Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus - Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive: Vorwort von Werner Krawietz [1 ed.] 9783428477432, 9783428077434

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Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus - Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive: Vorwort von Werner Krawietz [1 ed.]
 9783428477432, 9783428077434

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Begründet von Karl Engisch, H. L. A. Hart, Hans Kelsen, Ulrich Klug, Sir Karl R. Popper Herausgegeben von Harold J. Berman, Thomas Hoeren, Werner Krawietz Jürgen Schmidt, Martin Schulte, Boris N. Topornin, Dieter Wyduckel

Beiheft 13

Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus – Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive Herausgegeben von

Werner Krawietz / Ernesto Garzón Valdés / Agustín Squella Vorwort von

Werner Krawietz

Duncker & Humblot · Berlin

RECHTSTHEORIE Zeitschrift für Logik und Juristische Methodenlehre, Rechtsinformatik, Kommunikationsforschung, Normen- und Handlungstheorie, Soziologie und Philosophie des Rechts Begründet von Karl Engisch, H. L. A. Hart, Hans Kelsen Ulrich Klug, Sir Karl R. Popper Herausgegeben von Harold J. Berman, Thomas Hoeren, Werner Krawietz Jürgen Schmidt, Martin Schulte, Boris N. Topornin, Dieter Wyduckel Editor-in-Chief

und geschäftsführender

Redaktor:

Professor Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Werner Krawietz Tel.: (0)251 / 8 32 25 91

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Prof. Dr. Thomas Lundmark, Assessor Andreas Schemann, Assessorin Dr. Petra Werner

Redaktionsanschrift:

Prof. Dr. Dr. Werner Krawietz, Universität Münster, Rechts wissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie, Arbeitsstelle Zeitschrift Rechtstheorie, Bispinghof 24/25, D-48143 Münster

e-mail: [email protected] Telefax: (0)251/8 32 25 92 D i e Z e i t s c h r i f t erscheint v i e r m a l j ä h r l i c h i m G e s a m t u m f a n g v o n ca. 552 Seiten. A b o n n e m e n t s p r e i s j ä h r l . D M 198,- / sFr 1 7 1 - / € 99,- z u z ü g l i c h Porto. Bestellungen k ö n n e n a n jede B u c h h a n d l u n g oder d i r e k t an den Verlag g e r i c h t e t werden. A b b e s t e l l u n g e n müssen 6 Wochen v o r Jahresende erfolgen. Verlag D u n c k e r & H u m b l o t G m b H , C a r l - H e i n r i c h - B e c k e r - W e g 9, 12165 B e r l i n Ruf: 0 30 / 79 00 06 - 0, Telefax: 0 30 / 79 00 06 31 Z e i t s c h r i f t : I S S N 0034-1398 Beihefte: I S S N 070-6933 B e i h e f t 13: I S B N 3 - 4 2 8 - 0 7 7 4 3 - 1

Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus - Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive

RECHTSTHEORIE Zeitschrift für Logik und Juristische Methodenlehre, Rechtsinformatik, Kommunikationsforschung, Normen- und Handlungstheorie, Soziologie und Philosophie des Rechts

Beiheft 13

Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus - Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive

Herausgegeben von

Werner Krawietz / Ernesto Garzón Valdés Agustin Squella Vorwort von

Werner Krawietz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Politische Herrschaftsstrukturen und Neuer Konstitutionalismus Iberoamerika und Europa in theorievergleichender Perspektive / Hrsg. : Werner Krawietz . . . - Berlin : Duncker und Humblot 2000 (Rechtstheorie : Beiheft ; 13) Erscheint unregelmäßig. - Bis 12 (1991) als Schriftenreihe behandelt. - Bibliographische Deskription nach 13 (2000) ISBN 3-428-07743-1

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6933 ISBN 3-428-07743-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. V - V I I D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

Inhaltsverzeichnis Vorwort Werner Krawietz

Autokratie, Demokratie und Rechtsstaat in iberoamerikanischen Rechtssystemen

IX

I. Autoritarismus, Diktatur und Demokratie im Obergang Ernesto Garzón Valdés

Argentinische Demokratie heute: Ethisch-politische Probleme der Überwindung der Diktatur

3

Carlos S. Nino

The Political System and Conceptions of Democracy An Exercise in Institutional Design for Argentina

23

Tércio Sampaio Ferraz , jun.

Democracy, Constitutional Government and Modernization

77

Agustin Squella

Democracy and Equality in Latin-America

87

Π. Volkssouveränität, Rechtsprinzipien der Vernunft und Apologie der Menschen- und Bürgerrechte Robert Alexy

Grundrechtsnorm und Grundrecht

101

Martin D. Farrell

Recent Critiques of the Difference Principle

117

Fernando Inciarte

30 Thesen und ein Versuch über Naturrecht und/oder Vernunftrecht

127

José Llompart

Proklamation der Volkssouveränität in den modernen Verfassungen. Juristische Fiktion oder Wirklichkeit? 143

VI

Inhaltsverzeichnis

Ludwig Siep

Wie „eurozentrisch" ist das neuzeitliche Naturrecht?

161

ΠΙ. Begründungen des Rechts und der subjektiven Rechte Eugenio Bulygin

Zum Problem der Begründung der Menschenrechte

175

Francisco J. Laporta

On Rights and Normative Systems

183

Valentin Petev

Subjektive Rechte im Kontext politischer Systeme

193

Roberto J. Vernengo

Human Rights as Values

205

IV. Existenz, Geltung und Begriff des Rechts Alfonso Gómez-Lobo

Logik und Ethik der Folter

221

Norbert Hoerster

Norm: Begriff, Geltung und Wirksamkeit

235

Stanley L. Paulson

What Counts as „Constitutional"? One Aspect of Kelsen's View

245

Ota Weinberger

Rechtssystem und Rechtsdynamik in institutionalistischer Sicht

259

V. Autoreferenzialität des Rechts und Selbstreferenzialität des Rechtsdenkens Aulis Aarnio

The Legitimacy Crisis in the Post-Industrial Society. An Outline for a Future Society 277 Raffaele De Giorgi

Vom Sinn subjektiver Rechte in der post-industriellen Gesellschaft

291

Fernando Galindo

Selbstreproduktion des Verfassungssystems? Zur Stabilisierung der Verfassung durch Rechtstheorie 301

Inhaltsverzeichnis

VII

Boris Ν. Topornin

Staat, Recht und Professionalisierung des Rechtsdenkens in der modernen russischen Wissensgesellschaft 313 Roberto J. Vernengo

Verfassungsstaat in Europa und Lateinamerika

325

Enrique Zuleta Puceiro

Transition to Democracy and Institutional Reform Autoren Verzeichnis

333 345

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. I X - X X X D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

VORWORT Autokratie, Demokratie und Rechtsstaat in iberoamerikanischen Rechtssystemen Von Werner Krawietz, Münster Unser alltägliches Erleben und Handeln und unsere soziale Lebenswelt sind durchgängig vom Recht geprägt - von der Wiege bis zur Bahre. Alles Recht erschöpft sich seiner Form und seinem Inhalt nach jedoch nicht bloß im Wortlaut, der Bedeutung oder dem normativen Sinn von gesprochenen Rechtsnorm Sätzen und geschriebenen Rechts texten. In den vorwiegend staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Gesellschaft ist Recht - sei es informal, sei es formal betrachtet - vor allem ein Teil der sozial etablierten normativen Erwartungsstrukturen. Das heißt, es strukturiert auch die Erwartungserwartungen oder mit anderen Worten: das, was man von den anderen erwarten darf, die ihrerseits von uns etwas erwarten dürfen. Rechtsnormative Erwartungsstrukturen dienen der Orientierung allen menschlichen Erlebens und Handelns in jeweils näher gekennzeichneten, d.h. typisierend umschriebenen Situationen. Wer weiß, was man in dieser oder jener Situation zu erwarten hat (und infolgedessen selbst erwarten darf!), der weiß auch, was andere von ihm erwarten und wie er sich demzufolge verhalten soll. Das Recht strukturiert nicht nur die zwischenmenschlichen Interaktionen im alltäglichen Zusammenleben. Es reguliert auch - soweit überhaupt vorhanden - die arbeits- und gewaltenteilig organisierten A k t i v i täten der Staatsbürokratien, die eine fortlaufende soziale Kontrolle über den gesamten Rechtsbetrieb ausüben. Recht bleibt jedoch stets eine normative Struktur der Gesellschaft, wohlgemerkt eine, denn es gibt auch andere! Im folgenden werden die politisch-rechtlichen Strukturelemente aller zwischenmenschlichen Ordnungs- und Gemeinschaftsbildung, vor allem derjenigen im Reiche des Rechts, im Zentrum der Untersuchung stehen. Es geht somit nicht - zumindest nicht primär! - um die rein moralischen oder ethischen Aspekte, doch können letztere selbstverständlich nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Wer das Rechtssystem, in dem w i r leben, vom Standpunkt eines Handelnden und/oder eines wissenschaftlichen Beobachters analysiert, um es auf seine typischen Merkmale hin zu untersuchen, der stößt nolens

Werner Krawietz

volens auf das normativ-institutionelle Faktum, daß es sich dabei üblicherweise um politisch-rechtlich geordnete, weithin staatlich organisierte Rechtssysteme handelt. Dem kontinentaleuropäischen Beobachter, der sich daran gewöhnt hat, den modernen Staat einerseits als eine demokratische, auf maßgebender Beteiligung der Parteien und des Volkes basierende politische Ordnung anzusehen, andererseits als eine hochgradig bürokratisierte, arbeitsteilig fungierende Entscheidungsorganisation, die im Verhältnis zu Bürgern und Rechtsgenossen nach Maßgabe und mit den Mitteln des Rechts tätig wird, fällt es wegen der weltweit bestehenden, regionalgesellschaftlichen Unterschiede nicht leicht, die Funktionsweise und die spezifischen Eigentümlichkeiten lateinamerikanischer Rechtssysteme zu verstehen. Eine vergleichende Rechtstheorie, die es unternimmt, die normativen Strukturen diverser Rechtssysteme i n ihren jeweiligen Regionalgesellschaften auf etwaige gemeinsame Elemente, Bestandteile oder Systemkomponenten hin zu untersuchen, steckt noch i n den Anfängen. Es geht - wohlgemerkt - nicht um Rechtsvergleichung, d.h. um den Vergleich von Rechtsvorschriften, Rechtsinstituten und einzelnen Institutionen (Ehe, Familie, Kindschaft o.ä.), oder um eine Theorie der Rechtsvergleichung, sondern um eine vergleichende Rechts- und Sozialtheorie. Letztere w i r d hier verstanden als eine eigenständige, die konventionelle allgemeine RechtsZe/ire oder Rechtsi/ieorie ergänzende Disziplin rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung. Sie orientiert sich nicht nur an den Abhängigkeiten, die zwischen dem jeweiligen Rechtssystem und der zugehörigen Regionalgesellschaft bestehen, sondern untersucht vor allem die Einbettung allen Rechts i n die jeweiligen Rechtskulturen (vgl. Krawietz/ Riechers/Veddeler, Hrsg., Konvergenz oder Konfrontation? Transformationen kultureller Identität i n den Rechtssystemen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Berlin 1998). Sie orientiert sich dabei an den Abhängigkeiten aller politisch-normativen Herrschaftsstrukturen von den zugrundeliegenden sozialen Lebenswelten und Handlungsformen. Es geht somit um Grundfragen, Grundlagen und Grundbegriffe des modernen Rechts, die sich in der Perspektive einer vergleichenden Rechts- und Sozialtheorie als gewisse „Familienähnlichkeiten" im Sinne von Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe in 8 Bänden, 1984, Band 1, S. 277 f.) näher charakterisieren lassen.

I. Paternalistisches Staats- und Regierungssystem oder moderner Verfassungs- und Rechtsstaat in Lateinamerika 1. I n den vorwiegend staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Welt w i r d ein zureichendes Verständnis der politischen Herr-

Vorwort

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schaftsstrukturen bisweilen erschwert und verschleiert durch die langjährige Existenz von Autokratien, Despotien und Diktaturen, die naturgemäß nicht auf die Schaffung und Erhaltung des Rechtsstaats, sondern ihrer eigenen Macht bedacht sind. Deren Effekte wurden noch verstärkt durch die Chronik von Revolutionen mit all ihren Folgen und Nebenfolgen, die - wenn auch regional begrenzt - geeignet sind, das politischrechtlich strukturierte Gesellschaftssystem nachhaltig zu erschüttern und die Kontinuität einer verfassungs- und rechtsstaatlichen Entwicklung, die nun einmal auf Dauer angelegt sein muß, immer wieder zu unterbrechen. Auch sind es i n der Entwicklung lateinamerikanischer Regionalgesellschaften häufig gar nicht die genuin rechtlichen, sondern eher die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme, die zu Fehlentwicklungen oder Rückschlägen bei der rechtlichen Regulierung und Demokratisierung sozialer Strukturprobleme führen. Sie behindern den Aufbau und Ausbau der üblichen Legalitätsmechanismen und die rechtliche Absicherung der erreichten Fortschritte oder stellen sie nachträglich wieder i n Frage. 2. Der moderne Verfassungs- und Rechtsstaat steht heute i n den iberoamerikanischen Rechtssystemen vor ganz neuen Aufgaben, die eine rechtstheoretische Standortbestimmung unter den Bedingungen und Besonderheiten dieser Regionalgesellschaften erforderlich machen. Diesem Erfordernis sucht der vorliegende Band durch eine Reihe von Detailstudien Rechnung zu tragen. a) Sie werden, was die Beiträge von Autoren aus Lateinamerika angeht, vorgelegt von Politikern und diversen Fachwissenschaftlern aus Argentinien, Brasilien und Chile, die schon früher - sei es als hohe Regierungsbeamte und Hochschulpolitiker, sei es als Gutachter oder in verschiedenen Expertenfunktionen - durch einschlägige Veröffentlichungen hervorgetreten sind. Angesichts der vielfältigen Brückenfunktionen und Einflußnahmen, die heute vor allem von Spanien und Portugal, aber auch von Italien auf den lateinamerikanischen Kontinent ausgeübt werden und die sämtlich auch für die Pflege der ibero-amerikanischen Beziehungen durch die Bundesrepublik Deutschland Relevanz besitzen, durften i n diesem Forschungsprojekt Beiträge von Politikwissenschaftlern und Rechtswissenschaftlern, insbesondere Rechtstheoretikern, Rechtssoziologen und Rechtsphilosophen aus den beteiligten bzw. betroffenen Rechtssystemen nicht fehlen. Ich möchte an dieser Stelle meinen Freunden i n den soeben genannten Ländern sehr herzlich danken. Sie haben mich im Laufe der letzten Jahrzehnte bei vielfältigen Gelegenheiten gelehrt, die vielschichtigen politisch-rechtlichen Probleme i n den staatlich organisierten Rechtssystemen Iberoamerikas auch mit ihren Augen zu sehen und auf ihre Weise dazu beigetragen, die modernen Strukturprobleme,

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die sich heute i n den diversen Regionalgesellschaften und Rechtskulturen stellen, besser zu verstehen. Ich kann freilich - selbst befangen im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext und der lebendigen Geschichte der kontinentaleuropäischen Rechtskulturen - nicht sicher sein, daß ich das, was sie mich lehren wollten, auch wirklich verstanden habe. Der fortlaufende Dialog, der ständige (Selbst-)Korrekturen ermöglicht, läßt jedoch die gleichwohl bestehenden Risiken einer derartigen Zusammenarbeit als tragbar erscheinen. b) Es handelt sich, wenn ich recht sehe, insoweit sämtlich um Verfassungsstaaten mehr oder weniger moderner Prägung, wie auch das verbreitete Schlagwort von der sogenannten peripheren Moderne andeutet. Jedoch ist in ihnen der Konstitutionalismus und Legalismus, der die modernen Rechtssysteme kennzeichnet, i n höchst unterschiedlichem Maße ausgeprägt. Infolgedessen lag es nahe, die anzustellenden Untersuchungen nicht auf die bloße Rekonstruktion der jeweils erreichten verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Lage zu beschränken, sondern sie - im Hinblick auf die jeweils sozial wirksame, auch informale Verfassung, das Recht und die zugehörige Staatsbildung dieser politischen Gemeinwesen - von vornherein auf genuin rechts- und gesellschaftstheoretische Analysen zu erstrecken und zu konzentrieren. c) Die im folgenden angestellten Analysen werden vertieft durch normen- und handlungstheoretische Untersuchungen der mit Mitteln des Rechts beziehungsweise des Rechtsstaats etablierten Herrschaftsstrukturen, die auf diese Weise i n das Zentrum der diversen, hier gebündelten Erkenntnisinteressen rücken. Der Ansatzpunkt der Analysen bei den rechtsstaatlichen Strukturen und Verfahrensweisen erschien zugleich geeignet, vergleichenden Untersuchungen der bereits etablierten politisch-rechtlichen Herrschaftsstrukturen als tertium comparationis zu dienen.

II. Vom Jusnaturalismus (Naturrecht, Vernunftnaturrecht) zur Positivität allen Rechts 1. Die vorliegenden, fachsystematisch heterogenen Untersuchungen lassen, bedingt durch die normative Eigenart der lateinamerikanischen Rechtssysteme, einen deutlich ausgeprägten Antagonismus erkennen. Dessen strukturelle Eigentümlichkeiten können wohl am ehesten durch einen gewissen Gegensatz von Konstitutionalismus und Legalismus gekennzeichnet werden. a) Letzterer hängt vor allem damit zusammen, daß die Verwirklichung des Verfassungsstaats, hier verstanden als ein de constitutione lata eta-

Vorwort

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blierter bzw. noch zu etablierender Gesetzgebungs- und Verwaltungsstaat (und nicht bloß als ein paternalistisches Regierungssystem!), i n manchen politischen Systemen Lateinamerikas noch als defizitär anzusehen ist. b) Ferner erscheint die Verfassung einiger iberoamerikanischer politischer Gemeinwesen im materiellen Sinne eher als ein Komplex von politischen Postulaten, der de constitutione ferenda erst noch zu sichern ist. Er ist weit davon entfernt, als ein von Verfassungs und Rechts wegen schon fest etablierter und arbeitsteilig wirksam werdender Rechtsstaat im kontinentaleuropäischen Sinne fungieren zu können. Dies kann nur geschehen auf der Grundlage einer formellen Verfassung und bestimmter rechtlicher Einrichtungen und Verfahren, die konstitutionell auf Dauer gestellt und mit Rechtsgeltung ausgestattet werden müssen. c) Die politisch-rechtliche Ordnung des Gemeinschaftslebens kann deshalb nicht als eine per se dauerhafte, fest eingelebte, alltägliche Selbstverständlichkeit angesehen werden, sondern muß als immer aufs neue begründungs- und legitimationsbedürftig behandelt werden. Eine derart kritische Apologetik erscheint unerläßlich, weil ohne sie das für den Bestand des Rechtssystems notwendige Systemvertrauen in der Bevölkerung, d.h. bei den Bürgern und Rechtsgenossen, nicht geschaffen und aufrechterhalten werden kann. 2. Nicht von ungefähr w i r d die Rechtsordnung von manchen als eine mit Hilfe von expressiven Normsätzen (Verfassungsnormen, Gesetzesnormen usf.) bloß partiell formalisierte, i m wesentlichen idealiter bestehende und begründete Rechte-Ordnung (jusnaturalismo, Vernunftrecht, ideal law o.ä.) angesehen, nach deren Maßgabe sich alles geschaffene und noch zu schaffende objektive Recht, hier verstanden als eine teils institutionell-faktische, teils nur idealiter bestehende Rechtsordnung, auszuweisen und zu begründen habe. a) Es erscheint daher nicht weiter verwunderlich, daß auch i n der modernen Rechtsifteone, die auf die Prämissen ibero-amerikanischer Rechtssysteme reflektiert, die tradierten Naturrechtstheorien beziehungsweise zeitgenössische Ersatztheorien derselben (,Vernunftnaturrecht', Vernunftrechtstheorien) noch immer Gültigkeit für das von ihnen prätendierte Naturrecht bzw. dessen Surrogate beanspruchen (vgl. zur New School of Natural Law: Llompart, Massini Correas und Garcia-Huidobro, in: Rechtstheorie 30 (1999), S. 461 ff., 479 ff.). Dies geschieht, diskurstheoretisch gewendet, auch i n Kontinentaleuropa mit Bezug auf die schon positivierten Verfassungen, indem eine - vermeintlich notwendige - Verbindung von Recht und Moral postuliert wird, doch gehören derartige Orientierungen nicht zum Mainstream des modernen Konstitutionalismus. b) Wo die selbstreferenzielle Positivität einer Rechtsordnung, letztere hier verstanden als struktureller, genuin normativer Bestandteil der

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sozialen Wirklichkeit, noch fehlt oder zu wünschen übrig läßt, weil Direktiven und Normen nicht, wie sonst üblich, fortlaufend durch weitere Direktiven und Normen ergänzt werden usf., fühlen sich eine selbsternannte Vernunftmoral oder Rechtsethik aufgerufen und legitimiert, durch ihre ,idealistischen' oder vernünftigen' Konstruktionen und Projektionen (Postulate, Prinzipien, Optimierungsgebote o.ä.) das angeblich bestehende normative Vakuum aufzufüllen. 3. Den hier nur im Umriß skizzierten Voraussetzungen und Implikationen politisch-rechtlicher Ordnung ist es zu verdanken, daß im iberoamerikanischen Rechtssystem das Rechtsbewußtsein oder zumindest das Rechte-Bewußtsein - trotz oder gerade wegen der schmerzhaften Ereignisse, Störungen und Hemmnisse, die beide erfahren mußten - in den betreffenden Regionalgesellschaften auf Störfälle besonders sensibel reagieren und sich demzufolge in sehr fruchtbringender Weise fortentwickelt haben. a) So ist vor allem die normenlogische, epistemologische und wissenschaftstheoretische Reflexion, wie sie beispielsweise von den Vertretern der rechtstheoretischen Schule von Buenos Aires (Aichourron, Bulygin, Nino u. a.) praktiziert wurde und noch wird, aber auch bei den ihr nahestehenden spanischen Autoren (Atienza, Laporta u.a.), die sich um die i n Alicante erscheinende Zeitschrift DOXA gruppieren, in den letzten Jahrzehnten besonders rasch vorangekommen. Dies gilt insbesondere dank der internationalen Vermittlerdienste, die - nach dem zu frühen Tode von Alchourrón und Nino - Ernesto Garzón Valdés als Mittler und Grenzgänger zwischen den mit Politik, Recht und Moral befaßten Disziplinen der Politischen Theorie und Philosophie seit vielen Jahrzehnten im ibero-amerikanischen Bereich und im westlichen Mitteleuropa, insbesondere in Spanien und Deutschland, geleistet hat (vgl. Werner Krawietz und Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. VIff., 479ff.). Entsprechendes gilt für die Vertreter der zeitgenössischen Rechtstheorie und Rechtsphilosophie i n Chile, die unter dem maßgebenden Einfluß von Agustin Squella im Rahmen der in Valparaiso unter seiner Herausgeberschaft erscheinenden, international hochangesehenen Revista de Ciencias Sociales i n rechtstheoretischer und rechtsphilosophischer Hinsicht hervorgetreten sind, aber auch für diejenigen in Brasilien, die wie Tercio Sampaio Ferraz jr. oder - innerhalb der jüngeren Generation - Paulo Antonio de Menezes Albuquerque, Bundesuniversität Cearâ und Universität Fortaleza, in der Theorie und Philosophie des Rechts eher zur Systemanalyse und Kommunikationsforschung tendieren. Nachhaltige Wirkungen i n Mexiko entfaltete im letzten Jahrzehnt vor allem Rodolfo Vâsquez im Zu-

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sammenhang mit der analytischen Theorie und Philosophie des Rechts, insbesondere im Rahmen der vom Instituto Tecnologico Autònomo de Mexico (ITAM) von ihm herausgegebenen Zeitschrift ISONOMÌA sowie der von ihm gemeinsam mit Garzón Valdés betreuten Biblioteca de Etica, Filosofia del Oerecho y Politica , die sich inzwischen auch breiter internationaler Anerkennung erfreut (vgl. hierzu: Krawietz, El Concepto Sociològico del Derecho y Otros Ensayos, Bd. 20, México: Fontamara 1991). b) Zu dieser Entwicklung haben auch die wechselseitigen Kontakte und Verbindungen beigetragen, die innerhalb der kontinentaleuropäischen Rechtstheorie und Rechtsphilosophie mit Lateinamerika bestehen. Sie haben sich seit den 50er Jahren unseres Jahrhunderts auf sprachanalytischer Grundlage herausgebildet und wurden i n Deutschland - vermittelt durch U. Klug (1913 - 1993) - unterstützt durch die Methoden und Mittel formaler Logik, Analytik und Hermeneutik des Rechts. (Hierzu: Krawietz, in: Ulrich Klug zum Gedächtnis. Reden anläßlich der Akademischen Trauerfeier, Köln 1995, S. 11 - 28, 17 ff. Vgl. ferner: Ernesto Garzón Valdés and Werner Krawietz (Ed.), Normative Systems i n Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, Berlin 1997.) Das ibero-amerikanische Rechtsdenken vermochte, wie die diversen, heute bestehenden rechtstheoretischen Schulrichtungen zeigen, auch mit dem i n Zentraleuropa gepflegten Vorurteil aufzuräumen, daß es sich im Verhältnis von Europa und Iberoamerika um eine Art Einbahnstraße der Geschichte handelt, bei der Europa im Zentrum, die staatlich organisierten Rechtssysteme in Lateinamerika jedoch an der Peripherie liegen (vgl. Rechtstheorie 28/1997, S. 251 - 298). Aber ist Buenos Aires wirklich das neue Athen, wie man heute selbstbewußt i n Argentinien sagt? c) Was die staatlich organisierten Rechtssysteme in Kontinentaleuropa, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland angeht und eine Reihe von Universitäten unseres Landes, aber auch die von der Sache her involvierten Universitäten in den USA und i n Japan, die im Dialog mit Universitäten in Iberoamerika stehen, so handelt es sich im Bereich des Rechts und der Rechtstheorie um sehr vielseitige und vielfältige Beziehungen, die in jahrzehntelanger Zusammenarbeit gewachsen sind. (Im Hinblick auf die ibero-amerikanische Rechtswelt vgl. Ernesto Garzón Valdés: Rechtstheorie 19/1988, S. 541 ff.) Die bisherigen wissenschaftlichen Kontakte haben - in Anknüpfung an die jeweiligen Rechtstraditionen und an den regen Gedankenaustausch in Grundlagenfragen der Theorie, Philosophie und Soziologie des Rechts - zu sehr engen und wechselseitigen Verbindungen und vielfältigen Formen eines rechtstheoretischen Dialogs (vgl. hierzu: Krawietz, Recht als Information und Kommunikation i n der modernen Informationsgesellschaft - Normen und

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Handlungstheorien im Übergang. In: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hrsg.), Rechtssoziologie, Baden-Baden 1998, S. 175 - 206) geführt, von dem auch dieses Beiheft Kunde und Kenntnis gibt.

ΠΙ. Verhältnis von Tradition und Modernität im Recht der Gegenwart 1. Was die Genese und die Geltungsgrundlagen der soeben erwähnten Beziehungen im Bereich des Rechts und der Rechtstheorie angeht, so liegt den hier veröffentlichten Untersuchungen die Auffassung zugrunde, daß eine vergleichende Betrachtung politisch-rechtlicher Herrschaftsstrukturen i n Europa wie in Iberoamerika nicht mehr von der geläufigen, zu stark vereinfachenden Annahme ausgehen darf, es handele sich allein um das Verhältnis von Tradition und Modernität. Die Postmoderne meldet auch i n der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie längst ihre Ansprüche an, wie i n diesem Bande deutlich wird. Jedoch erscheint bis heute nicht ausgemacht, ob, inwiefern und wodurch letztere die Moderne wirklich zu transzendieren vermag. Wenn nicht alles täuscht, ist die Postmoderne nach wie vor voll und ganz ein Teil der Moderne! Auch gestattet die Eigenart der hier beteiligten und betroffenen staatlich organisierten Rechtssysteme es nicht länger, zu unterscheiden zwischen einem kontinentaleuropäischen staatlichen Zentralismus und einem rechtsstaatlichen Zentrum einerseits sowie einer aus bestimmten lateinamerikanischen ,Schwellenländern' gebildeten Peripherie des Rechts andererseits. Daran ändert sich auch nichts, wenn man i n einem dialektischen Salto mortale - genau umgekehrt - das Zentrum einzelner (oder miteinander vereinter) staatlich organisierter Rechtssysteme nicht länger i n der konstitutiven Gewalt und in der Legislative erblicken will, sondern letztere zusammen mit ihrem normativen Output als ,peripheres Recht', d.h. als rechtliches Oberflächenphänomen und bloßes Verhaltensprogramm etikettiert, um statt dessen ein informales, lokales und partikulares Recht (,unofficial' law, ,ηοη-state-law') sowie Teile eines mehr oder weniger eigenständigen Richterrechts als die eigentlich zentralen Errungenschaften auszugeben (hierzu treffend: P. A. de Menezes Albuquerque, Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat i n normen- und systemtheoretischer Perspektive, Berlin 2001, S. 6f., 72ff., 108f.). Beiden Positionen gegenüber erscheint das Rechtsdenken i n den Kategorien von Zentrum und Peripherie heute wohl eher selbst als obsolet. a) Die Weltgeschichte ist schon längst nicht mehr die Angelegenheit eines gleichsam a priori erkennbaren, durch immanente Vernünftigkeit ausgezeichneten, ein für allemal gültigen universalen Rechts, das - unab-

Vorwort

XVII

hängig von Geschichte und Erfahrung - den epistemischen Kategorien von Raum und Zeit gänzlich enthoben wäre. Auch hat das Rechtssystem der modernen Gesellschaft, falls überhaupt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene systemisch geordnet, jedenfalls kein Zentrum und keine Spitze (vgl. Aarnio u.a., Hrsg., Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, Berlin 1993). Es ist ein System von Rechtssystemen, welche i n ihrem jeweiligen regionalgesellschaftlichen Kontext zu eigenständigen, aber auch untereinander kooperierenden Trägern übergreifender gemeinschaftsrechtlicher Systembildungen (Europäische Gemeinschaften, Europäische Union, Vereinte Nationen u.a.m.) avanciert sind, die i n ihrem normativen Zweckhandeln längst eine eigene systemische Identität erlangt haben. b) Auch w i r d i n diesem Bande mit der gelegentlich zu hörenden, aber unbegründeten Hypothese aufgeräumt, daß die Modernisierung des Staates seiner Demokratisierung voranzugehen habe. Es ist an der Zeit, diese von der sozialen Wirklichkeit des Rechts längst überholte, vom Standpunkt einer Theorie staatlicher Macht und Autorität nicht länger haltbare, auch demokratietheoretisch nicht zu rechtfertigende Annahme aufzugeben. c) Wer sich heute mit der Modernisierung sozialer Systeme, insbesondere derjenigen von Recht und Staat befaßt, der muß bereit sein, sämtliche politisch-rechtliche Ordnungsstrukturen von den Grundlagen her unter dem Aspekt ihrer Autoreferenzialität, d.h. ihrer Eigenbezüglichkeit, Selbstorganisation und normativen Autonomie, zu analysieren. Dynamisch-funktional, d.h. im Zeitablauf betrachtet, heißt dies, alle sozialen Systeme sowie die Teilsysteme der Gesellschaft auf ihre Fähigkeiten zur normativen rechtsverbindlichen Autopoiese, nämlich zur Selbstherstellung, Selbstbestimmung und Selbstverpflichtung zu überprüfen. Dies setzt voraus, die staatlich organisierten Rechtssysteme der modernen Welt durchgängig als arbeitsteilig strukturierte, nur auf diese Weise sozial wirksam werdende, normativ-selbstreferenzielle Regelsysteme des Rechts zu begreifen (vgl. Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984). Sie stehen ihrerseits - in globaler, weltgesellschaftlicher Perspektive betrachtet - zueinander im Verhältnis der Multireferenzialität (Krawietz / Welker, Hrsg., K r i t i k der Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a.M. 1992, S. 14ff., 25ff., 250ff.), die auch von einer vergleichenden Rechts- und Sozialtheorie zu beachten ist. 2. Die ersten Anregungen und Anstöße zu den in diesem Bande vereinten Studien und Untersuchungen gingen aus von einem Internationalen Symposium Aktuelle Probleme der Allgemeinen Rechtstheorie, das vom 20. bis 24. August 1984 in Buenos Aires stattfand. Es behandelte die Divergenzen zwischen den zeitgenössischen, miteinander konkurrierenden Rationalitätskonzeptionen der modernen Rechtstheorie. Aus ihnen 2 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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Werner Krawietz

ergab sich die Notwendigkeit, zunächst eine Reihe von unerläßlichen, zum Teil recht aufwendigen Detailstudien anzustellen. a) Schon die ersten Zusammenkünfte führten den Beteiligten das Erfordernis vor Augen, die normativen Denkansätze, Voraussetzungen und Implikationen des lateinamerikanischen Rechtsnaturalismus einerseits und des kontinentaleuropäischen Vernunftnaturrechts andererseits sehr viel eingehender zu untersuchen als dies bislang geschehen war. Entsprechendes galt für diejenigen der Vernunftrechtst/ieone, die gewöhnlich als Ersatztheorien angeboten werden (Rechtstheorie 15/1984, S. 423 - 452). Das war jedoch - zusammen mit dem gleichfalls unerläßlichen Theorievergleich - sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen als ursprünglich angenommen. Es machte nämlich nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem tradierten Gegensatz zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus erforderlich (hierzu jetzt: Andrés Ollero, Rechtstheorie 30/1999, S. 495 ff.), vor dessen Hintergrund auch manche zeitgenössischen Vernunftrechtstheorien als Ersatztheorien der klassischen Naturrechtslehren erscheinen. b) Vielmehr nötigten die angestellten Untersuchungen auch zur näheren Beschäftigung mit den für den Aufbau der modernen Rechtstheorie unerläßlichen Framework-Theorien des Rechts und der Gesellschaft. Sie reichen gegenwärtig von der Neuen Analytischen Hermeneutik des Rechts (Aarnio u.a.), der Analytischen Theorie und Philosophie von Normen und Handeln (G. H. von Wright), vom institutionalistischen Rechtspositivismus britischer und/oder österreichischer Provenienz (Neil MacCormick, Ota Weinberger), der kritischen Diskurstheorie (Habermas, Ralf Dreier, Alexy) bis hin zu einer reflexiven Jurisprudenz mit ihrer K r i t i k der Neuen Institutionenökonomik und der Einseitigkeiten ihrer rational-choice-Prinzipien (Teubner) einerseits und von der Normen- und Handlungstheorie des Neuen Institutionalismus in Recht und Gesellschaft (Schelsky, Krawietz u.a.) sowie der soziologischen Systemtheorie (Parsons, Luhmann, Krawietz, De Giorgi) bis hin zur nachpositivistischen Institutionen- und Systemtheorie des Rechts (Krawietz, Gromitsaris, Schemann, P. Werner, Chanos, Veddeler, Schröder, Riechers, E Simon, P. A. de Menezes Albuquerque u.a.) andererseits. Letztere kann als juristische Institutionen- und Systemanalyse, wie sie heute - orientiert am jeweils geltenden Recht - vor allem von Juristen für Juristen betrieben wird, i n ihren Anwendungen auf dem Reflexionsniveau der Juristischen Methodenlehre und der Rechtstheorie, d.h. i n Anlehnung an Ihering, Max Weber, Helmut Schelsky und Theodor Geiger wohl am ehesten als soziologische Jurisprudenz und sinnkritischer Rechtsrealismus (Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984; ders., El Concepto Sociològico del Derecho y Otros Ensayos, México: Fontamara 1991; ders., The

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Concept of Law Revised - Directives and Norms in the Perspectives of a New Legal Realism, in: Ratio Iuris 14 (2001), S. 34 - 46; Dieter Wyduckel, Rechtswissenschaft im nachpositivistischen Rechtsrealismus. In: Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, hrsg. von Eugene Kamenka u.a., Berlin 1986, S. 349ff., 359ff.; Martin Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft - rechtsrealistisch betrachtet. In: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, hrsg. von Aulis Aarnio u.a., Berlin 1993, S. 325ff., 330ff.; Schulte, Prolegomena zu einer Theorie und Dogmatik des Rechtsdenkens, in: Krawietz/Summers/Weinberger/von Wright, Hrsg., The Reasonable as Rational?, Berlin 2000, S. 299 - 310, 302 f.) gekennzeichnet werden. c) Ganz unabhängig von den obigen Entwicklungen ist neuerdings, in Anknüpfung an ältere Entwicklungsphasen des Naturrechtsdenkens - i n Europa wie i n Lateinamerika - auch von einer New School of Natural Law / Iusnaturalismo Actual (Finnis, Massini, Ollero, J. Garcia-Huidobro u.a.) die Rede (Rechtstheorie 30/1999, S. 461 ff., 466ff., 479ff.), im Hinblick auf welche sich freilich die Frage stellt, was wirklich neu an ihr ist. Ihre Beantwortung bedarf, vor allem was Lateinamerika angeht, einer Reihe detaillierter Forschungen, die vor allem das Verhältnis von Politik, Recht und Moral betreffen. 3. Eine weitere Möglichkeit, das verabredete und im Detail geplante Projekt gemeinschaftlich, aber von verschiedenen Standpunkten her voranzutreiben, ergab sich im Rahmen eines Lateinamerika-Kongresses der Westfälischen Wilhelms-Universität, der vom 28. September bis 3. Oktober 1987 in Münster stattfand. Er wurde veranstaltet von der Universität Münster i n Verbindung mit der Staatskanzlei des Landes NordrheinWestfalen, der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF) und dem Europäischen Rat für Sozialforschung über Lateinamerika (CEISAL), denen für ihre Unterstützung auch dieses Vorhabens herzlich gedankt sei. Besonderer Dank und bleibende Anerkennung gebühren in diesem Zusammenhang - neben dem Rektor der Universität dem damaligen Koordinator des Lateinamerika-Kongresses, Professor Dr. Achim Schräder, der im Rahmen der Planung und Durchführung des gesamten Kongresses auch die Rahmenbedingungen mitgestaltete, innerhalb deren dieses Projekt neben vielen anderen erste Gestalt annahm (vgl. Lateinamerika und Europa im Dialog, hrsg. von Hans-Uwe Erichsen, Berlin 1989). Zu den 9 Arbeitskreisen des Kongresses, an dem insgesamt 5 Fakultäten beteiligt waren, gehörte auch ein Arbeitskreis Recht, der unter der Beteiligung und dem Vorsitz der heutigen Herausgeber dieses Bandes tagte. Der Kreis nahm zunächst seine Arbeit auf unter dem Thema „Verfassung und politische Herrschaft in vergleichender Perspektive", das anfänglich aber sehr viel enger verstanden und gedeutet 2'

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wurde. Diese thematische Beschränkung mußte jedoch schon bald aufgegeben werden. a) Die inhaltlichen Vorarbeiten und Planungen für den Workshop Recht, die das ursprüngliche Forschungsvorhaben betrafen, fanden statt unter dem damaligen Rektorat von Prof. Dr. Wilfried Schlüter. Sie wurden fortgeführt von seinem Nachfolger als Rektor der Universität Münster, Professor Dr. Hans-Uwe Erichsen, und dem Verfasser, der für die Koordination des Arbeitskreises 9 verantwortlich war. Die i n diesem Rahmen angestellten Untersuchungen bezogen sich anfänglich auf zwei Schwerpunkte, nämlich (a) auf die Probleme einer Verfassungsreform und (b) auf die Begründung und Legitimation der Menschen- und Bürgerrechte. Die gemeinsamen Erörterungen erstreckten sich zunächst ausschließlich auf die verfassungs- und staatsrechtlichen Aspekte de lege lata. Jedoch wurde darüber hinaus mit Blick auf die rechtspolitischen Erfordernisse des modernen Verfassungs- und Rechtsstaats zunehmend zwischen (i) Argumentationen de constitutione ferenda und (ii) solchen de lege ferenda unterschieden, und letztere wurden - rechtspolitisch und rechtstheoretisch reflektiert - i n die normentheoretischen Überlegungen einbezogen. In der Tat sind alle derartigen Überlegungen auch Gegenstand einer mit Mitteln der Wissenschaften zu betreibenden sozialadäquaten Theorie der Rechtspolitik, die bis auf den heutigen Tag ein wissenschaftliches Desiderat geblieben ist. b) Die vielschichtige grundsätzliche Problematik der Variabilität und Veränderbarkeit, der Regierbarkeit und Steuerbarkeit ganzer Rechtssysteme (oder auch nur von Teilen derselben) blieb gleichwohl zunächst im Hintergrund. Dies änderte sich jedoch sehr rasch. I n der Folgezeit erstreckten sich die Forschungen vor allem auf die vielschichtigen Strukturprobleme des modernen Verfassungsstaats und der demokratischen Willensbildung. Letztere wirft unter den vernünftigen/rationalen Bedingungen verfassungs- und rechtsstaatlicher Entscheidungsprämissen und Verfahrensweisen (Neuer Konstitutionalismus, K r i t i k des Legalismus, Überwindung des angelsächsischen/kontinentaleuropäischen Gesetzesund Rechtspositivismus, Begründung und Legitimation des Rechtsstaats durch Verfahren) eine Reihe von noch ungelösten Problemen auf. c) Als weitere vorrangige Forschungsschwerpunkte erwiesen sich, rechtspraktisch wie rechts theoretisch betrachtet, die Probleme der Begründung, Rechtfertigung und Legitimation der Strukturen und Prozeduren des modernen Rechts und seiner basalen Prinzipien und Werte bis hin zur Leitidee der Volkssouveränität, die auf nationaler wie auf internationaler Ebene (Selbstorganisation, Selbstbestimmungsrecht, Recht der Minderheiten) heute viele neue normative Aspekte auf weist. Hier wie bei der Analyse der Existenzannahmen, Geltungsgrundlagen und Wirkungs-

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Voraussetzungen der Positivität allen Rechts traten im Verlaufe der Zeit die normen- und handlungstheoretischen Voraussetzungen und Implikationen immer stärker ins Zentrum der Überlegungen. Infolgedessen führte auch die Kritik an der Subjekt- und Willenstheorie dazu, die sozialen Hintergründe und hidden underpinnings der zwischen den Subjekten bestehenden Rechtsbeziehungen näher aufzuklären (Huntington, Topornin). Dies w i r d besonders deutlich an den Organisations- und Entscheidungsstrukturen der heutigen Russischen Föderation mit ihrer Vielzahl und Vielfalt von Subjekten und Systemen des Rechts. d) Die K r i t i k der Subjekttheorie besagt, daß bei der Analyse des Aufbaus von Rechtsordnungen letzten Endes nicht länger von atomistisch gedachten ,Subjekten', »Personen4 oder ,Individuen' bzw. von Gruppen solcher Individuen ausgegangen werden kann, die - wie die Atome einer Molekularstruktur - als ,letzte4 Elemente, ,ontische' Bestandteile, normative (,deontische') Haltepunkte, a priori erkennbare axiomatische Fixpunkte oder Träger einer sie umgreifenden und fundierenden Rechtsordnung fungieren und einen »Willen4 äußern oder zumindest erkennen lassen, der seinerseits unmittelbar zur Rechtsbildung führt. Die diversen Formen menschlichen Handelns, die sehr weitgehend nach rechtlichen Prinzipien und Regeln ablaufen, erscheinen vielmehr als eingebettet i n geschichtlich-gesellschaftliche Institutionen, Organisationen und sonstige soziale Systeme, welche die autonome Lebensführung und das Rechtshandeln aller Einzelnen zumindest partiell konditionieren und maßgebend mitbestimmen (vgl. Krawietz, Are there ,Collective Agents' i n Modern Legal Systems? In: Georg Meggle (Hrsg.), Actions, Norms, Values. Discussions w i t h Georg Henrik von Wright, Berlin - New York 1999, S. 273 - 278). e) Wir verstehen das Verhältnis von Normen und Handeln dann und nur dann, wenn w i r es mit Mitteln der Wissenschaft erklären können, aber w i r vermögen es nur dann sozialadäquat zu beschreiben und zu erklären, wenn w i r uns verstehend an den rechtlich schützenswerten Intentionen und Interessen der jeweils beteiligten Akteure orientieren. An die Stelle des normativistischen WziZensdogmas und des ihm zugrundeliegenden Voluntarismus ist somit ein deliberativer Intentionalismus (Ota Weinberger, Georg Henrik von Wright u.a.) getreten, der das normkonforme/abweichende Verhalten (Handeln, Unterlassen) auf seine Weise neu zu deuten sucht. Der zeitgenössische Intentionalismus im Rechtsdenken, der gewöhnlich mit einer dynamisch-funktionalen Betrachtung der Wirkungsweise von Rechtsnormen auf das menschliche Verhalten einhergeht (so schon: Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967, S. 26 ff., 71 ff., 74 ff.; von Wright, Normen, Werte

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und Handlungen, Frankfurt a. M. 1994; Weinberger, Alternative Handlungstheorie, Wien 1996), setzt eine Neue Analytik und Hermeneutik menschlichen Erlebens und Handelns voraus, unter deren Einfluß sich auch das konventionelle Rechts Verständnis tiefgreifend gewandelt hat.

IV. Spätmoderner Verfassungsstaat und Neuer Konstitutionalismus 1. I n dem rechtspraktisch relevanten Dreieck zwischen den Einflußgrößen von (i) Tradition, (ii) Anforderungen der Moderne und (iii) den Erfordernissen einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, denen auch politisch-rechtliche Systeme, insbesondere staatlich organisierte Rechtssysteme unterliegen, kann die zeitgenössische Rechtstheorie die durch leidvolle Erfahrungen im Umgang mit dem Recht immer wieder bestätigte Tatsache nicht ignorieren, daß auch demokratisch gewählte oder i n Volksabstimmungen bestätigte Regime nicht selten die Grenzen mißachten, die ihrer Macht und aller staatlichen Autoritätsausübung von der jeweiligen Verfassung gezogen werden. Hier hilft jedoch nicht die bloße Option für und die Berufung auf die Idee eines Verfassungs- und Rechtsstaats. Vielmehr kommt es darauf an, die tatsächlich existierenden sozietalen Beziehungen zwischen Verfassung, Recht und Staat überhaupt erst einmal näher zu analysieren, so wie sie sich i n der sozialen Wirklichkeit allen Rechts, d.h. i n der regionalgesellschaftlichen Umwelt der jeweiligen Rechtssysteme, darstellen. Sie erweisen sich freilich - unter dem Aspekt ihres intendierten Sollzustands und ihrer Effektivität betrachtet - nicht selten als defizitär. a) Die Existenz von - sei es formalen, sei es informalen - Verfassungen i n diversen Rechtssystemen, die Vernengo mit Blick auf die Verfassungsentwicklung i n Lateinamerika, insbesondere am Beispiel von Argentinien und Brasilien, aber auch von Mexiko und Peru i n vergleichender Absicht in diesem Bande so eindrucksvoll analysiert, besagt selbstverständlich nicht, daß die verfassungsmäßige Organisation des Staates zugleich auch die effektive Regulierung aller Staatstätigkeit widerspiegelt. Die in den Verfassungsurkunden verbriefte Programmatik des Verhältnisses von Recht und Staat gegenüber allen, auf politisch-kultureller Ebene bisweilen nicht hinreichend integrierten Angehörigen und Mitgliedern der Bevölkerung eines Landes (Staatsbürger, Rechtsgenossen) steht nicht selten bloß auf dem Papier. Sie vermag - zumindest i n einer Reihe von Rechtssystemen i n Lateinamerika - die politisch-rechtliche Form dieser staatlich organisierten Rechtssysteme (Autokratie, Präsidialdemokratie, Republik, demokratischer Verfassungs- und Rechtsstaat o. ä.) nicht hinreichend auf Dauer zu fixieren und sozialadäquat zu beschreiben, geschweige denn das i n der jeweiligen Regionalgesellschaft tatsächlich

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wirksame, aber nicht vollauf formalisierte Recht in normativer Hinsicht endgültig zu determinieren. b) Der formale Übergang zu demokratisch verfaßten Staatsstrukturen gewährleistet weder eine effektive Demokratisierung der sozialen Lebensverhältnisse noch w i r d dadurch ein hinreichender Zugang zu rechtsstaatlich strukturierten Lebensformen geschaffen, geschweige denn garantiert. Verfassungsstaat und Rechtsstaat, hier verstanden als politischrechtliche Postulate und als normativ-institutionelle, sozial etablierte und organisatorisch gestützte Errungenschaften des modernen Rechts, sind keineswegs identisch. Die fortlaufende Transformation konstitutioneller Staaten, insbesondere diejenige eines ganzen Verfassungs- und Rechtssystems in die politisch-rechtlichen Lebensformen der Demokratie (Volksabstimmungen, freie Wahlen) gewährleisten als solche noch längst nicht, daß diese Lebensformen zugleich rechtsstaatlich-liberal geprägt sind oder gar notwendigerweise sein müßten. Aus der Tatsache, daß die westlichen Demokratien, insbesondere diejenigen i n Europa, gewöhnlich auch liberale Demokratien sind, folgt nicht, daß - in empirischer wie in analytisch-begrifflicher Hinsicht betrachtet - demokratische Herrschaftsstrukturen und Verfahrensweisen per se mit einem konstitutionellen Liberalismus einhergehen müssen. c) Ein Staat kann durchaus auf demokratische Weise etabliert werden, aber trotzdem illiberal verfaßt sein oder unter Mißachtung der von Verfassungs wegen verbrieften und erstrebten Grundfreiheiten regiert werden. Infolgedessen machen die hier angestellten Forschungen und Untersuchungen die Differenz zwischen (i) dem modernen Verfassungsstaat, i n dem der Konstitutionalismus sich nicht selten auf die Positivierung von objektivem Recht beschränkt und reduziert, und (ii) einem konstitutionellen Liberalismus von vornherein zum Thema und Problem (Krawietz, New Constitutional Patriotism versus Legalism? In: Krawietz/Summers/ Weinberger/von Wright, Hrsg., The Reasonable as Rational? On Legal Argumentation and Justification, Berlin 2000, S. 219 - 231, 225 ff., 230 f.). Der Konstitutionalismus ist als solcher mit einem institutionalistischen Rechtspositivismus durchaus vereinbar. Er kann jedoch - weit darüber hinaus - auch mit einem nachpositivistischen Rechtsrealismus einhergehen, der den normativ-liberalen (»personfunktionalen') Bestandteilen, Elementen und Komponenten allen Rechts besser gerecht zu werden vermag (Krawietz, The Concept of Law Revised - Directives and Norms i n the Perspectives of a New Legal Realism, in: Ratio Juris 14 (2001), S. 34 - 46, 36ff.). Indem er letztere von vornherein i n die Institutionen und sozialen Systeme strukturell einbindet, auf denen die gesamte Rechtsordnung basiert (vgl. zu den Grundfreiheiten und Menschenrechten, verstanden als evolutionary universals moderner Rechtssysteme:

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Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: Krawietz/ Kaulbach, Hrsg., Recht und Gesellschaft, Berlin 1978, S. 319 - 341, 330 ff., 340), vermag er zugleich - mittel- und langfristig betrachtet - deren normativ-strukturelle Anpassungskapazität im Sinne eines higher level of general adaptive capacity der staatlich organisierten Rechtssysteme an ihre jeweilige Umwelt zu steigern. 2. Offensichtlich geht es heute nicht nur i n einigen Staaten i n Lateinamerika, in Osteuropa und i n Südmitteleuropa - ganz zu schweigen von den Problemen des Übergangs vom Kommunismus und Sozialismus zur spätmodernen Demokratie! - um gewisse Tendenzen und Trends, von Verfassungs wegen die Demokratie als politische und soziale Lebensform sehr weitgehend auch ohne einen konstitutionellen Liberalismus zu etablieren. a) Modernität der Verfassung w i r d auch im einundzwanzigsten Jahrhundert mehrheitlich eine Option für Demokratie und demokratisch verfaßte Staaten oder Staatengemeinschaften bedeuten, aber es w i r d nicht nur liberale Demokratien, sondern - wie schon jetzt erkennbar, i n einem nicht zu unterschätzenden Maße - auch illiberale Demokratien geben. Eine Verstärkung derjenigen Bemühungen, die den konstitutionellen Liberalismus pro futuro institutionell auf Dauer stellen, ist deshalb geboten. Sie erscheint auch deswegen vonnöten, weil die moderne Informationsgesellschaft - den technischen Imperativen folgend, nach denen sie angetreten ist und auf denen sie aufbaut (vgl. Krawietz / Martino / Winston, Hrsg., Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991) - bisweilen unbeabsichtigt und ungewollt die Handlungsmöglichkeiten und Freiheiten wieder einebnet, die i n den Strukturen der sozialen Systeme schon fest verankert und gewährleistet schienen. b) Im spätmodernen Verfassungsstaat erscheint es deshalb geboten, schon heute den Aufbau und den Ausbau eines Neuen Konstitutionalismus zu betreiben, der nicht nur die Konstitutionalisierung aller Rechtserzeugung auf objektivrechtlicher wie auf subjektivrechtlicher Ebene verfolgt. Vielmehr müssen (i) alle Verfassungsgebung des Bundes und der Länder, (ii) alle Gesetzgebung sowie (iii) die laufenden Änderungen des Rechts unter Einschluß der Rechtsreform zugleich im Dienste der schrittweisen Entwicklung und Förderung eines konstitutionellen Liberalismus stehen. In den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft bedeutet Autonomie und Selbstorganisation von Recht und Staat, d.h. Selbstbestimmtheit und Selbstherstellung der politisch-rechtlichen Ordnung unter den Bedingungen der Positivität allen Rechts, daß die verfassungsmäßige Organisation des Staates und die legitime Verteilung von Pflichten und Rechten an die Träger der Staatsgewalt sowie die jeweiligen Staatsbür-

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ger und Rechtsgenossen nur aufgrund und nach Maßgabe der Verfassung erfolgen kann, darf und soll, doch müssen dabei bestimmte genuin rechtsstaatliche Anforderungen, Prinzipien und Verfahrensweisen beachtet werden. 3. I n der zeitgenössischen Normen- und Strukturtheorie des Rechts w i r d eine zureichende Beurteilung demokratisch verfaßter Rechtsstaaten unter dem Aspekt des konstitutionellen Liberalismus bis auf den heutigen Tag behindert durch einen - zumindest latent vorhandenen, aber eben deswegen um so nachteiliger wirksam werdenden - normativistischen Rechtspositivismus. a) Die Entwicklung des staatsrechtlichen wie des rechtsstaatlichen Denkens wurde bisher vor allem durch Kelsen (Reine Rechtslehre, 2 1960, S. 319 f.) und die von ihm propagierte Annahme einer „Identität von Recht und Staat" immer wieder i n die Irre geführt. Seine in formaler wie in materialer (substanzieller) Hinsicht verfehlte Identitätsthese, nach der die „staatliche Natur des Rechtes und die rechtliche Natur des Staates" angeblich „nur die beiden Seiten einer Medaille", d.h. „materiell nichts Verschiedenes" seien (ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. Entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, Nachdruck Aalen 1960, S. XVI), erscheint heute - betrachtet vom Standpunkt der Staatsrechtslehre, der Verfassungs- und Rechtsgeschichte und von demjenigen einer Theorie und Soziologie des Rechts! - nicht länger haltbar. Recht und Staat sind nun einmal, normen- und strukturtheoretisch betrachtet, zwei höchst unterschiedliche normativ-soziale Entitäten. b) Es genügt infolgedessen nicht, den modernen konstitutionellen Rechtsstaat mit seiner flächendeckend tätig werdenden, arbeitsteilig organisierten Entscheidungsbürokratie allein unter dem Aspekt der laufenden Formung und Reform der Rechtsordnung, d.h. der Schaffung, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung des jeweils geltenden Rechts, zu begreifen. Entscheidend für die Liberalität einer Demokratie, letztere hier verstanden als ein politisch-rechtliches System, erscheint letzten Endes, welches Maß an politischen bzw. bürgerlichen Freiheiten sie von Verfassungs wegen ihren Angehörigen und Rechtsgenossen gewährt.

V. Der Mensch und sein Recht Liberale versus illiberale Demokratie? 1. Unterscheidet man im Hinblick auf die staatlich organisierten Rechtssysteme der Moderne bzw. der peripheren Moderne zwischen (i) den politischen Freiheiten, die auf die Schaffung und Gewährleistung von demokratischen Verhältnissen hinauslaufen, und (ii) den klassischen

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bürgerlichen Freiheiten, wie beispielsweise den Rechten des einzelnen auf Wahrung seiner persönlichen Identität, Würde und Sicherheit, des privaten Eigentums u.a., die gewöhnlich dem konstitutionellen Liberalismus und seinem Schutz von life , liberty and estate zugerechnet werden, so w i r d deutlich, daß letzterer es nicht (oder doch nicht primär!) mit den Prinzipien, Prozeduren und Verfahrensweisen zu tun hat, nach denen i m demokratisch verfaßten Staat die Parteien bzw. die Regierungen ausgewählt werden, sondern mit der Bestimmung der Grenzen und Schranken, die von Verfassungs wegen der Ausübung aller staatlichen Gewalt von Fall zu Fall gezogen werden müssen. a) Wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lehren, ereignet es sich immer wieder, daß aus erfolgreich abgehaltenen, durchaus freien Wahlen eine starke, autoritativ geprägte Exekutive, aber eine schwache Legislative und eine ebenso schwache Judikative hervorgehen (können), so daß nicht einmal das Gerichtswesen die wenigen bürgerlichen (wirtschaftlichen) Rechte, die von derartigen Rechtssystemen - wenn überhaupt! eingeräumt werden, zu gewährleisten vermag. So hat beispielsweise der Übergang vom Kommunismus und/oder Sozialismus zur Demokratie in Mittel- und Osteuropa (vgl. hierzu: Sonderheft Jugoslawien, Rechtstheorie 24/1993, Sonderheft Ungarn, Rechtstheorie 26/1995 und Sonderheft Estland, Rechtstheorie 31/2000), aber auch in Rußland nach vollzogener Demokratisierung und trotz fortlaufender Konstitutionalisierung dieser Rechtssysteme beim Aufbau des Rechtsstaats nur schrittweise zur Einführung eines konstitutionellen Liberalismus geführt, der auch heute noch erweiterungsbedürftig erscheint und zu wünschen übrig läßt. b) Die im Hinblick auf die Erfordernisse eines Neuen Konstitutionalismus im Recht der Gegenwart angestellten Untersuchungen dienen nicht dazu, einer mehr oder weniger fiktiven Volkssouveränität das Wort zu reden. Hier wie anderswo gilt noch immer die kritisch-skeptische Bemerkung von Helmut Schelsky, der als Analytiker und Kritiker des modernen Zeitgeistes im Nachkriegsdeutschland (vgl. hierzu Krawietz, in: Dirk Ehlers, Hrsg., Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität - Ein Porträt, Münster 1997, S. 42 - 48) mit Blick auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und dessen A r t i kel 20 Abs. 2 Satz 1 GG meinte, sicherlich gehe „alle Staatsgewalt ... vom Volke aus", um - mit einem Schuß liebevoller Ironie - diesen Verfassungsartikel durch den selbstverfaßten Nachsatz zu ergänzen: „... und kehrt nie dahin zurück"! 2. Nichts ist - auch und gerade in der modernen Demokratie! - so irreführend, wie der im Alltagsleben immer wieder gern zitierte Truismus: „Der Staat sind w i r ! " Diese vermeintliche Binsenweisheit, die den Staat i n empirischer wie i n analytisch-begrifflicher Hinsicht und mit stipulato-

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rischer Hinterabsicht auf das durch ihn regulierte Staatsvolk bzw. auf die Gemeinschaft aller Rechts genossen (,Zivilgesellschaft') zurückzuführen sucht, ignoriert das normativ-institutionelle Faktum, daß der moderne Staat, hier verstanden als politisch-rechtliches System und beeinflußt und mitgesteuert durch eine Vielzahl und Vielfalt sonstiger, mehr oder weniger organisierter sozialer Systeme, sich im wesentlichen einer Selbstorganisation der regionalgesellschaftlich wirksamen politisch-kulturellen Kräfte verdankt. a) Vor dem Hintergrund einer Theorie der Rechtsgemeinschaften, die sich - im Theorievergleich betrachtet - spätestens seit Brusiin auf empirischer und rechtsgeschichtlicher Basis entwickelt hat, ist der hochgradig bürokratisierte, arbeitsteilig (,gewaltenteilig') aufgebaute und fungierende moderne Staat, wie schon Max Weber wußte, jenseits aller nationalen Begriffsmystik vor allem eine Organisation, aber er ist auch nur eine Organisation unter und neben anderen - nicht weniger, aber auch nicht mehr. b) Infolgedessen geht es heute darum, die bestehenden demokratischen Strukturen i n den hier behandelten politischen Systemen, d.h. i n einheitsstaatlich oder föderativ organisierten Rechtssystemen, zu analysieren, die Gefahren einer kulturellen oder wirtschaftlichen Spaltung zu vermeiden und einer ethnischen Zersplitterung zu begegnen, aber auch unter diesen Bedingungen die Institutionalisierung und Verwirklichung eines konstitutionellen Liberalismus zu fördern. Er zielt nicht bloß ab auf die Gewährleistung individueller Grund- und Menschenrechte i m Wege nachträglichen juristischen Entscheidens. Es handelt sich hauptsächlich darum, letztere nicht bloß ex post von Fall zu Fall zu schützen, sondern ihre Geltung von vornherein generell-abstrakt, d.h. losgelöst vom Einzelfalle institutionell so auf Dauer zu stellen, daß die Gerichte gewöhnlich gar nicht erst bemüht zu werden brauchen, weil jederman jederzeit von den ihm zustehenden Rechten i n der richtigen Art und Weise Gebrauch machen kann. Dies erscheint nicht ganz einfach, weil die staatliche Herrschaftsgewalt sub specie der Freiheitsrechte betrachtet mit ihren Zwangsmöglichkeiten eher gegenstrukturell verfaßt ist, so daß ihr gegenüber eine generelle und abstrakte Grenzziehung und eine tatsächliche Gewährleistung von Freiheitsrechten schwerfallen muß. Dies gilt auch und vor allem dann, wenn diese Herrschaftsgewalt - wie i n der hochmodernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft üblich - auf eine Vielzahl von immer stärker fragmentierten, i n schwer durchschaubaren Netzwerken miteinander verknüpften, arbeitsteilig aufgegliederten Superstrukturen nationaler und internationaler, staatlicher und/oder'föderaler Stellen und Behörden (konkurrierende Zuständigkeiten, Ermächtigungen pp.) verteilt wird, so daß es immer schwerer fällt,

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dem Mißbrauch der öffentlichen Gewalt und staatlichen Autoritätsausübung wirksam zu begegnen. Aber vielleicht ist unter den Bedingungen europäischer Gemeinschaftsbildung die Macht und Autoritätsausübung ohnehin nicht bei einer für alle Mitgliedstaaten gemeinsamen zentralen Legislative anzusiedeln, sondern - wegen der fortbestehenden Dominanz der staatlichen Trägersysteme in der gesamten Gemeinschaft - europarechtlich primär auf der organisatorischen Ebene der Exekutive zu verankern. 3. Vermutlich w i r d der weitere Zusammenschluß Europas im 21. Jhdt. keine Sache der Konstitution sein, sondern der Administration, hier verstanden im Sinne einer sehr weiten, von den Teilnehmerstaaten konsentierten administratio iuris - über territoriale Grenzen hinweg. Das w i r d allzu gern von denjenigen ignoriert, die noch immer der Schimäre eines europäischen Bundes- oder Superstaats nachjagen. Die sich abzeichnende Tendenz zur De-Konstitutionalisierung und Ent-Parlamentarisierung gewisser grundlegender Entscheidungen gilt trotz der Existenz eines Europäischen Parlaments und der zunehmenden Vereinheitlichung der Wahlverfahren bei künftigen Direktwahlen der Straßburger Abgeordneten. Sie gelangt vor allem zum Ausdruck i n der wachsenden Vernetzung und Verflechtung aller Rechtskommunikationen, die i n weltgesellschaftlicher Perspektive zu verzeichnen sind (vgl. Krawietz, Legal Communication i n Modern Law and Legal Systems. A Multi-Level Approach to the Theory and Philosophy of Law, in: Luc J. Wintgens (Ed.), The Law i n Philosophical Perspectives, Dordrecht - Boston - London: Kluwer 1999, S. 69 - 120, 94ff.). a) In den politisch-rechtlichen Systemen der modernen Welt erscheint die laufende Produktion und Reproduktion des geltenden Rechts heute zunehmend funktionell eingebettet i n staatliche und föderale Strukturen. Ihre normative Eigenart w i r d in empirischer wie i n analytisch-begrifflicher Hinsicht nur unzureichend erfaßt und charakterisiert, wenn man sie (i) allein auf den Staat bzw. den Bundesstaat reduziert, d.h. auf die staatsrechtlichen Kategorien von Bund und Ländern, oder sie andernfalls (ii) mit Hilfe der rechtlichen Kategorie des Staatenbundes und des internationalen Rechts zu identifizieren sucht, d. h. indem man sie als ein Bündnis begreift, das mit einer Reihe von eigenstaatlichen souveränen Föderationssubjekten begründet wird. Durch derartige Dichotomien und Dualismen werden die Strukturen moderner Rechtssysteme freilich nur partiell und unvollständig bzw. gar nicht erfaßt. b) Wie vor allem an der Russischen Föderation und deren Rechtssystem deutlich wird, geht es - verglichen mit einer Reihe von Staaten und Regionalgesellschaften i n Lateinamerika bzw. i n Zentraleuropa - gegenwärtig in Osteuropa um ganz neue Formen eines regionalen Föderalis-

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mus, die mit dem westlichen Föderalismus Schweizer, nordamerikanischer oder deutscher Provenienz nur begrenzt vergleichbar sind. Das, was sich heute auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion im Rahmen der sehr viel engeren Russischen Föderation ereignet, sowie manches (aber nicht alles), was sich außerhalb derselben an staatlicher und nichtstaatlicher Zusammenarbeit vollzieht, kann den bislang bekannten Erscheinungsformen des Föderalismus nicht bzw. nicht ohne weiteres attribuiert und zugeschrieben werden (s. unten: Topornin, S. 314 ff., 320 f.). c) Es ist nicht zu verkennen, daß es sich heute i n Lateinamerika wie in Europa - vergleichend betrachtet - sehr weitgehend um normative Phänomene einer strukturellen Neuordnung von nicht bloß staatlichen, im einzelnen sehr heterogenen Rechtsgemeinschaften (indigenous law, unofficial law, non-state legal systems, state legal systems) handelt, die sich nur begrenzt mit den bislang üblichen analytisch-begrifflichen Unterscheidungen (Bundesstaat, Staatenbund) behandeln und bewältigen lassen. Die tradierten, bloß konventionellen, sehr weitgehend unter dem Einfluß des juristischen Positivismus entstandenen Typisierungen führen heutzutage - rechts- und gesellschaftstheoretisch betrachtet - nicht sehr weit, wenn man den bislang allzu sehr vernachlässigten, multikulturell geprägten Formen der Gemeinschaftsbildung (hierzu: Aulis Aarnio, Theorie der Rechtsgemeinschaften und der Rechtserfahrung in Otto Brusiins Allgemeiner Rechtslehre. In: Münsterische Juristische Vorträge, Bd. 3, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Münster 1999, S. 33ff., 50ff.) wirklich gerecht zu werden versucht. Letztere entfalten und entwickeln sich vor allem unterhalb und jenseits der staatlichen und föderativen politisch-rechtlichen Ordnungen auf der Ebene der Regionen. Sie können - wenn überhaupt - wohl am ehesten als ein Föderalismus der dritten Art bezeichnet werden. Er stellt auch staatlich schon sehr weitgehend organisierte Rechtssysteme nicht bloß de constitutione, sondern vor allem de lege ferenda vor neue Ordnungsprobleme, die durch die fortschreitende Ausdifferenzierung regionaler Autonomien sowie der lokalen (kommunalen, partikularistischen) Selbstverwaltung hervorgerufen werden. Sie können, wie i n den hier angestellten Untersuchungen deutlich wird, unter Umständen behoben werden durch Formen regionaler grenzüberschreitender Kooperation, die mit den bislang bekannten Formen einer gemeinschaftsrechtlichen und/oder föderalen Kooperation nicht ohne weiteres vergleichbar sind, auch wenn sie eine Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten auf weisen (hierzu: Krawietz, Assoziationen versus Staat? Normative Strukturelemente föderaler politisch-rechtlicher Gemeinschaftsbildung, in: Rechtstheorie 28 (1997), S. 321 - 339; F. Simon, Assoziation und Institution als soziale Lebensformen in der zeitgenössischen Rechtstheorie, Berlin 2001, S. 45 ff., 81 ff.). Die mangelnde Klärung der verfassungs- und rechtsstaatlichen Steuerungspro-

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bleme und die bestehenden Forschungsdefizite, die der zeitgenössische Föderalismus, hier verstanden als politisches und rechtliches Phänomen, heute allenthalben aufwirft, sind nicht Ausdruck und Folge eines Verfassungs- oder Parlamentsdefizits. Sie können nur behoben werden durch vermehrte rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung, die sich vor allem auf die bislang vernachlässigten rechts- und gesellschaftstheoretischen Aspekte konzentrieren muß.

I. Autoritarismus, Diktatur und Demokratie im Übergang

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 3 - 22 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

ARGENTINISCHE DEMOKRATIE HEUTE: ETHISCH-POLITISCHE PROBLEME DER ÜBERWINDUNG DER DIKTATUR Von Ernesto Garzón Valdés, Mainz „ . . . we know enough if we know we are the king's subjects; if his cause be wrong, our obedience to the king wipes the crime of it out of us." William Shakespeare (1599) „Die Liberalen können zufrieden sein, daß sie die Hälfte erreicht haben, als die Gelegenheit günstig war, alles zu erreichen." Mariano José de harr a (1836) „Wir haben immer wieder gesagt, daß die Rechtfertigung einer Regierung den Schutz derjenigen Rechte zwingend voraussetzt, die es verhindern, daß eine Person zugunsten anderer Personen oder zugunsten der Gesellschaft als Ganzes geopfert wird. Folglich wird jede Regierung i n dem Moment illegitim, i n dem sie diese Rechte anderen Überlegungen unterordnet." Raul Alfonsin (1986)

Mit dem Amtsantritt der Regierung von Raùl Alfonsin am 10. Dezember 1983 endete eine der tragischsten Epochen der argentinischen Geschichte. Vorausgegangen waren nicht nur eine jahrelange wirtschaftliche und kulturelle Katastrophe und ein sinnloser Krieg, der sowohl militärisch als auch diplomatisch mit einer Niederlage endete, sondern auch ein Morden von unvorstellbarem Ausmaß. Der Sieg des Kandidaten der Radikalen Partei beruhte hauptsächlich darauf, daß er es verstand, das staatsbürgerliche Bewußtsein zu schärfen und so die Zustimmung der Bevölkerung zu rational vorgetragenen ethischen Prinzipien zu erlangen. Er hatte damit ein Banner gehißt, das lange Zeit in Vergessenheit gewesen war im politischen Leben eines Landes, in dem man gewöhnt war, sich hinter Parolen zu sammeln, die wirtschaftliche und soziale Entwicklungsprojekte, wenn nicht gar eine kontinentale Führungsrolle versprachen - Projekte, die später alle aufgrund ihrer eigenen internen Widersprüche scheiterten. Außerdem waren w i r Argentinier immer schnell bereit, in jedem Schritt von der Diktatur zur 3 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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Demokratie einen grundlegenden Bruch zu sehen, der es erlauben würde, uns von den Fehlschlägen der Vergangenheit zu lösen und uns in jungfräulicher Reinheit auf den Weg in eine neue Zukunft zu machen. Während seines Wahlkampfes hatte Alfonsin diesbezüglich einen ganz anderen Standpunkt eingenommen: Die Vergangenheit bedinge auch die Zukunft, und es sei daher nicht möglich, über sie hinwegzusehen und ihre Fehler aus dem Bewußtsein zu verdrängen, sondern man müsse den moralischen Mut haben, sich diesen Fehlern zu stellen und die Schuldigen zu bestrafen. Zu diesem Zweck müsse man sich rechtsstaatlicher Verfahren bedienen. Es ist wohl nicht sehr gewagt zu vermuten, daß diese ethisch konsequente und historisch verantwortungsbewußte Haltung eine große Zahl von Wählern faszinierte, da sie in Alfonsins Programm eine ernstzunehmende Garantie für die Einhaltung der Menschenrechte und die Ablehnung jeglicher Straffreiheit für die Agenten des Terrors auf der einen wie auf der anderen Seite sahen (Haffa 1984, 33, und Werz 1987, 7). Am 10. Dezember 1983 bekräftigte der verfassungsmäßige Präsident vor dem Kongreß einen der wesentlichsten Grundsätze seiner Politik: „... die Demokratie kann nicht auf einem stillschweigenden Verzicht errichtet werden, indem man so tut, als wäre hier nichts geschehen" (Alfonsin 1983, 13). Diese Feststellung gab ganz klar grundlegende Kriterien für die Legitimität der neuen Demokratie vor. So sah es auch die Regierung, die unverzüglich zwei Dekrete erließ: Dekret 157/83, das die Einleitung von Strafverfahren gegen diejenigen verfügte, die für Terrorakte verantwortlich waren, welche nach dem 25. Mai 1973 begangen worden waren; und Dekret 158/83, das die Eröffnung von Gerichtsverfahren gegen die Mitglieder der Militärjuntas verfügte. Außerdem legte sie dem Kongreß einen Gesetzentwurf vor, der später als Gesetz Nr. 23.040 verabschiedet wurde und der das Gesetz Nr. 22.924 für nichtig erklärte, durch das alle für die Repression während des sogenannten „schmutzigen Krieges" Verantwortlichen hätten amnestiert werden sollen. Am 14. Februar 1984 wurde das Gesetz Nr. 23.049 verabschiedet, nach dem alle Prozesse gegen Militärs, die wegen Verbrechen im Rahmen der antisubversiven Aktionen angeklagt waren, in erster Instanz vor dem Obersten Militärgericht zu verhandeln seien, wobei die Möglichkeit der Revision der Urteile des Militärgerichts durch die Bundesberufungskammer für Strafsachen (Càmara Federal de Apelaciones en lo Criminal y Correccional) dadurch nicht berührt werden sollte. Art. 11 des Gesetzes Schloß die Berufung auf Gehorsamspflicht für alle Fälle von grausamen oder verabscheuenswürdigen Taten aus. Die Verabschiedung dieses Gesetzes wurde von Anfang an heftig diskutiert. Dabei standen diejenigen, die die Zuständigkeit des Militärgerichts für

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verfassungswidrig hielten, denen gegenüber, die im Gegenteil in dieser gesetzlichen Bestimmung nicht nur eine juristisch korrekte Lösung des Problems sahen, das sich aus der Anwendung von Art. 18 und 95 der Verfassung ergab, sondern auch den richtigen Weg für eine ethisch einwandfreie Behandlung der unterschiedlichen Grade von Verantwortlichkeit bei den Mitgliedern der Streitkräfte (dazu Mignone/Estlund/Issacharoff 1984, Nino 1985 und Osiel 1985). Die verfassungsmäßige Regierung verfügte jedoch nicht nur die gerichtliche Verfolgung der Mitglieder der drei Militärjuntas, sondern hielt es auch für unerläßlich, eine umfassende Untersuchung über das Schicksal der sogenannten „Verschwundenen" in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zweck schuf sie mit Erlaß 187/83 die Nationale Kommission über das Verschwinden von Personen (Comisión Nacional sobre la Desaparición de las Personas CONADEP), die ihre Aufgabe mit der Veröffentlichung eines der beeindrukkendsten aller bisher erstellten Dokumente über Staatsterrorismus beendete (Comisión ... 1984). Im folgenden werde ich mich auf einige Bestimmungen und Tatsachen beziehen, die als Belege für die Wirkungslosigkeit oder auch die Aufgabe der von Raùl Alfonsin während seines Wahlkampfes proklamierten Politik zur Verteidigung der Menschenrechte angeführt werden (I); ich werde dann die Argumente derer darstellen, die die Meinung vertreten, daß die Politik der Regierung Alfonsin in der Frage der Menschenrechte und der Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des „Prozesses" - d.h. des „Prozesses der Nationalen Reorganisation", wie die Militärdiktatur ihr eigenes Programm bezeichnete - ununterbrochen und ethisch konsequent verfolgt wird (II); schließlich werde ich untersuchen, ob und in welchem Maße die Legitimität des heutigen demokratischen Systems durch die Ereignisse der vergangenen vier Jahre beeinträchtigt wurde und welche Folgen dies für die Stabilität des verfassungsmäßigen Systems in Argentinien haben könnte (III). I.

Zu den Maßnahmen und Tatsachen, die am häufigsten angeführt wurden, wenn es darum ging, die Politik der Regierung Alfonsin vom ethischen Standpunkt aus als wirkungslos oder als unvereinbar mit den während des Wahlkampfes von 1983 vorgetragenen Zielen zu kritisieren, gehören die folgenden: 1. Der Bericht des Obersten Militärgerichts vom 11. Oktober 1984. Dieses Dokument habe das mangelnde Interesse seitens der militärischen Autoritäten an einer Verurteilung ihrer Kollegen bestätigt und ihnen Gelegenheit 3*

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gegeben, erneut auf der Rettungsfunktion des „Kampfes gegen die Subversion" zu beharren. Die Entscheidung, die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen den Militärs selbst zu übertragen, sei demnach bestenfalls die Folge naiver Illusion und schlimmstenfalls Ausdruck eines ethisch verwerflichen politischen Spiels. 2. Die wiederholten Erklärungen hoher militärischer Führer, in denen der Kampf gegen die Subversion als „Kreuzzug" gerechtfertigt wird: „Das Oberste Gericht hat sich [mit seinem Vorgehen gegen einige frühere Juntamitglieder] zugunsten der Revanche der [subversiven] Terroristen ausgesprochen und so einen verbrecherischen Prozeß gebilligt, in dem schwerste Verstöße gegen die Verfassung begangen wurden." (Ex-Juntamitglied Jorge Rafael Videla, nach La Nación vom 3. Januar 1987) „Der Sieg [gegen die Subversion], der so viel Mut, so viel Mühe und so viel Leiden gekostet hat, ist unwiderruflicher Teil der Ruhmestaten des Vaterlandes." (General Héctor Rios Erenù, nach La Nación vom 10. Februar 1987) „... wir stehen unter einem völlig marxistischen Regime, das das Vaterland besetzt hat ... hier liegt weniger ein politisches, als ein ideologisches Problem vor, denn meines Erachtens sind internationaler Marxismus und Liberalismus in allen ihren Varianten Feinde des Vaterlandes. Mit einem W o r t . . . diejenigen, die mich anklagen, sind für mich Gurkhas ..." (Kommodore Luis Estrella, nach El Dia (Mexiko) vom 15. Februar 1987)

Die Regierung habe sich also geirrt, so heißt es, hinsichtlich der ideologischen Zusammensetzung der Streitkräfte und ihrer Fähigkeit, die Schwere der Vergehen zu begreifen, die einigen ihrer Mitglieder zur Last gelegt werden. 3. Das Argument der „Gehorsamspflicht" als Rechtfertigung von Unterdrückungsmaßnahmen. Dieses Argument könnte, selbst wenn es nicht auf „grausame und verabscheuenswürdige" Verbrechen angewandt wird, einen gefährlichen Weg für Entschuldigungen öffnen. 4. Die sogenannten „Weisungen" an den Obersten Ankläger der Streitkräfte vom 25. April 1986. Sie enthielten eine „verdeckte Amnestie für zahllose Personen, die in laufende Verfahren verwickelt sind" (Sancinetti 1986, 53). 5. Die Verabschiedung des Gesetzes Nr. 23.492, welches verfügt, daß vom sechzigsten Tag nach Inkrafttreten dieses Gesetzes an keine neuen Strafverfahren gegen diejenigen mehr eingeleitet werden sollen, die sich als Ausführende von Vergehen nach Art. 10 des Gesetzes Nr. 23.049 erweisen. Dieses Gesetz, das unter dem Namen „Schlußpunktgesetz" bekannt geworden ist, bedeute die Aufgabe der bis dahin von der Regierung verfolgten Maßnahmen zur Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschenrechte. Die Regierung habe es nämlich mit diesem Gesetz unternommen, die von

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den Streitkräften während des „Prozesses der Nationalen Reorganisation" begangenen Verbrechen zu verschleiern. 6. Die vom Generalprokurator an die Staatsanwälte gegebenen Weisungen vom 3. Februar 1987 bezüglich der laufenden Verfahren wegen Verletzungen der Menschenrechte. Damit seien die Aktivitäten der Staatsanwälte auf nur wenige Fälle beschränkt worden, was gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verstoße und in der Praxis bedeute, daß eine große Gruppe vermutlich Schuldiger nicht zur Verantwortung gezogen werden. 7. Die militärische Krise vom April 1987. Sie sei der klare Beweis dafür, daß die Streitkräfte nicht bereit seien, sich der Strafverfolgung wegen Verletzung der Menschenrechte zu beugen. Sie seien aus der Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft als Sieger hervorgegangen, da sie genau das erreicht hätten, was sie wollten: den Bereich der Straflosigkeit für Vergehen, die in der Zeit von 1976 bis 1983 begangen wurden, zu vergrößern. II.

Auf der anderen Seite unterstreichen diejenigen, die die ethische Konsequenz der Regierung vertreten, folgendes: 1. Das Urteil der Bundeskammer vom 9. Dezember 1985, mit dem fünf ehemalige Mitglieder der Militärjuntas verurteilt wurden, sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Übergangs von einer Diktatur zu einer Demokratie, dem zweifellos ethische Bedeutung zukomme. Es sei der verfassungsmäßig richtige Weg gewesen, den Streitkräften die Möglichkeit zu bieten, ihre eigenen Mitglieder zu verurteilen, so daß darin auch ein ethischer Wert liege, da es die Rechtsstaatlichkeit bekräftigt habe. Die Befürchtung, die zivilen Gerichte würden sich nicht mit den zunächst der Militärgerichtsbarkeit übertragenen Fällen befassen, sei unbegründet gewesen. 2. Obwohl es unverbesserliche Offiziere gebe, die auch weiterhin an die Prinzipien der sogenannten Doktrin der Nationalen Sicherheit und an deren Methoden zur Unterdrückung von - gewaltsamer wie gewaltloser - Opposition glauben, könne nur ein Drittel der Streitkräfte zu dieser Gruppe gezählt werden. Die restlichen zwei Drittel bestünden aus Berufssoldaten, die entweder offen die während des „Prozesses" angewandten Maßnahmen ablehnten oder die keinerlei ideologische Position vertreten, welche eine Gefahr für die Demokratie darstellen könnte (Osiel 1986, 149). Die Erklärungen einzelner aktiver oder pensionierter Offiziere seien daher als Ausdruck von Ausnahmefällen anzusehen. 3. Aus ethischen Gründen sei es geboten, zwischen drei Arten von Offizieren zu unterscheiden: solchen von höherem Rang, die zu ihrer Verteidigung

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nicht anführen könnten, sie hätten aufgrund von Befehlen gehandelt; solchen niederen Ranges, die sich derart verteidigen könnten; und - unabhängig von ihrem Rang - solchen, die grausame und verabscheuenswürdige Verbrechen begangen haben. Wie die Kammer befand, sei zu berücksichtigen, daß „... sich die gesetzwidrigen Befehle mit der gesetzmäßigen Struktur des Kampfes gegen die Subversion vermischten und daß sie von einer nachdrücklichen Indoktrinierung dahingehend begleitet waren, daß es sich um Maßnahmen im Rahmen eines imgewohnlichen Krieges handele und daß dies die einzige Möglichkeit sei, revolutionäre Verbrechen zu bekämpfen. Unter diesen Umständen ist zu vermuten, daß viele untergeordnete Ränge zu ihren Gunsten den Ausschließungsgrund der Gehorsamspflicht oder des Verbotsirrtums bezüglich der Legitimität der empfangenen Befehle anführen können." (Guariglia 1987, 12) „Die Offiziere von niederem Rang und die Soldaten waren allen Arten von Druck, Propaganda und religiösen Begründungen bezüglich der Legitimität der Maßnahmen gegen subversive Gruppen ausgesetzt ... Die Regierung kam zu dem Schluß, daß es zu mühsam, überflüssig und ungerecht gewesen wäre, für alle diese Einflüsse in jedem einzelnen Fall Beweise zu verlangen." (Nino 1985, 228)

4. Die Weisungen an den Obersten Ankläger der Streitkräfte sei eine Maßnahme zur Beschleunigung der Verfahren gegen die Militärs gewesen, die des Exzesses bei der Ausführung der erhaltenen Befehle angeklagt waren. 5. Das Gesetz Nr. 23.492 sei eine „typische Norm pragmatischen Charakters, ... deren explizit verkündete Absicht es war, zu einer ökonomischen Neuordnung der Gerichtsverfahren zu führen, um so eine potentiell grenzenlose Verfahrensmenge einzugrenzen." (Guariglia 1987, 13) Es sei außerdem ein „grober Irrtum" und ein "Affront, ein Justizsystem allein unter einem quantitativen Gesichtspunkt zu beurteilen, also anhand der Anzahl von Schuldverdächtigen, die es verurteilt" (Guariglia 1987, ebd.). Wer diese Einstellung habe, vertrete die These des „Totalismus" (todismo), die nicht i n die Praxis umsetzbar und daher auch auf der Ebene der ethischen Pflichten inakzeptabel sei. 6. Die Weisungen vom 3. Februar 1987 hätten die Vereinheitlichung der Verurteilungskriterien bezweckt. Man habe so denjenigen Verfahren den Vorrang gegeben, i n denen die Beweislage ausreichend war. 7. I m April 1987 habe die zivile Gesellschaft der verfassungsmäßigen Regierung ihre volle Unterstützung gegeben. Dies sei ein Sieg der Demokratie gewesen, und man habe damit vor allem eine lange Tradition ziviler Passivität gegenüber versuchten Staatsstreichen durchbrochen. Die argentinische Gesellschaft habe mit staatsbürgerlicher Reife zu reagieren gewußt: „Die Meuterei ist also ein Aufbegehren der Vergangenheit i n einem Augenblick, i n dem die Gesellschaft die Säkularisierung bekräftigt... und i n dem sich die politischen Institutionen darauf vorbereiten, daß die Partizipation jeden Keim von Auto-

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ritarismus im Rahmen einer neuen Verfassung erstickt." (Delich, nach El Pais vom 23. April 1987) „Die Meuterei der Karwoche und die Reaktion der ganzen Nation bedeuten einen grundlegenden Neuanfang in unserer Geschichte: den des Sieges eines unbewaffneten Volkes über Minderheiten, die uns mit Waffengewalt in ein dunkles Zeitalter zurückwerfen wollten." (Sàbato, nach El Pais vom 13. Mai 1987).

IU. In der hier knapp skizzierten Diskussion sind sich die Teilnehmer darüber einig, daß die Beurteilung der Legitimität eines politischen Systems normativer Natur und daß die Rechtfertigung eines solchen Systems letztlich eine ethische ist. Die wiederholte Berufung auf die Menschenrechte ist nicht rhetorisch zu verstehen, sondern als Ausdruck einer gemeinsamen Haltung, nach der ethische Argumente Vorrang vor Argumenten der politischen Klugheit besitzen. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion gibt es drei Fragen, die im Hinblick auf die Legitimität des derzeitigen demokratischen Systems in Argentinien besondere Beachtung verdienen: 1. die Frage, ob für die Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Bestrafung derer zu gewährleisten, die sich während des sogenannten „Prozesses der Nationalen Reorganisation" der Verletzung von Menschenrechten schuldig gemacht haben, der richtige Zeitpunkt gewählt wurde; 2. die Frage der Gehorsamspflicht; und 3. die Frage nach der Möglichkeit der Eingliederung der Streitkräfte in eine demokratische und freie Gesellschaft. Diesen Fragen möchte ich im folgenden nachgehen. 1. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für strafrechtliche Maßnahmen der hier zu behandelnden Art hat in zweifacher Hinsicht ethische Bedeutung: Erstens, weil nur solche Handlungen geboten sind, deren Durchführung auch möglich ist. Hier gilt das Kantische Prinzip: Sollen impliziert Können. Und zweitens, weil die Tatsache, daß man eine günstige Gelegenheit für die Verhängung einer Strafe nicht nutzt, bedeuten kann, daß man durch Unterlassung Grundgüter verletzt. Hier gilt der Spruch: Verzögerte Gerechtigkeit, verweigerte Gerechtigkeit. Auch im nachhinein betrachtet ist es eine schwierige und vielleicht niemals abschließend zu beantwortende Frage, in welchem Maße der Umweg über das Militär, wie er durch das Gesetz Nr. 23.049 vorgezeichnet wurde, eine Verzögerung bedeutete, die zwar die Bestrafung der Mitglieder der Militärjuntas und die Verfolgung von Figuren von der moralischen Statur eines Camps, Chamorro oder Menéndez nicht beeinträchtigte, die aber bei

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vielen Beteiligten zur Verfestigung des Glaubens beitrug, man werde am Ende doch eine Amnestie erreichen können. Unbestreitbar scheint dagegen zu sein, daß das Fortschreiten der Zeit bei denen, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, den Glauben zu verstärken pflegt, die Dinge seien nicht so schlimm, wie man zunächst befürchten mußte, und daß die Tatsache, daß eine Strafe nicht unverzüglich verhängt wird, als ein Zeichen entweder für die Ohnmacht der Justiz oder für das Einverständnis mit den begangenen Taten angesehen wird. In beiden Fällen verbessert der Schuldige seine „Verhandlungsposition". Die Vermutung scheint nicht allzu gewagt, daß die politische Macht der Betreiber des „Prozesses" nie geringer war als in den Monaten, die unmittelbar auf den Sieg der Demokratie Ende 1983 folgten (Haffa 1984, 41). Wenn es in den vergangenen Jahren je eine günstige Gelegenheit gegeben hat, um das ethisch richtige Vorhaben einer Abrechnung mit der Vergangenheit in die Tat umzusetzen, dann ist sie wohl in dieser Zeitspanne zu suchen. Diese Annahme ließe sich nur mit dem Einwand entkräften, daß entweder die Umstände zu einem späteren Zeitpunkt noch günstiger waren oder daß eine solche Gelegenheit tatsächlich zu keinem Zeitpunkt bestanden habe. Die Ereignisse der jüngsten Zeit zeigen deutlich, daß der erste Einwand falsch wäre. Wäre aber der zweite richtig, dann könnte man daraus nur zwei Schlüsse ziehen: daß es entweder einen schweren Irrtum bei der politischen Einschätzung der tatsächlichen Macht der Streitkräfte gegeben hat, womit sich erklären ließe, daß die Regierung ein aufrichtiges, aber unhaltbares Versprechen gegeben hat; oder daß es einen solchen Irrtum nicht gab, was Zweifel an der Aufrichtigkeit des Versprechens hervorrufen müßte. Man könnte selbstverständlich auch einwenden, daß es allzu einfach ist, im nachhinein zu sagen, wie man hätte handeln sollen, daß es aber sehr schwierig ist, die entsprechenden - notwendigerweise kontrafaktischen Argumente zu begründen. Dieser Einwand wäre gültig, wenn sich nicht schon im Dezember 1983 und zu Beginn des Jahres 1984 die Gefahren aus der durch das genannte Gesetz bewirkten Verzögerung angekündigt hätten. Es gibt, wie Larra sagte, „günstige Gelegenheiten", in denen man „alles" erreichen kann. Diese Gelegenheiten scheinen unwiederbringlich verloren, und uns Liberalen bleibt wohl nur noch der Trost, wenigstens die Hälfte erreicht zu haben. Was für ein billiger Trost das ist, das zeigt sich jedoch am Schicksal Larras selbst, den die politische Frustration am Ende in den Selbstmord trieb. Und wie schwer die Folgen aus dem Verstreichen günstiger Gelegenheiten sein können, ist leicht einzusehen, wenn man bedenkt, daß dies in der Regel zu einer derartigen Beschränkung des Handlungsspielraumes führt, daß entweder ein Handeln gar nicht mehr möglich ist oder daß es sich im Rahmen dessen bewegen muß, was die Moralphilosophen „tragic choice" nennen.

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2. Die Frage, inwieweit die berufliche Pflicht des Soldaten, Befehlen seiner Vorgesetzten zu gehorchen, Abweichungen von den Vorschriften der gewöhnlichen Moral rechtfertigen kann, hat zweifellos aufgrund der Nürnberger Prozesse und der Kriegsverbrechen in Vietnam große Aufmerksamkeit und öffentliche Wirkung erlangt. In Argentinien ist sie zu einer der wichtigsten rechtspolitischen Fragen überhaupt geworden. Es handelt sich aber im Grunde um eine Frage, die so alt ist wie die Problematik des gerechten Krieges selbst. Im Laufe der letzten drei Jahrhunderte hat es zahlreiche Beispiele gegeben, die zeigen, wie problematisch eine Verteidigung ist, die sich auf Gehorsamspflicht beruft, wenn diese nicht ethischen Beschränkungen unterworfen wird. Die Beispiele reichen vom Prozeß gegen den Kommandanten der Truppe, die den Befehl zur Hinrichtung von Karl I. von England erhalten hatte, und in dem das Gericht befand: „when the command is traitorous, then the obedience to that command is also traitorous" (Taylor 1979, 432) bis zu Art. 47 des deutschen Militärstrafgesetzbuches von 1872, wo es hieß: „Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: ... wenn ihm bekannt gewesen, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte." Ähnliche Bestimmungen wurden in zahlreichen Ländern ins Militärrecht aufgenommen. Art. 514 des argentinischen Militärrechts enthält nur den ersten Teil von Art. 47 des deutschen Militärstrafgesetzes. Carlos S. Nino (1985, 227ff.; vgl. auch das Sondervotum des Richters des Obersten Gerichts Jorge Antonio Bacqué vom 22. Juni 1987 zum Gesetz Nr. 23.521) hat jedoch darauf hingewiesen, daß renommierte argentinische Juristen wiederholt argumentiert haben, daß Art. 514 weder die Pflicht zu blindem Gehorsam noch Straffreiheit für die Folgen dieser Art von Gehorsam begründet. Nicht einmal so dunkle Gestalten der Weltgeschichte wie Joseph Goebbels haben es gewagt, die ethisch begrenzte Reichweite der militärischen Gehorsamspflicht in Zweifel zu ziehen. I m Mai 1944 sagte Goebbels: „Es gibt kein völkerrechtliches Gesetz, das bestimmt, daß ein Soldat, der ein Verbrechen begangen hat, der Strafe entgehen kann, indem er zu seiner Verteidigung vorbringt, daß er Befehlen seiner Vorgesetzten gehorcht hat. Dies gilt insbesondere, wenn die Befehle jeder menschlichen Ethik widersprechen und gegen die etablierten Gepflogenheiten des Krieges verstoßen." (nach Taylor 1979, 435)

Die Gehorsamspflicht erhält besondere Bedeutung, wenn es sich bei den Straftatbeständen, zu denen der Gehorsam führt, nicht um vereinzelte Übergriffe handelt, die der kriminellen Energie einiger Vorgesetzter entspringen, sondern wenn sie im Rahmen eines systematischen Vorgehens verübt werden. Auf diese Fälle läßt sich der Satz von Sarmiento anwenden: „... die Verbrechen, die die Republik erlebt hat, waren offizielle, von der

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Regierung befohlene Verbrechen; niemand wurde kastriert, geköpft oder verfolgt ohne den ausdrücklichen Befehl dazu." (Sarmiento 1977, 241). Wie Guariglia (1987,13) richtig bemerkt hat, haben die höchsten Gerichte des Landes „unanfechtbar entschieden, daß [der ,Prozeß'] in einem kriminellen System des Staatsterrorismus bestand." Der systematische Charakter der Menschenrechtsverletzungen wurde im Bericht der Nationalen Kommission für das Verschwinden von Personen eindeutig dokumentiert. Im Vorwort zu Nunca Mas kann man lesen: „Aus der großen Menge des gesammelten Beweismaterials ... ergibt sich, daß die Menschenrechte durch die Repression der Streitkräfte auf organisierte Weise und von Staats wegen verletzt wurden. Die Menschenrechtsverletzungen erfolgten nicht spontan, sondern systematisch ... Wie könnte man also umhinkommen, sie einer von den Oberbefehlshabern geplanten Methode des Terrors zuzuschreiben? Wie könnte man glauben, sei seien von ein paar Perversen verübt worden, die auf eigene Rechnung handelten, unter einem Militärregime, das doch alle Macht und alle Informationsmöglichkeiten besaß, über die ein solches Regime verfügt? Wie kann man hier von vereinzelten Exzessen' sprechen?" (Comisión ... 1984, 8)

Wenn dies richtig ist, dann können sich diejenigen, die Befehle ausführten, um diesen Terrorismus durchzusetzen, kaum zu ihren Gunsten auf den Ausschlußgrund der „Gehorsamspflicht" berufen. Wie man weiß, wurde dieses Mittel von den in Nürnberg angeklagten Nazis benutzt, und wie man ebenfalls weiß, hatte dies kaum Auswirkungen auf die Schuldzuweisung. Innerhalb eines solchen Terrorsystems scheint die Legitimität von erteilten Befehlen schon per definitionem ausgeschlossen zu sein. Dies heißt nicht, daß man verkennen würde, daß in bestimmten Fällen ein Untergebener auch dann, wenn er weiß, daß der Befehl illegitim ist, sich angesichts seiner Furcht vor schweren Folgen für seine Person gezwungen sehen kann, den Befehl auszuführen. Die einzige Möglichkeit, den Gehorsam zu verweigern, wäre dann ein supererogatorischer Akt, den keine rational begründete normative Ethik vorschreiben kann. Die Gehorsamspflicht ist aber ganz klar zu unterscheiden von dem psychologischen Faktum, daß man sich gezwungen fühlt. Die Lektüre von Nunca Mas und des umfangreichen Beweismaterials, das von Menschenrechtsorganisationen zusammengetragen wurde, läßt nicht den Schluß zu, daß die Mehrheit der Ausführenden von Verbrechen des Staatsterrorismus sich dazu lediglich gezwungen fühlten. Die Wirksamkeit jedes politischen Systems beruht eben nicht nur auf der bloßen Erfüllung der primären Verpflichtungsnormen - in diesem Fall also der Befehle - , sondern auch auf der Überzeugung seitens derjenigen, die die politische Macht unterstützen (während des „Prozesses" also der Streitkräfte und der Anhänger der Doktrin der Nationalen Sicherheit und all ihrer sozialen und wirtschaftlichen Implikationen), daß die Handlungen, die den Inhalt jener Normen ausmachen, Teil einer akzeptierten Strategie zur Erreichung bestimmter, als legitim angesehener Ziele sind. Weist man die

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alleinige Verantwortung für ein System von staatlichem Terrorismus den Führern zu, die die höchste Macht ausüben, so verkennt man damit nicht nur die Natur dieser Art von Herrschaft, sondern die Natur politischer Systeme überhaupt. In Jerusalem berief sich Adolf Eichmann (in eigenwilliger Anwendung des thomistischen Prinzips des „Doppeleffektes") darauf, daß es nicht seine Absicht gewesen sei zu töten, sondern nur, Befehlen zu gehorchen. Seine Schuld sei der Gehorsam, und der sei eine militärische Tugend. Diese Tugend sei von seinen Vorgesetzten mißbraucht worden: „Ein Untergebener ... kann gar keinen illegalen Befehl ausführen ... Er kann nur eines: den Befehlenden gehorchen ... Und gehorcht er und hat einem falschen Befehl Folge geleistet, muß der Befehlshaber zur Rechenschaft gezogen werden. So war es immer gewesen." (Eichmann, nach von Lang 1982, 245; vgl. auch Arendt 1976, 294)

Ähnlich scheint die Argumentation derer zu verlaufen, die der Ansicht sind, daß die institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen allein den Mitgliedern der Militärjuntas zugeschrieben werden dürfen. Auch sie hätten allerdings nicht töten oder foltern wollen, sondern nur ihr Land retten. Die Theorie des Doppeleffekts erlaubt es, wie G. Ε. M. Anscombe (1971, 294) aufgezeigt hat, jedes Verbrechen als „Unfall" hinzustellen, indem man die Beabsichtigung der unmittelbaren kausalen Folgen einer moralisch verwerflichen Handlung bestreitet. Zusammen mit dem Prinzip der Gehorsamspflicht wird dadurch der Bereich der Straffreiheit grenzenlos. Der Rückgriff auf die Gehorsamspflicht als Mittel zur Entschuldigung kann als „schwache Version" der Argumentation betrachtet werden, die angeführt wird, um Straffreiheit für die Schuldigen zu erreichen. Gehorsamspflicht wurde nicht nur von Eichmann geltend gemacht, sondern auch von dem Soldaten Bates in Shakespeares Heinrich V. (IV. Akt, 1. Szene): „obedience to the king wipes the crime of it out of us". Es gibt aber auch eine „starke Version" der Verteidigung, die von denen gebraucht wird, die sich jetzt von den „Gurkhas" des „internationalen Marxismus und Liberalismus" angegriffen fühlen. Demnach ist Gehorsam nicht nur ein Entschuldigungs-, sondern sogar ein Rechtfertigungsgrund. Diese Version wurde mit kristallener Klarheit vom Verteidiger des Polizeioffiziers Norberto Cozzani vertreten, der verlauten ließ, der Rückgriff auf das Prinzip der Gehorsamspflicht würde der „Anerkennung einer moralischen Verurteilung" gleichkommen. Diejenigen, die Befehle ausgeführt hätten, hätten jedoch völlig verantwortungsbewußt i m Rahmen eines „glorreichen Krieges gegen die Subversion" gehandelt (nach El Pais vom 17. Mai 1987). Diese Haltung ist offenbar viel gefährlicher als die vorige, denn sie impliziert die Ablehnung des herrschenden demokratischen Systems und die Forderung nach der erneuten Errichtung eines Regimes, wie es dasjenige war, das durch die Wahlen von 1983 abgeschafft wurde.

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Der Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung in totalitären Regimen wurde in Deutschland nach dem Krieg schon 1946 mit großer geistiger Schärfe von Karl Jaspers untersucht. Es ist nützlich, sich die Hauptlinie seiner Argumentation ins Gedächtnis zu rufen. Demnach gibt es mindestens drei Arten von Schuld, die zu unterscheiden sind: kriminelle Schuld, politische Schuld und moralische Schuld. Im ersten Fall geht es um Vergehen, die in Verletzung der Gesetze begangen werden; die richtige Instanz dafür sind die Gerichte. Im zweiten Fall geht es um Handlungen von politischen Führern bzw. von Bürgern eines Staates, die allen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft Verantwortung für die Folgen der Taten auferlegen. Die Instanz hierfür ist - auf innerstaatlicher wie auf internationaler Ebene - der jeweilige Sieger. Im dritten Fall geht es um die moralische Verantwortung, die jeder einzelne für seine Handlungen hat. Die Instanz ist hier das eigene Gewissen. In keinem der drei Fälle „gilt schlechthin,Befehl ist Befehl'... Verbrechen bleiben [Verbrechen], auch wenn sie befohlen sind..." „Kein Politiker und kein Militär und kein Funktionär kann sich in Zukunft auf Staatsräson oder Befehle berufen. Alle Handlungen eines Staates geschehen durch menschliche Persönlichkeiten, sei es durch die Herrschenden oder die in verschiedenem Range Mitwirkenden ... Jetzt hat jeder selbst zu verantworten, was er tut." (Jaspers 1987, 17 und 85)

Ein großer Teil der argentinischen Streitkräfte versucht, sich der Strafe für Schuld der ersten und der zweiten Art zu entziehen, wobei sie auch von Zivilisten unterstützt werden, die der Diktatur nachtrauern (wie der Versuch vom 25. Mai 1987 zeigte, einen Aufruf zur „Anerkennung und Solidarität" mit Jorge Rafael Videla zu veröffentlichen). Die zivile Gesellschaft hat jedoch im April 1987 bewiesen, daß sie nicht gewillt ist, die Armee von der politischen Verantwortung für das System zu entbinden, das sie in den Jahren 1976 bis 1983 eingerichtet hatte. Wie schwierig es ist, sich der moralischen Schuld zu stellen, zeigen die Fälle von Ödipus und Judas. Eichmann schlug vor, man sollte ihm gestatten, sich selbst als abschreckendes Beispiel öffentlich aufzuhängen (von Lang 1982, 262). Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Täter der in Nunca Mas dokumentierten Verbrechen mit ihrem Gewissen fertig werden können. Man sollte aber nicht vergessen, daß es immer auch die Klasse derer gibt, die „unfähig der Reue und der Verwandlung [sind]. Sie sind, wie sie sind." (Jaspers 1987, 42). Diese werden wohl die „Überlegenheit" des Ex-Mitglieds der Militärjunta Emilio Massera aufweisen, der gesagt hat: „... ich fühle mich verantwortlich, aber ich fühle mich nicht schuldig, weil ich ganz einfach nicht schuldig bin" (nach El Diario del Juicio vom 8. Oktober 1985). Die These, nach der man ein Rechtssystem nicht unter einem ausschließlich quantitativen Gesichtspunkt beurteilen darf, also indem man die

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Anzahl der Verurteilten betrachtet, kann nur unter erheblichen Einschränkungen akzeptiert werden. Vom ethisch-normativen Standpunkt aus scheint zunächst die Ansicht richtig zu sein, daß alle Schuldigen verurteilt werden sollen. Dies ist auch der Sinn der Bestimmung des argentinischen Strafrechts, in der es heißt: „Wer einen anderen tötet..." Dieser Satz ist so zu verstehen, als würde er durch einen Allquantor eingeleitet, und nicht im Sinne von „Einige von denen, die einen anderen töten ..." Selbst wenn man ein rein utilitaristisches Kriterium für die Verhängung von Strafen für richtig hielte, könnten doch die Folgen der Beschränkung in der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen im argentinischen Fall kaum als moralisch und/oder politisch befriedigend angesehen werden. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen. Nun weiß man gewiß, daß zwar alle Schuldigen verurteilt werden sollten, daß aber in der Regel nicht alle verurteilt werden. Dies kann aber nicht überraschen, und es beeinträchtigt prinzipiell keineswegs die Gültigkeit einer Strafnorm. Die Ablehnung der These des „Totalismus" in ihrer deskriptiven Fassung ist daher trivial. Man sollte aber nicht vergessen, daß die Unwirksamkeit von Normen die Existenz eines Systems beeinträchtigen kann. Nicht einmal ein so radikaler Anhänger der Lehre von der Trennung von Sein und Sollen wie Hans Kelsen hat gewagt, dies zu bezweifeln. Wer sich gegen die These des „Totalismus" stellt, könnte jedoch anführen, daß ihre konsequente Anwendung nicht nur unmöglich ist, w i l l man nicht den Zusammenbruch des derzeitigen demokratischen Systems provozieren, sondern auch unnötig. Er könnte sich dabei erneut auf ein Zitat von Sarmiento stützen: „... es hieße, die menschliche Natur verkennen, wollte man glauben,... daß die irregeleiteten Männer, die morden, wenn es einen Tyrannen gibt, der sie dazu anstachelt, von Grund auf böse sind ... der Mann, der aus Fanatismus heute im Blut badet, war gestern noch ein frommes Unschuldslamm und wird morgen ein guter Staatsbürger sein ... Als 1793 die französische Nation in die Hände gnadenloser Terroristen fiel, berauschten sich mehr als anderthalb Millionen Franzosen an Blut und Verbrechen, und nach dem Sturz von Robespierre ... mußten kaum sechzig besonders schlimme Übeltäter mit ihm zusammen geopfert werden, um Frankreich zu seiner gewohnten Zahmheit und Sittlichkeit zurückzuführen ... Tausende von Leben wurden dadurch gerettet, daß die mazorqueros [die Geheimpolizisten des argentinischen Diktators Juan Manuel de Rosas] heimlich die Opfer warnten, deren Ermordung ihnen durch Befehl aufgetragen war." (1977, 241)

Auf dieses Argument wäre folgendermaßen zu antworten: (1) Die These des „Totalismus" verkennt nicht, daß ethische Pflichten immer prima facie gelten. Mehr noch: Wenn es um die Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen wichtigen Werten geht, wie etwa die erschöpfende juristische Bewältigung der Vergangenheit und die Stärkung der heutigen Demokratie, dann befindet man sich in einer Situation der „tragic choice", in der es per definitionem unmöglich ist, eine ethisch völlig befriedigende Lösung zu finden. In

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diese Situation ist man in Argentinien aber nicht etwa durch eine Naturkatastrophe gelangt, sondern weitgehend deswegen, weil die anfänglich günstige Gelegenheit nicht wahrgenommen wurde und weil man die These des „Totalismus" gerade in dem Moment abgelehnt hatte, in dem sie umsetzbar gewesen wäre. (2) Die konsequente Anwendung von Art. 11 des Gesetzes Nr. 23.049 hätte eben gerade zu einer Anzahl von Verurteilungen geführt, die ungefähr der des Beispiels von Sarmiento entsprochen hätte. (3) Unter den Schuldverdächtigen scheint es keinen zu geben, den man in Sarmientos Kategorie des „wohlwollenden mazorquero" einordnen könnte. Ob man aber nun die These des „Totalismus" akzeptiert oder nicht: Eine unbegrenzte Ausweitung der Entschuldigung mit der Gehorsamspflicht, die die Klasse der letztlich schuldig Gesprochenen, die hierarchisch in irgendeiner Beziehung als Untergebene gelten, zu einer leeren Klasse werden läßt, käme zweifellos einer beträchtlichen Änderung der ethischen Grundlagen des derzeitigen demokratischen Systems in Argentinien, so wie sie ursprünglich formuliert worden waren, gleich. Zudem würden diejenigen, die sich dazu berechtigt fühlen, vor der Justiz die Bestrafung derer zu verlangen, die eindeutig nachgewiesener Verbrechen beschuldigt werden, sich „zugunsten anderer Personen oder zugunsten der Gesellschaft als Ganzes geopfert" fühlen. 3. In einem Artikel, der am Tag nach dem Ende der militärischen Unruhen vom April 1987 in der Tageszeitung La Nación veröffentlicht wurde, hat der Soziologe Natalio Botana mit Recht hingewiesen auf die „Isolation, in der sich die Militärgesellschaft befindet", sowie auf die Notwendigkeit, „diese hermetisch abgeschlossene Welt zu öffnen" und in die zivile Gesellschaft zu integrieren. Die Lösung dieses Problems ist die schwierigste Aufgabe, mit der sich demokratische Gesellschaften in der Nachfolge einer Militärdiktatur konfrontiert sehen. Gerade weil Militärregime eine deutliche Neigung dazu zeigen, auszustrahlen und einen großen Teil der Bevölkerung zu aktiven oder passiven Mittätern zu machen, steht ein liberales, demokratisches Regime nach einer Diktatur immer vor der Alternative, entweder in ethischen Rigorismus zu verfallen und umfassende gesellschaftliche Gruppen, die für das vorherige Regime - im Jasperschen Sinne des Wortes - politisch verantwortlich waren, auszugrenzen (wodurch es Legitimation verlieren würde), oder aber das Zusammenleben mit denen zu tolerieren, die mit ihrer Passivität auch dazu beigetragen haben, daß der institutionalisierte Terror überhaupt möglich war (mit dem Risiko, demokratische Toleranz mit stillschweigender Zustimmung zu dem Geschehenen zu verwechseln, womit das System Legitimität einbüßen würde). Legitimation und Legitimität scheinen hier in einer gegenläufigen Beziehung zu stehen: Der Versuch, sich größere Legitimation zu sichern, kann eine Verringerung der Legitimität bedeuten und umgekehrt.

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Wenn - wie im argentinischen Fall - diejenigen, um deren Eingliederung in die demokratische Gesellschaft es geht, gleichzeitig einen realen Machtfaktor darstellen und eine ausgeprägte Neigung zur Selbstisolierung besitzen, wenn es darum geht, rechtliche oder politische Schuld festzustellen, dann nimmt das Problem dramatische Formen an, da es zur Konfrontation zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren führen kann, was auf die demokratische Stabilität negative Auswirkungen hätte. Die Suche nach einem Weg zur Verringerung der Isolation war möglicherweise auch der Anlaß, der das Handeln der argentinischen Regierung anfänglich bestimmte. Tatsächlich kann man der verfassungsmäßigen Regierung nicht absprechen, daß sie sich darum bemüht hat, die Streitkräfte zu einer effektiven demokratischen Mitwirkung zu bewegen: Sie hat die Befugnisse des Staatlichen Nachrichtendienstes geändert, die Kompetenzen der militärischen Befehlshaber verringert, den industriellen Komplex der „Fabricaciones Militares" neu organisiert, die Militärausgaben verringert, 49 Generäle, Admiräle und Brigadiere in den ersten Monaten der demokratischen Regierung in den Ruhestand versetzt und bestimmte Befehlszusammenhänge aufgehoben, um „allmählich und unter dem Gesichtspunkt des bürokratischen Funktionierens des Staates eine hierarchische Unterstellung unter die politische Macht zu erreichen" (Landi 1985, 34; auch Werz 1987, 19). Man kann aber auch nicht bestreiten, daß diese Aufgabe behindert wurde durch eine Art professioneller Solidarität innerhalb der Streitkräfte, die ihren Höhepunkt in den Ereignissen vom April 1987 und in der Forderung nach einer totalen Amnestie fand. Dies hat die Abgeschlossenheit der militärischen Welt verstärkt und ihre Eingliederung in die demokratische Zivilgesellschaft erschwert. Niccolò Machiavelli, der einiges zu sagen wußte über die Fakten der Realität, die der Politiker berücksichtigen muß, unterstrich: „Überdies sind die menschlichen Wünsche unersättlich, da die menschliche Natur alles begehrt und alles w i l l . . . Hieraus entsteht... ewige Unzufriedenheit ..."(1977,163). Einige Mitglieder der Streitkräfte sind nicht nur unzufrieden mit dem bisher schon erreichten: Gestützt auf die Macht ihrer Waffen, streben sie nach der weiteren Verringerung des Spielraums der Justiz und nach der Rehabilitierung der Taten des „Prozesses": „Die Armee fordert politische Maßnahmen, die eine positive Definition der Folgen dieses Krieges [gegen die Subversion] möglich machen." (General José Caridi, nach El Pais vom 31. Mai 1987)

In dieser Situation werden sich die politischen Entscheidungsträger des demokratischen Systems in Argentinien wahrscheinlich gezwungen sehen, den anfänglich formulierten Anspruch auf Legitimität - einschließlich des Aspekts, daß die Verbrechen der Vergangenheit gerichtlich verfolgt werden

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- einzuschränken auf die Garantie, daß in Zukunft keine neuen Menschenrechtsverletzungen vorkommen werden. Niemand kann ernsthaft die Bedeutung dieser Garantie bestreiten, gerade nach den Erfahrungen des „Prozesses" und der Jahre, die diesem unmittelbar vorausgingen. Es ist aber auch unzweifelhaft, daß die Folgen der genannten Einschränkung in einem doppelten Sinne schwerwiegend sind: Zunächst bedeutet sie, daß man die Abhängigkeit der zivilen Macht von den aktuellen oder künftigen Forderungen der Militärs anerkennt. Zudem aber ist die Frustration, die bei denen hervorgerufen wird, die ihr Recht auf Gerechtigkeit dadurch verletzt sehen, ein „Störfaktor", dessen künftige Folgen nur schwer abzusehen sind. In seiner mildesten Version würde er dazu führen, daß der Glaube schwindet, im Bereich der Politik ethische Prinzipien ernstnehmen zu können: „allowing known torturers to remain in positions of authority, unchallenged and uncondemned, can only weaken [the public sense of why tyranny is repulsive]" (Dworkin 1986). Im schlimmsten Fall aber kann die Frustration sogar ein Auslöser für neue Ansätze zur Gewalt sein. Die Vorfälle vom April 1987 haben deutlich gezeigt, daß die verfassungsmäßige Regierung trotz der massiven Unterstützung, die ihr seitens der Zivilgesellschaft - ohne Ansehen der Parteizugehörigkeit - zuteil wurde, einen eingeschränkten Handlungsspielraum besitzt. Es besteht kein Zweifel daran, daß der Angriff gegen die verfassungsmäßige Ordnung, der in jenen Tagen unternommen wurde, einen klaren Fall für die Anwendung von Art. 5 des Gesetzes Nr. 23.077 zur Verteidigung der Demokratie darstellte. Die Tatsache, daß die Bestimmung nicht angewandt wurde und daß man eine so schwere Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung als bloße „Meuterei" bezeichnete, zeigt die Schwierigkeiten, mit denen die heutige Demokratie in Argentinien zu kämpfen hat. Es wäre daher wichtig, die Konfrontation zwischen der demokratischen Zivilgesellschaft und den anscheinend dominierenden Sektoren der Streitkräfte dahingehend zu verändern, daß letztere zu der Einsicht kommen, daß es sich nicht um ein Nullsummenspiel handelt. Denn das Problem des Zusammenlebens in der Republik ist, wie Kant sagte, dann lösbar, wenn sich alle den Zwangsgesetzen freiwillig - und sei es aus eigennützigen Überlegungen - unterwerfen, um so „den inneren sowohl als äußeren Frieden zu befördern und zu sichern" (1964/VI, 225). Diese Aufgabe ist inzwischen aufgrund der Durchsetzungsfähigkeit derjenigen, die eine Interpretation der Vergangenheit vertreten, nach der die Mißhandlungen und Morde nur „Irrtümer" oder gar notwendige Maßnahmen in einem Kampf auf Leben und Tod waren, äußerst schwierig geworden. Diese Feststellung entspricht nicht nur einem persönlichen Eindruck, sondern w i r d auch von demokratischen Militärs selbst bestätigt: „... diese Militärs [die Protagonisten der Ereignisse vom April] ... wollen nicht mehr und nicht weniger als die umfassende Rehabilitierung des schmutzigen Krie-

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ges und daß man ihnen dafür Orden verleiht." (Oberst i.R. Horacio Ballester, Vizepräsident des Centro de Militares para la Democracia (CEMIDA), in einer Erklärung gegenüber der Nachrichtenagentur EFE vom 31. Mai 1987)

Würde man aber ausdrücklich oder stillschweigend akzeptieren, daß der Mord an den eigenen Landsleuten zu einem „glorreichen Sieg" umdefiniert wird, so würde dies bedeuten, daß man auf ein wesentliches Element der Legitimität verzichtet. Es ist richtig, daß Legitimität keine notwendige Bedingung für die Existenz, ja noch nicht einmal für die Stabilität jedes politischen Systems ist; sie ist jedoch per definitionem eine notwendige Bedingung für die Existenz einer liberalen Demokratie, wie sie im Dezember 1983 in Argentinien errichtet wurde. Man kann darüber diskutieren, ob die Militärs vom Campo de Mayo oder der anderen Garnisonen im Landesinneren auf einen Staatsstreich abzielten oder nicht. Unbestreitbar ist aber, daß sie die unmittelbaren Ziele ihrer Rebellion erreicht haben. Das bedeutet, daß das Gut „Gerechtigkeit" mit jedem Tag knapper wird, was die Gefahr mit sich bringt, daß Argumente der politischen Klugheit dauerhaft Vorrang erlangen und die ethischen Prinzipien verdrängen. Die Rechtfertigung der Demokratie hängt nicht allein davon ab, daß ein bestimmtes Verfahren bei der politischen Entscheidungsfindung angewandt wird, sondern auch von der allgemeinen Achtung des normativen Rahmens der ethischen Werte der Freiheit und Gleichheit. Nur innerhalb dieses Rahmens hat die demokratische Tugend der Toleranz einen Sinn. Diese kann daher niemals in duldsamer, gleichgültiger Passivität bestehen, welche dadurch, daß sie einem intoleranten Extremismus freiwillig das Feld überläßt, allmählich selbst die Grundlagen des Systems untergräbt, dessen Stärkung sie zu betreiben vorgibt. Es ist außerdem zu beachten, daß die Wörter „Legitimität" und „Illegitimität" „polare" Wörter sind und daß die Wirklichkeit, die sie bezeichnen, sich ganz allmählich in ihr Gegenteil verkehren kann, ohne daß es möglich wäre, eine klare Linie zu ziehen und zu sagen: „Von diesem Moment an hört ein politisches System auf, Legitimität zu besitzen" (Garzón Valdés 1988). Die Feststellung von Präsident Alfonsin, die zu Beginn dieses Aufsatzes zitiert wurde, ist daher allzu radikal und gibt das Problem der Legitimität oder Illegitimität eines politischen Systems nicht vollständig wieder. Eine wörtliche Auslegung des Präsidentenausspruchs würde zu der falschen Schlußfolgerung führen, daß die heutige argentinische Demokratie keine Legitimität besitzt. Aber gerade weil man es mit polaren Wörtern zu tun hat, ist jede Bewegung in die eine oder andere Richtung für die Beurteilung der Legitimität oder Illegitimität von Bedeutung. Wiederholte Bewegungen in dieselbe Richtung führen nämlich notwendigerweise zu einem der beiden Pole, mit 4 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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entsprechenden Auswirkungen auf die Existenz der liberalen Demokratie. Das Gesetz Nr. 23.521, das sogenannte „Gesetz über die Gehorsamspflicht", das Personen Straffreiheit zusichert, auf denen der begründete Verdacht lastet, daß sie schwerste Verbrechen begangen haben, ist gewiß kein Schritt in Richtung der Legitimität, sondern in Richtung der Illegitimität. Es geht dabei nicht mehr nur darum, daß die Vergangenheit nicht bewältigt wird, sondern auch darum, daß dies eine Hypothek für die Zukunft darstellt: Die direkt Begünstigten dieses Gesetzes sind Staatsbeamte, die sich für eine hierarchisch geordnete Laufbahn mit regelmäßigen Beförderungen entschieden haben. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie es möglich sein soll, die offenkundigen Folgen aus dem beruflichen Aufstieg solcher Personen zu verhindern, die sich außerhalb des Gesetzes gestellt und die bedingungslosen Gehorsam und politischen Messianismus zu den Grundpfeilern ihres Berufes gemacht haben. Der Rechtsphilosoph und Richter des Obersten Gerichtshofs Jorge Antonio Bacqué sagte am 22. Juni 1987 in seinem Minderheitsvotum, in dem er das oben genannte Gesetz für verfassungswidrig erklärte, ausdrücklich: „Es sollte also klar sein, daß blinder Gehorsam und unsere verfassungsmäßige Ordnung sich gegenseitig ausschließen... [D]as Oberste Gericht... darf weder die republikanischen und demokratischen Grundsätze noch die jahrtausendealte Rechtstradition außer acht lassen, die auch bezüglich dieser schwierigen Materie vor allem verlangt, daß die Eigenschaft des Untergebenen anerkannt wird, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein ... und ihn nicht mit Vorwänden zu entschuldigen, die ihm die Eigenschaft, Staatsbürger zu sein, absprechen, eine Eigenschaft, welche in einer Republik notwendigerweise denjenigen zusteht, die den ehrenvollen Beruf eines Soldaten ausüben."

Die gesetzliche Verankerung von „Vorwänden ..., die [jemandem] die Eigenschaft, Staatsbürger zu sein, absprechen", kann jedenfalls nicht als ein Beitrag zur Legitimität und Stabilität des derzeitigen politischen Systems in Argentinien angesehen werden. Nicht nur die Regierung, sondern alle Argentinier - Zivilisten wie Militärs - müssen aus den Ereignissen der vergangenen Jahre des Lebens in Demokratie ihre Schlußfolgerungen ziehen. Uns allen würde eine Haltung der Wachsamkeit und der Bescheidenheit gut anstehen: Wachsamkeit im Hinblick auf den Schutz der demokratischen Prinzipien und die Vermeidung von Maßnahmen, die uns vom Pol der Legitimität entfernen könnten; dies erfordert auch eine sorgfältige Beobachtung der für eine wirksame Demokratie günstigen Gelegenheiten, denn diese sind in Ländern, die - wie Argentinien - eine lange Tradition der Intoleranz besitzen, meist von sehr kurzer Dauer. Und Bescheidenheit in dem Sinne, daß wir mit größerer Vorsicht auftreten und uns nicht in aller Welt damit brüsten sollten, Experten in der Frage der Bestrafung von Personen zu sein, die für Verbrechen unter einem totalitären System verantwortlich sind. Eine wachsame Haltung trägt

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dazu bei, daß die Bürger n i c h t politische S c h u l d auf sich laden, w i e sie Jaspers beschrieben hat. Bescheidenheit i n der B e u r t e i l u n g unserer Lösungsansätze i m Vergleich m i t denen anderer L ä n d e r , die den Ü b e r g a n g v o n der D i k t a t u r z u r D e m o k r a t i e durchgemacht haben, b e w a h r t uns v o r der Sünde der Ü b e r h e b l i c h k e i t u n d schärft unseren B l i c k f ü r die W a h r n e h m u n g der tatsächlichen M ö g l i c h k e i t e n f ü r e i n L e b e n i m r e p u b l i k a n i s c h e n Frieden, w i e er K a n t vorschwebte.

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THE POLITICAL SYSTEM A N D CONCEPTIONS OF DEMOCRACY A n Exercize i n Institutional Design for Argentina By Carlos S. Nino, Buenos Aires

I. The Normative Concept of Democracy The wave of transition to democracy of which Argentina is part, together w i t h other Latin American countries and now Eastern European ones, characterizes itself for the concern w i t h the design of a working system of government. This is a natural consequence of the fact that this wave - unlike earlier others - expands itself i n a hostile environment constituted by extremely severe economic crises of the countries involved i n it. When a country enjoys prosperity almost any system of government seems to work, as can be seen i n the enormous variety of features that the political systems of Western European countries display: constitutional monarchies and republics; unitary and federal organizations; parliamentary, semi-parliamentary and semi-presidentialist regimes; bi-party and multy-party systems; mechanisms of proportional or unitary district representation; etcetera. On the other hand, when there are massive social demands which make constant pressures on the political system without the least possibility of satisfaction, it is crucial to determine the best system which can resist that pressure w i t h the least cost of subjective legitimacy and preserving the maximum of stability. This fact justifies current discussions i n Argentina about whether there should be a reform of the present Constitution (enacted i n 1853) which includes a modification of its extreme presidentialism, whether federalism should be reorganized and strengthened, whether new ways of participation should be established, whether the present electoral system based on proportionality should be modified, whether the party system should be revised, whether judicial review should be either expanded or replaced by other devices, etcetera. Similar endeavors and concerns are present i n other countries sharing the same wave of democratization, as has been shown by the enactment of a new Constitution i n Brazil, by the proposals in the same direction i n countries like Chile and Uruguay and by the constitutional debates i n Eastern European countries, specially Hungary.

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These attempts and preoccupations are oriented towards the t w i n goals of subjective legitimacy and stability: the first of them, consisting of the generalized belief of the population in the moral justifiability of the government and its directives, is seen ultimately as an instrument to the end-goal of stability. In effect, the labors of the actors of the process of transition who propose or enact institutional reforms are directed to consolidate and to stabilize the democratic structures, averting threats of reversal to authoritarian alternatives, and one of the main means for achieving that is thought to be the preservation of the social conscience that the system i n force is legitimate, for much that i t is far from efficacious i n satisfying social demands. The aim of this paper is to try to show that, i n this kind of approach to the issue of institutional design, an essential dimension is omitted and to display the implications of taking into account that dimension for the case of Argentina: the omitted dimension is that of the moral conception under which democracy is best justified ; this is the question not of subjective but of objective legitimacy, that is not the beliefs of the community about what makes a political regime morally justified but what really makes it morally justified. It is not the case that political actors and scientists, who are concerned w i t h the best political design for stabilizing democracies, are impervious to the issue of their justifiability. They usually are firm partisans of democracy and take for granted that is the best political system; but they do not think that what makes i t to be so is relevant to the question of the means for its preservation. Their train of thought usually has this outline: whatever i t is that makes democracy the morally best system of government, it can be identified by certain factual features - like some regular ways i n which the citizenship may affect a change of government, some division of powers, respect of basic rights - , and i t may be ostensibly exemplified w i t h the system i n force i n some paradigmatic countries - USA, Great Britain, now West Germany, Spain, etcetera. This identification of the phenomenon we want to achieve or preserve allows us to seek i n an evaluatively neutral way the means adequate for that achievement or preservation. This train of thought is mistaken. "Democracy", as Sartori says 1 is a normative concept and i t cannot be identified i n depth without articulating fully the evaluative conception which justifies its distinctive institutions. I n the words of this author, "[w]hat democracy is cannot be separated from what democracy should be".2 This is shown by the fact that ι Sartori, Democratic Theory, Detroit 1962, vol. I, p. 8. 2 Ibid., p. 7.

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what are those distinctive institutions is in itself inherently controverted: is it the phenomenon of "representation" or is i t instead an auxiliary institution imposed by the difficulties of direct democracy in a large society? Is it the separation of the executive and the legislative powers or is it an optional arrangement which is not adopted in parliamentary democracies without loss of value? Is it the recognition of a b i l l of rights as limits to majoritarian decisions enforced by independent institutions - like a Supreme Court - or is democracy compatible w i t h complete sovereignty of Parliament? Are political parties distinctive democratic institutions or are they prescindable in a more perfect working democracy? Is the proportional electoral system the most perfect way of democratic representation or is it only one of diverse alternatives which must be chosen for technical reasons? When we realize the range of these questions, we come to the conclusion that there are no distinctive institutions of democracy outside an evaluative theory which justifies a set of options. The "hyper-realist " who thinks that he can start from some institutions present i n reality and work out the way of stabilizing them without systematically bringing to the fore the moral theory which may justify them is conceptually muddled. Reality does not tell us which institutions are essential and which are contingent in relation to a normative concept like that of democracy, and, thus, we are unable to determine what continengencies we can manipulate to preserve the essentials of the concept. The same point can be made resorting to the characterization of a practice and of the necessary interpretative attitude towards i t put forth by Ronald Dworkin 3 : democracy is a social practice, and as such it consists of regularity of conducts and attitudes - which make up for institutions - that are oriented towards a certain goal or value. We cannot participate thoughtfully i n the practice nor we can understand it as intelligent observers if we do not adopt an interpretative attitude , putting the conducts and attitudes i n the light of certain goal or value. The practice can be made compatible w i t h different goals or values - though not w i t h any one which comes to our imagination - and, so, we must choose the one which we think better justified. Once we do this, the interpretation of the practice in relation to that value may revert to the conformation of the practice itself, since we w i l l see some of its aspects as contingent and hence prescindible, while others we w i l l perceive as central and, so, in need of expansion. Of course, this should not lead us to move to the other extreme of utopianism. This theoretical attitude does not consist simply in striving for 3 See Law's Empire, Harvard University Press 1986, p. 66.

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the impossible, but i n characterizing the goal of a social practice i n such a way that the factual components of present practices do not display any variation of value. We start from the intuitive conviction that the political practices of, let us say, the United States or Canada are more valuable than those of South Africa or Lybia. So, we cannot characterize the goal of democracy i n such a way that these examples end up parified in zero value. We must try to show that, for imperfect that they be, the social practices of current democracies are closer to the ideal democratic State than the systems which have no democratic traces. On the other hand, i t is not bad utopianism to set forth an ideal that, perhaps, never may be fulfilled i n reality, if we could still distinguish gradation of real or possible situations according to how far or close are to that ideal. Valid utopianism is distinguished from an invalid one for the fact that the former allows for an evaluative discrimination of real social phenomena. The outcome of this discussion if that we cannot undertake the task of pondering which institutional design is better for securing the subjective legitimacy and, thus, the stability of democratic institutions without a full-fledged articulation of the most defendable conception which gives democracy its value. Π. A Review of Alternative Conceptions That articulation of possible conceptions of democracy have been of late undertaken not only by political philosophers but also by political scientists and constitutional lawyers, who, more often than the former, ascribe to them both an explanatory and a justificatory import. This has been done i n relation to the American political system by authors like Schumpeter 4 , who confronts the elitist conception of democracy w i t h the classical one; Dahl 5 , who, in the same vein, gives explanatory prominence to the conception of democracy as "poliarchy" over the populist and Madisonian models of democracy; Downs 6 , who favors an economic view of democracy. In an opposite quarter, scholars like Macpherson 7 argue for a model of participatory democracy; or like Sunstein favor a Republican vision of democracy, or at least a conception which mixes elements of i t w i t h other coming from the opposite, "pluralist", conception. In its turn, Ackerman seeks to put forth a different outlook which he calls "dualist" - opposing i t to two others which he deems "monist" 4 5 6 7

See Democracy, Capitalism and Socialism, New York 1976, pp. 250 and ff. See A Preface to Democratic Theory, Chicago 1956. A n Economic Theory of Democracy, New York 1957. See The Life and Times of Liberal Democracy, Oxford 1977.

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and "fundamentalist" - ; i n a recent article written together w i t h Carlos Rosenkrantz, 8 he claims that i t is not only descriptively adequate to the American system but i t might fit also the Argentine present system, and moreover, it is the best theory for that country from an evaluative point of view. In what follows, I shall present the outlines of these different visions of democracy i n a schematic way, merging different possible variables into some few stereotypes. I shall argue briefly for one of these models and shall put forth the view that i t should serve as pattern for evaluating the kind of democracy that Argentine people should strive for, whether or not it fits the present institutions of the country (in the negative case, a program for institutional reforms ensues). 1. Conceptions which Take People's Interests as Given

Utilitarianism takes the interests or preferences of individuals as a given data, even i n the political field. It is not the business of the State or the community to meddle w i t h the interests of individuals, which must be respected and taken into account on equal footing even when those interests were egoistic. There is an obvious utilitarian justification of majority rule which presents i t as the way of achieving a social value - the general happiness, welfare, utility, etcetera - even out of the grim raw material of individuals who are moved by self-interest: the result of majority rule maximizes social utility, since a majority of individuals satisfy i n this way their preferences, which cannot be secured by any other system which allows that preferences of the fewer prevail over those of the more. The shortcoming of this simple view are so well-known that I may only make a very brief allusion to the main ones: A n internal problem is that majority rule by itself does not satisfy the utilitarian principle, since for maximizing interests or preferences i t is not only important the number of preferences but also their intensity. Simple majoritarian rule may have anti-utilitarian results i n so far as the interests of the majority may be much less intense than those of the minority, and, thus, the degree of aggregate preference satisfaction is lesser than w i t h the alternative solution. I n order to overcome this problem, the utilitarians must look for some awkward devices, like for instance plural votes, or mechanisms of veto by minoritites w i t h intense interests, etcetera. A much more important shortcoming is related to the idea of an aggregate satisfaction of preferences. This idea may have some viability when 8

See Très concepciones de la democracia constitucional forthcoming.

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it deals w i t h personal or "internal" preferences, like the preference for eating chocholates. I may, for instance, maximize the preference satisfaction of my children w i t h opposite tastes regarding sweets if, instead of buying one big chocolate bar which one of them loves but the other hates or bag of candies which provokes the opposite response, I buy a small bar of chocolate and a small bag of candies. But how to proceed w i t h impersonal or "external" preferences, like the preference for the prohibition or permission of abortion? I cannot compromise opposite preferences of this kind by enacting for instance what Dworkin 9 calls "checkerboard" legislation (e.g. a law permitting abortion only some days of the week). External preferences are 'imperialistic' 1 0 i n the way that they are not satisfied if some room is made for the opposite one; they pretend to exclude the opposite i n so far as they are valid. Of course, the last criticisms to mention must be those addressed at utilitarianism as a whole and which dismiss the possibility for it to serve as working normative conception behind democratic institutions. Among the host of criticism of this general character, I believe that the most important and decisive one is that which objects that utilitarianism does not take into account the separability and independence of persons, allowing interpersonal compensations of benefits and harms or burdens. This amounts, as Kant would say, to using people as mere means for ends of other different to themselves. The economic conception of democracy is a variant of utilitarianism. The idea is that democratic politics works like the market i n the sense that there are producers of some goods - politicians and their policies which compete for the favor of consumers negotiating until an optimal equilibrium is reached. This optimal equilibrium is either defined in plain utilitarian terms - as aggregate maximization of preferences - or i n terms of efficience which i n its turn is generally defined according to Pareto's criterion of optimality: a state of society is optimum is no other state can be achieved in which somebody could be better without anybody being worse. A full analysis of this variant would require much more space, but one could point out right away the difficulties of the comparison w i t h the market taking into account here again that the intensity of preferences is not reflected, that electoral competition has almost always an "all-ornothing" character, that "negotiations" between offerers and consumers of political goods have a rather different character to the case of commercial goods, etcetera. Of course, it is necessary to bring forth here also 9 Dworkin (note 3), p. 166. 10 See this point i n Owen Fiss, The Death of Law.

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the qualms provoked by the principle which is supposed to be justified by this market-like mechanism. I have already mentioned the main doubts w i t h respect to the utilitarian principle. The Pareto criterion of efficiency provokes similar doubts: its only barrier against interpersonal compensations is a phony one, since whether somebody could be worse i n alternative states of affairs is something completely irrelevant from a moral point of view if we do not know whether his present position is just; of course, there are many situations i n which for achieving just solutions we must worsen the position of somebody (to put a clear case, for instance if he stole something from some other and its is returned to the owner). The vision which is usually called "pluralist " or, also, "elitist" has something i n common w i t h the former ones. It assumes the interests or preferences of people as something that should be taken as given i n the political process, not as something which may be transformed or should be transformed i n the course of it. Perhaps, there is, however, some difference i n the attitude w i t h which the pluralist theoreticians see this phenomenon of fixed preferences i n relation to the attitude of utilitarians: the latter assume as a value the satisfaction of people's preferences whichever they are; pluraliste display some resignation to the fact that people's preferences tend to be self-interested and do not think that a political system should be designed to transform them but to make the best of such somewhat sad feature of human nature. Another difference is that utilitarians are egalitarian i n the sense that they imagine each citizen putting forth on an equal footing her interests or preferences. Pluraliste, instead, focus on the phenomenon of powerful groups, like political elites, factions, or corporations. Pluraliste are back from the illusion of the French Revolution that factions can be excluded from the political forum and tend to consider them an unavoidable outcome of the self-interested nature of individuals and of their tendency to associate themselves i n order to defend collectively that self-interest. But if factions cannot be suppressed they can be neutralized or can be put i n an equilibrium which avoids that any of them acquires excessive power. Democracy is precisely a device to achieve that equilibrium, since it obliges factions or political parties representing them to compete for the favor of the electorate. The pluralist characterize democracy as an institutional arrangement which concede the right to decide to those elites or groups of individuals which w i n the struggle for the people's vote. It is perhaps not primarily essential to the pluralist conception that the main actors of the democratic process are groups and not individuals and that, even in the case i n which those groups are active, they are associations of crude interests and not political parties. But I think that

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i t is easy to end up by recognizing the legitimacy of the political action of factions or corporations if one starts from the pluralist vision: there are not constraints whithin this conception to the defense of self-interest, and to bargaining on the basis of it, without need to justify i t on impartial grounds. Therefore, nothing prevents that people come together i n associations which defend their crude interests and that these associations act i n politics, either directly or through the mediation of political parties, which are neither required to defend certain principles or models instead of certain factions. According to pluraliste the great asset of democracy is that it impedes that any individual, group or faction monopolizes power. They can be driven out of power by the periodical decision of the electorate. Moreover, if a proper division of powers is i n effect, the equilibrium between different groups or factions may be achieved synchronically, since a party, group, or faction most probably can only control one of the centers of power i n the "horizontal" divide (which takes into account different functions) or i n the "vertical" one (which relates to different territories). So, pluralism favors a dispersion of popular sovereignty i n different expressions and in different centers of representation. For pluraliste the phenomenon of representation is an asset, since it allows for the dispersion of sovereignty and locates the decisions in ambits which may be better protected from the direct pressures of constant factions or interests groups. Some defenders 11 of this model even recommend not to open excessive channels of participation of the population, so as to avoid and overload of social demands which may put the political equilibrium i n crisis; many think that generalized apathy is a functional prerequisite for equilibrium w i t h i n this model. This model of democracy may limit itself to the idea of neutralization, diversification, and equilibrium between different elites and power groups, in which case, the only merit that democracy enjoys is the negative one of impeding the monopolization of political power by any of them, which would amount to tyranny, or it may add something similar to that enhanced by the previous economic model, that is the value - i n terms of utility or efficiency - which results from the struggle between the elites for the favor of the electorate. I n the last case, this conception absorbs the weaknesses of the previous one. When the pluralist conception limits itself to enhance the negative aspect of democracy of preventing the monopolization of power by any n See the volume Crisis of Democracy, M. Croizier, New York 1975.

P. Huntington , J. Watanuki,

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one group i t provides a curious sort of justification of democracy. For there are many other ways of preventing tyranny which should be discarded only on the basis of reasons: among them there are a priori questionable systems, like electing the government by lot, or a priori attractive systems, like the direct decision of the people concerned. Here is where the "realist" aspect of pluralism comes to the fore, since the most probable answer would be that democracy as a way of neutralizing, diversifying and equilibrating the power of factions and interests groups, or the parties which represent them, takes into account, as I said before, what apparently is an ineradicable data of reality which is the existence of those factions and their unavoidable weight in political life. The reply to this answer would be, first, to put i n doubt the ineradicability of the phenomenon of elites and corporations, given the variety of social structures to which humanity has adapted itself and given the possibility, proven through history, that people may overcome pure selfinterest when conditions are given for the spread of a public spirit. But secondly, the arrangement of social and political institutions according to the pluralist creed may frozen the status quo constituted by the corporativist structure. Thirdly, this is specially obnoxious in so far as we think that some idea of equality - as reflected i n the principle 'one person, one vote' - is distinctive of democracy: for one of the problems of factions and corporations is, of course, that they sum do not represent the whole population, and their respective force is not proportional to the number of their members. Thus, the individualist basis of democracy is lost, since there is no guarantee that the interests of each citizen w i l l be given equal weight, for much that individuals are equalized at the level of choosing among the options provided by the different power coalitions which compete for the favor of the electorate. This non-egalitarian character of pluralism is coumpounded, as Macpherson remarks, 12 by the fact that, as we saw before, it seems to require functionally an extended apathy, which is generally associated w i t h the poorest and least educated sectors of society. The equilibrium between the elites may collapse if the system is overloaded w i t h demands coming directly from vast sectors of society. As Hannah Arendt says, 13 the trouble w i t h this elitist view is that it consacrâtes and oligarchic form of government, the domination of the many by the rule of the few (even when the many may decide amongst a limited menu of few as candidates to rule). In the fourth place, any conception which grant a protagonic role to associations of crude interests imply an antiliberal vision of the moral person, according to which i t identifies itself w i t h certain interests rather than 12

See Macpherson (note 7). 13 See On Revolution, Harmondsworth 1987, p. 276.

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w i t h the capacity of opting between diverse interests at different moments of time and in relation to different questions. 14 Lastly, and almost for the sake of completitude, one should mention as a view of democracy which respect the independent interests of people, the old idea of consent. This outlook sees democracy as the only way i n which a government can be made compatible w i t h personal autonomy. Each individual remain truly her own sovereign and the government can only interfere w i t h the path she has traced for her life i n so far as she, in one way or another, has accepted that interference. But for democracy being justified on this basis, the only acts that may be taken as expressing, surely tacit, consent are the acts of participating i n the democratic process; i n fact, the almost exclusive candidate is voting (consent as expressed by acts like that of remaining voluntarily in the country, besides the traditional doubts w i t h regard to that voluntariness, may serve to justify any government and not only a democratic one). The problem is that once we realize the former point the weakness of this justification of democracy is so obvious as to prevent any further analysis: the vote should be voluntary and not compulsory for allowing for this justification; but granting that (which goes against some evaluative arguments that I shall present later on), voting can only express consent to the obligations resulting from the procedure i n which one participates by voting, if the abstention to vote implied not to be subject to those obligations, which of course is impossible! It is a phony act of consent to undertake some obligations, one whose omission would imply the same obligations. 2. Conceptions which Seek to Transform People's Interests

Whereas the former conceptions take as given - sometimes happily and sometimes grudgely - people's interests and preferences i n the model of democracy conceived as morally justified, in this section we shall make a brief survey of views which start from the idea that i n order to justify democracy one must conceive it as a mechanism which transforms the original interests of individuals. The spirit of Rousseau flies over these conceptions, since - despite his general justification of political structures on the basis of the consent involved i n the social contract - he tries to ground majority rule on the basis of the transformation of each individual w i l l i n a general w i l l aiming at the common good. The mechanism of this transformation has always intrigued political philosophers, who have proposed interpretal i For the defense of this conception of the moral person see Carlos S. Nino , The Ethics of Human Rights, forthcoming.

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tions which have to do w i t h almost all the variants we shall review immediately, that is w i t h collectivist assumptions, w i t h perfectionist aspirations or w i t h the merits of public deliberation. The first and most traditional of this kind of justification of democracy is the one based on popular sovereignty. The idea is that w i t h democracy the people as a whole is really autonomous because i t is the only system which guarantees self-government: i t is not only the government for and of the people but also by the people. The problem is that this view is only acceptable as derivation from any other conception which may allow us to justify why the majority of a certain group may bound the whole group. It cannot serve as ground for that justification. It is the fact that when i t is spoken of the government of the people by the people - the clause "for the people" is not here relevant - the word "people" has a different meaning in both occasions (going from the whole relevant population to the majority of it). This prevents us from perceiving at first sight that democracy allows for the autonomy of the whole population (how autonomous is he who has to abide by directives that he rejects intensely?). The only way of overcoming this difficulty is by postulating a collective entity - the People - , which does not identify w i t h any collection of individuals, which has an independent w i l l and an independent good, and which acts through the decision of the majority. I n this case, the person who governs and the person who is governed is the same since the majority acts as an organ of a corporation. Of course, the admissibility of this view of democracy is entirely dependent on a collectivistic moral philosophy, which i n turns depends on collectivistic ontology. In another place 1 5 I raised doubts about this assumption on the basis of ontological criteria based on Occam's suggestion to economize on the postulation of entities, and of a conception of the moral person which requires of them sort of subjectivity that is queer to ascribe to collectivities. Another family of views which justify democracy by way of its capacity to transform people's interests and preferences are perfectionist outlooks which conceive of democracy as a way of promoting some virtues of individuals: self-realization, specially in connection w i t h the capacity to be involved in public life, the spirit of fraternity or social solidarity. This was the view of J. S. M i l l 1 6 , of some anti-federalists 17 writers in the 15 Ibid., chap. 5. !6 See Considerations on Representative Government, in: Collected Works, London/Toronto 1977, chap. 3. 17 See H. Storing , What the Anti-Federalist Were For, 1981.

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United States, and of scholars writing i n his century like Barker, MacIver, Laski 1 8 , etcetera. It is said that democracy helps to develop a distinctive kind of personality, self-assured about the equal standing of each one i n the political field, involved w i t h public concerns, solidary w i t h the plight of others. This ist what the defenders of Republicanism in the United States and some of its modern friends deemed "civic virtue". It is thought that the expansion of this virtue would help to overcome self-interest and to impede the formation of factions from their very roots, instead of merely seeking to equilibrate their power. Despite the attraction that this view has and the apparent reality of the connection it stresses between democracy and some valuable virtues, there is a tension between it and some liberal assumptions. The main one is the idea of personal autonomy which consecrates the freedom to pursue any plan of life which do not harm other people and proscribes State interference w i t h that choice. For better that an ideal of personal excellence be, i t is not the mission of the State to enforce it. And this view pushes towards the endorsement of a model of personal virtue defined by civic and communitarian ideals, which people living i n a liberal society should be free to accept or reject. Frank Michelman 1 9 says i n this respect: "Here, however , some caution is in order. As its Aristotelian source , ' public happiness' doctrine attributes to human beings a telos, a defining end or purposive essence, preinscribed by nature. But the idea that citizenship (or any other specific social role or form of life) is the essence of the human subject runs against the modern liberal temper. It seems that to urge on such grounds the renewal of civic life is to reject liberalism's historic deliverance of individuality from pre-Englightment oppressions of mind and spirit. " Another family of conceptions of democracy which rely on the transformation of people's preferences is those based on the virtues of dialogue or deliberation. There are many versions of this general outlook according to the role of dialogue and the type of connections i t is maintained w i t h some distinctive value. Nevertheless, all of them trust dialogue as a way of containing self-interest and the power of corporations based on it, since dialogue tends to exclude those positions which cannot be sustained on impartial basis. Some of the dialogical views converge w i t h the former ones, since i t is thought, for instance by Macpherson 20 , that dialogue serves to develop 18

Cited by Macpherson (note 7), chap. III. 19 See The Supreme Court Term 1985 Term. Foreword: Traces of Self-government, in: Harvard Law Review 100 (1986), p. 22. 20 Macpherson (note 7), chap. V.

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some personal virtues or a collective sense of community and mutual attachment or is a way of self-expression. I n this respect, the qualms provoked by those outlooks transfer to the dialogical approaches. But there are some other views which connect the. dialogue inherent i n the democratic procedures w i t h other values. For instance, Bruce Ackerm a n 2 1 develops an interesting view according to which the merits of dialogue lie neither i n the development of some personal virtues nor in the approximation to morally correct solution but i n the achievement of mutually acceptable solutions under restrains of neutrality about conceptions of the good. Something similar is stressed recently by Rawls 2 2 w i t h his idea of "free public reason" and the position that the practical role of political philosophy, and of course of practical politics, is to help to achieve an "overlapping consensus", which is neutral i n relation to moral conceptions, including that of liberalism. However, i t is doubtful what is the structure of a dialogue i n which the participants avoid discussing the moral correction of different solutions. It is difficult to envisage what is that they say to one another if the correction of different moral intersubjective principles is put aside and the mere allusion to their respective interests is excluded (since hardly a dialogue can progress if the participants merely describe what they know from the beginning, that is that they interests are different and possibly in conflict). On the other hand, to reach an overlapping consensus seems to be a matter of mere chance if everybody still maintain a different underlying moral conception; there could be an occasional convergence, but when some difference about the implications of the solution reached emerges, this probably would be because of divergencies i n those underlying conceptions. Finally, to be neutral about conceptions of the personal good is i n fact to adopt a distinctive moral conception of society - that of liberalism - which compete w i t h others - like perfectionism or utilitarianism - and this seems that cannot be done without examining that conception i n the context of public discussion. Other scholars, like Cass Sunstein, feel attracted by the idea - also embedded i n Republicanism - that "debate and discussion help to reveal that some values are superior to others " and that practical reason can be used to settle social issues. I myself have tried to develop this view elsewhere, 2 3 on the basis that the social practice of moral discussion assumes a criterion of validity which is based on the acceptability of moral judgements under ideal conditions of impartiality, rationality and 21 See Why Dialogue?, in: The Journal of Philosophy. 22 See, for instance, On the Idea of Overlapping Consensus, in: Oxford Journal of Legal Studies, feb. 1987. 23 See Nino (note 14), chap. 7. 5 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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knowledge of the relevant facts. In the unconstrained normal practice of moral discussion the result of a token of it which is given by the unanimous consensus of the people concerned has epistemological value since there is a considerable chance that the solution so accepted be impartial, under the reasonable assumption that nobody is better judge of some interests that the holder of those interests. This position, which I deem "epistemic constructivism " differs from the "ontological constructivism" which I am inclined to ascribe to Jürgen Habermas, 24 since he seems to imply that the result of a discussion constrained by some procedural rules constitutes the morally correct solution and is not merely a way of having access to the knowledge of that solution (this view of discussion has the same problem that I mention before of being unable to explain what is the structure of the arguments people raise i n the context of the discussion). But of course, democracy does not comply w i t h the same strictures as ordinary moral discussion. Democracy, as majority rule, can be seen as a substitute of that ordinary discussion to which we resort when a time for taking a decision is needed, lest the decision in favor of the status quo is implicitly taken, and there is no possibility of reaching an unanimous consensus by then. The dummy, however, has not the same epistemic value as the original. It is painfully obvious that even i n an idealized Athenian version of democracy, the result is compatible w i t h very partial solutions against minorities, since majority rule - unlike unanimity - is not functionally equivalent to impartiality (as Rousseau seems to have thought). Nevertheless, I believe that some of the epistemic value of ordinary moral discussion is preserved by democracy. In the first place, as each one needs to justify her interests to the rest before a decision is taken, this generates a certain tendency towards impartiality since there is a limit to the pretension that some interest of one is endorsed by a general and universal principle that would be accepted by anybody who were completely impartial, rational and knowledgeable. Secondly, there is another pressure towards impartiality given by the fact that in a democracy there is a permanent need to try to get as much support as possible for one's position, since there is a permanent risk that a majoritarian coalition breaks down because the enticement of marginalized groups to members of the coalition to depart from it; this makes that each tries to satisfy as many interests as possible. Given these factors inherent in the democratic procedure of discussion and decision which ground an individual tendency to propose correct solutions, it may be compounded at the 24 See Carlos S. Nino, Constructivismo epistemologico: entre Rawls y Habermas, in: Doxa, Nr. 5, 1988.

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collective level resorting to formal devices like Condorcet's theorem. This guarantees that, in case that each individual forming the relevant group is more probably right than wrong, as more individuals support a certain solution more probable i t is that the solution is right. Of course, this sort of argument does not allow us to conclude the obvious falsety that any one democratic solution is right. In many cases we are more than sure that the solution supported by the majority is entirely wrong. But i t does support the conclusion that, in general, democratic solutions are more probable right than solutions taken through the procedure of individual reflection, given the less likelihood that one may imagine and take into account the interests of the rest of the people involved by that individual procedure than by collective discussion and decision. And if this is true, there are reasons to observe the results of the democratic procedure even in those cases in which we are pretty sure that the decision is wrong; otherwise, we would be relying i n individual reflection, contradicting our assumption that it is a less reliable procedure than the collective one. This justification of democracy through the epistemic value of the procedure of discussion and decision grounds the moral relevance of a democratic government, since its directives gives reasons to believe that there are moral reasons to act accordingly. 3. Mixed Views

The former views, as presented, seem to be pure in that either they allow that all preferences of people are preserved as given outside the political sphere or subject all of them to a potential transformation through the democratic process. However, there are mixed views, which seem to distinguish conditions under which the preferences of people are either left to themselves or subject to transformation. According to some scholars like Sunstein, the Federalist's conception, mainly through Madison, was such a mixed view. This is so for the reason that, although i t adopted a pluralist conception w i t h regard to the neutralization of factions through the division of powers and representation, it relied on the merits of civic virtue and dialogue i n relation to the representatives themselves. Whereas The Federalist assumed that to rely on the political involvement i n a dialogical way of the whole community was unrealist and pernicious, at least i n the case of a large Republic, this was an essential aspect of the adequate working of representative government. Of course, the fact that the work of representatives be subject to those valuable strictures does not serve to expurge the lack of grounds 5'

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for the legitimacy of those representatives that the pluralist conception exhibits. Bruce Ackerman 2 5 defends also a different mixed view w i t h his "dualist conception of politics", as applied to the American system. Ackerman maintains that the system advocated by The Federalist and adopted by the philadelphia Constitution is best understood and justified by way of a distinction of two tracks along which political life evolves: the first is the higher form of politics - "constitutional politics" which is given i n the rare moments i n which the people speak through a process of considerable movilization and debate (as has happened in American life w i t h the enactment of the Constitution itself, w i t h reconstruction after the Civil War and w i t h the New Deal): the second is the lower form of politics - "normal politics" - , i n which the people do not speak directly but through problematic representation - given the division of voices and the questionable connection between each of them and the w i l l of the people - , enjoying thus a lower legitimacy. As normal politics must be subject to the results obtained in the higher track, i t is the role of judges through judicial review to preserve the w i l l of the people best expressed i n the constitutional moments. Ackerman thinks that this division of politics is justified since it is a way of economizing public virtue (different than that which Sunstein thinks The Federalist adopted): it allows the citizens to pursue their private concerns i n normal times, without imposing upon them and ideal of personal excellence given by permanent political involvement, and establishes means for signalling those rare opportunities i n which movilization is required. Ackerman presents consequently a theory of constitutional rights according to which those rights emanate from democratic decisions taken in constitutional moments and restrain the expressions of normal politics - , opposing i t to a monist conception - which makes rights to depend permanently on a continuous and uniform democratic process and to a fundamentalist conception - according to which rights constraint any democratic expression. Despite the attractions of this view, there are some doubts about both its explanatory and justificatory import which are not easy to overcome: First, i t is not clear why to speak of "dualism" and of "two" political tracks when one might distinguish a continuum of many different degrees of legitimacy according to the degree of movilization and debate. There are issues, like for instance abortion or discrimination, which provoke great debates and movilizations, even when they are not perhaps comparable to the examples cited by Ackerman, that have definite impact on the legal system. Even i n a "monistic" system like that of 25 Ackerman (note 8).

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Great Britain one can make this distinction, besides the fact that even there are different levels of democratic expression (plebiscites - like that regarding European integration - elections for Parliament and its working, local elections, etcetera). Secondly, the democratic legitimacy of some of the constitutional moments to which Ackçrman refers is rather dubious: even leaving aside the well-known formal democratic deficiencies of the enactment of the American Constitution, it is hard to see that those deficiencies were expurged by informal debates and movilizations (were the women and blacks part of them?). Ackerman might say that he limits himself to reconstruct what are the views of American officials, mainly the judges, about the origin of democratic legitimacy i n the country; but in that case one should try to free them from this obvious mistake. Thirdly, the image of the people movilized and excited w i t h public spirit i n dramatic moments is a bit dangerous from the point of view of democratic legitimacy: what is the space for open, rational discussion i n those moments? Is the equal weight of all the participants relatively guaranteed? Perhaps, the (for me, epistemic) merits of democracy are better displayed i n less romantic and more calm moments in which some procedures tending to secure the above-mentioned strictures are respected. I n the fourth place, the democratic legitimacy of the constitutional moments is further questionable since there are normally obstacles for enacting the w i l l of the majority - which tend to signal, in Ackerman's view the gravity of the moment - , so that a minority in favor of the status quo usually has veto power; if these obstacles were suppressed what we would have in fact is a monistic system. I n fifth term, and going to the other extreme of normal politics, the legitimacy of its expression is questionable, since as Ackerman declares, the representati vity of the organs of government is problematic. Is that legitimacy completely dependent on delegation from the higher track, and so any form of government decided in the rare constitutional moments w i l l do? In the sixth place, Ackerman does not seem to solve the "temporal difficulty", that is the problem of what is the present validity of a democratic decision taken by people who are long dead, when i t is opposed by the w i l l of people now living as expressed by parliamentary elections. Ackerman's answer rely on the different quality of both expressions of w i l l because the different degrees of movilization and debate, but a high quality of a w i l l that have zero value i n terms of self-government, because i t is the w i l l of a different people, does not raise that value as to counteract a w i l l of quite low quality but w i t h some value because i t maintains, nevertheless, some connection w i t h the preferences of the people to which it applies. I n seventh term, the application of the dualistic view to the justification of judicial review is problematic since there is no reason why the preservation of "the w i l l of the people" must be i n the hands of

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countermajoritarian officials and not i n those of whom have at least some connection w i t h the preferences of present majorities. In the eighth place, the submission of judges to the w i l l of the people i n constitutional moment, whatever its content is quite shocking as expression of ideological positivism: to say, that if freedom of expression or of religion were abolished at the constitutional level, judges should abide by the new order or else resign 2 6 is highly counterintuitive, mainly taking into account that Ackerman does not ascribe a moral quality to the result of the democratic process: if a judge could save lives and freedom by staying i n his post and resisting the application of the obnoxious constitutional reform, why should he relinquish the moral duty to do so for the sake of respecting a sort of "overlapping consensus"? Finally, even when the kind of inclusive involvement that democratic politics requires is a source of legitimate concern from a non-perfectionist point of view, it is a bit of an exaggeration to praise the solution of overcoming that involvement by a system which, according to Ackerman, has given only three opportunities to the people to speak directly their voices i n two hundred years of eventful history! The view of democracy which I have defended elsewhere and alluded to before is also a mixed conception. This is so because i t relies on the distinction between personal or self-referent preferences and impersonal or inter subjective ones i n order to discriminate about the possibility of transformation through the political process. In relation to personal preferences my view is like those which we discussed i n the first place: preferences about plans of life and ideals of personal excellence are not essentially transformable through the political process, since - though the process of intersubjective moral discourse is always useful to achieve a more detached standpoint, as Habermas suggests 27 - they are not to be validated according to the criterion of impartiality, that is what gives particular epistemic value to the process of collective discussion and decision. Therefore, these preferences should be excluded from the political process, which coincides w i t h the prescription of the principle of personal autonomy implicit i n the practice of moral discourse. 28 On the other hand, collective discussion and decision tend to transform, as we saw before, preferences w i t h intersubjective content i n so far as that process generates a tendency to appraise them from an impartial perspective. Nevertheless, the result of the collective process has only epistemic and not constitutive value w i t h regard the validity of those prefer26 See his work w i t h Rosenkrantz, Très concepciones de la democracia constitucional (note 8). 27 Jürgen Habermas, The pragmatic, ethic and moral use of practical reason, unpublished. 28 Nino (note 14).

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ences. These features of the present conception have implications which might help to solve some of the difficulties of other views; this I shall try to show in the last part of the next section.

ΙΠ. Institutional Design 1. Argentine's Interlude

I hope that now it is clear what I have said at the beginning to the effect that the question of the stability of democracy, and that of generating a subjective legitimacy towards it, cannot be dealt without articulation a normative conception according to which democracy is objectively justified. As we saw i n the previous section diverse views of democracy differ greatly about which aspects of present practices which are generically democratic are of value and should be preserved or expanded: whether representation should be strengthened or, on the contrary, atenuated, whether the division of powers should be deepened or softened, whether judicial review should be preserved or modified or even eliminated, whether political parties should be the only protagonists of the democratic scene and interests groups should be contained or its political participation should, contrariwise, be institutionalized even at the expense of the role of political parties, whether the vote should be compulsory, the answer to all these questions depend on the view about the justification of democracy which is defended. But those answers also depend on the factual circumstances of the political unit i n whose context the question of the stability and subjective legitimacy of democracy is put forth. In what follows I shall try to give not a historical of sociological account of relevant circumstance of the Argentine's scenery but an interpretation of its features which are relevant to institutional design. As Ackerman and Rosenkrantz say w i t h regard to Argentina, i t is difficult to infer which conception of democracy best fits its political practice, since almost there has not been a practice of something recognizable as democracy. However, there has been a certain constant pattern of political life that, as we saw before, may have a democratic manifestation, though it may also flourish during authoritarian schemes. I refer to the pattern of corporatism or factionalism, which, as we have saw, may convert itself into pluralism given certain electoral mechanisms. 29 29 Carlos S. Nino, Transition to Democracy, Corporatism and Constitutional Reform i n Latin America, in: Miami L.R. 1989, I.

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Latin American corporatism distinguishes itself, as Guillermo O'Donn e l l 3 0 says, for the fact of being bi-frontal , that is for being instruments of the State influence i n social groups and of these groups constituting cleavages of power into the State structure. The phenomenon of corporatism undergoes diverse transformations according to the political organization of the respective country i n different periods. During military regimes i n Argentina - mainly those which are deemed "burocratic-authoritarian" - corporatism is exclusionary, since it excludes an important participation of the working sector into the corporatist constellation. Instead, during populist experiences - like the first Peronist government i n Argentina - the role of trade-unions was central and responded to a social and economic model - based on the development of the internal market and the substitution of imports through protection and privileges - which tended both to promote and to control the working class. 31 During praetorian periods, corporations almost substituted a extraordinarily weakened political power. I n the case of Argentina, the corporations which are frequently mentioned, besides the trade unions, are economic groups, and associations representing different economic concerns, the military, the Catholic Church, and even the press. Of course, the heterogeneity of this list shows the looseness of the concept of corporation or faction, since it includes, productive agents, associations of them, sectors of the State apparatus, organizations w i t h spiritual or cultural ends, etcetera. I n fact what seems to be doing some work is an operational definition of corporation which takes into account the fact that a group of people enjoy certain privileges and protections from the State or has certain leverage i n its decisions which are not possessed by other people irrespective of the numbers involved. This is clear i n Argentina w i t h each of the groups above-mentioned: it is self-evident that the military has had through Argentine history a strong political leverage exerted directly and indirectly and a number of important legal privileges that only i n this democratic period are being curtailed (for instance, special jurisdiction for common crimes committed i n connection to acts of service, which was established in 1823 und only was abolished i n 1984). With regard, to the Church, the Constitution establishes the duty of the State to support it and the necessity that the President be catholic; it has had besides a considerable political influence mainly i n the field of education, private and family life (which was greatly curtailed i n this period). Trade unions and professional associations enjoy a system of exclusivity 30 Guillermo O' Donnei, Corporatism and the Question of the State, in: J. Malloy (ed.), Authoriatharianism and Corporatism i n Latin America, 1977. 31 Ibid.

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of unitary representation in each branch of economic activity and i n three levels of increasing generality (culminating in only one Working General Confederacy for the whole country) and it goes without saying that they have an enormous political influence through different means of pressure and representation. Economic groups have a rich manifold of privileges and protections - like customs barriers, legal monopolies, explicit or implicit subsided, tax-favoritism, especial recognition as State suppliers, licenses to exploit State concerns, State guarantees (in the case of banks and insurance companies) etcetera - which are of late the object of permanent denounciation in the country. 3 2 Even the press have special privileges and monopolies, like the participation of three newspapers i n a highly protected and almost monopolistic paper industry or an exclusionary system of radio and TV licenses. During the first part of this transition period led by President Raul Alfonsin, the democratic forces - constituted not only by the government but also by other parties represented i n Congress and even the judiciary - undertook a hard struggle to limit the power of several factions and corporative groups, w i t h varying success. The trials for human rights violations promoted against the members of the military which committed them in the fight against subversion, 33 together w i t h other measures (like the already mentioned abolition of military jurisdiction, the enactment of law of defense which proscribe the military from intervening in internal affairs, the displacement of garrisons out of Buenos Aires, the transference of military industrial complexes to civilian control, the enactment of a law of protection of democracy, etcetera) constituted true progresses towards curtailing some military privileges, which of cours provoked reactions that were variedly responded. Notable advances towards the protection of autonomy in private life were achieved notwithstanding bitter resistence from right-wing sectors of the Catholic Church (amongst those advances one should count the abolition of all censorship i n exhibitions and publications, the enactment of the divorce law, the enactment of laws parifying the rights of children born in and out wedlock, the parification of the rights of both parents over children). I n the case of the press there was a bitter struggle around a project 3 4 of the Council for the Consolidation of Democracy (an advisory body of the President, on structural transformations, formed by politicians and 32 See, for instance, Jorge Bustamante, La Republica Corporativa, Buenos Aires 1988. 33 See my article The Human Rights Policy of the Argentine Democratic Government: A Reply, in: Yale Law Journal of International Law, Fall 1985, vol. II,

n. 1.

34 See the report published by the Council, Dictamen y Proyecto de Radiodifusion, Buenos Aires.

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experts) which prevented informative oligopolies and introduced the right of rectification against false information - a struggle lost by the democratic forces since the resistence on the interest groups led to the paralysis of the Alfonsin's government. With regard to trade unions, Alfonsin's government suffered a severe defeat when its project of a b i l l which would allow for more transparency and equity in its internal affairs (with representation of the minorities, judicial control of funds management, etcetera) was defeated by only one vote i n the Senate and a much more lenient regulation had to be approved. It is highly controverted whether in this first period of the transition some progress was made in overcoming the privileges and protections which favor many sectors of economic activity, determining the gigantic inefficiency of Argentine economy. Whatever the final judgement, the truth is that the conduct of those economic groups had a great impact on destabilizing the economic variables at the beginning of 1989, up to the point that the government - who, i n part because of that destabilization, lost the presidential elections of May and was cornered, first, by the fear that Peronism could w i n them and, then, by the positive expectation of its taken over - had to cede the government, in advance of due time, to the elected authorities. In the second part of this period of transition conducted by President Carlos Menem there was a cooptation of representatives of the corporations themselves i n the very cabinet (since several of its members are representatives or highly sympathetic to several of them), besides being inaugurated w i t h explicit concessions to corporative pressures. The military were granted broad pardons having to do w i t h trials i n course w i t h regard to violations of human rights, w i t h convictions for negligence i n the conduction of the Malvinas war and w i t h rebellions against orders given by President Alfonsin. These pardons differ notably from the laws of statute of limitation and of due obedience promoted by Alfonsin i n that the former are not presented as a mere response to a state of necessity but as a token of reconciliation between social sectors which bear some animosity, minimizing, thus, the magnitude of the crimes committed. 3 5 With regard to the press, Menem's government accepted the pressures of the corporative groups, allowing without limitation that big press complexes acquire public channels of TV and radio and excluding any right of rectification. The relation between the new government and economic groups merits a separate paragraph. The first two Ministers of Economy were representatives of a big multinational company which deals mainly w i t h the 35 Carlos S. Nino, Indultos y Conciencia moral, in: Relato de hechos e ideas, η. 1, die. 1989.

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export of grains. Nevertheless, in part because the gravity of the situation of the country does not allow for any other alternative, the fact is that, together w i t h a process of privatization whose need is generally agreed despite the doubts about the equity and economic reasonableness of the way i n which is performed, the government promoted a policy of abolishment of privileges, hidden subsides, etcetera which seems quite valuable. However, the repeated loss of all control of the financial variables - which perhaps is not alien to the endevors of those groups - has made them to come closer to positions of influence which raises fears about the continuation of the former policy. This course of events seems to show that a democracy limited in excessive degree by the pressures of factions or corporations, not only is highly harmed in its objective legitimacy, according to a deliberative view of democracy like that presented above, but i t is also of dubious viability. Factions and corporations may found themselves - as it is probable the case of Argentina - in a self-destructive structure of interaction of the type of the prisoners' dilemma. Each economic agent benefits w i t h a system which abolishes protections and privileges for the rest and not for themselves. With a process of inflation in course for more than forty years each actor has a great incentive for increasing the price of its goods or services, since this is the rational thing to do if there is an expectation that the rest w i l l do the same. A similar tendency is given towards speculation i n financial markets. When this structure of interaction is given it is impossible to overcome i t by negotiations, since the process of negotiation itself is subject to the same logic. One possibility of way out is given by external coercion, but this is unlikely when the State apparatus is weak, i n part because of the very corporative apparatus. Therefore, one of the challenges i n the face of this kind of situation is to fortify democratic power so as for it to be able to break the selfdestructive interaction of corporations. The other more ambitious challenge is to establish a system which tends to eradicate corporative pressures from its roots providing for mechanisms which promote the transformation of preferences through the political process. The rest of this section would be devoted to envisage problems of the present institutional design which must be overcome to contribute to confront the two challenges, despite the utopianism - I hope in the good sense - of the last one.

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Carlos S. Nino 2. The Establishment of Deliberative Democracy

a) The Problem of Disperse Sovereignty As we saw, pluralism praises the fact that in a working democratic system nobody is allowed to speak for the whole people. Popular w i l l is dispersed through several temporal, spatial and functional dimensions: Temporarily, there is the divide between the expression which led to the Constitution and which organs as the Supreme Court is supposed to interpret and current expressions i n present elections and law enactments; of course, law enactments themselves respond to expressions of w i l l which are given at different moments; then there is the fact that different organs are elected at different times (in Argentina even the House of Representatives is elected by half each two years w i t h deputies whose mandate last for four years). Spatially, the w i l l of the people is dispersed, i n the United States and Argentina, i n the election of national, state and local representatives which are suppossedly charged to deal w i t h different issues, but that often overlap. Functionally, popular sovereignty is dispersed through different bodies and officials which concur positively or negatively to the same decisions - like, at the national level, the President, the House of Representatives, the Senate, the judges and i n special the Supreme Court; while, these functions are formally distinguished i n a reasonable way, it is no news to say that there is a good deal of substancial overlapping (for instance, the legislative role of the President has increased enormously being the source of most successful initiatives of legislative enactments). The praise that pluralism raises of this phenomenon is based, as we saw, on the avoidance of tyranny, since the dispersion of sovereignty impedes that any political or factional group monopolizes the center of power w i t h the excuse of speaking the voice of the people. Neither the majority nor any minority is able to control all the handles of power when there are so many and so separate from each other. However, this is done at the cost of a considerable weakening of the epistimic value of democracy to which I refer above. There is no direct connection between the conclusion of democratic dialogue and guideline to take decisions according to that conclusion. Assuming for the moment the legitimacy of representation, the problem is how to compound the w i l l expressed at so different temporal, spatial and functional levels i n a decision which represents the conclusion approved by the majority after a process of open and ample debate. Take any problem, let us say abortion: the final structure of the solution over the issue w i l l be taken by an extremely complex procedure i n which, i n a country like the United States, intervene the governors and

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legislatures of the States, elected generally at different moments, which establish the basic legal regime; the President, the Senate and the House of representatives, also elected at different times by very dissimilar procedures, which might establish some constraints to the States' solutions (for instance, through legal conditions for the use of federal funds); and the judges, in special the Supreme Court, which might limit state and federal action on the basis of an interpretation of the Constitution which might be perhaps grounded on the w i l l of people living two centuries ago. There is no guarantee whatsoever that what results from this cumbersome mix of different decisions, which might respond ultimately to a combination of conclusion of different debates undertaken by different groups of people at different times, has any resemblance w i t h the conclusion of majoritarian decision of all the people concerned at present after a free and open debate. It might be that the governor of a particular State was elected two years ago after a strong campaing against abortion, but that the Legislature sticks to a pro-choice conclusion of a popular debate held in recent elections of its members; that i n the Senate the majority of members representing little populated conservative States are for restraining public funds for abortion, whereas the House, which represents a past majoritarian conclusion i n favor of free choice is for using federal funds for abortions; that the President was elected notwithstanding his strong stance against abortion; and that the Supreme Court has now a majority of members, thanks to recent appointments, though done by the former President, who think that the w i l l of the founding fathers where i n favor of a right of privacy and that this should include abortion at least i n the first stage of the pregnancy. Whether the result of all this mess is that a particular citizen of that State may or may not legally resort to abortion seems to be a matter of almost pure chance and without significant connection w i t h the result of public debate by the relevant group. The impression that as more volitions influence the solution adopted more that solution reflect the w i l l of the people that those volitions represent is wrong: all depends on the way i n which those solutions are compounded and of their relative weight according to their degree of representativity; the accumulation of volitions could well detract to the reflection of the general opinion i n the solution adopted. There is no defense that I know that the particular combination of volitions and their relative weight i n the final decision adopted by the American Constitution and adapted w i t h few modifications by the Argentine one is adequate for reflecting the general opinion of the people. There is a sure effect of the accumulation of volitions which might ground the impression that it hightens the reflection of general opinion:

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it makes more difficult to take a decision and, as according to general rules which are applicable here the lack of decision implies that the former one which has been taken over the issue prevails. This gives a premium on the preservation of the status quo unless the majoritarian wave is so strong as to overcome it. For many conservative minds the status quo is per se a morally permissible position and the only thing that counts it that there should be majoritarian consensus for changing it. However, this priority of the current situation which do not require that there should be also a majority for preserving it is difficult to justify when i t is obviously unjust. Some authors, like Sunstein, maintain that the division of powers which produce this dispersion of sovereignty determines a highly passive government which was thought to be specially appropriate for protecting a status quo i n which a given distribution of private property prevails. In the case of Argentina this passivity of government given by the required accumulation of volitions for taking a decision weakens the democratic power against the power of the corporations and factions mentioned above. Therefore, the reverse result to that sought by pluralism is produced: it may be true that for corporations and factions it is difficult to acquire intense control of resorts of State power when the centers of decisions are dispersed; but if they acquired that control during authoritarian periods when the centers of decisions where concentrated, the dispersion of sovereignty makes extremely hard for the democratic government to take away that control from them. Let us see how this dispersion of sovereignty is given and how it may be reversed in the case of Argentina i n the three dimensions to which I referred before: the temporal, the spatial and the functional. The temporal problem of dispersion of sovereignty is dependent on the broader and deeper problem of the present bindingness of decisions taken i n the past. On the one hand, it is easy to see the democratic deficit that majoritarian decisions acquire w i t h the passing of time: in so far as the interests of people change w i t h time and the people themselves change, there is a progressive weakening of the presumtion that the decision reflects the solution that takes into account the interests of all the people concerned. With time, most probably the decision does not take into account new interests of people or the interests of new people. As we cannot have "instantaneous democracy", which would adapt its decisions to the continuous emerging of new people and interests, we must rely on so some idea of tacit consent of the present people at every moment of time i n order to account for the present bindingness upon

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them of past decisions. If that decision is not reverted it is to be supposed that there is a majority i n favor of it, or at least in favor of not untertaking the cost of a change of situation. For that presumption to have some verosimilitude it should be easy for a majority who opposes the status quo to revert it. This means that requirements of qualified majorities should be avoided. It also means that there should be some procedure for calling the attention of present people of a past decision which may not contemplate current interests; this could be effected, for instance, by a procedure by which courts could request legislatures to reconsider old pieces of legislation which look prima facie particularly unjust. But, on the other hand, there are strong arguments i n favor of the binding power of past majoritarian decisions on present majorities. Stephen Holmes i n a very interesting article 3 6 resorted to the idea that constraints to majority rule adopted i n the past could expand the power of present majorities i n different ways. One of those ways consists in undertaking a voluntary pre-commitment which implies a sort of autopaternalism as that practiced by Ulysses to resist the chant of the Sirens. But as Holmes himself says it is dangerous to extend to a collective group a conceptual framework which applies to one person: the majorities are formed at different moments by different people and thus i t is hard to speak of autopaternalism. Some cases of heieropaternalism could be justified, however, if - like i n labor relations - there is a risk that the unconstrained w i l l of a person would harm her own subjective interests; but it is not easy to see here what are the risks to which i n general a majority at time t l is subject which justify that its decision be constrained by a decision taken by another majority at time tO which is not subject to the same risks (Holmes resorts, a la Ackerman, to the better quality of the majoritarian decision expressed in the Constitution, but that I already alleged that is dubious). More persuasive is, however, Holmes' argument to the effect that not all decisions may be taken at once, but present decisions must be taken on the basis of some past decisions; in his own words: "It is meaningless to speak about popular government apart from some sort of legal framework which enables the electorate to have a coherent will. For this reason , democratic citizens require cooperation from regime-founding forefathers. Formulated somewhat facetiously: without tying their own hands, the people will have no hands. Decisions are made on the basis of pre-decisions ... Democracy , in other words, is never simply but always the rule of the people within certain predetermined channels , according 36 Stephen Holmes, Pre-commitment and the Paradox of Democracy, in: Constitutionalism and Democracy, Cambridge 1989.

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to certain prearranged procedures , following certain criteria of enfranchisement, and on the basis (to select a revealing example) of certain predrawn electoral districts .,." 37. Despite the intuitive power of this appeal to the need to decide w i t h i n certain procedures established in the past, the grounds of that power are rather obscure. Why it is that the present majority cannot decide everything? It is obvious that democracy for having epistemic value must observe certain procedure granting open and broad discussion and majoritarian decision and i t is also obvious that what the majority decides about that procedure does not determine its validity, since that very decision may be affected by procedural vices. But it is not obvious that a past majority is i n better condition to establish the right procedure. It is true that there is no majority rule without a previous rule which establishes a correct procedure which enhances the epistemic value of the decisions taken, but there is no question-begging way of entrenching that procedure (if one supposed that the procedure established i n the Constitution is right, one would celebrate that no simple majority may reform it; but if one thought i t wrong one would regret that fact). I can only gesture at different circumstances which, once fully elaborated and connected, might ground part of the apparent power of Holmes' appeal. One of them is the fact that no majority can acquire by itself the power to command efficaciously outside an ongoing collective practice. A current constitution has been a successfull effort, among many others who failed, to found that collective practice. A majority by itself cannot always found a new practice, and so often it must rely on the existing one to be able to rule. This is connected w i t h another circumstance, that is that the majority, unlike a monarch or a certain aristocracy, is not an individual or a set of individuals; the majority is an abstraction which is formed by different sets of hands raised in the face of different questions. Some of the people whose hands made a greater number i n relation to a certain issue could be in a minority w i t h regard to a different issue. Moreover, they could have voted differently if the issue were conjoined w i t h other issues different to those w i t h which i t was in fact conjoined. On top of that, the majority may change, as we saw before, because some of the people change or their ideas or interests change. This means that a certain equilibrium must be reached between providing a framework for allowing for this shifting of majorities, since there is no majority that should dominate other majorities, and at the same time providing for some stability of the decisions taken i n order for them not to be permanently frustrated. This connects w i t h a third circumstance which is that i n so far as democracy tends to protect the 37 ibid., p. 231.

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interests of people that can be justified on the basis of impartial principles, its working should take into account the fact that interests are not instantaneous but extend in time. Many interests are for things to happen i n the future, and it is i n everybody's advantage that once those interests have been legitimized by public discussion and decision there is certain guarantee of fulfillment notwithstanding the change of other people and of their interests. These observations are too unelaborated and disconnected as to warrant any definite conclusion. As I think that there i t not at present conclusive theories about the weight of past decisions and the justification of entrenching them, the best practical advice is to proceed w i t h caution, trying to reconcile the different considerations just mentioned. For instance, I would not recommend i n the case of Argentina to flexibilize completely the procedure of constitutional reform assimilating it to that of a normal law; but I would certainly adopt a system less rigid than the present one, allowing for reforms done by Congress w i t h qualified majorities, besides the procedure of electing special convention. Similarly, I would not advice extremely frequent elections of officials or popular consultations, but certainly I would considerably shorten the present terms of office, which are much longer than the analogous ones i n the US (four years those of the deputies, six years the mandate of the President and nine years the terms of the Senators!) and would avoid the replacement by parts of collective bodies like the House, which makes i t impossible to give effect to even strong present general opinions. Besides, as I shall argue later on, I would favor the introduction of plebiscites and referenda i n Argentina's institutional scheme, w i t h i n some constraints. The spatial dimension of dispersed sovereignty presents perhaps less serious theoretical problems though the practical difficulties for reversing it are enormous. In Argentina, like in the United States, there are at least three different ambits i n which democratic politics is carried out: the local, the provincial and the national. There has been i n the course of the country's history a concentration of powers i n the national government, as consequence of the military coups which, once occupied the center of federal government, suppressing Congress and replacing the members of the Supreme Court, immediately intervened the governments of Provinces, appointing military delegates (the same was done in the case of municipalities). The concentration of powers i n the national sphere was also effected through the creation of powerful public enterprises which are controlled by the federal government despite the fact that their action is exerted over all the territory. This concentration of powers i n the national level redounded i n the benefit of the area i n 6 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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which that government seats, that is Buenos Aires and its surrounding zone, which absorbs a great amount of the Argentine's population and an even greater amount of the national product. With the reestablishing of democracy a healthy feeling of localism and regionalism is spreading throughout the relegated areas of the country. Mainly the Provinces which are rich in oil and gas or other natural resources are making increasing pressures for their receiving a fair share for the exploitation of those resources. This of course presents the problem of the limits of national solidarity, since there are provinces which has neither the industrial wealth of Buenos Aires, nor the natural resources of other regions. A l l this is connected w i t h the general question about which is the proper ambit for practicing the procedure of democratic discussion and decision. The need for an intense dialogue between the people concerned pushes in the direction of the smallest units as possible; the need for bigger markets and compensation of resources pushes towards coordination in the context of larger units. Difficulties arise when institutional arrangements which were thought for certain degree of decentralization apply to factual setting i n which that degree is altered. In Argentina this is the case of the Senate and even of the representation i n the House of Deputies. Like in the United States, the Senate has been, when the country was constituted, the great solution to the conflict between national unity and provincial autonomy, but is doubtful that i t satisfies at present legitimate needs. Provinces which have about the same population as a neighbourhood of the city of Buenos Aires have the same two Senators as Provinces w i t h ten times more population. Besides, the rule establishing a minimum of five deputies per Province implies that deputies of the least populated Provinces represent around four times less people than those of the most populated ones. This of course constitutes a considerable distortion of the reflection of general opinion in national decisions, when most important political questions are decided at that level. The case would be of course quite different if the most relevant political issues were decided at the provincial level and the mission of the delegates to the national govern were not to decide anew those issues but to take care that the decisions taken at the Provincial level are respected. This distortion might be solved through different modifications, working sometimes i n opposite directions. One of them would be to effect a deep decentralization, so that crucially important issues are discussed and decided at the Provincial level or even at the local one. This could be done if relevant public services - like secondary and university educa-

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tion, as now it occurs w i t h the elementary one, health, social security, etcetera - are displaced to the responsibility of the Provinces. The same may be done in relation to substantive legislation, like the criminal and civil codes, as it happens in the United States, which would require a constitutional reform. Of course, this would facilitate collective discussion of those issues attending the peculiarities of each Province or even town. But certainly it has the setback that cooperation between the different Provinces tends to weaken and the social and economic differences between them might perhaps widen. Another train of reforms would tend to overcome the distortions of representation at the national level. The Senate should be modified so that it specializes itself i n issues which are of direct concern to the autonomy of Provinces - like the budget, tax - coparticipation, the possible intervention to a Provincial government, etcetera, having only a veto power i n relation to legislation having to do directly w i t h individual rights; so that a statute approved by the House of representatives would be enacted automatically if it is not vetoed by the Senate w i t h i n certain lapse (this would avoid the possibility that the Senate blockades initiatives which enjoy high popular support reflected i n the House, as it happens in Argentina, unsuccessfully as last, w i t h the case of the divorce law, successfully w i t h the trade unions law, and almost successfully - if it were not by an informal popular consultation called by the government - w i t h the case of the treatise w i t h Chile in relation to the Beagle Channel dispute). Of course, the differential representation i n the House of representatives which privileges the least populated Provinces should also be modified. The third kind of reforms, which goes in a contrary direction to that of the first and that, unlike it, presupposes the second, is inspired by a different kind of federalism that the present system. Instead of dividing up issues of federal and provincial concern, a division which is difficult to do in many cases and which weakens cooperation, this new kind of federalism would divide up the process of decision and implementation. Many solutions could be adopted at the provincial level by the legislatures or through procedures of popular consultation and then the Senators and Deputies of each Province may be committed to defend those solutions at the national level. This process, which in certain cases might begin even at the local level, would constitute something analogous to the mechanism of democratic centralism defended by Macpherson. 38 Once a decision is taken at the national level, a process in the opposite direction may be established i n relation to the implementation of that decision, making i t possible something similar to what Habermas deems 38 Macpherson (note 7), chap. V. 6*

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"implementation discourse", in which the local, factual conditions for implementing a measure are taken into account. This sort of federalism in which the three levels of government cooperate i n reaching a decision and i n implementing it is closer to the kind of federal system in force i n the Federal Republic of Germany than to the American one. The functional dimension of the problem of dispersion of sovereignty confronts us w i t h the question of the division of powers, mostly in what has to do w i t h the divide between administration and legislation. Argentina has adopted the American presidentalist system, even expanding the powers of the President (he has no need to request Senatorial confirmation for the appointment of cabinet members, has the faculty to declare a state of siege, even by himself when Congress is i n recess, has the same power to intervene Provinces substituting their governments when there is an internal conmotion or external threats, etcetera). Constitutional practice even went further i n the expansion of presidential powers, due i n great part to the customs and expectations arising from coup d'etats i n which Congress was suspended and the faculty to enact legislation was assumed by the military president in charge (sometimes there was a Junta which had to approve the most important legislation). This generated a popular belief in the almost unlimited powers of the President. President Alfonsin requested his advisory body, the Council for the Consolidation of Democracy, to study the possibility of reforming the system of government. The Council recommended 39 the introduction of a semi-parliamentary system, in which the President, elected directly by the people, would have only quite circumscribed faculties - like proposing candidates for permanent positions of the State, judges, diplomats, high military officials, declaring war w i t h agreement of the Senate whereas the rest of the tasks of government would be ascribed to a prime minister and his cabinet. Despite the fact that the prime minister would be chosen discretionarily by the President, who also could dismiss him, he and his cabinet could be censured by a majority of the House of Deputies; after such a censure the President may dissolve the House and call for new elections. This would make for a dynamic mix system of government i n which the President would be the dominant force, governing through the prime minister, when he enjoys such a popular consensus as to have majority i n the current House or in a new elected one, and the power would turn to the prime minister if he is elected through the process of negotiation between the President and the majority of the House and, so, acquires independence from the former since cannot be 39 See reports of the Council: Dictamen preliminar sobre la reforma constitucional, Buenos Aires 1986, and Segundo dictamen sobre la reforma constitucional, Buenos Aires 1987.

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dismissed without the probability of his successor being censured by the House. The arguments given by the Council for the Consolidation of Democracy in favor of this proposal were purely functional. The first one was related w i t h the fact that the pure presidential system implies a personalization of powers which weakens it since most expectations and pressures are concentrated on one person, suffering the institutional structure w i t h the problems that may affect that person (loss of popularity and credibility, physical or psychological problems, etcetera), besided the possibility of authoritarian abuses. The second one touched on the dynamics of confrontation between the parties - mainly when they are strong and disciplined ones - that the presidentialist system generates given the "zero-sum" character of the presidential elections 40 since the impossibility of dividing up between the parties the main center of government. The third argument, related w i t h the former one, refers to the blockages between the two political powers of the State when they are controlled by different parties, given the dynamics of confrontation that arises between them. The last argument refers to the impossibility of forming coalitions between the parties, as are required to overcome deep crises or the confront corporative pressures (as happens today i n Argentina) given the impossibility of sharing the presidential power and the little incentive to occupy cabinet positions that depends on the President (for this reason former President Alfonsin has recently proposed to introduce a semi-parliamentary government by a political agreement which includes a commitment of the President to appoint a prime minister who enjoys parliamentary confidence, as a means to overcome the present serious crisis protecting the figure of the President). What I would like to add here are some arguments which are not of functionality but are related w i t h moral reasons coming from the justification of democracy defended above. In what has to do w i t h the topic of this section, the dispersion of sovereignty, the presidentialist system of government breaks down the result of public discussion in two different expressions - the election of the President and that of the House of Deputies - usually formed at different times. In the case of Argentina, the President is elected at the same time as half of the House. (Even this affects negatively the selection of that half because, although theoretically people can separate the ballots of the parties which support the President and the list of deputies, i n practice few people do so and the polarization typical of the presidential 40 See this argument i n Juan Linz , Democracia presidencialista y parlamentaria. Hay alguna diferencia, in: Presidencialismo vs. Parlamentarismo, edited by the Consejo par a la Consolidacion de la Democracia, Buenos Aires 1988.

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election reflects i n the election of deputies, instead of the fine-tuned ideological selection that proportional representation allows.) This division of the expression of popular sovereignty allows for the effect that pluralists praise, that is that nobody may invoke the voice of the people. But this is because the message is not heard due to the overlapping of a plurality of voices. Of course, what this provokes is that the population feels that nobody has recepted the conclusion reached i n the debate that elections provoke. This is partly excepted i n those cases in which the President is elected by a real landslide, as it happens in Argentina w i t h Peron in 1973 and, i n a lesser degree, w i t h Alfonsin in 1983. In those cases the President begins his mandate w i t h large popular support, which is usually even greater than that expressed i n the election thanks to the fact that popularity usually brings more popularity. But even i n these cases the problem is how to keep that support. Here it is were a particularity of the presidentialist system of government intervenes: the rigidity of the mandate of the principal center of power (aggravated i n the case of Argentina by its unusual legth). The President who is elected for six years feels that he is not bound to follow the consensus reached in the electoral process, and usually the crude reality of government makes him revert the easy promises made i n the campaign. (This was the case of the present President whose stances on economic issues, for vague that they were, could i n no way preannounce the turn that they would take once i n office; nor was i t possible to foretell the almost immediate pardons to the military after a promise to leave Justice do her job was repeatedly made.) In fact the process goes the other way round: it is the fact that a presidential candidate knows that once elected he would not be made to respond for his unfulfilled promises (in Argentina there is no even the possibility of a re-election to look forward) what makes him to announce such easy ones. On the part of the people a parallel process takes place: as citizens know that they would not be called for a rapid confirmation or dismissal of their mandate, a feeling of irresponsibility ensures and widespread criticism without taking position on positive alternatives is the norm. But more important than how consensus is lost - since perhaps this would occur unavoidably i n times of deep socio-economic crisis as is suffering now Argentina - is to see how difficult i t is to reconstruct i t w i t h i n a presidentialist system. The rigid and long presidential term impedes to call for a new presidential election even when the President has suffered a catastrophic loss of popularity and credibility (some of the Latin American Presidents are supported by only around 5% of the

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population according to polls). There is no way that general opinion finds new expression in the principal center of power since it is almost impossible to dismiss the incumbent: the process of impeachment is extremely hard to carry out given the fact that it requires an accusation of malpractive and such qualified majorities that the party of government must commit political suicide supporting the overthrown of their leader (which is impossible when the parties have the disciplines structure of the Argentine ones - this was seen clearly in the case of Isabel Peron); on the other hand, the President himself very seldom is inclined to resign voluntarity (an exception in Argentina was Alfonsin i n 1989) since he feels that he has a mandate which transcends contingent public opinion and he knows that that resignation almost always would imply political death. An operative consensus can neither be reconstituted in Congress. This is so, first, because of its relative lack of representativity (determined, as explained, by the composition of the Senate, by the geographical distortion of the representativity of the House, by the defects of the electoral system which w i l l be later on explained and by the distant election of at least half of it), and second and more important, because Congress has no power of political initiative - even in the unlikely case that both Houses are i n agreement - but only a power to obstruct the President. The latter is the most likely course of action in at least one of the Houses is dominated by a party in the opposition, given the dynamics of confrontation that the presidentialist system provokes when it is conjoined w i t h a strong party system and a system of proportional representation (given these conditions, it is almost impossible for the President to get support from legislators outside his own party, since they are subject to disciplinary control from their own party leaders who bet to the discredit of the President so as to increase their own chances in next elections). Another obstacle for reconstituting consensus is the above-mentioned difficulty w i t h i n a presidentialist system to form coalition governments, since the presidential power cannot be divided and there is no stimulus to be part of a cabinet which is of little consequence compared w i t h that power. This makes that what is perhaps a majority in the country feels alienated from the government, even i n situations of deep national crisis. It also impedes that the governmental policies be the result of a continuous discussion amongst representatives of different views which have support in public opinion. For these reasons the present presidentialist system as i t operates i n Argentina does not secure that the consensus which result from public debate reflects permanently i n the formation and working of government. This, of course, involves a considerable departure from the condi-

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tions which grant epistemic value to the working of democratic government. In contrast, the mix system proposed by the Council of Consolidation of Democracy, on the basis of the experience of countries like France, Portugal and Finland, tends to reflect i n a much more flexible way that consensus in the constitution and the operation of the government. As I said before, the President would be the center of power w i t h i n that system so long as i t enjoys enough popular support as to make a parliamentary censure impossible or too risky, given his faculty of dissolving Parliament. When the popularity of the President begins to wear out probably he would have to negotiate w i t h the representatives of his own party i n Parliament even before parliamentary election; i n that case, the prime minister and his cabinet would begin to acquire some independence from the President and begin to be more responsive to parliamentary majority, even when i t is formed by the same party of the President. If the President suffers a severe curtailment of popular support that w i l l be reflected i n the next parliamentary election, since the proposal includes the idea that the whole House be elected for four years in the middle of the presidential terms of also four years. That would mean, as explained, that the President must negotiate w i t h the opposition i n Parliament the appointment of the government who would be considerable independent from the President. That would help to protect the presidential figure, who perhaps might reconstitute his prestige and begin a new circle i n the next presidential election (as it has happened w i t h Mitterrand i n the second term). The most relevant feature of the system proposed is that it allows for coordinating the expressions of popular sovereignty reflected i n the parliamentary and in the presidential elections at different times and for adjusting the government to those expressions - which might be had as often as needed - , so that the government would be permanently supported by the consensus which result from continuous public debate. In sum, the problem of the weakening of the epistemic quality of democracy provoked by the dispersion of sovereignty may be partially overcome if cautious but deep institutional transformations are effected along the temporal, spatial and functional dimensions of that dispersion. b) The Problem of the Poverty of Public Debate Another cause of the diminished value of the democratic process which is quite generalized i n the modern world but is quite considerable i n the case of Argentina is the poor equality of public debate. The discussion of principles of political and social organization, of general views of society, of solutions to deal w i t h different problematic

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aspects of political life, is replaced by pictoric images of candidates, by extremely vague statements of their positions, by emotive appeals. There is an air of lack of seriousness i n the whole process that makes that candidates once elected feel relieved to follow whatever was the result of public exchanges for imperfect that they are. A good deal of this impoverishment of collective discussion is caused by the presidentialist system itself. One of its effects is the tendency i t generates of centering the electoral campaigns on individual persons which are candidates for the unipersonal center of power, instead of focusing on ideologies or substantive proposals. The countenance of the candidate, his or her family life, his or her tastes and hobbies are more important than his or her stance on the extent of the public sector, unemployment or social security. It is true that something similar is happening i n parliamentary systems like the British or the Spanish one, so much so that there is talk of the presidentialization of those systems. But, i n the first place, the degree of this distortion is still lesser i n those systems, and, secondly, their relative presidentialization, which is due to features like the structure of the parties and the impact of mass media, is not a reason for thinking that the presidentialist system is inocuous to that process but that it is determined by a plurality of causes. But the presidentialist system produces another much more serious effect which has impact on the impoverishment of public debate: either the system allows for a candidate to be elected President by a simple majority of votes - which has the very serious risk of a President beginning his mandate w i t h very little consensus, like the case of Allende in Chile or Illia i n Argentina, due to the proscription of Peronism - or else it contains some mechanism - like ballotage or the electoral college which guarantees that he counts w i t h absolute majority. In this last case, a tendency to the polarization of the political forces is produced and the system verges towards bi-particism. 4 1 Parties convert themselves i n great coalitions without definite ideological content. The extreme case is that of Uruguay i n which the "ley de lemas" (literally "the slogans law") provides that each fraction of a party, for much that they differ from others, may present candidates to general elections, and those w i t h a relatively greater amount of votes absorb the votes of the other fractions. More or less the same effect is produced if there are open primaries which allow that people who are affiliated to a party and therefore have no necessarily a commitment w i t h its supposed ideology vote i n its internal elections for candidates. See this point i n Fred Riggs, La supervivencia del presidencialismo en Estados Unidos: practicas para-constitucionales, in: Presidencialismo vs. Parlamentarismo (note 40).

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But i t is not only that the presidential candidate must represent a party which is coalition without a definite ideology: his own message must be as a-ideological as possible i n order to reach as many social and cultural sectors as he can i n order to obtain the wide support needed to qualify. Hence the vagueness of the statements, hence the emphasis on emotive aspects, hence the contradictory promises. Things are significantly different i n a system in which the government has parliamentary basis. There, even the election could be dominated by certain personalities i t is assumed that anybody i n Parliament, mostly if it is part of the majoritarian block may end up as chief of government or as member of the cabinet; at worst the possible candidates are many of the party leadership. The personality of the leaders are much less relevant. Even when i n the cases mentioned, Britain and Spain, there is considerable concentration of attention in Ms. Thatcher or Mr. Gonzalez, parliamentary systems prove to work smoothly without that concentration, as in Italy or Germany. This means that it is more important the party behind some leaders than the leader in front of the parties, w i t h the necessary attention to the party's ideology. Moreover, parties i n a parliamentary system are not adversely affected by ideological commitments; on the contrary that might be the only way of having a definite identity and attracting a portion of the electorate who is willing that that ideology be represented i n Parliament. The polarization and confrontation provoked by the zero sum character of presidentialist politics is here avoided since a party which acquires some seats in Parliament might have a decisive role in the formation of government. This has also the effect of enhancing discussion on principles i n Parliament and even inside the cabinet, since the governmental policies are determined by the consensus reached among parties of different ideological stances. But, of course, the deterioration of public debate is not only determined by the dynamics of the presidentialist system. Discussion i n Parliament itself has greatly deteriorated i n the case of Argentina. This has to do, i n the first place, w i t h the way of selecting members to which I shall refer in the next section, and, i n the second place, to some internal regulations about the way i n which debates are conducted and decisions are taken. The phenomenon of "block discipline", which obliges to all the members of a party block to vote as decided by the majority of the block and the direction of the party is extremely harmful to the quality of debate i n parliament, since nobody speaks to convince the rest as the position of each block has been already adopted before the public discussion.

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The deterioration of collective debate in society at large is also determined by the difficulty of access to mass media, by the way i n which electoral campaigns are carried out and by the involvement of interests groups i n those campaigns. The equity of access to mass media is essential for the epistemic quality of public discussion, since mass media is the modern equivalent to the Athenian agora; is the medium in which politics is exerted. When mass media are almost completely i n private hands which moreover have a oligopolistic character, the distortion is similar to what would have been produced if the agora had been replaced by a private theater the entrance to which were at the pleasure of the owner. 4 2 Of course, things are not improved if mass media were controlled by governmental entities which were i n turn controlled by the party in government. Taking into account these considerations for the case of Argentina, the Council for the Consolidation of Democracy proposed 43 to establish a mix system of radio and TV. It would be composed by private and communitarian channels, which were obliged to devote some time to public concerns, and whose licences were granted by the national, the provincial and the municipal governments according to their frequency (licences which could not be obtained by groups which controlled certain amounts of other means of communication), and two public networks: one controlled by the government i n order to implement its policies and the other controlled by an independent body i n which the parties in Parliament had majoritarian representation. But it is also necessary to produce a more direct re-orientation of the ways i n which electoral campaigns are conducted. Nothing is gained i n democratic terms by the extremely intense commercial-like advertisements that characterize modern political campaigns. On the contrary a lot is lost i n terms of irrationality and in the possibility of corruption given the fact that the immense cost of that kind of campaigns must be covered by private interests. Thought should be given to the possibility of regulating by agreement of the parties the terms of the campaign, limiting the extension of i t and proscribing advertisement which only contain names and slogans instead of ideas and proposals. It is also necessary i n Argentina to adopt norms i n force in other countries which tend to secure the transparence of private contributions to political campaigns. The impoverishment of public discussion weakens, of course, the constraints that a working democracy imposes upon corporations and fac42 For distortions produced by the commercial controls of mass media see Owen Fiss, Free Speech and Social Structure, in: Iowa Law Review 71 (1986), pp. 1405 et seq. 43 Proyecto y dictamen sobre radiodifusion (note 34).

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tions, deteriorating its power to transform interests. As I have argued, the mechanics of those constraints is constituted by the need to publicly justify interests on the basis of general principles which would be impartially accepted. Even i n all real democracies interests groups and lobbies exert strong pressures either openly or behind the scene, those pressures are atenuated if any measure which might benefit those groups is subject to a healthy debate in the public forum and in the parliamentary bodies which must adopt it. c) The Problem of Political

Apathy

So far the discussion has had a certain disconnexity, since, despite the fact that I have defended a view of democracy which seems to push towards something like the Athenian model, i n the previous points in which the deficiencies of the present system, specially i n Argentina, are analyzed I have assumed the institutions of representative democracy. There are two traditional ways of conceiving of political representation: as a valuable asset or as a necessary evil. I am more sympathetic to the second view than to the first. I think that mediation through representatives is one of the main distortions of democracy which pulls it away from ideal moral discussion which has maximum epistemic value. Some of the deformations of representation, mainly i n the case of Argentina, w i l l be mentioned in the next sub-section. For the moment I must state the common place that some degree of representation is necessary in a large polity given the impossibility of face to face discussion at the national level, the complexity of current political issues, and the need to respect personal autonomy which implies that considerable time must be left to citizens for personal pursuits. The conception of representation which ensues from the view of democracy as a substitute of moral discussion is a delegation to continue the discussion which the citizens have conducted up to certain point, and which needs to be furthered, starting from the consensus reached through the electoral process, so as to achieve more detailed conclusions, mainly w i t h regard to the implementation process. But if representation is seen as a necessary evil - since for better that is designed there is always the certain risk that the opinions and interests of citizens are not fairly weighed due to factionalist pressures - each time that it is possible to resort to mechanisms of direct democracy that recourse should be mandatory. The different conceptions of democracy which underlie the appraisal of participation are manifested in the diverse diagnosis that authors enroled in one or another conception make about the so-called "crisis of democracy" and i n their recommended treatment. While Huntington,

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Croizier and Watanuki 4 4 , speaking for the Trilaterial Commission, perceive that the crisis is caused by an overload of popular demands that the system cannot satisfy, and advice, as mentioned, the curtailment of mechanisms of expression of those demands, Macpherson thinks that the crisis of present pluralistic democracies, is provoked by the inequality caused by lack of participation and his therapy consists in increasing the way i n which citizens intervene in politics. My own position is that the causes and solutions of the crisis of democracy cannot be detected, as I said at the beginning, without a conception about what makes democracy valuable. Otherwise, we might end out fortifying something at the cost of its value. Apathy is obnoxious to democracy since it makes its process departs from the ideal of impartiality as many relevant interests and opinions are not taken into account i n that process. Besides, participation, far from overloading the system w i t h demands which are impossible to satisfy, may give people a sense of responsibility in raising demands, for they themselves are who must look for resources for satisfying them. Participation atenuates the abyss between government and society, which is felt even i n working democracies, so that government is seen by the population as something alien and aloof. 45 But one thing is to praise participation and a quite different thing is to envisage means of making i t operative, against well-known risks of manipulation and take-over by factions. Everybody remembers the way i n which Hitler or, closer to us, Pinochet, manipulated plesbicites to their own advantage. It is less often mentioned the way in which informal ways of participations may be taken over by fanatics or interests groups. This has happened in Argentina w i t h the so-called "Pedagogical Congress" which was convoked by a law of Congress during Alfonsin's period and which consisted in popular assemblies held successively at the local, provincial and national levels on educational issues: the meetings were greatly dominated by people connected w i t h right-wing sectors of the Catholic Church who were determined to recommend that religious education be incorporated to public schools, among the apathy of the rest of the population. Fanatics has more chance to dominate informal means of participation, since they have concentrated interests, whereas the interests of the rest of the people are so dispersed that the fact that they have concerns opposed to that of fanatics does not justify their loosing their time i n interminable discussions w i t h them. The same happens w i t h many ecologists groups who sometimes dominate public 44 Op. cit. (note 11). 45 See Carlos S. Nino, La participacion corno remedio a la Ilamada 'crisis de la democracia', in: Alfonsin: discurso sobre el discurso, Buenos Aires 1986.

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hearings and local assemblies, in places i n which they are held, not because their numbers or the weight of their reasons, that often are very real, but because they are better organized and more determined that common people who also value cheep energy or jobs from industries (of course, the intensity of interests is relevant as we saw to the utilitarian and economic views of democracy, but this is not the case w i t h regard to the epistemic conception). Despite these dangers, some ways of direct participation of people in decisions are of great value to enhance the epistemic quality of democracy. Plebiscites and referenda at the national, provincial and local level could be the only way to overcome the pressures of interests groups or the obtuseness of politicians. This has been successfully experimented in Argentina, as mentioned, in the case of the informal popular consultation called by Alfonsin w i t h regard to the signature of the Beagle channel treatise, which was blocked i n the Senate before that consultation due to pressures from right-wing sectors. I n Uruguay there has been the plebiscite concerning the maintenance of the amnesty law related to human rights violations by the military, whose result, whatever our substantive judgement, does not seem to confirm that plebiscites are occasion for expression of popular irresponsible emotions. Of course, plebiscites and referenda - which seem to be excluded by clause 22 of the present Argentine Constitution when it says that people do not deliberate or govern but through their representatives - should be carefully regulated and i n no case they should refer to the extension of faculties of the Executive power. Other ways of popular participation should be explored also in Argentina. Public hearings, which are very rare at present, should be generalized, mainly when conflicting interests between different sectors of the population are at stake. In small towns and neighbourhoods of big cities local assemblies should be regularly held, so that, as we saw before, they may not only take decisions of local import but also make proposals of wider scope which should be defended by their representatives at the provincial and national levels. There should be participation of recipients and employees of public services i n their administration and control. For instance, there should be school boards w i t h the participation of teachers and parents or hospital boards w i t h the participation of doctors and nurses and representatives of the local community. Of course, i t would require a full study which I am not able to undertake here to advocate even the rudiments of an economic democracy - of the kind advocated by Robert D a h l 4 6 - and which would imply the intervention of workers in the management and control of private enterprises. 46 Robert Dahl, Preface to Economic Democracy, Berkeley 1985.

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Participation has been often rejected for implying a perfectionist view of democracy in which an ideal of civic virtue is forcefully imposed. Something of this is true and, as I said before, justifies up to certain degree the existence of mechanisms of representation so as to avoid that all the free time of citizens be absorbed by the complexities of public life. But we must be careful of falling into the other extreme of supposing that a moderate involvement i n political life cannot be required of citizens without risk of perfectionism. That involvement can be required for several reasons which are not perfectionistic: first, a democratic government is a public good, and as such it is unfair to enjoy its benefits as a free-rider, thanks to the dedication of others. Secondly, to participate i n public discussion and decision is required for protecting the interests of others who are similarly situated who would not be adequately represented i n the process if most of the holders of those interests are apathetic. If I am a music lover and there is a dispute as to whether a public building w i l l be devoted to a music-hall or to a basketball stadium, I would be greatly harmed if other music lovers are politically passive and to make them participate i n the process would not be perfectionistic but directed to prevent that other-regarding harm. Thirdly, participation may be required as a legitimate form of a non-perfectionistic paternalism, since voluntary participation often provokes a prisoners' dilemma type situation i n which for each one is rational not to assume the cost of participation given the negligible gain for him of his voting - i n a large group - ; as many, mainly of the less wealthy and educated groups for whom participation is most costly, reason i n the same way, the interests of all those people are not represented in the political process w i t h the consequence that the final solution is greatly partial against them. Like in all situations of this sort, there is no way out by individual decision but require either a general change of the self-interested motivation, which ends up frustrating itself, or external coercion. I n the political process, often this dynamics re-feeds itself, since the non participation of certain sectors of society provokes that there are no political offers attractive for them w i t h which the tendency not to participate is reinforced. Grounded on these arguments, I have defended elsewhere 47 the preservation i n Argentina - against proposals to change it - of the present system of compulsory vote. This despite the fact that there is some grounds for the hypothesis that the introduction of that system i n 1912 which meant that never more after that right-wing parties could w i n over the Radical or the Peronist parties i n open and free elections, 47 See Carlos S. Nino , El voto obligatorio, in: Segundo dictamen sobre la reforma constitucional (note 39).

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resorting, thus, to coups d'etats to seize power - is connected w i t h the country's political instability. This effect may be also connected w i t h disfunctionalities of the presidentialist system of government. As Fred Riggs says, 48 i n so far as participation increases i n presidentialist systems it is more accute the contradiction between the interests of those capable of funding a presidential campaign and those of the voting majority; on the contrary, in parliamentary regimes the parties which represent the interests of the poorest sectors of society are capable of generating a wider participation without strain to the system. According to this author, the presidentialist system works smoothly when turns out are rather low; i n his own words: " Norms and motivations based on parliamentary democracy are more apt for stimulating a broad participation than the norms of a presidentialist Republic. Or, to say it in the negative way, massive participation is less threatening for the survival of a parliamentary regime than for that of a presidentialist one. " Despite this risks, I think that high levels of participation should be preserved and even increased, at least i n what has to do w i t h the effectiveness of that participation, even w i t h i n the present presidentialist system of Argentina. This stance has to do w i t h the general proposition defended i n this work that the stability of a political system should not be achieved at expense of its value. d) The Problem of Imperfect Mediation Since representation is seen under this conception as a delegation to continue the discussion from the consensus reached by the electorate, Parliament is the most representative institution since only it may continue a deliberation which starts from the positions which received different degrees of support by that electorate. This is what gives superior merit to a parliamentary government, since i t is more directly and continuously responsive to the results of discussion i n society at large and its delegate collective body which reflects the ideological composition of the former. However, Parliament is the most discredited institution in Argentina's nascent democracy. It is a common data of polls that people are increasingly unhappy about the little representativity of Senators and Deputies, about the privileges that they vote for themselves, about the inoperativeness of the whole body, about the little work of individual members, etcetera. This makes it necessary to probe a bit into the imperfections of this and other mediating institutions i n the case of Argentina. 4

8 See Riggs, La supervivencia del presidencialismo en E U (note 41).

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As I said before, the quality of discussion is highly affected by block and party discipline - which even includes for some the idea that the benches belong to the parties and not to the members of Parliament. This means that some of the parliamentary procedures badly needs modification. More importance should be given to individual members than to their party groups as a whole. Besides, mechanisms which secure expedience and transparence should be adopted, like for instance the approval of some laws i n parliamentary committees, the publicity of the sessions of those committees, the tacit enactement of a law approved by a House after some time i n which the other does not deal w i t h i t (as was proposed i n the case of common laws approved by the House of Deputies and which are not treated by the Senate w i t h i n certain time), etcetera. But behind the problems of Parliament looms large the problems of political parties, since many of the deficiencies of the first reflect deficiencies of these latter organizations. In theory, political parties are necessary vehicles for conducting public discussion on the basis of principles, ideologies or models of society, counteracting the power of factionalist groups which unite people on the basis of crude interests. Even when a party is associated w i t h some interests or some social class it must try to justify those interests on the basis of principles that would be accepted from an impartial point of view; it must at least pretend that those interests coincide w i t h the common good. When a citizen votes for a party she saves a good deal of deliberation adhering to some view of society and to some substantive proposals which would be confronted w i t h others. Part of Argentina political practice gives credit to the merits of parties i n opposing corporative influence and contributing a great deal to the preservation of the democratic spirit during authoritarian periods. Moreover, political parties in Argentina are important channels of participation: the two main parties, the Peronist and the Radical, have millions of affiliates and an important internal activity which is performed in thousands of premises all around the country. Nevertheless, political parties display increasing distortions, which tend to convert them in further corporative groups that defend their own interests. I have already noted that the presidentialist system provokes a polarization that makes of the big parties amorphous coalitions w i t h diminishing ideological definition. This makes that the membership i n a party be more a matter of family tradition, personal loyalties and sportive competition, than a question of ideological commitment. Correlatively, most of the politicians activity inside the parties is devoted to internal competions and quarrels, more than to the analysis of national problems. Despite the fact that candidates are elected by open general elections by the members of the party, there is the feeling that the 7 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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options are greatly restrained by the party caucuses (though Carlos Menem won the presidential candidacy of the Peronist against the party structure). Besides, the funds that the party and the internal tendencies handle are not subject to entirely transparent controls. A l l these deficiencies call for deep transformations i n the structure of the parties. The goal should be here also to increase the effectiveness of member's participation, which is now more nominal and vocal than real. Some alternatives which are being proposed, like open primaries and the Uruguayan "ley de lemas " i n order to avoid an excess in internal competition must be considered, i n my opinion, w i t h great caution since, as I said before, they tend to whitewash even more the ideological definition of the parties. Perhaps more important that internal modifications in the procedures of Parliament and the parties to overcome their deficiencies is to revise the electoral regime. One of the few conclusions that seems to emerge from the comparative analysis of electoral systems in force in different ambits is that there is no one which satisfies the minimum requirements of sensitivity to the ideological composition of society, close relationship between represented and representatives, non-controversiality in its application, manageability of the collective body which results, atenuation of the dynamics of confrontation between the parties and powers of the state, etcetera. The proportional system that applies now in Argentina (after experimenting decades ago w i t h a system which divided up the House between 60 % for the majority and 40 % for the first minority and very briefly w i t h the uninominal district system) has the considerable advantage of granting a fair representation to all important shades of opinions expressed by the electorate, so the Parliament converts itself in a mirror-like representation of the ideological geography of society. However, it has the very serious setback that there is very little relationship between representatives and the people they represent, since each citizen vote for a long list of candidates which are proposed by the party to represent the whole Province, of whom he probably only knows the first one or two names. This makes that citizens do not feel that they may address their representatives and the latter do not feel that they are responsible to their electors but to the party direction who choose them. On the other hand, the unipersonal district system, though it is optimum w i t h regard to close relationship between represented and representatives, have well-known deficiencies: the difficulty of drawing up the districts in a neutral way; the unfairness to third and fourth parties which are not usually represented in proportion to their votes and which tend to disappear provoking a further polarization of the system; the parochialism of candidates, who must be more attentive to local problems than to national ones, etcetera.

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Probably the advantages of these two main systems can be combined and some of their worst setbacks neutralized by some sort of mix system. There are at least two possibilities. The first is the German system which divides up the House i n two halves: one elected by districts and the other by proportional representation. This solution was proposed in Argentina by the Council for the Consolidation of Democracy and adopted by at least province (San Juan), but i t has been objected w i t h the - not very significant - argument that is very difficult to apply to a federal system in which deputies are elected on the basis of Provinces some of which are very small and elect few representatives. The second is to allow that citizens may cross down the names of representatives or select any of them to be upgraded i n the order of the list, so that candidates begin to look for special constituencies. Of course, all these concerns would require much more extended discussions, w i t h the help of empirical research. I only want to emphasize, i n closing this section, that being parliament and political parties the main channels, besides direct popular participation, through which a dialogical democracy works - mainly so if it is perfected w i t h the adoption of a parliamentary or semi-parliamentary system - their deficiencies are the main source of weakness of the whole system. This weakness manifests itself principally in the strenghthning of factionalist formations, to which people turn i n search of protection for their interests when they feel that deliberative institutions are unrepresentative and inefficacious. e) The Problem of Undemocratic Control Argentine Supreme Court, mainly through the cases " S o j o " 4 9 - in which, curiously enough, like "Marbury" the faculty of judicial review was alleged to deny another faculty of the Court - and "Er colano" 50, followed the American example of attributing to itself and lower courts the power to declare unconstitutional statutes of Congress, and other enactments of political authorities of the Nation or of the Provinces. This power was also granted by early legislative statutes, but this is of little consequence since the Court could have declared, the pragmatic self-contradiction aside, those statutes unconstitutional. The practice of judicial review by part of the Supreme Court and lower tribunals have been, however, quite different i n Argentina than i n the United States. Besides, the nullification of some particular measures - mainly takings, closure of publications, etcetera - the attitude has been 49 See Fallos, t. 136, p. 170. so See Fallos, t. 32, p. 125.

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of considerable deference towards the enactments of political authorities. The paroxism of this attitude has been "the doctrine of de facto governments" 51 by which the Court recognized the legitimacy of military governments and is enactments at first i n a quite limited way and then to such an extent as to grant to them the power to modify the Constitution. During the last dictatorship the judiciary showed remarkable weakness to empede the abhorrend violation of human rights, rejecting most habeas corpus presented in favor of disappeared people and only accepting some of them towards the end of the repression. The Court has extended the doctrine of political questions to such a wide scope as to cover a good deal of decisions of political powers, mainly during the military. It was only in this present democratic period that the Court began to undertake a much more activist interpretation of judicial review. This Court has decided quite trascendent leading cases, such as " Bazterrica" 52, in which a law penalizing the possession of drugs was declared unconstitutional, "Sejean" 5 3 , i n which the one hundred years all marriage law proscribing divorce was similarly declared unconstitutional, and "Portillo" 5 4 , which declared unconstitional the law of military service i n the respect that it does not provide for concientious objection. I n Argentina, unlike the United States, the antimajoritarian character of judicial review is not much discussed (probably because during most of the history of the country there was no majoritarian power to compete with). Most jurists accept without much reflection the argument exposed by Marshall i n "Marbury" to the effect that judicial review is a logical consequence of the power of the courts to apply the law conjoined w i t h the supremacy of the Constitution to declare what the law of the land is. However, this is a non sequitur, since from the fact that an enactment which opposes to the Constitution is not valid law does not follow that courts are allowed to declare that invalidity; it may well be that the prescriptions of the Constitution be interpreted to be addressed mainly to Parliament and when Parliament violates them the judges are nevertheless obliged to apply their enactments that present at least some "color of law" (to apply an expression that has been used w i t h regard to de facto laws). Some other jurists accept the position that Ackerman deems "fundamentalist" to the effect that there are some fundamental rights consacrated i n the Constitution - but derived from most of them from natural law - which limit democratic enactments. Some other jurists si 52 53 54

See See See See

Carlos S. Nino, La validez del derecho, Buenos Aires 1985. La Ley, t. 1986-D, p. 550. La Ley, t. 1986-E, p. 648. La Ley 3/7/89.

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resort too quickly to the supposed democratic legitimacy of the Constitution, notwithstanding its obvious deficit. The epistemic view of democracy defended in the first section has implication on the justification and limits of judicial review. This would require an extended articulation i n which I cannot indulge here. 55 I can only present a bare outline. It is not a priori true that by definition individual rights are limits or barriers to majoritarian decisions; they are instead, as Dworkin has famously noted, 5 6 limits or barriers to collective objectives based on the maximization of aggregate interests (maximization which would take into account the interests of the majority when they conflict w i t h those of minorities). There is no a priori reason why the alleged epistemic value of moral discussion and hence of its substitute, the procedure of democratic discussion and decision, would not extend to individual rights, so much so when a robust theory of rights is adopted to the effect that rights occupy almost the whole of the moral scene. Of course, there are many cases i n which majorities have violated individual rights of minoritites, but there are even more cases i n which procedures of decision by a person or a small group have resulted in the violation of individual rights held by other minorities or majorities. As I said at the beginning, even when there are many cases i n which the result of the democratic procedure is obviously wrong, if we agree that i n general i t is more reliable than individual judgement to reach right decisions we have reasons to observe the results of that procedure even those cases, since otherwise we would be following the results of our individual reflection. This applies also to the case of judges when their democratic credentials are quite weak as it occurs i n the US and Argentina. As we shall see later on, this conclusion is more manifest if we think, as I do, 5 7 that so-called "social rights" or "welfare rights" are mere extension of individual rights, and, in principle, that they must be granted the same protection. But the epistemic conception of democracy allows for three exceptions to this supremacy of the democratic process over judicial opinion. One is the question of procedure, rightly emphasised by John H. E l y 5 8 in his similar approach to judicial review. In effect the epistemic value of democracy is dependent on some conditions being respected which guarantee a free and open discussion and the purity to the expression of the

55 I shall deal extensively about the issue i n a book i n preparation on the philosophy of the constitution. 56 Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously, Cambridge 1977, pp. 82 et seq. 57 See Nino, The Ethics of Human Rights (note 14), chap. 7. 58 See John H. Ely, Democracy and Distrust, Cambridge 1980.

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majoritarian decision. Whether these conditions are given cannot be decided through the democratic process itself since it may be vitiated by the lack of those very conditions. These conditions are quite extense since they even may include some minimal social and economic equality which is necessary i n order for some groups or persons to participate w i t h equal freedom in the democratic process. There is no limit to the power of correction of the democratic process that judges may have in so far as the impact of that power is only to make more open and free that democratic process. The second exception is not recognized by Ely and derives from the explanation of the epistemic value of democracy which is provided: since that value is based on the tendency towards impartiality that democratic discussion and decision possess and the characterization of moral correction of intersubjective standards i n terms of such impartiality, the epistemic quality of the process does not apply to ideals of personal excellence, whose presumtive validity is completely alien to an impartial assessment of interests. Hence, democratic enactments which are based on the supposed validity of ideals of virtue or religious creed have no more epistemic value than the result of individual reflection, which coincides w i t h the presupposition of the value personal autonomy by moral discourse, as I said before, excluding those ideals from the political realm. Therefore, judges are allowed to disqualify legislation grounded on those ideals of personal excellence (this justifies decisions of the present Court like "Bazterrica" and "Sejean"). The third exception, in whose development I am working i n another context, is related to the need to preserve the constitutional practice or convention w i t h i n which democratic decisions are taken and which is a prerequisite for the efficacy of these latter (to explain the assumptions and scope of this argument would take much longer than the space I can sapre here). These three exceptions to democratic legitimacy provide, I think, a better response than Ackerman and Rosenkrantz' conclusion, commented above, that if freedom of expression or of religion were abolished by a constitutional reform, judges should abide by it, for the sake of democracy, or else resign. A l l this bears of course on the question of whether so-called "social rights" - like the rights to minimum wage and pension, health care, housing, etcetera - should be constitutionally recognized and enforced by the courts. In Argentina these rights were introduced by the Peronist Constitution of 1949 and incorporated to the present Constitution (after the former were abrogated by decree) by the reform of 1957. Nevertheless, there is strong trend to broaden that recognition i n a future constitutional reform and to establish explicitly that they are judicially enforceable against the present judicial practice which takes them to be merely "programmatic".

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As I said before, my view is that social rights are the natural extension of individual rights once we realize that the fundamental goods which ground the autonomy of people, like life or physical integrity, are not violated only by positive acts but also by omissions. Our causal judgements which allows us to ascribe harms to actions are inherently normative, and it is only because a conservative bias that we adopt without criticism the restriction of positive morality i n the ascription of harms which violate rights only to the former. There is thus an inconsistency i n those liberals which deny that rights may be violated by omissions and that there should be, consequently, positive duties to protect them. But the question is how those duties should be legally enforced. I think that we should not attempt to answer this question employing this distinction between individual and social rights - or, more precisely, between rights which are correlative to negative or to positive duties - , but the distinction implicit i n the former considerations between rights which are a priori the democratic process, since it presupposes them, and rights which are a posteriori , since only through that process we can reach reliable solutions as to the impartial assessment of the scope and hierarchy of them. Part of what is normally comprised under "social rights" are a priori, since, as I said above, a minimum welfare is a precondition for participating in the democratic process i n a meaningful way. But a good deal of the content of those rights, as well as part of the content of "individual rights" (for instance, whether a certain action which interfere w i t h them should be punishable) must be protected through the democratic process. The provision of proper housing, for instance, requires a series of decisions about economic policies and about allocation of resources and establishment of institutions that only can be impartially made through a process of open and wide discussion of decision of all the people affected by the different options. If our underlying moral theory includes robust rights - i.e. rights which are protected not only by negative but also by positive duties that occupy most of the moral space, their indiscriminate enforcement by the judiciary would take away almost all competence from democratic authorities. Were judges allowed to order democratic officials to provide houses for claimants, the policies adopted by the latter to satisfy the same goal (for instance through the market, or through an official bank which provides cheap mortgages i n some priority order) would be disrupted. Besides the value of incorporating social rights to the Constitution as prescriptions to democratic organs which only they themselves should enforce - except for those which are essential for participation in the democratic process - I believe that the best way to promote social rights

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i n the present Argentine context is to remove the obstacles which prevents the achievement of structural transformations through that democratic process. The removal of the institutional mechanisms which generate a dynamics of confrontation between the parties, blockades between representative organs and which make extremely hard the constitution of consensus and its preservation behind elected authorities - weakening thus democratic power as against corporative one - is a much more important contribution to the materialization of social rights than declarative formulae or the undemocratic extension of judicial review. Despite the legitimacy of judicial review w i t h i n the limits stated, I think that it may be enhanced i n the case of Argentina if some reforms were introduced to strengthened the democratic credencials of the court exerting that review. I think that is worth poundering the possibility of creating a Constitutional court in the European modality, w i t h a closer connection w i t h Parliament through the periodical renewal of parts of the Court by that body. It is also possible to extend judicial review to issues i n which courts are not authorized to nullify the democratic enactments according to the conception explained above, if modalities of review which do not imply such nullification are adopted. If the Supreme or the Constitutional Court were allowed, for instance, to send back to Parliament for new discussion and decision a b i l l which i t thinks is contrary to substantive precepts of the Constitution, this would be a way of enhancing and improving public debate without courts prevailing over the democratic process. IV. Conclusion The foregoing has been an exercize i n institutional design applied to Argentina which requires a much more expanded discussion and the help of some empirical evidence to have some conclusive force. Nevertheless i t might point out a general orientation for those further thoughts under the premise which is the main thesis of this article to the effect that recommendations for institutional design i n order to stabilize democracy and to increase its subjective legitimacy are of no value outside a general conception about what it is that gives objective legitimacy to democracy. Somebody might say that the view of democracy which I have defended - based on the epistemic value of democratic decision and discussion - is, after all, Utopian i n the bad sense, since the current democracies, to which we assign intuitively value, do not display the institutional features which, according to the foregoing analysis, would corre-

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spond to that view. But this is not so: imperfect as they are, current democracies - mainly the Western European ones - display up to a considerable degree the features of open and free discussion and popular participation which grounds their epistemic quality. At least it is obvious that the degree i n which they possess those features is incomparably higher than other systems existing throughout the world. It is true that still they are far away from the strictures of a democratic system which resembles to original practice of moral discussion and that they differ among them and along time i n the distance from those strictures. But our epistemic view of democracy allows us to make these discriminations, and this, as I said before, is the sign that it does not represent an invalid kind of utopianism. It might be also said that since current democracies present serious imperfections w i t h regard to the model defended, why we must bother i n an institutional design for Argentina who pretend to overcome those imperfections i n a radical way. Given the unhappy performance of the country w i t h regard to democracy, i t would surpass all reasonable expectations if a system similar to current democracies could be consolidated. My answer is that perhaps we are forced to take a shortcut to a better version of democracy since i t is possible that the current one is out of reach for us. As I said, corporations and factionalist groups have acquired such strength i n Argentina during authoritarian and populist periods that only a stronger democracy than that which is i n course i n developed countries may contain their pressures through the transformation of people's intersubjective preferences. So perhaps the only way i n which we may have democracy at all is by having a superior form of democracy. Or so I am inclined to think.

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DEMOCRACY, CONSTITUTIONAL GOVERNMENT A N D MODERNIZATION By Tércio Sampaio Ferraz, jun., Säo Paulo I believe that the discussion of this topic calls for a preliminary systematic overview. For this we first need an operational definition of terms. We begin w i t h the concept of democracy. I. Representativeness and Identification This word is one of those most often heard in the political rhetoric of our times, and few regimes are so bold as to declare themselves anti democratic. Even the communist nations, which as a matter of principle used to regard themselves as true dictatorships of the proletariat, relaxed their stance somewhat by presenting themselves as peoples' democracies. Other countries also soften their positions, speaking of Christian, social and liberal democracy, and holding themselves up against plutocracies or merely formal democracies which are seen in a pejorative light. Historically, the democratic ideal shaped by the illuminists of the 18th Century served as a way of legitimizing the relations between rulers and ruled. This ideal is supported by two pillars: the idea of representation of the ruled by the rulers, and the idea of identification between the two groups (Manti). Over the years, the idea of representation came to mean indirect and institutionalized participation through traditional political instruments such as elections, popular mandates, the multiparty system and freedom of expression. And the idea of identification came to mean conscious participation, the authentic identity of ideas and politicization both of rulers and of ruled. While these two pillars can be seen as a single whole - at least in the sense that ideally, the democratic participation of those governed in the government should exclude manipulated representativeness and false identification - in practice they cloud the issue, often making it ambiguous and a source of great confusion in political debate. One example of this was the long-running discussion about the restoration of democracy in postwar Europe, which on one hand led to the institutionalization of representative government in West Germany, Italy and France, but on the other hand

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raised the matter of the authenticity of representation, and resulted i n the appearance of the "extraparliamentary" opposition which culminated in the university crises of 1968. In the developing countries, the same debate has revealed and aggravated the complicated problem of the basic prerequisites to democracy. To many, the notion of prerequisites rests on the assumption that democratic ideals w i l l be viable only if the countries in transition are able to duplicate the course taken by the developed nations which achieved the modernization of their societies and the industrialization of their economies in the past. Paradoxically, this idea is somewhat influenced by Marx, who thought that "to the less developed countries, the industrially advance country represents a picture of their own future". Thus, when we assume that democratization is possible only if a tested historical experience can be repeated, we are saying for example, that the pillar of representativeness is not in place until conscious identification has been achieved. And if there is no conscious identification, if literacy is not reasonably generalized, and if the nation has not attained a given stage of development in social terms, then political democracy w i l l be a purely Utopian idea. II. Modernization and Democracy One of the thorniest problems facing an underdeveloped country that aspires to a democratic system as a form of political progress seems to be striking a reasonable balance in the politicization of its conflicts. As the developing societies in general are truly unformed bodies of smoothed-out interests, i t is difficult to make the transcendent interests of individuals prevail, w i t h their consent, and to subject them to objective social rules of the game. That is why some countries adopt the strategy of initially consolidating their social and economic bases first modernize, and then establish democracy. This thesis has three fundamental premises. First, democracy is characterized by its great flexibility in handling conflict. Second, it would be naive to think that the mere relaxation of political quickly restores loyalty to the system. Third, a certain amount of authoritarianism is inevitable in a phase of modernization. It follows from this that the traditional representative democratic system w i l l be accused of an inability to maintain a high rate of industrialization without excessive inflation, social disorder and internal disequilibria (as shown by Roberto Campos and Mârio Henrique Simons en, in: A Nova Economia Brasileira). Nevertheless, I believe that behind this thesis lies the Utopian possibility of simultaneously achieving (a) high rates of economic development, even w i t h the help of external savings (which for the underdeveloped countries

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raises the problem of national autonomy), (b) efficiency in government, (c) social welfare in the near term and (d) an increase in the level of uncertainty that extensive political participation usually entails. Actually, this thesis presupposes a sort of political naturalism - the possibility of parrying the political opposition and a large percentage of disaffected individuals - which would lead in the future to the proper functioning of political society, in which all differences are accommodated. Essentially, those who cite the need for authoritarianism to achieve modernization see the democracy that w i l l be established as a system very much like the one they declare to be impossible at the present time: the liberal democracy of the 19th Century. What we find, however, is that the imposition of prerequisites ends up by making democracy Utopian, and not the opposite. In other words, it is not Utopian because prerequisites must be met to achieve it, but because the prerequisites themselves are illusory. There is no need to stress that this idea of prerequisites springs from a fatalistic view of history, as though the translation of a possibility into reality were predetermined from the beginning. Thus, it precludes any idea that man is free within certain limits, and that the course of history depends on his decisions. On the empirical plane, Samuel Huntington shows that advances in modernization - especially as regards the mobilization of society and political participation— do not necessarily imply political development. In fact, the very opposite may occur: political regression. Assuming that the democratic ideal is an objective of political development, we need to ascertain whether this really presupposes social modernization. ΠΙ. Democracy and Realization The main question that I wish to discuss centers on how a system which seeks to be democratic succeeds in reconciling representativeness w i t h the conscious identification of ideas. In this sense, if we regard authentic representativeness as attainable only when the level of conscious identification is high, democracy turns out to be a Utopian idea. Why? The answer is not difficult: in the last analysis, conscious identification not only presupposes prerequisites that are not always possible, but above all, because total conscious identification ultimately destroys democracy itself. In fact, conscious and total identification means the politicization of all social conflicts. In other words, it implies that the political consensus itself is authentic only when the citizens act w i t h an awareness of the political significance of their acts. But the politicization of all conflicts, rather than

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building consensus, creates dissent of uncontrollable proportions. This can be seen, for example, in the totalitarian regimes, where political "consciouness-raising" results in the imposition of judgements external to political life as such, through artificial means that unify opinions by making use of the mass communications media. Thus, the politicization of all conflicts does not lead to democracy but to totalitarianism, insofar as representativeness is diminished. In this sense, in this social dimension democracy should by no means pressuppose the forming of a political consciousness in all social conficts. Its establishment therefore does not depend on the raising of consciousness through socio-economic-cultural modernization, but on how political consciousness operates within its limitations. In other words, the degree of democratization of a system is not measured by the high level of political consciousness of the citizens, but by the way in which the political system is legitimized despite the limited degree of politicization. Put another way, representativeness as one of the pillars of democracy does not presuppose total politicization, but relative politicization. What does this mean? The modern world is the result of complex societies, characterized by the multiplicity and increasing specialization of functions. This complexity causes a lack of consensus. Thus, governing a complex society means dealing w i t h the lack of consensus, discovering ways of reconciling the need to sometimes make decisions quickly w i t h the inevitable disappointments that result from such action. A decision to allow rate increases, for examples, thwarts the expectations of shippers w i t h regard to their savings. In the opposite case, the denial of an increase disappoints carriers. We see, then, that disappointments cannot be eliminated. Society must learn how to live w i t h them. IV. Utopia and Conflicts The utopia of total identification of consciousness thus rests on the possibility of reconciling all conflicts and leads to a totalitarian fiction. Curiously, in a democratic system legitimacy is acquired not by obtaining consensus, but by generalizing dissent, as the German sociologist, Niklas Luhmann would say. While the possibility of disappointment is as greater as or greater than the possibility of eliminating it, the democratic way is to provide escape valves, creating conditions for the expression and control of dissent. Beyond any doubt, the formula of generalization of dissent starts from the assumption that in civil society there are permanent expectations which create a minimum consensus (tradition, habits and customs), on one hand, and equally permanent dissappointments (inequality in opportunities, con-

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sumption levels, wages and education), on the other, which can be eliminated only i n a totalitarian society. I n this sense, the establishment of democracy w i l l depend on the existence of certain institutionalized procedures such as elections, parliament, a free press, autonomous universities - all serving as instruments that can convert the inevitable disappointments into diffused disappointments, taking the form of generalized resentment for which there are no means of expression. In this case, a disappointed person who persists in his frustrated expectations has few options: either he has the opportunity to protest once again, or he takes on the permanent role of political outsider. Both situations w i l l entail significant social costs and risks. In democratic political systems, citizens are invited to express dissatisfaction constantly, through countless channels. The reason is that social conficts can be absorbed and legitimized within the system only when all of the complex demands and interests can be channeled toward binding decisions. And a precondition to this is real uncertainty about what the decision w i l l be; in other words, democracy is strengthened precisely to the extent that a certain amount of uncertainty is always present as a condition of political motivation. Secondly, democracy must develop a certain tolerance for situations of risk and indeterminacy. Finally, it must be capable of absorbing structural changes, which means that it must avoid the temptation to reduce its decisions to simple and centralized measures which it monopolizes. V. The Perversion of Democracy What I suggest in this line of argument is that it w i l l be necessary to respond to social complexity w i t h an increase in the complexity of the political system. In other words, the solution lies not in reducing the complexity of society - modernizing it so as to be more uniform - but rather in complicating the political system internally (Luhmann). As Huntington says, "We cannot return to a simpler world." Therefore, the first step toward democratization is essentially political, and not economic or social. For in contrast to what is thought, the very determination of what modernization means is not the outcome of an economic or social decision, but the result of a political decision. With this, the discussion returns to the political sphere. And what we must show is not that the present reality is incompatible w i t h certain democratic values, seen in Utopian terms, but that those values tend to be perverted when they come up against the reality. Democracy is not Utopian because its principles cannot be achieved, but because those principles are likely to be applied in a perverted way. The perversion of democratic values begins w i t h a subtle change in the basic core of the political program. If an underdeveloped society is regarded

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as an amorphous body, the idea of identification, for example, comes to mean a sort of collective surrender, total integration and irrational acquiescence for the sake of the common good. Identification then means that the process of industrialization w i l l take place, being motivated by the possibility of progress in the future, and building a new and authentic civil society. Because these goals inevitably require a greater degree of internal complexity (i.e., more organization), the identification of ideas loses its meaning when coupled w i t h the Utopian idea of a conflict-free society. And by extension, it comes to signify a dulling of the critical faculties because of the need for unconditional acceptance of the plans devised by an apolitical, technocratic bureaucracy. A t the same time, identification outside those parameters comes to be seen as opposition, an odd form of behavior to be excluded from the process. Democratic participation thereby loses its link to the pillar of representativeness: pluralism and the exercise of power by the people. Democratic participation is pluralistic when, from the outset, it is diversified and alternating, and when the possibility of control goes hand i n hand w i t h the institutional safeguard of free debate. In a way, we can even say that the classical concept of democracy, while it regards the identification of ideas as an instrument for achieving consensus, has always held that the guarantee of the right to express dissent is just as important or even more important than such identification. The problem of the control of power is a matter of political strategy, in which consensus is not a necessary condition for legitimacy. In this sense, the values of democracy are perverted when its principles are seen as monolithic, it becomes a "popular" democracy on one hand, and on the other, an impediment to action which puts an end to democracy even while it is supposedly being achieved. In such a case, mass acceptance means that the total support and approval of the people becomes the only means of manifesting opposition, as opposition itself is confused w i t h the channel for expressing it. I n other words, the vote, the autonomy of universities and freedom of the press are confused w i t h the dissent for which they might serve as instruments of expression. As Samuel Huntington said in an interview published some time ago, the problem does not lie in the fact that bureaucratic processes are substituted for democratic processes, but that the bureaucrats exploit democracy for their own purposes, making it impossible for any other group to compete effectively w i t h them in political decision-making.

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VI. The Constitutional Problem A great deal has been said in underdeveloped countries about the need to strengthen the State so that it may deal with the most serious crises that face it. The repeated citing of Article 16 of the French Constitution on this point bespeaks a great concern. However, it must be recognized that problem has been stated in a very generalized way (as though there were a nationally accepted definition of "crisis" making it self-evident that the State must be prepared for it, without further clarification). The truth is that this problem has ramifications and peculiarities to which analysts should pay greater heed. Apart from their social and political foundations, the constitutional systems of the western democracies (the developed nations as well as developing ones such as Brazil) may be characterized by the idea of balance. There should be balance between (a) the power of the State and the freedom of citizens, (b) the power of the State and local powers, and (c) the branches of government, particularly the executive, legislative and judicial branches (A. Hauriou). The early constitutional systems were structured so as to maintain these balances. Any deviation in this regard was seen as an imbalance and constitutions contained innumerable provisions to correct them: individual guarantees, the state of siege, the distribution of powers, and regulation of the delegation of powers. Meanwhile, the development of modern society was causing imbalances on a large scale, which can no longer be viewed as intermittent crises, but rather as a general and continuous crisis which changes the situation. With regard to the first type of balance - that between the power of the State and the freedom of citizens - the emergence of industrial society brought about an increasing and continuous intervention by the government in private life. This intervention not only came to be demanded by many groups in society - the working classes, trade unions and civil servants, who sought guarantees for a better distribution and greater increase in national income but also has become easier to achieve from the financial and technical stand points. Never before have those exercising power had so many instruments and procedures and so much administrative and financial expertise at their disposal. Hence the possibility that a first critical point w i l l be found in the general increase of power: the growing influence of the State over the nation, without any accompanying increase i n social participation. The second type of balance - between the power of the State and local powers - has been affected by technical developments in the political and administrative spheres, and by the need for planning as a means of controlling large societies. This has led to an increasing centralization of power, which provokes another institutional crisis: centralized power serves the 8 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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needs of efficiency, but the concentration of decision-making makes the State highly vulnerable to criticism, setting the stage for an authoritarian or even totalitarian response. The third balance - among the branches of government - concerns the relationships between those in power and those who watch over them, which have become another critical point in our time. The hypertrophy of the executive has become a serious problem of constitutional imbalance. Among the reasons for the disproportionate growth of the State, one may cite questions of national defense and national survival, which are more compelling today than in the past. Another is the importance acquired by technology in government activity and in the political control of public opinion, which the executive can manipulate more easily than the other branches. Thus, this enlargement of the executive leads to a third and more serious crisis: the progressive deference of those holding political authority to the technocrats. Taking up political activity as their calling, the old political elites were oligarchies open to debate, to compromise, to tradeoffs and to the discussion of political decisions (as a general rule). Today, however, they are gradually being replaced by professional elites which constitute closed oligarchies (in other words, technically qualified cadres), whose decisions cannot be challenged by anyone outside the system. Now, when constitutional balance requires constant openness on the oart of the ruling oligarchies, technocratic rule leads to an institutional crisis: elimination of the political control of political decisions. Because legislatures continue to be assemblies of individuals w i t h political interests, they are excluded from the closed circle of the technocrats, who deny their competence and find it quite easy to ignore their censure, on the grounds of expertise and authority to which access is restricted. These constitutional crises are present among us to a striking degree, causing a loss of political balance to which the State unquestionably must pay heed. Institutional measures such as Article 16 of the French Constitution, authorizing the imposition of a temporary dictatorship during emergencies, may offer a response to a national crisis in the form of a grave threat to the functioning of institutions, to the independence of the nation and to the integrity of the national territory; but they are not appropriated to deal with underdeveloped countries' political crisis. I n the latter case, their use only reinforces the loss of balance, rather than preventing it. Other instruments are needed for the purpose. Among these, we may mention the approach of granting the executive a margin of confidence limited in time. The governing of a modern society implies some control of the future, and - by extension - planning. But such planning must be associated w i t h a government, making it possible for dif-

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ferent political proposals to emerge. Plans must not be converted into the business of technocrats, causing the appearance of extraparliamentary oppositions which then call for authoritarian action, aggravating the political deterioration. This being the case, the control of decisions should be shared by the legislature, the specialized bodies and the judiciary. The legislative branch must have technical agencies through which it is capable of acting on a representative basis, while the judicial branch also should have technical commissions upon which it can call to make decisions in specialized fields. In any event, the important thing is not to confuse the security of the State w i t h the security of the government, or national security w i t h political security.

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DEMOCRACY AND EQUALITY I N LATIN-AMERICA By Agustin Squella, Valparaiso I. Inequality in Latin-America: The Possibility of Democracy From 1981 onward, Latin-America has been suffering the most critical economic crisis in the second half of this Century. This crisis is not only persistent but both deep and extensive. It is persistent because its main characteristics and symptoms last until today. Therefore, there is no need to be a prophet to know that the income per capita w i l l be smaller in 1990 or 2000 than in 1980 in many of the economies of the continent. On the other hand, in a very recent year report of the Economic Commission for Latin-America (Comisión Econòmica para Latinoamérica, CEPAL), published in Santiago (Chile), the 23rd September, 1987, the predicted economic indexes for 1988, in most countries, are less favourable than those corresponding to 1987. The crisis is deep because there is a serious worsening of the mentioned indexes, such as production, salaries and foreign debt. We have stated i t as extensive due to the various characteristics and high number of regional economies that have suffered its consequences. This means the crisis has affected both large economies (Mexico, Brazil) and small ones (Central American countries); countries that are fuel exporters (Venezuela and Ecuador) and others completely dependent on imports for their fuel supply (as Uruguay and Paraguay); and finally, countries that practice a policy of intervention (Peru) and other that have followed the free game of the market rules (Chile). The real scope of this crisis w i l l show more forcibly still in the dramatic problem of poverty in Latin-America. It is nowadays possible to provide an estimation of about 130 million people living in critical conditions i n LatinAmerica. This figure is equivalent to a 35 % of the total population. By 2000, almost 170 million people w i l l continue living under these conditions of extreme poverty. By 2000 - not so distant now - one of each four urban inhabitants w i l l be poor, whereas a 50 % of the total rural population w i l l also be poor. Nevertheless, the relationship between poverty and total population w i l l have diminished to a 30 % by then. The relative diminishment of critical poverty in the present decade and the next one is deemed to be inferior to that of the 70's. Whereas between 1970 - 1980 figures show a constriction of poverty from a 40% to a 35 %, between 1980 and 2000 they w i l l

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be reduced only from a 35% to a 30%. The insufficient economic development predicted for the coming years w i l l sharpen the problem of poverty and, therefore, the situation of inequality that w i t h some variations in its proportions, can be internally appreciated in all Latin-American countries. My question is, then, w i l l democracy as a form of government - re-conquered or in the way of being re-conquered in most countries of the continent - be able to help or not in a softening of the existing material inequalities in our countries, or at least moderate the adverse impact of the current economic crisis? This question is aimed at finding out if those strategies designed to expand the production apparatus w i l l be able to concrete themselves and at the same time undertake the current deficiencies of LatinAmerican democracies. According to what has already been stated, the predictions are certainly not encouraging, as the lack of an appropriate growth w i l l thwart any redistribution strategy as a means to satisfy basic needs of different populations. This prediction may be further aggravated by the fact that LatinAmerican countries, due to the servicing of their external debt, w i l l surely tend to expand their economic activity - mostly linked to exports - instead of their internal economy, w i t h the consequent restrictions on public investment, employment and consumption. It is worthwhile noting, for example, that the transfer of resources done by different Latin-American countries between 1982-1985 reached a 4.2 % of the year's production, a figure that doubles the warfare indemnity performed by Germany to the victorious countries after World War II. Despite this tremendous effort, nevertheless, the countries in debt were unable to cover half of the payment of the corresponding interests of the regional debt. The problem of re-distribution of wealth and consequent atonement of material inequality within each country is, nevertheless, not a matter that only depends on the levels of economic growth that the different countries may reach, but also on the political w i l l of democratic governments in favour of more egalitarian societies in Latin-America, and the consensus these same governments may reach regarding this end. The raison d'être of this statement is the fact that there seems to be no precedent in Latin-America of a relationship possibly considered favourable between economic growth and a diminishment of material inequality among the different sectors of each population. This fact is a demonstration that power structures have also exerted their influence in the stability of unequal distributive conditions among the different social groups. In fact, between 1960 and 1980 - the two decades corresponding to the greatest economic growth i n Latin-America - the duplication of the gross per capita output did not, for example, reduce the burden of poverty in a similar proportion. Thus, between these years, gross per capita output in

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Latin-America (assessed i n dollars of 1970) increased from 550 to 1000; that is, in an 84 % ; whereas poverty decreased only from a 50 % to a 35 % w i t h a population growth, on the other hand, from 112 to 130 million people. It is possible to state, consequently, that the benefits of economic growth during that period were not proportionally reflected in the diminishment of poverty, and conversely, income distribution became more inequal. Economic increase, thus, did not reflect itself w i t h equal effects. On the other hand, now and in the future, with a reduced growth - and specially w i t h a product whose component of expansion w i l l surely be exports, w i t h the consequent application of greater incomes to service the debt instead of satisfying basic needs - the difficulties to obtain greater equity in the internal economies in our societies w i l l be even more stressed. Nevertheless, if all this supports the possibility that by the end of this decade and the next one, Latin-America w i l l have far more unequal societies from the material viewpoint, it seems, on the other hand, that we should not discard a certain amount of influence in the opposite direction that might be exerted by democracy as a form of prevailing government i n the continent. This, due on one hand to the greater permeability of democracy w i t h the identification and satisfaction of the so-called basic needs of the population, and on the other hand, to its greater power to negotiate and subscribe agreements in the international level, both to obtain better formulae to service the debt and celebrate regional and sub-regional pacts that would help to reverse, on a certain degree, the current discouraging predictions. Thus, eight Latin-American countries - all of them under a democratic regime - have formed the so-called "Group of the Eight" w i t h the intention of jointly facing the problem of debt and opening a way - surely long to walk over - through which they may some day reach the desired LatinAmerican common market. The presidents of these countries held a meeting at Acapulco the 27/28 November, 1987, and the presidents of Chile and Paraguay were not among them. It is true that Latin-America is a heterogenous reality and that particularly in economic matters i t is an illusion to propose policies valid to all countries. This heterogeneity of Latin-American countries can be appreciated, for example, in the differences existing in the national per capita output that in some countries amounts to less than 800 dollars per year (Bolivia), and i n others fluctuates between 1000 and 1400 dollars per year (Peru, Ecuador) while in other countries that might be deemed as of "intermediate development" (Brazil and Argentina) it is higher. Poverty is also different and so is the proportion of destitutes that each country has. I n Brazil and Peru, for example, almost half of the poor people are destitutes; in Colombia and Venezuela a 40%, and in Argentina only a 10%. On the other hand, in countries such as Argentina and Uruguay, the most impoverished 40 % of the popula-

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tion concentrates approximately between the 14% and 19% of the total income, whereas in Chile a similar segment of the population hardly participates in a 10 %. Further, in 1980, urban unemployment amounted to 3.8 % in Brazil, 4.8% in Argentina, 13.4% in Chile, and 20% in Bolivia. We should add that the deterioration in Latin-America's occupational situation has walked hand in hand w i t h a considerable increase of different forms of underemployment. Peru is an extreme case of the latter, bearing an open rate of unemployment between 1980 and 1985 that has increased from 7 % to 10 %, while the underemployment rate increased from 26 % to 42.5 %. From the political point of view, this heterogeneity can also be appreciated in the restoration of democracy in some countries, for this has not happened simultaneously, nor by the same reasons or under similar conditions of stability for the future. The challange consists, nevertheless, in using democracy not only to obtain its own consolidation as a form of government w i t h the consequent strengthening of the liberties it implies - in itself quite a job - but to gradually and persistently tend - something like Bobbio's thesis of "one step at a time" - to a decrease of the evident and unfair current material inequality that in a different proportion now afflicts our continent. We can already appreciate that our subject-matter is the relationship between democracy and equality. Therefore, i t is necessary to state our meaning of democracy and equality and further establish if it is possible and necessary, or more than necessary obligatory that egalitarian ends be deliberately pursued from democracy, without implying that these gains would mean sacrificing freedom for democracy: A price much too high, and democracy can never pay it without losing its essence. Π. A Procedural Concept of Democracy The word "democracy" is usually used w i t h different meanings. In the first place, it is frequently used to name a particular form of government; it is precisely w i t h this sense that we w i l l use it hereafter. The word "democracy" is also used to name a certain content in a social and economic order to be established from the government, an order that by distinguishing equality over freedom of individuals has the purpose of leveling the disparities resulting from the differences between social classes. According to this use, "democracy" acquires an economic meaning rather than a political one, and is linked, furthermore, to the concept of planned economy. In common language, the word "democracy" is used in a much broader sense as a reference to a certain attitude or way of life that combines habits such as respect for other people and their ideas, a well disposed nature to hear and attend reasons, criticism and self-criticism, the intention of persuading rather than imposing oneself, a tendency to look for agreed solutions that

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represent a larger amount of interests, insecurity regarding one's own viewpoints, and a certain feeling of guilt and fallibility. But we w i l l refer to political democracy, that is, democracy as a form of government, as a mode to organize collective decisions. In this sense democracy undertakes two main problems pertaining to all types of communities: Who must govern, and how. We w i l l see that democracy answers these two questions only in a procedural way. The contribution to the democratic theory made by some of the most prominent jurists of this Century, such as Hans Kelsen, Alf Ross and Norberto Bobbio, supports the traditionally and currently accepted concept of political democracy as a form of government in which political power sovereignty, that is the faculty of taking collective decisions - legally belongs to the whole adult population and not merely to a single individual or a specific and limited group of people. By political power we mean what we gather from it, that is, those acts of authority by which this power is manifested: Legislative acts, acts of the administration, and decisions on jurisdictional order. Now, what does the fact that political power belongs to the whole population mean, as it is clear that the people as such cannot establish directly the content of law, nor issue administrative acts, or finally take knowledge or rule on important juridical matters of daily social life? We can say that power belongs to the people if the government's organizations, that state the national w i l l in its higher and broader aspects, are or have been established as representatives of the people. For such a thing to take place it is necessary, as a basic condition, to hold periodical, general, free, and widely reported elections, for nobody who calls himself a representative of the people bears any special identification sign to distinguish him from any other person. Only such an election system can ensure a real and acceptable degree of representativeness to those temporally installed in public power. When referring to democracy, therefore, we can only say that the power is derived from the people, although not directly exerted by the people. Thus understood, democracy is a method to adopt collective decisions that, consequently, may involve a different content for those same decisions, that is, different social and economic orders. Democracy is, then, a procedure, an array of rules through which a social and economic program is chosen, and not the content of a specific social and economic order previously considered as the best or more just. If political democracy is a procedure for decision-making - that is a concept to determine the w i l l of the majority - this concept tells us nothing directly about the effective content that can be later reinstated and developed w i t h this method. As stated by Alf Ross: "Democracy is an indicator of the how and not the what. It points, therefore, to the way political decision-making is performed and has nothing to do, whatsoever, w i t h any

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specific content in those decisions." "Democracy" - insists the Scandinavian author - "is nothing but a political method, a supra-ideology, and not a material norm related to the social condition system." This formal definition of democracy is opposed - as now Bobbio further explains - to the substantial definition of democracy. The latter defines i t as referring to the content of decisions that should be taken by the government according to certain particular values. The difference between the formal and the substantial concept of democracy - continues Bobbio - corresponds to the same difference made by French writers of the last Century between "démocratie par le peuple" and "démocratie pour le peuple." The procedural definition used here is the first one: "Par le peuple." The substantial definition is the latter: "Pour le peuple." Consequently, if democracy answers the question of who must govern and how, the answer is formal - or as stated before, "procedural." Anyone who obtains the majority must govern, not a predetermined person. Concerning how to govern, democracy only establishes the rules and procedures that must be observed when taking collective decisions, but does not determine the content of these decisions. In each case, content w i l l be in accordance w i t h the program of the government supported by the majority. I n this sense, to be a Democrat means nothing but to be willing to periodically fight for one's ideas against others, concerning the best or more convenient social order. This entails, consequently, the willingness to surrender power, for a period of time previously established, to anyone obtaining the majority. Furthermore, the concept of democracy is related not only w i t h the dominating viewpoint as to which ought to be the prevailing social and economic conditions - though this may be the majority's viewpoint - but w i t h the concurrence, debate, compromise and transaction between opposing points of view or groups, supposing, of course, that these are organized in political parties. Therefore, the value of a debate favouring democracy which is nothing but a debate taking place between opposing ideas and interests of the same groups and parties participating in the discussion lies, then, not in the fact that it may "become a way toward truth through a combination of arguments, but" - as stated by Ross - " i n its being a way toward compromise. " Max Weber once wrote that "the political enterprise is an enterprise of people with interests." That explains why Raymond Aron has said that democracy is, at heart, "the only political system that confesses that the History of the States is, and should be, written in prose and not in verse" considering that democracy does not try to establish the truth as to which ideas or interests are better, but only an agreement or compensation between them. Therefore, we believe William - the Benedictine monk, protagonist of The Name of the Rose, whose characteristic was "to express his certainties

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in a dubitative manner" - was right when he proposes that "the only truth consists in learning to free ourselves of an insane passion for truth," something that would be particularly valid in politics. And further - as William advises - it would be necessary to run away from those willing to die for truth (that is, those unwilling to negotiate and come to an agreement w i t h the rest), "because sometimes they cause death to others, very often before they themselves die, and in certain opportunities instead of them." This is what we have called a "procedural" definition of democracy, or "minimal definition" as Norberto Bobbio calls it. ΙΠ. Democracy and Liberty As to the problem of liberty and its relationship w i t h democracy - according to Ross and Bobbio - we can evidence, on one hand, that certain liberties are indispensable to exercise democratic power, in the sense that they are linked to democracy as a form of government and without them the principle or rule of the majority would lose all its significance. On the other hand, democracy is the form of government that offers the best conditions for the protection and consequent permanence of those same liberties. Thus, sustains Bobbio in one of his last books - The Future of Democracy - the L i b eral State is both the historical and juridical pretext of the Democratic State. Continues the Italian author: "Liberal State and Democratic State are interdependent in two ways: in the direction that goes from Liberalism to democracy - in the sense that some liberties are needed for the correct exercise of democratic power - and in the opposite direction, from democracy to Liberalism - in the sense that democratic power is needed to guarantee the existance and permanence of the fundamental liberties," such as freedom of thought, expression, reunion, association, and certainly, political freedom itself, that is, the right to actively participate in the adoption of collective decisions. Because of what has been said, and above all, because democracy is built on a structure of liberties whose permanence democracy itself protects and guarantees, enabling them to survive and develop as such, every one valuing freedom and the beforementioned liberties, and considering them, as Ross says, " A n indispensable asset, both personal and human," has something more than good reasons to prefer democracy as a form of government. I n democracy, freedom is particularly guaranteed and protected through the so-called "declarations of rights" that certainly limit the power of majorities in government. In other words, according to the democratic principle, it is believed that the majority must rule, but at the same time, it is understood that the power of the majority must be limited, and w i t h that purpose there are constitutional restrictions introduced by the declaration of rights. As stated by 1969 Pulitzer Prize Leonard W. Levy "we believe in

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self-determination as ruled by the government of the majority, and we also believe in the limitations to the rule of the majority." "This paradox becomes clear - continues the American author - if we realize that the end pursued both by self-determination and the limitations imposed to the rule of the majority is the same: To guarantee liberty." IV. Democracy and Equality As stated by Ross: "Even though the relationship between democracy and the concept of liberty is plain and direct, the situation is very different when it refers to the concept of equality." The situation is such that there is an idea - quite widespread as a matter of fact - that these two values, liberty and equality, repel themselves, and for that reason societies, and the individuals within them, would fatally have to choose between liberty and equality, in the first place sacrificing equality, or conversely sacrificing those liberties that have been mentioned before. Perhaps the historical experience of capitalistic societies favoured the idea that liberty is obtained at the cost of provoking, maintaining, and sometimes even emphasizing the material inequalities existing among men, and vice versa, the Socialist societies we know probably stimulated the belief that acceptable levels of equality can only be obtained at the cost of sacrificing liberty. Without denying the contrariety between liberty and equality, and above all, the difficulties that w i l l arise after every political action and program aiming at a more egalitarian society w i t h the system of liberties that democracy makes possible, I believe the two viewpoints - both the one rejecting equality in the name of liberty and the one rejecting the so-called "formal" liberty rules so as to obtain a greater social and economic equality - oversimplify the problem, for it is not possible to reject openly the conciliation, within certain limits, between liberty and equality as is done, iot example, between liberty and order. Do order and liberty repel themselves? Up to a certain point they do, but I believe that nowadays nobody would accept sensibly the idea that to have order it is necessary to sacrifice liberty, or that order must be rejected in the name of liberty. The challenge consists both in harmonizing order and liberty and acknowledging that there is a great amount of political irresponsibility and inexcusable simplicity both in the doctrine of those willing to sacrifice candidly order to liberty and i n those lost in the terror of social disintegration and lack of authority and direction and therefore supporting the sacrifice of smothering liberties to the utmost ot obtain a minimum of order. My question is, then, whether the relationship liberty-equality should not be stated similarly, considering that equality does not mean the supression of all differences - something completely unrealistic - but as Bobbio

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has said, only a gradual, though sustained, approximation to a "more egalitarian society than those known and accomplished up to this moment." "Liberalism" - writes Bobbio - "was mainly inspired in the ideal of liberty. But it is useless to ignore the fact that freedom in economic initiative has created great inequalities, not only between one man and another, but also between one State and another." Therefore, it seems fit to demand of democracy not only the preservation of the rule of those liberties that enable it to exist, but also an equalitarian will, that is, to use the power of the State to temperate those overt and unfair inequalities that when acute can transform the enjoyment and exercise of public liberties in something completely illusory and defective for many people. It is evident, certainly, that the democratic approach - referring to the problem of diminishing material inequalities and replacing those societies which favour most of them - is only capable of a small and gradual quantity of steps. Nevertheless, we should remember - as Bobbio says "that a dialectic law professed by Engels states that quantity, on the long run, becomes quality. " It should be remembered, although, that it is the value of liberty rather than the value of equality that defines democracy as a form of government in the first place. Further, the idea of liberty is independent of the idea of equality, except when the latter is referred to the ownership and exercise of liberty (political equality). For this same reason the problem is considered in reference w i t h material inequality, although we must always bear in mind that when speaking of equality we are not advocating the suppression of all types of differences - a completely uniformed society would certainly be intolerable - but only the diminishment or erradication of those differences deemed as more serious and unfair. Therefore, the greater equality that is possible to demand legitimately of a democratic regime, without endangering the liberties that support it and that the regime itself has the mission and duty to guarantee and protect, can never be an equality of rule. This means equality cannot be imposed, must be ardently pursued, w i t h imagination, and through the self-exercise of liberty, as long as this exercise takes into consideration the ideas and interests of other people besides one's own. Liberty, thus, can be sustained, can further become a common cause, and can become human. In spite, then, of its undeniable utopie resonance, the old revolutionary motto of liberty, egality and fraternity may not be farfetched. Maybe fraternity, or in other words harmony and correspondence among those who are brothers or treat themselves as such, can become the bridge between liberty and equality. And then, although different, they w i l l not repel one another but w i l l preserve their autonomy submitting a part of them, thus enabling the simultaneous fulfillment of the other.

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"There w i l l always be poor people over the Earth" admits a book in the Old Testament. And look at them w i t h a gentle heart. "For this reason" continues Deuteronomy - " I giveth thee this order: Go and open your hand to your brother, the indigents and poor people of your land. " On the other hand, a certain degree of intervention is evidently required from the public authority on behalf of a more egalitarian society, and particularly, to obtain the benefit of a proportional growth in favour of the poor. Mario Vargas Llosa in his "Prologue" to a recently published book in Peru, together w i t h defending the principle of liberty in economic matters that he considers as "the counterpart of political liberty ..." - admits that "it is natural in a Third World country, w i t h its economic disparities, lack of cultural integration and social problems ... that the State has a re-distributive function to undertake." Nevertheless - emphasizes the author - it is fundamental that "the State does not forget that before re-distributing wealth, it is necessary to produce it". Although this is an elementary lesson we should remember something that Vargas Llosa seems to forget: That it does not seem fair nor realistic to wait for wealth to accumulate and then start its re-distribution within certain limits. Or to wait for something even more illusory: An excedent of this wealth overflowing by its own means toward the poor. Wealth is not centrifugal. On the contrary, it shows a tendency both to grow and concentrate. And even though one might share the dream of a better distribution on the long run, guaranteed by the growth of wealth, the truth is that the time this would demand, particularly before an extremely forbearing State, would condemn one or several generations to an unacceptable degree of social patience. Certainly, today parents cannot satisfy their children's hunger, nor comfort them, w i t h the prediction that their grandchildren w i l l probably have enough to eat. According to Kriele it might be good to remember, on the other hand, that only a "planned economy" - where the market mechanism has been eliminated and the State has established, instead, an overall economic plan whose execution is controlled by a bureaucratic apparatus - is not congenial w i t h democracy and the liberties it entails as a form of government. Whereas "economic planning" based on the market system, but simultaneously taking systematic and purposeful advantage of the different possibilities, or needs, to direct, limit and control the market, is perfectly compatible w i t h the fundamental rights of people. V. A Conclusion With things as they are, and considering liberty and equality as values that can be separated, it seems that though it is the first of these values the

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one that defines democracy as a form of government, there is no reason whatsoever to present this fact as an insuperable obstacle to impede or make illegal all demands or requirements on democracy on behalf of more egalitarian societies in Latin-America. It is, therefore, worthwhile asking if the relationship between liberty and equality should not be stated differently. Some have considered them as inseparable values (no liberty without equality and conversely, no equality without liberty), while others deem them as antagonistic values (therefore having to choose fatally between being free or being equal). I believe we should have a clear conscience of dealing w i t h values that are completely different, and that at a certain point may collide. Furthermore, we should have an equally clear w i l l to understand that it is possible, and necessary, to go gradually and deliberately from democracy toward more egalitarian modes of social and economic living without sacrificing those liberty rules that are the support of democracy or compromising its functioning and existance. Consequently, the idea is to protect freedom by means of democracy without forgetting the underlaying significance of the question Argentina's President Raul Alfonsin stated to François Mitterand during the latter's visit to Argentina: "How much poverty can liberty endure?" The conciliation of liberty and equality is, certainly, full of obstacles, particularly for liberty. But the attitude of the good Democrat - as Bobbio says - must be "do not share illusions as to what is best," but at the same time "do not resign yourself w i t h the worst. " Now really, it is not important if such a proposal is deemed "liberalsocialist" or "liberal socialism" or "liberalism w i t h social justice" or plainly "social democracy." What matters is the non-acceptance of an absolute and irreducible contradiction between liberty and equality and the consequent adoption of democracy not only as an expression and guarantee of the first but as tool for consensus in favour of the contraction and elimination of the most serious and unfair disparities among men.

References Bianchi, Andrés: América Latina: crisis econòmica y ajuste externo, in: Estudios Ρύblicos no. 24, Santiago, Chile 1986. Bobbio, Norberto: Fundamento y futuro de la democracia, Valparaiso 1986, translated by Gabriel Del Faver ο. — ^Qué socialismo?, Barcelona 1977, translated by Juan Moreno. — El futuro de la democracia, Barcelona 1985, translated by Juan Moreno. Capitalización de la deuda; ^La solución de la deuda?, entrevista al economista Felipe Larrain, El Mercurio, Santiago October 25, 1987.

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Dos conceptos de libertad, in: Libertad y necesidad en la historia, Isaiah Berlin, Madrid 1974, translation by Julio Bayon. Kelsen , Hans: Esencia y valor de la democracia, Madrid 1977, translated by Rafael Luego Tapia and Luis Legaz Lacambra. Kriele, Martin: Introducción a la teoria del Estado, Buenos Aires 1980, translated by Eugenio Bulygin. La pobreza en América Latina: dimensiones politicas, Colección de Estudios e Informes de la CEPAL, Santiago, Chile 1985. Ross, Alf: Why Democracy?, Harvard 1952. Vargas Llosa, Mario: "Prologue" to " E l otro sendero" by Hernando de Soto, Lima 1986.

II. Volkssouveränität, Rechtsprinzipien der Vernunft und Apologie der Menschen- und Bürgerrechte

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 101 - 115 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

GRUNDRECHTSNORM UND GRUNDRECHT Von Robert Alexy, Kiel Von den zahlreichen Problemen, die mit den Begriffen der Grundrechtsnorm und des Grundrechts verbunden sind, soll hier nur eines interessieren: Wie müssen Grundrechtsnormen konstruiert werden, damit eine adäquate Theorie der Schranken der Grundrechte möglich wird? Das Schrankenproblem zeigt sich am deutlichsten, wenn ein Grundrecht unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt ist. Diese Regelungstechnik ist häufig als besonders fragwürdig empfunden worden. So bezeichnet es Marx in seinem Bericht über die Verfassung der zweiten französischen Republik als einen „Trick, die volle Freiheit zu versprechen, die schönsten Prinzipien festzulegen und ihre Anwendung, die Details, der Entscheidung nachfolgender Gesetze' zu überlassen". 1 Walter Jellinek setzt an den Anfang einer Untersuchung über den Gesetzes vorbehält die Frage, was es nütze, „daß der erste Satz eines Grundrechtsartikels feierlich ein Recht verbriefe, wenn ein zweiter Satz Einschränkungen durch Gesetz zulasse", 2 und Erich Fechner spricht von einer „höchst beunruhigende(n) Fragwürdigkeit" und einer „Zwielichtigkeit der Grundrechte", die besonders dann ins Auge falle, wenn ein Absatz „die Illusion der uneingeschränkten Geltung, die erst beim Weiterlesen enttäuscht" werde, erwecke. 3 Das in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommende oder anklingende Problem des Leerlaufens der Grundrechte ist in der Praxis des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes weitgehend gelöst worden. Nach wie vor unzureichend ist jedoch die theoretische Durchdringung des Gesamtbereichs der Schrankenproblematik, der durch enge systematische Beziehungen zwischen den Begriffen der Schranke und der Einschränkbarkeit einerseits und Begriffen wie denen des Grundrechtstatbestandes, des Grundrechtseingriffs und der Grundrechtsausgestaltung andererseits gekennzeichnet ist. Unzulänglichkeiten in der theoretischen Durchdringung zeigen sich etwa, wenn das Bundesverfassungsgericht in 1 K. Marx, Die Konstitution der Französischen Republik, angenommen am 4. November 1848, in: K. Marx / Fr. Engels, Werke, Bd. 7, Berlin 1960, S. 503f. 2 W. Jellinek, Grundrechte und Gesetzesvorbehalt, in: Deutsche Rechts-Zeitschrift 1 (1946), S.4. 3 E. Fechner, Die soziologische Grenze der Grundrechte, Tübingen 1954, S. Iff.

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einer neueren Entscheidung wohl die (subjektiven) Anforderungen an Notarbewerber, nicht aber die (objektive) Festlegung der Zahl der Notarstellen als Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ansieht. 4 Auch der kürzlich von dem Gericht aufgestellte Satz, daß ein Gesetz, das private Rundfunkveranstalter zur Ausgewogenheit verpflichtet, nicht in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 gewährleistete Rundfunkfreiheit eingreife, sondern diese nur ausgestalte, weil es der Rundfunkfreiheit im Sinne eines freiheitlichen Gesamtzustandes diene, 5 gibt Anlaß zu Zweifeln. Die Schrankenproblematik kann befriedigend nur im Rahmen einer umfassenden Theorie der Grundrechte gelöst werden. Im folgenden werde ich versuchen, einige Grundbausteine einer solchen Theorie vorzustellen. Meine Ausführungen werden sich dabei ganz auf die klassischen Freiheitsoder Abwehrrechte beschränken, was freilich nicht heißen soll, daß nicht vieles auf Rechte anderen Typs übertragbar ist. In einem ersten Teil werde ich eine Theorie der Grundrechtsnorm vorstellen. Im zweiten Teil w i r d auf dieser Basis ein allgemeines Modell der Grundrechte entwickelt. I m dritten Teil schließlich werden drei Folgerungen zum Schrankenproblem gezogen. I. Die Struktur der Grundrechtsnorm 1. Regeln und Prinzipien

Von allen Unterscheidungen, die in bezug auf Grundrechtsnormen getroffen werden können, ist, jedenfalls unter dem Aspekt des Schrankenproblems, die zwischen Regeln und Prinzipien die wichtigste. In Deutschland hat der Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien vor allem durch Josef Esser eine ausführliche Behandlung erfahren. 6 Eine breite internationale Diskussion jenes Unterschiedes ist jedoch erst durch Ronald Dworkin hervorgerufen worden. 7 Die von Esser und Dworkin vorgeschlagenen Unterscheidungskriterien, die an anderer Stelle eingehend erörtert wurden, 8 treffen wichtige Punkte, stoßen aber nicht bis zum Kern der Diffe4

BVerfGE 73, 280 (292, 295). BVerfGE 73, 118 (166). 6 J. Esser, Grundsatz und Norm i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl., Tübingen 1974. Vgl. ferner K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York/Tokyo 1983, S.456ff.; ders., Richtiges Recht, München 1979, S.23ff.; C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl., Berlin 1983, S. 52ff.; D. C. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, Berlin 1969, S. 23 ff. 7 R. Dworkin, The Model of Rules, in: University of Chicago Law Review 35 (1967), S. 14ff.; wieder abgedr. in: ders., Taking Rights Seriously, 2. Aufl., London 1978, S. 15 ff. 8 R. Aleocy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in': RECHTSTHEORIE, Beiheft 1 (1979), S. 63ff.; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 13 ff. 5

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renz vor. Dieser besteht darin, daß Prinzipien Optimierungsgebote sind, während Regeln den Charakter von definitiven Geboten haben. 9 Der Begriff des Gebotes wird dabei in einem weiten Sinne gebraucht, in dem er auch andere deontische Modalitäten einschließt. a) Prinzipien Eine Norm ist genau dann ein Optimierungsgebot und deshalb ein Prinzip, wenn sie gebietet, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und die tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. Eine derartige Norm ist in unterschiedlichen Graden erfüllbar. Das gebotene Maß ihrer Erfüllung hängt sowohl von den tatsächlichen als auch von den rechtlichen Möglichkeiten ab. Die rechtlichen Möglichkeiten der Erfüllung werden außer durch Regeln wesentlich durch gegenläufige Prinzipien bestimmt. Letzteres bedeutet, daß Prinzipien abwägungsfähig und -bedürftig sind. Die Abwägung ist die für Prinzipien kennzeichnende Form der Rechtsanwendung. b) Regeln Eine Norm ist demgegenüber genau dann ein definitives Gebot und deshalb eine Regel, wenn sie gebietet, genau das zu tun, was sie verlangt, nicht mehr und nicht weniger. Auch i n Fällen, in denen eine solche Norm Auslegungsprobleme bereitet, gilt, daß sie stets entweder erfüllt oder nicht erfüllt ist. Ihre Anwendung ist, wie Dworkin treffend bemerkt, eine Allesoder-Nichts-Angelegenheit und keine Sache des Grades. 10 Regeln sind deshalb weder abwägungsfähig noch -bedürftig. Die sie kennzeichnende Form der Rechtsanwendung ist die Subsumtion. c) Regelkonflikte

und Prinzipienkollisionen

Der Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien zeigt sich am deutlichsten bei Regelkonflikten und Prinzipienkollisionen. Ein klassisches Beispiel für einen Regelkonflikt bietet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der es um den Konflikt zwischen einer landesrechtlichen Norm, die die Öffnung von Verkaufsstellen am Mittwoch ab 13.00 Uhr verbietet, und einer bundesrechtlichen Norm, die sie bis 19.00 Uhr erlaubt, geht. 11 Das Gericht löst diesen Fall nach der Konfliktnorm „Bundesrecht bricht Lan9 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985 (Neudr. Frankfurt/M. 1986), S.75ff. 10 Dworkin , Taking Rights Seriously (FN 7), S. 24ff. 11 BVerfGE 1, 283 (292 ff.).

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desrecht" (Art. 31 GG), indem es die landesrechtliche Norm für nichtig erklärt. Der Widerspruch wird dadurch gelöst, daß eine der beiden Normen für ungültig erklärt und damit aus der Rechtsordnung verabschiedet wird. Ganz anders geht das Gericht in einem Beschluß über die Durchführung einer Hauptverhandlung gegen einen Beschuldigten vor, dem die Gefahr eines Schlaganfalls und eines Herzinfarkts droht. 1 2 Das Gericht stellt fest, daß in derartigen Fällen zwischen der Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem Grundrecht des Beschuldigten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein „Spannungsverhältnis" besteht. Dabei komme es darauf an, welchem der abstrakt gleichrangigen Belange im konkreten Fall das höhere Gewicht zukomme. Im zu entscheidenden Fall ging es um „die naheliegende, konkrete Gefahr, daß der Beschuldigte bei der Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde". 1 3 Unter diesen Umständen nimmt das Gericht einen Vorrang des Grundrechts des Beschwerdeführers auf Leben und körperliche Unversehrtheit an. Dieser Fall weist alle Eigenschaften einer Prinzipienkollision auf. Das „Spannungsverhältnis", von dem das Gericht spricht, besteht zwischen dem Gebot, für ein möglichst hohes Maß an Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu sorgen, und dem Gebot, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten in einem möglichst hohen Maße unangetastet zu lassen. Gäbe es nur das Prinzip der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, wäre die Durchführung der Hauptverhandlung geboten, mindestens erlaubt. Gäbe es nur das Prinzip des Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, wäre sie verboten. Die beiden Prinzipien führen also, jeweils für sich angewandt, zu einem Widerspruch. Diese Situation w i r d nicht dadurch gelöst, daß eines der beiden Prinzipien für ungültig erklärt und aus der Rechtsordnung verabschiedet wird. Die Lösung besteht vielmehr in der Festsetzung einer auf die Umstände des Falles bezogenen Vorrangrelation zwischen den kollidierenden Prinzipien. Das vorgehende Prinzip schränkt auf diese Weise die rechtlichen Möglichkeiten der Erfüllung des zurückweichenden ein. Das zurückweichende Prinzip bleibt Teil der Rechtsordnung. In einem anderen Fall kann die Vorrangfrage umgekehrt zu lösen sein. Wie sie zu lösen ist, hängt von den relativen Gewichten der gegenläufigen Prinzipien im konkreten Fall ab. Damit ist zugleich deutlich, daß es bei Prinzipienkollisionen anders als bei Regelkonflikten nicht um die Zugehörigkeit zum Rechtssystem geht. Prinzipienkollisionen finden nicht i n der Dimension der Geltung statt, sondern spielen sich, da nur geltende Prin12

BVerfGE 51, 324. 13 BVerfGE 51, 324 (346).

Grundrechtsnorm und Grundrecht

105

zipien kollidieren können, innerhalb des Hechtssystems in der Dimension des Gewichts ab. 14 Aus dem Charakter der Prinzipien als Optimierungsgebote ergeben sich Konsequenzen, die für die hier verfolgte Fragestellung von weitreichender Bedeutung sind. Die erste läßt sich mit Hilfe eines Kollisionsgesetzes formulieren, das die Ebene der Prinzipien mit der der Regeln verbindet, die zweite beruht auf dem Zusammenhang des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Prinzipiencharakter von Normen. 2. Das Kollisionsgesetz

Das Kollisionsgesetz läßt sich anhand des eben erwähnten Verhandlungsunfähigkeitsbeschlusses verdeutlichen. I n ihm geht es um eine Kollision zwischen dem grundrechtlichen Prinzip des Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Ρi) und dem auf ein kollektives Gut abstellenden Prinzip der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege (P 2 ). Die Kollision w i r d dadurch gelöst, daß unter einer bestimmten Bedingung (C), nämlich der einer „naheliegende(n), konkrete(n) Gefahr, daß der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde" 1 5 , ein Vorrang von Ρ ι vor P 2 festgesetzt wird. Dies bedeutet, daß die Rechtsfolge (R) gilt, die das grundrechtliche Prinzip Ρ ι im zu entscheidenden Fall fordert, die Durchführung der Hauptverhandlung also verboten ist. Hieraus ergibt sich unter Voraussetzung des nur schwer anzugreifenden Grundsatzes der Universalisierbarkeit, 16 der nichts anderes ausdrückt als den Gedanken der formalen Gerechtigkeit, die Regel, daß im Falle von C stets R gilt. Das alles läßt sich zu einem für alle Prinzipienkollisionen geltenden Kollisionsgesetz verallgemeinern. 17 Es lautet: (K) Wenn das Prinzip Ρ ι dem Prinzip P 2 unter den Umständen C vorgeht und wenn sich aus Ρ ι unter den Umständen C die Rechtsfolge R ergibt, dann gilt eine Regel, die C als Tatbestand und R als Rechtsfolge enthält: C-+R.

Eine weniger technische Formulierung lautet: (K') Die Bedingungen, unter denen das eine Prinzip dem anderen vorgeht, bilden den Tatbestand einer Regel, die die Rechtsfolge des vorgehenden Prinzips ausspricht.

Das Kollisionsgesetz zeigt, daß trotz der begrifflich strikten Trennung zwischen Regeln und Prinzipien aufgrund der Struktur der Anwendung von 14

Vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously (FN 7), S. 26f. is BVerfGE 51, 324 (346). 16 Vgl. hierzu R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Frankfurt/M. 1978 (Neudr. Frankfurt/M. 1983), S.91ff. 17 Näher hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 9), S. 81 ff.

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Robert Alexy

Prinzipien eine notwendige Beziehung zwischen beiden Normarten besteht. Diese notwendige Beziehung w i r d im weiteren von Bedeutung sein. 3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Die zweite Konsequenz beruht auf dem Zusammenhang des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Prinzipiencharakter von Normen. Dieser Zusammenhang ist so eng wie nur möglich. Aus dem Prinzipiencharakter folgt logisch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit seinen drei Teilgrundsätzen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, und aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt der Prinzipiencharakter. 18 Damit besteht zwischen dem wichtigsten Maßstab für die materielle Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen und der Prinzipientheorie ein begrifflich notwendiger Zusammenhang. Das Bundesverfassungsgericht spricht dies etwas dunkel aus, wenn es sagt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sich „ i m Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst" ergebe. 19 Die ersten beiden Teilgrundsätze resultieren aus dem Charakter der Prinzipien als Optimierungsgebote relativ auf die tatsächlichen Möglichkeiten. Wenn eine Maßnahme M nicht geeignet ist, das Prinzip P 1 } das ein kollektives Gut zum Gegenstand haben mag, zu fördern, aber die Realisierung des grundrechtlichen Prinzips P 2 hemmt, dann fordert P 2 , daß M nicht vollzogen wird, während dies für Ρ ι gleich ist. M ist dann in bezug auf Ρ ι und P 2 zusammengenommen verboten. Genau dies sagt der Grundsatz der Geeignetheit. Der zweite Teilgrundsatz, der Grundsatz der Erforderlichkeit oder des mildesten Mittels, ergibt sich daraus, daß eine Maßnahme M i dann, wenn es zu ihr eine Alternative M 2 gibt, die Ρ ι mindestens gleich gut fördert, Ρ2 aber weniger hemmt, in bezug auf Ρ ι und P 2 zusammengenommen verboten ist. Beide Grundsätze geben der Idee der Pareto-Optimalität Ausdruck. Der dritte Teilgrundsatz, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, der das eigentliche Abwägungsgebot formuliert, folgt daraus, daß Prinzipien Optimierungsgebote nicht nur relativ auf die tatsächlichen, sondern auch relativ auf die rechtlichen Möglichkeiten sind. Er wird relevant, wenn eine nach dem Kollisionsgesetz zu lösende Prinzipienkollision vorliegt, also die Erfüllung des einen die Nichterfüllung des anderen Prinzips bedeutet. Optimieren kann in dieser Situation nur abwägen heißen. Also impliziert die Bezugnahme auf die rechtlichen Möglichkeiten ein Abwägungsgebot. Für den Vollzug der Abwägung läßt sich in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 20 ein Abwägungsgesetz 18

Vgl. ebd., S. 100ff. 19 BVerfGE 19, 342 (348f.); 65, 1 (44).

Grundrechtsnorm und Grundrecht

107

formulieren, das für den gesamten Bereich des Praktischen Geltung beanspruchen kann. Es lautet: (A) Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.

Die Ideen, die hinter dem Abwägungsgesetz stehen, lassen sich mit Hilfe von Indifferenzkurven verdeutlichen. 21 II. Die Struktur des Grundrechts Fragt man vor diesem normtheoretischen Hintergrund nach der Struktur der Grundrechte, so bieten sich drei Modelle an: ein reines Regelmodell, ein reines Prinzipienmodell und ein Regel/Prinzipien-Modell der Grundrechte. 1. Das reine Regelmodell der Grundrechte

Ein reines Regelmodell der Grundrechte vertritt, wer die Grundrechtsnormen als zwar möglicherweise ergänzungsbedürftige, aber stets ohne Abwägung anwendbare und in diesem Sinne abwägungsfreie Normen ansieht. 22 Unter den Gesichtspunkten der Bindung an den Verfassungstext, der Rechtssicherheit und der Berechenbarkeit ist das reine Regelmodell ohne Zweifel attraktiv. Seine Nachteile wiegen jedoch schwer. Man nehme eine Verfassungsbestimmung, die erst ein Grundrecht gewährt und dann die Kompetenz des Gesetzgebers statuiert, das Grundrecht durch ein Gesetz einzuschränken. Liest man dies als zwei Regeln, so wird das Grundrecht vollständig zur Disposition des Gesetzgebers gestellt. Es läuft insofern leer. 23 Das Grundgesetz versucht, dem durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG entgegenzuwirken. In einem reinen Regelmodell kann die Wesensgehaltsgarantie nur im Sinne einer Garantie des Kerngehalts oder einer Mindestposition, also nur im Sinne einer absoluten Theorie interpretiert werden. Die Frage, ob es Rechte gibt, die auch unter den extremsten Umständen nicht zurückweichen - nur solche Rechte sind genuin absolute Rechte - , 2 4 mag an dieser Stelle offen bleiben. Sie stellt sich gleichermaßen 20 Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (404f.); 17, 306 (314); 20, 150 (159); 35, 202 (226); 41, 251 (264); 72, 26 (31). 21 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 9), S. 146ff. 22 Dem reinen Regelmodell zumindest nahe kommt Forsthoff, wenn er sich gegen die Abwägung wendet und eine Rückkehr zu den „alten, bewährten Regeln der juristischen Hermeneutik" fordert; vgl. E. Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, Stuttgart 1961, S. 34. 23 Zum Begriff des Leerlaufs von Grundrechten vgl. R. Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, in: Festgabe für das Preußische Oberverwaltungsgericht, hrsg. v. H. Triepel, Berlin 1925, S. 195. 24 Vgl. hierzu A. Gewirth, Are there any Absolute Rights?, in: The Philosophical Quarterly 31 (1981), S. Iff.; J. Levinson, Gewirth on Absolute Rights, in: The

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im Regel- wie im Prinzipienmodell. Hier ist nur von Bedeutung, daß jede abwägungsfrei konzipierte Kernbereichstheorie notwendig zu zwei Schwierigkeiten führt. Die erste besteht darin, daß sie das Leerlaufproblem nur teilweise lösen kann, denn jenseits des wie immer definierten Kernbereichs bleibt es notwendig bestehen. Wird hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingesetzt, so ist das Modell wegen der Tatsache, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Prinzipiencharakter impliziert, kein reines Regelmodell mehr. Nicht so leicht zu erkennen, aber nicht weniger ernst, ist die zweite Schwierigkeit. Die Vorstellung eines Kernbereichs ist ohne Zweifel eine brauchbare heuristische Idee. Als eine die Abwägung verdrängende Theorie wäre eine Kernbereichstheorie aber nur dann akzeptabel, wenn es die Möglichkeit gäbe, Kernbereiche auf eine abwägungsfreie Weise zu erkennen. Es muß bestritten werden, daß dies der Fall ist. Es gibt Kernbereiche, aber diese sind das Resultat des nach dem Abwägungsgesetz zu bestimmenden Gewichts der Gründe für und gegen den Grundrechtsschutz. Die Auffassung, daß es unabhängig hiervon eine abwägungsfreie Erkenntnis der Grenzen von Kernbereichen gibt, ist eine Variante intuitionistischer Theorien, die als „Grundrechtsintuitionismus" bezeichnet werden kann. Das zu den Kernbereichen Gesagte kann auf die zahlreichen weiteren Versuche übertragen werden, das Abwägen im Bereich der Grundrechte durch abwägungsfrei anwendbare Kriterien zu ersetzen. Hierzu zählen etwa Rüfners Versuch, mit Hilfe der Allgemeinheit des einschränkenden Gesetzes die Grenzen des Grundrechtsschutzes zu bestimmen, 25 und Friedrich Müllers Theorie des Normbereichs und der sachspezifischen Modalität, 2 6 die eine abwägungsfreie Bestimmung dessen, was im Ergebnis grundrechtlich geschützt ist, erlauben soll. Daß die Bestimmung des definitiv Geschützten stets entweder unmittelbar oder mittelbar von einer Abwägung abhängt, gilt für alle Positivierungsformen der Grundrechte. Wenn ein abwägungsfreies Kriterium gut gewählt ist, dann führt eine Subsumtion unter dies K r i terium zwar im Regelfall zu akzeptablen Ergebnissen. Dies ist aber nur deshalb der Fall, weil ein gut gewähltes Kriterium im Regelfall zu solchen Ergebnissen führt, die auch das Resultat einer richtigen Abwägung der gegenläufigen Prinzipien wären. In Zweifelsfällen gibt das Kriterium keine Auskunft mehr. Hier ist ein Rückgriff auf die Abwägung nicht nur möglich, sondern notwendig.

Philosophical Quarterly 32 (1982), S. 73ff.; A. Gewirth, There are Absolute Rights, in: The Philosophical Quarterly 32 (1982), S. 348 ff. 25 W. Rüfner, Grundrechtskonflikte, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, hrsg. v. C. Starck, Bd. 2, Tübingen 1976, S. 456ff. 26 Fr. Müller, Die Positivität der Grundrechte, Berlin 1969, S. 32ff.

Grundrechtsnorm und Grundrecht

109

2. Das reine Prinzipienmodell der Grundrechte

Erweist sich ein reines Regelmodell somit als unzureichend, so liegt es nahe, nach der Möglichkeit eines reinen Prinzipienmodells zu fragen. Ein reines Prinzipienmodell vertritt, wer behauptet, daß es nur eine Art von Grundrechtsnormen gibt, nämlich nur Prinzipien im hier definierten Sinne. 27 Diese Konzeption scheitert an drei Schwierigkeiten. Die erste besteht darin, daß sie die Festsetzungen des Verfassungsgebers, die dieser im Falle genauerer Umschreibungen von Grundrechtstatbeständen und differenzierterer Formulierungen von Schrankenklauseln getroffen hat, nicht ernst nimmt. Das zweite Problem ist, daß ein wirklich reines Prinzipienmodell aufgrund des Kollisionsgesetzes nicht möglich ist. Abwägungen führen danach zu zwar fallbezogenen, aber über den entschiedenen Fall hinausweisenden Regeln. Im Laufe der Zeit wird so die Prinzipienebene durch eine immer reichhaltigere Ebene relativ konkreter Regeln angereichert, die eine präjudizielle Argumentation ermöglicht. Um bei einem wirklich reinen Prinzipienmodell zu bleiben, müßte der jeweils entschiedene Fall sofort vergessen werden. Dieses Modell träfe der Einwand, daß die Grundrechte zu bloßen „Abwägungsgesichtspunkten" werden, 28 in der Tat mit voller Kraft. Die dritte Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß das reine Prinzipienmodell nicht die Möglichkeit bietet, im Rahmen der Grundrechtsdogmatik, insbesondere unter Rückgriff auf die relativ konkreten Entscheidungsregeln, relativ abstrakte Regeln zu erarbeiten, die richtige Gewichtungen von Prinzipien jedenfalls ein Stück weit zum Ausdruck bringen, so daß sie die Prinzipien zwar nicht verdrängen, aber doch der alltäglichen Anwendung der Grundrechte Anhaltspunkte in Regelform geben. 3. Das Regel/Prinzipien-Modell der Grundrechte

Damit ist deutlich, daß nur ein kombiniertes Modell in Frage kommt. Ein solches ist das Regel/Prinzipien-Modell, das aus der Verbindung einer Prinzipien· und einer Regelebene entsteht. Die Gründe für ein solches Modell sind im wesentlichen schon bei der K r i t i k der beiden reinen Modelle vorgetragen worden. Hier kann es nur noch darum gehen, das Verhältnis der beiden Ebenen näher zu bestimmen. Hierzu ist einerseits auf den Doppelcharakter der Grundrechtsbestimmungen und andererseits auf den Doppelcharakter der Grundrechtsnormen einzugehen.

27

Vgl. Ε. v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, Berlin 1965, S. 18 ff. 28 BVerfGE 69, 1, 57 (63).

110

Robert Alexy

a) Der Doppelcharakter

der Grundrechtsbestimmungen

Grundrechtsbestimmungen sind Sätze des Grundgesetzes, die Grundrechtsnormen ausdrücken und/oder denen Grundrechtsnormen, die durch sie nicht unmittelbar ausgedrückt werden, interpretativ zugeordnet werden können. 29 Der Doppelcharakter der Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes besteht darin, daß durch sie sowohl Prinzipien als auch Regeln statuiert werden. Regeln, freilich zumeist solche unvollständiger Art, werden etwa dann statuiert, wenn durch differenzierte Grundrechtstatbestände und Schrankenklauseln Festsetzungen relativ auf die Anforderungen gegenläufiger Prinzipien bereits unmittelbar durch die Verfassung getroffen werden. Soweit die Verfassung auf der Regelebene Festsetzungen getroffen hat, ist mehr entschieden worden als allein durch die Entscheidung für Prinzipien. Die Regelebene geht damit der Prinzipienebene vor. Allerdings kann dieser Vorrang, wie Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegen den Wortlaut von Grundrechtsbestimmungen zeigen, 30 nur ein prima facie- Vorrang sein. b) Der Doppelcharakter

der Grundrechtsnormen

Daß Grundrechtsbestimmungen einen Doppelcharakter haben, heißt noch nicht, daß Grundrechtsnormen ihn teilen. Diese sind zunächst entweder Regeln oder Prinzipien. Eine Grundrechtsnorm mit Doppelcharakter erhält man jedoch, wenn man versucht, eine vollständige Grundrechtsnorm zu konstruieren. Die vollständige Grundrechtsnorm ist dadurch gekennzeichnet, daß ihr Vordersatz zwei Teile aufweist: den Grundrechtstatbestand und die Schrankenklausel. Eine allgemeinste Form einer i n dieser Hinsicht vollständigen Grundrechtsnorm läßt sich wie folgt formulieren: Wenn eine Maßnahme ein Eingriff in einen grundrechtlichen Schutzbereich ist und nicht durch eine Schrankenklausel gerechtfertigt wird, dann ist sie verboten.

Notiert man „ T " dafür, daß eine Maßnahme ein Eingriff in einen grundrechtlichen Schutzbereich ist, „S" dafür, daß diese Maßnahme die Schrankenklausel erfüllt, also durch sie gedeckt ist, und für die Rechtsfolge, so erhält man folgende Fassung der allgemeinsten Form der mit einer Schrankenklausel versehenen Grundrechtsnorm: 31 Τ α -ι

29 30 31

S^R.

Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 9), S. 54 ff. Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (401). Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 9), S. 122 ff.

Grundrechtsnorm und Grundrecht

111

Diese Norm hat in einer Hinsicht ganz und gar den Charakter einer Regel. Wenn ihr zweigliedriger Vordersatz erfüllt ist, tritt die Rechtsfolge zwingend ein. Auf der Basis der Feststellung, daß Τ erfüllt und S nicht erfüllt ist, kann unter sie subsumiert werden. In einer anderen Hinsicht hat sie demgegenüber ganz und gar nicht den Charakter einer Regel. Die Schrankenklausel muß, wenn sie adäquat sein soll, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einschließen und damit u. a. auf die Abwägung von Prinzipien verweisen. Die regelorientierte Subsumtion setzt damit eine prinzipienorientierte Abwägung voraus. Genau dies ist gemeint, wenn hier vom „Doppelcharakter der Grundrechtsnormen" gesprochen wird. ΙΠ. Folgerungen Aus der dargelegten Struktur der Grundrechtsnormen und der Grundrechte lassen sich zahlreiche Folgerungen ziehen. Hier sollen nur drei interessieren, die sich in folgenden Thesen formulieren lassen: Der Prinzipiencharakter erklärt erstens, wie Rechte und damit Grundrechte überhaupt eingeschränkt werden können. Er führt zweitens zu einer weiten Tatbestandstheorie, die möglichst viel prima facie grundrechtlich geschützt sein läßt, und er bildet drittens die Basis für eine rationale Lösung des Schrankenproblems. 1. Der Begriff der Grundrechtsschranke

Über die Frage, ob es überhaupt Schranken eines Rechts geben kann, wird seit langem gestritten. Bejaht wird diese Frage von der Außentheorie, verneint wird sie von der Innentheorie. Nach der Innentheorie gibt es nicht zwei Dinge, das Recht an sich und das durch eine Schranke eingeschränkte Recht, sondern nur eines: das Recht mit einem bestimmten Inhalt. 3 2 Was eingeschränkt werden könne, sei das grundrechtliche Schutzgut, etwa die natürliche allgemeine Handlungsfreiheit. Diese sei aber etwas anderes als ein Recht. Dem entspricht es, wenn Friedrich Klein sagt, daß es „nach reiner Logik ... keine Schranken der Grundrechtsbestimmungen, sondern nur Begriffe derselben" geben könne. 33 Nach der Außentheorie 34 gibt es demge32 Vgl. hierzu vor allem W. Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, Marburg 1934, S. 85ff.; ders., Vom Wesen des Rechtsmißbrauchs, in: G. Dahm u.a. (Hrsg.), Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S. 195, 200ff.; K. Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, in: G. Dahm u.a. (Hrsg.), aaO, S.230ff.; P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs.2 Grundgesetz, 3. Aufl., Heidelberg 1983, S. 179f. 33 Fr. Klein, in: H. v. Mangoldt / Fr. Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin/Frankfurt 1957, Vorbem. Β X V l b (S. 122). 34 Vgl. hierzu C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), 5. Aufl., Berlin 1970, S. 158f., 166f.

112

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genüber erstens das Recht an sich, das nicht eingeschränkt ist, und zweitens das, was von dem Recht nach Hinzufügung einer Schranke übrig bleibt, das eingeschränkte Recht. Wenn die Prinzipientheorie zutrifft, kann nur die Außentheorie richtig sein, was bedeutet, daß die alltägliche Vorstellung, daß Rechte Schranken haben können, keine Täuschung ist. Nach der Prinzipientheorie ist zwischen prima facie-Rechten und definitiven Rechten zu unterscheiden. 35 Prima facie-Rechte sind Rechte, die auf Prinzipien beruhen. Definitive Rechte werden demgegenüber durch Regeln gewährt. Der Zurückdrängung des einen Prinzips durch ein anderes oder auch durch eine Regel entspricht die Einschränkung eines prima facie-Rechts. Es wurde dargelegt, daß den Grundrechtsbestimmungen jedenfalls auch Prinzipien zuzuordnen sind. Also gibt es prima facie-Grundrechte, die eingeschränkt werden können. Daß es daneben auch definitive grundrechtliche Positionen gibt, ändert hieran nichts. Gänzlich unproblematisch ist dies bei den konkreten definitiven Positionen, die sich aus den fallbezogenen Regeln ergeben, die nach dem Kollisionsgesetz das Ergebnis einer Abwägung sind. Ein Einwand könnte sich nur auf die Möglichkeit stützen, abstrakte definitive Positionen zu konstruieren. Diese ergeben sich aus den bereits skizzierten vollständigen Grundrechtsnormen, die sagen, daß jeder ein definitives Recht darauf hat, daß Maßnahmen, die einen Grundrechtseingriff darstellen und nicht durch eine Schrankenklausel gerechtfertigt sind, unterlassen werden. Die Richtigkeit der Innentheorie würde hieraus jedoch nur dann folgen, wenn neben den konkreten definitiven Positionen nur noch solche abstrakten definitiven Positionen angenommen werden dürften. Der dargelegte Doppelcharakter der vollständigen Grundrechtsnorm zeigt, daß dies nicht der Fall ist. Damit ist zugleich ein weiterer Vorteil der Außentheorie deutlich. Sie schließt die wichtigsten normtheoretischen Thesen der Innentheorie ein. Die Außentheorie ist deshalb nicht nur die richtige, sondern auch die reichhaltigere Theorie. 2. Eine weite Tatbestandstheorie

Der Charakter der Grundrechtsnormen als Prinzipien, die fordern, von dem jeweiligen grundrechtlichen Schutzgut möglichst viel zu verwirklichen, führt zu einer weiten Tatbestandstheorie. 36 Eine weite Tatbestandstheorie ist eine Theorie, die möglichst viel prima facie grundrechtlich geschützt sein läßt. Zu diesem Zweck verlangt sie, daß in den semantischen Spielräumen der Tatbestandsformulierungen der Grundrechtsbestimmungen weite Interpretationen vorgenommen werden und daß alles, was eine Eigenschaft auf35 36

Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 1), S. 251 ff. Vgl. ebd., S. 290ff.

Grundrechtsnorm und Grundrecht

113

weist, die - isoliert betrachtet - für eine Subsumtion unter den Tatbestand hinreicht, als tatbestandsmäßig behandelt wird, ganz gleich, welche Eigenschaften sonst noch vorliegen. So fällt, um ein Schulbeispiel zu verwenden, nach der weiten Tatbestandstheorie auch das Malen auf einer belebten Straßenkreuzung unter den Tatbestand der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG. Erst auf der Schrankenseite wird der Schutz definitiv ausgeschlossen. Eine enge Tatbestandstheorie ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß sie in derartigen Fällen bereits die Tatbestandsmäßigkeit und damit den prima facie-Schutz ausschließt. Sie braucht dann keine Schranken mehr zu bemühen. Damit ist zugleich deutlich, daß der Streit zwischen der engen und der weiten Tatbestandstheorie nicht notwendig einen Streit um den Inhalt des grundrechtlichen Schutzes einschließt. Zwei Personen können in allen Ergebnissen übereinstimmen und dennoch kann der eine eine weite und der andere eine enge Tatbestandstheorie vertreten. Ihr Streit ist dann ein Streit um eine Konstruktionstheorie. Die Konstruktion ist freilich für die Rationalität der Grundrechtsdogmatik und des grundrechtlichen Argumentierens von entscheidender Bedeutung und kann sich insofern auf das Ergebnis auswirken. Es spräche einiges für die enge Tatbestandstheorie, wenn die Grenze zwischen den Fällen, in denen mit Sicherheit kein grundrechtlicher Schutz in Frage kommt, und den Fällen, in denen ein solcher Schutz wenigstens möglich ist, stets klar gezogen werden könnte. Die erste Fallgruppe könnte dann ohne große Schwierigkeiten schon vom prima facie-Schutz ausgenommen werden. Jene Grenze ist jedoch nicht klar. Da mit der Abwägung bereits der Bereich der Schranken betreten wird, muß eine enge Tatbestandstheorie versuchen, sie abwägungsfrei zu ziehen. Dies führt zu dem bereits erwähnten Problem des Grundrechtsintuitionismus. Die prinzipienorientierte weite Tatbestandstheorie betont demgegenüber, daß eine richtige grundrechtliche Entscheidung in allen Fällen letzthin das Ergebnis eines Spiels von Grund und Gegengrund für den grundrechtlichen Schutz und damit das Ergebnis einer Abwägung zwischen Prinzipien ist. Um diese Abwägungsmöglichkeit für alle Fälle offenzuhalten und in keinem Fall durch Evidenzen welcher Art auch immer zu ersetzen, fordert sie weite Tatbestände. Dabei w i r d nicht verkannt, daß es zahllose Fälle gibt, die so zweifelsfrei sind, daß eine grundrechtliche Abwägung neben der Subsumtion unter einfaches Recht überflüssig wäre. Diese Fälle sind als bloß potentielle Grundrechtsfälle einzustufen. Nur in Fällen, in denen grundrechtliche Zweifel bestehen, diese Fälle sind als „aktuelle Grundrechtsfälle" zu bezeichnen, ist eine Abwägung wirklich erforderlich. Die weite Tatbestandstheorie hält allerdings daran fest, daß auch in bloß potentiellen Grundrechtsfällen eine grundrechtliche Begründung wenigstens theoretisch möglich sein muß. So können, wenn man eine grundrechtliche Begründung will, dem Maler auf der Straßenkreuzung leicht Grundrechte der anderen Verkehrsteilnehmer sowie das kollek-

114

Robert Alexy

tive Gut der Verkehrssicherheit, wenn man ihm Verfassungsrang einräumt, was wegen der vorbehaltslosen Garantie der Kunstfreiheit erforderlich ist, 3 7 entgegengehalten werden. Die weite Tatbestandstheorie insistiert ferner darauf, daß kein Fall durch eine enge Tatbestandsfassung daran gehindert werden darf, von einem bloß potentiellen zu einem aktuellen Grundrechtsfall zu werden. Auf diese Weise versucht sie, eine möglichst weitgehende Rationalität des grundrechtlichen Begründens zu sichern. 3. Rationale Schrankenziehung

Gegen die These, daß die Prinzipientheorie eine rationale Schrankenziehung ermögliche, kann vorgebracht werden, daß die Abwägung kein rationales Verfahren sei. Es kann behauptet werden, daß die Prinzipientheorie zu einem Abwägungsintuitionismus führe, 38 der wegen der ihm innewohnenden Bindungslosigkeit schlimmer sei als das, was hier als „Grundrechtsintuitionismus" bezeichnet wurde. Letzterer sei wenigstens auf Festsetzungen der Verfassung bezogen. Diesem Einwand sind zwei Argumente entgegenzuhalten. Das erste sagt, daß die Schrankenziehung nach der hier vertretenen Theorie keinesfalls ausschließlich Sache der Abwägung ist. Dies wäre nur im reinen Prinzipienmodell der Fall. Das hier vertretene Regel/Prinzipien-Modell fordert neben der Abwägung die Bindung an autoritative Festsetzungen, insbesondere an den Verfassungstext. Daneben verlangt es die Beachtung der verfassungsgerichtlichen Präjudizien. Zudem läßt es Raum für die Fixierung der grundrechtlichen Argumentation durch dogmatische Theorien. Es beharrt lediglich darauf, daß dort, wo derartige Bindungen zweifelhaft werden oder nichts austragen, die Abwägung zu beginnen hat. Das zweite Argument macht geltend, daß die Abwägung ein rationales Verfahren ist. Dabei wird eingeräumt, daß sie keine Prozedur darstellt, die mit Gewißheit in jedem Fall zu genau einem Ergebnis führt. Dies w i r d letzthin durch die Unmöglichkeit einer kalkulationsfähigen Metrisierung der Gewichte und der Verwirklichungsintensitäten der Prinzipien ausgeschlossen. 39 Dennoch ist das Abwägungsgesetz nicht wertlos. Es sagt, was in Abwägungen von Bedeutung ist, nämlich der Grad oder die Intensität der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips auf der einen und der Wichtigkeitsgrad der Erfüllung des anderen Prinzips auf der anderen Seite. Damit legt es fest, was zu begründen ist, um das Ergebnis der Abwägung zu rechtfertigen, nämlich Sätze über den Grad der Beeinträchtigung 37 38 39

BVerfGE 30, 173 (193); 67, 213 (228). Vgl. hierzu J. Rawls , A Theory of Justice, Cambridge Mass. 1971, S. 34ff. Alexy, Theorie der Grundrechte (FN 9), S. 138ff.

Grundrechtsnorm und Grundrecht

115

und der Wichtigkeit der Erfüllung von Prinzipien. Die zur Begründung derartiger Sätze anführbaren Argumente haben keinen abwägungsspezifischen Charakter mehr. Es kommt jedes auch sonst in der juristischen Argumentation mögliche Argument in Frage. Das aus dem Prinzipiencharakter folgende Abwägungsgesetz erweist sich damit als eine rationale Strukturierung der juristischen Argumentation.

10 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 117 - 126 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

RECENT CRITIQUES OF THE DIFFERENCE PRINCIPLE By Martin D. Farrell, Buenos Aires Rawls' Difference Principle (DP) has been criticized by many philosophers with dissimilar arguments. I w i l l analyse in this paper two of the most recent criticisms, trying to show that none of them reach their goal. I. The first criticism of the DP proceeds from Rex Martin. 1 More than a criticism, however, it seems to be a reformulation of the DP. Supposing there is equality of opportunities, Martin proposes a resulting distribution of economic primary goods efficient in the Paretian sense and - at the same time - w i t h a minimized inequality between the better off and the least advantaged (p. 97). Pareto's principle is taken i n its weak sense: a distribution of social primary goods can be considered Pareto efficient in relation to a set of distributions if and only if there does not exist another distribution in this set that would make some (at least one) other representative person worse off (pp. 91/92). One person could stay in the same position, making all the others improve, and this situation would satisfy Pareto's principle. There is no demand about a particular degree of equality but, apparently, Pareto's principle has lexicographical priority over the required degree of equality (p. 93). According to Martin his formulation has two advantages : a) his criterion of distribution is not dependent on the maximin argument, i.e., it does away with any need to rely on the maximin principle as the main support for the DP (p. 103), and b) in Martin's criterion equality operates explicitly (p. 105). I do not believe that Martin's version improves the Rawlsian version of the DP. Let us see the following table (being A, Β and C persons in a given situation) : It is impossible to move w i t h Paretian efficiency from r o w l to row 2, because A is worse off in row 2. However it seems rational in the original position to choose 2 instead of 1. The mistake consists in Martin's belief that Pareto's optimality principle is an adequate foundation for a criterion of 1

10*

Rex Martin, Rawls and Rights, University Press of Kansas 1985.

Martin D. Farceli

118

Table 1 Row 1

Row 2

140

94

Β

70

91

C

55

91

A

justice. It is easy to show examples of the optimality principle which would result intuitively unjust. Let us see the following table: Table 2 Initial Situation A

1000

Β

10

C

5

Let us suppose that without increasing or diminishing general utility - i. e. maintaining a totality of 1015 units - we want to modify the Initial Situation and move to Table 3 Subsequent Situation A

500

Β

260

C

255

Intuitively - and of course also according to DP - the Subsequent Situation is better than the Initial Situation (provided you value equality). It would be better also for a partisan of average utility; for a classic utilitarian, however, it would be an indifferent situation. But the move from the first situation to the second obviously does not respect Pareto's principle, because A is worse off in the Subsequent Situation. Should i t detain us i n our purpose to move from one situation to the other? If the answer is negative, as I believe it would be, this shows that the optimality principle is not a firm guide in situations of justice. The argument that a certain change does not respect Pareto's principle is not enough to show that the change is unjust.

Recent Critiques of the Difference Principle

119

But what would happen if Paretian efficiency is supplemented w i t h the requirement of equality? If both principles must take us from row 1 to row 2 (in Table 1), equality ought to be more important than Pareto's principle and - precisely - in Martin's theory the opposite is true: Supplementing Pareto's principle w i t h the requirement of equality perhaps we could move not from row 1 to row 2 but to Table 4 Row 1 Twice A

130

Β

70

C

65

And, however, it would still be more just to opt for row 2 (If efficiency is measured in terms of money units which are produced, row 2 w i t h 276 units is more efficient than 1, w i t h only 265 units. As yet, being 2 more efficient than 1, Pareto's principle forbids the move from 1 to 2 because, as we have seen, A would suffer a damage. The DP, instead, compels to adopt in this case the most efficient situation, for the advantages of C). Martin, I believe, misunderstands Rawls' purpose. The DP intends to benefit the worst off, but precisely on the base of inequalities. Let us see again row 2, confronting it now w i t h a new row 3 : Table 5 Row 2

Row 3

A

94

90

Β

91

90

C

91

90

Row 3 presents a more equal distribution than row 2, but the DP tells us and, I believe, reasonably - that 2 is better than 3. There are cases in which a combination of Pareto's principle w i t h the demands of equality leads us to elections other than those proposed by the DP, but these last ones are still the better. Let us see one of Martin's graphics: Pareto's principle and the demands of equality would choose distribution b), whilst the DP - concerned w i t h x 3 's situation - would choose, correctly, I believe, distribution a).

Martin D. Farrell

120

*2 A *3

b2 a2 a

"I

3

b3

1 1

bi

ai

Figure 1

Martin, in my opinion, does not improve the Rawlsian formulation. The DP shows a special concern for the least advantaged, which is difficult to exhibit without an appeal to the maximin rule. This rule suppressed, the main role of the DP is lost. Especially if the maximin rule is replaced by a mixture of two arguments that - separately - can not take account of that concern: Pareto's principle (which perhaps cannot be the foundation for any principle of justice) and the principle of equality (which cannot be the main foundation of a Rawlsian criterion of justice). Moreover, Martin's mixture of Pareto and equality seems to lead to a well-known principle, which Rawls rejects from the beginning: the principle of average utility. Being that so, with his reformulation of the DP Martin is replacing it w i t h one of its worst foes. Finally, the mixture of Pareto's principle and the demand for equality brings the difficulties which Weale points out: Pareto's principle is not a complete one, because there are often cases in which no pair of distribution produces a greater level of welfare for all than the other. The principle of equality, by contrast, can be used to evaluate all possible distributions, and this feature is carried over into the rule that requires that we prefer equality except when there is a Pareto-superior alternative. Unfortunately, says Weale, this property of completeness is obtained at the price of inconsistency. By applying the rule to a set of three alternatives we may find ourselves going round in a vicious circle of choices. Weale brings out an example: in alternative A everyone might be better off than they would be in alternative B; welfare might be more easily distributed in alternative Β than in C; but it does not follow from the conjunction of these propositions that A is to be preferred to C. For the distribution of benefits in C might be more equal

Recent Critiques of the Difference Principle

121

than in A, and it might also be the case that not everyone is better off in A than in C, and so we ought to prefer C to A. The application of the rule, therefore, w i l l lead to a situation in which A is preferred to Β, Β to C, and C to A. Weale's parallel is this: everyone may be richer in the USA than i n Yugoslavia; and Yugoslavia may have a more equal income distribution than Britain; but it does not thereby follow that everyone in the USA is richer than their counterpart in Britain, nor does it follow that income is more equally distributed in the USA than in Britain. The upshot of this inconsistency, concludes Weale, is that no satisfactory combination of the equality and Pareto principles can be attained simply by placing the burden of proof on the proposer of inequality and assuming that the burden is discharged when the proposed inequality leads to an all-round improvement in everyone's level of wellbeing. 2 Π. The second criticism, in fact, offers an alternative principle of social choice. The offer is made by David Gauthier and i t is theoretically attractive, although there are difficulties as to its practical applications. Let us imagine, first of all, some individuals in an initial bargaining position, which fixes a base point from which bargaining proceeds. According to Gauthier the utility it affords people represents what they bring to the bargaining table, and it is not part of what they seek to gain at the table from the bargain. In agreeing to a joint strategy the bargainers are concerned with the distribution of only the utility that each may receive over and above what he obtains in the initial bargaining position. 3 Thus, Gauthier proposes to identify the initial bargaining position w i t h the non-cooperative outcome (p. 132). Each person's claim is limited by the overall cooperative surplus, and more specifically by the portion of the surplus that i t is possible for him to receive (pp. 133/134). On that basis, Gauthier proposes the following principle: Given a range of outcomes, each of which requires concessions by some or all persons if it is to be selected, then an outcome may be selected only if the greatest or maximum relative concession it requires is as small as possible, or a minimum, that is, is no greater than the maximum relative concession required by every other outcome. Gauthier calls this principle the minimax relative concession (p. 137). To see more clearly Gauthier's idea, we must inquire about his distinction between absolute and relative concessions. The absolute magnitude of a con2

Albert Weale, Political Theory and Social Policy, New York, St. Martin's Press 1983, p. 84. 3 David Gauthier, Morals by Agreement, Oxford, Clarendon Press 1986, p. 130.

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Martin D. F a r e l

cession is the difference between the utility of the person's claim and the utility of the concession. The relative magnitude of a concession is the proportion its absolute magnitude bears to the difference between the utility of the person's claim and his utility in the initial bargaining position (p. 142). Because - at least partially - the relative magnitude of a concession depends on the original claim, if the claim is arbitrary the magnitude of the concession also becomes arbitrary (p. 148). So, we need to suppose the rational claim : Each person must claim the cooperative surplus that affords him maximum utility, except that no person may claim a cooperative surplus if he would not be a participant in the interaction required to provide it (p. 143). Gauthier believes that the bargainers would have no reason to respect the rational claim (p. 149), but there is one to respect at least the first part of it: each person improves his bargaining position if he maximizes his original claim. Obviously the strategy of Gauthier is different from Rawls' strategy. Rawls requires that the persons bargain from a position of equality. Gauthier believes that one's natural capacities determine what one gets, given one's circumstances, in a condition of solitude. One's natural capacities are what one brings to society, so, why should they not determine, or contribute to determining, what one gets in society?, asks Gauthier (p. 220). He disagrees w i t h Rawls because he believes that human individuality cannot be separated from natural contingencies (p. 237). I propose not to discuss yet whether Gauthier's assumption is fairer than Rawls and to search - instead - the outcomes of his principle. The initial position of bargain is important for the calculus of the relative concession of each one of the bargainers. Thus we can expect beforehand that Gauthier's principle w i l l produce a worse outcome for the least advantaged than the DP. However this consequence alone would not be a strong reason to reject the principle. Perhaps the wealthy people and the intelligent ones must obtain a greater benefit then the poor and the fool; otherwise the former would refuse to bargain, as Nozick thinks. But this is not the main problem. From Gauthier's examples it is clear that all the persons involved in the bargain would benefit applying the DP. To show this let us see the story of Adelaide and Ernest. Both have the opportunity to co-operate in a mutually profitable way if they can first agree on how to share their gains. Adelaide would receive a net benefit of $ 500 from their joint venture, provided she receives all of the gains after Ernest's costs are fully covered. Ernest, however, would receive only $ 50 if all the gains go to him after Adelaide's costs are covered. Each of them claims as much as affords the other only marginal inducement to co-operate, so that Adelaide's claim approaches $ 500 and Ernest's $ 50. The agreement is possible, according to Gauthier, if each makes a relative concession of nearly 0,3, yielding an outcome affording Adelaide $ 353 and Ernest $ 35. Any other outcome would

Recent Critiques of the Difference Principle

123

require that one of them would make a bigger relative concession (pp. 137/ 138). This is shown in Figure 2 :

Ernest 50

Claim point (500, 50)

I Outcome of bargaining I(353j35)

Initial bargaining position

Adelaide 500

Figure 2

But the theoretical enticement of the principle disappears in its practical application. The principle seemed to be a realistic solution to the problem of the bargaining strategy, a solution which accepted the inequality between persons. From this assumption the principle looked for the smallest possible sacrifice of all the bargainers, leaving aside the Rawlsian "bias" to favour the least advantaged. But, what do we obtain from Gauthier's principle? First of all it is interesting to analyse the example itself. According to Gauthier, Adelaide receives a benefit of $ 500 if she receives all of the gains after Ernest's costs are covered, and Ernest receives a benefit of $ 50 if he receives all the gains after Adelaide's costs are covered. In this case Adelaide's costs must be $ 500 and Ernest's costs must be $ 50. With a profit of $ 550, Adelaide could receive $ 500, w i t h Ernest's costs fully covered, and Ernest could receive $ 50, w i t h Adelaide's costs fully covered. But if the cost is equivalent to the investment, in that case there is no profit ! Both persons have invested - jointly - $ 550, and the "profit" is - exactly - $ 550. Thus something goes wrong in the example. But for the sake of the argument let us accept that my interpretation is not a good one, because Gauthier says that Adelaide would receive a net benefit of $ 500. It is reasonable now to choose Gauthier's principle? Firstly, Figure 2 does not seem to be a correct representation of the bargain, because it represents Ernest's and Adelaide's utilities in different scales: in the graphic Ernest (with his $50) receives the same utility as Adelaide (with her $ 500). A n adequate graphic is shown in Figure 3 :

124

Martin D. Farrell Ernest

Claim point (50, 500 )

50 Initial bargaining position

j Outcome of bargaining ( 353j 35) J

500

Adelaide

Figure 3

But this is a marginal point and does not alter the economic result. According to Gauthier there are - in fact - $ 500 to distribute, because Adelaide could receive that quantity of money covering Ernest's costs, i.e., w i t h no losses on Ernest's part. However, after applying Gauthier's principle, Adelaide obtains $ 353 and Ernest $ 35, i. e., a totality of $ 388. And what about the others $ 112, which could have been disposed by the bargainers? We must not forget that, according to Gauthier, the quantity of money is fixed; it may be distributed in any way among the co-operators, and its quantity is not affected (p. 152). Let us see this result from the point of view of the principle of utility. The result is a bad one: from a utility of, say, 500, we step down to a utility of 388. Let us see this result from the point of view of Pareto's optimality principle. The result is a bad one : both Adelaide and Ernest could do better. And in many ways (e.g., they could distribute evenly the other $ 112, and both could finish the bargain better: Adelaide w i t h $ 409 and Ernest w i t h $ 91). The outcome is also a bad one from the point of view of the DP, as this last distribution shows clearly: Ernest could be better off. Gauthier himself sees this problem when he says that if each person receives the maximum equal relative benefit, then not all the co-operative surplus w i l l be distributed among the co-operators. He suggests that, in such a case, it would seem reasonable to maximize minimum relative benefit, all of which would lead to replace the minimax relative concession for the principle of maximin relative benefit (p. 155). This principle says that the least relative benefit, measured as a proportion of one's stake, must be as great as possible (p. 14). Is this a solution of the problem of Adelaide and Ernest? Obviously not. Gauthier says that this last principle is the equivalent of the principle of minimax relative concession, and if it is equivalent it cannot bring forth a different outcome. Why is Gauthier's principle more attractive in theory than in practice? The core of the problem lies, in my view, in the problem of relative conces-

Recent Critiques of the Difference Principle

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sion. Let us see the point again. The absolute magnitude of a concession is the difference between what I claim and what I obtain: if I claim 100 and obtain 50, the absolute magnitude is = (100 - 50). A complete concession is the difference between what I claim and what I had at the beginning of the bargain; if I claim 100 and I began w i t h 10, the complete concession is = (100-10). And the relative magnitude of a concession is the proportion between its absolute magnitude and the magnitude of the complete concession. (100 - 50) In the above example is = = 5/9, i.e., 0,5555. (100-10) If the initial situation of Adelaide and Ernest is equal to zero, then the absolute magnitude of Ernest's concession, according to the final outcome of Gauthier's example, is = (50 - 35), his complete concession is = (50 - 0), and (50 - 35) the relative magnitude of his concession is = = 15/50, i.e., 0,3. (50-0) For the same example, in Adelaide's case, we have the absolute magnitude of her concession = (500 - 353), her complete concession = (500 - 0), and the (500 - 353) relative magnitude of her concession = = 147/500, i.e., 0,294. 6 (500 - 0) Thus Gauthier's concern seems to have been to assign the same measure to the relative concessions of both bargainers. So he says that if there is an optimal outcome requiring equal relative concessions from each person, then the principle of minimax relative concession selects that outcome. Thus if there is an optimal outcome requiring equal relative concessions from each person, every other outcome requires a concession greater than the minimax (p. 140). But, what is the meaning of "optimal outcome"? Apparently, the meaning is equivalent to "an outcome which requires equal relative concession from each person". There is no independent criterion to evaluate the optimality of an outcome. Therefore, it is analytical to say that the minimax produces the optimal outcome. But if we employ an independent criterion of optimality, the allure of the minimax principle disappears. Let us suppose a different outcome, i.e., an outcome in which Adelaide concludes w i t h $451 and Ernest w i t h $49. The absolute magnitude of Adelaide's concession is = (500 - 451), her complete concession is (500 - 0), and the relative magnitude of her concession (500 - 451) is = = 49/500, i.e., 0,098. (500 - 0) The absolute magnitude of Ernest's concession is = (50 - 49), his complete concession is = (50 - 0), and the relative magnitude of his concession (50 - 49) is = = 1/50, i.e., 0,02. (50-0)

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Martin D. F a r e l

From the minimax point of view somebody could contend that Adelaide has been damaged, because the relative magnitude of her concession is almost five times larger than Ernest's. But Adelaide would happily accept the "damage", remembering that she has now $98 more than the money given to her by Gauthier's principle. The interesting point here is to note how equality enters in Gauthier's theory (even tough Gauthier himself says - in p. 270 - that equality is not a fundamental concern of this theory). A t the beginning of the bargain, unlike Rawls' theory, equality is absent in Gauthier's tenet. Every bargainer owns his natural capacities, and can take advantage of that. Rawls would require persons to bargain from a position of equality, w i t h equal initial rights to goods and equal rights to personal capacities. But Gauthier believes that one's natural capacities determine what one gets, given one's circumstances, in a condition of solitude. One's natural capacities are what one brings to society, to market and co-operative interaction. Why should they not determine, or contribute to determining, what one gets in society?, asks Gauthier (p. 220) as we have seen. The bargainers must respect only the Lockean proviso, i. e., the condition "enough and as good left in common for others". 4 But Gauthier interprets the Lockean proviso i n a very narrow way: the initial acquisition must not take advantage of any other person (p. 201). And "to take advantage" means just not worsening the situation of others except when this is necessary to avoid worsening one's own position (p. 203, emphasis added). This interpretation is even more restricted than Nozick's account of Locke's proviso. But, surprisingly, a bargainer can not make greater concessions than the other bargainers, even though they were poorer. Adelaide must make a concession of equal relative magnitude to Ernest's concession. During the bargain Gauthier equalizes more than Rawls. However, equality enters i n Gauthier's theory in the wrong place. The better off can bargain w i t h the worse off, but why those cannot make bigger concessions? Because they would refuse to bargain, as Nozick suggests? Of course not, because Adelaide obtains a greater benefit if she makes a greater concession. The theoretical attraction of the minimax is diluted in its practical examples. And, as a result, just a brief remark: replacing the DP is not an easy task.

4

John Locke , Two Treatises on Government, London, Collier MacMillan 1947, p. 134.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 127 - 142 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

30 THESEN U N D E I N VERSUCH ÜBER NATURRECHT UND/ODER VERNUNFTRECHT Von Fernando Inciarte, Münster

I. 1. Die Theorie der Menschenrechte ist aus der spätmittelalterlichen Naturrechtskonzeption erwachsen. 2. Diese Konzeption ist ebenso wie ihre Nachfolgerin in Gestalt des neuzeitlichen Naturrechts eher Vernunft- als naturrechtlich zu nennen. 3. Demgegenüber ist die hochmittelalterliche Konzeption - etwa eines Thomas von Aquin - eher natur- als vernunftrechtlich. 4. Die zwei Konzeptionen werden in der spanischen Spätscholastik jeweils (mit Modifizierungen) von Vitoria und Soto für das Naturrecht und von Molina und Suarez für das Vernunftrecht vertreten. 5. Was Amerika angeht, dürfte sich die echt naturrechtliche gegenüber der vernunftrechtlichen Konzeption (in der Sache, wenn auch nicht historisch) als fortschrittlicher, jedenfalls als segensreicher erwiesen haben (vgl. unten 27 - 29). 6. Unter Vernunft ist dabei - von Aristoteles, aber auch schon von Plato her - die Freiheit des So-oder-auch-anders-entscheiden-könnens zu verstehen: ratio ad opposita. 7. Unter Natur dagegen die Notwendigkeit des Immer-schon-entschiedenseins, nämlich für sein eigenes Glück (wie schon bei Plato): natura ad unum. 8. So basiert das Naturrecht auf eindeutig gerichteten Tendenzen in der Natur des Menschen als Vernunftwesen, als Lebewesen oder als Körperwesen. 9. Die recta ratio hat sich dabei nach diesen Tendenzen auszurichten. 10. Diese Konzeption wurde im Spätmittelalter grundlegend verändert. Damit war der Weg frei für die Theorie der Menschenrechte. 11. Die Natur erschien auf einmal nicht mehr als Wegweiser für die Vernunft, sondern als ebenso indeterminiert (ad opposita) wie die ratio.

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Fernando Inciarte

12. Von diesem Augenblick an ist das Unterscheidungskriterium nicht mehr „ad unum/ad opposita", sondern „Selbstbestimmung/Fremdbestimmung". 13. Dies ist so zu verstehen : Die Natur kann ihre eigene Unbestimmtheit (ad opposita) nicht aus eigener Kraft überwinden, die Vernunft doch. Diese bestimmt sich selbst zu dem einen der Entgegengesetzten, jene nicht, sondern muß von außen her bestimmt werden. 14. Eine solche Kant vorwegnehmende Unterscheidung von Natur als Fremdbestimmung und Vernunft als Selbstbestimmung ist bereits bei Duns Scotus voll ausgebildet - bis dahin, daß als eigentliche Vernunft jetzt der Wille erscheint. 15. Dieser Umsturz gegenüber der aristotelischen Position läuft parallel zu bzw. konvergiert mit einem anderen Umsturz, diesmal juristischer Natur: ebenfalls im Spätmittelalter werden die Begriffe ius (Recht) und dominium (Herrschaft bzw. Eigentum) mit einem Mal synonym gebraucht. 16. Zum Teil in aristotelischen, zum Teil wieder in modernen Kategorien ausgedrückt, bedeutet dies : das Recht wurde bis dahin vorwiegend als zur Kategorie der Relation, späterhin als zur Kategorie des Habitus gehörig verstanden. („Habitus" sowohl allgemein im Sinne einer qualitativen Eigenschaft verstanden wie speziell im Sinne der Habe. „Relation" ist dagegen im strengen Gegensatz zur Eigenschaft aufzufassen, d. h. also durchaus im Sinne der modernen Relationenlogik als n-stelliges Prädikat (n > 1) oder als Funktion mit mehr als einer Argumentstelle, wobei als Argumente Individuen fungieren, aber auch - wie bei der justitia legalis und der justitia distributiva - das Gemeinwesen.) 17. In diesem Sinne wurde das Recht als Gegenstand der Gerechtigkeit (obiectum justitiae) verstanden und die Gerechtigkeit allgemein als die menschliche Tugend insgesamt betrachtet unter dem Gesichtspunkt eben der Verhältnisse eines Individuums zu einem anderen oder zu anderen (so wie dieses zum Gemeinwesen und umgekehrt). 18. Diese Konzeption der iustitia (legalis) stammt von Aristoteles (Ethica Nicomachea, V, 1134 b 18) und wurde vom römischen Recht eher bestätigt als aufgehoben. (Nach ihr kann man zwischen Rechten und Pflichten kaum unterscheiden. So konnten iura (ausdrücklich bei Gaius Nachweise bei R. Tuck , Natural Rights Theories, Cambridge 1979, S. 9) beispielsweise als Servitutes bezeichnet werden - von dem heutigen Sprachgebrauch über Menschenrechte her kaum nachvollziehbar.) 19. Die Aristotelische iustitia legalis stand aber nicht im Gegensatz zum Aristotelischen Naturrecht, vielmehr bildete dieses (physikon dikaion)

30 Thesen und ein Versuch über Naturrecht und/oder Vernunftrecht

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den (unveränderlichen!) Kern von jenem (nomikon dikaion) (vgl. Eth. Nie., V, 10). (Das von Natur aus Rechte ist zwar, wie alles Menschliche, veränderlich; aber diese Veränderlichkeit bedeutet nur, daß sie permanent der Pervertierung oder wenigstens Deteriorierung ausgesetzt ist. So ist m.E. nach ihrem Kontext die Aussage des Aristoteles zu deuten, wonach positives und Naturrecht beide veränderlich seien: 1134b 29f. Im übrigen können selbstverständlich auch bloße Rechtssetzungen zwar schlechter werden, allerdings werden sie es nicht schon deshalb, weil sie geändert werden. Mit Blick auf noch Auszuführendes (vgl. unten 29) ist hier schon zu bemerken: sofern die Menschenrechte heutzutage als unveräußerlich betrachtet werden, ist ein Stück der klassischen Naturrechts- gegen die Vernunftrechtskonzeption darin wieder lebendig geworden.) 20. Wird das Recht nicht länger verstanden als obiectum (der relational verstandenen) iustitia (legalis), d.h. als dasjenige, was die Beziehungen zwischen den Individuen (in dem Gemeinwesen) regelt, sondern nunmehr als Eigenschaft eines Subjekts, und w i r d diese Eigenschaft speziell nach der Kategorie des Habitus als Habe oder Eigentum, worüber man frei verfügen kann, verstanden (und gerade das steckte hinter der innovativen Gleichsetzung von ius und dominium im Spätmittelalter), dann war die Konsequenz die, daß etwa Kinder keine Rechte haben. (Um solche Konsequenzen zu vermeiden, hielten auch nach dem Umsturz manche noch immer fest an der alten Konzeption, vgl. die Summa silvestrina von 1515: „Secundum alios vero [dominium] non est idem quod ius, quia inferior in superiorem non habet dominium, et tarnen habet ius, puta, filius in patrem ius alimentorum..." (zit. nach Tuck , S. 5). Dies galt namentlich für die Humanisten und (z. T. aus anderen Gründen) für die Thomisten.) 21. Was nun speziell „Latein-Amerika" angeht, so waren Vitoria und Soto einerseits (s. unten 23.) Vertreter des Renaissance-Humanismus. Als solche lehnten sie die unantike Gleichsetzung von ius und dominium ab. Auch Kinder können so Rechte haben, auch wenn sie keine Selbstherrschaft ausüben können; sie können nämlich objektive oder (was sich damit allerdings nicht ganz deckt) passive Rechte haben (denen Pflichten anderer entsprechen). 22. Ebenfalls als Humanisten lehnten Vitoria/Soto außerdem die spätmittelalterliche Theorie der Vernunft- oder Eigentums- oder Herrschaftsrechte ab, die dem individuellen Menschen schon vor Eintritt in die Gesellschaft (durch Vertrag) im Naturzustand eignen sollten. Für sie wie für die Humanisten erwuchsen den Menschen sämtliche Rechte erst aus ihrem gegenseitigen Verkehr im Prozeß der Zivilisation, gleichsam aus der Rhetorik.

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23. Anders vielleicht als für Vitorias Kontrahenten, den reinen Humanisten Sepùlveda, der einen scharfen imperialen Kurs vor Karl V..vertrat, vertraten sie (Vitoria/Soto) auf jeden Fall nicht die Auffassung, daß die angeblich im Naturzustand lebenden Indianer rechtlos seien. Denn außer Humanisten waren sie andererseits (s. oben 21.) wiederum auch Thomisten. 24. Wenngleich die Thomisten sich mit den Humanisten einig wußten in der Ablehnung der Theorie der Naturrechte als Eigentums- und Herrschaftsrechte, so unterschieden sie sich von ihnen darin, daß sie keinen vorgesellschaftlichen Naturzustand annahmen, in dem der Mensch (sprich : der Indio) rechtlos gewesen sei - mochte dieser in ihren Augen noch so kindlich auftreten, was sie für Franziskaner wie Motolinia (vgl. Referat Frost) sogar als von Natur aus bessere Christen als die Europäer erscheinen ließ. 25. So war das eigentliche, nämlich das klassische (aristotelisch-stoische) Naturrecht ein wesentlicher Antrieb für die rechtliche Einbeziehung der Urbevölkerung in das Imperium, mag man sich bei dieser Einbeziehung auch mehr um die Wohlfahrt (natürliche Bedürfnisse) als um die individuelle Freiheit der Indianer gekümmert haben. (Vgl. das Referat Bravo Lira. Gegenüber dieser mit der Tradition des klassischen Naturrechts übereinstimmenden Gewichtung vertrat M. Kriele in seinem Eröffnungsreferat „Freiheit und Entwicklung" allgemein (aber auch mit ausdrücklichem Bezug auf Latein-Amerika) eher die These des Primats der politischen gegenüber den sozialökonomischen und kulturellen Freiheitsrechten.) 26. Was die andere Linie der Spätscholastik angeht, so muß man bedenken, daß Molina und Suârez, die für die neuzeitliche Konzeption der Naturrechte bestimmend blieben, hinter den Humanismus zurück an die spätmittelalterliche Gleichsetzung von ius und dominium anknüpften. 27. Sie taten es außerdem in einer Weise, die den illiberalen Tendenzen dieser auf individueller Freiheit basierenden Konzeption Tür und Tor öffnete. Auch die Freiheit nämlich wurde dabei als ein dominium aufgefaßt, auf das man wie auf jedes Eigentum verzichten könne. 28. Damit wurde die Übertragung der eigenen Rechte als alienatio statt (wie etwa bei Ockham und Marsilius de Padua) als delegatio aufgefaßt und so als möglicherweise endgültige Veräußerung (vgl. darüber im ganzen Q. Skinner , The Foundations of modern political thought, Vol. 1.2, Cambridge 1978). 29. Durch diese Zuspitzung konnten innerhalb des neuzeitlichen Naturrechts als reinem Vernunftrecht nicht nur der Absolutismus, sondern

30 Thesen und ein Versuch über Naturrecht und/oder Vernunftrecht

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auch die Sklaverei philosophisch gerechtfertigt werden - gewiß nicht nur in Hispanisch-Amerika. 30. Rousseau und Kant brachten die unter diesen Umständen allfälligen Korrekturen an diesem Vernunftrecht an. Rousseau dadurch, daß er mit der alienatio (trotz aliénation totale durch Verwandlung des Willens) Schluß machte; Kant wiederum dadurch, daß er die Freiheit im Naturzustand nicht für unbeschränkt hielt, woraus sich die Frage nach dem Woher dieser schon ursprünglich rechtmäßigen Einschränkung ergab. Von einem rein philosophischen Standpunkt aus ergibt sich aus all dem u. a. die Frage nach dem Anteil von Vernunft und von Natur am Kriterium von Moralität und Gerechtigkeit. Darüber abschließend ein zusammenhängender Versuch. Gerechtigkeit w i r d dabei im Sinne der aristotelischen iustitia legalis als das Gesamt der Tugend verstanden. Deshalb stehen im Vordergrund die anthropologischen Grundlagen der Gerechtigkeit. Das darf jedoch nicht dazu verleiten, Gerechtigkeit lediglich als Eigenschaft eines Subjekts und entsprechend Recht nur als subjektives Recht zu verstehen. Denn die aristotelische iustitia legalis deckt sich zwar extensional mit der Tugend überhaupt, ihr ist aber nach wie vor der Gesichtspunkt der Beziehung zu anderen eigen und damit auch der Sinn von objektivem Recht.

II. Daß man von Naturrecht spricht, besagt nicht viel und entscheidet bezüglich Vernunft oder Natur nichts. Gemeint sein könnte dabei nämlich die menschliche Natur; die menschliche Natur ist aber gerade durch Vernünftigkeit ausgezeichnet. Außerdem spricht man in bezug auf das neuzeitliche Naturrecht von Vernunftnaturrecht, was die Zweideutigkeit nur noch steigert. Die Frage Vernunft und/oder Natur ist verbunden mit der Frage nach dem praktischen Charakter der Vernunft: ist die Vernunft selbst praktisch, ist sie es erst durch die - zunächst vernunftlose - Natur, ist sie überhaupt nicht praktisch? Die Verbindung zwischen beiden Fragen ergibt sich daraus, daß die Antriebsseite des Menschen, die möglicherweise erst für den praktischen Charakter der Vernunft, für deren Wirksamkeit, verantwortlich ist, als seine, des Menschen, Natur angesehen wird. Danach unterscheidet man beim Menschen eine kognitive von einer konativen Seite. Der ersten entspricht die Vernunft, der letzten die Natur. Die Natur in diesem Sinne von konativer oder Antriebsseite des Menschen kann als dreifach angesehen werden. Eine solche Einteilung geht nur zum Teil auf die klassische Anthropologie zurück. Die klassische Anthropologie kannte auch eine Dreiteilung. Doch als erster Teil der menschlichen Seele 11 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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wurde dabei die Vernunft selbst angesehen, die ohne jeden Naturcharakter vorerst alleiniger Maßstab war. Als zwei weitere Teile wurden einmal der Teil unterschieden, der keinerlei Beziehung zu dem Maßstab der Vernunft hat: das sogenannte Vegetative, Verdauung usw.; und zum anderen der Teil, der, ohne selber Vernunft zu sein, dennoch sehr wohl eine Beziehung zur Vernunft hat. Diese Beziehung war doppelter Art. Sie bestand darin, daß dieser mittlere, zwischen Vernunft und Vegetativem angesiedelte Seelenteil sich der Leitung der Vernunft sowohl unter- wie entziehen kann. Im übrigen wurde eben dieser Teil wieder zweigeteilt in einen begehrlichen und einen affektiven Unterteil: Begierde und Zornmut (resp. appetitus concupiscibilis et irascibilis). Da hinein gehörten die sogenannten Leidenschaften, die passiones. Wichtig bei all dem war die soeben erwähnte Zweideutigkeit des mittleren Hauptteils, seine Fähigkeit, sich der Vernunft zu unterwerfen oder nicht. Ein bekanntes (und wichtiges) Axiom lautete: natura ad unum, ratio ad opposita, die Natur ist eindeutig, die Vernunft zweideutig. Wurde diesem Axiom nicht gleich zu Beginn zuwidergehandelt? Hat man nicht schon damals gegen es verstoßen? Wir haben ja soeben (im Grunde schon mit Aristoteles) die Zweideutigkeit nicht der Vernunft, sondern der Natur zugeschrieben, und zwar dem der Natur im Unterschied zur Vernunft als oberstem zugehörigen mittleren Teil der Seele, dem begehrlichem und zornmütigen Seelenteil. Das steht jedoch nicht im Widerspruch zu dem Axiom natura ad unum/ ratio ad opposita. Denn die Zweideutigkeit wurde zwar der natürlichantriebsmäßigen, zur Praxis oder Tat drängenden Seite des Menschen zugeschrieben. Aber sie wurde ihm nur insofern zugeschrieben, als der mittlere Begierde und Zornmut einschließende Seelenteil sich dem von der Vernunft repräsentierenden Maßstab sowohl unterwerfen wie entziehen kann, also nur insofern als er gerade eine Beziehung zur Vernunft hat. Außerhalb dieser Beziehung herrschte, wie beim Vegetativen, lauter Eindeutigkeit. Letzteres w i l l nicht nur heißen: der vegetative Seelenteil hat keinerlei Bezug zur Vernunft, sondern in eins damit auch: er hat keinerlei Bezug (wenigstens keinen direkten) zur Moralität. Ebensowenig etwa wie die Verdauung im Unterschied zum Essen. Hängt also die Moralität letztlich einzig und allein an der Vernunft? Sollte dies der Fall sein, müßte diese von sich aus praktisch, d. h. wirksam sein. Die Vernunft müßte mit anderen Worten allein bestimmen können, ob sich der mittlere Teil (die Leidenschaften) ihr unterwerfen oder nicht. Das wäre aber etwas seltsam. Es wäre vor allem seltsam, wenn die Vernunft in einigen Fällen bestimmen sollte, daß sich ihr die Natur (durch den mittleren Teil der Seele) nicht unterwürfe; seltsam also, wenn sie manchmal gewissermaßen gegen sich selbst entscheiden sollte. Die Vernunft könnte m.a.W. nur unter

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der Bedingung als unmittelbar praktisch angesehen werden, daß der Mensch immer richtig entscheidet. In diesem Fall würde die Vernunft schlechthin gut, das Gute selbst sein. Und sie würde dann den Maßstab der Moralität allein in sich enthalten. Da der Mensch jedoch nicht nur richtig entscheidet und nicht nur gut handelt, muß man zumindest anerkennen, daß die Vernunft nicht gänzlich wirksam, nicht gänzlich praktisch sein kann, daß sie zumindest zum Teil ohnmächtig ist. Für die Fälle, in denen der Mensch gegen die Vernunft entscheidet, müßte man bei der traditionellen Dreiteilung der Seele, die ich referiert habe, dem mittleren Seelenteil die Verantwortung zuschieben. Doch das führt auch zu Schwierigkeiten. Zorn und Begierde beruhen zunächst nur auf Naturanlagen. Sie sind eindeutig, was sie sind. Ihnen und so auch dem gesamten mittleren Seelenteil eignet von sich aus nicht die Zweideutigkeit, die Fähigkeit, sich für das eine oder für das andere von zwei entgegengesetzten Möglichkeiten zu entscheiden - eine Fähigkeit, die man unbedingt als Bedingung von Moralität annehmen muß. Wenn also weder der Vernunft selbst, noch dem Willen (selber ein natürlicher Seelenteil) noch erst recht dem Vegetativen die zur Moralität notwendige Zweideutigkeit (ad opposita) zukommt, wem denn sonst? In der klassischen Theorie war diese Frage nicht leicht zu beantworten. Demgegenüber lautete die Antwort, die die seitdem entwickelte, vorwiegend doch christliche Tradition darauf gab, schlicht und einfach: die zur Moralität als deren notwendige Bedingung gehörende Zweideutigkeit (ad opposita) kommt dem Willen zu. Für die klassische Theorie war der Wille noch keine selbständige Instanz. Für sie bedeutete Wille soviel wie Antrieb (Streben, appetitus, orexis), der sich der Vernunft unterwirft, also so etwas wie gemäßigte oder gebändigte, vernünftig gewordene Begierde oder Affekt. Aber die Frage war, wer diese Bändigung vornimmt. Und wenn darauf die Antwort lautete: die Vernunft, dann ergab sich wieder die Frage, wer für die Nichtbändigung verantwortlich ist. Lautete aber die Antwort auf diese weitere Frage: der Antrieb selbst, der seiner Natur freien Lauf gibt, dann war man noch keinen Schritt weitergekommen. Denn die Natur ist von sich aus eindeutig. Der Antrieb selbst kann sich keinerlei Zurückhaltung auferlegen - ebensowenig wie die Vernunft gegen sich selbst vorgehen kann. Was ist dann die Instanz, die so etwas vermag? Wer kann gegen sich selbst, gleichsam entgegen seinen eigenen Interessen vorgehen? Das tut wohl der Mensch. Aber was heißt hier „der Mensch"? Es gibt zwei Antworten auf diese Frage. Die eine ist wiederum die klassische, die andere - so könnte man mit einiger Verallgemeinerung sagen - die christliche Antwort. 11'

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Die „christliche" Auffassung gründet auf dem Vorrang des Willens. Der Wille ist danach (spätestens seit Augustinus) das einzige Vermögen, das sich selbst ganz in der Hand hat, von seiner eigenen Natur nicht restlos bestimmt ist und so sich gegen sich selbst wenden kann. Diese Auffassung setzt voraus, daß die antriebsmäßige Seite des Menschen, seine Natur, nicht auf die Sinnlichkeit (Begierde und Mut) beschränkt bleibt; daß sie sich vielmehr auf die Vernunft erstreckt; kurz, daß es auch ein vernünftiges oder vernunftmäßiges Strebevermögen gibt, das allerdings selber nicht die Vernunft selbst ist; denn sonst könnten wir wieder nicht die vernunftwidrigen Entscheidungen der Menschen erklären, dürfen diese doch nicht auf die Vernunft zurückgehen. Nach dieser nichtklassischen, „christlichen" Auffassung muß man letztlich dahin kommen, zu sagen, daß die Vernunft ein natürliches Vermögen ist, das eindeutig auf eines ausgerichtet ist (determinata ad unum), und daß die Unbestimmtheit des Menschen, seine determinatio ad opposita, die ja notwendige Voraussetzung für die Moralität ist, einzig und allein dem Willen zukommt. Sofern aber der Wille zur Antriebsseite und damit zur Natur des Menschen gehört, stehen w i r hier gewissermaßen vor einer Umkehrung der Sachlage. Die Natur - in der Gestalt des Willens - ist offen für Entgegengesetzte, und die Vernunft ist nur bestimmt auf eines. Nur wenn die Vernunft als Natur angesehen wird und der Wille als Vernunft (ratio) ist die frühere Lage (natura ad unum, ratio ad opposita) wiederhergestellt. Freilich stellt diese Sicht der Dinge selber eine (nur andere) Umkehrung gegenüber der Ausgangslage dar. Als einziges ambivalentes Vermögen, als einzige ratio, erscheint jetzt der Wille als die Fähigkeit zum Guten und zum Schlechten. Die Moralität, sofern sie eine solche Fähigkeit voraussetzt, w i r d auf diese Weise befriedigend erklärt. Die klassische Auffassung weicht von dieser „christlichen" Auffassung ab. Insbesondere braucht sie nicht die Vernunft zur Natur und den Willen zur einzigen Vernunft zu machen. Demgegenüber kommt die Fähigkeit zu Entgegengesetztem nach der klassischen Auffassung weder dem Willen allein noch der Vernunft allein zu, sondern einer Instanz, die Aristoteles Prohairesis (sich etwas fest vornehmen) nennt und die sich aus beidem, Streben und Vernunft, zusammensetzt. Von dieser Instanz sagt Aristoteles sogar, sie sei der Mensch. Ich kann jetzt nicht zeigen, wie sie nach ihm funktioniert. Stattdessen gehe ich zu der Hauptfrage nach dem Maßstab der Moralität über. Diesbezüglich möchte ich die These vertreten, daß der Maßstab sowohl in der Natur wie in der Vernunft besteht. Diese These braucht nicht mit der klassischen Auffassung über die Prohairesis als Indifferenzinstanz oder Bedingung der Möglichkeit der Moralität zusammenfallen. Doch die strukturellen Ähnlichkeiten damit sind nicht zu verkennen.

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Die Frage nach dem Maßstab der Moralität hängt mit der Frage danach, ob die Vernunft von sich aus praktisch oder wirksam ist bzw. ob sie nicht vielmehr ohnmächtig ist, eng zusammen. Diesbezüglich gibt es wiederum drei Auffasungen: 1. die Vernunft steht nur in dem Dienst der Leidenschaften. Sie ist überhaupt nicht wirksam; 2. sie ist autonom und hinreichend für die Praxis, sogar für die moralisch gute Praxis; 3. sie ist nicht hinreichend für die Praxis, nicht für sich allein praktisch. Diese dritte Auffassung weist wieder große Ähnlichkeit mit der klassischen Auffassung über die Verbindung von Vernunft und Streben als Bedingung der Möglichkeit von Moralität auf. Nur, daß dabei das Streben nicht auf die Sinnlichkeit beschränkt zu bleiben braucht. Die klare Ausweitung des Strebens auf den Vernunftbereich, wenn auch nicht auf die Vernunft selbst, ist ein ebenso klarer Fortschritt, den das Christentum oder doch dasjenige, das wir die christliche Auffassung genannt haben, gebracht hat. Auf dem Hintergrund dieser Alternativen wollen wir die Hauptthese prüfen: der Maßstab der Moral liege sowohl in der Natur wie in der Vernunft. Zunächst in der Vernunft. Die Natur für sich betrachtet ist tatsächlich nur zu einem bestimmt, eindeutig. Ihr fehlt die Zweideutigkeit, die Möglichkeit der Abweichung von einer Norm, welche ja zur Moral unentbehrlich ist. Dies gilt auch und um so mehr für den Fall, daß der letzte Maßstab am Ende der Natur zukommen sollte, was vor der Hand ohnehin sehr wahrscheinlich ist. Denn jeder Maßstab, jede Regel, jede Norm muß sich am Ende doch durch Eindeutigkeit auszeichnen. Und dafür ist das Natürliche, falls es sich ausmachen läßt, der geeignetste Kandidat. Aber gerade deshalb kann das Eindeutige als das Natürliche für sich allein genommen nicht selbst moralischen Charakter haben, was immer die Möglichkeit der Abweichung von der Norm voraussetzt und, wenn die Abweichung unterbleibt, so etwas wie Lob nach sich zieht. Hier ist der Ort, die natürlichen Tendenzen der Menschen wieder ins Spiel zu bringen. Tendenz zur Selbsterhaltung, zur Fortpflanzung, zum Wissen alle drei mit ihren eigentümlichen Verzweigungen: sexuellem Trieb, Trieb zur Aufzucht der Nachkommenschaft und zur Familie, Wahrheitsdrang usw. Alle diese Tendenzen sind im Prinzip eindeutig eingerichtet, sie sind instinkt- und triebhaft. Aber es ist unmittelbar ersichtlich, daß sie leicht miteinander in Kollision geraten. Aus diesem Grunde: auch wenn jede von ihnen an sich gut wäre (wofür ja vieles spricht), das heißt auch wenn abstrakt genommen jede natürliche Tendenz so etwas wie die Verpflichtung mit sich brächte, sie zu befriedigen - die gleichzeitige Befolgung aller oder auch nur einiger von ihnen w i r d in den wenigsten Fällen möglich sein. Eine Auswahl und die Aufstellung einer mehr oder weniger festen Rangordnung kann nicht unterbleiben. Dies ist aber eindeutig die Aufgabe der Vernunft.

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Schon allein aus diesem Grunde kann man der Vernunft nicht den Charakter eines Maßstabs aberkennen. Durch diese ihre auswählende und ordnende Leistung schafft die Vernunft die minimale Bedingung für Moralität, nämlich die Eröffnung von Alternativen. Erst im Durchgang durch die Vernunft mit ihrer eigentümlichen Zweideutigkeit (ad opposita) erlangen die natürlichen Tendenzen so ihre moralische Qualität. Und sie erlangen sie dadurch, daß sie auf einmal nicht mehr in jedem Fall eindeutig zu befolgen sind. Meist müssen einige zurückgestellt oder zumindest modifiziert, eingeschränkt werden zugunsten von anderen. Das ist sozusagen die Geburtsstunde von so etwas wie einem Sollen, einer Verpflichtung oder einem Gesetz im eigentlichen Sinne. Daß ein natürlicher Gegenstand - denken wir an einen Körper und sein Fallen ein Gesetz befolgt, bedeutet nur, daß er sich unter normalen Umständen so verhält wie er sich verhält. Nur unter unnormalen und d. h. unnatürlichen Umständen weicht er davon ab. Aber dann besteht jedenfalls für ihn in diesem Augenblick das Gesetz nicht länger. Es setzt aus. Mit einem moralischen Gesetz steht es anders. Wenn es ein echtes Gesetz ist, wenn es wirklich besteht, besteht es weiter unabhängig davon, ob es befolgt wird oder nicht. Darin liegt gerade sein Verpflichtungs- oder Sollenscharakter, sein Charakter als eigentliches Gesetz. Das Faktum der Befolgung oder Nichtbefolgung spielt dabei keine Rolle. Kurz: Naturgesetze können nicht durchbrochen werden. Sogar in ihrer Notwendigkeit sind sie eindeutig. Eigentliche Gesetze, vorab Moralgesetze, sind demgegenüber durch die Möglichkeit, gebrochen zu werden, definiert. Und diese Möglichkeit ist durch die Vernunft gegeben. Nur ein mit Vernunft begabtes Wesen kann sich dem notwendigen Lauf der Natur widersetzen und dadurch eventuell schuldhaft werden. Das deutet darauf hin, daß die Natur tatsächlich letzter Maßstab sein könnte, daß sie - falls sie halbwegs eindeutig (!) zu ermitteln wäre - letztlich das Kriterium für die Moralität enthält. Aber das bedeutet auch, daß der Maßstab zunächst in der Vernunft liegt. Sie ist es, die im bzw. für den gegebenen Fall sagt, welche Tendenzen (und evtl. auch wie) hintanzustellen seien. Zugleich bedeutet dies alles, daß die Vernunft zumindest nicht gänzlich ohnmächtig ist. Sie läßt sich nicht bloß durch die natürlichen Antriebe bestimmen. Sie ordnet sie und bestimmt sie insofern auch. Und zwar nicht nur in dem Sinne, daß sie angibt, welche Tendenzen nach Lage der Dinge praktisch sich durchsetzen werden. Dafür wäre Vernunft nicht nötig. Dazu reichte schon die Mechanik der Antriebe mit ihren Kräfteparallelogrammen. Vielmehr gibt die Vernunft auch an, welche unter den konkurrierenden Wünschen sich durchzusetzen haben. Denn nicht immer plädiert sie für den stärksten von allen, welcher sich ohnehin selber bereits zu helfen weiß. Viel-

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fach plädiert sie vielmehr oft für schwächere Wünsche und zuweilen sogar für den schwächsten, etwa wenn unmittelbare Gefahr für die Selbsterhaltung - den stärksten Trieb - gegeben ist (Suizid oder heroischer Tod). Wichtig ist dabei, daß man die entsprechende Güterabwägung im voraus nicht berechnen kann, was das Ergebnis sein wird. Das bedeutet wiederum, daß die Vernunft nicht gänzlich praktisch ist. Sonst würde sie sich immer durchsetzen, was gewiß nicht immer der Fall ist. Um sich durchzusetzen, braucht sie oft einen Verbündeten von seiten des Antriebes, sei dieser nun sinnlicher Art oder selber nach Art der Vernunft, nämlich der Wille selbst. Das alles spricht für die Richtigkeit der mittleren Position, die sich weder (wie bei Kant) ganz auf die Vernunft noch (wie bei Hume) ganz auf die Leidenschaften verläßt. Bei dem zweiten dieser Extreme spielt die Vernunft lediglich eine instrumentelle Rolle. Sie stelle sich nicht bloß in den Dienst der Leidenschaften überhaupt und entscheidet (überflüssigerweise) zwischen ihnen, als würden diese nicht schon durch ihre Kräfte- und Stärkeverhältnisse selber schon dafür sorgen. Die Vernunft stellt sich danach vielmehr in den Dienst des jeweils stärkeren Antriebs, indem sie für ihn die Mittel, die sich nicht nur in der Beseitigung konkurrierender Antriebe erschöpfen, bereitstellt, ihm den Weg bereitet. Aber wir haben bereits gesehen, inwiefern die Vernunft nicht nur diese untergeordnete Rolle der Mittelbeschaffung spielt, sondern vielfach auch allererst - dann aber eben unter moralischen Vorzeichen - bestimmt, welchem Antrieb unabhängig von seinem relativen Stärkegrad der Ausschlag gebührt, und wäre es auch der schwächste. Im Idealfall - wenn also die Einsicht nicht durch kurzfristige Leidenschaften oder langfristige Interessen getrübt ist - ist die Vernunft da unbestechlich, auch wenn die tatsächliche Durchsetzung nicht mehr in ihrer Hand stehen sollte. Es ist schon sehr viel, wenn sie, mag sie nicht über die nötigen Helfer verfügen, gleichsam den Befehl gibt. Denn was in einer rein technischen Angelegenheit ihr den Vorwurf der Unverantwortlichkeit oder des Leichtsinns eintragen würde jeder berechne, ob seine Mittel zum Turmbau reichen - kann in moralischer Hinsicht geboten sein, hier also geboten sein, zum mindesten den Befehl zu erteilen, zu dem bei der moralischen Abwägung aller relevanten Faktoren die Einsicht geführt hat - mögen die Kräfte dann nicht reichen. Das Nichtvorhandensein der antriebsmäßigen Reserven kann selber moralisch verantwortbar sein. Und in diesem Fall würde das Festhalten an der gewonnenen Einsicht durch Befehlerteilung wenigstens die Funktion der Erinnerung und Bekräftigung dieses moralischen Defizits erfüllen. Unabhängig nun von der offen gelassenen Frage der Effizienz oder Durchsetzbarkeit der moralischen Forderung, kommt nach allem, was bisher gesagt wurde, der Vernunft die Rolle des Maßstabs zu. Aber damit ist nicht das letzte Wort gesagt. Die Vernunft braucht zwar nicht immer rein

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instrumental zu sein, nur dienende Funktion zu übernehmen. Schon die Aufgabe der Güterabwägung geht, wie wir gesehen haben, über solche Funktionen hinaus. Schon da erweist sich die Vernunft, wenn auch nicht als unbedingt praktisch, als bestimmend, zumindest doch als ordnungsstiftend. Aber die Vernunft ist nicht gänzlich unbestechlich. Was sie einsieht, sieht sie gewiß ein, und was sie nicht einsieht, nicht. Aber das schließt nicht aus, daß, was sie einsieht, nicht das ist, was es da einzusehen gilt, daß ihre Einsicht eventuell nicht richtig ist. Niemand hat einen anderen Eindruck als den, den er hat. Aber es gibt Unterschiede in der Relevanz der Eindrücke. So auch mit Einsichten. In einer gegebenen Konstellation, von der man bei seiner Abwägung ausgeht, kann man zur richtigen Entscheidung kommen („das ist zu tun"). Aber es ist nicht gesagt, daß die Konstellation diejenige ist, von der dabei auszugehen ist. Relevante Faktoren können, aus welchen offenen oder verborgenen Motiven auch immer, im Prinzip jederzeit unterdrückt werden. Es stimmt nicht, daß im Unterschied zum Willen die Vernunft sich nicht gegen ihre Einsicht quer stellen könne, wenn damit gemeint ist, sie könne sich nicht gegen sich selbst und gegen ihre Sache quer stellen. Der Wille allein kann zwar gegen die Einsicht der Vernunft entscheiden, aber die Vernunft kann insofern eine „falsche Einsicht" haben, als es hier und da gerade um diese Einsicht nicht geht, als sie sich etwa mit dieser zufrieden gibt, anstatt nach einer anderen, auf die es eher ankommt, zu suchen. Offen oder versteckt kann die Vernunft auch da, wo sie bestimmend ist, sogar da, wo - indem sie dem schwächsten Antrieb zum Siege verhilft - eindeutig sich nicht von den Leidenschaften bestimmen läßt, in einer anderen Hinsicht wieder durch sachfremde Motive bestimmt sein. Gibt es aber eine Grenze, jenseits deren die Suche nach weiteren relevanten Faktoren zu unterbleiben hat? Wenn nicht, dann gäbe es letztlich keinen Maßstab, jeder wäre relativ, und zwar relativ auf bestimmte Motive, Interessen oder Antriebe, die, mehr oder weniger versteckt, vielmehr selber maßgeblich blieben. Damit ist zweierlei gesagt: erstens, daß die Vernunft nicht letzter Maßstab sein kann. Die Vernunft sieht jeweils nur, was sie sieht, auch da, wo dies nur Schein ist. Die Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit wäre eine vergebliche Aufgabe, wenn die Vernunft letzter Maßstab (der Wahrheit) wäre, d. h. wenn die Vernunft letztlich die Aufgabe hätte, selber zu bestimmen, was ist, anstatt sich vielmehr von dem bestimmen zu lassen, was wirklich ist. Die Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit muß mit anderen Worten letztlich in der Wirklichkeit und nicht in der Vernunft selbst liegen. Aber das ist nur der Fall, wenn die Vernunft fähig ist, die Wirklichkeit so aufzunehmen, wie sie ist. Und das ist wiederum nur dann möglich, wenn sie selber keine Wirklichkeit ist, nicht ein Stück Natur, nicht

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mit dem vergleichbar, was sie erkennen kann. Gerade dies ist, was sie befähigt, die Natur zu erkennen, daß sie nämlich nicht selber Natur ist. Worauf es bei all dem ankommt, ist, daß „die Sache" selbst, das, „worauf es ankommt", nicht die Vernunft sein kann. Und das gilt auch in moralischer Hinsicht. Der letzte Maßstab kann nur die Wirklichkeit, die Natur selbst sein. Sonst dreht man sich im Kreise der Reflexion oder - was auf dasselbe hinausläuft - der Horizonterweiterung, und man kommt zu keinem Ende bzw. bereits zu keinem Anfang. Es stimmt schon, daß gerade in moralischer Hinsicht andere uns besser als w i r uns selbst beurteilen können. Aber auch die anderen brauchen ebenso wie w i r da ein Kriterium. Ursprünglichkeit oder Unmittelbarkeit ist auch hier letztlich - wie bei der Erkenntnis - unerläßlich. Nur ist die in moralischer Hinsicht letztlich geforderte Unmittelbarkeit, ohne die der letzte Maßstab, und das heißt jeder Maßstab fehlt, eine solche negativer Natur. Die Grenzen, über die man die Suche der Vernunft nach moralischem Halt nicht hinaustreiben kann, sind negative Grenzen. Wir sind immer schon in der Natur - insofern w i r nämlich Natur sind. Und wir wissen immer schon, was Natur ist - insofern w i r nämlich Vernunft sind, intellektiv erkennende Wesen. Aber daß w i r die Natur immer schon erkennen, daß w i r sie erkannt haben, heißt nicht, daß wir sie ausgeschöpft hätten, daß w i r schon wüßten, was sie positiv ist. Es heißt nur, daß wir wissen, was sie nicht ist. Nicht freilich in dem bloß quantitativen Sinne, daß wir etwa wüßten, wie weit sich das Universum erstreckt oder wie lange es schon existiert oder dergleichen. Das alles gehört zu den Positivitäten, um die w i r meist gerade nicht wissen. Daß wir die Natur immer schon erkannt haben, heißt also nur, daß wir, und zwar ohne Aussicht auf Besserung, mit Gewißheit nur wissen, nur wissen können, was sie nicht ist; nicht so sehr, wo sie aufhört, wie vielmehr, daß sie aufhört, daß sie Grenzen hat, daß sie nicht ins Unbegrenzte ausgedehnt oder strapaziert werden kann, so daß sie noch immer Natur bliebe. Die Bestimmung der Grenzen mag eine unendliche Aufgabe, eine Aufgabe der Vernunft sein, (sie ist auch eine solche): daß die Natur Grenzen hat, ist sicher. Das ist - Natur. Nun gibt es in moralischer Hinsicht eindeutig so etwas wie Grenzen und negative Grenzen. Es sind die Verbote: Du sollst nicht töten etc. Es gibt in selber Hinsicht - wenn auch nicht so eindeutigerweise - sogar absolute Grenzen, absolute Verbote: Unter keinen Umständen darfst du das und das (so und so) töten. Was diese Verbote im einzelnen sind, wie sie aussehen, ist nicht leicht zu sagen. Aber wenn es sie nicht gäbe, würde es keine unbedingt gültige Moral geben - weil es dann auch keine Natur geben würde. Möglich, daß wir niemals herausbekommen werden, wo die Verbote eigentlich liegen: in dem Augenblick, in dem w i r die Suche danach oder auch nur das Bewußtsein davon aufgäben, würden w i r nicht nur den Unter-

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schied zwischen Sein und Nichtsein, so und anders aus dem Auge verlieren, sondern auch zwischen richtig und schlecht, gut und böse. Es ist die Vernunft, die alle Unterschiede und Grenzziehungen verwischen kann. Es ist die Vernunft, die irren kann. Aber sie kann es nicht als solche, sondern nur sofern sie gleichsam Gebrauch von sich selbst macht, sofern sie im Bestreben, die Wahrheit, in der sie sich immer schon befindet, zu vertiefen, urteilend fortschreitet. Die Natur selbst, die Wirklichkeit, ob materiell oder immateriell, kann das nicht. Sie ist jeweils nur, was sie jeweils ist. Das ist nur ein anderer Aspekt des Umstands, daß die Natur von sich aus unfähig ist, von ihrer eigenen Gesetzlichkeit, von ihrem Sein, abzuweichen, weshalb die Naturgesetze keine Gesetze im eigentlichen Sinne sind. Wohingegen die Vernunft grundsätzlich ambivalent ist. In ihr liegt der Grund dafür, daß der Mensch sich selbst, seine eigene Gesetzlichkeit, seinem Sein untreu werden kann, daß er sich verraten und aufgeben kann, daß er eine vorgegebene Ordnung, die wir möglicherweise nicht kennen, von der wir aber wissen, daß sie da ist, verkehren kann. Was sind nun diese äußersten, rein negativen Grenzen, ohne die es auf jeden Fall keine Natur gäbe, ohne deren Beachtung folglich wir ihr und uns selbst, unserer eigenen Natur zuwiderhandeln würden? An Orientierungspunkten fehlt es uns nicht. Daß es Lebloses und Lebendes und Denkendes gibt, kann man nicht leicht bezweifeln. Selbstverständlich läßt sich alles letztlich bezweifeln. Aber das liegt nicht an der Wirklichkeit selbst, an der Natur, sondern an der Vernunft, die sich im Gebrauch von allem und von sich selbst verselbständigen kann. Daß man alles bezweifeln kann, ist keine Auszeichnung, kein unbedingt positives, sozusagen kein gutes Zeichen. Es ist selber ein zweifelhaftes Zeichen. Wenn die Vernunft (als Natur!) irrtumsfähig wäre, wie manche anzunehmen scheinen (Duns Scotus), würde sie nicht alles, ja nichts, bezweifeln. Man kann also vernünftigerweise - dann nämlich, wenn die Vernunft nicht gegen sich selbst verstößt (Leugnung des Nichtwiderspruchsatzes) an einigem nicht zweifeln. Sonst hört das Denken auf, alles w i r d zu allem, alles wird sinnlos. Und darunter fällt, daß w i r existieren, leben und denken können. Aus unserem Sein, Leben und Denken ergeben sich Antriebe, natürliche Tendenzen wie die der Selbsterhaltung, der Fortpflanzung und des Dranges zu wissen, mehr zu wissen. Das gibt einen Hinweis darauf, wo die Suche nach den unerläßlichen unüberschreitbaren Grenzen, nach den unbedingten Verboten anzusetzen ist. Tötung, gewisse Formen der Sexualbetätigung sowie der Unwahrheit haben nicht von ungefähr seit jeher die Zonen abgesteckt, wo solche Verbote gesucht und ausgesprochen wurden. Da, in diesen Zonen, ist die Eindeutigkeit zu suchen, die durch eine ausschließliche Orientierung an der Vernunft mit ihren Ambivalenzen verloren

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gegangen war. Doch die Orientierung an der Vernunft ist als solche wiederum unabdingbar. Denn die Vernunft braucht von sich aus nicht gänzlich ohnmächtig zu sein. Sie braucht nicht immer nur den Instinkten untergeordnet zu sein, nicht einmal dem jeweils stärkeren, nicht einmal ihrem eigenen Instinkt nach mehr Wissen. Sie besitzt und vermittelt die Fähigkeit, die natürlich gegebenen Gefüge zu verrücken, eine Fähigkeit, die moralisch neutral und nicht schlecht ist. Diese Fähigkeit ist sogar selber eine Bedingung der Möglichkeit nicht nur von der Moralität (was immer die Möglichkeit von Immoralität einschließt), sondern auch schon von Erkenntnis. Sie ist ein Zeichen der Nichtnaturhaftigkeit, der Naturlosigkeit der Vernunft. Die Fähigkeit, das natürlich Gegebene zu verrücken, fängt erst da an, schlecht zu sein, ja Zeichen des Bösen zu sein, wo die Existenz von Grenzen überhaupt, und das heißt von unverrückbaren Grenzen, geleugnet wird. Denn das schließt die Bereitschaft ein, Sein, Fortbestehen und selbst Vernunft, Sinn, aufzuheben. Erst solche Verrückungen sind ohne Zweifel verwerflich, gehen gegen die der Vernunft gegebene und nicht von der Vernunft eingesetzte natürliche Ordnung. Zur Disposition werden dann nicht nur gedachte Formen gestellt, ohne die das Denken nicht starten kann, sondern auch das Denken als Sein der Vernunft selbst und die übrigen Seinsweisen der einzelnen Reiche und Bereiche der Natur. Überall handelt es sich dabei um eine Art Aufhebung, Zurückdrehung oder Rückgängigmachung, um eine prinzipielle Negation, die den Vorzug, den Primat des Positiven nicht anerkennt und damit auch den Unterschied, die Grenze zwischen Positivem und Negativem, Diesem und Jenem, so und anders, richtig und unrichtig, gut und böse durchstreicht. Diese Aufhebung führt zu und ist zugleich Folge von einer Gestalt, die man unter dem Titel Holismus kennt. Deren Grundformeln lauten etwa - ob zeitlich oder nicht zeitlich gemeint - : Alle ist Alles, Eines wird alles. Gegen sie müßte Aristoteles das Nichtwiderspruchsprinzip aufbieten. Dessen praktische Seite lautet: Nicht alles ist erlaubt - nicht einmal nur „ i m Prinzip". Nur hier treffen Natur und Vernunft unzweifelhaft zusammen. Sonst ist wiederum schließlich alles nur Natur, wie im Evolutionismus (zu unterscheiden von der Lehre von der Evolution). Zu I. siehe ferner: Höffner,

J.: Kolonisation und Evangelium, 2. Aufl., Trier 1959.

— Statik und Dynamik in der scholastischen Wirtschaftswissenschaft, in: Arbeitsgem. f. Forsch, d. Landes NRW H. 38, Köln/Opladen 1955. Inciarte, F. : Natura ad unum - ratio ad opposita. Zur Transformation des Aristotelismus bei Duns Scotus, in: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hrsg. v. P. Beckmann / L. Honnefelder / G. Schrimpf / G. Wieland, Hamburg 1987. Inciarte, F. / Wald, B. (Hrsg.): Menschenrechte und Entwicklung, Frankfurt 1992. Skinner, Q.: The Foundations of modern political thought. Vol. 1.2, Cambridge 1978.

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R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 143 - 159 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

PROKLAMATION DER VOLKSSOUVERÄNITÄT I N D E N MODERNEN VERFASSUNGEN Juristische Fiktion oder Wirklichkeit? Von José Llompart, Tokyo El Estado es obra del hombre. En este sentido el hombre hace el Estado, pero muchas veces el Estado deshace al hombre. Hay que estar continuamente haciendo el Estado para que el Estado no comience a deshacer al hombre.

I. Einleitende Bemerkungen Eine Verfassung ist kein Lehrbuch der Rechtsphilosophie, wo nur schöne „Thesen" über das Recht und die Staatsverfassung aufgestellt werden. Eine Verfassung ist ein „Gesetzbuch", das dem Rechtssystem eines Landes erst Leben gibt, auch wenn einige seiner Bestimmungen nur programmatischen Charakter haben. Diese programmatischen Bestimmungen haben selbstverständlich nur einen Sinn, wenn sie durch andere Gesetze verwirklicht werden. Die modernen Verfassungen zeigen uns aber zugleich, was unter dem Begriff der Volkssouveränität heute verstanden wird: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Bonner Grundgesetz, Art. 20, Abs. 2); „Die nationale Souveränität wohnt dem spanischen Volke inne, von dem die Machtbefugnisse des Staates ausgehen" (Spanische Verfassung, Art. 1, Abs. 2); „Die nationale Souveränität wohnt wesentlich und ursprünglicli dem Volke inne. Alle öffentliche Gewalt geht vom Volke aus und wird zu dessen Nutzen eingerichtet. Das Volk hat jederzeit das unveräußerliche Recht, die Regierungsform zu ändern oder zu modifizieren" (Mexikanische Verfassung, Art. 39). So hat der Begriff der Volkssouveränität einen klaren Inhalt, und w i r wissen auch - besonders seit dem zweiten Weltkrieg - , daß die Würde des Menschen unantastbar ist, und sie zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist (Bonner Grundgesetz, Art. 1, Abs. 1). Noch heute brauchen w i r den Staat und seine Gewalt; unser Rechtsstaat ist aber nicht mehr der „Leviathan", der uns Menschen zu verschlingen droht. Im Mittelpunkt steht der Mensch mit seiner Würde und seinen Rechten, und die Staatsgewalt ist nicht mehr und nicht weniger als die Gewalt

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des Volkes, denn der einzige Souverän ist das Volk. So gesehen ist die Pflicht des Staates die Kehrseite der Volkssouveränität, und folglich hat der Staat nur das Recht, seinen Pflichten nachzukommen. Wie reizvoll die Theorie und die theoretischen Folgerungen der Volkssouveränität sein mögen, so darf doch nicht übersehen werden, daß die restlos vom Volke ausgehende Staatsgewalt nicht restlos durch das Volk ausgeübt werden kann. Sie kann zwar zu gehöriger Zeit vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt werden, ihre weitere Ausübung ist aber nur durch „besondere Organe" der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung möglich. In der mittelbaren Demokratie zum Beispiel sind nur ein kleiner Teil der Bürger die Gesetzgeber oder die „law makers ", und wenn ein Richter „ i m Namen des Volkes" ein Urteil fällt, hat oft das Volk keine Ahnung davon, was im Gerichtssaal geschieht. Damit stellt sich die Frage, ob die Volkssouveränität und der Volkswille, der als Staatswille gefeiert wird, eine objektive Wirklichkeit ist oder nur eine juristische Fiktion, die gegebenenfalls auch als Opium des Volkes eine gute Wirkung haben kann. Auch die Erfahrung zeigt uns, daß mit der Anerkennung der Volkssouveränität nicht alles reibungslos funktioniert. Steht außer Zweifel, daß in der Politologie der Gedanke der Volkssouveränität die wichtigste Rolle gespielt hat, dann steht auch außer Zweifel, daß dieser Gedanke in fast allen Verfassungen der Gegenwart seinen Niederschlag gefunden hat und allgemein anerkannt ist. Es fehlt aber noch, wie mir scheint, eine rechtsphilosophische Untersuchung über die rechtliche Natur der Volkssouveränität. Wir sagen zum Beispiel nicht, daß „die Ausübung der Staatsgewalt durch besondere Organe" eine „Theorie" ist, aber wir sprechen noch von der Theorie der Volkssouveränität. Ist also die Volkssouveränität noch in der Welt der Theorie geblieben? Ist sie als eine deskriptive Seinswahrheit zu verstehen, oder ist sie vielmehr als ein präskriptiver Sollensimperativ zu verstehen? Sicher ist der Gedanke der Volkssouveränität in der Verfassung verankert; bindet sie aber als unmittelbar geltendes Recht die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung? Oder ist sie nur eine Floskel der Verfassung? Diese Frage ist berechtigt, weil, soweit mir bekannt ist, kein Gericht bisher gewagt hat, ein Gesetz, eine staatliche Handlung oder eine Entscheidung als gegen die Volkssouveränität verstoßend für nichtig zu erklären. Was ist dann rechtlich gesehen die Volkssouveränität? Es muß nicht wundernehmen, daß auch die Meinung vertreten wird, die Idee der Volkssouveränität sei schon obsolet und habe keinen brauchbaren Inhalt. 1 Es lohnt sich also, zu versuchen, die Idee der Volkssouveränität zu 1 So zum Beispiel Antonio Enrique Pérez Luno, Aproximación analitico-lingüistica al término „soberania popular", in: Anales de la Câtedra Francisco Suârez, Granada, 1976, N° 16, S. 137 - 153, bes. S. 152.

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entmythologisieren und zu sehen, ob von dieser Idee noch etwas Brauchbares bleibt oder nicht. Aber zunächst ist notwendig, unter historischer Perspektive einen Blick auf die Entwicklung dieser Theorie zu werfen, denn ohne Berücksichtigung der Geschichte kann eine K r i t i k von dem, was uns die Geschichte geschenkt hat, nicht durchschlagen. Π. Vorgeschichte und geschichtliche Entwicklung der Theorie der Volkssouveränität Es passiert oft in der Geschichte des Rechtsdenkens, daß viele Elemente schon früher in der Welt der Rechtsideen existiert haben, bevor sie einen Namen erhalten haben und damit völlig bewußt geworden sind. Erst als diese Elemente bewußt, das heißt zum Objekt der Reflexion gemacht wurden und ihre Wichtigkeit entdeckt wurde, haben sie auch einen eigenen Namen erhalten. Die Benennung ist fast immer auch der Anfang einer neuen Theorie; das bedeutet aber nicht, daß der Inhalt der neuen Theorie auch neu ist, weil das Neue einer guten Theorie gerade in der „Entdeckung" besteht. Die moderne Naturwissenschaft hat eine Fülle von neuen Fachausdrücken geprägt, die im Mittelalter unbekannt waren. Was die neuen Fachausdrücke meinen, ist keineswegs ein Produkt der Moderne. Das gilt einigermaßen auch im Bereich der Geisteswissenschaften bzw. des Rechts. Die Idee der Volkssouveränität hat in der Theorie des Gesellschaftsvertrages bei Rousseau den höchsten Sublimationsgrad erreicht, das Vertragsbewußtsein ist aber älter als das Bewußtsein der Volkssouveränität und enthält nicht notwendigerweise die Volkssouveränität. Schon in Zeiten des Alten Testaments war bei dem Volk Israels die Idee des Bundes im Sinne eines Vertrages (berith) zwischen Gott (Jahve) und dem Volk dieses Landes sehr lebendig, und auch dieser Vertrag kann als eine Art „Gesellschaftsvertrag" betrachtet werden, weil er als Grundlage der gesellschaftlichen und staatlichen (rechtlichen) Ordnung dieses Volkes angesehen wurde. Der Souverän war aber nicht das Volk, sondern Gott; und diese Staatsform war eine vollkommene Theokratie, nicht eine Demokratie. Nach dieser Auffassung war selbstverständlich der Vertrag auch Ausdruck des Volkswillens, und trotzdem galt als erstes Prinzip, „alle Staatsgewalt geht von Gott aus (nicht vom Volke!)". Auch bei den Griechen der Antike ist eine Art „Gesellschaftsvertrag" zu sehen, nur mit dem Unterschied, daß hier der Vertragspartner nicht Gott ist, sondern die selbständig existierenden Gesetze (nomoi). Es geht hier auch um einen Unterwerfungsvertrag, weil die Bürger sich verpflichten, den Gesetzen zu gehorchen; die Gegenleistung der Gesetze ist, die Bürger in Schutz zu nehmen. Aber auch bei dieser Vertragstheorie w i r d nicht die Volkssouveränität, sondern die Nomoisouveränität vorausgesetzt.

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Erst bei den Römern taucht in unbemerkter, aber eindrucksvoller Weise auf, was später unter dem Namen Volkssouveränität bekannt wurde. Sogar dem Namen nach war der „Staat" für die Römer nicht etwas, was den Bürgern entgegensteht, sondern eben die „res publica" oder die Sache des Volkes („res populi"), 2 und die Römer waren davon überzeugt, daß der „populus romanus" alle wichtigen Entscheidungen treffen mußte, auch wenn das nur durch den Senat (als „Organ" des Volkswillens) geschehen konnte. Auch in der nachfolgenden Zeit wurden die Streitigkeiten „nach gutem, altem Recht" gelöst, das vorwiegend Gewohnheitsrecht war, das als solches aus dem Volke entstanden war und nicht als Gebot oder Verbot irgendeines Machthabers betrachtet werden konnte. Erst als der Herrscher - princeps oder rex - nicht nur die herrschende Gewalt, sondern sogar die Gesetzgebungsgewalt monopolisierte, hat man sich mit Recht gefragt, warum alle Untertanen nur einem Menschen gehorchen sollen. Diese Frage wurde nicht immer in gleicher Weise beantwortet, zunächst war aber das Problembewußtsein und die Fragestellung notwendig, um die Volkssouveränität zu bejahen oder zu verneinen und sich über diese Sache Gedanken zu machen.3 Damit ist die „Theorie" der Volkssouveränität entstanden, die, wie w i r sehen werden, keine einheitliche Theorie gewesen ist. Ich bin aber der Meinung, daß der Grundgedanke der Volkssouveränität nicht irgendeinem „Theoretiker" zu verdanken ist, sondern erst aus dem Volksdenken entstanden ist; dann haben die Gelehrten angefangen darüber zu theoretisieren. Ideengeschichtlich gesehen, ist der Gedanke der VoZ/cssouveränität eben vom Volke ausgegangen.4 Jetzt wird zwischen Volkssouveränität und Demokratie kaum ein Unterschied gemacht, was übrigens der Etymologie dieser zwei Termini entspricht; im Mittelalter ist es aber nicht so gewesen. Für die Scholastiker, und auch sogar für Rousseau, war die Idee der Volkssouveränität mit der Regierungsform einer Monarchie nicht unvereinbar. Die Frage war damals, das Faktum der Macht des Herrschers zu legitimieren, und dazu sind zwei 2 „Est igitur res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congretatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus..." (Cicero, De re publica, I, 25). 3 Der Gedanke der Volkssouveränität bzw. der Übertragung der gesetzgebenden Gewalt an den princeps wurde schon im Corpus Iuris Civilis klar formuliert: „Sed et quod principi placuit, legis habet vigorem, quum lege Regia, quae de eius imperio lata est, populus ei, et in eum omne imperium suum et potestatem concédât" (Institutiones, Liber primus, de iure naturali, gentium et iure civili, 6). Im alten Kirchenrecht wurde auch dieser Gedanke so formuliert: „Olim populus statuit leges: sed hodie non; quia transtulit hanc potestatem in Imperatorem, ut Institutiones de iure naturali ..." (Decretum Gratiani, Concordia discordatium canonum, de iure, distinctio prima, Anmerkung der Aufl. Lugduni 1584). 4 Ich habe versucht das zu beweisen in einem Werk, das auf japanisch 1985 veröffentlicht wurde: Jinminshuken-shisô no genten to sono tenkai. Suaresu no keiyakuron wo chûshin to shite, Tokyo (in Zusammenarbeit mit Takeo Kuwahara).

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sich widersprechende Theorien entstanden, die doch dasselbe Faktum zu legitimieren versuchten. Die Theorie der „devine rights of the king" hat behauptet, daß der König unmittelbar von Gott die „potestas" erhält, und so müssen die Untertanen sich ihm unterwerfen, und damit ist die alte Form der Monarchie „by the grace of God" völlig legitimiert. Die spanischen Theologen der Spätscholastik haben dagegen behauptet, daß der König nur durch das Volk („per populum" nach dem Ausdruck von Suârez) und nur wegen seines Willens die „potestas" erhält; 5 aber auch hier wird die Monarchie legitimiert. Nebenbei sei bemerkt, daß die „Theorie" der Volkssouveränität kein Produkt der Säkularisation oder der Zeit der Aufklärung gewesen ist, auch wenn sie später säkularisiert worden ist. 6 Ideengeschichtlich gesehen, hat es wenig Sinn, von der „Theorie" der Volkssouveränität zu sprechen, weil von Anfang an mehrere und verschiedene „Theorien" vertreten worden sind, die nicht mit denselben Voraussetzungen arbeiten, was auch ein Beweis dafür ist, daß wir uns hier eben im Bereich der Theorie und nicht im Bereich unleugbarer Tatsachen befinden. Alle Volkssouveränitätstheorien haben gemeinsam, real oder theoretisch irgendeinen „status naturae " vorauszusetzen, um die konkreten Staats- und Regierungsformen zu erklären und zu legitimieren. Aber in bezug auf diese Voraussetzung, nämlich bei dem Verständnis des status naturae, gehen schon die Meinungen auseinander. Eine Strömung setzt voraus (unter dem Einfluß von Aristoteles), daß der Mensch ein gesellschaftliches Wesen und die Gesellschaft eine aus der Natur des Menschen entstehende natürliche Gegebenheit ist, verneint aber (unter dem Einfluß von Thomas von Aquin), daß im status naturae die Individuen bzw. Privatpersonen Träger irgendeiner öffentlichen Gewalt sein können. Nach dieser Konzeption ist nur die „communitas" der ursprüngliche Träger der öffentlichen Gewalt; und folglich bedeutet VoZ/cssouveränität Souveränität der communitas, nicht der Individuen. Eine andere, modernere und anscheinend mit dem Protestantismus verbundene Strömung geht von der Voraussetzung aus, daß im status naturae schon die Privatperson der ursprüngliche Träger der öffentlichen Gewalt ist, und so kann diese Auffassung die „individualistische" Volkssouveränitätstheorie genannt werden. Folglich bedeutet Volkssouveränität nach dieser Konzeption nicht die Souveränität der communitas, sondern 5 Wichtigste Fundstellen: Francisco Suârez , Defensio Fidei, Coimbra 1613, Liber III, cap. 1 - 9 ; Tractatus de legibus ac Deo legislatore, Coimbra 1612, L i b e r i - I I I . Noch heute lesenswert: Heinrich Rommen, Die Staatslehre des Franz Suârez S. J., M.-Gladbach 1926. 6 Die Idee der Volkssouveränität ist auch anerkannterweise viel älter als die Reformation und Gegenreformation (vgl. Ernst Reibstein, Volkssouveränität und Freiheitsrechte, Freiburg-München 1972, Bd.I, S.25). Als erster Theoretiker wird oft Marsilius von Padua angegeben, die Idee der Volkssouveränität selbst ist aber viel älter.

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vielmehr die Souveränität aller Individuen, die nur durch einen Vertrag (Sozialvertrag) zur VoZ/cssouveränität wird. Es ist leicht, die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale beider Konzeptionen anzugeben, nicht aber, sie zu bewerten. Zum Beispiel Suârez, der von Vitoria stark beeinflußt ist und als Vertreter der ersten Konzeption angesehen werden kann, ist der Meinung gewesen, daß die potestas etwas ist, was die communitas innehat, nicht weil die Menschen sie gewollt haben, sondern einfach weil sie die unentbehrliche „Form" jeder communitas ist. Nach dieser Denkkonstruktion spielt der Wille und der Gesellschaftsvertrag keine Rolle, um die Volkssouveränität zu begründen, sondern die Volkssouveränität gehört sozusagen zur Natur der Sache (der communitas) und ist damit naturrechtlich begründet. Suârez beweist diese These folgenderweise: Mit der Vernunft und kraft des Naturrechts ist es nicht möglich zu zeigen, daß nur ein bestimmter Mensch (im Fall der Monarchie) oder nur eine bestimmte Zahl von Menschen (im Fall der Aristokratie) unbedingt notwendig Träger der Staatsgewalt sein müssen. Daraus folgt, daß der natürliche Träger nur die communitas als solche ist; aber das Naturrecht verbietet auch nicht, daß das Volk (populus) nach seinem freien Willen dem Monarchen oder den Aristokraten die potestas (durch einen Vertrag) überträgt. Kommt ein solcher Vertrag nicht zustande, dann bleibt die potestas in der communitas, und die Demokratie ist die Form, die am besten dem Naturrecht entspricht. Auch wenn Suârez seine Vorliebe für die Monarchie als eine Institution, die auf dem Volkswillen beruht, zeigt, sagt er doch ganz klar: Monarchie und Aristokratie können ohne Hilfe einer positiven Institution nicht eingeführt werden, wohl aber die Demokratie. 7 Der Vertrag ist für Suârez keine Metapher, sondern ein Vertrag im juristischen Sinne des Wortes. Er wird nach dem freien Willen der communitas (nach dem Prinzip der „öffentlichen" Autonomie) geschlossen, die Parteien bleiben dann an den Vertrag gebunden. Er ist ein Übertragungs- und Unterwerfungsvertrag, der Herrscher erhält aber nur so viel Gewalt, wie ihm übertragen wird, und muß auch sie nach den Bedingungen des Vertrages ausüben. Wenn zum Beispiel das Volk die Gewalt der Gesetzgebung sich vorbehalten hat, kann der Herrscher zwar regieren, nicht aber Gesetze erlassen. Aber auch das Volk bleibt an den Vertrag gebunden; daher kann das Volk nur wegen einer Änderung seines Willens nicht wieder verlangen, was freiwillig übertragen wurde, denn der Satz „pacta sunt servanda" gilt in gleicher Weise für beide Parteien. Die individualistische Konzeption hat dagegen nicht immer, wie zum Beispiel bei Rousseau zu sehen ist, den Vertrag als einen Unterwerfungs- oder 7 Suârez , Defensio Fidei (FN5), L i b e r i l i , cap. 3, η. 8 (Objectio: „Utrum democratia esset immediate ex divina institutione" solvi tur. Solutio: Monarchia et aristocratia absque positiva institutione introduci nequeunt. Democratia vero maxime).

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Übertragungsvertrag verstanden. Ich nehme die Auffassung Rousseaus als Beispiel, weil bei Rousseau trotz seines Individualismus die Idee der Volkssouveränität den höchsten Grad der Sublimierung erreicht hat und noch heute große Anziehungskraft ausübt. Ob hier der Gesellschaftsvertrag im juristischen Sinne ein „Vertrag" ist oder nicht, möchte ich hier nicht entscheiden. Er ist sicher kein Unterwerfungsvertrag. Das Volk bleibt nach wie vor der Souverän; und da nur das Volk die Gesetze erlassen kann, bleibt auch das Volk keinem fremden Willen unterworfen. So gesehen bedeutet Volkssouveränität Freiheit, aber die Freiheit der Individuen kann und muß durch die Anerkennung gleicher Rechte für alle eingeschränkt werden. I n dieser Konzeption übernimmt der „allgemeine Wille", der sich niemals irren kann, den Platz des Naturrechts. Da das Volk oft nicht genug aufgeklärt ist, kann es sich in seinen Beschlüssen irren, nicht aber der allgemeine Wille. Im System Rousseaus hat auch die Monarchie noch einen Platz, nicht aber unsere moderne Demokratie, weil eine Demokratie mit einer Opposition und politischen Parteien den allgemeinen Willen zerstören würde. 8 Ich habe nicht vor, für eine bestimmte Volkssouveränitätstheorie zu plädieren, aber längst vor Rousseau und vor Suârez hat ein Scholastiker, Pedro de Aragon , 1590 auf die Grenzen der Verwirklichung des Traums der Volkssouveränität mit folgenden Worten realistisch hingewiesen: „Es ist notwendig, daß im Staat einige befehlen und einige sich unterwerfen. Es ist nämlich unmöglich, daß zugleich alle befehlen und alle sich unterwerfen." 9 Ich habe Jahre lang eine Vorliebe für die Auffassung von Suârez gehabt, gerade weil sie sehr realistisch ist. Nun muß ich zugeben, daß, auch wenn man theologisch denkt, die Beweisführung von Suârez anfechtbar ist, wie Juan F. Segovia überzeugend gezeigt hat. 1 0 Ob die Auffassung von Suârez in Widerspruch steht mit der Soziallehre der katholischen Kirche, wie Segovia behauptet, ist eine andere Frage, die wir hier nicht zu behandeln brauchen. Der Einwand gegen die Beweisführung von Suârez ist nach Segovia folgender: Die Frage lautet, wer der erste und ursprüngliche Träger der Staatsgewalt ist. Suârez argumentiert - wie w i r schon gesehen haben - mit der Ausschließung von zwei Möglichkeiten. Es ist nämlich nicht möglich mit der Vernunft und kraft des Naturrechts zu beweisen, daß nur ein konkreter Mensch (der König) oder nur eine bestimmte Zahl von Menschen (die Aristo8

J.-J. Rousseau, Du Contrat Social, Livre IV, chap. I. „Necesse est in civitate aliquos principiantes et aliquos subditos: Nec est possible omnes simul principiari et omnes subjici" (Pedro de Aragon , De justitia et jure, 1590, De Dominio, p. 151b; Zitat nach José Barrientos Garcia, El tratado „De justitia et jure" 1590 de Pedro de Aragón, Salamanca 1978, S. 268). Einige Jahrzehnte später hat auch in England der Puritaner John Cotton (1581 - 1652) die Frage gestellt: „Wenn das Volk die Regierenden sind, wer soll regiert werden?" (Nach Reibstein, Volkssouveränität und Freiheitsrechte (FN 6), B d l , S. 344). 10 Juan F. Segovia, El sujeto primario del poder y sus implicaciones en el pensamiento politico del jesuita Francisco Suârez, in: Prudentia Iuris, Buenos Aires, IX, Abril 1983, S. 63 - 112, vgl. bes. S.Ölff. 9

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kraten) unbedingt notwendig Inhaber der Staatsgewalt sind. Ihr natürlicher Inhaber ist also die communitas. Diese Argumentation ist aber nicht schlüssig, weil weder die Vernunft noch das Naturrecht uns zeigen, daß die Staatsgewalt unbedingt notwendig in der communitas sein muß. Im Gedanken der Übertragung der potestas durch das Volk ist schon eine Fiktion à la Rousseau enthalten, in der vorausgesetzt wird, daß das Volk „einen" Willen hat und diesen Willen direkt zum Ausdruck bringen kann. Ferner wird hier vorausgesetzt, daß eine „Selbstregierung" möglich ist, was ein Widerspruch in sich ist, denn das Regieren setzt die Regierten notwendigerweise voraus. Eine andere Sache ist die mehr oder weniger starke Teilnahme des Volkes an der Regierung, die aber als solche nicht als Volkssouveränität definiert werden kann. Diese Einwände sind ernst zu nehmen, und es darf auch nicht übersehen werden, daß seit dem 19. Jh. die marxistische Rechts- und Staatsauffassung auch die Volkssouveränität proklamiert hat, ohne überhaupt auf das Naturrecht oder auf den Gesellschaftsvertrag zu rekurrieren. Ob diese neue theoretische Konstruktion dem Wunsch nach Volkssouveränität besser entspricht, und ob die marxistische oder sozialistische Ausübung der Volkssouveränität den Menschen bessere Früchte gebracht hat, ist eine politische Frage, die w i r nicht zu beantworten brauchen. Aber auch diese Konzeption arbeitet mit Fiktionen oder Dogmen, die nicht als reine Tatsachen bewiesen werden können. Im Gegensatz zur Souveränität bürgerlicher Staaten ist hier der Dualismus von Staat und Gesellschaft verschwunden, und die staatliche Souveränität der regierenden Arbeiterklasse ist Ausdruck der Volkssouveränität. 11 Das „Volk" im politisch-soziologischen Sinne ist eine historische Kategorie, die aber nicht alle Menschen umfaßt. „Sie (diese Kategorie) umfaßt alle jene Klassen und sozialen Schichten der Gesellschaft, die daran interessiert und objektiv dazu fähig sind, den gesellschaftlichen Fortschritt zu verwirklichen. Die anderen Klassen oder Schichten oder Teile von diesen, deren Interessen gegen den historischen Fortschritt gerichtet sind, gehören in diesem Sinne nicht zum Volk, sondern zur Kategorie der Volksfeinde." 12 Nach dieser Auffasung übernimmt die Partei (die marxistisch-leninistische Partei) die führende Rolle des Volkes. Die Partei setzt zwar kein Recht, leitet aber „die Tätigkeit der rechtsetzenden Organe an, bestimmt deren Grundrichtung und Hauptinhalt und sichert die Wissenschaftlichkeit der Rechtsetzung". „Oie führende Rolle der Partei ist Voraussetzung für die demokratische Willensbildung." Damit w i r d impliziert, daß eine Willensbildung des Volkes ohne diesen „Führer" ausgeschlossen ist. Die „Teilnahme der Werktätigen an der Rechtssetzung" w i r d anerkannt, 13 11

Philosophisches Wörterbuch, hrsg. von Georg Klaus, Manfred Buhr, Leipzig 1976, Bd. 2, S. 1111, 1112. 12 Ebd., S. 1269.

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aber auch hier kommt wieder die Frage, ob die Volkssouveränität nur als „Teilnahme" definiert werden kann. Es wird auch nach dieser Auffassung vorausgesagt, „wenn die proletarische Weltrevolution gesiegt hat, wird der Staat überflüssig und stirbt ab", die Gewalt wird aber weiter bleiben: „Es bleibt auch im entfalteten Kommunismus die Notwendigkeit einer öffentlichen, gesellschaftlichen Gewalt (und Leitung), sie verliert allerdings ihren politischen, ihren Klassencharakter." 14 I m Ergebnis bleibt also auch nach dieser Auffassung die Gewalt, die nicht mehr „Staatsgewalt", sondern „öffentliche, gesellschaftliche Gewalt" genannt wird, aber auch diese Art Gewalt ist Gewalt und nicht Freiheit (auch „die Leitung" setzt notwendigerweise ein Leiten und Geleitet-werden voraus). 15 Möge diese kritische Skizze einiger der wichtigsten Volkssouveränitätstheorien genügen, um zu zeigen, daß die heute in allen modernen Verfassungen gefeierte Volkssouveränität noch in der Welt der Theorie bleibt und daß alle diesbezüglichen Theorien mit mehr oder weniger berechtigten Voraussetzungen oder Fiktionen arbeiten, um zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen. Das Ergebnis mag ähnlich sein (alle Staatsgewalt geht vom Volke aus), die Verfassungen aber, die Volkssouveränität als erstes Prinzip proklamieren, sind oft grundverschieden, denn es gibt keine Staatsform, die nicht mit der Volkssouveränität legitimiert werden könnte. So gesehen wird sogar die reine Legitimierung sfunktion der Idee der Volkssouveränität fraglich. Trotz der Enttäuschung und der Fiktionen muß es möglich sein, einige Tatsachen herauszufinden, die der Grund der Enttäuschung und der Anlaß der Fiktion gewesen sind. I m folgenden Abschnitt werden w i r einige unleugbare Tatsachen untersuchen, die immer die verschiedenen Souveränitätstheorien zu versöhnen versucht haben und zugleich die notwendigen Voraussetzungen dieser Theorien gewesen sind.

13 Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie, Staatsverlag der DDR, Berlin 1975, S. 414, 415. 14 Ebd., S. 47, 48. 15 Es sei noch bemerkt, daß auch die i n Deutschland sehr bekannte „Doppelsouveränitätstheorie", wie sie zum Beispiel Anfang des 17. Jh. von Christoph Besold und Johannes Limnäus vertreten wurde, nicht imstande gewesen ist, die VoZfcssouveränität genügend zu erklären. Nach dieser Lehre entsteht der Staat aus der Gesellschaft (societas, Volk) durch die Bildung eines Gemeinwillens. Dieser Gemeinwille ist die maiestas realis, d.h. die „höchste Gewalt des Staates", im Unterschied zu der maiestas personalis, d.h. der maiestas des Herrschers (des Kaisers), die als die „höchste Gewalt im Staate" verstanden wurde. Heute wird mit Recht kritisiert, warum beide maiestates als summae bezeichnet werden konnten, wenn doch die eine der anderen übergeordnet war. Zwei höchste Gewalten können nämlich nicht zugleich existieren. Ich halte aber die Bezeichnung „maiestas realis" für zu optimistisch und zu unrealistisch und die „maiestas personalis " und entsprechende Gewalt des Herrschers dagegen für sehr real. Da das Kaisertum untergegangen ist, ist auch die Doppelsouveränitätstheorie untergegangen, das Problem der Volkssouveränität selbst ist damit nicht gelöst worden.

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ΠΙ. Staatsgewalt und die anthropologischen Voraussetzungen der Volkssouveränität Die erste Tatsache, mit der die Volkssouveränität direkt zu tun hat, ist die Staatsgewalt. Staatsgewalt ist eine Wirklichkeit, die überall und zu allen Zeiten zu sehen ist, und die Volkssouveränitätstheorie versucht gerade, die Einrichtung des Staates als notwendig zu begründen und zugleich die Ausübung der Staatsgewalt zu legitimieren. Auch die Staatsgewalt ist Gewalt, und als solche verlangt sie nicht nur, sondern bewirkt auch Unterwerfung. Diese ist die erste Tatsache. Die zweite Tatsache ist mehr anthropologischer Art und besteht in der Sehnsucht nach Freiheit, die allen Menschen eingeboren ist, gerade weil sie Menschen sind. Diese zwei Tatsachen widersprechen einander zweifellos, weil Gewalt und Unterwerfung die Negation der Freiheit des Unterworfenen voraussetzt und die Freiheit als solche die Negation der Gewalt und der Unterwerfung ist. Die Volkssouveränitätstheorie hat keineswegs die Staatsgewalt negiert, sondern nur in verschiedenen Weisen versucht, sie in Einklang mit der Freiheit der Menschen zu bringen. Das beste theoretische Mittel dazu scheint die Proklamation der Souveränität des Volkes gewesen zu sein, weil, wenn das Volk souverän ist und als solches die Gewalt gewollt hat, es sich über nichts beklagen kann (volenti non fit injuria). Aber hier befinden w i r uns schon im Bereich der Theorie, und wenn auch mit dieser Erklärung das „theoretische" Volk zufrieden sein kann, sind nicht immer alle lebenden Individuen, die zum Volk gehören, zufrieden. Ist also das Volk und sein Wille schon eine notwendige Fiktion dieser Theorie? Ist der Übergang vom „status naturae" zum „status civitatis" auch eine weitere Fiktion? Ist die Volkssouveränität eine fictio legis, die alle modernen Verfassungen aufgenommen haben, oder eine fictio iuns, die Rechtsphilosophen ins Leben gerufen haben, oder ist sie sogar eine fictio facti, 16 die allen Menschen oder mindestens dem Volk Trost gibt? Der „ Unterwerf ungsvertrag" hat schon längst versucht, den Widerspruch zwischen Gewalt und Freiheit durch den consensus aufzuheben. Auch hier gilt, „volenti non fit injuria". Der freie A k t der Unterwerfung ist der Talisman, der die Unterwerfung und den Zustand des Unterworfenseins „frei" macht. Auch nach dieser Konzeption gilt, daß „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht", nach dem Vertrag aber ist sie, je nach den Vertragsbedingungen, total oder zum Teil vom Volke „ausgegangen" und wird nicht mehr total vom Volk ausgeübt. 16 So auch nach M. Kurtado Bautista in bezug auf den Gesellschaftvertrag: Legitimidad Democratica del Derecho: El „Topos" del „Pacto Social", in: Anales de la Câtedra Francisco Suârez, N° 16, 1976, S. 2.

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Heute ist der Unterwerfungsvertrag in Verruf geraten, und der Satz, „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", wird nicht mehr so verstanden. Das „Ausgehen" aller Staatsgewalt vom Volke wird als Zeitwort verstanden, das die Form eines Präsens hat, aber niemals zum Präteritum werden kann. Der „pouvoir constituant" kann nicht vollkommen „pouvoir constitué" werden. Das Volk bleibt ewig und allein Träger aller Staatsgewalt, aber keine Theorie hat bis heute zu zeigen versucht, daß diese Gewalt restlos und direkt vom Volke ausgeübt werden kann. Der Unterwerfungsvertrag ist verschwunden, aber der Unterwerfungsgedanke hat eine andere Gestalt angenommen: Früher sollten die „Untertanen" dem Willen des Regierenden sich unterwerfen, vorausgesetzt, daß der Regierende für das allgemeine Wohl Sorge tragen würde. Heute sollen die „Bürger" sich den Gesetzen unterwerfen, vorausgesetzt, daß diese Gesetze für das allgemeine Wohl erlassen worden sind. Vom „Rechtsstaat" und von der „Rule of Law" zu sprechen klingt sehr modern, im Ergebnis ist dieser Denkansatz kaum von der griechischen „Herrschaft der Nomoi" zu unterscheiden. Der Unterschied liegt nur darin, daß die Griechen nicht von der Volkssouveränität, viel aber von den Gesetzen und von ihrer Respektierung gesprochen haben. Wie mir scheint, macht der Mensch den Staat, weil er ihn braucht und weil das Leben noch unmenschlicher wäre, wenn er ihn nicht hätte. In diesem Sinne entspricht nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Staat - wenn auch in verschiedener Weise - den Bedürfnissen des Menschen und hat anthropologische Voraussetzungen. Aber nicht nur der Staat, sondern auch der Mensch ist ein sehr kompliziertes Wesen, und längst haben die Menschen vom Staat die Lösung der Probleme verlangt, die sie ohne den Staat nicht lösen konnten. Das Paradies auf Erden zu bringen sollen w i r nicht verlangen, weil, was das Volk nicht geben kann, auch der Staat nicht geben kann, auch wenn das Volk souverän wird. Kann zum Beispiel der Staat uns die Lebensfreude geben? Ich glaube nicht; aber er kann uns die Lebensfreude nehmen. Er kann auch gelegentlich uns eine Freude machen, wenn er uns vom Unrecht rettet; diese Freude dauert aber nicht lange. Den Staat menschlicher zu machen, ist aber immer möglich, auch wenn wir uns über die konkreten Methoden nicht einig sind. Freiheit und Gleichheit entsprechen zwei wesentlichen Bedürfnissen des Menschen, die möglichst erfüllt werden sollen, auch wenn ihre vollkommene Verwirklichung unmöglich ist. Der Mensch als Mensch verlangt Gleichheit, aber als Individuum verlangt er Freiheit. Es ist aber derselbe Mensch, der beides verlangt. Die Aporie Gleichheit-Freiheit hat schon ihren Grund im Wesen des Menschen. Der Mensch als Mensch braucht die Mitmenschen, weil er allein nicht einmal Mensch werden kann, und die wahre sociabilitas oder Solidarität verlangt Gleichheit, um als Mitmensch anerkannt zu werden. Aber als Indivi-

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duum verlangt der Mensch das „Allein-gelassen-Werden", die Einsamkeit und die Freiheit für die Entfaltung seiner Persönlichkeit. Der Mensch steht im Mittelpunkt zweier Dimensionen, der prinzipiellen Unverfügbarkeit nämlich seines Selbst für den anderen und der damit verbundenen Autonomie und der prinzipiellen Hilfsbereitschaft andererseits den Mitmenschen gegenüber. Das ist eine Bereitschaft im Sinne von Hilfeleisten und Hilfeempfangen, die den existentiellen Grund aller Solidarität ausmacht, die aber zugleich ohne Gleichheit nicht echte Solidarität werden kann. 1 7 Diese zwei Dimensionen werden im Begriff der Würde des Menschen angesprochen und sind der Grund der Menschenrechte, die in allen modernen Verfassungen als unverletzlich und unveräußerlich anerkannt worden sind. Die Freiheit hat mit dem Willen mehr zu tun als mit der Vernunft, und umgekehrt hat die Gleichheit mehr mit der Vernunft als mit dem Willen zu tun, aber der Mensch braucht beide. Schon längst wurde eingesehen, daß der einzige vernünftige Weg, in der Gesellschaft und durch das Recht die Freiheit zu verwirklichen, nur darin besteht, die dem einzelnen anerkannte Freiheit zum allgemeinen Maßstab für alle zu machen (Kant), 18 oder die verlorene Freiheit durch die Anerkennung derselben Rechte für alle Mitbürger wieder zu erlangen (Rousseau).19 Nach beiden Auffassungen, die von dem Freiheitsgedanken des Individuums ausgehen, w i r d die Gleichheit zur vernünftigen Bedingung der Verwirklichung der Freiheit gemacht, aber zugleich hat der Gleichheitsgedanke eine beschränkende Funktion für die Freiheit (nicht mehr Freiheit für jedes Individuum als die gleiche für alle Menschen). Ob Freiheit besser ist als Gleichheit, oder umgekehrt Gleichheit besser ist als Freiheit, ist so abstrakt formuliert, eine Wertungsfrage, die w i r nicht beantworten können. Der Mensch braucht beides, und ein Gewinn an Freiheit impliziert einen Verlust an Gleichheit und umgekehrt. Ob mehr Regen oder mehr Sonne wünschenswert ist, kann auch nicht abstrakt und als Wertungsfrage beantwortet werden, wohl aber unter Berücksichtigung der konkreten Lage. Dasselbe gilt auch für die Frage, mehr Freiheit oder mehr Gleichheit, und hier ist es nur die Erfahrung, die Berücksichtigung nämlich der konkreten Lage einer Gesellschaft, die uns Orientierung geben kann. Über die Natur der Menschen gibt es zwei entgegengesetze Auffassungen: Die voluntaristische betont den Willen und die Freiheit, die intellektualistische dagegen die Vernunft und die Rationalität. Da beide Auffassungen einseitig sind, könnte man meinen, daß mit der Mischung von beiden Auffas17 Vgl. Werner Maihof er, Die Würde des Menschen als Zweck des Staates, in: Anales de la Câtedra Francisco Suârez, N° 12, Fasciculo 2°, 1972, S. 37 - 62, bes. S. 41. 18 „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür der einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" {Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, §B). 19 J.-J. Rousseau, Du Contrat Social, Livre I, chap.I.

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sungen der lebendige Mensch erfaßt werden kann. Mit dieser dualistischen Auffassung wird alles Tun und Lassen des Menschen vernünftig oder unvernünftig. Ich bin der Meinung, daß es im Menschen noch etwas gibt, was sich nicht so einfach erklären läßt. Die Menschen - und auch das Volk - haben auch ihre „Laune", ihr Gefühl und sogar das Bedürfnis nach Abwechselung nur der Abwechselung halber. Nur als reine Tatsache, die nicht „rationalisiert" werden kann, glaube ich feststellen zu können, daß die Menschen sogar der besten Dinge müde werden können; dann verlangen sie „etwas anderes", was nicht als besser bewiesen werden kann. Sozial-politisch gesehen sollte das nicht vergessen werden, weil die Menschen und das Volk, ohne dieses „etwas andere" zu erhalten, nicht zur Ruhe kommen. Eine demokratische Staatsverfassung sollte nicht ignorieren, daß auch das Volk eine „Verfassung" hat, die sich dauernd ändert.

IV. Die Staatsgewalt und die anthropologischen Voraussetzungen des Rechts, insbesondere der Verfassung Staatsgewalt und die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit sind die zwei unleugbaren Tatsachen, die alle Volkssouveränitätstheorien verschieden zu versöhnen versucht haben. Die Versöhnung wäre gelungen, wenn auch das Volk direkt und restlos alle Staatsgewalt ausüben könnte; das scheint aber unmöglich zu sein und damit wird die schöne These der Volkssouveränität fraglich. Alle Ungerechtigkeiten dieser Welt sind gerade durch die „Ausübung" der Staatsgewalt begangen worden, und bei dieser Ausübung ist aber oft das ganze Volk nicht anwesend gewesen. Hätten wir ein Rechtssystem, das uns die maximale Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit und sogar die jeweilige Stimmungsabwechselung der Bürger gewährleisten würde, so wäre es auch gleichgültig, ob wir noch an die Volkssouveränität „glauben" oder nicht. Wenn wir jetzt eine Weile die Volkssouveränität beiseite lassen, merken wir, daß das Recht die menschliche Sehnsucht nach Freiheit und Gleichheit zu erfüllen versucht und daß auch ein demokratisches Rechtssystem eine maximale Anpassungsfähigkeit an den Stimmungswechsel der Bürger hat. Selbstverständlich kann das Recht nicht in gleicher Weise die Freiheit und die Gleichheit verwirklichen. Das Recht als solches hat direkt nichts mit dem Menschen in seiner Individualität, sondern nur mit dem Menschen unter dem Gesichtspunkt seiner sozialen Natur zu tun. Da das Recht immer eine Norm ist und eine Norm immer einen mehr oder weniger starken Grad von Allgemeinheit für gleiche Fälle hat, so kann das Recht sich mit der totalen Individualität nicht beschäftigen, sondern die totale Individualität kann nur dem Individuum überlassen werden. Von der totalen Individualität können wir gar nicht sprechen, wie schon die Scholastiker richtig einge-

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sehen haben: Individuum est ineffabile. Auch das Recht und der Staat kann den Individuen ihre Freiheit nicht geben, weil die Freiheit eben eine Sache des Individuums ist, die es schon hat, und die es allein ausüben kann und muß, wenn es frei bleiben soll. Das Recht kann nur äußere, nicht rationale, Hindernisse der Freiheit beseitigen. Mit der Gleichheit ist die Sache anders. Gleichheit ist nicht eine Frage des Individuums, sondern des Menschen mit seinen Mit-Menschen (das „ M i t individuum" ist ein Widerspruch in sich). Das juristische Prinzip der Gleichheit ist nicht nur die Proklamation „alle Menschen sind gleich", denn wenn es so wäre, könnten w i r uns nur darüber freuen und bräuchten nichts mehr zu tun. Das juristische Gleichheitsprinzip wird verstanden als ein SolZens-Prinzip und hat den Sinn, „alle Menschen sollen (vor dem Gesetz) gleich behandelt werden". Hier kann und muß das Recht und der Staat nicht nur die Gleichheit respektieren, sondern sie stets aktiv bewirken, weil die Gleichheit in der Gesellschaft etwas ist, was den Individuen nicht überlassen werden kann. Selbstverständlich ist es auch möglich, daß der Staat mit seiner Gewalt ein Gleichmacher wird, der die Individuen völlig ignoriert und sie zu vernichten sucht; dann ist aber auch die Freiheit verschwunden, und die Bürger werden zu Untertanen einer Gesellschaft, wo jeder nur die gleiche Unfreiheit hat (Gleichheit ohne Freiheit kann verwirklicht werden, nicht aber umgekehrt). Nicht nur eine Monarchie, sondern auch eine Demokratie oder Volksdemokratie kann ein „Leviathan" werden, der das Blut der Menschen aussaugt. Die Monarchie hatte früher einen Monarchen an der Spitze, der ein gutes oder nicht gutes Herz hatte, und die moderne Demokratie hat einen „Staatsapparat", der kein Herz hat. Auch hier spielt es keine Rolle, ob wir an die Volkssouveränität „glauben" oder nicht. Die Verfassung ist kein Lehrbuch der Rechtsphilosophie und sagt uns nicht, was Recht überhaupt ist, wohl aber, wie Gesetze und Staatsordnung sein sollen. Ob alle unsere Gesetze das Recht verwirklichen, mag problematisch sein; nicht problematisch ist, daß Gewalt ohne Gesetze Unrecht ist. Staatsgewalt ist zweifellos auch Gewalt, und diese Gewalt ist eine Wirklichkeit, die als solche den Bedürfnissen des Rechts entspricht, denn das Recht, um Recht zu sein, verlangt auch seine Durchsetzung. Was sagt uns aber die Verfassung über die Wirklichkeit der Staatsgewalt? Das Bonner Grundgesetz zum Beispiel sagt uns zunächst, daß Verpflichtung „aller staatlichen Gewalt" ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1, Abs. 1). Das wird nicht als eine juristische Fiktion verstanden, sondern als Existenzgrund aller staatlichen Gewalt; damit wird zugleich Zweck und Funktion der staatlichen Gewalt klargemacht. Ferner sagt uns diese Verfassung, wovon die Staatsgewalt ausgeht und wie sie ausgeübt wird (Art. 20, Abs. 2). Auch wenn die These der Volkssouveränität eine

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Fiktion sein sollte, die Ausübung der Staatsgewalt ist keine Fiktion, und wenn die „Staatsgewalt" des Art. 20 dieselbe wie die „staatliche Gewalt" des Art. 1 ist, dann bedeutet das auch im Ergebnis, daß das Volk die Würde des Menschen zu achten und zu schützen verpflichtet ist. Diese Betrachtung gibt uns neue Hinweise, um die These der Fiktion oder der Wirklichkeit der Volkssouveränität neu zu prüfen und praktische Folgerungen zu ziehen. Der Begriff der Volkssouveränität scheint nämlich noch heute von einer Ideologie stark belastet zu sein, die schon überwunden sein sollte. Ideengeschichtlich gesehen hat das Volk den Platz des souveränen Königes eingenommen, und deswegen sprechen w i r von der Volks Souveränität. „Souverän" zu sein bedeutete damals und bedeutet mit Abstrichen noch heute „superiorem non cognoscens", aber der König der absoluten Monarchie wurde als „princeps solutus legibus" verstanden 20 und noch im 17. Jh. konnte der absolute Monarch sagen: „L'Etat c'est moi!". Es darf aber nicht übersehen werden, daß trotz der Proklamation der Volkssouveränität das Volk nicht zum „populus legibus solutus" geworden ist, und daß, auch wenn alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll, das Volk verpflichtet ist, durch die Ausübung der Staatsgewalt die Würde des Menschen zu achten und sie zu schützen. So kann die Wirklichkeit oder die juristische Fiktion der Volkssouveränität nicht mehr im Sinne des Liberalismus verstanden werden, denn auch das Volk hat die höchste Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (nicht nur der Staat, sondern auch das Volk soll die Menschenrechte respektieren). Folglich bedeutet juristisch gesehen der moderne Begriff der Volkssouveränität nicht nur Freiheit und Selbstbestimmungsrecht, sondern zugleich Selbstverpflichtung des Volkes an die sogenannten Grundwerte. Selbstverständlich kann auch der „Glaube" an die Grundrechte in eine Krise geraten und sogar verloren gehen und die Volkssouveränität weiter bestehen bleiben. Dann entsteht eine Volksdespotie, die kapitalistischer oder marxistischer Prägung sein kann.

20 Schon Vitoria und nach ihm alle spanischen Theologen der Spätscholastik haben doch überzeugenderweise dieses römische Rechtsprinzip abgelehnt. Grund der Ablehnung ist nach Vitoria, daß auch der princeps ein Teil der respublica ist, und ferner, daß die Gesetze immer kraft der Staatsgewalt erlassen werden, die vom Volke ausgeht, und folglich binden die Gesetze auch den princeps. Es ist nämlich genau so wie bei einem demokratischen System: Hier ist das Volk selbst der Gesetzgeber, das Volk wird aber nicht von den Gesetzen befreit (Vitoria, De potestate civili, η. 21). Nach Fray Luis de Leon wird sogar der princeps mehr verpflichtet als die Privatpersonen, denn alle Gesetze haben das allgemeine Wohl zum Zweck, und der princeps ist der erste, der von Amts wegen für das allgemeine Wohl Sorge tragen muß (Fray Luis de Leon, De legibus, Quaestio 7, η. 52). Selbstverständlich hatte Thomas von Aquin schon längst behauptet, daß der Satz „princeps solutus legibus" nur im Sinne einer Befreiung von der „vis coactiva" (Zwang), nicht aber von der „vis directiva" (Verpflichtung) der Gesetze verstanden werden könne (vgl. Summa Theologica, I - II, qu. 96, art. 5 ad 3).

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V. Was bleibt von der These der Volkssouveränität? Die These der Volkssouveränität kann nicht als Ausdruck einer ewigen Seinswahrheit verstanden werden. Wir wissen aus der Geschichte, daß das Volk nicht immer und bei allen Ländern souverän gewesen ist. Auch in bezug auf die moderne Demokratie ist die „Tatsache", daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, schwer zu beweisen, denn die „Tatsache", daß nicht alle Staatsgewalt direkt vom Volk ausgeübt wird, ist leicht zu beweisen. Schon begrifflich gesehen und wenn w i r das „Souverän-Sein" des Volkes nicht als reine Metapher verstehen wollen, scheint die Volkssouveränität schon ein Widerspruch in sich zu sein, denn souverän zu sein setzt notwendigerweise ein Unterwerfungsverhältnis voraus. Wenn das ganze Volk souverän sein soll, so stellt sich die Frage, wer eigentlich der Unterworfene ist. Keine Theorie hat bis heute auf diesen Einwand eine befriedigende Antwort gegeben. Die These der Volkssouveränität könnte aber als eine juristische Fiktion verstanden werden, die als solche nicht eine Seinswahrheit zum Ausdruck bringt, sondern den Sinn eines Sollensprinzips hat: Alle Staatsgewalt soll nämlich vom Volke ausgehen. Ob in Wirklichkeit alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ist eine andere Frage, welche die Sollensnatur dieses Rechtsprinzips unberührt läßt (auch wenn einige Menschen töten, bleibt die Sollensnatur des Tötungsverbots unberührt). Selbstverständlich bleibt bei diesem Verständnis der Volkssouveränität noch ungeklärt, ob dieses Sollen etwas Unmögliches darstellt, denn, wie schon erwähnt, nur die direkte und totale Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk ist der entscheidende Beweis dafür, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und diesen Beweis können wir nicht gelten machen. Es ist zuzugeben, daß die juristische Fiktion dieses Sollensprinzips notwendigerweise eine maximale Anteilnahme des Volkes an der Ausübung der Staatsgewalt verlangt, die maximale Anteilnahme bedeutet aber nicht notwendigerweise Volkssouveränität. Wie dem auch sei, die Erfahrung hat uns gezeigt, daß eine maximale Anteilnahme des Volkes an der Ausübung der Staatsgewalt wünschenswert ist, und ob wir diese maximale Anteilnahme im Namen des Volkes oder im Namen des Rechts verlangen, kann für das Ergebnis gleichgültig sein. Da die Volkssouveränität nicht mehr im Sinne des Liberalismus verstanden werden kann und da auch das Volk dem Recht und dem Gesetz unterworfen ist und die vom Volke ausgehende Gewalt der Achtung und dem Schutz der Würde des Menschen dienen soll, könnte man sich fragen, ob der eigentliche Souverän nicht mehr das Volk, sondern Recht und Gesetz; nicht der Staat, sondern der Mensch und seine Würde ist. Ich übersehe nicht, daß, auch wenn die Theorie der Volkssouveränität eine juristische Fiktion sein sollte, diese Theorie den guten Zweck gehabt hat, nicht nur die Freiheit der Menschen und die Staatsgewalt zu versöhnen, sondern auch die Staatsgewalt mög-

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liehst zu beschränken. Wenn wir aber heute die „Menschensouveränität" proklamieren und verwirklichen, brauchen w i r uns nicht mehr darum zu kümmern, ob die These der Volkssouveränität bewiesen werden kann. Wenn wir heute ein besseres Staats- und Rechtssystem haben, ist das nicht so sehr der „Theorie" der Volkssouveränität, als vielmehr der bitteren Erfahrung der Menschen zu verdanken, die Opfer der Staatsgewalt geworden sind. Wir Theoretiker neigen allzuoft dazu, die Macht der Theorie zu überschätzen, die Welt aber bewegt sich nicht nach unseren Theorien. Die Erfahrung ist nicht nur die beste Meisterin der Politik, sondern auch dessen, was in der Welt der Politik Recht sein soll, und jegliche Theorie sollte das zur Kenntnis nehmen. Der Staat ist ein Menschenwerk. In diesem Sinne schafft der Mensch den Staat, aber oft „schafft" auch der Staat den Menschen. Wir müssen daher ständig den Staat schaffen, damit der Staat nicht anfängt, uns zu „schaffen". Hier liegt wahrscheinlich der wahre, praktische und bleibende Kern der Volkssouveränität.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 161 - 171 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

WIE „EUROZENTRISCH" IST DAS NEUZEITLICHE NATURRECHT? Von Ludwig Siep, Münster In der Menschenrechtsdiskussion ist der Vorwurf des Eurozentrismus auf verschiedenen Ebenen erhoben worden: man kann damit direkt eine ideologische Unterstützung „kolonialistischer", „neokolonialistischer" oder „imperialistischer" Politik meinen. Man kann aber auch indirekt kritisieren, daß unsere normativen Vorstellungen vom Recht, von der Individualität oder vom Menschen mit europäischen Vorurteilen behaftet sind, die fremden Kulturen nicht gerecht werden, sie durch ihre Verbreitung sogar zerstören könnten. Schließlich w i r d der europäische Begriff von Vernunft und Wissenschaft, die Methode des verallgemeinernden und begründenden Denkens für „kulturabhängig" und in seinem Geltungsanspruch begrenzt gehalten. Mir geht es hier um die mittlere Ebene - zur fundamentalsten werde ich nichts, zur direkt ideologie-kritischen nur wenig sagen. Das neuzeitliche Naturrecht, das heute überwiegend als Begründungsbasis für Menschenrechts- bzw. Rechtsstaatsforderungen dient, hat keine europäische Nabelschau betrieben. Alle seine wichtigen Autoren haben fremde Kulturen zum Vergleich und, wie sich zeigen wird, auch zur K r i t i k europäischer Vorstellungen herangezogen. Die Lehre vom Naturzustand - so unhistorisch oder nichtempirisch sie oft auch zu sein beansprucht - legt davon deutliches Zeugnis ab. Und da der Schwerpunkt der die Kolonisation begleitenden Erforschung zunächst auf Amerika lag, dessen üppigere K l i mazonen dabei die größte Faszination ausübten, kann man die Behauptung vertreten, daß zur Grundlegung des neuzeitlichen Naturrechts ein Dialog zwischen Europa und Lateinamerika gehört. Gemeint ist natürlich das Lateinamerika der Indianer und „Wilden" - die Hochkulturen Mexikos und Perus kommen zwar in den Blick, sind aber beim Thema „Naturzustand" weniger von Bedeutung. „Dialog" ist zugegebenermaßen eine Übertreibung. Zum einen, weil der „Amerikaner" nur ein verschwommenes Bild ist, das sich europäische Philosophen aus den Reisebeschreibungen europäischer Missionare, Kaufleute, Seeleute oder Soldaten gemacht haben, die - wie schon Rousseau bemerkte in der Regel nicht besonders geeignet sind, die Andersartigkeit fremder Länder und Kulturen zu erfassen. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie etwa Jean de Léry, dessen Brasilienbericht von 1578 noch Claude Lévy-Strauss

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für ein „chef-d'œuvre de la littérature ethnographique" hält. 1 Europäisch sind aber auch die Deutungsmuster, die Hobbes, Locke, Pufendorf, Rousseau und andere verwenden: die Unschuld, Sorg- und Reflexionslosigkeit des Paradieses, die Eigentums- und Herrschaftslosigkeit des Goldenen Zeitalters, die „stoische" Bedürfnislosigkeit, die calvinistische oder franziskanische Schlichtheit der Sitten, fern allem „papistischen" Glanz und Luxus. 2 Die zweite Dialogbeschränkung wird da schon sichtbar: der Amerikaner hat nicht die Stelle des Gesprächspartners, sondern die des Arguments in einem innereuropäischen Dialog. Der „amerikanische" Naturzustand illustriert, wozu die Staatslehre und Theologie der anderen europäischen Seite entweder führen kann - wie in Hobbes' Gleichsetzung des Lebens der Wilden mit dem europäischen Bürgerkrieg - oder was sie an Menschheitsglück zerstört hat, wie bei Rousseau und teilweise auch bei Locke. Das Schreckoder Idealbild in einer solchen Diskussion hat natürlich rhetorische Züge dessen, was der europäische Bürger entweder überwinden, bewahren oder wiedergewinnen sollte. Der „Amerikaner" ist ein Mittel zur europäischen K r i t i k europäischer Zustände. Daraus ergibt sich schon etwas für das Thema „Eurozentrismus": eurozentrisch kann das Menschenbild des neuzeitlichen Naturrechts nicht einfach deshalb sein, weil es bestehende europäische Zustände als Vollendung des menschlichen Wesens „mystifizierte" und damit die Kolonisation legitimierte. Höchstens kann der Bürger des philosophisch allein zu rechtfertigenden „status civilis", des Rechtszustandes, der gewaltenteiligen parlamentarischen Monarchie oder plebiszitären Republik europäische Züge haben. Und es kann dieser status civilis als derjenige gedacht sein, der unter allen Menschen herrschen sollte. Ob das so ist und welche Züge des cives eindeutig europäisch genannt werden können, möchte ich am Beispiel von Hobbes, Locke und Rousseau untersuchen.

1 C. Lévi-Strauss, Tristes Tropiques, Paris, Plön 1955, S. 92 (dt. Traurige Tropen, übers, v. S. Heintz, Köln/Berlin 1960); Jean de Léry, Histoire d'un voyage fait en la terre du Brésil, Edition, présentation et notes par Jean-Claude Morisot, Genève 1975. 2 Zu den Einflüssen dieser Deutungsmuster teils auf die Reisebeschreibungen, teils auf die philosophischen Deutungen - von Morus' „Utopia" über Montaignes „Les Cannibales" bis zu Rousseaus „Discours über die Ungleichheit" - vgl. vor allem G. Atkison, Les Nouveaux Horizons de la Renaissance Française, Genf 1935 und 1969 (Slatkine Reprints); H. N. Fair child, The Noble Savage, New York 1961; H. Levin, The Myth of the Golden Age in the Renaissance, Bloomington/London, Indiana University Press 1969; E. Dudley and M. E. Novak (eds.), The Wild Man Within. An Image in Western Thought from the Renaissance to Romanticism, Pittsburgh/London, Univ. of Pittsburgh Press 1972; F. Chiappelli (ed.), First Images of America. The Impact of the New World on the Old, Berkeley/Los Angeles/London, University of California Press 1976.

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I. Bei Hobbes ist die Frage am leichtesten zu beantworten: sein Bild des Naturzustandes ist eindeutig negativ und es ist unzweifelhaft vom Bild des „Wilden" beeinflußt. Freilich ist Hobbes' Wilder überwiegend Nordamerikaner - als Mitglied des Kreises um den Baron Cavendish war er mit Problemen der Kolonisation in Nordamerika vermutlich direkt befaßt. Auf historische und geographische Feinheiten kommt es ihm indessen nicht an - wie die „Amerikaner" können auch die Germanen für ihn die Rolle der Wilden übernehmen. 3 Wie weit er aber an Berichten über Amerika orientiert ist, zeigt vor allem das Titelbild von De Cive (Paris 1642).4 Es konfrontiert in der unteren Hälfte zwei Gestalten jeweils auf eigenem Sockel vor einer Landschaft. Links steht auf dem Sockel mit dem Titel „Imperium" eine Frauengestalt mit Krone, Waage und Schwert vor einer Landschaft mit landbebauenden Menschen im Mittel- und einer Stadt im Hintergrund. Rechts steht auf dem Sockel mit dem Titel „Libertas" ein (wohl) männlicher Wilder mit einem Lendenschurz aus Federn und einem mannsgroßen Bogen mit Pfeil. Im Mittelgrund schießen ebensolche Wilde mit Pfeilen auf unbekleidet und unbewaffnet Davonstürzende. Im Hintergrund korrespondiert der Stadt ein notdürftig geschütztes Hüttendorf. Die Botschaft ist klar: der herrschaftslose Naturzustand ist von natürlicher Gier, Gewaltbereitschaft und Furcht gekennzeichnet, der bürgerliche Zustand dagegen durch Gerechtigkeit, Strafgewalt, lohnende Arbeit sowie furchtloses und behagliches Leben. Das Leben des Menschen im Naturzustand ist nach den berühmten Worten des 13. Kapitels des Leviathan „solitary, poor, miserable, brutish and short". Wenige Zeilen später folgt die kulturelle Zuordnung: „Noch heute sehen wir Menschen unter diesen Bedingungen leben. Die Eingeborenenvölker vieler Teile Amerikas z.B. kennen keine Regierung, es sei denn eine Ordnung innerhalb der Familie. Und zu Familiengemeinschaften schließen sie sich zur Befriedigung ihrer Lustbedürfnisse zusammen. Sie leben also heute noch ganz so tierhaft, wie ich es oben beschrieben habe. Aber wie dem auch sei: wie das Leben ohne eine furchtgebietende oberste Gewalt aussehen würde, kann man aus dem Zustand ersehen, in den Menschen, die vorher unter einer friedlichen Regierung gelebt haben, im Bürgerkrieg verfallen. (100)5 3 Hobbes übernimmt nur die negativen Züge des Germanenbildes bei Caesar oder Tacitus - Kriegslust und Zwietracht - , nicht die positiven (Freiheitsliebe, Tapferkeit, Bedürfnislosigkeit, Keuschheit etc.). 4 Es ist wiedergegeben in der Ausgabe der Philosophischen Bibliothek: Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, eingeleitet und hrsg. v. G. Gawlick, Hamburg 2 1966, aus der ich im Folgenden zitiere. 5 Es ist die Herrschaftslosigkeit dieses Zustandes, die bei Hobbes im Vordergrund steht - die Eigentumslosigkeit ist erst die Folge. Die Darstellung von A. J. Slavin, The American Principle from More to Locke, in: F. Chiappelli (ed.), (FN 2), S. 139 - 164 ist

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Hier sind fast alle Elemente der Hobesschen Rechts- und Staatsphilosophie erkennbar: Hobbes setzt den Naturzustand mit der Anarchie des Bürgerkrieges gleich. Der Wilde ist ihm ein Argument gegen den staatszerstörenden Papismus, die gefährliche Lehre des doppelten Gehorsams, wie gegen den radikalen Puritanismus, der keine dauerhafte staatliche Herrschaft und keine staatliche Autorität in den öffentlichen Religionsangelegenheiten zuläßt. „Wildheit" ist kein anthropologischer oder gar rassischer Begriff oder Zustand, sondern ein moralischer und rechtlicher Zustand des Menschen, des Europäers wie des Amerikaners: der Zustand innerer und äußerer Herrschaftslosigkeit der Vernunft, der Ohnmacht ihrer nur bei „Affektgleichgewicht" einseh- und praktizierbaren Regeln (dictamina rectae rationis). Zu innerer Vernunftherrschaft, zur Herrschaft des Rechts und zur Zivilisation kommt es nur bei Verzicht auf Selbstverteidigung durch Einsetzung oder Unterwerfung unter eine konkurrenzlose Macht. Ohne die gibt es „keinen Fleiß... keine Bebauung des Bodens, keine Schiffahrt, keinerlei Einfuhr von überseeischen Gütern, kein behagliches Heim, keine Fahrzeuge zur Beförderung von schweren Lasten, keine geographischen Kenntnisse, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine Gesellschaft. "(99) Zivilisation, wie sie trotz der Bürgerkriege noch am ehesten in Europa blüht, ist also Zeichen von Rechts- und Vernunftherrschaft. Man kann das eine „eurozentrische" These nennen. Gibt sie den Europäern auch ein Recht zur Kolonisation? Man hat das aus Hobbes Nähe zu kolonisationsfördernden Kreisen und auch aus Ähnlichkeiten zu den Schriften von Robert Gray und John Smith geschlossen. Aber in diesen Schriften w i r d die Kolonisation theologisch gerechtfertigt - bei Gray etwa mit dem Auftrag zur Rettung der Seelen der Wilden vor der Herrschaft des Teufels, einer Rettung, nach der sie selbst verlangen und die auf christlich-zivilisierte Weise mit möglichst wenig Gewalt und Bereicherung vor sich gehen soll. 6 Eine solche Verteufelung des Naturzustandes ist bei Hobbes nicht zu finden. Lust und Gewalt sind vormoralisch unschuldig, solange sich jeder selbst erhalten und verteidigen muß. Hobbes denkt das Verhältnis von Naturtrieb und Vernunftherrschon bezüglich Hobbes sehr einseitig. Sie geht zudem dogmatisch davon aus, das wahre „amerikanische Prinzip", das sowohl in den Kulturen der Eingeborenen wie i n den frühen christlichen (vor allem protestantischen) Kolonien realisiert war, sei die Eigentumslosigkeit gewesen. Adäquater zu Hobbes: R. Ashcraft, Leviathan Triumphant: Thomas Hobbes and the Politics of Wild Men, in: Dudley / Novak (eds.), (FN 2), S. 141-181. 6 Vgl. Robert Gray , A Good Speed to Virginia, London 1609. Faksimile-Ausgabe Amsterdam/New York, Da Capo Press 1970, S. C3. Für Gray sind die Indianer zwar tierisch, w i l d und unzivilisiert („differ very little from beasts, loving no Art, no Science, no trade"), aber zugleich von guter Natur („by nature loving and gentle"). Ihre Grausamkeit ist der Herrschaft des Teufels zuzuschreiben („they worship the divell, offer their young children in sacrifice unto him"). Vgl. zu Gray und John Smith, General Historie of Virginia and New England (1624) die Ausführungen von W. Förster, Hobbes und der Puritanismus, Berlin 1969, S. 160.

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schaft eher griechisch als christlich. Eine gewaltsame Kolonisation ist allerdings nach ihm insoweit berechtigt, wie jeder Eroberüngsstaat es ist, der die Bürger durch sein Gewaltmonopol voreinander schützt. Berechtigt sind aber auch die staatsähnlichen Herrschaftsformen in den anderen „Teilen" Amerikas, also etwa in Mexiko und Peru. Eine religiöse oder „zivilisatorische" Mission zur Eroberung gibt es bei Hobbes nicht. Vor allem gibt es keine unterschiedlichen Bürgerrechte, die etwa von Unterschieden der Natur oder Vernunft der Individuen abhingen: jeder Mensch hat gleiches Recht auf staatlichen Schutz seiner Sicherheit und auf ein Maximum seiner mit der Sicherheit aller kompatiblen Bewegungsfreiheit. Wenngleich also für Hobbes der europäische, unter einer zivilisationsfördernden Gesetzesherrschaft lebende Mensch der Natur und Vernunft am meisten entspricht, legitimiert dieses Menschenbild doch kein Recht auf Expansion und Kolonisation. Einer Staatsgründung durch Eroberung kann Hobbes aber die Legitimation nicht bestreiten, auch wenn ein auf Vertrag beruhender Staat vernünftiger und stabiler ist. II. Während Hobbes die Folgen der Herrschaftslosigkeit unter den Amerikanern als Argument gegen alle Formen der Herrschaftsteilung und -beschränkung benutzt, dient „Amerika" für John Locke gerade umgekehrt als Argument gegen Absolutismus und Gottesgnadentum. Wie bei Hobbes, ist auch bei Locke „Amerika" ein Zustand der Menschheit überhaupt, ein Entwicklungsstadium, das sich in einigen Teilen der Welt noch erhalten hat. Es ist durch drei Grundzüge gekennzeichnet, von denen Locke zwei positiv und einen negativ bewertet: positiv ist die Selbstgenügsamkeit, die Beschränkung der - vornehmlich als Sammler und Jäger verstandenen „Wilden" auf das zum eigenen Verbrauch Nötige. Diese Tugenden werden begünstigt durch die Naturalwirtschaft bzw. die Abwesenheit des Geldes als des großen Verführers zu Habsucht und Herrschsucht. „So war anfangs", schreibt Locke in der Zweiten Abhandlung über die Regierung, „die ganze Welt ein Amerika, denn so etwas wie Geld war überall unbekannt. Wenn man sich etwas ausdenkt, was bei seinem Nachbarn dem Gebrauch und dem Wert des Geldes entspricht, so wird man sehen, wie derselbe Mensch (sc. der vorher nur für den Selbstverbrauch gesorgt hat) unverzüglich beginnt, seinen Besitz zu vergrößern" (§ 49).7 Der Naturzustand vor der Einführung des Geldes war keineswegs ein Kriegszustand, sondern ein solcher der Selbstgenügsamkeit, Harmonie und Stabilität. Er kannte - auch das ist deutlich gegen Hobbes gerichtet - bereits 7 Ich zitiere nach der Übersetzung von H. J. Hoffmann: John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, hrsg. u. eingel. v. W. Euchner, Frankfurt/Wien 1967.

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Eigentum, Tausch und Vertrag. Das Eigentum wurde wegen seines wahren Wert- und Rechtsgrundes, der Arbeit, respektiert: „So gibt dieses Gesetz der Vernunft das Wild demjenigen Indianer zum Eigentum, der es getötet hat. Es wird als das Eigentum desjenigen anerkannt, der seine Arbeit darauf verwandt hat, auch wenn vorher alle ein gemeinsames Recht darauf hatten." (§ 30) Daher sind auch Versprechen, Verträge und Tauschgeschäfte schon möglich. Locke belegt das eigens mit Beispielen aus Garcilaso de la Vegas (1536 - 1616) Geschichte Perus 8 und konstruiert das - angesichts der Genfer im brasilianischen Fort Coligny 9 nicht einmal abwegige - Beispiel eines Tauschgeschäfts „zwischen einem Schweizer und einem Indianer in den Wäldern Amerikas" (§14). Der zweite, vor allem gegen Robert Filmers Theorie der Adams-Erbfolge der Könige gerichtete Grundzug des Naturzustandes betrifft die Herrschaftsformen bzw. die Entstehung des Königtums. Für Locke ist die von der Vernunft geforderte begrenzte, zweckgebundene und auf „trust", d.h. Beauftragung und freiwilliges Vertrauen zurückgehende Herrschaft schon im Naturzustand üblich. Er zitiert aus José de Acostas „Naturall and morali historié of the Indies" (1604) 10 , daß die Völker in Peru, Florida und Brasilien „keine festen Könige haben, sondern, wie es die Gelegenheit jeweils erfordert, in Krieg und Frieden ihre Anführer beliebig wählen" (§ 102). Wenngleich sich nach der Verbreitung der Geldwirtschaft die Gegensätze zwischen den Menschen verschärfen und festere Herrschaftsformen nötig werden, bleibt nach Locke die vernunftgemäße staatliche Herrschaft an freie, revozierbare und zweckgebundene Beauftragung gebunden. Zweck aber ist der Schutz dessen, was allen Menschen von Natur bzw. vom Schöpfer eigen ist: die „property" ihrer geistigen und leiblichen Fähigkeiten und ihrer Bewegungsfreiheit. Auch wenn es ihnen an einer förmlichen Gewaltenteilung fehlt, sind die begrenzten Herrschaftsformen Amerikas (vgl. auch § 108) gegenüber dem europäischen Absolutismus vorbildlich. 8 Locke zitiert aus Garcilaso de la Vega, Commentaire Royale, ou L'Histoire des Yncas, Roys du Peru. (Paris 1633). Vgl. Peter Lasletts kritische und kommentierte Ausgabe von John Locke, Two Treatises of Government, Cambridge, Cambridge University Press 21970, S. 145 u. 502. Locke benutzt de la Vegas Bericht in der ersten Abhandlung freilich auch, um gegen Filmer auf die Auswüchse der väterlichen Herrschaft im Inkareich hinzuweisen („ein V o l k . . . das Kinder zu dem Zwecke zeugte, um sie zu mästen und später zu essen" S. 104, § 57). 9 Zu der bizarren Geschichte dieser französischen Kolonie, die anfangs vielen französischen Protestanten und Genfer Calvinisten Zuflucht gewährte vgl. die Einleitung von J. C. Morisot in seiner Ausgabe von Lérys Brasilienbericht (FN 1) S. XVIff. sowie Lévi-Strauss, Tristes Tropiques (FN 1) S. 91 f. 10 Locke benutzte die engl. Übersetzung von Edward Grimstone (jüngste ReprintAusgabe: New York 1970). Acosta war ein Jesuit und zeitweiliger Berater des spanischen Vizekönigs von Peru, Francisco de Toledo (1568 - 1579). Die spanische Fassung der Historia natural y moral de las Indias erschien zuerst 1590 i n Sevilla, eine lateinische der ersten zwei Bücher 1588 und 1589 in Salamanca. Vgl. die Einleitung von C. R. Markham in der engl. Ausgabe von 1880 (ebenso im Reprint von 1970).

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Selbstbeschränkung und Beschränkung der Herrschaft sind die beiden positiven Grundzüge des Naturzustandes. Hier sind bei Locke, wie in der französichen Renaissance und später bei Rousseau, paradiesische Züge des „guten Wilden" sichtbar. Erst der dritte Grundzug spricht für einen Vorzug Europas: Amerika ist ein unbebautes, nicht durch den Fleiß seiner Bürger in seiner Fruchtbarkeit gesteigertes Land. Damit entbehren die Amerikaner nicht nur die Bequemlichkeit des Lebens, sie erfüllen darüber hinaus nicht den göttlichen Auftrag, die Erde und den Menschen zu verbessern. Dieser Auftrag zeigt sich für Locke ebenso negativ im ständigen Druck der Unbequemlichkeiten des Lebens wie positiv in den Möglichkeiten, durch Erfahrung und Verbesserung unserer sprachlichen und begrifflichen Werkzeuge lebenserleichternde Erkenntnisse zu gewinnen. Er ist auch der letzte Grund seiner Eigentumslehre : es ist Pflicht, durch seine Arbeit die Schöpfung für die gesamte Menschheit wertvoller zu machen, auch wenn solche Arbeit primär Anspruch auf privates Eigentum verleiht. Diese Pflicht aber erfüllen die arbeitsamen Europäer in höherem Maße als die Amerikaner - und erhalten dafür bereits jetzt irdischen Lohn: Die Natur hat die Völker Amerikas „ebenso freigiebig wie irgendein anderes Volk mit den Elementen des Reichtums ausgestattet, d. h. mit einem fruchtbaren Boden, der fähig ist, im Überfluß zu erzeugen, was zu Nahrung, Kleidung und Genuß dienen könnte. Weil sie ihn jedoch nicht durch Arbeit veredeln, besitzen sie nicht den hundertsten Teil der Annehmlichkeiten, an denen wir uns erfreuen. Und der König eines großen und fruchtbaren Gebietes wohnt, nährt und kleidet sich dort schlechter als ein Tagelöhner in England." (§ 41) Paradiesisch angenehm wird das Leben der Menschen also erst nach dem Sündenfall des Geldes, dessen Einführung ihr Gewinnstreben und damit ihren Fleiß mächtig anstachelt. Ihre paradiesische Güte und Freiheit freilich geht dabei verloren und muß durch Formen begrenzter staatlicher Herrschaft ersetzt werden. Da aber die göttliche Aufgabe der Selbst- und Weltvervollkommnung für den Menschen von Anfang an konstitutiv ist, stellt „Amerika" einen Zustand dar, der zu Recht überwunden wird - und die Einführung des Geldes zumindest die „felix culpa", der sich Fleiß und höhere Zivilisation verdankt. Ein Recht Europas auf Eroberung oder einen Auftrag zur Zivilisierung Amerikas hat Locke aber m.E. daraus nicht abgeleitet. Auch vom Recht eines Eroberungsstaates im Hobbesschen Sinne kann bei ihm keine Rede sein. Was die Kolonialisierung rechtfertigen könnte, ist das Eigentumsrecht auf bebauten und in seinem Wert gesteigerten Boden. Zumal Locke in dem Aufeinanderstoßen von Natural- und Geldwirtschaft offenbar kein rechtliches Problem sieht: die Verführungskraft der letzteren führt zu ihrer zwanglosen Ausdehnung. Damit setzt sie aber die Grenzen des Eigentums im Naturzustand, das Monopol- und das Verschwendungsverbot, außer

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Kraft und macht die Einrichtung eines gemeinsamen Staates nötig. Dessen Aufgabe ist freilich nicht der Schutz des Grund-, Sach- und Geldeigentums gegen die Eigentumslosen, wie Locke schon bei den Verfassungsvätern der Vereinigten Staaten und im europäischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts gelegentlich mißverstanden wurde. Lockes primärer Eigentumsbegriff ist, wie schon erwähnt, „property", d.h. die Verfügungsgewalt eines jeden über seinen Körper und Geist, sein Recht auf Leben, Gesundheit, Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Zu ihrem Schutz darf der Staat, wie Peter Laslett zu Recht herausgestellt hat, auf dem Wege parlamentarischer Gesetzgebung in das Eigentum im Sinne von „possession" oder „estate" eingreifen. 11 Dazu paßt allerdings weder Lockes - auch in sich kaum konsistente - theoretische Stellungnahme zur Sklaverei in Kapitel IV der zweiten Abhandlung noch seine praktischen Stellungnahmen zur Sklaverei in Carolina und Virginia. 1 2 III. Vernunftherrschaft, Selbstvervollkommnung und Bearbeitung der Natur scheinen die positiven europäischen Züge des Menschen bei Hobbes und Locke. Das Recht und die Fähigkeit zur Errichtung eines rechtsschützenden Staates ist dagegen allen Menschen gemein. Was ändert sich bei Rousseau, bei dem die Auseinandersetzung mit dem „homme sauvage" eine ganz neue Qualität erhält? Rousseau ist der erste Vertreter des neuzeitlichen Naturrechts, der das Problem des Eurozentrismus in vollem Umfang erkannt hat, wie die berühmte AnmerkungX des zweiten Discours' zeigt: „Seit drei- oder vierhundert Jahren überfluten die Einwohner Europas die anderen Teile der Welt und veröffentlichen sie unablässig neue Sammlungen von Reisebeschreibungen und Berichten - dennoch bin ich überzeugt, daß w i r keine anderen Menschen als allein die Europäer kennen; außerdem hat es angesichts der lächerlichen Vorurteile, die selbst unter den Gelehrten nicht ausgestorben sind, den Anschein, daß jeder unter der hochtrabenden Bezeichnung ,Studium des Menschen' kaum mehr als die Menschen seines Landes studiert. Die Einzelnen mögen noch so viel hin- und herreisen, die PhilosoV J phie scheint es, geht nicht auf Reisen, deshalb auch ist die Philosophie jedes Volkes wenig geeignet für ein anderes" (S. 341). 13 11

Vgl. die Einleitung seiner Ausgabe der Two Treatises (FN 8) S. 104. Vgl. den Kommentar Lasletts zu den §§23 und 24 der Zweiten Abhandlung (a.a.O. S. 302 f.) sowie seinen Hinweis auf Elringtons Anmerkung in seiner Ausgabe von 1798. Nach Slavin (FN 5) ist dagegen sowohl das Kapitel „On Slavery" wie die - 20 Jahre frühere - „Fundamental Constitution of Carolina" eine Konsequenz des Lockeschen Ansatzes. 13 Ich zitiere den „Discours sur l'origine de l'inégalité parmi les hommes" nach der französisch-deutschen Ausgabe von Heinrich Meier (Paderborn 1984). 12

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Erst die zehnjährige Weltreise eines Philosophen vom Schlage Montesq u i e u , Condillacs, Diderots oder Buffons könnte die „natürliche, moralische und politische Geschichte" liefern, auf der eine philosophische Anthropologie aufzubauen hätte. 14 Trotzdem hat Rousseau es gewagt, Grundzüge der menschlichen Natur und ihrer Entwicklung zu entwerfen, die die Basis einer radikalen K r i t i k der „überzivilisierten" europäischen Gesellschaft abgeben. Und er hat sich dabei auf viel Material der von ihm so verachteten Reisenden gestützt. 15 Rousseau hat bekanntlich verschiedene Stufen des Naturzustandes unterschieden und die Auffassung vertreten, daß der Wilde der Reisebeschreibungen nicht mehr der ersten Stufe der einzelgängerischen Naturmenschen entspricht. Gerade für die Rückschlüsse auf diesen Anfang sind ihm die Berichte über Mittel- und Südamerika von du Tertre, Coréal, de la Condamine und anderen offenbar wichtig gewesen.16 Entscheidend am Bild des Wilden, das dem des Hobbesschen Naturzustandes diametral entgegengesetzt ist, ist das innere und äußere Gleichgewicht, die seelische Harmonie und die völlige Angepaßtheit der Bedürfnisse an die Umgebung: „Seine Einbildungskraft malt ihm nichts aus, sein Herz verlangt nichts von ihm; seine bescheidenen Bedürfnisse sind für ihn so leicht bei der Hand und von dem Grad an Kenntnissen, der erforderlich wäre um danach zu trachten, größere zu erwerben, ist er so weit entfernt, daß er weder Voraussicht noch Neugierde haben kann." (109) Ohne Einbildungskraft, Voraussicht, Vergleich muß der Naturmensch zunächst Einzelgänger sein. Im Essay über den Ursprung der Sprachen heißt es: „Derjenige, der sich nichts vorstellt (n'image rien), fühlt nur sich selbst; er ist allein inmitten des Menschengeschlechts." 17 In seiner vormoralischen Unschuld, seinem nahezu gefühllosen Glück und seiner paradiesischen Faulheit unterscheidet sich der Naturmensch nicht vom Tier. Sein Spezifikum ist bloß eine Fähigkeit, die sich erst mit seiner Verbreitung und den wachsenden Herausforderungen seiner 14 Ebd., S. 347ff. Vgl. aber zum Bild des Wilden bei Diderot und Buffon: M. Ducket, Anthropologie et Histoire au Siècle des Lumières, Paris (Maspéro) 1971. 15 Nach G. Symcox, The Wild Man's Return: The Enclosed Vision of Rousseau's Discourses, in: Dudley / Novak (eds.) (FN 2), ist Rousseau besonders von den Reisebeschreibungen der Jesuiten beeinflußt (S. 227, 233). Zu Rousseaus Auseinandersetzung mit der Reiseliteratur über Amerika vgl. ferner J. Morel, Recherches sur les sources du Discours de J. J. Rousseau sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes, Lausanne 1910 (auch i n Bd. V der Annales de la Société J. J. Rousseau) sowie G. Pire, Jean-Jacques Rousseau et les relations de voyages, in: Révue d'histoire littéraire de France, 1956, S. 355 - 378. 16 Vgl. die Nachweise in den Kommentaren von Heinrich Meier (FN 13), S. 105, 111, 345 und Jean Starobinski, Œuvres Complètes de J. J. Rousseau, Paris 1964, vol. III, S. 1313, 1321, 1373. 17 Ich zitiere die Übersetzung H. Meiers in seiner Anm. 139 zum Discours über die Ungleichheit, ebd., S. 109 (nach Ch. Porset, Ed. critique de J. J. Rousseau, Essai sur l'origine des langues où i l est parlé de la mélodie et de l'imitation musicale. Paris 3 1976).

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Ludwig Siep

Umgebung entwickelt: die perfectibilité, die Vervollkommnungsfähigkeit. Sie ist eine durchaus zweischneidige Gabe: „Es wäre traurig für uns eingestehen zu müssen, daß diese unterscheidende und beinahe unbegrenzte Fähigkeit die Quelle allen Unglücks des Menschen ist; daß sie es ist, die ihn, vermöge der Zeit, aus jenem ursprünglichen Zustand fortzieht, in dem er ruhige und unschuldige Tage verleben würde; daß sie es ist, die, indem sie mit den Jahrhunderten seine Einsichten und seine Irrtümer, seine Laster und seine Tugenden zum Aufblühen bringt, ihn auf die Dauer zum Tyrannen seiner selbst und der Natur macht." (2. Discours, 105) Der europäische Mensch der überzivilisierten Stadtkultur ist das genaue Gegenteil des Wilden: er lebt nur in der Voraussicht, im Vergleich, in der Konkurrenz, im ruhelosen Streben nach der Befriedigung eingebildeter und nachgeahmter Bedürfnisse und nach der Beherrschung der Natur. Dennoch ist die Entwicklung der perfectibilité in der Gesellschaft, die Ersetzung der natürlichen Freiheit durch die bürgerliche und die sittliche, die beide im vernünftigen Gehorsam gegen ein „selbstgegebenes Gesetz" wie es im Contrat social heißt 18 - bestehen, nicht nur Schicksal, sondern auch Bestimmung des Menschen. Insofern ist auch für Rousseau der reflektierte, arbeitende und sich vervollkommnende Europäer eine höhere, weil menschlichere Form des Menschen. Der erreichte Zustand der Zivilisation ist aber kein Glücks- und kein Gleichgewichtszustand; er ist, was bei Hobbes und Spinoza der Naturzustand war: eine „Entgleisung der Natur", für die der Mensch mit dem Unglück der Selbstentfremdung bezahlen muß. Um dieses zu überwinden, ist das Vorbild des Wilden, vor allem auf der Stufe der ersten lockeren Vergesellschaftung (der Hirtenkultur), notwendig. Seine Umsetzung ist aber für Rousseau nicht schon durch den auf einem potentiellen Vertrag beruhenden Gesetzgebungsstaat möglich. Die Übereinstimmung mit sich in der Gemeinschaft bedarf der ökonomischen Interessengleichheit, der kulturellen Gefühlsübereinstimmung und der religiösen Gesinnungseinheit zumindest in den Grunddogmen der „bürgerlichen Religion". Wieweit Rousseau diesem Entwurf des Contrat social getraut hat, ob er im Émile und den späten autobiographischen Schriften nicht wenigstens für die Weisen einen Zustand der solitären Denk- und Gefühlsautarkie in der Gesellschaft bevorzugt hat, ist ein viel erörtertes Thema der Rousseau-Interpretation. Das Fazit ist, daß trotz des Bewußtseins der eurozentrischen Versuchung auch bei Rousseau die europäischen Züge des Menschen, die Arbeit an sich und der Natur, die Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft durch einen vernünftigen Willen, der sich allerdings von Interesse, Gefühl und Einbildungskraft nicht ablösen darf, den höchsten Rang einnehmen. Daraus folgt gewiß keine Rechtfertigung der Kolonisation oder Eroberung. Versuche der 18 Vgl. das 8. Kapitel des ersten Buches - in der deutschen Ausg. von H. Brockard, Stuttgart 1977, S.23.

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Rechtfertigung gewaltsamer oder vertraglicher Unterwerfung auf staatlicher oder privater Ebene (Sklaverei) werden bereits in den ersten Kapiteln des Contrat social widerlegt. Und ein Recht oder gar eine Pflicht, in die stabilen, wenngleich animalischen Kulturen der Naturvölker „zivilisatorisch" einzugreifen, gibt es sicher auch nicht. Da Rousseau in seinen eigenen Verfassungsentwürfen den internationalen Handel minimalisieren will, reduziert sich zudem die kulturelle „Ansteckungsgefahr". Ob Rousseaus Begriff der bürgerlichen Freiheit allerdings die Denkfreiheit, die Bestimmung des eigenen Glücks und die Mitbestimmung aller an den staatlichen Gewalten in ausreichendem Maße enthält, ist ebenfalls ein Streitpunkt der Rousseau-Deutung. Die Frage, ob sich die in Europa am ehesten entwickelten Züge der „Bestimmung des Menschen" als „kulturinvariant" beweisen ließen und mit welcher Methode, lasse ich hier offen. Selbst wenn das gelänge, stellt die These ihrer primär in Europa anzutreffenden Entwicklung bzw. Erfüllung noch einen Eurozentrismus dar. Er darf aber nicht mit der Behauptung verwechselt werden, daß nur den Menschen, die diese Züge in sich entwickelt hätten, die Rechte des Menschen und Bürgers zukämen: schon seit Hobbes wird der Zuteilung unterschiedlicher Rechte an unterschiedliche Entwicklungsgrade der Vernunft der Boden entzogen. Zum Träger der dem Menschen zustehenden Rechte ist nach Hobbes und Locke jedes Mitglied der biologischen Gattung, nach Rousseau zumindest der noch existierenden Entwicklungsstufen der Menschheit qualifiziert: es genügt dazu Vernunft im Sinne des Urteils über die Mittel der eigenen Selbsterhaltung und Glücksverfolgung einerseits - und Vernunft im Sinne des Gewissens andererseits, d.h. der Empfänglichkeit für die Imperative der Koexistenz vernunftbegabter Wesen. Wenn aber weder der Grad der Vernunftentwicklung noch die Religion Rechtsprivilegien begründen, gibt es auch kein Völkerrecht der europäischen Völker auf Unterwerfung und Beherrschung nichteuropäischer Völker. Diese Art von Eurozentrismus hat auch keiner der Autoren des neuzeitlichen Naturrechts vertreten. Inwieweit man Staatsgründungen und Eroberungen mit bestimmten Theoriestücken rechtfertigen konnte, habe ich am Beispiel von Hobbes und Locke angedeutet. Ob die Freiheit des Eigentums, des Handels, der Meere zu einer mit der Selbstbestimmung der Einzelnen und Völker unverträglichen wirtschaftlichen Abhängigkeit geführt hat, die durch eine internationale „volonté générale" überwindbar ist, wäre im nächsten Schritt zu untersuchen. Womöglich reicht aber die Kompetenz der Philosophie allein dafür nicht aus.

III. Begründungen des Rechts und der subjektiven Rechte

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 175 - 181 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

Z U M PROBLEM DER BEGRÜNDUNG DER MENSCHENRECHTE Von Eugenio Bulygin, Buenos Aires Das Problem der Menschenrechte ist in unserer Zeit nicht nur zu einem wichtigen Thema der theoretischen Forschung geworden, an dem Vertreter verschiedener Disziplinen (Juristen, Philosophen, Politologen, Soziologen, usw.) lebhaft teilnehmen; auch vom Standpunkt der praktischen Politik handelt es sich um eine höchst aktuelle Frage, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann. In diesem Aufsatz möchte ich mich mit dem Problem der Begründung der Menschenrechte befassen. Im Laufe der historischen Entwicklung der Lehre von den Menschenrechten wurden verschiedene Begründungsvorschläge vorgelegt. Fast alle diese Vorschläge gehen davon aus, daß Menschenrechte nicht oder mindestens nicht ausschließlich im positiven Recht begründet werden können, denn die Idee der Menschenrechte scheint besonders dann an Bedeutung zu gewinnen, wenn diese Rechte von positiven Rechtsordnungen verkannt und verletzt werden. Um ein Beispiel von Carlos Nino 1 zu verwenden: wenn im Namen der Menschenrechte gegen die Sowjetunion Klage erhoben wird, daß dort keine anderen politischen Parteien außer der kommunistischen zugelassen werden, würde die Antwort, daß die in diesem Lande geltende Rechtsordnung andere politische Parteien verbietet, kaum befriedigend sein. Denn durch eine solche Antwort würde, wenn sie wahr wäre, die Legitimität der K r i t i k erst recht bestätigt. In diesem Sinne scheint es klar zu sein, daß die Menschenrechte sich auf die normative Regelung einer positiven Rechtsordnung nicht reduzieren lassen, da sie gerade den Rahmen bieten, innerhalb dessen die K r i t i k der Gesetze, Institutionen oder Handlungen stattfindet. Dies scheint zur Folge zu haben, daß wenn eine positive Rechtsordnung Menschenrechte gewährt, sie dadurch nur bereits bestehende, von der Rechtsordnung unabhängige Rechte anerkennt. Was sind nun diese vom positiven Recht unabhängigen Menschenrechte? Die ersten historischen Formulierungen der Menschenrechte am Ende des 18. Jahrhunderts (Bill of Rights der Verfassung von Virginia, 1776; die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789) berufen sich ausdrücklich auf das Naturrecht. Menschenrechte sind die vom Naturrecht gewähr1

Carlos S. Nino , Etica y Derechos Humanos, Buenos Aires 1984, S. 24.

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Eugenio Bulygin

ten Rechte und ihre Existenz hängt vom positiven Recht nicht ab. Was dem positiven Gesetzgeber verbleibt ist nur ihre Anerkennung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlor diese Begründung der Menschenrechte an Überzeugungskraft, als die rechtspositivistische Anschauung, die die Existenz eines dem positiven Recht vorangehenden und von diesem unabhängigen Naturrechts leugnet, sich allgemein durchsetzte. Dennoch wurde dieser Sachverhalt kaum als ein Verlust empfunden, da die Menschenrechte inzwischen von den meisten, oder genauer: von den wichtigsten positiven Rechtsordnungen in Form von Verfassungsrechten und Garantien rezipiert worden sind. Diese Verfassungsrechte und Garantien erfreuten sich auch praktischer Anerkennung, zumindest in der „zivilisierten" Welt, wobei zu beachten ist, daß unter „zivilisierter" Welt damals nur Mitteleuropa und die Vereinigten Staaten verstanden wurden; was in den übrigen Erdteilen geschah, interessierte wenig. Erst mit dem Auftreten der totalitären Regime in europäischen Ländern im Laufe der zwanziger und dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts, Regime, die mit den demokratischen und liberalen Verfassungen und ihren Garantien der Menschenrechte gründlich aufräumten, verspürte man eine dringende Not, den Menschenrechten eine andere als nur positivrechtliche Begründung zu geben, um sie gegen die totalitären Rechtsordnungen in Schutz nehmen zu können. Dazu kam noch die Erweiterung der Grenzen der „zivilisierten" Welt, denn heutzutage können die Zustände in Chile, Südafrika oder Korea nicht mehr mit Indifferenz angesehen werden. Ein praktisches Problem, das darin bestand, eine überzeugende Begründung für die Bestrafung der Verbrechen des Dritten Reiches zu finden, verursachte knapp nach dem 2. Weltkrieg vor allem in Deutschland eine Reakt i o n gegen den bis dahin herrschenden Rechtspositivismus, die zu einer Art Wiedergeburt der Naturrechtslehre führte. Ob die Berufung auf das Naturrecht imstande war, eine nicht nur psychologisch überzeugende, sondern auch theoretisch vertretbare Begründung für das oben erwähnte Problem zu liefern, ist jedoch sehr zweifelhaft. 2 Jedenfalls findet man i n der lebhaften Polemik der fünfziger Jahre wenige, theoretisch stichhaltige Argumente gegen den Rechtspositivismus; die meisten Angriffe beruhten auf begrifflichen Verwirrungen. So wurden z.B. allen Positivisten gewisse Thesen zugeschrieben, die bestenfalls nur von einigen unbedeutenden Epigonen tatsächlich behauptet worden sind, die aber keineswegs den großen Vertretern des Positivismus in den sozialen Wissenschaften, wie Kelsen und Max Weber, vorgeworfen werden können. So hatte man z.B. den Rechtspositivismus als solchen beschuldigt, die These zu behaupten, daß jedes positive Recht und insbesondere jede von der staatlichen Gewalt erzeugte Norm als gültig 2 s. H. L. A. Hart, Positivism and the separation of law and morals, in: Harvard Law Review vol. 71, No. 4, S. 593 - 629.

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anzusehen ist und somit einen moralischen Anspruch auf Befolgung erheben kann, ganz unabhängig von ihrem Inhalt. Argumente dieser Art wurden gebraucht, um dem Rechtspositivismus vorzuwerfen, den Weg für den Nationalsozialismus geebnet zu haben, wobei vollkommen außer acht gelassen wurde, daß gerade die Ideologen des Nazismus sich des öfteren auf das Naturrecht bezogen, um die Verbrechen des Führers und seiner Gehilfen zu rechtfertigen. 3 In Wirklichkeit hat der Rechtspositivismus als philosophische Lehre nichts mit politischen Ideologien zu tun und, wie es schon Hume gesagt hat, gibt es kein schlechteres Argument gegen eine wissenschaftliche oder philosophische Theorie, als den Hinweis auf ihre angeblichen sozialen und politischen Folgen. Glücklicherweise war diese „Blüte" des Naturrechts von kurzer Dauer. Verfasser wie Kelsen, Alf Ross, Hart und Bobbio sorgten dafür, die Sachlage wieder in Ordnung zu bringen. 4 Allerdings hatte diese Polemik der Nachkriegszeit auch ihre positive Seite: die Positivisten sahen sich gezwungen, den Begriff des Rechtspositivismus schärfer zu bestimmen, wodurch verschiedene und oft miteinander unverträgliche Thesen ans Licht kamen, die zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen als Rechtspositivisten auftretenden Autoren behauptet worden sind. Also kam es zur Unterscheidung von mindestens drei verschiedenen Typen oder, wenn man will, verschiedenen Begriffen des Rechtspositivismus: Positivismus als approach zur Rechtswissenschaft, als Theorie und als Ideologie. 5 Nichtsdestoweniger ist es in der jüngsten Zeit zu einer Art von Wiedergeburt der Naturrechtslehre gekommen (obwohl ihre Vertreter meistens vermeiden, diesen Ausdruck zu verwenden). Als deren Vorkämpfer kann Ronald Dworkin 6 angesehen werden, da er bereits in den sechziger Jahren seinen inzwischen berühmt gewordenen Angriff gegen den Rechtspositivismus von Hart startete. 7 Seitdem hat sich die Zahl der Denker, die als Anhänger der Naturrechtslehre angesehen werden können, erheblich erweitert: Rawls und Nozick in den Vereinigten Staaten, Finnis in England und Nino in Argentinien gehören dazu. Alle diese Verfasser befassen sich mit den Rechten und insbesondere mit den Menschenrechten. Im folgenden w i l l ich besonders Nino's Buch Etica y Derechos Humanos (Ethik und Menschen3 Ernesto F. Garzón Valdés, Derecho y „Naturaleza de las Cosas", Cordoba 1971, Band 2. 4 Hans Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, in: Revista Juri dica de Buenos Aires 1961-IV, S. 8 - 45; Alf Ross, Validity and the conflict between legal positivism and Natural Law, ibidem, S. 4 6 - 9 3 ; H. L. A. Hart (FN 2), und Norberto Bobbio, El problema del positivismo juridico, Buenos Aires 1965. 5 Bobbio (FN 4). 6 Ronald Dworkin, Is a law a system of rules? In: R. M. Dworkin, The Philosophy of Law, Oxford 1977 (ursprünglich veröffentlicht 1967 unter dem Titel „The Model of Rules", 35 University of Chicago Law Review 14). 7 Hart (FN 2).

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rechte), das bisher leider nur auf Spanisch vorliegt und somit nur wenigen europäischen Lesern zugänglich ist (aber bald auch auf Englisch erscheinen soll), berücksichtigen. Wie sieht nun die Begründung der Menschenrechte bei einem modernen Autor, wie Nino es ist, aus? Nino beginnt mit dem Hinweis auf die Normenbezogenheit des Begriffs der subjektiven Rechte (rights): Sätze über Rechte im allgemeinen und über Menschenrechte im besonderen sind gleichwertig mit Sätzen über den Inhalt der Regeln oder Prinzipien eines bestimmten Normensystems (S. 23). Darin hat Nino unbestreitbar recht. Im Spezialfall der Menschenrechte handelt es sich um Regeln oder Prinzipien eines moralischen Normensystems. Also sind Menschenrechte mindestens in ihrem ursprünglichen Sinn moralische Rechte. Die von einer positiven Rechtsordnung gewährten Menschenrechte sind moralische Rechte, die von der Rechtsordnung anerkannt sind, deren Existenz aber von dieser Anerkennung unabhängig ist. Wenn bei Nino von einem moralischen Normensystem die Rede ist, handelt es sich keineswegs um ein System der positiven Moral (also der Moral, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt de facto gilt), sondern um die ideale oder kritische Moral. Unter einer idealen Moral versteht Nino ein System von Prinzipien und Werturteilen, die eine objektive Geltung besitzen, d.h. semper et ubique gelten, unabhängig von ihrer eventuellen faktischen Anerkennung, und die der menschlichen Vernunft zugänglich sind. Aus dieser Charakterisierung geht bereits klar hervor, daß ein solches Moralsystem sich von einem System des Naturrechts nicht wesentlich unterscheidet, was Nino ohne weiteres zugibt (S. 25). Die Begründung der Menschenrechte beruht somit auf der Annahme eines objektiv gültigen und erkennbaren Moralsystems. Ich werde hier die sehr umständlichen Gründe, die Nino für diese Annahme anführt, nicht näher untersuchen (obwohl ich nicht verheimlichen kann, daß seine Argumente mich keineswegs überzeugen). Aber Nino glaubt, die Hypothese eines objektiven Moralsystems sei auch für einen Rechtspositivisten annehmbar, zumindest für einen „konzeptuellen", im Gegensatz zu einem „ideologischen" Positivisten. Um diese Behauptimg Nino's analysieren zu können, müssen w i r die für diesen Zusammenhang entscheidenden Begriffe des Naturrechts und des Rechtspositivismus näher bestimmen. Die Naturrechtslehre kann durch die zwei folgenden Thesen charakterisiert werden (und wird auch von Nino so definiert): a) die erste These behauptet die Existenz eines Naturrechts, also eines Systems von universal gültigen und erkennbaren Normen, die ein Kriterium für die Gerechtigkeit sozialer Institutionen liefern, b) Die zweite These behauptet, daß ein Normensystem, das dem Naturrecht nicht entspricht (d.h. mit ihm im Widerspruch steht), nicht als ein Rechtssystem angesehen werden kann. Die erste

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ist eine ontologische These; dagegen kann die zweite These als eine semantische These angesehen werden, denn sie beschränkt den Umfang des Begriffes des Rechts und dient also zur Bestimmung der Bedeutung des Wortes „Recht". Nino charakterisiert den begrifflichen oder konzeptuellen Rechtspositivismus als eine Position, die die zweite, nicht aber die erste These negiert. Diese Art des Rechtspositivismus läuft daher laut Nino auf einen semantischen Vorschlag hinaus: nämlich, das Wort „Recht" in einem weiteren Sinne zu gebrauchen, so daß auch die dem Naturrecht widersprechenden, also ungerechten, Normensysteme als „Recht" anzusehen sind. Kein Wunder, daß anhand dieser Definition die ganze Diskussion zwischen den Positivisten und den Anhängern des Naturrechts von Nino als eine triviale Pseudodiskussion über Wortbedeutungen gedeutet wird. 8 Die Zweckmäßigkeit seiner Definition des begrifflichen Rechtspositivismus w i r d aber dadurch in Frage gestellt, daß die meisten Rechtsphilosophen positivistischer Prägung ihre eigene Position als unvereinbar mit der der Naturrechtler ansehen, wie z.B. Kelsen, Alf Ross und Hart. Alf Ross betrachtet die Negation der These (a) als ein definitorisches Merkmal des Rechtspositivismus. Dagegen ist der (begriffliche) Rechtspositivismus, so wie er von Nino definiert wird, mit der Naturrechtslehre durchaus verträglich. Er glaubt, daß die Negation der These (a) nicht für den Rechtspositivismus, sondern für den ethischen Skeptizismus kennzeichnend ist. Der ethische Skeptiker in Nino's Sinn glaubt nicht an die Möglichkeit, ein universell gültiges und gerechtes Normensystem (sei es Naturrecht oder ideale Moral) erkennen zu können, sei es, weil es ein solches Normensystem überhaupt nicht gibt (ontologischer Skeptizismus), sei es, weil es für die menschliche Vernunft unzugänglich ist (gnoseologischer Skeptizismus). Ich würde es jedenfalls vorziehen, den ethischen Skeptizismus als ein definitorisches Merkmal des Rechtspositivismus zu betrachten. In diesem Sinne ist die Position eines dem Rechtspositivismus fernstehenden Philosophen wie G. H. von Wright sehr bezeichnend, da er den Rechtspositivismus durch die folgenden drei Thesen, charakterisiert 9 : (1) Alles Recht ist positives (d.h. vom Menschen gesetztes) Recht. (2) Strenge Unterscheidung zwischen Sein und Sollen (d.h. zwischen deskriptiven und präskriptiven Sätzen). (3) Eine nicht-kognitive Auffassung der Normen; das bedeutet, daß sie weder wahr noch falsch sein können. 8

C. S. Nino , Dworkin and Legal Positivism, in: 89 Mind (1980), S. 519 - 543. Georg Henrik von Wright, Is and Ought, in: E. Bulygin/J.-L. Gardies/I. Niiniluoto, Man, Law and Modern Forms of Life, Dordrecht/Boston/Lancaster 1985, S. 263 - 281. 9

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Aus diesen drei Thesen folgt bereits, daß es für einen Rechtspositivisten keine wahren Moralnormen geben kann, da die Moralnormen, wie alle Normen weder wahr noch falsch sind. Wenn dies als ethischer Skeptizismus angesehen wird, dann ist er ein notwendiges (d.h. definitorisches) Merkmal des Rechtspositivismus. Es hat natürlich wenig Sinn, über Wortbedeutungen zu streiten und es ist daher in diesem Zusammenhang nicht wesentlich, ob der (begriffliche) Rechtspositivismus wie bei Nino nur durch die semantische These charakterisiert wird oder ob man den ethischen Skeptizismus als sein Bestimmungsmerkmal betrachtet. Die interessante Frage in diesem Zusammenhang lautet wie folgt: Was sind die Menschenrechte für einen ethischen Skeptiker (in Nino's Sinn) oder für einen Rechtspositivisten (in meinem Sinn)? Es ist klar, daß wenn es keine absoluten, objektiv gültigen oder wahren, Moralnormen gibt, es auch keine absoluten moralischen Menschenrechte geben kann. Bedeutet das nun, daß es überhaupt keine moralischen Menschenrechte gibt und daß diese nur im positiven Recht verankert werden können? Die Frage ist nicht sehr klar und somit kann auch die Antwort nicht eindeutig ja oder nein heißen. Einerseits steht nichts im Wege, von den moralischen Menschenrechten zu reden, doch können diese moralischen Rechte keinen Anspruch auf absolute Geltung erheben. Sie können nur als Forderungen an die positive Rechtsordnung gedeutet werden, die vom Standpunkt einer bestimmten (positiven oder kritischen) Moral gestellt werden. Ob die jeweilige positive Rechtsordnung diesen Forderungen auch tatsächlich entspricht, ist eine andere Frage, die nur in bezug auf eine bestimmte Rechtsordnung und ein bestimmtes Moralsystem beantwortet werden kann. Also sind die moralischen Menschenrechte keine Gegebenheiten, sondern nur Ansprüche oder Forderungen. Erst durch ihre Positivisierung durch den Gesetzgeber (etwa durch die Verfassung) oder durch das internationale Recht werden die Menschenrechte zu etwas greifbarem, denn da kann bereits die Rede von juristischen, nicht nur bloßen moralischen Menschen 7 rechten sein. Diese Auffassung schließt die K r i t i k einer positiven Rechtsordnung wegen der Verletzung der Menschenrechte keineswegs aus: solche K r i t i k kann vom Standpunkt einer (vom Kritiker oder auch von der jeweiligen Gesellschaft akzeptierten) Moral erfolgen; aber sie kann auch auf den vom Völkerrecht oder von der Verfassung des betreffenden Staates anerkannten Menschenrechten fußen. Man könnte etwa argumentieren, daß das Verbot anderer politischer Parteien in der Sowjetunion mit der sowjetischen Verfassung unverträglich ist oder gegen die Grundsätze des Völkerrechts oder einer bestimmten Moral verstößt.

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Hier könnte vielleicht der Einwand erhoben werden, daß in dieser Auffassung den Menschenrechten ein fester Boden entzogen wird. Das ist wohl wahr; aber es nützt nichts, einen festen Boden zu postulieren, wenn tatsächlich kein solcher vorhanden ist. Und es ist sogar gefährlich, es zu tun, denn dadurch entsteht die Illusion, daß die Menschenrechte gesichert sind und man sich nicht weiter um sie zu kümmern braucht. Aber in Wirklichkeit sind sie durch keine absolute Moral gesichert; sie sind sehr zerbrechlich und man muß - wenn man Menschenrechte haben w i l l - dafür sorgen, daß der positive Gesetz- oder Verfassungsgeber sie auch tatsächlich instituiert. Es ist nicht nur theoretisch adäquat, sondern auch politisch wichtig zu der Erkenntnis zu gelangen, daß die Menschenrechte weder durch Naturrecht noch durch absolute Moral geschützte Vorgegebenheiten sind, sondern eine recht fragile, doch gerade deshalb so wertvolle Eroberung der Menschheit darstellen.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 183 - 191 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

ON RIGHTS AND NORMATIVE SYSTEMS By Francisco J. Laporta, Madrid This article concerns itself w i t h some theoretical difficulties and conceptual complications attached to the idea of 'having a right' or to expressions such as 4 A has a right to X', and the ultimate aim of the inquiry, here only briefly outlined, is the suggestion that most common usages of this idea or of such expressions do not correspond w i t h the conceptual account they are often given, neither do they conform w i t h the nature of normative systems as we usually conceive them. I. There is hardly any doubt that the idea of 'having a right' or expressions such as Ά has a right to X' and similar, fit adequately into place as part of normative language. The actual position they occupy - or the stance they adopt - within this language is a subject I w i l l attempt to treat later, but it is widely accepted that to talk of 'rights' only has a comprehensible meaning when applied within the framework of normative languages. Hobbes' claim, and that of the seventeenth century English Seldenian tradition in general ( Tuck , 1979, pp. 82 ff.), that certain rights are to be admitted before the existence of norms, simply because 'having a right to X' seems to be, in certain cases, a synonym for 'freedom' in the sense of 'absence of norms w i t h respect to X' is a well-known conceptual error. The error here - as Pufendorf denounced in his time - lies in the fact that the absence of norms does not in itself confer a right unless such absence is accompanied by a duty imposed on others to refrain from interfering in the actions which could take place in the area of freedom, that is to say, when it is accompanied by the presence of norms. Since this presence of some duty or obligation appears always to accompany the existence of a right, this supposes that the idea of 'right' has to be settled, in effect, in the world of normative language. But if rights 'belong' to normative language, it is necessary to ask some questions, if only briefly, about the nature and components of these languages to make some progress in the analysis of the idea of 'a right'. There exists in this respect a widespread tendency to conceive of all normative languages as sets whose unique and exclusive elements are deontic statements, that is to say, statements which always contain at least one typical deontic

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operator ('forbidden', 'permitted', 'obligatory'...), and even which primarily contain the operator 'obligatory'. This is especially true among jurists since Austin and Kelsen. Our problem is that if we give in to this use - or abuse - we are committed to the weaving of an argumentative strategy the object of which is the reduction of statements such as "A has a right to X " to some of these expressions and in some cases to expressions which only include the operator 'obligatory'. Otherwise, statements of rights could only form part of a normative language as segments or parts of other expressions. But this strategy would bring us directly to having to maintain the so-called theory of "correlativity" between rights and duties in its strongest sense. In this sense the theory can be interpreted as saying that the expression "A has a right to ..." means that other people have a duty, that is to say, that the idea of 'a right' is reducible to the logically more primitive idea of 'duty', in which case the language of rights would be useless being superflous or redundant (Arnold , 1978). The theory of correlativity in its strongest sense has already been fully discussed and opposed on the logical and conceptual level (Lyons, 1970; Feinberg, 1973) and there is little point in reopening the discussion. What is more interesting here is to point out its heuristic weakness at the level of explanation or justification of normative statements. At this level the theory grants the duties or obligations an unwarranted priority over rights. This priority obliges one to conclude that the base or the genesis of rights are the obligations that weigh down upon others, which is tantamount to saying that A has a right because Β has an obligation. But the common concept we have of what 'having a right' means is very different. The language of rights seems to have an explanatory or justificatory strength of its own which is radically opposed to this description. Such language conveys the strong implication that the origin or foundation of these obligations which weigh upon others results precisely from the previous existence of my right, or, in other words, that others have a duty or obligation w i t h respect to me because I previously had a right, and not the other way round which is the inevitable conclusion following the theory of correlativity to the letter. If the attempt to reduce 'right' into 'duty' is hardly satisfactory i t provokes an additional problem concerning the nature of this supposed "correlativity" between the one and the other but we w i l l put this to one side for the moment. More interesting is the embedded question of whether the difficulty of putting such a reduction into practice obliges us to extract rights from the bounds of normative languages. There have been two negative responses to such a question. In the first place it has been said that it is not necessary to equate the concept of norm w i t h an archetypical deontic statement, i. e. with a duty-imposing norm or the like (Hart, 1961), and in the sec-

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ond place it is widely accepted nowadays that it is not necessary in order for a system to have a normative nature that all its elements should have this same nature. In fact the first of these two responses is something that, although seldom stated, has been implicitly taken for granted in almost all theoretical works on rights. This can be seen quite clearly by analyzing, for example, the wellknown work of Hohfeld. According to Hohfeld, in the world of legal systems there use to be four different varieties of expressions which operate in these languages as meanings of the generic term 'right'. I n a legal relationship between two individuals A and B, A could dispose of (or enjoy) a claim-right, a power, a freedom and an immunity. Individual Β would be "correlatively" in the situation of duty, liability, no-right and disability respectively. Although Hohfeld maintained that 'right' in its strict sense, and within legal systems, should rather only be called the 'claim-right', his taxonomy has usually been taken to indicate the existence w i t h i n those systems of four basic types of 'rights'. According to this and to the understanding which has extended from this, a claim would be a right, a normative power would be a right, a freedom would be a right and finally an immunity would be a right. But as we can see only one of these terms, 'freedom', could be meaningfully translated into strictly deontic terms (as a weak or strong permission). The others, that is to say, 'claims', 'powers' and 'immunities' are not, in my opinion, definable in terms of this nature. So, if they are to be normative propositions they cannot be norms in a logico-deontic sense, but must be another kind of norms. Some of the most well-known theories of rights, such as Hart's, also follow a similar theoretical pattern. As is generally known, Hart declares that normative systems - and in particular legal systems - consist of two kinds of 'rules', some of 'conduct' (that is to say, rules in a strictly logico-deontic sense) and other 'secondaries' or of 'competence' (of a very different nature). I do not think it a misinterpretation of Hart to suggest that i n his theory 'rights' are conceived of as an expression of 'secondary' rules and specifically as the proper content of 'power-conferring rules' and not of rules of conduct, for what according to his theory distinguishes rights in particular is that in the hands of the holder of the right resides the power to alter the status of the correlatively 'obligated'. Along w i t h this type of right can be found in his theory the so-called 'immunity right', however, its conceptual elucidation can also be achieved through the idea of a power-conferring rule, because immunity can only exist as a parasitical modality of 'power': it is simply the non-existence of power conferred to someone in order to modify the rules which define the legal status of the right-holder. And the same, or something very similar, could be said of, for example, Feinberg's theory (Feinberg , 1970, 1973), because the identification of the

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concept of right w i t h the idea of a 'claim' avoids the possibility of definition in strictly deontic terms; in order to give an account of a right as a claim we would be committed to have recourse to unclassical types of norms. Whatever may be the reason for the tendency to conceive of 'rights' as something distinct from typical deontic statements, it is certain that the Hohfeldian schema, which as we have seen presupposes this, has today knowledgeable defenders and has been explored and perfected w i t h remarkable vigour and interest (Ranger, 1966; Lindahl , 1977; Makinson , 1986). It is precisely these vigorous studies themselves which invite the raising of a general question which goes far beyond this so widespread generalization that rights are very specific types of norms, and this question, I believe, may lead us to consider new perspectives, placing, as it does, the idea of a 'right' even further away from the very world of secondary norms or norms of competence. The question is based on the following thesis: Leaving aside the discussion, on the logical plane, of these Hohfeld-inspired contributions, I wish to suggest that they are based on a starting point which is somewhat arguable: they may fall into the error of confusing types of rights w i t h types of normative protections which are accorded to rights. Or, put in another way, they may confuse rights w i t h the methods of protection of rights (Campbell , 1979, pp. 54ff.). What I want to suggest is that 'rights' are something which, so to speak, exists argumentatively before claims, before normative powers, before normative freedoms and before immunities of status. They may be better understood when they are conceived of as the title ( MacCloskey , 1965,1976; Marshall, 1973) which underlies all these methods of protection and others, that is to say, when they are conceived of as the justification or the reason for the starting up of such methods, and that furthermore when we use the notion of a 'right' we are not making a reference to certain primary or secondary norms of any particular normative system, but rather to the reason (Raz, 1984) which presents itself as a justification for the existence of such norms. That is to say that we do not have the 'right to X' because a claim can be assigned to it or because we are granted a claim w i t h respect to X, rather the claim is assigned and we are granted such a claim because we have or could have a right; we do not have any right over another individual Β because the system gives us a normative power over B, but rather we are given such power because we have a right over Β ; we do not have a right to choose between various courses of action because we have norms of freedom in this respect, but we have this normative freedom because we have the right to choose; and finally we do not have the right to maintain a certain normative status because the others lack the power to change the norms that define this status, but rather these others lack the power to change these norms because we have a right to such status.

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If these suppositions are correct they bring us to consider an interesting question since we have encountered something which we did not expect to be part of the normative systems. As well as their prototypical norm-components (norms of conduct or norms of competence) something has crossed our path which is not a norm of any kind, but rather 'exists', so to speak, before these norms, which sometimes seems to function as vehicle for the protection of this prior 'entity'. And the question is: what is this 'entity'? Traditional German jurisprudence has for many years distinguished between two theories of rights, the interest theory and the w i l l theory, while English jurisprudence has established a parallel distinction between beneficiary theories and choice theories. The German interest theory or the English beneficiary theory have many problems which have frequently been pointed out, but they also have the virtue of demonstrating something which will/choice theories tend to forget, and that is the dimension of 'advantage', 'satisfaction of interest' or 'benefit' for the right-holder which appears to quite markedly carry w i t h it the idea of 'a right'. Of course this advantage or benefit or satisfaction does not have to be something empirically testable in all the cases in which rights are ascribed: it is enough that the normative system in question considers it so or supposes it to be so although the real right-holder does not experience it as such in reality. However, it is certain that by ascribing rights normative systems are seeking the satisfaction or the realization of something in the interest of the person to whom they are being ascribed (MacCormick , 1976,1977); rights are, so to speak, an expression of a particular consideration that normative systems apply to certain situations or states of affairs relative to individuals of a certain class. This seems to have always been one basic dimension behind the idea of 'a right': the special value which is attributed to a certain state of affairs as being worthy of a special protection. And this is, in my opinion, that something which exists before the norms of a normative system when this system makes use of the notion of a 'right'. Normative systems of a certain complexity, be they legal, moral or social, expressly or tacitly interpret some positions, situations, states of affairs or aspects of certain individuals as something valuable, as goods which precisely because of their special value in the eyes of the system provide the reasons and foundation for the normative articulation within the system of a specific protection for them. Among all the normative means used to put this protection into practice, the most direct and simple is the creation of duties and obligations over other individuals, and so it is a duty or an obligation that almost inevitably accompanies the 'right', to such an extent that it has been assimilated to the 'right' and has even appeared to be the 'right' itself seen from a different angle, i. e. the mere 'correlative' of the right held by the other party. But this is not so, neither is it only a 'duty' or 'obligation'

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that always accompanies 'a right'. Apart from the creation of duties, the protection of rights is also brought into effect by conferring powers to the individual, by putting at his or her disposal claims or legal actions (in the case of legal systems), by granting immunities and so on, i t being in this way possible to fashion a single 'right' as the justificatory reason for a complex universe of interrelated normative propositions which the right does not only "present" or synthesize by economy of language, as Ross claimed (Ross, 1961), but also explains, and above all gives sense and justification within the system. Rights, of course, have to be reasons of a certain kind. They appear to be concerned w i t h somewhat relevant 'goods', that is to say, w i t h situations or states of affairs to which the system confers a certain importance or value, and from this surely emerges the characteristic strength of 'claim' (Feinberg, 1970) which is present in them. The active position of potential claimant characteristically belonging to the holder of a right (as opposed to the subordinate position of somebody who is the object of an act of charity) is the image of the strength or special importance that the system assigns to that good or goods attached to the individual, of the value that it gives to the state of affairs which it attempts to protect by those normative means. We have already touched on another basic dimension behind the idea of 'a right', that is the individualized assignment of the aforementioned advantage or benefit. Rights are legal, moral or social advantages ascribed to individuals (in a wide sense). They cannot be referred to in general or impersonal terms as is sometimes the case w i t h duties, but rather they are only applicable to each one of the members of a group or class (MacCormick, 1976,1982) identifiable through criteria which make manifest this individuality. These individuals can be physical 'persons' or collective 'persons'; they can even be collectivities: "the peoples", nations, ethnic minorities, etc. ... (however in these cases the conceptual difficulties connected to the meaning of 'a right' might be virtually insuperable (Makinson, 1987)). But we always consider the idea of a right from the point of view of an explicit or implicit set of criteria aimed at identifying the holder as an 'individual' rather than collectively or impersonally. When a statement which ascribes rights says, for example, "Traders have the right to ..." or "Children have the right to ..." i t is not trying to tell us that the group of traders has a right or the class of children has a right, but that each of the individuals belonging to this group or class, be they trader or child, has this right. That is to say, rights always are a distributive device.

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II.

What has already been outlined is sufficient, I believe, to present, w i t h purely conceptual purposes, an analytical definition of 'a right' consisting of four elements. A right is ... a) the stipulation by a normative system of a position, situation, aspect, state of affairs, etc.... b) ... relative to each one of the individual members of a class ... c) ... as a 'good' which constitutes a strong reason ... d) ... to articulate a normative protection in its favour through the imposition of duties or obligations, the attribution of powers and immunities, the organization of methods of claiming, etc. ... This definition is only referring to what I shall call (to borrow a wellknown distinction) "core rights" (Raz, 1984), which are those rights originally "constructed", created or constituted by the normative system as distinct from "derivative rights" which are those which may be inferred from the "core rights" through a practical argumentation. A l l normative systems which create a right w i l l provoke in so doing a chain of derivative rights. If all these proposals are correct they bring us to consider some interesting questions. In the first place, to begin w i t h a supplementary aspect that should be underlined, I have deliberately considered that the idea of 'having a right' can be found in any normative system endowed w i t h a certain level of internal complexity. I do not agree w i t h the point of view of those who maintain that to speak of rights is only possible within the framework of legal systems. I cannot see any argument which convincingly shows that the evaluative modality "a right to ..." is exclusive to legal language, in the same way that neither is any other evaluative or normative modality, such as 'duty', 'obligation', 'prohibition', 'authority', 'permission' and the like (Paramo, 1987). In the second place, related to the above poirit, one might suggest that this common confusion we have seen between rights and methods of protection of rights may have been the cause of this widespread proliferation (especially in "continental" jurisprudence) of the idea that rights are special components of the legal system and do not appear in other normative systems. Perhaps it has been the complexity, the sophistication or effectiveness of the means of protection supplied by legal systems, compared w i t h those of other normative systems, moral or social, what has invited a hasty identification of both. Legal systems in particular have at their disposal an apparatus, such as legal actions and the institutional enforcement of their norms, which may have provided sustenance to the suggestion that one can only talk of

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'rights' when one has at one's disposal the necessary resorts to start up the machinery of the institutional apparatus of force. But this, according to my proposal, is no more than the product of a confusion. In the third place, I said before that we had encountered something which seems not to be a typical component of normative systems; namely, that "good", "benefit" or "interest" that appears to be an important part of the very notion of right. What emerges from this point is the demonstration once again that there is more to a complex normative system than is supposed by strictly logical accounts of them. Within them we may find many types of statements, such as definitions, descriptions of state of affairs, value judgements, principles, etc. ... And fourthly, we also come to question the idea, so acritically assumed, that normative systems are comparable with, or may be adequately represented as, deductive systems. Our suggestion indicates that the components of these systems are not only interrelated by logico-deductive relationships, but also encompass justificatory and even instrumental relationships which belong to the world of practical reason or practical argumentation and are impossible to understand within the formal bounds of logico-deductive reasoning. References Arnold, Christopher (1978): Analyses of Rights, in: C. Arnold (ed.), Human Rights, Edward Arnold Ltd., London. Campbell, Kenneth (1979): The Concept of Rights, doctoral thesis, Oxford, Trinity Term. Feinberg, Joel (1970): The Nature and Value of Rights, in: Journal of Value Inquiry 4. — (1973): Social Philosophy, Englewood Cliffs, New Jersey. Hart, H. L. A. (1961): The Concept of Law, Oxford. Ranger, S./Ranger, H. (1966): Rights and Parliamentarism, in: Theoria, 32. Lindahl, Lars (1977): Position and Change. A study in law and logic, Reidel Publishing Co., Dordrecht/Boston. Lyons, David (1970): The Correlativity of Rights and Duties, in: Nous, 4. MacCloskey, H. J. (1965): Rights, in: Philosophical Quarterly, 15. MacCormick, Neil (1976): Children's Rights: A Test case for Theories of Rights, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 62. — (1977): Rights in Legislation, in: Law, Morality and Society, M. S. Haecker and J. Raz (ed.), Oxford. — (1982): Rights, Claims and Remedies, in: Law and Philosophy 1. Makinson, David (1986): On the formal representation of rights relations: remarks on the work of Stig Kanger and Lars Lindahl, in: Journal of Philosophical Logic 15.

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— (1987): Rights of Peoples: Point of view of a logician. Marshall , Geoffrey (1973): Rights, Options and Entitlements, in: Oxford Essays in Jurisprudence, A. W. B. Simpson (ed.), Oxford. Paramo, Juan Ramon de (1986-87): El Concepto de Derecho: una introducción bibliogràfica, in: Anuario de Derechos Humanos, Universidad Complutense de Madrid 4. Raz, Joseph (1984): The Nature of Rights, in: Mind 93. Ross, Alf (1958): On Law and Justice, Stevens and Sons, London. Tuck, Richard (1979): Natural Rights Theories, Cambridge.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 193 - 204 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

SUBJEKTIVE RECHTE I M KONTEXT POLITISCHER SYSTEME Von Valentin Petev, Münster I. Das Problem der subjektiven Rechte Die Welt der demokratischen, offenen Gesellschaft ist für die Rechte des Individuums sehr sensibel geworden; nicht nur weil man hier bemüht ist, Verletzungen und Bedrohungen entgegenzuwirken, sondern auch und vor allem, weil der Wert dieser Rechte in der öffentlichen Meinung enorm gestiegen ist. Es gibt heute kaum Themen von sozialer Relevanz, die ohne Bezug auf die Rechte der einzelnen diskutiert werden. Politische Parteien und andere gesellschaftliche Gruppierungen nehmen die Problematik der subjektiven Rechte in ihre Konzeptionen und Aktionsprogramme auf und erkennen, daß letztere nur dann eine Realisierungschance haben, wenn deren Zusammenhang mit der Fundierung und Garantie von Grundrechten und sonstigen subjektiven Rechten expliziert wird. So nehmen auch aktuelle politische Diskussionen sehr bald eine grundsätzliche Wende, wenn sich herausstellt, daß Motive oder Folgen der Handlungen der Beteiligten subjektive Rechte der einzelnen betreffen und diese Rechte nicht genügend berücksichtigt worden sind. In verschiedenen nichtdemokratischen politischen Systemen, in denen gegenwärtig Reformbestrebungen im Gange sind, ist ein wachsendes Interesse für die Rechte der einzelnen festzustellen. Der Staat, der hier einen totalen Anspruch auf Intervention in alle personalen Bereiche erhebt und das soziale Leben mit strikten rechtlichen Regelungen belegt, sieht sich zunehmend Forderungen auf Beachtung von Grundrechten der einzelnen ausgesetzt; dies um so mehr, als solche Rechte oft in den Verfassungen totalitärer Staaten formell festgehalten sind. In Reformzeiten nehmen die Bürger ihre Grundrechte „ernst" und drängen auf deren Beachtung. Freilich sind in demokratischen und totalitären politischen Systemen die Maßstäbe für Geltung und Verwirklichung von subjektiven Rechten ziemlich verschieden. Ein Systemvergleich erhöht aber das Interesse an der Grundsatzproblematik der subjektiven Rechte. Er verdeutlicht auch die Eingebundenheit dieser Rechte in das gesellschaftlich-politische System. Die Kategorie der subjektiven Rechte gehört spätestens seit dem 19. Jahrhundert zum festen Begriffsinstrumentarium der Jurisprudenz. Die Rechts-

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dogmatik hat im Verlauf der Zeit viele Figuren von Ansprüchen auf Sachen und Leistungen sowie verschiedene Arten von Ermächtigungen und subjektiven Schutzrechten entwickelt, die den einzelnen Handlungsmöglichkeiten innerhalb des jeweiligen Rechtssystems gewähren. Diese individuellen Rechte sind als rechtsdogmatische Kategorien in den verschiedenen Rechtsordnungen - soweit man das kontinentaleuropäische Recht im Auge hat weitgehend strukturell identisch. Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß sie in ihrem materiellen Gehalt gleich sind. Um die subjektiven Rechte als Handlungsmöglichkeiten richtig einzuschätzen, ist es erforderlich, sie auf die soziale Wirklichkeit mit ihren Institutionen zu projizieren und sie vor dem Hintergrund der in der Gesellschaft jeweils vorherrschenden sozial-ethischen Überzeugungen und politischen Konzeptionen zu deuten. Das heißt aber, die Analyse von den kategorialen Rahmen der Spezialdisziplinen zu trennen und sie auf der Ebene einer allgemeinen Theorie des Rechts anzusiedeln. Im folgenden wird der Versuch unternommen, einen soziologisch-axiologischen Zugang zur Problematik der subjektiven Rechte zu gewinnen. Die Position, die daraus entwickelt wird, hat als konstitutive Elemente die ausdifferenzierte Gruppenstruktur moderner Industriegesellschaften der Gegenwart mit den in ihnen vorherrschenden ethischen und politischen Ideen sowie die politische Gestaltungsfunktion des (objektiven) Rechts in solchen Gesellschaften. Diese Position hebt sich von einer rigoristisch-positivistischen Auffassung ab, nach der dem Gesetzgeber eine beliebig große Macht bei der Festlegung und Ausgestaltung individueller Rechte zukommt. Sie folgt auch naturrechtlichen Konzeptionen nicht, nach denen die grundlegenden subjektiven Rechte der Natur und Vernunft des Menschen entspringen und insofern der staatlichen Gesetzgebung bereits vorgegeben sind. Die Idee einer „historischen Notwendigkeit", die den Verlauf gesellschaftlicher Prozesse bestimme und den sozialen Ordnungen mit den in ihnen geltenden individuellen Rechten eine besondere Qualität verleihe, w i r d hier ebenfalls abgelehnt. II. Naturrechtliche, positivistische und marxistische Konzeptionen der subjektiven Rechte 1. Es wird des öfteren die Auffassung vertreten, daß die konzeptionelle Begründung subjektiver Rechte letztlich auf die Alternative Naturrecht oder positive Rechte hinausläuft, 1 d.h., daß die Grundpositionen eines wie auch immer gearteten Naturrechts oder eines Rechtspositivismus die Kon1

J. Jenkins , Social order and the limits of law, Princeton 1980, S. 242.

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zeptionen von Entstehung, Funktionen und Schutz subjektiver Rechte bestimmen. Auch wenn man dieser Auffassung nicht ganz folgt, - weil es auch vermittelnde Positionen, wie z.B. soziologische und institutionalistische gibt - so ist diese dichotome Denkweise in „moral rights und „legal rights" sehr verbreitet und auch für Autoren charakteristisch, die im übrigen den beiden genannten Grundpositionen kritisch gegenüberstehen. 2 Ein wiederum anderer Zugang zur Problematik der subjektiven Rechte eröffnet sich aus der Perspektive der sprachanalytischen Philosophie, die im Kontext der Sprachpraxis versucht, Bedeutung und Begründungen für die Verwendung der Worte „individuelle Rechte" zu ermitteln. 3 So interessant diese letzteren Versuche auch sein mögen, haben sie bislang der Diskussion über die subjektiven Rechte keine wesentlichen Anregungen gegeben, da die Analysen hier auf der breiten Ebene der sprachlichen Kommunikation verlaufen und den spezifischen Bezug auf das politische und rechtliche System vermissen lassen. Die naturrechtliche Begründung der subjektiven Rechte gehört nicht dem klassischen Naturrecht an. Nach der Aristotelischen Konzeption ist der einzelne eingebunden in eine harmonische, natürliche Weltordnung. Er reklamiert für sich keine Rechte, die gegen jemand anderen oder gegen die Gesellschaft gerichtet sind. Das objektive Recht hat dafür zu sorgen, eine konkrete soziale Gerechtigkeit, durch die ein Ausgleich von Pflichten, Lasten und Rechten hergestellt wird, zu verwirklichen. In dieser Perspektive ist das Recht eine Relation, genauer, eine proportionale Relation. 4 Auch in der Tradition der römischen Juristen stellen die individuellen Rechte Elemente einer Relation und nicht einen Anspruch gegen ein anderes Individuum dar. Das objektive Recht wird hier über den Begriff einer Gerechtigkeit aufgefaßt, die als der dauerhafte Wille, jedem das „seinige" Recht zu geben, auftritt. Sie steckt den auf die Gesellschaft bezogenen Rahmen von individuellen Rechten ab. 5 Die naturrechtliche Konzeption subjektiver Rechte geht auf das Vernunftsrecht des 17. und 18. Jahrhunderts zurück. Ihre historischen Wurzeln sind allerdings schon im philosophischen Nominalismus des 14. Jahrhunderts, in der via moderna eines Wilhelm von Ockham angelegt. Über die spanische Scholastik ist diese Konzeption in die modernen Naturrechtslehren eingegangen.

2 Vgl. z.B. R. Martin, On the justification of rights, in: G. Floistad (Hrsg.), Contemporary Philosophy, Bd. 3: Philosophie of Action, Den Haag u.a. 1982, S. 153ff.; ders A system of rights, Oxford 1993. 3 Vgl. für eine solche Analyse z.B.: A. R. White, Rights, Oxford 1984, S. 95ff., passim. 4 M. Villey, Philosophie du droit, Bd. 1, 4. Aufl., Paris 1986, S. 66ff. s Villey, ebd., S. 84ff.

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Nach der vernunftrechtlichen Konzeption sind die subjektiven Rechte nicht mehr wie in der Tradition des klassischen Naturrechts Elemente einer Relation von Rechten und Pflichten. Sie bedeuten vielmehr Macht, Forderung, die Fähigkeit zu handeln, die ausschließlich im Interesse des Individuums, und d.h. zugleich gegen andere, besteht. 6 Diese naturrechtliche Konzeption beruht auf der metaphysischen Annahme einer Natur des Menschen, die die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen, aber auch die Mittel zu deren Entfaltung umfaßt. Zu diesen Mitteln gehören die individuellen Rechte. Der einzelne entfaltet danach seine Potentialitäten und w i r d durch Individualrechte beim Erhalt des Ertrages seiner Tätigkeit geschützt. Die Rechte des Individuums bilden in dieser Konzeption Elemente einer ontologischen Einheit des menschlichindividuellen Daseins.7 Inhaltlich haben sich die individuellen Rechte in der vernunftrechtlichen Konzeption nur allmählich entwickelt. Sie zeitigen daher in den einzelnen geschichtlichen Epochen unterschiedliche Inhalte. Das kann an Grundrechten wie Gleichheit, Freiheit, Menschenwürde, aber auch am Recht des Eigentums und am Recht des Individuums auf fairen Prozeß expliziert werden. In der Gegenwart benutzen verschiedene Autoren Elemente naturrechtlicher Konzeptionen. Sie entwickeln ihre Position zu den subjektiven Rechten ausgehend von der vernunftrechtlichen Prämisse einer dem Menschen immanenten Freiheit, ohne sich allerdings auf tradierte naturrechtliche Argumente zu beschränken. 8 Phänomenologische Analysen, die den einzelnen in seiner „Relationalität" mit anderen und seiner Angewiesenheit auf andere, deren Ansprüche er anerkennt, sehen, stellen letztlich konzeptionell eine naturrechtliche Variante dar, weil sie einen absoluten ontologischen Status des Menschen, der in dieser Relationalität liegt, annehmen.9 Neoutilitaristische Auffassungen suchen wiederum die Begründung von individuellen Rechten in der Befriedigung von Bedürfnissen (z.B. Joel Feinberg, David Lyons, Bernard Mayo). 10 Sie alle sind von starker naturrecht6 Villey, ebd., S. 136. 7 Prononciert in diesem Sinne auch die Theorie von Jenkins (FN 1, S. 246). 8 Vgl. A. Sanchez de la Torre, Le droit dans l'aventure européenne de la liberté, Bordeaux 1987, S. 163ff.' 9 So z.B. S. Cotta, (Il diritto nell'esistenza, Mailand 1985), der hier von einer „Sozionomie" im Gegensatz zur Autonomie der Person spricht (S. 40f., 60 ff., passim). 10 Näheres bei Martin (On the justification of rights, FN 2, S. 155ff.); R. Dworkin (Taking rights seriously, 6. Neudruck, Cambridge/Mass. 1979), der die subjektiven (positiven) Rechte an die Kategorie „moral rights" anbindet, wechselt bei der Begründimg der ersteren oft die Argumentationsebene und gerät somit in Widersprüche: „If a man has a right to do what his conscience tells him he must, then how can the State

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licher Prägung, entbehren jedoch, im Gegensatz zu den großen naturrechtlichen Konzeptionen, eines kohärenten Systems von Ideen, auf das sie ihre Argumente stützen können und muten daher etwas willkürlich an. Der große Verdienst naturrechtlicher Konzeptionen liegt darin, daß sie die Unverzichtbarkeit von gesicherten subjektiven Rechten für das Individuum wie für das gesellschaftliche Zusammenleben herausgestellt haben. Auf Begründungen der Naturrechtslehren geht die konzeptionelle Entwicklung der subjektiven Rechte zu Grund- und Menschenrechten in den verschiedenen politischen Systemen zurück. Die wirtschaftsliberalen und die soziologischen politischen Theorien des 19. und des 20. Jahrhunderts haben ohne Zweifel auch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet. Dennoch waren die Grund- und Menschenrechte von den Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts bis zur Charta der Vereinten Nationen von den Ideen des philosophischen Individualismus und des Vernunftsrechts geprägt. Die Entwicklung der Grund- und Menschenrechte in den demokratischen politischen Systemen der Welt hat in den letzten Jahrzehnten einerseits eine erfreuliche Tendenz zu mehr Garantien und Kontrolle ihrer Einhaltung zu verzeichnen. In diesen Systemen muß jedoch andererseits vor einer zunehmenden Hypostasierung von Grund- und Menschenrechten gewarnt werden, die darin zu sehen ist, daß immer mehr Rechtspositionen den Rang von solchen Rechten beanspruchen (z.B. Recht auf Kultur, Recht auf Gesundheit, Recht auf eine „unbeschwerte" Welt). Diese Entwicklung könnte aber zu einer Atomisierung der Gesellschaft führen, bei der die Solidarität der Mitglieder der Gesellschaft, die hauptsächlich über ein sozial-ethisches Bewußtsein und die Erfüllung von Rechtspflichten zu erreichen ist, erschüttert wird. 1 1 2. Die positivistische Konzeption von subjektiven Rechten, die auf die Theorie von Thomas Hobbes zurückgeht, war am Anfang und ist auch in allen späteren Varianten eine reduktionistische Konzeption geblieben. Mit der Positivierung der subjektiven Rechte wird hier der Begründungszusammenhang abgeschnitten, so daß ein Rekurs auf Werte und Ideen, die vor dem Setzungsakt einer staatlichen Autorität liegen, ausgeschlossen ist. Alle positivistischen Theorien - von John Austin über Hans Kelsen bis Herbert L. A. Hart - , auch wenn sie die ethischen Werte und Leitideen, die in das Recht einfließen, nicht verkennen, sehen letztlich als Existenzgrund der subjektiven Rechte den Setzungsakt einer staatlichen Autorität an. Danach fließen be justified in discouraging him from doing it? Is it not wicked for a state to forbid and punish what it acknowledges that man has a right to do?" (S. 187). J. Finnis (Natural Law and Natural Rights, Oxford 1980) leitet die Begründung der subjektiven Rechte („natural rights") von einer praktischen Vernunft ab, die er als absolute Vernunft auffaßt. 11 Mit Nachdruck warnt davor M. Villey, Le droit et les droits de l'homme, Paris 1983. 15*

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die individuellen Rechte weder aus einer „Natur" des Menschen heraus, noch verdichten sie sich zu Rechtspositionen im sozialen Interaktionsprozeß. Sie werden allein durch die staatliche Rechtsordnung konstituiert. Wenn in neueren Theorien darauf hingewiesen wird, daß durch die subjektiven Rechte dem einzelnen eine Freiheit, d.h. eine Wahl von Handlungsmöglichkeiten, eröffnet wird, 1 2 so ist hier die grundsätzliche Position doch eine rechtspositivistische; denn die „persönliche" Wahlmöglichkeit wird durch das objektive Recht konturiert, und es werden in der Regel auch dem subjektiven Recht korrespondierende Pflichten statuiert. Die Realisierung schließlich des subjektiven Rechts hängt wesentlich mit einer staatlichen Sanktionsmöglichkeit zusammen. Alle utilitaristischen Konzeptionen, von Jeremy Bentham bis heute, tragen rechtspositivistische Züge. Die Maximierung der „Freude" und die Verringerung der „Last" werden bekanntlich in diesen Konzeptionen als immanentes Ziel der staatlichen Rechtsordnung aufgefaßt; und in dem Maße, in dem es dem Staat gelingt, dieses Ziel zu erreichen, erlangen die einzelnen ihren Vorteil, der in subjektive Rechte gekleidet wird. Kategorien wie „human happiness" und „general welfare", 13 die in letzter Zeit verstärkt ins Spiel gebracht werden, sind ohne Einbindung in einen bestimmten sozialen Kontext nicht interpretierbar. Von ihnen allein kann man keine Argumente zur Begründung einer Konzeption von subjektiven Rechten ableiten. 3. Die Konzeption von subjektiven Rechten, die in der marxistischsozialistischen Rechtstheorie vertreten wurde, war durch ein fundamentales rechtspositivistisches Verständnis gekennzeichnet. 14 Sie hatte aber auch objektivistisch-naturrechtliche Implikationen, da das sozialistische Recht als Vollzugsmechanismus eines historischen Entwicklungsgesetzes konzipiert war. Nach der positivistischen Grundauffassung sind hier die subjektiven Rechte allein durch das staatliche Recht konstituiert. Sie stellen Elemente eines Rechtssystems dar und werden zusammen mit den Rechtspflichten als „juristischer Inhalt von Rechtsverhältnissen" 15 qualifiziert. Die subjektiven 12

Vgl. N. MacCormick, H. L. A. Hart, London 1981; nach ihm ist für die Position von Hart charakteristisch, daß alle subjektiven Rechte „share a commen feature, namely, that they all involve legal protection, recognition, or respect of the individual person's choise" (S. 90). 13 Vgl. dazu Martin (On the justification of rights, FN2, S. 162 f.); R. Sève , Bentham le grec? Bentham le moderne? In: Actualité de la pensée juridique de Jeremy Bentham, hrsg. von Ph. Gérard, F. Ost und M. van der Kerchove, Brüssel 1987, S. 255f. 14 Vgl. Einzelheiten in bezug auf das Grundrechtsverständnis V. Petev, Rechtstheoretische Aspekte des Schutzes individueller Rechte und Interessen in der sozialistischen Gesellschaft, in: K. Westen/B. Meissner/Fr.-Chr. Schroeder (Hrsg.), Der Schutz individueller Rechte und Interessen im Recht sozialistischer Staaten, Berlin 1980, S . l l f f . 15 S. S. Alekseev, Obscaja teorija prava (Allgemeine Theorie des Rechts), Bd. II, Moskau 1982, S.114.

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Rechte gewähren dem einzelnen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des Rechtssystems, fördern seine Interessen entsprechend und legen „die Sphäre seiner individuellen Autonomie und Freiheit" fest. 16 Obwohl sie den Anschein hat, soll letztere These nicht im Sinne eines individualistischen Rechtsverständnisses gedeutet werden. Denn das sozialistische Recht richtete sich nicht nach vorgegebenen Werten und erkannte nicht vorpositive individuelle Rechte an. Es sah nicht als seine vorrangige Aufgabe an, subjektive Rechte zu verwirklichen. Jedes positive Recht ist nach marxistischem Verständnis ein Ausdruck von Klassenwillen und Klasseninteressen, und diese seine Qualität prägt auch das Wesen der subjektiven Rechte, die es gewährt. 17 Letztere teilen somit das Schicksal des jeweiligen Typus objektiven Rechts. 18 Danach könne das bürgerliche Recht nicht mehr an Qualität den rechtlichen Positionen der einzelnen verleihen, als diesem Recht durch seinen Klassencharakter an Qualität zukommt. Für das sozialistische Recht gilt wiederum, daß es eine historische Mission zu verwirklichen habe, indem es die Logik des Geschichtsprozesses in einem letzten Stadium vollzieht und die kommunistische Gesellschaft der Zukunft einleitet. Daraus folge, daß das Proletariat seine Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung bewirkt, um als herrschende Arbeiterklasse seine volle humanitäre Potenz zu entfalten. Sein Recht, namentlich das sozialistische Recht, das in der sog. entwickelten sozialistischen Gesellschaft als das Recht des „ganzen Volkes" qualifiziert wird, würde allmählich solche subjektiven Rechte gewähren, die die volle Entfaltung der Potentialitäten der menschlichen Person ermöglichen und somit ein „allgemein-menschliches" Ideal, namentlich die Emanzipation des Menschen von materieller Abhängigkeit und politischer Unterdrückung, erreichen helfen. Somit vollzog die marxistisch-sozialistische Rechtsdoktrin eine Metamorphose ihres rechtspositivistischen Standpunktes: die staatliche sozialistische Macht, die die subjektiven Rechte setzt, realisiert nicht nur eine geschichtlich notwendige Aufgabe, namentlich die Errichtung der sozialistischen „Gesellschaftsformation" mit den ihr eigenen subjektiven Rechten - eine Position, die mit kollektivistisch-naturrechtlichen Elementen („Geschichtsnotwendigkeit" des Sozialismus!) angereichert ist; der Staat 16

Alekseev, ebd., S. 115. Vgl. Marxistische Staats- und Rechtstheorie, Übersetzung aus dem Russischen, Bd. 1: Grundlegende Institute und Begriffe, Köln 1974, S. 355: „Die Substanz der subjektiven Rechte ist der gesellschaftliche Klassenwille, der als spezifisch staatlicher Wille herausgebildet worden ist." 18 Alekseev, (FN 15, S. 115) bindet die Funktion der subjektiven Rechte, ihre „soziale Wertigkeit" an die „eigenen Werte des Rechts insgesamt" an; in welchem Maße die Qualität der politischen Macht sich auf die Natur der subjektiven Rechte auswirkt, zeigt anschaulich in einer tiefgreifenden K r i t i k am sozialistischen Recht O. S. Joffe, Soviet Law and Soviet Reality, Dordrecht u.a. 1985, S. 50ff. 17

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des entwickelten Sozialismus betreibt bereits die absolute Emanzipation des Menschen, die im Kommunismus erreicht sein wird - eine Position, die einer (spekulativen) personalistischen Naturrechtsvision gleichkommt. Im theoretischen Modell der sozialen Reformen, der „Perestrojka" in den sozialistischen Staaten, wurde diese Konzeption von subjektiven Rechten vorerst beibehalten. Daher richtete sich auch die politische und rechtliche Diskussion hauptsächlich auf Probleme der Einhaltung der - wie man meinte - durch das sozialistische Recht bereits gewährten Grundrechte und sonstigen subjektiven Rechten; man strebte nur eine Verbesserung der „rechtlichen Kultur" an und leitete Maßnahmen eines effizienteren Rechtsschutzes ein. 19 Später traten namhafte Autoren mit K r i t i k gegen Grundelemente dieser Konzeption von subjektiven Rechten auf. Nach Ja vie würden immer noch die subjektiven Rechte trotz gegenteiliger Beteuerungen als bloße „Anhängsel des objektiven Rechts, lediglich als Ergebnis der Wirkung des Gesetzes" 20 aufgefaßt. Bei diesem engen Verständnis des Verhältnisses vom objektiven Recht und subjektiven Rechten würden die Prioritäten verwechselt und der Primat dem objektiven Recht zugesprochen. Auch kritisierte Ja vie die unzulängliche sozialphilosophische Durchdringung der subjektiven Rechte in der marxistisch-sozialistischen Rechtstheorie. ΠΙ. Die politische Gestaltungsfunktion des Rechts und die subjektiven Rechte 1. Im folgenden wird eine neue Begründung der subjektiven Rechte versucht, indem diese in ihrem Zusammenhang mit dem allgemeinen sozialen und ethischen Gehalt des objektiven Rechts, mit seiner politischen Natur und Regelungsfunktion in komplexen, staatlich organisierten Gesellschaften der Gegenwart dargestellt werden. In staatlich organisierten Gesellschaften - und das sind mit wenigen Ausnahmen rezenter schriftloser Gesellschaften alle komplexen Gesellschaften der Gegenwart - hat das Recht die Funktion, in breitem Umfang soziale Beziehungen zu regeln. In solchen Gesellschaften besteht ein Monopol des Staates, soziale Verhaltensregeln, die für alle verbindlich sind, und das heißt 19 Vgl. B. T. Bezlepkin, Zakonodatel'nye problemy sudebnoj zascity prav grazdan (Gesetzgebungsprobleme des gerichtlichen Schutzes des Rechte der Bürger), Pravovedenie 1987, H. 1, S. 19ff. 20 L. S. Javic, Perestrojka i pravo (Perestrojka und Recht), Pravodenie 1987, H. 5, S. 43; einen starken Bezug zu den Rechten der Bürger weisen die Überlegungen von O. E. Lejst über die Umsetzung genereller Normen des Gesetzes in nachgeordnete allgemeine Normativakte, vgl. Aktual'nye problemy sootnosenija prava i zakona (Aktuelle Probleme des Verhältnisses von Recht und Gesetz), Vestnik Moskovskogo Universiteta, Serija 11, Pravo, 1988, H. 5, S. 13ff., insbes. S. 20.

Subjektive Rechte i m Kontext politischer Systeme

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Rechtsregeln, zu setzen. Das Recht erscheint hier als das herausragende Merkmal der staatlichen Organisation. Gesellschaften mit komplexen, ausdifferenzierten sozialen Strukturen, was z.B. Wirtschaft, Ordnungsvorstellungen, familiäre Beziehungen, ethische Überzeugungen, Wertbilder und sprachliche Kommunikation angeht, können, wie rechtsethnologische Forschungen zeigen, nicht allein durch die Spontaneität der sozialen Abläufe integriert werden. Die ausdifferenzierten sozialen Strukturen solcher Gesellschaften weisen eine Vielfalt auf, die sich in der Kontrarität der materiellen Interessen sozialer Gruppen und der Diversität ihrer ethischen Überzeugungen und politischen Vorstellungen zeigt. I n diesen Gesellschaften fehlt es an gemeinsamer sozialer Übung, die sich sonst in einheitlichen, gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen ausdrückt, wie auch an einheitlichen Kriterien zur Lösung sozialer Konflikte. Sie sind konfliktträchtig und können - im Gegensatz zu homogenen, einfach strukturierten, familistischen Gesellschaften - als politische Gesellschaften bezeichnet werden. Trotz oder gerade wegen dieser Konfliktträchtigkeit hat jede komplexe Gesellschaft ein essentielles gemeinsames Existenz- und Prosperitätsinteresse, das man als das allgemein politische Interesse bezeichnen kann. Dieses Interesse w i r d von einer Instanz wahrgenommen, namentlich vom Staat, und zwar unabhängig davon, ob dieser Staat die Interessen einer sozialen Gruppe favorisiert (totalitärer Staat) oder Interessen von Mehrheiten berücksichtigt (demokratischer Staat). 21 2. Das allgemeine politische Interesse am Funktionieren komplexer Gesellschaften ist in verschiedenen sozialen Bereichen identifizierbar: z.B. politische Ordnung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Bildung und Kultur, soziale Sicherung, Berufsausübung, auswärtige Beziehungen. Jede soziale Gruppe versucht hier ihr Konzept durchzusetzen, weil sie sich davon sowohl eine bessere Realisierung ihrer Gruppeninteressen wie auch eine für alle sozialen Gruppen notwendige gemeinsame Prosperität, namentlich die Realisierung eben dieses allgemeinen Interesses, verspricht. Dies geschieht vermittels des Rechts. Durch das Recht werden politische Konzeptionen verwirklicht. Die rechtlichen Regelungen, durch die diese Konzeptionen in die soziale Praxis umgesetzt werden, zeichnen sich durch ihre Verbindlichkeit für alle Gruppen in der Gesellschaft aus, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Mehrheit oder Minderheit und unabhängig davon, ob diese Gruppen die rechtlichen Regelungen inhaltlich akzeptieren. Für die Verbindlichkeit des Rechts bedarf es daher nicht des Rekurses auf metaphysische Größen, auf „höhere" 21 Vgl. V. Petev, Der Staat als politische Organisation der Gesellschaft, in: N. Achterberg/W. Krawietz/D. Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für H. U. Scupin, Berlin 1983, S. 391 ff.

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Prinzipien und Ideen. Sie ist die adäquate Antwort auf die Funktionalitätsbedürfnisse komplexer, politischer Gesellschaften. Die politischen Konzeptionen der sozialen Gruppen enthalten Ideen, Forderungen und Gestaltungsentwürfe nicht nur in bezug auf die institutionelle Struktur der Gesellschaft (politische Parteien, staatliche Organisation, Wirtschaft, Kultur, Familie u.a.m.), sondern auch was den Status des Individuums und seine Aufgaben in der Gesellschaft angeht. In offenen, demokratisch organisierten Gesellschaften ist dies nicht ein missionarisches Menschenbild - wie in marxistischen und anderen politischen und religiösen Ideologien - , das es mit allen Mitteln zu verwirklichen gilt. Ihr Menschenbild beruht vielmehr auf Überzeugungen, Ideen und Theorien, die wandelbar sind, und für die die offene Gesellschaft sehr sensibel ist. IV. Der emanzipatorisch-kulturelle Gehalt der subjektiven Rechte Die Überzeugungen, Ideen und Theorien von der Stellung des Individuums in der Gesellschaft sind nicht primär von machtpolitischen Erwägungen der jeweiligen Gruppen in der Gesellschaft geprägt. Sie wurzeln tief in den sozial-psychologischen und sozial-ethischen Strukturen der Gesellschaft. Philosophie, Religion, Wissenschaft, Kunst und Literatur sind die Schöpfer von Menschenbildern, die die Rolle der menschlichen Person in Gegenwart und Zukunft festlegen. Die Menschenbilder wiederum üben einen wesentlichen Einfluß auf die politischen Überzeugungen und Forderungen der Zeit. In demokratischen politischen Systemen nimmt die staatliche Macht die Konzeptionen vom Status und den Aufgaben des Individuums, die mehrheitliche soziale Gruppen vertreten, in die rechtlich-staatliche Ordnung auf und setzt sie mit den Mitteln des Rechts in einen rechtlichen Status des Individuums um. So bildet die Stellung des Individuums in bezug auf die Staatsgewalt, und d. h. in bezug auf seine Rolle und sein Gewicht bei der Konstitutierung staatlicher Organe und der Herstellung und Kontrolle ihrer Entscheidungen, das Kernstück der Demokratie; die Rechtsposition des einzelnen als Eigner von Produktionsmitteln wiederum markiert den Wirtschaftstypus der jeweiligen Gesellschaft; die rechtlichen Regelungen und Maßnahmen, die die physische und geistige Entwicklung des einzelnen betreffen, prägen das System der sozialen Sicherung und des beruflichen Fortkommens. Diese wesentlichen sozialen Positionen des einzelnen, die in den Institutionen einer rechtlich-staatlichen Ordnung verankert sind, werden näher durch subjektive Rechte in der Gestalt von Grundrechten und anderen öffentlichen und privaten Rechten garantiert. Wenn man dieser Analyse folgt, wird man erkennen, daß die subjektiven Rechte ihre Essenz aus den sozial-ethischen und politischen Strukturen der

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Gesellschaft ziehen. Auch erscheint dann die Positivität der subjektiven Rechte in einem anderen Licht: sie entrinnt dem Verdacht einer Beliebigkeit ihrer Normierung durch die Staatsmacht und legt die tiefen Wurzeln der subjektiven Rechte im politischen und kulturellen Geschehen einer jeden Epoche offen. Eine adäquate Umsetzung der sozialen und ethischen Ideen von Stellung und Aufgaben des Individuums in der Gesellschaft in politische Konzepte und ihre Verwirklichung durch Institutionen und subjektive Rechte ist charakteristisch für und möglich nur in demokratisch organisierten Gesellschaften. Deshalb werden nur hier subjektive Rechte geachtet und letztlich entsprechend ihrer Finalität realisiert. In totalitären politischen Systemen werden die subjektiven Rechte und insbesondere die Grundrechte zumeist nur formell anerkannt. Sie dienen hier, zumal die letzteren, vor allem der Prestigeerhöhung der staatlichen Macht nach außen und entsprechen einem Legitimationsbedürfnis nach innen. Aber auch in solchen Systemen kann die Macht nicht alle politischen Ideen und Forderungen, die spontan in der Gesellschaft entstehen und subjektive Rechte betreffen, auf Dauer ignorieren. Sie verdichten sich mit der Zeit zu oppositionellen Bestrebungen und bilden die Grundlage des Widerstandes gegen die totalitäre Gewalt. Die Ideen, Überzeugungen und politischen Konzepte, die die Stellung und die Aufgaben des Individuums in der Gesellschaft anvisieren, beruhen auf einem System von sozialen Werten. Wie alle Wertsysteme werden sie - wenn man einem Wertrelativismus und Nonkognitivismus im praktischen Bereich folgt - in der Gesellschaft von den Individuen und den sozialen Gruppen selbst als Ideale und politische Forderungen konstituiert. Diese Werte folgen nach meiner Überzeugung nicht aus der ontologischen Struktur des Menschen, und zwar als „fundamentale existentielle Erfordernisse des Subjekts" selbst, 22 oder aus der „Freiheit des Menschen, die sich empfänglich für die Wahrheit des Wesens des Seins und des Gerechten zeigt ...", 2 3 sondern entstehen in der sozialen Interaktion. Diese historische Bedingtheit und Kontingenz subjektiver Rechte bedeutet nicht, daß jede Konzeption subjektiver Rechte allein durch die Tatsache ihrer Präsenz in der Gesellschaft schon hinlänglich legitimiert ist. Vielmehr erscheint mir unabdingbar, im Rahmen ein und desselben Kulturkreises dem Trend einer emanzipatorisch-zivilisatorischen Entwicklung des Status des Individuums zu folgen, soweit ein solcher Trend feststellbar ist, und ihn zum Kriterium für die Beurteilung von Konzeptionen subjektiver Rechte zu 22

Cotta (FN 9), S. 47. J.-M. Trigeaud, Humanisme de la liberté et philosophie de la justice, Bordeaux 1985, S. 158. 23

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erheben. Man wird dann bestimmte Standards von subjektiven Rechten, die sich im Verlauf dieser Entwicklung herausgebildet haben, anerkennen müssen. Die Standards von Menschenwürde, Freiheit, freier Entfaltung der Persönlichkeit, politischer Mündigkeit und Autonomie, Bildungs- und Berufsfreiheit, Eigentums-, Erwerbs- und Vertragsfreiheit und dergleichen mehr werden dann nicht mehr schlicht als Grundwerte eines Bürgertums allein zu qualifizieren sein, denen die Werte z.B. eines Sozialismus entgegenstehen. Sie erscheinen vielmehr als Errungenschaften im Kampf um Emanzipation der menschlichen Persönlichkeit vom materiellen, politischen und sonstigen ideellen Zwängen. Deshalb kann schwerlich ein politisches System, das für sich in Anspruch nimmt, die Emanzipation des Menschen voranzutreiben, in der rechtlichen Ausgestaltung von Grundrechten und sonstigen subjektiven Rechten unter den in demokratischen politischen Systemen bereits erreichten Standards zurückbleiben. Wenn man die Dinge aber so begreift, w i r d diese Emanzipation zur Grundlage eines praktischen Diskurses zwischen den unterschiedlichen politischen Systemen, eines Dialogs im Namen des Humanismus.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 205 - 217 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

H U M A N RIGHTS AS VALUES By Roberto J. Vernengo, Buenos Aires Legal claims are frequently thought of as grounded on values. At least, we may take for granted that everyone upholding a pretention would be considered not reasonable if he did not believe that his rights have some value, at least and in the first instance for himself. Human rights, as other rights, are normally thought of as being somehow related to values, be they instanced by objective interests, sensible expectations or even by not too extravagant whims. Human rights, we are to believe, give expression to some very important and fundamental values. These are very frequently expressed theses. And not only that: human rights are not only related to values, in the very obvious sense that they are in themselves valuable for their beneficiaries, but also inasmuch as through them very momentous values can be attained. Freedom of speech, for instance, is not only of significance to writers, politicians, philosophers, charlatans and to a large assortment of quacks, but also considered in itself an important value: to be allowed to speak freely is a highly esteemed social privilege. I certainly would not agree to suffer arbitrary punishment by no one: that would be an infringement upon my rights. The quite similar arbitrary measures of chastisement that I w i l l enforce against my offender are not only useful for me, but are in themselves sufficiently grounded and therefore legitimate, as objectively valuable or as values in themselves. Rights, furthermore, are commonly understood as somehow related to legal rules, law norms or other associated prescriptive linguistic devices. Not only rights or legal claims show that intriguing relationship w i t h normative discourse. Ethical sentences and moral terms are frequently understood as value concepts. That means, on the one hand, that not only they are semantically seen as axiological pronouncements or axiological predicates rights are good - , but also that they have a normative aspect. This is a point underlined in the literature, at least from the classical analysis in Husserl's Logischen Untersuchungen. Von Wright, for instance, after stressing the current double interpretation of ethical concepts, points out rights as a typical example of that duplicity: "There are concepts which exhibit affinities both to concepts of the first and to concepts of the second group (i.e., to value concepts and to norms). Examples are the notions of right and wrong and the idea of justice. The three concepts mentioned can be understood in a

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'legal' sense which seems to be purely normative. But they can also be understood in a 'moral' sense which relates them to ideas of good and evil and therewith makes them value-tinged." 1 Consequently, von Wright grants amply that "value concepts are intrinsically normative notions". Norms, on the other hand, are widely interpreted as value statements. In very recent literature about human rights, as in R. Alexy's Theorie der Grundrechte, we find a whole section devoted to an axiological interpretation of human rights - Grundrechte value sets are a possible model for a theory of those rights. 2 Nevertheless, this interpretation has some important drawbacks of which Alexy is certainly aware. The first one is that value terminology is not only ambiguously used in different scientific or technical contexts, but that there is not, even in natural language usage, a value notion functioning as a unique central concept. Value classifications, according to which there are axiological regions and different kinds of values - moral, esthetical, political, legal, religious and so on - , introduce furthermore some logical and ontological problems without generally accepted solutions. Alexy, after dissipating the common confusion between value, value judgment and valuation, stresses that there are at least three different uses of value expressions: firstly, value judgments (Werturteile) are taken as classificatory criteria; secondly, they serve as comparison bases, and, lastly, sometimes as metrical standards. But that classification implies some presuppositions about the essential nature of values. It seems clear that when we speak about values we are not identifying them with the valuation object, whichever it may be. As value, claims Alexy, we designate not the object of the valuation act or judgment, but the criteria of valuation effectively employed. As they are multiple, we have also at hand principles for weighing their reciprocal importance and rules for their assignment. In law discourse principles and values are mingled w i t h norms and rules; Alexy points out that in legal argumentation value models are interchangeable with principles (normative) models; their difference is ontological: principles belong to the realm of Sollen, while values refer to the realm of goodness. It was a classical theory of German legal dogmatics to see human rights, or fundamental rights, as a system of values or goods. And the costumary axiological jargon - Wertordnung, Wertrangordnung, Wertsystem, etc. - was and is fully exploited in German literature on human rights. As in German legal philosophy there was a healthy development of axiological relativism, several writers, among whom Kelsen is perhaps the best known, repudiated that easy identification between rights and values as a "loss not only in rationality, but also in scientific level" (Verlust nicht nur an 1

G. H. von Wright,

The varieties of goodness, Routledge & Kegan, London 1963,

p. 7. 2

R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986, pp. 125 ff.

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Rationalität, sondern auch an wissenschaftlichem Niveau). 3 That axiological relativism was also a reaction against ontological and ethical thesis about existence of values as objective entities. Scheler, for instance, wrote about them as independent objects of moral life (selbständigen Tatsachen des sittlichen Lebens), that w i t h their correspondence w i t h ethical sentence provided them w i t h truth values.4 Putting aside those rather extravagant speculations, of dangerous political consequences, it is somehow clear that in common speech and in technical parlance human rights are normally related, not only to norms and principles, but also to values and moral situations. Where human rights are related to some gruesome wrongs that men may be exposed to, it is natural to think that those wrongs are moral evils. And moral evils are to be shunned for they are contrary to human rights. Values and norms are thus inextricably connected. If that is so, somehow values and norms referring to the same situations cannot contradict one another. Our way of thinking and speaking about human rights presupposes somehow that we have coherent axiological ideologies and submit to compatible normative orders. That presupposition is stronger than the weaker philosophical thesis generally accepted. It reads: norms can be said to presuppose valuations logically. 5 In many cases and in current speech, norms and value sentences are pragmatically equivalent. But what do we mean when we relate human rights to values? Is it only an axiological thesis concerning the nature of human rights or are we facing an interpretative effort to give them some unifying character? Some judicial pronouncements establish expressly the existence of some relation between human rights and values. So, for instance, the German Constitutional Tribunal has pointed out that a fundamental right, like the freedom of the press, "can enter in conflict w i t h other values protected (geschützt) by the constitution". Therefore, it was understood that the freedom of the press, as a fundamental principle or value, could clash w i t h the right of privacy, which is also a value protected by the law as a fundamental human right. That is true, but let's remember that, as hinted before, value terminology is part and parcel of philosophical, technical and ordinary discourse in the German speaking culture. Therefore, it is not at all surprising that human rights - whatever they may be - are interpreted as values, entities whose ontological status is problematical, but whose rethorical efficacy is very high. Other philosophical or cultural traditions - for instance, those originating from catholic scholastic background - have great reluc3

E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 2Π· ed., München 1971, p. 69. M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik, 5 th · ed., München 1966, p. 173 inter alia. 5 G. H. von Wright, Norm and action, Routledge & Kegan, London 1963, p. 96. 4

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tance in thinking human rights as values or, even, in thinking them as legal rights (ius subiectivum, subjektive Rechte). I even find in the very noted tendency of English speaking writers to conceive human rights as an aspect of morality, as derived from or grounded on or identical w i t h moral rights, a consequence of tacit ontological presuppositions inherent to their own linguistic culture. So, just as for an English thinker i t sounds natural to speak of human rights as moral rights, in Spanish or in German the reference to "derechos morales" or "moralische Rechte", not only sounds artificial, but evokes also quite different associations than the English phrase "moral rights". I would suggest that the verdict of the German tribunal, mentioned above, means for a German citizen that some uncertainty between two values, recognized both in the constitution, has to be dispelled: the conflict between two subjective rights, as human rights are generally cathegorized, is a conflict between values hierarchically ordered. The uncertainty as regards their relative position in an axiological hierarchy supposed to exist beforehand, must be solved by choosing the highest value possible. That is a sort of metaphysical ideology that permeates German ways of thinking. Nietzsche, better than most, pointed out emphatically to that distinctive trait in modern German thought. Human decisions and behaviour depend, therefore and as an ultima ratio , on the acceptance of a Rangordnung der Werte. In the Spanish speaking world, the freedom of the press would certainly be seen as something valuable, but not as a value: that ontological thesis is not a very natural presupposition to Spanish speaking politicians or thinkers. The conflict between the press writer and a private person would be understood primarily as a problem concerning the delimitation of spheres of power, regardless of the higher or lower value that the interests and actions in play may have for the conflicting parties. In power conflicts, no moral question is supposed to be at stake. The solution of the conflict is not a moral decision, but a way to establish a power distribution. Values, therefore, are not protected by a constitution, as the German court said, but are recognized as legal rights inasmuch as they are established as such through the promulgation of legal norms. Nor the freedom of the press, nor the rights of privacy are thought of as principles from which moral consequences follow. Principles perhaps may be extracted from the constitutional clauses, and values can be felt to be expressed thereby, but their existence as rights is previous. Rights are proper the legal expression of power. Would an English speaking person accept, as a fit translation of the German pronouncement, that between what a pressman is free to write and what a private person may rightly conceal, there is a rights' dispute which should be solved according to the weightiest moral right present? To do what

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is morally right in a concrete case is to avoid what is wrong, to obviate an evil. It is not only to act according to the law: to prefer a free press to the right of third parties whose privacy is troubled, is to aver that a person acts well from a moral point of view when he publishes what must be made public. Rights are, in English, not value-tinged actions, but actions that have to be morally justified. It follows that those legal rules that lack this moral resonance lack also, I believe, for Anglo-Saxon speakers and thinkers, the emotional importance that value disputes or power conflicts have for other cultures. Does, by any chance, the emotional blood pressure of an Englishman or an American citizien run higher when somebody is not recognized by the law as a legal entity (personne juridique)? I n the European continental tradition, individuals, because they are legal persons, are also recognized as moral persons (personne morale); i n the Anglo-Saxon tradition persons are "recognized before the law" as such, as international conventions put it, because they are in themselves moral beings w i t h moral rights. We read, for instance, that "people have a moral right to what law as integrity (also a moral idea) claims as their legal rights". 6 It is clear that, in the continental tradition, people may perfectly enjoy as many legal rights as they wish which no one would dare to consider as their moral due too. It is not a surprise, consequently, to read in the same book, that legal right is a suspect category: "For it is not self-evident that the idea of legal rights is attractive. Or even same." 7 If these very deep and very tenuous difference exist between cultures and languages that are historically related, but nevertheless different, it should not surprise anybody that human rights (and their linguistic variations: droits de l'homme, Grundrechte, garantias constitucionales, etc.) be conceived differently by politicians and philosophers pertaining to those various cultures. The very important question of how what, in each culture, is spoken of as a human right, attains the level of positive legal rules, of positive law, has much to do w i t h those linguistically conditioned requirements. What is or is not a human right depends also on those conditioning factors. Jurists nowadays take for granted that what is established by the international convenants on human rights are effectively and in principle rights. But that term - rights - is not understood usually in an uniform way. For some thinkers, human rights are such not only because of their formulation in international or national legal documents w i t h recognized legal force, but also for their coincidence w i t h accepted moral rights. For others, those very same rights have no validity whatsoever before their consecration into the realm of law through a legislative act. For them, there are no rights, human or other, outside the law; for the former, some rights are part of the law 6 7

R. Dworkin, Law's empire, Harvard U. Press, 1986, p. 160. Ibidem, p. 162.

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because they exist beforehand as moral pretensions. There is even some quite recent literature that mantains paradoxically that international convenants on human rights do not establish human rights at all; their effective existence as rights, in some sense, requires some moral reasons to pin them. 8 It is certainly a difficult task to explicate the numerous rights enumerated in the international convenants, as rights in the technical sense of subjective rights. It is also a similarly difficult job to try to reduce all so-called human rights to moral claims. The question is: is it possible, on the other hand, to explain those moral notions as normative terms? Are human rights explicable only through norms and sets of norms, or do they require some reference to values and, specifically, to moral values? The literature seems to agree on the fact that human rights, be they moral pretensions or what not, only attain their true expression through the enactment of positive legal norms. Alexy distinguishes therefore between the ethic-philosophic question of what rights individuals should have, independently from their existence in a positive legal order, from the empirical question of the effective existence of positive norms granting that kind of rights. But in any case, human rights imply eine Öffnung des Rechtssystems gegenüber dem System der Moral: an opening of the legal system to the moral system, that is, to morality. 9 This style of theory seems to send us back to forms of thinking flourishing at the beginning of the century under the influence of neo-kantism. For that epistemological point of view, legal phenomena have two levels of existence: empirically, human rights consist in positive legal norms instituting a subjective right; politically, human rights are only moral claims grounded on basic ethical principles. In kantian terminology, human rights sometimes are positive law, an empirical social phenomenon; some other times, they are ethical ideals striving for realization. The relationship between those two levels of existence - rights as positive law and rights as moral aspirations is thought of according to some traditional legal category: it is spoken, for instance, of the reception of human rights by positive law. That is a traditional way of conceiving the relationship between two normative sets. Logically it implies that a set is added to another set. From the point of view of legal theory, reception is a method for producing norms, a method of legal creation: the legislator, through an enactment decision, gives legal validity to norms taken from other legal orders. Norms can be gathered from another legal system. Another form of reception appears when the legislator, as it is frequently the case, enacts norms authorizing the courts to apply in some case costumary norms or morality principles. Kelsen 8 Cf. F. Laporta, Sobre el concepto de derechos humanos, X Jornadas de Filosofia Juri dico y Social, Alicante 1987, p. 38. 9 Alexy (note 2), p. 19.

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characterized the results of these procedures as a positivization of moral principles: moral rules became legal norms. But if the very existence or the full enjoyment of human rights requires that reception, the following question remains: what is the nature of the domain of the reception relationship? Is it a realm of values? Or must that domain contain norms too, and not be constituted by mere facts, if Hume's principle is to be respected. But then, what kind of norms are human rights, for this conception, before they are transmuted into positive law? Are they pure values, not instanciated valuations without normative expression? It is a commonplace in political discourse and in traditional jurisprudence to consider human rights as part of what is known as natural law, a very vague territory indeed. But, consequently, the relationship between human rights as moral aims and human rights as institutions of positive law is nothing more than a new avatar of the old duality between natural law and positive law, a metaphysical duality which allows too many incompatible interpretations. The commonest and more traditional version sees the relationship between natural law and positive law as an inclusion relation between normative sets: positive law is thought of as proper a subset of natural law. That logical interpretation may be the source of unexpected political consequences, since in this way positive law becomes indiscernible w i t h natural law, or a sufficient condition for the validity of not enacted rules, as those in natural law are supposed to be. In another version, positive law, to be valid, must be grounded on (that is: be deducted from) universal ethical principles whose status as norms is not at all clear. It seems that this type of dualist doctrine concerning human rights remains in the mire of very old and too traditional ways of thinking. I would prefer to avoid that sort of dualism, as it is evident that we are not yet in full agreement as to the logical consequences of the union set called reception. It may be simpler to distinguish clearly between human rights as institutionalized legal rights (subjective rights), from what are moral or political aims. If reception of natural law principles by positive law implies that the received norms become members of the positive set of norms, natural law thus becoming a subset of positive law, natural law or morals cannot be the validity ground of positive law. We may affirm that those believers on natural law principles serving as validity grounds of positive law cannot believe in human rights as natural rights that positive law adopts, without negating one of their basic tenets, namely, the fact that positive law grounds its validity on natural law and not that positive law be the sufficient condition for the validity of natural law. In those cases in which human rights, as enacted in international or national law, imply axiological incompatibilities - as in the German case of a conflict between freedom of the press and privacy rights - , we may even 16 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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admit that the normative set which, in a positive system, constitutes human rights, may be an inconsistent set. But then, trivially, all natural law rules, all norms in fact, would have to be included in that inconsistent positive legal order. Even from a very peaceful and current point of view the normative interpretation of human rights is not a simple endeavour. Human rights, identified through their enumeration in positive enactments, are not of a single kind and, therefore, they do not satisfy an unique description or theoretical explanation. To consider them as subjective rights, as I w i l l try to show, is not very illuminating in several instances. Let's admit, according to a classical analysis in general theory of law, like Kelsen's Reine Rechtslehre , that subjective rights are constituted by a contingent set of positive norms containing, at least, norms establishing the faculty of the subject to some acts, and also norms establishing the legal duty of another subject to abstain from any act hindering the former subject's faculty, or norms establishing the legal duty of the second subject to do or forbear some acts according to the w i l l of the titular of the right; and furthermore, norms giving the titular of the right the power to act in justice to get, in the last instance, the second subject sanctioned if he does not fulfill his duty, and so on. Subjective rights are, quite clearly, not descriptive simple concepts, but complicated theoretical constructions, built in several layers of complexity. Therefore, jurists understand as such not only those acts that are passively tolerated by state authorities or other subjects, inasmuch as they are acts that have not been regulated in any form by the legislative authorities, but also some acts that have been positively regulated as expressly authorized. With those classificatory possibilities in view, one wonders how to give an unique analysis of such rights as "everyone shall have the right to recognition as a person before the law" (as section 16 of the Universal Declaration reads), or "minorities shall not be denied the right, in community w i t h the other members of the group, to enjoy their own culture" (section 27), "the right of men and women of marriageable age to marry and to found a family" (section 23-2), the right of "all persons deprived of their liberty to be treated w i t h humanity" (section 10), etc., to mention some of the rights enumerated in international and national conventions. It seems clear, for instance, that the right to marriage and to found a family relates to the positive regulations of family institutions, where the marriageable age is fixed; furthermore, i t is also clear that the right to found families refers to those types of family that conform to the legal models adopted by the law of the country concerned. So, although it is possible to think that many types of family and matrimony are unduly excluded by national law, types that we know by history and ethnology, the only right we may exercise i n that domain is the right to found a family conforming to the official model or to

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enter into a marriage relationship that may, however, be thought of as disfunctional, unfair or unnatural. But even if we, as born conformists, accept as the only possibility of marrying and establishing a family, the traditional patterns of the country where we were born or are living, what really does it mean that we have the right, under the existing regime, to marry and organize a family? We may acknowledge that we are free for those purposes, in the sense that others and the state authorities tolerate our own choices as regards the election of mate and the production of progeny. Or, perhaps, to have that right would mean that we are enpowered by law to marry who is under a duty to obey my request? The right to marry, although categorically stated, is not a subjective right in an interesting technical sense. In many cases, the content of the right is so vague - for instance, in the case of the right of minority groups to enjoy its own culture - that frequently no univocal description of the activities envisaged is possible. Many sides of the notion of subjective rights conceal real axiological inconsistencies which are thus ideologically disguised. If we adopt, as a theoretical point of departure for the analysis of human rights, Hohfeld's conceptions, we arrive again at a situation where those concepts prove to be insufficient or highly ambiguous. Is, for instance, the right to marry, referred to above, a power, a privilege, a liberty or what not? Are those notions constitutive of a logical partition? Every human being has the inherent right to live, all international conventions do emphatically state. But if that supreme important right is understood as a legal faculty, or liberty, how to understand the legal and moral prohibition of suicide, which implies that, strictly speaking, there is no right to life, but, on the contrary, the legal and moral obligation to live. And even in those legal systems where attempted suicide is not considered a crime, can we always affirm that there exists effectively the right to life, as a liberty or faculty of every human being, when suicide, for ethical or religions reasons, is considered as morally wrong and human rights are thought as moral rights or as necessarily founded on moral principles? It is quite clear idea that human rights, historically, express some very important ideological trends. The question is if lawyers have succeeded in conceptually grasping them i n an adequate and theoretically satisfactory way. The answer, I think, is negative. Ideological prejudice and theoretical confusion have contributed to give us a very blurred panorama, specially in the technical legal literature. Let's point out, just selecting extreme positions, the writing on human rights by traditional thomist writers or by orthodox marxists thinkers, positions that at least have to be considered very ambiguous. It is quite clear that human rights, as legal rights or as moral rights, do not conform strictly to the religious-ethical categories of many religious writers nor to the rigid socio-economic structures of Marx16*

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ism. But analogous problems appear in the literature on those rights produced by legal philosophers and jurists, or by social scientist and philosophers, who, in principle, are not so ideologically conditioned. Examples thereof can be found, for instance, in two very recent and ambitious essays to build up a general theory of human rights. I refer to R. Alexy's Theorie der Grundrechte and E. Hâba's Tratado bàsico de derechos humanos.10 Both books, without detriment to their high merit and not only as initial developments in the field, indulge in a sort of methodological eclecticism, as their authors accept that, ontologically speaking, human rights are entities characterized at the same time through axiological, normative and empirical properties. Here I refer to one of those interpretations: one that considers it possible to construct them as axiological entities, as values. Let's ask again: are human rights values? The relationships between norms and values, and therefore, for the traditional outlook of continental legal dogmatics, the general relations postulated between law and values, are not very clear. For those traditional ways of thinking, law is a set of norms and values are moral principles or preference criteria. Therefore, the question of the relationships between norms and values boils down to the question of the relations between law and morals, a classical battlefield for ideological and theoretical opinions. As that very old controversy has not yet found a general successful solution, jurists persist in discussing the problems concerning human rights in the context of that vexatious puzzle. 11 Logical strictures, like the risk of incurring a naturalistic fallacy or violating the Sein-Sollen derivation prohibition, have contributed to a greater heed, on the part of jurists and legal philosophers, regarding some acquisitions of modern philosophical analysis. The relationships between norms and values are preferably exlained as a grammatical or syntactical transformation relation between normative sentences and value judgments. The classical thesis, in Brentano and Husserl, justifies the legitimacy of this linguistic transformation: every value judgment can be expressed as a normative sentence, inasmuch as the logical equivalence between normative expression and value proposition is postulated. That equivalence is endorsed as being grounded on the ontological identity of the facts referred to by both types of sentences, directly by the value judgment and obliquely by the norm proposition. The difference would be found in the different intentional mood attributed to the common reference. 10 Alexy (note 2); E. Hâba, Tratado bàsico de derechos humanos, 3 vols., San José, Costa Rica 1986. 11 R. Tamayo, The functioning of human rights in the legai system, in: RECHTSTHEORIE, Beiheft 8, Berlin 1985, pp. 165 ff.

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This traditional analysis, if acceptable, would apply perhaps to some value judgments, those called by von Wright "moral ideals", and those norms called "ideal rules". 1 2 Both have more a conceptual import than a pragmatical use as directives for action. The classical husserlian example about the good soldier who ought to be corageous, is paradigmatic in that respect. Other types of value judgments, as those having an expressive or emotional use, and other types of norms, like the technical ones, are not so obviously transformable, nor are, in most contexts, felt as equivalent to their correlated value or normative expression. It seems clear that most human rights' formulations do not adopt a value judgment form, where some state of affairs is judged to be good or bad. The rule that states that every human being has an inherent right to life, for instance, has not a surface normative form that could be explained through a set of equivalent normative sentences, nor does it express directly a value judgment. It could be surmised - and that is the current interpretation of Husserl's proposal - that the apparent declarative sentence "every human being has an inherent right to life", as the international convenant reads, would require, as a logical presupposition, the truth of the value judgment "life is good" or "life is valuable positively". But the more extreme logical presupposition, hardly agreeable, "life is good" has to be taken, not only as true, but also as absolutely and incontrovertibly true. It must be a sort of necessary truth, a thesis that sounds too strong as there is no reason to accept it without many qualifications and provisoes. And if "life is good" is necessarily true because analytic, we get a value judgment that cannot serve as a material presupposition, but only as a trivial logical presupposition, like every tautologous sentence. That is not what is understood when we read, in von Wright, for instance, that "norms can be said to presuppose logically valuations". 13 Valuations are acts. Von Wright's thesis, a pragmatical one, relates to a very traditional analysis concerning the relationships of norms w i t h wants, desires and the will. Another thing is the thesis which Hare formulated in the clearest way: "It is merely a difference of formulation whether we state a norm or a value judgment; ... actually, a value statement is nothing else than a command in a misleading grammatical form." 1 4 This presupposed logical equivalence is not acceptable, not only because its adoptation implies the rejection of important conceptual distinctions that are thus cancelled, but, what is more important, because what von Wright justly characterizes as the "difference between norms and values in their respective relationship w i t h language" is entirely passed over. 15 And that means that 12 13 14 15

Von Wright (note 5), pp.14 ff. Ibidem, p. 96. R. M. Hare, The language of morals, Oxford 1952, p. 3. Von Wright (note 5), p. 99.

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not only semantical differences are overlooked, but also that important syntactical and pragmatical distinctions are put aside. It is easy, in this respect, to define contradictory value judgments. It is much more controversial to understand strictly what it means to aver a logical contradiction between norms, as contradiction is a logical relationship which normally requires some sort of truth-functional definition of negation. And a negative value, as opposed to positive value, is not simply the negation of the positive one. If we accept the equivalence thesis of Husserl and Hare, a contradiction between value judgments would result immediately i n a normative contradiction, or, in a weaker and more likely version, in a contradiction between normative sentences, i.e., between sentences referring to prescriptions. The first possibility must be rejected, since there is no precise sense to give to norm contradictions, as norms are usually thought of as lacking truth value. The second possibility seems to be very contingent indeed, or hardly acceptable. To say that " i t is true that every human being has an inherent right to life" certainly does not presuppose the truth of the value judgment "life is good". Legal philosophers, from Thomasius to Kelsen, have underlined that there is not even an equivalent distribution of deontic characters between value attributions and prescriptive regulations: the same act can be deontically indifferent and axiologically positive from a moral point of view. Legal examples are just in point: most virtues are morally positively valued, but legally not obligatory. Legal positively valued acts, like paying taxes, may be considered morally indifferent, even by a very rigorous moralist, like Aquinas. Therefore, there is no equivalence parallelism between value judgments and normative sentences. That conclusion is valid a fortiori for norms. So the question of a sort of semantical equivalence between value sentences and normative expressions must be answered negatively. It clearly is not primarily a syntactical or logical problem; a deeper analysis would put us, literally, out of our depth, amidst one of those enigmatic questions which worry contemporary logicians so much. To put it succinctly, the point is this: value judgments have truth values; norms do not. Therefore, i n that domain and extensionally speaking, i t has no much sense to speak of equivalence between norms and values. And human rights, in any case, as institutionalized policies, require the existence of some positive norms. They do not require necessarily the existence of corresponding values, whatever be understood as that problematical existence. Likewise, contradictions between value judgments do not automatically mirror inconsistencies between norms. And that means that human rights, seen as values, may be violated without strict legal human rights be affected. But is it possible to speak - as was pointed out at the beginning of this paper - of enjoying a (human) right which we consider valueless?

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Searle and Vanderveken have proposed, in their analysis of illocutionary linguistic acts, a complementary pragmatical analysis, which would take into account some new elements analitically interesting. Between those elements, let's pay some attention to the so-called sincerity conditions and to the illocutionary commitments. 16 On stating an assertion one gives expression to an intention, for instance, the w i l l to tell the truth. If somebody asserts a contradiction, assuming that he is stating an universal truth, the rational sincerity condition cannot be fulfilled; that contradictory statement does not merit any belief. As the contradictory illocutionary acts thus performed lack consistency, the illocutionary commitments become not predictable and, therefore, they cannot be adopted as sufficient grounds for a rights' assignment. Therefore it seems practically impossible to claim a right - a human universal right - which is considered worthless. If we pretend to enjoy a human right, we must regard it a valuable condition, although perhaps not as a value in itself, ontologically speaking. This type of pragmatical inconsistency makes any assignment of human rights on pure axiological reasons simply impossible. A paradoxical situation breaks through here. Human rights are and must be, somehow, rational. But, as values or as norms, no uniform theory to explain them sufficiently has been developed. Human rights as mere values are something far less important than those ideals people fight for and even die for.

16 J. R. Searle/ D. Vanderveken , Foundations of illocutionary logic, Cambridge U. Press, 1985, pp. 18 - 25.

IV. Existenz, Geltung und Begriff des Rechts

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 2 2 1 - 233 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

LOGIK UND ETHIK DER FOLTER Von Alfonso Gómez-Lobo, Georgetown Während der letzten zwei Jahrzehnte war Iberoamerika mit einer gewissen Regelmäßigkeit i n der europäischen Presse und der der übrigen Welt präsent aufgrund der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die sich in unserem Kontinent ereignet haben. Dies ist nicht das erstemal, daß Taten dieser Art in der Geschichte der Menschheit geschehen, noch w i r d es - fürchte ich - das letzte Mal sein, doch es liegt etwas zutiefst Verwirrendes i n der Tatsache, daß die besagten Menschenrechtsverletzungen i n äußerst systematischer Form durchgeführt wurden und inmitten einer Kultur, die i n ihrem Innersten - wenigstens glaubten dies viele meiner Generation - ausreichend klare und kräftige moralische Vorstellungen zu bergen schien, um eine massive Reaktion gegenüber den willkürlichen Verhaftungen, der Folter, dem Verschwinden usw. hervorzurufen; d.h. gegenüber jener Konzentration von Taten gegen die physische und psychische Integrität von Hunderten von Menschen. Da mein Fachgebiet weder die Rechtswissenschaft noch die Soziologie, die iberoamerikanische Geschichte oder die Politikwissenschaft, sondern die Philosophie ist, möchte ich i n diesem Aufsatz an erster Stelle eine Erklärung für dieses oben erwähnte soziale Phänomen zu geben versuchen. Dieses habe ich „die Logik der Folter" genannt. Zum zweiten möchte ich ihre mögliche moralische Rechtfertigung untersuchen. Dieses ist der Teil, den ich „Ethik der Folter" überschrieben habe. Er schließt mit einem Versuch, ein rationales Argument gegen diese verhängnisvolle Praxis zu entwickeln. Das Referat beginnt also mit der begrifflichen Unterscheidung von Erklärung und Rechtfertigung. Vorweg einiges zu dieser Unterscheidung. Ein soziales Phänomen erklären heißt, eine Reihe von Gründen aufzudecken, die das Auftreten dieses Phänomens verständlich machen. Eine Erklärung schließt normalerweise keine Werturteile ein. Einer der wichtigsten Bestandteile einer Erklärung ist die Aufzählung der Motive, die die Urheber des in Frage kommenden Phänomens hatten. Die Rechtfertigung dagegen kann es nicht unterlassen, Wertungen einzuschließen, denn ein soziales Phänomen rechtfertigen heißt, Gründe dafür anführen, daß sein Auftreten gut oder zulässig ist.

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Die beiden Typen von Gründen sind offensichtlich miteinander verflochten. Denn um die Taten einer Person oder einer Gruppe von Personen zu erklären, ist es zuweilen wichtig, die Gründe zu kennen, die sie sich selbst zu ihrer Rechtfertigung geben. Doch diese Rechtfertigung kann ihrerseits legitim oder illegitim sein, und wenn w i r versuchen, die Frage kritisch zu entscheiden, sind w i r schließlich ganz auf dem Gebiet der Rechtfertigung von Taten, das heißt der Ethik, angelangt. Zunächst also gebe ich einiges zur Erklärung von Menschenrechtsverletzungen zu bedenken. I. Logik der Folter Warum foltert man? Wenn man diese Frage auf der Straße irgendeiner iberoamerikanischen Hauptstadt stellte, war es nicht erstaunlich, eine Gegenfrage zu erhalten: „Von welcher Folter sprichst du eigentlich?", das heißt, es bestand eine allgemeine Tendenz, das Phänomen selbst zu leugnen. Ein Satz, den man häufig sogar im Munde von vernünftigen Leuten hören konnte, ist: „Das ist mir nicht bekannt." In gewissem Sinne haben diese Personen recht. Während der ersten Jahre der argentinischen M i l i tärdiktatur gab es zum Beispiel keine öffentliche Gewißheit über die Verübung gewisser Verbrechen, einfach weil die Kontrolle der Presse und die Verschleierungsmittel es nicht erlaubten, daß diese ans Licht kamen. Aber sogar als sie begannen, ans Licht der Öffentlichkeit zu dringen, z.B. in Chile, dank der Stimme der katholischen Kirche, entstand kein allgemeines Bewußtsein dessen, was geschehen war. Das „das ist mir nicht bekannt" verblieb im Munde von vielen. In der Tat gab und gibt es auf diesem Gebiet ein doppeltes Spiel. Einerseits liegt im menschlichen Sein eine unbestreitbare Tendenz, vor sich selbst gewisse Dinge zu verleugnen; schmerzliche Dinge nämlich wie jene, die auf direktem Wege Schmerz verursachen, oder jene, die einen indirekten Schmerz hervorrufen; den moralischen Schmerz, vor einem Gebot zu stehen und sich aus Schwäche oder Feigheit zu weigern, ihm zu gehorchen. In der Tat zielt das Wissen um bedeutende Verletzungen, die vielleicht dort geschehen, wo man selber lebt, zusammen mit der eigenen völligen Untätigkeit sicherlich dahin, einen moralischen Konflikt im Innersten des Bewußtseins zu schaffen. Aber es fehlt nicht nur der Wille, etwas zu erfahren. (Um zu wissen, daß gefoltert wird, muß man ja einen positiven Versuch unternehmen, sich zu informieren.) Hinzu kommt, daß Geheimhaltung zu dem Vorhaben der Folterer gehört. Aus Gründen, die w i r etwas später kennenlernen werden, sind sie nicht bereit, ihre Taten publik zu machen.

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Gleichzeitig aber ergibt sich das Paradoxon, daß die Folterer wollen müssen, daß man erfährt, was geschieht. Ein erstes erklärendes Element des Phänomens Folter ist in der Tat die Absicht der Einschüchterung. Zum Teil foltert man, um Angst zu erzeugen und auf diese Weise die Aktivität von Individuen und Gruppen zu hemmen, die bereit wären, eine Haltung der offenen Opposition gegenüber jenen, welche die Folter als Instrument benutzen, einzunehmen. Um Angst zu erzeugen, müssen jedoch die Taten bekannt sein, vorzugsweise in vager oder übertriebener Form, um auf solche Weise die Vorstellungskraft der möglichen Oppositionellen in negativer Form zu beeinflussen. Wo entspringt die Notwendigkeit, Individuen und Gruppen einzuschüchtern? Ich wage zu sagen, daß sie zum Teil aus dem Bewußtsein der Illegitimität der Regierenden hervorgeht. Dies erklärt seinerseits, daß der politische Gebrauch der Menschenrechtsverletzungen in Iberoamerika von 1964 an entstanden ist als eine Folge der Etablierung von Militärdiktaturen, die mittels Staatsstreichen an die Macht kamen. Offensichtlich kann man nur mittels der Vernunft oder des Zwanges regieren, daß heißt aufgrund der freien Einigung eines wesentlichen Teils der Regierten oder durch Waffengewalt, die der Bevölkerung auf gezwungen wird. In diesem letzten Fall können die Regierenden nicht mit einer massiven Unterstützung der Bürger gegen die (sei es gewalttätige oder gewaltfreie) Opposition rechnen und erkennen innerhalb ihrer Logik, daß es wichtig für sie ist, jede oppositionelle Anstrengung im Keim zu ersticken. Die Herrschaft des Schreckens w i r d als ein geeignetes politisches Instrument empfunden. Auch wenn die Absicht, die Bevölkerung einzuschüchtern, um die auf politischer Illegitimität basierende Schwäche wettzumachen, die Folter im allgemeinen erklärt, muß man auch i n Betracht ziehen, daß die Folter unmittelbare Zwecke zu verfolgen pflegt. Wie es viele Zeugnisse von Opfern erweisen, ist die nächstgelegene Absicht eines Aktes der Folter, Informationen zu gewinnen. Es handelt sich gewiß um Informationen, die die Folterer als wichtig erachten und die der Gefolterte nicht freiwillig preisgeben will. Von daher resultiert die Notwendigkeit, seinen Willen durch physische oder psychische Druckmittel zu brechen, etwa durch die reale oder vorgetäuschte Folter des Ehegatten oder eines nahen Verwandten, die von demjenigen gesehen oder gehört werden soll, der vermeintlich im Besitz wertvoller Informationen ist. Es handelt sich dabei vorrangig um Informationen bezüglich Personen, die sich dem Regime nicht nur mit gewalttätigen, sondern auch mit gewaltlosen Mitteln entgegensetzen. Irgendeine Angabe, die es erlaubt, sie zu identifizieren, sie ausfindig zu machen, sie zu behindern, sie i n Verruf zu bringen usw. stellt den Folterer zufrieden, vor allem, wenn die

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Enthüllungen z.B. dazu führen, eine Zelle oder ein Netz von Zellen geheimer Oppositionsgruppen aufzuspüren. Die Gier nach Information spitzt die Mißhandlung der Opfer bis zu einem Punkt zu, an dem, wie es mehr als ein Gefolterter formuliert hat, „es nichts Schlimmeres gibt, als nichts zu wissen". Die Folterer glauben ihm nicht (oder stellen i n Windeseile die Unwahrheit der erfundenen Information fest) und verschärfen ihre Maßnahmen. Bis hierher habe ich zwei Ziele der Folter erwähnt: Angst hervorzurufen und Informationen zu erhalten. Ihnen wäre die Anwendung der Folter als eine Form der Züchtigung oder Bestrafung für irgendeine angenommene oder tatsächlich vom Opfer begangene Tat hinzuzufügen. 1 Die Dinge so zu sehen, setzt voraus, die Folterer als höchst rational geleitete Wesen zu begreifen, die genau definierte Ziele verfolgen. Ich glaube, daß diese Vermutung angemessen ist, wie ich weiter unten zeigen werde. Ich möchte jedoch nicht die Funktion andersgearteter Motivationen, wie z.B. der Rache, beiseite lassen. Der Folterer kann so handeln, wie er es tut, aufgrund eines Gefühls, mit dem Feind abzurechnen, der ihm persönlich oder der Gruppe, mit der er sich identifiziert, Schaden zugefügt hat oder hätte zufügen können, wenn der Militärputsch nicht stattgefunden hätte, der in seinen Augen diese Gefahr beseitigt hat. Die Rache basiert teils auf Vernunft und teils auf Leidenschaft, aber w i r dürfen rein irrationale erklärende Elemente nicht ausschließen, das heißt, wir müssen auch mit psychopathischen Persönlichkeiten rechnen, die bereit sind, aus simplem Sadismus zu foltern, aus dem Vergnügen heraus, Schaden oder Schmerz zuzufügen. Diese Erklärung w i r d i n vielen Fällen auf einer bestimmten Ebene angemessen sein, nämlich auf der Ebene des Individuums, das tatsächlich die Elektroder^ anbringt oder die Zigarette auf der Haut des Opfers ausdrückt, aber sie erklärt nicht den systematischen und globalen Charakter des Unternehmens. Für dieses letztere müssen w i r auf die Logik der Einschüchterung und der Information zurückgreifen. 2 ι Cf. Declaration on the Protection of A l l Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, adopted by the United Nations General Assembly on 9 Dec. 1975: Art. 1: „For the purpose of this Declaration, torture means any act by which severe pain or suffering, whether physical or mental, is intentionally inflicted by or at the instigation of a public official on a person for such purposes as obtaining from him or a third person information or confession, punishing him for an act he has committed or is suspected of having committed, or intimidating him or other persons." (N. Rodley, The Treatment of Prisoners under International Law, Oxford/Paris 1987, S. 307.) 2 Die „Information über die Situation der Menschenrechte i n Chile" der Interamerikanischen Kommission der Menschenrechte der Vereinigten Staaten (Washington 1985), S. 99, behauptet, daß „die Praxis der Folter auch i n vielen Fällen die Zusammenarbeit der betreffenden Personen mit diesen Organisationen zu errei-

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Wenn w i r dies tun, gehen w i r von der Vernunft der Folterer aus, wie ich eben zeigte, das heißt von der Fähigkeit, gewisse Ziele klar zu erkennen und die geeignetsten Mittel richtig abzuschätzen, um sie zu erreichen. Aber die menschliche Vernunft beschränkt sich i m allgemeinen nicht nur auf den Bereich der Wirksamkeit, sondern erstreckt sich auch auf das Gebiet der Rechtfertigung. Wenn dies so ist, dann bleibt anzunehmen, daß diejenigen, die die Unternehmungen der Folter organisieren, auch die Fähigkeit besitzen müssen, nach ihrem Urteilsvermögen Gründe anzuführen, die das, was sie getan haben, rechtfertigen. Dies führt uns zu unserem zweiten Teil. Π. Ethik der Folter Wie rechtfertigen die Folterer die Folter? Zunächst muß die Tatsache festgehalten werden, daß explizite schriftliche und veröffentlichte Rechtfertigungen sehr selten sind oder praktisch nicht existieren. Dies beruht darauf, daß im öffentlichen Diskurs in ganz Iberoamerika wie i n der übrigen Welt das Bewußtsein der Illegitimität von Menschenrechtsverletzungen besteht. Zahlreiche Dokumente, Übereinkünfte, Abhandlungen und Erklärungen der Vereinten Nationen und regionaler Organisationen beweisen dies. 3 Die Anwendung der Folter, das Verschwinden, die langwierigen Inhaftierungen ohne Prozeß usw. offen zu verteidigen, würde ein ziemlich verhärtetes Gewissen voraussetzen. Dennoch gibt es Versuche, diese Akte zwar nicht als vollkommen zulässig, wohl aber als etwas von der Notwendigkeit Diktiertes, als etwas Unabwendbares oder als ein kleineres Übel zu rechtfertigen. Dieser Typus von Rechtfertigungen definiert im allgemeinen nicht klar, um welche Taten es sich handelt, vielmehr beläßt er alles in einem gewissen Halbdunkel, das an das spanische Sprichwort erinnert: „Wer gut versteht, braucht wenig Worte." Ich möchte hier die These vertreten, daß sich die Versuche der Rechtfertigung der Menschenrechtsverletzungen auf zwei Ebenen bewegen: auf einer globalen Ebene und auf einer Ebene, die einen direkten Bezug zu speziellen Kontexten besitzt.

chen versucht [Organisationen, die der Staat als eine Bedrohung seiner Sicherheit ansieht], mit dem Ziel, sie zu infiltrieren und vielleicht zerstören". Wenn auch die Anwendung der Folter, um Kollaboration zu erzwingen, ein wichtiger Fall ist, besteht jedoch kein Zweifel, daß es sich statistisch gesehen nur um eine geringe Zahl von Fällen handelt. 3 Für eine Übersicht der internationalen Instrumente auf diesem Bereich in den Jahren 1919 - 1985 s. Rodley (FN 1), S. X I X - XX.

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Der wichtigste Versuch einer globalen Rechtfertigung geht aus der Doktrin der Nationalen Sicherheit (Doctrina de la Seguridad Nacional: DSN) hervor. Sie wurde i n Iberoamerika von den Generälen Golbery do Couto e Silva (Brasilien), Jorge Atencio (Argentinien) und Augusto Pinochet (Chile) vorgelegt. Ihre zugrundeliegende Vorstellung leitet sich vielleicht unbewußt von Hobbes her und besteht darin zu behaupten, daß ein dauernder Krieg stattfindet, der die Unterordnung der Individuen und Gruppen unter den Staat erforderlich macht. Die Kunst des Regierens muß die Geopolitik berücksichtigen und muß sich als eine militärische, eine strategische Aufgabe begreifen. Das Gemeinwohl, das höchste Ziel des Regierenden, ist die nationale Sicherheit. Sogar die wirtschaftliche Entwicklung rechtfertigt man mit Bezug auf die Sicherheit. 4 Aber der Krieg, vor dem der Regierende als Stratege steht, ist kein konventioneller Krieg der Vergangenheit. Es ist ein anderer Krieg. Sein berühmtester Verfechter ist der französische Oberst Roger Trinquier, ein Militär aus der Umgebung von General Raoul Salan gewesen. Es bleibt zu erinnern, daß dieser letztere die Organisation des Geheimen Heeres kommandierte, die eine terroristische Kampagne über die Bevölkerung Algeriens und Frankreichs hereinbrechen ließ während des Prozesses der Unabhängigkeit Algeriens zu Anfang der sechziger Jahre. Das Buch Trinquiers wurde i n Argentinien übersetzt, und es ist nicht übertrieben, die Vermutung zu wagen, daß es die Mentalität der Strategen des sogenannten „schmutzigen Krieges" beeinflußt hat. Ich möchte hier einige bezeichnende Abschnitte aus Trinquiers Buch wiedergeben: 5 „ . . . seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist eine neue Form des Krieges entstanden ... Der Krieg von heute ist der Zusammenprall einer Reihe von Systemen - ein politischer, wirtschaftlicher, psychologischer und militärischer -, der dazu neigt, die in einem Land existierende Regierung zu zerstören, um sie durch eine andere zu ersetzen ... Wir müssen endlich erkennen, daß wir in einem modernen Krieg nicht gegen eine bestimmte verstreute, bewaffnete Gruppe in einem bestimmten Gebiet kämpfen, sondern gegen eine gefährliche und gut bewaffnete Geheimorganisation, deren Hauptanliegen es ist, ihren Willen einer Bevölkerung aufzuzwingen. Den Sieg können wir nur erringen, wenn es uns gelingt, diese Organisation zu zerstören."

4 Cf. P. Berryman, Liberation Theology, New York 1987, S. 119. 5 Ich habe sie den Seiten 54 und 55 von G. Arriagada u.a., Seguridad Nacional y Bien Comun, Santiago 1976, entnommen, der sie aus Coronel Roger Trinquier, La Guerra Moderna, Buenos Aires, s.f. entnahm. Offensichtlich liegt das Publikationsdatum vor 1975, dem Jahr, in dem im gleichen Verlag ein anderes Buch Trinquiers mit dem Titel Guerra, Subversion, Revolución erschien. Cf. Arriagada , S. 54, F N 50.

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Die bevorzugte Waffe des Gegners ist nach Trinquier der Terrorismus, woraus er ein bestimmtes Vorgehen gegen den Terroristen ableitet: Wenn dieser überrascht und festgenommen wird, „ist das, was mit ihm geschieht, nicht die Strafe für seine Tat, für die er in Wirklichkeit nicht vollkommen verantwortlich ist, sondern es zielt auf die Auslöschung seiner Organisation oder auf ihre Kapitulation ... Wenn jedoch eine diesbezügliche Information nicht augenblicklich gegeben wird, sehen sich seine Gegner gezwungen, sie durch Anwendung irgendeines Mittels zu erlangen ... Der Terrorist muß lernen, diese Konsequenzen zu akzeptieren als eine Bedingung, die aufs Engste mit seiner Aufgabe und der Methode des Krieges verknüpft ist, die er und seine Vorgesetzten gewählt haben."

Andererseits besteht das Problem herauszufinden, wer Terrorist ist und wer nicht, da die Gegner nicht einheitlich militärisch gekleidet sind. Hierfür spielen innerhalb der DSN die Nachrichtendienste eine grundlegende Rolle. Aufgrund ihres eigenen Zieles (der Zusammenstellung von Information) stellen diese Dienste das Instrument des Staates bei der Anwendung der Folter dar. Man bemerke, daß die Argumentation Trinquiers zwei bezeichnende Elemente der Rechtfertigung einschließt. Eines ist die Not: „seine Gegner sehen sich gezwungen". Die Tat des Terroristen erlaubt nichts anderes als die Erpressung von Informationen durch „irgendein Mittel", ein Euphemismus für die Anwendung von körperlichem und psychischem Zwang. Das zweite Element ist, daß der Terrorist „lernen muß, diese Konsequenzen zu akzeptieren", mit anderen Worten, der Terrorist weiß, was ihn erwartet. Deshalb können wir, indem w i r den Text Trinquiers über seinen Wortlaut hinaus interpretieren, sagen, daß der Terrorist seine stille Einwilligung im voraus zu dem gibt, was die Sicherheitskräfte mit ihm anfangen werden. Offensichtlich taugt diese Rechtfertigung (die sicherlich eine wesentlich ausführlichere Darstellung erfordern würde, als ich hier geben kann) nur soviel, wie ihre Prämissen taugen. Das Argument, das darauf beruht, was ich „stille Einwilligung im voraus" genannt habe, gründet sich auf eine Analogie zur üblichen Praxis des Kampfes. So wie der Flieger weiß, daß er von der Luftabwehrartillerie getroffen werden kann, und der Infanteriesoldat sich bewußt ist, daß er vom Schrapnell seines Gegners hinweggefegt werden kann, so weiß auch der Terrorist, daß ihn die Folter erwartet. 6 Aber diese Analogie ist sicherlich trügerisch, denn im Falle des Verhörs, auf das sich Trinquier bezieht, handelt es sich um jemanden, der nicht im Kampf steht, der also hors de combat ist. Deswegen muß auf diesen Fall 6 Cf. Arriagada (FN 5), S. 55. 17 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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der gewöhnliche Artikel Nr. 3 der Genfer Konvention angewendet werden, der ausdrücklich grausame Behandlung und Folter verbietet. Auf diese Weise philosophisch gegen die Folter zu argumentieren, heißt indes, die Genfer Konvention als moralisch gültige Prinzipien anzuerkennen (was mir vollkommen vernünftig erscheint), aber es heißt zugleich, die These der DSN über die neue Form des Krieges zu akzeptieren. Meiner Meinung nach ist es diese These, die dringend zurückgewiesen werden muß. Gewiß existiert der Terrorismus, sicherlich ist die Subversion ein Phänomen, das nicht nur in Iberoamerika, sondern auch in Europa genügend verbreitet ist. Darüber hinaus betreffen sie gleichermaßen die Diktaturen und die legitim eingesetzten Demokratien. Jedoch rechtfertigt dies nicht, daß man von einem „Kriegszustand" spricht. Eine Situation mit dem Prädikat „Kriegszustand" zu versehen oder nicht, hängt offensichtlich von der Definition ab, die w i r diesem Terminus geben. Der sprachlichen Freiheit, ein Wort i n einem besonderen Sinn zu benützen, können w i r ohnehin keine Grenze setzen. Das einzige, was man tun kann, ist, die Folgen einer Neudefinition dieses Terminus zu beachten. Wenn die Übernahme eines neuen Kriegsbegriffes als realen Effekt die Verwischung fundamentaler Rechte der Mitglieder einer Bevölkerung nach sich zieht, bis zu dem Punkt, an dem sich die eigene Regierung als ebenso oder noch gefährlicher als der Gegner herausstellt, dann dürfen w i r diesen neuen Begriff des Krieges nicht akzeptieren. Eine Gesellschaft hat sicherlich das volle Recht, sich gegen den Terrorismus zu wehren, aber sie darf die Besonnenheit nicht verlieren. Die Instrumente sollten so beschaffen sein, daß sie nicht noch größere Risiken herausfordern. Wenn i n diesem Sinne das gewöhnliche Strafrecht und der traditionelle Rechtsweg sich als ungeeignet herausstellen (z.B. weil sie den Schuldigen zu kurze Freiheitsstrafen auferlegen, so daß diese nach einiger Zeit in der Lage sind, ihre Taten zu wiederholen), ist es sinnvoll, eine speziell antiterroristische Gesetzgebung einzuführen, die sich trotz ihrer Strenge an die grundlegenden Rechtsprinzipien hält, die es erlauben, Argumente zugunsten der Notwendigkeit der Folter und des im voraus gegebenen Einverständnisses zu verbannen. Viele Leute, die die DSN ablehnen, akzeptieren jedoch auf einer speziellen Ebene ein Argument, das in nordamerikanischen akademischen Kreisen einziges Prestige erworben hat. Man pflegt es mit einem Beispiel der folgenden Art vorzustellen: Nehmen w i r an, daß ein Terrorist i n einer Großstadt eine Atombombe deponiert hat, die Millionen von Opfern fordern wird. Nur er weiß, wo sie sich befindet. Der Terrorist w i r d festgenommen und weigert sich, den Standort der Bombe anzuge-

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ben. Ist es gerechtfertigt, daß die Polizei ihn foltert, bis er den Ort verrät? Die gemeinhin akzeptierte Antwort lautet, daß es nicht nur zulässig ist, von Zwangsmitteln Gebrauch zu machen. Es gibt sogar einige, die noch weiter gehen und behaupten, daß die öffentliche Gewalt i n diesem Fall verpflichtet ist, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Es nicht zu tun, deute auf einen Mangel an moralischem Mut hin. Diese Art, Taten zu rechtfertigen, ist nicht nur Stoff für rein akademische und hypothetische Spekulationen geblieben, sondern wurde auch zur Rechtfertigung realer Fälle von Folter vorgebracht. Als Beispiel möchte ich einen Artikel zitieren, der am 8. März 1987 i n der Tageszeitung La Prensa von Buenos Aires erschienen ist und i n dem der Journalist Michael Schoenfeld neben anderen Dingen das folgende ausführt: Die Methode, den Verdächtigen, die zu organisierten Zellen gehören, Geständnisse zu entreißen, einschließlich der Folter, ist bedauerlicherweise gerechtfertigt: Denn Geständnisse dieser Art i n einem nationalen Notfall eines nicht-konventionellen Krieges können verhindern, daß neue „Operationen" von Kriminellen, Partisanen oder Terroristen begangen werden.

Wenn man den Aufruf der DSN beiseite läßt, zeigt das so referierte Argument die gleiche Struktur wie das, welches dem imaginären Fall zugrunde liegt: Man rechtfertigt eine Tat als i n sich zulässig, wenn sie begangen werden muß, um ein größeres Übel zu verhindern. Ist dieses Argument akzeptabel? A n erster Stelle muß man bedenken, daß ein solches Argument den Weg einer massiven Rechtfertigung von Übergriffen ebnet. Es genügt, die möglichen Konsequenzen mit ausreichend dramatischen Worten auszumalen, damit jeder A k t zulässig erscheint, den man unternimmt, um sie zu unterbinden. Wenn ein Terrorist Dutzende von Soldaten oder Zivilisten töten kann, warum soll man ihn dann nicht gleich töten? Wenn die Zelle, zu der dieser Terrorist gehört, fähig ist, Dutzende von Bomben zu werfen, warum soll man ihre Mitglieder nicht jetzt quälen, damit sie ihre Genossen denunzieren und so diese Bomben nicht geworfen werden können? Und wenn sich dabei ein Irrtum ereignet und die gefolterte oder tote Person kein Terrorist war, hat dann nicht die öffentliche Gewalt rechtmäßigerweise i n Verfolgung des Gemeinwohls gehandelt? Ist es nicht vielleicht sicher, daß ein unschuldiges Individuum zuweilen ein großes Opfer für das Wohl der ganzen Gemeinschaft bringen muß? Offensichtlich wurden i n vertraulichem Rahmen Entschuldigungen der beiden letzten Typen von den Oberkommandierenden der argentinischen Streitkräfte hervorgebracht, als sie sehen mußten, daß Hunderte von verschwundenen Personen nichts mit den subversiven Organisationen (ERP, Montoneros) zu tun hatten, die den offiziellen Gegner darstellten. 17'

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Meiner Meinung nach sind diese Argumentationsketten völlig inakzeptabel. Um dies zu zeigen, werde ich zwei Typen von Argumenten entwikkeln. Der erste w i r d mit dem Begriff des Gemeinwohls, der zweite mit der Idee der moralischen Verantwortlichkeit zu tun haben. Der wichtigste Grund, um zu behaupten, daß die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt, über das Gemeinwohl zu wachen, den Gebrauch der Folter nicht rechtfertigt, ist, daß er einen Begriff von Gemeinwohl einführt, der logisch unabhängig ist von den Individuen, die zu ihm gehören. Mit anderen Worten: Die Menschenrechte der Individuen, die eine Gemeinschaft bilden, sind Teil des Wohls dieser Gemeinschaft. Das Recht eines Mitglieds der Gemeinschaft, z.B. sein Recht auf körperliche oder geistige Unversehrtheit, zu verletzen, kommt der Verletzung eines Gutes gleich, das das Vermögen der ganzen Gemeinschaft darstellt. In der Tat steht unter den Dingen, die der Mühe wert sind, Mitglieder einer politischen Gemeinschaft zu sein, ohne Zweifel die Garantie, daß alle Mitglieder dieser Gemeinschaft hoffen können, daß ihnen niemand Schmerz zufügt, so sehr auch vorgegeben wird, daß dieser Schmerz der Gemeinschaft nützen wird. Eine Gemeinschaft vernünftiger Menschen w i r d dies grundsätzlich ablehnen, das heißt, sie w i r d die Menschenrechte als mitdefinierte Faktoren des Gemeinwohls betrachten. 7 Wenn das Vorhergehende stimmt, dann ist ein A k t der Folter niemals zu rechtfertigen. Aber heißt dies nicht auch, sich als blind gegenüber den Übeln zu erweisen, die die subversive Bewegung hervorbringen kann? Gibt es nicht vielleicht das Phänomen der „schmutzigen Hände", das heißt jene Situation, in der die Autorität keine andere Möglichkeit mehr sieht, als etwas Unmoralisches zu tun, um größere Schäden abzuwenden? Gewiß gibt es im menschlichen Dasein viele tragische Situationen, aber ich halte es für einen Irrtum zu denken, daß jemand, sei es als Individuum oder als Obrigkeit, für alles Übel, was i n Verbindung mit den eigenen Taten geschehen kann, verantwortlich ist. Zur Illustration der Argumentationsfolge, die ich entwickeln möchte, ist es nützlich, ein anderes fiktives Beispiel zu erwähnen, das öfter in Gesprächen über Ethik in den Vereinigten Staaten aufzutauchen pflegt. Das Beispiel lautet mehr oder weniger so: Ein Tyrann hat zehn Geiseln in seine Gewalt gebracht und befiehlt einem von ihnen, er solle einen der anderen neun töten, andernfalls würde er selbst darangehen, die restlichen acht Geiseln zu töten. Der Zweck dieses imaginären Falles besteht offensichtlich darin, das kleinere Übel (den Tod eines Individuums) dem größeren Übel (dem Tod 7 Für eine eingehende Beschäftigung mit diesem Gedanken sollte man John Finnis, Natural Law and Natural Rights, Oxford 1980, S. 210 ff. konsultieren.

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von acht Menschen) gegenüberzustellen. Das Zahlenverhältnis kann nach Belieben verändert werden (wie in dem Beispiel mit der Bombe) - oder man kann i n die Zahl derjenigen, die von der Hand des Tyrannen getötet werden, auch den einschließen, der von der ersten Geisel getötet werden sollte, und damit die Wahl im Hinblick auf ihn gleichgültig machen, da er in dem einen oder dem anderen Fall sterben wird. In Übereinstimmung mit dem Argument, das ich hier kritisieren möchte, wäre die Antwort, daß die richtige Entscheidung die der schmutzigen Hände wäre: daß die erste Geisel die andere Geisel töten sollte. Die erste Geisel würde dadurch ein größeres Übel vermeiden, indem sie etwas täte, was unter normalen Umständen unzulässig wäre, in diesem Fall jedoch zulässig wäre. Was diese Art von Argumenten vorbringt, ist eine Art abstrakter Rechnung mit Vor- und Nachteilen (einen Tod gegen acht oder neun andere), wobei nicht in Betracht gezogen wird, daß in der realen Welt die Übel, die von menschlichen Wesen verursacht werden, mit den Personen, die sie vollbringen, eng verknüpft sind. Man muß nicht nur in Betracht ziehen, wieviel Übles eine Tat oder eine Unterlassung mit sich bringen kann, sondern auch, wer i n dem einen oder anderen Fall die betreffenden Übel verursachen wird. Es ist sicherlich vernünftig zu denken, daß ein Individuum für die Übel, die es selbst verursacht, verantwortlich ist, jedoch nicht für die Schäden, die andere verursachen, sonst wären w i r jederzeit irgendeiner Art von Erpressung ausgesetzt. In der Tat besteht eine der allgemeinen Formen der Erpressung darin, eine Person zu nötigen, etwas gegen ihren Willen zu tun, unter der Drohung, daß, im Falle der Weigerung, etwas noch Schlimmeres geschehen wird. Im Falle des Tyrannen-Beispiels muß derjenige unter den Geiseln, der aufgefordert wird, den anderen zu töten, in Betracht ziehen, daß er (natürlich mit gewissen Einschränkungen) verantwortlich am Tod der anderen Geisel ist. Aber es muß sehr klar herausgestellt werden, daß er nicht für den Tod der acht oder neun restlichen Geiseln verantwortlich ist, falls er sich weigert, einem von Natur aus unmoralischen Befehl zu gehorchen. Dies müßte genügen, um klar zu erkennen, daß, wenn er die andere Geisel umbrächte, er etwas Unmoralisches tun würde, was auch immer der Tyrann selber später tun würde. Die Entscheidung des Tyrannen ist logischerweise unabhängig von der seinen. Es ist jedoch illusorisch zu denken, daß eine Erpressungssituation einen Kausalzusammenhang zwischen den Taten des Erpreßten herstellt und den Taten, die der Erpresser droht, selbst zu begehen. In dem erwähnten Beispiel könnte zudem dieser letztere seine Meinung ändern, oder vielleicht hatte er von Anfang an geblufft, oder vielleicht werden die Geiseln befreit usw.

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Dies führt zu dem Schluß, daß das Argument der schmutzigen Hände abgelehnt werden muß. Die öffentliche Gewalt ist verpflichtet, Schäden von der Gemeinschaft abzuwenden, aber es ist nicht zulässig, daß sie dies erreicht, indem sie Schäden einer anderen Kategorie hervorruft. Für alle Individuen und für alle Gemeinschaften muß als oberstes Prinzip gelten, daß eine grundsätzliche Differenz zwischen der Hervorbringung von Übeln und ihrem Erleiden besteht. Es ist traurig zu sagen, daß man manchmal Übel erleiden muß, die aus Dummheit oder Bösartigkeit einiger Individuen entstanden sind. Man muß versuchen, sie zu verhindern, aber wenn das einzige Mittel, um sie zu verhindern, das wäre, etwas Unmoralisches zu tun (ohne zu vergessen, daß die Annahme, daß die einzige Möglichkeit, derartiges Übel zu vermeiden, eine unmoralische Tat ist, sehr oft nur illusorisch ist), dann gibt es keinen anderen Ausweg, als diese Übel zu ertragen. Damit habe ich auf dem Gebiet der Ethik der Folter eine zentrale Position innerhalb der Tradition des europäischen Naturrechts verteidigt. Ich habe behauptet, daß die Personen i n diesem Fall ein absolutes Recht besitzen, nicht gefoltert zu werden, und daß dies ein Recht ist, das auch die Justiz respektieren sollte, auch „wenn die Welt unterginge". Ich habe darüber hinaus behauptet, daß jedes konsequentialistische Argument, um die Folter zu rechtfertigen, unannehmbar ist und daß, wie schon vor langer Zeit Sokrates behauptet hatte, es vorzuziehen ist, eine Ungerechtigkeit eher zu erdulden, als sie zu begehen. Ich habe indes die beste Verdeutlichung dieser Ethik aus dem Munde von jemandem gehört, der aufgrund seines Amtes vor einer wahrhaft tragischen Wahl stand und die richtige moralische Entscheidung traf. Das Buch Nunca Mds (i.e. ,Niemals wieder'), das eine Information der Nationalen Kommission über das Verschwinden von Personen in Argentinien enthält (veröffentlicht i n Buenos Aires 1984), beginnt mit dem folgenden Abschnitt: „ I n den siebziger Jahren wurde Argentinien von einem Terror geschüttelt, der sowohl von der extremen Rechten als auch von der extremen Linken herrührte, ein Phänomen, das auch i n vielen anderen Ländern aufgetreten ist. So geschah es i n Italien, das während langer Jahre unter der unbarmherzigen Herrschaft der faschistischen Organisationen leiden mußte, unter den Roten Brigaden und ähnlichen Gruppen. Aber diese Nation wich nicht einen Moment lang von den Rechtsprinzipien ab, um diese Gruppen zu bekämpfen, was sich als absolut wirksam erwies; sie garantierte den Angeklagten in ordentlichen Gerichtsverfahren eine gerichtliche Verteidigimg. Und im Falle der Entführung Aldo Moros, als ein Mitglied des Sicherheitsdienstes dem General Della Chiesa vorschlug, einen Gefangenen zu foltern, der viel zu wissen schien, antwortete dieser mit den denkwürdigen Worten: ,Italien kann sich erlauben, Aldo Moro zu verlieren. Es kann sich jedoch nicht erlauben, die Folter einzuführen.'"

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Im Dialog zwischen Europa und Iberoamerika fand auf dem Gebiet, welches ich hier behandle, ein sowohl positiver als auch negativer Austausch statt. Ich habe versucht zu zeigen, daß die DSN mit ihren verhängnisvollen Konsequenzen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf gewissen europäischen Ideen hinsichtlich des Wesens des modernen Krieges gründet. Aber w i r haben auch eine Tradition des moralischen Denkens empfangen, die es uns erlaubt, die These zu stützen, daß die Menschen einige unumschränkte Rechte besitzen, die niemals im Namen wohltätiger Folgen, des allgemeinen Nutzens oder des Gemeinwohls verletzt werden dürfen. Hoffen wir, daß i n der Zukunft dieses zweite europäische Erbe den Sieg über das erste davontragen wird.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 235 - 244 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

NORM: BEGRIFF, GELTUNG UND WIRKSAMKEIT Von Norbert Hoerster, Mainz Wer - sei es unter rechtsphilosophischem oder rechtssoziologischem Aspekt - das Wesen einer Rechtsnorm verstehen will, muß zunächst einmal das Wesen einer Norm schlechthin verstehen. Zu einem solchen Verständnis möchte ich im folgenden einen Beitrag leisten. Ich werde zu diesem Zweck die wichtigsten normativen Phänomene zu analysieren und durch zweckmäßig erscheinende Begriffe zu bezeichnen versuchen*. I. Der Begriff der Norm Unter einer Norm verstehe ich ein Sollen im weitesten (ein Können sowie ein Dürfen einschließenden) Sinn des Wortes, also eine Handlungsanleitung, einen Verhaltensmaßstab. Eine Norm ist dabei identisch mit dem Sinn, der Bedeutung des entsprechenden Normsatzes. (Die Norm, daß man nicht lügen soll, ist identisch mit dem Sinn, der Bedeutung des Normsatzes „Man soll nicht lügen".) Im folgenden werde ich allerdings der Einfachheit halber zwischen Normsätzen und den ihre Bedeutung bildenden Normen selbst nicht mehr unterscheiden, sondern einen Normsatz zur unmittelbaren Bezeichnung der betreffenden Norm selbst verwenden. Normen in dem soeben erläuterten Sinn können sowohl fiktiv oder gedacht als auch real existent sein. (Sowohl „Man soll nicht Spazierengehen" als auch „Man soll seine Nachbarn grüßen" sind Normen.) Eine Norm ist real existent, wenn sie nicht bloß fiktiv oder gedacht ist, also gleichsam in der Luft hängt, sondern wenn hinter ihr ein Wille steht, wenn sie auf einen Willen zurückgeht.

* Die Ergebnisse meiner früheren i n diese Richtung gehenden Versuche (insbesondere in: D. Mayer-Maly und P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S. 585ff. sowie in: Juristische Schulung 1987, S. 181ff.) ziehe ich damit zurück. Meine erneute Beschäftigung mit der Thematik wurde vor allem angeregt durch die Lektüre von: H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979 sowie von: O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981. Ich behalte es mir für eine spätere Gelegenheit vor, meine i n diesem Beitrag entwickelten Gedanken näher auszuarbeiten und den Resultaten dieser beiden gewichtigen Werke im ausdrücklichen Vergleich kritisch entgegenzusetzen.

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II. Die Geltung der Norm 1. Der Begriff der Normgeltung

Die reale Existenz, die eine Norm durch Verknüpfung mit einem Willen gewinnt, bezeichne ich als ihre Geltung. Diese die Geltung einer Norm bildende Verknüpfung zwischen Norm und Wille bedarf näherer Erläuterung. Ich schlage die folgende Definition vor: „Eine Norm Ν besitzt Geltung (gilt)" soll bedeuten „Es gibt ein Subjekt, dessen Willen das Ν konforme Verhalten entspricht (gemäß ist)". Diese Definition sei vor allem in zweifacher Hinsicht begründet und erläutert. Erstens: Ich definiere die Geltung einer Norm Ν bewußt nicht unter Bezug auf einen „Willen, der das Ν konforme Verhalten zum Inhalt hat".· Diese Definition würde mir in einer wesentlichen Hinsicht als zu eng erscheinen. Sie versieht nämlich nur solche Normen mit dem Stempel der Geltung, deren Erfüllungsverhalten von einem Willen i m psychologischen Sinn erfaßt wird. (Eine in diesem Sinn geltende Norm läge etwa im Fall des von einem Gesetzgeber geäußerten Willens „Die Bürger sollen die von ihnen geschlossenen Verträge erfüllen" vor.) Als geltend müssen nach meiner Auffassung darüber hinaus aber auch die logischen Konsequenzen oder Ableitungen aus derartigen Normen bezeichnet werden. (Solche logischen Konsequenzen aus der soeben genannten Norm sind etwa die Normen „Die Bürger sollen die von ihnen geschlossenen Pachtverträge erfüllen" und „Der Mieter Hans Maier soll dem Vermieter Max Müller den zwischen ihnen vertraglich vereinbarten Mietzins zahlen".) Denn eine logische Konsequenz aus einer geltenden Norm besitzt eine ähnlich reale Existenz wie diese: Sie wird normalerweise von ihrem Adressaten in gleicher Weise als Verhaltensmaßstab verstanden, und sie gibt normalerweise in gleicher Weise den Willen ihres Urhebers wieder. Daß sie im psychologischen Sinn nicht Inhalt ihres Urheberwillens ist (der Gesetzgeber in unserem Beispiel hat vielleicht bei seinem Gesetzeserlaß speziell an die Pachtverträge gar nicht gedacht, und den Mieter Hans Maier kennt er überhaupt nicht), ändert daran nichts. Entscheidend ist, daß sie, objektiv betrachtet, jedenfalls seinem Willen gemäß ist, daß das von ihr normierte Verhalten jedenfalls vom Standpunkt ihres Urhebers aus gesollt ist. Das aber ist immer dann der Fall, wenn die betreffende Norm aus der ursprünglichen Norm, die ausdrücklich durch den betreffenden Willen in Geltung gesetzt ist, logisch ableitbar ist. Ein Subjekt, das das einer Norm Ν konforme Verhalten will, gleichzeitig aber das den logischen Konsequenzen aus Ν konforme Verhalten ausdrücklich nicht will, verhält sich objektiv irrational - so irrational, wie sich ein Subjekt verhält, das eine Aussage A für wahr hält, jedoch die logischen

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Konsequenzen aus A für nicht wahr hält. Allgemein gesagt: Irrational verhält sich, wer aus Prämissen, die er akzeptiert, die logischen Konsequenzen ablehnt (nicht zu akzeptieren bereit ist). Diese Minimalbedeutung dessen, was einen logisch gültigen Schluß ausmacht, trifft auf logische Schlüsse im normativen ebenso wie im deskriptiven Bereich zu. Ganz entsprechend, wie logisch widersprüchliche Aussagen zusammengenommen keine Information enthalten können, können logisch widersprüchliche Normen zusammengenommen keine Befolgung finden. Diese Tatsache ist der eigentliche Grund dafür, daß einem Willen, dessen Inhalt das Ν konforme Verhalten ist, auch das den logischen Konsequenzen aus Ν konforme Verhalten - objektiv betrachtet - entspricht oder gemäß ist. Der Deutlichkeit halber sei an dieser Stelle hinzugefügt, daß in die logische Ableitung einer geltenden Norm außer der in jedem Fall erforderlichen Prämisse in Form einer geltenden Norm natürlich auch weitere Prämissen in Form von Tatsachenaussagen eingehen können. Ich erspare es mir, in meinen Beispielen diese Aussagenprämissen neben der Normprämisse ausdrücklich zu nennen. Logisch ableitbar und dementsprechend geltend sind im übrigen nicht nur inhaltliche Spezialisierungen einer geltenden Norm (wie im Fall der obigen Beispiele), sondern auch inhaltliche Neuschöpfungen, sofern diese auf eine zur Normerzeugung, d. h. zur Ingeltungsetzung von Normen ermächtigende geltende Norm zurückgehen. (Beispiele für solche Ermächtigungsnormen sind etwa die Norm eines Vaters „Meine Kinder sollen den Anordnungen ihrer Mutter gehorchen" oder die Norm einer Staatsverfassung „Die Bürger sollen dem Willen des Gesetzgebers gehorchen".) Die aus derartigen Ermächtigungsnormen sowie den jeweiligen deskriptiven Zusatzprämissen logisch ableitbaren inhaltlichen Normen (etwa die mütterliche Anordnung „ D u sollst jetzt deine Hausaufgaben machen" oder die Gesetzesnorm „Die Bürger sollen die von ihnen geschlossenen Verträge erfüllen") besitzen sogar Geltung in zweifacher Hinsicht: Die in ihnen normierten Handlungen sind sowohl vom Standpunkt ihrer unmittelbaren Urheber als auch vom Standpunkt der Urheber der ihnen zugrundeliegenden Ermächtigungsnormen aus gesollt. Noch unter einem zweiten Gesichtspunkt sei meine obige Definition der Normgeltung erläutert. Ich führe die Normgeltung bewußt nicht auf den Willensakt, sondern auf den Willen eines Subjektes zurück. Dieser Wille kann zwar, wie typischerweise etwa der Wille eines Gesetzgebers, in einem Akt, also in einer bewußt vorgenommenen und zeitlich datierbaren Handlung zum Ausdruck kommen. Er muß dieses aber nicht. Außer einem Willensakt kann auch so etwas wie eine Willenshaltung eine Norm in Geltung setzen. Zahlreiche Normen der Sozialmoral oder der Konvention (wie „Man soll seine Nachbarn grüßen") besitzen sicher reale Existenz, ohne auf einen

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Willensakt zurückzugehen. Sie verdanken ihre Existenz einer in der betreffenden Gruppe oder Gesellschaft mehr oder weniger verbreiteten Willenshaltung der Akzeptanz. Ja, es spricht einiges dafür, daß auch die oberste Norm bzw. die obersten Normen einer geltenden Rechtsordnung in der Regel auf einer derartigen Willenshaltung beruhen. Denn selbst im Fall einer geschriebenen Staatsverfassung muß ja auf seiten des Rechtsstabes, der die soziale Wirksamkeit der Rechtsordnung letztlich gewährleistet, eine bestimmte Willenshaltung vorhanden sein - eine Willenshaltung, die in der Akzeptanz gerade dieses geschriebenen Dokumentes als des maßgeblichen rechtlichen Orientierungsmaßstabs besteht. Nach alledem, was ich ausgeführt habe, setzt die Geltung einer Norm Ν χ voraus, daß es ein Subjekt gibt, dessen Wille entweder das N i konforme Verhalten zum Inhalt hat oder dessen Wille das einer Norm N 0 , aus der Ν ι logisch ableitbar ist, konforme Verhalten zum Inhalt hat. Das ist nicht nur so zu verstehen, daß eine Norm nur unter der Voraussetzung eines hinter ihr stehenden - ihr Geltung verleihenden - Willens gelten kann. Es soll darüber hinaus auch bedeuten, daß eine Norm nur solange gelten kann, wie ein hinter ihr stehender Wille existiert. Damit ist freilich nicht gemeint, daß jener Wille, auf den eine geltende Norm N i unmittelbar zurückgeht, unbedingt während der Geltungsdauer von Νχ existieren müßte. N i kann nämlich aus einer Ermächtigungsnorm N 0 logisch ableitbar sein und lediglich dadurch in Geltung gehalten werden, daß der N 0 Geltung verleihende Wille existent ist. Es ist ein insbesondere bei Rechtsordnungen häufig anzutreffendes Phänomen, daß der Gesetzgeber eines geltenden Gesetzes seit langem nicht mehr lebt, daß also auch sein Wille nicht mehr existiert. Das tut der Geltung dieses Gesetzes keinen Abbruch. Das Gesetz kann allerdings nur solange gelten, wie jener Wille, welcher der ermächtigenden Verfassungsnorm ihre Geltung verleiht, existent bleibt. 2. Die Normgeltung als Tatsache

Daß eine bestimmte Norm gilt, ist nach meiner obigen Definition von „Geltung" offensichtlich eine Tatsache: Die Tatsache, daß es ein Subjekt mit einem entsprechenden Willen gibt. Daraus folgt, daß der die Normgeltung beschreibende Satz ein Aussagesatz - und nicht etwa ein Normsatz ist. Ich bezeichne einen derartigen Aussagesatz über die Geltung einer Norm als „Normgeltungssatz". Die Geltung einer Norm ist danach keineswegs identisch mit der betreffenden Norm selbst. Wir müssen einen Normsatz, dessen Bedeutung eine Norm ist, von einem Normgeltungssatz, dessen Bedeutung die Geltung einer Norm ist, strikt unterscheiden. Sätze eines Normwissenschaftlers über die Geltung etwa bestimmter Moralnormen oder Rechtsnormen ίη einer bestimmten Gesellschaft sind sämtlich nicht Normsätze, sondern Normgeltungssätze.

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Man darf also die Tatsache, daß eine Norm gilt (Tatsache einer Normgeltung), nicht durcheinanderbringen mit einer Norm, die gilt (geltenden Norm). Auch eine geltende Norm bleibt eine Norm und wird nicht etwa, dadurch daß sie gilt, zur Tatsache ! Wir können eine geltende Norm - unserer obigen Definition der Normgeltung entsprechend - wie folgt definieren: „Geltende Norm" soll bedeuten „Norm, auf die zutrifft, daß das ihr konforme Verhalten dem Willen eines Subjektes entspricht". Daß Normen gelten können, ändert nach alledem nichts daran, daß zwischen ihnen, sofern sie gelten, dieselben logischen Ableitungsbeziehungen bestehen können wie zwischen den entsprechenden nicht geltenden, bloß fiktiven Normen. Die Normgeltung und der sie bedingende Wille sind für die Normenlogik ohne Relevanz. Es ist vielmehr, wie wir gesehen haben, gerade umgekehrt so, daß für die Frage nach der Geltung einer Norm normenlogische Beziehungen relevant werden können. Das schließt nicht aus, daß man eine Normenlogik möglicherweise auf dem Wege einer Theorie der notwendigen Bedingungen eines rationalen Willens am einfachsten aufbauen kann. Denn ein Wille braucht zu diesem Zweck offensichtlich nur gedacht, nicht aber real existent zu sein. 3. Subjektive und objektive Normgeltung

Die im Vorangehenden ausdrücklich thematisierte Form der Normgeltung ist eine notwendig subjektive Normgeltung: Eine Norm gilt immer nur vom Standpunkt jenes konkreten Subjektes aus, dessen Wille ihr Geltung verleiht. Eine Folge dieser Tatsache ist es, daß unter Umständen einander widersprechende Normen gleicherweise Geltung besitzen können. (Ein Beispiel sind etwa einander widersprechende Forderungen verschiedener politischer Parteien in einem Staate.) Kein Normenwiderspruch ist natürlich dann möglich, wenn die Normadressaten verschiedener Normen nicht identisch sind. (Wenn z.B. Staat Si seinen Bürgerinnen die lesbische Liebe verbietet, Staat S2 jedoch seinen Bürgerinnen die lesbische Liebe nicht verbietet, so besteht zwischen den entsprechenden Normen - vorausgesetzt, daß es keine Bürgerinnen mit einer doppelten Staatsangehörigkeit beider Staaten gibt - kein Widerspruch.) Das Phänomen des Normenwiderspruchs w i r d uns unter IV noch näher beschäftigen. Gibt es neben einer subjektiven auch eine objektive Normgeltung? Das hängt davon ab, ob es außer dem tatsächlichen Willen eines empirischen Subjektes auch so etwas wie einen notwendigen Willen jedes rationalen Subjektes gibt. Anhänger eines objektiv verbindlichen Naturrechtes oder Vernunftrechtes müssen davon ausgehen, daß das der Fall ist. Wir können die ontologisch-erkenntnistheoretische Frage, ob eine derartige Position gerechtfertigt ist, an dieser Stelle nicht erörtern.

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Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang allein, daß der hier vorgeschlagene Geltungsbegriff nicht nur der unbestreitbaren Wirklichkeit einer subjektiven Normgeltung Rechnung trägt, sondern auch die Möglichkeit einer objektiven Normgeltung nicht ausschließt. ΙΠ. Die logische Ableitbarkeit von Normen Der oben explizierte Begriff der Normgeltung setzt voraus, daß zwischen Normen logische Ableitungsbeziehungen bestehen können. Mit anderen Worten: Es muß logisch gültige Argumente mit (jedenfalls zum Teil) normativen Prämissen und normativen Konklusionen geben können. Ob dies der Fall ist, ist umstritten. Doch nicht nur unsere Alltagserfahrungen im Umgang mit (geltenden) Normen spricht dafür. Es ist auch, wie sich unter IV näher zeigen wird, schlechthin unmöglich, so etwas wie die Strukturtheorie eines Normen systems ohne die Voraussetzung einer Normenlogik auch nur in Angriff zu nehmen. Die Frage, wie sich eine Normenlogik im einzelnen fundieren und aufbauen läßt, kann hier nicht behandelt werden. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang vielmehr auf eine terminologische Bemerkung beschränken. Und zwar möchte ich unter normenlogischem Aspekt vorschlagen, auf den Begriff „gültig" als Attribut von Normen zu verzichten. Ich habe für diesen Vorschlag die folgenden Gründe. Verwendet man den Begriff „gültig" in Anwendung auf Normen als Synonym von „geltend" (wie es häufig geschieht), so ist der Begriff „gültig" insoweit offenbar überflüssig. Verwendet man den Begriff „gültig" in Anwendung auf Normen andererseits als Synonym von „logisch ableitbar" (wie es ebenfalls vorkommt), so ist der Begriff „gültig" insoweit offenbar ebenfalls überflüssig. Es besteht also kein guter Grund, die Konfusionsgefahr zu riskieren, die droht, wenn man zwischen beiden Verwendungen möglicherweise hin und her schwankt. Die drohende Gefahr ist, genauer gesagt, eine zweifache: Zum einen kann es logisch ableitbare Normen geben, die nicht gelten - nämlich solche Normen, die aus bloß fiktiven oder gedachten Normen logisch ableitbar sind. Und zum anderen kann es geltende Normen geben, die - jedenfalls in ihrer Eigenschaft als geltende Normen - nicht logisch ableitbar sind, nämlich solche Normen, die an der Spitze eines Normensystems stehen. Außerdem hat der Begriff der „Gültigkeit" bereits eine etablierte Bedeutung in der Logik. Man sollte es dabei belassen und auch im Bereich der Normen lediglich Argumente als gültig bezeichnen - nämlich solche Argumente, deren Konklusionen aus ihren Prämissen logisch ableitbar sind. Wollte man außer von gültigen Argumenten - etwa in Analogie zu diesem Gültigkeitsbegriff - auch von gültigen (im Sinne von logisch ableitbaren)

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Normen sprechen, so müßte man nicht zuletzt folgendes beachten. „Gültigkeit" in diesem Sinne wäre ein Relationsbegriff: Eine Norm N 2 könnte als gültig immer nur in Relation zu einer anderen Norm N i bezeichnet werden. Diesem Erfordernis aber trägt der Begriff „logisch ableitbar", der die Leerstelle „logisch ableitbar aus ..." ohne weiteres mit sich führt, viel deutlicher Rechnung. IV. System und Widerspruch geltender Normen Nach der oben entwickelten Konzeption der Normgeltung besitzt eine Norm Geltung, sofern es ein Subjekt gibt, dessen Willen das der Norm konforme Verhalten entspricht. Das kann erstens in der Weise der Fall sein, daß es ein Subjekt gibt, dessen Wille das der Norm konforme Verhalten zum Inhalt hat. Es kann zweitens aber auch in der Weise der Fall sein, daß die betreffende Norm aus einer anderen Norm logisch ableitbar ist, auf die die soeben gegebene Charakterisierung zutrifft. Denn auch in diesem zweiten Fall entspricht das der ableitbaren Norm konforme Verhalten jenem Willen, der das der Ableitungsnorm (Normprämisse) konforme Verhalten zum Inhalt hat. Ich bezeichne nun jene geltende Ableitungsnorm N 0 , aus der eine Norm Ν ι ableitbar ist, ohne daß N 0 ihrerseits aus einer anderen geltenden Norm ableitbar ist, als geltende Basisnorm, und ich bezeichne N i sowie die logischen Konsequenzen aus N i als geltende ableitbare Normen. Außerdem bezeichne ich N 0 und die aus N 0 (unmittelbar oder mittelbar) ableitbaren Normen als ein geltendes Normensystem. Schließlich bezeichne ich jenen Willen, der N 0 zum Inhalt hat, von dessen Standpunkt aus somit alle von dem betreffenden Normensystem normierten Handlungen gesollt sind, als den Basiswillen dieses Normensystems. Die Basisnorm eines Normensystems kann zum einen eine inhaltlich bestimmte Norm sein (beispielsweise „Menschen sollen nicht lügen"), aus der sich dann - unter Heranziehung zutreffender Tatsachenprämissen - die zu diesem Normensystem gehörenden weniger generellen inhaltlichen Normen (etwa „Kinder sollen nicht lügen") sowie individuellen inhaltlichen Normen (etwa „Hans Maier soll nicht lügen") logisch ableiten lassen. Die Basisnorm eines Normensystems kann zum anderen aber auch eine Ermächtigungsnorm sein (beispielsweise „Die Bürger sollen dem Willen des Gesetzgebers gehorchen"), durch die aufgrund des Basiswillens eines bestimmten Subjekts andere Subjekte zur Ingeltungsetzung abgeleiteter Normen autorisiert oder ermächtigt werden. Dabei ist es - je nach spezifischer Gestaltung der Basisnorm - durchaus möglich, daß nicht nur die Basisnorm selbst, sondern auch aus ihr ableitbare Normen den Charakter von Ermächtigungsnormen haben. (So kann etwa eine Staatsverfassung

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vorsehen, daß der Gesetzgeber seinerseits einen Minister zum Normerlaß ermächtigen darf.) Im Fall, daß die Basisnorm (und möglicherweise weitere Normen) eines Normensystems eine Ermächtigungsnorm ist, können Normenkonflikte innerhalb des betreffenden Normensystems die Folge sein. Mit anderen Worten: Es kann innerhalb desselben Normensystems mehrere gleichermaßen geltende Normen geben, die einander logisch widersprechen. Das ist deshalb der Fall, weil das jeweils ermächtigte Subjekt bzw. die jeweils ermächtigten Subjekte de facto einander widersprechende Anordnungen erlassen können. Diese Möglichkeit beruht eben darauf, daß eine Ermächtigungsnorm den Inhalt der ableitbaren Normen gewöhnlich unbestimmt läßt. Von zwei oder mehr einander logisch widersprechenden Normen können offenbar nicht alle befolgt werden. Der Erzeuger einer Ermächtigungsnorm, dem wie jedem Normerzeuger in der Regel an der Befolgung - und deshalb Befolgbarkeit ! - der von seinem Standpunkt aus geltenden Normen gelegen sein wird, hat deshalb guten Grund, die von ihm in Geltung gesetzte Ermächtigungsnorm durch Konfliktlösungsnormen zu ergänzen. Wie solche Normen im einzelnen beschaffen sein können (etwa „Die später erzeugte Norm soll die ihr logisch widersprechende früher erzeugte Norm in ihrer Geltung aufheben" oder „Alle einander logisch widersprechenden Normen sollen ihre Geltung verlieren"), mag hier auf sich beruhen bleiben. Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich nach dem hier vertretenen Geltungsbegriff selbst unaufhebbare Konflikte zwischen geltenden Normen nicht ausschließen lassen. Solche Konflikte werden nämlich unvermeidlich immer dann auftreten, wenn verschiedenen Basiswillen einander logisch widersprechende Normen gemäß sind. In diesem Fall handelt es sich natürlich nicht um einen Normenkonflikt innerhalb desselben Normensystems, sondern um einen Normenkonflikt zwischen verschiedenen Normensystemen, die in der Regel auch auf verschiedene Subjekte zurückgehen. Daß aber vom Standpunkt verschiedener Subjekte aus Normen gelten können, die aus logischen Gründen nicht gleicherweise befolgt werden können, braucht nicht zu überraschen. Unser Geltungsbegriff ist also ohnehin für die Möglichkeit logischer Widersprüche zwischen geltenden Normen offen. Die Tatsache, daß solche Widersprüche infolge der Geltungsmöglichkeit von Ermächtigungsnormen überdies innerhalb ein und desselben geltenden Normensystems auftreten können, bildet keinen besonderen Makel dieses Geltungsbegriffes. Sie erweist im gegebenen Fall vielmehr einen Mangel an Rationalität auf Seiten jenes Urhebers der betreffenden Ermächtigungsnorm, der für die Lösung bzw. Vermeidung von Normenkonflikten, die von seinem Willen ermöglicht werden, keine Vorkehr getroffen hat.

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V. Die Wirksamkeit der Norm Während die Geltung eine Norm mit dem Willen eines Urhebers verknüpft, stellt die Wirksamkeit die Verbindung zwischen einer Norm und ihrem Adressaten her. (In der Literatur wird freilich das, was ich im folgenden unter „Wirksamkeit" verstehe, nicht selten unter „Geltung" oder auch „sozialer Geltung" verstanden.) Ich bezeichne eine Norm als wirksam, sofern sie für ein normkonformes Verhalten des Normadressaten ursächlich ist, d.h. sofern sie ein solches Verhalten herbeiführt oder zumindest zu einem solchen Verhalten beiträgt. Dabei verstehe ich unter einem normkonformen Verhalten ein Verhalten, das - aus welchen Gründen auch immer de facto mit der Norm in Einklang steht. Ein normkonformes Verhalten liegt also beispielsweise auch dann vor, wenn der Normadressat, der die Norm nicht verletzt, diese nicht einmal kennt. Normkonformes Verhalten als solches bedeutet also nicht schon Normwirksamkeit. Eine Norm beispielsweise, die homosexuelles Verhalten verbietet, w i r d vermutlich in jeder Gesellschaft schon deshalb ein ziemlich hohes Maß an Konformität finden, weil die Mehrheit der Bevölkerung an einem solchen Verhalten ohnehin nicht interessiert ist. Es ergibt sich aus Vorangehendem, daß die Wirksamkeit einer Norm nicht eine Sache des „alles oder nichts" ist: Eine Norm kann mehr oder weniger wirksam sein. Das betrifft sowohl die Intensität der Wirksamkeit (in bezug auf ein und denselben Adressaten) als auch die Tragweite der Wirksamkeit (in bezug auf eine Mehrzahl von Adressaten). Es erscheint mir als zweckmäßig, als Unterbegriff der „Wirksamkeit" von Normen den Begriff der „sozialen Wirksamkeit" einzuführen. Und zwar w i l l ich unter der sozialen Wirksamkeit einer Norm die nicht unbeträchtliche Wirksamkeit dieser Norm innerhalb einer Gesellschaft verstehen. Dieser Begriff der sozialen Wirksamkeit macht es möglich, unter der Vielzahl der lediglich irgendwie geltenden, d.h. auf den Willen irgendwelcher Subjekte zurückgehenden, und lediglich irgendwie wirksamen, d.h. irgendwelche Adressaten in ihrem Verhalten beeinflussenden Normen jene Normen terminologisch auszuzeichnen, die in nennenswertem Maße soziale Relevanz besitzen. Es gibt nämlich - ganz abgesehen von jenen Normen, die sich von vornherein nur an einen kleinen Personenkreis richten (wie etwa die Gebote eines Vaters an seine Kinder) - auch unter den geltenden Normen mit einem großen Adressatenkreis innerhalb einer Gesellschaft solche Normen, die mangels allgemeiner Akzeptanz oder mangels hinreichenden Sanktionsdrucks tatsächlich nur sehr geringfügig oder gar nicht das Verhalten der Adressaten beeinflussen. (Beispiele sind etwa gewisse Keuschheitsgebote oder gewisse vegetarische Ernährungsforderungen.) 18 RECHTSTHEORIE, Beiheft 13

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Norbert Hoerster

Nach alledem bringen wir dadurch, daß wir eine Norm als sozial wirksam bezeichnen, zum Ausdruck, daß diese Norm 1. sich an einen größeren Adressatenkreis innerhalb der Gesellschaft richtet und 2. das Verhalten dieses Adressatenkreises in einem nennenswerten Maße beeinflußt. Auf die typischen Normen des Rechts, der Sozialmoral oder der Sitte trifft dieses Attribut der sozialen Wirksamkeit ohne Zweifel zu. Bemerkenswert ist noch, daß eine Norm offenbar überhaupt nicht zu gelten braucht, um Wirksamkeit zu entfalten. Auch ein Adressat, der eine tatsächlich nicht geltende Norm für geltend hält (oder eine tatsächlich geltende Norm in anderer Weise, als sie tatsächlich gilt, für geltend hält), kann durch diese irrtümliche Vorstellung in seinem Verhalten beeinflußt werden. Insofern kann sich beispielsweise auch ein sogenanntes Naturrecht, selbst wenn es die vorausgesetzte (objektive) Geltung tatsächlich gar nicht besitzt, in der Realität als außerordentlich wirksam erweisen. Allerdings muß die betreffende Norm, bevor sie Wirksamkeit entfalten kann, immerhin über den Willen ihres Adressaten eine gewisse Geltung gewinnen. Urheber und Adressat der Norm sind in diesem Fall identisch.

R E C H T S T H E O R I E , B e i h e f t 13, S. 245 - 257 D u n c k e r & H u m b l o t , 12165 B e r l i n

WHAT COUNTS AS "CONSTITUTIONAL"? One Aspect of Kelsen's View By Stanley L. Paulson, St. Louis

I. Introduction At a banquet honouring the great constitution builders of this century, Hans Kelsen's place would surely be among those at the head of the table. Not only did he play a key role in drafting the Austrian Federal Constitution of 1920,1 readopted after 1945, but he created in that instrument the first full-blown system of constitutional review on the European continent. Many years later, commenting on his role in the drafting of the 1920 Constitution, Kelsen pointed to constitutional review as his most significant contribution. 2 I examine one aspect of Kelsen's constitutional theory, namely, the status of so-called unconstitutional legal norms. More specifically, Kelsen interprets unconstitutional legal norms w i t h the help of a doctrine of "normative alternatives". I introduce the doctrine (Section II), and consider what in Kelsen's view the legal system would look like without it (Section III). I then turn to an example of a legal erratum and the unconstitutional legal norms to which it gives rise (Section IV), and close w i t h replies to one objection to Kelsen's doctrine (Section V). Kelsen's effort to interpret unconstitutional legal norms by means of a doctrine of normative alternatives is, I believe, of special interest in throw1 Recent important work on details of the drafts culminating in the Austrian Federal Constitution of 1920 include: Felix Ermacora ί Christiane Wirth (eds.), Die österreichische Bundesverfassung und Hans Kelsen (Österreichische Schriftenreihe für Rechts- und Politikwissenschaft, vol. 4), Vienna 1982; Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die Österreichische Bundesverfassung (Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, vol. 6), Vienna 1981; Robert Walter, Die Entstehung des Bundes· Verfassungsgesetzes 1920 in der Konstituierenden Nationalversammlung (Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, v