massive Aufgabenverlagerungen zu Gunsten der Parteien statt. Fest steht, dass die Mittel für Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeiter ebenso groß sind wie das Machtinteresse, sie für Parteizwecke einzusetzen, und beides im umgekehrten Verhältnis zur mangelnden Kontrolle steht. So lange die grenzenlose Selbst-Bewilligung möglich ist, bleiben deshalb auch die Verlockungen bei der Verwendung übermächtig. Primär muss deshalb an der Wurzel angesetzt werden: dem Missbrauch indizierenden Bewilligungsverfahren (unten S. 63).

3. Parteisteuern Auch die sog. Parteisteuern gehören in diesen Zusammenhang. Auch hier erfolgt, zumindest mittelbar, eine Querfinanzierung der Parteien aus öffentlichen Haushalten. Abgeordnete, Kommunalvertreter und sonstige Inhaber öffentlicher Ämter müssen ihren Parteien, zusätzlich zum normalen Mitgliedsbeitrag, Teile ihrer Bezüge abtreten, sozusagen als Gegenleistung für die Verschaffung der Mandate und Ämter. Hier zeigt sich, wem Politiker in Wahrheit ihre Stellung verdanken. Einmal mehr wird der oben (auf S. 24) angesprochene feudale Zug der Parteienherrschaft deutlich. Solche Sonderabgaben machen für Parlamentsabgeordnete leicht 500 Euro monatlich aus, oft noch sehr viel mehr. Im Jahre 1968, für das die Parteien – auf Grund des 1967 ergangenen Parteiengesetzes – erstmals Rechenschaftsberichte erstellten, betrugen die Parteisteuern noch 8,2 Millionen Mark, 1983 dann 39,1 Millionen; darauf wurde – aus schlechtem verfas-

I. Funktionale Äquivalente zur Parteienfinanzierung

29

sungsrechtlichen Gewissen – der gesonderte Ausweis in den Rechenschaftsberichten beseitigt und erst 2003 wieder eingeführt. Die Parteisteuern der Bundestagsparteien betrugen nun 50,6 Millionen Euro, 2007 waren es 52,4 Millionen.77 Das Bundesverfassungsgericht hatte im Parteienfinanzierungsurteil von 1992 scheinbar keinen Anstoß genommen.78 Parteisteuern werden bei der Bemessung der Diäten, die die Abgeordneten in eigener Sache vornehmen,79 praktisch draufgeschlagen, laufen insofern also auf eine verschleierte Parteienfinanzierung hinaus. Dabei hatte das Gericht 1975 noch betont, dass die Abgeordnetenentschädigung nicht der „Mitfinanzierung . . . der politischen Partei“ dienen dürfe.80 Es handelt sich auch keineswegs um freiwillige Leistungen. Wer sie nicht zahlt, läuft Gefahr, bei der nächsten Wahl nicht wieder aufgestellt zu werden. Parteisteuern werden staatlich subventioniert. Sie werden als steuerbegünstigte Zuwendung behandelt, so dass Politiker sie rund zur Hälfte von ihrer Steuer abziehen können. Zusätzlich erhält die Partei darauf noch einmal einen Zuschlag in Höhe von nominell 38 Prozent. Dabei soll die Subvention eigentlich die Verwurzelung der Parteien in der Bürgerschaft finanziell belohnen (siehe unten S. 49). Parteisteuern aber sind eher Ausdruck der Abgehobenheit der Politik. Parteisteuern unterscheiden sich allerdings von den hier vornehmlich behandelten Leistungen. Sie gehen zwar mittelbar auf Kosten des Staates, direkt aber auf Kosten der Politiker. Das dürfte ein Grund sein, warum sie sich seit den Sechzigerjahren „nur“ etwa vervierzehnfacht haben, also nicht derart dynamisch gewachsen sind wie die Fraktionen, Mitarbeiter und Stiftungen (siehe sogleich unter II.), deren Mittel sich die politische Klasse direkt und ohne Gegengewichte zu Lasten des Staates bewilligen kann. Ein Teil der Parteisteuern beruht zudem auf Abgaben von Kommunalvertretern, deren sehr viel bescheidenere Diäten durch die Länder gedeckelt sind. Da es bei Kommunalwahlen keine FünfprozentKlausel mehr gibt, profitieren – anders als von den Zahlungen an Parlamentsfraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen – auch kleinere Parteien von den Parteisteuern. Diese werden deshalb im Folgenden nicht weiter problematisiert.

77 Bericht des Bundestagspräsidenten über die Rechenschaftsberichte 2000 bis 2007, Bundestagsdrucksache 16/14149, S. 52. 78 BVerfGE 85, 264 (311 f.). – In Wahrheit beschäftigt sich das Gericht dort mit den Parteisteuern nur unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung zu den Spenden oder den Beiträgen im Rahmen des ohnehin verfassungswidrigen Chancenausgleichs. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Parteisteuern wurde nicht behandelt. 79 BVerfGE 40, 296 (327). 80 BVerfGE 40, 296 (316).

30

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre staatlichen Zweige

II. Bestätigung der Verlagerung durch die historische Entwicklung Dass der gewaltig anschwellende Strom an Staatsgeld für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen – zumindest auch – als verschwiegener Ersatz für die gedeckelte Parteienfinanzierung gedacht ist, legt auch die geschichtliche Entwicklung nahe. In unmittelbarer Reaktion auf zwei die Staatsfinanzierung der Parteien begrenzende Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 196681 und 196882 ließen die Fraktionen ihre selbst bewilligten Staatsgelder nämlich geradezu explodieren: 1965 hatten die Zahlungen an die Bundestagsund Landtagsfraktionen noch 4,7 Millionen DM betragen. Seitdem sind sie auf 187 Millionen Euro im Jahre 2010 (siehe oben S. 12), also auf das 38-Fache, angewachsen.83 Bereinigt man die 187 Millionen um diejenigen Zahlungen, die auf die fünf neuen Länder und den einigungsbedingten Teil des Bundestags entfallen, bleibt die Summe immer noch 28 mal so hoch wie 1965.84 Die Bewilligungen für persönliche Mitarbeiter von Abgeordneten wurden 1969 im Bund eingeführt und sind seitdem geradezu explodiert (siehe oben S. 13), auch sie offenbar als Ersatz für die nunmehr begrenzten unmittelbaren Parteizuschüsse. Die öffentliche Finanzierung von Parteistiftungen, die 1965 erst 13 Millionen DM betragen hatte, wurde nach den Urteilen Mitte der sechziger Jahre ebenfalls sprunghaft erhöht. Die so genannten Globalzuschüsse, welche die Stiftungen für ihre Inlandsaktivitäten erhalten, wurden eingeführt (siehe oben S. 15), und die CSU gründete extra die Hanns-Seidel-Stiftung, um am staatlichen Geldsegen teilhaben zu können. Die Entwicklung bestätigt: Seitdem die Staatsmittel für die Parteien begrenzt sind, ging die politische Klasse in großem Stil dazu über, die Gelder auf Fraktionen, Stiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter umzuleiten. Die Parteien schöpften, wie der Journalist Heribert Prantl plastisch formuliert, sozusagen aus vier Töpfen, und nachdem das Gericht auf einen den Deckel gelegt und nur eine begrenzte Entnahme daraus erlaubt hatte, bedienten sich die Parteien aus den drei anderen umso ungenierter.85 Das bestätigt, dass die üppig finanzierten Hilfsorganisationen der Parteien intern als funktionale Äquivalente für diese angesehen werden. Dem Strom des Staatsgeldes folgten auch die Aufgaben. Wichtige Funk81

BVerfGE 20, 56. BVerfGE 24, 300. 83 Zum Vergleich: Das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland ist in derselben Zeit auf etwa das Elffache gewachsen. 84 von Arnim, Verfassungsbruch, 27. 85 Heribert Prantl, in: Leyendecker/Prantl/Stiller, Helmut Kohl, die Macht und das Geld, 2000, 553 f. 82

III. Exkurs: Parteien in der Regierung

31

tionen wurden auf Fraktionen, Abgeordnete und deren Mitarbeiter sowie auf die Parteistiftungen verlagert und die Parteien davon entlastet (siehe S. 25 ff.).

III. Exkurs: Parteien in der Regierung Die von den Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeitern ausgehende Verlagerung von Ressourcen und Aufgaben betreffen die Oppositions-, aber natürlich auch die Regierungsparteien. Bei diesen kommt aber noch einiges hinzu, was sie von den Parteien im formellen Sinne noch weiter entfernt. Die Regierungen haben im Laufe der Zeit eine immer größere Unabhängigkeit vom Parlament, d. h. von den sie tragenden Fraktionen, und damit erst recht von ihren Parteien erlangt. Im vorliegenden Text stehen zwar die verfassungswidrigen Verfahren der Bewilligung der Zahlungen für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen und die mangelnde Kontrolle ihrer Verwendung im Vordergrund sowie die Möglichkeit, dagegen gerichtlich vorzugehen. Im Wege eines Exkurses soll aber kurz auch auf die „Parteien in der Regierung“ (siehe unten S. 38) eingegangen werden. Es geht u. a. um ein Phänomen, das in der Staatsrechtslehre unter dem Begriff „Entparlamentarisierung“,86 in der Politikwissenschaft unter dem Begriff „Präsidentialisierung“87 behandelt wird. Gemeint ist die zunehmende Verschiebung des faktischen politischen Gewichts vom Parlament (und seiner Mehrheit) hin zur Regierung. Beispiele sind Entscheidungen, die der Kanzler bzw. die Kanzlerin, andere Regierungsmitglieder oder die Regierung insgesamt mehr oder weniger alleine treffen, entweder in Absprache mit den Regierungen anderer Staaten wie z. B. im Rat der EU oder in internationalen Gremien, in Absprache mit den Regierungen der Bundesländer (Exekutivföderalismus) oder mit der Wirtschaft. Dazu gehören der Atomausstieg der seinerzeitigen Schröder/Fischer-Regierung, der Ausstieg daraus der Merkel/Westerwelle-Regierung oder der Ausstieg aus dem Ausstieg wiederum dieser Regierung nach Fukushima. Auch dieser wurde z. B. an der CDU vorbei beschlossen, nicht einmal nachträglich wurde er durch einen Parteitag und schon gar nicht durch die CDU-Basis abgesegnet. Weitere Fälle sind der zunächst provisorische Rettungsschirm für Griechenland, aus dem dann auch Irland und Portugal bedacht wurden, und der endgültige Schirm. Dem Parlament bleibt dann in der Regel nur, dem von der Regierung ausgehandelte Paket noch den formalen Segen zu erteilen. Bei der Zurückdrängung der Parteien durch die Regierungen geht es nicht nur und nicht einmal in erster Linie um die unmittelbar als rechtswidrig anerkannte Finanzierung von Parteiaufgaben; Beispiele sind die Bezahlung der sog. Reso86 Matthias Herdegen/Martin Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, VVDStRL 62 (2003), 7 ff., 85 ff. (Aussprache). 87 Thomas Poguntke/Paul Webb (eds.), The Presidentialization of Politics, 2005.

32

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre staatlichen Zweige

nanzstudien durch die bayerische Staatskanzlei88 und die Finanzierung von Wahlkampfmaßnahmen durch die saarländische Staatskanzlei.89 Die Machtverschiebung beruht vielmehr auf Entwicklungen, die schwerlich umkehrbar sind, insbesondere auf der Globalisierung einschließlich der Europäisierung und den modernen Medien, vor allem dem Fernsehen, das Personen herausstellt und es diesen ermöglicht, von oben herab die politischen Weichen zu stellen. Die Folge ist die Aufwertung und zunehmende Unabhängigkeit der Exekutivspitzen von ihren Parteien.90 Zur Abhängigkeit der Regierungsfraktionen tragen auch die Schaffung und der Ausbau der – genau wie die Abgeordnetenmitarbeiter – zur Zeit der Großen Koalition in den Sechzigerjahren kreierten so genannten Parlamentarischen Staatssekretäre bei. Ihre Aufgaben stehen im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Bezahlung.91 Aus machtpolitischer Perspektive dienen sie dazu, die Regierungsfraktionen bei der Stange zu halten, politisch gefügiges Verhalten zu belohnen und auf diese Weise die Fraktionen durch den goldenen Zügel der Vergabe begehrter Ämter zu disziplinieren. Mit der Entparlamentarisierung wird die Entfernung von den Bürgern, die bereits die Parteien im Parlament kennzeichnet, einerseits noch größer. Andererseits versucht die Regierung – vor allem mittels Presse und Umfragen und einer ganzen Reihe von sonstigen von Spindoktoren und anderen KommunikationsExperten ausgedachten Kunstgriffen – aber auch einen direkten Draht zu den „Menschen draußen im Lande“ herzustellen. Mit derartigen Maßnahmen wird versucht, den Abstand nach unten zu verringern. Dazu gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, die, wie das Bundesverfassungsgericht bestätigt, „regelmäßig Wirkungen auch zu Gunsten der die Regierung tragenden Parteien“ entfaltet.92 Ein Einfluss wird den Bürgern auf diese Weise aber nicht gegeben. Sie werden vielmehr von oben herab behandelt und abgeschöpft.93 Das Parlament wird erst recht übergangen und die politischen Parteien im formalen Sinn

88 Siehe die Prüfungsmitteilung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs vom 19.2. 2010 („Prüfung der Ausgaben der Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Gutachtens- und Beratungsaufträge, Erforschung der öffentlichen Meinung im Einzelplan 02“) sowie die Pressemitteilung dieses Rechnungshofs vom 31.1.2011. Dazu z. B. Der Tagesspiegel vom 1.2.2011 („Watschen vom Rechnungshof“). 89 Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 1.7.2010 (Aktenzeichen: Lv 4/09). 90 Michael Greven, Sind Parteien in der Politik alternativlos oder ist Ihre Rolle historisch begrenzt? Die Parteienforschung angesichts von „Globalisierung“, „Transnationalisierung“ und „Europäisierung“, in: David Gehne/Tim Spier (Hg.), Krise oder Wandel der Parteiendemokratie?, 2010, 225 (229 ff.). 91 von Arnim, Staat als Beute, 1993, 200 ff. 92 BVerfGE 44, 125 (151). 93 Siehe auch unten S. 39.

IV. Ämterpatronage, Beckett-Effekt und Gemeinwohlbindung

33

geraten erst recht unter Druck. Die politische Kommunikation geht zunehmend an ihnen vorbei. Auch der wachsende Einfluss der Lobbies, der vor allem über die Regierung läuft, fördert die „Präsidentialisierung“. Da – auf Grund der im Zuge der Globalisierung zunehmenden Abhängigkeit der Politik von der Wirtschaft – Absprachen zwischen Politik und Großwirtschaft eine immer bedeutendere Rolle spielen, trifft diese „ganz natürlich“ die Regierung. Auch aus diesem Grunde gewinnt die Regierung immer größere Autonomie gegenüber dem Parlament und gegenüber der Parteibasis. Die Bezahlung und Versorgung von Regierungsmitgliedern ist schon deshalb weniger stark gewachsen, weil sie – auch aufgrund der spezialgesetzlichen Regelung durch Ministergesetze – sehr viel mehr im Blick der Medien stehen und damit auch stärker der öffentlichen Kontrolle unterliegen als die Fraktions-, Mitarbeiter- und Stiftungsfinanzierung.94 Für unser Thema relevant dürfte eine (allerdings noch ausstehende) Untersuchung des finanziellen und personellen Umfangs der Staatskanzleien und der politischen Spitzen der Ministerien sein. Zu vermuten ist allerdings, dass ihre Wachstumsraten nicht an die der Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen heranreichen, denn hier dürften meist keine politischen Kartelle zu schmieden sein und deshalb die Kontrolle durch Opposition, Medien und Wähler besser funktionieren. Wir beschränken uns hier auf den Hinweis, dass das Bundeskanzleramt zu Adenauers Zeit 120 Mitarbeiter beschäftigte und Ende der Neunzigerjahre rund 500.95

IV. Ämterpatronage, Beckett-Effekt und Gemeinwohlbindung Zur Verlagerung trägt auch parteipolitische Ämterpatronage bei, die die Etablierten betreiben. Dabei leistet auch das Anschwellen des Fraktions- und Abgeordnetenpersonals Vorschub. Fraktionen und Abgeordnete stellen mit Vorliebe Mitarbeiter der eigenen politischen Couleur ein.96 Da mit den Ministerien und 94 Zur Beseitigung überzogener Diäten, Abgeordneten- und Ministerversorgungen durch die öffentliche Kontrolle siehe z. B. von Arnim, Der Staat als Beute, 1993; ders., Das neue Abgeordnetengesetz. Inhalt, Verfahren, Kritik und Irreführung der Öffentlichkeit, Speyerer Forschungsberichte 169, 2. Aufl., 1977; ders., 9.053 Euro Gehalt für Europaabgeordnete? Der Streit um das europäische Abgeordnetenstatut, 2004; ders., Die Diätenlüge, Frankfurter Rundschau vom 16.5.2008, S. 1. 95 So Thomas Poguntke, A Presidentializing Party State? The Federal Republic of Germany, in: Poguntke/Webb (eds.), Presidentialization of Politics, 2005, 63 (70). 96 Helmar Schöne, Politik als Beruf: Die zweite Reihe. Zur Rolle von Mitarbeitern im US-Kongress und im Deutschen Bundestag, in: Edinger/Patzelt (Hg.), Politik als Beruf, 2010, 232 (243 f.); von Arnim, DÖV 2011, 345 (348 m.w. N.).

34

C. Verlagerung von Aufgaben der Parteien auf ihre staatlichen Zweige

anderen Verwaltungsbereichen ein lebhafter personeller Austausch besteht,97 liegt die Versuchung nahe, auf diesem Wege parteilich genehmes Personal in die öffentliche Verwaltung hinein zu patronieren. Bei den Versuchen, diejenigen Bereiche zu „kolonisieren“, die eigentlich ganz bewusst von der Parteipolitik unabhängig gestellt sind und diese überwachen und vor Übertreibungen bewahren sollen, unterschätzt die Politik aber manchmal den so genannten Beckett-Effekt. Dieser veranlasst Amtsträger oft, ihr Amt und seine Pflichten höher zu gewichten als die Ergebenheit gegenüber denen, die sie berufen haben.98 Die Bedingungen dafür sind umso besser, je unabhängiger der Amtsträger gestellt ist und je weniger er auf eine Wiederwahl, Wiederernennung oder Beförderung angewiesen ist. Deshalb werden z. B. Bundesverfassungsrichter auf 12 Jahre gewählt, Wiederwahl ist ausgeschlossen (§ 4 Abs. 1 und 2 BVerfGG). Auch alle anderen Amtsträger und alle öffentlichen Bediensteten sind rechtlich auf das Gemeinwohl verpflichtet.99 Für sie ist es aber oft schwer, sich von den Interessen ihrer Partei, die damit in Widerspruch stehen können, zu lösen. Auch Wirtschaft und Verbände üben – schon wegen ihres unmittelbaren Einflusses auf relevante wirtschaftspolitische Größen wie Wachstum, Beschäftigung und Preisniveau – erheblichen faktischen Druck aus, vom Einfluss der Medien ganz zu schweigen.

97 Sven Hölscheidt, Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, DVBl 2010, 78 (79 f.); Stephan Bröchler/Helmut Elbers, Hochschulabsolventen als Mitarbeiter des Parlaments: Politikberater oder Bürohilfskräfte?, Polis 52/2001, 20 f., 33 f. 98 Josef Isensee, Der Parteienzugriff auf den öffentlichen Dienst – Normalzustand oder Alarmzeichen?, in: Baum u. a., Politische Parteien und öffentlicher Dienst, 1982, 52 (63 f.); von Arnim, Das System, 2001, 385. 99 von Arnim/Heiny/Ittner, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, 2007, 4 ff. m.w. N.

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien I. Der Wandel der Parteien: die politikwissenschaftliche party-change-Forschung Mit dem geschilderten Wachstum wichtiger, rein staatlich finanzierter Komponenten der Parteien im Parlament und der Verlagerung von Geld und Funktionen auf sie werden die Parteien, sozusagen unter der Hand, immer mehr zu wettbewerbsbeschränkenden, bürgerfernen Staatsparteien. Diese Entwicklung100 ist in mehreren westlichen Ländern zu beobachten, in Deutschland aber ist sie besonders ausgeprägt.101 Das hat zahlreiche Gründe: zunächst die ungestörte Inbesitznahme der Institutionen seitens der Parteien nach 1945102 und die anfängliche Infizierung selbst des Bundesverfassungsgerichts durch die Parteienstaatsdoktrin von Gerhard Leibholz103, sodann die Instrumentalisierung des öffentlichen Dienstes, das Wahlsystem, die föderalistische Struktur104 und die Staatsfinanzierung der Parteien, die die Bundesrepublik in Europa einführte.105 Alles zusammen hat dazu geführt, dass Deutschland bei der Entwicklung von Staatsparteien eine „Vorreiter- und Schrittmacherrolle“ in Europa übernommen hat.106

100 Überblick bei Friedbert W. Rüb, „Sind die Parteien noch zu retten?“ Zum Stand der gegenwärtigen Partei- und Parteiensystemforschung, Neue Politische Literatur 2005, 397 (404 ff.); Thomas Poguntke, Parties in a Legalistic Culture: The Case of Germany, in: Katz/Mair (eds.), How Parties organize, 1994, 185; Elmar Wiesendahl, Zwei Dekaden Party Change-Forschung. Eine kritische Bilanz, in: David Gehne/Tim Spier (Hg.), Krise oder Wandel der Parteiendemokratie?, 2010, 92 ff. 101 Katz/Mair, Changing Models of Party Organization and Party Democracy, Party Politics 1995, 5 (17); Peter Graf Kielmansegg, Braucht die Demokratie Parteien?, in: Festschrift für Pappi, 2004, 245 (251 ff.). 102 Ilona K. Klein, Die Bundesrepublik als Parteienstaat, 1990. 103 Dazu Wilhelm Hennis, Der „Parteienstaat“ des Grundgesetzes, in: Gunter Hofmann/Werner A. Perger (Hg.), Die Kontroverse. Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion, 1992, 25 (34 ff.); von Arnim/Heiny/Ittner, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, 2007, 38 ff. m.w. N. 104 von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, 2000, z. B. 144 ff.; von Arnim/ Heiny/Ittner, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, 30. 105 von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, 188 m.w. N. 106 Elmar Wiesendahl, Die Parteien in Deutschland auf dem Weg zu Kartellparteien, in: von Arnim (Hg.), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute“ und bürgernahe Politik?, 1999, 49 (55).

36

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien

An derartigen Wandlungstendenzen lässt die einschlägige politikwissenschaftliche Forschung nicht den geringsten Zweifel, wenn sie dafür auch – je nach Blickrichtung – ganz unterschiedliche Bezeichnungen vorschlägt: – Die einen sprechen von Kartellparteien und lenken damit den Blick auf die fraktionsübergreifenden Absprachen, die Berufspolitiker treffen, um sich – unter Aufhebung des politischen Wettbewerbs – möglichst ungestört der staatlichen Ressourcen an Geld und Personal bemächtigen zu können.107 Kennzeichen der Kartellparteien sei, dass fast alle politischen Äußerungsformen überwölbt würden vom gemeinsamen Interesse der professionalisierten politischen Klasse, ihre eigene Existenz zu sichern und das Aufkommen neuer Wettbewerber möglichst zu verhindern.108 – Andere sprechen von Parteien der Berufspolitiker und heben damit die gewichtige innerparteiliche Rolle staatlich voll bezahlter Bundes-, Landes- und Europaabgeordneter hervor,109 die sich als politische Klasse eine privilegierte Stellung verschafft haben,110 wozu auch ihre vielen selbst bewilligten persönlichen Mitarbeiter beitragen, die ihre Partei stärken und sie gegen Konkurrenten absichern. – Noch andere bevorzugen den Begriff Fraktionsparteien und betonen damit den unerhörten Bedeutungszuwachs der Fraktionen, der durch den unbegrenzten Zugriff auf staatliche Ressourcen befeuert wird und die Fraktionen durch Übernahme von Parteiaufgaben immer mehr zu Ersatzparteien werden lässt.111 – Auch der Begriff top-down-party wird verwendet, um die Erosion der Willensbildung von unten nach oben („bottom up“) zum Ausdruck zu bringen. Inzwischen geht die Entwicklung immer mehr in die umgekehrte Richtung („top down“).112 107 So Katz/Mair, Changing Models of Party Organization and Party Democracy. The Emergence of the Cartel Party, Party Politics 1995, 5. Siehe auch von Arnim, Fetter Bauch regiert nicht gern, 1997, 351 ff.; von Arnim/Heiny/Ittner, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, FÖV-Discussion Paper 35, 3. unv. Aufl., 2007, 19 ff.; Wiesendahl, Zwei Dekaden, 96 ff.; ders., Die Parteien in Deutschland auf dem Weg zu Kartellparteien?, 49 ff. 108 Katz/Mair, ebenda, 15, 23 f. 109 So Klaus von Beyme, Funktionswandel der Parteien in der Entwicklung von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hg.), Parteiendemokratie in Deutschland, 2001, 315 (324 ff.); Wiesendahl, Zwei Dekaden, 101 ff. 110 von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, 1993. 111 So zum Beispiel der frühere Bundesgeschäftsführer der CDU Peter Radunski (Fit für die Zukunft? Die Volksparteien vor dem Superwahljahr 1995, Sonde 1991/4, 3 [5]), und der Politikwissenschaftler Peter Lösche (Ende der Volksparteien, Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2009, 9 [11 f.]). 112 Zur Entwicklung vom Typ der „bottom up-party“ zum Typ der „top-down party“ siehe schon Peter Mair, Introduction, in: ders. (Hg.), The West European Party System, 1990, 6. Siehe auch Rüb, 407.

I. Der Wandel der Parteien

37

– Oder man spricht von professionalisierten Medienkommunikationsparteien, um den großen Einfluss der Medien auf das Agieren, die Erscheinungsweise und das Spitzenpersonal der Parteien herauszustellen, das die eigentlichen Parteien mithilfe der Medien übergeht und die Bedeutung der Parteibasis so erst recht minimiert.113 – Viel diskutiert wird auch der Begriff der electoral-professional party, die durch Professionalisierung des Parteiapparats und vorherrschende Wählerorientierung bei gleichzeitiger Auflösung der Bindung der Parteimitglieder gekennzeichnet ist.114 – Elmar Wiesendahl weist im Übrigen mit guten Gründen darauf hin, die Loslösungs- und Verstaatlichungstendenzen hätten sich bereits in der Phase der Volksparteien gezeigt, so dass eigentlich gar kein neuer Parteibegriff erforderlich sei.115 Welchen Namen sie der Entwicklung auch immer geben, in drei Punkten sind sich jedenfalls alle Party-change-Forscher einig:116 – Die Parteien kolonisieren gemeinschaftlich den Staat, und ihre „public office holders“ gewinnen zunehmend an Gewicht, so dass die Parteien immer mehr von Berufspolitikern beherrscht werden. – Dabei lösen die Parteien sich allmählich aus ihrer gesellschaftlichen Verankerung, so dass die Funktion der Parteien, die Anliegen der Gesellschaft in den Staat zu vermitteln, zu verkümmern droht. – Kleinere und neue Parteien, die den Zugang zu den Parlamenten wegen der wahlrechtlichen Sperrklauseln (noch) nicht geschafft haben, sind von den staatlichen Pfründen ausgeschlossen. So sind die Parteien dabei, sich von Parteimitgliedern und Bürgern immer weiter zu entfernen und sich zu selbstreferentiellen Staatsparteien zu entwickeln. Das macht sie zunehmend unfähig, noch den Willen und die Wünsche der Basis „nach oben“ zu vermitteln. Dabei geht es um das zunehmende Versagen der Parteien, „auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluss zu nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozess der staatlichen Willensbildung einzuführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu sorgen“ (§ 1 Abs. 2 PartG), kurz: um das allmähliche Versagen der Parteien vor ihrer Aufgabe, als „Zwischenglie-

113 So Uwe Jun, Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich, 2004, Kap. 5. 114 Angelo Panebianco, Political Parties: Organization and Power, 1988 (Erstveröffentlichung in italienischer Sprache: 1982); Wiesendahl, Zwei Dekaden, 105 ff. 115 Wiesendahl, ebenda. 116 Siehe den zusammenfassenden Überblick bei Wiesendahl, Zwei Dekaden, 114.

38

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien

der zwischen Bürger und Staat“ (Bundesverfassungsgericht117) zu fungieren. Die Politikwissenschaft spricht insoweit von der erodierenden Repräsentationsfunktion der Parteien.118

II. Erweiterung des Begriffs: Parteien im materiellen Sinne Insgesamt stellt die politikwissenschaftliche Parteienforschung übereinstimmend fest, dass die Gewichte sich von den finanziell und personell eng begrenzten Parteien im formalen Sinne zunehmend auf ihre staatlichen Zweige verlagern. Dieser Verschiebung verleiht sie begrifflichen Ausdruck, indem sie den Parteibegriff des Parteiengesetzes119 um die so genannten Parteien in öffentlichen Ämtern (parties in public office) erweitert. Dieser materielle Parteibegriff umfasst auch die von den Parteien besetzten Parlamente, d.h. Abgeordnete und Fraktionen samt Mitarbeitern (Parteien im Parlament: parties in parliament) sowie verwandte Organisationen wie die Parteistiftungen, ferner Regierungsmitglieder samt Hilfskräften (Parteien in der Regierung: parties in government).120 Dem Öffentlichrechtler mögen sich bei diesem weiten Parteibegriff auf den ersten Blick zwar die Haare sträuben. Denn das Staatsrecht zieht eine scharfe Grenze zwischen Staat und Gesellschaft und ordnet die Parteien herkömmlicherweise der Gesellschaft, Parlament und Regierung dagegen dem Staat zu. Beide Parteibegriffe haben aber durchaus ihren Sinn: Der enge staatsrechtliche Begriff will nicht auf die normative Verpflichtung aller Amtsträger auf das Gemeinwohl121 verzichten. Der weite politikwissenschaftliche Begriff betont dagegen 117

BVerfGE 44, 125 (145 f.). Giovanni Sartori, Parties and Party Systems, 1976, 27: „Parties are channels of expression. That is to say, parties belong, first and foremost, to the means of representation: They are instrument, or an agency, for representing the people by expressing their demands“. Siehe z. B. auch Stefano Bartolini/Peter Mair, Challenges to Contemporary Political Parties, in: Larry Diamon/Richard Gunther (eds.), Political Parties and Democracy, 2001, 327 (332). Es geht hier also nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, um weitere Funktionen der Parteien, etwa die Rekrutierung des politischen Nachwuchses und die Organisation von Parlament und Regierung. Siehe dazu ebenfalls Bartoli/Mair, a. a. O. So auch schon Peter Mair, Party System Change. Approaches and Interpretations, 1997, 153. 119 Hinsichtlich des Parteienbegriffs des Parteiengesetzes unterscheidet die Politikwissenschaft zwischen parties on the ground (Parteibasis) und parties in central office (Parteizentralen). 120 So Peter Mair, Party System Change. Approaches and Interpretations, 1997, Kap. 6. Zustimmend z. B. Peter Lösche, in: ders. (Hg.), Zur Lage des deutschen Regierungs- und Parteiensystems, 2002, 60 und 111 f.; Friedbert W. Rüb, „Sind Parteien noch zu retten?“, Neue Politische Literatur 2005, 397 (404 ff.); Wiesendahl, Zwei Dekaden Party Change-Forschung, in: Gehne/Spier (Hg.), Krise oder Wandel der Parteiendemokratie?, 2010, 92 (111). 121 Statt vieler von Arnim/Heiny/Ittner, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, FÖV-Discussion Papers 35, 3. unv. Aufl., 2007, 4 ff. m.w.N. 118

III. Umfragen und Medien als Ersatz?

39

die enge faktische Zusammengehörigkeit von Parteien, den von ihnen gestellten Amtsträgern und den Parteistiftungen, da sie politisch alle am selben Strang ziehen, die Führungspositionen häufig von denselben Personen besetzt werden und die staatlichen Zweige mit ihrer rasch zunehmenden finanziellen und personellen Potenz den formalen Parteien immer mehr Aufgaben abnehmen und sie finanziell entlasten.122 Die faktische Zusammengehörigkeit war auch der Grund, warum die von Bundespräsident Richard von Weizsäcker berufene Parteienfinanzierungskommission Fraktionen und Parteistiftungen sowie Abgeordnete und ihre Mitarbeiter in ihren Bericht miteinbezogen hatte.123

III. Umfragen und Medien als Ersatz? Sind die Parteien immer weniger in der Gesellschaft geerdet, so dass die Willensbildung von unten zunehmend Not leidet, stellt sich die Frage, ob dieser Funktionsverlust durch besondere Reagibilität (sog. Responsiveness) der Parteien in den Ämtern gegenüber öffentlichen Wünschen und Anforderungen ausgeglichen werden kann. Da das Problem gerade darin besteht, dass die formalen Parteien dafür weitgehend ausfallen (siehe oben S. 25 ff.), geht es vor allem um die Anpassungsbereitschaft der Politik an Medien und Umfragen. Beide haben aber ihre großen Schwächen. Umfragen, bei denen die Befragten „auf die Schnelle“ 30 oder 40 Fragen zu beantworten haben,124 liefern reine, häufig ziemlich irrationale, Stimmungswerte. Die veröffentlichte Meinung der Medien kann sich von der öffentlichen Meinung fundamental unterscheiden: durch extreme Personalisierung, das Ausblenden von Struktur- und Systemfragen, die Unterdrückung wichtiger Themen durch political correctness, durch die so genannte Schweigespirale125 etc.126 Eine Medien und Umfragen hinterher laufende „Demoskopiedemokratie“ (Richard von Weizsäcker) hängt ihr Mäntelchen immer wieder nach schnell wechselnden Winden und flattert dann eben auch wie ein Blatt im Wind, was erst recht zum Vertrauens- und Ansehensverlust der Politik beitragen kann. 122 Siehe auch schon Göttrick Wewer, Für eine integrierende Sichtweise von ParteienFinanzen und Abgeordneten-Alimentierung, in: ders. (Hg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, 420 ff. Ebenso – politikwissenschaftlich offene – Rechtswissenschaftler wie von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1991, 1 ff.; 2. Aufl., 1996, 30; Martin Morlok, Thesen, 88 ff. Morlok verwendet andere Begriffe, die aber dasselbe ausdrücken sollen. Er spricht – statt vom formalen und materiellen – vom institutionellen und funktionellen Parteibegriff. 123 Bundespräsidialamt (Hg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, 1994. Der Verfasser war Mitglied der siebenköpfigen Kommission. 124 von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, 2000, 194 f. m.w. N. 125 Elisabeth Noelle-Neumann, Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut, 1980. 126 Statt vieler Thomas Meyer, Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, 2001; Tissy Bruns, Republik der Wichtigtuer, 2007.

40

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien

Vor allem wird der Bürger dabei nicht als handelndes Subjekt ernst genommen, sondern seine (vermeintlichen) Auffassungen werden sozusagen von oben abgegriffen; die Menschen bleiben dabei passiv.127 Gewiss können zur Responsibilität auch die Abgeordneten und speziell ihre vielen Mitarbeiter vor Ort beitragen, indem sie Fragen der Bürger beantworten und auf ihre Anliegen eingehen. Doch auch hier liegt alles Entscheidende beim Abgeordneten, dessen rasch wachsende Ausstattung – wie auch die der Fraktionen – völlig unabhängig vom Bürger allein vom Staat finanziert wird. Der Bürger kann die Abgeordneten in aller Regel nicht einmal auswählen und verantwortlich machen. Er bleibt entmündigter Bittsteller. Wer Abgeordneter wird, bestimmt im Wesentlichen die Partei (siehe oben S. 22), die zunehmend in Abhängigkeit von den ressourcenstarken Abgeordneten und Fraktionen gerät.

IV. Reanimation der Parteibasis? Immerhin versuchen die Parteien zum Beispiel durch Öffnung für Nichtmitglieder und durch Mitgliederbefragungen und -wahlen für zentrale Sach- und Personalentscheidungen das Gewicht der Basis nicht ganz verschwinden zu lassen, ohne dass derartige Versuche die geschilderte Entwicklung aber wohl wirklich aufhalten oder gar umdrehen könnten. An dem gewaltigen Ressourcenübergewicht der Parteien im Parlament können diese Versuche jedenfalls nichts ändern.

V. Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre: unterschiedliche Sichtweisen und Erkenntnisinteressen Die (soeben unter II. angesprochenen) unterschiedlichen Sichtweisen der einschlägigen Disziplinen spiegeln sich in ihren Erkenntnisinteressen wider: Die Politikwissenschaft – das gilt zumindest für ihre Hauptrichtungen – sieht als empirische Wissenschaft ihre methodische Kompetenz darin, die Lage zu beschreiben, zu analysieren und künftige Entwicklungen zu prognostizieren. Die Entwicklung zu bewerten und womöglich zu kritisieren, versteht sie nicht als ihre wissenschaftliche Aufgabe.128 Schon gar nicht kann es ihre Aufgabe sein, aus 127

Colin Crouch, Postdemokratie, 2008, 9, 95. Statt vieler Karl-Dieter Opp, Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Aufl., 2005, 223 ff. – Vgl. aber die Kritik von Christine Landfried (Parteifinanzen und politische Macht, 1990, 100 ff.) und Suzanne S. Schüttemeyer (Fraktionen im Deutschen Bundestag, 1998, 57 f.) an der öffentlichkeitsscheuen Bewilligung von Fraktionsmitteln bloß im Haushaltsplan. Vgl. auch die Kritik an der „Selbstprivilegierung der Parteien im Parteienstaat“ durch Frank Decker (Regieren im „Parteienbundesstaat“, 2011, 88 ff.) und die Kritik an der „Verkehrung der Zweck-Mittel-Relationen“ und „der wachsenden 128

V. Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre

41

dem So-Sein auf das Sollen zurückzuschließen und damit dem berüchtigten naturalistischen Fehlschluss129 zu erliegen.130 Das schließt allerdings nicht von vornherein aus, dass der Forscher auch Wertungen anstellt; dann hat er aber im Interesse der methodischen Ehrlichkeit nach außen ganz klar zu machen, dass es sich entweder um seine nicht weiter sublimierte persönliche Meinung handelt131 oder um stringent aus höheren Werten (und empirischem Wissen) abgeleitete Folgerungen. Zu jenen Werten muss man sich entweder bekennen132 oder sie dem Recht, besonders dem Verfassungsrecht, entnehmen,133 wobei man sich dann der Jurisprudenz nähert. Die von der Politikwissenschaft klar und schnörkellos beschriebene Entwicklung134 fordert aus juristischer Sicht eine professionelle Bewertung nach dem Maßstab des Verfassungsrechts geradezu heraus. Wenn die Vermittlung der Gesellschaft in den Staat nachlässt und damit eine Kernfunktion der Parteien schwindet, gleichzeitig aber eine sprunghaft zunehmende Inanspruchnahme staatlicher Ressourcen durch „Selbst-Bedienung“ an den staatlichen Finanzen und Personalstellen erfolgt, von denen Kartell-Außenseiter ausgeschlossen sind, liegt ein negatives Werturteil ziemlich nahe. Es mag ja sein, dass die Parteien trotz des allmählichen Verlustes ihrer Verankerung in der Gesellschaft ihre Macht und ihren Einfluss aufrecht erhalten, indem sie sich den Staat immer mehr zur Beute machen,135 und dadurch die bisherigen Verhältnisse stabilisieren. Doch soll das wirklich den dreifachen Mangel heilen können: (1) das Schwinden der Kernfunktion der Parteien, zwischen Bürgern und Staat zu vermitteln, (2) die grassierende Staatsfinanzierung der Parteien und die Ämterpatronage sowie (3) den wettbewerbsbeschränkenden Ausschluss kleiner Konkurrenten? Dadurch werden die Parteien zwar am Leben erhalten, weil sie ihre Monopolstellung an den SchaltSelbstbezüglichkeit der Parteien“ durch Graf Kielmansegg (Braucht die Demokratie Parteien?, 253 f., 254). 129 Opp, 243 ff.; Werner Patzelt, Einführung in die Politikwissenschaft, 5. Aufl., 2003, 97 f., 197, 523. 130 So aber anscheinend Katz/Mair, Cartel Party, Party Politics 1995, 5 (21): „The rise of the cartel party as an empirical phenomenon is also associated with a revision of the normative model of democracy“, in which „the essence of democracy lies in the ability of voters to chose from a fixed menu of political parties“ (S. 21), and „parties are partnerships of professionals, not associations of, or for, the citizens“ (S. 22). 131 Opp, a. a. O., 225. 132 So schon Max Weber, „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., 1951, 146 f.; Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., 1963, 100 ff. 133 Siehe von Arnim, Zur normativen Politikwissenschaft. Der Staat 1987, 477 ff. 134 Siehe oben S. 35 ff. und 38 ff. Z. B. auch Thomas Poguntke, Parties in a Legalistic Cultur: The Case of Germany, 191 ff. Ebenso z. B. Peter Mair, Party System Change, 1997, Kap. 6 (S. 120 ff.). 135 Richard von Weizsäcker, Krise und Chance unserer Parteiendemokratie, Aus Politik und Zeitgeschichte B 42/1982, 3; von Arnim, Der Staat als Beute, 1993.

42

D. Auf dem Weg zu Staatsparteien

hebeln der staatlichen Macht für ihre Zwecke instrumentalisieren; das Missverhältnis von schwindenden öffentlichen Funktionen und wachsenden selbst-verschafften Privilegien bietet aber eine immer größere Ansatzfläche für öffentliche (und wie sogleich zu zeigen ist, auch für verfassungsrechtliche) Kritik und droht, das Ansehen der Parteien vollends zu zerstören.

VI. Parteien im Parlament: zwischen allen Stühlen Die Staatsrechtslehre konzentriert sich allerdings immer noch fast ausschließlich auf die Parteien im formalen Sinne. In den letzten Jahren sind gleich vier neue Kommentare zum Parteiengesetz erschienen.136 Diese Materie ist relativ leicht zugänglich, weil sie Bundesrecht betrifft (Art. 21 Abs. 3 GG) und das Parteiengesetz die Finanzierung zusammenfassend regelt. Dagegen ist das Recht der Fraktionen und der Abgeordnetenmitarbeiter völlig zersplittert. Um einen Überblick zu gewinnen, muss man eine Unmenge von Gesetzen und Durchführungsvorschriften, unzählige Parlamentsberichte sowie Hunderte von Haushaltsplänen durchforsten und auswerten. Das hat vermutlich dazu beigetragen, dass Rechtswissenschaft und öffentliche Diskussion sich vornehmlich mit den Parteien im engeren Sinne beschäftigen, die aus den Nähten platzenden Fraktionen und Mitarbeiter, die den Parteien immer mehr Aufgaben abnehmen, aber oft außen vor lassen.137 Weitere Gründe dürften die Heimlichkeit der Bewilligung, die mangelnde Kontrolle und die Bürger- und Mitgliederferne der Parteien im Parlament sein, die gerade das eigentliche Problem darstellen. Mit ihrer Konzentration auf die Parteien im formalen Sinn droht der rechtswissenschaftliche Diskurs aber wichtige und einschneidende Entwicklungen auf diesem Gebiet zu übersehen.138 So ist ein quasi-rechtsfreier Raum entstanden.

136 Jörn Ipsen (Hg.), Parteiengesetz, 2010; Jens Kersten/Stephan Rixen (Hg.), Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, Kommentar, 2009; Sophie Charlotte Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, Handkommentar, 2011. Siehe auch schon Martin Morlok, Kommentar zum Gesetz über die politischen Parteien, in: Das Deutsche Bundesrecht (Loseblatt), Lieferung Oktober 2007. 137 Ausnahmen sind – neben den eigenen Publikationen – vor allem Arbeiten von Hans Meyer und Martin Morlok aus der Mitte der Neunzigerjahre, die Habilitationsschrift von Sven Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, die Kommentierung der §§ 45–54 in Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, 2002, und die Kommentierung des Art. 38 durch Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hg.), GrundgesetzKommentar, Band II, 2006, Art. 38, Rn 171–188. 138 Andreas Suchanek würde das wahrscheinlich den „nominalistischen Fehlschluss“ der Staatsrechtslehre nennen, den er dem „naturalistischen Fehlschluss“ mancher Sozialwissenschaftler (siehe soeben S. 40 f.) gegenüberstellt: Suchanek, Erfolgreiche Therapie ohne gute Diagnose?, Zum Zusammenhang zwischen normativer und positiver Analyse in der Ökonomik, in: Martin Held (Hg.), Normative Grundfragen der Ökonomik. Folgen für die Theoriebildung, 1997, 189 (192 f.).

VI. Parteien im Parlament: zwischen allen Stühlen

43

Die Politikwissenschaft hat ihren Blick auf die faktischen Gegebenheiten dagegen ausgeweitet und betrachtet neben den finanziell eng begrenzten Parteien im Sinne des Parteiengesetzes auch ihre üppig dotierten staatlichen Zweige. Sie hat, um diese auch terminologisch einzubeziehen, einen materiellen Parteibegriff entwickelt, auch wenn sie in Deutschland auf das rasante Wachstum der von ihr dann später parties in public office genannten Komponenten gelegentlich von wissenschaftlichen Grenzgängern hingewiesen werden musste.139 Die unterschiedlichen methodischen Ansätze haben dazu geführt, dass die juristische Beurteilung der Parteien im Parlament bisher noch zu kurz gekommen ist: Die Politikwissenschaft hat deren gewaltige Ausdehnung zwar aufgenommen und – auch international vergleichend – umfassend dargestellt, wenn auch ihre eigenen empirischen Erhebungen vor zwei Jahrzehnten abbrachen.140 Sie fühlt sich aber für eine juristische Bewertung natürlich nicht zuständig. Der „Mainstream“ der Staatsrechtslehre hat dagegen die Entwicklung der staatlichen Zweige der Parteien noch kaum zur Kenntnis genommen und deshalb keinen Anlass gesehen, über den formalen Parteibegriff hinaus auch einen materiellen Parteibegriff ins Auge zu fassen.141 So führen die unterschiedlichen methodischen Perspektiven in der Tendenz dazu, dass zentrale Probleme der Öffentlichkeit und der Verfassungsrechtsprechung aus dem Blick geraten, ihre praktische Behandlung zwischen alle Stühle fällt und die Parteien in den Parlamenten sich der Kontrolle entziehen. Die vorliegende Analyse versucht demgegenüber, beides zusammenzuführen: die empirisch-analytische und die verfassungsrechtlich wertende Perspektive.

139 Zum Beispiel von Arnim, Parteipolitische Ämterpatronage, 1980; ders., Parteienfinanzierung, 1982, 25 ff.; ders., Staatliche Fraktionsfinanzierung ohne Kontrolle?, 1987, 14 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1991, 88 ff., 100 ff., 120 ff.; ders., Die finanziellen Privilegien von Ministern in Deutschland, 1992. 140 Siehe z. B. Susan E. Scarrow, Party Decline in the Parties State? The Changing Environment of German Politics, in: Paul Webb/David Farrell/Ian Holliday (eds.), Political Parties in Advanced Industrial Democracies, 2002, 77 (89): Angaben nur bis 1991. 141 Anders aber – neben dem Verfasser – ausdrücklich Martin Morlok (siehe oben Fn. 122).

E. Beurteilungsmaßstäbe I. Der rechtswissenschaftliche Ansatz Anders als vielleicht dem Sozialwissenschaftler muss es dem Rechtswissenschaftler um die Entwicklung – ausdrücklich und offen erklärter – normativer Maßstäbe gehen. Schon gar nicht kann er sich mit der stillschweigenden Anerkennung der normativen Kraft des Faktischen zufrieden geben. Zwar darf auch er die Tatsachen und sozialen Entwicklungen nicht ausblenden, sondern muss sie seinen Erwägungen zu Grunde legen. Das bedeutet, dass der formale Parteibegriff des Parteiengesetzes um einen materiellen Begriff zu ergänzen ist, der auch die Parteien in öffentlichen Ämtern (siehe oben S. 38) mit in den Blick nimmt.142 Vor allem aber muss er Maßstäbe entwickeln, die die Intention der einschlägigen Verfassungsbestimmungen in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse konkretisieren.143 Der Verfassungsinterpret darf also einerseits nicht einfach nur die Verhältnisse erklären und rechtfertigen wollen oder sie resignierend hinnehmen, sonst könnte er seiner Funktion, das vorgefundene Faktische tendenziell zu verbessern, nicht gerecht werden. „Die normative Kraft der Verfassung“144 würde verfehlt. Er darf sich aber andererseits auch nicht so weit von der Wirklichkeit entfernen, dass der Zusammenhang und die Spannung zerreißen, weil die Norm den Adressaten weltfremd oder gar lächerlich erscheint und damit auch der mögliche Verbesserungseinfluss auf die Wirklichkeit entfällt.145 Zur Ermittlung des Sinns und Zwecks der einschlägigen Verfassungsbestimmungen liegt es nahe, zunächst von den drei Grundsätzen auszugehen, die für Parteien im formalen Sinne und für Abgeordnete gelten, die sich beide ihre Staatsmittel ebenfalls selbst bewilligen, also vom – Grundsatz der Öffentlichkeit, vom – Grundsatz der Staatsfreiheit bzw. Bürgernähe sowie vom – Grundsatz der Gleichheit der Bürger und der Chancengleichheit der Parteien,

142

So auch Martin Morlok, 78 f. So fast wörtlich auch Morlok, 80. 144 So der Titel von Konrad Hesses Freiburger Antrittsvorlesung, 1959. 145 Siehe z. B. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 18 f. m.w. N.; Hartmut Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., 2010, § 1 Rn 74. 143

II. Öffentlichkeit

45

und von der Konkretisierung, die diese Grundsätze in der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte gefunden haben, um das unkontrollierte Hochschießen der „Staatsknete“ zu verhindern, dem Ansehens- und Funktionsverlust der Parteien entgegenzuwirken und Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden. Hinzu kommt ein vierter Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht speziell für die Fraktionsfinanzierung formuliert hat, – das Missbrauchsverbot.

II. Öffentlichkeit Für Abgeordnetendiäten hat das Bundesverfassungsgericht ein besonderes Bewilligungsverfahren vorgeschrieben, um öffentliche Kontrolle zu ermöglichen. Das Gericht verlangt, dass die Diäten in den Abgeordnetengesetzen exakt beziffert werden, so dass Erhöhungen nur durch Gesetzesänderung, also in einem öffentlichkeitswirksamen Verfahren, vorgenommen werden können. Wenn „das Parlament in eigener Sache entscheidet“, ist, so hat das Gericht erkannt, Öffentlichkeit – neben den Verfassungsgerichten selbst – „die einzige wirksame Kontrolle“.146 Das betrifft nicht nur die Festsetzung der Höhe der steuerpflichtigen Entschädigung, sondern insgesamt die „nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen.“ 147 Der zwingende Gesetzesvorbehalt gilt, wie die Verfassungsgerichtshöfe von Nordrhein-Westfalen148 und Thüringen149 – im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht – bestätigen, also auch für die Erstattung des mandatsbedingten Aufwandes. Aus ähnlichem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht die Koppelung der Höhe der Diäten an die Beamtenbesoldung für verfassungswidrig erklärt. Sie bewirkte, dass Anhebungen der Besoldung automatisch und ohne viel Aufsehen eine Erhöhung auch der Entschädigung nach sich zogen. Das dürfe nicht sein, weil das Parlament auf diese Weise der Notwendigkeit enthoben werde, „jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbstständigen Frage zu entscheiden.“ 150 Für Parteien schrieb das Grundgesetz von Anfang an vor, dass sie über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben haben. Seitdem die Parteien staatlich subventioniert werden, ist auch die Publikation der Verwendung

146 147 148 149 150

BVerfGE 40, 296 (327). Ebenfalls BVerfGE 40, 296 (327). VerfGH NW, Urteil vom 16.5.1995 (Aktenzeichen 20/93). ThürVerfGH, Urteil vom 14.7.2003, NVwZ-RR 2003, 793 ff. BVerfGE 40, 296 (317).

46

E. Beurteilungsmaßstäbe

ihrer Mittel von Verfassungs wegen geboten.151 1983 wurde das Gebot, auch über die Verwendung der Mittel (und das Vermögen) der Parteien öffentlich Rechenschaft zu legen, dann auch ausdrücklich im Grundgesetz verankert152 (Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG). Auch für die Fraktionen, die sich fast vollständig aus der Staatskasse finanzieren, sehen die Fraktions- bzw. Abgeordnetengesetze inzwischen eine öffentliche Rechenschaftslegung über die Verwendung der Mittel und über das Vermögen der Fraktionen vor. Darüber hinaus verlangt das Bundesverfassungsgericht eine öffentliche Rechnungshofkontrolle der Fraktionen. So hat es den Bundesrechnungshof verpflichtet, nicht nur die ordnungsgemäße Verwendung der Fraktionszuschüsse im Sinne eines ausschließlichen Einsatzes für die Arbeit der Fraktionen regelmäßig nachzuprüfen, sondern Beanstandungen auch in den zu veröffentlichenden Jahresbericht aufzunehmen.153 Zwar steht es normalerweise im pflichtgemäßen Ermessen des Rechnungshofs, welche Bereiche er prüft und welche Ergebnisse er durch Aufnahme in seinen Jahresbericht veröffentlicht. Angesichts der besonderen Kontrollbedürftigkeit der in eigener Sache entscheidenden Fraktionen ist das Ermessen des Rechnungshofs hier aber insofern eingeschränkt, als es nur im Sinne einer regelmäßigen Prüfung und Veröffentlichung ausgeübt werden kann.154 Dabei hat der Rechnungshof „Verstöße gegen die Zweckbindung sowie die Wirtschaftlichkeit und sonstige Ordnungsmäßigkeit der Mittelverwendung aufzudecken und zu beanstanden, gegebenenfalls Abhilfevorschläge zu unterbreiten und Beanstandungen in den jährlich Prüfungsbericht aufzunehmen (Art. 114 Abs. 2 GG). Der verfassungsrechtliche Prüfungsauftrag des Bundesrechnungshofs umfasst die Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwendung von Fraktionszuschüssen in gleicher Weise und nach den gleichen verfassungsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Maßstäben wie bei anderen Etatmitteln auch.“ 155

III. Missbrauchsverbot und Gemeinwohlgebot Hinsichtlich der Finanzierung der Fraktionen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eine Missbrauchsgrenze errichtet und dabei wie folgt formuliert: 151

von Arnim, Parteienfinanzierung, 1982, 65 ff., 102 ff. Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1983 (BGBl. I S. 1577). 153 BVerfGE 80, 188 (214). 154 Siehe auch von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, 1993, 38. 155 BVerfGE 80, 188 (214). 152

IV. Freiheit vom Staat bzw. Bürgernähe

47

„Wenn die Parlamente Fraktionszuschüsse in einer Höhe bewilligen würden, die durch die Bedürfnisse der Fraktionen nicht gerechtfertigt wären, also eine verschleierte Parteienfinanzierung enthielten,“ so wäre das „ein die Verfassung verletzender Missbrauch.“ 156

Dabei geht es aber nicht nur um verschleierte Parteienfinanzierung, sondern um die Verhinderung auch anderer Fälle von Missbrauch wie öffentlicher Verschwendung und privater Bereicherung. Sie widersprechen dem Gemeinwohlgebot, dem alle öffentlichen Bewilligungen von Verfassungs wegen unterliegen.157

IV. Freiheit vom Staat bzw. Bürgernähe 1. Der missverständliche Grundsatz Zum Grundsatz der Freiheit der Parteien vom Staat führt das Bundesverfassungsgericht Folgendes aus: „Die vom Grundgesetz vorausgesetzte Staatsfreiheit der Parteien erfordert . . . nicht nur die Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit vom Staat sondern auch, dass die Parteien sich ihren Charakter als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen bewahren. Die Parteien müssen nicht nur politisch sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürger angewiesen bleiben.“ Sie dürfen nicht „der Notwendigkeit enthoben werden, sich um die finanzielle Unterstützung ihrer Aktivitäten durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu bemühen.“ Sonst laufen sie „Gefahr, sich aus ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung zu lösen.“158 Finanzhilfen müssen deshalb „so gewährt werden, dass der politische Prozess offen, der Parteienwettbewerb erhalten und die Rückbindung der Parteiführungen an die gesellschaftliche Basis erhalten bleiben.“159

Der Begriff Freiheit vom Staat könnte allerdings missverstanden werden. Die Parteien sollen einerseits natürlich Teil der Gesellschaft sein.160 Andererseits sind sie aber auch im Parlament und in der Regierung präsent, die sich aus parteigebundenen Abgeordneten und in aller Regel auch aus parteigebundenen Regierungsmitgliedern zusammensetzen. Die Parteien wirken zwangsläufig also auch in die staatliche Willensbildung hinein und sollen das auch. Das Ziel, sich auch an der Willensbildung in den Staatsorganen zu beteiligen,161 ist durchaus 156

BVerfGE 20, 56 (105). Z. B. BVerfGE 12, 354 (364); 42, 312 (332); 59, 89 (132), ständige Rechtsprechung. 158 BVerfGE 85, 264 (287) unter Hinweis auf BVerfGE 20, 56 (101) und 73, 40 (88). 159 BVerfGE 85, 264 (288) unter wörtlichem Zitat von Dieter Grimm, Die politischen Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, 352. 160 Diese Seite war von BVerfGE 20, 56, noch verabsolutiert worden. 161 So das Bundesverfassungsgericht seit BVerfGE 44, 125 (145). 157

48

E. Beurteilungsmaßstäbe

legitim. Deshalb gilt es auch als legitim, für die von den Parteien zu verantwortenden Handlungen des Staates Zustimmung in der Bevölkerung zu suchen und dafür Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.162 Es geht also nicht nur um die Willensbildung von unten, sondern auch von oben, also um eine „Zweibahnstraße“. Angesichts des dadurch bewirkten Rückkoppelungsverhältnisses163 erscheint es zutreffender, statt von der Freiheit der Parteien vom Staat, davon zu sprechen, dass die Parteien – angesichts ihrer Staatsnähe – nicht ihre Bürger- bzw. Gesellschaftsnähe verlieren dürfen,164 weil sie sonst ihre zentrale Funktion zwischen beiden Sphären zu vermitteln, nicht mehr erfüllen können. Es erscheint allerdings gerechtfertigt, die Notwendigkeit dieser Bürger- und Gesellschaftsnähe besonders hervorzuheben, weil gerade sie besonders gefährdet ist.165 Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz der Staatsfreiheit, oder besser: der Bürgernähe, in drei Richtungen konkretisiert. 2. Relative Obergrenze Erstens verlangt das Gericht, dass die „Selbstfinanzierung der Parteien . . . Vorrang vor der Staatsfinanzierung“ hat. Dadurch soll verhindert werden, „dass die Parteien in nicht mehr hinnehmbarer Weise vom Staat abhängig werden.“ 166 Um die „Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft“ zu erhalten, also zur Sicherung ihrer Bürgernähe, sollen die „eigenen Bemühungen um die finanzielle Unterstützung von Seiten der Bürger“ die äußerste Grenze für die Staatsfinanzierung der Parteien bilden.167 Jede einzelne Partei darf deshalb von Verfassungs wegen nicht mehr als die Hälfte ihrer Gesamteinnahmen vom Staat beziehen (relative Obergrenze).168 3. Absolute Obergrenze Zweitens ist auch die Gesamtsumme der Staatsfinanzierung aller Parteien zusammen verfassungsrechtlich auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Mit dieser 162

BVerfGE 44, 125 (147 f.). BVerfGE 85, 264 (284): „Die für den Prozess der politischen Willensbildung im demokratischen Staat entscheidende Rückkoppelung zwischen Staatsorganen und Volk.“ 164 BVerfGE 85, 264 (283): Das Gebot der Staatsfinanzierung enthält „das Gebot der fortdauernden Verankerung der Parteien in der Gesellschaft und ihrer darauf beruhenden Staatsferne.“ 165 Siehe auch Dieter Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., 1994, 599 (Rn 12 ff.). 166 BVerfGE 85, 264 (289). 167 BVerfGE 85, 264 (290). 168 Siehe § 18 Abs. 5 PartG: „Die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung darf bei einer Partei die Summe ihrer jährlichen selbst erwirtschafteten Einnahmen . . . nicht überschreiten (relative Obergrenze).“ 163

IV. Freiheit vom Staat bzw. Bürgernähe

49

so genannten absoluten Obergrenze, die ihren Niederschlag ebenfalls im Parteiengesetz gefunden hat,169 will das Bundesverfassungsgericht die Gefahr bannen, dass die Parteien sich in eigener Sache immer mehr bewilligen.170 Auch diese Regel, die Erhöhungen – abgesehen von einschneidenden Veränderungen der Verhältnisse – allenfalls entsprechend den Lohn- und Preissteigerungen erlaubt,171 was aber stets eine Änderung des Parteiengesetzes verlangt, wird aus dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien bzw. ihrer notwendigen Verwurzelung in der Gesellschaft abgeleitet.172 Den eigentlichen Sinn der absoluten Obergrenze hat das Gericht anschaulich so formuliert: „Gewönne der Bürger den Eindruck, die Parteien ,bedienten‘ sich aus der Staatskasse, so führte dies notwendig zu einer Verminderung ihres Ansehens und würde letztlich ihre Fähigkeit beeinträchtigen, die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.“ 173

4. Gesellschaftsnahe Ausgestaltung der Staatsfinanzierung Die absolute und die relative Obergrenze reichen aber noch nicht aus. Zusätzlich fordert das Gericht als Drittes, „auch durch die Art der staatlichen Finanzierung die gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien zu festigen“ und dadurch möglichst zu verhindern, dass „politische Parteien sich ihrer Mitgliedschaft und den ihre Politik unterstützenden Teilen der Bürgerschaft entfremden.“ 174 Dies hat so zu geschehen, dass „der Erfolg, den eine Partei beim Wähler, den sie bei der Summe der Mitgliedsbeiträge sowie bei dem Umfang der von ihr erworbenen Spenden erzielt, . . . in den Verteilungsmaßstab eingeht.“ 175 Dabei dürfen im Interesse der Chancengleichheit aber weder Spenden von juristischen Personen noch Großspenden berücksichtigt werden, sondern nur Spenden in einer Größenordnung, wie sie „von den Beziehern durchschnittlicher Einkünfte auch geleistet werden können.“ 176 Die Verankerung der Parteien in der Gesellschaft, die in Wählerstimmen, Mitgliedsbeiträgen und kleineren Spenden zum Ausdruck kommt, soll also auch finanziell prämiert werden.

169 § 18 Abs. 2 PartG: „Das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das allen Parteien höchstens ausgezahlt werden darf, beträgt 133 Millionen Euro (absolute Obergrenze).“ 170 BVerfGE 85, 264 (290–292). 171 BVerfGE 85, 264 (291). 172 BVerfGE 85, 264 (290). 173 BVerfGE 85, 264 (290). 174 BVerfGE 85, 264 (292). 175 A. a. O. 176 BVerfGE 85, 264 (293).

50

E. Beurteilungsmaßstäbe

5. Innere Demokratie Zu den Grundsätzen, die die Parteien erden und ein Abheben von der Basis verhindern sollen, gehört natürlich auch das verfassungsrechtliche Gebot, dass „ihre innere Ordnung [. . .] demokratischen Grundsätzen entsprechen“ muss (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG).

V. Politische Gleichheit der Bürger und Abgeordneten sowie Chancengleichheit der Parteien 1. Der Grundsatz Ein weiterer Grundsatz betrifft das Recht der Bürger und Abgeordneten auf politische Gleichheit und das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Ersteres Recht folgt aus den Gleichheitsgarantien des Art. 3 Abs. 1 und des Art. 38 Abs. 1 GG sowie aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Die Chancengleichheit der Parteien ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 (Mitwirkungsgarantie der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.177 Diese Grundsätze hat auch der Gesetzgeber streng einzuhalten, sehr viel strenger als den allgemeinen Gleichheitssatz, der ihm lediglich eine willkürlich unterschiedliche Behandlung verbietet.178 Damit ist dem Gesetzgeber jede unterschiedliche Behandlung der Bürger, der Abgeordneten und der Parteien, die sich nicht durch einen besonderen zwingenden Grund rechtfertigen lässt, verfassungskräftig untersagt. Die Strenge erklärt sich daraus, dass die politische Gleichheit erstens besonders wichtig ist, weil alle Bürger den Entscheidungen der Mehrheit unterworfen sind und der Minderheit deshalb die faire Chance bleiben muss, bei künftigen Wahlen die Mehrheit zu erlangen;179 zweitens ist die Einhaltung jenes Grundsatzes besonders gefährdet, weil die Regierungsparteien ihre Mehrheit dazu missbrauchen könnten, sich Wettbewerbsvorteile zuzuschanzen oder – was für unser Thema besonders relevant ist – weil die Abgeordneten und die Parteien im Parlament gemeinsam versucht sein können, sich unter Ausnutzung ihrer Gesetzgebungsmacht Vorteile gegenüber außerparlamentarischen Konkurrenten zu verschaffen.180 Aus dem Grundsatz der streng zu beachtenden politischen Gleichheit hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Abgeordneten, die Staatsfinanzierung der Parteien und das Wahlrecht ganz konkrete Regeln abgeleitet.

177 178 179 180

BVerfGE 111, 382 (398). Z. B. BVerfGE 85, 264 (297 f.). BVerfGE 8, 51 (67). von Arnim, Der strenge und der formale Gleichheitssatz, DÖV 1984, 85 m.w. N.

V. Politische Gleichheit der Bürger und Abgeordneten

51

2. Gleichheit der Diäten Wie im Wahlrecht gilt auch für den finanziellen Status von Abgeordneten der strenge Gleichheitssatz und damit auch das Gebot gleich hoher Entschädigung. Ausnahmen sind nur aus besonderen, zwingenden Gründen zulässig.181 Das Grundgesetz gibt Abgeordneten zwar keinen Anspruch auf eine so genannte Vollalimentation.182 Im Bund und in den Flächenländern wird sie aber gleichwohl gewährt. Daneben erhalten die Abgeordneten zumeist eine hohe, beitragsfreie Altersversorgung, steuerfreie Kostenpauschalen etc.183 Selbst Landtagsabgeordnete, die normalerweise eigentlich nur eine Teilzeittätigkeit ausüben, definieren ihr Mandat dennoch als Vollzeittätigkeit und lassen sich voll alimentieren (siehe oben S. 25). Die Diäten sind deshalb im Bund und in allen Flächenländern von vornherein so bemessen, dass sie auch für diejenigen, die sich dem Mandat vollzeitig widmen, angemessen sind.184 Damit entschädigen die Diäten auch für die Mehrarbeit, die durch die Ausübung besonderer Funktionen anfällt. Deshalb machen Zulagen, die Abgeordneten für die Wahrnehmung besonderer Funktionen gezahlt werden, grundsätzlich keinen Sinn; sie haben im Gegenteil eine Reihe von negativen Konsequenzen.185 Das Bundesverfassungsgericht erlaubt deshalb – auf Grund der besonderen Stellung von Parlamentspräsidenten, ihren Stellvertretern und Fraktionsvorsitzenden – Zulagen nur für diese, nicht z. B. auch für die vielen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.186 Das grundsätzliche Verbot gilt natürlich auch für Zulagen, die auf dem Umweg über die Fraktionen gezahlt und so dem Blick der Öffentlichkeit entzogen werden. Mangels Transparenz (oben S. 45) sind sie erst recht verfassungswidrig187 (siehe auch oben S. 19). 3. Die Schwelle von 0,5 bzw. 1 Prozent für die Beteiligung an der staatlichen Parteienfinanzierung Grundsätzlich müssen „alle Parteien, die am Wahlkampf teilgenommen haben, bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt werden.“188 Die öffentlichen Mittel dürfen also nicht „nur für die Parteien vorgesehen werden, die im Parlament bereits vertreten waren oder die aufgrund der Wahl Sitze im Parlament erlangen.“ Denn dann wären kleinere Parteien wegen der Fünfprozentklausel bei Wahlen 181

BVerfGE 40, 296 (317 f.); 102, 226 (238 f.). BVerfGE 76, 256 (341 f.). 183 Siehe dazu von Arnim/Drysch, Drittbearbeitung das Art. 48 Grundgesetz in Bonner Kommentar, 2010, Rn 201 ff. (Altersversorgung) und 252 ff. (Kostenpauschale). 184 So schon BVerfGE 40, 296 (315 f.). 185 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 2011, 58 ff. 186 BVerfGE 40, 296 (315 f.); 102, 224 (245); 118, 302 (309). 187 von Arnim, Verfassungsbruch, 49 ff. 188 BVerfGE 20, 56 (117). Kursivsetzung vom Gericht. 182

52

E. Beurteilungsmaßstäbe

von der Staatsfinanzierung ausgeschlossen. Deshalb wurde die Reservierung der Mittel nur für die im Bundestag vertretenen Parteien, die im Bundeshaushalt 1965 vorgesehen war, vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.189 Auch die daraufhin ins Parteiengesetz von 1967 geschriebene Schwelle von 2,5 Prozent war noch zu hoch. Das Gericht hob sie auf und bestimmte, dass alle Parteien, die bei Bundestagswahlen mindestens 0,5 Prozent der Listenstimmen erhalten, an der damaligen Wahlkampfkostenerstattung zu beteiligen seien. Ein solches Wahlergebnis signalisiere bereits die Ernsthaftigkeit der Kandidatur und schließe Missbrauch aus.190 Bei Landtagswahlen liegt die Schwelle etwas höher. Aber auch hier muss jede Partei, die mindestens ein Prozent der Listenstimmen erlangt hat, an der Staatsfinanzierung beteiligt werden (§ 18 Abs. 4 Satz 1 PartG). Der Versuch der etablierten Parteien, diese Anforderungen zu verschärfen, ist gescheitert. Ein Gesetz, das für die Beteiligung an dem so genannten Zuwendungsanteil, einem wesentlichen Bestandteil der staatlichen Parteienfinanzierung, die Erreichung der Schwelle bei mindestens drei Landtagswahlen verlangte, wurde vom Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Chancengleichheit für verfassungswidrig erklärt.191 Dabei hob das Gericht die Bedeutung kleiner Parteien für „die von Art. 20 GG gebotene Offenheit des demokratischen Prozesses“ hervor, die „das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung wiederholt als einen zentralen Grundsatz der Demokratie betont und gestärkt“ habe. Sie beuge „einer Erstarrung des Parteiwesens“ vor, stärke „die Lernfähigkeit des politischen Systems“ und zwinge „die etablierten Parteien zu einer Rückkoppelung mit dem Volk“ und damit zu mehr Bürgernähe. Das „Drei Länder-Quorum“ berge dagegen „die Gefahr eines Verlustes der politischen Vielfalt und damit einer Einschränkung des Parteienwettbewerbs“ und sei mangels zwingender Gründe verfassungswidrig.192 Das Urteil liest sich geradezu wie eine Magna Charta kleiner Parteien. 4. Die Beteiligung sämtlicher Parteien an der steuerlichen Begünstigung von Beiträgen und Spenden In den Fünfzigerjahren war die Steuerbegünstigung von Spenden und Beiträgen an Parteien, die in Höhe des dem Fiskus vorenthaltenen Steueranteils ja eine mittelbare staatliche Parteienfinanzierung darstellt,193 zunächst auf solche Par189 190 191 192 193

BVerfGE 20, 56 (117 ff.). BVerfGE 24, 300 (350 ff.). BVerfGE 111, 382. BVerfGE 111, 382 (404 ff.). BVerfGE 8, 51 (62).

V. Politische Gleichheit der Bürger und Abgeordneten

53

teien beschränkt, die im Bundestag oder in einem Landesparlament vertreten waren. Kleinere Parteien blieben ausgeschlossen. Auch diese Regelung erklärte das Bundesverfassungsgericht 1957 für verfassungswidrig.194 Heutzutage kommen die Mitglieder und Spender sämtlicher Parteien, unabhängig von deren Wahlergebnissen, in den Genuss der steuerlichen Begünstigung ihrer Zuwendungen, sofern die Finanzbehörde, die Partei nur überhaupt als solche anerkennt. Das sind derzeit rund 90 Parteien.

5. Beteiligung unabhängiger Kandidaten an der Staatsfinanzierung Auch Wahlkreiskandidaten, die keiner Partei angehören, haben „ein Recht auf Chancengleichheit, das eine Differenzierung nur aus zwingenden Gründen zulässt.“ 195 Sie müssen an der Staatsfinanzierung beteiligt werden; sonst würden sie gegenüber Kandidaten der Parteien, denen die Staatsfinanzierung zugute kommt, unzulässig benachteiligt. Zwar haben unabhängige Bewerber „nur ganz ausnahmsweise Sitze in den Parlamenten des Bundes und der Länder zu erringen vermocht.“ 196 Ihre Kandidatur offen zu halten, sei aber schon deshalb wichtig, weil sie „nicht unwesentlich dazu beitragen, dass die Parteien sich bei der Aufstellung der Wahlkreisbewerber nicht allzu sehr vom Willen der Wähler entfernen“ 197 und weil, wie das Gericht damals meinte, diese Möglichkeit es immerhin erträglich mache, „dass die Erfolgsaussichten des einzelnen Bewerbers im Rahmen der Verhältniswahl mit gebundenen Listen maßgeblich davon abhängen, welchen Platz seine Partei ihn auf der Liste zuweist.“ 198 Allerdings liegt die Schwelle hier höher, weil es im Wahlkreis für Kandidaten, die es nicht ernst meinen und nur auf die Staatsfinanzierung aus sind, leichter ist, Stimmenanteile zu erlangen. Deshalb sind hier 10 Prozent der Wahlkreisstimmen erforderlich.199

6. Fünf-Prozent-Klausel im Kommunalwahlrecht: verfassungswidrig Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte haben neuerdings die Fünf-Prozent-Klausel im Kommunalwahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Mit „Regelungen, die die Bedingungen der politischen Konkurrenz be194 195 196 197 198 199

BVerfGE 6, 273 (279–281). BVerfGE 41, 399 (413). BVerfGE 41, 399 (422). BVerfGE 41, 399 (418). BVerfGE 41, 399 (417). BVerfGE 41, 399 (424).

54

E. Beurteilungsmaßstäbe

rühren“, werde „die jeweilige parlamentarische Mehrheit gewissermaßen in eigener Sache tätig“. Deshalb sei seitens der Verfassungsgerichte „eine strenge Prüfung“ geboten.200 Seitdem Bürgermeister und Landräte nicht mehr von der jeweiligen Volksvertretung gewählt werden, also eine der wesentlichen Personalentscheidungen nunmehr unmittelbar beim Volk liegt, habe das Argument, durch die Sperrklausel müsse der Zersplitterung entgegengewirkt werden, um stabile Mehrheiten im Rat oder im Kreistag zu sichern, viel von seiner Überzeugungskraft verloren.201 Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung die große Bedeutung kleiner Parteien für die Offenheit des politischen Prozesses als eines zentralen Grundsatzes der Demokratie neuerdings besonders betont (siehe soeben S. 51 f.). Der Bremer Staatsgerichtshof hat die Fünf-Prozent-Hürde sogar bei der Kommunalwahl in Bremerhaven für verfassungswidrig erklärt, obwohl dort die Mitglieder des Magistrats, darunter auch der Oberbürgermeister, nach wie vor von der Stadtverordnetenversammlung gewählt werden.202 Die neuere Rechtsprechung habe „die fundamentale Bedeutung der Gleichheit der Wahl für die Hinnahme der demokratischen Mehrheitsentscheidung einerseits und die Gefahr einer Instrumentalisierung des Wahlrechts zur Sicherung des Machterhalts der Mehrheitsparteien andererseits stärker als zuvor erkannt.“ Hieraus werde „zutreffend auch für Kommunalwahlen die Notwendigkeit der strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle einer Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit gefolgert.“ 203 7. Chancengleichheit bei der Ämterbesetzung Der strenge Gleichheitssatz gilt auch für die Besetzung des öffentlichen Dienstes. Darin liegt eine der Errungenschaften der Demokratie. Vorrechte, wie sie früher Adel und Geistlichkeit besaßen, die die einflussreichen und lukrativen Ämter unter sich aufteilten, wurden nur so lange hingenommen wie die führenden Schichten ihre gesellschaftlich-politischen Funktionen wahrnahmen (siehe oben S. 24). Mit deren Dahinschwinden erschienen sie nur noch als einer der Missstände, die die Menschen auf die Barrikaden trieben und die Französische Revolution auslösten. Privilegien, die mit der Qualifikation für das Amt nichts zu tun haben, sollten ein für alle Mal beseitigt werden.204 Was dem Adel verboten wurde, darf nun den Parteien nicht wieder gestattet werden. „Die Demokratie des Grundgesetzes ist eine grundsätzlich privilegienfeindliche Demokratie.“ 205 Sie 200 201 202 203 204 205

So z. B. BVerfGE 120, 82 (105). BVerfGE 120, 82 (116 ff.). BremStGH, 14.5.2009, NJOZ 2009, 4325 (4335 ff.). BremStGH, NJOZ 2009, 4325 (4333). Siehe auch von Arnim, Die Deutschlandakte, 2008, 92. BVerfGE 40, 296 (317).

V. Politische Gleichheit der Bürger und Abgeordneten

55

muss sich gegen jeden richten, der es unternimmt, die Chancengleichheit durch Bevorzugung der einen und Benachteiligung anderer zu beseitigen. Und dass der parteiliche Gleichklang von Regierung und öffentlichem Dienst etwa funktionell erforderlich sei, widerlegt schon der Vergleich mit Großbritannien, wo eine strenge Abschottung zwischen Partei und civil service besteht. Deshalb bestimmt Art. 33 Abs. 2 GG, dass jeder Deutsche „gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt“ haben müsse. Als Auswahlkriterien werden ausschließlich „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ anerkannt. „Wegen [. . .] seiner politischen Anschauungen [. . .] darf [. . .] niemand [. . .] benachteiligt oder bevorzugt werden“ (Art. 3 Abs. 2 GG), Grundsätze, die, wie das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hat,206 auch für sog. politische Beamte gelten.207 Seitdem die Parteien sich einander programmatisch immer mehr angenähert haben, ist der Institution des politischen Beamten ohnehin die Rechtfertigung entzogen. Auch das Demokratieprinzip ist betroffen. Wie bei der Wählbarkeit und der Politikfinanzierung muss die Chancengleichheit auch hier strikt eingehalten werden. Nur wenn der Prozess der Machtverteilung offen gehalten wird, bleibt es auch für die bei Wahlen unterlegene Minderheit zumutbar, von den Repräsentanten der Mehrheit regiert zu werden. Diesem Grundsatz läuft Ämterpatronage zuwider, weil einseitige Besetzungen von Ämtern wegen des Lebenszeitprinzips auch über einen Regierungswechsel hinaus fortwirken; und auch ohne Wechsel wird die Chancengleichheit der Parteien berührt, weil Ämterpatronage den patronierenden Parteien unzulässige Vorteil verschafft. In der Verletzung so wesentlicher Bestandteile des Demokratieprinzips liegt auch ein Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.208 Ämterpatronage ist nicht „nur“ einfach verfassungswidrig, sie verstößt gegen den elementaren Kern des Grundgesetzes, wie er in Art. 79 III GG umschrieben ist.

206

BVerwGE 128, 329 ( 333 f.). Siehe auch Wolfgang Franz, DÖV 2009, 1141 ff. 208 Vgl. auch Bettermann, Richteramt und Kommunalmandat, Festschrift Ule, 1977, 265 (286). 207

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament und ihre außerparlamentarischen Konkurrenten I. Das explosive Wachstum: Mutter der Probleme Solange die genannten Gelder noch gering waren, weil die Fraktionsmittel bloß für die innerparlamentarische Koordination gewährt wurden209 (siehe oben S. 12), weil zu Mitarbeitern von Bundestagsabgeordneten nur solche „Leute, die wirklich hier im Hause helfen,“ gemacht werden sollten (oben S. 13) und weil Parteistiftungen noch keine große Rolle spielten (oben S. 15), waren Bürgernähe und Chancengleichheit der Parteien noch kaum berührt. Mit dem Hochschießen der Finanzquellen und ihrer Verwendung auch für Parteiaufgaben hat sich die Situation aber dramatisch verändert. Jetzt gefährden die Fraktionsmittel, die Mitarbeiterfonds und die Parteistiftungen die Bürgernähe aufs Höchste und stellen zugleich einen enormen Wettbewerbsvorteil für die Parteien in den Parlamenten und ihre Abgeordneten dar, der durch zahlreiche in die Ämter patronierte Parteigenossen noch abgesichert wird (oben S. 20). Die Chancen kleiner Parteien und innerparteilicher Herausforderer werden stark gemindert.210

II. Bisher keine Anwendung der Maßstäbe Während für die Parteien im engeren formalen Sinne also zahlreiche vom Grundgesetz vorgesehene und vom Bundesverfassungsgericht konkretisierte Vorkehrungen gelten, die ein unkontrolliertes Anschwellen der „Selbst-Bedienung“ an staatlichem Geld und an staatlichen Posten verhindern, die Parteien in die Bürgernähe zwingen und Wettbewerbsverzerrungen unterbinden sollen, hat das Gericht für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen bisher keine Vorkehrungen entwickelt, es sei denn, man nimmt das Missbrauchsverbot ernst. Hinsichtlich der Funktionszulagen,211 der Ämterpatronage und der Öffent-

209 Als das Bundesverfassungsgericht die staatliche Fraktionsfinanzierung im Bundestag grundsätzlich für verfassungsmäßig erklärte, betrug diese 3,1 Millionen DM (1965), nicht wie heute rund 79 Millionen Euro. 210 Zur großen demokratietheoretischen Bedeutung kleiner Parteien und ihrer Chancengleichheit im politischen Wettbewerb siehe BVerfGE 111, 382 und oben S. 52. 211 Oben S. 19 und 51.

II. Bisher keine Anwendung der Maßstäbe

57

lichkeitsarbeit von Fraktionen212 bestehen zwar Verfassungsverbote, diese werden aber meist nicht beachtet. In Bezug auf Politikfinanzierung und Patronage herrschen deshalb Zustände, die Politikwissenschaftler an feudalistische Zeiten erinnern (siehe oben S. 24). 1. Öffentlichkeit Bei Parteistiftungen, Fraktionen und Mitarbeitern fehlt es im Bund und in vielen Ländern an einer spezialgesetzlichen Nennung der Beträge, die SelbstBewilligungen der öffentlichen Kontrolle unterwerfen. Erhöhungen erfolgen vielmehr durch bloße Änderung eines Haushaltstitels, die unter den Hunderten anderen Titeln leicht untergeht. Im Gesetzblatt findet sich dann ohnehin nichts über den erhöhten Betrag,213 und da die Opposition regelmäßig eingebunden wird, ermangelt das Verfahren auch „des korrigierenden Elements gegenläufiger Interessen“,214 worunter auch die Medien leiden, so dass die öffentliche Kontrolle erst recht unterlaufen wird.215 Angesichts der Heimlichkeit und des politischen Kartells können auch die Wähler keine der beteiligten Parteien mit dem Stimmzettel „abstrafen“. Über die Verwendung ihrer staatlichen Mittel legen die Fraktionen zwar öffentlich Rechenschaft. Das sehen die entsprechenden Bundes- und Landesgesetzen vor.216 In der Tat muss für Fraktionen, die sich zu fast 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanzieren, das für Parteien geltende Gebot (Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG) erst Recht gelten. Doch die Gesetze sind lückenhaft. So erfährt die Öffentlichkeit z. B. nicht, welche Funktionsträger wie hohe Zulagen erhalten; dies wird vielmehr gezielt abgedunkelt (siehe S. 19). Die Vorschriften dienen zudem dazu, durch allgemeine Nennung bestimmter Leistungen, die in Wahrheit verfassungswidrig sind, wie die genannten Funktionszulagen und die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen, den Eindruck zu erwecken, sie seien ohne weiteres

212 In BVerfGE 80, 188 (231) hat das Gericht einem fraktionslosen Abgeordneten einen Zuschuss mit der Begründung verweigert, die Fraktionszuschüsse seien für die Finanzierung der „der Koordination dienenden Parlamentsarbeit bestimmt und insofern zweckgebunden.“ Im Falle des fraktionslosen Abgeordneten fehle „es an einem solchen Koordinationsbedarf und dementsprechend auch an einem Anspruch auf finanzielle Gleichstellung.“ Klarer könnte es eigentlich nicht zum Ausdruck kommen, dass Öffentlichkeitsarbeit der Zweckbindung der Fraktionszuschüsse widerspricht. Siehe auch oben Fn. 67. 213 Näheres hinsichtlich der Abgeordnetenmitarbeiter bei von Arnim, DÖV 2011, 345 (346); hinsichtlich der Fraktionen bei von Arnim, Der Verfassungsbruch, 25 ff. 214 BVerfGE 85, 264 (292). 215 von Arnim, Verfassungsbruch, 20. 216 Für den Bund: § 52 AbgG. Siehe zur Forderung nach öffentlicher Rechenschaftslegung der Fraktionen und Stiftungen schon von Arnim, Parteienfinanzierung, 1982, 112 ff.

58

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

zulässig. Bei Parteistiftungen fehlt es an einer gesetzlichen Rechenschaftspflicht völlig, und auch Abgeordnete legen über die Verwendung ihrer persönlichen Mitarbeiter keine Rechenschaft. Eine Rechnungshofkontrolle der Verwendung der Staatsmittel findet nicht217 oder nur eingeschränkt218 statt. Die Prüfung durch die Rechnungshöfe und die Veröffentlichung ihrer Berichte können die Parlamente in eigener Sache ebenfalls regeln – oder eben auch nicht regeln bzw. entschärfen, auch wenn sie dabei nicht immer das Verfassungsrecht beachten.219 2. Bürgernähe Für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen gibt es keine Obergrenzen, weder absolute noch relative. Der allgemeine Rückgang von Mitgliedsbeiträgen und Kleinspenden hat keinerlei Auswirkung auf den Umfang des staatlichen Geldflusses, und selbst nach massiven Stimmenverlusten büßen die Fraktionen und ihre Abgeordneten nicht unbedingt an Staatsgeld und an Mitarbeitern ein.220 Den Parteimitgliedern fehlt jeder Einfluss auf die Fraktionen. Den Wählern geht es nicht viel besser. Sie können zwar die Größe der Fraktionen bestimmen, nicht aber ihre personelle Zusammensetzung. Wer Abgeordneter wird, bestimmen – entgegen Art. 28 Abs. 1 Satz 3, 38 Abs. 1 Satz 1 GG – nicht die Bürger, sondern im Wesentlichen Parteigremien (oben S. 22). Und die Abgeordneten selbst werden vom Fraktionsestablishment, dem fast das ganze enorm angeschwollene Fraktionspersonal untersteht, „untergebuttert“,221 wobei die Gängelung durch die Möglichkeit, Funktionszulagen zu verteilen, noch verschärft wird.222

217 Zur Nicht-Kontrolle der Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten: von Arnim, DÖV 2011, 345 (348 f.). Zur bisher mangelhaften Kontrolle auch der Mitarbeiter von Landesparlamentariern: ARD-Fernsehmagazin Report Mainz, Wildwuchs im Parlament – Warum Abgeordnete mehr Mitarbeiter brauchen, 9.5.2011 (Internet-Langfassung). 218 Zur beschränkten Rechnungshofkontrolle von Fraktionen: von Arnim, Der Verfassungsbruch, 49 ff. und 98 ff. 219 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 98 ff. – Die Parteistiftungen unterliegen dagegen der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof. 220 Dies zeigen jüngste Beispiele in Bayern, Sachsen, Thüringen und im Saarland, wo die jeweilige Regierungspartei zum Ausgleich für ihre nach den letzten Wahlen geschrumpfte Abgeordnetenzahl eine Anhebung der öffentlichen Mittel durchsetzte, so dass sie ihren finanziellen Stand behielt: von Arnim, Der Verfassungsbruch, 44 ff.; ders., DÖV 2011, 345 (350 f.). 221 Hans Apel, Die deformierte Demokratie, 1991, 277; Suzanne S. Schüttemeyer, Fraktionen im Deutschen Bundestag 1959–1997, 1998, 46 f. 222 Zur Verfassungswidrigkeit solcher der Freiheit des Mandats zuwider laufenden Extra-Diäten (oben S. 19).

II. Bisher keine Anwendung der Maßstäbe

59

Die von den Parteien mittels Patronage in die Ämter gebrachten Beamten, Richter, Führungspersonen von öffentlichen Wirtschaftsunternehmen, öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten und sonstigen öffentlichen Stellen sind oft nicht mehr absetzbar und von Bürgern, Parteimitgliedern und Wählern ohnehin völlig unabhängig. 3. Chancengleichheit a) Ausschluss kleiner Konkurrenzparteien An der Fraktions- und Mitarbeiterfinanzierung sind kleine Parteien, die lediglich mehr als 0,5- bzw. auf Landesebene mehr als 1 Prozent der Stimmen erlangt haben, nicht beteiligt, da die Sperrklausel beim Wahlrecht für den Einzug in die Parlamente mindestens 5 Prozent der Stimmen verlangt. Für die Fraktionsfinanzierung und die Mitarbeiterbezahlung gilt also eine 10- bzw. fünfmal so hohe Hürde wie für die Beteiligung an der Staatsfinanzierung der Parteien im formalen Sinne. Um an der Subventionierung der Parteistiftungen teilzunehmen, muss die Mutterpartei sogar seit mindesten zwei Wahlperioden im Bundestag vertreten sein.223 Der Ausschluss von den staatlichen Pfründen verschärft die Benachteiligung noch, die, wie das Bundesverfassungsgericht bemerkt, ohnehin darin liegt, dass nicht im Parlament vertretene Parteien geringere Chancen haben, „sich im Blick auf künftige Wahlen dem Wähler darzustellen und für ihre politischen Ziele zu werben.“ 224 Selbst bei der formalen Staatsfinanzierung im Sinne des Parteiengesetzes werden die Kleinen gezielt benachteiligt. Stimmen bei Kommunalwahlen werden nämlich nicht bezuschusst. Bei Berechnung der Staatsfinanzierung werden – neben Beiträgen und kleineren Spenden – nur die bei Bundes-, Landtags- und Europawahlen erlangten Wählerstimmen berücksichtigt. Kommunale Wählergemeinschaften und kleinere Parteien haben aber gerade bei Kommunalwahlen, bei denen keine Fünfprozent-Klausel besteht, oft erhebliche Erfolge. Diese Diskriminierung ihrer Konkurrenten haben die Parlamentsparteien schon in den Neunzigerjahren durchgesetzt – entgegen den Empfehlungen der Parteienfinanzierungskommission von 1993225 und im Widerspruch zum Sinn der Staatsfinanzierung, die die Verwurzelung bei den Bürgern prämieren soll (oben S. 49). Wo aber kommt die Bürgernähe stärker zum Ausdruck als in kommunalen Wahlerfolgen?226 Eine weitere Diskriminierung erfolgte erst jüngst durch die faktische Er-

223 224 225 226

von Arnim, Die Deutschlandakte, 2008, 122. BVerfGE 85, 264 (294). Bundestagsdrucksache 12/4425, S. 23 und 26. Siehe auch BVerfGE 85, 264 (328).

60

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

höhung der relativen Obergrenze, die ausschließlich kleine Parteien und Wählergruppen trifft und ihnen einen Teil ihres ohnehin geringen Staatsgeldes nimmt.227 Ebenso fehlt den Kleinen jegliche Patronagemacht, jedenfalls auf Bundes- und Landesebene, wo kommunale Wählergemeinschaften regelmäßig nicht vertreten sind und kleine Parteien durch die Fünf-Prozent-Klausel nach wie vor ausgesperrt werden. Karrierebewusste öffentliche Bedienstete werden deshalb primär in Parlamentsparteien eintreten. Kleine Parteien und kommunale Wählergemeinschaften sehen sich zudem in Verfassungsprozessen Gerichten gegenüber, deren Mitglieder andere, d. h., meist ihre politischen Gegner, bestellt haben. b) Bevorzugung von Abgeordneten im innerparteilichen Wettbewerb Parlamentsabgeordnete profitieren auch beim innerparteilichen Kampf um die Wiedernominierung von ihren staatsfinanzierten Leuten, und zwar doppelt. Diese nehmen ihnen im Parlament Arbeit ab und erleichtern es ihnen so, ihre Stellung im Wahlkreis auszubauen. Zudem erledigen sie auch dort direkt oder indirekt Arbeit für die Partei, was den parteiinternen Einfluss der Abgeordneten ebenfalls erhöht. Ihre Mitarbeiter verschaffen amtierenden Abgeordneten also einen erheblichen Vorsprung gegenüber möglichen Herausforderern. Noch größer ist die Ungleichbehandlung, richtet man den Blick auf Regierungsmitglieder und Fraktionsobere. Sie haben in dieser Funktion ohnehin Hilfskräfte und können ihre Pauschale für Abgeordnetenmitarbeiter deshalb in noch stärkerem Umfang als andere Abgeordnete im Wahlkreis und in der Parteiorganisation einsetzen. Einen weiteren Vorteil kann Abgeordneten auch ihre Öffentlichkeitsarbeit bringen, wenn sie aus Fraktionsmitteln gezahlt wird, was für Bundestagsabgeordnete ebenfalls möglich ist (§ 47 Abs. 3 AbgG).

III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen für die Parteien im Parlament 1. Öffentlichkeit a) Bewilligung für Fraktionen und Parteistiftungen Unerlässlich erscheint es, den für Diäten und Parteien geltenden strengen Gesetzesvorbehalt auch auf die Finanzierung von Fraktionen zu erstrecken, um öffentliche Kontrolle zu ermöglichen. Nur in Hamburg, Niedersachsen und Rhein227 Dazu von Arnim, Ungereimtheiten in der Parteienfinanzierung (erscheint in DVBl 2011).

III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen

61

land-Pfalz ist das bereits geltendes Recht. Der Gesetzesvorbehalt hat von Verfassungs wegen aber auch in anderen Ländern und im Bund zu gelten,228 desgleichen für Parteistiftungen.229 Da das Bewilligungsverfahren bei Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeitern im Bund und in den Ländern unterschiedlich ausgestaltet ist, kann an Hand zahlreicher Beispiele erhärtet werden, dass die Erhöhung eines im Gesetz verankerten Betrages der öffentlichen Kontrolle in der Regel deutlich stärker ausgesetzt ist als die Erhöhung eines bloßen Haushaltstitels und dies einen dämpfenden Effekt auf die Steigerungsraten besitzt.230 Das untermauert das verfassungsrechtliche Gebot spezialgesetzlicher Regelung auch empirisch. In Bayern sind die Fraktionszahlungen, die nur im Haushaltsplan bewilligt werden, inzwischen doppelt so hoch wie in Niedersachsen, in Thüringen doppelt so hoch wie in Rheinland-Pfalz. Selbst Hamburg bewilligt seinen Fraktionen weniger als das erheblich kleinere Bremen (siehe Tabelle 7). Der Abstand wäre wohl noch deutlich größer, wenn nicht auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz die Höhe ihrer Fraktionsmittel bis Ende 1993 bloß im Haushaltsplan ausgewiesen hätten.231 In den Achtzigerjahren hatten die Zahlungen in Niedersachsen noch auf ähnlichem Niveau gelegen wie in Bayern. In Thüringen waren die Beträge 1993 sogar noch niedriger als in Rheinland-Pfalz.232 Der Abstand Bremens zu Hamburg wäre vermutlich ebenfalls größer, wenn Hamburg nicht 1968 von der zahlenmäßigen Nennung im Gesetz vorübergehend abgerückt wäre233 und die Leistungen sich daraufhin verdoppelten.234 Auch in anderen Ländern wurden die konkreten Beträge aus dem Gesetz genommen, offenbar um hohe Steigerungen zu verschleiern. So stiegen die Zahlungen in Schleswig-Holstein in den Jahren 1968 und 1969 gewaltig an, nachdem

228 von Arnim, Der Verfassungsbruch, 29 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage hinsichtlich der Fraktionen bisher noch nicht entschieden, sondern sie ausdrücklich offen gelassen: BVerfGE 80, 188 (214 f.). 229 Auch hinsichtlich der Parteistiftungen hat das Bundesverfassungsgericht die Frage bisher offen gelassen: BVerfGE 73, 1 (39). 230 Hans-Jürgen Papier hatte dagegen noch bestritten, dass die gesetzliche Festlegung der Höhe der Zahlungen tendenziell zu einer intensiveren öffentlichen Kontrolle führt: Papier, Zur Verfassungsmäßigkeit der Fraktionsfinanzierung nach dem Bayerischen Fraktionsgesetz, BayVBl. 1998, 513 (515 f.). Dazu von Arnim, Verfassungsbruch, 33 ff. 231 Die Bezifferung der Höhe der Beträge wurde in Niedersachsen durch das 12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 30.11.1992 (GVBl. S. 311) eingeführt, in Rheinland-Pfalz durch das Fraktionsgesetz vom 21.12.1993 (GVOBl. S. 342). 232 von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, 1993, 76. 233 Änderungsgesetz vom 23.9.1968 (GVBl. S. 215).1979 wurde die zahlenmäßige Nennung wieder eingeführt: Gesetz vom 15.5.1979 (GVBl. S. 221). 234 von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, 73.

62

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

die gesetzliche Nennung, die bis 1967 bestanden hatte, aufgehoben worden war.235 Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein kommentierte dies wie folgt: „Ursprünglich (bis 1967) hatte das Gesetz die konkreten Beträge ziffernmäßig genannt. Davon ist das Land dann abgegangen. Es ist anzunehmen, dass dies in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer enormen Steigerung der Zahlungen steht. Eine Erhöhung ist leichter durchzusetzen, deren Gesamtbetrag lediglich in den Haushaltsplan eingestellt wird, als wenn es dazu der Änderung eines förmlichen Gesetzes bedürfte, in dem die Zahlungen, die die Fraktionen erhalten, ziffernmäßig aufgeführt sind.“236

Ähnliches geschah in Baden-Württemberg. Anfang 1969 wurde die Nennung der Beträge im Gesetz aufgegeben,237 was in diesem und im folgenden Jahr von einer Verdreifachung der Zahlungen an die Fraktionen begleitet wurde.238 Auch in Nordrhein-Westfalen erfolgte im Zusammenhang mit der Streichung der Beträge im Gesetz im Jahre 1979239 eine kräftige Anhebung der Zahlungen.240 b) Abgeordnetenmitarbeiter Auch für die Höhe der Gelder für Mitarbeiter fehlt im Bund, in Bayern und Brandenburg bisher eine spezialgesetzliche Regelung.241 Es überrascht deshalb nicht, dass dort die Zahlungen an Mitarbeiter ganz besonders hoch sind. Bayern nimmt mit großem Abstand die Spitze unter den Ländern ein; auch Brandenburg übertrifft vergleichbare Länder bei weitem. Dagegen sind Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo die Beträge im Gesetz genannt werden, sehr viel bescheidener (siehe oben S. 14). In Nordrhein-Westfalen wären die Beträge noch niedriger, wenn nicht 1991, als es noch keine gesetzliche Regelung gab, erheblich aufgestockt worden wäre (siehe Tabelle 5). Der Bundestag schüttet sehr viel mehr Geld für Abgeordnetenmitarbeiter aus als alle Länder zusammen (siehe ebenfalls S. 14). Bundes- und Landesverfassungsgerichte schreiben den Gesetzesvorbehalt nicht etwa nur für die steuerpflichtige Entschädigung, sondern auch für Aufwandsentschädigungen vor (siehe S. 45), zu denen auch die Erstattung von Mitarbeiter235 Gesetz vom 9.11.1967 (GVOBl. S. 237), Änderungsgesetz vom 28.10.1968 (GVOBl. S. 305). 236 Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, Gerichtsentscheid vom 24.5.1995 (AZ: 6 A 286/94), S. 5. 237 Zweites Änderungsgesetz zum Abgeordnetenentschädigungsgesetz vom 11.1. 1969 (GBl. S. 31). 238 von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, S. 73. 239 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 24.4.1979 (GVBl. S. 238). 240 von Arnim, Finanzierung der Fraktionen, 74 f. 241 von Arnim, DÖV 2011, 345 (350); von Arnim/Drysch, Art. 48 GG, Rn 282 f.

III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen

63

kosten gehört. Die in eigener Sache bewilligten Leistungen haben inzwischen einen Umfang und eine Brisanz erlangt, dass sie sich auch keinesfalls mehr als „unwesentlich“ abtun lassen.242 Der Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen hat den Düsseldorfer Landtag denn auch 1995 verpflichtet, den monatlichen Höchstbetrag für Abgeordnetenmitarbeiter nicht mehr nur im Haushaltsplan, sondern ab 1996 exakt im Abgeordnetengesetz auszuweisen.243 Der Bund, Bayern und Brandenburg halten jedoch ungerührt an der verfassungswidrigen Praxis fest. c) Rechenschaft über die Verwendung Auch die öffentliche Rechenschaftslegung über die Verwendung der Mittel ist von Verfassungs wegen geboten. Eine dahingehend gesetzliche Pflicht fehlt bisher aber für Parteistiftungen, ebenso für Abgeordnete. Wen Abgeordnete als Mitarbeiter beschäftigen und wie sie diese einsetzen, hat die Öffentlichkeit scheinbar nicht zu interessieren.244 Auch die Rechnungslegung der Fraktionen reicht in der derzeitigen Form nicht aus,245 wie man etwa an der Verheimlichung der Empfänger und der Höhe der Funktionszulagen sieht (oben S. 19).

2. Missbrauchsverbot und Gemeinwohlgebot Das Bundesverfassungsgericht fordert mit Recht, dass die Staatsmittel sich am Bedarf der Fraktionen orientieren (siehe oben S. 46 f.). Diese Forderung, die eigentlich nur etwas Selbstverständliches zum Ausdruck bringt, gilt sinngemäß auch für Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen. Bei genauerem Hinsehen besteht für eine solche Orientierung am Bedarf in dem derzeit praktizierten Bewilligungsverfahren, das Erhöhungen im Haushaltsplan quasi verschwinden lässt (oben S. 16 ff.), aber nicht die geringste Gewähr. Das signalisieren bereits die gewaltigen Wachstumsraten, die es als höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Bedarf wirklich derart rasant gestiegen ist. Soll sich der Bedarf von Bundestagsfraktionen seit 1950 wirklich ver-450-facht haben? Kann der Bedarf für Mitarbeiter pro Bundestagsabgeordneten seit 1969 auf das Sechsundzwanzig-

242 Das Diätenurteil hatte sich auf „wesentliche Teile“ der finanziellen Ausstattung von Abgeordneten bezogen (BVerfGE 40, 296 [327]). Vgl. auch von Arnim, Zur „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts, DVBl 1987, 1241 ff. 243 Entwurf eines 10. Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes NordrheinWestfalen, LT-Drs. 12/415, S. 6; dort ist ausdrücklich auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Bezug genommen. 244 Zur Verfassungswidrigkeit der Kontrolllosigkeit: von Arnim, Abgeordnetenmitarbeiter, DÖV 2011, 345 (349). 245 von Arnim, Verfassungsbruch, 49 ff.

64

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

fache gestiegen sein? Kann der Bedarf pro Landtagsabgeordneten in Bayern fast zehnmal so hoch sein wie in Schleswig-Holstein? (siehe oben S. 12 ff.). Die in Abstimmung mit den anderen Parlamentsfraktionen in eigener Sache häufig höchst öffentlichkeitsfern vorgenommene Bewilligung ist ihrem Wesen nach gerade nicht bedarfs-, sondern macht- und eigeninteressenorientiert.246 Das signalisieren auch die üblichen nichtssagenden Begründungen von Aufstockungen wie „Mehr infolge beschlossener Erhöhung“247 oder „Mehr nach dem voraussichtlichen Bedarf.“248 Die allseitig abgestimmte bloße Einstellung in den Haushaltsplan lässt eben auch unbegründete, vom Bedarf völlig losgelöste Steigerungen zu. Der Ausschluss der Öffentlichkeit verführt dazu, gar nicht genau zu überlegen und zu prüfen, ob und weshalb eine Ausweitung der Finanzen wirklich notwendig ist,249 so dass der scheinbare Geldbedarf, wie oben (S. 16) schon dargelegt, den unbegrenzten Wünschen folgt und damit auf Dauer gegen unendlich tendiert. Die Möglichkeit eines Immer-Mehr besitzt, wie Hans Magnus Enzensberger formuliert, große Ähnlichkeit mit dem Phänomen der Sucht.250 Hans Meyer spricht vom „Gesetz der zunehmenden Bedürftigkeit“, welches im Parlamentbereich wie ein Naturgesetz wirke.251 Deutlich wird die vom Bedarf unabhängige Bewilligung auch, wenn die Bemessungsgrößen für Fraktionszuschüsse auf einen Schlag drastisch erhöht werden, nur um der nach Wahlen dezimierten Regierungsfraktion ihren finanziellen Stand zu erhalten. Dies war z. B. in Bayern nach der Landtagswahl 2008252 und im Saarland nach der Wahl 2009253 der Fall. Andere Fraktionen schwammen daraufhin nur so im Geld. Ähnliche Effekte zeigten sich nach der Wahl in Bayern auch bei den hochgeschossenen Bewilligungen für Abgeordnetenmitarbeiter.254 246 Zum grundlegenden Unterschied zwischen beiden Verfahrenstypen von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, 203 ff. 247 Zahlreiche Belege bei von Arnim, Staatliche Fraktionsfinanzierung unter Kontrolle?, 1987, 21 f.; ders., Finanzierung der Fraktionen, 1993, 15 ff. 248 So durchgehend selbst bei sehr großen Erhöhungen der Fraktionsmittel z. B. im Bayerischen Landtag. von Arnim, Der Verfassungsbruch, Anlage 7. 249 Christine Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 1990, 101. 250 Hans Magnus Enzensberger, Mittelmaß und Wahn, 1988, 132. 251 Hans Meyer, Das fehlfinanzierte Parlament, in: Peter M. Huber/Wilhelm Mößle/ Martin Stock (Hg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995, 17 (18). 252 von Arnim, Zusatzdiäten in Bayern: verfassungswidrig und ohne Kontrolle, Münchner Merkur vom 23.8.2010, S. 4; ders., Verfassungsbruch, 2011, 40 ff.; ARDFernsehmagazin Panorama, Landtagsfraktionen kassieren erheblich mehr Geld, Sendung vom 4.11.2010. 253 Guido Peters, von Arnim: Zu viel Geld für Fraktionen, Saarbrücker Zeitung vom 25.11.2010. Replik: Guido Peters, Parteien: „Weltfremde Argumentation“, Saarbrücker Zeitung vom 26.11.2010. Duplik: „von Arnim: Landtag verhält sich verfassungswidrig“, Saarbrücker Zeitung vom 27./28.11.2010. 254 von Arnim, Abgeordnetenmitarbeiter, DÖV 2011, 345 (350); ders., Abgeordnetenmitarbeiter ohne Kontrolle, Münchner Merkur vom 6./7.8.2011, S. 4.

III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen

65

In Bayern und Brandenburg wird die Versuchung zum Missbrauch dadurch noch weiter erhöht, dass Abgeordnete auch ihre Vettern und Geschwister auf Staatskosten einstellen können (siehe S. 14). Die bloß in den Haushaltsplan eingestellte, allseitig abgesprochene Finanzierung in eigener Sache indiziert stets Missbrauch. Während das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren normalerweise zu inhaltlicher Ausgewogenheit und Richtigkeit der Ergebnisse tendiert, ist es hier umgekehrt: Das Verfahren verspricht typischerweise Unrichtigkeit.255 Diese Feststellungen gelten für die bloß haushaltsmäßige Bewilligung von Mitteln für Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen genau so wie für Fraktionen. Die offensichtliche Missbrauchsanfälligkeit und Gemeinwohlgefahr bestärkt das Argument für die verfassungsrechtlich gebotene spezialgesetzliche Regelung der konkreten Beträge (siehe S. 60 ff.). 3. Bürgernähe a) Absolute Obergrenze Auch absolute Obergrenzen sind für alle drei Bereiche verfassungsrechtlich geboten. Das Bundesverfassungsgericht sieht den Grund bei der Staatsfinanzierung der Parteien darin, dass der Eindruck der Selbstbedienung vermieden wird und die Parteien ihr Ansehen und ihre Funktionsfähigkeit möglichst bewahren sollen (siehe oben S. 49). Diese Überlegungen treffen auf Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen nicht weniger zu. Für sie müssen die Mittel deshalb ebenfalls durch Obergrenzen eingefroren werden. Da die Parlamente sich kaum selbst begrenzen werden, fällt den Verfassungsgerichten die Aufgabe zu, dies durchzusetzen – genau wie das Bundesverfassungsgericht es für die Parteien im formalen Sinne erzwungen hat. Wie bei diesen reicht der Gesetzesvorbehalt allein (soeben S. 60 ff.) nicht aus. So können etwa im Rahmen komplexer und heterogener Artikel- und Paketgesetze, bei denen die Erhöhung z. B. erst im Parlamentsauschuss eingefügt wird, auch sprunghafte Erhöhungen nahezu unbemerkt ergehen. Die jüngste Steigerung der Zahlungen für Abgeordnetenmitarbeiter in Sachsen (oben S. 15) gibt dafür ein Beispiel.256 Das Thema Blitzgesetzgebung zur Ausschaltung oder Schwächung der öffentlichen Kontrolle ist dem Beobachter auch von anderen Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache vertraut.257 Ein aktuelles Beispiel für ein solches Blitzgesetz ist das Bundes-

255 von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland, 2. Aufl., 1996, 36. 256 Näher dazu von Arnim, DÖV 2011, 345 (351). 257 Beispiele aus der bundesrepublikanischen Geschichte bei von Arnim, Der Staat als Beute, 1993.

66

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

gesetz zur Änderung der Abgeordnetendiäten und des Parteiengesetzes vom Juli 2011.258 Angesichts des Missbrauch provozierenden Bewilligungsverfahrens bei Erlangung des bisherigen Finanzierungsniveaus (siehe S. 64 f.) sollte auch bei steigenden Löhnen und Preisen keinerlei Erhöhung zulässig sein.259 Dadurch könnte das überzogene Finanzierungsniveau, real gerechnet, allmählich abgeschmolzen werden, so dass den Begünstigten keine sofortige erhebliche Kürzung zugemutet werden müsste. b) Relative Obergrenze Relative Obergrenzen einzuführen, dürfte einerseits sehr viel ferner liegen. Denn Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen werden bisher ja praktisch ganz staatlich finanziert. Die Pflicht zur hälftigen Privatfinanzierung würde für sie deshalb auf eine sofortige, radikale Kürzung mit großen Härten und unübersehbaren Folgen hinauslaufen. Andererseits ist, um den unbegrenzten Finanzhunger der Fraktionen verfahrensmäßig zu verringern, eine Teilfinanzierung jedenfalls der Fraktionen etwa durch Beiträge von Abgeordneten oder durch Zuschüsse seitens der Parteien – flankiert durch Anhebungen der Diäten bzw. der Parteienfinanzierung – in der Literatur durchaus vorgeschlagen worden.260 Eine derart grundlegende Umstellung dürfte allerdings kaum eine Chance der Realisierung besitzen; sie ist vom Verfassungsgericht nicht zu erwarten,261 und von den Fraktionen schon gar nicht. Realistischer erscheint es, dass das Bundesverfassungsgericht die nötige Eindämmung im Wege intensiver Kontrolle durch die Einführung von Gesetzesvorbehalt, Obergrenzen etc. vornimmt. Darauf wird deshalb hier der Nachdruck gelegt. Näher läge eine relative Obergrenze allerdings hinsichtlich der gesamten Parteienfinanzierung im materiellen Sinne. Um was es geht, mag eine Modellrechnung illustrieren, die der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl angestellt hat. Er geht, „wie es unter Parteienforschern üblich“ sei, davon aus, „dass die Partei der Amtsträger genauso wie die Parteileitung und die Parteibasis integraler Be-

258 Siehe von Arnim, Die Parteiendiäten-Novelle – ein Blitzgesetz (erscheint in NJW 2011); ders., Eine steile Gehaltskurve, Die Tageszeitung vom 7.7.2011, S. 1 und 10. 259 Dagegen kann die absolute Obergrenze bei der staatlichen Parteienfinanzierung im engeren Sinne entsprechend den Lohn- und Preissteigerungen erhöht werden: BVerfGE 85, 264 (291 f.). Dies sollte bei den Parteien im Parlament, jedenfalls auf viele Jahre, ausgeschlossen werden. 260 So von Hans Meyer und Martin Morlok. Siehe dazu von Arnim, Der Verfassungsbruch, 43 m.w. N. 261 Zu den Grundsätzen der Verfassungsinterpretation, die überzogene, weltfremde Ergebnisse ausschließen, oben S. 44.

III. Verfassungsrechtliche Konsequenzen

67

standteil einer Partei“ sei.262 Dazu rechnet er die Fraktionszuschüsse, die Globalzuschüsse der Stiftungen, die Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter und die Parteisteuern. Seine Rechnung ergibt, dass „die verfassungsrechtlich bedeutsame 50Prozent-Marge“ deutlich überschritten werde. „Von Legislaturperiode zu Legislaturperiode [komme] es seit 1968 zu einem Anstieg der Staatsquote. Sie [betrage] zu Beginn der 1970er 63 Prozent und [erhöhe] sich ab den späten 1990ern auf 79 Prozent.“ 263 Eine im Prinzip ähnliche Rechnung hatte der Politikwissenschaftler Thomas Poguntke schon Mitte der Neunzigerjahre angestellt. Er bezog sie allerdings auf die Parteizentralen, die parties in central office, weil diese zusammen mit den Parteien in öffentlichen Ämtern, den parties in public office, den eigentlichen staatlichen Machtapparat darstellten.264 Selbst ohne Einbeziehung der Fraktionen, Parteistiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter fluktuierte die Staatsquote damals um die 60 Prozent-Marke.265 In einer zweiten Rechnung bezog Poguntke die Einnahmen der Parteistiftungen und die Zuschüsse an die Fraktionen des Bundestags (nicht aber die Gehälter von Abgeordnetenmitarbeitern) mit ein, was die Staatsquote auf etwa 90 Prozent ansteigen ließ.266 Klaus von Beyme, ebenfalls Politikwissenschaftler, hält diesen Ansatz für „unfair“, weil Poguntke „die gesamten Stiftungen in die Rechnung einbezogen und dann ein zehnfach höheres Jahreseinkommen festgestellt [habe] als sonstige Einnahmen.“ 267 Der Einwand erscheint hinsichtlich der vollen Einbeziehung der Stiftungen berechtigt. von Beyme rechnet seinerseits aber einseitig, weil er die Fraktionen außen vor lässt und die Stiftungen nicht einmal teilweise berücksichtigt.268 Dabei hatte Poguntke die Abgeordnetenmitarbeiter gar nicht mit eingerechnet. von Beyme setzt sich auch in Widerspruch zu der gründlichen Arbeit seiner Schülerin Christine Landfried. Landfried zählt „zu den staatlichen Geldern auch Sonderbeiträge der Fraktionsmitglieder.“ Und fährt dann fort: „Für eine Beurteilung der Etatisierung sind darüber hinaus die indirekten Formen der öffentlichen Finanzierung zu berücksichtigen. Selbst wenn man, wie in der vorliegenden Ar262

Wiesendahl, Parteien, 2006, 112. Wiesendahl, ebenda, 115 f. 264 So auch Wiesendahl, ebenda, 51. – Zum materiellen Parteibegriff der Politikwissenschaft und zu den im Text genannten Unterbegriffen siehe oben S. 38. 265 Thomas Poguntke, Parties in a Legislatic Culture, in: Katz/Mair (eds.), How Parties Organize, 1994, 185 (196 f.), unter Hinweis auf Christine Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 1990, 95, 115. 266 Poguntke, 197. Dieses Ergebnis einer 90%-Quote in Deutschland wurde übernommen von Peter Mair, Party Organizations: From Civil Society to the State, in: Katz/ Mair (Hg.), How Parties Organize, 1 (9 f.); Mair, Party System Change, 1997, 142. 267 von Beyme, Parteien im Wandel, 2000, 140. 268 von Beyme, ebenda, 141. 263

68

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

beit begründet wurde, die staatlichen Gelder für Stiftungen und Fraktionen nicht einfach betragsmäßig zur Summe der öffentlichen Finanzierung addieren kann, so ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil dieser Gelder als öffentliche Parteienfinanzierung zu charakterisieren ist. Auch der Steuerverlust des Staates für Beiträge und Spenden kommt als öffentliche Subvention der Parteien hinzu. Auf diese Weise verschiebt sich die Relation zwischen Eigenfinanzierung und staatlicher Finanzierung der Parteien, die sich ohnehin auf die 50 Prozent-Grenze zubewegt, noch einmal in Richtung einer größeren Etatisierung.“ 269 Um – angesichts der erforderlichen Schätzungen – auf der sicheren Seite zu sein, wollen wir in einer eigenen Rechnung von einem sehr viel zurückhaltenderen Modell ausgehen. Wir unterstellen, dass nur die Hälfte der Fraktionsmittel, die Hälfte der Aufwendungen für Abgeordnetenmitarbeiter und die Hälfte der Inlandsausgaben der Parteistiftungen ihren jeweiligen Mutterparteien zugute kommen. Schlägt man diese Summen den Finanzen der Parteien im formalen Sinne zu und ermittelt daraus dann den Staatsanteil, ergibt sich für 2008 eine Staatsquote von 55 Prozent und für das Bundestags- und Europawahljahr 2009, in dem zudem in mehreren Ländern Parlaments- und Kommunalwahlen stattfanden, mit seinen sehr hohen Spendeneinnahmen der Union und FDP immerhin noch eine Staatsquote von 52 Prozent. Berücksichtigt man, dass wir bei dieser Rechnung – anders als Wiesendahl – nicht die vollen Staatsmittel der Parteien im Parlament einbeziehen, sondern nur jeweils die Hälfte; dass wir – anders als Landfried – nicht die indirekte Staatsfinanzierung durch Steuervergünstigungen (siehe oben S. 52) einbeziehen und die Parteianteile von Abgeordneten und Regierungen schon gar nicht, so dürfte die ermittelte Staatsquote eher unter- als übertrieben sein. Natürlich müsste die hier angestellte Globalrechung auf die einzelnen Parteien herunter gebrochen werden, da die relative Obergrenze ja für jede einzelne Partei gilt. Die Rechnung zeigt aber bereits, dass die Staatsquote im Durchschnitt über der 50 ProzentMarke liegt. Selbst wenn ein solcher Ansatz – schon wegen der dabei vorgenommenen Grobheit der Schätzungen – die Errichtung von relativen Obergrenzen für die Finanzierung der Gesamtparteien im weiteren, materiellen Sinn nicht tragen können sollte, dürfte er doch ein weiteres, starkes Argument für die Errichtung von absoluten Obergrenzen (siehe S. 65) darstellen. 4. Zwischenergebnis Um das unkontrollierte Wachstum der öffentlichen Gelder für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen wenigstens in Zukunft unter Kontrolle zu 269

Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 1990, 114 f.

IV. Kontrollinstanzen

69

bringen, sind spezialgesetzliche Regelungen, absolute Obergrenzen und eine verschärfte Verwendungskontrolle unerlässlich. Diese Vorkehrungen sind von Verfassungs wegen geboten.270 5. Wettbewerbsverzerrungen Das Abheben der Parteien „von unten“ korrespondiert mit einer Abschottung auch gegenüber konkurrierenden Parteien, Wählergemeinschaften und Kandidaten, die wegen der Fünf-Prozent-Klausel bei Parlamentswahlen von Fraktionsgeldern, Mitarbeiterfonds und Parteistiftungen ausgeschlossen sind. Da die Summen, wie dargelegt, zu einem erheblichen Teil den Mutterparteien zu Gute kommen und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, führt der Ausschluss der Kleinen zu gewaltigen Wettbewerbsverzerrungen, die mit den Grundsätzen der politischen Gleichheit unvereinbar sind. Hinzu kommt die Benachteiligung der Kleinen bei der formalen Staatsfinanzierung, da Wählerstimmen auf der Kommunalebene nicht berücksichtigt werden. Gerade dort sind kommunale Wählergemeinschaften aber zu Hause und auch kleine Parteien oft besonders erfolgreich. Die Diskriminierung der Kleinen vertieft auch die Bürgerferne der Parteien noch weiter; Funktion des Wettbewerbs ist es ja, die Etablierten in die Bürgernähe förmlich zu zwingen (siehe oben S. 52). Auch hinsichtlich der Wettbewerbsverzerrung lässt sich mit den soeben unter 4. zusammengefassten Maßnahmen immerhin eine weitere Verschärfung für die Zukunft verhindern sowie ein allmähliches reales Abschmelzen erreichen.

IV. Kontrollinstanzen 1. Die Durchsetzungsfrage Sollen die hier entwickelten Vorschläge nicht in den Bibliotheken verstauben, darf auch die Frage ihrer Realisierung nicht übergangen werden. Im Folgenden soll deshalb, zumindest in groben Zügen, aufgezeigt werden, dass und auf welchen Wegen die erforderlichen Reformen praktisch durchgesetzt werden können. Klar ist, dass von den Parlamenten und der sie beherrschenden politischen Klasse selbst nicht viel zu erwarten ist. Deshalb ist nach anderen Akteuren Ausschau zu halten. In Betracht kommen vor allem das Volk selbst sowie die Verfassungsgerichte und Rechnungshöfe.

270 Siehe auch von Arnim, Der Verfassungsbruch, 31 f., 39 f., 98 ff.; ders., DÖV 2011, 345 (351).

70

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

2. Das Volk selbst Zur Durchsetzung kommen einmal direktdemokratische Verfahren in Betracht, die inzwischen in allen Bundesländern eröffnet sind. Auf diesem Wege hat zum Beispiel Hamburg, das ursprünglich nur starre Parteilisten bei Bürgerschaftswahlen kannte, inzwischen ein bürgernahes Wahlrecht erhalten.271 Die Direktwahl der Bürgermeister, die es früher nur in Baden-Württemberg und Bayern gegeben hatte, wurde in vielen Ländern ebenfalls mittels direkter Demokratie durchgesetzt.272 Jetzt werden die Bürgermeister in sämtlichen Flächenländern direkt gewählt. Das könnte zum Vorbild für weitere Reformen auf Landesebene werden. Das Parteienrecht ist Bundessache (Art. 21 Abs. 3 GG). Mangels direkter Demokratie auf Bundesebene kann z. B. die Finanzierung der Parteien und der (Bundes-)Parteistiftungen nicht direkt durch das Volk „zurückgedreht“ werden.273 Das gilt aber nur für die Parteien im formalen Sinn. Dagegen ist die Finanzierung der Fraktionen, Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter, jedenfalls in den Ländern, Ländersache. Das sog. Finanztabu, das in Deutschland regelmäßig den Haushaltsplan der direkten Demokratie entzieht,274 muss – auch angesichts der missbrauchsanfälligen Selbstbewilligungsverfahren – restriktiv ausgelegt werden. 3. Verfassungsgerichte: wer ist befugt, zu klagen? Die Beseitigung verfassungswidriger Regelungen und Maßnahmen ist – jedenfalls in letzter Instanz – Sache der Verfassungsgerichte. Sie können gegen die missbrauchsanfällige, wettbewerbsverfälschende Selbst-Bewilligung und die unkontrollierte Verwendung von Mitteln für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen (siehe oben S. 44 ff., 56 ff. und 60 ff.) Front machen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Ämterpatronage (S. 20 ff., 33 f.). Die Verfassungsgerichte können wie bei den Diäten, der Parteienfinanzierung, der Wissenschaft und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verfahrensmäßige und/oder organisatorische Vorkehrungen vorschreiben, die die fatale Praxis eindämmen.275

271 Andreas von Arnault, „Refolution“ an der Elbe: Hamburgs neue direkte Demokratie, in: Feld/Huber/Jung/Welzel/Wittreck (Hg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, 90 ff. 272 von Arnim, Die politische Durchsetzung der Kommunalverfassungsreform der neunziger Jahre, DÖV 2002, 585 ff. 273 von Beyme, Parteien im Wandel, 2000, 143: „Nur durch eine Initiative aus dem Volk, das in allen Ländern gegenüber dieser Form der Parteienfinanzierung überwiegend misstrauisch blieb, wäre es möglich, das Rad zurückzudrehen.“ 274 von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, 2000, 201 ff. 275 Näheres hinsichtlich der Ämterpatronage bei von Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980, 60 ff.

IV. Kontrollinstanzen

71

Die Verfassungsgerichte werden, wie alle Gerichte, aber nur auf Antrag tätig. In Betracht kommt einmal die Organklage einer kleineren Partei.276 Diese könnte z. B. geltend machen, dass sie von den gewaltigen staatlichen Ressourcen ausgeschlossen ist, die die Parlamentsparteien sich durch verfassungswidrige Entschärfung der Bewilligungs- und Verwendungskontrollen verschafft haben und die ihre Schlagkraft im Wahlkampf und auch sonst beim Bestreben, Zulauf für ihre Partei und ihr Programm zu erlangen, erhöhen, und dass dies das Recht der Außenseiter auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb277 massiv beeinträchtigt (für Klagen zum Bundesverfassungsgericht: § 64 Abs. 1 BVerfGG). Zwar berühren die beanstandeten Regelungen die kleinen Parteien nur mittelbar. Denn sie gelten für sie ja gerade nicht. Bei Behandlung der Steuervergünstigung von Parteispenden und -beiträgen, die unmittelbar ja nur die Spender und Mitglieder betreffen, hat das Bundesverfassungsgericht aber klargestellt, dass auch dann ein Widerspruch zur Chancengleichheit der Parteien vorliegt, wenn sich aus der „praktischen Auswirkung“ einer Norm „eine offenbare Ungleichheit ergibt und diese Ungleichheit gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist.“ 278 Dies ist auch hier der Fall. In dem genannten Urteil heißt es weiter: „Greift der Gesetzgeber durch eine positive Regelung auch nur mittelbar in den Bereich der politischen Willensbildung in einer Weise ein, dass dadurch die Chancengleichheit der politischen Parteien berührt werden kann, so muss er beachten, dass seinem Ermessen in diesem Bereich besonders enge Grenzen gezogen sind.“ 279 Aus ähnlichen Gründen war auch die Klage der Grünen gegen die exklusive Finanzierung der Stiftungen der Bundestagsparteien zulässig.280 Da die Klagefrist von sechs Monaten zu laufen beginnt, „nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist“ (§ 64 Abs. 3 BVerfGG), sollte die Klage im Anschluss an eine Erhöhung von Fraktions- und/oder von Mitteln für Abgeordnetenmitarbeiter erhoben werden,

276 Das Bundesverfassungsgericht erkennt den Parteien in Sachen Organklage in ständiger Rechtsprechung Organqualität zu: BVerfGE 4, 27; 79, 379 (383). 277 BVerfGE 73, 1 (29); 73, 40 (65); 85, 264 (297 f.). 278 BVerfGE 8, 51 (64). Siehe auch schon BVerfGE 6, 273 (275, 278). 279 BVerfGE 8, 51 (64 f.). 280 BVerfGE 73, 1 (27 ff.), Urteil vom 14.7.1986. Die Grünen klagten damals gegen das Ende 1982 beschlossene Haushaltsgesetz (BGBl. I S. 1811 vom 22.12.1982); damals waren sie noch nicht im Bundestag vertreten. – Das Gericht hatte es seinerzeit allerdings abgelehnt zu überprüfen, ob die bloße Bewilligung der Mittel im Haushaltsplan zulässig sei, weil diese Frage nicht das Recht der Grünen auf Chancengleichheit betreffe (BVerfGE 73, 1, [29, 39]). Damals war noch nicht erkannt worden (und jedenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens), dass (wie oben S. 16 ff. dargelegt) gerade die mangelnde gesetzliche Regelung eine wesentliche Ursache für das Hochschießen der selbstbewilligten Mittel und damit für die immer intensivere Verletzung der Chancengleichheit darstellt.

72

F. Zuschneidung der Maßstäbe auf die Parteien im Parlament

die dann auch primär Gegenstand des Verfahrens ist.281 Der Antrag kann zwar nicht auf Verschaffung derselben finanziellen Leistungen lauten, die Parlamentsparteien auf Grund ihrer Privilegien erhalten, denn darauf besteht kein Anspruch, sondern nur auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der neuerlichen Erhöhung und auf die Einführung von Vorkehrungen, die ein weiteres unkontrolliertes Anwachsen sowie eine unkontrollierte Verwendung (und damit eine Intensivierung der Benachteiligung im Wettbewerb) verhindern und so ein Abschmelzen herbeiführen; gerügt wird also auch das bisherige Unterlassen solcher Vorkehrungen durch den Gesetzgeber.282 Das Unterlassen kommt darüber hinaus in der jüngst vorgenommenen Erhöhung der Entschädigung von Bundestagsabgeordneten und der staatlichen Parteienfinanzierung zum Ausdruck.283 Klagemöglichkeiten bestehen auch zu den Landesverfassungsgerichten. In Betracht kommt auch eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Sie kann jedermann mit der Behauptung erheben, er sei in seinen Grundrechten oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4 GG (Widerstandsrecht), in Art. 33 (gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern) oder in 38 GG (Wahlrechtsgrundsätze) enthaltenen Rechte verletzt (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Hier kommt die Beschwerde von Wählern, Kandidaten und Mitgliedern kleiner Parteien in Betracht, die die gleichheitswidrige Benachteiligung ihrer Partei und damit auch die gleichheitswidrige Verletzung ihres aktiven und passiven Wahlrechts bzw. die Minderung ihres politischen Einflusses rügen. Die Beschwerde muss innerhalb eines Jahres erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Zu denken ist auch an die Beschwerde eines jeden Parteimitglieds oder auch eines jeden Bürgers; sie könnte sich darauf richten, dass das Wahlrecht und generell das Recht der politischen Partizipation ausgehöhlt werden, weil die hoch schießenden Selbst-Bewilligungen der Fraktionen, Stiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter bei gleichzeitig mangelnder Verwendungskontrolle die Parteien immer weiter von den Bürgern entfernen, so dass diese ihre Vermittlungsfunktion nicht mehr wahrnehmen können und die demokratische Willensbildung von un281 Zugleich sollten – vorsorglich – die Entscheidungen, mit denen der Parlamentspräsident die Mittel für die Fraktionen festsetzt, und die Entscheidungen der Parlamentsverwaltung über die Zahlungen für Abgeordnetenmitarbeiter angegriffen werden. 282 Dass der Gesetzgeber in einem Verfassungsorganstreit wegen Unterlassens der Normsetzung in Pflicht genommen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht bisher allerdings nicht eindeutig bejaht (BVerfGE 92, 80 [87]); 103, 164 [168 f.]), wird aber in der Literatur befürwortet, z. B. von Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar (Loseblatt), § 64, Rn 38. Bejahend auch VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, 783 (784 f.); VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, 1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, 64 (65). 283 Zehntes Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und Achtundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 23.8.2011, BGBl. I S. 1748. Dazu von Arnim, NJW 2011 (im Erscheinen) und ders., DVBl 2011 (im Erscheinen).

IV. Kontrollinstanzen

73

ten (Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG) sich umkehrt. Auf diese Weise könnte möglicherweise eine massive Verringerung des Bürgereinflusses gerügt werden, ähnlich wie bei der Übertragung von Kompetenzen an die Europäische Union, die den Einfluss des Bürgers bei Bundestagswahlen auszuhöhlen droht.284 Mit der im Gang befindlichen Verschiebung des Schwergewichts von den formalen Parteien auf die Parteien im Parlament werden mehrere Rechte des Bürgers schwer beeinträchtigt, so – das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1 GG), – das urdemokratische Recht, Einfluss auf den Staat zu entfalten, auch zwischen den Wahlen (Art. 20 Abs. 1 GG), – das Recht, Parteien zu bilden (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) bzw. ihnen beizutreten und über sie politischen Einfluss zu nehmen.

4. Rechnungshöfe Zur Prüfung etwa des Einsatzes von Abgeordnetenmitarbeitern und zur Beanstandung verfassungswidriger Zahlungen, etwa von Funktionszulagen seitens der Fraktionen, sind auch die Rechnungshöfe berufen. Das versteht sich für die Kontrolle der Mittelverwendung von selbst. Die Beanstandungsbefugnis gilt aber auch für die Verfahren der parlamentarischen Bewilligung. Die Rechnungshöfe respektieren politische Entscheidungen zwar grundsätzlich. Sie sind erklärtermaßen aber auch befugt, die tatsächlichen Prämissen politischer Entscheidungen zu überprüfen und unvorhergesehene negative Konsequenzen aufzuzeigen.285 Sie haben das Recht und die Pflicht, Bewilligungsverfahren, die missbräuchlichen Entscheidungen geradezu Vorschub leisten (siehe S. 60 ff. und 63 ff.), den Grundsatz der Bürgernähe verletzen (S. 65 ff.) und gegen die politische Chancengleichheit verstoßen (siehe S. 69), öffentlich zu beanstanden,286 ohne dass dies aber rechtliche Verbindlichkeit besäße; das Schwert der Rechnungshöfe ist die öffentliche Kritik. Sie bedürfen – im Gegensatz zu den Gerichten – keines Antrags, sondern greifen von Amts wegen ein.

284 BVerfGE 89, 155 (182 ff.) – Maastricht; BVerfG, 30.6.2009 (Lissabonurteil), Abs.-Nr. 167 ff.; BVerfG, 7.9.2011 (Euro-Rettung), Abs.-Nr. 93 ff. 285 So die Einleitung zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs für das Haushaltsjahr 1978, BT-Drs. 9/38, S. 4; seitdem ständige Formel. 286 Siehe auch BVerfGE 20, 56 (96): Der Rechnungshof kann „Haushaltsansätze und ihre Verwendung als verfassungswidrig beanstanden“.

G. Zusammenfassung 1.

Die Subventionen an Bundestagsfraktionen haben sich, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, seit 1950 ver-450-facht; die öffentlichen Leistungen an Landtagsfraktionen sind genau so explodiert. Die Zahl der 1969 geschaffenen, staatlich bezahlten Abgeordnetenmitarbeiter ist, erst recht unbemerkt, in Bund und Ländern auf 10.000 hochgeschossen. Für alles zusammen zahlt der Steuerzahler inzwischen über 400 Millionen Euro, sehr viel mehr also als er offen den Parteien gewährt; diese wurden bisher mit 133 Millionen Euro subventioniert, ab 2012 werden es 150,8 Millionen sein (S. 12 ff.). Die Ämterpatronage blüht (S. 20, 33), und die Parteistiftungen erhalten allein für ihre Inlandsarbeit noch einmal 100 Millionen Euro im Jahr (S. 15).

2.

Diese so genannten Parteien im Parlament können sich die Mittel eben selbst bewilligen, den öffentlichen Dienst für ihre Zwecke einspannen und die Kontrollen bei der Bewilligung und der Verwendung der Ressourcen weitgehend ausschalten (S. 16–19). So werden dem Missbrauch, der öffentlichen Verschwendung, der verschleierten Parteienfinanzierung und der Verzerrung des politischen Wettbewerbs Tür und Tor geöffnet. Die Verfahren sind ungeeignet, den wirklichen Bedarf festzustellen. Die normale Tendenz der parlamentarischen Willensbildung zu Ausgewogenheit und inhaltlicher Richtigkeit schlägt hier um in tendenzielle Unrichtigkeit (S. 63–65).

3.

Die Geld- und Personalschwemme geht in ihren Auswirkungen über die bloße Belastung der öffentlichen Haushalte weit hinaus und lässt die Fraktionen, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sowie die Stiftungen immer mehr an die Stelle der durch finanzielle Deckelung, Mitgliederschwund und -überalterung gedrosselten Parteien treten. Die Parteien im Parlament werden zu Ersatzparteien, ohne aber die wichtigste demokratische Parteiaufgabe, den Bürgerwillen „nach oben“ zu vermitteln, wahrnehmen zu können (S. 25 ff.).

4.

Die im Gang befindliche Schwerpunktverschiebung wird vom Parteiengesetz nicht mehr erfasst. Die Politikwissenschaft hat deshalb neben den formaljuristischen einen materiellen Parteibegriff gestellt, der auch die Fraktionen, die Abgeordnetenmitarbeiter, die Parteistiftungen und das von den Parteien in öffentliche Stellen patronierte Personal mit umfasst (S. 35 ff.).

5.

Doch die daraus folgenden Probleme blieben bisher teils unbemerkt, teils unbearbeitet. Die Staatsrechtslehre arbeitet sich, jedenfalls in ihren Hauptströmungen, an immer neuen Kommentierungen des Parteiengesetzes ab.

G. Zusammenfassung

75

Die Politikwissenschaft hat die Entwicklung, zumindest bis in die Neunzigerjahre, durchaus verfolgt, scheut sich aber – auf Grund ihrer meist vertretenen methodischen Zurückhaltung gegenüber Wertungen –, die Dinge zu problematisieren. Da auch der breiten Öffentlichkeit das Thema bisher entgangen ist, droht es zwischen alle Stühle zu fallen – in einen quasi-rechtsund kritikfreier Raum (S. 42). 6.

Um Parteien (im formalen Sinn) und Abgeordnete, die sich ihre Staatsmittel ebenfalls selbst bewilligen, unter die Kontrolle der Gemeinschaft zu bringen, hat das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Urteilen mehrere Grundsätze entwickelt: Öffentlichkeit, Staatsfreiheit bzw. Bürgernähe sowie Gleichheit der Bürger und Chancengleichheit der Parteien; hinzu kommt das allgemeine Missbrauchsverbot (S. 44–55).

7.

Diese Grundsätze werden auf die Parteien im Parlament bisher nicht angewendet, so dass fatale Effekte wie Bürgerferne und Wettbewerbsverfälschungen bei ihnen nun erst recht auftreten. Damit verlieren auch die Parteien insgesamt ihren gesellschaftlichen Kontakt, können ihre Funktion, die Anliegen der Gesellschaft in den Staat hinein zu vermitteln, immer weniger wahrnehmen und machen den politischen Prozess zu einem closed shop, indem sie ihre außerparlamentarischen Konkurrenten von den staatlichen Pfründen ausschließen, die sie selbst genießen (S. 56–60).

8.

Die Mängel tragen dazu bei, die Struktur des gesamten politischen Prozesses zu deformieren, und drohen, aus der Willensbildung von unten eine solche von oben zu machen, die die Bürger entmachtet, Konkurrenten ausschließt und die Demokratie im Kern trifft (S. 35–38).

9.

Viel spricht dafür, dass in dem krassen Missverhältnis von Funktionsverlust und Privilegienausweitung der Parteien wesentliche, noch nicht aufgearbeitete Ursachen für die Verdrossenheit der Bürger liegen, für ihre inzwischen fast sprichwörtliche „Wut“, dass sie nicht ernst genommen und politische Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden (S. 24, 41 f.).

10. Um weitere Einbußen an Bürgernähe und Chancengleichheit zu verhindern, ist die Finanzierung der Parteien im Parlament grundlegend zu reformieren: Gesetzesvorbehalte, Obergrenzen und Verwendungskontrollen einschließlich öffentlicher Rechenschaftslegung sind von Verfassungs wegen unerlässlich (S. 60–69). Funktionszulagen (S. 19, 51) und Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen (S. 26, 56 f.) sind abzubauen sowie wirksame Vorkehrungen gegen Ämterpatronage zu errichten (S. 54 f.). 11. Da das Bewilligungsverfahren bei Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeitern im Bund und in den Ländern unterschiedlich ausgestaltet ist, kann an Hand zahlreicher Beispiele erhärtet werden, dass die Erhöhung eines im Gesetz verankerten Betrages der öffentlichen Kontrolle in der Regel deutlich stärker

76

G. Zusammenfassung

ausgesetzt ist als die Erhöhung eines bloßen Haushaltstitels. Ansonsten unkontrollierte Steigerungen werden so abgebremst und das verfassungsrechtliche Gebot spezialgesetzlicher Regelung auch empirisch untermauert (S. 60–63). Weitere Beispiele belegen aber, dass dadurch die Einführung von Obergrenzen keineswegs überflüssig wird (S. 65 ff.). 12. Von sich aus wird die politische Klasse die erforderlichen Kontrollen und Grenzen vermutlich nicht einführen, und auf Bundesebene fehlen Einrichtungen der direkten Demokratie, mit denen Reformen auch gegen die politische Klasse zu erzwingen wären. Deshalb erscheinen drei Feststellungen wichtig: – In den Ländern können Fehlentwicklungen mit direkter Demokratie, die dort überall zur Verfügung steht, angegangen werden; Voraussetzung ist allerdings eine restriktive Interpretation des Haushaltsvorbehalts (S. 70). – Die Verfassungsgerichte müssen gegen Usurpation und Missbrauch der Macht angehen und dürfen sich nicht auf Formalismen zurückziehen. Bürger und ausgesperrte Parteien sind befugt, im Klagewege gegen die Verfassungswidrigkeiten vorzugehen. Die Befugnis, ein verfassungsgerichtliches Verfahren in Gang zu setzen, darf nicht auf die Täter beschränkt sein; auch die Opfer müssen ein Antragsrecht besitzen (S. 70 ff.). – Die Verfassungswidrigkeiten zu beanstanden gehört auch zu den Aufgaben der Rechnungshöfe, die von Amts wegen einzuschreiten haben (S. 73).

Anhang

3 3,3 8,4 10,6 11,5 14,1 16,9 18,6 20,6 28,6

33,0

34,5 37,9 39,1 41,6 42,4 43,1 55,0 62,7 69,1 76,7 74,1 96,5

2 4 10,1 12,1 13,3 15,2 18,5 18,5 21,1 32,8

34,2

35,8 37,3 39,6 41,4 43,6 44,7 56,9 64,1 78,8 79,5 83,2 100,6

1

1969 1970 1971 1972 1973 19741 1975 1976 1977

1978

1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990

Ist in Mio. DM bzw. Euro

Soll in Mio. DM bzw. Euro

Jahr

5 1.500 1.620 1.850 2.030 2.300 2.300 2.450 2.575 3.865 4.085 4.300 4.500 4.665 4.960 5.175 5.362 5.523 7.200 8.230 9.440 9.667 9.802 11.600

1.1.1985 1.1.1986 1.1.1987 1.3.1988 1.1.1989 1.1.1990

Betrag

4 1.4.1969 1.1.1970 1.1.1971 1.1.1972 1.4.1973 1.1.1974 1.1.1975 1.2.1976 1.1.1977 1.2.1977 1.1.1978 1.3.1978 1.3.1979 1.3.1980 1.5.1981 1.5.1982 1.6.1983

Gültig ab

+ 1.877 + 1.030 + 1.210 227 135 + 1.798

165 295 215 187 161

+ 415

120 230 180 170 – 150 125 + 1.510

6

in DM bzw. Euro

Steigerung

+ 35,2 + 14,3 + 14,7 + 2,4 + 1,4 + 18,3

+ 3,6 + 6,3 + 4,3 + 3,6 + 3,0

+ 10,2

+ 8,0 + 14,2 + 9,7 + 13,3 – + 6,5 + 5,1 + 58,6

7

in v. H.

Monatliche Höchstbeiträge je Abg. lt. Beschluss des Ältestenrats

Tabelle 1: Zahlungen an Abgeordnetenmitarbeiter des Bundes 1969–2011

662

497

498

497

496

496

8 496

Sitze des Bundestags

78 Anhang

4

3

2

1

DM 15.560 (= A 7.956) A 8.769 8.979 9.069 9.819 10.910 10.660 10.660 13.660 14.312 14.712 14.8894

1.9.2001 17.10.2002 1.4.2003 1.1.2004 1.4.2004 1.5.2004 1.7.2005 1.10.2005 1.10.2006 1.1.2008 1.1.2009 1.1.2010

82,1

85,4 90,8

96,4

105,7 125,6 131,4 137,4

182,0 (= A 93,1) A 91,6 (= DM 179,1) 89,1 98,6

102,6

117,9 139,2 137,0 147,3 149,2 151,4

2005

2006 2007 2008 2009 2010 2011

+ 652 400 177

+ 3.000

– 250

+ 4,77 + 2,79 + 1,2

+ 28,14

– 2,29

+ 2,39 + 21,5

+ 10,22

A + 813 210 + 1.931

+ 2,4

+ 1,3 + 1,5 + 3,1 + 2,0

+ 6,0 + 5,40 + 3,0 + 2,0 + 3,2

365

183 214 448 298

+ 664 383 267 436

622

603 614

669

672

Seit 1974 steht in den Haushaltsplänen unter den Erläuterungen folgender Satz: „Der Ersatz der Aufwendungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird durch die vom Ältestenrat nach § 34 Abgeordnetengesetz erlassenen Ausführungsbestimmungen geregelt.“ Mehr wegen Verlagerung des Parlamentssitzes von Bonn nach Berlin. Umrechnungskurs: 1 DM = 0,5114 A; 1 A = 1,9553 DM. Quellen: Haushaltspläne des Bundes; Auskünfte der Bundestagsverwaltung (Spalten 4 und 5). Darin sind Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen oder sonstigen Sozialleistungen noch nicht enthalten.

2003 2004

2002

14.235 14.449 14.897 15.195

1.1.1997 1.1.1998 1.4.1999 1.8.2000

2001

12.296 12.960 13.349 13.616 14.052

1.1.1991 1.5.1992 1.1.1993 1.7.1994 1.5.1995

117,0 122,7 135,2 138,6 143,4 147,5 150,7 157,7 166,7 166,6 (= A 85,2)3 A 85,8

136,9 135,2 142,9 153,9 151,0 150,0 151,0 168,0 191,02 186,0

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Anhang 79

80

Anhang Tabelle 2 Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter in Bund und Ländern Ende Dezember 2010 Abgeordnetenmitarbeiter

Baden-Württemberg

363

139

Bayern

*

1

187

Berlin

189

149

Brandenburg

204

88

2

83

Bremen

1 2 3

4

Abgeordnete



Hamburg

297

121

Hessen

*1

118

Mecklenburg-Vorpommern

114

71

Niedersachsen

247

152

Nordrhein-Westfalen

450

181

Rheinland-Pfalz

247

101

Saarland



Sachsen

319

132

Sachsen-Anhalt

150

97

Schleswig-Holstein

122

95

Thüringen

161

88

51

Summe Länder

2.863

1.8533

Bund

6.0674

622

Summe Bund und Länder

8.930

2.475

Keine Angaben. Ab 2011 entfällt die Erstattung von Kosten für Abgeordnetenmitarbeiter. Die Abgeordneten der Länder Bremen und Saarland, die keine Mitarbeiter bezahlt bekommen, sind mitgezählt. Siehe dazu auch die Fußnote 14 im Text.

Nicht aufgeschlüsselt nach Vollzeit- und Teilzeitstellen. Quelle: Parlamentsverwaltungen.

Anhang

81

Tabelle 3 Abgeordnetenmitarbeiter in Bayern: 1981–2011 Monatliche Höchstbeträge. Bis 2002 in DM, ab 2003 in A Haushaltsplan

Monatsbetrag

Steigerung

Orientierung an Vergütungsgruppe

1981 1982

1.250

1983 1984

1.750

1985 1986

1.797

+ 2,7%

1987 1988

1.930

+ 7,4%

1989 1990

2.562

1991 1992

2.800

1993 1994

4.598

+ 64%

1995 1996

5.077

+ 10,4%

1997 1998

5.349

+ 5,4%

1999 2000

5.535

+ 3,5%

Nachtragshaushalt 2000

8.110

+ 47%

2000–08: BAT VI b vollzeit plus 1/4 BAT II a

2001 2002

8.275

+ 2%

BAT VI b vollzeit (5762) plus 1/4 (2513) BAT II a

2003 2004

4.343 (= 8.494 DM)

+ 2,6%

2005 2006

4.535

+ 4,4%

2007 2008

4.585

+ 1,1%

+ 40%

+ 33%

1983–88: BAT VI b halbtags

1989–92: BAT VI b 25 Wochenstunden

+ 9,3% 1993–99: BAT VI b vollzeit

Fortsetzung Seite 82

82

Anhang

Fortsetzung Tabelle 3

Haushaltsplan

Monatsbetrag

2009 2010

6.698

2011 2012

7.157

Steigerung + 46%

Orientierung an Vergütungsgruppe Ab 2009: Entgeltgruppe 6 TV-L (3114) plus 2/3 13 TV-L (3584)

+ 6,9%

Bemerkung: 1981–2008: Kein eigener Titel der Gesamtbewilligung im Haushaltsplan, sondern in Titel 411 01 („Aufwendungen für die Mitglieder des Bayerischen Landtags“) mitenthalten. Ab 2009: Eigener Titel 411 03 („Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern der Abgeordneten gem. Art. 8 BayAbgG“). Deshalb ist ein längerfristiger Vergleich der Gesamtbewilligungen nicht möglich. Quelle: Haushaltspläne und Angaben der Parlamentsverwaltung.

Anhang

83

Tabelle 4 Bezahlung von Abgeordnetenmitarbeitern in Bund und Ländern 2010 (Globalbewilligungen) – In Mio. Euro – Baden-Württemberg Bayern

15,8

Berlin

1,3

Brandenburg

4,8

Bremen

0,51

Hamburg

4,5

Hessen

5,5

Mecklenburg-Vorpommern

3,0

Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz

4,2 11,0 [vorauss. Ist:10,0] 3,3

Saarland



Sachsen

4,7

Sachsen-Anhalt

3,7

Schleswig-Holstein

0,7

Thüringen

4,3

Summe Länder

1

7,5

74,8

Bund

149,2

Summe Bund und Länder

224,0

Ab 2011 entfällt in Bremen die Erstattung von Kosten für Abgeordnetenmitarbeiter.

Soll in Mio. DM bzw. A

2

– 1,0 4,5 4,8 5,0 5,2 5,3 6,1 6,2 6,6 6,9 6,9 15,0 16,0 17,0 17,0

Jahr

1

1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994

Tabelle 5

– 0,6 3,6 4,1 4,5 4,7 5 5,8 6 6,3 6,4 7,3 13,1 14,3 15,1 15,5

3

Ist in Mio. DM bzw. A

– – – – 1.565 1.622 1.695 1.723 1.723 1.844 1.915 1.948 4.134 4.489 4.579

1.1.1991 1.1.1993 1.7.1994

5

1

Betrag

– – – – – – – – – – – –

4

Gültig ab

355 90

2.186

– – – – – 57 73 28 – 121 71 33

6

in DM bzw. A

200 201 – – – – – 3,64 4,50 1,65 – 7,02 3,85 1,72

8,59 2,00

239

227

8

Sitze im Landtag

7

in v. H.

112,22

Steigerung

mtl. Höchstbetrag je Abg. lt. Beschluss des Ältestenrates

Zahlungen an Abgeordnetenmitarbeiter in Nordrhein-Westfalen 1979–2011

84 Anhang

1

18,1 (A 9,2) 9,6 (DM 18,8) 9,7

9,5

9,4 9,4 9,2 9,4 9,7 11,0 10,8

2001

2004

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

8,9 9,1 9,1 9,3 9,6 – –

9,7

9,7

15 15,5 15,8 16,2 16,6 8,5 (DM 16,7) 9,0 (DM 17,7) 9,2

Plus zusätzliche soziale Leistungen (ab 1993).

2003

2002

16,2 17,0 17,3 17,3 16,8 18,0

1995 1996 1997 1998 1999 2000 1.8.2000

1.1.2003 1.1.2004 1.5.2004 1.1.2005 – – – – – 1.4.2011 2.742 2.770 2.798 2.798 3.500 3.500 3.602 3.602 3.776 3.833

2.677

101 (DM)

5.112 (2.614)

1.1.2002

223

5.011

1.4.1999

65 28 28 – 702 – 102 – 174 57

63 (A)

62

4.788

1.1.1997

147

4.726

1.5.1995

2,43 1,02 1,01 – 25,09 – 2,91 – 4,83 1,5

2,41

2,02

4,66

1,31

3,21

181

187

231

221

Anhang 85

Tabelle 6 Abgeordnetenmitarbeiter. Gesetze und Richtlinien

Nur Ehegatten, Verwandte u. Verschwägerte 1. u. 2. Grades

6

Nur Ehegatten, Verwandte u. Verschwägerte 1. Grades

In Richtlinien

5

Alle Ehegatten, Verwandte u. Verschwägerte

Im Gesetz

Verwendungsverbote Nur für parl. Arbeit bzw. mandatsbedingte Tätigkeit

7

8

9

Woanders

§ des AbgG

Im Gesetz

Bund bzw. Land

1

2

3

4

Bund BW

§ 12 III § 6 IV

ja nein

Bay Berl Bra

Art. 8 § 7 II 2 § 6 VII Nr. 1

ja § 7 II 2–6 nein

§ 3 III

nein

Hess

§6I Nr. 4

nein

MV

§ 9 VI

ja

ja

Nds

§ 7 II

ja

nein

NW

§ 6 III

ja

ja

ja

RP

§ 6 III

ja

ja

Bis. 3. Grad verwdt. oder verschwäg.

Brem HH

Saarl Sachs § 6 IV

nein

SA

§ 8 II

ja

SH

§9

nein

Thür

§7

ja

Nr. 1 d. Richtl.

§ 1 Richtl.

ja nein

ja ja nein

ja Nr. 4. 12

ja

ja ja § 3 IV

ja

ja Ausführungsbestimmungen zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 Ziff. 7

Nr. 1 d. Ausfbest.

ja

nein

nein

ja

Bis 3. Grad. verw. oder 2. Grad verschwäg. Nr. 2. 9

Nr. 3 d. Ausfbest.

ja

Nr. I, 1.1. d. Ausfbest.

ja

nein

Art. 1 Nr. 2.1.1

ja

Bis 3. Grad Bis 3. Grad verwdt. oder 2. Grad verschwäg. Bis 3. Grad verw. u. 2. Grad verschwäg. ja

Ehegatten u. eingetragene Lebenspartner anderer Abg.

Mitarbeiter von Fraktionen, auch des Bundestages

Gesetzliche Unterhaltspflichtige

Mitglieder von gesetzlichen Körperschaften

Verbot oder Einschränkung von Mehrfachbeschäftigung

Frühere Verheiratete od. Verschwägerte

10

11

12

13

14

15

16

ja ja

nein

nein

nein ja „auf Dauer angelegte Lp.“

nein ja

nein ja

Lebensp. ja

nein

nein

nein ja ja

nein

nein

Nr. 5 der Richtl. grds. ja: nein ja

17

ja

§ 12 III S. 5 § 6 IV S. 3

nein

nein § 6 II

ja. Damit wohl auch eingetr. Lebensp.

Auch Verwandte u. Verschwägerte des Eheg. des Abg.

Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien

Eingetragene Lebenspartner

Einstellungsverbote

§ 9 VI S. 5

ja

nein

ja

Eheg. anderer Mtgl. d. LT

nein

nein

Frühere Eheg. oder eingetr. Lp.

§7 V

§ 6 III. S. 3 Frühere § 6 III S. 4 Eheg. U. Lebensp.

ja

nein

nein

nein

nein

nein

§ 6 IV S. 6 nein

ja: Nr. 3.1 d. Ausfbest. nein

Nr. 4 der Ausf. best. SollVorschr. Erklg. im Vg.

Quellen: Abgeordnetengesetze und Richtlinien bzw. Ausführungsbestimmungen.

nein

§ 9 III

3

2

1

Tabelle 7

39.744

20.580

Hamburg

Bremen 3.292

1.227

3.292 + 762 (Opp’zuschl.) 4.054

1.227 + 407 (Opp’zuschl.) 1.634

38.072 + 9.518 (Opp’zuschl.)3 47.590

5,5

4,0 83

121

7,5 88

4,0

101

946 + 383 (Opp’zuschl.) 1.229

946

2.767

14,7

6,9

Gesamtsumme in Mio. Euro

187

152

Zahl der Abgeordneten

3.093 + 2.388 (Opp’zuschl.) 5.481

1.895 + 383 (Opp’zuschl.) 2.278

Kopfbetrag bzw. Grundbetrag für Oppositionsfraktionen monatl. in Euro

3.093

1.895

Kopfbetrag je Abgeordneter monatl. in Euro

In den Ländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hamburg ist die Höhe der Zahlungen gesetzlich geregelt, in Bayern, Thüringen und Bremen nicht. Zusatzbetrag für Fraktionen, die größer sind als 25 Mitglieder. Der Oppositionszuschlag beträgt 25 Prozent des Grundbetrages.

38.072

Thüringen

55.150 + 21.1732 76.323

92.251

Bayern

Rheinland-Pfalz

51.714

Niedersachsen

Grundbetrag je Fraktion monatl. in Euro

Fraktionsfinanzierung 2010. Vergleich von Ländern mit and ohne gesetzliche Nennung der Höhe1

88 Anhang

Literaturverzeichnis Apel, Hans, Die deformierte Demokratie, 1991 Arnault, Andreas von, „Refolution“ an der Elbe: Hamburgs neue direkte Demokratie, Feld/Huber/Jung/Welzel/Wittreck (Hg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, 2010 Arnim, Hans Herbert von, 9.053 Euro Gehalt für Europaabgeordnete? Der Streit um das europäische Abgeordnetenstatut, 2004 – Abgeordnetenmitarbeiter: Reservearmee der Parteien?, DÖV 2011, 345 – Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980, abgedruckt u. a. in: Die Personalvertretung 1981, 129 – Auswirkungen der Politisierung des öffentlichen Dienstes, Die Personalvertretung 1982, 449 – Das neue Abgeordnetengesetz. Inhalt, Verfahren, Kritik und Irreführung der Öffentlichkeit, Speyerer Forschungsberichte 169, 2. Aufl., 1977 – Das System, 2001 – Der Staat als Beute, 1993 – Der strenge und der formale Gleichheitssatz, DÖV 1984, 85 – Der Verfassungsbruch, 2011 – Die Deutschlandakte, 2008 – Die Diätenlüge, Frankfurter Rundschau vom 16.5.2008, S. 1 – Die finanziellen Privilegien von Ministern in Deutschland, 1992 – Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, Mainz 1991; 2. Aufl., München 1996 – Die Parteiendiätennovelle – Ein Blitz-Gesetz, NJW 2011 (im Erscheinen) – Die politische Durchsetzung der Kommunalverfassungsreform der neunziger Jahre, DÖV 2002, 585 – Eine steile Gehaltskurve, Die Tageszeitung vom 7.7.2011, S. 10 – Fetter Bauch regiert nicht gern, 1997 – Finanzierung der Fraktionen, 1993 – Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977 – Parteienfinanzierung, 1982 – Staatliche Fraktionsfinanzierung ohne Kontrolle?, 1987 – Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984

90

Literaturverzeichnis

– Ungereimtheiten in der Parteienfinanzierung, DVBl 2011 (im Erscheinen) – Volksparteien ohne Volk, 2009 – Vom schönen Schein der Demokratie, 2000 – Zur normativen Politikwissenschaft. Versuch einer Rehabilitierung, Der Staat 1987, 477 Arnim, Hans Herbert von/Drysch, Thomas, Bonner Kommentar, Drittbearbeitung des Art. 48 GG, 2010 Arnim, Hans Herbert von/Heiny, Regina/Ittner, Stefan, Politik zwischen Norm und Wirklichkeit, 2007 Bartolini, Stefano/Mair, Peter, Challenges to Contemporary Political Parties, in: Larry Diamon/Richard Gunther (eds.), Political Parties and Democracy, 2001, 327 Baum/Benda/Isensee/Krause/Merrit, Politische Parteien und öffentlicher Dienst, 1982 Bethge, Herbert, Kommentierung § 64 BVerfGG, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar (Loseblatt) Bettermann, Karl-August, Richteramt und Kommunalmandat, Festschrift Ule, 1977, 265 Beyme, Klaus von, Die politische Klasse im Parteienstaat, 1993 – Funktionswandel der Parteien in der Entwicklung von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hg.), Parteiendemokratie in Deutschland, 2001, 315 – Parteien im Wandel, 2000 Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, 2002 Bröchler, Stephan/Elbers, Helmut, Hochschulabsolventen als Mitarbeiter des Parlaments: Politikberater oder Bürohilfskräfte?, Polis 52/2001 Bruns, Tissy, Republik der Wichtigtuer, 2007 Bundespräsidialamt (Hg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, 1994 Crouch, Colin, Postdemokratie, 2008 (englischsprachige Erstausgabe 2003) Decker, Frank, Regieren im „Parteienbundesstaat“, 2011 Drath, Martin, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 9 (1952), 17 Ebbighausen, Rolf u. a., Die Kosten der Parteiendemokratie, 1996 Enzensberger, Hans Magnus, Mittelmaß und Wahn, 1988 Eschenburg, Theodor, Ämterpatronage, 1961 Franz, Wolfgang, Zur Geltung des Leistungsprinzips bei sog. politischen Beamten, DÖV 2009, 1141 Greven, Michael, Sind Parteien in der Politik alternativlos oder ist Ihre Rolle historisch begrenzt? Die Parteienforschung angesichts von „Globalisierung“, „Transnationalisierung“ und „Europäisierung“, in: David Gehne/Tim Spier (Hg.), Krise oder Wandel der Parteiendemokratie?, 2010, 225

Literaturverzeichnis

91

Grimm, Dieter, Die politischen Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, 352; 2. Aufl., 1994, 599 Guha, Anton-Andreas, Seiteneinsteiger oder ungenutzte Chance der Parteien zur Regeneration, Vorgänge 1998, 54 ff. – Ochsentour, Seiteneinsteiger oder ungenutzte Chancen der Parteien, in: von Arnim (Hg.), Reform der Parteiendemokratie, 2003, 31 Hennis, Wilhelm, Der „Parteienstaat“ des Grundgesetzes, in: Gunter Hofmann/Werner A. Perger (Hg.), Die Kontroverse. Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion, 1992, 25 – Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.3.1996, S. 9 (Besprechung einer Veröffentlichung von Hans Meyer) Herdegen, Matthias/Morlok, Martin, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, VVDStRL 62 2003, 7 ff., 37 ff. Herz, Hans, Die Verwaltung der Parlamente. Stellung, Organisation und Funktionen der Landtagsverwaltungen und ihr Verhältnis zu den Landtagen, ZParl 2008, 528 (529 f.). Hesse, Konrad, Die normative Kraft der Verfassung, Freiburger Antrittsvorlesung, 1959 Hölscheidt, Sven, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001 – Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, DVBl 2010, 78 Ipsen, Jörn (Hg.), Parteiengesetz, Kommentar, 2010 Isensee, Josef, Der Parteienzugriff auf den öffentlichen Dienst – Normalzustand oder Alarmzeichen?, in: Baum u. a., Politische Parteien und öffentlicher Dienst, 1982, 52 Janssen, Albert, Der Landtag im Leineschloss – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Präsident des Niedersächsischen Landtags, Rückblicke – Ausblicke, 1992,15 Jun, Uwe, Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich, 2004 Katz, Richard S./Mair, Peter, Changing Models of Party Organization and Party Democracy. The Emergence of the Cartel Party, Party Politics 1995, 5 Kersten, Jens/Rixen, Stephan (Hg.), Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, Kommentar, 2009 Kielmansegg, Peter Graf, Braucht die Demokratie Parteien?, in: Christian Henning/ Christian Melbeck (Hg.), Interdisziplinäre Sozialforschung, Festschrift für Franz Urban Pappi, 2004, 245 Klages, Wolfgang, Republik in guten Händen? – Leistungsschwächen des politischen Personals in Deutschland, 2001 Klein, Ilona K., Die Bundesrepublik als Parteienstaat. Zur Mitwirkung der politischen Parteien an der Willensbildung des Volkes 1945–1949, 1990

92

Literaturverzeichnis

Kloepfer, Michael, Politische Klasse und Ämterpatronage, in: Hans Herbert von Arnim (Hg.), Politische Klasse und Verfassung, 2001, 107 Krüger, Herbert, Allgemeine Staatslehre, 1966 Landfried, Christine, Parteifinanzen und politische Macht, 1990 Lecheler, Helmut, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977 Leibholz, Gerhard, Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert (1955), abgedruckt in: Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Auflage, 1966, 226 Lenski, Sophie Charlotte, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, Handkommentar, 2011 Leyendecker/Prantl/Stiller, Helmut Kohl, die Macht und das Geld, 2000 Linck, Joachim, Beruf Abgeordneter?, FAZ vom 28.8.2006 (Leserbrief) – Wie ein Landtag laufen lernte, 2010 – Zurück zum ehrenamtlichen Landesparlamentarier?, in: Hans Herbert von Arnim (Hg.), Defizite in Staat und Verwaltung, 2010, 91 Lösche, Peter (Hg.), Zur Lage des deutschen Regierungs- und Parteiensystems, 2002 – Ende der Volksparteien, Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2009, 9 Mair, Peter (ed.), The West European Party System, 1990 – Party System Change. Approaches and Interpretations, 1997 Maurer, Hartmut, Staatsrecht I, 6. Aufl., 2010 Merten, Heike, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, 137 Meyer, Hans, Das fehlfinanzierte Parlament, in: Peter M. Huber/Wilhelm Mößle/Martin Stock (Hg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995, 17 – Fraktionsgesetze: Flucht aus der Verfassung?, Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht 1/1995, 87 Meyer, Thomas, Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, 2001 Morlok, Martin, Kommentar zum Gesetz über die politischen Parteien, in: Das Deutsche Bundesrecht (Loseblatt), Lieferung Oktober 2007 – Kommentierung Art. 38 GG, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Band II, 2006 – Thesen zu Einzelaspekten der Politikfinanzierung, in: Dimitris Th. Tsatsos (Hg.), Politikfinanzierung in Europa, 1997, 77 Noelle-Neumann, Elisabeth, Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut, 1980 Opp, Karl-Dieter, Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Aufl., 2005 Panebianco, Angelo, Political Parties: Organization and Power, 1988 (Erstveröffentlichung in italienischer Sprache: 1982)

Literaturverzeichnis

93

Papier, Hans-Jürgen, Zur Verfassungsmäßigkeit der Parlamentsfraktionen, BayVBl. 1998, 513 Paprotny, Rolf, Der Alltag der niedersächsischen Landtagsabgeordneten, 1995 Patzelt, Werner, Einführung in die Politikwissenschaft, 5. Aufl., 2003 Pfeiffer, Ulrich, Eine Partei der Zeitreichen und Immobilen, Die Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, 1997, 392 Poguntke, Thomas, A Presidentializing Party State? The Federal Republic of Germany, in: Poguntke, Thomas/Webb Paul (eds.), Presidentialization of Politics, 2005, 63 – Parties in a Legalistic Culture: The Case of Germany, in: Richard S. Katz/Peter Mair (eds.), How Parties Organize. Change and Adaption in Party Organization in Western Democracies, 1994, 185 Quaritsch, Helmut, Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?, Referat auf dem 48. Deutschen Juristentag 1970, S. O 35 Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., 1963 Radunski, Peter, Fit für die Zukunft? Die Volksparteien vor dem Superwahljahr 1995, Sonde 1991/4, 3 Report Mainz (ARD-Fernsehmagazin), Warum Abgeordnete immer mehr Mitarbeiter brauchen, Bericht vom 9.5.2011 Rüb, Friedbert W., „Sind die Parteien noch zu retten?“ Zum Stand der gegenwärtigen Partei- und Parteiensystemforschung, Neue Politische Literatur 2005, 397 Sartori, Giovanni, Parties and Party Systems, 1976 Scarrow, Susan E., Party Decline in the Parties State? The Changing Environment of German Politics, in: Paul Webb/David Farrell/Ian Holliday (eds.), Political Parties in Advanced Industrial Democracies, 2002, 77 Schachtschneider, Karl Albrecht, Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre, 1994 Schäuble, Wolfgang, Das personale Element in repräsentativen Demokratien, in: Eckart Klein (Hg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, 1995, 221 Schöne, Helmar, Politik als Beruf: Die zweite Reihe. Zur Rolle von Mitarbeitern im US-Kongress und im Deutschen Bundestag, in: Edinger/Patzelt (Hg.), Politik als Beruf, 2010, 232 Schüttemeyer, Suzanne S., Fraktionen im Deutschen Bundestag 1959–1997, 1998 Streinz, Rudolf, Kommentierung Art. 21 Abs. 1 GG, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl., 2010 Suchanek, Andreas, Erfolgreiche Therapie ohne gute Diagnose?, Zum Zusammenhang zwischen normativer und positiver Analyse in der Ökonomik, in: Martin Held (Hg.), Normative Grundfragen der Ökonomik. Folgen für die Theoriebildung, 1997, 189

94

Literaturverzeichnis

de Tocqueville, Alexis, Der alte Staat und die Revolution, 1959 (französische Erstausgabe 1856) Wahl, Rainer, Ämterpatronage – ein Krebsübel der Demokratie?, in: Hans Herbert von Arnim (Hg.), Die deutsche Krankheit: Organisierte Unverantwortlichkeit?, 2005, 107 Weber, Max, „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., 1951 Weizsäcker, Richard von, Krise und Chance unserer Parteiendemokratie, Aus Politik und Zeitgeschichte B 42/1982, S. 3 Wewer, Göttrick, Für eine integrierende Sichtweise von Parteien-Finanzen und Abgeordneten-Alimentierung, in: ders. (Hg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, 420 Wichmann, Manfred, Parteipolitische Ämterpatronage, ZBR 1988, 365 Wiesendahl, Elmar, Die Parteien in Deutschland auf dem Weg zu Kartellparteien?, in: Hans Herbert von Arnim (Hg.), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute“ und bürgernahe Politik?, 1999, 49 – Parteien, 2006 – Zwei Dekaden Party Change-Forschung. Eine kritische Bilanz, in: David Gehne/ Tim Spier (Hg.), Krise oder Wandel der Parteiendemokratie?, 2010