Politisch-rechtliches Lexikon der »Politica« des Johannes Althusius: Die Kunst der heilig-unverbrüchlichen, gerechten, angemessenen und glücklichen symbiotischen Gemeinschaft [1 ed.] 9783428529759, 9783428129751

Das Werk des Johannes Althusius (1563–1638), dem lange kaum größere Beachtung geschenkt wurde, stößt heute europa-, ja w

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Politisch-rechtliches Lexikon der »Politica« des Johannes Althusius: Die Kunst der heilig-unverbrüchlichen, gerechten, angemessenen und glücklichen symbiotischen Gemeinschaft [1 ed.]
 9783428529759, 9783428129751

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Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius Die Kunst der heilig-unverbrüchlichen, gerechten, angemessenen und glücklichen symbiotischen Gemeinschaft

Herausgegeben von Corrado Malandrino und Dieter Wyduckel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius

Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius Die Kunst der heilig-unverbrüchlichen, gerechten, angemessenen und glücklichen symbiotischen Gemeinschaft

Herausgegeben von Corrado Malandrino und Dieter Wyduckel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die italienischen Texte wurden ins Deutsche übertragen von Dr. Florian Neumann. Die Übersetzung dieses Buches wurde mit Unterstützung des SEPS – Segretariato Europeo per le Pubblicazioni Scientifiche erstellt.

Via Val d’Aposa 7, 40123 Bologna, Italy e-mail: [email protected] www.seps.it

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die italienische Ausgabe des Bandes erschien unter dem Titel „Il lessico della Politica di Johannes Althusius. L’arte della simbiosi santa, giusta, vantaggiosa e felice“ im Jahre 2005 im Verlag Leo S. Olschki Editore, Florenz. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-12975-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort I. Das Werk des Johannes Althusius (1563 – 1638), dem lange kaum größere Beachtung geschenkt wurde, stößt heute europa-, ja weltweit auf wachsendes wissenschaftliches Interesse, wie eine steigende Zahl von Publikationen sowie internationale, seinem Werk gewidmete Symposien und Kongresse belegen. Diese Entwicklung war nicht abzusehen, als Otto von Gierke den Herborner Professor und späteren Emder Syndikus vor mehr als einem Jahrhundert im Rahmen seiner Forschungen zum Genossenschaftsrecht neu entdeckte und ihn und sein Werk in ihrer Bedeutung erkannte und einer breiteren, wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit wieder zugänglich machte. Galt Althusius doch, falls er überhaupt Erwähnung fand, lange als aufrührerischer Geist und Umstürzler, der es darauf abgesehen habe, die Untertanen zu Rebellen zu machen und den ganzen Erdkreis in Verwirrung zu stürzen. Gegensätzlicher könnten die Urteile kaum sein, wenn man bedenkt, dass seinem Hauptwerk, der 1603 erschienenen ,Politica methodice digesta‘, heute fast schon Klassikerstatus zugeschrieben wird und es gerade solcher Auffassungen wegen gewürdigt wird, die einst Anlass zu seiner Verurteilung waren. Gleichwohl ist das Bild des Althusius weiter ambivalent. So gilt er einerseits als Herrschaftstheoretiker, dem an Disziplin, Ordnung und Unterordnung außerordentlich gelegen ist, der gegenüber dem Volk überkommene Vorurteile pflegt und dem Aufruhr und Unordnung ein Gräuel sind. Andererseits erscheint er als Vertreter der Volkssouveränität, einer konstitutionell und konsensual geprägten Herrschaftstheorie und -praxis, spricht man ihm zu, Vordenker eines föderal gegliederten Gemeinwesens zu sein sowie eines Widerstandsrechts, das darauf zielt, ungerechter Herrschaftsausübung Einhalt zu gebieten und abzuhelfen. Diese paradoxe Konstellation deutet auf sehr unterschiedliche Grundhaltungen zu Althusius und seinem Werk hin, die der Erläuterung bedürfen und sowohl im Rahmen seiner Zeit und ihres Denkens als auch in der reflexiven Perspektive des Rezeptionszusammenhangs seiner politischen Theorie kritisch zu befragen sind. Inzwischen ist längst eine internationale und interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussion in Gang gekommen, die um zentrale Aspekte der althusischen Politiklehre kreist, ohne dass es allerdings gelungen wäre, über deren Gehalt, Bedeutung und Wirkung hinreichende Klarheit oder Einigkeit zu erzielen. Da ist es sehr zu begrüßen, wenn nun im vorliegenden Politisch-rechtlichen Lexikon für Althusius bedeutsame Begriffe zusammengestellt und erläutert werden, die es ermöglichen, die Argumentationsstruktur seiner Politica sowohl textuell als auch kontextuell zu erschließen und so zugleich in höherem Maße als bisher verständlich und nachvoll-

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ziehbar zu machen. Es ist im vorstehenden Zusammenhang nicht möglich, die Beiträge des Lexikons im Einzelnen vorzustellen, doch sei mehr beispielhaft auf einige tragende Gesichtspunkte hingewiesen. Zum einen kommen die gemeinschaftsbildenden Aspekte der althusischen Politiklehre zur Sprache (Consociatio, Communicatio, Concordia, Symbiosis / Symbiotiké / Pactum), zum anderen wichtige Fragen der politisch-rechtlichen Binnenstruktur (Majestas / Jura majestatis, Administratio / Gubernatio, Summus magistratus, Ephori, Foedus / Confoederatio) sowie solche der politik- und staatsformentheoretischen Einordnung des Gemeinwesens (Respublica / Regnum / Politeía). Auch dem Volk, auf das Althusius sich vielfach beruft, ist ein Beitrag gewidmet, in dem deutlich wird, dass der populus für Althusius nicht nur objekthaft Gegenstand der gubernatio und administratio ist, sondern in seiner korporativen Gestalt auch subjekthaften Charakter gewinnt. Spezifisch rechtlichen Problemen ist die Erörterung des Begriffs der Körperschaft (Universitas) zugewandt, der als eine Art Leitkategorie an der Nahtstelle zwischen öffentlichen und privaten Formen menschlichen Zusammenlebens angesiedelt ist und es Althusius ermöglicht, das politisch verfasste Gemeinschaftsleben in allgemeinerer Weise zu erfassen und juristisch-normativ zu verorten. Es sei hervorgehoben, dass darüber hinaus auch die in der Althusius-Forschung bislang wenig behandelte Politia Judaica in ihrer Bedeutung für die Politica thematisiert wird, was nicht zuletzt deshalb bedeutsam ist, als Althusius das jüdische Gemeinwesen unter allen von Aufbau und Struktur her für das vollkommenste überhaupt hält. Einbezogen ist auch der für Althusius so wichtige methodische Aspekt (Methodus), ohne den sein rechtliches und politisches Werk unverständlich bliebe. Hinzutreten Beiträge zum Gerechtigkeitsverständnis (Justitia) des Althusius, zur Notwendigkeit sozialmoralischer Disziplinierung in Form der Zensur (Censura) sowie zur Bedeutung des Nützlichkeitsarguments (Utilitas), das auf die pragmatischen, ja utilitaristischen Züge der althusischen Politik verweist. Die einzelnen Begriffen und Problemen der Politica des Athusius gewidmeten Artikel werden durch übergreifende Beiträge ergänzt, die der Einordnung des politischen Werks des Althusius in den politikwissenschaftlichen Hintergrund der Zeit gelten sowie die Frage betreffen, welches spezifische Interesse wir heute an Althusius und seinem Werk haben bzw. haben können. Bei alldem wird die Begrifflichkeit des Althusius nicht nur im Kontext seiner Zeit synchron, sondern auch im Davor und Danach, d. h. diachron verortet. So bleibt die Rückanbindung an das klassische Politikverständnis des Aristoteles ebenso wie an das Ciceros im Blick, wird andererseits aber auch die Ausstrahlung der althusischen Politik bis hin zu Rousseau und darüber hinaus durchaus kritisch mitreflektiert.

II. Versucht man Althusius und sein Werk auf diesem Hintergrund im Zeithorizont zu verorten, so dürfte weitgehendes Einverständnis darin bestehen, dass er zu den

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frühen Mitbegründern einer Politikwissenschaft gehört, wie sie sich um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert nicht nur in Deutschland, sondern europaweit herauszubilden beginnt. Althusius folgt dabei einem Konzept, das die Gemeinschaftsbildung zum zentralen Bezugspunkt der Politik macht. Das heißt nicht, dass das politische Herrschaftsmoment für ihn keine tragende Rolle spielte, doch ist der Aspekt der Herrschaftsinstitutionalisierung eingebunden in den umfassenderen konsozialen oder sozietalen Zusammenhang politisch-rechtlichen Gemeinschaftslebens, von dem er erst Sinn und Bedeutung empfängt. Der Staat als Ausdruck institutionalisierter Herrschaftsmacht bleibt so rückbezogen auf ein symbiotisches Gemeinschaftskonzept, das sich zunächst und vor allem dem politisch und rechtlich geordneten Zusammenleben der Menschen verpflichtet weiß. Hier liegt offenbar der tiefere Grund dafür, dass Althusius zum einen einer absoluten Herrschaftsgewalt nichts abzugewinnen vermag, die er ihrem Wesen nach in die Nähe der Tyrannis rückt, und zum anderen die Souveränität anders als sein älterer Zeitgenosse Jean Bodin nicht der Person des Herrschers, sondern der korporativ verfassten Gesamtheit des Volkes zuspricht. Daraus ergeben sich wiederum für das Herrschaftskonzept gewichtige Folgerungen: Alle Herrschaftsgewalt ist limitierte, zeitlich begrenzte Herrschaftsbefugnis. Sie besteht nicht aus eigenem, sondern übertragenem, d. h. fremdem Recht, so dass der Herrscher zum Magistrat, d. h. Amtsträger wird. Selbst der Kaiser erscheint unter diesen Voraussetzungen als Amtsträger, mag er als summus magistratus auch der Höchste von ihnen sein. Es war wohl vor allem dieses Amtsverständnis, das Althusius den Ruf eingetragen hat, den Umsturz zu befürworten, weil der Herrscher so als Knecht erschien, zumal wenn man in Betracht zieht, dass im Fall ungerechter, sprich: tyrannischer Herrschaftsausübung ein Widerstandsrecht zum Zuge kommen sollte. Bei alldem darf nicht übersehen werden, dass Althusius nicht nur als Politikwissenschaftler spricht, sondern auch als sachkundiger Jurist argumentiert, der seine Thesen juristisch unterfängt und belegt. Dabei orientiert er sich zum einen am römischen Recht, d. h. dem ius commune seiner Zeit, dessen vornehmlich privatrechtliche Regeln in öffentlichrechtliche Kategorien übersetzt werden, zum anderen an den Herrschaftsverträgen und Fundamentalgesetzen, wie er sie in den damaligen europäischen Herrschaftssystemen vorfand. Die Kategorie der Herrschaft als einer gleichsam natürlichen und durchaus notwendigen Gegebenheit wird hierbei nicht in Zweifel gezogen oder geleugnet, rückt aber in einen rechtlichen Kontext ein, in dem ihre Möglichkeiten und Grenzen auf den Prüfstand gestellt und näher bestimmt werden. Dies ergibt sich für Althusius bereits aus der naturrechtlichen Einbindung aller Herrschaft (Politica IX 21), wird vor allem aber in der Ausgestaltung des Herrschaftsverhältnisses als eines Mandatsvertrags deutlich (Politica XIX 6), demzufolge die Herrschaftsbefugnisse in Form eines Auftrags zur Herrschaftsausübung verliehen werden mit der Maßgabe, dass die Gesamtheit stets Inhaberin der souveränen Herrschaftsgewalt bleibt, d. h. frei darüber verfügen kann. Der herkömmliche Herrschaftsvertrag wird damit wesentlich zugespitzt, weil die Herrschaftsbefugnisse Amtsbefugnisse sind und stets an die gesamte Gemeinschaft

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unveräußerlich und unteilbar rückgebunden bleiben (Politica IX 19). Einen Unterschied der Staatsformen konnte es für Althusius insoweit nicht geben, als dies für alle Formen staatlicher Organisation galt. Eine Unterscheidung verschiedener politischer Gemeinwesen ließ sich damit nur noch von der je unterschiedlichen Regierungsform her begründen, wobei Althusius einer polyarchischen Herrschaftsorganisation zuneigt (Politica XXXIX 3, 38 ff.). Was die grundlegende Bedeutung der Souveränität für das staatliche Gemeinwesen angeht, unterscheiden sich Althusius und Bodin, die beide Souveränitätstheoretiker sind, der Sache nach nicht, sehr wohl aber, was die Zuordnung der Souveränität und ihre Funktion betrifft. Auch für Althusius ist die Souveränität unverzichtbar, aber nicht als Selbstzweck, sondern vielmehr in ihrer Funktion für die rechtliche und politische Konstitution des Gemeinwesens. Sie erscheint diesem als eine konstituierende Gewalt gleichsam vorgelagert und stellt sich so, ist das Gemeinwesen einmal begründet, als eine Rechtsmacht dar (Politica IX 16, 18). Folgerichtig spricht Athusius deshalb vom jus bzw. von jura majestatis. Darin liegt ein konstitutioneller Denkansatz, der sich im Begriff des Fundamentalgesetzes verdichtet, das Althusius nicht nur als Ausdruck der die Herrschaft begrenzenden, sondern auch der sie begründenden rechtlichen Regeln begreift (Politica XIX 49), was zu seiner Zeit keineswegs selbstverständlich war. Hier und nicht im Souveränitätskonzept Bodins sind die Anfänge eines spezifisch verfassungsrechtlichen Denkens zu suchen, das eine Gegenposition zum aufsteigenden absoluten Herrschaftskonzept darstellt und diese im Kontext des zeitgenössischen politischen und rechtlichen Diskurses schlüssig begründet. Eine in dieser Weise rechtmäßig auszuübende Herrschaft bedarf der Kontrolle, um praktisch wirksam werden zu können. Althusius weist die Kontrollfunktion bekanntlich Hütern und Wächtern des Gemeinwesens zu, die griechisch-antikem, calvinisch-reformiertem und monarchomachischem Sprachgebrauch folgend Ephoren genannt werden. Er denkt hier in erster Linie an die Stände, meint dies aber wohl nur beispielhaft, so dass die Institution des Ephorats verallgemeinernd darüber hinausweist. Die politisch-rechtliche Bedeutung der Ephoren liegt vor allem darin, dass ihnen im Fall tyrannischer, d. h. nicht rechtmäßiger Herrschaftsausübung die Wahrnehmung eines Widerstandsrechts zusteht. Zwar ist der Fall des Widerstandsrechts an enge Grenzen gebunden und kommt nur als letztes Mittel in Betracht, doch ist zu bedenken, dass für den reformierten Juristen und Politiklehrer Althusius anders als im Bereich der lutherischen Lehre das Gehorsamsgebot aus Römer 13 nicht uneingeschränkt gilt, d. h. gegenüber dem tyrannischen Herrscher ein Widerstandsrecht bis hin zum Tyrannenmord zum Zuge kommen kann (Politica XXXVIII 100, 63). Das der Tyrannis gewidmete Kapitel der Politica liest sich so in der Tat als ein Diskurs über Grund und Grenzen des Widerstandsrechts, das im Übrigen keineswegs ausschließlich den Ephoren, sondern im äußersten Fall auch Privaten zustehen kann, nämlich dann, wenn ein Tyrann ohne Rechtstitel (absque titulo) in das Land einfällt (Politica XXXVIII 68). Dem Widerstandsrecht kommt nach allem nicht unbeträchtliche Sprengkraft zu, weil ein absoluter Herrscher

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leicht in den Verdacht geraten konnte, Tyrann zu sein – absoluta potestate uti, est tyrannis (Politica, XXXVIII 9 rubr.) – und so den Fall des Widerstandes heraufbeschwor. III. Das Werk des Althusius bedarf der Einordnung aber nicht nur unter politisch-sozialem und rechtlichem Aspekt, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Religion. Folgt man seinem expliziten Selbstverständnis, so geht es ihm darum, die Politikwissenschaft von den Nachbardisziplinen der Jurisprudenz, der Philosophie und Theologie abzugrenzen und als eigenständigen, dem politischen Zusammenleben der Menschen gewidmeten Wissenschaftsbereich zu erweisen. Althusius steht dabei auf dem Boden des politischen Calvinismus, auch ist sein gesamtes Werk aus einer christlich-reformierten Grundhaltung heraus konzipiert, ohne allein deshalb theologisch gemeint zu sein. Er trennt zwischen Christen- und Bürgergemeinde, kirchlichen und staatlichen Amtsträgern, weiß also zwischen beiden Bereichen zu unterscheiden und lehnt eine kirchenstaatlich-theokratische Bevormundung des Gemeinwesens ebenso wie ein staatskirchliches Modell ab. Ein religiös vermittelter theokratischer Anspruch auf die Sphäre des Politischen wird so nicht erhoben. Der unverkennbare manifeste Biblizismus des Althusius zielt vielmehr darauf zu erweisen, dass die von ihm entfaltete Konzeption des politischen Gemeinwesens auch an den biblischen Vorgaben illustriert und exemplifiziert werden kann, d. h. insoweit nicht illegitim ist, ohne dass den biblischen Vorgaben argumentativ wirklich tragende Funktion zukäme. Jedoch sind in seinem reformierten Politikverständnis anders als im lutherischen Bereich die sich in hoc saeculo stellenden Fragen nicht gänzlich ausgeklammert, liegt m.a.W. ein differierendes Welt- und Säkularitätsverständnis zugrunde, in dem der Anspruch nicht aufgegeben wird, auch religiösen Belangen Raum zu lassen. Wenn Althusius auf diesem Hintergrund für seine Konzeption des Politischen einen Wahrheits- und Richtigkeitsanspruch erhebt und von der Vorstellung einer homogenen, sozial disziplinierten Gemeinschaft ausgeht, so ist dies aus den spezifischen Gegebenheiten der Zeit, insbesondere der rechtlich und politisch ungesicherten Position des Reformiertentums erklärbar, in der unklar war, wie sich die Verhältnisse im protestantischen Lager entwickeln würden. Er operiert so zugleich aus einer Minderheits- wie einer präsumtiven Mehrheitsposition heraus. Dabei ist aus seiner Sicht dem Paradoxon Rechnung zu tragen, dass im Sinne der Selbstbehauptung Autonomie, Religions- und Gewissensfreiheit im Außenverhältnis gefordert werden und gefordert werden mussten, während im Binnenbereich auf Einheit und Disziplin bestanden wird, um die reformatorischen Ziele und den konfessionellen Besitzstand nicht zu gefährden. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Disziplin und Einheit im Gemeinwesen althusischer Prägung nicht einfach durch herrschaftlichen Machtspruch entstehen, sondern sich aus dem gegliederten Ganzen grundsätzlich konsensvermittelt ergeben müssen und zudem ihrerseits einer rechtlich-konstitutionellen Grundlage

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bedürfen. Dies stellt den entscheidenden Unterschied zum monarchisch-absoluten Herrschaftskonzept dar, weil alle Herrschaft im Gemeinwesen stets sowohl naturals auch positivrechtlich limitierte Herrschaft ist. Ob eine solche Konzeption des Gemeinwesens der Früh- oder der Vormoderne zuzuordnen ist, bedarf noch weiterer Klärung. Stellt man allein auf den historischen Prozess der Herrschafts- und Machtkonzentration und die damit verbundenen Selbstbeschreibungskategorien von Staatsräson und absoluter Herrschersouveränität ab, so wird man Althusius schwerlich der Moderne zuordnen können. Vergegenwärtigt man sich hingegen, dass Staatlichkeit sich in sehr viel differenzierterer Weise herausbildet, als das hierarchische Modell der Machtkonzentration vermitteln kann, und bezieht auch die lokalen und regionalen Kräfte in den komplexen Vorgang frühmoderner Staatsbildung ein, dann wird es möglich, den Staatsbegriff gegenüber flexibleren Formen politischer Gemeinschaftsbildung, darunter auch solchen nicht-monarchischer Art, zu öffnen und im Kräftefeld von Herrschaftsbegründung und Herrschaftslimitierung neu zu verorten. In diesen Kontext fügen sich auch und insbesondere republikanische Formen der Gemeinschaftsbildung ein, an denen Althusius so viel gelegen ist, wie die sorgfältige Beschreibung der körperschaftlichen und bürgerschaftlich-städtischen Lebens- und Gemeinschaftsformen erkennen lässt, die an der Schnittstelle horizontaler und vertikaler Herrschafts- und Sozialbeziehungen angesiedelt sind. Mag all dies schon bedeutsam genug sein, so liegt die eigentliche Innovation der althusischen Politik ebenso übrigens wie die seiner Rechts- und Gerechtigkeitskonzeption, die in der Dicaeologica entfaltet wird, auf theoretisch-methodischer und erkenntnistheoretischer Ebene. Wenn es richtig ist, dass das Bild der politischrechtlichen Moderne maßgeblich an den Durchbruch der Rationalität und ihrer methodischen Implikationen gebunden ist, dann ist das Werk des Althusius auch und gerade unter diesem Aspekt zu würdigen. Dann gewinnt Bedeutung, dass hier der Versuch unternommen wird, an die überkommene rechtliche und politische Ordnung und ihre Denkweisen den Maßstab einer neuen Logik und Systematik anzulegen. Nicht ohne Grund ist der vor allem im reformierten Umkreis verbreiteten zergliedernden, definitorisch und dichotomisch ansetzenden ramistischen Logik eine Revolutionierung des tradierten aristotelischen Wissenschaftsverständnisses zugeschrieben worden. Die tradierte Ordnung wird so durch das bürgerliche Subjekt auf wissenschaftlich-theoretischer Ebene nicht mehr als objektiv gegeben und völlig selbstverständlich hingenommen, sondern erscheint in neuer Weise als begründungs- und legitimationsbedürftig. Dabei tritt das Individuum, der singulus, als Träger grundlegender Rechte, durchaus in den Blick, wenngleich ihm als gemeinschaftsbegründendem Akteur noch keine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Immerhin lässt Althusius anklingen, dass die Gemeinschaft sich einem willentlichen Vertragsschluss verdanken könnte, den einzelne Menschen unter sich aushandeln, es mithin nicht allein die Sozialnatur ist, die den Menschen zum Gemeinschaftsleben veranlasst (Politica I 2, 31, II 3). Hier zeigt sich erneut jene ambivalente Haltung, die Althusius in vielem eigen ist und die deutlich macht, dass er an

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der Wegscheide einer Epoche steht, die den Boden für solche Formen des Denkens bereitet, wie sie in der wiederholten Berufung auf die recta ratio in frühen Ansätzen anklingen, freilich erst im Theorieprogramm des cartesianischen Rationalismus zur vollen Entfaltung kommen. Die Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Althusius ist zur Zeit mehr denn je in wissenschaftlicher Bewegung. Ein bedeutsamer wissenschaftlicher Markstein ist vor allem von Corrado Malandrino, Professor an der Universität von Ost-Piemont Alessandria ,Amedeo Avogadro‘ gesetzt worden, der zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen eine große lateinisch-italienische Gesamtausgabe der Politica des Althusius vorgelegt hat, die soeben erschienen ist und es ermöglicht, erstmals das politische Opus magnum des Althusius sowohl im lateinischen Originaltext als auch in der Übersetzung in eine moderne Sprache zu erschließen. Es sei hinzugefügt, dass eine vergleichbare lateinisch-deutsche Gesamtausgabe der Politica in Vorbereitung ist, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Die Auffassungen über Bedeutung, Einordnung und Wirkung des politischen und rechtlichen Werks des Althusius sind naturgemäß keineswegs immer einheitlich. Dem Lessico della Politica di Johannes Althusius, das 2005 in italienischer Sprache erschienen ist und nun in deutscher Übersetzung vorgelegt wird, kommt auf diesem Hintergrund eine wichtige Funktion zu. Es kann aufgrund seines zugleich begrifflich-terminologischen wie systematischen Zugriffs zur Verständigung über noch offene Fragen wesentlich beitragen und so die internationale AlthusiusForschung bedeutend bereichern. Unser Dank gilt Herrn Dr. Florian Neumann, München, der die Übersetzung des italienischen Textes ins Deutsche besorgt hat. Das Werk hätte nicht erscheinen können ohne die hilfreiche finanzielle Unterstützung des Segretario Europeo per le Pubblicazioni Scientifiche (SEPS), der Stiftung Johannes a Lasco Bibliothek Emden und der Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung Emden, die die Übersetzung ins Deutsche sowie den Druck durch finanzielle Hilfen wesentlich gefördert haben. Zu danken ist schließlich dem Verlag Duncker & Humblot und seinen geschäftsführenden Gesellschaftern, Herrn Professor Dr. h.c. Norbert Simon und Herrn Dr. Florian R. Simon, LLM., die der Althusius-Forschung seit langem verbunden sind und die Publikation auch dieses Bandes ermöglicht haben. Dresden, im September 2009

Prof. Dr. Dieter Wyduckel Institut für Europäische Rechtsgeschichte Juristische Fakultät der TU Dresden Mitglied des Vorstandes der JohannesAlthusius-Gesellschaft

Inhalt Corrado Malandrino: Einführung: Politischer Calvinismus, Republikanismus, „Subsidiarität“ und der politische Diskurs des Althusius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil Einführung und kritische Diskussion der Politica Francesco Ingravalle: Die kritische Rezeption der Politica in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Merio Scattola: Althusius und die Anfänge der politischen Wissenschaft in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Giuseppe Duso: Warum sollte man heute Althusius lesen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Thomas O. Hüglin: Althusius in Question: Interpretation and Relevance . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil Politisch-rechtliches Lexikon Francesco Ingravalle: Administratio (Gubernatio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Lucia Bianchin: Censura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Mauro Povero: Communicatio (Communio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Mario Miegge: Communicatio mutua (Althusius und Calvin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Anna Maria Lazzarino Del Grosso: Concordia (Harmonia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Cornel Zwierlein: Consociatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Saffo Testoni Binetti: Ephori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Corrado Malandrino: Foedus (Confoederatio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Lucia Bianchin: Justitia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Diego Quaglioni: Majestas (Jura Majestatis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Anna Maria Lazzarino Del Grosso: Methodus (Methodice) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

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Inhalt

Lea Campos Boralevi: Politia Judaica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Francesco Ingravalle: Populus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Cornel Zwierlein: Respublica – regnum – politeía . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Maria Antonietta Falchi Pellegrini: Summus Magistratus (Monarchicus, Polyarchicus) . . 323 Corrado Malandrino: Symbiosis (Symbiotiké, Pactum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Diego Quaglioni: Tyrannis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Angelo Torre: Universitas (Losaeus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Salvo Mastellone: Utilitas (Commodum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Corrado Malandrino

Einführung: Politischer Calvinismus, Republikanismus, „Subsidiarität“ und der politische Diskurs des Althusius 1. Die Johannes-Althusius-Gesellschaft nahm 2003 den vierhundertsten Jahrestag des Erscheinens der Erstausgabe der Politica methodice digesta1 zum Anlass, ein bedeutendes internationales Symposium in Herborn zu veranstalten: Am alten Sitz der calvinistischen Hohen Schule, die 1584 von Johannes VI. „dem Alten“ von Nassau-Dillenburg2 gegründet wurde, dem Bruder des weit berühmteren Wilhelm „des Schweigsamen“ von Oranien, der das Haupt des Aufstands in den Niederlanden gegen Philipp II. war. Von 1599 bis 1603 war Althusius Rektor dieser Hohen Schule gewesen.3 1 Vgl. J. Althusius, Politica metodice digesta et exemplis sacris et profanis ilustrata, Herbornae Nassoviorum, Ex officina C. Corvini, 1603. Zweite Original-Ausgabe: Arnhemii, Ex officina J. Jansonii, 1610; dritte Original-Ausgabe, Herbornae Nassoviorum, Corvinus, 1614, auf deren Grundlage die lateinische Neuausgabe herausgegeben von C. J. Friedrich, Cambridge, Harvard Univerity Press, 1932, und der Faksimiledruck herausgegeben bei Scientia Aalen, Meisenheim / Glan 1961. Die Politica hatte zwei weitere Ausgaben, die vom Autor besorgt wurden: Editio tertia priore auctior et cum Indice amplissimo, Arnhemii, Ex officina J. Jansonii 1617; editio quarta, Herbonae, Typis Corvinianis, 1625. 2 Über die Hohe Schule vgl. die beiden Aufsätze von G. Menk (Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg und die Hohe Schule Herborn im 16. und 17. Jahrhundert) im ersten Teil des Sammelbands J. Wienecke u. a. (Hrsg.), Von der Hohen Schule zum theologischen Seminar Herborn 1584 – 1984, Herborn 1984, S. 5 – 37. Über Johannes VI. von Nassau-Dillenburg, dessen Wirken für das Verständnis der Entwicklung von Althusius in der Herborner Phase essentiell ist, vgl. auch K. Wolf, Johann VI. der Ältere, in: Nassauische Lebensbilder, Wiesbaden 1940, S. 49 – 66; R. Störkel, Landesherr und Untertanen in Nassau-Dillenburg im 16. bis 18. Jahrhundert, in: G. Duso / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des Frühen Föderalismus, Berlin, 1997, S. 185 – 208. Das monografische Referenzwerk dazu: R. Glawischnig, Niederlande, Kalvinismus und Reichsgrafenstand 1559 – 1584. Nassau-Dillenburg unter Graf Johann VI., Marburg, 1973. 3 Johannes Althusius wurde 1563 in Diedenshausen geboren (nach den jüngsten und verlässlichen Rekonstruktionen, nicht 1557, wie man bis vor einigen Jahren glaubte), in der Grafschaft Wittgenstein, zwischen Westfalen und Nassau-Dillenburg gelegen, Jurist und calvinistischer politischer Denker. Althusius unterrichtete Römisches Recht, Zivil- und Kanonisches Recht an der Hohen Schule, der reformierten ,Universität‘ von Herborn. Vgl. G. A. Benrath, Johannes Althusius an der Hohen Schule in Herborn, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin, 1988, S. 89 – 108. Althusius unterrichtet ferner bis 1603 in Gymnasien und Lyceen in Siegen und in Burg-

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Im Laufe der Konferenz wurden die neuesten Ergebnisse der Althusiusforschung vorgestellt: Die erste deutsche Übersetzung des Traktats und eine ansehnliche Zahl von Vorträgen über Themen der politischen Theorie, politischen Theologie und des Rechts bei Althusius. Sie waren Ausgangspunkt für Diskussionen zwischen den häufig divergierenden Interpretationslinien der Althusiusforschung.4 Auch in Italien fand das Jubiläum Beachtung. In Turin wurde am Sitz der Fondazione Luigi Firpo im November 2003 ein Studientag abgehalten, der von der Fondazione und der Abteilung POLIS der Università del Piemonte Orientale (Alessandria) veranstaltet wurde und unter der Schirmherrschaft der Associazione Italiana degli Storici delle Dottrine Politiche (AISDP) und der Althusius-Gesellschaft stand. Der erste Teil und einige Beiträge des zweiten Teils des hiermit eingeleiteten Bandes stellen die Überarbeitungen der Diskussionsbeiträge dieses Tages dar, die auch damals hitzig waren und nicht immer auf einer Linie lagen. Am Ende der Veranstaltung wurde vom Verfasser vorgeschlagen, nicht einfach zum Druck der Kongressakten zu schreiten, sondern die Zahl der Beiträger zu erweitern und die vorgelegten Papers grundlegend zu überarbeiten. Ziel sollte es sein, eine Art „Politischen Wortschatz des Althusius“ zusammenzustellen, ein Studienmittel, das bisher im weiten internationalen Feld der Althusiusstudien fehlt, und das sich philologisch und historisch-hermeneutisch mit den zentralen Begriffen des „Diskurses“ der Politica befasst.5 Der Vorschlag wurde angenommen und andere Freunde steinfurt. Vgl. dazu H. J. Warnecke, Althusius und Burgsteinfurt, ebd., S. 147 – 162. Schließlich war er von 1604 bis zu seinem Tod (1638) Rechtsprokurator und Syndikus in der ostfriesischen Stadt Emden. 4 Vgl. J. Althusius: Politica, herausgegeben und eingeleitet von dem damaligen Präsidenten der Althusius Gesellschaft, D. Wyduckel, auf der Grundlage der Übersetzung von H. Janssen, Berlin, 2003 (vgl. dazu die Präsentation des Werks in „Pensiero Politico“: Presentation of the German Translation of Althusius’ Politica, 37, (2004), S. 255 – 261); F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.), Jurisprudenz, politische Theorie und politische Theologie. Einleitung von D. Wyduckel, Berlin, 2004. 5 Es sei hier auf den Bezug zu dem methodologischen Ansatz hingewiesen, der ausdrücklich die philologische Lehre von Gelehrten wie L. Firpo und die „kontextualisierende“ Methode von Q. Skinner und J. G. A. Pocock aufgreift, die die Geschichte des politischen Denkens als „Geschichte einer isolierbaren und kontinuierlichen menschlichen Tätigkeit“ angesehen haben, die zu einem historisch-prozessualen „Diskurs“ wird, der auf der einen Seite auf die Beziehungen zwischen Theorie und politischer Geschichte, Sozial- und Institutionengeschichte und auf der anderen Seite die kontextualisierende Hermeneuik politischer Texte berücksichtigt. Wie M. Viroli schreibt (Einleitung zu Q. Skinner, Le origini del pensiero politico moderno, Bd. 1, Bologna 1989, S. 30), gibt die kontextualistische Interpretation „Begebenheiten von Individuen wider, die versuchen, die moralische Identität ihrer Gesellschaft zu stärken oder zu verändern“ und „die versuchen, einer bestimmten Linie politischen Handelns gegenüber anderen den Vorzug zu geben“. Zu den methodologischen Problemen, die mit diesem Ansatz einhergehen, sei verwiesen auf: J. G. A. Pocock, Politics, language and time. Essays on political thought and history, New York 1971 (ital. Ausg.: Politica, linguaggio e storia, pref. a cura di E. A. Albertoni, Milano, 1990); C. Malandrino, Tra „Pensiero-discorso“ e „nuova retorica“: un metodo e un possibile risultato per la storia del pensiero politico, in: E. Guccione (Hrsg.), Strumenti didattici e orientamenti metodologici per la storia del penseiro politico, Florenz, 1992, S. 117 – 125.

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und Kollegen kamen zu dem Unternehmen hinzu. Deswegen ist das, was wir im vorliegenden Band präsentieren, das Ergebnis einer kulturellen und wissenschaftlichen Unternehmung, die im ersten Teil eine kritische Würdigung der Rezeption der Werke des Althusius in Italien, Deutschland und allgemeiner in der Welt der historisch-politischen Studien bringt; im zweiten Teil dagegen stellt sie einen bisher fehlenden Beitrag zum Studium des politischen Wortschatzes des Althusius dar. 2. Nach der kraftvollen Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Forschung, die ihm seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich Interesse entgegenbringt, führt Althusius als Autor kein Nischendasein mehr, von dem man aufs Ganze gesehen trotz seiner Wiederentdeckung durch Otto von Gierke Ende des 19. Jahrhunderts und der Wiederbelebung seiner Ideen durch Carl J. Friedrich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sprechen konnte.6 Auch die Jahre nach der Jahrtausendwende versprechen in diesem Sinne fruchtbar zu werden, denn schließlich wurden sie abermals von der Veröffentlichung eines Bandes mit Studien der Althusius-Gesellschaft mit dem Titel Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft7 eingeläutet. In ihm bildet das politische Denken des deutschen Juristen den allgemeinen Bezugs- und Ausgangspunkt für die Arbeiten über das Aufkommen und das Ausbilden des Konzepts der Subsidiarität in der Neuzeit. Neue und interessante Beiträge verschiedener Art und von unterschiedlichem Umfang sind an anderer Stelle erschienen.8 Unter anderem bietet die in der Reihe der 6 Vgl. die bedeutendsten jüngsten Studien: Dahm / Krawietz / Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie (FN 3); H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des J. Althusius, Diss. Münster 1990; D. J. Elazar, The Multi-faceted Covenant. The Biblical Approach to the Problem of Organizations, Constitutions, and Liberty as Reflected in the Thought of J. Althusius, in: Constitutional Political Economy 2 (1991), S. 187 – 223; T. O. Hueglin, Sozietaler Föderalismus, Berlin / New York 1991; G. Duso, Althusius. Pensatore per una società postmoderna?, in: Filosofia Politica 4 (1990), 163 – 175; ders., Althusius e l’idea federalista, in: Quaderni Fiorentini 21 (1991), S. 611 – 622; ders., Sulla genesi del moderno concetto di società. La ,consociatio‘ di Althusius e la ,socialitas‘ di Pufendorf, in: Filosofia Politica 10 (1996), S. 5 – 31; A. Villani, Annotazioni sulla Politica di Althusius. La ,simbiosi‘ fra tradizione e modernità, in: Filosifia Politica 7 (1993), S. 295 – 306; C. Malandrino, Il Syndikat di J. Althusius a Emden. La ricerca, in: Il Pensiero Politico 38 (1995), S. 359 – 383; L. Calderini, La ,Politica‘ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995; G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis: Su una sconosciuta ,Disputatio‘ di Althusius, in: Quaderni Fiorentini 25 (1996), S. 13 – 126; Duso / Krawietz / Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation (FN 2); R. v. Friedeburg, Reformed Monarcomachism and the Genre of the ,Politica‘ in the Empire. The Politica of J. Althusius and the Meaning of Hierarchy in Its Constitutional and Conceptual Context, in: Archivio della Ragion di Stato 1996, S. 129 – 153; T. O. Hueglin, Early Modern Concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo / Ontario 1999; C. Malandrino, Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 32 (1999), S. 427 – 446; ders., La ,sussidiarietà‘ nella Politica e nella prassi antiassolutista di J. Althusius a Emden, in: Pensiero Politico 34 (2001), 1, S. 41 – 58. Vgl. auch die neue italienische Ausgabe: J. Althusius, La Politica, herausgegeben und eingeleitet von C. Malandrino, Turin, Claudiana, 2009. 7 Hrsg. von P. Blickle / T. O. Hueglin / D. Wyduckel, Berlin 2002.

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Wolfenbütteler Forschungen 2002 erschienene Monografie zu den politischen Begriffen und dem historischen Umfeld in der Politica Methodice Digesta eine Fülle von theoretischen Untersuchungen9. Kurz: Althusius wird langsam zu einem „Klassiker“ des politischen Denkens10, zu einem der anregendsten Referenzautoren in der Phase der ausgewachsenen / ausgebildeten Krise des modernen Staates. Wie auch Hueglin in seinem Beitrag in Erinnerung ruft, berücksichtigen angesehene Wissenschaftler unterschiedlicher Herkunft und Disziplin den Ansatz von Althusius in Sachen staatlicher Souveränität, wenn es um das Verhältnis zwischen den verschiedenen Ebenen staatlicher Mächte innerhalb eines Staats, zwischen verschiedenen Staaten oder unter überstaatlichem Aspekt im Umfeld des Aufbaus der europäischen Union geht11. Es heißt sogar, dass die Verfasser der Artikel zum Prinzip der Subsidiarität in den europäischen Verträgen, die seit Maastricht ausgearbeitet wurden, von einer Beschäftigung mit dem Werk des Althusius angeregt worden sind.12 Trotz alledem muss man jedoch feststellen, dass das historisch-kritische Urteil über die Politica des Althusius (wobei wir an dieser Stelle nicht genauer auf das große juristische Werk der Dicaeologica eingehen) alles andere als einmütig ist. Dieter Wyduckel betont in seiner Einleitung zum letzten von der Althusius-Gesellschaft herausgegebenen Band, dass die Zuweisung der von Althusius vorgenommenen Konzeption des Verhältnisses zwischen Recht, Politik und Religion zur Vormoderne oder Frühen Neuzeit noch immer Gegenstand des Streits ist13. Duso, Bonfatti und Scattola zum Beispiel argumentieren im erwähnten Band der Wolfenbütteler Forschungen klarsichtig und kohärent, wenn auch nicht immer überzeugend, das die konsoziativ-föderative Welt des Althusius Teil eines vormodernen Kontexts ist, und lassen die „Moderne“ in vollem Ausmaß erst mit der Naturrechts8 Vgl. z. B. L. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I. Sam. 8, 11 – 18 und Deut. 17, 14 – 20, in: L. Campos Boralevi / D. Quaglioni, Politeia Biblica, in: Il Pensiero Politico 35 (2002), S. 409 – 430. 9 Vgl. E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.): Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des J. Althusius, Wiesbaden 2002 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 100), 409 – 430. 10 So wird er in der ersten spanischen Ausgabe der Politica bezeichnet: Übersetzung und Einleitung von P. Mariño. Präsentation von: A. Truyol y Serra, Clasicos Politicos, Madrid 1990. 11 Vgl. G. Duso, L’Europa e la fine della sovranità, in: Quaderni Fiorentini 31 (2002), S. 109 – 139. 12 Vgl. T. O. Hueglin, Althusius – Vordenker des Subsidiaritätsprinzips, in: A. Riklin / G. Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, Vaduz 1994, S. 97 – 117; ders., Early Modern Concepts for a Late Modern World (FN 6), S. 152 – 168; A. Breton / A. Cassone / A. Fraschini: Decentralization and Subsidiarity. Toward a Theoretical Reconciliation, in: Journal of International Economic Law, University of Pennsylvaia 19 (1998), S. 21 – 22; M. Walther, Subsidiarität und Flexibilität. Überlegungen zum ,Dezentralisierungspotential‘ des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union, in: Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip (FN 7), S. 117 – 128. 13 Vgl. Jurisprudenz, politische Theorie und politische Theologie (FN 4), S. XVI.

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lehre Hobbes’scher Prägung beginnen. Daher ist ihrer Meinung nach die althusische Idee der respublica „keine staatliche Alternative zum modernen Staat, sondern eine nicht-staatliche, d. i. eine wahre Alternative zum Staat“14. Von hier aus könnte man die „Nichtaktualität“ des Althusius hinsichtlich der Probleme des modernen Staats rechtfertigen und stattdessen paradoxerweise eine mögliche Vereinnahmung seiner Ansichten von Seiten der Postmoderne verantworten. Es wird also eine breite Diskussion fortgeführt, die in Wirklichkeit schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begonnen hat, als die von Friedrich herausgegebene lateinische Ausgabe der Politica neu herauskam. Dabei ging es um die Eigenheiten von Althusius’ Sicht des Staates, seinen speziellen „Föderalismus“ (es wäre allerdings besser von seinem „Protoföderalismus“ zu sprechen), darum, wie er sich mehr oder weniger in die eine oder andere große philosophisch-politische Tradition einfügt: War Althusius ein Vertreter der Naturrechtslehre und der Vertragslehre, wie Gierke meinte, ein Vorläufer von Rousseau, oder viel einfacher ein Wiederbeleber des traditionellen Naturalismus aristotelischer Prägung, wie es all jene gerne hätten, die das Denken von Althusius in eine unbestimmte spätmittelalterliche Tradition einordnen möchten? War er ein enger Anhänger Calvins, auf dessen Denken nach Ansicht einiger Wissenschaftler wie Peter J. Winters sein Werk gründet, oder allgemeiner ein Jurist, der in das juristische „Fluidum“15 der reformierten Gemeinden eingetaucht ist? War er also ein Befürworter des spätmittelalterlichen Ständestaats oder der geniale Antizipator einer föderativen – natürlich ständischen – Staatsform, aber ein Modernisierer im republikanisch-calvinistischen Sinne (wie Friedrich nahe legt) und vertrat somit eine Staatsvorstellung, der aufgrund der Vorherrschaft des territorial-absolutistischen Modells in Europa kein Erfolg beschieden war? Reduziert man den „Protoföderalismus“ des Althusius darauf, ein „hierarchischer Föderalismus“ mittelalterlich-imperialer und scholastischer Prägung zu sein, wie es Dreitzel vertritt oder gibt man einem „sozietalen Föderalismus“ den Vorzug, der sich dann bei Proudhon im 19. Jahrhundert entwickelte, wie Thomas Hueglin argumentiert? Man könnte so fortfahren und noch viele Fragen aufzählen und mit ihnen die Namen von Gelehrten, die sie gestellt haben. Es gibt viele offene Fragen. Sie umfassen auch Probleme der historischen Bedeutung des Althusius als Syndikus von Emden, der mächtigen friesisch-deutschen calvinistischen Metropole, des „nordi14 Vgl. Bonfatti / Duso / Scattola: Warum lesen wir noch Althusius?, in: Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des J. Althusius (FN 9), S. 10. Wie im Laufe dieses Vorworts deutlich werden wird, stimmt der Verfasser nicht mit der Radikalität derartiger Behauptungen überein; er ist vielmehr der Überzeugung, dass sie eine Art ,Zwangsjacke‘ darstellen, in die die Komplexität einer Epoche gepresst wird oder ein Prokrustesbett, bei dem man viel von der Vormodernität wegschneidet und in eine mittelalterliche Vormoderne versetzt, was dem Werk des Althusius noch gerecht wird. Vgl. zur Entwicklung dieser Diskussion auch C. Malandrino, Discussioni su Althusius, lo Stato moderno e il federalismo, in: Il Pensiero Politico 37 (2004), S. 425 – 438. 15 Vgl. H. H. Eßer, Calvin und Althusius. Analogie und Differenz ihrer politischen Theorien, in: Politische Theorie des J. Althusius (FN 3), S. 163.

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schen Genfs“ vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts – und das nicht nur in der Theorie der bürgerlichen universitates, der jura majestatis des Volks, des contractus mandati und des Widerstandsrechts. Althusius war letztlich Verteidiger einer bürgerlichen Theokratie republikanisch-calvinistischen Typs. War ihm der finale Zweck einer konsistenten Kunst der Politik nicht fremd, die von einer im höchsten Maße zynischen „Staatsraison“ gespeist wird, wie es die Reihe von Studien über die Geschichte Ostfrieslands nahe legt, die in Heinz Antholz ihren „althusischen“ Vorkämpfer hat?16 Oder müsste man stattdessen Interpretationen mehr Raum geben, die das Werk des Althusius in Verbindung bringen 1) mit dem Verhältnis zu den epischen Fährnissen der niederländischen Calvinisten und Republiken, auch im Hinblick auf die doktrinären Auseinandersetzungen zwischen radikalen Gomaristen und gemäßigten Arminianern, 2) mit der Verbindung zu den Vertretern der Dynastien Nassau und Oranien und ihren Plänen bezüglich einer föderativen Allianz zwischen den reformierten calvinistischen Gemeinden, und schließlich 3) – und unter theoretischen Gesichtspunkten am wichtigsten – mit dem Verhältnis zur Föderaltheologie, die in Herborn und in den vorwiegend calvinistischen Landstrichen zu Hause war und ist?17 All diese (und andere) Fragen kamen mehr oder weniger intensiv und polemisch während des Turiner Studientags auf und finden natürlich in den hier vorgelegten Beiträgen Widerhall – vor allem in den Diskussionen, an denen sich im ersten Teil Ingravalle, Scattola, Duso und Hueglin beteiligt haben. Dieser „offene“ Charakter macht den Band zu einem echten Schauplatz der Diskussion und zugleich der Konfrontation. Damit soll zumindest von Seiten des Autors dieser Zeilen keineswegs der Anspruch erhoben werden, abschließende Antworten zu geben. Es ist 16 Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des J. Althusius in Emden, Aurich 1955; ders., J. Althusius als Syndicus Reipublicae Embdanae. Ein kritisches Repertorium, in: Politische Theorie des J. Althusius (FN 3), S. 67 – 88; H. Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. V, Leer 1975, S. 230 ff.; W. Deeters, Geschichte der Stadt Emden von 1576 bis 1611, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. X, Leer 1994, S. 317 – 336; B. Kappelhoff, Geschichte der Stadt Emden von 1611 bis 1749, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. XI, Leer 1994. 17 Dies sind die von Malandrino im Artikel „Il Syndikat di J. Althusius a Emden“ vorgebrachten und erörterten Hypothesen; die erste wird später in Abschnitt 5 noch einmal aufgegriffen werden. Zur dritten vgl. Malandrino, Teologia federale (FN 6) und die Stichworte Symbiosis und Foedus im vorliegenden Band. Über die missglückten, aber wichtigen föderativen calvinistischen Aktionen, die von Johannes VI. dem Alten im Kampf gegen die katholischen Spanier und die Lutheraner organisiert wurden (die der bestimmende Kontext für die politische Orientierung der Gelehrten in Herborn und von Althusius waren), auf die in der zweiten Hypothese angespielt wird und ferner in Glawischnig, Niederlande, Kalvinismus und Reichsgrafenstand (FN 2), ist hinzuzuziehen: L. Paul, Nassauische Unionspläne. Untersuchungen zum politischen Programm des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. Diss. Münster, Münster 1966; G. Oestreich, Graf Johannes VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1580 – 1606, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 8 (1981), S. 119 – 157; H. J. Cohn, The Territorial Princes in Germany’s Second Reformation 1559 – 1622, in: M. Prestwich (Hrsg.), International Calvinism 1541 – 1715, Oxford 1985, S. 135 – 165.

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vielmehr die Absicht, die Blickwinkel, von denen aus die Rezeption und der Einfluss des Werks von Althusius betrachtet werden kann, zu vermehren und bisher fehlende Mittel zum vertieften Verständnis seines politischen „Diskurses“ bereit zu stellen. Die Komplexität des politischen Denkens des deutschen Juristen wird nämlich auch von der einzigartigen Geschichte seiner Entwicklung (und der damit verbundenen Veränderung der „Worte“ seines „Diskurses“) erhöht, die den politischen Calvinismus seit seiner Herborner Phase begleitet. Sie geht schon daraus hervor, dass er nicht nur das antike und das mittelalterliche Recht meisterlich beherrschte, sondern auch die Heiligen Schriften und die Theologie, die aristotelisch-scholastische Philosophie und die politischen Lehren der Frühen Neuzeit hervorragend kannte, und dass eine entsprechende Wissensfülle organisch und methodisch in die Politica einfließt. Es ist eine Komplexität, die dazu beiträgt, seiner stärker politischen und „republikanischen“ Erfahrung in Emden eine neue Dimension zu geben. 3. Einen Grund für die Konflikthaftigkeit der Interpretationen von Althusius kann man darin sehen, dass bisher keine systematische philologische und hermeneutische Untersuchung zum Abschluss gebracht wurde, die das Ziel gehabt hätte, die „Worte“ des politischen „Diskurses“ des Althusius zu klären. Nicht, dass einige dieser Termini – zumindest die bekanntesten – nicht bereits unter linguistischen, philosophischen oder historischen Gesichtspunkten untersucht worden wären. Äußerst bekannte Forscher haben dies unternommen, aber im allgemeinen wenig systematisch oder umfassender in einem allgemeinen historisch-philologischen Interpretationsdiskurs, wie etwa im letzten Band der Begriffe von Bonfatti, Duso und Scattola, der erklärtermaßen vom historisch-begrifflichen Ansatz der Begriffsgeschichte von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck ausgeht.18 18 Ich möchte nicht die Frontstellung zwischen Begriffsgeschichte und philologisch-kontextualisierender Methode (die in sich differenziert ist) versteifen und verhärten. Es handelt sich insgesamt um sehr wichtige methodologische Schulen, deren Unterschiede an den Resultaten ablesbar sind. Auch will ich nicht sagen, dass der von Duso, Scattola und Bonfatti herausgegebene Band, dessen Wert so offenkundig ist, dass er nicht weiter hervorgehoben werden muss, in dieser Hinsicht vollkommen homogen ist. Dennoch scheint es mir, um die wissenschaftliche Diskussion zu befördern, nützlich, darauf hinzuweisen, dass Duso und Scatttola in methodologisch unterschiedlicher Weise – der eine mehr philosophisch, der andere mehr historisch und philologisch – in besagtem und im vorliegenden Band ihre spezifische Lesart vorschlagen, die nicht die der Herausgeber (und verschiedener Mitarbeiter) des vorliegenden Bandes sind, die – wie oben bereits gesagt – eine Orientierung an der philologischen Richtung bevorzugen, die im Rahmen des Möglichen mit der Methode der linguistischen Kontextualisierung von Quentin Skinner und dem „Begriffsdiskurs“ von John Pocock verbunden wird. Wie Viroli Introduzione zu Skinner: Le origini del pensiero politico moderno (FN 5), S. 14, schreibt: „Wenn die Theorie der linguistischen Akte einmal auf die Interpretation der Texte über das politische Denken angewendet wird, übersetzt man sie anfänglich, um zu verstehen, was ein Autor der Vergangenheit sagen und wie er verstanden werden wollte; es ist aber nicht ausreichend die wörtliche Bedeutung der verwendeten Begriffe zu kennen [was man allerdings mit der größten philologischen Sorgfalt tun muss, Anm. der Red.], wir müssen vielmehr eine weitere interpretative Anstrengung unternehmen, um zu verstehen, was der Autor mit dem Schreiben dessen, was er geschrieben hat, beabsichtigte.“

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Das Fehlen eines Werks über den „politischen Diskurs des Althusius“ erscheint umso erstaunlicher, wenn man an das Bewusstsein für die Bedeutung denkt, die der deutsche Jurist dem geschriebenen und gesprochenen Wort beigemessen hat, und wenn man in Betracht zieht, welche fast manische Sorgfalt er methodologischen Fragen, der sprachlichen Form, dem logischen und rhetorischen Stil beim ramistischen Entwickeln politischer und juristischer Gegenstände hat zukommen lassen (wie das Stichwort Methodus von Anna Maria Lazzarino Del Grosso vor Augen führt). Man betrachte ferner die große Eigentümlichkeit und Originalität der Sprache der Politica, die oft neue Termini einführt, die auf den ersten Blick bizarr wirken (man denke an „symbiotisch“), man beachte die im Hinblick auf die Traditionen des Humanismus oder der klassischen, griechischen und römischen Jurisprudenz oder der aristotelisch-scholastischen des Mittelalters oder der Reformation grundlegend veränderten Worte. Man nehme zum Beispiel das, was Althusius in der „panegyrischen Ermahnung“ De utilitate, necessitate et antiquitate scholarum feststellt.19 Schon in der ersten Ausgabe singt er ein Loblied auf den Erwerb von Sprache und Schrift, dank derer die Menschen auch den Abwesenden und Fernen die „geheimen Gedanken des Geistes“ mitteilen und nicht einmal aufhören, „als Tote“ zu sprechen.20 In der dritten Ausgabe macht Althusius einen bedeutenden Zusatz zur Macht des „Wortes“, indem er zuerst Cicero zitiert, der in den Paradoxa Stoicorum, 3, Folgendes schreibt: „Nihil tam est incredibile quod dicendo non fiat probabile, nihil tam horridum atque incultum quod non splendescat oratione“.21 Kraft des „Wortes“, fährt Althusius fort, „populus furens reprimitur et metu perculsus excitatur“. Zur noch gewichtigeren Bestätigung führt er in demselben Abschnitt den ersten Gesang der Aeneis an, wo der Dichter die Fähigkeit „des durch Tugend und Verdienste großen Mannes“ beschreibt, ein revoltierendes und wütendes Volk nur dank seines „Wortes“ in seine Hand gebracht zu haben: „Ille regit dictis animos et pectora mulcet“. Die Eloquenz ist, wie Platon sagt, die Kunst des „Verzauberns, Schmeichelns, Simulierens“. Von höchster Bedeutung sind für Althusius also – im allgemeinen Zusammenhang der Bedeutung der Schule für die Ausbildung22 – die Erforschung der und 19 Als Admonitio panegyrica im Anhang zur ersten Ausgabe der Politica methodice digesta veröffentlicht und mit wichtigen Abweichungen und Zusätzen in der dritten Ausgabe, aus der im Folgenden zitiert wird, wiederveröffentlicht. 20 Ebd., S. 973. 21 Ebd., S. 974. 22 Über den Einsatz der Protestanten und besonders der calvinistischen Reformer bei der Gründung neuer Schulen jeder Art von Territorien, in denen sie präsent waren, vgl. H. Schilling, Ascesa e crisi. La Germania dal 1517 al 1648 (1988), Bologna 1997; zu Herborn vgl. S. 383: „Von 1580 an war Johannes [der Alte] einer der Protagonisten der zweiten Reformation in Deutschland, weil er systematisch vorging und sich von Theologieprofessoren der 1584 gegründeten Hohen Schule in Herborn beraten ließ. Hier entwickelte sich nach und nach einer rege Diskussion über die Schule und über die an ihr praktizierte Unterrichtsmethode, an der sich neben den Theologen Kaspar Olevian und Wilhelm Zepper auch der in ganz Europa bekannte Jurist Johannes Althusius beteiligte“.

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das Unterrichten in den sprachlichen Disziplinen. Die Sorgfalt in der Wahl der „Worte“ und der politischen Ausdrücke, ihre Ordnung und ihre methodische Entwicklung müssen demnach grundlegend sein. Es ist anzunehmen, dass sich Althusius selbst beim Abfassen der Politica an diese Regel gehalten hat, wie er bereits in der ersten Ausgabe einräumt, mit der er besonders herausragende didaktische Ziele verfolgt, und die sicher im Vergleich zu der weiter ausgreifendem und stärker politisch ausgerichteten dritten Auflage eine begrenztere Zielsetzung hat.23 Das Fehlen eines Mittels, das es ermöglicht, die zentralen Begriffe des althusischen „Diskurses“ und ihren historischen, religiösen, politischen und sozialen Kontext für alle Forscher gleichermaßen überzeugend ins rechte Licht zu stellen, kann nach Ansicht des Autors dieser Zeilen nicht geringe Verzerrungen zur Folge haben, und schließlich verhindern, dass man zum Kern des Denkens dieses Juristen und politischen Calvinisten der Frühmoderne vordringt. Wie schon Wittgenstein sagte, muss man sich zu Beginn einer Diskussion vor allem auf das Vokabular einigen, das man verwendet. Man denke beispielsweise nur daran, dass man sich noch nicht einmal die Frage bis ins Letzte vorgenommen hat, welches die ursprüngliche Bedeutung und die sich notwendig daraus ergebenden Implikationen des Terminus „Politica“ sind, der den Titel des Traktats bildet (und Althusius ist nach Aristoteles überhaupt einer der ersten im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, der dieses Wort in dieser Bedeutung verwendet): „Politica“ und sein Attribut, das auch zum Synonym für den Autor wird, mit ihm „symbiotisch“ wird. In der Regel hat man sich damit zufrieden gegeben, die Definition von Wort und Begriff der „Politica“ im ersten Kapitel tautologisch zu wiederholen, um den verborgenen Sinn zu erfassen. Aber das kann nicht hinreichen. Wenn Friedrich und nach ihm der angesehene Mesnard geschrieben haben, dass Althusius der „tiefgründigste politische Denker zwischen Bodin und Hobbes“ ist,24 müsste logischerweise auch die Politica methodice digesta das fachlich tiefste Werk zwischen den Sechs Büchern über den Staat und dem Leviathan sein. Was ist also die wahre Bedeutung, die angemessenste Definition des Terminus und des Konzepts der „Politica“, die in diesem Traktat gegeben werden? Welche Rolle spielt die „Politica“ des Althusius im Wandel der Disziplin „von der Tugend zur Wissenschaft“, in einem Wandel, den Merio Scattola äußerst gelehrt im Kontext der deutschen Kultur beschreibt? Scattola schließt in seinem Buch die Analyse der Definition der Politik des Althusius damit ab, dass er vielleicht ein bisschen eingeschränkt darstellt, dass in ihr „die ,Kunst‘ und ,Wissenschaft‘ der Politik zwei Aspekte der selben Wirklichkeit darstellen und dass sie für den lehrbaren und übertragbaren Teil stehen, nämlich die „Disziplin“ und die „Lehre“, die dazu geeignet sind, die allgemeinen Regeln zu liefern, an die 23 Im Vorwort zur ersten Ausgabe schreibt Althusius nämlich, dass er „das Fehlen einer Methode und einer angemessenen Ordnung“ in den verfügbaren Abhandlungen über die „Politik“ empfindet und dass er sein Werk angeht, um diesen Mangel zu beheben. 24 Friedrich, Intruductory Remarks zu: Althusius: Politica (FN 1), S. XIV. P. Mesnard, J. Althusius e la democrazia corporativa in: L. Firpo (Hrsg.): P. Mesnard: Il pensiero politico rinascimentale (1951), Bd. II, Bari 1963 – 1964, S. 293.

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sich die Klugheit bei der Gründung und der Regierung von Republiken hält.“25 Auch im vorliegenden Band greift Scattola wieder das Verhältnis „zwischen Althusius und den Anfängen der politischen Lehre in Deutschland“ auf, wobei er einen Vergleich zwischen der „Politica“ des Althusius und jener des Arnisaeus versucht, allerdings zu keinen substanziell neuen Erkenntnisse gegenüber seinem Buch und seinem wichtigen Aufsatz in den bereits erwähnten Politischen Begriffen kommt.26 Auch wenn ich mit Scattola zum Teil hinsichtlich der Bemerkungen zur umfassenden Innovation der dritten Auflage übereinstimme, möchte ich doch die folgende Frage aufwerfen: War es nur eine rein technische und insgesamt neutrale Bedeutung, die der Begriff „Politica“ im althusischen Sinn im dramatischen Kontext der „zweiten Reformation“ haben sollte?27 Oder reicht er weiter? Um die Bedeutung der Frage anschaulicher zu machen: Wenn man einmal für einen Augenblick den Standpunkt einnimmt, den Maurizio Viroli in seinem Buch Dalla politica alla ragion di Stato vertritt, so begrenzt auf das italienische Umfeld er auch sein mag, dann stellt man fest, dass vom dreizehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert ein Übergang von einer Konzeption der Politik als „Kunst des Regierens nach Maßgabe von Recht und Vernunft“ zu einer „Politik als Staatsraison“ stattfindet28. Der Übergang von „der Politik zur Staatsraison“ ist nach Virolis Auffassung „eine wichtige Geschichte, die uns dazu ermuntert, die autoritativen und angesehenen Interpretationen zum Ursprung und zur Transformation der modernen politischen Sprache zu überdenken und dabei vor allem die These, der gemäß die neuere Geschichte der politischen Fachsprache mit der Renaissance des Aristote25 Vgl. M. Scattola, Dalla virtu ` alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna, Mailand 2003, S. 163. 26 Vgl. M. Scattola, Von der majestas zur symbiosis. Der Weg des J. Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica (FN 9), S. 211 – 249. 27 Vgl. W. Sparn, Politik als zweite Reformation, in: Politische Theorie des J. Althusius. (FN 3), S. 438. Ich verwende hier den Begriff „zweite Reformation“, um vor allem den Einfluss zu unterstreichen, den in diesem Zusammenhang der Reifungsprozeß des althusianischen Diskurses erlangt hat, wohl wissend, dass hinter dieser Ausdrucksweise in der Historiographie breit diskutiert worden ist, worauf ich hier nicht näher eingehen kann. Zum Begriff und seinen Kritikern vgl. H. Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der ,Zweiten Reformation‘. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1986; H. Schilling, Nochmals ,Zweite Reformation‘ in Deutschland. Der Fall Brandenburg in mehrperspektivischer Sicht von Konfessionalisierungsforschung, historischer Anthropologie und Kunstgeschichte, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4 (1996), S. 551 – 524; H. Klueting, ,Zweite Reformation‘ – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, in: Historische Zeitschrift 227 (2003), S. 309 – 341; H. Klueting, Problems of the Term and Concept ,Second Reformation‘. Memories of a 1980, in: J. M. Headley / H. J. Hillerbrand / A. J. Papalas: Confessionalization in Europe, 1555 – 1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, Aldershot 2004, S. 37 – 49. 28 Vgl. M. Viroli, Dalla politica alla ragion di stato. La scienza di governo tra XIII e XVII secolo, Rom 1994, S. IX – XII.

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lismus in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts beginnt“. Viroli bemerkt vollkommen richtig, dass „ragione“ in der einen wie der anderen Bedeutung von „Politica“ nicht irreführen darf, weil im ersten Fall „Ragione im ciceronianischen Sinne recta ratio bedeutet und im Fall der Ragion di Stato eine instrumentelle Bedeutung hat und die Fähigkeit anzeigt, die Effektivität der Mittel im Hinblick auf ein Ziel zu bemessen“. Es stellt sich also die folgende Frage: Wenn es auch wahrscheinlich ist, dass man bei Althusius den Übergang zu einem gewissen protomodernen Realismus und zur Autonomie der Politik hin feststellen kann, an welchen Punkt dieses Übergangs ist seine „Politica“ angesiedelt, sei es, dass man sie als theoretischdoktrinäre Disziplin, sei es, dass man sie als praktisches Konzept hinstellt? Welches spezifische Unterscheidungsmerkmal zeichnet sie im Vergleich zur traditionellen juristisch-zivilen Wissenschaft auf der einen Seite (was Viroli als „Kunst des Regierens nach Maßgabe von Recht und Vernunft“ bezeichnet) und der Autonomie der Politik (ohne deshalb rundheraus Staatsraison zu werden) auf der anderen Seite aus? Welcher Tradition ist die unzweifelhafte Unterstützung einer „republikanischen“ Sicht der Politik zuzuschreiben? In welchem und in wie großem Maß steht die Begrifflichkeit des Althusius auf der einen Seite in einer spätmittelalterlichen Tradition, und inwiefern führt sie auf der anderen Seite zu einer modernisierenden Innovation (wenn auch nicht im Sinne von „modern“ in der Verwendung von Duso und Scattola)? Diese Fragen sind alles andere als abstrakt-abgehoben, wenn man nur bedenkt, wie unterschiedlich das Handeln des Althusius in Emden unter dem Gesichtspunkt des politischen Realismus und sogar der Staatsraison beurteilt wurde. Was hier aber gewiss am meisten interessiert, ist, die theoretische Tragweite auszumachen, die in seinem Denken dem Begriff „Politica“ zukommt. 4. Um zum vollen Verständnis dieser Ebene der Politica zu gelangen und jenem der Bedeutung des Terminus „Politica“, die mit größerer Vollständigkeit und tieferer Durchdringung der Absicht und der Bedeutung, die ihr Althusius zugewiesen hat, besser entspricht, erscheint es dem Verfasser notwendig, dem historiografischen Vergessen, der lexikalische Verkürzung – oder noch schlimmer: der lexikalischen Verzerrung, der radikalen philosophischen Neutralisierung – entgegenzutreten, die die Politica in Bezug auf einen ihrer charakteristischsten Termini erlebt hat: der Heiligkeit der symbiotischen Lebensgemeinschaft. Nicht dass man jemals die Bezugnahme auf das Zitat des ersten Kapitels vergessen hätte, nach der die Politik die Kunst ist, die darauf ausgerichtet ist „die heilige, gerechte, angemessene und glückliche Symbiose“ herzustellen. Mir scheint aber, dass dem Attribut „heilig“ im Zusammenhang mit der Symbiose des Althusius nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wie schon allein aus der bloßen Lektüre der Titel deutlich wird, die die Althusiusforschung ausmachen (und im Gegensatz dazu das Gewicht, das dem Wort vom Autor dieser Zeilen im Beitrag zu Symbiosis und von Zwierlein in den Beiträgen zu Consociatio und Respublica gegeben wird, die im vorliegenden Band enthalten sind). Der Grund für eine derartige semantische Un-

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achtsamkeit ist nicht klar. Vielleicht hat man das Adjektiv „heilig“ für einen Gemeinplatz calvinistischer Prosa gehalten, durch den die Auserwählten und ihre Gemeinschaften bezeichnet werden,29 und der daher keine spezifische Analyse verdient. Vielleicht hat man es auch aufgrund der Gewichtigkeit der Implikationen hinsichtlich der Religion und der Moral als implizit widersprüchlich zum Postulat der Autonomie der „Politica“ aufgefasst, die der Autor in den Vorworten zu seinem Werk und an anderen Stellen postuliert.30 Wenn es so gewesen sein sollte, handelt es sich um wenig begründete Besorgnisse, zumal Althusius ein Meister darin ist, die Vermischung des Bereichs der Theologie mit dem der Politik und des Rechts zu vermeiden, ohne dabei die Verbindungen, die dennoch zwischen ihnen bestehen, zu verdecken. Insofern ist „heilig“ ein Schlüsselbegriff, um die Politica in der Fülle ihrer Bedeutungen zu verstehen und darüber hinaus das politische und soziale Projekt im Kontext der zweiten Reformation. Aber auch wenn man die Verbindung zwischen der „Politica“ des Althusius und der christlichen Religion und Moral herausstellt, dann mindert das ihre Autonomie nicht, insofern sie Kunst der Regierung, sozial disziplinierende und repressive Lehre und Wissenschaft des assoziierten Zusammenlebens ist. Um diese These argumentativ zu belegen, gibt es nichts besseres, als das großartige Buch von Michael Walzer über die „Revolution der Heiligen“ heranzuziehen. Das Buch, das auf der historisch-literarischen und der philosophisch-politischen Ebene die Existenz und die Anwendung eines Wortschatzes des politischen Diskurses der calvinistischen „Heiligen“ hervorhebt, erlangt eine Funktion, die dem Buch von Pocock über den „Machiavellian Moment“ in der republikanischen Tradition vergleichbar ist.31 Man wird sich erinnern, dass sich die Untersuchung von Walzer auf zwei Ebenen mit (zumindest) zwei verschiedenen Zielsetzungen entwickelt. In erster Linie identifiziert sie die Schriften (Predigten, politische Traktate, literarische Werke), die den Konfessionen der „Heiligen“, der Calvinisten oder ähnlichen (disziplinari29 Vgl. z. B. einen Klassiker der Reformationsforschung: R. H. Bainton, La Riforma protestante (1952), Turin 1982 (11. Aufl.), S. 107: Der Terminus „heilig“ ist bei den Reformierten frei von Bezügen zu religiösen oder heldenhaften moralischen Qualitäten (wie dies im Katholizismus der Fall ist); er bezeichnet vielmehr denjenigen, der von Gott einen Auftrag bekommt und sich militant für die Realisierung des Reiches Gottes auf Erden einsetzt. 30 In der Tat schreibt Althusius bereits im Vorwort zur ersten Ausgabe über die Grenzen, die Politik, Jurisprudenz und Theologie voneinander trennen („wo der Politiker aufhört, dort beginnt der Jurist“, weshalb man „vermeiden muss, die Sichel auf den Getreideacker eines anderen zu tragen“). Allerdings erkennt er auch die verwandtschaftlichen Bindungen an, wenn er schreibt: „Man könne die juristischen Elemente nur schwer aus der Wissenschaft von der Politik herausziehen“. 31 Vgl. M. Walzer, The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics, Cambridge / Mass. 1965, 2. Aufl., New York 1974 (Italienische Übersetzung: D. Spini (Hrsg.): La rivoluzione dei santi. Il puritanesimo alle origini del radicalismo politico. Introduzione di M. Miegge, con un’intervista a M. Walzer, Turin 1996); J. G. A. Pocock, The Machiavellian Moment: Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975.

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schen, presbyterianischen, kongregationalistischen, etc.) Bekenntnissen zugehören und die auf den Britischen Inseln und benachbarten Gebieten zu Hause sind und zum Erfolg des Puritanismus im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert beigetragen haben. Auf diese Weise sollte die Bildung einer Ausdrucksweise, einer sozialen Vorstellungswelt und einer Ideologie hervorgehoben werden, die in ihrer Radikalität letztlich die englische Revolution ausgelöst haben. Walzer ist der Auffassung, dass die Anfänge der Revolution und ihr unerschütterliches Fundament in den Bestrebungen und in den Organisationen liegen, die in der Lehre Calvins wurzeln, und bei den verbannten Marianern, die sich in den Genfer Schulen herangebildet haben, wie John Knox und William Perkins, um dann nach England und Schottland zurückzukehren, um dort ihre Botschaft zu verbreiten. „Der calvinistische Heilige“, schreibt Walzer, „erscheint mir jetzt als der erste jener Agenten des sozialen und politischen Wiederaufbaus, die mit ihrer Selbstdisziplin so häufig in der neueren Geschichte aufgetaucht sind. Er ist der Zerstörer der alten Ordnung, dem man nicht nachtrauern muss. Er ist der Konstrukteur eines repressiven Systems, das man womöglich zu ertragen verstehen muss, bevor man ihm entrinnen oder es transzendieren kann. Vor allem ist er ein über die Maßen kühner, kreativer und entschlossener Politiker, wie es vielleicht ein Mensch sein muss, der große Dinge zu erfüllen hat, weil nun einmal ,große Werke große Feinde‘ haben.“32 Wenn dies die erste Ebene von Walzers Studie ist, so ist die zweite von vornherein klar darauf ausgerichtet, einen allgemeineren Umriss der radikalen Ideologie aufzutun, was dank der originären puritanischen forma mentis möglich ist, einer radikalen Ideologie, die auf politischer und sozioökonomischer Ebene die revolutionären, gegen die traditionelle Welt gerichteten Ziele durchsetzen will – eine Ideologie, die in der Moderne, wie Walzer feststellt, neue Muster im Jakobinismus und Sozialkommunismus haben wird. Von diesem Standpunkt aus erscheint der calvinistische Puritanismus als erster mächtiger Faktor der „Modernisierung“, die, wie Walzer präzisiert, etwas anderes als die „Moderne“ ist, ein Faktor, der weit vor den Modellen des 18. und des 19. Jahrhunderts auftritt.33 Wie könnte man hier nicht an die verwandten Thesen denken, die bereits vor Walzer, aber auf die historische Rekonstruktion beschränkt, Giorgio Spini vorgestellt hat, der 1957 schrieb, dass die Reformation – und besonders die calvinistische und puritanische, 32 Vgl. Walzer, The Revolution of the Saints, New York 1974 (FN 31), S. VII (ital. Ausg., S. 33). 33 Es ist nötig, darauf hinzuweisen, dass mancher heute dazu tendiert, diese „Modernisierung“ zu relativieren. In Deutschland ist dies unter anderem Luise Schorn-Schütte, die nachdrücklich auf die interpretativ-historiographische Verpflichtung hinweist, die mitunter schwer wiegt, wenn man die konfessionellen Kulturen des 16. und 17. Jahrhunderts mit den Augen von Max Weber oder Ernst Troeltsch betrachtet; nach Ansicht von Schorn-Schütte läuft man dabei Gefahr, den „aktiven, dynamischen, protodemokratischen, modernen Calvinismus“ gegenüber einem Katholizismus und einem Luthertum zu mythisieren, die konservativer, mittelalterlicher und unfähig zum Widerstand sind. Vgl. L. Schorn-Schütte (Hrsg.), Alteuropa oder Frühe Moderne? Deutungsversuche der Frühen Neuzeit aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, Berlin 1999.

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auch wenn sie vor allem „eine theologische und ekklesiologische Revolution“ war, zugleich „den Startschuss zu einer Reihe von kulturellen, politischen, sozialen und sogar ökonomischen Revolutionen gegeben hat, in dem Sinne, dass sie sich diese Ziele nicht an für sich gesteckt hat, sondern einfach und bescheiden versucht hat, die Zeitgenossen an den Sinn der Gegenwart des lebendigen Gottes in der Gnade, im Wort Gottes, an die Gemeinschaft der Brüder in Christus zu erinnern“34 . In seinen Werken über die „zweite Reformation“ im 17. Jahrhundert und besonders über die des holländischen Calvinismus, über den Puritanismus des „jungen Amerika“, umriss er dieses Jahrhundert als Epoche eines „grandiosen Dramas der Auseinandersetzung zwischen einer massiven katholischen Konterrevolution, die ihrem Ziel, die Häresie mit Eisen und Feuer auszureißen, sehr nahe gekommen ist, und einem derart lebhaften protestantischen Widerstand, dass er sich der gigantischen Macht der Monarchien des spanischen Königs und des Sonnenkönigs entgegenstellte und darüber hinaus eine Art von Reformation der Reformation auf den Weg brachte, die dadurch, dass sie die protestantische Sache mit jener der Freiheit verband, in der Zukunft gewaltige Entwicklungen zeitigen sollte.“35 Weil Mario Miegge in der Einleitung zu Walzers Buch die Begriffe der liberalen, republikanischen und marxistischen Kritiken an Walzers Schrift klarstellt, kann für nähere Informationen über seine Rezeption darauf verwiesen werden. Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, dass die gegen Walzer vorgebrachten Einwände die exzessive Kompaktheit und Lebensdauer des von ihm entworfenen puritanischen Modells betreffen, die auf Kosten seiner augenfälligen Variationen und inneren Verwerfungen gehen, und auf der anderen Seite das zu starke Herausstellen einer Diskontinuität zwischen einer tradionsverbundenen und einer radikal neuen Welt, das dahin tendiert, die longue durée in der Ideengeschichte zu nivellieren. Wenigstens teilweise kann man derartigen Bemerkungen zustimmen. Dennoch: Wichtig ist, dass alle Kritiken den oben dargelegten zentralen Punkt bei der Rekonstruktion der Formen des calvinistisch-puritanischen Radikalismus nicht zur Diskussion stel34 Zitat aus: E. Campi, La Riforma e il fattore protestante nell’opera storiografica, in: A. E. Baldini / M. Firpo (Hrsg.), Tradizione protestante e ricerca storica. L’impegno di Giorgio Spini, Florenz 1998, S. 32. 35 Ebd., S. 29. Von Spini vgl.: Autobiografia della giovane America. La storiografia americana dai Padri Pellegrini all’indipendenza. Turin 1968. Es sei auch an die lebendigen Abschnitte erinnert, die er den „Kindern der Auserwählten“ Calvinisten und ihrer Ausbreitung in der Schweiz widmet (wobei man allerdings nicht den Einfluss der zwinglianischen und bucerianischen etc. Erfahrungen vergessen sollte): den Rhein entlang über die Kurpfalz, Nassau, die norddeutsche Hanse, die Freien und Reichsstädte bis zu den Provinzen der Niederlande und auf die Britischen Inseln: G. Spini, Storia dell’età moderna (1960), Turin 1965, Bd. I, S. 418 – 439 und Bd. II, S. 516 – 520. Zum Problemkreis des Verhältnisses zwischen Modernisierung und Reformation vgl. auch M. Miegge, Martin Lutero. La Riforma protestante e a nascita delle società moderne, Rom 1983; H. Eilert (Hrsg.), Riforma protetante e rivoluzione sociale, Mailand 1988; M. Rubboli, La santa causa della libertà. Protestantesimo e rivoluzione americana, in: Modernità, politica e protestantesimo, Turin 1994, S. 187 – 204; A. E. Baldini, Il pensiero politico della Riforma, in: A. Andreatta / A. E. Baldini: Il pensiero politico. Idee, teorie, dottrine, Turin 1999, S. 55 – 98.

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len. Quentin Skinner, der eben genau die stärkere und bessere Bewertung der Verbindungen zwischen dem calvinistischen Denken und dem juristischen und politischen Denken des 12. bis 14. Jahrhunderts für notwendig hält, bestätigt in seinem fundamentalen Werk über die „Anfänge des modernen politischen Denkens“ das Aufkommen des Modells des politischen Calvinismus in den Schriften über das Souveränitätsrecht und über das Widerstandsrecht des 16. Jahrhunderts. Nebenbei möchte ich daran erinnern, dass für Skinner folglich die Politica methodice digesta überhaupt die „systematischste Äußerung des revolutionären politischen Denkens des Calvinismus“36 darstellt, und dass Althusius für ihn in ihr „den Ehrgeiz hat, das Studium der ,Politik‘ von den Beschränkungen durch die Theologie und der Jurisprudenz zu befreien und alle rein theologischen, juristischen und philosophischen Elemente wieder richtig zu positionieren, indem er sich ausschließlich auf die unabhängige Materie der politischen Wissenschaft konzentriert“37. Das ist richtig. Es ist aber kein Freibrief dafür zu denken, wie mancher versucht sein mag, dass Althusius diese theologischen, philosophischen und juristischen Elemente vergisst. Sie bilden vielmehr die Voraussetzungen für seine Politik. Aber wenden wir uns wieder Walzer zu und der angeführten Referenzfunktion seines Buchs für die Interpretation der „symbiotischen Politik“, dem Hauptbegriff des Traktats von Althusius. Zugegeben: Walzer zitiert die Schrift des Althusius in seinen Ausführungen kein einziges Mal, auch wenn er es immer geistig präsent hat, denn er greift verschiedentlich auf die Einleitung von Friedrich zur lateinischen Neuausgabe der Politica von 1932 zurück38. Wahrscheinlich erschienen Walzer die Ausformungen der rheinischen und friesischen Welt im Hinblick auf das englischsprachige Universum als marginal, auch wenn man daran erinnern muss, dass Emden unter Leitung des Syndikus Althusius etliche Beziehungen zum England Jacobs I. hatte – ein Thema, auf dass ich bei anderer Gelegenheit zurückkommen werde. Was aber auffällig ist, ist die außergewöhnliche Ähnlichkeit nicht nur der theologischen, sondern auch der politischen, bürgerlichen und sozialen Konturen des puritanischen „Heiligen“ mit dem Modell der „heiligen“ Politik, das in der Politica des Athusius zum Ausdruck kommt. Die Affinität in ihren Logiken des Verhaltens und in ihren Aspirationen ist zu groß, als dass sie dem Zufall zugeschrieben werden könnte. Und dann gibt es die zentrale Rolle der Theorie des covenant (pactum, foedus) in der Ausbildung der „heiligen“ Gemeinschaften (für Althusius die „symbiotischen heiligen Lebensgemeinschaften“). Die besondere Betonung, die sie erfährt, und die von Miegge in seiner Einleitung zu Recht hervorgehoben wurde und im

36 Miegge betont zurecht, dass die Politica „sicher das zentrale Bindeglied der konstitutionalistischen Theorie von ihrer Entfaltung im späten Mittelalter bis zu John Locke“ ist. Vgl. Miegge, Introduzione zu Walzer: La rivoluzione dei santi (FN 31), S. 21. 37 Vgl. Skinner: Le origini del pensiero politico moderno (FN 5), Bd. II, S. 488 f. 38 Vgl. Walzer, The Revolution 1974 (FN 31), (ital. Ausg., S. 311, 337).

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vorliegenden Band unter dem Stichwort mutua communicatio39 Berücksichtigung findet, verbindet das Werk von Walzer mit der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung zur Föderaltheologie, die in Perry Miller einen ihrer Urheber hat40. Diejenigen, die diese Interpretationslinie fortgesetzt haben, haben in den letzten Jahren das „Protoföderalistische“ des Althusius wieder aufgewertet.41 Es handelt sich um das Problem der „Vertragstheologie“ (dazu unten der Artikel zu Symbiosis). Sie ist als notwendige und zentrale Voraussetzung der Politica immer mitzudenken, auch wenn sie in den ersten Kapiteln – offensichtlich aufgrund der von Althusius angeführten Motive für die Autonomie und Unabhängigkeit der „Politica“ – nicht explizit behandelt wird. Der biblische Archetyp des Vertrags zwischen Gott und dem Menschen, zwischen Gott und seinem Volk und dann in anderer Form zwischen dem Volk und seinem Magistrat ist das, was hinter dem calvinistischen Bund zwischen den Heiligen sowohl bei Althusius steht, als auch im Puritanismus, wie ihn Walzer beschrieben hat. Er war der Anlass für den Aufruf, Republiken von „Heiligen“ zu bilden42. Mutatis mutandis kann man auf den Emdener Syndikus und Verfasser der dritten Ausgabe der Politica, auf Althusius, das anwenden, was Walzer von den Puritanern schreibt: „In der Politik wie in der Religion waren die Heiligen Leute der Opposition und ihre primäre Aufgabe bestand in der Zerstörung der traditionellen Ordnung. Aber danach waren sie mit der konkreten Reform der menschlichen Gesellschaft befasst, mit der Schaffung eines Holy Commonwealth, in dem verantwortliches Handeln gefördert und sogar gefordert werden sollte. Die Heiligen sahen sich als göttliche Instrumente an, und ihre Politik war die von Zerstörern, Architekten und Konstrukteuren, die hart an der politischen Welt arbeiteten. Sie lehnten es ab, jeden inhärenten oder natürlichen Widerstand gegen ihre Arbeiten anzuerkennen. Sie behandelten jedes Hindernis als ein weiteres Beispiel für den unerschöpflichen Erfindergeist des Teufels und brachten all ihre Energie, ihre Vorstellungskraft und ihre Fähigkeiten zusammen auf, um sie zu überwinden. Weil ihre Arbeit Zusammenarbeit nötig machte, organisierten sie sich, um sie erfolgreich durchzuführen, und sie taten sich mit all jenen Männern zusammen, die ihnen helfen konnten, ohne Rücksicht auf alte Familienbande oder Nachbarschaftsbeziehungen. Sie waren auf der Suche

39 Ebd., S. 21 f. Trotzdem ist darauf hinzuweisen, dass auch Zwierlein und Ingravalle auf die enge Verbindung aufmerksam machen, die zwischen den Termini populus, respublica und jus symbioticum besteht. Zwierlein betont ganz richtig den „prätheologischen“ Charakter der Verbindung „heilig-symbiotisch“, der im Unterschied zum Luthertum die Möglichkeit präfiguriert, über Republiken von Heiligen das Reich Gottes auf Erden in gewissem Maße Wirklichkeit werden zu lassen. 40 Vgl. P. Miller, The New England Mind: The Seventeenth Century, New York 1939. 41 Vgl. C. S. McCoy / J. W. Baker, Fountainhead of Federalism. Heinrich Bullinger and the Covenantal Tradition, Louisville / Kentucky 1991. Dort auf S. 7: „The efforts of persons like Gottlob Schrenk in Europe and Carl. J. Friedrich and Perry Miller in the United Sates to recover the federal tradition are impressive.“ 42 Vgl. dazu G. Spini, Il pensiero politico americano dalle origini al federalismo, in: Storia delle idee politiche economiche sociali, diretto da L. Firpo, Turin 1980, IV, Bd. I, S. 445 – 447. Ferner C. Malandrino, Teologia federale, passim.

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nach „Brüdern“, und wenn es nötig war, wandten sie sich von ihren Verwandten ab; sie waren auf der Suche nach Leidenschaft und nicht nach persönlichen Affekten. Auf diese Weise entstanden Ligen und Bündnisse, die Konferenzen und Zusammenkünfte, die die Prototypen der revolutionären Regelungen abgeben. In ihnen wurde das gute Werk vorangetrieben; zugleich wurden neue Heilige herangebildet und für ihre unermüdliche Arbeit abgehärtet.“43

Man kann hinzufügen, dass Althusius als Jurist, der ein Bewusstsein für die Erfordernisse institutioneller Kontinuität hatte, sich der zentrierenden Praxis des Territorialprinzips auch im Namen der traditionellen Prinzipien widersetzte, die die Verhältnisse zwischen den universitates des Reichs regelten; allerdings interpretierte er diese Prinzipien im Sinne der Föderaltheologie in ihrer Anwendbarkeit nicht auf das religiöse Handeln, sondern auf das soziopolitische Agieren. Analog dazu interpretierte der unabhängige Puritanismus im Sinne seiner religiösen Wahrheit die „antiken Freiheiten“, die das von Karl I. versuchte administrative Zentralisieren offen bedrohten. Wenn wir diesen Abschnitt abschließen, der das Ziel hat, die Aufmerksamkeit auf die volle Bedeutung des Begriffs „Politica“ in der Konzeption des Althusius zu lenken, so scheint es uns, dass diese „Politica“ nur im Kontext der „Zweiten Reformation“ gesehen werden kann, im Zusammenhang jener ungeheuerlichen Anstrengung, die von den calvinistischen Gemeinden aufgewendet wurde, um ihr Recht auf politischen Teilhabe unter Aufrechterhaltung der Grundlagen ihres Glaubens geltend zu machen. Es handelt sich dabei um eine militante Konzeption, die für Althusius notwendigerweise die Voraussetzung der symbiosis haben muss, um eine von den Auserwählten empfundene vocatio als umfassende, die menschliche und soziale Aktivität begründende Handlung zu realisieren. Es ist klar, dass sich Althusius der durchlässigen Grenzen von der Theologie zur Ethik und von dieser zur Politik und schließlich zum Recht voll bewusst war. Jede dieser Disziplinen hat ihre Autonomie, was aber nicht heißt, dass es zwischen ihnen keinen Zusammenhang und keine Verbindung gibt. Die Autonomie, die Althusius im Sinne hat, ist nicht die der Amoralität der Politik Machiavellis und auch nicht jene, die von den Techniken der Staatsraison vorgeschrieben wird. Dennoch kann man nicht wie Duso behaupten, dass sich Althusius deshalb in einer Gedankenwelt bewegt, die von der mittelalterlichen Ordnung der Dinge beherrscht ist. Althusius teilt nicht mehr die universalistische Sicht der respublica christiana, auch wenn er die theoretische und präskriptive Tragweite der ausgearbeiteten Lehrkonzeptionen zu universalisieren versucht. Er weiß aber sehr genau, dass sie absolute Geltung haben mussten, auch wenn man sie nicht für alle zur Anwendung bringen kann, weil nicht alle „berufen“ sind. Hinter dem deutschen Juristen steht die tiefe und tragische Bedeutung der Prädestination. Deshalb bewegt auch er sich wie die von Walzer erwähnten Puritaner in einer Gegenrichtung zu der traditionell naturalistischen und 43

Vgl. Walzer, The Revolution of the Saints 1974 (FN 31), S. 3 (ital. Ausg., S. 39).

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aristotelischen Vision der Natur und der Welt, ist aber zugleich Meister darin, die neuscholastische Lehre für seine Zwecke zu nutzen. Sie fallen aber nicht mit der Neuscholastik in eins. Abschließend kann man also sagen: Wenn seine Definition der Politik und der Vertragslehre absolut nichts mit der modernen Naturrechtslehre im Sinne der Achse Hobbes-Rousseau zu tun haben kann, macht das ipso facto aus ihm noch lange keinen Vertreter einer noch spätmittelalterlichen Denkrichtung. Seine Bedeutung der „Politik“ ist gerade aufgrund der proklamierten Forderung der „Heiligkeit“ der Symbiose paradoxerweise modernisierend insofern er die politische und zivilisierende Sicht einer Konfession verteidigen und schaffen will, die sich „nur“ als Wahl des Heute anbietet, im Gegensatz zu jener antiken, jener von gestern. Damit soll keineswegs der Anspruch erhoben werden, dass er am Anfang einer anderen liberalen, toleranten Moderne steht, die von Erasmus bis zu Grotius und Locke reicht, von Namen und Werten bestimmt ist, die nicht der Welt der Politica angehören. 5. Ein derartiger Schluss verortet Althusius wieder im geistigen Umfeld der radikalsten Strömungen des politischen Calvinismus, wenn auch mit dem ausgesprochenen grundlegenden Respekt gegenüber der technischen und begrifflichen Autonomie der Politik (wie auch des Rechts). Zu diesem Schluss gibt auf der anderen Seite auch die enge religiöse und politische Freundschaft Anlass, die er zusammen mit den Calvinisten von Herborn und Emden den dogmatischeren und rigoroseren Strömungen des holländischen Calvinismus, den so genannten Gomaristen entgegenbrachte, die auf der Synode von Dordrecht 1618 – 1619 die Oberhand über die „Remonstranten“ gewannen, die von Conrad Vorstius und Grotius angeführt wurden. Einige Bemerkungen zu diesem entscheidenden Punkt erscheinen notwendig, zumal er von den Althusiusforschern nicht in ausreichendem Maße behandelt, vertieft und geklärt wurde, mit Ausnahme vielleicht hinsichtlich einzelner Aspekte, auf die Friedrich im Rahmen seiner Einleitung von 1932 eingeht44, weshalb es ein Forschungsgebiet ist, das zum großen Teil noch zu bearbeiten ist. Hinsichtlich der dramatischen Gegenüberstellung zwischen calvinistischer Orthodoxie, die energisch in der Theologie des Franciscus Gomarus vertreten wird, und den Initiativen, die in den „erasmianischen“ Vorschlägen von Arminius und des Arminianismus gipfelten (und auf politischer Ebene auf die tragisch endende Konfrontation zwischen Moritz von Oranien und Oldenbarneveldt konzentriert war) für all die Jahre im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert in dem begrenzten Gebiet zwischen dem Rheinland, Norddeutschland und den Niederlanden, reicht es hier auf die glänzenden Ausführungen von Giorgio Spini hinzuweisen und auf seine historisch-politische Interpretation dieser Ereignisse. Spini schreibt: 44 Vgl. Friedrich, Introductory Remarks, in: Althusius, Politica (FN 1), S. XVIII, XXII, XLI. Natürlich ist dies Gegenstand einiger Beiträge, die allerdings nicht den hier vorgeschlagenen Interpretationslinien folgen. Vgl. O. Moorman van Kappen, Die Niederlande in der „Politica“ des Johannes Althusius, in: Politische Theorie des J.A. (FN 3), S. 123 – 146.

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„Jenseits des komplizierten Spiels mit den theologischen Formeln, jenseits der oftmals kleinlichen Tricksereien der beiden rivalisierenden Fraktionen ist die Partie von einer Größenordnung, die die Statur der mit ihr befassten Personen übertrifft. Den Calvinismus in Sachen Prädestinationslehre zu schlagen, das heißt die Natur gegenüber der Gnade zu erhöhen, kommt auf politischem und sozialem Gebiet dem gleich, das revolutionäre Ferment zu entkräften, das heißt, davon das Quantum an egalitärem animus zu zerstören, der dann besteht, wenn man den letzten der Plebejer dazu autorisiert, sich aufgrund von Gottes unergründlicher Wahl dem berühmtesten unter den Patriziern gleich zu fühlen und das naturalistisch-hierarchische Prinzip umgekehrt wieder aufzurichten. Das große holländische Bürgertum, das sich nunmehr als geschlossene Kaste gebärdet und danach strebt, sich nach Art aristokratischer Geschlechter zu perpetuieren und die Sache des arminianischen Irenismus zu verschieben, stellt sich auf das Feld des konservativen Protestantismus, so wie es Jacob I. und die deutschen lutherischen Duodezfürsten tun. Wenn sie schließlich siegt, wird der letzte Staat aus Europa verschwinden, der sich auf die eine oder andere Weise der These des höfischen Pazifismus der spanischen Politik widersetzt. Nachdem Heinrich IV. in Ravaillac erdolcht und der englische König niedergedrückt ist, kann sich die Hegemonie der Habsburger ohne Widerstand auf dem Kontinent ausbreiten. Die ungehobelten gomaristischen Leute aus dem Volk, die den Arminianern vorwerfen, das Vaterland an die Spanier zu verkaufen, treffen mit dieser Behauptung mit der schrecklichen Hellsichtigkeit der einfachen Leute ins Schwarze, wie auch jene englischen Puritaner, die morgen den Stuarts vorwerfen werden, ein ,arminianisches Herz‘ zu haben.“45

Die calvinistischen Gemeinschaften in Herborn und Emden sind aktiv in diese Frontstellungen eingebunden. In Emden sind zu dieser Zeit Theologen und Pastoren tätig, die eng mit Gomarus verbunden sind, wie Sibrandus Lubbertus (ein Schüler und Freund von Beza, der nach seinem Aufenthalt in Emden Theologe in Franeker in Ostfriesland wurde) und der holländische Pastor und Prediger von Emden Menso Alting mit dem latinisierten Namen Altingius.46 In West- und Ostfriesland ist der calvinistische Historiker von Groningen Ubbo Emmius besonders aktiv, ein Verteidiger der Unabhängigkeit von Emden und Remostrantenhasser, der ein gemeinsamer Freund von Alting und Althusius war.47 Es handelt sich um Vgl. Spini, Storia dell’età moderna (FN 35), Bd. II., S. 516 – 520, Zitat: S. 519 f. Vgl. die vielleicht etwas veraltete Untersuchung, die aber weiterhin als Referenzwerk für diesen Gegenstand ist, von H. Klugkist Hesse, Menso Alting. Eine Gestalt aus der Kampfzeit der kalvinistischen Kirche, Berlin 1928. 47 Vgl. H. Brugmans / F. Wechter (Hrsg.), Briefwechsel des Ubbo Emmius, 2 Bde., Aurich 1911, passim. Im Brief vom 6. Juni 1607 (ebd., Bd. 1, S. 329) schreibt Emmius an Lubbertus: „Intellexi a vobis vocatum ad docendum jus Johannem Althusium, Reip. Emdnae Syndicum, virum sane consultissimum atque optimum“, wobei er sich auf einen (auch unter ökonomischen Aspekten) verlockenden Ruf von Althusius an die Universität von Franeker bezieht, die Althusius ablehnte, um sein Werk in Emden fortsetzen zu können. In der Tat durchlebte Emden zu dieser Zeit schwere Krisenjahre, die durch die Angriffe des Grafen Enno III. von Friesland und die Initiativen seiner englischen und dänischen Alliierten gekennzeichnet waren. Am 20. September 1607 schreibt Althusius an Emmius, während er sich in Den Haag aufhält, um an den Verhandlungen zwischen Emden und dem Grafen teilzunehmen, die unter 45 46

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einen „gomaristischen“ Kreis, der in den theologischen und politischen Diskussionen der Zeit, die gleichzeitig ideologische und politische Polemiken waren, äußerst einflussreich ist. Das zeigen ihre Briefwechsel und Schriften, denen an anderem Ort erneute und ausführliche Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Die Politica ist voller rigoristischer Bezüge zur Lehre und zum Kult, wie man sehr gut den Beiträgen von Lucia Bianchin zu Censura und Justitia entnehmen kann, in denen ethisch-religiöse Probleme eingehender behandelt werden. Außerdem ist Althusius seit seiner Herborner Zeit ein Bewunderer von Gomarus, so dass er sogar in der Widmung der Admonitio panegyrica an seinen jungen Schüler Tobias Mierbek aus Antwerpen die freundschaftliche Beziehung zu dem „großen Theologen Franciscus Gomarus“ von der Universität von Leyden erwähnt. Außerdem gibt es einige Briefe, in denen Althusius seine Unterstützung der gomaristischen Thesen von Lubbertus gegen die Arminianer Grotius und Vorstius klar zum Ausdruck bringt. Am 7. Dezember 1611 schreibt Althusius an Lubbertus: „Scriptum tuum reverende et carissime vir Domine et amice collende contra Vorstium legi“. Es handelt sich dabei um die Polemik des Franeker Theologen gegen seinen gleichnamigen Nachfolger auf dem Lehrstuhl des Arminius in Leyden, der ebenfalls der sozinianischen Häresie verdächtigt wurde. Die Schrift handelte über das Problem des Supralapsarismus-Infralapsarismus in der Prädestination.48 Die Wahl der Position von Althusius, der sich Lubbertus gegenüber als „totus tuus“ bekennt, ist unmissverständlich zugunsten von Lubbertus und gegen den arminianischen Autor gerichtet: „Gavisus sum et Deo gratias egi qui Vorstii blasphemias et orrenda dogmata atque errores in lucem protraxerit, et viri hujus in ecclesia Dei machinationes detexerit“49. Nachdem er seinen Freund Lubbertus gebeten hatte, weiterhin wachsam zu sein und sich „jener Pest und jenem Pestgeschwür“50 entgegenzustellen, schlägt ihm der Syndikus von Emden seine Mitarbeit im Kampf vor und bietet ihm auch im Namen des Emdener Predigers Alting an, ihm die Briefe zukommen zu lassen, die Vorstius dem Herborner Theologen und Bibelübersetzer Johannes Piscator über der Garantie einerseits der holländischen Generalstaaten (den Verteidigern von Emden) und andererseits der Gesandten der Könige von England und Dänemark standen: „De statu vero patriae merito doleo [ . . . ] Vix nam pejor esse potest, qui nec ipso intereat, adeo ut etiam in mora juvandi nos, periculum esse possit. Nec tamen bonj deserent caussam bonam. [ . . . ] Vereor nam ne Britannus et Danus de non deserendo affine et cognate, aliquid ad Ordines scripserint: vel saltem Ordinum actiones haec in negotio improbaverint.“ 48 Vgl. Declaratio responsionis D. Conradi Vorstii, scripta a Sibrando Lubberto ad [ . . . ] ordines generales foederatorum provinciarum Belgica, Franekerae, Excudebat AE. Radaeus, 1611. 49 Vgl. die Briefe, die in Appendix II zur Einleitung von Friedrich zur Politica von 1932 abgedruckt sind (FN 1), S. CXXVII. 50 Mit fast denselben Worten und fast gleichzeitig charakterisiert Ubbo Emmius die Arminianer – und Vorstius im Besonderen (vgl. Briefwechsel, a. a. O., Bd. II., S. 130): „Quod utinam Deus Optimus Maximus custos ab ecclesia sua avertat, & potius pestem, quam illi ecclesiae moliuntur, vertat in capita ipsorum authorum.“

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das Problem der Rechtfertigung geschrieben hatte, in dem er diesem seinen Irrtum gegenüber der Orthodoxie gestanden hatte51. Diese Formen von Häresie sind für Althusius „fructus nimiae illius licentiae et libertatis Belgicae et gubernationis illius ad popularem statum declinantis“. Wie könnte man in diesen Worten nicht ein Zeichen für die perfekte ideologische und politische Koordination erkennen, deren militärische Führung in der Tradition der Allianz zwischen Nassau und Oranien Moritz von Oranien innehatte, die Althusius seit den Herborner Zeiten vertraut war, als er Berater von Johannes dem Älteren, dem Onkel von Moritz von Oranien war? Der äußerst grausame Krieg gegen die Spanier hat nach dem Waffenstillstand von 1609 nicht rechtzeitig aufgehört, sodass sofort – setzt Althusius hinzu – Belgien „impiis et blasphemis hisce horrendis haeresibus involvitur et secum conflictari incipit“ 52. Deshalb muss man unablässig aufmerksam sein und zu Gott beten, um den „cultum sincerum a corruptelis et haeresibus“ zu schützen. Es ist notwendig, nachdrücklich auf die fortwährende Besorgnis von Althusius hinsichtlich der calvinistischen Dogmatik während der ersten 15 Jahre seines Aufenthalts in Emden hinzuweisen, die notwendigerweise ihren Reflex in einer unermüdlichen ideologischen Besorgnis in genau den Jahren hat, in denen er die Politica einer tiefgreifenden Revision unterzieht. Dem Verfasser erscheint es offensichtlich und durch Fakten belegt, dass ein derartiger psychologischer Druck die neue Ausarbeitung des Traktats unter dem Vorzeichen einer größeren Anhänglichkeit an die „reinen“ oder unter Glaubensaspekten orthodoxen Voraussetzungen des politischen Calvinismus bedingt hat. Zudem gibt es zahlreiche Briefe an Lubbertus, die diese Vermutung bestätigen. Am 8. Oktober 1613 schreibt Althusius an Lubbertus, dass er vom calvinistischen Rektor des Gymnasium illustre von Bremen, Matthias Martinius, ein kleines Werk erhalten hat, dem zu entnehmen ist, dass Vorstius in seiner „blasphemischen Heterodoxie“53 fortfährt. Am 9. Januar 1614, dem Jahr der dritten Auflage der Politica, schreibt Althusius an seinen friesischen Freund aus Franeker: „Vidi ego et legi et Vorstii paraenesin, vel potius maledicentiam et Grotii pietatem, vel potius injustitiam et adulationem. Quod utrique paraveris responsionem, bene fecisti“.54 Zur theologischen Polemik gegen Vorstius Zu dieser Episode vgl. Klugkist Hesse, Menso Alting (FN 46), S. 270 – 279. Vgl. Appendix II zur Einleitung von Friedrich zur Politica (FN 1), Brief 12, S. CXXVIII. 53 Ebd., Brief 13. 54 Ebd., Brief 14, S. CXXIX. Althusius bezieht sich hier auf die folgenden neuen Arbeiten: von Sibrandus Lubbertus, Commentarii ad nonaginta novem errores Conradi Vorstii, Frankerae Frisiorum, Ex officina U.D. Balck, 1613 und ders., Responsio ad Pietatem Hugonis Grotii, Franquerae, excudebat R. Doyema, 1614. Der Verweis auf die „Grotii Pietas“ bezieht sich auf das Werk Ordinum Hollandiae ac Westfrisiae pietas ab improbissimis multorum calumniis, praesertim vero a nupera Sibrandi Lubberti epistola quam ad reverendissimum archiepiscopum cantuariensem scripsit, vindicata per Hugonem Grotium, Lugduni Batavorum, Exudit J. Patius, 1613, ein Werk, das im selben Jahr auch, von J. Paets in Leyden herausgebracht, auf französisch erschien. 51 52

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kommt die gegen Grotius hinzu, der in der Zwischenzeit auf juristisch-politischem Gebiet zum Hauptmitarbeiter von Oldenbarneveldt geworden war und dies nach Dordrecht mit der Verurteilung zu lebenslänglicher Kerkerhaft bezahlen wird. Althusius versichert Lubbertus seines persönlichen Beistands und sagt seine Unterstützung der Kirche und der res publica von Emden in der Verteidigung der orthodoxen Lehren zu, und er versichert, das er sich dafür einsetzen wird, dass seine Briefe den Brüdern von Bremen zugehen werden. Er schließt mit den Worten: „Deus te in doctrinae orthodoxae defensione donis suis locupletet, robur tum animi tum corporis largiatur“. Diese Ausdrucksweise ist der des radikalen Puritanismus, den Walzer behandelt, sehr nahe. Noch am 20. November desselben Jahres, als sich der Kampf zuspitzt, der schließlich zur Abrechnung von Dordrecht und zur Enthauptung des Großen Pensionärs Oldenbarneveldt führt, bestätigt er Lubbertus, dass man auch in Emden über seine Anzeige der „Grotii pietas“ nachdenkt, sowie über die Konsequenzen hinsichtlich eventueller Schädigungen der Rechte der politischen und akademischen Autoritäten von Leiden, die von seinen Gegnern geltend gemacht wurden, und erklärt: „Ego nihil in hoc tuo apologetico libello inveni, quod summi magistratus majestati et juri derogat: nihil quod defensionem et curam religionis impediat: nihil quod autoritati et potestati curatorum Academiae Leidensis, deroget; nihil quod orthodoxiae atque sanae et sincerae doctrinae, quae traditur in reformatis ecclesiis Germaniae, Galliae, Helvetiae sit contrarium“. Wie man sieht, deckt er damit das ganze Geflecht von wahrem Glauben, Majestätsrechten und symbiotischen Recht ab, das im holländischen Mikrokosmos verwirklicht wurde; eine Verteidigung, die von einem berühmten Juristen wie Althusius und einer der größten Autoritäten des „Genfs des Nordens“ kam, musste den Freund beruhigen und ihn in der Fortführung des Kampfs gegen den Arminianismus bestärken. Ich glaube, dass die hier geschilderten Umstände dazu anregen müssten, über den Einfluss nachzudenken, den die religiösen Kontroversen auf die Ausarbeitung des Traktats von Althusius hatten. Wenn sogar Locke als Bewahrer arminianischer Sensibilität, die in der Mäßigung seines politischen Projekts zum Ausdruck kommt, nach fast einem Jahrhundert, nach der Glorious Revolution und in der ausgereiften Vorstellung von einer religiösen „Toleranz“ trotzdem noch immer die dringende Notwendigkeit empfindet, ein Werk über die „Vernünftigkeit des Christentums“ zu schreiben, um mit theologischer Akribie die infralapsarinischen Thesen zurückzuweisen55, dann stelle man sich erst die schreckliche Spannung vor, die die Welt des Althusius dreißig Jahre vor Beginn der Englischen Revolution bestimmte, eine Welt, die mit feindlichen Einfällen von allen Seiten beschäftigt war und damit, die „Häresie“ aus ihrem Inneren zu entfernen. Die oben zitierte Interpretation von Spini wird der historisch-modernen allgemeinen politischen Bedeutung dieser theoretischen Diskussionen hinreichend 55 Vgl. A. Sabetti (Hrsg.), J. Locke, La ragionevolezza del cristianesimo (1695), Florenz 1976, S. 106, 109, 113, 117 – 119, 135.

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gerecht. Trotzdem darf hier auch eine andere Recherche- und Studienrichtung nicht unter den Tisch gekehrt werden, die in den letzten 25 Jahren das Interesse an diesen Ereignissen wieder geweckt hat und auf den Begriff des „Republikanismus“ zuschneidet (und auch diese Einzelheit, die sowohl unter historiographischem als auch politischem Gesichtspunkt unter dem Stichwort Respublica von Cornel Zwierlein hervorragend gewürdigt wird, ruft uns die Werke von Skinner und Pocock ins Gedächtnis). Das Werk des Althusius muss auch unter diesem interpretativen Gesichtspunkt gesehen werden, zumal es sich vollkommen in den Bereich des „calvinistischen Republikanismus“ der Städte und des Protoföderalismus einfügt. Es gibt zahlreiche maßgebliche Arbeiten, die in diese Richtung gehen.56 Althusius wurde von Herzog Enno III. von Ostfriesland als graue Eminenz des Projekts bezeichnet, Emden in eine souveräne städtische Republik mit einem Bündnis mit den holländischen Provinzen zu verwandeln57. Diese Hypothese müsste natürlich mit weiteren Recherchen besser historisch verifiziert werden – besonders im Hinblick auf die wenig erforschte letzte Phase seiner Amtszeit als Syndikus zwischen den 1620er und 1630er Jahren. Gewiss dachte Althusius nicht an souveräne „städtische Republiken“ im vollen modernen Sinn des Wortes. Man müsste auch – wie Zwierlein und Lea Campos Boralevi zurecht meinen – mehr die unersetzbare Rolle berücksichtigen, die der biblische Archetyp der Respublica Hebraeorum für den „Protorepublikanismus“ des Althusius spielte. Trotzdem: Man muss sagen, dass die Politica mit großen thematischen Erweiterungen im Hinblick auf die bürgerlichen universitates, auf Stadt- und Provinzrecht (worüber Angelo Torre im vorliegenden Band ausführlich handelt, wobei er den Stoff mit dem Einfluss von Losaeus in Verbindung bringt) bemerkenswerte Anhaltspunkte bietet, die auf eine Orientierung in Richtung auf ein immer stärkeres Anerkennen bestimmter Ausmaße an „kommunaler“ republikanischer Autonomie hinweisen.

56 Vgl. H. Ehbrecht (Hrsg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, Köln / Wien, 1980; M. Van Gelderen, A Political Theory of the Dutch Revolt and the Vindiciae Contra Tyrannos, in: Il Pensiero politico 19 (1986), S. 163 – 181; ders.: The Political Thought of the Dutch Revolt 1555 – 1590, Cambridge 1992; P. Blickle: Kommunalismus und Republikanismus in Oberdeutschland, in: H. G. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit, München 1988, S. 57 – 76; H. Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus“? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums, ebd., S. 101 – 144; V. Conti (Hrsg.), Le ideologie della città europea dall’umanesimo al romanticismo, Florenz 1993; darin besonders: S. Mastellone, La città europea come spazio politico dal Quattrocento al Settecento, S. 3 – 16; M. A. Falchi Pellegrini, Tra teologia politica e ideologia. Le libere città imperiali in Martin Bucer, S. 149 – 162; V. Conti, La città anseatica di J. A. Werdenhagen, S. 265 – 278; P. Blickle, Die „consociation“ bei Johannes Althusius als Verarbeitung kommunaler Erfahrung, in: Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip (FN 7), S. 215 – 236. 57 Bezeichnenderweise ist dies die These, die von Enno III formuliert wurde, die von Antholz, Die politische Wirksamkeit des J. Althusius in Emden (FN 16), S. 152 f., wiedergegeben wird, als er Althusius vorwarf, „der Patron van di vrye republycke van Embden“ oder der Patron (aber auch Beschützer oder sogar Herr) von Emden zu sein.

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6. Nach diesen Ausführungen im Hinblick auf die Grundzüge einer Gesamtinterpretation der Politica, die den Herausgebern besonders am Herzen liegt, müssen noch kurz einige Punkte angesprochen werden, die die Grundzüge des politischen Denkens der Frühen Neuzeit betreffen, die im Traktat präsent sind, der sich als eine neue Wissenschaft von der respublica, vom Staat, bezeichnen lässt. Wenn die bisher besprochene Intention von Althusius‘ Werk als grundsätzlich calvinistisch erscheint, so bleibt doch bestehen, dass er seinen Traktat im „laienhaften“ Bewusstsein für den „technischen Charakter“ seines Stoffes, seiner Qualität als Kunst und Wissenschaft realisiert hat, der autonom über die Leitung der Gesellschaft und des Staates verfügt. Insofern versteht Althusius die Politica anders als dies traditionellerweise geschieht, wo das Recht als Disziplin verstanden wird, die das Gemeinwohl hervorbringt. Er weiß, dass das Recht Instrument der Politik ist. Die Einzelheiten dieser Konzeption, die abermals Züge eines „modernisierenden“ Willens aufweist, werden in den Begriffsartikeln im zweiten Teil des vorliegenden Bandes veranschaulicht, wie zum Beispiel im Beitrag zur Majestas und zur Tyrannis von Diego Quaglioni und zu den Ephori von Saffo Testoni Binetti, aus denen sowohl sehr schön deutlich wird, wie Althusius in der Tradition des antityrannischen Denkens verwurzelt ist, als auch, welche Neuerung er in die Systematisierung eingeführt hat. Dasselbe kann man vom gesamten politischen Profil des Althusius sagen, das in verschiedenen Beiträgen zum Ausdruck kommt: Hinsichtlich des Summus magistratus im Beitrag von Maria Antonietta Falchi Pellegrini, im Hinblick auf die Verwaltungswissenschaft im Beitrag zur Adminsitratio von Francesco Ingravalle oder für die Kunst der concordia conservanda, von der Anna Maria Lazzarino Del Grosso handelt, und im Hinblick auf die Betonung protoutilitaristischer Aspekte, die im Lemma Utilitas impliziert sind, das Salvo Mastellone behandelt. Die Lemmata der Diskurs-Begrifflichkeit stellen eine Art von grammatikalischen und syntaktischen Elementen der neuen politischen Wissenschaft dar, die Teil des „Diskurses“ von Althusius sind. Jedes von ihnen steht für eine Neuerung in der philologischen und theoretischen Untersuchung, die anhand der allgemeinen Hinweise, die im Rahmen der propädeutischen Treffen und Seminare gemacht wurden, bisweilen Definitionen vervollständigen oder bekräftigen, die teilweise bereits in früheren Untersuchungen zur Geschichtsschreibung zum politischen Denken des Althusius vorgenommen worden sind, wie beispielsweise die Beiträge Utilitas von Salvo Mastellone, Communicatio mutua von Mario Miegge und Mauro Povero, Methodus von Anna Maria Lazzarino Del Grosso, Jura majestatis und Tyrannis von Diego Quaglioni, Summus Magistratus von Maria Antonietta Falchi Pellegrini, Ephori von Saffo Testoni Binetti. Andere Beiträge sind inspiriert von grundlegend neuen Ansätzen, die auch durch die Auseinandersetzung mit Diskussionsbeiträgen angeregt wurden oder aus laufenden Forschungen hervorgingen; so wird hier der ein oder andere Beitrag vorgelegt, der mehr oder weniger tiefgreifend traditionelle Konzeptionen revidiert, wie es etwa im Beitrag Politica Judaica von Lea Campos Boralevi der Fall ist, wie auch in jenem zu Concordia-Harmonia, abermals von Lazzarino Del Grosso, Respublica-Politia und Consociatio von Cor-

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nel Zwierlein, Universitas von Angelo Torre, Censura und Justitia von Bianchin, Populus von Francesco Ingravalle, Symbiosis und Foedus von Corrado Malandrino. All diese „Worte“, die hier aus Gründen philologischer Genauigkeit lateinisch aufgeführt werden, werden mit einem Methodenarsenal behandelt, das einen festen gemeinsamen Kern hat, das aber bisweilen differenziert erscheint – je nach fachlicher Herkunft der Autoren, die mitunter an der Geschichte des juristischen Denkens, der Neueren Geschichte oder an der Geschichte des politisch-religiösen Denkens ausgerichtet sind. Allen Autoren gemeinsam ist aber die Absicht, eine kontextualisierende historisch-philologische Definition vorzulegen, die ein wertvolles Hilfsmittel für das Studium der Politica darstellt. Dies wird durch eine elastische Disposition des Stoffs erreicht, die den wissenschaftlichen und darstellerischen Neigungen der Autoren im Rahmen eines formalen Rasters von (bis auf einige Ausnahmen) fünf Punkten Rechnung trägt: 1) Die Gründe für die Relevanz des Begriffs, 2) die Analyse der Bedeutung der Vokabel, ihre Herkunft aus den antik-mittelalterlichen Hauptquellen und ihre Akzeptanz in der Kultur der Zeit, 3) die Häufigkeit des Terminus in der Politica und die Hauptverbindungen zu ähnlichen Begriffen, Synonymen oder gegensätzlichen Begriffen, 4) der Gebrauch und die Finalisierung des Begriffs in der Politica (hinsichtlich des politischen „Diskurses“ von Althusius), 5) Abschließende Betrachtungen, die mitunter einen synthetischen Bezug zur Relevanz des Begriffs in der Geschichtsschreibung des politischen Denkens und schließlich zu den wichtigsten Interpretationen umfassen. Durch dieses Vorgehen werden die philologischen, fraglichen und interpretativen Eigenheiten herausgestellt, die dazu beitragen, die politische Akzeptanz eines jeden Begriffs und seine jeweiligen Verbindungen zur Geschichte, zur politischen Theologie, zum Recht und zur Ethik festzuzurren. Leider ist aus Platz- und Zeitgründen, und aus Mangel an Verfügbarkeit der Kräfte das Verzeichnis der wichtigen „Begriffe“ der Politica weit davon entfernt, vollständig zu sein. Man hat sich hier in einem ersten Anlauf die Aufgabe gestellt, jene Begriffe zu untersuchen, denen nach Meinung der Herausgeber die größte Bedeutung zukommt. Es wird Forscher geben, die die Arbeiten mit Untersuchungen zu anderen Begriffen fortsetzen werden. Es gibt Begriffe, die Gelegenheit zu weiterer Vertiefung bieten, sei es auf Grundlage von Anregungen, die im vorliegenden Band gemacht werden, sei es um sie von den vorliegenden Lemmata abzuheben oder sie zu revidieren. Beispiele dafür sind: Admonitio, Collegium, Obligatio mutua, Politeuma, Provincia, Subsidium, Vocatio usw. Im Zusammenhang mit dem Lemma Subsidium (und Auxilium), für das im vorliegenden Buch nicht der gewünschte Verfasser gefunden werden konnte, scheint es uns nützlich, den letzten Abschnitt dieser einführenden Bemerkungen einer eingehenderen Würdigung dieses Aspekts zu widmen, der die Politica des Althusius in besonderer Weise zu einem Instrument der „Subsidiarität“ macht, wobei der Begriff nicht im begrenzten Sinn verstanden wird, den er im vergangenen Jahrhundert erhalten hat, der wörtlich nicht im Traktat selbst auftaucht, sondern im weiter gefassten philosophisch-politischen Sinne, der sich auf antik-aristotelische Fun-

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damente stützt und einen Umgang mit der Macht in einem Staat vorsieht, der der Komplexität der Gesellschaft und den Ebenen der Repräsentation und der Verwaltung Rechnung trägt.58 Auch hier erweist sich Althusius als Alternative zu einem „modernen“ Modus, die respublica zu denken, und er kann gleichsam als Vorwegnahme dessen definiert werden, was man heute mit dem hässlichen postmodernen Neologismus als „Regierung auf vielen Ebenen“ (governazione multilivello) bezeichnet. 7. Man kann in der Politica die Ausbildung eines Gedankengangs ausmachen, der mit der „Subsidiarität“ zusammenhängt, wenn man den Versuch unternimmt und sich auf der hier von Beginn an beschriebenen hermeneutischen Ebene bewegt. Es versteht sich von selbst, wie bereits gesagt wurde, dass sich im Traktat des Althusius keine Definition des „Prinzips der Subsidiarität“ findet, das die Formulierungen vorwegnehmen würde, die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die päpstlichen Enzykliken Rerum novarum und Quadragesimo anno Berühmtheit erlangt haben. Man kann aus ihm vielmehr eine Vision der Politik herauslesen, die als „Dienst“ verstanden wird (dazu der Beitrag AdministratioGubernatio von Ingravalle). Sie bewegt sich sowohl im Hinblick auf die Konstitution der einzelnen wie auch der allgemeinen Lebensgemeinschaften, als auch hinsichtlich der größeren, mehr oder weniger inklusiven Lebensgemeinschaften in ihrer Gesamtheit im Zeichen der Kategorie der subsidiären Hilfe. Diese Konzeption hat Althusius zum größten Teil genau zum Zeitpunkt der antiabsolutistischen Opposition des ersten Jahrzehnts seiner Zeit in Emden entwickelt, und sie wirkt sich auf die Erweiterungen der zweiten und dritten Fassung der Politica aus. Um dies nachzuweisen, ist es nötig, einige Passagen der Politica herauszugreifen und sie idealiter mit den historischen Begebenheiten in Verbindung zu bringen, die der Syndikus von Emden durchlebte. Doch zuvor erscheint es sinnvoll, einige allgemeine Überlegungen über das Konzept der „Subsidiarität“ und seinem Verhältnis zur Naturrechtslehre, beziehungsweise zu seiner philosophisch-politischen Ausrichtung anzustellen, die Althusius als über die Jahrhunderte hinweg tradiertes gedankliches Fundament teilte. Es wurde – allerdings ohne philologische Nachweise – behauptet, dass das Konzept der „Subsidiarität“ seit den Formulierungen des althusischen Protoföderalismus mit dem Föderalismus verbunden ist. Auch wenn der Begriff nicht auftaucht, sagt man, dass er „the body politic as made up of five groupings“ konzipierte: „two private (the family and the collegium) and three public (the city, the province, and the commonwealth). . . . Because he assigned responsabilities to each grouping on the basis of what he believed were the capacities of each body to discharge them, he is considered an early contributor to an understanding of the concept [der 58 Im Folgenden werden einige Überlegungen wiedergegeben, die im Artikel von Malandrino, Die Subsidiarität in der „Politica“ und in der politischen Praxis des Johannes Althusius in Emden, in: Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft, hrsg. von P. Blickle, Th. O. Hüglin, D. Wyduckel, Berlin, Duncker & Humblot, 2002, S. 248 – 258, formuliert wurden.

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„Subsidiarität“]“ 59. Das kann man unterschreiben. Um herauszufinden, ob (und in welcher Form) dieses Konzept wirklich bei Althusius vorkommt (einmal abgesehen davon, dass der Begriff nicht nachgewiesen werden kann), muss man sich allerdings allgemein die Frage stellen, welche Züge es jenseits seiner Kategorisierung im „Prinzip“ der sozialen und politisch-institutionellen Organisation hat, die im politischen Denken des Katholizismus des 19. Jahrhunderts aufkam und ob er wirklich schon in der Frühen Neuzeit substantiell nachgewiesen werden kann. Für die Formalisierung des politischen Konzepts der Subsidiarität ist es hilfreich, auf einige Studien zurückzugreifen, die sich mit eben der theoretischen Rekonstruktion des Konzepts und seinen Grenzen befassen60. Hier wird ganz richtig darauf hingewiesen, dass, wenn auch der Begriff der Subsidiarität der liberalen Tradition angehört, die theoretische Formulierung des „Prinzips der Subsidiarität“ vor allem seit Erscheinen der Enzykliken von Papst Leo XIII. (1891, Rerum novarum) und Pius XI. (1931, Quadragesimo anno) vorliegt – die dann von Johannes XXIII. in Mater et magistra (1961) und Pacem a terris (1963) und von Johannes Paul II. in Centesimus annus (1991) wieder aufgegriffen wurde – und die folgenden Wortlaut enthält: „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, dass das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen sei; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“61 Diese Formulierung, die unter philosophisch-politischem Gesichtspunkt auf dem aristotelischen Modell fußt, wie es in der christlichen Scholastik des Mittelalters ausgearbeitet wurde, kann man in verschiedene vorausgesetzte und explizite Elemente zerlegen: a) die Definition des Menschen und der Gruppengemeinschaften als natürliche, originäre, selbstgenügsame, autonome soziopolitische Subjekte, 59 Vgl. Breton / Cassone / Fraschini: Decentralization and Subsidiarity (FN 12), S. 21 f. Breton, Cassone und Fraschini stützen sich dabei auf L. Kühnhardt, Federalism and Subsidiarity, in: Telos 25 (1992), S. 77 ff. 60 Vgl. über die bereits angeführten speziellen Texte hinaus C. Millon-Delsol, L’État subsidiaire, Paris 1992; C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, Köln / Berlin / Bonn / München 1992; A. Danese, Il federalismo. Cenni storici e implicazioni politiche, Rom 1995, S. 100 – 131; C. Du Granrut, La citoyenneté européenne. Une application du principe de subsidiarité, Paris 1997. 61 Zitat, angeführt bei Danese, Federalismo (FN 60), S. 194 und bei Stewing, Subsidiarität und Föderalismus (FN 60), S. 7 f. Danese führt auch den folgenden Passus von Centesimus annus an: „Eine übergeordnete Gesellschaft darf nicht in das Leben einer untergeordneten Gesellschaft eingreifen und sie so ihrer Kompetenzen berauben, sondern muss sie vielmehr in einer Notlage unterstützen und ihr dabei helfen, ihre Handlung mit der der anderen sozialen Komponenten im Hinblick auf das gemeinsame Gut zu koordinieren.“

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b) die Forderung ihrer juristischen und politischen Befähigung zur Selbstverwaltung hinsichtlich der höheren Verwaltung des Staates, c) der hilfsmäßige und nicht verbindliche Charakter der Unterstützungsaktion von Seiten staatlicher Aktivität in all dem, das in die Sphäre lokaler Kompetenz fällt. Die theoretische Ausarbeitung geht deshalb von der Voraussetzung aus, dass jede soziale und staatliche Handlung ihrer Natur nach subsidiär sein muss und dass sie besonders von Seiten der höheren Einheiten des Staates und der Gesellschaft hinsichtlich der niederen Gemeinschaften einen zusätzlich unterstützenden und wohltätigen Wert darstellt, wenn diese nicht aus eigener Kraft bestimmte Funktionen erfüllen können, die ihre Fähigkeiten übersteigen. Das Prinzip kann daher wie folgt zusammengefasst werden: All das, was ein Individuum oder untergeordnete Gruppen selbständig tun können, muss ihnen zu tun gestattet werden und die höhere institutionelle Ebene darf zu ihrer Aufrechterhaltung und Unterstützung in allen Bereichen nur in dem Maße eingreifen, wie ein Mangel in den operativen Möglichkeiten und in den speziellen Kompetenzen der niederen Ebene besteht. Von unten aus betrachtet erscheint die Subsidiarität als Legitimation der Befähigung zur Selbstregierung der niederen Gemeinschaften, was die lokalen und eigenen Funktionen angeht. Aus Sicht dieser Gemeinschaften, muss sich das Eingreifen der höheren institutionellen Ebenen als Unterstützung in all dem erweisen, das – wenn auch lokaler Natur – Kraftanstrengungen mit sich bringen kann, die sie alleine nicht vollständig aufbringen können oder das eine notwendige Abstimmung mit anderen lokalen Entitäten notwendig macht. Von oben gesehen kennzeichnet die Subsidiarität den Hilfscharakter des staatlichen Eingreifens, sicherlich nicht, was die eigenen Kompetenzen anbelangt, sondern im Hinblick auf die Anlässe, aus denen die lokalen Autoritäten sie hinzuziehen. Den höheren Institutionen wird die Anerkennung der Befähigungen und der Machtbereiche der unteren Institutionen abverlangt. Genau dieses Prinzip erhält im Zusammenhang mit der Machtverteilung und der Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen in den föderalen Systemen große Bedeutung, und das sowohl im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den infranationalen und nationalen Beziehungen wie auch in gleichem Maße für die nationalen und übernationalen Beziehungen. Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen Jahren im Rahmen der Bestimmung der Verhältnisse zwischen europäischen Staaten und der EU nach dem Vertrag von Maastricht, dieses Prinzip wieder lanciert wurde.62 Millon-Delsol und besonders Stewing weisen auf die theoretische Herkunft des Konzepts der Subsidiarität – als ein soziopolitisches Organisationsprinzip – lange vor dem 19. Jahrhundert hin, bis hin zum Denken des Aristoteles und der naturrechtlichen Scholastik des Mittelalters, angefangen bei Thomas von Aquin, und dann im 16. Jahrhundert wieder aufgegriffen sowohl im spanischen neoscholasti62 Vgl. Hueglin, Early Modern concepts (FN 6), S. 156 – 158: F. Ingravalle, Principio di sussidiarietà, potere sussidiario e ,popolo europeo‘, in: C. Malandrino (Hrsg.), Un popolo per l’Europa unita. Fra dibattito storico e nuove prospettive teoriche e politiche. Presentazione di D. Velo, Florenz 2004, S. 123 – 139.

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schen Denken als auch in der Reformation. Gemäß dieser Konzeptionen gehört die Macht, seine eigenen Ziele autonom zu verwirklichen und im Staat Kooperation solidarisch zu geben und zu erhalten, der Sphäre der natürlichen Rechte des Menschen und der sozialen Gemeinschaften an. An dieser Stelle wird auch Althusius aufgeführt, dessen enge Verbindungen mit dem Naturrecht und den Denkern der spanischen Neoscholastik im Übrigen von der Geschichtsschreibung bereits herausgestellt worden sind63. Nachdem Stewing festgestellt hat, dass das Prinzip der Subsidiarität im sozialen Föderalismus ein angemessenes Anwendungsfeld findet, ist er der Auffassung, dass „nach der Lehre des Althusius [ . . . ] jeder Verband als ein wahres und originäres Gemeinwesen aus sich selbst ein besonderes Gemeinleben und eine eigene Rechtssphäre [schöpfte]. Diese Rechtssphäre blieb jedoch von dem höheren Verband nur insoweit angetastet, als dieser es zur sinnvollen Erreichung seiner eigenen Zwecke benötigte“64. Aus diesem Blickwinkel heraus, unterstreicht Stewing, „bedeutet Subsidiarität die materielle Ausfüllung der Föderalismusidee“65 und der Föderalismus wiederum liefert eine Prämisse und eine organisatorische Stütze für die Subsidiarität, insofern sie verhindert, dass sich ein Monopol der Macht und des Rechts in Händen der höheren Institutionen des Staates bildet. Es genügt allerdings nicht, allgemein ein Vorhandensein der „Subsidiarität“ im Denken des Althusius festzustellen. Man muss in Ermangelung des spezifischen Begriffs genaue Bezüge zu einer Sicht der Subsidiarität finden, die auf der einen Seite als Respektieren der Autonomie der niederen und speziellen Lebensgemeinschaften und auf der anderen Seite als Bestätigung eines subsidiären Eingreifens von den höheren Lebensgemeinschaften verstanden wird; und vor allem muss man eine historische Verbindung zwischen diesen Bezügen und dem antiabsolutistischen Kampf in Emden unter Beweis stellen. Es ist gelegentlich schon einmal betont worden, dass die kräftige Bestätigung der Fähigkeiten zur Selbstverwaltung dem althusischen System der symbiotischen privaten und öffentlichen, speziellen und allgemeinen consociationes wesenseigen ist. Nicht deshalb hat man die tiefe Verbindung mit der Problematik der Subsidiarität erfasst. Meiner Meinung nach ist vielmehr hervorzuheben, dass die Subsidiarität als implizites Kriterium der Regulierung der Verhältnisse zwischen den politisch-administrativen Ebenen, die den verschiedenen Formen öffentlicher Zusammenschlüsse korrespondieren, in das System des Althusius eingegangen ist. Die mehrmals verwendete Metapher der respublica als corpus66 (im physiologisch-politischen Sinne), der aus verschiedenen 63 Vgl. E. Reibstein, Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca, Karlsruhe 1955; P. J. Winters, Die „Politik“ des J. Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen, Freiburg i. Br 1963. Millon-Delsol, L’État subsidiaire (FN 60), S. 47 – 60 ordnet das Denken des Althusius in diesen Kontext ein, wobei sie sogar ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Althusius und der katholischen Lehre des W. E. von Ketteler (S. 129) herstellt – etwas, was mir diskutierbar erscheint. 64 Vgl. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus (FN 60), S. 24. 65 Vgl. ebd., S. 26.

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Gliedern zusammengesetzt ist, ist symptomatisch für die althusische Art und Weise, die symbiotische Gemeinschaft zu konzipieren. Die Metapher unterstreicht die Autonomie der Glieder genauso wie ihre Zugehörigkeit zum Körper. Die Beziehung zwischen dem Wohlergehen der Glieder und dem des corpus produziert eine Zirkularität, die mit der communicatio zusammenfällt. Dies ist der Kern der „impliziten Subsidiarität“ bei Althusius. Gierke erinnert zum Beispiel im 19. Jahrhundert daran, dass jede niedere Vereinigung als wirklich originäre Gemeinschaft das Recht auf ein eigenes spezifisches gesellschaftliches Leben und auf eine eigene juristische Sphäre der Selbstverwaltung hat, die auf die Umsetzung spezieller Ziele ausgerichtet ist, eine Sphäre, die von den höheren Zusammenschlüssen nicht verletzt werden darf67. Winters weist auf die „autarke Selbstverwaltungskörperschaft“ hin68. Wyduckel unterstricht, dass Althusius den städtischen civitates das juristisch-administrative Requisit der Autonomie zuweist, das sich in der Fähigkeit der „Eigenständigkeit“ ausdrückt, oder jenes Requisit der Fähigkeit, auf Grundlage der eigenen Kräfte und Gesetze zu leben und seinerseits „nur deshalb Einschränkungen unterliegt, weil die Stadt nicht für sich allein existiert, sondern einem größeren Verbande angehört, der auch für sie den rechtlichen und politischen Gesamtrahmen darstellt“69. Hueglin schreibt, dass eben jener „integrale Föderalismus“ von Althusius einen nicht-zentralistischen und administrativen Charakter hat. Das heißt vor allem, dass die höchste – die zentrale – Ebene der Verwaltungsbürokratie sich nicht der lokalen Verwaltung überordnet, „sondern dort eingreift, wo die administrativen Erfordernisse über die Möglichkeiten der Autoregulierung des speziellen Kontexts hinausgehen“70. Man könnte weitere Zitate anführen, aber das, was hier zu betonen von Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass keiner dieser und anderer Autoren (mit erst jüngst der Ausnahme Hueglins) nach meinem Wissen den Rückbezug auf eine althusische Konzeption der „Subsidiarität“ deutlich herausgestellt hat. Und dabei ist sie doch der geeignete Rahmen, in den die föderativen Handlungen der sozialen und politischen Verhältnisse zwischen niederen und höheren Gemeinschaften gefasst werden 66 Vgl. in diesem Zusammenhang die scharfsichtigen Bemerkungen von P. Costa, Civitas. Storia della cittadinanza in Europa, 1. Dalla civiltà comunale al Settecento, Rom / Bari 1999, S. 9 ff. Zu Althusius vgl. S. 88 – 97. 67 Vgl. O. von Gierke, G. Althusius e lo sviluppo storico delle teorie politiche giusnaturalistische, Turin 1943, S. 187. Über die aufschlussreiche Verbindung zwischen Teilnahme an der Regierung der respublica und Antiabsolutismus hat ausführlich gehandelt R. v. Friedeburg, Reformed Monarcomachism and the genre oft he „Politica“ in the Empire. The „Politica“ of J. Althusius and the meaning of hierarchy in its constitutional and conceptual context, in: Archivio della ragion di Stato 1998, S. 129 – 153. 68 Vgl. Winters, Die „Politik“ des J. Althusius (FN 63), S. 201. 69 Vgl. D. Wyduckel, Föderalismus als rechtliches und politisches Gestaltungsprinzip bei J. Althusius und J. C. Calhoun, in: Konsens und Konsoziation (FN 2), S. 267. 70 Vgl. Hueglin, Sozietaler Föderalismus (FN 6), S. 146.

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können. Tatsächlich kann man aufgrund der Lektüre des althusischen Texts Folgendes feststellen: a) die privaten und öffentlichen, speziellen und allgemeinen consociationes werden auf den verschiedenen Ebenen dank der Hilfe eingerichtet, die von den sie bildenden Gliedern geleistet wird, b) die niederen Zusammenschlüsse sind legitimerweise kompetent in der Selbstverwaltung, die Gegenstände, Mitglieder und zugehörigen Orte betrifft, c) die universalen politischen Zusammenschlüsse kümmern sich mit Zustimmung der Mitglieder um die allgemeinen Angelegenheiten, die die erweiterte Symbiose garantieren müssen, wobei sie unterstützend bei all denjenigen Angelegenheiten eingreifen, die den selbstverwaltenden Möglichkeiten der niederen Zusammenschlüsse entgehen, d) in den wichtigsten Angelegenheiten muss der oberste Magistrat die Zustimmung der Stände haben, die nichts anderes als die Vertreter der niederen Zusammenschlüsse sind, die so die eigene Macht der Selbstverwaltung und der Kontrolle schützen. Schauen wir nun, was in der Politica geschrieben steht. 8. Beginnen wir mit den Worten des sechsten Kapitels, das den ersten großen Unterschied zwischen der ersten Ausgabe von 1603 und den nachfolgenden von 1610 und 1614 aufweist. Man wird sich nämlich daran erinnern, dass in der ersten Ausgabe der Politica das sechste Kapitel den „legibus fondamentalibus regni et jure majestatis ecclesiastico“ gewidmet war, mit anderen Worten dem Stoff, der in den folgenden Ausgaben erst ab dem neunten Kapitel behandelt wird. Wenn wir die dritte Ausgabe untersuchen, dann können wir feststellen, dass ganze drei Kapitel hinzugefügt worden sind – das sechste, das siebente und das achte – und dass sie allesamt den Städten und den Provinzen gewidmet sind, ihrem Recht der communicatio und ihrer Verwaltung. Gerade zwischen diesen Neuerungen in der Theorie und den antiabsolutistischen Erfahrungen, die Althusius in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Emden aufgebaut hat, stellt sich auf deutliche Weise eine enge Verbindung her. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass Althusius bereits im ersten Kapitel (§ 7) in der Auflistung der allgemeinen politischen Prinzipien, die der Definition des symbiotischen Lebens unterstehen, bei der Bezeichnung des Anwendungsbereich der communicatio mutua innerhalb jeder Art von Zusammenschluss feststellt, dass eines seiner Ziele die Selbstgenügsamkeit (á§ôÜρκåιá) des Lebens eben dieser Gemeinschaft ist. Im fünften Kapitel (§ 4) unterstreicht er noch einmal, dass die Zusammenschlüsse jeglichen Grades für die Selbstgenügsamkeit in dem Maße immer größere Beihilfe und Unterstützung benötigen, wie ihre Ausweitung fortschreitet. Im sechsten Kapitel, das den „verschiedenen Stadttypen und der Gemeinschaft der Bürger“ gewidmet ist, sind die Verfügungen in den Paragraphen 15 bis 17 hervorzuheben, die das Konzept der symbiotischen Selbstgenügsamkeit in einer Weise vervollständigen, die starke Anklänge an das erste der oben angeführten Elemente der Subsidiarität hat, oder jenes der Selbstgenügsamkeit und Autonomie, die beide den zusammengeschlossenen Gruppen natürlich und eigen sind. Althusius schreibt, dass das políteuma, das das symbiotische Recht der Stadt darstellt, aus eben dieser Gemeinsamkeit von Dingen, Werken und Rechten der Bürger und

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der unter ihnen bestehenden Eintracht hervorgeht, die auf die symbiotische Selbstgenügsamkeit ausgerichtet sind. Und er fährt fort, dass auf dieselbe Weise, wie der Mensch als „Mikrokosmos“ identifiziert wird, auch die Städte und die kleinen Republiken ihre Angelegenheiten analog behandeln, wie diese in den Provinzen und im Reich geschieht. Diese Art von Gemeinschaft wird aufgrund ihrer Bedeutung als „civitatis nervus“ bezeichnet. Dieses Prinzip wird in gleichem Maße auf die symbiotische Gemeinschaft der städtischen universitas wie auf ihre Verwaltung von den Dingen, die in ihren Kompetenzbereich fallen, angewandt, die Althusius im Übrigen in den folgenden Paragrafen aufzählt. Es scheint mir wichtig, diese Passage hervorzuheben, die mit entscheidenden Worten das Konzept der selbstgenügsamen Verwaltung-Regierung der städtischen Gemeinschaften im Bereich der lokalen Dinge in seinen Grundzügen wiedergibt.71 Hier wird das Prinzip bestätigt, dass ein niederer politischer Körper von seiner eigenen intimen Konstitution und seinen wichtigen Finalitäten her autorisiert ist, die eigenen Kompetenzen auf der Ebene der Gemeinsamkeit der Rechte und der Verwaltung autonom zu verhandeln und zu Ende zu bringen. In Paragraf 30 des sechsten Kapitels stellt Althusius die Handelnden und die Hauptgegenstände der lokalen Verwaltung zusammen: „Politica negotia civitatis, quae usum vitae hujus, á§ôÜρκåιáí, atque summatim ea, quae in tabula secunda Decalogi continentur, concernunt, administrant, judices, senatores, consiliarii, syndici, censores, quaestores aerarii, praefecti publicis operibus, curatores viarum publicarum, portuum, aedificiorum, murorum, et aliorum operum publicorum et rerum universitatis, aediles cereales, praefecti urbis, vigilum et alii similes.“ Trotzdem bleibt Althusius nicht bei dem Konzept der Autarkie stehen, das auf juristischer Ebene eine begrenzte und instrumentelle Bedeutung hat; er bringt die politischen Charakteristiken der „Autonomie“ klar zum Ausdruck, die den Stadtregierungen zugeschrieben werden, auch wenn sie einen „Oberen“ anerkennen. Nachdem er – sicher mit Blick auf das öffentliche Leben der Stadt Emden – betont hat, dass den Bürgern auch die Bürgerrechte, Privilegien, Statuten und die Begünstigungen übertragen worden sind, die die Stadt groß machen und ihr Ansehen verleihen, fügt er in Paragraf 41 hinzu: „Quo refero etiam jus territorii, á§ôïíïìßáí et usum regalium, aliaque jura publica cum jurisdictione et imperio, quae civitas etiam agnoscens superiorem, suo proprio jure habere, et certis pactis superiori suo magistratui alias subesse potest, vel etiam prorsus libera, nullum praeter Caesarem superiorem agnoscens“. Man beachte: Dieses starke Betonen der Autonomie auch für Provinzstädte ist nicht als Forderung nach einem eigenen Recht auf Souveränität zu verstehen, das niemanden über sich anerkennen würde, so als ob Althusius wirklich an eine Stadt denken würde, die mit den Attributen der Macht versehen wäre, wie es bestimmte Darstellungen tun, die ihn zu einem Unterstützer von vor71 Nicht von ungefähr spricht Friedrich in der Einleitung zu J. Althusius, Politica methodice digesta (FN 1), S. LXXXVII von selfgovernment und decentralization. Vgl. auch C. J. Friedrich, J. Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975.

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geblichen republikanischen oder bürgerlichen Souveränitäten machen72. So ist es keineswegs, zumindest nicht in seiner politischen Theorie. Tatsächlich präzisiert er in Paragraf 42 seine diesbezüglichen Ausführungen dahingehend, dass man in diesen Fällen von Autonomie und nicht von Souveränität sprechen muss: „Personalia jura principum, civitates hae habere non possunt [ . . . ] neque universalem jurisdictionem extra territorium [ . . . ]. In politia Judaica et aliorum populorum olim civitates suam autonomiam, politiam et regem proprium habuisse constat“. Nachdem er diese Unterscheidungen getroffen hat, die den Diskurs wieder auf den Weg der Anerkennung der Autonomie der bürgerlichen Regierung zurückführen, zählt Althusius in den folgenden Paragrafen die Gegenstände auf, in denen die autonome selbstverwaltende Kompetenz umgesetzt wird. Althusius hat nicht die Absicht, an der Spitze der Regierung einer Stadt oder des Landes die Präsenz eines praeses auszuschließen, der im Fall von Ostriesland entweder der Herzog oder ein Stellvertreter von diesem sein kann, vorausgesetzt, dass sie die eingeforderten Rechte der Autarkie und Autonomie der von ihnen Verwalteten respektieren. Es stimmt nämlich, dass Althusius in Paragraf 48 (immer noch des sechsten Kapitels) schreibt: „Administratio et directio horum jurium et communicationis, quae est in universitate, consensu ejusdem demandata est collegio senatus, [ . . . ] cui in municipalibus civitatibus [oder in Emden oder ähnlichen Städten, wie Althusius wenig später in § 52 zu verstehen gibt] praest provinciae praeses, seu superior, vel nomine ipsius, illius vicarius“. Wenn man also ausgehend von den Zitaten von Althusius vorübergehend einen Schlussstrich unter das bisher behandelte Thema ziehen will, dann denkt unser Autor an eine Selbstregierung der universitates, die wirklich jene Eigenständigkeit umsetzen würde, die Wyduckel betont hat. Diese Befähigung der autonomen Regierung, die eine positive Verbindung mit den oberen Verwaltungsinstanzen nicht ausschließt, sondern sogar fordert, entspricht genau dem ersten Teil der Konzeption der Subsidiarität, wie sie oben definiert wurde oder jener, die die Legitimierung der Handlung der Selbstregierung der unteren Ebenen betrifft. In dieser Hinsicht ist auch das siebte Kapitel folgerichtig, das die rechtliche Gemeinschaft und die Verwaltung der Provinzen betrifft, das analoge Zielsetzungen wie die âιÜρκåιá, die κïιíïðρáîßá und die á§ôÜρκåιá wieder zum Vorschlag bringt. Der zweite Teil des Konzeption der Subsidiarität, der die Definition des Verhaltens der oberen Ebenen gemäß der Zugehörigkeit zu den Hilfskriterien und nicht das autoritäre Eingreifen betrifft, ist den Ausführungen von Althusius im wichtigen achten Kapitel zu entnehmen, das der Verwaltung des Provinzrechts gewidmet ist, und jenen im neunten Kapitel, das das Souveränitätsrecht behandelt. Im achten Kapitel wird nämlich in aller Klarheit die doppelte Verwaltungsebene erklärt, die Sache der Stände und des Provinzvorstehers ist, die zusammen „die gesamte Pro72 Vgl. Antholz, Die politische Wirksamkeit (FN 16), S. 178 und M. Behnen, „Status regiminis provinciae“. Althusius und die „Freie Republik Emden“ in Ostfriesland, in: Konsens und Konsoziation (FN 2), S. 152.

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vinz repräsentieren“. Deshalb ist eine faktische Vorrangstellung des praeses (in Friesland des Grafen) ausgeschlossen. Dieser muss dann in Anwendung der eigenen Rechte des Vorsitzes, wie es für den obersten Magistrat vorgeschrieben ist, dazu bewegt werden, in Situationen der Not und der Bedürftigkeit aller Symbioten, Hilfe zu leisten, um die „eorundem commoda“ zu befördern. Er muss also dem Imperativ des öffentlichen Wohls Folge leisten und darf nicht nach Maßgabe persönlicher Machtinteressen handeln73, er ist zum Eingreifen verpflichtet, wenn die Verträge vorsehen, dass er die Rechte und die Freiheiten der Untertanen verteidigt. Wenn dies nicht geschieht und der Magistrat sich tyrannisch in dem Sinne verhält, dass er in egoistischer Weise die eigenen Aufgabenbereiche der Verwaltung verletzt, dann sind schlagartig alle Vorschriften für die Ephoren in Kraft, die den Widerstand gegen die Tyrannis zum Ziel haben. Der Widerstand kann also anhand der bis hierher entwickelten Argumentationsgänge als eine Antwort von unten auf den mangelnden Respekt von Seiten des Magistrats gegenüber dem Verständnis der Verwaltung der politía gemäß dem bis hierher dargelegten Geist der Subsidiarität interpretiert werden. Es ist folglich offensichtlich, dass für Althusius die zentrale Stellung der „Wissenschaft der Akkorde“74 und sein Versuch, Punkt für Punkt den Verstößen entgegenzuwirken, die der Graf von Ostfriesland begangen hat, in diesen Kontext einzuordnen ist. Die Bezugnahme auf den antiabsolutistischen Kampf des Althusius führt uns auf diese Weise wieder zum zentralen Diskurs der Politica und seiner Interpretation zurück und damit zur Absicht des vorliegenden Sammelbandes, der politischen Kontextualisierung des althusischen „Diskurses“ mehr Raum zu geben, wobei die offensichtlichen Verbindungen zur Sprache sowie der Logik der Antike und des Mittelalters bestehen bleiben. Trotzdem betonen wir, dass die Neuerungen von Althusius mehr beachtet und besser bewertet werden müssen – angefangen bei der „Metamorphose der Vollständigkeit der Macht bis hin zur Pflege und Verwaltung des Staates“, auf die Quaglioni in seinem Beitrag über die Majestas (siehe unten) eingeht. Wir alle stimmen mit Duso und Hueglin darin überein, dass Althusius nicht „part of the classical canon of political modernity“ ist. Aber dies scheint uns insofern nicht wichtig, als die Politica – wie uns Hueglin immer ins Gedächtnis ruft – „can very much be seen as having a place in modernity“. Es handelt sich eben um eine andere Moderne, die sich von der von Hobbes unterscheidet. Dies ist der kritische (und auf taktvolle Weise polemische) Argumentationsstrang, der im ersten Teil entwickelt wird. Im zweiten Teil möchte der vorliegende Band eine Lupe zur Verfügung stellen, um die Begrifflichkeit des „politischen Diskurses des Althusius“ besser fokussieren zu können, zumal er einen Faktor in der Wiederentdeckung der „Genealogie“ und der „Dekonstruktion“ des protomodernen deutschen politischen Calvinismus darstellt. Dies geht von der Voraussetzung aus, dass Althusius sich genauestens um eine lexikalische und linguistische Recherche Vgl. Winters: Die „Politik“ des J. Althusius (FN 63), S. 231. Dazu vgl. H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands. Die Verträge von 1595 bis 1611, Aurich 1974. 73 74

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bemühte, die im Rahmen der ramistischen Methode erfolgte. Es geht also darum, ihm die gehörige Anerkennung zukommen zu lassen. Und es geht folgerichtig darum, sich die Frage nach der Möglichkeit eines legitimen Gebrauchs der Ideen der Politica in der Epoche der „Postmoderne“ zu stellen, von der man (besonders Duso), wie zu sehen war, im Hinblick auf die zukünftige Ordnung des geeinten Europa gesprochen hat, oder – noch weiter gefasst – im Hinblick auf jenes auf globaler Ebene föderalistische grand design, von dem Elazar gesprochen hat.75

75 D. J. Elazar, Constitutionalizing Globalization. The Postmodern Revival of Confederal Arrangement, Lanham / Boulder / New York / Oxford 1998. Ich danke Francesco Ingravalle und Cornel Zwierlein für ihre hilfreichen bibliographischen Hinweise.

Erster Teil

Einführung und kritische Diskussion der Politica

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Die kritische Rezeption der Politica in Italien 1. Vorbemerkung In Italien setzt die monographische Würdigung der Politica Ende der 1970er Jahre ein; der erste Band, der ausschließlich dem Hauptwerk des Althusius gewidmet ist, erschien 1995 und erst seit der Mitte der 1990er Jahre kann man von einer gewissen Begeisterung für Althusius-Studien in Italien sprechen, auch wenn die grundlegende Monographie von O. Gierke, deren dritte Auflage von 1913 stammt, wenn auch ohne Anmerkungsapparat bereits 1943 auf Initiative von N. Bobbio und A. Giolitti übersetzt worden ist (wobei letzterer die Übersetzung besorgt hat)1 und Übersichtswerke zur Geschichte des politischen Denkens oder einiger besonders wichtiger Themen dieser Geschichte offensichtlich nicht stillschweigend über das theoretische Werk des Syndikus von Emden hinweggegangen sind. Bis in die 1970er Jahre ist das Referenzwerk für jegliche Auseinandersetzung mit der Politica die Monografie Gierkes – mit nur ganz seltenen Ausnahmen, die entweder auf die Interpretation des Werks bezogen sind, wie sie C.-J. Friedrich 1932 vorgeschlagen hat2 oder von dieser unabhängig sind: Die Politica ist ein „Werk auf der Grenze“ zwischen mittelalterlichem Rechtsnaturalismus, calvinistischem Monarchomachentum und rousseauscher Theorie der Volkssouveränität. Seit Mitte der 1990er Jahre erlangt der Einsatz für die Interpretation der Politica eine nie geahnte Konsistenz – sei es aufgrund der Interpretation Friedrichs, sei es, weil der Ansatz der Begriffsgeschichte in Italien Verbreitung gefunden hat, deren Anfänge in die frühen 1970er Jahre datieren3, oder sei es Folge der Entwicklung 1 Vgl. O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (1880, dritte Auflage 1913), hier herangezogen in der Ausgabe Breslau 1902. Italienische Übersetzung: Giovanni Althusius e lo sviluppo storico delle teorie politiche giusnaturalistische, Turin 1974. 2 Vgl. J. Althusius, Politica methodice digesta. Herausgegeben von C.-J. Friedrich, Cambridge 1932; die Einleitung Friedrichs (Introductory Remarks) auf den Seiten XV– XCIX. Die bemerkenswerteste Ausnahme bildet die Rezension von A. Passerin d‘Entrèves mit dem Titel „Althusio e il problema metodologico nella storia della filosofia politica e giuridica“, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 14 (1934), nachgedruckt in: G. M. Bravo (Hg.), Saggi di storia del pensiero politico, Mailand 1992, S. 243 – 257. 3 Sie setzte mit der Übersetzung des Werks von O. Brunner (Neue Wege der Verfassungsund Sozialgeschichte) von 1968 ein, in Italien herausgegeben von P. Schiera mit dem Titel: Per una nuova storia costituzionale e sociale, Mailand 1970.

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von kritischen Untersuchungen zur Verbindung von Althusius mit der „Föderaltheologie“4. Dieser Einsatz weist Züge einer neuen Interpretation der Moderne im Lichte der Probleme der „Postmoderne“ auf. Während die Begriffsgeschichte immer mehr die Vormodernität des Werks von Althusius betont5 (die der Denkachse Bodin-Hobbes-Rousseau gegenübergestellt wird), integriert der andere Ansatz zunehmend diese Sicht und legt die Verbindungen offen, die Althusius mit der Föderaltheologie, der Vertragstheologie hat6 und bringt sie letztlich wohldurchdacht in eine gedankliche Abfolge des politischen Denkens, das konzeptionell und historisch mit den wichtigsten Strömungen des modernen föderalitischen Denkens verbunden ist. Die Politica des Althusius befindet sich somit nicht mehr nur an der Grenze zur Moderne, die mit der Achse Bodin-Hobbes-Rousseu benannt wird, sonder steht – wenn auch über mehrere Vermittlungsinstanzen – in einer ungebrochenen Folge mit einer „anderen Moderne“: jener, die mit der Kritik der administrativen Zentralisierung und den Projekten für einen freiheitlichen Staat identisch ist. Wenn es zulässig ist, über das Verständnis der Staatlichkeit, das auf die Achse Bodin-Hobbes-Rousseau zurückgeht, zu sagen, dass es in Folge der Krise der Souveränität des Nationalstaats, einer Krise, die von der Globalisierung hervorgerufen wurde, zur Diskussion gestellt wurde, dann gestaltet sich die Lektüre der Politica (ein Werk, das der bodinschen Sicht der Souveränität deutlich entgegengesetzt ist und dem die idealen Voraussetzungen, die in die Naturrechtslehre eines Hobbes und eines Rousseau einmünden, fremd sind) angesichts des Szenarios der Postmoderne als die eines heuristischen Arsenals: Und der interpretatorische Blick richtet sich entweder auf das, was in der Politica prämodern ist, oder auf das, was in ihr auf die „andere Moderne“ hinweist. Beide Blicke auf das Werk schließen sich nicht notwendigerweise aus: Aus einer möglichen Verbindung der beiden würde sich das Bild einer doppelten politischen Moderne ergeben; Zentralisation und Föderalismus wären die leitenden Gedanken, mit einem deutlichen Fortschritt gegenüber Konfigurationen der Moderne, die dazu tendieren, sie als vollkommen dem Prozess der Zentralisierung der Verwaltung und dem Prozess der Formulierung der diesbezüglichen Theorien homologisiert darzustellen. Die Geschichte der italienischen Rezeption der Politica ist auch die Geschichte dieses Prozesses, der dahin gelangt, die Grenzen der Rekonstruktion des Denkens eines Autors zu überwinden, der mit seinem Werk heute zu den Eckpfeilern des politischen Denkens 4 Vgl. C. Malandrino, Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 32 (1999), S. 427 – 446; ders., Politische Theorie und Föderaltheologie, in: F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel, (Hrsg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie. Beiträge des Symposiums zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603 – 2003, Berlin 2004, S. 123 – 142; für eine Schilderung der historisch-konzeptionellen Prämissen der hier angeführten Untersuchungen vgl. ders., Sovranità nazionale e pensiero critico federalista. Dall’Europa degli Stati all’umnione federale possibile, in: Quaderni Fiorentini. Per la storia del pensiero giuridico moderno 31 (2002), S. 169 – 244. 5 Vgl. G. Duso, Althusius. Pensatore per una società post-moderna?, in: Filosofia Politica 4 (1990), S. 163 – 175. 6 Dazu vgl. S. Strehle, Calvinism, Federalism and Scholasticism. A Study of the Reformed Doctrine of Covenant, Bern / Frankfurt am Main / New York / Paris 1988.

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der Frühmoderne zählt. In dieser Geschichte ist ein bestimmter Abschnitt für die Handbuchliteratur reserviert, denn sie spiegelt am meisten die maßgeblichsten interpretativen Paradigmen der jeweiligen Zeit wider und trägt dazu bei, das Panorama der Gesamtrezeption eines Autors zusammenzusetzen. Der terminus a quo der italienischen Rezeption der Politica ist das decretum, das Kardinal Roberto Bellarmino am 22. Oktober 1619 unterzeichnete und mit dem das Werk in den Index librorum prohibitorum unter die Bücher aufgenommen wurde, die „quam plurimis erroribus, atque haeresibus scatentes“ sind7. Interessanterweise gibt die Enciclopedia cattolica, die 1948 in Florenz herausgebracht wurde, unter dem Lemma Althusius an, dass die Politica nicht auf den Index gesetzt wurde. Der Verfasser des Eintrags, C. Testore, behauptet ferner, dass die Dicaeologica, das andere große juristische Werk des Althusius, mit Dekret vom 16. März 1621 „wegen der irrigen Vorstellungen hinsichtlich des Autoritätsprinzips“ auf den Index gesetzt wurde, was er damit veranschaulicht, dass er eine nicht ganz fehlerfreie Kurzfassung der Zusammenfassung der Politica und Dicaeologica von Gierke vornimmt?8. Der Name Althusius tauchte aus dem Schweigen, das ihn umgab, 1860 wieder auf: in der Bibliographie politique der Histoire de la raison d’Etat von G. Ferrari,9 wo er allerdings zu „Jean Althenius“ entstellt wird. Auch der Titel des Werks, das in der Herborner Ausgabe von 1603 zitiert wird, erscheint verunstaltet: Politices (sic) methodice digesta. Der Verfasser führt in der Bibliografia, die seinem Corso sugli scrittori politici italiani10 beigegeben ist, wiederholt den Namen Altusius an, und diesmal korrekt. Dennoch benutzt oder bespricht Ferrari das Werk des Althusius weder in seiner Histoire noch in seinem Corso. In der Zeit zwischen 1619 und 1860 und jener zwischen 1860 und 1910 / 1911, dem Jahr, in dem die Storia del diritto naturale von G. de Montemayor veröffentlicht wurde, scheint also in Italien der Mantel absoluten Schweigens über Althusius gebereitet gewesen zu sein. Und dennoch verzeichnet die von Scupin, Scheuner und Wyduckel herausgegebene Althusius-Bibliographie über fünfzehn Exemplare der Politica in italienischen Bibliotheken: Zwei Exemplare der Ausgabe von 1603, drei jener aus Arnheim von 1610, sechs von jener aus Groningen von 1610, vier Exemplare der Auflage von 1614, eines der aus Arnheim von 1617 und zwei der Ausgabe von 162511. Eine Untersuchung über die Provenienz dieser Exemplae 7 Librorum post indicem Clementis VIII prohibitorum decreta, omnia hactenus edita, Romae, Ex Typogr. Ren. Camp. Apost., 1624, S. 91. 8 Vgl. Gierke, Johannes Althusius (FN 1), ital. Ausg., S. 43 – 50 und 59 f. 9 Vgl. G. Ferrari, Histoire de la raison d’Etat, Paris 1860. Nachdruck: Paris 1992. 10 G. Ferrari, Corso sugli scrittori politici italiani, den wir in der Ausgabe zitieren, die von A. O. Olivetti herausgegeben und eingeleitet wurde: Mailand 1929, S. 598; der Titel von Althusius‘ Werk wird dort trotzdem weiterhin mit Politices methodice digesta angegeben. 11 Vgl. U. Scupin / U. Scheuner / D. Wyduckel (Hrsg.), Althusiusbibliographie, Berlin 1973, S. 2 – 5. Man beachte, dass hinsichtlich des Exemplars der Arnheimer Ausgabe in der Biblio-

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könnte vielleicht kleine, womöglich engste Kreise von Liebhabern der Politica zu Tage fördern; aber das politische Denken in Italien scheint von diesem großartigen Werk nicht beeinflusst worden zu sein. Das Interesse für die Politica in Italien ist wohl gegenwärtig am größten. Hier können nun drei Epochen der Rezeption der Politica benannt werden: Vorgeschichte: Das in die Geschichte des Naturrechts eingeordnete Werk stellt im Sinne Gierkes ein Glied in der Kette dar, die von Marsilio zu Rousseau reicht. Frühgeschichte: Es verfestigt sich die Tendenz, der zufolge die Aufmerksamkeit mehr auf die innere Struktur des Werks und auf die Frage nach seinen Quellen gerichtet wird, eine Richtung der Forschung, die sich immer mehr von Gierke loslöst und in einzelnen Fällen bereits leicht von Friedrich beeinflusst wird. Geschichte: Sie erfolgt auf der einen Seite auf der Linie der Begriffsgeschichte; auf der anderen Seite erhält sie Anregungen aus der Auseinandersetzung mit Th. O. Hueglin (Sozietaler Föderalismus)12, wobei zwei potentiell komplementäre Erfordernisse ausgemacht werden: das konzeptuelle Netz der Politica ist mit dem Ziel zu untersuchen, die historisch-institutionellen Bezugspunkte aufzudecken (die gesellschaftliche Schichtung des Staates), wobei die Spannungen zu erforschen sind, die in gewissem Maße über diese historisch-institutionellen Bezugspunkte hinausgehen und uns aufgrund ihrer Fremdheit gegenüber der modernen politischen Wissenschaft angesichts der aktuellen Krise der modernen Konzeption der Souveränität „hermeneutische“ Anregungen geben könnten.

2. Vorgeschichte In dieser Phase der Rezeption der Politica ist die Aussage wie die des Juristen de Montemayor, der Autor der Politica bilde „eine Brücke zwischen Buchanan und Milton, vor allem aber zwischen Marsilius von Padua und Rousseau“, bei den Forschern, die sich als erste in Italien auch mit Althusius befasst haben, ein Gemeinplatz. Althusius würde „den Gesellschaftsvertrag“ ansehen als „Ursprung mehr der sozialen oder juristischen Konstitution denn der Politik der Menschheit und der Unentfremdbarkeit / Unentziehbarkeit der politischen Rechte des Volkes, die die Charakteristiken der Politik Rousseaus ausmachen“ und die man bereits in der Politica des Althusius mit „mathematischer Genauigkeit“ dargelegt finde.13 F. Ercole teca Estense in Modena die Herausgeber anmerken (S. 3): „Nicht vollständig erhaltenes Exemplar. Es ist nicht festzustellen, ob es sich um die Ausgabe Arnheim 1610, Groningen 1610 oder Arnheim 1617 handelt“. 12 Vgl. T. O. Hueglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin / New York 1991. 13 Vgl. G. De Montemayor, Storia del diritto natural, Mailand / Palermo / Neapel 1910 – 1911, S. 279 f. De Montemayor bezieht sich auf die Ausgabe der Politica von 1603. Montemayor hat im Rahmen seiner Geschichte des politischen Denkens folgende Werke veröffent-

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scheint auf den wenigen Seiten, auf denen er Althusius im Zusammenhang mit dem demokratischen Prinzip erwähnt, mit Montemayor übereinzustimmen, nach dem „das Volk seinem Herrn nur den Gebrauch und die Verwaltung seiner eigenen, ihm nicht entfremdbaren / entziehbaren? Souveränität überträgt, und natürlich die Ausübung der Macht demjenigen jederzeit wieder entziehen kann, der gegen seinen Willen oder seine Interessen handelt“14 – ein Prinzip, das auch von den Monarchomachen und von Coluccio Salutati in seinem Traktat De tyranno vertreten wird. Eine interessante Lesart auch im Hinblick auf das Werk von Gierke, das für die vorangegangenen Interpreten den Bezugspunkt bildete, liefert der Jurist E. Crosa 191515. Crosa ordnet Althusius in den Entwicklungsprozess der „modernen Konzeption der individuellen Rechte“ in ihrem Verhältnis zum Prinzip der Volkssouveränität ein; dabei hebt er allerdings die antiindividualistische Bedeutung des althusischen Konzepts des Gründungsvertrags der Lebensgemeinschaft hervor und unterscheidet es vom Konzept des Vertrages als „individuelle Konvention“ wie sie Salamonius kennt, der bekannter Maßen eine der grundlegenden Quellen der Politica des Althusius ist, und wie es von Juan de Mariana vertreten wird.16 Nach der Auffassung von Crosa folgt daraus eine Art von nicht individualistischer Vertragslehre, dank derer das Individuum immer als Mitglied einer societas (Familie, Korporationen) angesehen wird, als von Natur her politisches Wesen, das aufgrund eines nicht bereits zwischen einzelnen sondern zwischen universitates abgeschlossenen Bündnisses mit anderen zusammengeschlossen ist. Der Eintrag Althusius in der Enciclopedia itliana von 1929, der von dem Philosophiehistoriker A. Ferro besorgt wurde, legt den Akzent auf die Eigenschaft des Althusius als Vorläufer „bei der Verteidigung der zivilen und religiösen Freiheit“ und hebt damit auf ein Thema ab, das in der vorangehenden kritischen Würdigung des Althusius nicht herausgestellt wurde. Im Gegensatz zu Gierke und De Montemayor schließt G. Mosca17 aus, dass die Politica als Vorläuferin des Contrat social aufgefasst werden kann, weil Althusius licht: G. B. Vico e la concezione materialistica della storia del diritto, in: Atti del congresso nazionale di Scienze Storiche, IX, sez. V, Rom 1903; Per il secondo centenario della „Scienza Nuova“ die G. B. Vico, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto, 1925; La politica di Vico e quella del Croce, in: Educazione politica, 2 – 6 (1926). Einen analogen Passus zu dem von Montemayor findet man auch im Kapitel VI von: G. Santonastaso, Le dottrine politiche da Lutero a Suarez, Mailand 1946, S. 91 – 101; es sei hier auch an die Lineamenti di storia delle dottrine politiche von Santonastaso erinnert (Bari 1967), in denen die Politica auf S. 88 f. behandelt wird. 14 Vgl. F. Ercole, Da Bartolo all’Althusio, Florenz 1932, S. 386. 15 Vgl. E. Crosa, La sovranità popolare dal Medio Evo alla Rivoluzione francese. Mailand / Turin / Rom 1915, S. 134 ff. Crosa bezieht sich auf die Ausgabe der Politica von 1614. 16 Vgl. unten die Beiträge zu Administratio-Gubernatio und Populus und die Untersuchung von F. Ingravalle: La Politica di Althusius e il De Principatu di Mario Salamonio, die Ausarbeitung eines Vortrags auf der Tagung „La Politica prima di Machiaveilli“, Teramo, 29 und 30 April 2004.

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„die Volkssouveränität verficht, aber zugleich der Auffassung ist, dass die natürlichen Vertreter des Volkes die maßgeblichen Persönlichkeiten sein müssen“; erst im 18. Jahrhundert, fährt Mosca fort, „herrschte die Auffassung vor, dass man unter Volk die numerische Mehrheit des Volkes zu verstehen habe“18. Im Übrigen hält Mosca Althusius wie schon De Montemayor für einen der vielen Monarchomachen. Die bis hier berücksichtigten Lesarten verbindet der Bezug auf Gierkes Monographie und auf sein interpretatorisches Paradigma. Tatsächlich lassen sich die hier wiedergegebenen Auffassungen – mit Ausnahme der von Crosa und Mosca – mit den folgenden Worten Gierkes zusammenfassen: „Freier Vertrag erzeugt den Staat und freies Belieben entscheidet über die Staatsform: allein zur Vereinigung wie zur Einsetzung von Regenten treibt die Natur und in ihr Gott. Das Volk wählt und bevollmächtigt den Herrscher: allein durch das Mittel des Volkes gibt ihm zugleich Gott Recht und Auftrag“19. Die Errungenschaften der kritischen Auseinandersetzung mit der Politica des Althusius bestehen in der Interpretation der althusianischen Vertragslehre als nicht-individualisticher Vertragslehre, wie sie von Crosa entworfen wurde und in der kurzen aber unanfechtbaren Negierung jeder Verbindung zwischen der althusischen Vertragslehre und der Rousseaus durch Mosca. Weil Althusius nicht im Zentrum irgendeiner Debatte steht, bleiben diese Hinweise darauf, dass die Interpretation Gierkes kritisch zu überdenken wäre, im Grunde wirkungslos. Ihre objektive Bedeutung ist dennoch offensichtlich: Wenn die Vertragslehre des Althusius „nicht-individualistisch“ ist, kann sie nichts mit dem Vertrag Rousseaus zu tun haben, der genau von der Voraussetzung des „Individuum-Atoms“ ausgeht. Aber auf der Grundlage der Interpretationen von Crosa und Mosca könnte das politische Denken des Althusius nur als ein Überleben der politischen Konzeption des Mittelalters dargestellt werden (auch wenn keiner der beiden Forscher diese Meinung vertritt); dies wiederum ist, wie sich zeigen wird, nur ein – und auf weitere Sicht nicht unbedingt der wichtigste – Aspekt des Inhalts der Politica. Darüber hinaus neigt man dazu, zu übersehen, dass die calvinistische Komponente des Denkens von Althusius (die allen hier angeführten Interpreten selbstverständlich bekannt ist) nicht auf eine theologisch-politische Wiederaufnahme von vormodernen Thematiken reduziert werden kann.

17 G. Mosca, Storia delle dottrine politiche. Bari (1933 (bereits 1932 erschienen unter dem Titel Lezioni di storia delle istitutzioni e delle dottrine politiche). Es ist das erste Werk in Italien zur Geschichte der politischen Lehren, dem bald das Werk von F. Battaglia nachfolgte: Lineamenti di storia delle dottrine politiche, Rom 1936, das im Folgenden im Nachdruck (Bari 1967, S. 133) zitiert wird. Ders., Elementi di scienza politica, in: G. Mosca, Scritti politici. A cura di G. Sola. Bd. II. Turin 1982, S. 988, Anm. G; ders.: La classe politica. A cura di N. Bobbio, Rom / Neapel, S. 179, Anm. 28. 18 Vgl. Mosca, Storia (FN 17), S. 133. 19 Gierke, Johannes Althusius (FN 1), S. 69 (ital. Ausg., S. 72).

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3. Frühgeschichte In der Rezension zu der oben zitierten, von Friedrich besorgten Ausgabe der Politica arbeitet A. Passerin d’Entrèves die Punkte klar heraus, in denen sich der deutsch-amerikanische Forscher von Gierke distanziert: Für Friedrich ist das Werk des Althusius mehr politisch als juristisch; sein calvinistischer Ursprung wirft ein Licht auf den „soziologischen“ Determinismus, für den die Lebensgemeinschaft ein Faktum ist und nicht Ergebnis eines freiwilligen und vertraglichen Zusammenschlusses, der vom göttlichen Willen geschieden werden könnte. Passerin d’Entrèves bemerkt dazu, dass die in der Politica enthaltene Theorie sicher die Theorie des deutschen Ständestaats des 16. und 17. Jahrhunderts wiedergibt, „befreit von ihren speziellen Kontingenzen“, und dass die Souveränität für Althusius „genau genommen das Attribut der Gemeinschaft ist, die in ,Staaten‘ oder ,Klassen‘ organisiert ist“20; dies aber führt uns nach Auffassung von Passerin d’Entrèves im Gegensatz zur Auffassung Friedrichs ins Zentrum der naturrechtlichen Tradition; wenn die Souveränität ein Faktum ist, dann kann sie nur auf Grundlage eines naturrechtlichen Postulats als „natürliches Attribut“ der Gemeinschaft und der korporativen Versammlung, die sie repräsentiert, gerechtfertigt werden. Der Diskurs des Althusius hat eine deontologische, nicht rein wissenschaftlich-beschreibende Tragweite; durch die Gemeinschaft wirkt das göttliche Gesetz, und die Lebensgemeinschaft muss man immer an den Tafeln des Dekalogs messen. Die Hinweise von Passerin d’Entrèves wurden nicht sofort aufgegriffen. Für Santonastaso21 ist das Denken des Althusius ein handfestes Beispiel einer „korporativen Demokratie“, in der die majestas mit der „umfassenden Gemeinschaft“ verschwimmt, die „ein vorherrschendes Moment in der Entwicklung des korporativen Staatsgedankens darstellt – verstanden als ein Komplex von Funktionen und eine reine Schutzmaßnahme für ökonomische und konservatorische konservative Interessen, ohne irgendein universelles oder ethisches Prinzip“ und vollkommen unsensibel gegenüber dem „Erfindungsreichtum“ und dem „Fortschritt“ der ökonomischen Entwicklung und der Ethik des Individuums. Bei Althusius treten ciceronianische und bodinsche Einflüsse wieder hervor, die die Eigentümlichkeit des Staates bestimmen; entscheidend ist auch der „Einfluss von Machiavelli über Botero“, der im „Prinzip des Staates als Macht, mit der Unterordnung der regionalen unter die nationalen Interessen“ impliziert wäre22. Etwas nuancierter ist die AufPasserin d’Entrèves, Saggi di storia del pensiero politico (FN 2), S. 254 f. Santonastaso, Le dottrine politiche (FN 13), S. 101, wobei Santonastaso der zweiten Ausgabe der Politica folgt, die 1610 veröffentlicht wurde. Zum Konzept der „korporativen Demokratie“ vgl. Gierke, Johannes Althusius (FN 1) (ital. Ausg., Kap. V., Teil II, S. 177 – 203) und die Rekonstruktion des Denkens von Althusius bei P. Mesnard, L‘essor de la philosophie politique au XVI siècle, Paris 1936, zweite Auflage Paris 1952, dritte Auflage Paris 1977; auf der zweiten Auflage basiert die italienische Übersetzung von F. Traniello, herausgegeben von L. Firpo: Il pensiero politico rinascimentale, 2 Bde, Bari 1963 – 1964, Bd. 2, S. 352 – 368. 20 21

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fassung von M. Galizia23. Die Aufarbeitung der demokratischen Theorie auf der Grundlage rationaler Prinzipien, die es Althusius allerdings nicht erlaubten, über den Kontext des Ständestaats hinaus zu gehen, gibt ihm die Gelegenheit, auf eine Fusion der Ansprüche der Individuen und der Gemeinschaft einzugehen, wobei er eine Tendenz ausmacht, den „demokratischen Kollektivismus“ der Monarchomachen zu überwinden und die Ansprüche der Einzelnen und der Gemeinschaft miteinander zu verbinden.24 Trotzdem ist sein Konzept der juristischen Persönlichkeit noch „vage“, denn die Individuen „sind gemäß der korporativen Prinzipien noch in den einzelnen Gruppen absorbiert, und ihre Freiheit stellt sich auf staatlich-juristischer Ebene nur über die verschiedenen Gemeinschaften her: Familie, Korporation, Gemeinde und Provinz“25. Das gierkesche Paradigma scheint sich hier gewissermaßen in eine Kritik an Althusius zu verwandeln, weil dieser nicht die konzeptionellen Strukturen des „aus Ständen bestehenden Staates“ überwunden hat. In der einschlägigen Handbuchliteratur steht seit 1953 auf italienisch das Handbuch der Geschichte der politischen Lehren von Sabine von 1937 zur Verfügung26. für Sabine identifiziert Althusius wie andere calvinistische Autoren das Naturgesetz mit der zweiten Tafel des Dekalogs, soweit die soziale Wirklichkeit ohne Rückgriff auf theologische Sanktionen erklärt wird. Die Bezüge zur Religion wären auf der Ebene der althusiischen Systematik irrelevant. Ganz anders ist die Position von D’Addio in seiner gewichtigen Studie L’idea del contratto sociale dai Sofisti alla Riforma e il ,De principatu‘ di Mario Salamonio27. Er verwirft die allgemeine These von Gierke und ist der Auffassung, dass Althusius das Vertragsprinzip (das bei ihm von Salamonio herkommt) in der naturalistischen Konzeption der Gesellschaft anlegt, wobei er eine latente, fortwährende Spannung zwischen der Vertragslehre auf individualistischer Grundlage und einer solchen, in der das Individuum nur Teil der Gemeinschaft ist, herstellt. 1964 gibt Firpo die erste italienische Übersetzung der theoretisch bedeutsamsten Teile des XXXVIII. Kapitels der Politica heraus28. Im Vorwort legt er die ArguSantonastaso: Le dottrine politiche (FN 13), S. 94 f. M. Galizia, La teoria della sovranità dal Medioevo alla Rivoluzione francese, Mailand 1951. 24 Ebd., S. 168 f. 25 Ebd., S. 168. 26 Vgl. G. H. Sabine, A History of Political Theory, New York 1937 u. 1950. Italienische Übersetzung von L. de Col und U. Campagnolo: G. H. Sabine, Storia delle dottrine politiche, Mailand 1953, sowie 1967 und 1978; zu Althusius dort die Seiten 316 – 321. 27 Vgl. M. D’Addio, L’idea del contratto sociale dai Sofisti alla Riforma e il ,De principatu‘ di Mario Salamonio, Mailand 1954. 28 Vgl. Grande antologia filosofica diretta da M. F. Sciacca, coordinata da A. M. Moschetti e M. Schiavone, Bd. X,2 (Protestantesimo e Riforma cattolica), Abschnitt „Il pensiero politico del Rinascimento e della Controrifomra, hrsg. von L. Firpo, Mailand 1964, S. 179 – 803; der Text von Althusius ist auf den Seiten 722 – 729 der Subsektion XVI (zu Diritto naturale e stato contrattuale) veröffentlicht und umfasst neben den Texten von Althu22 23

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mentationsstruktur des Werks dar, wobei er herausstellt, wie sich „die Gemeinschaft von Gütern, Interessen und Zielen die Körperschaften in Bürgerschaften, die Städte in Provinzen, die Provinzen in Staaten, in ein vertikal ausgerichtetes System von Organismen einordnen, das mit einer horizontalen Schichtung in Stände verbunden ist“29. Dieses System wird von der consociatio symbiotica gebildet und schließt für sich genommen, das heißt von seiner Struktur her, für alle seiner Komponenten die soluta potestas aus. Dieses System „macht den Einfluss der städtischen, kooperativen und korporativen Strukturen des Deutschen Reichs, die Unsensibilität dieses Landes für die unitarischen und zentralisierenden Notwendigkeiten deutlich, die im Europa des 16. Jahrhunderts so stark wirksam waren“30. Althusius ist vor allem „die vernehmbarste und klarste Stimme in der langen Zeit calvinistischer Bearbeitung dieses Themas“31. In dieser Phase, die wir als „Frühgeschichte“ bezeichnet haben, erscheint die Politica als „Arbeit an der Grenze“ zwischen Vormoderne und Moderne oder als Spannung zwischen gedanklichen Elementen, die der Vormoderne und jenen, die der Moderne nahe sind. Von der vorhergehenden Phase bleibt das Bild eines monolithischen, „eindimensionalen“ modernen politischen Denkens, das explizit oder implizit mit der Achse Bodin-Hobbes-Rousseau verbunden ist. Diesem Bild ist (abgesehen von der Frage nach der allgemeinen Interpretation des modernen politischen Denkens) das Lemma Althusius von G. Fassò für die Enciclopedia Filosofica nahe32, das in gewisser Weise die Interpretation von Gierke mit jener Friedrichs verschmilzt. 4. Geschichte 1980 veröffentlicht D. Neri die erste italienischsprachige anthologische Auswahl aus der gesamten Politica33. Die umfangreiche Einführung (in der die Thesen eines Aufsatzes von 1979 weiter ausgeführt werden)34 zielt darauf ab, die Politica als einen Versuch darzustellen, die „politischen und juristischen Probleme, die mit jener speziellen Form staatlicher Organisation verbunden sind, die die Historiker der Institutionen ,Ständestaat‘ nennen“ theoretisch zu klären35. Das Werk des sius eine Auswahl aus Kap. X des ersten Buchs von Richard Hookers Laws of ecclesiastical polity. Das Vorwort zu der Subsektion ebd., S. 713 f. 29 Ebd., S. 714. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Vgl. Enciclopedia filosofica, Florenz 1967, s.v. Althusius; an dieser Stelle sei auch auf Fassos Storia della filosofia del diritto hingewiesen (2 Bde., Bologna 1968 hingewiesen: dort zu Althusius Bd. 2, S. 67 – 69. 33 Vgl. J. Althusius, Politica. A cura e con introduzione di D. Neri, Neapel 1980. 34 Vgl. D. Neri: Antiassolutismo e federalismo nel pensiero di Althusius, in: Il Pensiero Politico 12 (1979), S. 393 – 409. 35 Ders., Introduzione zu J. Althusius: Politica (FN 34), S. IX.

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Althusius, das nicht allein auf seinen monarchomachischen Aspekt zurückgeführt werden kann, schlägt nicht einmal die Theokratie vor, sondern wird von einer organistischen Vision der Souveränität des Volkes belebt, die eng mit der Theorie des Mandatsvertrags verbunden ist, dem eigentlichen „Kernstück“ der antityrannischen Theorie. Die Neuheit von Althusius‘ Werk besteht „im Versuch, den regionalen Partikularismus umzuwerten (indem er ihm die zentrifugale feudale Bedeutung nimmt) und ihn als Grundlage für eine föderalistische Konstruktion des Staatgebäudes anzunehmen“36. In der einschlägigen Literatur kommt 1981 die italienische Übersetzung der Geschichte der politischen Lehren von J.-J. Chevallier heraus37. Der Autor ist der Überzeugung, dass Althusius ein waches Empfinden für den „organischen und kommunitarischen Charakter des Soziallebens“38 hat, der mit der Ausrichtung des „deutschen Korporativismus“ konform geht und den Staat als symbiotische Gemeinschaft im freiheitlichen Sinn konzipiert. Aber dieses Bild ist untrennbar von den eigenen religiösen Bezügen zum politischen Calvinismus; so dass die These von Friedrich (die von Sabine wieder aufgegriffen wird)39 hinsichtlich der unter systematischen Gesichtspunkten postulierten Irrelevanz der Religion abgeschwächt würde. Wir befinden uns inzwischen in der Phase, in der das Werk des Althusius monographisch gewürdigt wird, aber wir sagen sicher nichts Falsches, wenn wir die Behauptung aufstellen, dass in gewissem Maße Neri die Interpretation Friedrichs zum Teil anstelle jener Gierke und zum Teil als Ergänzung zu dieser zum Vorschlag bringt. Der Diskussionsstand schien es nahezulegen, dass der weitere Weg dahin führen würde, sich unter Einbeziehung der Arbeiten von Gierke auf die philologischen Arbeiten von Friedrich zu stützen, um das Verständnis der Politica weiter voranzutreiben. Dies ist der Weg, der in den Studien beschritten wird, die seit der Mitte der 1990er Jahre erschienen sind. Die Aufsätze, die Duso von 1990 bis 2002 zur Politica veröffentlicht hat, zielen darauf ab, nachzuweisen, dass der konzeptionelle Entwurf des Althusius nicht „mit den einfachen und reduktiven Kategorien, die die moderne politische Wissenschaft kennzeichnen“ gleichgesetzt werden kann, „die mit Hobbes entsteht und also jene der Macht, der Souveränität, der Repräsentanz der politischen Einheit ist“40. Das, was im politischen Komplex des Althusius wichtig ist „hängt nicht von jemandes Willen ab, sei es dessen, der regiert oder dessen, der regiert wird“41, sondern von Ebd., S. XLII. Vgl. J.-J. Chevallier, Histoire de la pensée politique. Bd. I. Paris 1979. Italienische Übersetzung von N. Tonna: Storia del pensiero politico, Bologna 1981. Zu Althusius ebd., S. 488 – 496. 38 Ebd., S. 488. 39 Vgl. Sabine, Storia delle dottrine politiche (FN 26), S. 320 f. 40 Duso: Althusius. Pensatore per una società post-moderna? (FN 5), 164. 41 Ders., L’Europa e la fine della sovranità, in: Quaderni Fiorentini 31 (2002), S. 128. 36 37

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der Natürlichkeit des Verhältnisses zwischen Regierendem und Regierten. Das, was in der modernen politischen Wissenschaft Herrschaft ist, ist bei Althusius gubernatio42. Auf der Grundlage des Soziallebens und seiner Verträge gibt es das abstrakte freie Individuum nicht; vielmehr ist der Mensch in Gruppen und in Lebensgemeinschaften eingegliedert, die mit ihren eigenen Freiheiten versehen sind, die die handelnden Subjekte der Politik sind. Der Pluralismus, den man im Föderalismus ausmachen kann43, wird durch ein grundsätzlich geteiltes Verständnis von Religion möglich, wie es aus dem „Pakt mit Gott“ deutlich wird, durch ein Verständnis von Recht und Rechtsprechung, das auf die Heilige Schrift bezogen ist. In demselben Band, in dem auch der eben angeführte Aufsatz von Duso erschienen ist, ist auch ein Beitrag von M. Scattola enthalten44,der die These aufstellt, dass Althusius von der Zentralität des Konzepts der jura majestatis des obersten Magistrats – das grundlegende Konzept in der Ausgabe der Politica von 1603 –, das in der Substanz der bodinschen Sicht der Dinge nicht entgegensteht, zum vollständigen Verwerfen dieses Konzepts in den Ausgaben von 1610 und 1614 übergeht; die Definition der Politik in Begriffen der Symbiose korrespondiere, so Scattola, mit einer zunehmenden Entfernung von den bodinschen Positionen, die nach Ansicht des Forschers anhand des Unterschieds zwischen der ersten Ausgabe der Politica auf der einen und der zweiten und dritten Ausgabe auf der anderen Seite deutlich werde; dennoch scheint nach Auffassung des Verfassers die anti-zentralistische Position des Althusius schon in der Zeit, die der Veröffentlichung der Politica45 vorausgeht, deutlich und von der Annahme der Sichtweise des politischen Calvinismus nur verstärkt worden zu sein. Für P. Schiera46 steht Althusius für die Phase der Politikbetrachtung, in der diese grundlegend unter dem Aspekt der Staatlichkeit aufgefasst wird; Althusius war der „wichtigste Exponent“ der „aristotelisch-protestantischen Schule“, die zusammen mit der „Schule der Staatsraison“ eine der beiden Richtungen der Modernisierung in der Politik darstellte. Ihr politischer Entwurf erweist sich mehr als pluralistisch oder polyzentrisch denn als nahe zum Föderalismus und ist durch ein Funktions42 Ders., Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Johannes Althusius, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 13 – 33. 43 Zu diesem Thema in Bezug auf Althusius vgl. G. Duso, Althusius e l’idea federalista, in: Quaderni Fiorentini. Per la storia del pensiero giudirico moderno 21 (1992), S. 611 – 622. 44 Vgl. M. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis. Der Weg des Johannes Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: Politische Begriffe und historisches Umfeld (FN 42), S. 211 – 249. 45 Vgl. z. B. die Dissertation des Althusius De regno recte instituendo et administrando, veröffentlicht in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis, Su una sconosciuta ,Disputatio‘ di Althusius, in: Quaderni Fiorentini per la Storia del Pensiero Giuridico Moderno 25 (1996). 46 Vgl. P. Schiera, Giovanni Altusio fra Stato e Costituzione, in: Politische Begriffe und historisches Umfeld (FN 42), S. 35 – 47.

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kriterium gekennzeichnet „das gut dem der Subsidiarität angenähert werden kann“47. Als ein Beispiel für jene Beiträge, die auf dem Problem der historisch-konzeptionellen Einordnung von Althusius aufbauen, sei an den Aufsatz von A. Villani über La ,Politica‘ di Althusius fra tradizione e modernità48 erinnert, der die „einzigartige Position“ von Althusius zwischen Altertum und Moderne (zwischen Aristoteles und Hobbes) thematisiert. Das Denken des Althusius kontrastiert mit der „artifiziellen und konventionellen Konzeption der Politik“, unterscheidet sich aber auch von der aristotelischen Position, und das aus folgenden Gründen: 1) Althusius konzipiert die Ökonomie nicht mehr als umfassende Ordnung des Lebens im oikos, sondern lediglich als „den Teil der Produktion und Verteilung der Güter“49; 2) die Unterschiede, die Aristoteles zwischen Vater, Ehemann, Hausherr, König und Amtsträger nachdrücklich und mit größter Sorgfalt herausgearbeitet hat, tendieren dahin, zu verblassen, indem sie „die verschiedenen Figuren mit jener ursprünglichen des Vaters homogenisieren“50. Das bringt eine „holistische Sicht der Gesellschaft“ mit sich51. Was den Vergleich mit Hobbes anbelangt, so „hat für Althusius wie für Aristoteles die Politik immer mit hierarchisierten Gruppen zu tun, die für sie mögliche Voraussetzungen darstellen (Familie, Korporation, Stadt, Provinz, respublica), und für Hobbes ist der einzelne Mensch die Voraussetzung der Politik“52. Die erste italienische Monographie über Althusius ist 1995 von L. Calderini in der Folge seiner Dissertation veröffentlicht worden.53 Der ständisch-korporative Kontext des Verhältnisses zwischen Emden und territorialer Macht (die ihrerseits in der kaiserlichen Sphäre eingeschlossen und von ihr bestimmt ist und durch die Logik der verschiedenen Allianzen, die Territorien und Kaiserreich sich untereinander und nach außen hin abschließen) bestimmt die Eckpunkte des Problems, für das die Politica eine Lösung zu bieten sucht“54. Althusius konstruiert ein Modell, das der Erhaltung jener politisch-sozialen Konstellation des „Übergangs“ Ebd., S. 42. Veröffentlicht in Filosofia politica 7 (1993), S. 295 – 306; ich erinnere aber auch an die Beiträge von E. Moroni zum gleichen Thema: Althusius tra modello aristotelico e modello giusnaturalistico, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 58 (1981), S. 284 – 309 und von D. Neri, Elementi di trasformazione del paradigma aristotelico nella filosofia politica del Seicento: Althusius e Hobbes, in: F. Fagiani / G. Valera (Hrsg.), Categorie del reale e storiografia. Aspetti di continuità e trasformazione nell’Europa moderna, Mailand 1986, S. 131 – 139. 49 Vgl. Villani, La ,Politica‘ (FN 48), S. 300. 50 Ebd., S. 300. 51 Ebd., S. 301. 52 Ebd., S. 303. 53 Vgl. L. Calderini, La „Politica“ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995. 54 Ebd., S. 19. 47 48

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zwischen Formen mittelalterlicher und moderner Staatlichkeit verschrieben ist, wie es der Ständestaat ist. Die tragende Struktur dieses Modells ist die symbíosis, über die Althusius auf die monarchomachisch-calvinistischen Quellen zurückgreift und sich mit dem konzeptuellen Kern Bodins misst und die Rechtstitel der Souveränitätsrechte bestätigt, die der Kollektivität eigen sind. Auf diese Weise erscheint wieder das Bild von Althusius als Denker „auf der Grenze“ zwischen Mittelalter und Moderne, die nicht nur in der konzeptionellen Konstellation verankert wird, die er geschaffen hat, sondern in seinem institutionellen Bezugsbegriff, dem Ständestaat, der für sich genommen eine Erscheinung auf der Grenze zwischen mittelalterlicher und moderner Staatlichkeit ist. Daraus wird klar, dass für den Autor die Genese der modernen Staatlichkeit ausschließlich mit den Prozessen der Zentralisierung in eins gesetzt werden. Die Möglichkeiten, die von den Verbindungen mit dem politischen Calvinismus in Richtung auf eine wenigstens proto-föderalistische Konzeption der Staatlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, finden im Grunde genommen keine Berücksichtigung. Die Untersuchungen von Malandrino zielen darauf, die Aufmerksamkeit der Forscher von den theoretisch-systematischen Aspekten der Politica weg auf die praktische Lebenserfahrung des Althusius als Syndikus in Emden als Quelle für die Veränderungen zu lenken, die der Text des Althusius von der Ausgabe von 1603 bis zu der von 1614 erlebt hat und diese Erfahrung in grundlegend anderen Begriffen neu zu bestimmen als dies in der Monografie von H. Antholz55 über die Aktivitäten des Althusius in Emden geschehen ist, die bis heute die Referenzstudie zu diesem Thema ist. Das, was Antholz als autoritäre Praxis, die der „demokratistischen“ Theorie der Politik widerspricht , beurteilt, war nur ein Komplex von Entscheidungen, die am Kriterium der Sicherheit, einer der wichtigsten Erscheinungen des politischen Calvinismus in Europa, orientiert war. Man kann dies nicht als Beispiel für einen systematischen Gebrauch der Logik der „Staatsraison“ durch Althusius werten.56 Die Bezüge zum politischen und sozialen Calvinismus im Sinne des Föderalismus, der nach Maßgabe der „Föderaltheologie“ ausgearbeitet wird, sind dagegen viel besser geeignet, zum Verständnis des politischen Denkens von Althusius beizutragen. Diese Konzeptionen sind nämlich „in der Lage, die Wesensbestandteile des Ständestaats und insbesondere die Bedingungen für Ausnahmen, einige Implikationen der Theorie der Staatsraison, ohne Widersprüche in eine angemessenere politische Sichtweise zu integrieren und zu überwinden“. In der Politica konstituiert der Konsens der Mitglieder der Lebensgemeinschaft das políteuma, zumal „der Rettungsplan, der Kosmos, in dem er sich entwickelt, für sich genommen jene politische Verpflichtung nur dann hervorbringt, wenn der be55 Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden. Diss. Köln, Leer 1954 und Aurich 1955; ders., Johannes Althusius als Syndikus Reipublicae Embdanae, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 67 – 88. 56 Vgl. C. Malandrino, Il Syndikat di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, in: Pensiero Politico 28 (1995), S. 359 – 383.

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stimmter Wille der Kontrahenten im speziellen vorliegenden Fall gegeben ist“57. Das steht seiner Betrachtung als theokratisches Modell entgegen. Die konstruktive Kraft des Althusius kann nicht in den engen Grenzen des „Ständestaats“ gefasst werden. Letzterer war allerdings nicht nur mit der sozialen Vision kompatibel, die für das calvinistische Ambiente typisch war, „sondern auch und vor allem mit dem taktischen Ziel der Schaffung von städtischen und staatlichen Gemeinschaften innerhalb weiter gefasster provinzieller Bezirke, die alle von föderativen Bindungen aufrecht erhalten und verbunden wurden und auf den Triumph des ,wahren Gottesdienstes‘ eingeschworen waren“. Im Kontext der Politica sieht man eine Form der Kategorie der Subsidiarität aufscheinen (die sich in den Veränderungen des Textes der Politica zwischen der zweiten und dritten Ausgabe widerspiegeln). Die Fähigkeit der selbständigen Regierung der universitates fordert „ein positives Verhältnis zu den oberen Verwaltungsinstanzen“ und entspricht der Rechtfertigung der Selbstverwaltung der unteren Ebenen.58

5. Der Niederschlag der Forschung in der jüngeren Handbuchliteratur Was die Handbuchliteratur betrifft, so haben seit den 1980er Jahren die wichtigsten italienischen Handbücher zur Geschichte der politischen Theorie der Behandlung des politischen Denkens von Althusius beachtlichen Raum gegeben; man denke an die Handbücher von D’Addio (1980)59, Mastellone (1989)60, Zanfarino (1991)61, Bravo und Malandrino (1994)62, Galli (2002)63; ferner sei auch an die Seiten erinnert, die 1987 Piano Mortari im dritten Band der berühmten, unter der Ägide von Firpo herausgegebenen Storia delle idee politiche, economiche es so57 Vgl. C. Malandrino, Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 32 (1999), S. 427 ff.; vgl. auch ders., Politische Theorie und Föderaltheologie, in: F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie. Beiträge des Herborner Symposions zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603 – 2003, Berlin 2004, S. 123 – 142. 58 Vgl. C. Malandrino, La ,sussidiarità‘ nella ,Politica‘ e nella prassi antiassolutistica di J. Althusius a Emden, in: Il Pensiero Politico 34 (2001), S. 41 – 58. 59 Vgl. M. D’Addio, Appunti di storia delle dottrine politiche, 2 Bde., Genua 1980, Bd. 1, Teil II, S. 368 – 382. 60 Vgl. S. Mastellone: Storia del pensiero politico europeo, 2. Bde., Turin 1989, Bd. 1, S. 92 – 96. 61 Vgl. A. Zanfarino: I pensiero politico dall’Umanesimo all’Illuminismo, Neapel 1991, S. 153 – 163. 62 Vgl. Bravo-Malandrino, Profilo si storia del pensiero politico. Da Machiaveli all’Ottocento, Rom 1994, S. 101 – 105; von C. Malandrino vgl. auch: Da Machiavelli all’Unione Europea. Profilo antologico del pensiero politico contemporaneo, Rom 2003, S. 64 – 67; ders., Federalismo. Storia, idee, modelli, Rom 1998, S. 25 – 28. 63 Vgl. C. Galli (Hrsg.), Manuale di storia del pensiero politico, Bologna 2001, S. 169 – 171.

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ciali über Althusius verfasst hat64, und den Beitrag von Scattola in der von Esposito und Galli geleiteten Enciclopedia del pensiero politico (2000)65. Piano Mortari betont die enge Verbindung zwischen der Ordnung des Deutschen Reichs und den theoretischen Ausführungen von Althusius, die zu großen Teilen eine klare und analytische Auslegung desselben darstellten. Das Reich wird dabei als ein Bild des Staates als „Gemeinschaft auf dem Gipfelpunkt der Hierarchie der verschiedenen korporativen Einheiten“66 gesehen. Für Scattola können „die Vertragslehre, die Vorzeitigkeit des Volkes im Hinblick auf den Magistrat und die Mitverantwortung gegenüber Gott nicht mit den Konzepten der Volkssouveränität und der modernen Demokratie gleichgesetzt werden“, wie es die jüngsten Studien gegen Gierke vor Augen führen; sie fügen sich vielmehr in das Bild des „frühmodernen Aristotelismus und der Ständegesellschaft ein“67. Für D’Addio stellt die Politica eine organische Lösung für die Probleme dar, die von der Polemik der Monarchomachen im Rahmen der juristisch-politischen Literatur des 16. Jahrhunderts aufgeworfen wurden, das heißt aller Fragen, die mit dem Widerstandsrecht verbunden sind. Der Staat des Althusius hat eine „entschieden föderale“ Struktur in dem Sinne, dass „die niederen politischen Gemeinschaften, die ihn konstituieren, eine Autonomie bewahren, die in manchen Fällen an die Souveränität grenzt“. Diese föderale Struktur entspricht der deutschen Politiktradition sowie den politischen Interessen und dem politischen Programm des Calvinismus68. Nach Mastellone69 versteht Althusius den Staat als eine soziale Gemeinschaft, die darauf ausgerichtet ist, gemeinsame Ziele zu erreichen – eine Gemeinschaft, in der „das Befehlen eine Funktion und das Gehorchen eine Form der Zustimmung ist“. Die Zustimmung muss aus der communicatio zwischen den Mitgliedern des Zusammenschlusses hervorgehen; daraus folgt eine spezielle Charakterisierung der Aufgabe dessen, der regiert: Er muss an den Nutzen für die anderen denken und ist aus diesem Grund von den anderen Mitgliedern des Zusammenschlusses zum Regierenden ausgewählt worden.70 Das symbiotische Leben dreht sich um die praktischen Motive des Wohlstands und bildet eine Art von „Utilitarismus“, der 64 Vgl. V. Piano Mortari, Il pensiero politico dei giuristi del Rinascimento, in: Storia delle idee politiche, economiche e sociali, diretta da L. Firpo, Turin 1987, S. 483 – 489. 65 Vgl. M. Scattola, Althusius, in: Galli-Esposito. Enciclopedia del pensiero politico, Rom / Bari 2000, s.v.; von Scattola vgl. über die Entwicklung des Denkens von Althusius bezüglich der Souveränität den erwähnten Artikel „Von der maiestas zur symbiosis (FN 44). 66 Vgl. Piano Mortari, Il pensiero politico (FN 64), S. 488. 67 Vgl. Scattola, Althusius (FN 65). 68 Vgl. D’Addio, Appunti (FN 59), S. 379 f. 69 Mastellone, Storia (FN 60), S. 92. 70 Ebd., S. 94.

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den Interessen der produktiven Stände Rechnung trägt, die von der communicatio iuris geschützt werden, auf die sich die consociatio gründet. Zanfarino sieht in der Politica ein Gründungsprojekt für die politische Ordnung „nicht auf rein religiösen und metaphysischen Grundlagen, sondern einer in höchstem Maße menschlichen, natürlichen und vernünftigen Legitimation“.71 Im Bereich der Naturrechtslehre trennt Althusius die Idee der politischen Gemeinschaft von jener des corpus mysticum, wobei er aus diesem einen symbiotischen Körper macht, „der die religiösen Werte berücksichtigt, aber auch für die Suche nach einem angemessenen und glücklichen Sozialleben offen ist, das nicht der nützlichen und notwendigen Dinge entbehrt“72. Malandrino unterstreicht, dass die Essenz der Politik für Althusius in ihrem „symbiotischen“ Charakter besteht. Sie besteht in der perfekten funktionalen Integration ihrer Glieder auf das Ziel hin, eine „fromme, gerechte, angemessene und glückliche“ Vereinigung zu erreichen. Das einvernehmliche Bündnis ist konstitutiv für jede öffentliche Macht; von ihm gelangt man über die privaten Zusammenschlüsse bis zum polìteuma hinauf, bis zur „politischen Vereinigung, die in besonderer Weise vom Völkerrecht zugestanden und gebilligt wird“. Auf der höchsten institutionellen und repräsentativen Ebene des Volkes, dem das Souveränitätsrecht zueigen ist, ist der Staat „föderativ, nicht vom Zusammenschluss der Untertanen oder Bürger generiert, sondern von der freiwilligen und nicht unlöslichen Bindung der niederen öffentlichen Zusammenschlüsse“73. Die persönliche Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten ist von den privaten symbiotischen Zusammenschlüssen vermittelt. D. Taranto74 charakterisiert die Politica des Althusius als eine „mögliche föderale Alternative“75 zur Theorie der unteilbaren Souveränität, die von Bodin in den Six livres de la République entwickelt wurde. Die Originalität der Position von Althusius besteht darin, dass er die Souveränität für das Volk beansprucht (dem die Macht genommen ist, sich davon zu befreien). Sowohl in die privaten als auch in den öffentlichen Gemeinschaften tritt man über einen Vertrag ein, der den Primat der Gemeinschaften über die Individuen festschreibt. Die von Althusius in der Theorie entworfene Souveränität des Staates „ist in Wirklichkeit föderal, weil sie dem ,foedus‘ entspringt, dem Vertrag zwischen niederen Gemeinschaften“76. Das Bild, das die Handbuchliteratur bietet, fasst die Vielfalt der Interpretationen zusammen, die seit den 1980er Jahren vorgelegt wurden; dennoch besteht der stimulierendste Aspekt, auf den auch alle indirekt zuzulaufen scheinen, in der zuneh71 72 73 74 75 76

Zanfarino, Il pensiero politico (FN 61), S. 154. Ebd. Malandrino, Profilo di Storia (FN 62), S. 104. Vgl. Manuale di storia (FN 63), S. 169 – 171. Ebd., S. 169. Ebd., S. 170.

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menden Bestätigung des Bewusstseins einer engen Verbindung zwischen dem Entwurf des Althusius und der späteren Ausarbeitung verschiedener föderalistischer Konzeptionen des Staates.

6. Abschließende Betrachtungen Die jüngsten italienischen Studien tendieren also insgesamt dahin, historischkritische, philologische und hermeneutische Ansätze, das Verhältnis von Text und historisch-institutionellem Kontext und Fragestellungen hinsichtlich des heuristischen Potentials, die der Text der Politica den Postmodernen bietet, zusammenzufügen. Die Alternative von protorousseauschem und prä-modernem Althusius wird überwunden: die Tradition, die sich von der Föderaltheologie zur föderalistischen Demokratie hin entwickelt, weist mit hinreichender Deutlichkeit auf eine Dimension der Moderne hin, die nicht vom Bogen Bodin-Hobbes-Rousseau umschlossen wird (zu der die Vormoderne, die von Brunner und Koselleck offengelegt wurde, das dialektische Gegenstück bildet); es ist eine andere Entwicklungslinie der Moderne. Ihr Endpunkt ist eine plurale Konzeption der Souveränität, gleichsam eine Verteilung der Macht über verschiedene Stufen des staatlichen und symbiotischen Gebäudes hin. Wenn die Interpretationen, die mit der Begriffsgeschichte verbunden sind, die Gesamtheit der Aspekte hervorgehoben haben, aufgrund derer Althusius nichts mit der modernen Politikwissenschaft zu tun hat, erlaubt es die Forschungsrichtung, die Althusius im Innern der Föderaltheologie ansiedelt, mit aller Klarheit zu erkennen, dass Althusius hinsichtlich der modernen Naturrechtslehre nicht einfach einen Platz in der Vergangenheit findet, sondern dass er das Glied einer Kette ist, die über die Naturrechtslehre hinausgeht und ihren Ausgang bei gleichermaßen modernisierenden Instanzen nimmt. Überlegungen über die Politica des Althusius anzustellen kommt in einem gewissen Maße dem gleich, die Kategorie der Mordernität was die Form der Staatlichkeit betrifft, in die die föderale Konzeption der Verwaltungsbeziehungen eingeschlossen ist, auszuweiten. Eine derartige Überlegung scheint dazu prädestiniert zu sein, sich nicht jenseits der vorangehenden kritischen Studien zu entwickeln, sondern sich sozusagen auf ihre Schultern zu stellen, und all die Elemente, die die großen Interpretationslinien der italienischen Tradition der Studien zur Politica liefern können, fruchtbar zu machen.

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Althusius und die Anfänge der politischen Wissenschaft in Deutschland 1. Form und Inhalt im politischen Denken des Althusius Angesichts der Beschleunigung der internationalen oder intranationalen föderalen Entwicklungen und als Reaktion auf die von ihnen hervorgerufene Notwendigkeit einer einschlägigen Theorie ist das Werk von Johannes Althusius, einem über Jahrhunderte vergessenen Autor, nun wieder ins Zentrum eines neu erwachten Interesses gerückt. Die Forscher zu den Problemen des Föderalismus und der Subsidiarität wenden sich diesem proto- oder vielleicht auch vor-modernen Autor zu, um von ihm Aufschlüsse, Anregungen und Anleitungen für die Gegenwart zu erhalten1. Neben dieser politologischen Sicht, die deutlich auf die Inhalte der Politica methodice digesta, auf die in dem Werk vorgebrachten theoretischen Konstruktionen und Argumentationen konzentriert ist, können wir unsere Fragen auch an das richten, was wir als textliche „Form“ des Denkens von Althusius bezeichnen können, um zu ermitteln, auf welche Weise er sein politisches Wissen hervorbrachte und verbreitete und um die Nähe seiner Entscheidungen zu den literarischen Codices des frühen 17. Jahrhunderts zu verifizieren. Im Folgenden möchte ich in diesem Sinne einige Betrachtungen anstellen.

2. Die politische Epistemologie des Althusius Aus einer gewissen Distanz betrachtet vermittelt das Werk des Althusius den Eindruck außerordentlicher Kompaktheit. Zwei juristische Werke, die Iuris Romani libri duo2 von 1586 und die Dicaeologicae libri tres3 von 1617 eröffnen und be1 Vgl. zusammenfassend die Ausführungen von Th. O. Hueglin, Subsidiarität in der Europäischen Union zwischen Althusius und katholischer Soziallehre, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 363 – 374. 2 I. Althusius, Iuris Romani libri duo, ad leges methodi Romeae confirmati et tabula illustrati, Basileae (Ad Lecythum Waldkirchianam) 1586. Das Buch wurde von der zweiten Ausgabe an mit verändertem Titel veröffentlicht: I. Althusius, Iurisprudentia Romana, vel potius iuris Romani ars, duobus libris comprehensa et ad leges methodi Rameae conformata, studio Iohannis Althusii. Editio altera, aucta et correcta, Herbornae, Ex officina Christophori Cor-

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schließen seine Tätigkeit als Autor wie zwei große Klammern, die die drei Ausgaben der Politica methodice digesta umschließen, in denen sich Themen ausgearbeitet finden, die in der Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando4 von 1602 vorweggenommen wurden und fortwährend zusammenwuchsen, bis sie 1614 eine endgültige Ordnung erhielten. Dieses Bild der Kohärenz ist jedoch irreführend. Es wäre beispielsweise verfehlt, zu glauben, dass der große juristische Traktat aus dem Jahre 1617, die Dicaeologica, das weiterentwickeln und zum Abschluss bringen würde, was Althusius in den Kompendien seiner Jugendzeit antizipiert hatte. Im Gegenteil: Wenn man diese Werke genau betrachtet, zweifelt man daran, dass sie – wenn auch mit fünfzigjährigem Abstand – von derselben Person geschrieben wurden. Während nämlich die Dicaeologica von 1617 Argumente gegen die Idee der absoluten Macht des Magistrats versammelt5, machen sich die Jugendtraktate die Lehre von Jean Bodin zu eigen und verteidigen sie ausdrücklich6. Der Gegensatz zwischen dem Prinzip der absoluten Macht und jenem des Widerstandsrechts könnte stärker nicht sein – und das in den Schriften ein und desselben Autors. Zu ähnlichen Schlüssen kommt man auch, wenn man die drei Ausgaben der Politica näher in Augenschein nimmt, in denen die Polemik gegen Bodin, die unterschwellig von Anfang an vorhanden ist, erst seit der zweiten Ausgabe von 1610 auf kohärente Weise radikalisiert wurde, sei es aufgrund der Erfahrungen, die Althusius als Beamter der Stadt Emden machte7, oder aufgrund der allgemeinen Diskussionen über die charakteristischen vini, 1588 und wurde später mit einer Zusammenschau der juristischen Systematik versehen: I. Althusius, Epitome et brevis 6íáκ åϕáëáßùóéò dicaeologicae Romanae, in: ders., Iurisprudentiae Romanae methodice digestae libri duo. Editio altera correcta et epitome ac brevi anacephalaeosi dicaeologicae aucta, Herbornae, Es officina Christophori Corvini, 1592. Zu den verschiedenen Ausgaben vgl. H. U. Scupin / U. Scheuner (Hrsg.), Althusius-Bibliographie. Bibliographie zur politischen Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, Berlin 1973, Bd. 1, S. 1 f. Die Abschnitte zum öffentlichen Recht in diesem ersten Werk des Althusius, vor allem jene über die Aufgabe der maiestas, sind untersucht worden von M. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis. Der Weg des Johannes Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: Politische Begriffe und historisches Umfeld (FN 1), S. 211 – 249, hier: 234 – 242. 3 I. Althusius, Dicaeologicae libri tres, totum et universum ius, quo utimur, methodice complectentes [ . . . ]. Editio secunda priori correctior, Francofurti, Apud haeredes Christophori Corvini, 1649, (1. Ausg. 1617), Nachdruck: Aalen 1967. 4 I. Althusius, Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando [ . . . ], resp. Hugo Pelletarius, Herbornae Nassoviorum, Ex officina Christophori Corvini, 1602, hrsg. von M. Scattola, in: Quaderni fiorentini 25 (1996), S. 23 – 46 mit einer Nota bibliografica, S. 43 – 63. Zur Abfassung dieser Schrift vgl. M. Stolleis, De regno recte instituendo et administrando. Eine unbekannte Disputation von Johannes Althusius, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 7 (1987), S. 167 – 173, erweiterter Nachdruck in: Quaderni fiorentini 25 (1996), S. 13 – 21. 5 Althusius, Dicaeologicae libr tres (FN 1), I, 32, 1 – 4, S. 117 f. 6 Ders., Iurisprudentia Romana, 1588 (FN 1), Kap. 8: „De potestate publica“, S. 23 – 25; ders., Epitome et brevis 6íáκ åϕáëáßùóéò dicaeologicae Romanae (FN 2), S. 7.

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Züge der maiestas, an der sich alle deutschen Autoren des frühen 17. Jahrhunderts beteiligten8. Wenn wir also das politische Denken des Althusius nur unter dem Gesichtspunkt der Inhalte beurteilen und seine Positionsnahmen für diese oder jene Lehre in Betracht ziehen, erweist es sich als weit weniger homogen, als wir anzunehmen geneigt sind. Die von uns gesuchte Kohärenz fehlt allerdings nicht vollkommen und existiert wirklich, wenn auch auf einer anderen Ebene: das, was die Jugendwerke mit denen der späten Reife eng verbindet, ist nämlich nicht so sehr die durchgehende Präsenz ein und derselben Meinung, sondern die Konstanz von dem, was wir als politische Epistemologie des Althusius bezeichnen können, der Umstand, dass er immer dasselbe Schema zur Anwendung brachte, ein und dieselbe Ausdrucksform, um seine Argumente anzuordnen. Wenn wir diesen Gesichtspunkt wählen, müssen wir zunächst von der Feststellung ausgehen, dass sich die Iuris Romani libri duo in eine breite Debatte über die Systematisierung des römischen Rechts einfügten, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die gesamte deutsche Jurisprudenz erfasste und in besonderer Weise die der reformierten Konfession. Wie viele andere zeitgleiche Versuche – man kann hier an Konrad Lagus (1543), Nikolaus Vigel (1561), Hermann von Vulte (1590) und Johann Thomas Freigius (1571)9 erinnern – so ist auch das Kompendium des Althusius eine methodus iuris, eine ordentliche Aufgliederung des gesamten ius civile, in der der junge Jurist anerkannte, dass die traditionelle Dreiteilung in personae, res et actiones durch eine streng ramistische Zweiteilung in 7 Diesem Aspekt haben sich gewidmet: H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Aurich 1955, S. 104 u. 140 – 145; ders., Johannes Althusius als Syndicus reipublicae Embdanae, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 67 – 88; M. Behnen, Status regiminis provinciae. Althusius und die „freie Republik Emden“ in Ostfriesland, in: G. Duso / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 139 – 158, hier S. 140 f. u. 156 – 158. 8 Vgl. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis (FN 2), S. 242 – 249. 9 K. Lagus, Iuris utriusque traditio methodica, omnem omnium titulorum tam pontifici quam Caesarei iuris materiam et genus [ . . . ] complectens [ . . . ], Francofurti, Apud Christianum Egenolphum 21552 (1. Ausg. Frankfurt 1543); N. Vigel, Iuris civilis universi absolutissima methodus, in qua, bone lector, non solum omnes universi iuris civilis titulos, sed et singulas singulorum titulorum leges, singulos singularum legum paragraphos ordine artificioso ad suos locos habes redactos et dispositos [ . . . ], Basileae, Ioannes Oporinus, 1565 (1. Ausg. Basel 1561); I. Th. Freigius, Partitiones iuris utriusque e Conradi Lagi methodo expressae [ . . . ], Basileae, Per Sebastianum Henricpetri, 1581 (1. Ausg. Basel 1571); H. von Vulte, Iurisprudentiae Romanae a Iustiniano compositae libri duo, Marpurgi, Typis Pauli Egenolphi, 3 1598 (1. Ausg. 1590). Zu dieser Literatur vgl. H. E. Troje, Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluss des Humanismus, in: H. Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Zweiter Band: Neuere Zeit (1500 – 1800). Das Zeitalter des gemeinen Rechts. Erster Teilband: Wissenschaft, München 1977, S. 615 – 795; A. Mazzacane, Methode und System in der deutschen Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, in: J. Schröder (Hrsg.), Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Stuttgart 1998, S. 127 – 136.

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negotia et iura ersetzt werden konnte, weil die Jurisprudenz entweder mit rechtlichen Sachverhalten oder ihren Umsetzungen zu tun hat, von denen Personen und Ursachen Teile darstellen10. An dieses Schema hat sich Althusius stets gehalten, und es ist diese Struktur, die er in seinem großen Traktat bis in die kleinsten Details ausarbeitete. Die Kontinuität und Einheit des politischen und juristischen Werks von Althusius ist folglich nicht nur in den Inhalten, sondern auch in den Formen, den literarischen Regeln oder, wenn man so will, in der Epistemologie zu suchen, die er zur Anwendung brachte. Tatsächlich hat er in den programmatischen Formulierungen seiner Vorworte explizit hervorgehoben, dass die Aufgabe eines politischen Autors vor allem darin bestehe, das überlieferte Wissen zu ordnen. Im Vorwort zur Dicaeologica schrieb er, dass er sich die folgende Aufgabe gestellt hatte: Materiam iuris in libris iurisconsultorum dispersam ad certa capita et genera revocavi. A sedibus suis ab aliis turbata et dimota, in domicilia propria retuli et in ordinem redegi. Collocavi omnia, meo iudicio, eo ordine et methodo ut praecedentia lucem sequentibus inferent et sequentia a prioribus lumen acciperent. Vagabantur et peregrinabantur quaedam materiae, incertisque sedibus aberrabant, quibusdam eas ad possessionem, vel dominium, quibusdam ad conventiones, quibusdam ad delicta, quibusdam ad iudicia eas deposcentibus, quibusdam illis peculiarem et separatum locum adsignantibus. Quaedam etiam materiae hucusque ex agro iuridico exterminatae exulabant, quasi 6ðï ëßäåéò iure civitatis iuridicae indignae. His possessionem suam, quae iniuria illis erat adempta, tribui, easque ad proprios lares reduxi, soloque suo natali restitui.11

Hier erklärt uns Althusius, dass die spezifische Leistung eines Autors seiner Zeit darin besteht, den „in den Büchern verstreuten“ Wissens-“Stoff“ zu umreißen, ihn nach „Titeln“, in Kapitel und Genres einzuteilen und jeden der verfügbaren Gegenstände seiner sedes zuzuweisen, ein Begriff, der hier in weiterem Sinne gebraucht wird, um sowohl den Sitz des Stoffes als auch den Gemeinplatz zu bezeichnen, der weithin als Rubrik verstanden wird. Alle notwendigen Kenntnisse stehen dem Autor bereits zur Verfügung, aber seine Aufgabe bleibt auf jeden Fall besonders schwierig, denn die Ordnung ist durcheinander geraten, so dass viele Gegenstände unter dem falschen Gemeinplatz verzeichnet sind oder niemals eine passende Stelle zugewiesen bekommen haben oder sogar einer falschen Wissenschaft zugewiesen wurden.12 Die rechte Ordnung zu finden (invenire) heißt dage-

10 Vgl. M. Villey, La formation de la pensée juridique moderne. Cours d’histoire de la philosophie du droit. 1961 – 1966, Paris 1968, S. 588 – 594. 11 Althusius, Dicaeologica (FN 1), fol. 2r – v. 12 Vgl. dazu beispielsweise das, was in diesen Jahren Hermann von Vulte zur Ordnung des Römischen Rechts meinte, zu dem Gegenstand also, dem Althusius seine ganze Kraft widmete. Vgl. H. von Vulte, Idea methodi iuris civilis Iustinianei logica, in: ders., Tractatus tres [ . . . ], Francofurti, Apud Ioannem Wechelum, 1583, S. 2 f.: „Nam ars iuris libris Iustinianeis comprehensa non tam artis nomen meretur quam vagae alicuius et non admodum sibi con-

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gen, jedes Element an der Stelle zu platzieren, die so zu ihm passt, dass „das Element, das vorangeht, das erhellt, was ihm folgt, und das, was ihm folgt, von dem erhellt wird, was ihm vorangeht“. Dies sind die Worte, mit denen Althusius eine allgemeine Regel der „definitiven“ Ordnung formuliert, die immer vom Bekannten zum Unbekannten fortschreitet, von dem, das unmittelbar einsichtig und deutlich ist, zu dem, was dunkel ist. Das Verdienst eines Autors besteht also nicht in einer Entdeckung von Neuem, sondern darin, dass er eine korrekte Ordnung einführt13; und dies erfordert Übung in dialektischer inventio, die die dispositio disciplinae anzeigen muss, wie dies in eben diesen Jahren Bartholomaeus Keckermann, ein anderer wichtiger Autor aus dem reformierten Lager, vertrat14. Und tatsächlich: Wenn Althusius seine eigenen Verdienste erklärt, hebt er vor allem seinen Beitrag zur Organisation der politischen Lehre hervor. Im Vorwort zur zweiten Ausgabe der Politica, dort, wo er von den Änderungen zwischen der Ausgabe von 1603 und 1610 Rechenschaft ablegen muss, wendet er sich mit den folgenden Worten an die Provinzialstände von Ostfriesland: Cum intelligerem, illustres Ordines, priorem meam sciagraphiam politicam multis probari, et exemplaribus prioribus distractis, aliam editionem parari, operae pretium me facturum esse existimavi, si eandem recognoscerem et ad incudem revocarem. Quod cum a me succissivis horis, quamtum inter occupationes reipublicae licuit, factum esset, animadverti, secundas meas meditationes opus politicum novum, a priori sciagraphia forma, methodo et rerum multitudine diversum peperisse.15

Die Neuerung der zweiten Ausgabe, die hier als opus novum bezeichnet wird, bestünde also nicht so sehr in den Lehrmeinungen als in der „Form“, in der

stantis farraginis, quippe quae non secundum artificium logicum, sed secundum Edicti perpetui ordinem congesta sit. In solis Institutionum imperialium libris aliqua videtur esse adhibita methodus. Sed illa quam 6ìÝèïäïò sit, quam imperfecta, quam inartificiosa, quam denique nulla iam pridem a magni nominis iurisconsultis animadversum et annotatum est. Ad eam igitur iuris artem Iustinianeam studium iuris instituere perinde est ac si quis doceat quomodo grammatica sit discenda nec tamen certam aliquam grammaticam, sed vagam quondam congeriem praeceptorum grammaticorum inter se confusorum discenti proponat“. 13 Freigius, Partitiones iuris utriusque (FN 9), Epistola dedicatoria, fol. A3v: „Neque enim hic ulla propria inventio (res enim e iureconsultorum scriptis desumpta est) verum sola dispositio et methodi lux iudiciumque rerum propositarum laudari potest“. 14 B. Keckermann, Apparatus practicus sive idea methodica et plena totius philosophiae practicae [ . . . ] 1609, in: ders., Systema systematum [ . . . ], hrgs. von H. J. Alsted, Hanoviae, Apud haeredes Guilielmi Antonii, 1613, Bd. 2, „Manuductio ad studium philosophiae practicae atque adeo inprimis ad studium politicum et historicum“, Kap. 2, S. 1700a – 1704a. Vgl. dazu M. Scattola, L’utopia delle passioni. Ordine della società e controllo degli affetti nell’Isola di Felsenburg (1731 – 1745) di Johann Gottfried Schnabel, Padua 2002, S. 48 – 59. 15 I. Althusius, Politica methodice digesta [ . . . ], Arnhemii, Ex officina Iohannis Iansonii, 1610, Praefatio, fol. *2r.

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„Methode“ und in der „Anzahl der Stoffe“. Die forma und der literarische Stil der ersten Ausgabe waren die der sciagraphia, des Umrisses, der lineamenta, denen nach dem Kanon der literarischen Genera der Zeit eine grundsätzlich pädagogische Aufgabe zukam. Im Vorwort zur Ausgabe von 1603 kann man denn auch die folgenden Sätze lesen: Conatus sum, clarissimi et consultissimi viri, adfines et amici honorandi, praecepta politica, quae varia a variis literis sunt tradita, in ordinem convenientem revocare, et reipsa experiri, an methodica docendi ratio iuxta logicorum praescriptum in his observari possit. Scopus et ratio huius mei propositi et conatus fuit, ut tyronibus politicae doctrinae facem intelligentiae, iudicii et memoriae, si possem, praeferrem.16

Und wenn Althusius die pädagogische Ausrichtung dieses Werks betont, erinnert er damit zugleich daran, dass es nichts anderes als eine Sammlung, ein Digest von Regeln und politischen exempla ist (tum praecepta politica eorumque exempla, tum modus horum digerendorum et ordinandorum)17. In demselben Vorwort erklärt Althusius auch, was er unter methodus versteht, ein Begriff, der in der Tat gleichbedeutend ist mit ordo und dispositio disciplinae18: Desidero praeterea in singulis hisce methodum et ordinem convenientem, id quod imprimis quaerebam, et cuius caussa totus hoc labor a me susceptus est. Nam dici non potest, quantum discentibus, imo et docentibus ratio illa perspicue docendi conferat. De qua re testentur illi quibus haec nota sunt, quique experientia didicerunt, methodum memoriae et intelligentiae matrem et nutricem esse et iudicii accurati informatricem.19

16 Ders., Politica methodice digesta [ . . . ] Herbornae Nassoviorum, Ex officina Christophori Corvini, 1603, Praefatio, fol. (:)2r. 17 Ebd., fol. (:)6v: „Vos in media republica versamini, et eorum de quibus ego dissero magnam partem tractatis quotidie. Optime igitur de hisce iudicare potestis, meque in quibus a recta ratione, tum in praeceptis politicis eorumque exemplis, tum in modo horum digerendorum et ordinandorum discessi, liberius et melius forte quam alii monere et in viam revocare potestis“. Vgl. auch ebd., fol. (:)2r – v u. 3r: „Hunc igitur laborem quo maiore cum fructu et successu possem praestare, consului illos scientiae huius magistros, qui prae caeteros experientiae et rerum usu in hoc genere mihi pollere videbantur [ . . . ]. Praecepta vero politica et exempla quae trado, ex his iisdem politicis magistris,magnam partem sunt desumpta, uti in locis propriis allegantur“. 18 Vgl. dazu zum Beispiel das, was Jean de Coras in einer anderen klassischen Einführungsschrift für das Studium des Rechts schreibt. Vgl. J. de Coras, De iuris arte liber, quatuor partibus conclusus, Lugduni, 1560, in: ders. / J. Hopper, Tractatus de iuris arte duorum clarissimorum iurisconsultorum [ . . . ], Coloniae Agrippinae, Apud Ioannem Gymnicum, 1582, Pars 1, Kap. 9, S. 30: „Dum illud primum sciamus methodum aliud esse nihil quam brevem quandam et compendiosam cum ratione docendi viam, qua omnes artis partes subtiliter inveniuntur et inventae recto iudicio distinguuntur et docentur. Cuius duas esse partes constat, nempe ordinem et viam seu modum“. 19 Althusius, Politica (FN 16), fol. (:)3r.

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Methode und Ordnung sind hier, auch wenn sie in der Diskussion um die Logik im späten 16. Jahrhundert von einander getrennt wurden20, gleichbedeutend 21: Die rechte Methode zu finden heißt, die rechte Ordnung zu finden, das heißt die rechte Anordnung der Gegenstände, wie sie zum Beispiel in den grafischen Darstellungen zum Ausdruck kommt, die allen Werken des Althusius beigegeben sind. Die Methode der Politik besteht also in ihren Tabellen, die sich in der Tat zwischen 1603 und 1610 veränderten22. Das Bedürfnis, das ganze politische Wissen, das abgeschlossen und begrenzt ist, zu verstehen und nach den Geboten der dialektischen inventio in einem durchsichtigen Schema anzuordnen, sind die Kriterien, die die Zusammenstellung, die Form der Politica methodice digesta bestimmt haben. Sie sind allerdings nicht Althusius allein eigen, sondern stehen für den Angelpunkt des literarischen oder epistemologischen Kodex, der von allen Autoren, die über Politik schrieben, von Juristen und Theologen, anerkannt wurde. Allgemeingut sind ebenso einige Kunstgriffe in der Ausarbeitung des Wissens, wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Inhalt der Politica zunächst in Form der universitären Disputation fixiert wurde, die dann bis zur Größe eines Handbuchs anwuchs23. Für dieses Vorgehen könnte man viele Beispiele anführen. 1614 ließ Christoph Besold von seinen Schülern zwei verschiedene Serien von Disputationen über die Politik verteidigen, die er dann 1618 als systematisches Kompendium wieder veröffentlichte und schließlich 1625 zu umfassenden wissenschaftlichen Traktaten weiter ausarbeitete24. 20 Die klassische Selle für die Diskussion um die Methode im 16. Jahrhundert ist J. Zabarella, De methodis libri quatuor, in: ders., Opera logica [ . . . ], Venetiis, Apud Paulum Meietum, 1578, v.a. Buch 1, Kap. 3 – 9, S. 93 – 129. Über die Methodenlehre Zabarellas vgl. A. Poppi, La dottrina della scienza in Giacomo Zabarella, Padua 1972, S. 161 – 195. 21 Tatsächlich stellte die Position Zabarellas zu dem Zeitpunkt mehr die Ausnahme als die Regel dar, weil sowohl im italienischen wie im europäischen Rahmen die Bezeichnungen „Methode“ und „Ordnung“ bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts einfach nicht auseinandergehalten wurden. Vgl. O. Günther, Methodorum tractatus duo [ . . . ], Helmstadii, Excudebat Iacobus Lucius, 1586, I, 2, 1, fol. 23v – 29r: „Duas igitur hasce species methodi, nempe universalem et particularem, deinceps declarabimus [ . . . ]. Methodus universalis est omnium partium artis acute inveniendi, apte collocandi et dextre explicandi habitus“; B. Keckermann, Systema logicae tribus libris adornatum [ . . . ], Hanoviae, Apud Gulielmum Antonium, 1600, III, 2 1: „De methodo“, S. 588 – 603, v.a. S. 591: „Interdum vero methodus sumitur non pro notificatione et explicatione unius instrumenti logici, sed pro integro aliquo systemate disciplinae per varia instrumenta logica concinnato“; ders., Systema logicae compendiosa methodo adornatum [ . . . ] Honaoviae, Apud Gulielmum antonium, 1601, III, 21, S. 146: „Methodus est dispositio legitima partium doctrinae“. Dazu M. Scattola, Arnisaeus, Zabarella e Piccolomini. La discussione sul metodo della filosofia pratica alle origini della disciplina politica moderna, in: G. Piaia (Hrsg.), La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità, Rom / Padua 2002, S. 273 – 309, hier: S. 278 – 287 u. ders., L’ordine del sapere. La bibliografia politica tedesca del Seicento (= Archivio della Ragion di stato 10 – 11 (2002 / 2003), S. 5 – 39. 22 Zu einer detaillierten Analyse dieser Veränderungen vgl. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis (FN 2), S. 217 – 234. 23 Vgl. Stolleis, De regno recte instituendo et administrando (FN 4), S. 13 – 21.

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3. Unterschiedliche Methoden Der allgemein anerkannte formale Kodex, der die Ausarbeitung der Disziplin „Politik“ bestimmte und der zu ihrer Verbreitung in der universitären Lehre führte, legte Ziel und Mittel der politischen Erkenntnis rigoros fest und wies die verschiedenen Gegenstände sehr genau verschiedenen literarischen Genera zu25; zum andern erlaubte er es zugleich, dass man sich für verschiedene und teilweise in Konkurrenz zueinander stehende Lösungen entschied. So war zum Beispiel eine dispositio totius disciplinae oder ein methodischer Ansatz unabdingbar, aber es gab drei verschiedene methodische Herangehensweisen: kompositiv, resolutiv und definitiv26. Daher teilte der Calvinist Johannes Althusius auf der einen Seite mit seinem Gegner, dem Lutheraner Henning Arnisaeus, die Meinung, dass die Politik über eine genaue Ordnung, eine methodus, verfügen muss, auf der anderen Seite aber unterscheid er sich von ihm grundlegend in der Wahl der Ordnung der Darstellung: Während die Politica des Althusius nach der methodus definitiva ramistischer Prägung methodice digesta ist, ist die Doctrina politica des Arnisaeus dagegen in genuinam methodum, quae est Aristotelis, reducta, basiert also auf der resolutiven Methode27. Diese beiden Entscheidungen, die auf den ersten Blick nur die darstellerische Architektur beider Traktate zu betreffen scheinen, haben in Wirklichkeit tiefgreifende Auswirkungen auf die fachlichen Ergebnisse. Nur die definitive Methode, die von der Definition eines Faches oder einer Wissenschaft in seiner oder ihrer 24 Ch. Besold, Collegii politici hanc classis primae disputationem primam, praecognita prudentiae politicae proponentem [ . . . ], examinandam exhibit Georgius Christophorus a Schallenberg in Biberstein [ . . . ], in: ders., Collegii politici classis prima [ . . . ], Tubingae, Typis Iohannis Alexandri Cellii, 1614, disp. 1, S. 1 – 34; ders., Politicorum libri duo [ . . . ], Francofurti, Iohannes Alexander Cellius, 1620 (1. Ausg. Frankfurt 1618), „Libri primi politicorum caput primum praecognita politices complectens“, S. 1 – 53; ders., Dissertatio prima praecognita philosophiae [scilicet politices] complectens, in: ders., Principium et finis politicae doctrinae [ . . . ], Argentorati, Lazarus Zetznerus, 1625, S. 1 – 88. 25 Zur Klassifizierung der verschiedenen literarischen Genera der Politik in der Frühen Neuzeit vgl. M. Scattola, Geschichte der politischen Bibliographie als Geschichte der politischen Theorie, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 20 (1995), S. 1 – 37 und ders., Repertorio sistematico, in ders., L’ordine del sapere (FN 21), S. 337 – 439. 26 Der kanonische Locus für die Lehre der drei verschiedenen Methoden ist C. Galenus, Ars medica, in ders., Opera omnia, hrsg. von Karl Gottlob Kühn, Lipsiae, Prostat in officina libraria Caroli Cnoblochii, 1821, Bd. 1, Prooemium, S. 305 – 307, hier in der lateinischen Übersetzung, S. 305: „Tres sunt omnes doctrinae, quae ordine comparantur. Prima quidem ex finis notione, quae per resolutionem fit; secunda ex compositione eorum quae per resolutionem fuerunt inventa; tertia ex definitionis dissolutione, quam nunc instituimus“. Vgl. P.-G. Ottosson, Scholastic Medicine and Philosophy. A Study of Commentaries on Galen’s Tegni (ca. 1300 – 1450), Neapel 1982, S. 65 – 126. 27 H. Arnisaeus, Doctrina politica in genuinam methodum, quae est Aristotelis reducta, et ex probatissimis quibusque philosophis, oratoribus, iurisconsultis, historicis et c. breviter comportata et explicata [ . . . ], Francofurti [ad Viadrum], Impensis Iohannis Thiemen, 1606.

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Gesamtheit ausgeht – in diesem Fall der Politik –, um sie dann in ihre Teile zu zerlegen, macht es möglich, die kleineren gesellschaftlichen Zusammenschlüsse von der Familie bis zur Provinz unter die politischen Formationen aufzunehmen und ihnen einen wirklichen politischen Wert beizumessen; und nur sie erlaubt es Althusius, ein öffentliches Recht der privaten gesellschaftlichen Zusammenschlüsse unter dem Namen des ius symbioticum auszuarbeiten28. Die resolutive aristotelische Methode verlangt dagegen, dass man von dem Wesen eines intuitiven Komplexes ausgeht – in diesem Fall der Essenz, also der Formalursache der politischen Gesellschaft – um diesen ursprünglichen Begriff in die Bestandteile zu zerlegen, die ihn zusammensetzen29. Politisch, also unabhängig, kann nur die respublica sein, und deshalb gibt es nur eine politische Gesellschaft im eigentlichen Sinne, eben die respublica, während die anderen Gesellschaften nicht als solche anzusehen sind und streng genommen nicht diesem Fach zuzurechnen sind30. Die Kritik, die Arnisaeus an der Vielzahl der politischen Gemeinschaften vorbringt, an der Idee, dass viele Gesellschaften existieren können, die in gewisser Weise unabhängig sind, die Kritik an dem, was wir heute als den „Föderalismus“ des Althusius bezeichnen, ist also grundsätzlich ein methodologischer Einwand und Arnisaeus wendet viele Seiten – vor allem die einleitenden Kapitel – seiner Werke dafür auf zu zeigen, dass die ramistische Methode abwegig ist, weil sie den 28 Althusius, Politica, 1610 (FN 15), Kap. 1, S. 2 f. = ders., Politica methodice digesta [ . . . ], Herbornae Nassoviorum, [Christophorus Corvinus], 1614, Kap. 1, Par. 7 – 10, S. 3 f. Über das symbiotische Recht und seine Rolle in der Bildung der politischen Gemeinschaft vgl. P. J. Winters, Die Politik des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen. Zur Grundlegung der politischen Wissenschaft im 16. und im beginnenden 17. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1963, S. 175 – 192; Scattola, Von der maiestas zur symbiosis (FN 2), S. 217 – 223. 29 H. Arnisaeus, Disputationum politicarum [ . . . ] prima, de constitutione politices [ . . . ], resp. Iohannes Angelius Werdenhagen, in: ders., Disputationum politicarum in Academia Iulia propositarum prima-[duodecima], Helmstadii, Ex officina typographica Iacobi Lucii 1605, fol. A1-C2, hier Par. 7 – 20, fol. A2v – 4v; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 1, S. 1 – 10; ders., De republica seu relectionis politicae libri duo [ . . . ] Francofurti [ad Viadrum], Impensis Iohannis Thymii, 1615, I, „Ratio ordinis“, 1 – 9, S. 1 – 5 und II, „Prooemium“, 1 – 3, S. 1 – 38. Vgl. M. Scattola, „Controversia de vi in principem.“ Vertrag, Tyrannis und Widerstand in der Auseinandersetzung zwischen Johannes Althusius und Henning Arnisaeus, in: A. de Benedictis / K.-H. Lingens (Hrsg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16. – 18. Jh.), Frankfurt am Main 2003, S. 175 – 249, hier: S. 195 – 202. 30 Vgl. auch Ph. H. von Hoen, Disputatio prima. De defensione et obiecto politicae. Item de origine et legibus reipublicae, resp. Christophorus Theodorus Esselius, in: ders., Libri duo disputationum, prior politicarum methodice digestarum, posterior iuridicarum ad selectas aliquot Pandectarum materias [ . . . ], Herbornae Nassoviorum, [Christophorus Corvinus], 1608, lib. 1, S. 1 – 14, hier Par. 2, S. 2 und Anm. D, S. 3: „Est autem politica ars de societate civili publica [ . . . ] non solum bene constituenda, sed et recte constituta tuenda et conservanda [ . . . ]. In his posterioribus definitionis verbis latet forma, qua distinguitur politica ab oeconomica, quam vulgo politici perperam politicae partem constituunt [ . . . ]. Oeconomica enim est ars peculiaris de quadam familiae particulari, privata et domestica societate agens. Politica vero de societate publica tractat, spectans directo bonum reipublicae seu politiam et ordinem in civitate constituendum et conservandum“.

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Gegenstand der Politik verzerrt, ihn mit der Familie kontaminiert und es schließlich soweit bringt, die gesamte Ökonomie, also die gesamte Privatsphäre, in die edle Staatskunst aufzunehmen31.

4. Unterschiedliche Lehren Die Unstimmigkeiten zwischen Althusius und Arnisaeus, also zwischen der Denkrichtung, die die Freiheit der königlichen Regierung bekämpfte und jener, die sie verteidigte, treten natürlich besonders krass hervor, wenn man die Lehren von der Tyrannis und vom Widerstandsrecht betrachtet. Im Hinblick darauf ist es sogar möglich, die verschiedenen Phasen derart zu interpretieren, dass die literarische Produktion beider Autoren wie eine Polemik aus der räumlichen Distanz erscheint, in der die beiden Autoren die Argumente des jeweiligen Gegners aufgreifen und sich darum bemühen, selbst Argumente auszuarbeiten, um die Position des anderen auch mit einer Vervielfältigung der Argumente, der Beispiele und der angeführten Autoritäten zu überbieten. Wir können dieses Spiel des sukzessiven Aufnehmens und Zurückgebens, das eine Flut von Argumenten zur Folge hatte, in der der Gegner untergehen sollte, in drei Phasen unterteilen32. Die erste Phase der Polemik fällt in die Jahre 1603 bis 1605 und enthält die ersten Werke der beiden Autoren zur Politik. In der Disputation De regno von 1602 und in der ersten Ausgabe der Politica methodice digesta verteidigt Althusius das Recht des Widerstands gegen einen Tyrannen, wobei er sich auf den Vertrag zwischen Volk und Magistrat und auf die Mitverantwortlichkeit gegenüber Gott beruft, die dieser Vertrag schafft33. In seinen Werken der Jahre 1605 und 1606 antwortet Arnisaeus, dass jede politische Gemeinschaft aus einem Ordnungsverhältnis zwischen dem, der regiert, und dem, der gehorcht, besteht, was die echte Form einer Republik bestimmt und das eigentliche Ziel der Politik darstellt34. Ein Ordnungsverhältnis setzt allerdings immer einen Unterschied voraus, der seinerseits von einem ersten Prinzip seinen Ausgang nehmen muss. Eine derartige Instanz, die 31 Arnisaeus, De republica (FN 29), II, „Prooemium“, 2, S. 11 – 15, v. a. Par. 8 – 11, s. 14 f.: „Nullis igitur argumentis definitiva methodus a Ramaeis, medicis et iurisconsultis quibusdam probatur [ . . . ]. Quod ad memoriam faciat et brevitate delectet, credimus quidem Galeno in dicto cap. 1. De arte parva [Prooemium, Bd. 1, S. 306, Ausg. Kühn], sed id ad essentiam ordinis nihil attinet, quia et in tabulas congesta aut in digitos computata facilius imprimuntur memoriae, unde tamen nec nova methodus inducitur nec prior variatur. Brevitas vero, nisi obscuret et intricet, commendatam quidem reddit methodum, sed essentiam eius non mutat, ut notat etiam Duncanus [scilicet Duncan Liddel] lib. 1. Artis medicae cap. 4 [S. 18 – 19]“. 32 Die einzelnen Schritte dieser Polemik sind detailliert ausgeführt in Scattola, Controversia de vi in principem (FN 29), S. 175 – 249. 33 Althusius, Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando (FN 4), Par. 48 f., S. 40 und Par. 69 – 73, S. 44 f.; ders., Politica, 1603 (FN 16), XIV, S. 156 – 158. 34 Ebd., I, S. 14.

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dazu befähigt ist, die politische Ordnung zu begründen, kann nur die summa potestas sein35. Da sie der Ursprung der gesamten politischen Ordnung ist, erkennt sie keine Autorität über sich an und ist für jede Republik einzigartig36. Ob eine politische Gesellschaft gesund oder ob sie verdorben ist, kann nur in Bezug auf diese Essenz oder Formalursache der Politik beurteilt werden. Deshalb wird die Lehre des Althusius über die Tyrannis abgelehnt, die den verdorbenen höchsten Magistrat verurteilt und sich beinahe ausschließlich auf seine privaten Fehler beruft37, wo es dagegen eine echte Tyrannis doch nur dann geben kann, wenn der Fürst die politische Ordnung umstürzt38. Ausgehend von denselben argumentativen Grundlagen, vor allem von den verschiedenen Ausdrucksformen politischer Herrschaft, attackiert Arnisaeus auch die Lehre vom Ephorat, die seiner Meinung nach kein Grundbestandteil einer jeden gut geordneten Regierung darstellt, wie Althusius meinte, sondern lediglich einen besonderen Fall der Mischverfassung39. Die zweite Ausgabe der Politica methodice digesta eröffnet die zweite Phase der Polemik und antwortet direkt auf die Kritiken von Arnisaeus, wobei Althusius zu zeigen versucht, dass die Essenz der Tyrannis genau in der absoluta potestas zu suchen ist40. Auf dieser Grundlage kann Althusius die Anschuldigungen des Arnisaeus zurückweisen und zeigen, dass er dieselben Fehler macht wie Bodin. Die Rechte der Regierenden können nämlich nicht unbegrenzt sein, sondern müssen dem göttlichen und natürlichen Recht unterstehen41. Aber wie Arnisaeus die Möglichkeit bestreitet, den Tyrannen vor irdischen Instanzen zur Rechenschaft zu ziehen, gibt er ihm freie Hand, die göttliche und natürliche Ordnung sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Sphäre zu verletzen. Anhand dieser Präzisierungen über die Tyrannis kann Althusius auf die Einwände reagieren, die von den Verteidigern der potestas absoluta formuliert wurden und kann zeigen, wie auch die moralischen Fehler von Regierenden zum Untergang der Republik beitragen. Der verdorbene Fürst kann nämlich mit dem Kapitän eines Schiffes verglichen 35 H. Arnisaeus, Disputationum politicarum quinta. De rebuspublicis in genere, item de mixta republica an detur [ . . . ], resp. Mauritius Canne, in: ders., Disputationum politicarum prima-[duodecima] (FN 29), fol. P4 –V1, hier Par. 6, fol. Q2r; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 7, S. 149 f. 36 H. Arnisaeus, Disputationum politicarum septima. De aristocratia et democratia, cum supplemento de dominatu et tyrannide. Item de summa potestate et iuribus maiestatis [ . . . ], resp. Iohannes Orschinowski a Fuerstenfeld, in: ders., Disputationum politicarum prima-[duodecima], fol. Bb1 – Ee2, hier Par. 3 – 35, fol. Dd2v – 3r; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 11, S. 264. 37 Ders., Disputationum politicarum quinta, Par. 17, fol. Q4v; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 7, S. 155 f. 38 Ders., Disputationum politicarum septima, Par. 12, fol. Cc1r; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 11, S. 248. 39 Ders., Disputationum politicarum quinta, Par. 38 – 42, fol. S1r – 2r; ders., Doctrina politica (FN 27), Kap. 8, S. 167 – 170. 40 Althusius, Politica, 1610 (FN 15), XXXVIII, S. 677 – 684. 41 Ebd., XXXVIII, S. 688 f.

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werden, der absichtlich den Kiel schwächt oder die Segel von seinem Frachter wegnimmt: Das Schiff schwimmt im Hafen, wird aber auf offener See mit Sicherheit untergehen42. Arnisaeus antwortete 1611 und 1612 mit zwei Werken, in denen er nachdrücklich beabsichtigte, die Lehre vom Widerstandsrecht zu verwerfen43. Hier unterteilte er die rechtmäßigen Könige in zwei Gruppen: auf der einen Seite die Könige, die über potestas absoluta oder maiestas integra verfügen, auf der anderen Seite jene, die durch Verträge in ihrer Macht beschränkt sind. Er meinte, dass der kapitale Irrtum von Althusius und den anderen Monarchomachen dadurch zustande gekommen sei, dass sie diese grundlegende Unterscheidung nicht beachtet hätten; sie dehnten nämlich die Begrenzung durch Verträge auf alle Souveräne aus und übertrügen so die Eigenschaften einer einzigen Art auf das gesamte Genus44. Die dritte Phase, mit der die Polemik zugleich erlosch, enthält die letzten Publikationen der beiden Autoren, in denen beide von einer gewissen Neigung zur Hypertrophie erfasst wurden. Althusius bezog 1614 mit der dritten Ausgabe der Politica erneut Position. In ihr wiederholte er alle Argumente der beiden vorhergehenden Ausgaben und brachte weitere Beispiele bei und machte Ergänzungen45. 1615 schließlich wollte Henning Arnisaeus mit der Relectio politica de republica das letzte Wort behalten. Die Relectio war als erster Band einer definitiven Enzyklopädie des politischen Wissens gedacht, eines Unternehmens, das Arnisaeus jedoch niemals zu Ende führte. 5. Eine gemeinsame Konzeption der politischen Ordnung Die Lehren von Althusius und Arnisaeus lassen sich leicht zu zwei einander entgegengesetzten Konzeptionen von Politik stilisieren, und dennoch sind ihnen wichEbd., XXXIX, S. 690 f. H. Arnisaeus, Disputatio politica de autoritate summorum principum in populum et subditos, cuius theses [ . . . ] publice defendendas suscipiet Levinus a Knesebeck [ . . . ], Francofurti [ad Viadrum], Typis Andreae Eichorns, 1611; ders., De autoritate principum in populum simper inviolabili seu quod nulla ex causa subditis fas sit contra legitimum principem arma movere commentatio politica, opposita seditiosis quorundam scriptis, qui omnem principum maiestatem subiiciunt censurae ephororum et populi, Francofurti [ad Viadrum], Impensis Iohannis Thimii, 1612. 44 Ders., Disputatio politica de autoritate summorum principum (FN 43), Par. 5, fol. A3r: „Verum, ubi id [scilicet argumentum a contractu] transferre pergunt ad principatus quoscunque cum autore libri De officio magistratuum [scilicet Bèze, De iure magistratuum, quaest. 6, S. 32 f.] et cum Bruto quaest. 1 [S. 9] dicere: Bene imperanti bene obtemperandum, aut cum Althusio cap. 14. Politicae [S. 146]: Populus obligatus est conditionaliter ad obtemperandum magistratui, si nimirum iuste et pie imperaturus est [ . . . ], in iura regum et principum inconsiderato errore involant et eorum salutem cuiusvis seditiosi civis libidini exponent“; ders., De autoritate principum in populum semper invioloabili (FN 43), I, 6[a], S. 8 f. 45 Vgl. z. B. die neuen Argumente gegen die absolute Gewalt in: Althusius, Politica, 1614 (FN 28), XIX, 9 – 11, S. 330 f. 42 43

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tige, grundlegende Elemente gemeinsam. Bereits unsere schematische Vorstellung der beiden Standpunkte macht deutlich, dass in ihnen neben dem radikalen Dissens auch Motive tiefen Konsenses bestehen. Auch der unermüdlichste deutsche Verteidiger der potestas absoluta wie es Henning Arnisaeus war, bewahrt nämlich das Prinzip, dass jede Regierungsform zu einer Tyrannis degenerieren kann, weshalb die Autorität an eine Ordnung gebunden ist, die sie transzendiert und die sie nicht ungestraft verletzen kann. Das Problem – und hier ist der Unterschied zwischen den beiden Denkern wirklich sehr groß – besteht in der Beantwortung der Fragen, ob man die Autorität richten kann und wer dies tun kann, und vor allem, ob man die Beurteilung des Tyrannen und seine Bestrafung in politischen Instanzen und gerichtlichen Verfahren formalisieren kann. Die von Althusius und Arnisaeus, also den Monarchomachen und Monarchophilen, des frühen 17. Jahrhunderts verfochtenen Konzeptionen der politischen Ordnung sind also zugleich radikal voneinander verschieden, sind sich aber auch äußerst nahe. Sie stimmen erstens darin überein, dass die politische Ordnung bereits vor den Menschen existiert hat und ihnen nicht zur freien Verfügung steht, weder den einzelnen politisch Handelnden (dem König, dem Volk . . . ), noch der Gemeinschaft insgesamt; und zweitens sind sie beide der Auffassung, dass diese Ordnung nicht sofort gegeben ist, sondern erst durch die Entscheidung der Menschen umgesetzt wird. Deshalb kann sie nicht a priori in Form einer Reihe von Aufgaben formuliert werden, die seit jeher existieren und unveränderlich sind, sie wird vielmehr erst ex post sichtbar, nachdem das menschliche Handeln sie verwirklicht hat. Die Ordnung kann nicht mittels einer Deduktion von ihren Prinzipien her oder mit einer Spezifizierung des Typs beschrieben werden, sondern nur über dialektische Vorgänge, die von Mal zu Mal die Begriffe erklären, die einer jeden Frage zueigen sind. Es versteht sich von selbst, dass diese Ordnung nicht statisch sein kann, sondern einen gewissen Grad von Unsicherheit in sich birgt und Konflikte impliziert. Die beiden Autoren sind sich allerdings über die Träger dieser Ordnung uneins. Für Arnisaeus deckt sich die gute Ordnung mit der Ordnung der politischen Ämter und Würden und ist außerhalb von diesen nicht zu erfassen. Da die Ordnung nur von den Behörden der Stadt und in ihnen gestiftet wird, erhält die Ordnung des Guten und des Gerechten Realität nur von den Menschen durch ihr Gehorchen und ihr Befehlen. Jenseits dieser Verteilung der Oberherrschaft ist es in keiner Weise möglich, das Gute zu verstehen, und wenn die Herrschaft zerstört wird – wenn der Untertan renitent ist oder der Fürst tyrannisch –, bricht die Ordnung plötzlich zusammen. Für Althusius besteht dagegen zwischen der Ordnung des Rechten und der politischen Ordnung ein Unterschied, sodass das, was gut und schlecht ist, zum Teil auch unabhängig von den Entscheidungen der Machthaber verstanden werden kann. Jeder Mensch ist nämlich in der Lage – wenn auch in unterschiedlichem Maße – die Ordnung der Tugenden und Laster zu verstehen, und kann daher auf unterschiedliche Weisen und durch Vermittlung anderer auf den Magistrat einwirken.

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Wir können jetzt unsere Überlegungen zu Althusius, zu seinem Stil und den von ihm verteidigten Lehren zusammenfassen und daran erinnern, dass seine Stellung in der politischen Debatte in Deutschland zu Beginn des 17. Jahrhunderts von drei Gesichtspunkten aus betrachtet werden kann. Hinsichtlich der „literarischen Form“ und der „epistemologischen Intention“ teilt er mit allen anderen Autoren seiner Zeit, die über Politik geschrieben haben, eine Konzeption des Wissens, nach der die politische Lehre ein Komplex von typologischen Kenntnissen ist, deren Ziel es ist, dem geschlossenen Ganzen der traditionellen Argumente, Fragen und Gemeinplätze eine Ordnung zu geben. Hinsichtlich des „Inhalts“ scheint er sich dagegen tiefgreifend von seinen Zeitgenossen zu unterscheiden und seine eigenen Lehren in jenem speziellen Erfahrungsbereich zu radikalisieren, der annäherungsweise mit den Konzepten des Calvinismus, der Föderaltheologie und dem Widerstandsrecht umschrieben werden kann. Es sind diese typischen Differenzen, diese Elemente seines Denkens, die die Forschung am meisten interessiert haben, die sich in der Tat auf die Lehre von den präpolitischen Gesellschaften konzentriert, also auf Föderalismus und Symbiose, auf das Thema des Vertrags, auf die Problematik des Widerstandsrechts. Dennoch besteht neben und unterhalb dieser offensichtlichen Differenz eine tiefe Übereinstimmung zwischen Althusius und seinen Zeitgenossen, zwischen Althusius und seinen Gegnern, die, in welcher Weise auch immer sie sich die politische Ordnung vorstellten, sie immer als eine Ordnung des Guten darstellten. 6. Althusius und wir An dieser Stelle müssen wir uns allerdings fragen, ob und in welchem Maße dies alles uns betrifft, ob wir etwas von Althusius lernen können, und, wenn ja, was wir von ihm lernen können. Welche Beziehung besteht zwischen dem Denkhorizont der Politik, innerhalb dessen sich Althusius und seine Zeitgenossen bewegten, und unserem? Was kann uns die Politica methodice digesta lehren? Wie wir gesehen haben besteht die Existenzbedingung für die politische Ordnung für Althusius, für Arnisaeus und für die ganze Politik des frühen 17. Jahrhunderts in der objektiven Manifestation der Ordnung des Guten. Dieses Prinzip, das als Gott, das Sein, die Justiz oder auch auf andere Weise bezeichnet werden kann, ist in der Welt unmittelbar vorhanden, besteht vor den Menschen und wird nicht von der menschlichen Willkür bestimmt. Das heißt natürlich nicht, dass es unmittelbar sichtbar oder aktiv ist, vielmehr ist seine Präsenz dunkel und konfliktbeladen und es bedarf darüber hinaus des menschlichen Handelns, um sich zu realisieren. Die moderne Politik ist dagegen säkular, was bedeutet, dass jede Ordnung auf Freiheit gegründet sein und von der menschlichen Subjektivität vermittelt werden muss. Niemand könnte heute das Recht von etwas anderem deduzieren als von der Vernunft, und keine Verpflichtung kann auferlegt oder als solche anerkannt wer-

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den, wenn sie nicht von der Anerkennung und von der Zustimmung der subjektiven Vernunft vermittelt wird, auch wenn dieser Prozess der Begründung auf die historische, nationale, ethnische Vernunft als Formen der Konstituierung der subjektiven Vernunft zurückgreift. Dies ist die Lage der Politik in der Moderne, und niemand könnte politisch argumentieren, wenn er sich nicht dieses Wortschatzes bediente; nur diese Begriffe und diese logischen Verbindungen sind in unserem politischen Diskurs legitim und möglich. Wir würden in der Tat demjenigen mit größtem Misstrauen begegnen, der uns die auch nur kleinste Verpflichtung auferlegen würde, ohne uns zugleich deutlich zu machen, dass irgendwie – und sei es auch vollkommen verschlungen – von unserer vernünftigen Freiheit und von der Zustimmung, die sie dazu erteilt, herkommt. Was passiert nun, wenn wir die Vorstellung von Althusius (und von Arnisaeus und von vielen anderen Autoren der Zeit) in die moderne Welt transferieren? Wie wird die Ordnung der Dinge im säkularen Rahmen der Freiheit erscheinen? Wird letztere nicht vielleicht wie eine ätzende Säure jeden Fremdkörper in sich auflösen, so hart er auch sein mag? Vor der Notwendigkeit der rationalen subjektiven Vermittlung wird jede „objektive“ Ordnung zu einer „angeblich objektiven“, „vorgeblich objektiven“ Ordnung, aber in Wirklichkeit ist auch sie notwendigerweise „subjektiv“. Wer nämlich meint, dass es eine Ordnung der Dinge in re gibt, außerhalb von uns, kann ihre Existenz nur dadurch unter Beweis stellen, dass sie etwas ist, zu dem unsere singuläre Vernunft ihre Zustimmung geben muss, indem sie es also als etwas vorstellt, das von der Freiheit und von der Vernunft vermittelt wird. Sonst wird es zu einer einseitigen subjektiven Überzeugung, ein Glaube oder eine Ideologie, die als solche von keiner anderen Überzeugung, keinem anderen Glauben oder keiner anderen Ideologie unterschieden werden kann. Der Föderalismus des Althusius und die Ordnung der Dinge, die er voraussetzt, sind deshalb Auffassungssache, vielleicht Sache persönlicher Anhänglichkeit. Zwischen den verfügbaren Alternativen ist nur eine Machtkonfrontation oder eine formale Vermittlung möglich, die ihre Koexistenz ermöglicht, die aber auch jene Unterschiede neutralisiert und also ihre vorgebliche Objektivität eliminiert. Demjenigen, der der Meinung ist, dass die Politik kluge Handlungen entwickeln und sich auf ein objektives Bezugsbild ausrichten muss, werden die modernen Politiker und Politologen antworten, dass dies nur die Ansicht von einem Teil der politischen Subjekte ist und dass diese Ansicht mit unzähligen anderen, verschiedenen und gegensätzlichen Überzeugungen koexistieren muss, und dass es deshalb Aufgabe der Politik ist, Verfahren auszuarbeiten (formale, leere und deshalb von allen akzeptierte und subjektiv durch die freie und vernünftige Zustimmung eines jeden vermittelte Verfahren), die in der Lage sind, diese Ideen über die (vorgeblich) objektive Ordnung mit allen anderen Positionen koexistieren zu lassen, um diese schließlich in der Konkurrenz der Meinungen zu neutralisieren. Die Folgerung daraus ist also, dass die Ordnung vom Recht, vom Guten, von Gott in der modernen Welt nur heimlich erscheinen kann, als eine der möglichen

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Überzeugungen oder Ideologien. Wer immer die Existenz dieser Erfahrungsebene prophezeite, wird niemals, wenn sie im Rahmen der modernen Subjektivität verbleibt, wissen, ob er eine reale Möglichkeit in der Zukunft (oder überhaupt zu jeder Zeit) aufzeigt, oder ob er eine persönliche Illusion durchlebt, eine Ideologie wie jede andere. Wir werden niemals unterscheiden können, ob derjenige, der zu uns spricht, ein Prophet oder ein Scharlatan ist, und nicht einmal der, der zu uns spricht, wird es jemals wissen. Wir können niemals wissen, ob die Anstrengungen, die zur Bildung der Europäischen Union unternommen werden, eine wirkliche Alternative oder eine grandiose kollektive Autosuggestion darstellen, die dazu verurteilt ist, zu vergehen oder den Ausschlag zu einer anderen Form von Staatlichkeit zu geben. Diese konstitutive Unsicherheit birgt die reale Gefahr, die dem Handeln innerhalb der politischen Ordnung von Natur aus zueigen ist. Nur ex post, nur am Ende der Geschichte wird man wissen, wer der wirkliche Prophet war. Aber zur Zeit des Handelns, die eine Zeit der Unsicherheit ist, trifft man Entscheidungen nur in der Hoffnung, dass das Ende unsere Handlung wahr sein möge. Das auf die Gerechtigkeit, das Gute, auf die Ausweitung der Möglichkeiten in der Welt ausgerichtete Handeln besitzt sicherlich eine innere Evidenz, durch die es sich von einer Handlung unterscheidet, die die Welt ärmer macht. Aber dass diese Evidenz der Wahrheit auch wirklich wahr ist, dass sie nicht nur eine einfache subjektive Wahrnehmung ist, das wird man erst nachher, am Ende, wissen. Jetzt handeln heißt deshalb ein Risiko eingehen und hoffen.

Giuseppe Duso

Warum sollte man heute Althusius lesen? 1. Begriffsgeschichte und die Epoche der Moderne Das Studium eines Autors der Vergangenheit und einer historischen Quelle hat seine eigene Berechtigung und seinen eigenen Wert, denn es erweitert unser Wissen und unser Bewusstsein. Das zeigt sich vor allem dann, wenn unser Studiengegenstand ein Klassiker von der Tragweite eines Althusius ist. Es ist aber berechtigt, sich die Frage zu stellen, ob unsere Begegnung mit seinem Denken nicht eine Prägnanz ganz eigener Art hat, ob sie nicht einen Kernpunkt unserer Reflexion über das Politische darstellt; und das hinsichtlich seiner Spezifizität und keineswegs in der Absicht, unseren Autor durch Aktualisierung zu entstellen.1 Warum sollte man gerade heute Althusius lesen? Diese Frage könnte auch von den Debatten zu Recht und Verfassung angeregt worden sein, die aktuell über Prozesse geführt werden, die gegenwärtig in Gange sind – einige mit weltumspannenden Ausmaßen, einige speziellerer Natur, wie die zur Konstitution der Europäischen Union – deren Konsequenz das Infragestellen eines Szenarios ist, das von den Angelegenheit der Nationalstaaten und ihrer Souveränität bestimmt wird. Im Umgang mit der Gegenwart ist es üblich geworten, auf eine komplexe und plurale Lage wie die der frühen Neuzeit und besonders auf einen Denker wie Althusius Bezug zu nehmen, der auf besonders effektive Weise eine derartige Komplexität auszudrücken versteht, die wir verfassungsmäßig nennen könnten, wobei wir das Wort etymologisch verwenden, – viel weiter gefasst und grundverschieden von dem, wie ihn die modernen Verfassungen implizieren2. Eine derartige Bezugnahme hat ihre Gründe, aber vielleicht führt sie letztlich auch zu einigen Schwierigkeiten. Deshalb ist es notwendig, über die Implikationen nachzudenken, die die Frage mit sich bringt und zu klären zu versuchen, soweit es in der Kürze dieses Beitrags möglich ist, welche Bedeutung unsere Beziehung zu dem Autor hat und wie sich das Bild darstellt, in das dieses Verhältnis eingezeichnet ist. 1 Dieselbe Frage, die das Thema dieses Beitrags bestimmt – Warum lesen wir noch Althusius? – wurde schon im Titel des Vorworts zu folgendem Werk gestellt: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wolfenbüttel 2002, S. 7 – 12. 2 Dazu vgl. G. Duso, L’Europa e la fine della sovranità, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 31 (2002), S. 109 – 139, hier bes. S. 123 ff.

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Ich glaube, es ist nützlich, an einige Dinge zu erinnern, die mir notwendig erscheinen, um Missverständnissen vorzubeugen und unsere Lektüre ergiebiger zu machen. So gibt es einige Hinweise, die über die Beschreibung jener einfachen hermeneutischen Situation hinausgehen, die unsere Beziehung zu einem Autor immer beinhaltet, und die es auch erlauben, dem Übergang einen bestimmten und präzisen Sinn zu verleihen – dem Übergang zum einen zu Althusius im Rahmen einer Gegenüberstellung mit der Geschichte des politischen Denkens und zum andern zu einer theoretischen Überlegung über die Politik. Das wird mir auch Gelegenheit geben, mit Thomas Hueglin3 in Dialog zu treten, der sich seiner Untersuchung zu Althusius nicht aus bloßer Leidenschaft zu einer antiquarischen Rekonstruktion des Vergangenheit gewidmet hat, sondern aus der Untersuchung eine auf theoretischer Ebene angesiedelte Strategie für eine Intervention in der Gegenwart gemacht hat. In diesem Dialog und im Versuch, einige Aspekte unseres Verhältnisses zu Althusius zu klären, bin ich gezwungen, mich nicht nur auf die Untersuchungen zu seinem Denken zu beziehen, sondern auch auf die moderne Naturrechtslehre und auf das Problem der Möglichkeit einer Geschichte der politischer Begriffe.4 Einige Hinweise zu einem begriffsgeschichtlichen Umgang mit politischen Autoren und Themen zu geben, bedeutet nicht so sehr, die Voraussetzungen für ihre Interpretation zu erhellen, denn das, was ich als „Begriffsgeschichte“ bezeichne, besteht nicht im Übernehmen einiger methodologischer Voraussetzungen, sondern im Gegenteil im „kritischen Bewusstsein der Voraussetzungen“, die unserer Art, Politik zu denken, eigen sind, um sie in Frage zu stellen und sie folglich auch zu überwinden5. Dies wird deutlich, wenn man klärt, worin ein historisch-begriffliches Bewusstsein besteht, und welchen Wert das Wort „modern“ darin hat. Dazu die Überlegungen und Einwände von Hueglin in seinem Beitrag in diesem Band. Es ist eben genau die Erforschung der Lehren vom Sozialvertrag, die ihren Ausgang von Hobbes nehmen, und der Versuch, die Logik der grundlegenden modernen politischen Konzepte zu verstehen, die in diesem Umfeld entstehen, die es zusammen mit dem theoretischmethodologischen Nachdenken über die Begriffsgeschichte möglich gemacht haben, sich gegen die bekannte These von O. von Gierke zu stellen, der in Althusius den Entstehungspunkt der modernen Staatslehre erkennt, und die Konzeption der Politik unseres Autors in ganz anderem Licht zu betrachten (ich verwiese auf G. Duso (Hrsg.), Patto sociale e forma politica moderna. Indroduzione a Il contratto sociale nelle filosofia politica moderna, Mailand 19983, bes. S. 13 – 21; vgl. dazu ferner G. Duso / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Mandatskontrakt, Konsoziation und Pluralismus in der politischen Theorie, Berlin 1997, S. 65 – 81). Diese Studien zu den Lehren vom Sozialvertrag haben es also möglich gemacht, die Logik genauer zu beleuchten, die den Begriffen eigen ist, die bis heute wirksam sind und gewöhnlich die Art und Weise bestimmen, wie wir uns auf das Vergangene beziehen, mit der Folge dass die Alterität der Denkweise deutlich wurde, die Althusius zueigen ist. Dieser Beitrag versucht zu zeigen, dass es eben diese Alterität ist, die uns heute Anlass zum Nachdenken gibt. 5 Wenn die modernen Begriffe, die sich in den Worten, die wir benutzen, niedergeschlagen haben, den unvermeidbaren Kontext ausmachen, in dem wir uns bewegen, dann heißt das nicht, dass sie als notwendig und als Wertkriterien unseres Wissens vorausgesetzt werden müssen. Von diesem Standpunkt aus habe ich die enge Verbindung – wenn nicht gar Identifi3 4

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Das Problem besteht nicht darin, die Geschichte in Perioden zu unterteilen und dabei die Epochen als antik, mittelalterlich, modern und womöglich postmodern zu bezeichnen und sich die Frage zu stellen, wie ihre zeitlichen Grenzen bestimmt sind. Wenn man dies im Hinblick auf Begriffe tut und man die Veränderungen aufzeigt, denen die Begriffe in den verschiedenen Epochen unterliegen, dann bewegt man sich in eine Richtung, die nicht nur von jener unterschieden ist, die bereits die deutsche Begriffsgeschichte eingeschlagen hat, sondern in eine Richtung, die von dieser kritisiert wurde. In der Tat kann diese in Italien sehr verbreitete Art, Begriffsgeschichte zu betreiben, die so genannten historischen Veränderungen eines politischen Begriffs nur dann ausfindig machen, wenn er derselbe bleibt und folglich aus einem Kern besteht, der gleich bleibt. Dies ist in Wirklichkeit nur durch eine vorsätzlich verschwiegene Hypostatisierung des Begriffs möglich, der ausschließlich modern ist und für den man in Anspruch nimmt, dass er die Verständnisebene der Vergangenheit darstellt.6 In der beschriebenen Art Begriffsgeschichte zu betreiben, ist es nicht möglich, sich auf die Gedankensituation einzustellen, in der sich derjenige befindet, der sich die historischen Unterschiede in einem angeblich objektiven Bild vor Augen führt. Man muss sich die Frage stellen, welche Gedankendimension er hat; woraus sich sein Wissen zusammensetzt; welche Bedeutungen die Worte haben, die er gebraucht; mit welchen Mitteln er die Untersuchung vornimmt. Dies sind die Fragen, die eine Begriffsgeschichte stellt, die darin besteht, an die Quellen heranzugehen und sich zugleich zu fragen, welche die Begriffe es sind, die – ob wir es wollen oder nicht – in den Worten Niederschlag gefunden haben, die wir gebrauchen. Wenn wir uns nicht von der Hypothek derartiger Begriffe befreien, können wir die Quellen nicht verstehen. Auf diese Weise betrifft das historische Bewusstsein nicht nur die Bestimmung der Untersuchungsobjekte, sondern vor allem die Positionsbestimmung des recherchierenden Subjekts. Diese Positionsbestimmung betrifft nicht nur den Augenblick und den historischen Kontext, in dem man lebt, sondern noch viel mehr den Begriffskontext, der den Gebrauch der Worte und darüber hinaus die verbreitete Art und Weise, in der die Wissenschaft konzipiert wird. kation – zwischen einer begriffsgeschichtlichen Arbeit und einer kritischen Tätigkeit vorgeschlagen, wie sie jene der politischen Philosophie sein muss (vgl. Storia concettuale come filosofia politica, in: G. Duso: La logica del potere, Rom / Bari 1999, S. 3 – 34). 6 Zum Versuch einer Kritik an einer Begriffsgeschichte, die auf der Grundlage der Hypostasierung der modernen Begriffe möglich ist, vgl. Il potere e la nascita dei concetti politici moderni, in: S. Chignola / G. Duso (Hrsg.), Sulla storia die concetti politici e giuridici della costituzione dell’Europa, Mailand 2005, S. 159 – 193, hier bes. S. 171 ff. Was eine derartige Vorgehensweise im Hinblick auf den Begriff democrazia bedeutet, der in der bekannten Unterscheidung „Demokratie der Antiken“ und „Demokratie der Modernen“ zum Ausdruck kommt, vgl. G. Duso, Repräsentative Demokratie: Entstehung, Logik und Aporie ihrer Grundbegriffe, in: Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, hrsg. von K. Schmitt, Baden-Baden 2003, S. 11 – 36. Vgl. auch die Einleitung zu G. Duso (Hrsg.), Oltre la democrazia. Un itinerario attraverso i classici, Rom 2004, bes. S. 15 – 26.

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Die Konzentration auf diese Situation des Untersuchungssubjekts könnte als eine Beleuchtung der Hermeneutik erscheinen. Aber aus der abgeschlossenen Untersuchung ergeben sich schärfere und differenziertere Konturen. Was die Lehren vom Sozialvertrag anbelangt, so hat die Entwicklung der modernen politischen Philosophie, haben eine Reihe von Autoren und Themen – nämlich die der Macht, der Repräsentation, der Gesellschaft, der Gerechtigkeit, der Demokratie, der Revolution – letztendlich zu der Erkenntnis geführt, dass die Worte, die wir in Verbindung mit der Politik verwenden, von Bedeutungen und folglich von Begriffen bestimmt werden, die keine allgemeine Wertigkeit haben. Vielmehr hat sich erwiesen, dass sie in einem bestimmten kulturellen Kontext entstanden sind, nämlich jenem der so genannten „modernen Politikwissenschaft“, die im Gewand des „Naturrechts“ erscheint. Im Bild dieser Wissenschaft ist ein regelrechtes „logisches Dispositiv“ entstanden, das sich der modernen Art und Weise, Politik zu denken, aufgeprägt hat und das den von allen anerkannten Hintergrund zu den theoretischen Gegenüberstellungen und den politischen Auseinandersetzungen abgibt. Es ist hier nicht der Platz, genauer darauf einzugehen, aber ich rufe in Erinnerung, dass es sich um eine theoretische Konstruktion handelt, die zwei Pole hat: Auf der einen Seite die Individuen und ihre Rechte und auf der anderen die Herrschaft, die einzig und allein der ganzen Gemeinschaft zukommen kann, dem kollektiven Subjekt – eine Herrschaft, die im Ausdruck des allgemeinen Willens besteht und im Gebrauch der Gewalt, die die Rechte umsetzt und allen Freiheit zugesteht, indem sie gegenseitigen Missbrauch unterbindet. Die Begriffe haben keine isolierte Geschichte, und in diesem Dispositiv sind die Begriffe „Individuum“, „Rechte“, „Gleichheit“, „Freiheit“, „Volk“, „Gesellschaft“, „Souveränität“, „Herrschaft“, „Repräsentation“ Begriffe, die ihre spezifische Bedeutung im Verhältnis zueinander und ihre Funktion nur in einem einzigen Kontext haben, der beansprucht, streng rational und wissenschaftlich zu sein. Wenn all dies begründet wäre (aber um dies zu verifizieren muss man sich mit den Untersuchungen auseinandersetzen, die eben diese Überzeugung hervorgebracht haben), könnte es unangemessen erscheinen, sich auf eine vergangene Denktradition zu beziehen, indem man das konzeptionelle Bild heranzieht, das in der modernen Wissenschaft entstanden ist. Man denke zum Beispiel an die ständige Bezugnahme auf die „Legitimation der Herrschaft“ bei Aristoteles oder die „demokratischen“ Aspekte im Denken des Marsilius von Padua oder an die Deutung von Althusius oder den Monarchomachen auf der Grundlage der Bedeutung, die in der Wendung „Souveränität des Volkes“ enthalten ist. Als eine verbreitete Haltung erscheint es dabei, die Autoren der Vergangenheit zu lesen und dabei moderne Begrifflichkeiten zu verwenden, um dann womöglich aufzuweisen, wie „aktuell“ sie sind. Auf diese Weise wird das Denken des Autors missverstanden. Außerdem verliert er, wenn er erst einmal auf den gemeinsamen Nenner der modernen politischen Denkweisen gebracht worden ist, die Fähigkeit, wirklich mit uns in Kommunikation zu treten und uns Fragen zu stellen, die unsere Überzeugun-

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gen und Werte in Frage stellen. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung besteht nicht darin, bestimmte Voraussetzungen anzunehmen, die die Untersuchung bestimmen und leiten, sondern in der Auseinandersetzung mit den Quellen eine kritische Reinigung der Begriffe vorzunehmen. All dies kann nicht „vorausgesetzt“ werden, sondern muss seinen Wert, wenn es ihn denn hat, in der konkreten Untersuchung erweisen.7 Im Zusammenhang mit dieser hier nur angedeuteten Art und Weise, die Begriffsgeschichte zu verstehen, soll der Gebrauch des Begriffs „modern“ nicht allgemein die Wirklichkeit und das Denken in der Epoche der Moderne bezeichnen, sondern hat eine spezifischere und auch begrenztere Bedeutung. Es geht nämlich nicht darum, einer Wirklichkeit, die eine bestimmte Zeitspanne umfasst, ein Etikett zu verpassen und also zu entscheiden, wo sie beginnt und wo sie eventuell endet und damit einer anderen Epoche Platz macht, die womöglich als „post-modern“ bezeichnet wird. Nicht nur das. Dieser Begriff umfasst nicht einmal all das Denken, das es in der so genannten Moderne gegeben hat8. Er bezieht sich lediglich 7 Die hier gemachten Angaben sind nicht allein schematisch, sondern haben auch behauptenden Charakter und entbehren folglich der Begründung und des „Aufweises“, der einer im Gang befindlichen Untersuchung eigen ist; sie sind daher nur als bloße Hinweise für die Untersuchungen selbst anzusehen. Um die Bedeutung der Termini „Herrschaft“ und „Regierung“ zu erklären, möchte ich auf die Anmerkung 21, S. 70 – 71 von G. Duso, Die moderne politische Repraesentation: Entstehung und Krise des Begriffs, Berlin 2006, verweisen. Zum Wandel der Herrschaft vgl. den Aufsatz von O. Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen ,Herrschaft‘ und ,Legitimität‘ (1962), in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 64 – 79. Der Bedeutungswandel der von Brunner verwendeten Bezeichnung „Herrschaft“ ist m. E. wie folgt zu interpretieren: In der langen Tradition der praktischen Philosophie bezeichnet der an Befehl und Gewalteinsatz gebundene Ausdruck „Herrschaft“ die für das gesellschaftliche Leben notwendige „Regierung“, im alten Sinne des Wortes „gubernatio“, und die zugehörige Beziehung zwischen Regierenden und Regierten. Im Kontext der modernen politischen Wissenschaft dagegen nimmt der Ausdruck „Herrschaft“ die Bedeutung der formalen Beziehung Befehl-Gehorsam an, entsprechend der berühmten Definition von Max Weber. Herrschaft verliert hier nicht lediglich ihren persönlichen Charakter und wird der Gesellschaft in unpersönlicher Form übertragen (eine solche Auffassung wäre noch gänzlich vom modernen Gebrauch des Wortes beeinflusst), sondern es entsteht ein völlig neuer, auf der Verabsolutierung des Willens beruhender Begriff, der all das negiert, was die mit den Begriffen gubernatio und gubernare verbundene Politikauffassung beinhaltete, wie ich im vorliegenden Band zu zeigen versuche. So gesehen liegt kein Begriffswandel vor, sondern wir haben es mit zwei radikal unterschiedlichen Politikauffassungen zu tun. Vgl. das Kapitel „Fine del governo e nascita del potere“, in: Duso, La logica del potere (Anm. 6), S. 55 – 85. Um die Trennung zwischen der alten Auffassung von gubernare und dem modernen Begriff von Herrschaft (die in der italienischen Fassung der vorliegenden Schrift durch das Gegensatzpaar governo / potere verdeutlicht wird) klarer zum Ausdruck zu bringen, verwende ich den Ausdruck „Regierung“ anstelle von „Herrschaft“, wie er in der Brunner’schen Wendung „Prinzip der Herrschaft“ erscheint. In der hier erläuterten Weise verwende ich auch im Folgenden das Wort „Regierung“. 8 Aus diesem Blickwinkel ist der Behauptung von Hueglin zuzustimmen, dass es in der Epoche der Moderne nicht nur das Dispositiv der Souveränität gibt und dass es – mehr noch – wenig geeignet ist, die Wirklichkeit verständlich zu machen. Bei unserer Durchmusterung der politischen Philosophie der Moderne kann man sagen, dass keiner von all den „philoso-

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auf jene Gesamtheit von Begriffen, die die gemeinsame, sozial diffuse Art und Weise bestimmt haben, Politik zu verstehen und die die Grundpfeiler der Organisation des Lebens in den Staaten über die Verfassungen und über Vorgänge geschaffen haben, die von letzteren auf den Weg gebracht wurden. Gewiss gibt es im modernen politischen Denken unterschiedliche Positionen und die unterschiedlichsten Theorien, aber im begrenzten Gebrauch des Begriffs „modern“, der diese Arbeit über die Begriffe kennzeichnet, bezieht sich der Begriff auf das Verhältnis zwischen Theorie, sozial verbreiteter Ausdrucksweise und verfassungsmäßiger Organisation der Gesellschaft. Im Bezug darauf kommt dem Begriff „modern“ keine bestimmte unverzichtbare und zementierte Bedeutung zu, nur weil wir uns in der Zeit der Moderne befinden würden; noch weniger enthält er ein Werturteil, so als ob „modern“ für unsere Wirklichkeit besser und angemessener als das wäre, was nicht modern ist. Im Gegenteil. Die kritischen Studien über die modernen Politikbegriffe haben gezeigt, wie diese, die oft allgemein als Werte verstanden werden, in Wirklichkeit tiefgreifende Aporien aufweisen und auch in der spezifischen politischen Situation, in der wir uns befinden, dafür ungeeignet erscheinen, uns unsere Wirklichkeit verständlich zu machen und uns in der Politik Orientierung zu bieten.9 Die Identifizierung einer Quelle als „nicht-modern“ geht nicht mit der Abschwächung ihrer Relevanz einher; im Gegenteil: Sie kann gerade deshalb relevant sein, wenn wir uns der heutigen Krise des begrifflichen Dispositivs bewusst sind, das wir als „modern“ bezeichnen. Entgegen der oben dargelegten Auffassung, eine Quelle an unsere Denkweisen anzupassen und dann zu versuchen, sie als aktuell auszuweisen, erscheint die Haltung nutzbringender, ihre Alterität in ihrer Gänze zu verstehen, denn genau auf diese Weise kann die Quelle für uns Probleme aufwerfen und Anstoß zu Überlegungen geben: Sie gibt uns also zu denken. Die Alterität der Quelle im Verhältnis zu unserem Begriffsapparat zu verstehen, erlaubt es uns, sie besser zu verstehen und in ihr Probleme zu erkennen, die in der Moderne sicherlich nicht verschwunden sind, sondern eben aufgrund dieses Apparates keine Berücksichtigung mehr gefunden haben. phischen“ Höhepunkten mit der Bedeutung von „modern“ übereinstimmt, die hier aufgeführt wurde (vgl. zum Beispiel das oben zitierte Buch Oltre la democrazia, und darin besonders die Beiträge von S. Visentin über Spinoza, von G. Rametta über den deutschen Idealismus, von S. Chignola über Tocqueville; oder auch das zweite Kapitel „Entstehung und Logik der modernen Repräsentation, in Die moderne politische Repräsentation, bes. S. 100 – 123); vgl. aber auch den Versuch der Lektüre von Klassikern in begriffsgeschichtlichem Bewusstsein, das folgenden Band hervorgebracht hat: G. Duso (Hrsg.), Il potere. Per la storia della filosofia politica moderna, Roma 1999. 9 Der Apparat von Begriffen, die die Legitimation der Herrschaft stützen, erscheint zum Beispiel ungeeignet, Europa als politische Realität verständlich zu machen; dazu der Argumentationsgang des von Chignola und Duso herausgegebenen zitierten Sammelbands Sui concetti politici e giuridici della costituzione dell’Europa, Mailand 2005 und meine beiden Aufsätze Tra Unione europea e forma-Stato. Pensare il federalismo, in: A. Carrino (Hrsg.): L’Europa e il futuro della politica, Mailand 2002, S. 199 – 233 und L’Europa e la fine della sovranità (FN 2).

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2. Die politische Konzeption des Althusius und die modernen Begriffe Nur im Lichte der Fokussierung der Begriffe, die unvermeidlich die Worte prägen, die wir verwenden und des Verständnisses der Voraussetzungen, die ihre Genese möglich machen, ist es nutzbringend, sich dem Denken des Althusius zu nähern. Wenn man sich die logische Struktur der nachfolgenden Naturrechtslehre vor Augen hält, kann man verstehen, dass die Konzeption der Politik des Althusius nicht nur nicht auf der Grundlage des begrifflichen Dispositivs verständlich ist, das wir als „modern“ bezeichnet haben, sondern dass sie genau das Feindbild der neuen „wissenschaftlichen“ Methode darstellt, die Politik und die Gesellschaft zu verstehen. Es handelt sich also nicht um verschiedene strategische Vorschläge, um Ordnung zu generieren oder verschiedene Arten, das Problem der Souveränität und der politischen Macht zu lösen (die in diesem Fall so zu verstehen wären, dass sie auf einen essentiellen Aspekt für die menschliche Natur und der Gemeinschaft und folglich immerwährend hinwiesen), sondern vielmehr, um die – mit Hobbes – Geburt eines neuen Modus, die Ordnung zu verstehen, die genau insofern möglich ist, als der Horizont der vorhergehenden Ordnung als Unordnung erscheint, als von Gesellschaften konnotiert, die als „irregulär“ angesehen werden10, die auf der Unterscheidung von Regierten und Regierenden basieren, von einer Pluralität von Subjekten charakterisiert werden, die sich einbilden, politisch zu handeln und die von den immer je nach Belieben beugbaren Fragen nach der Gerechtigkeit inspiriert werden. Es ist hier natürlich nicht möglich, diesen Unterschied zu erörtern. Es sollen diesbezüglich nur einige Hinweise im Hinblick auf einige bezeichnende Begriffe des Wortschatzes von Althusius gegeben werden, die von der modernen Begrifflichkeit her nicht verständlich sind.11 Wir können uns vor allem auf den „Vertrag“ beziehen. Hier sehen wir uns selbstverständlich einem charakteristischen Element gegenüber, das das politische Denken des Althusius in seiner Gesamtheit zum Ausdruck bringt. Die Bedeutung des Vertrags tritt in jener ersten Ausführung seines politischen Denkens noch viel deutlicher hervor, wie es in der Disputatio aufscheint, die von Pelletarius in De regno recte instituendo et administrando besprochen wird12, wo der gesamte Themenkomplex um drei Vertragsformen herum organisiert ist – jenem zwischen den Mitgliedern des Reiches, der das Volk darstellt, jener zwischen Volk und obersten Magistrat und jenem mit Gott, der die höchste Verpflichtung und die Garantie für die Achtung der Bündnisse darstellt. Auch in den Ausgaben der Politica wird der 10 A. Biral, Hobbes. La società senza governo, in: Duso (Hrsg.), Il contratto sociale (FN 4), S. 75 ff.) handelt ausführlich über die Bedeutung der Unregelmäßigkeit, die nach Ansicht von Hobbes die Gesellschaften vor dem Sozialvertrag und der Souveränität charakterisiert. 11 Was die hier nur angerissenen Argumentationen betrifft, bin ich gezwungen, mich auf die in den Fußnoten angeführten Untersuchungen zu Althusius zu beziehen. 12 Diese Disputatio politica ist von Merio Scattola herausgegeben worden in: Quaderni fiorentini per la stora del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 23 – 63.

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Vertrag schon auf der ersten Seite genannt13 und erscheint strukturell an die Figur der consociatio gebunden, die Gegenstand des Werkes ist. Er kommt in den verschiedenen Stadien, in denen es Formen der Lebensgemeinschaft gibt, immer wieder vor, und selbstverständlich kommt ihm eine fundamentale Rolle in der Konstitution des Reiches zu, und folglich auch in jener des Volkes im umfassenden Sinne des Wortes, und in der Institution des Regierenden mittels des Mandatvertrags. Auf der Grundlage dieser ständigen Präsenz könnte die berühmte Interpretation Gierkes als gerechtfertigt erscheinen, die Althusius zum Urheber der modernen Vertragslehren machte, die die Grundlage für die Staatslehre bilden. Das könnte auch von der Tatsache bestätigt werden, dass man in seiner Lehre auch jene zwei Denkfiguren des „Bündnisvertrags“ und des „Subordinationsvertrags“ finden kann, die in der Geschichte des politischen Denkens häufig vorkommen und folglich dafür geeignet erscheinen, für Arbeiten herangezogen zu werden, die das Ziel haben, die Geschichte des politischen Denkens als eine lange Entwicklung von Vertragstheorien darzustellen, in denen sich eben verschiedene Positionen innerhalb des gemeinsamen begrifflichen Urgrundes ergeben würden, die von der Gestalt des Sozialvertrags dargestellt würden, gemäß einer Untersuchungsweise, die oben versuchsweise zur Diskussion gestellt wurde. In Wirklichkeit scheinen die Dinge sich mir nicht so darzustellen. Auch scheint die Permanenz derselben Worte die Gefahr mit sich zu bringen, dass man eine Interpretation vorlegt, die auf einem Missverständnis gründet. Die Figur des Vertrages hat im Kontext des Althusius und in dem der Frühen Neuzeit, die durch Herrschaftsverträge gekennzeichnet ist, eine derart andere Bedeutung als sie sie in der modernen Naturrechtslehre erhält, dass man sagen kann, dass die Lehren vom Sozialvertrag, die der von Hobbes initiierten logischen Argumentation folgen, dahin tendieren, eben genau jene Gesellschaft zu negieren, die sich an der Verhandlung der Menschen untereinander orientiert – die die Gesellschaft des Althusius ist – und die die Übereinkunft als stets anzustrebendes Ziel festsetzt. Eine derartige Gesellschaft ist in den Augen der Wissenschaft vom Naturrecht ständig dem Konflikt und der Unordnung ausgesetzt: Sie ist strukturell ungeordnet. Also ist der Sozialvertrag des modernen Naturrechts das Mittel, um eine politische Gestalt zustande zu bringen, in der aufgrund der Gefahr, die er mit sich bringt, genau der politische Vertragsschluss zwischen Parteien ausgeschlossen wird 14. Der Vertrag, wie er im Rahmen der modernen Wissenschaft vom Naturrecht verstanden wird, erfüllt die Aufgabe, die Bestrebungen der Individuen zu vereinigen, indem sie eine Projektion auf politischer Ebene neutralisiert und zwar mittels der Schaffung einer Gesellschaft, die als zivile „Person“ verstanden wird, die mit Willen und Kraft ausgestattet ist. Die Figur des Vertrags führt zur Geburt von etwas Neuem – der „politischen Macht“ des gemeinsamen Körpers – innerhalb dessen 13 Vgl. J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Herborn 1603, Cap. I, p. 1, und die Ausgabe von 1614, Nachdruck, Aalen 1981, I.1, S. 2. 14 Ich verweise hier auf meine Arbeit über: Patto sociale e forma politica moderna (FN 4).

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die Individuen, die den Vertrag schließen, sich in einer Lage wiederfinden, in der sie gehorchen müssen, und in einem „privaten“ Handlungsraum, die beide ihre spezifischen Bedürfnisse daran hindern, politische Bedeutung zu erlangen.15 Im Gegenteil: In der Konzeption des Althusius schließt der Vertrag das politische Wesen der Subjekte ein, die den Vertrag schließen, egal ob es die Glieder des Reichs sind oder das Volk und der oberste Magistrat auf der höchsten Ebene der politischen Lebensgemeinschaft. Die vertragsschließenden Subjekte binden sich durch den Vertrag aneinander, durch den sie gebunden bleiben und im Hinblick auf das verantwortlich werden, was sie innerhalb des gemeinsamen Horizonts aus Recht und Gerechtigkeit gemeinsam festgelegt haben. Das Volk behält nicht nur die summa potestas, sondern bewahrt, auch wenn es dem obersten Magistrat Gehorsam verspricht, die Fähigkeit zum politischen Handeln „neben“ ihm und „gegen“ ihn. Hier ist daran zu erinnern, dass für Hobbes, den Vater der neuen Logik des Sozialvertrags, dagegen gerade dieser politische Charakter des Volks gegenüber demjenigen, der es regiert, die Quelle von Konflikt und Bürgerkrieg ist. Deswegen entsteht das neue Konzept von „Herrschaft“. Mittels der Figur des repräsentierenden Souveräns wird es, dank des Gebrauchs der gemeinsamen Macht, nicht nur Rebellion und Widerstand unterbinden, sondern mehr noch, es unmöglich machen, zu denken, dass das Volk unabhängig von und gegen denjenigen ist, der für alle die Macht von allen ausübt. In der Lehre der Naturrechtler dient der Sozialvertrag – wenn auch mit unterschiedlichen Bestimmungen und Abstufungen – dazu, die Möglichkeit zu unterbinden, dass Individuen oder Volk – verstanden als dem Repräsentanten gegenüberstehende Größe und somit bloße Ansammlung von Untertanen – politisch urteilen und dementsprechend handeln können; und dies ist besonders insofern möglich, als das Volk das Subjekt ist, dem die Herrschaft und seine Ausübung zugewiesen ist. Während die Lehren vom Sozialvertrag jenes Konzept der Souveränität hervorbringen, das den Verfassungen seit der Französischen Revolution eine bestimmte Bedeutung zuweist, ist der Vertrag bei Althusius notwendigerweise an das Anerkennen einer Vielfalt von politischen Subjekten gebunden, die die Souveränität und die moderne Verfassung nicht denkbar machen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Sozialvertrag, wie er von den modernen Naturrechtslehren dargestellt wird, in einem Kontext zustande kommt, in dem die Bezugspunkte, die traditionell für das politische Leben notwendig wären, durch den Naturzustand nivelliert sind, und in dem deshalb der Wille absolut gesetzt ist – sei es jener der Individuen, die das Fundament der theoretischen Konstruktion bilden, oder jener allgemeine Wille des kollektiven Subjekts, des Volks, der nur aufgrund der Tatsache als „gerecht“ angesehen wird, dass er dem Volk zugeschrieben 15 Zur Geburt der Herrschaft (d. h. Souveränität) als neue Realität, die vom Vertrag hervorgebracht wird und nicht den Individuen zugeschrieben werden kann, die diesen Vertrag schließen und zum grundlegenden Unterschied der Logik des Sozialvertrags der modernen Naturrechtslehre zur vorangehenden Tradition vgl. W. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994 und ders.: La dottrina del duplice contratto nel diritto naturale tedesco, in: Filosofia politica 8 (1994), S. 409 – 437.

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werden kann, das als Totalität von Individuen verstanden wird. Der Vertrag bringt also den Grundzug des individuellen Willens durch einen Prozess der „Autorisierung“ zum Ausdruck, ohne den es nicht gerechtfertigt ist, von „Autorität“ zu sprechen. Im Denken des Althusius verhält es sich ganz anders. Bei ihm erfolgt der Vertragsschluss innerhalb eines Denkhorizonts, in dem viele Bezugspunkte nicht vom Willen abhängig sind16. Es ist allerdings wahr, dass die Figur des Vertrags, die es auf verschiedenen Ebenen der Zusammenschlüsse gibt, das freiwillige und verantwortliche Handeln der Subjekte deutlich macht, die die Übereinkunft treffen, aber das heißt nicht, dass das Gemeinschaftliche auf der Willkür des Willens „gründet“; es hat seine Wurzeln vielmehr im symbiotischen Recht und in all jenen Elementen, die den gemeinsamen Denkhorizont ausmachen. Dieser Ordnungsrahmen, der von Recht, Religion, Gewohnheiten wie auch von der Möglichkeit gebildet wird, dass sich alle auf ihn beziehen können, um ein Urteil im Verhältnis zu dem zu artikulieren, was gerecht ist, verändert sich in den modernen Lehren des Naturrechts nicht in seinen grundlegenden Elementen, sondern wird radikal negiert: In dieser Negation scheint die formale Rationalität auf, die die vom Vertrag hervorgebrachte „Souveränität“ kennzeichnet. Bei Althusius können wir keine andere Bestimmung das Konzept der Souveränität und damit die Ordnung der Gesellschaft ausmachen. Auf diese Weise läuft man Gefahr, ihn misszuverstehen. Die „Herrschaft“, so wie wir sie heutzutage begrifflich unvermeidbar verstehen17, und die „Ordnung“, verstanden als Abwesenheit von Konflikt, entstehen genau mittels der Negation des ureingenen Kontexts der Politica. Wenn man meint, dass bei Hobbes die Macht des Souveräns behauptet wird, während bei Althusius die Souveränität dem Volk – womöglich verteilt auf verschiedene consociationes – angehören würde, dann trifft man eine Unterscheidung innerhalb der Identität des Herrschafts- oder Souveränitätsbegriffs, und überträgt folglich mehr oder weniger bewusst das Konzept einer letzten Machtinstanz, eines letzten Willens oder einer entscheidenden Befehlsmöglichkeit. Aber eine solche Herrschaft 16 Vgl. G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius. La dottrina del patto e della costituzione del regno, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 65 – 126. Wenn ich mich im Zusammenhang mit Althusius auf eine „Ordnung der Dinge“ bezogen habe, dann nicht in der Absicht zu behaupten, dass es eine starre Permanenz einer mittelalterlichen Ordnung gibt, sondern vielmehr, weil ich mich auf die Tatsache beziehe, dass die Politik nicht auf jenes Spiel zwischen individuellem und allgemeinem Willen beschränkt ist, die das Dispositiv zwischen Individuum und Herrschaft oder Freiheit und Herrschaft ausmacht; in diesem Dispositiv ist der begründende Aspekt eine willkürliche Handlung und die Autorisierung bezeichnet die Position und die Funktion desjenigen, der die Herrschaft ausübt und nicht zulässt, dass man in den Genuss von Befehlsinhalten kommt. Bei Althusius gibt es dagegen Bezugspunkte – vom Recht über die Heiligen Schriften bis zu den Gewohnheiten –, die ihren eigenen Wert haben und insofern als „objektiv“ verstanden werden, als sie nicht von der reinen Willensäußerung abhängig sind, sei es die von Regierenden oder die von Regierten: Sie sind folglich anzuerkennen und dienen dazu, dem Willen und der Handlung eine Ausrichtung zu geben. 17 Ich verweise auf Il potere e la genesi dei concetti politici moderni (FN 6) bes. S. 174 – 176.

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ist vor Hobbes nicht denkbar. Also, wenn zwei Modelle der Herrschaft gegenüberstanden – jenes absolutistische und autoritäre von Hobbes und jenes von Althusius, das von unten seinen Ausgang nähme und fragmentiert und verteilt erscheinen würde – bildet man es in Wirklichkeit auf der Grundlage des mit Hobbes entstandenen Begriffs, das nur dank der Negation des Politikkonzepts von Althusius Form annehmen kann18. Ich habe aufzuweisen versucht, wie der Begriff der Souveränität, der sich mit der modernen Naturrechtslehre durchgesetzt hat, aus der Negation des politischen Denkens hervorgegangen ist, das in Worten wie majestas und summa potestas impliziert ist, die in der Politica vorkommen19. die nur als Ausdruck einer riskanten Lehre gedacht werden kann, weil ihr die entscheidende Einheit fehlt, die dem Konzept der Souveränität eigen ist. Die Majestätsrechte, die dem Volk angehören, betreffen alles, was zu einer politischen Gemeinschaft nötig ist – vom Ausarbeiten von Gesetzen und Dekreten über das Bestrafen von Schuldigen bis hin zum Prägen von Münzen und dem Bau von Straßen und Brücken – aber sie schließen nicht einen Willen mit ein, dem, weil er als Wille der ganzen Gemeinschaft verstanden werden könnte oder weil er von allen gebilligt wäre, die Rolle einer letzten Entscheidung zukommen könnte. Der Wille des obersten Magistrats ist nicht absolut, und das nicht nur, weil eine suprema potestas andere potestates impliziert und weil, wie wir gleich sehen werden, das, was dem obersten Magistrat oder demjenigen, der regiert, zugeschrieben wird, nicht mit „Macht“ gleichgesetzt werden kann, sondern vor allem weil das Konzept der absoluten Macht oder der Machtfülle, der Natur des Menschen entgegensteht und die Grenzen durchbricht, die die menschliche Gesellschaft charakterisieren20. Eben aus diesem Grund ist ein entschiedener Wille nicht einmal dem Volk zuzuschreiben. Bei Althusius ist es undenkbar, dass die Entscheidung des Volkes als Totalität der politischen Gemeinschaft für sich genommen gut und gerecht ist. Auch der Wille des Volkes, der weit davon entfernt ist, unabhängig zu sein, ist von einer Fülle von Dingen abhängig. Es ist nicht möglich, die Überlegenheit des Volkes und die Tatsache, dass es Hüter der Majestätsrechte und der summa potestas ist, über die Bedeutung zu verstehen, die in der Wendung „Souveränität 18 Ein vergleichbares Missverständnis zeigt sich bei den Lemmata Herrschaft und Souveränität im Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck, 9 Bände, Stuttgart 1972 – 1992 auch wenn es das besondere Anliegen von Brunner, Conze und Koselleck war, darauf aufmerksam zu machen, vor einem derartigen Missverständnissen auf der Hut zu sein, was auch der Anlass zu dem Lexikon war. 19 Vgl. G. Duso, La maiestas populi chez Althusius et la souveraineté moderne, in: G.-M. Cazzaniga / Y.-C. Zarka (Hrsg.), Penser la souveraineté à l’époque moderne et contemporaine, Pisa / Paris 2001, S. 85 – 106. Über die maiestas und die summa potestas in der in Frage stehenden Zeit ist das Bild von Bedeutung das Merio Scattola entwirft. Vgl. dazu M. Scattola, Dalla virtù alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna, Mailand 2003, hier bes. S. 242 – 300. 20 Vgl. Althusius, Politica (III ed.) (FN 13), XIX, 10.

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des Volkes“ zum Ausdruck kommt, wie wir sie heute verstehen, von der Lehre Rousseaus an. Auch das Widerstandsrecht, das logischerweise in der modernen Naturrechtslehre zum Verschwinden verurteilt ist21, gründet sich natürlich doch nicht auf eine behauptete „Souveränität des Volkes“, sondern auf die Handlungsfähigkeit des Volks „gegenüber“ demjenigen, der es regiert – etwas was innerhalb des modernen Dispositivs, auf das wir oben eingegangen sind, nicht denkbar ist und das eine so große Reichweite hat, dass es auch das bestimmt, was man heute unter „demokratischer Legitimität“ versteht. Aber nicht nur das. Auch die Möglichkeit zum Widerstand macht vor allem das Anerkennen als objektiv angesehener und folglich sowohl von Regierenden als auch von Regierten anerkannter Bezugspunkte nötig, also genau dessen, was das Konzept der Souveränität ausschließen muss, damit es formuliert werden kann. Man versteht nun, dass die „Majestät“, die dem Volk zugeschrieben wird, nichts mit dem zu tun hat, was wir unter „Volkssouveränität“ verstehen – einem Ausdruck, der unweigerlich von Rousseaus Konzeption konditioniert ist. Wenn man aus Althusius einen Vorläufer von Rousseau macht, missversteht man nicht nur den Begriff majestas, sonder auch den Begriff populus, der, weil er sich auf den gesamten Bereich der politischen Gemeinschaft erstreckt, nichts mit der Vorstellung zu tun hat, die wir von der Totalität gleichgestellter Individuen haben. Der moderne Begriff von populus, der sich ausgehend von der undifferenzierten Vielfältigkeit der Individuen bildet, hat ideale Züge und bedarf eines repräsentativen Mittels, um sich ins konkrete Handeln herabzulassen22. Dieser moderne Begriff von Volk fällt mit der Notwendigkeit der Souveränität in eins, und seine logische Quelle ist bei Hobbes auszumachen, auch wenn er bei Rousseau perfektioniert wurde. Nach dieser Vervollkommnung weist der Begriff einen konstituierenden Aspekt auf: Deshalb handelt es sich um eine ideale Größe, weil es ziemlich schwierig ist, eine politische Größe als empirisch gegeben zu denken, die als verfassungsgebend nicht konstituiert ist und folglich keine Gestalt hat. Im Gegensatz dazu ist das Volk bei Althusius aktionsfähig, auch wenn es dem obersten Magistrat unterstellt ist, und das genau deshalb, weil es eine geschaffene konstituierte Realität ist, die aus den verschiedenen assoziativen Komponenten zusammengesetzt ist und nicht auf der Grundlage der undifferenzierten Vielfalt der Individuen gedacht wird. Sich von dem Begriff der „Souveränität“ zu befreien, um den Text des Althusius zu verstehen, heißt auch, sich vom modernen Begriff des „Volkes“ frei zu machen. All das bringt die Unmöglichkeit mit sich, auch den Begriff „Herrschaft“ in modernem Sinn zu verwenden. Natürlich kann es vorkommen, dass man bei der Über21 Dass einige Elemente, die als Elemente des Widerstands oder sogar der Revolution erscheinen und die in ganz unterschiedlicher Weise bei Pufendorf, Locke und Fichte vorkommen, nicht das antike Widerstandsrecht fortschreiben und den politischen Pluralismus negieren, den dieses voraussetzt, ist in den Beiträgen folgenden Bands nachzuweisen versucht worden: Il contratto sociale nella filosofia politica moderna (FN 4); dazu auch dien Einleitung des Bandes, bes. S. 27 – 33. 22 Vgl. Die moderne politische Repräsentation (FN 7), S. 80 – 95.

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setzung von Begriffen wie potestas oder imperium das Wort „Herrschaft“ im Sinne von Souveränität verwendet, aber es ist kein Problem von Worten. Das Problem besteht in dem, was in unseren Köpfen vorgeht, wenn wir – auch in Übersetzungen – auf den Begriff von der politischen Macht stoßen. Ich glaube, dass die Bedeutung aufgrund einer formalen Beziehung Wirkung entfaltet, die den Begriff, wie wir ihn heute verwenden, charakterisiert, das heißt, dass er von einer konkreten und komplexen Wirklichkeit den einfachen Aspekt des Willenszwangs abstrahiert. Ich habe versucht, den Vorschlag zu unterbreiten, dass womöglich unser Verständnis der Quellen befördert wird, wenn wir für die Befehlshandlung, die wir in der Politica finden, den Bezug auf das Wort „Regierung“ in seinem antiken Verständnis verwenden, in dem Verständnis also, das in der jahrtausendealten Metapher des gubernator navis reipublicae enthalten ist. Das impliziert nicht nur, dass die Regierten, auch wenn sie zum Gehorsam verpflichtet sind, durch die Befähigung zum politischen Handeln charakterisiert sind, sondern auch und vor allem, dass man den Orientierungshorizont aufspannt, in dem der Wille nicht absolut gesetzt werden kann – ein Horizont, der im Begriff der modernen Herrschaft aufgeht. Die Regierung – und folglich das imperium des Althusius – ist das, was negiert worden ist, damit der Aspekt der Souveränität, die der theoretischen Konstruktion von Hobbes und auch von Rousseau eigen ist, entstehen kann23. Auch hier handelt es sich nicht um Worte, wie die Tatsache zeigt, dass das Wort imperium bei Pufendorf später den Sinn der modernen Souveränität haben wird und folglich aus der Negation dessen hervorgeht, was Althusius unter demselben Begriff versteht24. Man könnte so fortfahren und alle wichtigen Worte von Althusius‘ Wortschatz in dieser begriffsgeschichtlichen Richtung durchgehen, doch ich beschränke mich auf nur zwei weitere Hinweise. Der erste Hinweis betrifft die „Repräsentation“. Auch in diesem Fall zwingt uns unser Verständnis, uns kritisch die Bedeutung bewusst zu machen, die heute in dem Wort mitschwingt25. Der vorherrschende Aspekt ist heute derjenige der Autorisierung, der Errichtung und Legitimierung der Herrschaft von unten her und gründet auf der Willensäußerung von Seiten der Individuen. Ihre Pole sind die Individuen und der einzig gemeinsame Wille, der 23 Vgl. vor allem Fine del governo e nascita del potere, in: La logica del potere (FN 5), S. 55 – 86, wo ein Abschnitt Althusius gewidmet ist. 24 Ich verweise auf meinen Beitrag Alle origini del moderno concetto di società civile, in: La logica del potere (FN 5), S. 87 – 112 und auf O. Mancini, Diritto naturale e potere civile in Samuel Pufendorf, in: Duso (Hrsg.), Il contratto sociale (FN 4), S. 109 – 148. 25 In Wirklichkeit scheint es mir, dass man im allgemeinen Gebrauch dieses Begriffs sich einander widersprechende Elemente ausmachen kann: Auf der einen Seite den Aspekt der Autorisierung, der mit Hobbes aufgekommen ist und den Ablauf der Wahlen bestimmt hat – ein Aspekt, der als ein fundamentaler Bestandteil der Legitimation der Herrschaft in den modernen Verfassungen erscheint; auf der anderen Seite bleibt ein Rest der mittelalterlichen Bedeutung, der feudalen und ständischen Vertretung, erhalten, die eine Wirklichkeit impliziert, die dem vorausgeht, was repräsentiert werden soll, das in diesem Zusammenhang über den wiederholten Gebrauch der Bezeichnung des imperativen Mandats zum Ausdruck kommt.

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sich mittels des repräsentativen Körpers bilden muss. In der Politica dagegen hat die Repräsentation eine Übertragung des politischen Willens zur Grundlage, und das ist insofern denkbar, als die Mitglieder der Gemeinschaft nicht Individuen sind, sondern Gruppen und Verbände. Die Willen von einer unendlichen oder unbegrenzten Zahl von Individuen können nicht repräsentiert werden, und in der Tat verschwinden die Differenzen der einzelnen in der modernen Repräsentation, die – daran muss erinnert werden – nicht das Ziel hat, die Willen der Repräsentanten widerzuspiegeln, sondern vielmehr dem Willen des kollektiven Subjekts Ausdruck zu verleihen, das die Individuen zustande gebracht haben. Aber dies geschieht nicht, wenn die genau umschriebenen und bestimmten Differenzen jener Gruppen, die die Gemeinschaft bilden und die als Träger politischer Herrschaft verstanden werden, zu vertreten sind. Auch der Repräsentant ist an die Wirklichkeit gebunden, die er repräsentieren muss und die von Bedürfnissen, Rechten, libertates gekennzeichnet ist, die spezifisch sind und denen der Repräsentierende treu sein muss. Aus diesen Gründen ist zwar das Element der Wahl gegenwärtig, aber keineswegs zwingend und bar jener autorisierenden Funktion, die wir ihr gewöhnlich zuschreiben. Deshalb ist es zum Beispiel weder skandalös oder widersprüchlich, dass die Ephoren gewählt oder auf eine andere Weise ernannt werden können26. Der andere Hinweis betrifft den Begriff „Demokratie“. Wer heute das „Demokratische“ in der Konzeption des Althusius bewerten wollte, und dabei unweigerlich riskieren würde, die modernen Begriffe von „Volk“ und „Souveränität“ mit einzubeziehen, müsste sich mit der Kritik der Demokratie auseinandersetzen, die sich in der Politica findet. Wenn man sich hier von der Hypothek der modernen Begrifflichkeit frei macht und man versteht, dass die Frage der „Souveränität des Volkes“, ganz gleich ob direkt oder repräsentativ, vollkommen modern ist, dann ist es keineswegs paradox, wenn man feststellt, dass die Demokratie genau in dem Kontext der Kritik unterzogen wird, in dem das Volk die vorherrschende politische Größe ist. Es ist nicht paradox, weil in diesem Zusammenhang – wie in den zweitausend Jahren, die den Vertragslehren vorausgehen – die Demokratie – und mit ihr die Monarchie und die Aristokratie – „Regierungsformen“ sind und nicht Begriffe, die Träger der Souveränität benennen: Sie implizieren also das „Regierungsprinzip“, das nicht die Funktion ist, in der das Volk seine eigene politische Realität zum Ausdruck bringt. Auch in der Form der Demokratie sind es nämlich noch immer nur wenige, die regieren; und wenn wir denken würden, dass durch sie der Wille des Volkes zum Ausdruck käme, dann würden wir auf der Grundlage der 26 Repräsentation und Widerstandsrecht bilden den roten Faden der Monografie von L. Calderini, La „Politica“ di Althusius. Tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995; zur Repräsentation vgl. vor allem H. Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit. Zur Frage des Repräsentationsprinzips in der „Politik“ des Johannes Althusius, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 513 – 542 (derselbe Aufsatz auch in: ders.: Recht, Politik, Verfassung, Frankfurt am Main 1986, S. 1 – 30). Um das Thema Repräsentation zu verstehen, ist von demselben Autor folgendes Werk grundlegend: Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 20044.

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Auffassungen denken, die eben in unseren Worten „Souveränität“, „Volk“, „Macht“ und „Repräsentation“ Niederschlag gefunden haben: Wir würden also, mit anderen Worten, auf Grundlage der Begriffe des modernen Apparates denken, mit denen man seit Hobbes Politik denkt. Aber mir scheint nicht, dass sich bei Althusius die Dinge so verhalten. Über das Handeln der Regierenden drückt sich das Handeln derjenigen aus, denen sie allein verantwortlich sind. In der „Mischverfassung“, die nicht eine Regierungsform neben anderen ist, sondern vielmehr das, was Althusius unter der Verfassung der respublica oder des Reiches versteht, ist es nicht erstaunlich, dass die demokratische Regierung das „monarchistische“ und unitarische „Element“ der Verfassung darstellt, während, wenn man unter „demokratisch“ die politische Präsenz des Volkes versteht, die in der Demokratie genauso wie in der Monarchie über die kollegialen Organe erfolgt: Sie sind demjenigen, der regiert, immer beigeordnet oder gegenübergestellt und werden pluralistisch verstanden und ermöglichen das politische Handeln des Volkes und die Teilhabe der Bürger an den Problemen der Gemeinschaft27. Diese kurzen Andeutungen zu einigen wichtigen Begriffen der Politica dienen dem Ziel, auf die Notwendigkeit des kritischen Bewusstseins für die Begriffe, die wir gebrauchen, hinzuweisen, und darauf, dass sie im oben beschriebenen Sinne „modern“ sind. Wir sehen uns also einer radikalen „Alterität“ gegenüber, die nicht auf die Gegensätze reduziert werden kann, die sich in den Begriffen ergeben können wie die Souveränität des Volkes oder des Monarchen, die absolute Macht oder die geteilte oder verteilte Macht, die direkte Souveränität oder die repräsentative Souveränität, der Absolutismus oder die Demokratie. Nur in diesem Bewusstsein scheint es mir, dass man die Tragweite der Aspekte der communicatio und der „Regierung“ verstehen kann, die föderale Konzeption mitsamt ihrem Pluralismus, die Rolle des Rechts, die realen und bindenden Elemente der Reichsverfassung zusammen mit der Bedeutung der grundlegenden Gesetze und auch die Widerstandsrechte – also aller relevanten Aspekte des politischen Denkens des Althusius.

3. Die Fragen, die uns Althusius stellt Wir haben festgestellt, dass die Gegenüberstellung von Althusius und Hobbes im Hinblick auf die Konzeption der Souveränität eine falsche Beziehung zu den Quellen mit sich bringt. In einer derartigen Gegenüberstellung neigt man gegenüber der vertikalen Ausrichtung der Herrschaft, die von Hobbes repräsentiert würde, dazu, den Aspekt der Kommunikation emphatisch zu betonen und absolut 27 Diesbezüglich verweise ich auf meinen Beitrag La costituzione mista e il principio del governo. Il caso Althusiius, in: Filosofia politica 2005, S. 77 – 96; der ganze Band befasst sich mit dem Thema Mischverfassung.

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zu setzen, die als „horizontal“ verstanden wird, so als ob sie autonom wäre und allein die Bedeutung der politischen Bindung zum Ausdruck bringen könnte. Auf diese Weise und in Verbindung mit einer Interpretation, die in der Repräsentation das Element der Legitimation der politischen Verpflichtung erkennt, könnte man den Eindruck haben, dass in der Politica eine Konzeption der „Macht, die sich von unten her bildet“ zum Ausdruck kommt. Ein derartiger Ansatz birgt das Risiko, Althusius und Hobbes gleichermaßen misszuverstehen und sich nicht bewusst zu werden, dass die wesentliche Charakteristik der Souveränität darin besteht, dass die politische Macht von unten her gebildet wird. Bei Hobbes eben und dann in der gesamten folgenden Naturrechtslehre besteht die Souveränität in einer höchsten und alleinigen Herrschaft, eben genau aus dem Grund, dass sie aus dem Willen der Individuen hervorgeht: Es ist dieses Entstehen, das mit dem Prozess der Autorisierung einhergeht – bei Hobbes gewiss nur in der logischen Konsequenz und nicht durch konkrete Handlungen umgesetzt –, der die Autorität bildet, was die Grundlage der Absolutheit der Macht des gemeinschaflichen Subjekts ausmacht. In der modernen Souveränität sind die horizontale und die vertikale Ausrichtung eng miteinander verbunden. Was seine Inhalte anbelangt gilt: Der Befehl kommt von oben nur dank der Tatsache, dass er von unten autorisiert ist. Das Denken des Althusius ist nicht mittels einer derartigen formalen Rationalität verständlich und der Aspekt der koinonia und der concordia ist zwar von grundlegender Bedeutung für die Bestimmung von Politik, aber kann nicht für sich stehend konzipiert werden, sondern nur zusammen mit dem Aspekt der „Regierung“. Es sind verschiedene Teile der Gesellschaft, die überein kommen müssen, und genau diese Unterschiedlichkeit bringt die Notwendigkeit einer Führung mit sich, einer Instanz, die an der Eintracht arbeitet und die verhindert, dass die Teile nur zu ihrem eigenen Vorteil arbeiten und so zur Zersetzung des Ganzen führen. Die Notwendigkeit der Regierung beseitigt nicht die politische Subjektivität der Teile, die die Eintracht anstreben; im Gegenteil: sie ist ohne ihre tatsächliche politische Präsenz nicht denkbar. Die Differenzen werden nicht neutralisiert, sondern sind das Merkmal jener Gegebenheiten, die die Eintracht anstreben. Es ist also verständlich, dass bei einer derartigen Denkweise das „Volk“, nicht wie oben angesichts der Demokratie gesagt wurde, Quelle von Befehl und Regierung ist, sondern vielmehr mit der Gemeinschaft ineins fällt, die als plurale Gesamtheit der Glieder verstanden wird, die gegenüber dem Regierenden den eigenen politischen Charakter bewahren. All dies ist etwas ganz anderes als die Bildung der Macht von unten (d. h. Herrschaft in modernem Sinne, oder Souveränität), und, wie deutlich wurde, ist der politische Charakter des Volkes genau in dem Maße real, in dem es nicht regiert und Befehle erteilt. In der Politica wird eher deutlich gemacht, wie das Volk, auch wenn es die bedeutendere politische Größe ist, dennoch den König „über und nicht unter sich stellt“28. Aus der Perspektive einer Macht, die von unten 28 Politica (III. Auflage) (FN 13), XVIII, 92 ff.; im Rahmen dieser Abschnitte wird ausdrücklich gesagt (98), dass es keineswegs widersinnig ist, dass der Monarch zugleich über

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her begründet wird, also der Souveränität ist dies nicht erklärlich, da in diesem Falle der Befehl dem ganzen politischen Körper zuzuschreiben ist: das bedeutet, dass kein Subjekt gegenüber dem Befehl mehr bleibt. Erklärlich ist es dagegen aus der Perspektive der „Regierung“ und dem gleichzeitigen und notwendigen politischen Charakter der Regierten, die durch die kollegialen Organe den Regierenden einsetzen, mit ihm zusammenarbeiten, ihn kontrollieren und ihn auch absetzen können. Eben dieser politische Charakter, der in der realen Gegenwart des Volkes zum Ausdruck kommt, ist im Rahmen des theoretischen Aufrisses der Souveränität undenkbar29. Nur wenn wir uns der „Alterität“ des Denkens von Althusius im Hinblick auf die Begriffe, die wir gewöhnlich verwenden, bewusst sind, kann er für uns Bedeutung erlangen und uns Fragen stellen. Gewiss: „uns heute“; nicht nur, weil die heutigen Begriffe problematisch geworden sind, sondern weil sie den notwendigen und universalen Denkkreis nicht bilden und gebildet haben, und auch nicht hinreichend waren, um uns all das verständlich zu machen, was eben in der Moderne zum Ausdruck gekommen ist. Und auch, weil sie nicht eine Theorie bilden, die sich selbst begründen kann, sondern vielmehr aus der Grundfrage nach der „Gerechtigkeit“ heraus entstanden sind, die, wenn sie auch für ihren Entwicklungsprozess wichtig war, doch von der Konzeption der Politik weit entfernt erscheint, die sie ermöglicht hat, die riskiert, sich auf die formale Strenge einer Konstruktion zu beschränken, die als alleinige Garantie für Frieden und Ordnung30 auftritt und dazu neigt, das störende erneute Stellen dieser Frage zu behindern. Wir können in der Politica also keine Bestätigung für unsere heutige Art, Politik zu denken, finden oder Vorschläge wie jene für eine „Macht von unten“ oder eine im übrigen widersprüchliche „Souveränität der Bürger“ oder für ein einfaches Anerkennen der Pluralität politischen Wollens31. An anderer Stelle habe ich die Gründe dafür untersucht, dass heute offensichtlich häufig auf Althusius Bezug genommen wird, und dies vor allem im Zusammenhang mit dem Verfassungsdenken und im Bezug auf die politische Wirklichkeit Europas und seiner Verfassung32. Ein derartiger Bezug, der seine eigene Kraft in den Arbeiten von Hueglin entfaltet, ist vertretbar, mir scheint es aber nötig, dass er mit dem Hinweis erfolgen muss, dass die konstitutionelle Komplexität und der Pluralismus, der im Denken des Althusius enthalten ist, nicht auf ein Schema reiner konstitutioneller Handwerkstechnik herabgemindert werden dürfen, in dem zentrale Bestandteile des Denkens ausgeund unter dem Volk und den Ephoren steht, die es repräsentieren, was auf Grundlage der Konzeption der Souveränität nicht vorstellbar wäre. 29 Vgl. Repräsentative Demokratie (FN 6). 30 Zur der in der Moderne erfolgten Verdrängung der Frage nach der Gerechtigkeit aber auch über ihr Wiedererscheinen vor allem im Zusammenhang mit der politischen Philosophie Kants vgl. G. Duso, La libertà moderna e l’idea di giustizia, in: Filosofia politica 15 (2001), S. 5 – 28. 31 Oft sind es diese Vorschläge, die das heutige Interesse an Althusius hervorrufen. 32 Vgl. L’Europa e la fine della sovranità (FN 2), S. 126 – 134.

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trieben werden und folglich auch einige Probleme verloren gehen, an die wir, wie mir scheint, heute denken müssen, auch wenn die Aufgabe, die sie uns stellt, zu schwierig erscheinen kann oder es scheint, dass die Aufgabe für all diejenigen nicht vertretbar ist, die auf das Modell der politischen Gestalt forma politica abzielen, das die moderne Demokratie als einziges zu praktizierendes Modell kennzeichnet. Man kann das Risiko eingehen, oberflächlich einige dieser Fragen zu benennen, zu deren Behandlung wir heute durch die Lektüre des Juristen und politischen Denkers aus dem fernen 17. Jahrhundert angeregt werden und die zu einem Nachdenken anzuregen scheinen, die auf allen Ebenen über die heute vorherrschende politische Diskussion hinausgehen – von der staatlichen zur europäischen und weiter zu jener Ebene, die sich auf die Weltlage bezieht. Vor allem die Notwendigkeit, die politische Teilnahme, die Eintracht und die Pluralität der Gesellschaft zu denken, drängt uns dazu, die Zentralität in Frage zu stellen, die der Begriff des Individuums in der modernen Konzeption der Politik hat. Die weithin geteilte Auffassung von der Krise des Konzepts der Souveränität muss mit dem weit weniger geteilten Bewusstsein dafür verbunden werden, dass es eben der Begriff des Individuums ist, der einen logischen Prozess begründet, der sich seit den Traktaten des Naturrechts bestätigt hat, und der, weil er sich einer ständischen Konzeption der Gesellschaft widersetzt, gemäß einer strikten Logik dahin gelangt, die rationale Notwendigkeit der Souveränität abzuleiten. Aber wenn man dann die Souveränität in Frage stellt, muss man konsequenterweise auch das Konzept des Individuums und seiner Rolle in Frage stellen. Gewiss kann das nicht heißen, dass man den Weg beseitigt, auf dem der Wert des Bewusstseins und die gleiche Würde aller Menschen ans Licht gekommen sind, und auch nicht, den Einzelnen auf einen Platz zu verbannen, für den er vollkommen von seiner Lage oder seinem Status bestimmt ist, sondern vielmehr jene Unabhängigkeit des Willens und jene Abstraktion im Hinblick auf die bestimmenden Beziehungen in Schwierigkeiten bringt, in denen der einzelne konkret sein Leben zubringt, die, weil sie eben absolut gesetzt werden und als Grundlage der Gesellschaft angesehen werden, paradoxerweise dazu führen, dass das Individuum seinen politischen Aspekt verliert und folglich im Hinblick auf sein politisches Handeln ineffektiv wird. Und aus diesem Grund muss das Modell der Demokratie in seiner herrschenden liberaldemokratischen Gestalt überdacht werden. Dieser Hinweis macht einen Zusatz nötig. Mit dieser Rolle des Begriffs des Individuums muss auch die Art und Weise, Politik zu denken, in Frage gestellt werden, die von den Rechten des Individuums ihren Ausgang nimmt. Genau dies hat in der Tat zum Konzept der Souveränität geführt, zu einer ungeheuren Macht also, die dafür notwendig ist, die Macht, die den einzelnen Individuen eigen ist, zu neutralisieren, die gegenseitigen Missbräuche zu verhindern und die Rechte effektiv zu machen. Die Bestätigung der Rechte nicht nur in der Theorie, sondern auch in den Feststellungen, die die Grundlage für die Organisation der Verfassung darstellen (man denke an die Erklärung der Rechte der Französischen Revolution), macht die Notwendigkeit deutlich, dass es eine „Herrschaft“ gibt (jene des Staates), die

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jedem das zuweist, auf das er ein Recht hat. Eben diese Herrschaft ist die Souveränität gewesen. Den Diskurs über die Rechte auf die Welt auszuweiten bringt das Risiko mit sich, die Notwendigkeit einer souveränen Macht mit allen Aporien, die sie kennzeichnen, auf Weltniveau zu transponieren. Die Lehre, die von Althusius ihren Ausgang nimmt, besteht dagegen darin, die Einzelnen innerhalb ihrer Beziehungen zu denken – nicht von der Bezeichnung der Rechte der Individuen abzugehen, sondern vielmehr die Menschen innerhalb des symbiotischen Rechts zu denken, innerhalb der Sphäre des Austauschs von Waren (communio, communicatio) und der Solidarität, der Notwendigkeit einmütigen Handelns, der Frage nach der Gerechtigkeit. Einer der Punkte der Denktradition, die der modernen politischen Wissenschaft vorausgeht und über den es in besonderer Weise nützlich ist, nachzudenken, besteht in der Tatsache, dass, als man die Gesellschaft nicht mittels der Lösung der Macht und der Souveränität dachte, das, was vernünftig und notwendig erschien, eine Instanz von „Regierung“ war. Das bildet kein politisches Modell; die unterschiedlichsten Lehren haben sich innerhalb dieses „anderen“ Modus, Politik zu denken, ergeben – angefangen bei jenen, in denen das Befehls- und das Herrschaftselement stärker war bis hin zu jenen – und das ist bei Althusius der Fall –, in denen die Glieder des Reichs, die regiert werden und folglich Gehorsam leisten, in ihrer Gesamtheit als Volk die wichtigste politische Größe zu bilden scheinen. In jedem Falle scheint mir in diesen Konzeptionen der Tradition jene Absolutheit und Einzigartigkeit zu fehlen, die die moderne Souveränität kennzeichnet. Wenn man die politische Sphäre aus Regierten und Regierenden zusammengesetzt denkt, dann bringt das nicht notwendigerweise die Überzeugung mit sich, dass es einfache „natürliche“ und unter den Menschen verfestigte Abhängigkeiten gibt, sondern führt vielmehr zum Anerkennen der Unterschiede, das für einen Kontext essentiell ist, der von der Pluralität der politischen Subjekte gekennzeichnet ist und von einem Horizont, in dem es möglich ist, sich zu orientieren: Diese beiden Elemente – Unterschiede und Bezugspunkte, aufgrund derer man das denken kann, was gerecht ist – erscheinen im Prinzip der „Regierung“ impliziert. Man muss über die Tatsache nachdenken, dass es gerade die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Regierungsinstanz ist (die bei Althusius allein von der Institution und von der Kontrolle jener Entitäten abhängt, die regiert werden), die es dem Volk ermöglicht, politisch präsent zu sein und nicht in eine Aporie zu verfallen, die sich aus der Verbindung von Souveränität und Repräsentation ergibt. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es genau diese Negation des Regierungsverhältnisses als Konstitutivum der politischen Gemeinschaft ist, die die Notwendigkeit der Souveränität mit sich bringt. Das Politische ohne das Konzept der Souveränität und gemäß dem Prinzip der Regierung zu überdenken, kann heute auf verschiedenen Ebenen politischer Aggregation nützlich sein. Anstatt sich in der Theorie immer verlegener auf der Grundlage der Vorstellungswelt der Souveränität zwischen Staaten und Europäischer Union hin- und herzubewegen und dabei zu errechnen zu versuchen, wie viel

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Autonomie den Staaten verbleibt und welche Quote an Entscheidungen und an Macht der neuen gemeinsamen politischen Einheit zugewiesen wird, muss man sich fragen, ob es nicht nützlicher wäre, heutzutage eine „Regierungshandlung“ jener Letztgenannten zu konzipieren, die eine ihr eigene Macht hätte, die sich aber auch immer mit einer Pluralität von Mitgliedern konfrontieren lassen müsste, die ständig die Eintracht und Übereinkunft suchen. In diesem Falle gibt es keine Garantie für eine alleinige Entscheidung und eine alleinige Macht, die für die Souveränität charakteristisch ist, es wird aber möglich sein, die politische Teilnahme der Mitglieder zu denken. Auch Letztere müssen jedoch in ihrer politischen Stellung überdacht werden: Auf der Grundlage des Prinzips der „Regierung“ und der „Pluralität“ der politischen Subjekte ist es dieselbe Staatsform, die in Frage gestellt wird, und das schlägt auf das zurück, was man unter „Demokratie“ versteht. Jenseits des Ideals der Negation der Unterordnung unter die Regierung und der Absolutsetzung des Willens des Einzelnen muss man womöglich an die Pluralität des Volkes denken und verneinen, dass es sich mit der Befehlsquelle identifizieren kann und muss. Es ist in der Tat dieses doppelte Ideal, das die Aporie eines Volkes hervorruft, das „souverän“ ist, das aber seine absolute Macht mit der Unmöglichkeit bezahlt, auf der politischen Bühne wirklich präsent zu sein, und mit dem Verlust für die Bürger, politisch handeln zu können. All dies führt dazu, dass die moderne Art, die „politische Repräsentation“ zu verstehen, in Frage gestellt wird: In diesem Knoten überkreuzen sich nämlich die hier aufgeführten Themen und man erkennt die Lücke, die zwischen individuellem Subjekt und kollektivem Subjekt besteht, und das im gleichen Augenblick, da man ihre Identität geltend machen will oder jedenfalls den als unverzichtbar angesehenen Verweis beider aufeinander. Bei Althusius ist die Repräsentation Mittlerinstanz und konkretes Bindeglied von real präsenten Bestimmungen in der Gesellschaft. Oben wurde auf die Modalität der Repräsentation Bezug genommen, die das Verhalten der Kollegialorgane ausmacht. Ich hatte bereits Gelegenheit zu sagen, dass ich die Deutung Hasso Hofmanns teile, der bei Althusius eine doppelte Repräsentanz erkennt, eine identitätsstiftende, die in den Kollegialorganen zum Ausdruck kommt, und die in der Gestalt der Ephoren kulminiert, und in der zeremoniellen und würdevollen, die dem höchsten Magistrat eigen ist33. Ich meinerseits würde sagen, dass sich in der Politica auf allen konsoziativen Ebenen zwei Ordnungsinstanzen zeigen, die sich notwendigerweise gegenseitig implizieren: die plurale und repräsentative, die von den Kollegialorganen ausgedrückt wird und jene unitarische, die der Leitung der Regierung. Man kann verstehen, dass sich auf diese Weise eine Sichtweise der Politik und des Verhältnisses zwischen einer Pluralität von Subjekten einstellt, die aus dem Rahmen der modernen politischen Form herausfällt, in der die unendliche Vielfalt der Einzelnen die Alterität der politischen Einheit bedingt, die nicht die Vielfalt der Einzelnen vermitteln soll und 33 Vgl. Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit (FN 26) und G. Duso, Il governo e l’ordine delle consociazion: La Politica di Althusius, in: Il potere (FN 8), bes. S. 86 – 89.

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kann. Aber dieses Bild ist entgegen der häufigen Meinung nicht nur nicht notwendigerweise unser Schicksal, sondern entspricht auch nicht einmal mehr dem, was unsere Realität ist. Vielleicht muss man also eine Vorgehensweise entwerfen, bei der der Einzelne nicht in einer Wahl gleichgesetzt wird, die ihn von den vielfältigen konkreten Beziehungen frei macht, in denen er lebt und die seine Entscheidung einfach vom subjektiven Eindruck abhängig macht, von der Willkür und der Vorstellung (der Grund dafür, dass man den Einzelnen für frei hält!). Es ist festgestellt worden, dass die vormoderne Repräsentation plural ist, aber gebunden an eine feudale und ständische Wirklichkeit, die in der heutigen Gesellschaft nicht feststellbar ist. Sicherlich gibt es heute Gruppierungen und Zusammenschlüsse, die auf politische Entscheidungen unterschiedlichen Einfluss haben, aber der Einzelne ist nicht durch eine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand oder einer bestimmten Gruppe charakterisiert. Dennoch kann man vielleicht an die politische Präsenz der verschiedenen Gruppen denken und folglich an die Teilhabe des Einzelnen an den Wirklichkeiten, denen er angehört. Das heißt, dass man jene Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Staat überwinden muss, die die Vorstellungswelt bildet, auf der die zeitgenössischen Verfassungen basieren, und dass man versuchen muss, die Pluralität der politischen Subjekte zu denken. Das würde auch unserer heutigen Wirklichkeit mehr entsprechen, die die Konstitution offensichtlich immer weniger begreifen, beschreiben und normieren kann. Letztlich – und darin liegt vielleicht das Hauptproblem – besteht der Hinweis, der aus dieser Lektüre hervorgeht, darin, dass es notwendig ist, über diese formale Rationalität hinauszugehen, die der modernen Konzeption der Politik eigen ist. Die politische Verpflichtung erscheint in der Moderne durch eine Logik legitimiert, die die Neutralisierng der verschiedenen Konzeptionen, Kulturen und Religionen mit sich bringt. Dadurch, dass man die Unterschiede dem „privaten“ Bereich zugewiesen hat, ist eine Strategie entwickelt worden, mittels derer versucht wurde, den Konflikt auszutreiben. Man muss sich trotzdem fragen, ob es auf diese Weise nicht auch ein nihilistischer Akt ist, der diese Denkweise hervorgebracht hat und ob sich heute, angesichts unterschiedlicher Glaubensrichtungen, Kulturen und Religionen die Antwort, die vom formalen Modell der Demokratie dargestellt wird, die diesen Unterschieden ihre ganze Relevanz nimmt, um das Zusammenleben zu ermöglichen, nicht zu schwach erscheint. Von diesem Blickwinkel aus erscheint es nützlich, sich über Althusius hinwegzusetzen, damit wir uns jenseits seines Denkens in unserer Gegenwart wiederfinden. Das, was in der Politica frappierend ist, besteht darin, dass die Pluralität denkbar ist – in ihrer verfassungsmäßigen Wirklichkeit, die nicht auf den reinen ideologischen Pluralismus reduziert werden kann, an den wir gewöhnt sind – und das dank eines gemeinsamen Rahmens, der von der Religion, dem Recht, den Gewohnheiten, und selbst dem Begriff des „Reichs“ gebildet wird34. Vielleicht ist es, um die Pluralität zu denken, notwendig, einen 34 Die gesamte deutsche Reichspublizistik ist von einer pluralen Sichtweise der politischen Subjekte bestimmt (vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.

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gemeinschaftlichen Horizont vorzustellen, aber dies kann nicht in einem Sinn angegeben werden, der gleichermaßen eindeutig für eine Religion, eine Rechtstradition und homogene Gebräuche ist. Und dennoch scheint es mir notwendig zu sein, das zu suchen, was uns gemeinsam ist, um Situationen der Pluralität auf allen Ebenen – von der lokalen zur globalen – denken zu können; ansonsten bringt – wie die politische Gestalt, die die Moderne charakterisiert hat, lehrt – die Beseitigung eines gemeinsamen begrifflichen Horizonts, die Unmöglichkeit mit sich, die politische Pluralität zu denken, um dem ideologischen Pluralismus und somit der Pluralität der Meinungen Raum zu geben. Dies ist eine ebenso dringende wie schwere Aufgabe, wenn man einen Weg einschlagen will, der sich von dem unterscheidet, der heute auf globaler Ebene als schwach erscheint – den der Nivellierung der Unterschiede mittels einer formalen und prozessualen Demokratie, die, um den Konflikt auszulöschen, mit Macht durchgesetzt werden muss. Dagegen muss gerade durch die Unterschiede und ihre Aufwertung (was etwas ganz anderes ist als ihre Verfestigung und ihr Bestehen in vorgeblich autonomen Wahrheiten) das, was vereint, mit Anstrengung und Risiko wiedergefunden werden. Jenseits der formalen Rationalität, die die Souveränität hervorgebracht hat, und jenseits der Legitimationsvorgänge ist es dieselbe Frage nach Gerechtigkeit, die sich wieder zu stellen scheint, eine Frage, die umso problematischer und riskanter ist, je weniger sie einer einhelligen Antwort unterworfen werden kann, die die möglichen Konflikte mit der Wurzel ausreißt. Wenn dies einige der Probleme wären, die sich uns „heute“ bei der Lektüre von Althusius stellen würden, dann wäre deutlich, dass man sein Denken nicht auf einen verfassungsmäßigen Ablauf reduzieren kann und dass das Denken des Althusius für uns kein endgültiges Modell sein kann. Es hilft uns vielmehr, uns der Aufgabe zu stellen, unsere Gegenwart ohne das Vor-Urteil der modernen Begriffe vorzustellen und sie so auf eine „neue“ Art zu denken.

Erster Band. Reichspublizistik und Policeywissenschaft (1600 – 1800), München 1988, S. 170 – 183 und ders.: La respublica mixta au 17ème siècle. Réception de l’idéal de la constitution mixte en Allemagne, in: Le gouvernement mixte de l‘Idéal politique au monstre constitutionnel en Europe (13ème – 17ème siècles), Etudes réunies et présentées par M. GailleNikodimov, Paris 2005.

Thomas O. Hüglin

Althusius in Question: Interpretation and Relevance The political theory of Johannes Althusius is receiving renewed attention. 400 years after its first appearance in 1603, Althusius’ famous Politica has finally been translated into German, and an Italian translation is now under way. This is not a coincidence. In 1992, only a few ‘Althusiasts’ may have noticed that the research team of Jacques Delors had traced the principle of subsidiarity back to Althusius.1 Ten years later, at the federalism summit in Switzerland, the Althusian connection became much more obvious to a large audience of academics as well as political leaders from all corners of the world when the Vice President of the European Constitutional Convention, Giuliano Amato, in his plenary address, repeatedly identified Althusius as the main point of reference in the search for a European political order no longer committed to the concept of exclusive authority.2 What is it, that makes Althusius so attractive all of a sudden? There are some easy answers but also some more difficult explanations. 1. In a globalizing world of integration and fragmentation, governance beyond the boundaries of the territorial nation-state as well as challenges to national sovereignty by multicultural diversity and quests for regional autonomy, we are searching for intellectual guidance. How can we understand such a world, and, how can we take command of it in a more controlled and accountable manner? To the extent that we acknowledge to be products of intellectual tradition and history, guidance has come from the classical canon of political thought. And for our modern world, this canon is associated with the names of Bodin, Hobbes, Locke, Kant and Marx. For Bodin, sovereignty had to be absolue et perpetuelle.3 For Hobbes, the very idea of power sharing spelled disaster. “A Kingdome divided in it selfe cannot stand”, he declared.4 Locke added to this principles of representa1 See Ken Endo, The Principle of Subsidiarity: From Johannes Althusius to Jacques Delors, “The Hokkaido Law Review” XLIV, 6 (1994), 553 – 652. 2 Giuliano Amato, Plenary Speech, in Raoul Blindenbacher and Arnold Koller (eds.), Federalism in a Changing World, Montreal, McGill-Queen’s University Press, 2003, 577 – 81. 3 Jean Bodin, Les Six Livres de la République (1576), I.8. 4 Thomas Hobbes, Leviathan (1651), XVIII (original pagination 93).

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tion and governmental restraint in the name of individual liberty and property rights, but he nevertheless insisted that there could only be “one Body Politick under one Supreme Government” safeguarding these rights.5 Immanuel Kant, in turn, could only envisage perpetual peace as a federation of fully sovereign states. A world republic with superior rights simply was “not the will of the nations.”6 It remained an unattainable ideal precisely because no room was given to the pluralization and sharing of power within sovereign states, because, in other words, it was simply assumed that there was a will of nations. Not too long thereafter, Karl Marx added the ideal vision of a stateless society of free producers. But in order to get there, he, too, took resort to a second best solution, the dictatorship of the proletariat, which would centralize and concentrate state power even further. That such a dictatorship would eventually transform all political power into “an association, in which the free development of each is the condition for the free development of all”,7 remained pure dialectical assertion. In other words, the classical canon of modern political thought does not help much to understand the world in which we now live. It probably never did because modernity has always been more complex than the essentializing principles of enlightened reason would have it. Perhaps the complexities and contradictions of modernity have only become more obvious: hence the sudden return, at least of some, to Althusius and his quasi-medieval insistence on a world of multi-level governance with overlapping jurisdictions and the need for consensus and compromise. 2. So far so good: One can simply take Althusius as an inspiration in search of non-statist or post-sovereign alternatives to modern nation-state governance. If that search was successful, the ends would justify the means: non scholae sed vitae discimus. What does it matter if we misinterpret some of the original Althusian meanings or intentions. After all, we can still be inspired by the Aristotelian to govern and to be governed even when by that he not at all meant anything close to universal democracy. There are good reasons, however, to eschew such an ahistorical approach. On the one hand, it lends itself to misappropriations. The upper Italian Leghe, for instance, almost routinely refer to Althusius as a crown witness for their views of Italian federalization. 8 Lega-style federalism, however, is linked to xenophobic identity claims and populist appeals to socioeconomic desolidarization9 that are incompatible with the mutualist principles of the Politica. John Locke, The Second Treatise of Government (1690), VII para. 89 Immanuel Kant, Perpetual Peace (1795), Second Definitive Article. 7 Karl Marx and Friedrich Engels, The Communist Manifesto (1848), 2. [Proletarians and Communists]. 8 See for example, in the home page of the Torino section of the Lega Nord, at http: // www.padania.to.it/countach/Numero7/Articoli7/Editoriale7.htm. 9 See Oliver Schmidtke, Politics of Identity, Sinzheim, Pro Universitate, 1996. 5 6

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On the other hand, the ahistorical approach violates basic principles of scholarly exactitude, to the extent that we can have that in the social sciences. And, in doing so, it deprives the entire effort of its own best arguments. The methodology of social science is comparative. We can only compare, and learn from comparing, when we develop meaningful yardsticks for similarities and differences, and these, in turn, require appropriate differentiations across time. 3. In what follows, I want to talk about such differentiations. Giuseppe Duso has argued that Althusius’ principles of politics cannot be applied to modern, or, as I have called it, late modern categories of political thought. In particular, Duso insists that this incompatibility stems from three interrelated differences between modern and pre-modern politics.10 First, modernity constructs sovereignty as the result of a social contract that transforms a naturally existing conflict order into something radically different. By a fictitious act, the members of such an order relinquish their natural powers to a sovereign institution. Sovereignty becomes a universal law that is superimposed upon civil society. By comparison, sovereignty in the Althusian sense remains embedded in the natural order of social plurality. There is no unitary or universal popular will. Sovereignty only exists through the joint exercise and cooperation of diverse collectivities participating in the political process. Secondly, once it has been created, modern sovereignty manifests itself as the government of sovereign states. There can be only one legitimate source of authority regardless of whether it is an absolutist prince or a body of elected representatives of the people. Whatever actions may occur legitimately yet outside the exclusivity of public or state authority is the business of private society. By comparison again, in the pre-modern view of Althusius, there exists no such separation of state and society. The exercise of sovereignty therefore is not reduced to the actions of government. Instead it is gubernatio which comprises the governing acts of a diverse and plural range of collective actors that are neither public nor private but always political. Thirdly, since the act of governing remains in the hands of a plurality of associated bodies or consociations, the ultimate carrier of political legitimacy is not the modern and radically autonomous individual but the well ordered body politic, consociatio consociationis. To the extent that I have given a fair rendition of Duso’s interpretation of Althusius, here, it is fully concomitant with my own. However, I want to suggest that the comparative discourse between Althusius and modernity can be expanded.11 10 Giuseppe Duso, Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Johannes Althusius, in Emilio Bonfatti, Giuseppe Duso and Merio Scattola (Hg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica Methodice Digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden, Harrassowitz, 2002, 13 – 34. 11 See Thomas O. Hüglin, Early Modern Concepts for a Late Modern World, Waterloo: Wilfrid Laurier University Press, 1999.

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4. It seems to me that Althusius’ intention went beyond the design of a political system that in Duso’s characterization remains based on a natural order of things. As much as Bodin before him or Hobbes after him, Althusius was aware that the natural order of things was in irreparable disarray. And as much as Bodin or Hobbes, he wanted to transform that order into something new and more stable even though it is very true that it was not the exclusivity of authority in the modern sovereign state he had in mind. The old and natural order of things was characterized by a plurality of overlapping jurisdictions held together, for better or worse, by Christian universality. The Reformation had destroyed this universality. Territorial absolutism had already been proclaimed by the cuius regio eius religio of the Augsburg Religious Peace. There was no way back to a natural order of things. Althusius’ radical solution was not to demote the plurality of organized social life to the status of administrative subordination within a decentralized unitary state. This was Bodin’s solution. Althusius’ solution also was not to replace organized public life with a society of private individuals. That is the modern solution Hobbes brought on its way. Althusius’ solution was to provide the natural and static order of things with a new and dynamic principle of balanced interaction. Cooperation which claims a central role in Duso’s interpretation, could no longer simply be taken for granted. It had to be organized. One of the main organizing principles was subsidiarity.12 The concept of subsidiarity is commonly associated with Catholic social doctrine. Its origins are much older, though, and can be found in the proceedings of the 1571 synod of the Protestant Dutch churches in Emden.13 Here we find the unmistakable stipulation that provincial or general assemblies must not deliberate on matters already decided at a lower level, and that they shall concern themselves only with such matters as pertaining to all churches generally. This was the operational linchpin of Calvinist federal theology which Althusius absorbed into his theory of federalism. A ruler “exercises as much authority as has been explicitly conceded to him by the consociated members or bodies of the realm”, he declared. Consequently, “what has not been given to him must be considered to have been left under the control of the people or universal consociation.” And he added: “The less power of those who govern, the more secure and stable government remains.”14

12 Althusius never used the term subsidiarity which is why it also has no place in the Althusius Lexicon. Only once does he refer to the vitae subsidia as the necessities of life which can only be sustained through mutual sharing. See Johannes Althusius, Politica Methodice Digesta (Herborn 1614 (3rd edition); reprint Aalen, Scientia, 1981), I.4. Subsidiarity nevertheless is a central concept in the political theory of Althusius. 13 Die Akten der Synode der Niederländischen Kirchen zu Emden vom 4. – 13. Oktober 1571, ed. by J. F. Gerhard Goeters, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener Verlag, 1971, 77 – 85. 14 Politica (1614), XIX. 7 – 8.

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What does this mean? It means that the old dualistic order of things is transformed in two significant ways. First, Althusius establishes that all government, at least in principle, is mandated government. Secondly and more importantly, he introduces the idea and concept of subsidiarity as a political code or guideline whereby a process of bottom-up accountability is prescribed for the political process. This is different both from the old dualism and from Catholic social doctrine. But I am probably carrying coals to Newcastle, o tartufi a Torino, because it is right here in Italy that recent interpretive research has contributed to a better understanding both of the significance Althusius accords to the concept of subsidiarity in his political design, and of the role his activities in Emden played in his evolution as a political thinker. Thus Merio Scattola has shown in his meticulous reconstruction of the transformation the Politica underwent from the first to the third edition that Emden indeed played a central role in this metamorphosis from majestas to symbiosis.15 And Corrado Malandrino has convincingly demonstrated how the idea of subsidiarity was deliberately employed by Althusius in this context, and in order to reconceptualize the regional power relationship between city and province.16 5. Returning to my debate with Duso, however, it also seems to me that his conceptualization of modernity is too narrow. He has in mind a modernity that appears entirely focussed on the Enlightenment thinkers mentioned at the outset. It subscribes to an old-fashioned reading of intellectual progress as linear evolution. Before modernity, therefore, there were plurality and diversity, and they were replaced in toto by the constructs of social contract, exclusive state sovereignty, and individual citizenship. It would appear that in such a reading of intellectual history, there is no room for Montesquieu, Proudhon, or Kropotkin. In such a reading, only Carl Schmitt would be modern while Hermann Heller would be an anachronism since he wrote, in 1934: “Much would be gained if it was admitted that the problem of real unity not only lies with the state but without exception includes all organizations.”17 Such a reading would deprive us from searching for, and recognizing, alternative intellectual traditions that have always been part and parcel of modernity. The point I am trying to make, here, is that the boundaries between pre-modern, modern and post-modern have never been so clear as they are sometimes portrayed to be for 15 Merio Scattola, Von der majestas zur symbiosis: Der Weg des Johannes Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in Bonfatti et al., cit., 211 – 50. 16 Corrado Malandrino, Die Subsidiarität in der Politica und in der politischen Praxis des Johannes Althusius in Emden, in Peter Blickle, Thomas O. Hüglin and Dieter Wyduckel (eds.), Subsidiarität als rechtliche und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft, Berlin, Duncker & Humblot, 2002, 237 – 58. 17 Hermann Heller, Staatslehre, posth. ed. by Gerhart Niemeyer, Leiden, A. W. Sijthoff, 1934, 229 [my translation].

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the sake of historical periodization. This is why I have, in my own work, chosen not to speak of postmodernism at all. What we are witnessing in our time is not the deconstruction of a formerly unitary world but the late recognition of a world that has never been so entirely unitary. 6. In other words, it is not so important to determine whether or not Althusius fits into a particular even though dominant reading of modernity; rather it is important to ask how he can still or again contribute to a more differentiated reading of that modernity. And it is here, precisely, that Duso’s differentiations offer a most promising approach. First, Duso’s interpretation of Althusian sovereignty as embedded in social plurality and dependent on cooperation describes very accurately what has already been called the neo-medieval quality of authority dispersal in an age of globalization. There is no universal popular will in global affairs. The same argument has been made in the context of European integration. Because there is no unitary European people, there also cannot be a unitary European government.18 Nevertheless, there is something approaching European sovereignty in world affairs. Yet it remains embedded in what must be now regarded as the natural order of national societies. Secondly, when this sovereignty becomes manifest, it is governance, not government. Duso’s emphasis of gubernatio corresponds closely to the plurality of a wide range of European governing actors, some governmental and some non-governmental, who all contribute to the ongoing process of European governance. At the global level, no such process is as yet discernible, of course. Global governance can in fact be described quite adequately in terms of the state of affairs that Bodin, Hobbes and Althusius all sought to overcome: a state of affairs characterized by factionism and religious conflict, by overlapping circles of jurisdiction or power that routinely affect those who have no control over it, and, simultaneously, by the emergence of a dualistic order of national and global governance lacking a political code that would help to decide who should do what. When that issue came up for the first time in the modern world of sovereign states, at the Philadelphia Convention of 1787, the American federalists devised a relatively simple solution of constitutionally divided powers. In a much simpler world it seemed fairly clear what the national government should do and what would be left to the states. There is no way that such a solution will be found for the complexities of global or even of European governance. In many ways, the Protestant rediscovery of political complexity19 during the early modern period, no longer committed to the idea of empire and not yet con18 Peter Graf Kielmansegg, Integration und Demokratie, in Markus Jachtenfuchs and Beate Kohler-Koch (eds.), Europäische Integration, Opladen, Leske-Budrich, 1996, 47 – 72. 19 See Sheldon S. Wolin, Calvin and the Reformation: The Political Education of Protestantism, American Political Science Review LI, 1957, 435 – 53.

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strained by the concept of modern statehood, is much more in tune with current realities. The principle of subsidiarity avoids the onerous if not impossible task of making legally binding decisions about how to divide powers. Instead, it points to a flexible process of political deliberation about who should do what, from case to case, in light of time and circumstance, and across as well as within policy fields. It does not divide government powers but governance tasks. As pre-formulated by the Emden synod and as practiced by the European Union, it assigns to the higher level of governance only what has not been or cannot be decided at the lower level. As in the German federal system it allows general or framework legislation at the federal level while retaining the specificities of resource allocation, policy implementation and administration to the constituent member units. Thirdly, Duso’s insistence on the plural and associative character of the Althusian body politic has its equivalent in the late modern reassertion of diverse group identities. These have not replaced modern liberal individualism as much as they have challenged is reductionist assumptions. The late modern carrier of citizenship rights no longer is the unencumbered self but a self that finds its full meaning embedded in community and regional structures of belonging as well as in the associative context of gender, race, religion, ethnicity, sexual orientation as well as social class.20 As Duso observes, it is quite evident that the Althusian people can only be manifest as a political force in its organized plurality, and he adds that this allows to question the validity of modern democratic categories. This observation not only goes to the very core of Althusius’ understanding of politics, it also points to a critique of that modern democratic illusion with which the great French dilettante Rousseau has tantalized us: that somehow the sum of individual wills, the volonté de tous, can be transformed into a democratic volonté générale. Rousseau was not coy about identifying what this transformation needed, a législateur extraordinaire,21 in other words himself, as the philosopher-king, who would show the way. And, because most modern legislators have turned out to be a lot less extraordinary than Plato or Rousseau dreamed, the merely technical device of majority rule somehow became synonymous with democracy. 7. Extraordinary or not: All this is very far away from Althusius’ thinking indeed. It is of course true, as Duso notes, that the leadership of the supreme magistrate must be guided by potentia et prudentia. But power and wisdom do not stem from elitist selection, they are distilled from the political process itself, from communication and cooperation. This considerably dampens the enthusiasm one might have for the alleged Althusian turn in the process of European governance. Communication for Althu20 See Will Kymlicka, Contemporary Political Philosophy, Oxford, Oxford University Press, 2002. 21 Jean-Jacques Rousseau, Contrat Social (1762), II. 3 and 7.

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sius meant participation and input in the decision making process affecting the well-being of particular communities. The national societies of Europe are in no position to even gauge what is good for them. The European process of decision making is largely left to policy communities of experts,22 and these have little interest or patience for sharing their wisdom. This is known as Europe’s democratic deficit. The legitimacy of the European project hinges on output efficiency. It is in this sense more Machiavellian than Althusian. The great Florentine realist wrote about the people’s yearning for freedom: “[Il principe] troverrà che una piccola parte di loro desidera di essere libera per comandare; ma tutti gli altri, che sono infiniti, desiderano la libertà per vivere sicuri.”23 Machiavelli nevertheless offered a remarkably modern insight into the nature of the political process itself: “Sono in ogni republica due umori diversi”, he declared, “. . . e come tutte le leggi che si fanno in favore della libertà, nascono dalla disunione loro.”24 This in turn connects with Althusius’ understanding of communication and cooperation for the sake of mutually agreed balance. It also casts in a critical light a central element of Enlightenment thinking, the assumption that human and social evolution progresses in linear fashion, and that there must always be a better or best solution. We can still find this in Habermas’ theory of communicative action which he describes as a process of deliberation in order to find the best argument.25 Nothing is further from Althusius than the Platonic assumption that there must be, can be, or even should be, a best solution. Communicative action for Althusius means cooperation and compromise leading to agreement about what is necessary and useful – and nothing more. It is precisely in this sense that the political thought of Althusius connects with the concept of federalism. One of the most distinctive features of federal systems is that they do not come about by means of conquest, a revolutionary bang, or simply evolutionary tradition. Instead, they are the result of careful deliberation and compromise among constituent groups or founding members. At the heart of the federal idea therefore lies the acknowledgment of group rights which means in turn that the process of governance inevitably remains one of communication and coordination. This precludes a form of governance characterized by competitive majority rule. It is important, however, to distinguish between federalism as such a founding process and concept of governance based on shared sovereignty and mutual delib22 See Thomas O. Hüglin, Government, Governance, Governmentality: Understanding the EU as a Project of Universalism, in Beate Kohler-Koch and Rainer Eising (eds.), The Transformation of Governance in the European Union, London, Routledge, 1999, 249 – 66. 23 Niccolò Machiavelli, Discorsi (1519), I. 16. 24 Ibid., I. 4. 25 See Susan Bickford, The Dissonance of Democracy, Ithaca, Cornell University Press, 1996, 17.

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eration, and the practice of governance in modern federal states. In the case of the United States of America, for instance, the cooperative element of federalism has been overshadowed by the competitive exercise of divided powers as well as by the overwhelming emphasis on individual rights protection. In the European Union, on the other hand, counciliar accommodation among the member states still connects much more directly with the Althusian understanding of federalism. 8. What I have been trying to show in this intervention, then, is twofold again: First, I concur with Duso that all efforts at presenting the political theory of Althusius as ‘almost’ democratic, or on the threshold of a statist modernity, are mistaken. As I have tried to elaborate in my own work, the life and work of Althusius belong to a period of transition, from the medieval plurality of rule to a modern epoch in which exclusive state authority became the dominant political doctrine and form. And, as is the case with all periods of transition, there were several possible outcomes. 400 years ago, at the beginning of the 17 century, the dice had all but been cast, and Althusius fought a brave yet futile fight. He could do so because he spent his long life under exceptional circumstances. Calvinism and federal theology still commanded considerable weight in European affairs. In Herborn, teaching students all the way from Prague to Glasgow, Althusius was part of something like a transnational European movement. Thesituation he found in Emden would only confirm his federal convictions. Exclusive state authority was nowhere in sight. The Empire was far away. The united Netherlands were in close proximity. The province of Eastern Frisia was hardly in a position of claiming anything approximating sovereignty. Emden was perhaps not a free city as Althusius would like to fancy, but it was host to a protective Dutch garrison. The vision of what is now called a transborder or de-bordered Europe still was very much a reality at the Calvinist fringes of modernity. Secondly, the political theory of Althusius was not the swan song for an old order coming to a close. Even though it was constructed with the building blocs of that old order, guilds and colleges, cities and provinces, it contained the bold vision of a consociational and federal political order that posed a considerable challenge to the next generation of Europe’s absolutist elites. Their angry reactions are vivid testimony of this. More importantly again, Althusius gave powerful expression to an alternative in the intellectual history of Europe that would perhaps be neglected and belittled but never became entirely irrelevant. One can find similar expressions of this tradition in Montesquieu’s république fédérative26 as well as in Proudhon’s principe fédératif27 and in Gierke’s Genossenschaftslehre.28 From Gierke, it found its way into Montesquieu, L’Esprit des Lois (1748), IX. 1 – 3. Pierre-Joseph Proudhon, Du Principe fédératif (1863). 28 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenchaftsrecht, 4 vols., Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 1868 – 1913. 26 27

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British state pluralism, and it even inspired the Austro-Marxists Otto Bauer and Karl Renner in their search for a nationality state.29 What I have said many times before and on similar occasions is this: I am not claiming that Althusius is part of the classical canon of political modernity. Neither am I claiming that his political theory is the starting point of a linear evolution towards modern federalism. But I do want to suggest that his Politica can very much be seen as having a place in modernity. Perhaps it would be helpful to cut through the maze of European political thought in a way that is different from the conventional one. Instead of making latitudinal cuts distinguishing pre-modern, modern and post-modern slices of intellectual development, we might want to make longitudinal cuts distinguishing alternative segments. These would allow to recognize the diversity of political concepts and traditions across the boundaries of their pre-modern, modern or post-modern manifestations.30 And this, I suggest, is how Althusius’ famous book should be read.

See Hüglin, Early Modern Concepts, op. cit., 197 – 229. Compare Arend Lijphart, Patterns of Democracy, New Haven, Yale University Press, 1999, who has pioneered the distinction of majoritarian and consensus models of democratic governance without the assumption that one must be later or earlier than the other. 29 30

Zweiter Teil

Politisch-rechtliches Lexikon

Francesco Ingravalle

Administratio (Gubernatio) 1. Das Verhältnis, das in der Politica zwischen administratio und gubernatio besteht, ist nicht das einer vollkommenen Synonymität. Es steht für eine Dienstfunktion, die der oberste Magistrat, die mittleren und die niederen Magistrate auf Grundlage des Mandatsvertrags erfüllen, der sie an den populus bindet. Diese Dienstfunktion besteht in der täglichen Übertragung der Vorschriften des Dekalogs und der überkommenen Gesetze der symbiotischen communicatio in die Praxis. Gubernatio selbst evoziert eher die Ähnlichkeit zwischen dem administrator und jemandem, der ein Schiff führt oder einen Wagen lenkt. Das, was die beiden Termini verbindet ist die gemeinsame Verwurzelung in der Konzeption des Mandatsvertrages, die Althusius dem Werk De principatu von Mario Salamonio degli Alberteschi und der Denktradition der calvinistischen Monarchomachen entlehnt hat.1 Der populus ist der Auftraggeber (im Bild, das von der gubernatio evoziert wird: der Eigentümer des Schiffes oder des Wagens), während der oberste Magistrat und die ihm untergeordneten Magistrate die Beauftragten sind. Die Relevanz der beiden Termini besteht sicher nicht in der Neuigkeit der von ihnen eröffneten Begriffssphäre und der mit ihr verbundenen Bilder, sondern darin, dass sie auf der einen Seite synthetischer und prägnanter Ausdruck für die Illegitimität der Theorie und Praxis der soluta potestas und der ebenso synthetischen und prägnanten Bestätigung einer Theorie der Macht sind, in der Einflüsse aus dem politischen Calvinsmus, dem Aristotelismus und der Theorie des Mandatsvertrags mit einander verschmelzen.2 Im von Althusius dargelegten Sinn sprechen administratio und gubernatio der Theorie und der Praxis der soluta potestas unwiderruflich jede Legitimität ab. Auf der anderen Seite stellt sowohl der begriffliche Kern von administratio und gubernatio wie auch der Komplex von Metaphern und Gleichnissen, der sich um diesen Kern herum gruppiert, den populus (also den Auftraggeber) als unfähig zur Selbstregierung dar: Dem populus wird gedient und 1 Vgl. M. D’Addio, L’idea del contratto sociale dai Sofisti alla Riforma e il „De principatu“ di Mario Salamonio, Mailand 1954, S. 476 – 526; zum Modell der „Föderaltheologie“ vgl. C. Malandrino, Teologia federale, in: Il pensiero politico 32 (1999), S. 427 ff.; Th. O. Hueglin, Early Modern Concepts for a Late World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo / Ontario 1999, S. 56 ff. 2 Unter diesem Gesichtspunkt ragt sie aus dem Rahmen der Theorien und praktischen Verfahren des Jurisdiktionsstaates heraus, dessen wesentliche Züge zuletzt von L. Mannori und L. Sordi beschreiben wurden (Storia del diritto amminsitrativo, Rom / Bari 2001, S. 36 – 71.

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er wird zugleich geleitet. Das heißt, dass die souveräne Herrschaft dem Auftraggeber zusteht, die Leitung der konkreten Ausübung der Souveränität aber dem Beauftragten zukommt (der dazu verpflichtet ist, im Rahmen seines Auftrags die Richtung auf das Wohl des Volkes hin einzuhalten). 2. Die Geschichte des Begriffs administratio, wie sie sich bis zu Althusius hin darstellt, stützt sich auf die Tradition, die vom Corpus iuris begründet wird. Ihr entnimmt er die wesentlichen Begriffe. Die Geschichte von gubernatio geht weiter zurück – bis zum Wortschatz des platonischen politischen Denkens und seinen Wurzeln im vorsokratischen politischen Wortschatz. Administrare hat seine Entsprechung im griechischen Wort dioikêin, das sich ursprünglich auf die Verwaltung des oîkos bezog. Thukydides3 bezieht das Wort auch auf die Verwaltung der pólis; Plato spricht von der dioíkesis der pólis.4 Begrifflich verweisen dioikéo, dioíkesis und auch dioiketés (ein Begriff, den Polybios für die Bezeichnung des procurator einer Provinz verwendet)5 nicht auf das Konzept von „Dienst“, wie es dagegen im Fall von administrare, administratio, administrator der Fall ist, sondern auf jenes von „Verwaltung“, von Auftrag. Der dioiketés ist dem kybernétes eines Schiffes ähnlich (und nicht zufällig werden die Begriffe bei Platon Synonyme, wenn der zu leitende Gegenstand die pólis ist)6. Administrare ist die Aufgabe des minister, der eigentlich der „Diener“ ist.7 Von dieser Bedeutung her entwickelt sich der Begriff bis hin zu Bezeichnung von Amtsträgern8. Wenn dioikéo etymologisch mit oîkos verbunden ist, dann minister mit minus (wie magister mit magnus), wobei seine ursprüngliche Verbindung mit dem semantischen Feld der Unterordnung und der hierarchischen Unterlegenheit deutlich wird. In den Digesten9 ist die administratio reipublicae mit dem gubernare der Könige zu Beginn der römischen Geschichte verbunden; der Codex Theodosianus10 verwendet den Ausdruck „gubernacula urbium administrare“, was so viel bedeutet wie „sich der Mittel für die Regierung der Städte bedienen“. Die Verbindung, die von den Digesten und vom Codex Theodosianus hergestellt wird, ist eine Annäherung des semantischen Feldes des „Dienstes“ an jenes der „Führung“: Die Führung des politischen Körpers als ihm erwiesener Dienst. 3 Thukydides, VIII, 21; vgl. auch Aristophanes, Ecclesiazuse, v. 305 und Herodian, III, 10, 3. 4 Plato, Protagoras, 318e6 – 319a2. 5 Polybios, XXVII, 12, 2. 6 Plato, Republik, 488b1 – 489a3; Klitophon, 408b1 – 4, wo das Gleichnis vom Führen eines Schiffes den Kern der Politik genau so zum Ausdruck bringt wie die dioíkesis: Wer befiehlt, tut dies im Hinblick auf die ihm anvertrauten Güter, das heißt er handelt als Beauftragter. 7 Ministri ist der gewöhnliche Ausdruck für die römischen Diener. 8 Cicero, Ad Quintum fratrem, 1, 1, 10: „ministri imperii tui“ heißt soviel wie „Deine Untergebenen“. 9 Digesten, I, 2, 2. 10 Codex Theodosianus, 12, 1, 171, 1.

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Die politische Bedeutung von gubernare (das etymologisch und semantisch dem griechischen kybernân nahe steht) ist im klassischen Griechisch gut belegt11; Euripides, Plato und Aristoteles12 benutzen das Verb oder den Begriff kybernétes. Wie der Steuermann eines Schiffs, so ist auch der Regierende nicht Eigentümer der Stadt, die er leitet: Das semantische Feld des Verbs kybernân hatte jede Anlage dazu, die Bedeutung von Leitung als Dienst im anti-tyrannischen Sinne, also als administratio, zu haben. In der römischen Welt erfahren die Gleichsetzung von Staat und Schiff und das homologe Gleichnis von Staat und Wagen von Cicero13 bis zur Vulgata14 und den Novellae15 eine Bestätigung. Das Glossarium mediae et infimae latinitatis gibt als allgemeine Bedeutung des Verbs gubernare „providere, curare, neccessaria ministrando“ an, führt aber auch den Begriff gubernum im Sinne von „regimen, praefectura“ auf. Das Verb hört auf, eine Ähnlichkeit mit anderen zu evozieren, um schließlich zu einem Fachausdruck zu werden, der einen Komplex von Verwaltungsaufgaben beschreibt, während administrare die Erteilung der Sakramente, die Ausübung eines Bischofsamts, die Tätigkeit der Engel beim Vollzug der göttlichen Gesetze bezeichnet und nicht für politische Aufgaben steht. Die Verbindung zwischen administratio und gubernatio, die im Corpus iuris hergestellt wird, ist der wirkliche Bezug für all jene Juristen und Politiktheoretiker, die die entscheidenden Quellen für die Politica des Althusius darstellen. Petrus Gegorius Tholosanus versteht die verschiedenen Regierungsformen als verschiedene Arten der Verwaltung: „Reipublicae quippe nomen unum est, sed modi administrandi secundum diversam constitutionem, diversi sunt [ . . . ] Reguntur autem istae loco distinctae civitates, aut societates aut reipublicae: vel nutu et potestate unius; aut paucorum, vel plurium“16. Gregorius verwendet gubernatio als Synonym von administratio: „Tres ergo sunt civiles gubernationes unius, paucorum atque multorum, si singulae rursum in duas dividantur, sex efficiunt“.17 Die 11 Aischylos, Sieben von Theben, vv. 2 – 3 wo die Metapher, nicht das wort kybernétes erscheint; der Vers wird von Plato zitiert (Eutydemos, 291d1 – 4 zur Verdeutlichung der téchne strategiké. 12 Eurypides, Die Schutzflehenden, v. 880; Plato, Phaidros, 247c6 – 7; Aristoteles, Politik, III, 6, 1279a4 ff. 13 Cicero, Pro Sextio, 98: „Quid est . . . propositum his rei publicae gubernatoribus . . . quo cursum suum derigere debeant?“; De Republica, II, 51: „Quasi tutor et procurator rei publicae sic enim appellatur, quicumque erit rector et gubernator civitatis“. Im nachklassischen Latein ist der Begriff gubernacula gebrächlich, der die Gesamtheit der Mittel bezeichnet, die zum Ausüben der gubernatio nützlich sind. 14 Biblia sacra iuxta latinam vulgatam versionem vol. XI. Libri Salomonis id est Proverbia Ecclesiastes Canticum canticorum ex interpretatione Sancti Hieronymi, Romae, Typis Poliglottis Vaticanis, 1957 = Prov., 11, 14: „Ubi non est gubernator populus corruet . . .“. 15 Novellae, 11, 16, wo im Zusammenhang mit einem archiepiscopus die Formulierung „tuae sedis gubernator“ verwendet wird. 16 Pierre Grégoire, De Republica libri XXVI, Lugduni, Sumptibus Ioannis Baptistae Buysson, 1596, lib. 5, cap. 1, S. 235.

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gubernatio ist ihrerseits wiederum Synonym von dominatio; wir sehen uns so einer Auflösung der Kontinuität in der Tradition gegenüber, die den gubernator als Beauftragten des dominus ausweist; für Gregorius sind die beiden Begriffe semantisch deckungsgleich.18 die Althusius dagegen in seiner Theorie von der gubernatio-administratio als Konsequenz aus dem Mandatsvertrag trennt. Vollkommene Übereinstimmung besteht zwischen Althusius und Gregorius allerdings im Aufriss der beiden Arten der ars reipublicae gerendae et administrandae: „Unam qua in pace, alteram qua tempore belli egemus“; verwalten bedeutet, die respublica sowohl in Friedenszeiten als auch in Kriegszeiten zu führen; und sie zu führen heißt, wie deutlich wurde, ihr zu dienen. Das bisher dargelegte hat für alle Ebenen der politischen Gemeinschaftsbildung Gültigkeit; die syndici und die consules werden von Niccolò Losa19 als administratores universitatis gedeutet, das heißt als Beamte der Gemeinschaft; das wird deutlich, wenn Losa den Prozess rekonstruiert, der die Gesellschaft der Menschen zur Bildung eines Vertretungsorgans (des senatus) gebracht hat, und dabei feststellt: „Ita igitur ratione et antiquitus decuriones constituti et creati fuerunt, et postea consiliarii civitatum, et aliarum universitatum, qui decurionum loco suffecti et subrogati sunt, ut scilicet facilius simul convenire, et se congregare possent pro publicis negotiis expediendis, et terminandis. Et per quos Respublicae regerentur, administrarentur, nec non conservarentur“.20 Eine Gemeinschaft ganz gleich welcher Größe administrare, gubernare, regere heißt ihr zu dienen. 3. Administratio, gubernatio und mit ihnen verbundene Begriffe (administrator, das Verb administrare, gubernator, das Verb gubernare und gubernaculum) treten in der Politica bemerkenswert häufig auf (246 Nachweise für administratio und 38 für gubernatio)21 und eine ebenso große Zahl von Synonymen: der gubernator wird auch als rex, rector, director, curator, imperans bezeichnet. All diese Synonyme verweisen auf ein Verständnis der potestas als Mandat. Nicht von ungefähr stellt Althusius fest, dass imperare, gubernare und praesidere gleichbedeutend sind mit „aliorum utilitatibus inservire et consulere, uti parentes liberi imperant, vir uxori“ (I, 13). Den Gegensatz zu diesem semantischen Feld bildet der Kontext der Tyrannis; in ihm leitet der Beauftragte das, was ihm anvertraut worden ist, so, als wenn es sein Eigentum wäre, er also in unangebrachter Weise vom jus utendi et Ebd., lib. 5, cap. 1, S. 245. Dennoch deutet Gregorius in seinem angeführten monumentalen Werk den dominus als Diener der respublica. 19 Nicolaus Losaeus, Tractatus de iure universitatum, Mediolani (Apud Io. Baptistam Bidellium) 1619, S. 9. Zu Losa vgl. den Beitrag von A. Torre zur Universitas im vorliegenden Band. 20 Losaeus, Tractatus (FN 19), S. 50. 21 Administrare kommt mindestens 104 mal vor; administrator 71 mal; gubernator ungefähr 44 mal; gubernare 54 mal; sehr viel seltener gubernaculum, das nur 6 mal nachgewiesen werden kann. Um die Häufigkeit der Begriffe richtig beurteilen zu können ist zu berücksichtigen, dass die Politica von 1614 einen Umfang von 968 Seiten hat. 17 18

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abutendi Gebrauch macht. Um einen Vergleich im Stile des Althusius anzustellen, kann man sagen, dass sich im Falle des Tyrannen der Diener zum Herren macht, der Kommandant das Schiff beschädigt, das er eigentlich sicher in den Hafen führen sollte, der Arzt der Gesundheit des Patienten schadet, der Vorsänger in ungehöriger Weise die Stimmen des Chores übertönt, die wohlgesetzte Polyphonie durch eine Monodie ersetzt wird. Althusius unterteilt die Abhandlung über die Politik nach einem stark gegliederten Schema, in dem die administratio von allerhöchster Wichtigkeit ist. Die universalis major consociatio besteht in der symbiotica communio universalis (Kap. I-VIII), die sich in eine ecclesiastica und eine secolare gliedert (Kap. IX-XVII), und in eine administratio juris universalis, die den Ephoren und dem höchsten Magistrat anvertraut ist (Kap. XVIII-XXVII und Kap. XXXIX); die administratio reipublicae gliedert sich in duae species: eine, die publica und eine, die privata ist; im Hinblick auf das Schema wird die Tyrannis am Rande behandelt, weil sie eine entartete Verwaltung ist. Die administratio ist ein Allgemeinbegriff, der unter formalen Gesichtspunkten genauer bestimmt wird, und das entsprechend der Methode der divisiones, die Petrus Ramus22 eingeführt hat (der Allgemeinbegriff wird dadurch spezifiziert, dass er jeweils in zwei Begriffe unterteilt wird) und unter dem substantiellen Gesichtspunkt nach einer Verkettung von Beziehungen, die die höheren Lebensgemeinschaft an die niedere Lebensgemeinschaft binden. Die überaus große Häufigkeit des Gebrauchs der Begriffe administratio und gubernatio ist auf Erfordernisse der Materie zurückzuführen, wie sie sich in der Abhandlung von Althusius zeigen. Wer administrator ist, dient einem Netz von gegenseitigen Abhängigkeiten (communicatio, VI, 17), die durch die leges und die entsprechenden ausführenden Ämter auf vielfältigen Ebenen zustande kommen. Semantischer Schwerpunkt von administratio ist der Vorteil für die Untergebenen (I, 13), der auf der Vielzahl der territorialen und administrativen Ebenen23 umgesetzt wird, in denen die symbiotische Lebensgemeinschaft zum Ausdruck kommt.24 Die potestas, die die administratores innehaben, stammt „a ministrorum electione et demandati officii susceptione“ (XVIII, 25; 28; 32; 40; 41); das gilt für alle Magistrate, einschließlich des obersten Magistrats.

22 Vgl. M. Dassonville, La genèse et les principes de la Dialectique de P. Ramus, in: Révue de l’Université de l’ Ottawa, 1953, S. 322 – 355; ders. La dialectique de P. Ramus, in: Révue de l’Université de Laval, 1952 – 1953, S. 608 – 616; C. Vasoli, La dialettica e la retorica dell’Umanesimo. „Inventione“ e „metodo“ nella cultura del XV e XVI secolo, Mailand 1968, S. 333 – 601; P. Rossi, Clavis universalis. Arti della memoria e logica combinatoria da Lullo a Leibniz, 3. Aufl., Bologna 2000, S. 155 – 162; Vgl. den Beitrag zu Methodus von Lazzarino Del Grosso im vorliegenden Band. 23 Universitates, oppida, pagi, vgl. VI, 17. 24 Vgl. den Beitrag zu Symbiosis (Symbiotiké, Pactum) von C. Malandrino und den Beitrag zu Consociatio von C. Zwierlein im vorliegenden Band.

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Ausgehend vom Kern dieses Begriffs, der bisweilen explizit, bisweilen implizit auf die Theorie des Mandatsvertrags verweist (auf Mario Salamonio degli Alberteschi, Diego Covarruvias y Leyva, Fernando Vázquez de Manchuca und Friedrich Pruckmann25 und auf die monarchomachische Literatur26) zeichnet sich eine komplexe aber klare Verwaltungsarchitektur ab. Die administratio dient der Teilhabe, Teilung mit anderen und Zirkulation der res „inter membra et cives ejusdem universitatis, oppidi, pagive“ (VI,17). Res sind dabei gewiss die dinglichen Werte, aber auch die „jura civitatis, privilegia, statuta et beneficia“. Dank dieser Bewegung der res kann der gesamte gemeinschaftliche Körper in all seinen Ausformungen leben. Die wichtigste von ihnen ist die Provinz: „Procincia est, quae complexu territorii sui plures pagos, oppida, castra & civitates sub juris unius comunione & administratione, consociatas & devinctas continet“ (VII,1). Im Bereich der Provinz deutet die administratio auf eine Übernahme eines Amtes (munus, officium) hin, das auf die Leitung einer privaten oder öffentlichen consociatio abzielt; sie bietet ein „certum remedium et praesidium“ für die „infirmitas, insufficientia, indigentia et humana necessitas“ der Symbioten (VII, 13). Glieder der Provinzen sind die ordines (Stände der Landschaft), die sich auf der einen Seite in zivile und säkulare und auf der anderen in sakrale Stände unterteilen. Aufgabe der ersteren, die wiederum in Stände der Adligen und Stände des Volkes unterteilt sind, ist die „dura corporis, victus, amictus & rerum quae ad usum vitae [ . . . ] vel ad negotia vitae [ . . . ] provincialium pertinent“ (VIII, 1); der geistliche Stand ist „administrans Verbum“, steht also im Dienst des Wortes Gottes; der Magistrat untersteht ihm (VIII, 32). Das Wort Gottes administrare bedeutet so viel wie die Kohärenz der kirchlichen Lehre in der Provinz durch Vollzug von visitationes aufrecht zu erhalten (VIII, 38) und durch die Richtlinien der Provinzialsynode, die vom praefectus provinciae einberufen wird.27 Den kirchlichen Ständen der Provinz ist der dynasta (oder eparchus, satrapa, gubernator, praeses, rector et moderator proviciae VIII, 50) vorangestellt, dessen Aufgabe unterschiedlich benannt 25 Vgl. M. Salamonio degli Alberteschi, De Principatu libri septem (1544), Parisiis (excudebat D. Du Val) 1578; D. Covarruvias y Leyva, Practicarum quaestionum liber unus, in: Omnia opera multo quam prius emendatiora, ac multis locis auctiora, Vol. II, Venetiis, Apud haeredem Hieronymi Scoti, 1588; F. Vázquez de Menchaca, Illustrium controversiarum aliarumque usu frequentium, Lyon, In officina Iacobi Stoer & Franc. Fabri, 1599; F. Pruckmann, Paragraphi Soluta potestas, tractatus de regalibus pars prior, Witebergae, Typis excripsit Simon Grunenbergius, Impensis Henningi Grosii bibliopolae Lipsiensis, 1592. 26 Dazu vgl. M. D’Addio, L’idea del contratto sociale (FN 1). Vgl. auch S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea di contratto (1572 – 1579), Florenz 2002, Kap. III, V und VI, die jeweils François Hotman, dem Machiavellismus und besonders Gentillet und den Vindiciae contra tyrannos gewidmet sind, die zu den bedeutendsten hugenottischen Quellen für die Politica des Althusius zählen. 27 Diese Praxis entspricht jener, die man zur gleichen Zeit im katholischen Bereich findet; vgl. U. Mazzone / A. Turchini (Hrsg.), Le visite pastorali. Analisi di una fonte, Bologna 1985; eine Methodendiskussion, die über den empirischen Bereich des südlichen Piemont hinausgeht vgl. A. Torre, Consumo di devozioni, Padua 1995, S. 5 – 70.

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wird (dux, comes, marchio, landgravius, episcopus) und die vom obersten Magistrat übertragen wird (VIII, 52). Die administratio juris communionis universalis consociationis betrifft das Wohl aller Glieder des Reichs, einzeln und zusammengenommen, und auch die Leitung, die rechte Verwaltung und die Verteilung der Rechte der universalen symbiotischen Gemeinschaft (XVIII, 1).28 Sie wird als ein Band bezeichnet, das den Staat zusammenhält, als lebendiger Geist des Staats, der die verschiedenen Tätigkeiten „ad universalem salutem“ ausrichtet; und der zustande kommt mittels „ministri [ . . . ] regni publici ad bene recteque universalis consociationis corus ejusque jura curandum, administrandum, gubernandum & conservandum . . .“ (XVIII, 3); jedes der im gerade zitierten Passus verwendeten Worte weist darauf hin, dass das handelnde Subjekt etwas verwaltet, das nicht sein Eigen ist, als Beauftragter einen Auftrag ausführt und dem damit Grenzen gesetzt sind, die bestimmen, was er ist; nur in dieser Begrenzung können die Träger der politischen Macht „rectores, gubernatores, directores, administratores, regentes, pastores, duces, salvatores, patres“ genannt werden. (XVIII, 6). Die ministri fallen (sofern sie administratores sind) unter die Stellung, die mit dem Begriff gubernator bezeichnet wird.29 Über die gubernatio handelt Althusius ausführlich in den ersten achtzehn Kapiteln. Im ersten Kapitel erwähnt er eine lex directionis et gubernationis communis, die festsetzt, dass es in jeder gesellschaftlichen Lebensgemeinschaft und jeder Symbiose „imperantes, praestites, praepositi, praefecti seu superioes“ und andere „obsequentes seu inferiores“ gibt. Der Gebrauch des Begriffs lex zeigt an, dass wir uns objektiven Beziehungen gegenübersehen, die gegeben, unveränderlich und von Gott durch die Natur festgelegt sind30. Die hierarchische Beziehung (illa ordinatio), die zwischen dem Regierenden und den Regierten besteht, ist die Grundlage der „conservatio et duratio omnium rerum“. Dies könnte als ein vollkommen aristotelisches Bild von den Beziehungen erscheinen, die die politische Gemeinschaft konstituieren, aber dem ist nicht so. Die lex directionis et gubernationis communis Dazu vgl. M. Povero, Communicatio (Communio) im vorliegenden Band. Der Vergleich mit dem navis gubernator kommt z. B. in XVIII, 7 und XVIII, 33 vor. Dazu vgl. V. Sellin, Regierung, Regime, Obrigkeit, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 363. 30 Politica, I, 34, S. 10: „Nam imperare, regere, subjici, regi & gubernari sunt actiones naturales, ex jure gentium profectae“; dazu vgl. G. Duso, Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Johannes Althusius, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 18 – 24; der Passus bei Althusius ist Petrus Gregorius entnommen: De Republica (FN 16), lib. VI, c. 1, S. 280; ein entsprechender Passus findet sich bei Covarruvias, Practicae quaestiones, Venetiis, Apud haeredem Hieronymi Scoti, 1588, n. 2, S. 371 f.; auf derselben Seite heißt es bei Althusius: „Omnis potestas & gubernatio politica a Deo esse dicitur“, mit einem Zitat von Paulus, Epistula ad Romanos, 13, 1. Allen dreien – Althusius, Gregorius und Covarruvias – ist trotzdem die Vorstellung von der Natur gemein, die von der Sünde gezeichnet und folglich der gubernatio unterworfen ist. 28 29

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besteht nicht schon „von Natur aus“, sondern aufgrund der Sündhaftigkeit, die die Menschen von Adam ererbt haben und die die Natur selbst entstellt hat und die ihr die Fähigkeit genommen hat, von selbst die Norm für die politische Ordnung auszubilden. Althusius bemerkt dazu: „Superbia etiam, et ferocia hominis fraeno quodam rationis et legis, et imperii cohibenda est, ne se ipsum homo in barathrum perditionis praecipitem det“ (I, 39). Es gibt keine „große Kette des Seins“, die ohne Unterbrechung von Gott über die Hierarchien der Engel bis hin zur politischen Hierarchie hinabreicht; und es ist letztlich die unwahrscheinliche Distanz zwischen Gott und dem sündigen Menschen, die von Calvin und dem gesamten Calvinismus betont wird und die das Bündnis mit Gott und das die politische Hierarchie stiftende Moment notwendig macht. Wie M. Walzer im Hinblick auf den Puritanismus schreibt, haben „nur die Gebote Gottes, nur die der ständige Kampf seiner Heiligen ein Minimum an Ordnung in die Welt gebracht“31. Lambert Daneau, der eine der wichtigsten Quellen für die Politica des Althusius darstellt, zeichnet die Einheit des Universums in einem auch von Walzer zitierten Passus als nicht natürlich, aber verordnet von Gott, den er sich „wie einen obersten Magistrat einer kosmischen Stadt vorstellt“32. In der Sichtweise der Puritaner, so fährt Walzer fort, „schloss man‘ Gott mit seinen Heiligen ,zusammen‘, aber dieser Zusammenschluss war streng politisch (oder militärisch), implizierte nicht so sehr väterliche Gefühle, sondern eine absichtlich mit Blick auf ein Ziel hin geschlossene Allianz“33. Bei Althusius wie im Puritanismus ist das Ziel der Triumph der „sancta, justa, commoda et felix symbiosis“ (I, 2). Für diesen Zweck schließen sich die Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen, und im Sinne dieses Zwecks wird der Mensch als animal gregabile (I, 31 – 33) angesehen und nicht nur wegen seiner Nicht-Unabhängigkeit als Einzelwesen, auf der der Aristotelismus die Theorie des politikón zôon aufbaute. Die politische Hierarchie ist so gesehen also nicht natürlich; nach der Ursünde wäre nur die gegenseitige Unterdrückung natürlich. Die Ordnung resultiert aus dem Vertrag zwischen Gott und dem Menschen und aus dem Mandatsvertrag, der die politische Autorität stiftet. Wenn die administratio die dienende Funktion der politischen Autorität herausstellt, dann stellt gubernatio ihren übergeordneten Zug, ihre hierarchische Rolle heraus; beide Begriffe verweisen direkt auf die Tätigkeiten, denen man die „conservatio consociationis et vitae symbioticae“ verdankt (III, 41). Die ordinatio der Beziehungen zwischen den Menschen ist immer vonnöten, „in amplis et populosis civitatibus“ ist sie mehr noch: lebenswichtig (VI, 7). Die Ähnlichkeit zwischen ordinatio politica und musikalischer Harmonie, auf die Petrus Gregorius eingeht34, unterstreicht den natürlichen und sogar ontologischen Charakter der Not31 Vgl. M. Walzer, The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics, New York 1974, S. 161 (ital. Ausg.: ders., La rivoluzione dei santi. Il puritanesimo alle origini del radicalismo politco (1965), Introduzione di M. Miegge, Turin 1996, S. 197). 32 Ebd. (ital. Ausg. S. 197 f.). 33 Ebd., S. 170 (ital. Ausg. S. 207). 34 De Republica, lib. VI, cap. 1, n. 5, S. 281 f.

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wendigkeit, die in der gubernatio zum Ausdruck kommt.35 Später stellt Althusius fest: „Nam quod Deus est in mundo, quod in navi gubernator, quod in curru agitator & director, quod in choro praecentor, quod dux in exercitu hoc est lex in civitate, sine qua domus ulla nec civitas, nec Resp., nec mundus stare potest“ (X, 8). Die Grenze der Ähnlichkeit ist allerdings damit erreicht, dass Gott der dominus ist, weil er Schöpfer und Herr der Welt ist, während der gubernator weder Schöpfer noch Herr von dem ist, was er regiert. Der gubernator ist nur insofern Träger von Machtbefugnissen, als ihm diese delegiert worden sind36. Rector, gubernator, curator, administrator, imperans sind Begriffe, die das Handeln der politischen Autorität beschreiben sofern sich diese zum salus und zum commodum der civium universitas entfaltet und machen mit diesem Vorteil die Legitimität der politischen Autorität deutlich. Die ordinatio, also die Unterteilung in ordines des zusammengeschlossenen Körpers schützt und stabilisiert diesen und erleichtert dadurch die Disziplin, die Regierung und die Verwaltung der Respublica. Das Fehlen einer Unterteilung in ordines (Althusius bezeichnet sie mit dem griechischen Begriff ataxía) „omnia confundit, atque gubernationem et directionem impedit“ (VI, 7). Directio und gubernatio stehen für alle Verhältnisse zwischen den Mitgliedern der Lebensgemeinschaft: in der Familie ist der Mann der director et gubernator der Frau (II, 40)37 wie es beide Elternteile für die Kinder sind (III, 37). Die respublica besteht aus einer Reihe von Verhältnissen der directio und gubernatio (XIV, 2) und kann insgesamt mit einem Schiff verglichen werden: „Respublica nam instar navis aestimanda est, quae omnium manibus, officio et bonis opus habet, ideoque in id incumbendum, nonmodo ne evertatur, sed ut in portum tutissimum recipiat: omnium ac singularum consilia, opes, actiones eo dirigenda, ut respublica non servetur solum, verum etiam in dies feliciter augeatur“ (XI, 21); die gubernatio auszuüben heißt nichts anderes als zu verhindern, dass sich der Staat auflöst, heißt aber auch, die Meinungen, Werke und Handlungen aller auf seine glückliche Mehrung hin auszurichten. Unter den Mitteln, die zur Erfüllung dieses Ziels geeignet sind, sind die fiskalischen Güter, „regno conjuncta et incorporata quae [ . . . ] magistratui alienare non licet“ (XVII,19). 4. Nachdem Althusius diese Begriffskonstellation festgelegt hat, untersucht er die administratio juris universalis, die sich die Ephoren und der höchste Magistrat teilen38. Kapitel XXI setzt mit einer Definition der administratio regni ein: „Reipu35 Auf diesen Aspekt ist Duso genauer eingegangen; vgl. G. Duso, Herrschaft als gubernatio (FN 30), S. 17 f. und 18 – 24. 36 V, 22: „Superior praefectus ex civibus universitatis hic est, qui ex consensu civium constitutus, negotia universitatis dirigit, gubernat ad ejusdem salutem & commodum, in singulos, universos, cives jus exercens“; V, 24: „Superior est, vel unus, vel plures, qui potestatem gubernandi universitatis consensu praescriptam acceperunt“. 37 Mit Bezügen zu Paulus, Epistula prima ad Timotheum, cap. 3; 5; 4; 8.

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blicae seu regni administratio a populo commissa et a magistratu suscepta est jurium majestatis, hoc est negotiorum et bonorum regni et subditorum, secundum naturam et conditionemque eorundem prudens, diligens et justa cura, tractatio, dispensatio et defensio, ad gloriam Dei, et regni atque subditorum salutem directa“ (XXI, 2); die Sorge um die Geschäfte und die Güter des Reichs und der Untertanen ist auf den Ruhm Gottes, des Reichs und auf das Wohlergehen der Untertanen ausgerichtet: Sie wird von den Ephoren im Namen des Volkes dem obersten Magistrat anvertraut (demandata; XXI, 3) und deshalb wird der oberste Magistrat als „dux, antecessor populi, pastor, pater patriae, rex, auriga, custos et salvator populi et corporis consociati“ bezeichnet (XXI, 4). Es sind dies Bezeichnungen, die alle auf den Mandatsvertrag anspielen, der den höchsten Magistrat an die Interessen des Volkes bindet. Der oberste Magistrat wird bei der Erfüllung seines Auftrags von der prudentia politica geleitet, die notwendig ist, weil der Staat von multae beluae bevölkert ist, das heißt von Menschen, die „invidi, factiosi, crudeles, avari, mali“ sind (XXI, 6), und gerade vor diesem Hintergrund ist die scientia politica der Kunst des Schiffelenkens vergleichbar. Die scientia politica ist in der Tat ein „intellectus et delectus eorum quae publice privatimque in Reipublicae administratione sunt facienda vel omittenda“ (XXI, 8), als die Wissenschaft von der Verwaltung des Staates; sie besteht im Verständnis der effektiven Wirklichkeit und in der daraus folgenden Entscheidung zwischen dem, was getan und dem, was nicht getan wird. Sie ist Inspiration für eine Gesamtheit von Handlungen, die die gegenwärtige Ordnung erhalten, ein Wissen, das zukünftige Ereignisse voraussehen kann, aber zugleich an die Würdigung der Vergangenheit gebunden ist. Die praktische Umsetzung der politischen Wissenschaft erfordert Tatkraft im Hinblick auf die Untertanen und die Minister (XXV,4; XXV,6), weil „puero gladium non committendum“ (XXI, 8). Der intellectus politicus, der sowohl die administratio, als auch die gubernatio lenkt, setzt sich aus Lehre (doctrina) und praktischem Handeln (usus) zusammen (XXI, 11). Sein Orientierungspunkt ist die Dei lex (oder voluntas; XXI, 17 – 18): administratio und gubernatio sind nichts anderes als die Umsetzung dieses Gesetzes unter der Führung des politischen Intellekts (XXI, 16): Sie beinhaltet das Wohl der Untertanen und der Magistrat ist gebildet worden, um dieses Wohl zu realisieren (XXIV, 44), sie ist eine lex viva (XXIV,48). Die universalis administratio ist das Mittel, durch das die „publica regni, seu Reipublicae et universalis consociationis negotia et bona in toto regni territorio ad utilitatem et salutem totius Reipublicae a magistratu tractantur, diriguntur et diligenter curantur“ (XXVIII, 2). Insofern führt sie die negotia publica und die Respublica und unterteilt sich in eine kirchliche und eine zivile Verwaltung (XXVIII, 3). Die ecclesiastica administratio macht es erforderlich, dass der oberste Magistrat sich der „rerum inspectione, defensione, cura atque directione“ widmet, die administrativen Funktionen und kirchlichen Aufgaben aber sind Sache des Klerus 38 Vgl. die Beiträge Ephori von S. Testoni Binetti und Summus magistratus von M. A. Falchi Pellegrini im vorliegenden Band.

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(XXVIII, 5). Das hat zur Folge, das die Kompetenz des obersten Magistrats sich ausschließlich auf die Institution, den Schutz und die Übertragung der wahren Gottesverehrung auf die Nachgeborenen erstreckt, während der oberste Magistrat in allem, was speziell das Leben und das ewige Heil betrifft, der kirchlichen Verwaltung untersteht (XXVIII, 6). Diese hat als Aufgabe die „cura doctrinae, religionisque orthodoxae publice tradendae et colendae, atque in illius professione libera per ejusdem usum et exercitium publicum instituenda et conservanda“ (XXVIII, 12). Die Aufgabengrenzen des höchsten Magistrats hinsichtlich der kirchlichen Verwaltung werden indirekt durch den Vergleich zum Vasallenverhältnis zwischen Gott, dem Magistrat und dem Volk unterstrichen: „Regnum vero et imperium [ . . . ] magistratus et populus, ut vasalli a Deo tamquam domino suo, se habere agnoscunt, tituloque quo utuntur, hoc ipso profitentur, se nimirum ex sola Dei gratia et beneficio illud esse, quod sunt“ (XXVIII, 20). Das Volk und der oberste Magistrat schulden Gott das, was sie sind, wie der Vasall seinem Lehnsherren das schuldet, was er ist; sie haben beide gleichermaßen eine dominica haereditas erhalten, deren Verwaltung von beiden Tafeln des Dekalogs reglementiert wird. Die civilis administratio „est qua negotia secularia tabulae secundae Decalogi, pertinentia ad ataxían, anomían, autárkeian et ad disciplinam externam, in Reipublica constituendam et conservandam, vel ad vitae huius praesidia et commode promovenda, et incommode avertenda, recte et fideliter curat magistratus“ (XXIX, 1)39. Der Magistrat hat eine doppelte Aufgabe: sanctio et exsecutio legum et administratio justitiae, um ein geordnetes Zivilleben und das studium concordiae sicherzustellen (XXIX, 4). Die Verwaltung des Rechts betrifft das Verhältnis zwischen dem Magistrat und den Untertanen und zwischen den Untertanen untereinander (XXIX, 29); sie ist für den Staat „quod anima in corpore, et quod clavus in navi: imo vinculum et custodia humanae societatis et reipublicae dicitur“ (XXIX, 27). Das grundlegende Instrument der weltlichen öffentlichen Verwaltung ist das Universalkonzil, „conventus omnium et singulorum membrorum et statuum regni, ad consultandum et decernendum de causa et salute communi consociationis universalis, ad avertenda illius incommoda, et curanda et promovenda illius commoda, indictus“ (XXXIII, 1). Es wird bezeichnenderweise wie folgt benannt: „conventus universalis, senatus imperii, seu regni, comitia regni, compendium et epitome regni, Reichstag, gemeine Reichsversammlung“. Er wird aus Gründen zusammengerufen, die das gesamte Reich betreffen oder einen oder mehrere Stände, oder die Untertanen des Reichs (XXXIII, 3). An die Beschreibung der Grundzüge der universalen Verwaltung schließt sich die der partikulären Verwaltung an. Das Wohl eines jeden einzelnen Teils des Staates und das Wohl des Staates in seiner Gesamtheit sind nicht nur untrennbar mit39 Die Übertragung der griechischen Buchstaben in lateinische habe ich vorgenommen (F. Ingravalle).

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einander verbunden, sondern Letzteres hat den Vorrang vor dem Ersteren, so wie die Gesundheit des gesamten menschlichen Körpers den Vorrang vor der Gesundheit der einzelnen Organe hat; der gute Verwalter muss sich wie der gute Arzt vor allem um das Wohlergehen des Körpers und dann um das der einzelnen Organe kümmern (XXXVII, 79). Die Teile sind vom Ganzen untrennbar, wie das der Medizin entlehnte Gleichnis suggeriert. Der oberste Magistrat (dessen Spielarten in Kapitel XXXIX untersucht werden) leitet die Untertanen, wobei er ihre Rechte anerkennt (die sie insofern innehaben, als sie in den ordines eingefügt sind), verteidigt die Schwachen, schützt die Güter aller und der einzelnen, die als Teile, als Glieder der consociatio angesehen werden. Die andere Seite der bis hierhin dargestellten recta administratio stellt die Theorie der Tyrannis dar, wie aus der folgenden Definition deutlich hervorgeht: „Tyrannis [ . . . ] est justae et rectae administrationi contraria, qua fundamenta et vincula universalis obstinate, perseveranter et insanabiliter contra fidem datam et praestitum juramentum, a magistratu summo tolluntur et avertuntur“ (XXXVIII, 1)40. Wenn die recta administratio sich auf natürliche und universale Bindungen der Lebensgemeinschaft gründet, die ihrerseits auf dem Dekalog und seiner Anwendung mittels des Mandatsvertrags gründen, stellt die tyrannische Verwaltung ihre radikalste Verneinung dar. Sie ist genau genommen keine Art der Verwaltung oder Regierung, sondern ist die Negierung aller administratio oder gubernatio, weil sich der Tyrann als Herr des Staates betrachtet: er weist die Vorstellung von sich, ein Beauftragter des Volkes zu sein und dem Gesetz Gottes zu unterstehen. Die Relevanz der Begriffe administratio und gubernatio in der Geschichte des politischen Denkens ist vollkommen in ihrem Verweisen auf die Essenz der Souveränität im Dienst enthalten und darüber hinaus in ihrer Eigenschaft als Führung und folglich in ihrem kategorischen Ausschließen jeder Theorie und jeder Praxis der soluta potestas. Dennoch ist es das, was im Diskurs des Althusius zur Spezifizierung der Essenz der Souveränität als Dienst beiträgt, ist es die Konzeption der Verwaltung als Pluralität von autonomen Ebenen politischer Macht, die eine avant la lettre subsidiäre Konzeption der politischen Macht selbst begründet41. Dies ist die Konzeption, die in anti-zentralisierender Weise den Diskurs des Althusius untermauert, wobei sie in diesem Sinne die Konzepte von administratio und gubernatio konfiguriert. Wenn man die Macht lediglich als Ausführen eines Auftrags konzipiert hätte, hätte dies schlimmstenfalls zu einem paternalistischen Verständnis der Souveränität tendieren können. 5. Friedrich II. von Preußen stellt im Antimachiavell fest: „Man muss sagen, dass das Hauptziel eines Souveräns die Gerechtigkeit sein muss, und dass es das Wohl des Volkes ist, das ihn leiten und alles andere hintanstellen lassen muss . . . das hat zur Folge, dass der Souverän, weit davon entfernt, der absolute Herr der Vgl. den Beitrag zu Tyrannis von Diego Quaglioni im vorliegenden Band. Vgl. C. Malandrino, La „sussidiarietà“ nella „Politica“ e nella prassi antiassolutista di J. Althusius a Emden, in: Il Pensiero Politico 34 (2001), S. 41 – 58. 40 41

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ihm unterstehenden Völker zu sein, der erste Untertan ist.“42 Dennoch erwies sich sein Vorhaben aufgrund des Fehlens einer pluralistischen Konzeption des politischen Körpers als eine Praxis, mit der er versuchte, jede Autonomie der Minister und Ratgeber zu beseitigen und die preußischen Stände de facto zu bezwingen und dennoch fortzufahren zu behaupten, dass er ihr Diener und ihre Führung sei. Auch wenn die großen Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts die Unauflöslichkeit und damalige Absolutheit der souveränen Macht betonten, waren sie dennoch an die mittelalterliche Tradition gebunden, die das Recht über den Souverän gestellt hatte: Göttliches Recht und Naturrecht behinderten die Absolutheit der Macht, wobei sie die pluralistische Gliederung der Gremien, der ordines, der universitates unterstrichen und so den Forderungen nach Legitimität der zentralisierenden Praktiken entgegenwirkten. Wie Hasso Hoffmann43 festgestellt hat, wird der Begriff administratio im engen Sinn verstanden, den Althusius aus dem privatistischen Sinn von „Vormundschaft“ und Pflegschaft bis hin zu „Regierung“ entwickelt, wobei er ihn so mit der Bedeutung des Begriffs gubernatio zusammenlaufen lässt. So verstanden drückt sich das Verständnis von „Regierung“ im Schutz bereits geschaffener Interessen aus, die nicht die des Pflegers sein können und im Hinblick auf die dieser nicht die soluta potestas geltend machen kann; im Bereich der consociatio bestehen derartige Interessen im Schutz der Autonomie der vielfältigen universitates. Man muss allerdings hinzufügen, dass dies umso mehr der Wahrheit entspricht, als sich die patrizische Natur der consociatio in eben den Begriffen herausstellt, die Althusius mit der „Föderaltheologie“ teilt.44 Die umfassenden Interpretationen des Denkens von Althusius haben sich alle in gewisser Weise mit den Konzepten von administratio und gubernatio auseinandergesetzt, denn dies sind die Begriffe, die die rechte Souveränität in der Politica beschreiben und die eng mit der These des Althusius über die Souveränität des Volkes in Zusammenhang stehen. Die Auseinandersetzung ist aber meist in einer philologischen Untersuchung aufgegangen, die ausschließlich dem Gebrauch der beiden Begriffe gewidmet war. Gierke hat betont, dass für einige Monarchomachen „alle Staatsbeamten im Gegensatz zu den Hofbeamten in Wahrheit Beamte des souveränen Volks und deshalb nur von diesem abhängig seien, selbst wenn sie der oberste Herrscher ernannt oder mit erblicher Würde beliehen habe“45. Diese Position wird, nach Gierke, von Althusius auf den obersten Magistrat ausgedehnt: Althusius entwickelt im Anschuss an Cino da Pistoia und Paolo 42 Vgl. Federico II, Antimachiavel ou examen du Prince de Machiavel (1741). Trad. I. di N. Carli. L’Antimachiavelli, Pordenone (Edizioni Studio Tesi) 1987, S. 8. 43 Vgl. H. Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Rechtslehre, Beiheft 7 (1988), S. 517. 44 Vgl. dazu C. Malandrino, Foedus (Confoederatio) im vorliegenden Band; ders: Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 1999, S. 427 – 446 und ders.: Politische Theorie und Föderaltheologie, in: F.S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und politische Theologie, Berlin (Duncker & Humblot) 2004, S. 123 – 142.

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Castrense die Theorie der Unmöglichkeit einer Minderung der Souveränität des Volkes kraft des Vertrags weiter; die Macht des Fürsten ist aus dieser Sicht „eine bloße Einräumung von Gebrauch und Verwaltung“ der Macht“.46 C.-J. Friedrich interpretiert die beiden Begriffe als Instrumente der consociatio symbiotica, die er als „a natural group of living members“ versteht, und die dazu geeignet sind, die Ziele zu erreichen, für die die consociatio entstanden ist; seine Aufmerksamkeit gilt mehr dieser letzten als der administratio und der gubernatio; die Ziele der Sozialordnung sind im Sinne des Calvinismus konzipiert, der jedoch in seinen mondänsten Aspekten verstanden wird47. Th. O. Hueglin sieht die regula vivendi et administrandi als zentral an, insofern die lex communis den wechselseitigen Austausch der Güter, der Dienstleistungen regelt. Die Aufgabe des regere, des gubernare und des administrare, die vom obersten Magistrat abwickelt werden, besteht im Garantieren der Durchführung einer solchen communicatio; regere bedeutet das Koordinieren des autonomen Lebens der univeristates, aus denen sich der Körper der Lebensgemeinschaft zusammensetzt48. was so viel heißt wie das Koordinieren des lebensnotwendigen Prozesses, der von den foedera zum Ausdruck gebracht wird, die die verschiedenen universitates miteinander verbinden. Für Giuseppe Duso hat die Theorie der gubernatio des Althusius die für die ständische Gesellschaft charakteristischen „politischen Körper“ zum Ausgangspunkt; Althusius erkennt in der gubernatio (und der administratio) die Leitung von für sich genommen autonomen und relativ selbstgenügsamen Wirklichkeiten. Insofern hat es die Leitung mit autonomen Realitäten zu tun, die sich als Regierung darstellen, die aus einem Vertrag zwischen Körpern herrührt, während die moderne Souveränität, die aus einem Vertrag zwischen Individuen herrührt, sie als Herrschaft darstellt49. Die griechischen und lateinischen Wurzeln des Begriffs gubernatio weisen ihn sofort als anti-tyrannischen und anti-zentralistischen Begriff aus, der demjenigen, der die Souveränität ausübt, die Leitungsfunktion zuweist; administratio unterstreicht gegenüber der gubernatio die Ausübung der Macht vollkommen als Dienst. Schließlich besteht die Originalität von Althusius in der Verschmelzung 45 Vgl. Otto von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, Breslau 1902, S. 147 (ital. Ausg.: ders., Giovanni Althusius e la dottrina politica del giusnaturalismo moderno (3a ed. 1913), trad. It. di A. Giolitti, Turin 1943 [ND Turin 1974], S. 126. 46 Vgl. Gierke, Johannes Althusius (FN 45), S. 82 f. (ital. Ausg., S. 82). 47 Vgl. C.-J. Friedrich, Introductory Remarks, in: J. Althusius: Politica methodice digesta, exemplis sacris atque profanis illustrata, Cambridge / Mass. 1932, S. LXIIIff; ders.: Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975. 48 Vgl. T. O. Hueglin, Sozietaler Föderalismus, Berlin / New York 1991, S. 204; ders.: Early Modern Concepts (FN 1), S. 56 ff. 49 Vgl. G. Duso, Herrschaft als Gubernatio (FN 30), S. 13 – 33.

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des semantischen Felds dieser vom politischen Denken der Griechen und Römer überlieferten Begriffe mit der Vertragskonzeption der Föderaltheologie und mit der Theorie des Mandatsvertrags – eine Fusion, die darauf abzielt, die Bedeutung des Kampfes von Emden gegen die zentralistischen Bestrebungen des Territorialherren theoretisch zu fundieren, der bestimmten Tendenzen gegenüber, die im Haus Habsburg am Werke waren, nicht abgeneigt war und die später im Dreißigjährigen Krieg deutlich zum Ausdruck kommen sollten.

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Censura 1. Die Zensur, die in der Frühen Neuzeit vor allem in den Formen bekannt ist, die sie in der kirchlichen Zensur1 angenommen hat, war ursprünglich eine typische Einrichtung der römisch-republikanischen Verfassung. Diese war von einer eigentümlichen Handlungs- und Urteilsfreiheit gekennzeichnet, die in der Lage war, eine Kontrolle und eine Moralisierung der Gemeinschaft auszuüben, denen kein normatives Gebilde, mit seinem gewöhnlichen System der Zwangsausübung, gleichkommen konnte.2 Auf diese Ursprünge der Zensur greifen die Lehren zurück, die im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert in der Zensur ein nützliches Mittel ausmachen, mit dem die staatliche Ordnung ausgestattet werden könnte, um bestehende Lücken zu schließen und den Zugriff auf den sozialen Körper zu stärken. Althusius leistet einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung einer Institution in einer politischen Schlüsselstellung, die sich mit den Entwicklungen des entstehenden modernen Staates verbindet – ausgehend von der Wiederaufnahme der Erhebungen des Zensus und eines direkten Kontakts zu den Untertanen bis hin zu Bestrebungen im Hinblick auf ihre geistige Führung. Das Kapitel über die Zensur zählt zu den Kapiteln, die von der ersten zur dritten Auflage der Politica eine bemerkenswerte Veränderung erfahren haben, die auch an die praktisch-politische Erfahrung gekoppelt ist, die Althusius in Emden machte. In der Theorie des Althusius trifft das alte römische Rechtsinstitut, das bereits von Jean Bodin und Justus Lipsius geschickt wieder in Vorschlag gebracht und erneut unterbreitet worden war3, mit dem calvinistischen Modell des strengen und filigranen Auferlegens der Lehre4 zusammen und erlangt so eine neue Verbreitung und Wirksamkeit. Aus 1 Aus der Fälle der Arbeiten zum thema vgl. A. Rotondò, La censura ecclesiastica e la cultura, in: Storia d’Italia, V, II, I documenti, Turin 1973, S. 1397 – 1492 und den jüngst erschienenen Band: G. Fragnito (Hrsg.), Church, Censorship and Culture in Early Modern Italy. Cambridge 2001, S. 194 – 222. 2 Vgl. M. Finley, Censura nell’antichità classica. Über. v. F. de Martino, in: Belfagor 32 (1977), S. 605 – 622, jetzt auch im Anhang zu: La democrazia degli antichi e dei moderni. Rom / Bari 1997, S. 107 – 135; und A. Fontana, Censura, in: Enciclopedia, Bd. 2, Turin 1977, S. 868 – 893. 3 Vgl. M. Reulos, Une institution romaine vue par un auteur du XVIème siècle. La censure dans Jean Bodin, in: Études offertes à Jean Macqueron, Aix-en-Provence 1970, S. 585 – 590 und G. Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547 – 1616). Der Neustoizismus als politische Bewegung. Mit einer Einleitung von N. Mout. Göttingen 1989.

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diesem Grund hat man gesagt, dass Althusius mit der Zensur die Autorität des Staates in religiösen Fragen begründe, indem er zugleich die Herrschaft der einzigen und wahren religio verstärke5, und dass die Zensur in der Politica von einer grundlegenden Einrichtung für den Erhalt der öffentlichen Ordnung regelrecht zu einer Form der Zivilverwaltung werde6. Über diese Funktion autorisiert die Lehre des Althusius den Staat, seinen eigenen Eingriffsbereich auf die Disziplin und die Korrektur der mores auszudehnen und diese Sphäre der kirchlichen Jurisdiktion zu entziehen: Wenn der Staat mit seiner politischen Zensur in diesem Maße Autorität und Kompetenz an sich gezogen habe, werde er Herr, der die Körper und Seelen steuere, die moralische Haltung und zugleich das Gewissen der Untertanen diszipliniere7. 2. Die Einrichtung der Zensur kommt vom Wort census her, das im antiken Rom die Zusammenstellung der Bürger in Listen und das Registrieren der bürgerlichen Güter bezeichnete. Die Tätigkeit der Zensuserhebung war bestimmten Amtsträgern, den Zensoren, überlassen, von denen die Einteilung der Bürger in verschiedene Klassen abhing. Die Einteilung erfolgte vor allem unter militärischen und steuerlichen Gesichtspunkten, hatte aber auch eine bestimmte Rückwirkung auf die politische Einschätzung der Betroffenen. Von der Taxierung der Personen und ihrer Güter leiten sich alle weiteren Funktionen her, die nach und nach der Zensur in den vielfältigen Formen, die sie über die Zeit angenommen hat, zuerkannt wurden. In erster Linie ist es die der Korrektur der Sitten und Gebräuche, die ihren Archetyp in einer weiteren Aufgabe hatte, die schon bald den römischen Zensoren anvertraut wurde: Die unwürdigen Mitglieder aus dem Senat zu entfernen und 4 Vgl. H. Schilling, Civic Calvinism in Northwestern Germany and the Neetherlands. Sixteenth to Nineteenth Centuries, Kirksville / Mo. 1991; ders., Religion, political culture and the emergence of early modern society. Essays in German and Dutch History, Leiden / New York / Köln 1992, S. 1 – 284; ders, Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung. Die calvinistische, presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: G. Schmidt (Hrsg.), Stände und Gesellschaft im alten Reich. Stuttgart 1989, S. 265 – 302. 5 Vgl. M. Behnen, Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der „Politica“ des Johannes Althusius, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984), S. 417 – 472; ders., Herrschaft und Religion in den Lehren des Lipsius und Althusius, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der „Politica methodice digesta“ des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 165 – 184. 6 Vgl. D. Quaglioni, „Conscientiam munire“. Dottrine della censura fra Cinque e Seicento, in: C. Stango (Hrsg.), VI Giornata Luigi Firpo. Atti del Convegno 5 marzo 1999, Florenz 2000, S. 37 – 54. 7 Ebd., S. 50 – 54. Zum Verhältnis zwischen Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland, München 1980, S. 105 – 150; W. Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992; P. Schiera, Specchi della politica. Disciplina, melancolia, socialità nell’Occidente moderno, Bologna 1999, und schließlich L. Bianchin, Censura e disciplina sociale. Problemi storiografici, in: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento – Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 29 (2003), S. 71 – 101.

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deren Zahl mit der Wahl und der Nominierung von neuen Senatoren zu ersetzen, die aufgrund eines Urteils über ihre Ehrenhaftigkeit erfolgte. Der Begriff censere mit seiner großen Breite von Bedeutungen (unter ihnen bewerten, schätzen, überprüfen, beurteilen) bringt den wahrhaft subjektiven und willkürlichen Charakter der Aktivität zum Ausdruck, die nicht an strenge gesetzlichen Vorgaben gebunden war. Eine Eigenart dieses höheren und mit imperium versehenen Richteramts war nicht zufällig das Fehlen von iurisdictio, also der ordentlichen Jurisdiktion. Mit der großen politischen Relevanz der censura morum war in der Tat im antiken Rom ein atypisches jurisdiktionelles Vorgehen verbunden, das von wenigen Verfahrensnormen geregelt wurde und das in Bezug auf das zugrunde liegende Recht bewusst frei war: Das zensorische Urteil war im Unterschied zum prätorischen Urteil, das ad legem, auf das Gesetz gestützt war, ein Urteil ad aequum, das jede Handlung treffen konnte, die der Zensor mit gutem Gewissen als gegen die boni mores gerichtet beurteilte. Auf diesen konzeptionellen Kern kommt die Lehre der Frühen Neuzeit zurück – nach einer langen Zeit, in der sie vergessen war und in der die Zensur per definitionem eine kanonische oder kirchliche geworden war. Althusius setzt sich im Hinblick darauf mit dem weiten Panorama der üblichen historischen, juristischen und moralphilosophischen Autoritäten auseinander – von den Klassikern (Plato, Polybios, Cicero, Seneca) bis zum Alten und Neuen Testament und der Tradition des öffentlichen Rechts, bis hin zu Gentillet und Botero8. In erster Linie wird ausdrücklich auf die Kontinuität mit den Theorien von Bodin, Lipsius, Gregorius Tholosanus und Danaeus hingewiesen, die – wie Althusius zustimmend vermerkt – erst kurze Zeit zuvor nachdrücklich die Wiedereinsetzung der antiken Zensureinrichtung empfohlen hatten. 3. Die Zensur, die in der Politica öfters in Bezug genommen wird, ist in der Lehre des Althusius im Umkreis der administratio civilis seu secularis angesiedelt, die der administratio ecclesiastica folgt und sich neben sie stellt. Im Kontext der Zivilverwaltung des Staates positioniert sie sich zwischen der Befugnis zum Erlass von Gesetzen (sanctio legum) und jener der Aufrechterhaltung der Eintracht und des Bewahrens der öffentlichen Ordnung (studium concordiae conservandae), so wie eine uneigentliche Form jener grundlegenden Befugnis der Gesetzesausführung (executio legis), die gewöhnlich durch die ordentliche Gerichtsbarkeit erfolgt (administratio iustitiae). Die Zensur wird auf diese Weise zu einer zusätzlichen und ergänzenden Form der Verwaltung der Gerechtigkeit, die den Vollzug der Gesetze im engeren Sinne flankiert. Was für eine beschränkte Unschuld ist es – klagte Althusius mit Senecas Worten –, laut Gesetz gut zu sein! Und wie viel umfassender ist das System aus Bindungen und Verpflichtungen von jedermann im 8 Zu den Quellen des Althusius vgl. besonders neben O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik. Aalen 1981, C. J. Friedrich: Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, und P. J. Winters, Die „Politik“ des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen. Zur Grundlegung der politischen Wissenschaft im 16. Und 17. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 1963.

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Hinblick auf die regula juris, auf den Komplex von festgelegten und sanktionierten Befehlen; und wie viele Verpflichtungen zwingen zu Erbarmen, Demut, Großzügigkeit, Treue und Gerechtigkeit, die auf den Gesetzestafeln keine Berücksichtigung gefunden haben! Deshalb ist es notwendig, die Zensur wieder einzuführen und in Ehren zu halten – als Lenkerin der Staaten und Quelle aller Tugenden, Erzeugerin von guten Bürgern und Rächerin der Unredlichen, die, wie schon Bodin sagte, allein fähig ist, den Unsitten und Schlechtigkeiten die Wurzeln zu durchtrennen und die Laster mit Stumpf und Stiel auszurotten und im Keim zu ersticken (VII, 50). Viel kann man auch auf dem Gebiet der Moral und der Sitten mit einer minutiösen Regelung in den Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens erreichen, vor allem über umfassende Normierungen und die ordentliche Gerichtsbarkeit; aber man muss auch weiter gehen, andere Mittel des Eingreifens heranziehen, die nicht im positiven Recht verankert sind. Das Problem besteht hier nicht so sehr in der Unterscheidung zwischen der Ebene des Rechts und jener der Moral, als vielmehr in der Suche nach einem juristischen Instrumentarium, das in der Lage ist, wirksamer in Bereiche des Staatslebens einzugreifen, die gegen eine allgemeine und abstrakte Reglementierung unempfindlich sind. In diesem Sinne besteht die Antwort von Althusius in der Rückgewinnung der Tradition des römischen Rechtsinstituts der Zensur, was eine Idee der auf den konkreten Fall bezogenen Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt, die über die Grenzen des von Menschen geschaffenen Rechts hinausgeht und von der es scheint, dass sie auf die göttlichnatürliche Ordnung zurückgreifen kann. Sein direkt aus der aequitas bezogenes Urteil ist in der Tat, wie die der regula lesbia viel flexibler und an die wechselnden Umstände besser anpassbar als der ordentliche Prozess, und das auch dann, wenn es in höchstem Maße beliebig ist. 4. Die Aufgabe der Zensur wird von Althusius zu Beginn des Kapitels XXX De censura beschrieben: Sie besteht in einem Nachforschen und Korrigieren jener Gebräuche und Exzesse, die anhand von Gesetzen nicht gehindert und geahndet werden können und dennoch die Herzen der Untertanen verderben oder ihre Güter unnütz verbrauchen (XXX, 1). Die Zensur korrigiert also die Verhaltensweisen, die von Mal zu Mal als mores, luxus, vitia definiert werden, die noch nicht einer wirklichen Strafe für würdig erachtet werden, nichtsdestoweniger aber die Augen der frommen und ehrlichen Bürger beleidigen und es verdienen, überaus streng geahndet und getadelt zu werden. Wenn über sie hinweggegangen wird und sie nicht mit Strenge geahndet werden, zeigt sich nämlich, dass sie Ursache für viele schwere Übel sind, und mit der Zeit den Staat vollständig ins Verderben führen (XXX, 2 und 5). Die Definition der Zensur bezieht Althusius von Lipsius (Politica IV, 11), der sich seinerseits auf Cassius Dio beruft9. Es scheint dennoch die Einführung des 9 Zu den Analogien der Theorien von Althusius und Lipsius vgl. C. Siedschlag, Machtstaat und Machtstaatsgedanke in den politischen Lehren des Johannes Althusius und des Justus Lipsius, in: K. W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 313 – 332. Über Lipsius kommt es zu einem Einfluss des Neostoizismus auf die Lehre des Althusius und auf sein ethisch-politisches Modell. Vgl. G. Abel,

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Begriffs inquisitio durch, mit dem das Bild von der Zensur, das Lipsius in der Formel „animadversio in mores aut luxus eos, qui legibus non arcentur et puniuntur“10 auf den präzisen Begriff gebracht hat, in die viel weitere und vollständigere Tätigkeit der „inquisitio et animadversio“ übergeht. Der Nachdruck auf dem inquisitorischen Aspekt ist im Hinblick auf die Tradition, auf die er sich beruft (besonders Bodin, Gregorius Tholosanus und Lipsius, die er ständig zitiert), ein charakteristischer Zug der Zensurlehre von Althusius, die sich durch den viel größeren Raum, der bei ihm der Nachforschung und Kontrolle gewidmet wird, von den anderen Lehren abhebt. Der Schwerpunkt der Diskussion verlagert sich vom gängigsten und am meisten erforschten Aspekt der Züchtigung (der allerdings auch verstärkt wird), hin zu dem des Präventivschutzes, mit anderen Worten der Identifizierung und Beseitigung jedes potenziell subversiven Verhaltens. Der Erweiterung des Untersuchungsfelds der Zensur korrespondiert eine Potenzierung der Kompetenzen und der Untersuchungsmittel des Zensors, der institutionell mit Mitarbeitern als Denunzianten, Spionen und Verrätern ausgestattet ist, die, wenn sie die Wahrheit sagen und für eine gute Sache arbeiten, eine lobenswerte Tätigkeit ausüben und frei von jeder Schuld sind (XXX, 30 – 31)11. Althusius lobt ohne Einschränkung, wie angemessen und nützlich sie sind, und untermauert die Anwendung dieses inquisitorischen Mittels mit zahlreichen Beispielen von Denunziationen aus der Heiligen Schrift, um auf diese Weise einer Praxis, die für sich genommen offensichtlich moralisch fragwürdig erscheinen konnte, eine religiöse Legitimation zu geben. Das gesamte Kapitel über die Zensur gründet sich auf der Unterscheidung zwischen „inquisitio“ und „notatio“, Inquisition und zensorischer Rüge. Das Untersuchungsgebiet der Zensur wird also ausführlich und detailliert umrissen und zwar in jeder Form des Missbrauchs und des Exzesses beim Trinken, Spielen, in den Leidenschaften und der Zerstreuung, bei Banketten und Festen, beim Singen und Tanzen. Bei den zensierbaren Gewohnheiten wird besonders auf den Müßiggang hingewiesen – mit Verweis auf De Republica von Gregorius Tholosanus mit der Auflistung all der ehrwürdigen Tätigkeiten, zu denen man die Müßiggänger zwingen kann (XXX, 10 – 11)12. Hier findet man außerdem die Umtriebigkeit und die Neugier (curiositas), unsittliche und verrufene Bücher und schändliche und unehrenhafte Reden (libelli obscœni, famosi; sermones turpes, inhonesti), unmäßiges Geldausgeben und maßloses Verlangen nach Geld, die Ursachen von übermäßigem Stoizismus und frühe Neuzeit. Die Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Feld von Ethik und Politik. Berlin / New York 1978. 10 J. Lipsius, Politicorum sive Civilis Doctrinae Libri sex, in: ders., Opera omnia, Vesaliae, Apud Andraeam ab Hoogenhuysen et Societatem, 1675, Bd. IV, Buch IV, Kapitel XI, S. 102. 11 Über die Bedeutung der Effektivität im Regierungshandeln vgl. T. Würtenberger, Zur Legitimation der Staatsgewalt in der politischen Theorie des Johannes Althusius, in: Politische Theorie (FN 9), S. 557 – 576. 12 Vgl. P. Grégoire de Toulouse, De Republica libri sex et viginti. Frankfurt am Main, Ex officina Paltheniana, 1597, Buch XXII, Kap. 7.

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Reichtum und übermäßiger Armut, die zu den Hauptursachen von politischen Umstürzen zählen und für den Staat tödliche Krankheiten (pestes) darstellen (XXX, 9, 12, 16, 17, 18, 19). Auch die Landstreicherei und das Betteln fallen unter die Abweichungen, deren extreme Folgen Armut und Müßiggang sind. Althusius weist den Zensoren die Aufgabe zu, solche ,Wölfe‘ streng zu überwachen, die ,aus dem Mitleid der anderen Gewinn erzielen‘, indem sie sie aufstöbern und zur Arbeit zwingen, aus der politia und aus dem consortium hominum vertreiben oder sie, alternativ, in jenen lobenswerten Einrichtungen einschließen, die Zuchthäuser genannt werden, um zu verhindern, dass sie die Früchte der Arbeit der ehrenwerten Menschen verschlingen (XXX, 13). Zu diesem Zweck ist es gut, wenn die Zensoren auch über die Armen- und Bettlerhäuser, die Altersheime und über die Krankenhäuser wachen (XXX, 14). Die Ausdehnung des Wirkungsfelds der Zensur auf neue Untersuchungsbereiche, die nur durch einen dünnen Faden mit jenem der guten Sitten und der Moralität verbunden sind, wird in diesen Passagen besonders deutlich. Quelle von alledem ist Buch VI, Kapitel I der République Bodins, das bei dem Zensuramt die Funktionen des Beobachtens und Aufzeichnens, Erkennens und Aufspürens all jener in der Gesellschaft hervorhebt, die ihren Unterhalt mit unerlaubten Mitteln verdienen. Bodin erklärt nämlich, dass „einer der wichtigsten und größten Vorteile, die sich aus der Zensur und aus der Zählung der Untertanen ergeben können, darin besteht, dass man genau wissen kann, was die Lage und die Tätigkeit eines jeden ist, und wie ein jeder seinen Lebensunterhalt verdient. Auf diese Weise ist es möglich, die Wespen aus dem Staat zu vertreiben, die den Honig der Bienen verzehren, und die Vagabunden, Nichtsnutze, Schmeichler“ und all jene, „die inmitten der rechtschaffenen Leute stehen wie die Wölfe inmitten der Schafe, zu verbannen: Auf diese Weise kann man sie sehen, vermerken, überall erkennen“13. Althusius greift von Bodin das Bild einer Zensur auf, die sich auf ihre ursprüngliche Funktion des Zensus beruft und in der Lage ist, eine gleichsam ,technische‘ Handlung der Ermittlung jener Subjekte durchzuführen, die auf der Grundlage des allgemeinen Prinzips der sozialen Zuordnung nach Besitz und Armut erfassbar sind und demnach in der politischen Gemeinschaft ,verkleidet‘ erscheinen, wie ,der Wolf unter den Schafen‘. Die Taxierung und Registrierung von Personen und Gütern, die einen unmittelbaren Nutzen für die Verteilung der Steuerlasten und andere verwaltungstechnische Ziele haben, werden so zur Voraussetzung auch jener Disziplin und jener moralischen Kontrolle der Subjekte (censura morum), die die kühnste Entwicklung der Zensureinrichtung darstellt. Es ist klar, dass die Zensur in ihrer Entwicklung weder die Macht jener Kraft darstellt, 13 I sei libri dello Stato di Jean Bodin, III. Hrsg. v. M. Isnardi Parente e D. Quaglioni, Turin 1997, VI, I (Della censura, e se sia utile rilevare il numero dei sudditi, e costringerli a dichiarare i beni ch’essi possiedono), S. 299 – 330; hier bes. 309. Der Abschnitt war Quelle der Inspiration für ein faszinierendes Buch von Antonio Serrano González, der auf ihn im Titel anspielt: Como lobo entre ovejas. Soberanos y marginados en Bodin, Shakespeare, Vives, Madrid 1992. In der Auflistung der abweichenden Verhaltensweisen, die Bodin vorlegt, zeigt Serrano das Vagabundieren und das Betteln im Verhältnis zu Mechanismen des Einschließens und des Ausschließens der entstehenden juristischen und politischen Moderne.

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die zu zwingen vermag, noch die des Willens, der verpflichtet, sondern die Macht des Blickes, der registriert, unterscheidet und klassifiziert, überwacht, unterdrückt und urteilt; eine Macht, die von der des Gesetzeszwangs unterschieden ist, und die im Kern in der Führung der Sittlichkeit besteht14. Wenn sich also die Zensur in ihren ersten beiden Formen (Zensus von Personen und von Gütern) noch grundsätzlich in den gesetzlichen Rahmen einschreibt und vor allem dazu dient, dass aufgrund der genauen Kenntnis der Lage eines Landes gute Gesetze erlassen werden können, so eröffnet sie mit der dritten Form der souveränen Macht einen außergesetzlichen Raum für Eingriffe15. In der Politica erweitert sich der Handlungsraum des Zensors vor allem in zwei neue Richtungen: Den Schutz der öffentlichen Ordnung, Gegenstand von Kapitel XXXI, und die Verteidigung der anerkannten Religion, was bereits Thema des Kapitels XXVIII über die kirchliche Verwaltung war. An dieser Stelle gibt es viele individuelle Verhaltensweisen und abweichende soziale Ausdrucksformen, bei denen sich die drei Bereiche der staatlichen Verwaltung (kirchliche Disziplin, Zensur und Erhalt der öffentlichen Ordnung) de facto überlagern. Die Untersuchung der Güter und der Gebräuche der Subjekte ist im Übrigen funktional für die Wahrung der Ordnung: Sie trägt zu jenem grundlegenden präventiven Wirken bei, das darin besteht, die Gründe für einen Aufstand und eine Spaltung der Gemeinschaft in Fraktionen auszumerzen, wie den übermäßigen Reichtum oder die übermäßige Armut der Bürger, die übermäßige Belastung durch Steuereinzug, die Lektüre und Verteilung von gottlosen und niederträchtigen Büchern, den Müßiggang, die Organisation geheimer Zusammenkünfte und Konventikel und vieles andere mehr (XXXI, 13, 14, 16, 22, 23, 40, 41, 58)16. Aber auch die konfessionellen Unterschiede, die abweichenden Meinungen in Glaubensangelegenheiten und der befolgte Kult – Fragen also, die eng mit der Religion zusammenhängen – spielen bei der Wahrung der Moral und des inneren Friedens die allerwichtigste Rolle und fallen daher in den Aktionsbereich der Zensur (XXVIII; XXX, 15, 28; XXXI, 20, 44). Es kommt im Staat des Althusius insoweit übrigens zu keinen Kompetenzstreitigkeiten, denn alles geht in einem strengen und minutiösen Wachen über die Gemeinschaft auf, die letztlich vom obersten Magistrat und den von ihm ermächtigten Beamten (den Zensoren) abhängt: Eine Wachsamkeit, die auf moralische und religiöse Prinzipien genauso harmonisch reagiert wie auf konkrete Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Die Ursache für die Einrichtung des Magistrats und seine erste Aufgabe sind für Althusius die Realisierung und der Erhalt eines frommen und gerechten Lebens im Staat, und das impliziert seine Verantwortlich14 M. Senellart, „Census et censura“ chez Bodin et Obrecht, in: Il pensiero politico 30, (1997), S. 250 – 268, hier: S. 253. 15 Ebd., S. 262. 16 Die inquisitorischen Mittel der Zensur kehren im Kapitel über das Erhalten des inneren Friedens wieder; zu ihnen kommen in den Fällen des stärksten Angriffs auf die Sicherheit und die öffentliche Ordnung bei Verschwörern die Vernehmung unter Folter hinzu: Vgl. dazu Kap. XXXI, 39, 52 – 55.

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keit in Bezug auf den Schutz der öffentlichen Ordnung und der Moral sowie des Glaubens (XXVIII, 12). In diesem Sinne hängt auch die kirchliche Verwaltung vom Magistrat ab, der auf diesem Feld vor allem die Rolle des Mittlers und Schlichters einnimmt, mit einer Macht, einzugreifen, die sich, weil er ja Garant der vera religio ist, bis zum Kern des Glaubens erstreckt (XXVIII, 4 – 5). Er hat die Aufgabe, über die strenge Befolgung des Kults zu wachen, sowie über jede Form von Glaubensirrtum, Schismen, Häeresien, Meineide, theologische Streitigkeiten innerhalb der Kirche selbst. Der Zensor wird in der Tat dafür sorgen, dass alle ihr Leben auf Ehrlichkeit und Fleiß hin ausrichten, aber vor allem wird er beobachten, ob die Einzelnen die Gottesdienste besuchen, ein frommes Leben führen, sich dem Kultus und der Religion einfügen, die Feiertage und die großen Festlichkeiten achten, ob jemand der Häresie oder dem Irrtum verfallen ist oder ein Leben führt, das von seiner Glaubensbekundung abweicht; außerdem wird er all diejenigen vor das Konsistorium einberufen (genau genommen wird er sie im Konsistorium denunzieren), die nicht der anerkannten Religion Folge leisten oder die Sakramente „auf einem fremdem Territorium“ empfangen, damit sie besser erzogen werden (XXX, 15). Die Analogie zur Situation in Emden, einer calvinistischen Stadt in einem lutherischen Territorium, erscheint hier offensichtlich wie auch andere Berührungspunkte zwischen dem theoretischen Aufbau der Zensur des Althusius und der politisch-institutionellen Wirklichkeit des ,Genfs des Nordens‘. In erster Linie zeigt sich dies im Verhältnis zwischen den zivilen und religiösen Autoritäten im Hinblick auf das Auferlegen der Disziplin, die an der Aufteilung der Kompetenzen zwischen den beiden politischen Spitzeneinrichtungen der Stadt orientiert ist: dem Kirchenrat und dem Vierziger Ausschuss mit seinem ausführenden Organ (Magistrat), dessen Repräsentant und Wortführer Althusius als Syndicus für über dreißig Jahre war17. Der Diskurs des Althusius hat allerdings eine Tragweite, die nicht auf die lokale Lage begrenzt ist. Die Zensur auf religiösem Gebiet impliziert eine Kontrolle, die vor allem politisch bleibt, und die sich auf das Einhalten der religiösen Vorschriften als Vorschriften der Gemeinschaft erstreckt. Die Einheit des Glaubens ist eine wesentliche Bedingung für den inneren Frieden des Staates und muss als solche bewahrt werden. Und wenn Althusius auch nicht der erste ist, der dieses Prinzip formuliert hat, das sich in dieser Form schon bei Lipsius und Bodin findet, so ist die Lehre des Althusius dennoch die erste, die aus der Zensur unter diesem Gesichtspunkt ein Mittel macht, das der bürgerlichen Verwaltung zu Diensten ist: „Ideoque unam religionem, eamque veram in regno suo stabilire et 17 Vgl. H. Schilling / K. D. Schreiber (Hrsg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden: 1557 – 1620, Bd. 3, Teil I – II. Köln / Wien 1989 – 1992, eine Sammlung von Protokollen, die die Tätigkeit des Kirchenrats von Emden und das resolute Handeln des Althusius in den städtischen Einrichtungen dokumentieren. Viele Anregungen erhält man auch aus der Arbeit, die die Tätigkeit des Althusius in Emden rekonstruiert: H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Leer 1955, und ders., Johannes Althusius als Syndikus Reipublicae Embdanae. Ein kritisches Repetitorium, in: Politische Theorie (FN 9), S. 67 – 88; dazu vgl. zudem C. Malandrino, Il Syndikat di Althusius a Emden. La ricerca, in: Il pensiero politico 28, (1995), S. 359 – 383.

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permittere administrator illius debet“ (XXVIII, 51)18. Althusius erkennt, dass sie zu seiner Zeit gewöhnlich einer kirchlichen Autorität übertragen ist, in der Regel dem „collegium sacrum seu presbyterium“ (XXX, 4). In Anlehnung an einen Passus bei Carolus Sigonius, der an die alte römische Magistratur und andere Magistraturen im antiken Athen erinnert, die ihr vergleichbar sind19, ordnet er die Zensur den Aufgaben zu, die der bürgerlichen Verwaltung eigen sind, die von der politischen Autorität abhängen. In der Tat sind die Zensoren vom obersten Magistrat ernannt und unterstehen bei der Ausführung ihrer Aufgaben stets seiner Kontrolle und Jurisdiktion (XXX, 3). Das bestätigt das Kapitel über die kirchliche Verwaltung, das dem obersten Magistrat offiziell die Kompetenz über die Verbesserung und Reinigung der Kirche von jeglichem Fehler, jeder Häresie, Idolatrie, von Schisma und Verderbtheit (XXVIII, 50) einräumt. Tatsächlich untersteht der Fürst selbst in nicht geringerem Maße als die Untertanen der Disziplin und der kirchlichen Zensur, aber er steht doch immer auch an der Spitze des institutionellen Zusammenhangs (der aus presbyteria, sinedria, consistoria besteht), der diese Disziplin verwaltet. Die ihm in den kirchlichen Dingen zugewiesene Kompetenz zur „suprema inspectio, defensio, cura et directio“, überlässt den Kirchenpersonen über die Verwaltung der Sakramente hinaus rein exekutive oder beratende Aufgaben (XXVIII, 5 und VIII, 23 – 24, 31 – 32)20. Das, was Althusius mit Bodin „kirchliche Zensur“ nennt, entspricht unserer kanonischen Zensur, die sorgfältig von der untersuchten Verwaltungstätigkeit und politischen Tätigkeit unterschieden ist, so dass er darüber eingehender nur in jenem letzten Teil spricht, der auf die notatio abgestellt ist (XXX, 28). Die kirchliche Zensur besteht im Verhängen der drei heilsamen Strafen der kanonistischen Tradition: der Exkommunikation, der Suspension und des Interdikts. Hier finden wir einige der Charakteristiken zugespitzt, auf denen das ganze Sanktionssystem beruht, das von der Zensur abhängt: die an der Schwere der Schuld ausgerichtete Abstufung der Strafe, die nur infolge mangelnder Reue verschärft wird und deren Hauptziel nicht so sehr die Bestrafung als die Besserung ist21. Typische Sanktionen der politischen Zensur, der die ganze Aufmerksamkeit von Althusius gilt, sind die Beschämung (ignominia), die älteste und traditionelle Form der zensorischen Rüge, von der Cicero sagte, dass sie dem Verurteilten nichts bringe außer ein Erröten; die Geldstrafe (mulcta), die für all jene bestimmt ist, die bei ihren schlechten Gewohnheiten bleiben und sich um die Schmach nicht scheren; und zuletzt – eine Neuerung des Althusius in der dritten 18 Es folgen einige Abschnitte über das Problem der religiösen Toleranz, die von Althusius nur im Rahmen eines streng privaten Kults zugelassen wird, der keine „öffentlichen“ Auswirkungen hat. 19 Vgl. C. Sigonius, De Republica Atheniensium, Buch IV, Kap. III. 20 Auf den Abschnitt hat P. Mesnard als eine typische Entwicklung des Souveränitätsprinzips – wenn auch in der Bedeutung, die ihm Althusius gibt – besonders hingewiesen, in: L’essor de la philosohie politique au XVIe siècle, Paris 1963, S. 336 – 340. 21 Eine wichtige Quelle bildet hier Mt. 18, in dem das disziplinäre Vorgehen der Calvinisten seine Wurzeln hat. Vgl. G. Calvino, Istituzione della religione cristiana, I – II. Hrsg. von G. Tourn, Turin 1971, Buch IV, Kap. XII, S. 1435 – 1437.

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Ausgabe der Politica – das Einsperren in eine Zuchteinrichtung oder in ein Zuchthaus wie jenes, das, wie Althusius genauer ausführt, im Deutschen Reich und in Holland für die unbändigen, zügellosen und dreisten Menschen errichtet wurde, die dort durch schmale Kost gefügig gemacht werden oder so lange mit Arbeiten beschäftigt werden, bis sie Buße tun oder von ihren schlechten Taten ablassen (XXX, 24, 25, 26 und 27)22. 5. Wenn man von Bodins Idee ausgeht, dass „das Korrigieren von Missbräuchen vielleicht die schönste und hervorragendste Sache ist, die jemals in einem Staat eingeführt worden ist“23, dann stützt Althusius in seiner eigenen Ordnung die römische Einrichtung der Zensur, indem er die Züge einer subsidiären Justiz weiterentwickelt, die bei der Korrektur von Lastern und Missbrauchshandlungen eingreift, die auf den gewöhnlichen Wegen nicht zu bestrafen sind. Er ist von ihrer Nützlichkeit für das Erreichen der politischen, religiösen und moralischen Ziele des Staates überzeugt und trägt dazu bei, ihr Untersuchungsinstrumentarium und ihr System der Sanktionen zu präzisieren und auszuweiten. Das Ergebnis, das Althusius ins Auge fasst, erscheint als Endergebnis der Auseinandersetzung zwischen Bodin und Gregorius Tholosanus über den gefährlichen willkürlichen Charakter des Zensorspruchs (iudicium censorium), der frei von den Bindungen und Garantien des legitimus processus ist. Streitgegenstand war eben die Frage gewesen, ob es angemessen sei, dem Zensor die iurisdictio und somit die volle Macht in der Rechtsprechung zuzuweisen, mit einer Umdeutung der Bindung zwischen Zensur, königlicher Macht und Tyrannis. Bodin hatte als Verteidiger der römischen Tradition die Meinung vertreten, dass es nicht notwendig sei, den Zensoren Macht in der Rechtsprechung einzuräumen, weil ihre Macht hinreichend groß und furchteinflößend war, so dass jeder vor den Zensoren zitterte und fürchtete, mit einem Federstrich von ihnen seine Privilegien zu verlieren; außerdem meinte er, dass es nicht gut sei, dass sich das zensorische Urteil in Prozessen und Wortklaubereien verliere, die seine Natur und Effektivität korrumpierten und ihm seinen eigentümlichen willkürlichen Charakter nähmen, der ohnehin schon durch die Tatsache geschwächt würde, dass das, was man androhte, letztlich lediglich einen Verweis und keine wirkliche Strafe zur Folge hätte; und schließlich hätte der Umstand, die Zensoren, die schon so weitreichenden Einfluss hätten, auch noch mit der Macht in der Rechtsprechung auszustatten, die Bedeutung, den Weg zur Tyrannis frei zu machen, was angesichts der Macht, eine Person willkürlich verurteilen (diesmal im wörtlichen Sinne) zu können, unvermeidlich sei24. Auf Bodin erwiderte Gregorius Tholosanus, dass die Zensur eben genau mit Macht in der Rechtsprechung ausgeübt werden müsse: Wenn nicht die Gesetze über die Magistrate verfügen, sondern die Magistrate über die Gesetze, sei für den Staat die Gefahr 22 Zu einer präzisen Beschreibung des Zuchthauses von Amsterdam in jenen Jahren vgl. E. Rosenfeld, Zur Geschichte der ältesten Zucht-Häuser, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 26 (1906), S. 1 – 18. 23 I sei libri dello Stato di Jean Bodin, III (FN 13), Buch VI, Kap. I, S. 315. 24 Ebd., S. 322 f.

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viel zu groß25. Das Amt des Zensors, der von den Bindungen des ordentlichen Gerichtsverfahrens befreit sei, hätte lediglich dem König und dem absoluten Willen eigen sein können und man hätte es keinem anderem als dem Fürsten zuerkennen können, dem die höchste Maxime quod principi placuit legis habet vigorem zueigen ist26. Die Entscheidung des Althusius ist angesichts dieser beiden Wege klar: Das zensorische Urteil bleibt ein außerordentliches Urteil, das von Garantien bezüglich eines regulären Ermittlungsverfahrens und der Androhung einer regelrechten Strafe absieht; es ist ein Urteil, das ad aequum erfolgt, das flexibel und an neue Erfordernisse anpassbar ist, auf die Gefahr hin, sich der absoluten Gewalt anzunähern. Nur so ist die Zensur in der Lage, die Bereiche zu erreichen, in die das Gesetz nicht hineinwirkt und stellt somit ein wertvolles Mittel der Integration von Gesetzgebung und Stützung des Staates dar27. Die Zensur ist im übrigen nicht nur eine Waffe, die gegen die Untertanen gerichtet ist. So wie in der Antike eine Zensurgewalt gegen die Könige bei den Hebräern den Propheten und bei den Lazedämoniern den Ephoren zuerkannt wurde, so wird auch in der Lehre des Althusius eine „censura regum“ vorgesehen, die den das Reich repräsentierenden Ephoren anvertraut wird. Die Verweise auf Kapitel XVIII über die Ephoren und ihre Aufgabe und auf Kapitel XXXVIII über die Tyrannis und ihre Gegenmittel zeichnen den Weg vor, der von hier seinen Ausgang nimmt (XXX, 4). Die Anregung zu dieser Entwicklung des Althusius findet sich in der Politica von Danaeus, der der Zensur die Überwachung des Lebens und der Regierung des obersten Magistrats zuwies – und das sogar mit Vorrang für die Versittlichung und den Erhalt der öffentlichen Ordnung. Seine Abhandlung gipfelte in der von der Autorität Platons getragenen Mahnung, in jeder Staatsform die größte Sorgfalt auf die Wahl jenes Amtsträgers zu verwenden, der von den Römern Zensor genannt wurde und der der Überwachung des Königs vorsteht, der der Wächter der Gesetze und der Gebräuche aller Stände des Reichs ist28. Althusius greift das Prinzip der Ephoren als regum censores auf und entwickelt es weiter und verleiht damit der eigenen Theorie die Züge einer elementaren Lehre der Beschränkung der Machtbefugnisse: König und Ephoren sind von einem Zusammenhang wech25 P. Grégoire de Toulouse, De Republica libri sex et viginti (FN 12), Buch IV, Kap. 12, 9, S. 244 f. 26 Ebd. 27 Die Entscheidung des Althusius für ein zensorisches Richteramt ohne iurisdictio findet in Kap. VII, 49 f. Bestätigung. Althusius erklärt, dass das Richteramt auf diese Weise die verderbten Sitten viel genauer verfolgen kann als dies der gewöhnliche Richter auf der Grundlage häufig missachteter Gesetze mit den Straftaten zu tun vermag. Die Zensur wird dort mit einem feinen Spinnennetz verglichen, in dem aber fatalerweise die kleinen Fliegen gefangen werden. 28 L. Danaeus, Politices Christianae libri septem, Genevae, Vignon, 1596, Buch VI, Kap. 4, S. 420 – 428. Über den Autor vgl. jetzt C. Strohm, Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, Berlin 1996.

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selseitiger Korrektur und Zensur gebunden, die in der gegenseitigen Überwachung hinsichtlich der Beachtung der einem jeden vom eigenen Amt auferlegten Grenzen besteht (VII, 51 und XVIII, 91, 96). Auf diese Weise nimmt die Zensur mit ihrer speziellen Freiheit der Ausgestaltung und des Urteils in der Lehre des Althusius die Rolle eines Ausnahmeinstituts an, das alles umfasst, was die öffentliche Sphäre betrifft, einschließlich des religiösen Bereichs, und die, indem sie weit über die Verteidigung der Sittlichkeit hinausgeht, als ein System der präventiven Verteidigung des Staates nicht nur die innere Ordnung, sondern auch die Rechtsordnung gestaltet. Dies ist in der Tat sowohl ihre Garantie für den Selbstschutz vor jeder Form der Abweichung der Unteranen als auch desjenigen, der mit welchem Rechtstitel auch immer regiert – vom obersten Magistrat bis zu den Ephoren.

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Communicatio (Communio) 1. Um die Relevanz des Wortes communicatio in der Politica beurteilen zu können, kann man von einer objektiven Gegebenheit ausgehen: Ein Auszählen der Wörter des Texts liefert mehr als fünfzig Belege, zu denen noch zwei weitere Stellen hinzukommen, an denen das entsprechende griechische Wort koinonía Verwendung findet. Das numerische Faktum reicht jedoch nicht aus, um einen Eindruck vom Gewicht des Begriffs im politischen Wortschatz des Althusius zu vermitteln. Im Gegenteil: Es könnte als gering erscheinen, wenn man nur an den Umfang der Politica und an die Komplexität der Begriffe und Argumente denkt, die in ihr Verwendung finden. Zudem gibt es andere Begriffe wie imperium und consociatio, die häufiger vorkommen, ohne dass sie allerdings deshalb wichtiger oder in der Ökonomie des Werkes und der Sensibilität des Althusius entscheidender sind. Einen Vergleich zwischen diesen Begriffen und jenem der communicatio muss man also auf einer ganz anderen Ebene herstellen, jener des begrifflichen Gehalts. In der Tat stellt Althusius die Sozialität und die Neigung zur Aggregation1 als ein dem Menschen innewohnendes Moment dar und macht in der Symbiose die theoretische Grundlage, das Urprinzip jeder Art von Gemeinschaft aus2. Er beschränkt sich aber nicht darauf, theoretische Grundlagen zu formulieren, sondern achtet stark auf die Konsequenzen, die sich aus diesen Prinzipien und aus ihrer Anwendung in der Praxis ergeben. Dies erklärt seine eindringliche Betonung auf der einen Seite des finis und auf der anderen Seite des modus und der forma. Wenn das erste Kapitel der Politica die unabdingbaren Prinzipien der Symbiose und der Gemeinschaft aufstellt, so behandeln die folgenden detaillierter – also mit größerer Aufmerksamkeit für die forma – die verschiedenen Beschaffenheiten der Gemeinschaft 1 Politica, I, 24: „Offensichtlich ist der Mensch seiner Natur nach ein geselliges Wesen (gregabile im Lateinischen) und zur Pflege der Gemeinschaft mit anderen Menschen geboren, nicht aber ungesellig wie die wilden Tiere oder umherziehend wie die Vögel.“ In diesem wie auch in anderen Abschnitten seines Werks greift Althusius den Gedanken des Aristoteles auf, allerdings von einem christlichen Standpunkt aus. Für Althusius ist die Sozialität nicht eine Pflichterfüllung hinsichtlich eines Gemeinschaftsgefühls (das einmal als charitas, dann auch wieder als benevolentia oder als affectus bezeichnet wird), das von der ersten Tafel des Dekalogs vorgeschrieben wird. Es ist Gott selbst, der den Menschen als ein Wesen geschaffen hat, das der Hilfe der anderen bedarf. Das erklärt auch die Aversion des Althusius gegen Askese und Eremitentum, die er als eine Verneinung der Natur und damit als ein Negieren des göttlichen Willens wahrnimmt. 2 Über die symbíosis vgl. den Beitrag von C. Malandrino im vorliegenden Band.

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und strukturieren sie in einer hierarchischen Kette, angefangen bei der kleineren Gemeinschaft (der Familie) bis hin zu jener weiteren und zusammengesetzten (dem Staat) – also im Hinblick auf den finis: Eben im Staat und der universalen Gemeinschaft erreichen die Symbiose, die communicatio und die Zusammenarbeit der Bürger und der Autoritäten das „politische“ Ziel am besten (die materielle und spirituelle salus)3. Wenn die Konkretheit ein Unterscheidungsmerkmal ist, das Moment, das das Denken des Althusius ausmacht, dann muss man auch in einem Diskurs über die communicatio nach ihr suchen. Anders ausgedrückt: Es scheint, als könne man auf begrifflicher Ebene eine Zweiteilung zwischen Theorie und Praxis ausmachen, wenn die Prinzipien auch die tägliche Realität in einer untrennbaren Mischung wirksam durchdringen. Zum ersten Bereich gehören die Neigung zur Sozialität und die Symbiose, während dem ungemein praktischen zweiten sowohl die officia dilectionis zufallen, oder all jene Wege, über die die Symbioten sich ihre gegenseitige Zuneigung bekunden (die formae dilectionis wie Respekt gegenüber der Würde, der Person oder den Gütern eines anderen, die brüderliche Zurechtweisung des Nächsten, die Unterstützung in Schwierigkeiten und der Trost in den Schwächen in Glaubensdingen)4, oder auch die communicatio, die Gesamtheit materieller Handlungen, mit denen die Mitglieder der Gemeinschaft zusammenwirken (die formae communicationis)5. Ein typisches Beispiel dafür ist das des Bauern, der auf die Arbeit des Schmieds, des Architekten und des Bäckers angewiesen ist, die sich ihrerseits wiederum für Nahrung an den Bauern wenden (VI, 32). Ein derartiger Austausch von Wissen, Dienstleistungen und Unterstützung ist auf der anderen Seite auf das heilig-unverbrüchliche, fromme, gerechte, vorteilhafte und glückliche Leben hin ausgerichtet. Dies ist der finis Politicae. 3 Denselben Ansatz findet man in den Kapiteln IX ff., wo zunächst das jus maiestatis auf allgemeiner Ebene behandelt wird (Kapitel IX–XI, mit seinem Gesetz Werden über einen Akt des imperium) und dann in seinen praktischen Anwendungen: Das jus maiestatis bietet eine Rechtfertigung für die Auferlegung von munera (Steuerlasten, dingliche oder persönliche Leistungen, Kap. XII – XIV) und der Erteilung von Privilegien (Kap. XV), oder dafür, dass derjenige, der das jus maiestatis innehat, eine moralische und in gewisser Weise eine juristische Schirmherrschaft über seine Untertanen auszuüben hat (Kap. XVI – XVII), mit allen Einschränkungen hinsichtlich einer willkürlichen und ungerechten Ausübung der Souveränität – Einschränkungen, die auf die Gewissheit der Gesetze gegründet sind (Kap. XVIII–XXII) und so weiter. 4 Ein Abschnitt aus der Bibel, der Althusius eindeutig besonders am Herzen liegt und den er mehrmals in der Politica zitiert, ist I Tim. 5, 8: „Wer aber für seine Verwandten, besonders für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt, der verleugnet damit den Glauben und ist schlimmer als ein Ungläubiger“. Dieser Passus bringt das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung gut zum Ausdruck, die zwischen den Symbioten herrschen muss. Das Prinzip, das vor allem innerhalb der privaten vier Wände wirksam ist, muss für Althusius auf die ganze universale Gemeinschaft ausgedehnt werden, die folglich Züge einer großen Familie annimmt. Auf dasselbe Prinzip trifft man in der Geschichte des Zenturio Cornelius, Apostelgeschichte 10, auf die in der Politica ebenfalls mehrmals Bezug genommen wird. 5 Es handelt sich um die communicatio rerum, operarum, iurium; dazu unten.

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Wie man sieht, hält sich Althusius an ein strenges Schema, mit Ursachen, die über präzise Bedingungen und Formen ein Ziel erreichen. Grafisch kann das so dargestellt werden:6 ➤ ➤ Heiliges und glückliches Leben ➤

Theorie



Symbiose

➤ gegenseitige Zuneigung ➤ ➤

Sozialität

Praxis

➤ communicatio

In der Grafik bezeichnen die nach unten weisenden Striche eine Beziehung der Afferenz: Der Sphäre der Verbegrifflichung des Althusius gehören die Kardinalprinzipien von Sozialität und Symbiose an, die sich in der alltäglichen praktischen Lebensführung (in dem, was Althusius usus vitae nennt) in Akte gegenseitiger Zuneigung und Zusammenarbeit / communicatio übersetzen; die doppelten horizontalen Pfeile verdeutlichen die enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis, zwischen abstrakt und konkret, zwischen dem Prinzip und seiner Umsetzung, die das politische Denken des Althusius (als Verhältnis der Zugehörigkeit) durchdringt; und schließlich bezeichnen die einfachen diagonalen Pfeile den theologischen und zielgerichteten Charakter des begrifflichen Systems des Althusius (Referenzverhältnis). Der Autor stellt sich das Prinzip nicht von der Äußerung in der Wirklichkeit getrennt vor, entwirft nicht die Ursache ohne die Wirkung. Es kommt mithin ein kompaktes Bild zum Vorschein, in dem vier grundlegende Elemente die Formierung des Menschen in der Gesellschaft rechtfertigen (die natürliche Sozialität und die Symbiose) oder deren Formen und Arten vorschreiben (die Akte des Wohlwollens oder der Teilhabe), eben in einem Verhältnis von Ursache und Wirkung. Es gibt vielleicht noch eine andere Lesart der oben widergegebenen Grafik, eine Lesart, die die grundlegende Rolle des Begriff der communicatio im Diskurs des Althusius noch deutlicher zum Ausdruck bringt. Bisher ist die communicatio nämlich nur als Ausdruck des Prinzips der Symbiose verstanden worden, nämlich als Übersetzung einer Idee in Fakten, wobei ihr gegenüber das Faktum, die konkrete Teilhabe der Menschen an der Gesellschaft, geschwächt erscheinen konnte; in Wirklichkeit aber ist für Althusius die Praxis nicht weniger wichtig als die Theorie. Anstatt in Begriffen einer Ursache (das ist das theoretische Prinzip) zu argumentieren, die zu einer Wirkung wird (das ist die konkrete communicatio, die tagtäglich von den Symbioten umgesetzt und aktualisiert wird), stellen wir die Frage im Hinblick auf den Pragmatimus der Überlegungen des Althusius innerhalb der Bezie6 Die Möglichkeit, Bereiche des Denkens von Althusius mithilfe von Grafiken darzustellen ist dadurch gerechtfertigt, dass Althusius selbst in den Ausgaben des 17. Jahrhunderts seiner Politica auf sie zurückgriff. Für eine brillante Anwendung der Methode im Rahmen der Reflexionen über die Föderaltheologie bei Althusius vgl. den Beitrag zur Consociatio von C. Zwierlein im vorliegenden Band.

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hung zwischen causa efficiens und causa finalis. Das Licht wechselt, aber das Bild bleibt das gleiche: die theoretischen Prinzipien, die Sozialität und die Symbiose neigen trotzdem einer irdischen Manifestierung zu. Alles, was der Mensch tut, geschieht in dieser Welt. Auch wenn Kultus und Religion im Leben der Menschen großes Gewicht haben, so erfüllt doch ein jeder zuallererst Funktionen, irdische munera, die ihrerseits irdische Güter und Dienstleistungen hervorbringen. Die außerweltliche Perspektive in der Politica des Althusius ist nicht die bedeutendste: Er wünscht sich für den Menschen ein heilig-aktives Leben, ein Leben, das dem einzelnen und den anderen durch Befolgung des Kultus, der Moral und des guten Lebenswandels Nutzen bringt. Das aber ist gleichbedeutend damit, zu sagen, dass das weltliche Leben des Menschen als Ziel das Wohl aller auf dieser Welt hat. In der Finalursache verbirgt sich das Bindemittel des gesamten Systems des Althusius: Ihm, dem heilig-unverbrüchlichen, vorteilhaften und glücklichen Leben neigen natürlich die Kräfte der verbündeten Symbioten zu. Anders kann es auch gar nicht sein. Sozialität, Symbiose, officia dilectionis und communicatio der Güter, Werke, Dienste und Unterstützung sind die vier Scheitel- und Angelpunkte des Denkens des Althusius, die Ursachen, ohne die es undenkbar ist, ein perfektes symbiotisches Leben in vorteilhafter und glücklicher Weise zu leben. Jeder trägt von sich aus dazu bei, das politische Ziel par excellence umzusetzen7. Um es in den Worten des Althusius auszudrücken: „Wenn man der Hilfe des anderen nicht bedürfte, welche Gesellschaft, welche Rücksicht, welche Ordnung, welche Vernünftigkeit, welche Menschlichkeit gäbe es dann?“ (I, 27)8. Das Erlangen dieses Ziels ist das Ergebnis des einmütigen und solidarischen politischen Handelns der Gemeinschaft und ihrer Glieder, der einzelnen wie aller zusammen. Das Elend bringt die Aggregation hervor, die Notwendigkeit zwingt zur Schaffung eines einheitlichen politischen Körpers, der nur durch die Einheit in der Teilhabe und in der täglichen communicatio darauf hoffen kann, sich vor dem natürlichen Zustand der Bedürftigkeit zu schützen und sich von ihm befreien zu können. Daraus folgen die zentrale Stellung des Begriffs der communicatio innerhalb des Denkens des Althusis und seine Aufmerksamkeit für die Dinge dieser Welt. 7 Grafisch ist diese Beziehung als Rechteck darstellbar, an dessen Ecken die vier dargestellten Kardinalbegriffe stehen, wobei im Mittelpunkt der Figur (oder der Begriffskonzeption des Althusius) das Ziel des politischen Lebens steht, das fest mit diesen Begriffen verbunden ist. 8 Man beachte, wie die in diesem Satz verwendeten Begriffe („Hilfe“, „Bedarf“, „Gesellschaft“, „Rücksicht“, „Ordnung“, „Vernünftigkeit“, „Menschlichkeit“) im Kern die vier Angelpunkte der Gesellschaftskonzeption des Althusius enthalten, mit ihrer Ursache, ihren grundlegenden Prinzipien und ihrem Resultat: Die erste Ursache der Gemeinschaftsbildung (der Bedarf), der Motor des Aggregationsprozesses (die Vernünftigkeit des jus symbioticum und die natürliche Menschlichkeit und Sozialität), die Mittel für die Organisation und das Überleben der Körperschaft der Bürger (die Ordnung und das Ordnen von Personen, Gütern und Dienstleistungen auf der einen Seite, die Rücksicht und die Affektivität, die den Menschen an seinesgleichen bindet), und das Ergebnis des Prozesses der Aggregierung (die Gesellschaft).

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2. Ein anderer Punkt, der im Hinblick auf die Bedeutung von communicatio bei Althusius anzusprechen ist, ist jener der Quellen. Das Problem ist zu umfassend, als dass es hier auch nur kurz behandelt werden könnte9. Wir beschränken uns hier daher auf einige kurze Hinweise. Auf der einen Seite muss die Lektüre der Bibel, besonders jene der Briefe des Apostels Paulus das Bewusstsein des Althusius dafür gestärkt haben, dass sich die koinonía der ersten Christen für eine politische Interpretation eignet10. Wie deutlich wurde, sind christliche Werte wie Wohlwollen und Nächstenliebe unter den grundlegenden Elementen des menschlichen Zusammenlebens, das in der Politica entworfen wird. Eine der Maximen, die Althusius am häufigsten zitiert, ist die Aufforderung des Evangeliums „liebe Deinen Nächsten wie dich selbst“. Die religiös-calvinistische Erziehung und die Lektüre von Bibelkommentatoren wie Junius – Du Jon –, Tremellius, Petrus Martyr Vermigli und Piscator haben Althusius sicherlich zu weiteren Reflexionen angeregt, angefangen bei dem Gedanken, dass der Symbiot dazu aufgerufen (vocatus) ist, eine Aufgabe, ein munus zu erfüllen. Was das klassische Erbe anbelangt, so ist es über das Zitat aus Varro im XI Buch der Politica hinaus weit anregender zu beobachten, wie Cicero, einer der von Althusius am häufigsten zitierten klassischen Autoren, einmal von der communicatio utilitatum (De finibus, V, 65), ein anderes Mal von communicatio consilii (Ad Familiares V, 19, 2) und wieder ein anderes Mal von communicatio civitatis (oder vom jus civitatis; Pro Balbo 31, 13) spricht. Die Übereinstimmung mit analogen Ausdrücken des Althusius ist nicht verwunderlich. Schließlich wird das Corpus Iuris Civilis ständig zitiert, was bei einem Juristen von der Statur des Althusius unvermeidlich ist. Wir führen hier nur einige Beispiele aus den Digesten an: divini et humani iuris communicatio (XXIII, 1, 1, pr. 2) und communicatio damni (XXVII, 3, 1, 14). 3. Oben war von der relativ geringen Häufigkeit des Begriffs communicatio in der Politica die Rede. Wenn der Begriff dennoch im Werk des Althusius von so großer Bedeutung ist, dann wird man glauben müssen, dass er verdeckt unter anderen Ausdrücken an vielen Stellen auftritt. Und genau das passiert, wie man schon vom Gebrauch des griechischen Begriffs koinonía her sieht, der bei ihm als Alternative zu communicatio verwendet wird. Die beiden Worte sind vollkommen synonym. Althusius spricht in der Tat einmal von koinonía rerum (I, 29), ein anderes Mal von communicatio rerum (I, 8 und öfter), ohne dass es merkliche Unterschiede geben würde; das gleiche Synonymitätsverhältnis kann man bei dem Ausdruck kononía operarum (I, 9) feststellen, dem operarum communicatio in IV, 9 (und öfters) vergleichbar ist. Sodann ist es wichtig darauf hinzuweisen, wie an einer anderen Stelle bei Althusius (I, 7) ein griechisches Wort, in diesem Fall koinopra9 Zum Problem des Einflusses der calvinistischen Tradition auf das Werk des Althusius vgl. den Beitrag zu Communicatio mutua von M. Miegge im vorliegenden Band. 10 Dazu F. Hauck, in: G. Kittel (Hrsg.), Grande Lessico del Nuovo Testamento, Brescia 1969, Sp. 672 – 725.

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xía, der communicatio angenähert wird, dem es voll und ganz entspricht: „Communicatio illa mutua, seu konopraxía [ . . . ] fit rebus, operis, iuribus communibus“. Mit diesen Worte erklärt Althusius erstmals, was communicatio ist und macht sogleich deutlich, dass er den Begriff an das semantische Feld von „gemein“ koppelt und dabei auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene eine Beziehung der Verwandtschaft und Nähe zwischen der griechischen Wurzel koin- und der lateinischen commun- herstellt. Der Eindruck wird angesichts anderer drei Abschnitte noch stärker: In Kapitel VII, 3, wenn Althusius vom jus provinciale spricht, behauptet er, dass dieses die koinopraxía betrifft, weil es durch die communicatio negotiorum et rerum für das sorgt, was für das Leben der Symbioten notwendig ist. Darauf lesen wir in I, 6, dass die Symbioten vicissim koinonetoí, communionis participes sind. Und schließlich beschreibt Althusius in IX, 30 die communio symbiotica universalis als etwas der Gemeinschaft Zugehöriges, koinonikós, ad comunionem pertinens, symbioticumve jus regni. Teilweise stellt sich also die communicatio des Althusius als die lateinische Übersetzung für die Bezeichnung der Gemeinschaft innerhalb einer Allgemeinheit dar. Angesichts dieser Beziehung zwischen communicatio und koinonía kann man eine identische Beziehung zwischen den entsprechenden Adjektiven folgern: communis (das in der Politica so häufig vorkommt) und koinós. Althusius verleiht dem Begriff communicatio eine dynamische Bedeutung, jene von „eine Gemeinschaft herstellen“ und „an etwas Gemeinschaftlichem teilnehmen“. Das wird an vielen Beispielen deutlich. Hier greifen wir der Kürze halber auf nur zwei zurück, die bereits erwähnt wurden. Beginnen wir mit der koinopraxía von I, 7. Vielleicht spürte Althusius, dass bei dem Wort koinonía im Griechischen eher die Idee des „gemeinschaftlichen Zustands“ als die des „zu etwas Gemeinschaftlichem machen“ mitschwingt im Gegensatz zum lateinischen communicatio, das durch das Suffix – atio zu den nomina actionis zählt und Bewegung anzeigt. Das erklärt die Entscheidung für koinopraxía. Um den Begriff gewissermaßen von der „tätigen Teilhabe“ zu „befreien“, die der communicatio innewohnt, von dem Eindruck des Statischen, der vom aristotelischen koinonía vermittelt wird, stützt sich Althusius auf ein anderes Wort, eben koinopraxía, das die Art und Weise besser ausdrückt, in der er communicatio und koinonía versteht. Im zusammengesetzten Substantiv koinonía nämlich wird der zweite Bestandteil der Wurzel des Verbs pràttein, „tun“, gebildet. In diesem Sinne nehmen schlussendlich koinopraxía und auch communicatio und koinonía die Bedeutung von „Tun oder Handeln, das etwas gemeinschaftlich macht“ an. Daraus ergibt sich eine erste Bewegungsrichtung des Prozesses der communicatio, eine Richtung, die die Symbioten, die die Gemeinschaft bilden, dazu bringt, res, operae, jura, auxilium und consilium zu etwas Gemeinsamem zu machen. Von dem Augenblick an, in dem die communicatio dahin tendiert, einem jeden dieser Dinge, sofern es zu etwas Gemeinsamem gemacht wurde, Vorteil zu verschaffen, nimmt man darin auch eine zweite Art von Dynamik wahr. Communicatio steht in der Tat sowohl dafür, es anderen zu ermöglichen, die Vorteile zu genießen, die

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damit verbunden sind, dass etwas zu etwas Gemeinsamem gemacht wurde, als auch persönlich teilzuhaben, als auch etwas zu etwas Gemeinschaftlichem zu machen oder aus dem zu schöpfen, was gemeinschaftlich ist. Das findet in Abschnitt Politica I, 6 seine Bestätigung, wo Althusius die Symbioten koinonetoí nennt und den Begriff mit dem Ausdruck communionis participes glossiert. Genau genommen hat der griechische Begriff koinonetós keine aktive Bedeutung und steht nicht für „derjenige, der die Gemeinschaft bildet und an ihr teilhat“ (es handelt sich nämlich um ein passivisches Verbaladjektiv, „vergemeinschaftet“). Er hat nicht diese Bedeutung, aber er nimmt sie als Neologismus des Althusius an – neben einem anderen lateinischen Neologismus, communicator (VI, 16), der eine genaue Übertragung der aktiven Bedeutung des griechischen koinonetós ist. Das damit unterschwellig vorgebrachte Postulat lautet, dass alle Symbioten communicatores sind, insofern sie dazu beitragen, die communicatio zu erzeugen und zugleich ihre Vorteile zu genießen. Diese philologischen Bemerkungen können zum einen die Zunahme der quantitativen Bedeutung des Begriffs der Teilhabe in der Politica des Althusius (bis hin zur Schaffung eines regelrechten „Wortschatzes der communicatio“, den der Autor ex novo geschaffen hat) verdeutlichen, zum andern werfen sie ein Licht auf die dynamische Natur, die die communicatio für Althusius hat (sie wird eine regelrechte praktische Handlung, die von jeglicher Abstraktheit frei ist). Die lexikalische Wahl des Althusius bei seinem Versuch, den seinerzeit vorhergehenden politischen Wortschatz zu erneuern, spiegelt seine begrifflichen Positionen und theoretischen Grundlagen präzise wider. So kommt zum Beispiel in verschiedenen Abschnitten der Begriff communio vor. Er ist offensichtlich mit communicatio etymologisch verwandt, es besteht aber eine weitere und weit wichtigere Verwandtschaft, wenn auch auf inhaltlicher Ebene. Was die communio betrifft, so gibt es vier semantische Hauptgebiete, die aus dem Text der Politica herausgelesen werden können und alle „Gemeinschaftszustand“ bedeuten. Das erste Gebiet betrifft die „Gemeinschaft“ der Gesetze und spezifischer Rechte. Ausdrücke wie ijuris oder jurium communio (I, 10; I, 23, etc.), privilegiorum communio (III, 23), gentis et ortus communio (III, 24), zeichnen das passive Aufteilen von bereits bestehenden iura aus. Die zweite Gruppe schließt die Abschnitte ein, in denen die communio in weltlichem Sinne die gemeinsame Teilhabe Zugehörigkeit an der Respublica (IX, 7 u. a.), an der consociatio (XVII, 26), am regnum (XVII, 27) oder am bürgerlichen corpus (XVII, 25) bezeichnet. In all diesen angeführten Stellen werden einzelne oder Gruppen von Individuen in ein staatliches Gefüge aufgenommen, mit dem sie in eine Gemeinschaft eintreten, und dies nicht nur von einem juristischen Standpunkt aus gesehen. Eine dritte Bedeutung nimmt communio an, wenn das Wort allein gebraucht wird (communionis participes, I, 6) oder in einer zusammengesetzten Wendung (cum exteris communio, II, 35; communio symbiotica universalis, IX, 29). In diesem Fall liegt der Akzent auf dem symbiotischen Charakter der communio, der in der Wortkombination communio symbiotica gut zum Ausdruck kommt. Es dürfte durchaus gerechtfertigt sein, communio in dieser Bedeutung als „symbiotische Gemeinschaft“ zu verstehen. Schließlich ist die letzte

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Bedeutung von communio, diesmal im kirchlichen Bereich, die von „innerer und geistiger Gemeinschaft“. Hier kommt mehr als andernorts der Einfluss der klassischen und dann christlichen koinonía zur Geltung, den Althusius seiner Lektüre der Bibel und seiner religiösen Ausbildung verdankt. Dies gilt beispielsweise für die Wendung communio in rebus spiritualibus (VIII, 9; ähnlich VIII, 10: rerum spiritualium et temporalium communio), die aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (15, 27) stammt. Genauso verhält es sich mit der sanctorum communio (VI, 30; VIII, 12, wo das Synonym compactio verwendet wird; VIII, 16), ein Ziel, dessen Umsetzung sich die Kirchendiener widmen11. Nun erlaubt es die Untersuchung des Kontexts, das Verständnis der communio zu vertiefen, wobei sie in ihrer dynamischen Natur mit dem Prozess in Zusammenhang gebracht wird, der die communicatio ausmacht, ein Prozess, der in ständigem Entstehen begriffen ist. Communio, communicatio und das Verb communicare tragen in der Politica dem Rechnung, wie die Symbiose sich in einem unaufhörlichen irdischen Prozess der Teilhabe aufbaut. Was kann also der Gegenstand von communicatio sein? Am häufigsten das jus, die res, die operae, das auxilium und das consilium. Diese Worte umreißen die fünf Bereiche, innerhalb derer sich die communicatio abspielt: der juristische (außer dem jus auch civitas, administratio, privilegia, statuta, beneficia); der ökonomische (res, fructus, bona, numisma, opes, facultates, pecunia, media); jener des Teilens der Kompetenzen (operae, ministeria, actiones, negotia, industria, labores, officia); jener der Subsidiarität, der teilweise mit dem ökonomischen in eins fällt (auxilium, benevolentia, amicitia, concordia, commoda, onera, subsidia, adiumenta, sementa, dona); jener der moralischen Unterstützung im Namen der christlichen Nächstenliebe (consilium, officia dilectionis, virtutes, sacra, „religiöse Riten“). All dies, das „kommuniziert“ und geteilt wird, zielt darauf ab, das Leben in Gesellschaft angenehm, glücklich und moralisch gesund zu machen (I, 6; X, 1), den Notwendigkeiten zu begegnen und die utilitas der Symbioten zu verwirklichen12. Die Voraussetzung dafür, dass dies alles Wirklichkeit wird, ist das tätige Zusammenwirken der Symbioten, wie Althusius auch bisweilen in der Wortwahl deutlich zum Ausdruck bringt. So lässt sich nämlich die zahlreich wiederholte Verwendung des Adjektivs mutuus erklären, das einmal mit communicatio assoziiert wird, ein andermal mit anderen Begriffen (benevolentia, IV, 9; concordia, VI, 15; auxilium, II, 3). Die Untersuchung des Kontexts macht es möglich, auch andere Worte des Althusius auf den semantischen Bereich von communicatio und communicare zurückzuführen. Es handelt sich um Begriffe (meistens Verb-Substantiv Paare: conferre / collatio; praestare / praestatio, participare / participatio), die eine Bedeutung haben, die mit der von communicare und communicatio identisch ist, so dass sie sogar in synonymen Doppelungen mit ihnen auftreten (vgl. III, 42: conferant et 11 Zur Gemeinsamkeit oder Gemeinschaft der Heiligen aus calvinistischer Sicht vgl. M. Walzer, La rivoluzione dei santi, Turin 1996, S. 90 ff. 12 Vgl. auch den Beitrag zu Utilitas von S. Mastellone im vorliegenden Band.

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communicent; XIV, 2: conferunt et communicant; V, 5: communicandi et participandi; II, 46: praestantur et communicantur). Wenn der Leser der Politica auf diese Begriffe stößt, muss er diese Konnotation berücksichtigen, denn es handelt sich dabei um einen semantischen Überschuss, den Althusius absichtlich herbeigeführt hat – mit dem ausdrücklichen Ziel, einen „Wortschatz der communicatio“ zu schaffen, der sich in sich durch synonyme Verbindungen auszeichnet. Die letzten wichtigen Überlegungen gelten dem lateinischen Begriff munus. Das Wort erscheint nämlich in einigen Kontexten in Verbindung mit der lexikalischen Familie von communicatio. So finden wir einmal munus und communicatio kombiniert (VI, 29; XIV, 2; XV, 1), ein andermal munus und conferre (XI, 20; XI, 23; XIV, 2), und wieder ein anderes Mal munus und praestare (XI, 23; XIV, 1). Das ist mehr als nur ein Zufall: Es ist ein Hinweis darauf, dass für Althusius munus und communicatio begrifflich ähnlich sind. Aber inwiefern? Die Verbindung ist nicht rein etymologisch. Gewiss enthält communicatio den Stamm mun-, aber dieser verweist unmittelbar auf eine Überlegung: communicatio heißt ein gemeinsames munus haben. Althusius erweist sich als äußerst aufmerksamer Rezipient von Untersuchungen zu etymologischen Zusammenhängen; so bietet er in XI, 18 nach seiner Definition von munus die Etymologie an, die der lateinische Grammatiker Marcus Terentius Varro gibt, und die in bemerkenswerter Weise zu seiner politischen Sicht passt. Varro drückt sich wie folgt aus: „Et munus quod mutuo animo qui sunt, dant officii causa. Alterum munus, quod muniendi causa imperatum, a quo etiam municipes, qui una munus fungi debent, dicti“13. Die erste Bedeutung von munus in der klassichen Antike war „Geschenk“; in diesem Sinne verwendet Althusius das Wort niemals. Um den Begriff besser vom Einfluss der antiken Semantik reinigen zu können und ihm den Anschein eines Fachterminus des politischen Wortschatzes zu geben, geht Althusius so weit, die lateinische Bezugsquelle zu wechseln. Zunächst lässt er den Aspekt des Geschenkes fallen und schreibt folglich: „(Munus) quod muniendi causa imperatum sit, a quo etiam municipes, qui sunt munerum participes, uti sunt cives“ (XI, 18). Wenn wir nun zu Politica I, 7 zurückkehren, so stellen wir fest, dass die Symbioten, also die cives, als koinonetoí, communionis participes definiert worden sind. Nun wird municeps, das dieselbe Wurzel wie munus hat, Synonym für den symbiotischen Bürger. Mit anderen Worten: Jeder Symbiot übernimmt ein munus, also eine Verpflichtung, einen Auftrag, eine Belastung, und das in genau dem Moment, wenn er in das System der communicatio, der symbiotischen Teilhabe, eintritt14. Es ist eine moralische und materielle Verantwortlichkeit, die der symbiotische Bürger gegenüber allen verbündeten Mitgliedern hat. Es ist genau die necessitas, die die Unvermeidlichkeit auferlegt hat, die Ressourcen, die dem 13 Marcus Terentius Varro, De lingua Latina, V, 36. Edition des Texts von G. Goetz und F. Schoell, Leipzig 1910 [ND Amsterdam 1964]. 14 Zu diesem Thema vgl. die Einleitung zur Abhandlung von R. Esposito, Communitas. Origine e destino della comunità, Turin 1998.

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Bürger zur Verfügung stehen, zu communicare, seien sie materiell oder nicht; das munus wird, weil es für das Überleben der Gemeinschaft notwendig ist, dem Bürger, den es angeht, von der Allgemeinheit auferlegt, weil er weiß, dass sich die Belastung, die er auf sich nimmt, später in ein commodum, einen „Vorteil“, für sich und die anderen Symbioten verwandeln wird. Auf der anderen Seite tragen diese Erörterungen wenig zur Definition von munus bei, die hinreichend klar ist: „Munus est officium impositum, quod civis, seu municeps, in regni territorio, ad utilitatem consociationis corporis, eiusdem consensu vel permissione gerit“ (XI, 18). Aus dieser Definition wird deutlich, dass die Teilhabe an der communicatio und die Gegenseitigkeit der munera Ausfluss eines nicht-individuellen, vielmehr eines kollektiven Willensaktes ist. Die Gemeinschaft der Symbioten setzt fest, wann und in welchem Maße man die communicatio verwirklichen muss. Weil die Zuweisung der munera die Organisation und die Wahl der Gemeinschaft widerspiegelt, kann die Befreiung von den Aufträgen nicht ohne ihre Autorisierung erfolgen. Die immunitas, wie sie auf lateinisch heißt, ist das genaue Gegenteil der communicatio. Entsprechend deutlich ist die Definition, die Althusius von ihr gibt: „Immunitas est 6ëåéôïõρãåäßá et vacatio munerum, qua municeps a muneribus suscipiendis et praestandis liberatur et excusatur, ab omnibus vel quibusdam (XV, 5). Immunitas und das korrespondierende Adjektiv immunis sind vollgültige Teile der semantischen Familie von communicatio, wie die Rechtsexperten aus der Lektüre der Glosse von Papias zu munus wissen15. Der Leser muss sich dies vergegenwärtigen und sich die ursprüngliche Verbindung all dieser Worte zum einen mit der Wurzel von „gemeinschaftlich“ und zum anderen mit der von „Aufgabe“ vor Augen halten. Wenn man die beiden Bedeutungen sich überkreuzend versteht, dann ergibt sich daraus, dass für Althusius communicatio darin besteht, die Belastungen und die Vorteile, die aus der Ausführung einer Aufgabe erwachsen, zu etwas Gemeinschaftlichem zu machen16. 4. Wenn man die Politikwissenschaft als Gesamtheit der Handlungen versteht, die die Symbioten auf Erden vollbringen, dann bezeichnet der Begriff communicatio in der Politica letztlich ein aktives Verhältnis, durch das die Symbioten die Verteilung und die Durchführung von gesamtschuldnerisch dinglichen und moralisch unzweifelhaften Aufgaben und Obliegenheiten im Hinblick auf das gemeinsame 15 Munus: donum vel officium; vgl. dazu Papias Vocabulista, Elementarium. Nachdruck. Turin 1966: „Municeps: civis dicitur munera sapiens vel munera idest officia implens vel administrans“. Der lombardische Jurist ist sich zudem bewusst, dass munus, immunitas, communio und communiter etymologisch verwandte Begriffe sind. 16 Zur etymologischen Bedeutung von munus, und der davon abgeleiteten Termini (munifex, municeps, municipium, munia) siehe den älteren, noch immer aktuellen Artikel von J. Pinsent, The original meaning of municeps, in: Classical Quarterly, 48, vol. IV, 1954, S. 158 – 164. Zu den philosophischen, politischen und juristischen Bedeutungen desselben Terminus munus, siehe G. Pereira Menaut, Che cos’è un munus?, in: Athenaeum, 92, 2004, pp. 169 – 215.

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Gut erfüllen. Das aktivierende Prinzip der Gemeinschaft, die Symbiose, die die Nachteile des Zustands natürlicher Bedürftigkeit behebt, ist zugleich in die Praxis in Form von teilhabenden Handlungen überführt, von denen die Existenz der Gesellschaft selbst abhängt. Indem Althusius aus der communicatio nicht nur einen Begriff macht, sondern einen Funktionsmechanismus der Symbiose, stellt er sie ins Zentrum der politischen Reflexion seiner selbst und seiner Zeitgenossen. Die communicatio eröffnet zugleich eine Debatte über die Rolle des Individuums in der Gesellschaft und über die Freiheit zur Initiative und darüber hinaus auch über die Art und Weise, in der letztere auf die dynamischen Prozesse der Subsidiarität und der Gegenseitigkeit der Respublica Einfluss nimmt. Es ist ein Problem, das sich für jemanden, der wie auch Althusius in einer stark kommerziell ausgerichteten Gesellschaft lebte, die noch dazu von einer Ethik bestimmt war, die dem persönlichen Erfolg eine besondere Bedeutung beimaß, als einigermaßen delikat darstellen musste.

Mario Miegge

Communicatio mutua (Althusius und Calvin) 1. In der linguistischen koiné der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hat der Begriff „Kommunikation“ eine Position ersten Ranges erlangt: In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, in Arbeiten zur politischen Philosophie und zum „kommunikativen Handeln“ (Habermas), in Überlegungen zur und Debatten über die Hermeneutik. Wir müssen also unserer Neigung Einhalt gebieten, die Texte des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen der Begriff häufig vorkommt – in unserem Fall die von Calvin und Althusius – anachronistisch zu lesen und zu interpretieren. Dabei hat das Wort communicatio ein starkes begriffliches und theoretisches Gewicht (und ebenso seine fast wörtliche Übertragung in den neulateinischen Lexika – zum Beispiel communication in den zeitgenössischen französischen Ausgaben der Werke des Genfer Reformators). Bereits im 13. Jahrhundert hat Wilhelm von Moerbeke in seiner lateinischen Übersetzung der Politik des Aristoteles die koinonia politiké (I, 1, 7) mit communicatio politica übersetzt. Im Text der Politica methodice digesta (Ausgabe von 1614) von Johannes Althusius scheinen die Begriffe koinonia (vom Autor in griechischen Buchstaben wiedergegeben), communio und communicatio als Synonyme. So führt Althusius beispielsweise in seiner Politica I, 8 – 10 folgende Begriffe auf: rerum communicatio, operarum koinonía, juris communio. M. Povero1 hat die textlichen Daten geliefert und die interpretatorischen Gründe dafür herausgestellt, dass man der communicatio eine genauere Bedeutung zuweisen muss und zwar eine solche, die von jener der communio unterschieden ist. Dass die communicatio eine Form des gemeinschaftlichen Handelns ist oder genauer (in unserem heutigen Sprachgebrauch) ein „interaktives“ Handeln, erklärt Althusius selbst in I, 7: „communicatio illa mutua, seu koinopraxía“. Hier ist die communicatio zusätzlich als mutua bezeichnet. Die Bezeichnung verstärkt nun genau den Unterschied zur communio oder zu anderen Begriffen, mit denen die Übersetzer die aristotelische koinonía wiedergeben (etwa im Englischen „community“ oder „partnership“), bei denen das Bedeutungsfeld dazu tendiert, sich in Richtung auf einen Verbandszustand zu verschieben, mithin von einem Handlungsbereich auf einen von teilhaberschaftlichen Gemeinschaftsbeziehungen. 1

Vgl. oben den Beitrag zu communicatio (communio).

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Aber warum ist die communicatio eine communicatio mutua, wenn wir nicht von einer mutua communio sprechen? Wenn die communicatio eine Handlungsweise – eine Art der actio oder praxis – ist, dann impliziert ihre Gegenseitigkeit offensichtlich die Präsenz einer Pluralität von nicht-identischen, sondern von einander unterschiedenen und in gewissem Maße voneinander abweichenden Handelnden. Die Unterscheidung der zwei (oder mehr) handelnden Seiten wird von der adverbialen Form ultro citroque herausgestellt. So finden wir beispielsweise in I, 29 die Formulierung: „per collationem et communicationem ultro citroque factam“. Dieselbe adverbiale Kennzeichnung der Gegenseitigkeitsstruktur gibt es im Kommentar von Calvin zu I. Kor. 12 (auf den wir im Folgenden eingehen werden), wo von mutua ultro citroque actio die Rede ist. Man kann also sagen, dass die communicatio mutua das Handeln einer Mehrzahl von Personen bezeichnet, die „Dinge“, „Werke“ und „Rechte“ gemeinschaftlich tun oder machen und sich gegenseitig an diesen die Teilhabe zugestehen. Um dessen Bedeutung zu klären, können wir uns an die hervorragende Formel der „mutuality of interaction“ halten, die Friedrich 1932 in seiner Einleitung zur Ausgabe der Politica des Althusius vorgeschlagen hat.2 Wie fügen sich nun die Bezugnahmen auf die Werke Calvins in dieses interpretatorische Bild ein? In einem Aufsatz von 1959, der einen Wendepunkt in der Calvinforschung darstellt, hat André Biéler gezeigt, dass der Begriff der „communication mutuelle“ eine zentrale Rolle im ökonomischen und sozialen Denken des Genfer Reformators spielt.3 Der Vergleich der beiden Autoren erscheint uns nicht nur aus biografischen und theoretischen Gründen stimmig, sondern auch im Hinblick auf eine genaue textliche Beziehung. Ersteres betrifft die Ausbildung des Althusius (Aufenthalte in Genf und an anderen reformierten Hochschulen) und seine ganze Karriere: In seiner Dozentur an der calvinistischen Universität von Herborn und dann in seinen langjährigen politischen und kirchlichen Engagements im (reformierten) Emden als Syndikus und als „presbyter“ im örtlichen Konsistorium.4 In der Politica wird die „ecclesia genevensis“ als Modell der kirchlichen Ordnung hingestellt (VIII, 21 – 26). Was die Texte anbelangt, wird vom ersten Zitat von Calvin an eine Verbindung in der Politica nahe gelegt, die in die Argumentation integriert wird, die reich an Bibelzitaten ist und die in der Formulierung gipfelt: „. . . quae communicatio non nisi in politica vita sociali fieri poterat“. Die Auslegung nimmt von der Textpassage Politica I, 23 – 26 ihren Ausgang. In einem zweiten Schritt versuchen wir den Sinn des Calvin-Zitats bei Althusius auf Grundlage des Konstrukts von Institutio IV, 3, 1 zu klären. In einem dritten und 2 J. Althusius, Politica methodice digesta, hrsg. von C.-J. Friedrich, Cambridge / Mass. 1932, Introductory Remarks, S. 5. 3 A. Bieler, La pensée économique et sociale del Calvin, Genf 1959. 4 Vgl. C. Malandrino, Il Syndikat di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, in: Il pensiero politico 28 (1995), S. 359 – 383; ders., La „sussidiarietà“ nella Politica e nella prassi antiassolutista di J. Althusius a Emden, in: Il Pensiero Politico 34 (2001), S. 41 – 58.

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vierten Schritt weisen wir die Häufigkeit des Begriffs communicatio und seinen verbalen Formen in den Kommentaren des Reformators zu den beiden von Althusius in Politica I, 23 und 25 erwähnten Passagen des Neuen Testaments aus: die Ausführungen des Apostels in I Korinther 12 über die Einheit des Geistes in der Verschiedenheit der Geistesgaben und die Parabel über die Talente (Matthäus, 25, 14 – 30). 2. Schauen wir uns zunächst – mit einigen Kürzungen – den Abschnitt Politica I, 23 – 26 an. I, 23: „Huc pertinet summa secundae tabulae Decalogi: Diliges proximum tuum, sicut teipsum [ . . . ]. Matth. C. 7. cap. 22 [ . . . ] Vir sapiens, qui operam suam denegat Reipublicae et thesaurus absconditus, cui haec duo prosunt?“ 24: „Ex quibus deciditur quaestio, an vita contemplativa [ . . . ] vitae activae [ . . . ] sit praeferenda: de qua [ . . . ] Arist. Lib I. pol. cap. 1, cap. 2, lib. 7. c. 3 [ . . . ]. Plane homo natura sua est animal gregabile ad societatem cum aliis hominibus colendam natum, non autem, ut ferae beluae, natura sua solitarium [ . . . ].“ 25: „Itaque, eremitae [ . . . ] plane per se miseri, neque sibi, neque aliis utiles sunt. Nam quomodo proximi sui commoda promovere hi possunt, nisi societati humanae se insinuent? [ . . . ] I Cor cap. 12.7 et seqq. Quomodo caritatis opera aliis possunt praestare, quando extra consortium hominum degunt? Quomodo ecclesia aedificari et reliqua primae tabulae officia commode praestari possunt? [ . . . ]“ 26: „Hac de causa Deus homines non per Angelos, sed per homines instituere et docere voluit, Calvin. lib. 4. Instit. cap. 3 sect. 1. Ob quam causam etiam Deus opt. max. sua dona varie distribuit inter homines. Non enim uni contulit omnia, sed aliis alia, ut ego tuis, tu meis indigeres, ita ut quasi necessitas communicandorum necessariorum et utilium hinc nata sit, quae communicatio non nisi in politica vita sociali fieri poterat“.

Der Argumentationsgang von Althusius ist also folgender: a) (§ 23) Dem Gebot des Evangeliums der Nächstenliebe werden die negativen Beispiele des vir sapiens entgegengestellt, der sich nicht öffentlich engagiert und jenes des „verborgenen Schatzes“: Auch wenn Matthäus 25 nicht erwähnt wird, ist der Bezug auf die Parabel über die Talente des Evangeliums offensichtlich. b) (§ 24) Diese Beispiele zeigen die Überlegenheit des aktiven Lebens gegenüber dem kontemplativen Leben. Die These wird von den Aussagen der Politik des Aristoteles (I, 1 – 2) hinsichtlich der geselligen Natur des Menschen bestätigt. c) (§ 25) Die religiösen eremitae sind für die anderen wie für sich selbst unnütz: Weil sie sich aus der menschlichen Lebensgemeinschaft ausschließen, können sie nicht zum Vorteil des Nächsten wirken und bauen die Kirche nicht auf. Vergleiche dazu I Korinther 12, 7 folgende. Sie erfüllen nicht die Gebote der ersten Gesetzestafel im Hinblick auf Gott, und lassen die zweite Tafel und die Nächstenliebe außen vor. d) (§ 26) Deshalb wollte Gott die Menschen nicht mit Hilfe der Engel lehren und erziehen, sondern mit Hilfe der Menschen, wie Calvin in der Insitutio IV, 3, 1 erklärt.

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e) (§ 26) Aus demselben Grund hat Gott die Gaben unterschiedlich auf die Menschen verteilt, so dass jeder den anderen braucht und so eine communicatio hinsichtlich der notwendigen Gaben zustande kommt, die nur im politisch vereinigten Leben verwirklicht werden kann. Aus welchen Gründen hat nun Althusius in der Argumentationsfolge von Politica I, 23 – 26 den Rückbezug auf die Institutio von Calvin (IV,3,1) eingefügt? Wie lässt es sich erklären, dass „hac de causa“ (d. h. aufgrund der Nächstenliebe und der sozialen Bindung der caritas) „Deus homines non per Angelos, sed per homines instituere et docere voluit“ (I, 26)? Und wie ist der (für sich genommen wenig durchsichtige) Übergang von diesem Zitat zur folgenden Aussage hinsichtlich der Vergabe der göttlichen Gaben zu verstehen, die die communicatio begründet? Es ist offensichtlich, dass der dem Genfer Reformator zugeschriebene Satz nur ein caput sententiae ist, der auf den Text verweist, von dem Althusius die gesamte argumentative Entwicklung im Kopf hat. Das dritte Kapitel des IV. Buchs der Institutio christianae religionis (der lateinischen Ausgabe von 1559)5 ist überschrieben mit De ecclesiae doctoribus et ministris, eorum electione et officio. Der Reformator behandelt darin die zentrale Frage nach den Aufgaben in der Kirche und – genauer – nach der Rolle und der Wahl der Diener des Wortes. Betrachten wir also den argumentativen Aufbau des von Althusius erwähnten ersten Paragrafen. Gott allein regiert seine Kirche – sagt Calvin zu Beginn – und diese Regierung erfolgt allein durch sein Wort („solo eius verbo“). Doch weil Gott nicht sichtbar unter uns wohnt, so dass wir seinen Willen nicht direkt seiner Stimme entnehmen können, bedient er sich bestimmter Menschen, und zwar nicht, um den Menschen sein ius und seine Ehre zu übertragen, sondern nur, um durch ihren Mund sein Werk zu erfüllen („sed tantum ut per os ipsorum suum ipse opus agat“). Es stimmt, dass Gott dies per se ipsum oder auch mithilfe der Engel (per angelos) hätte tun können. Warum also hat er es vorgezogen, es per homines zu tun? Calvin führt drei Gründe (causae) an. Erstens drückt Gott dadurch seine Gunst (dignatio) und seine Freundschaft („amitié“, wie es in der französischen Ausgabe von 1560 heißt) zu den Menschen aus, die so weit geht, dass er sie als „seine Tempel“ bezeichnet. Auf der anderen Seite, zweitens, ist die Wahl Gottes, durch die Menschen zu sprechen, für uns eine fortwährende Mahnung zur Bescheidenheit (optimum ac utilissimum ad humilitatem exercitium), und das aus dem Grund, dass das Wort von Menschen verkündet wird, die uns ähnlich und uns manchmal sogar unterlegen sind. Wenn Gott sich den Menschen direkt vom Himmel aus offenbaren würde, würden sie erschrecken und würden von seiner Erhabenheit verwirrt. Aber er zieht 5 Corpus Reformatorum (im Folgenden CR), Bd. XXX: Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia [ . . . ]. Ediderunt G. Baum, E. Cunitz, E. Reuss (im Folgenden: Calvini opera), Bd. II: Institutio christianae religionis, 1559. Braunschweig 1864, S. 776 f.

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es vor, den Schatz seiner himmlischen Weisheit in zerbrechlichen Tongefäßen zu verbergen, wo „irgendein kleines Menschenwesen, das sich aus Staub erhoben hat, in Gottes Namen spricht“ („ubi homuncio quispiam ex pulvere emersus in nomine Dei loquitur“). Der dritte Grund besteht darin, dass auf diese Weise das Verhältnis der „gegenseitigen Nächstenliebe“ zwischen den Menschen genährt wird: „nihil ad fovendam mutuam caritatem aptius erat, quam hoc vinculo homines inter se colligari, dum unus constituitur pastor qui reliquos simul doceat“. Die Tatsache, dass in der Kirche einige gewählte Diener des Wortes sind, macht deutlich, dass niemand selbstgenügsam ist und jeder der Werke anderer bedarf. Der Anspruch, sich selbst zu genügen, führt den menschlichen Hochmut vor Augen und geht in wechselseitige Verachtung über: „Si enim sibi quisque sufficeret, nec indigeret alterius opera, quae superbia est umani ingenii, contemneret quisque alios et ab illis contemneretur“. Schließlich entsteht die Gemeinschaftsbindung in der christlichen Nächstenliebe eben genau aus der göttlichen Entscheidung heraus, den Menschen die Botschaft der Errettung und des ewigen Lebens anzuvertrauen, „um sie den anderen durch ihre Hände weiterzugeben“: „Dum salutis et vitae aeternae doctrinam apud homines deposuit, ut per eorum manus reliquis communicaret“. Die Lektüre von Institutio IV, 3, 1 macht den diskursiven Passus von I, 26 verständlicher: vom Zitat „[ . . . ] non per angelos sed per homines“ bis zur Formulierung der communicatio, die auf der Unterschiedlichkeit der göttlichen Gaben und der Wechselbeziehung zwischen ihnen beruht. Die korrespondierenden Bezüge zwischen den Begriffen – mitunter bis in wortwörtliche Übernahmen – ist offensichtlich: „si enim sibi quisque sufficeret, nec indigeret alterius opera . . .“ (Calvin); „[ . . . ] sed aliis alia, ut ego tuis, tu meis indigeres“ (Althusius). Wir könnten schließlich beobachten, dass, weil Calvin hier vom Wort und seiner Weitergabe durch den Mund von Menschen handelt, in diesem Zusammenhang das communicare eine Bedeutung annimmt, die von dem heutigen linguistischen Gebrauch des Wortes nicht weit entfernt ist.6 3. Die Pluralität und Varietät der Charismen und die Einheit des Geistes wird von Paulus im 12. Kapitel seines ersten Briefs an die Korinther anhand des Bilds 6 Dazu kann man bemerken, dass im Französischen des 16. Jahrhunderts das Wort „communiquer“ bisweilen für die öffentliche Handlung des Bekanntmachens eines Dekrets verwendet wurde („communiquer le ban, zit. bei E. Huguet, Dictionnaire de la langue française du XVIème siècle, Paris 1932, s.v. communiquer). In anderen Fällen steht es (auch in der reflexiven Form „se communiquer“) für die persönliche Handlung, einen anderen an den eigenen Gefühlen, Meinungen, Zweifeln teilhaben zu lassen, um Rat, Belehrung etc. zu erhalten; so zum Beispiel in der Astrée von Durfé: „Sylvie fust d’avis de se communiquer au sage Adamas afin d’en sçavoir son opinion“ (Huguet, ebd.). In den Essais (I, 127) schreibt Montaigne: „Il ne communiqua à personne cet advertissement“; und in Essais I, 56: „On apprend toujours quelque chose par la communication d’autrui“ (Littré, Dictionnaire de la langue française, s.v. Communiquer und communication).

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vom Körper und den Gliedern beschrieben. Althusius erwähnt den Text, wie gesehen, in I, 25. In dieses Bild fügt sich offensichtlich auch der Dienst des Wortes ein, von dem Calvin in Institutio IV, 3, 1 handelt. Entsprechende Argumentationen, in denen die Begriffe communicare und communicatio wiederkehren, finden sich folglich im exegetischen Kommentar des Reformators zu den Ausführungen des Apostels (lateinische Ausgabe von 1551).7 Die Erklärung in I Korinther 12, 4 („Divisiones autem donorum sunt etc.“) setzt mit folgender Aussage ein: „Symmetria ecclesiae multiplici (ut ita loquar) unitate constat: hoc est, dum varietas donorum ad unum scopum tendit“. An dieser Stelle führt Calvin das Bild von der Symphonie und vom Konzert ein: „sicuti in symphonia varii sunt cantus, sed tali proportione inter se temperati, ut unum efficiant concentum“. Folgendes ist dabei interessant: Bevor er das zentrale Sinnbild des paulinischen Texts kommentiert (den Körper und seine Glieder, Vers 7 und folgende), das natürlich und organisch ist, überträgt der Reformator die Analogie auf die Ebene der menschlichen Kunst und Kultur, die mehr dem gegenseitigen Handeln entspricht, über das er im Folgenden im Kommentar spricht. Die Aufforderung des Apostels, fährt Calvin fort, lässt sich wie folgt zusammenfassen: ein jeder muss die Gaben, die ihm Gott verliehen hat, im Verhältnis der eigenen Berufung annehmen; wer sie genießen will, indem er sich von den anderen absondert, unterdrückt sie; die Gaben müssen im Gegenteil der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden („in unum cumulum conferre“), womit man mit dem Unterschied die Einheit schafft: „in distinctione esse unitatem: quia unus spiritus sit fons omnium donorum“. Im Kommentar zu Vers 11 („Haec autem omnia operatur unus atque idem Spiritus, dividens singulis prout vult“) fügt Calvin hinzu, dass die Harmonie von jenen zerstört wird, die sich nicht in der „Kommunikation“ engagieren: „Unde sequitur perperam facere, qui nulla communicationis cura dissipant sanctam illam harmoniam, quae suis demum omnibus numeris apte constat“. Das Stichwort (vgl. Inst. IV, 3, 1) wird also wieder aufgegriffen, dass niemand selbstgenügsam ist und alle der Werke der anderen bedürfen („neminem tantum habere ut sibi ipse sufficiat, nec indigeat ope aliorum“). Also: „distribuit ergo nobis spiritus Dei, ut in commune conferamus: nulli totum largitur, ne quis sua sorte contentus ab aliis discessionem faciat vivatque sibi soli.“ Die Begriffe „Kommunikation“ und „gegenseitiges Handeln“ kommen in der Erklärung der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Gliedern immer wieder vor. In Vers 15 sagt der Fuß: „quoniam non sum manus, non sum de corpore“. Calvin bemerkt dazu: „non esse de corpore hic significat non habere ullam communicationem cum aliis membris“. In Vers 17 heißt es: „si totum corpus oculus: ubi auditus?“ Der Kommentar: „Est enim impossibile, corpus incolume manere et salvum, nisi diversae sint membrorum facultates et mutua ultro citroque actio“. 7

CR, Bd. LXXVII: Calvini opera, Bd. XLIX. Braunschweig 1892, S. 496 – 508.

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Schließlich erweist sich die Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten und der Ämter als Antwort auf das Ziel der gegenseitigen Verbindung, die den Körper am Leben erhält: „et sic membra differre inter se officiis et facultatibus ut mutuam inter se colligationem habeant ad corpus conservandum“ (zu Vers 20: „Multa membra, unum corpus“). 4. Der Thesaurus absconditus (I, 23) ist das Talent, dass der misstrauische Diener in der Erde verborgen hat, um es ungemindert, aber ohne Zugewinn dem Herren zurückzugeben (Matth., 25, 25: „et timens abii, et abscondi talentum tuum in terra“). Der Kommentar von Calvin zum Gleichnis der Talente (in der Harmonia evangelica, lat. Ausgabe 1555, französische Ausgabe 1561)8 ist im Hinblick auf die exegetische Tradition äußerst innovativ. Während diese vorwiegend den „Zugewinn“ des den Dienern anvertrauten Kapitals unter dem Gesichtspunkt des individuellen ethischen Verhaltens interpretiert (Einsatz in der Arbeit, Eifer und Sorgfalt, geistiges Wachsen), erklärt es der Genfer Reformator dagegen anhand der Dynamik des Austauschs und der „mutua inter homines communicatio“. Die Analogie zwischen dem Leben der Gläubigen und den Formen des weltlichen und künstlerischen Handelns (die im Kommentar zu I Korinther 12 die des Konzerts ist) bezieht sich jetzt auf den Markt. Die Abhandlung betrifft zwar die „Compagnie des fidèles“ (ein laizistischer Begriff, der aus der assoziativen Praxis des kommunalen Umfelds stammt), dehnt sich aber auf die Gesamtheit des sozialen Lebens aus. Während nämlich in I Korinther 12 von den Charismen des Heiligen Geistes die Rede ist, erklärt der Reformator hier, dass die den Dienern anvertrauten Talente ohne Unterschied hinsichtlich „Geist“ und „Natur“ für alle göttlichen Gaben stehen: für die natürlichen Befähigungen und die individuellen Anlagen, für ihre Wirksamkeit in den von Gott festgelegten Aufgabenbereichen und sogar für die „Gelegenheiten zum Handeln“: „Nempe quia Deus, prout quemque disposuit, et naturalibus ornavit donis, ita etiam hoc velut illud iniungit, in rebus agendis exercet, provehit ad varias functiones, materiam praeclare agendi suppeditat, occasionem etiam proponit (zu Matth. 25, 15: „Unicuique secundum propriam facultatem“)“. Diese stark pragmatische Konnotation der göttlichen Gaben findet eine Entsprechung in der Handelstätigkeit (negotiatio), die vom Gleichnis heraufbeschworen wird. Calvin entwickelt den Vergleich im Kommentar zu Vers 20: Es empfiehlt sich, ihn in den zwei Versionen – auf Lateinisch und auf Französisch – zu lesen: Letztere bedient sich nämlich der Umgangssprache und seines Vokabulars und weist einige interessante Varianten auf. 8 CR, Bd. LXXIII: Calvini opera, Bd. XLV. Braunschweig 1891, S. 565 – 570. Die lateinische Ausgabe des Kommentars zur Harmonia evangelica ist den „Herren Bürgermeistern und dem Rat der ehrbaren Stadt Frankfurt“ mit Datum vom 1. August 1555 gewidmet. Die französische Übersetzung ist in Genf von Conrad Badius 1561 angefertigt worden, drei Jahre vor dem Tod des Reformators. Die Zitate sind dem vollständigen Nachdruck [Paris 1854] entnommen.

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Mario Miegge

[Lateinische Ausgabe, 1555], Vers 20: „Qui quinque talenta“. „Dicuntur negotiari, qui utiliter impendunt quidquid Deus apud ipsos deposuit. Piorum enim vita negotationi apte confertur, quia ultro citroque ad fovendam societatem inter se contrahere debent. Industria autem, qua quisque munus sibi mandatum exsequitur, ipsaque vocatio, facultas bene agendi, et reliqua dona in mercibus deputantur, quia ad hunc usum et finem spectant, ut mutua sit inter homines communicatio. Fructus autem, cuius meminit Christus, communis est utilitas, quae Dei gloriam illustrat“. [Französische Ausgabe, 1561]: „La vie des fidèles est bien proprement comparée à un train de marchandise, pource qu’ils doyvent comme faire eschange et trocquer les uns avec les autres pour entretenir la compagnie. D’avantage, l’industrie de laquelle un chacun exerce sa charge, et la vocation mesme, la dextérité de bien conduire, et autres graces, sont comme marchandises, pource que la fin et l’usage en est, qu’il y ait une communication mutuelle entre les homes. Et le gain, duquel Christ fait mention, c’est le proufit ou l’avancement de toute la compagnie des fidèles en commun, lequel tourne à la gloire de Dieu“.

Zusammengefasst: a) Die Analogie zwischen den Handelsaktivitäten (negotiatio, „train de marchandise“) und dem Leben der Gläubigen ist vollkommen sachbezogen (apte confertur), weil diese untereinander den Austausch pflegen müssen („faire eschange“) ad fovendam societatem, „pour entretenir la compagnie“. b) „Talent“ ist die Tätigkeit, „industria“, durch die die Gläubigen die einem jeden von ihnen zugewiesenen Aufgaben (munera, „charges“) erfüllen, das heißt eben genau ihre Berufung (ipsaque vocatio, „la vocation mesme“). c) Die göttlichen Gaben sind den Waren gleichsetzbar („in mercibus deputantur“, „sont comme marchandises“), weil sie in Umlauf gebracht werden müssen, damit es eine mutua inter homines communicatio gibt, „une communication mutuelle entre les hommes“. d) Der Gewinn (fructus, „gain“, „proufit“) ist als Produkt der Tauschhandlungen in der lateinischen Ausgabe die communis utilitas. Die französische Übertragung spricht dagegen weit innovativer von „avancement de toute la compagnie des fidèles en commun“. Im Französischen des 16. und 17. Jahrhunderts hat „avancement“ (wie „advancement“ im Englischen der Zeit) eine Bedeutung die dem gleichkommt, das später als „Fortschritt“ bezeichnet wird. e) Dieser „Zugewinn“ verleiht Gott Ruhm („Dei gloriam illustrat“). 5. Im Kommentar Calvins zum Gleichnis von den Talenten ist die mutua communicatio also die grundlegende Struktur der Gemeinschaft der Gläubigen und bringt „l’avancement“ hervor. Sie zählt nicht zu den Mitteln sondern zu den Zielen: Die göttlichen Gaben müssen wechselseitig aktiviert werden „ut mutua sit inter homines communicatio“. Eben diese Interaktion verleiht Gott Ruhm – jenem Herren, der genau von seiner Seite aus den Menschen den „colestis suae sapientiae

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thesaurum“ (Inst. IV, 3,1) „kommunizieren“ wollte „non per angelos sed per homines“. Wir wissen nicht, ob Althusius, der die Institutio christianae religionis gut kannte, auch die Kommentare des Reformators zu den Evangelien und zu den Apostelbriefen gelesen hat, die sich mit Sicherheit in den Bücherregalen der reformierten Universitäten in Herborn und anderswo befanden. Die Ähnlichkeit der Argumente, der Begriffe und des Wortschatzes sind jedoch offensichtlich. Auf der anderen Seite erklärt Althuius in seiner Politica I, 26: „quae communicatio non nisi in politica vita sociali fieri poterat“. Man könnte daher schließen, dass Althusius in diesem Abschnitt die Politik mit der höchste Legitimation versehen und die Lehre des Heiligen Paulus und von Calvin über die Unterschiedlichkeit und das Wechselspiel der göttlichen Gaben in der Kirche vollständig „säkularisiert“ hat. Diese Interpretation passt jedoch nicht zum Profil des militanten Calvinisten Althusius, der nicht nur den Unterschied zwischen dem ordo sacer vel ecclesiasticus und den „weltlichen Ständen“ feststellt, sondern auch die vollständige Autonomie der Kirche von jeder Einflussnahme des Magistrats fordert (VIII, 31 – 32, XXVIII, 48). Außerdem: Wenn man dennoch von Säkularisierung sprechen möchte, muss man daran erinnern, dass Calvin selbst ein Laie war (und ein Jurist wie Althusius). Im Kommentar zum Gleichnis von den Talenten ist der Vergleich zwischen dem Leben der Gläubigen und der Handelsaktivität keine einfache Metapher: die „Analogie“ drückt vielmehr eine Homologie aus. Insofern das weltliche Handeln (in diesem Fall die Wechselbeziehung in der Handelsökonomie) auf die mutua inter homines communicatio reagiert, wird es auf die Ebene der vocatio gehoben. Nicht selten würdigt der Genfer Reformator die politischen Philosophen des Altertums – so zum Beispiel im Kommentar zu Exodus 22, 25, wo es heißt: „Viderunt id quoque profani scriptores, licet non satis dilucide: quum omnes hominum causa geniti sint, non recte coli vitae communitatem nisi inter se officia conferant“9. Abermals ist die französische Ausgabe deutlicher und in Hinblick auf unseren Gegenstand passender: Die profanen Autoren „ont remontré que les hommes sont nés les uns pour les autres, et par conséquent qu’ils doivent communiquer mutuellement ensemble pour maintenir la communauté du genre humain“10. Die Gemeinschaft des Menschengeschlechts ist nicht in den Grenzen des kirchlichen Lebens eingeschlossen, sondern entspricht sicher ebenfalls dem göttlichen Plan.

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CR, Bd. LII, Calvini opera, Bd. XXIV. Braunschweig 1882, S. 679. Zitat bei A. Biéler (FN 3), S. 235.

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Concordia (Harmonia) 1. Wenn man die Hauptlinien einer Entwicklungsgeschichte der wichtigsten Verwendungszwecke, der Bedeutungsvarianten und der Anwendungen der Worte concordia und harmonia (die bezeichnender Weise nicht selten mit einander verbunden sind) von den Anfängen bis in die Zeit von Althusius nachzeichnen wollte, und zwar in den Sprachen, die in den verschiedenen intellektuellen Kontexten der klassischen Antike und Westeuropas gebräuchlich waren, dann würde das, auch wenn man sich allein auf die Quellen und auf die Verwendungsweisen der Worte, die von politisch-sozialem Interesse sind, konzentrieren wollte, bedeuten, dass man fast das gesamte politische Denken der Antike, des Mittelalters und des Humanismus durchgehen müsste; dabei würde man einen ebenso speziellen wie reichhaltigen und vitalen Strang ihrer Entwicklungsgeschichte beleuchten. Um hier nicht die Ausführungen über die im Zusammenhang mit der Politica des Althusius angeführten Quellen vorwegzunehmen, möchte ich mich hier lediglich auf einige vereinzelte Bemerkungen beschränken. Sie sind eher Ausfluss von Begegnungen und gelegentlichen Erinnerungen als Ergebnisse einer systematischen Untersuchung, die zuvor unzweifelhaft in der lexikalischen Tradition und im begrifflichen Erbe der humanistischen Gelehrten des späten 16. Jahrhunderts zusammengeflossen sind. Generell ist zu betonen, dass sich beide Begriffe, ob sie nun einzeln verwendet oder – und dies weitaus sinnvoller – miteinander verbunden verwendet werden und einander gleichgestellt sind, gewöhnlich ausdrücklich auf plurale und differenzierte, nicht selten unter organizistischem Aspekt konzipierte oder dargestellte Wirklichkeiten beziehen, von denen sie ein funktionales und zugleich hierarchisches und unitarisches Modell zu liefern bestrebt sind. Bezogen auf die griechische Lebenswelt findet sich im vierten Buch der platonischen Republik ein Abschnitt (431e – 432e), der die folgende Literatur zur Politik unweigerlich beeinflusst hat; in ihm werden im Zusammenhang mit der Besonnenheit (óùϕρïóýíç, sofrosúne), jener Tugend also, die zusammen mit der Gerechtigkeit die ideale Stadt auszeichnet, die Begriffe concordia (1ìüíïéá, homónoia) und armonia (%ρìïíßá, harmonía; óõìϕïíßá, symfonía) ausdrücklich mit den optimalen Beschaffenheiten der sozialen und politischen Ordnung in Verbindung gebracht und auf sie bezogen. Die Besonnenheit ist faktisch einer „Harmonie“ und „Symphonie“ gleichgestellt: Sie wird auch als „Ordnung“ (κüóìïò, kósmos) verstanden1 und passt nach den Worten des Sokrates zu der Regierung der

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Minderheit von Besseren über die Mehrheit von Mittelmäßigen, wobei übrigens die einen wie die anderen – oder die Regierenden und die Regierten – im Hinblick auf die unabdingbaren Erfordernisse für den Zugang zur Macht einer Meinung sind; genau wie die Harmonie, die sich auf den gesamten Tonumfang der Musik erstreckt, erstreckt sich die Besonnenheit „auf die gesamte Stadt . . . und lässt nach dem vollkommenen harmonischen Gesetz die in derselben Beziehung Schwächsten zusammenstimmen mit den Stärksten und Mittleren [ . . . ]. So dass wir also, fährt Sokrates fort, „vollkommen richtig sagen können, diese Einmütigkeit [kursiv von der Verf.] sei Besonnenheit, nämlich des von Natur Besseren und Schlechteren Zusammenstimmen darüber, welches von beiden herrschen soll, in der Stadt sowohl als in jedem Einzelnen.“2 In diesem Abschnitt ist schon die vorherrschende politisch-soziale Konnotation des Begriffs und des gedanklichen Konzepts der concordia vorgezeichnet, die anschaulich als Übertragung der musikalischen Harmonie auf den politischen Bereich dargestellt ist – eine Konnotation, die sich in den Hauptwerken des mittelalterlichen und neuzeitlichen Denkens wiederfindet und besonders bei Althusius herausgestellt wird. 2. Wird auf das Wort harmonia in seiner ursprünglichen Bedeutung einer Verbindung und eines Einklangs verschiedener Töne der Tonleiter zurückgegriffen, um eine Ähnlichkeit zu umreißen und nicht selten eine regelrechte politische Metapher zu bilden, so drückt der Begriff concordia vor allem die Idee aus, die in der nachfolgenden Tradition fest eingewurzelt und in Reinform in der Politica methodice digesta vorkommt: Die Idee einer von allen unterschiedlichen Komponenten (auch wenn sie nach Auffassung der Autoren den Regierenden mehr oder weniger rational bewusst ist) geteilten Annahme der Ziele der Gemeinschaft und der grundlegenden Regeln ihrer Organisation und Leitung. In eben diesem Sinne müsste auch der der 1ìüíïéá (homónoia) gewidmete Abschnitt im neunten Buch der Nikomachischen Ethik des Aristoteles von großem Einfluss sein: Die Eintracht ist dort als ein Gefühl der Freundschaft definiert, oder besser und genauer: als „eine politische Freundschaft“: Weit davon entfernt, Meinungsgleichheit unter den Bürgern einer und derselben Stadt herbeizuführen, entspricht sie genau ihrer Übereinstimmung hinsichtlich der wichtigsten Dinge, die im gemeinsamen Interesse „im Bezug auf das, was dem Leben dient“ zu unternehmen sind. Auch Aristoteles führt als sinnbildlichen Ausdruck der Eintracht die Übereinstimmung zwischen dem Volk und der „regierenden Klasse“ hinsichtlich der Überzeugung an, dass die Macht den Besseren zusteht. Das genaue Gegenteil der Eintracht ist der Bürgerkrieg, der das Ergebnis selbstsüchtiger Begierden von „minderwertigen Menschen“ darstellt3. Plato, ðïëι-ôåßá / Der Staat, IV, 430e. Ebd., IV, 431e – 432a. Zitat aus: Platon, ðïëι-ôåßá / Der Staat. Bearbeitet von Dietrich Kurz. Griechischer Text von Émile Chambry, deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, Darmstadt 1990, S. 317 – 319. 3 Aristoteles, Nikomachische Ethik, IX, 6. Zitate aus: Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier. Anmerkungen von Ernst A. Schmidt, Stuttgart 1990, S. 254 – 256. 1 2

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In einem Abschnitt von De republica (II, 69), dem Dank eines Zitats bei Augustinus (De civitate Dei II, 21) in den folgenden Jahrhunderten große Bekanntheit beschieden war, und der auch in der Politica des Althusius einen besonderen Platz einnimmt, wobei er vor allem über Autoren wie Gentillet, Bodin und Petrus Gregorius vermittelt wurde, vermacht Cicero der römischen Kultur, aber auch der mittelalterlichen und humanistischen, eine regelrechte klangliche Ikone der civitas, die er als einmütige und harmonische soziale Polyphonie beschreibt: Ut in fidibus ac tibiis, atque ut in cantu ipso ac vocibus concentus est, quidam tenendus ex distinctis sonis, quem immutatum ac discrepantem aures eruditae ferre non possunt, isque concentus ex dissimillimarum rerum moderatione concors tamen efficitur et congruens: sic ex summis et mediis et infimis ordinibus, ut sonis, moderata ratione civitatem consensu dissimillimorum concinere: et quae armonia a musicis dicitur in cantu, eam esse in civitate concordiam, arctissimum atque optimum in republica vinculum incolumitatis, eamque sine iustitia nullo pacto esse possit.4

Wenn der Begriff concordia in seiner Bedeutung von bürgerlichem Zusammenhalt verschiedener sozialer Klassen häufig als Wert vorkommt, der in höchsten Tönen gelobt wird, und der der discordia der Auseinandersetzungen zwischen den Bürgern in der römischen Geschichtsschreibung gegenübergestellt wird, wo im Übrigen seit den frühesten Zeiten die vergöttlichte Concordia Gegenstand kultischer Verehrung war und in der Populärkultur in Form des häufig zitierten und berühmten Sprichwort gegenwärtig ist, das öfters auch von Althusius angeführt wird, nämlich „concordia mutua res parvae crescunt, et magnae discordia dilabuntur“ (XXXVI, 15), dann tritt im Christentum über die Patristik und die folgende kirchliche Literatur zu dieser Bedeutung eine neue Bedeutung und ein neues Modell von höchster Autorität hinzu, die gleichermaßen Verbreitung finden, wobei beide Bibeltexten entnommen sind. Sie entstammen besonders dem bekannten und überaus einflussreichen Passus der Apostelgeschichte, in dem die Urkirche von Jerusalem beschrieben wird, dem zufolge die Vielzahl der Gläubigen „ein Herz und eine Seele“ hatte (12,32 – 33); sie entstammen aber auch – und vor allem – den Briefen des Heiligen Paulus, die dank der Verschmelzung mit stoischen Motiven, die in der Zeit des Hellenismus verbreitet waren, zur Wiederaufnahme einer regelrechten politischen Ideologie der homónoia beigetragen haben, die sich in der Kaiserzeit als überaus funktional herausstellen sollte5; nicht zuletzt gehen sie aber 4 Bezeichnenderweise ist der Abschnitt als erster einer kleinen Serie von „kurzen Passagen“ aus herausragenden politischen Autoren, die sich mit der respublica befasst haben, abgedruckt, als eine gebührende Beigabe und Einleitung in den Text von Seiten des Druckers, der 1608 in Straßburg eine Ausgabe des Werks De institutione Reipublicae von Francesco Patrizi veröffentlicht. Vgl. Franciscus Patricius, De institutione Reipublicae libri IX ad Senatum populumque senensem scripti, Argentorati, Impensis Lazari Zetzneri, 1608. Das Zitat ist diesem Text entnommen. 5 Da ich das Thema nicht im geringsten vertiefen kann, beschränke ich mich darauf, einige prägnante aber im Folgenden nicht vertieft behandelte Stichworte zu benennen, auf die in diesem Zusammenhang G. H. Sabine eingegangen ist, mit besonderem Bezug auf einige

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auch auf eine Fülle von Stellen des Alten Testaments zurück (unter anderem auf die von Althusius häufig zitierten Texte Sir. 25, 26 und Psalm 1327). Der Begriff concordia wird so in erster Linie Ausweis einer spirituellen Gemeinschaft, die auf das Teilen derselben Glaubensauffassungen und auf dem Praktizieren der christlichen Vorschrift der geschwisterlichen Liebe und der gegenseitigen Solidarität gründet. Sein Gegenteil ist nicht mehr der Bürgerkrieg oder grundsätzlich Krieg, sondern der Verzicht auf die charitas gegenüber Gott und dem Nächsten und die Teilung der Kirche bis hin zum größten Übel des Schismas und der Häresie. Während sich in der Theologie, der Philosophie und der Jurisprudenz des Hochmittelalters das Streben nach der reductio ad unum des gesamten Systems der irdischen Mächte und Wissensbestände nach den Wahrheiten der Offenbarung und den Richtlinien der Lehre und der Normen der kirchlichen Autorität immer deutlicher durchsetzt, wird der Begriff concordia jetzt wie im Falle der Concordantia discordantium canonum von Gratian immer mehr teils in der Suche nach einer vereinheitlichen Rationalisierung eingesetzt, teils in konkreten und bisweilen heftigen und verheerenden Krisensituationen auf die konkreten Mittel der Wiederherstellung der Übereinstimmung und der Einheit angewandt – Krisensituationen, die dazu führen, dass im Reich und in den einzelnen Königreichen die Inhaber der geistigen Macht und die weltlichen Herrscher sich feindselig gegenüberstehen und in denen die kirchliche Hierarchie oft zerrissen und entzweit ist. Genau im Verlauf der Krise, die uns als die schwerste in der mittelalterlichen Kirche erscheint, bringt das Werk De concordantia catholica des Nikolaus von Kues (1433), ein Werk, das schon von humanistischen Motiven durchzogen ist, die stark vom Denken des Lullus und der christlich-neuplatonischen Tradition beeinflusst sind, mit Bezug auf das Ziel der unio der Kirche die klassische Verbindung von Eintracht (concordantia) und Harmonie wieder zum Ausdruck, zwischen Vielheit und Einheit, eine Harmonie, die vor allem auf geistiger Ebene verwirklicht werden kann: Concordantia enim est id, ratione cuius ecclesia catholica in uno et pluribus concordat, in uno domino et pluribus subditis. Et ab uno infinitae concordantiae rege pacifico luit illa dulcis concordantialis harmonia spiritualis gradatim et seriatim cuncta membra subjecta et unita, ut est unus Deus omnia in omnibus8.

Untersuchungen von Tarn und Fisch, die bei ihm in Anmerkung 1 und auf S. 119 zitiert sind (vgl. G. H. Sabine, Storia delle dottrine politiche, Mailand 1962, S. 116 – 120). 6 „In tribus placitum est spiritui meo quae sunt provata coram Deo et hominibus concordia fratrum et amor proximorum et vir et mulier sibi consentientes“. 7 Nach heutiger Zählung (Althusius zitiert ihn noch als Psalm 133): „Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum“. 8 Zitiert bei M. Merlo, „Vinculum concordiae“. Il problema della rappresentanza nel pensiero di Nicolò Cusano, Mailand 1997, S. 29, Anm. 6.

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Die Kirche selbst „ab unitate et concordantiali congregatione dicitur, quod ipsa ex fraternitate constituitur, cui nihil proprie tantum contrariatur, sicut discissio sive schisma“9. Nach der Vorstellung des Konziliaristen Cusanus kommt die Concordia bezeichnenderweise in ihrem ganzen positiven Wert im Konzil zum Ausdruck, wo die Repräsentanten der Kirche „zusammen kommen“, vereint in einer und derselben intentio und einem sentire, und verwirklichen durch die freie Diskussion das „Zusammenstimmen von vielem in einem“10. Neben der immer reicheren, aber auch immer stärker an das klassische Erbe gebundenen Tradition der Gebrauchsformen von concordia vor allem der politisch ausgerichteten Publizistik, entwickelt und verbreitet sich im Laufe des 16. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Reformation und der Religionskriege eine spezielle Bedeutung des Begriffs, die Mario Turchetti in seiner breit angelegten und tiefgreifenden Untersuchung zu François Baudouin nachgewiesen und äußerst sorgfältig belegt hat: jene der concordia als Suche und Erzielung der religiösen Wiedervereinigung dank gegenseitiger Konzessionen und dem Anerkennen eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses11. Bezeichnenderweise gibt es sie schon bei Erasmus, der ein De amabili in Ecclesia concordia betiteltes Werk schreibt, den Traum von der concordia, und der in diesem Sinne für einige Jahre die Bemühungen und die Schriften der deutschen Ireniker und jene der französischen „Moyenneurs“ bestimmt, bis die concordia mit dem Ausgang des Konzils von Trient erbärmlich untergeht, ohne jedoch vollkommen zu erlöschen. Entschieden antithetisch zu dieser Sicht der concordia und ihrem semantischen Bedeutungsfeld ist der Begriff harmonia, der den Angelpunkt des gesamten Werks von Jean Bodin bildet, der sich im Umfeld der Religionskonflikte stark auf der Gegenseite der „Toleranz“ engagiert. Er ist, wie Vasoli nahelegt12, stark den Motiven der hermeneutischen und neuplatonischen Tradition verbunden, die vom Humanismus aufgegriffen wurden und transponiert sie und weitete sie zu einer totalisierenden philosophisch-religiösen Konzeption aus, die sich zweifelsohne von der christlichen Orthodoxie unterscheidet und die ihren letztendlichen Ausdruck Zitiert ebd., S. 49. Ebd., S. 54. 11 Vgl. M. Turchetti, Concordia o tolleranza? François Baudouin (1520 – 1573) e i „Moyenneurs“, Mailand 1984, vor allem Parte Seconda und Parte Terza, S. 147 – 449. Auf diese spezielle historische Bedeutung des Begriffs „concordia“ ist Turchetti erst kürzlich wieder zurückgekommen: vgl. ders., Une question mal posée: la „Tolérance“ dans les édits de janvier (1562) et d’Amboise (1563). Les premiers commentaires et interprétations: Jean Bégat, in: La formazione storica dell’alterità. Studi di storia della tolleranza nell’età moderna offerti a Antonio Rotondò, Florenz 2001, Bd. 1, S. 245 – 294, hier besonders S. 247. 12 Vgl. C. Vasoli, Jean Bodin e il neoplatonismo del Rinascimento, in: A. E. Baldini (Hrsg.), Jean Bodin a 400 anni dalla morte. Bilancio storiografico e prospettive di ricerca. Il pensiero politico 30 (1997), S. 184 – 204; in dieser Hinsicht zur theologisch-philosophischen Thematik der „Weltenharmonie“ in der Ausarbeitung des Humanismus vgl. auch C. Vasoli, Intorno a Francesco Giorgio Veneto e all’armonia del mondo, in: ders., Profezia e ragione. Studi sulla cultura del Cinquecento e del Seicento, Neapel 1974, S. 129 – 403. 9

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im Colloquium heptaplomeres findet, die aber bereits in den politischen Schriften klar angelegt ist. Da ich hier aus Platzgründen das Thema nicht vertiefen kann, verweise ich auf das konsistente Werk von Andrea Suggi, das diesem Thema gewidmet ist. Es bietet eine politische Analyse des Werks, die auf dem neuesten Stand der Forschung ist, und bringt eine Untersuchung zur speziellen Verwendung der Themen concordia und harmonia von Seiten Bodins inklusive einer auf den neuesten Stand gebrachten Bibliographie13. 3. Der Gebrauch, den Althusius von den beiden hier in Frage stehenden Begriffen macht, bleibt absichtlich auf das Gebiet der Politik begrenzt, was sicher auch in Übereinstimmung mit seinen methodologischen Problemen steht, die in erster Linie jede fachliche Grenzüberschreitung vermeiden wollen14. Der concordia kommt dabei ohne Zweifel eine bevorzugte Stellung zu, während die Verwendung von harmonia besonders der klassischen und patristischen Tradition folgt und vor allem ihre erklärende und gewissermaßen dienende Funktion behält. Der Hinweis auf den politischen Wert der concordia durchzieht mit einer absolut einzigartigen Insistenz, die schon Züge der Repetition annimmt (an der es mitunter wirklich nicht fehlt), die gesamte Gedankenentwicklung des gewichtigen Hauptwerks von Althusius15. Diese Insistenz nimmt ein Maß an, dass es berechtigt erscheint festzustellen, dass eben in der alles durchdringenden Idee der concordia und in der Sorge, die Probleme zu berücksichtigen, die ihrer effektiven Verfolgung auf den verschiedenen Ebenen des Ausdrucks der sozialen und politischen Erfahrung innewohnen, dass in dieser Idee, die in der Politica methodice digesta systematisch beschrieben und analysiert wird, man einen neuralgischen Punkt der politischen Vorstellung des Althusius ausmachen muss; es ist ein Knoten, der bezeichnenderweise von jenem so sehr von der Geschichtsschreibung gefeierten und diskutierten Knoten untrennbar ist, der von der Idee der consociatio verkörpert wird, die auf einer Abmachung eines gegenseitigen Austauschs und einer auf ein Ziel ausgerichteten Gemeinschaft zwischen Individuen oder zwischen „symbiotischen“ Körpern gründet. Mit dem Thema der concordia, das ein echtes Leitmotiv des Diskurses und der komplexen soziopolitischen Architektur darstellt, die Althusius in seinem gelehrten Traktat entwickelt, assoziiert er das Thema der harmonia – wenn auch sehr viel seltener und mit einer allenfalls verstärkenden Wertigkeit, die nicht frei von konservativen Konnotationen ist; die entsprechenden Abschnitte erscheinen fast immer bezeichnend für ein statisches Ideal einer sozialen Hierarchie; und dies13 A. Suggi, Sovranità e armonia. La tolleranza religiosa nel „Colloquium Heptaplomeres“ di Jean Bodin, Rom 2005. 14 Dazu vgl. den Artikel von A. Lazzarino Del Grosso zu Methodus im vorliegenden Band. 15 Der Begriff concordia kommt mehr als einmal (mit einer Spitze von sechs Nennungen in Kapitel XXXIX) in gut 22 der 39 Kapitel vor, aus denen die Politica in den Ausgaben von 1610 und 1614 besteht (Kap. I, II, IV, VII, VIII, IX, XI, XVII, XVIII, XIX, XXIII, XXIV, XXVII, XXVIII, XXIX, XXXI, XXXII, XXXIV, XXXVI, XXXVII, XXXVIII, XXXIX).

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bezüglich fällt das Fehlen jener größeren Ausführlichkeit bei einem politisch, theologisch und kosmologisch denkenden Menschen auf, der entschieden offener für die sozialen Entwicklungen ist, die typisch für die Ideale von Harmonie und harmonischer Justiz von Bodin sind. Letztere ignoriert Althusius merkwürdigerweise, der trotz des radikalen Unterschieds im Hinblick auf die Konzeption der Souveränität und des Verhältnisses zwischen dem Inhaber des summum imperium und dem „Volk“ und seinen „Ständen“, und im Hinblick auf andere nicht unwichtige Punkte, großzügig auf die République zurückgreift und es nicht versäumt oft sein Einverständnis mit dem Werk zu bekunden und den Leser mit einer überaus großen Zahl von bibliografischen Angaben auf das Werk zu verweisen. Es ist zum Beispiel auffällig, dass die bezeichnendsten Abschnitte der Politica über die Harmonie auf denselben und einigermaßen nichtssagenden Passus von Petrus Gregorius verweisen, der dem vierten Buch von De republica entnommen ist16, der gute drei Mal wiedergegeben wird, ohne dass nur einmal – und nicht einmal kritisch – die breite Behandlung des Themas der harmonischen Justiz bei Bodin zitiert würde. Man fragt sich angesichts dessen, ob dies ein Zufall ist oder man als Frage eine erste auf eine Verdeutlichung zielende Hypothese wagen sollte, die selbstverständlich vertieft und verifiziert werden muss: Ist der bodinsche Begriff der Harmonie, der vor allem unter Gesichtspunkten der mathematisch-musikalischen Theorie entwickelt wurde17, vielleicht zu sperrig für die eher juristische und biblische als humanistische Kultur des Althusius? Oder schrecken ihn die Forderungen ab, die Bodin an die Monarchen richtet, im Namen der Harmonie den verdienstvollen roturiers ohne Vorbehalte den Zugang zu jeder Art öffentlicher Ämter zuzugestehen, einschließlich der höchsten Ämter, sowie über „gemischte“ Ehen 16 Petrus Gregorius, De republica libri sex et viginti in duos tomos distincti, Lugduni (Sumptibus Ioannis Baptistae Baysson) 1596, Lib 1. VI., Cap. I, 5, S. 281 – 282. Hier der Text des von Althusius vollständig wiedergegebenen Passus: „Neque potest respublica sola aequalitate arithmetica constare: sed sicut ex contrariis elementis, syderumque oppositis motibus mira harmonia temperatus est mundus: ita diversis hominum studiis, gradibus, ordinibus, qualitatibus et conditionibus constat respublica. Et sicut ex diversi toni fidibus, ad Symmetriam intensis, sonus dulcissimus et melodia suavis, gravibus mediis et acutis coniunctis: ita conventus societas in republica imperantium, et oboedientium, divitum, pauperum, artificum, sedentariorum, et id genus diversorum graduum personarum statu, quam suavissimus oritur et conveniens si ad concentum reducatur, efficitur concordia laudabilis, foelix et pene divina et durabilior. Ratio, quia ita, quod uni voci deest, ex alia suppletur: et quod uni deest, ab alio communicatur. Neque bona harmonia nasci potest ex chordis unius toni, ut videtur, chorda qui semper oberrat eadem, nec respublica posset consistere si omnes essent aequales. Non possunt etiam esse divites omnes. Nam dum non possent subsistere, cum sibi mutuo contemnerent obsequi aut inservire, quod non faciunt pauperes. Atque si omnes aequales, singuli pro arbitrio vellent alios regere, et alii recusarent regi, hincque esset facilis discordia: et ex discordia, dissolutio societatis: nullus esset gradus virtutis, nullus meritorum, et sequeretur ut ipsa aequalitas esset summa inaequalitas, ut ait Plato (in 6. de legibus)“. Vgl. Politica, I, 36 f.; IX, 8; XIX, 23. 17 Dazu vgl. P. Magnard, Le modèle musical chez Jean Bodin, in: H. Dufourt / J. M. Fauquet / F. Hurard (Hrsg.), L’Esprit de la musique. Essai d’esthétique et de philosophie, Paris 1992, S. 73 – 82.

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ihnen die Familienkreise der Adeligen und der Reichen zugänglich zu machen?18 Oder sieht er vielleicht außerdem als schrifttreuer Calvinist etwas Gefährliches oder wenig Orthodoxes (wie es das Colloquium aufgezeigt haben könnte) in der gewagten bodinschen Sicht der Harmonie der Welt, die dem „großen Gott in der Natur“ zugeschrieben wird, der auf den letzten Seiten der République verherrlicht wird? Dies sind vielleicht phantasievolle Fragen, die womöglich dazu verurteilt sind, zu keinem Ergebnis zu führen; aber sie sind doch recht anregend. Das Ausloten dieser Dinge kann angesichts einer möglichen Antwort auf jeden Fall dazu beitragen, das weite Gebiet – und sei es anhand einer offensichtlich marginalen Leitlinie – der Auseinandersetzung noch genauer kennen zu lernen, das vielleicht noch nicht vollkommen erforscht ist – und zwar jenseits der nur allzu gut bekannten Konfliktstoffe zwischen dem sicher aufgrund seiner Gelehrsamkeit und seiner Vielfalt der Nachweise überwältigenden Werk Bodins und dem Werk unseres Autors, das dafür aber Spuren der neuen, zeitgenössischen Beiträge zur politischen Literatur aufweist, die ihrerseits wieder erheblich vom Denken Bodins abhängig ist. Aber wenden wir uns nun den Belegen zu den bisher gemachten Feststellungen zu und kehren wir zur concordia zurück, die im Großteil der 39 Kapitel der Politica thematisiert wird. 4. Bereits im ersten Kapitel ist die concordia in Verbindung mit der pax in das System der Ziele integriert, das nach dem Plan der Vorsehung, der in der unterschiedlichen Verteilung der Talente zum Ausdruck kommt, der Bildung der verschiedenen sozialen Zustände und insbesondere der consociatio politica vorausgeht. Die Vereinigung zielt auf die communicatio von dem, was nützlich und notwendig für das Zusammenleben ist, damit durch sie ihren Mitgliedern ein „angenehmes“, nützliches und glückliches Leben garantiert und zugleich die Existenz des gemeinsamen Körpers gesichert werden kann. Diese Bedingung besteht, damit es möglich ist – und das sind die echten Ziele des politischen Zusammenlebens – ein ruhiges und heiteres Leben cum omni pietate et honestate zu führen, damit es also möglich ist, im Privaten die wahre Religion zu praktizieren und in der Öffentlichkeit die Rechtsprechung zu genießen, auf dass man in der Lage ist, sich seiner Gegner zu erwehren und auf dass schließlich „semper ac ubique concordia et pax vigeant“ (I, 29 – 30). Die concordia erscheint also ganz zu Anfang als ein weit verbreiteter und vitaler Wert, der nicht von ungefähr eng mit Frieden und Vereinigung verbunden ist und quasi ihr Synonym darstellt: Sie ist also in dieser ersten Gestalt ein Gut für sich, das von all jenen instrumentellen Wertigkeiten frei ist, die sie in anderen Passagen des Werks im Bezug auf die klassischen Definitionen annehmen wird. Genau aus der Notwendigkeit heraus, die concordia zu erhalten und vor ihrem Gegenteil, der discordia, zu schützen, die ein nicht wiedergutzumachender Faktor 18 Vgl. A. M. Lazzarino Del Grosso, Nobilità e „roture“ nel pensiero di Jean Bodin, in: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl zum 80. Geburtstag, Bd. 2, München 1988, S. 131 – 148.

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ist, der das soziale Leben auflöst, führt Althusius die Rechtfertigung der Notwendigkeit von gubernatio und imperare oder die Unterscheidung zwischen Regierenden und Regierten wieder ein, die auf jeder Ebene der Gemeinschaft tief verwurzelt ist. Die confusio und eine daraus folgende nicht wieder rückgängig zu machende Zwietracht waren das zwangsläufige Ergebnis des großen Unterschieds zwischen den partes der Gesellschaft, wo immer einer jeden von ihnen eine gleich starke potestas verliehen wurde; daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ein gerechtes Verhältnis (symmetria) zwischen Befehl und Gehorsam zu installieren, um alles im Gleichgewicht zu halten und ihm einen langen Erhalt zu sichern (I, 33 – 37). Besonderes Gewicht wird diesmal auch mit instrumentellen Begriffen dem Ziel der concordia zwischen Regierenden und Regierten verliehen. Um den gewünschten Effekt der Übereinstimmung und der Zusammenarbeit zwischen imperantes et oboedientes im Innern der respublica und der verschiedenen Gruppierungen oder „Stände“ der Gesellschaft, die ihr zugehören, besser zu veranschaulichen, erinnert Althusius an den bereits erwähnten Passus von Petrus Gregorius und greift auf den Vergleich mit der süßesten Harmonie zurück, die von verschieden gestimmten Saiten hervorgerufen wird, die im rechten Verhältnis (symmetria) gestimmt worden sind: „quam suavissima oritur et conveniens harmonia, et si ad concentum reducatur, efficitur concordia laudabilis, felix et pene divina, et durabilior“ (I, 36). Wenn alle aber gleich wären, würde ein jeder den anderen nach seinem Gutdünken Befehle erteilen, was über die dadurch hervorgerufene Zwietracht hinaus zur Folge hätte, dass sich die Gesellschaft auflösen würde, und sich jede auf Verdienste und Tugenden gegründete Hierarchie auflösen würde, so dass sich Gleichheit in höchste Ungerechtigkeit (inaequalitas) verwandeln würde: Althusius befürwortet angesichts dessen das eindeutig von Aristoteles herkommende Prinzip, demnach es natürlich ist, dass die potentiores und die prudentiores die Herrschaft ausüben und die Befehlsgewalt über die infirmiores und inferiores haben und diese ihnen gehorchen (I, 38). Die concordia von Althusius ist aber nicht nur Synonym für die harmonische soziale und politische Ordnung, die hierarchisch entworfen ist. Sie ist ebenso wichtig für jenen consensus, der jede Art von consociatio begründet und erhält und der aus all ihren Gliedern einen einzigen Körper macht: Althusius spricht von concordia et consensus und setzt letzteren Begriff mit eindeutigem Rückbezug auf das Modell der Urkirche mit dem Zustand gleich, bei dem die Zusammengeschlossenen „anima et cor unum“ haben, „idem volens, agens nolens ad communem [ . . . ] utilitatem“ (II, 8) oder mit einer „mutua confœderatio et conspiratio“, wobei er eine Behauptung aufstellt, für die er eine Formulierung benutzt, die bisweilen etwas variiert aber im Grunde genommen immer gleich immer häufiger in seinem Werk wiederkehren wird: „sine consensione et mutua concordia nulla omnino societas et amicitia consistere potest“ (II, 8 – 9). In übergroßer Zahl werden Schriftstellen angeführt, die dem Beweis auch des ethisch-religiösen Wertes der concordia dienen, die eng mit der charitas und der gegenseitigen benevolentia verbunden ist (II, 9). Letztere wird zusammen mit der charitas und der concordia als Gefühl

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empfohlen, das auch dank der Umgangsweisen der Kollegen untereinander innerhalb der collegia gefördert werden soll (IV, 22). Wenn Althusius zur Behandlung der politischen consociationes übergeht, wendet er sich im Sinne der Notwendigkeit, die Erfüllung des Ziels ihrer Gründung sicher zu stellen, dem Problem der Modalitäten und der Charakteristiken dessen zu, das wir als eine „Politik der Eintracht“ bezeichnen können und führt es weiter aus; diese Politik in die Tat umzusetzen, müssen die Verantwortlichen in der Regierungsmacht und der Leitung der niederen öffentlichen und privaten Gemeinschaften bemüht sein. Die concordia ist nicht nur ein positives Ergebnis des Zusammenschlusses und zugleich sein Seinsgrund und ihre Essenz; sie ist auch die Bedingung dafür, dass sich zwei grundlegende Ziele der gesunden politischen Zusammenschlüsse glücklich entwickeln und erhalten können: die å§ôáîßá (eutaxía) und die å§íïìßá (eunomía). Aus diesem Grund muss man alle Situationen meiden, die sie gefährden können wie zum Beispiel ein Übermaß an Bevölkerungskonzentration in den Hauptstädten („Metropolen“), ein Faktor für moralische Zersetzung und Unordnung, indem man dem mit geeigneten Mittel vorbaut, etwa durch das Festlegen eines ordo civium, der die Bürger streng in „Klassen“, Stämme oder andere fest definierte Kategorien der Zugehörigkeit einteilt und dadurch die Disziplinierung und die Regierung einfacher macht (VI, 6 – 7). Hier scheint zum ersten Mal jenes Regelsystem auf, das Althusius der damals schon umfangreichen Literatur entnimmt, die der „Staatsraison“ angehört. Sie wird in den folgenden Kapiteln detailliert ausgeführt werden, in denen dem Thema des Schutzes der concordia besondere Aufmerksamkeit geschenkt und ein hervorragender Platz eingeräumt wird. Auf der Ebene der civitas ist das Bewusstsein für den Wert der concordia (concordiae studium) von Seiten der Bürger Synonym für Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden und Aufrichtigkeit: Sie nährt im Sinne des öffentlichen Wohles die Sorge um die Pflege der gegenseitigen Liebe und das schon im Keim ansetzende Unterbinden jeglichen Zwists (VI, 46). Die concordia begünstigt und unterstützt jene Rechtspraxis, die Althusius als aequabilitas bezeichnet und die er von der aequalitas unterscheidet, die alle gleichstellt und zur ataxía führt; die concordia fördert eine Art der Gerechtigkeit, die dem einzelnen Bürger „pro dignitatis et status sui ratione et differentia, jus, libertas, honos suus“ zugesteht und damit das gemeinsame und friedliche Leben aller Bürger aequo et pari jure zulässt (VI, 47). Der provincialis consociatio ist das Ziel zugewiesen, die vita justa umzusetzen, die in erster Linie in der Nächstenliebe besteht und im Beachten der Vorschriften, die auf den zwei Tafeln des Dekalogs verzeichnet sind. In ihr kommt eine besondere Rolle der functio publica zu, der die Sorge um all das obliegt, das nötig ist, um des Wohles und des Erhalts der Provinz selbst willen die Vereinigung, die Eintracht und die Bindung zwischen den universitates und den Einzelnen, die ihr angehören, zu erhalten und zu stärken. Aus eben diesem Grund ist es nötig, dass

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von den öffentlichen Ämtern all diejenigen ausgeschlossen werden, die aufgrund ihrer demagogischen, aggressiven oder ehrgeizigen Natur die Zwietracht fördern könnten, und dass man stattdessen edle und mit einem gemäßigten Temperament versehene Personen (de medio genere; VII, 28 – 37) für diese Aufgaben auswählt. Auch im Hinblick auf die Kirchenregierung müssen die von den praeses provinciae einberufenen Provinzialsynoden Sorge dafür tragen, dem Entstehen von Häresien und Schismen zuvor zu kommen und sie auszuschließen, um zu verhindern, dass durch sie die concordia und die Einheit der Kirchen zerstört wird, wobei es sich möglicherweise anbietet die Lösung der Kontroversen an die höhere Instanz der Generalsynode oder an die der comitia der Reichs zu verweisen (VIII, 39). Weil die wichtigsten Fragen, die die gesamte Provinz betreffen, vom praeses oder praefectus mit Zustimmung der Versammlung der Provinzial-“Stände“ entschieden werden müssen, ist ihm und den Ständen zusammen die Aufgabe übertragen, den Frieden und die Eintracht nach dem Modell zu wahren, das die provinciae Belgicae in beispielhafter Weise abgegeben haben (VIII, 50). Die Notwendigkeit eben dieser Einrichtung des praeses ergibt sich für Althusius aus der Gefahr, dass ohne gubernator, der sie in den Grenzen ihrer Ämter hält, Misshelligkeiten, Zwietracht und Meinungsdivergenzen zwischen den verschiedenen ordines entstehen (VIII, 52): Wenn es auch gut ist, dass in der Versammlung der ordines jeder einzelne frei seine Gedanken äußern kann, ist es doch am Ende notwendig, dass der praeses selbst eingreift und diejenigen, die unterschiedlicher Meinung sind, zur concordia führt, wobei auch er sich an der Entscheidung orientiert, die von der Mehrheit angenommen worden ist (VIII, 67). Auch das Reich (oder die respublica), dessen Glieder die civitates und die provinciae oder regiones sind, die sich wechselseitig dafür einsetzen, im Verfolgen des gemeinsamen Nutzens und einer vita pia et justa einen einheitlichen solidarischen Körper zu bilden, gründet angesichts der Pluralität und Unterschiedlichkeit seiner Bestandteile noch stärker auf der Bindung durch die concordia oder auf deren Einsatz, ihr eigenes autonomes und differenziertes Handeln zum Nutzen der Gemeinschaft und der respublica zusammen zu bringen (IX, 7). Althusius beruft angesichts dessen noch einmal auf den Passus von Petrus Gregorius über die Harmonie, wobei er einige Sätze des Beginns hinzufügt, die er zuvor weggelassen hatte: Sätze über das Entstehen der Harmonie aus den Elementen und den gegensätzlichen Bewegungen des Kosmos und über die respublica, die in analoger Weise die Menschen, die ihren Neigungen, ihren persönlichen Verhältnissen, ihrer Würde und ihren Eigenschaften nach verschieden sind, vereint und zusammenstimmt. Die Gelegenheit ist günstig, die eigene Abneigung gegen die Gleichheit deutlich zum Ausdruck zu bringen und das Szenario ihrer verheerenden Folgen zu entwerfen (IX, 8). Bekanntlich weist Althusius den Rechtstitel der suprema potestas der consociatio universalis dem Körper der in der Lebensgemeinschaft Zusammengeschlossenen zu, der von der concordia und vom Einvernehmen zusammengehalten wird;

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und ihre Ausübung weist er einem oder mehreren administratores als Beauftragten des Volkes und folglich als Personen zu, die mit einer begrenzten und dem Gesetz unterliegenden Regierungsmacht versehen sind, die im Falle tyrannischen Missbrauchs entzogen werden kann. Der Körper der respublica hat als konstitutive Ziele unter anderem den Schutz und die Verteidigung seiner Glieder, und umfasst somit Aktivitäten, die den Einspruch gegen alle Auslöser von interner oder externer Zwietracht beinhaltet. Auf außenpolitischem Gebiet impliziert dies den Abschluss von Allianzen (confœderationes) mit benachbarten respublicae. Von den Gesetzen, die sie regeln, erwähnt Althusius jene „de concordia inter confœderatos fovenda et conservanda“ (XVIII, 33), die das Bemühen darum einschließen, eventuelle „Streitigkeiten und Uneinigkeiten“ in öffentlichen Zusammenkünften der Alliierten und über Schiedsverfahren und andere Maßnahmen gegen das Aufkommen von Kriegen zwischen ihnen friedlich zu lösen (XVII, 36 – 37). Für Verteidigung und Erhalt der respublica (oder des „Reichs“) sind von grundlegender Bedeutung die „ordinationis et subiectionis concordia et aequali diversorum hominum temperamento et harmonia“, ohne die man in die ataxia und in die anarchia, confusio und calamitas gerät (XVIII, 22). Neben dem summus magistratus (oder princeps oder rex) wachen auch die Ephoren über den Erhalt der concordia, also jene für Althusius idealerweise begrenzte und vornehme Versammlung von Volksvertretern, denen die summa reipublicae anvertraut ist sowie die Kontrolle über die Ausübung der Macht, die dem obersten Magistrat übertragen ist. Aber in erster Linie muss die concordia in ihrem Innern herrschen und in ihrem Verhältnis zum „obersten Magistrat“ oder princeps, wie zwischen den ordines generales der respublica und jenen speciales der Provinzen und unter den speciales untereinander (XVIII, 113). Auch die Notwendigkeit, den „obersten Magistrat“ zu einzusetzen, wird mit dem soundsovielten Anführen des Passus aus Petrus Gregorius über die Harmonie begründet, wobei dieser hier der Existenz politischer Hierarchie dienen soll und mit der Bemerkung eingeführt wird: „Symmetria etiam in civili hac societate necessaria, quae non nisi ex diversitate imperantium et obtemperantium“ (XIX, 23). Die „Politik der Eintracht“ entwickelt sich in vielfältige Richtungen. In erster Linie muss der oberste Magistrat das Wohlwollen des populus erlangen, der, als Volk oder Masse betrachtet und in der Vielfalt seiner Leidenschaften von Althusius in den dunkelsten Farben der antidemokratischen Tradition gemalt wird. Als verrücktes und wildes Pferd, als vielköpfiges Untier, als unbeständiges und zu einem eigenen Urteil unfähiges Wesen unterliegt das Volk jedoch dem Gesetz der Nachahmung und kann, wenn es angemessen durch die Einrichtung der Zensur überwacht und ausspioniert wird, in seinem Verhalten korrigiert und dank des rechten Verhaltensmodells, das der Fürst bietet, geleitet werden (XXIII, 21 – 37). Es ist dabei auch notwendig, dafür zu sorgen, es durch manches kleine Zugeständnis im Hinblick auf Macht (particula de imperio) zufrieden zu stellen – nach dem Beispiel Venedigs, wo man dem niederen Volk die untersten Ämter und in manchen Fällen auch einige Ehrenämter wie jenes des Kanzlers oder Schreibers zugesteht

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(XXIV, 42). Althusius schlägt auch ein ausführliches Regelsystem zur Vermeidung von Hass und zur Sicherung der Ehrerbietung der Untertanen vor, das sich auf Bodin, Lipsius, Clapmarius, Ammirato bezieht und sich in die Tradition der politischen Literatur über die Staatsraison einschreibt. Da wir hier nicht stärker auf diese Zusammenhänge eingehen können, möge der Hinweis darauf genügen, dass das Regelsystem jedenfalls letztlich auf das Gewinnen und das Erhalten der concordia ausgerichtet ist. Ein wenn auch oberflächlicher Berührungspunkt mit Bodin besteht meines Erachtens in der Sorge um die zersetzenden Konsequenzen eines vollständigen Ausschlusses eines „Verbandes“ von der Teilhabe am Dienst an der Öffentlichkeit, wobei Bodin nach meiner Auffassung Vertreter einer besonderen Art der systematischen Durchdringung von Elementen des „dritten Standes“ in der Verwaltungsmaschinerie des Königreichs Frankreich ist, die bei Althusius dagegen zu fehlen scheint: Deshalb empfiehlt Althusius im 17. Kapitel „De usu experientia et delectu magistratus“, in dem eben auch von den arcana und von der ehrbaren Dissimulation die Rede ist, dass die consiliarii des obersten Magistrats, die im Übrigen wie es Bodin gelehrt hatte (der in gebührender Weise zitiert wird), weder über potestas, noch über imperium und iurisdictio verfügen, nicht allein aus dem Kreis der Adligen oder dem der Kirchenleute rekrutiert werden, sondern auch „ex populo, seu plebe, et omnino omnibus ordinibus et statibus regni seu reipublicae“, ganz nach dem Vorbild der Zusammensetzung des Rats der 70 in der politia Judaica, auf deren historische Modellhaftigkeit sich Althusius stets nach dem Vorbild Bodins, aber nunmehr auch mit Unterstützung von einer allgemein zugänglichen, auf das Thema spezialisierten Literatur – und hier vor allem des Werks von Sigonio – ständig und vor allem bezieht (XXVII, 34). Die consiliarii des Reichs sind dagegen die „Stände“, bei denen, wie bereits erwähnt, in jeder wichtigen und die Allgemeinheit betreffenden Frage über die Versammlung aller Stände des Reichs Rat eingeholt werden muss (XXVII, 43). Die „Generalstände“, bemerkt Althusius, spiegeln allerdings die Form der Demokratie nur vor, während die Berater des Königs, der „Senat“ und die Ephoren, etwas Aristokratisches repräsentieren, und die Tatsache, dass der Vollzug der Gesetze dem obersten Magistrat anvertraut ist, ein Hinweis für die regia potestas und die monarchiae species ist. Das heißt allerdings nicht, dass man von der Existenz eines gemischten Staatswesens sprechen kann, wie in den abschließenden Seiten des Traktats klar gestellt wird, zumal die suprema potestas nicht geteilt werden kann, die auf jeden Fall dem Volk eigen ist (XXVIII, 14; Vgl. XXXIX, 12; 18 – 19). Auch den consiliarii muss die freie Äußerung ihrer Meinung und ihrer Ratschläge zugestanden werden, wobei ihre Verschiedenheit nicht als gefährlich anzusehen ist, vorausgesetzt, dass diese im Hinblick auf ein und dasselbe Ziel gemacht werden: „dissentio sententiarum in eundem scopum spectantium non est periculosa“ (XXVII, 58)19. Abermals weist Althusius hier auf das vitale Bedürf-

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nis hin, dass auch zwischen den Ratgebern „Eintracht und Freundschaft“ herrscht. Eine entsprechende Sorge gilt den kirchlichen und religiösen Fragen, die für die Ziele der Unterordnung und des Gehorsams der cives von extremer Wichtigkeit sind: die Eintracht ist folglich möglichst auch in der Seele und im Gewissen herzustellen. Mit Blick auf die Urkirche muss der höchste Magistrat in der Kirche den Frieden und die Eintracht fördern und die Menschen gerecht und gottesfürchtig machen, indem er die echte Gottesverehrung zur Grundlage des eigenen imperium macht (XVIII, 8). Unter den Aufgaben, die dem obersten Magistrat auf dem Gebiet der civilis administratio zukommen, die darauf ausgerichtet ist, eine disciplina externa zustande zu bringen, die den Geboten der zweiten Tafel des Dekalogs entspricht – Aufgaben, die in Kapitel XIX der Politica bestimmt und beschrieben werden – findet sich das studium concordiae conservandae (XXIX, 3). Das Thema wird besonders ausführlich im Verlauf von Kapitel XXXI entwickelt, das mit einer Definition der concordia inter subditos eröffnet wird: „eorumdem mutua inter se et cum suo magistratu consensio, pax et benevolentia, sine simultatibus et ordinis mutuis ad status publici conservationem“. Daran schließt die maßgebliche Feststellung an: „Haec summa Respublica est necessaria“, eine Bemerkung, die einer Art von feierlichem „Lobgesang“ auf seine positiven Rückwirkungen auf die Sicherheit und die innere Festigkeit der respublica vorbereitet (XXXI, 1 – 2). Das Regelwerk für den obersten Magistrat, das darauf ausgerichtet ist, dass dieser so gut wie nur möglich das Ziel erreichen kann, die respublica zu fördern und zu verteidigen, zielt vor allem – und mit ausführlicher Bezugnahme auf die Ausführungen Bodins – auf die Verhütung und Unterdrückung von inneren Gruppenbildungen und Spaltungen, ganz zu schweigen von Verschwörungen und Aufständen ab. Ein Aufstand wird als „discordia unitae multitudinis in magistratu“ (XXXI, 11) definiert. Auch wenn Althusius den vereinzelten Rückgriff auf härteste Maßnahmen nicht ablehnt, wie etwa die Folter in der Inquisitionsphase, die dazu dient, die Namen aller Verschwörer zu erfahren, und die Todesstrafe im Falle von Majestätsbeleidigung, empfiehlt er im Allgemeinen dem Magistrat, auf Überzeugung, Geduld und Maßhalten zu setzen, um die Aufstände friedlich beizulegen und aufzulösen (XXXI, 42 – 70). Umso mehr ist es Aufgabe des Magistrats, wenn es entgegen aller Anstrengungen zu einem Bürgerkrieg gekommen ist, ihn niederzuschlagen, ohne auf Gewaltmittel zurückzugreifen und ohne gegen die Besiegten gewaltsam vorzugehen und mit allen Mitteln, vor allem aber mit Geduld und Toleranz darauf aus zu sein, die Parteien wieder miteinander zu versöhnen. Dafür empfiehlt er besonders die Amnestie (XXXVI, 45). 19 Diese Bemerkung, die auf die Regel „Concordiam inter consiliarios et amicitiam conservet et foveat. Haec enim est res salutaris“ folgt, fehlt in der Ausgabe von 1603. Vgl. J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et prophanis illustrata. Cui in fine adjuncta est Oratio panegyrica de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, Herbornae Nassoviorum, Ex officina Christopheri Corvini, 1603, S. 297.

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Der Magistrat muss zudem darüber wachen, dass die Rechte und Privilegien, Ehre, Ruf und Würde eines jeden Standes und Gliedes des Reiches anerkannt werden, und es zustande bringen, dass mögliche private Feindschaften etwa zwischen potentiores et optimates erstickt werden und sich nicht zu öffentlicher Zwietracht auswachsen. Erneut gibt Althusius aber – und diesmal allgemeiner gefasst – in einem umfangreichen Zusatz gegenüber der Ausgabe von 1603 wortwörtlich einen langen Abschnitt des Anti-Machiavel wieder20, und spricht sich dafür aus, die Möglichkeit zu bewahren, dass ein jeder im Rat frei seine eigene Meinung äußern kann, vorausgesetzt, dass sie vornehmlich auf das gemeinsame Ziel des Wohls der respublica abzielt. In diesem Zusammenhang wird noch einmal der Vergleich mit der musikalischen Harmonie herangezogen, diesmal jedoch endlich in einer neuen Weise, die zudem dazu dient, (im bodinschen Sinne?) den Wert der Vielfalt zu rechtfertigen: Die Meinungsverschiedenheiten bringen eine Art von temperamentum in die Beratung, das über die Gegenüberstellung der verschiedenen Gründe diejenigen, die irren, dazu bringt, ihre Meinung zu ändern. Es ist gut, dass es in einer respublica „verschiedene Charaktere“ gibt – „leichtfertige und ernste, freundschaftliche oder traurige, ernste oder sanfte, Leute im Sinne eines Appius und Poplicola, eines Cato und eines Caesar“. Zur Bestätigung des Werts einer derartigen Vielfalt verweist Atlhusius auf den glücklichen Ausgang eines Konzerts, das durch die moderatio der unterschiedlichsten Stimmen congruens et concors wird. In gleicher Weise wird die Wahrheit, die aus dem Vergleich der unterschiedlichen Sitten und Meinungen hervorgeht, wie eine Eintracht, die aus der Zwietracht entspringt, klarer und sicherer sein. Auch wenn sich Althusius streng an den Wortlaut von Gentillet hält, ruft er auch das vierte Buch, Kapitel 5, der République in Erinnerung, wo mit ähnlichen Argumenten, wenn auch nicht mit denselben Worten die Nützlichkeit der Verschiedenheit von Meinungen und der Uneinigkeit der Magistrate bekräftigt wird21. Aufs Ganze gesehen hat der Abschnitt allerdings einen 20 I. Gentillet, Anti-Machiavel. Edition de 1576 avec commentaires et notes par C. E. Rathé, Genève 1968, Troisième Partie, Maxime XXX, S. 551 f. Hier soll ein größerer Abschnitt wiedergegeben werden, auch weil damit die Möglichkeit gegeben werden soll, die ciceronianischen (und cusanischen?) Anklänge feststellen zu können und ihn damit zu vergleichen, was Bodin entsprechend in der République schreiben wird: „Or, quand nous disons que la concorde est necessaire et utile pour la conservation de la chose publique, ce n’est pas à dire qu’il faille que toutes les personnes qui se meslent d’afaires publiques doyvent estre d’une humeur, d’une voix et complexion. Car au contraire il faut qu’il y en ait de doux et des aspres, des affables et des rabarbatifs, des severes et des pitoyables, des Appius et des Publicola, des Catons et des Cesars. Car comme en un luth, si les cordes estoyent toutes d’un son, l’harmonie n’en vaudroit rien, mais estans de divers sons tendans à une melodie, c’est une fort agreable harmonie: aussi en une republique ou en un conseil d’un prince, si tous estoyent d’une humeur et inclination, leurs advis ne pourroyent estre gueres bons, mais estans de divers naturels (tendans toutefois tous à un but, qui est le bien public), leurs opinions en seroient tousjours mieux debattues, par diverses et contraires raisons, et les conclusions mieux prises et mieux digerees [ . . . ]. Ceste partialité donc qui est en conseil, quand tous tendent au bien public, sont discordances bien accordantes, et qui rendent une fort douce harmonie“.

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wesentlich stärkeren Gehalt, wenn er auf die positive Wirkung der sozialen Dialektik zwischen den mächtigen, den schwachen und den mittelstarken Ständen eingeht; und Althusius hütet sich davor, darauf einzugehen. Selbst als resümierender Abschluss seiner Ausführungen zum Wert der Eintracht zwischen allen Teilen der respublica würde ihm der Abschnitt der Methodus nicht passen, der sich auf den Idealstaat Platons bezieht, wonach „respublica suavi semper concentu temperata confusaque, ubi nullum dissidium, nulla sonorum discrepantia est neque ex hypothesi esse potest, non video quomodo labefactari queat“, weil er in die komplexen Ausführungen zu den conversiones ad numeros collatae eingebaut ist, wo das Thema der Harmonie in Begriffen der Numerologie behandelt wird22. 5. Für Althusius müssen den der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen allerdings Grenzen gesetzt sein, vor allem in den polyarchiae (den Herrschaften, in denen der höchste Magistrat von einer Vielzahl von Personen gebildet wird oder Aristokratien oder Demokratien), um der Gefahr vorzubeugen, dass sie Hassgefühle oder Spaltungen zwischen den potentiores hervorrufen (XXXVII, 67). Das politische Handeln des höchsten Magistrats muss zur Förderung und zur Verteidigung der Eintracht zwischen den consociationes immer von Unparteilichkeit gekennzeichnet sein und im ständigem Bemühen bestehen, die Ursachen für Zwietracht in allen öffentlichen und privaten consociationes zu unterbinden, die den Körper der respublica bilden. Es ist gewiss keine Überraschung, wenn man feststellt, wie sehr Althusius in den berühmten Schlusskapiteln der Politica über die Tyrannis und über den Widerstand auf dem klassischen topos des Tyrannen als Störer und Zerstörer der bürgerlichen Eintracht und folglich der Gesellschaft insistiert. Im Rückgriff auf die auch von Bodin benutzte Schiffsmetapher unterstellt Althusius dem Tyrannen wieder21 J. Bodin, Les six livres de la Republique. Avec l‘Apologie de René Herpin. Deuxième réimpression de l’édition de Paris 1583, Aalen 1977, IV, 5, S. 608: „En la Monarchie le discord est moins à craindre: car tout ainsi que Dieu maintient la contrarieté des mouvements celestes et des elements, des sympathies et antipathies, en un discordant accord, comme de voix contraire, en une tres plaisante et douce harmonie, empeschant qu’un element ne soit opprimé par l’autre: ainsi le Prince, qui est l’image de Dieu, doit maintenir et regler les querelles et differents de ses Magistrats, en sorte qu’ils demeurent aucunement contraires, à ce que leurs inimitiés puissent reussir au salut de la Republique“. In der lateinischen Ausgabe von 1586 fügt Bodin einen Passus an, den er zu großen Teilen schön von Cicero-Augustinus übernommen hat; dazu vgl. oben; Io. Bodini Andegavensis De Repvblica libri sex. Latine ab avtore redditi mvlto qvam antea locvpletiore, Parisiis (apud Iacobvm Dv Pvys svb signo Samaritanæ) 1586, S. 448 f.: „& vt in fidibus & cantu ipso, quem absurdum & eundem aures eruditæ ferre non possunt, concentus ex dissimillimis vocibus, grauibus inquam & acutis, tum mediis inter vtrasque artificiose confusis ac temperatis Discordia quædam concors efficitur & congruens: ita quoque ex potentibus ac tenuibus, ex summis & infimis tum etiam mediis ordinibus interiectis, atque adeo ex ipsa magistratuum inter ipsos Discordia salus omnium concors existit, arctissimum in omni Republica vinculum incolumitatis.“ 22 Methodus ad facilem historiarum cognitionem, Parisiis (apud Martinum Juvenem) 1572, in: J. Bodin, Œuvres philosophiques, hrsg. von P. Mesnard, Bd. I., Paris 1951, S. 195b.

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holt die Absicht, das Schiff des regnum zu „durchlöchern“, um es untergehen zu lassen oder den Steuermann über Bord zu werfen, um es zum Schiffbruch zu bringen, und legitimiert daher voll und ganz den Widerstand der vectores (XXXVIII, 4; 17; 39). Das Schlusskapitel der Politica methodice digesta macht noch einmal die Bedeutung der Eintracht im Rahmen eines Diskurses zum Thema, der auf neue Weise auf die allgemeinen Prinzipien der scientia politica zurückgreift: Genau diese Seiten führen vor Augen, wie die beharrliche Insistenz auf diesem Ziel und politischem Gut für Althusius eine Art Zusatz und eine Unterstützung im Rahmen der Herausforderung ist, die sich mit dem Verwerfen der bodinschen Lehre von der Souveränität und der Vortrefflichkeit der Monarchie ergeben hat – ein Verwerfen, dessen theoretische und praktische Schwierigkeiten immer wieder im Verlauf der Abhandlung zum Vorschein kommen und den Autor dazu zwingen, die Quellen und ihre klassische Terminologie ständig an die komplexe und neuartige Konstruktion seines Gedankensystems anzupassen. Ein Beispiel dafür liefert die Anpassung der Lehre vom Staat mit Mischverfassung, die bereits Bodin, auch wenn er sie radikal ablehnte, in der ein- oder anderen Weise im Rahmen der eigenen Unterscheidung zwischen Staats- und Regierungsformen rezipiert hatte. Auch Althusius lehnt sie in Anbetracht der Unteilbarkeit der suprema potestas ab, die auf jeden Fall immer dem populus zusteht, aber führt einen Reflex von ihr auf der Ebene der administratio wieder ein: Und tatsächlich kann, wenn man die Zahl der Personen in Betracht zieht, die von der Institution her die Aufgabe des summus magistratus bekleiden, die respublica auf dieser Ebene Monarchie oder Polyarchie sein. In diesem Zusammenhang löst Althusius mit dem Begriff „Polyarchie“ im Übrigen auf geniale Weise eine Verlegenheit, in die Bodin offensichtlich geraten war, wie man sieht, wenn man seine Kritiken anhand der Demokratien und Aristokratien untersucht und ihm ein passender Begriff für die Bezeichnung beider nicht-monarchischen Formen fehlt23. Es gibt daher eine monarchische administratio, wenn sie einer einzigen Person anvertraut ist. Und dennoch gibt es für Althusius keine Reinformen, so dass eine jede der drei existierenden Formen (wobei die Polyarchie die beiden Fälle der Aristokratie und der Demokratie beinhaltet) – wie der menschliche Körper letztlich nach der hippokratischen Lehre vier Temperamente aufweist, auch wenn dann letztlich nur eines überwiegt – in sich ein gewisses Etwas der verschiedenen Staatsformen enthält, ohne dass deshalb die „höchste“ Macht geteilt würde. In jeder respublica stellen die „Stände“ eine Art aristokratische Einrichtung dar und die Generalversammlungen der Staaten (concilia) eine Art demokratische Einrichtung; im konkreten Fall wird die Form der administratio dann jedoch nach der vorherrschenden Einrichtung bestimmt. 23 Vgl. A. M. Lazzarino Del Grosso, Bodin e la critica della democrazia, Neapel 2004, besonders S. 58 – 62.

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Es besteht kein Zweifel, dass auch Althusius die Regierung eines Einzelnen für effektiver und effizienter hält, die unverzichtbar dafür ist, die Leitung einer zusammengesetzten und komplexen Gesellschaft sicherzustellen, wie es jene des regnum ist; aber er hält es gleichwohl für die Beschaffenheit der Regierungsmacht für unbedingt notwendig, dass sie auch in den Polyarchien in den Händen einer Versammlung ist, sei sie auf wenige Personen begrenzt oder weiter gefasst, die von Einheit in Wollen und Fühlen – mit anderen Worten: der concordia – bestimmt ist; wenn dies nicht der Fall ist, dann ist der Erhalt des Regimes unmöglich. Hier wird also noch vor der praktischen auf logischer Ebene in Ausdrücken der notwendigen Voraussetzung die tragende Rolle erklärlich, die die concordia und ihre Zusätze consensus und unio im System des Althusius haben. Und auch sein insistierend vorgebrachter Apell an alle Mitglieder der verschiedenen consociationes und alle, die für ihre Orientierung verantwortlich sind, die concordia zu befördern, erscheint nun nicht mehr nur als Ergebnis einer verständlichen Sorge in einem europäischen und lokalen Kontext, der unter den religiösen und bürgerlichen Auseinandersetzungen litt, sondern erscheint auch und vor allem als ungeduldige Antwort, die allen möglichen und wahrscheinlichen Aporien des vorgestellten theoretischen Systems zuvorkommen will, das sicher sensibel für die zwingenden Beobachtungen eines Bodin hinsichtlich der Schwäche und Instabilität der aristokratischen und demokratischen Regime ist: „Monarchicum quid repraesentat in Aristocratia et Democratia, concordia et consensus imperantium, quibus plurium voces et unius vox et voluntas esse reputantur, quae voluntas nisi in Democratia et Aristocratia sit, durare illae non possunt, sed statim pereunt et in alias species administrationis abeunt“ (Politica, XXXIX, 14). Ob es sich um wenige Regierende in den Aristokratien handelt oder um das Volk in den Demokratien – im Augenblick des Befehlens müssen sie eine Einheit darstellen: In beiden Fällen kommt dies durch „consensus, unio, concordia“ zustande. Auf jeden Fall hält es Althusius für angebracht, dass in allen polyarchischen Regimen die Ausübung der gemeinschaftlichen Rechtsprechung letztlich einem einzelnen Staatsdiener anvertraut wird und macht damit tatsächlich deutlich, dass er sich der Argumentation Bodins zugunsten einer monarchischen Macht anschließt (XXXIX, 18). In allen Formen der administratio erweist sich für Althusius also die Rolle des consilium als grundlegend, also die Rolle jenes ureigentlich aristokratischen Elements, das entweder von ausgewählten Vertretern des Adels und der potentiores oder von den Vertretern der verschiedenen „Stände“ oder Ephoren verkörpert wird und das von der sozialen Dynamik her gesehen eher als ein konservatives Element als eines der sozialen Öffnung und des Wechsels erscheint. Vielleicht liegt genau hier einer der wesentlichsten Unterscheidungspunkte zur sozialen Sichtweise Bodins und zu seinem entsprechenden Verständnis von Harmonie.

Cornel Zwierlein

Consociatio* 1. Die Bedeutung des Begriffs Mindestens beim Begriff der consociatio besteht keinerlei Notwendigkeit, seine Wichtigkeit nachzuweisen. Wenn ein althusianischer Begriff jenseits der AlthusiusForschung im engeren Sinne allgemein bekannt geworden ist, dann ist es jener der consociatio, der Schlüsselbegriff und die originellste Erfindung im Werk des Althusius. Die theoretische Erfassung der menschlichen Gesellschaft (und des Staates, denn bei Althusius gibt es keine eindeutige Unterscheidung zwischen ,Gesellschaft‘ und ,Staat‘) als ein Gesamt der verschiedenen consociationes – von der kleinsten, der Familie, bis zur größten, der consociatio publica universalis, die den ,Staat‘ und das ,Imperium‘ darstellt – ist die Perspektive, die Althusius von allen anderen Denkern des 16. und 17. Jahrhunderts unterscheidet. Es ist gerade dies: nicht nur die Prägung dieses Begriffs, sondern die ,ontologische‘ Interpretation der sozialen und politisch-juristischen Realität zusammengesetzt aus der Einheit consociatio zu interpretieren, was Althusius zu einem originellen Denker macht. Die Politica beginnt mit folgenden Worten: „Die Politik ist die Kunst, die Menschen zusammenzuschließen [ars consociandi] [ . . . ]; Gegenstand der Politik ist die Lebensgemeinschaft“ (I, 1 f.)1. Die consociatio ist der Gegenstand, das erste und letzte Element einer politischen Wissenschaft im althusianischen Sinne. Die Austauschbarkeit zwischen definiens und definiendum, die man in der Definition der Politik und der consociatio nach dem scholastischen Schema der vier Ursachen in I, 29 – 31 beobachten kann (causa efficiens, causa formalis, causa finalis, causa materialis), verweist auf die zentrale Bedeutung des Begriffs für das gesamte politische Konzept des Althusius: Aus dem Gesagten folgern wir nun, dass die Wirkursache der politischen Gemeinschaft die Übereinstimmung und der politische Vertrag (consensus et pactum) sich vereinigender Bürger ist. Dies geschieht in Form einer wechselseitigen Verbindung, in der die Menschen das Politische Miteinander durch die Gemeinschaft der für das gesellschaftliche Leben notwendigen und nützlichen Dinge begründen, pflegen, fortsetzen und erhalten. Ziel der Politik ist eine angemessene, nützliche * Übersetzung aus dem Italienischen von Rosemary Snelling, nachbearbeitet vom Autor. 1 Nach der Übersetzung von H. Janssen, Althusius, J.: Politik, hrsg. v. D. Wyduckel, Berlin 2003.

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und glückliche Lebensführung, auf dass wir ein ruhiges und friedliches Leben in Frömmigkeit und Ehrenhaftigkeit zubringen können, damit wahre Frömmigkeit gegenüber Gott und Gerechtigkeit unter den Bürgern geübt, nach außen Sorge für die Verteidigung gegen Feinde getragen werde und immer und überall Eintracht und Friede herrsche [ . . . ]. Gegenstand der Politik sind die Regeln der Gemeinschaft bestimmter Dinge und Leistungen, sowie des Rechts, das heißt all dessen, was jeder zur Symbiose und zum gemeinsamen Vorteil des gesellschaftlichen Lebens recht und billig beiträgt.2 Die Begriffe ,Politik‘ und ,consociatio‘ scheinen fast austauschbar zu sein, wenn zunächst von der Wirkursache der „politischen consociatio“, dann von der Form der consociatio, die selbst eine „consociatio“ ist, schließlich vom Ziel und dem Gegenstand „der Politik“ die Rede ist. Dieser fast tautologische Ausgangspunkt von Althusius erinnert an einen heutigen Soziologen, der eines seiner Hauptwerke über die Theorie der Gesellschaft nicht mit einer ,nominalistischen‘ Definition seines theoretischen Begriffs beginnen lässt, sondern mit dem fast ontologischen Postulat der ,vorgegebenen‘ Existenz von Einheiten, die es behandeln wird: „Es gibt Systeme“.3 Auch für Althusius gibt es consociationes und die ,Politik‘ handelt von keinem anderen Gegenstand als von ihnen.4 Im Mittelpunkt des Interesses liegen die schon vergemeinschafteten Menschen, nicht die einzelnen Individuen und auch nicht die respublica alleine, die lediglich die größte consociatio darstellt.5 Wenn diese Parallele zwischen Werken des 17. und des 20. Jahrhunderts in der Heraushebung eines zentralen Begriffs als Organisationsschlüssel eines Gedankensystems in einem engen historischen Sinne keine Bedeutung hat, könnte sie sich dennoch als ein nützlicher Hinweis entpuppen, um den neuen Erfolg des Begriffs in den föderalistischen Theorien von Gierke bis zum heutigen ,consocialism‘ zu erklären.6

2. Die semantischen Traditionen Man kann vier konzeptuelle Traditionen und semantische Aspekte unterscheiden, die im Begriff consociatio im Werk des Althusius zusammenfließen:7 1) das 2 Nach der Übersetzung von H. Janssen, Althusius, J.: Politik, hrsg. v. D. Wyduckel, Berlin 2003. Die althusianischen Quellenzitate habe ich hier ausgelassen. 3 N. Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt / M., 1984, S. 30. 4 Zur Gemeinschaft als politisch-sozialem „Grundsachverhalt“ vgl. Th. Hüglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin / New York, 1991, S. 135; bzw. zum „generic term of all organized social life“ Id., Early Modern Concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo, 1999, S. 86. 5 G. Duso, La logica del potere. Storia concettuale come filosofia politica, Roma / Bari, 1999, S. 95 ff. 6 Siehe unten Kap. 5.

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Wort selbst ist ciceronischer Herkunft; 2) die koinonía, das Gemeinschaftseigentum des römischen Gesellschaftsrechts; 3) die communio Christi und die communio sanctorum der Föderaltheologie; 4) die aristotelische koinonía.8 a) Auch wenn das Verb consociare im klassischen Latein relativ geläufig ist9 und bei Tacitus zum Beispiel besonders im Kontext der berühmten ,Mischverfassung‘ auftaucht,10 ist das Substantiv recht selten. Es taucht bei Livius auf,11 im Codex Theodosianus als Synonym von ,coniuratio‘,12 aber vor allem in der ciceronischen Ethik in De officiis (I, 28; I, 41; I, 44). Es kommt hingegen nicht im lateinischen Text der Vulgata vor und nur sehr selten in der lateinischen Patristik bei wenig bedeutsamen Autoren.13 Auch bei Thomas von Aquin, dem einzigen hochmittelalterlichen Autor, den Althusius in seinem ersten Kapitel der Politica zitiert, kommt es selten vor.14 Es ist also der späthumanistische, vor allem calvinistische 7 D. Quaglioni, L’iniquo diritto. ,Regimen regis‘ e ,ius regis‘ nell’esegesi di I Sam. 8, 11 – 17 e negli ,Specula principum‘ del tardo Medioevo, in Specula Principum, A. De Benedictis (Hg.), Frankfurt / M., 1999, S. 209 – 242: 210), hebt die Bedeutung des theologischpolitisch-juristischen „Zusammenströmens von Sprachen“ am Beginn der Neuzeit hervor. Vgl. ganz ähnlich M. Scattola, Dalla virtù alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna, Milano, 2003, S. 305. 8 Einige Aspekte des Folgenden sind bereits behandelt worden in C. Zwierlein, Reformierte Theorien der Vergesellschaftung: römisches Recht, föderaltheologische κïéíùíßá und die consociatio des Althusius, in H. Schilling / D. Wyduckel / F. S. Carney (Hgg.), Jurisprudenz, politische Theorie und politische Theologie. Internationales Symposion anlässlich des 400. Jahrestages der Erstausgabe der Politica des Althusius in Herborn, Berlin, 2004, S. 191 – 223. 9 Vgl. zum Beispiel T. Livius, Ab urbe condita, I, 8, 45; II, 1, 1; VIII, 1, 4; VIII, 3, 14; XXIII, 6, 44; XXIV, 4, 24; XXV, 4, 18 (consociatus als Synonym zu foederatus); XXVIII, 2, 9; XXVIII, 5, 25 – 28; XLII, 3, 29; C. Tacitus, Annales, XIII, 23; XIV, 4 e 58; XV, 67; Ammianus Marcellinus, Rerum gestarum libri, XIV, 9, 1; XV, 4, 8; XV, 11, 3; XXIII, 6, 57; XXV, 5, 3; XXIX, 5, 17. 10 C. Tacitus, Annales, IV, 33 („Nam cunctas nationes et urbes populus aut primores aut singuli regunt: delecta ex iis et consociata rei publicae forma laudari facilius quam evenire, vel si evenit, haud diuturna esse potest.“). Zum Interesse der politischen Wissenschaften der Renaissance für die ,gemischte Regierung‘ vgl. R. De Mattei, La fortuna della formula del ,governo misto‘, in Id., Il pensiero politico italiano nell’età della Controriforma, MilanoNapoli, 1984, S. 112 – 129. 11 T. Livius, Ab urbe condita, XL, 1, 5 „Erexeratque consociatio gentis eius animum regis“. 12 Cod. Theod. 14, 19, 1: „Item immineant censuales, ne singuli eorum [sc. scholarium] tales se in conventibus praebeant, quales esse debent, qui turpem inhonestamque famam, et consociationes, quas proximas putamus esse criminibus, aestiment defugiendas“. 13 Vgl. Patrologiae cursus completus. Series latina, J. P. Migne, Paris, 1844 – 1855, passim. 14 T. von Aquin, Summa Theologica, Ia qu. 31, art. 3 ad 1; Ia IIae qu. 30, art. 1 ad 2; IIa IIae qu. 25, art. 12 ad 3 „Homo diligit proximum et secundum animam et secundum corpus, ratione cuiusdam consociationis in beatitudine“; IIa IIae qu. 26, art. 4 resp. „Consociatio autem est ratio dilectionis secundum quamdam unionem in ordine ad Deum“; nur das Verb taucht auf in ,De regno ad regem Cypri‘, Kap. III „Bonum autem et salus consociatae multi-

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Ciceronismus (im weiten Sinne des nicht lutherischen Protestantismus), wo das Wort allmählich in bestimmten thematischen Zusammenhängen Anwendung findet, wie im Folgenden zu sehen sein wird. ,Ciceronismus‘ bedeutet in diesem Zusammenhang ,Ramismus‘. Mit Pierre de La Ramée (Petrus Ramus) verbreitet sich die Methode der dyadisch-bifurkativen Ordnung der Wissenschaften in Europa (vor allem im calvinistischen), und es besteht kein Zweifel daran, dass Althusius mit dem Aufbau seiner Politica Anteil an dieser Strömung nimmt. De La Ramée warb für seine Methode gerade damit, dass er die Ersetzung der Methode und des Systems des Aristoteles durch diejenigen des Cicero forderte.15 Es handelte sich eigentlich nur um eine neue Methode der Wissensorganisation, der Inhalt war unabhängig von dieser Organisation (und konnte sogar aristotelisch sein). Mit Althusius wird also der ,Ciceronismus‘ einen Schritt weiter getrieben: auch der Hauptbegriff consociatio, nicht nur die Text-Organisation ist Cicero entnommen. Wenn man nun die Zitate des ersten, zentralen Kapitels durchgeht, in dem Althusius die Begriffsdefinition von consociatio behandelt, lässt sich erkennen, dass er nicht der erste gewesen ist, der von diesem Begriff systematisch Gebrauch gemacht hat. Die althusianische Zitattechnik verdiente an sich eine eigene, vertiefte Analyse;16 vorab lässt sich aber mit der Vorstellung arbeiten, dass wir es hier gleichsam mit einem ,Hypertext‘ zu tun haben: wenn man Zitat für Zitat die Quellen aufdeckt, die der Autor aufzählt, erkennt man, dass sich hinter seinem Text bereits eine Tradition der ciceronischen Sprache der consociatio verbirgt: sie ist nicht nur in den ersten Zeilen des juristischen Werkes von Covarruvias (1512 – 1577, zitiert von Althusius in I, 33) zu finden,17 sondern auch im Systema tudinis est ut eius unitas conservetur, quae dicitur pax, qua remota, socialis vitae perit utilitas, quinimmo multitudo dissentiens sibi ipsi sit onerosa“. 15 Vgl. z. B. die um 1569 / 70 in Heidelberg während des Aufenthalts von Ramus in Deutschland und in der Schweiz entfachte Diskussion: Ramus sollte auf Victorinus Strigel als Professor der Philosophie an der Universität von Heidelberg folgen. Er erreicht, dass Kurfürst Friedrich III. befiehlt (11.XII.1569), anstelle des Aristoteles eine „orationem Ciceronis pro Marcello“ in den Lehren des Trivium und Quadrivium lesen zu lassen. Innerhalb der Universität gab es das ganze Jahr 1570 über starken Widerstand, weil das Lehren des Aristoteles zur jahrhundertelangen Tradition gehörte. (Universitätsarchiv Heidelberg, RA 661, f. 83vff. und 112 ff.). Vgl. W. Ong, Ramus, Method, and the Decay of of Dialogue. From the Art of Discourse to the Art of Reason, Cambridge / MA, 19732; C. Vasoli, La dialettica e la retorica dell’umanesimo. ,Invenzione‘ e ,Metodo‘ nella cultura del XV e XVI secolo, Milano, 1968, S. 333 – 601; W. Schmidt-Biggemann, Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg, 1983; C. Strohm, Theologie und Zeitgeist. Beobachtungen zum Siegeszug der Methode des Petrus Ramus am Beginn der Moderne, „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, CX, 1999, S. 352 – 371; M. Feingold et al. (Hgg.), The Influence of Petrus Ramus. Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Sciences, Basel, 2001. 16 F. Ingravalle / M. Povero: Note sulle fonti de La Politica di Althusius, und M. Povero: Il metodo delle citazioni althusiane, in: Johannes Althusius: La Politica elaborata organicamente con metodo, e illustrata con esempi sacri e profani, hg. u. übers. v. Corrado Malandrino, Francesco Ingravalle, Mauro Povero unter Mitarb. v. Cornel Zwierlein, Turin 2009, 131 – 141.

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disciplinae politicae des calvinistischen Theologen und Philosophen aus Danzig, Bartholomäus Keckermann (1573 – 1609, zitiert von Althusius in I, 2518 [noch nicht in der Edition von 1603]), im Kommentar zum Alten Testament des calvinistischen Heidelberger, dann Leidener Theologen François du Jon (1545 – 1602, zitiert von Althusius in I, 25)19 und vor allem mehrmals in der Politica christiana von Lambert Daneau (ca. 1530 – 1595), welche äußerst bedeutsam für die Herausbildung des althusianischen Denkens ist (von Althusius in I, 22; I, 24; I, 30 zitiert).20

17 D. Covarruvias, Practicarum quaestionum liber unus in Id ., Omnia opera, P. C. Brederodius (Hg.), Frankfurt / M., 1592, Tb. II, Kap. I, Anm. 1, S. 375 f.: „[ . . . ] At cum Deus ipse per naturam dederit rebus singulis facultatem se conseruandi, suisque resistendi contrariis, quantum ad incolumitatem salutis, nec homines facultatem hanc exequi dispersi potuissent, instinctus eisdem adiectus est gregatim viuendi, societatemque ciuilem constituendi: vt adunati aliis sufficerent, victumque facilius complures, quam singuli compararent, tutiusque ab incursu ferarum & hostium degerent. Qua ratione manifestum fit, ciuitatem, id est, ciuilem societatem, natura consistere, hominemque natura esse ciuile animal, eamque consociationem causam sensim appetere“; vgl. auch – weniger wichtig – den Sprachgebrauch bei J. Münsinger ab Frundeck, Singvlarivm observationvm Imper. Camerae Centur. VI., Arnoldus de Reyger (Hg.), Helmstadt, 1599, cent. 6, obs. 2 (,Confoederationes & ligae an & quando iure sint permissae?‘), S. 448, wo conosciato als Synonym einer liga der Städte oder von aufständischen Adligen erscheint (zit. bei Althusius in VIII, 92). 18 B. Keckermann, Systema Disciplinae Politicae, pvblicis praelectionibvs Anno MDCVI. propositum in gymnasio dantiscano, G. Paul (Hg.), Hanau, 1608, Buch. I, Kap. 1, S. 1 f.: „Non est difficile agnoscere qualis & quam arcta connexio sit inter tres istas Philosophiae Practicae partes, nempe inter Ethicam, Oeconomicam, & Politicam; nam vt felicitas siue beatitudo ciuilis est vel Priuata vel Publica, & Priuata iterum vel vnius hominis separatim spectata, vel paucorum hominum in vna domo consociatorum; ita oportebat constitui tres partes Practicae Philosophiae; quarum prima doceret, quibus mediis singuli homines per se separatim spectati ad honestatem & alias partes ciuilis felicitatis dirigi possent. Altera ostenderet, quibus mediis illi ad felicitatem tenderent, quos vnius domus societas coniunxit. Tertia denique monstaret [!] ea media, per quae publicam felicitatem assequerentur illi, qui ex priuatis societatibus combinati maiores illos & publicos coetus pagorum, ciuitatum, prouinciarum & regnorum constituunt“ – vielleicht gebrauchte Keckermann bereits die erste Edition der Politica des Althusius; dann würde es sich um ein zirkuläres Zitierverhältnis handeln. 19 F. Junius / E. Tremellius, Testamenti Veteris Biblia sacra, sive libri canonici priscae judaeorum ecclesiae a deo traditi, Latini recens ex Hebraeo facti, brevibusque Scholiis illustrati, Hanau, 16247, pars secunda, f. 169r [Titel der Hauptseite: „Socialis vitae fructus“]: Anm. 12 von Junius zu Ecclesiaste 8, prima pars („Sive fortior sit altero unus quispiam, ipsi ambo obsistent ei:“): „id est imo valentiores erunt, quo plures inter se operas consociaverint: proverbiale dictum“. 20 L. Daneau, Politices Christianae libri septem, Genève, haered. E. Vignon 1596, S. 9, 10, 21, 22, 23, 24 etc. zum Gebrauch des Begriffs consociare / consociatio. Zu Daneaus Werk ist nun die wichtigste Analyse C. Strohm, Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, Berlin / New York, 1996, S. 346 – 380 heranzuziehen. Vgl. G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: La dottrina del patto e la costituzione del regno, „Quaderni fiorentini“, XXV, 1996, S. 65 – 126, S. 76 – 78 mit Anm. 20.

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Abgesehen von Covarruvias waren diese vorgängigen ,consociatio‘-Verwender alle Calvinisten. Daher müssen wir die ,Gesellschaftstheorie‘ des Calvinismus vor Althusius betrachten (vgl. unten 2.3).21 b) Zunächst aber ist auch die juristische Quelle für das Konzept der consociatio hervorzuheben: es handelt sich um das römische (byzantinische) Gesellschaftsrecht, vor allem die communio und κïéíùíßá. Êïéíùíßá – von Althusius in I, 9 und I, 29 verwendet, um die Form der consociatio zu bezeichnen – ist ein griechischer Begriff, der im byzantinischen Recht sowohl für die communio rerum pro indiviso22 als auch für die societas consensu contracta gebraucht wird. Zwar ist das Wort κïéíïðρáîßá auch in der antiken Philosophie sehr verbreitet und so könnte man meinen, dass die juristische Begrifflichkeit hier keine Rolle spielt. Da Althusius aber auch zweimal den Begriff κïéíïðρáîßá (I, 7 und VII, 3)23 fast als Synonym des Begriffsnetzes consociato-communio-communicatio verwendet,24 kann man doch mit Gewissheit feststellen, dass die Tradition des römischen Rechts ebenfalls eine bedeutende Rolle für das Denken des Autors bei der Prägung des consociatio-Konzepts spielte: denn die Schreibweise κïéíïðρáîßá (und nicht κïéíïðρáãßá, die bei Polybius und Diodorus Siculus auftritt)25 erscheint in der griechischen Sprache nirgends vor dem sechsten Jahrhundert nach Christus in der Paraphrasis der Institutiones Justiniani des byzantinischen Juristen Theophilos.26

Siehe unten Abschn. III. Hinsichtlich der derzeitigen Dogmatik des Gemeinschaftseigentums vgl. G. CassanoE. Guerinoni, Il condominio, 2 Bde., Torino, 2004. 23 Bereits in J. Althusius, Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando, Scattola (Hg.), „Quaderni fiorentini“, XXV, 1996, S. 23 – 46, thes. XI, S. 27: „Politeuma hoc consistit in κïéíùíßá et κïéíïðρáîßá seu communicatione rerum, operarum, et juris ejusdem“. 24 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Begriffen Communicatio (Communio) von M. Povero und zur Communicatio mutua (Althusius und Calvinus) von M. Miegge, in diesem Band. 25 M. Povero hat mich darauf hingewiesen, dass es sich um kein „Kunstwort“ handelt, wie F. Wieacker, Societas. Hausgemeinschaft und Erwerbsgesellschaft. Untersuchungen zur Geschichte des römischen Gesellschaftsrechts, Weimar, 1936, S. 327 f., geschrieben hat, sondern nur um eine nachklassische Graphie. 26 Institutionum Graeca Paraphrasis Theophilo Antecessori, E. C. Ferrini (Hg.), Berlin, 1884, S. 360. Die griechische ,Paraphrasis‘ des Theophilos ist 1534 zum ersten Mal veröffentlicht worden. Von 1537 an beginnt das Wort ,κïéíïðρáîßá‘ von den Humanisten-Juristen als Konjektur für das fehlende graecum in den Text Inst. Just. III, 25 pr. eingefügt zu werden, wo im mittelalterlichen Text eine Leerstelle gestanden hatte. Am Ende des 16. Jahrhunderts, als Althusius schreibt, kannte jeder Jurist dieses Wort im Zusammenhang des römischen Gesellschaftsrechts. Vgl. C. Zwierlein ,Der reformierte Erasmianer a Lasco und die Herausbildung seiner Abendmahlslehre 1544 – 1552, in C. Strohm ,Johannes a Lasco (1499 – 1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen, 2000, S. 35 – 99 (80 – 87) und Id., Reformation als Rechtsreform. Bucers Hermeneutik der lex Dei und sein humanistischer Zugriff auf das römische Recht, in: C. Strohm (Hg.), Martin Bucer und das Recht, Genève, 2002, S. 29 – 81 (77 – 79) zur Geschichte der Begriffe ,κïéíùíßá‘ und 21 22

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Freilich hat dieses kleine Wort allein mit seiner besonderen Schreibweise an sich keine so große Bedeutung im Werk des Althusius: es ist aber eben ein Indiz, dass der Sprachgebrauch des römisch-byzantinischen Gesellschaftsrechts bei der Frage nach den Quellen der consociatio-Terminologie nicht zu vernachlässigen ist. Wenn man so die Sprache des privaten römischen Rechts als Element zur Bildung der althusianischen Sprache in Betracht zieht – was merkwürdigerweise verhältnismäßig selten in der Forschung erfolgte27 – löst sich zu einem großen Teil auch die schon alte Diskussionsproblematik in Wohlgefallen auf, ob die consociatio etwas Vertraglich-Konsensuelles oder etwas Organisch-Natürliches sei: denn es wird deutlich, dass Althusius sich sowohl auf die communio incidens als auch auf die societas als explizit per Konsens geschlossenen Vertrag bezieht.28 Im römischen Recht wird zum Beispiel, wenn jemand stirbt, ipso iure eine communio rerum der Art ercto non cito zwischen den Erben geschaffen, was man als besondere communio incidens bezeichnen könnte: es ist nicht notwendig, dass die Erben einen ausdrücklichen, direkten Willen kundtun, mit dem Zweck, eine Gemeinschaft zu gründen, um sich nach der Rechtsordnung in dieser communio wiederzufinden. Einen ähnlichen Fall findet man für das communiter gestum: wenn also zwei Personen verhandeln und gemeinsam etwas kaufen, findet man sie infolgedessen in einer Gemeinschaft der Art communiter gestum wieder, ohne jemals explizit den Wunsch geäußert zu haben, eine solche Gemeinschaft zu gründen. Während die Spezialisten des antiken römischen Rechts – Arangio-Ruiz, Wieacker, Bona, Guarino – viel über den Zeitpunkt debattieren, in dem sich die klare Unterscheidung zwischen communio incidens und societas consensu contracta in der klassischen Zeit vollständig entwickelt haben könnte und wie die beiden Institutionen sich zueinander verhalten, wird die Zweideutigkeit im byzantinisch-griechischen Recht wiederhergestellt, da das Wort κïéíïùíßá beides bezeichnen kann.29 Wenn man ,κïéíïðρáîßá‘ im juristisch-theologischen Kontext des 16. Jahrhunderts. Althusius kannte die ,Paraphrasis‘ des Theophilos auch, vgl. VIII, 83. 27 Zum Beispiel hat Duso immer sehr auf die Wiederkehr der Begriffe ,κïéíïùíßá‘ und ,κïéíïðρáîßá‘ geachtet, hat sie aber als Indiz für das aristotelische Erbe des Althusius angesehen; das letztere Wort kommt bei Aristoteles aber nie vor – Freilich hat Duso auch anerkannt, dass man das althusianische Denken nicht auf den Aristotelismus reduzieren kann. Vgl. Duso, Il governo e l’ordine delle consociazioni: La ,Politica‘ di Althusius, in: Id. ( Hg.), Il potere. Per la storia della filosofia politica moderna, Roma, 1999, S. 77 – 94: 77, 80 f. 28 Vgl. zu bedeutenden Texten des römischen Rechts Inst. III, 25, Dig. XVII, 2 und – zur communio – Inst. III, 27, 3, Dig. X, 2 f., Cod. Just. III, 37 – 40. 29 Vgl. A. Guarino, Diritto privato romano, Napoli, 19888, S. 813 Anm. 88.1: „I termini di socius e di societas sono, di per sé, estremamente generici, e quindi passibili delle piú svariate applicazioni [ . . . ] Ciò spiega la vastissima gamma di significati delle due parole nelle fonti letterarie e giuridiche (per esempio, socii sono detti spesso, come sappiamo, i partecipi ad una communio); soprattutto dal momento che il greco ,κïéíùíßá‘ comincia a imponersi designando tanto societas che communio“; V. Arangio-Ruiz, ,Societas re contracta‘ und ,communio incidens‘ [1934], in Id., Scritti di diritto romano, Bd. III, Camerino, 1977, S. 27 – 65 (52 – 56). Vgl. außerdem A. Poggi, Il contratto di società in diritto romano classico, 2 Bde., [Torino 1930 – 34], rist. Roma, 1972; V. Arangio-Ruiz, La società in diritto romano, Napoli, 1950; F. Bona, Studi sulla società consensuale in diritto romano, Milano, 1973; A. Guarino,

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sie ihrer Struktur nach betrachtet, weist die consociatio des Althusius ein breites Bedeutungsspektrum auf: auf der einen Seite existiert die consociatio naturalis privata propinquorum, bei der die Mitglieder nur „ex communi fonte & radice sanguinis“ (III, 4) vereint sind; eine explizite Willensäußerung von Seiten eines in diese consociatio hineingeborenen Mitglieds, sich vereinigen zu wollen, ist logischerweise kaum annehmbar, und auf der anderen Seite gibt es die consociationes civiles, collegium genannt, in denen der offen ausgesprochene Wunsch, der consociatio beizutreten, recht offensichtlich scheint. Das pactum expressum und das pactum tacitum in der Eingangsdefinition der consociatio scheinen sich auf dieses Bedeutungsspektrum zu beziehen (I, 2). c) Aber das römisch-byzantinische Gesellschaftsrecht zum Zeitpunkt seines Wiederauflebens und seiner erneuten Rezeption im 16. Jahrhundert reicht nicht als semantische Quelle der althusianischen consociatio. Es fehlt vor allem der Aspekt der vertikalen Normativität, die jeder Gemeinschaft bei Althusius eigen ist, denn das Gesellschaftsrecht erfasst nur eine Vereinigung von Personen, Dingen und Wünschen in einem horizontalen Sinn zwischen Privatpersonen. Für diese Verbindung der ,vertikalen‘ und ,horizontalen‘ Normativität stellt die Föderaltheologie die wichtigste semantische Tradition dar, die auch zum Verständnis des ,calvinistischen‘ Charakters von Althusius beitragen kann – obwohl offensichtlich ist, dass sich sein Werk nicht auf eine theologische Abhandlung reduzieren lässt. Es gibt eine lebhafte Diskussion hinsichtlich der Problematik, ob die Förderaltheologie für die Bildung des modernen politischen Denkens bis hin zum heutigen Föderalismus – im Allgemeinen wie auch im Besonderen – für Althusius historisch bedeutend gewesen sei.30 Duso und Scattola zusammen mit Stolleis haben gezeigt, dass in der Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando, welche höchstwahrscheinlich Althusius zugeschrieben werden kann, der Begriff des pactum – sowohl civile als auch religiosum – wesentlich ist, während dies auf seine Politica nicht zutrifft.31 Diese Tatsache ist eine der Gründe dafür gewesen, dass Horst Dreitzel letztlich die Inbezugsetzung der Politica mit der Föderaltheologie zurückgewiesen hat. Dieses Argument hat dann seine Berechtigung, wenn man wie Dreitzel die Vindiciae contra tyrannos32 als einen paradigmatischen Text der FödeLa società in diritto romano, Napoli, 1988; M. Kaser, Das römische Privatrecht, 2 Bde., München 1971 – 19752, I, § 99, 133.3, 138.2 (S. 410 – 412, 572 – 576, 590 – 592), II, § 241 V, 267 (S. 272 – 274, 409 – 415); R. Zimmermann, The Law of obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Oxford, 19962, S. 451 – 477. 30 C. Malandrino, Teologia federale, „Il Pensiero politico“, XXXII, 1999, S. 427 – 446. 31 Vgl. J. Althusius, De regno recte instituendo et administrando, Edition des Originaltextes mit bibliografischer Anmerkung, Scattola (Hg.), „Quaderni fiorentini“, XXV, 1996, S. 23 – 46; G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: la dottrina del patto e la costituzione del regno, zit., S. 64 – 126. 32 Zur Literatur über diesen berühmten Text und der seit langem strittigen Frage, wer der Autor war vgl. nur B. Nicollier / De Weck, Hubert Languet (1518 – 1581). Un réseau politique international de Melanchthon à Guillaume d’Orange, Genève, 1995, S. 465 – 487; H. Daussy, Les huguenots et le roi. Le combat politique de Philippe Duplessis-Mornay (1572 – 1600),

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raltheologie denkt – was aber falsch ist, denn im engeren Sinne des Begriffs sind die Vindiciae kein föderaltheologischer, sondern ein politischer Traktat.33 Die historische Bedeutung der Föderaltheologie für die Politica des Althusius ist auf einer viel tieferliegenden semantischen Traditionsebene zu suchen.34 Anstatt von dem Begriff des pactum oder des foedus auszugehen, weil sich der ,Föderalismus‘ heute dieses lateinischen Begriffs bedient, glaube ich, dass es für den ,Proto-Föderalismus‘ von Althusius – vor allem für den zentralen Begriff der consociatio – ergiebiger ist, beim Begriff der κïéíùíßá anzusetzen.35 Die Föderaltheologie besteht nicht nur aus dem wesentlichen topos der Existenz eines bereits prälapsarischen foedus zwischen Gott und Adam, gemäß welchem Gott verpflichtet ist in dem Fall, dass dieser ihm gehorcht und ihn verehrt, dem Menschen das ewige Leben zu schenken. Vielmehr muss man sich verdeutlichen, dass dieser topos den methodologischen Charakter eines a priori hat, auf den sich das ganze theologische System stützt.36 Folglich ist die communio cum Christo gerade eine Konsequenz oder beinahe ein juristisches Ergebnis des foedus oder der anfänglichen promissio Dei; so, wie sich beim Erbrecht, wenn der pater familias stirbt, seine heredes (entweder durch vocatio ab intestato oder durch Vermächtnis für mehr als eine Person) ipso iure in einer communio incidens wiedersehen, die in der Genève, 2002, S. 229 – 258; S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea di contratto (1572 – 1579), Firenze, 2002. 33 H. Dreitzel, Althusius in der Geschichte des Föderalismus, in Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hgg.), Wiesbaden, 2002, S. 49 – 112: 52 – 63. 34 Althusius erzählt sicherlich keine kosmologische Geschichte im Sinne der Föderaltheologie. Der aus den Vindicae entnommene religiöse Vertrag scheint mir keine wesentliche Funktion für die Struktur des Werkes oder wenigstens für den Schlüsselbegriff consociatio zu haben (so richtig D. Wyduckel, Einleitung, in J. Althusius, Politik, üs. von H. Janssen, Hg. D. Wyduckel, Berlin, 2003, S. VII – XLVII: XXXV). Vor allem aber ist das theologisch-juristische System der Vindiciae, wo nie von der Vereinbarung mit Adam die Rede ist und nur in Kap. IV das Abendmahl Christi kurz Erwähnung findet, im engeren Sinne nicht als ein föderaltheologischer Text zu verstehen. 35 „Diximus autem iam antea, perinde esse, sive foedus Dei nobiscum, sive fidei iustitiam, sive vero nostram cum Christo Domino communionem, mysterium circumcisionis [aber auch der Taufe und des Mahls, C.Z.] esse dicamus. Nam et foederis divini nobiscum et iustitiae item fidei nomine ìåôïíõìéκµ£ nobis nostra cum Christo Domino communio designatur, dum nobis per effecta sua commendatur, siquidem Dei nobiscum foedus non consistit nisi in Christo. Consistere autem in Christo non potest, nisi et illi nobiscum et nobis cum illo certa quaedam communio intercedat, quae hac sane efficiat, ut, quod in Christo defertur, nempe foedus ipsum, id ad nos etiam pertinere omnino possit“. (J. a Lasco, Brevis et dilucida de sacramentis ecclesiae Christi Tractatio [1552], in Id., Opera, A. Kuyper (Hg.), Amsterdam-s’ Gravenhage, 1866, 2 Bde., I, S., 97 – 232: 176). 36 Zur Föderaltheologie des 16. Jhs. vor den englischen und holländischen Schulen des 17. Jhds. vgl. vor allem J. W. Baker, Covenant and Community in the Thought of Heinrich Bullinger, in The Covenant Connection. From Federal Theology to Modern Federalism, D. J. Elazar / J. Kincaid (Hgg.), Lanham, 2000, S. 15 – 29; D. A. Weir, The Origins of the Federal Theology in Sixteenth-Century Reformation Thought, Oxford, 1990; D. Visser, The Covenant in Zacharias Ursinus, in „The Sixteenth Century Journal“ XVIII, 1987, S. 531 – 544.

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archaischen Zeit als consortium ercto non cito bezeichnet wurde, so wird im System der Föderaltheologie mit der promissio prima et aeterna Dei, mit seinem berith oder testamentum, die communio cum Christo selbst eingeführt. Dies galt bereits vor der Zeit des Neuen Testaments, weil die Zeitkonzeption bei der Föderaltheologie jenseits einer einfachen aufeinanderfolgenden Erzählung von Vereinbarungen zwischen Gott und den Menschen verläuft: sie beharrt immer darauf, dass diese ausgedrückten Vereinbarungen, vor allem zwischen Gott und Moses, oder zwischen Gott und den Menschen durch Vermittlung Jesu, immer nur Gedenken und Bestätigungen der anfänglichen Vereinbarung sind. Nach dem lapsus Adami ist das ewige Heil nicht mehr möglich, außer durch Christus. Die communio cum Christo ist eine zeitlose oder auch überzeitliche Konsequenz der prälapsarischen Vereinbarung, von der auch die Menschen, die vor Jesus gelebt haben, ihren Nutzen haben können. Betrachten wir diesen theologischen Bereich etwas genauer: Das Wort κïéíùíßá taucht nicht nur im römisch-byzantinischem Recht und der griechischen Philosophie auf, sondern auch im biblischen Text (1 Kor. 10, 16). Wir zitieren die Vulgata: calicem benedictionis cui benedicimus nonne communicatio [= κïéíùíßá] sanguinis Christi est et panis quem frangimus nonne participatio [= κïéíùíßá] corporis Domini est quoniam unus panis unum corpus multi sumus omnes quidem de uno pane participamur?

So wurde der Begriff vom ,Erasmian Moment‘ 1516 an zum Gegenstand zahlreicher Debatten, als die Lektüre des griechischen Textes des Neuen Testaments zum Prozess der Reformation(en) in Europa und der Differenzierung zwischen den großen christlichen Konfessionen gehörte: 1 Kor 10, 16 war eine der zentralen Stellen in den hitzigen Debatten über das ,Abendmahl‘ zwischen den Konfessionen.37 Die Begriffe κïéíùíßá, communio und auch – bereits ab 1560! – consociatio gehören in dieser Debatte zur spezifischen Dogmatik des ,humanistischen‘ Strangs der Reformation, vor allem innerhalb der Föderaltheologie Schweizer Prägung (nicht im topographischen, sondern im theologischen Sinne): Bullinger, Lasco, dann die Theologen aus Heidelberg, Herborn, Leiden, Pierre Bouquin, Thomas Erastus, Caspar Olevian, Zacharias Ursinus, François du Jon: es ist der Begriff, der die ecclesia universalis bezeichnet, welche isomorph ist mit dem regnum Christi, das nicht nur jenseits dieser Welt existiert wie in der lutherischen Lehre, mit der klareren Unterscheidung zwischen regnum mundi / regnum Dei oder Christi, sondern bereits in dieser Welt beginnt. Die von Gott Auserwählten (die Heiligen), als Gläubige vereint in der ecclesia (nicht in der Partikularkirche, sondern in der Universalkirche), sind horizontal miteinander verbunden unter der Herrschaftsvertikale des rex Christus, mit dem sie ebenfalls verbunden und coagmentati sind. Es kommt 37 Vgl. aus den zahlreichen Studien nur die immer noch wichtige, weil quellengesättigte Arbeit W. Köhler, Zwingli und Luther: Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, 2 Bde., Leipzig / Gütersloh, 1924 – 1953; dann E. Bizer, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert, Darmstadt, 19723 sowie T. Kaufmann, Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528, Tübingen, 1992.

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hier schon zu Vermischungen der theologischen und der juristischen Sprachen: Lasco, der Reformator Emdens, drückt diese horizontalen und vertikalen Verbindungen einigen Anregungen des Erasmus und Bucers folgend mitten in den theologischen Argumentationszusammenhängen (besonders in der Brevis et dilucida de sacramentis ecclesiae Christi Tractatio von 1552, während des Exils in England verfasst) in der Sprache des römischen Gesellschaftsrechts aus: die Gläubigen besitzen ein Gemeinschaftseigentum mit Christus, zu der der Mensch und der Erlöser seinen Teil beiträgt. Der Mensch gibt seinen prälapsarischen menschlichen Körper, Christus gibt dem Menschen sein Erlösungswerk.38 Abgesehen von der Systematisierung und Methodisierung des Begriffs der koinonía / consociatio könnte man freilich zunächst urteilen, dass dies einfach die gemeinsame christliche Theologie der ecclesia universalis seit der patristischen Theologie bis heute ist, frei von spezifisch calvinistischen Beiträgen oder einer besonderen Entwicklung innerhalb des Calvinismus. Auch die katholische und die lutherische Theologie kennen einen locus der ecclesia universalis. Aber der Schwerpunkt wird dort immer darauf gelegt, dass die ecclesia universalis nicht sichtbar und die sichtbare Kirche unrein sei. Die gegenwärtige und in dieser Welt sichtbare Kirche ist die hierarchische Institution vom Papst bis hin zu allen Laien. Für die Lutheraner ist die derzeitige und als Wiedervereinigung der äußeren Christen sichtbare Kirche immer eine Angelegenheit des regnum mundi. Nur der innere Christ könnte ein Mitglied der ecclesia universalis sein. Die einzelnen Kirchen sind folglich als Hilfsinstitutionen der (potenziellen) Christen auf dieser Welt verteilt und a priori gibt es zwischen ihnen nur eine ,spirituelle‘ Verbindung, die niemals gleichzeitig eine ,politische‘ sein könnte.39 Für die Calvinisten (vor allem im Bereich der Föderaltheologie) ist der Unterschied zwischen regnum mundi und regnum Christi nicht absolut, sondern nur graduell. Bei Bucer (den man zwar nicht als Föderaltheologen im engeren Sinne bezeichnen kann, der aber in seiner Ekklesiologie dem entsprechenden Konzept des regnum Christi nahe kommt)40 gibt es in einem Text von 1551, den er auch im Exil in England geschrieben hat, eine fast völlige Synonymität zwischen der consociatio cum Christo, der ecclesia und dem regnum Christi: Quod Ecclesia Christi non sit, nisi eorum, qui in corpus Christi sint consociati & coagmentati, manifestum est cum ex alijs multis, tum ex his locis: Amen, Amen dico vobis: Nisi quis de integro fuerit natus ex aqua & spiritu, non potest ingredi regnum Dei. At regnum Dei, Christi Ecclesia est.41 38 Lasco, Brevis et dilucida tractatio, S. 148 – 152, vgl. ausführlicher Zwierlein, Der reformierte Erasmianer a Lasco, zit., S. 71 – 87. 39 Wenn wir für einen Moment theologisch von der de-facto-Hierarchie im Inneren jeder Territorialkirche absehen. 40 Vgl. hierzu A. Gäumann, Reich Christi und Obrigkeit. Eine Studie zum reformatorischen Denken und Handeln Martin Bucers, Bern et al., 2001. Vgl. auch M. A. Falchi Pellegrini, Modelli politici e contesti storici: la ,Respublica Israelis‘ in Martin Bucer, in L. Campos Boralevi / D. Quaglioni, Politeia biblica (= Il pensiero politico XXXV, 2002), S. 369 – 381. 41 M. Bucer, Libellvs vere avrevs de vi et vsv sacri ministerii cum in genere tum de singulis partibus eius, nunquam antehac typis impressis, hrsg. v. I. Tremellio, Basileia, 1562, S. 16.

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Die Metaphern in Eph. 4, 16, dass man bei der communio oder κïéíùíßá connexum und compactum mit Christus sei (bzw. coagmentatum und compingatum in der erasmianischen Übersetzung)42, sind von Bucer mehrfach mit dem Begriff consociatio paraphrasiert worden.43 Sicher ist der Unterschied, auch in der calvinisti-

,De vi et usu‘ gehörte zu den letzten Texten, die von Bucer 1551 vor seinem Tod in Cambridge geschrieben wurden. Es ist die erste Veröffentlichung, die in Heidelberg von seinem Kollegen aus Cambridge, Tremellio, der auf den Kontinent zurückgekehrt war, vorbereitet wurde (dat. 18.IX.1561). Er veröffentlichte ,De vi et usu‘ auch in einer umfassenderen Ausgabe der von Bucer zurückgelassenen Texte: M. Bucer, Praelectiones doctissimae in epistolam D P ad Ephesios, [ . . . ] habitae Cantabrigiae in Anglia, Anno M D.L. & LI. Ex ore praelegentis collectae, & nunc primum in lucem editae, diligentia Immanuelis Tremelij Theologiae doctoris, & eiusdem professoris in Academia Heydelbergensi, Basileia, 1562, S. 108 – 162: 111 – 129; dann wieder aufgenommen bei M. Bucer, Scripta Anglicana fere omnia, C. Hubert (Hg.), Basileia, 1577, S. 553 – 610. Vgl. L. Perini, La vita e i tempi di Pietro Perna, Roma 2002, Catalogo editoriale di Perna, Anm. 67, 68, 268. 42 Erasmus, Novum Instrumentum [prima ed. 1516], Id., Opera omnia, J. Clericus ( Hg .), Leiden, 1705, Hildesheim, 1962, Tb. VI, Spalte 847. 43 Ich zitiere hier ausführlich, um verständlich zu machen, wie die Rede von der consociatio und der consensio sowohl in die Ekklesiologie als auch in die politico-theologischen Vorstellungen von der bürgerlichen Gesellschaft Einzug hält: „Planum ergo iam factum est, quicunque vera membra Christi sunt, eos in corpus domini consociari regeneratione, hoc est, totius hominis ad imaginem dei atque naturae diuinae consortium, per Spiritus sancti renouationem: quae in adultis absque fide non est, & fide iustificante. Nunc videamus & de ipsa consociationis ratione, qua necesse est, membra Christi inter se copulari, & coniungi. Haec ratio quam explicatissime perscripta est Ephesijs quarto [Eph, 4, 16], his verbis 7î ïv ð@í ôN óµìá óõíáρìïëïãïýìåíïí κáM óõìâéâáæüìåíïí äéJ ðÜóçò %ϕ'ò ô'ò 7ðé÷ïρçãßáò. Haec Spiritus sancti verba probe pensitemus. Clare enim his dicitur, & quid Ecclesia sit, & quod proprium opus Ecclesiae, cum vniuersae, tum singulorum membrorum eius. Vnde perspicue quoque cernitur, qui possint in Ecclesiae membris nominari, qui minus. ,Ex quo‘ inquit, ,omne corpus coaptatum & coagmentatum, &c.‘ Ex Christo itaque domino esse oportet, id est, renatos, quicunque sint de Ecclesia Christi in veritate. Ex ipso enim necesse est, totum corpus, ideo & quodlibet membrum, in hoc corpus eius coagmentari. Id vero facit, suum donando spiritum regenerationis. Eo ergo qui carent, sicut eius non sunt, nec ex eo sunt, ita ab ipso non coaptantur, & compinguntur in suum corpus, hoc est, quam aptissime, & confirmatissime, vt cum Christo capite, ita & inter se coniungi, vniri, atque constringi. Et quomodo non coaptarentur cum decentissime atque conuenientissime, tum etiam confirmatissime & tenacissime, qui consociantur, & in vnum compinguntur ex ipso filio Dei? Videmus siquidem ex tota mundi machina, quam ille cunctas creaturas suas inter se & suauissime & solidissime constrinxit, atque efficit, vt singulae alijs sint suae bonitatis, & beneficentiae instrumenta, ac velut canales. Ecclesia vero Christi est eius corpus & ðëÞρùìá ipsius, omnia in omnibus implentis, id est, perficientis. Causa cuius etiam deus caeteras mundi partes sic munifice condidit, seruat, & ornat. Necesse est igitur, vt qui vere in hoc corpus Christi coaptantur, & compinguntur, iungantur inter se, coadunentur, atque constringantur, & summa suauissimaque ingeniorum, & voluntatum consensione, & tenacissima quoque, atque ex promptissima officiorum communicatione. ,Per omnem deinde‘, inquit, ,iuncturam‘. Iuncturae hae, quibus membra Christi cum ipso, & inter se iungi necesse est, atque cohaerere, sunt commissurae omnes illae, quibus ad certas officiorum commutationes, a domino committuntur, & consociantur. Prima vero iunctura, ex qua reliquae omnes sanctificantur, & est ipsa societas fidei, & communio Christi, qua quisque Christianorum alteri, vt membrum membro, cohaeret in domino, & subseruit, ad prouehendam vitam Christi, docendo, monendo, preces communi-

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schen Ekklesiologie, zwischen der ecclesia vera der Christen und der ecclesia impura der real sichtbaren Versammlung, wo sich auch die falschen Christen, Heuchler etc. befinden, sehr wichtig.44 Die Kirchenzucht wurde vor allem vom Presbyterium in ihrer speziellen Form für jedes Gebiet und jede Kirche unterschiedlich ausgeübt, um die falschen Mitglieder zu bekehren. Hier nimmt das in der Sozialgeschichte des Prozesses der Sozialdisziplinierung vielfach für den konfessionellen Bereich diskutierte Thema seinen Ausgangspunkt.45 Aber es scheint die Spezifität dieses Stranges des ,Calvinismus‘ zu sein, dass nach der Diskussion des topos vom Unterschied zwischen den reinen und den falschen Mitgliedern der Kirche, was der Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche entcando, cunctisque officijs reliquis charitatis, qua quisque alterum complecti debet, & demereri. Ex hac existit primum omnium coniunctio illa religionis, qua quisque certo coetui sanctorum, vt parochiae, inseritur, & certo ecclesiae ministerio adiungitur. Vocetur haec iunctura, Religionis propria. Hanc sequitur iunctura ciuitatis, & reipublicae, mox & domestica, quae tres continet in se societates: Mariti & vxoris sanctum coniugium: parentum cum liberis, & liberorum cum parentibus: & heri heraeque cum familia: & familiae, cum hero & hera: coniunctio inter se cognatorum, affinium, vicinorum atque omnium, quos in hoc iungit dominus, vt alius ab alio adiuuetur, cum doctrina, & adhortatione pietatis, tum alijs quoque officijs, quibuscunque homines se mutuo iuuare possunt, in rebus quibusuis, pertinentibus vel ad animam, vel ad corpus, & publice & priuatim. Non enim nominum naturam, aut naturae officia mutat Christus, sed suae restitutit naturam integritati, & dignitati, ad quam condita est, eiusque omnia officia, quae illi ex diuina constitutione congruunt, reparat & sanctificat, vt coniuges se tales sibi mutuo praestent, quales Deus ab initio requirit, sic parentes liberis, sic liberi parentibus, sic heri & herae familiae, & familia hero & herae: sic cognati, affines, vicini, & quamuis ob causam, sibi inuicem ad officiorum communicationes, occurrentes: sic Reipublicae gubernatores subditis, sic subditi erga Rempublicam administrantes, sic omnium artium doctores ad discipulos, sic discipuli ad praeceptores. Ad quid consociat autem deus ita homines inter se, per has tam variarum facultatum, & muneris suorum iuncturas, & commissuras? Iuncturas vocat ,subministrationes‘ ô'£ 7ðé÷ïρçãßá£. Cuius autem rei? Quid possunt membra in Christo sibi inuicem subministrare? Ea certe omnia, quibus augetur & aedificatur Christi corpus. Augetur autem, & aedificatur, dum quotidie aliqui nascuntur ecclesiae, & renascuntur, vereque incorporantur: & qui ei iam sunt nati, renati, incorporati, in vita Dei proficiunt. [ . . . ]“ (Bucer, Libellvs, S. 21 – 26). Zur Kirchenlehre von Bucer vgl. G. Hammann, Entre la secte et la cité: le projet d’Église du Réformateur Martin Bucer (1491 – 1551), Genéve, 1984 (übs. Martin Bucer: 1491 – 1551; zwischen Volkskirche und Bekenntnisgemeinschaft, Mainz, 1989). 44 Vgl. Philippe du Plessis Mornay, Traicte de l’église, avqvel sont dispvtées les principalles questions, qui ont esté meuës sus ce point en nostre temps, Londres, 1578, passim. 45 Vgl. zu diesem Argument, neben vielen weiteren Veröffentlichungen, H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung? – Die Tätigkeit des Emder Presbyteriums in den Jahren 1557 – 1562 (Mit vergleichenden Betrachtungen über die Kirchenräte in Groningen und Leiden sowie mit einem Ausblick ins 17. Jahrhundert), in W. Ehbrecht / H. Schilling (Hgg.), Niederlande und Nordwestdeutschland, Köln / Wien 1983, S. 261 – 327; H. Schilling (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin, 1994; eine etwas andere Ansicht: H. R. Schmidt, Gemeinde und Sittenzucht im protestantischen Europa der Frühen Neuzeit, in P. Blickle / E. Müller-Luckner (Hgg.), Theorien kommunaler Ordnung in Europa, München, 1996, S. 181 – 214; Id., Das Abendmahl als soziales Sakrament, in Traverse 9 (2002 / 2), S. 79 – 93.

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spricht, oftmals die Identifikation der sozialen Ordnung mit der communio weitergeführt wird und das Problem der ,Sichtbarkeit‘ der Universalkirche gar nicht mehr behandelt wird. Bei Bucer (im zitierten Text) ist die iunctura prima der communio cum Christo die Religion selbst. Aber die iunctura ciuitatis, & reipublicae, mox & domestica – von der Bucer die domestica in tres societates unterteilt (Ehe, Eltern-Kinder, ganzes Haus), wie es später Daneau und Althusius mit den verschiedenen Ebenen der consociationes machen werden – ist nur die subministratio zum Abendmahl selbst mit Christus. Die ganze Arbeit eines jeden Mitglieds der Gesellschaft ist dem allgemeinen Ziel des gesamten christlichen Korpus, sich selbst zu verteidigen und innerlich zu wachsen, untergeordnet. Durch die Gründung neuer Partikular-Kirchen und die Aufnahme anderer Mitglieder in den Körper der consociatio vermehrt sie sich. All dies betrifft die Werke und Handlungen der ganzen (christlich) bürgerlichen Gesellschaft in der Welt. An dieser Stelle ist es interessant zu erwähnen, dass etwa auch die Kriegshandlungen Landgraf Philipps, der 1542 die Stadt Braunschweig einnimmt, von Bucer unter der Idee des ,Wachstums des Reichs Christi‘ subsumiert werden. Letzten Endes ist ein Verteidigungskrieg (der communio gegen die Welt des Antichristen – der sich in der Realität leicht zu einem Expansionskrieg wendet) eine Handlung, die dem Ziel und dem Wesen dieser communio dient.46 Auch wenn es in diesen Konzepten eine klare Unterscheidung von weltlichen und geistlichen Aufgaben und Funktionen gibt, ist diese nicht dergleichen Art wie im Luthertum. Die Unterscheidung der sozialen Funktionen ist eine innerhalb der communio, während die klarere Trennung zwischen regnum mundi und regnum Christi im ,orthodoxen‘ Luthertum dafür sorgt, dass eine auch nur annähernde Identifizierung des regnum Christi mit der Gesellschaft auf dieser Welt nicht möglich erscheint. Die Trennung der Funktionen (der geistlichen, politischen, wirtschaftlichen status) der Gesellschaft im regnum mundi scheint im Luthertum eine ständische Beiordnung zu sein, im ,Calvinismus‘ vielmehr eine direkte Unterordnung aller Handlungen und Funktionen unter das caput Christus und das gemeinsame Ziel des Abendmahls; eine Unterordnung, die aufgrund der Unterscheidung zwischen regnum mundi und regnum Christi nicht in Frage gestellt wird. Sicher sind dies Verallgemeinerungen und im Einzelnen kann die Unterscheidung zwischen Lutheranern und Calvinisten zuweilen nicht sehr deutlich erscheinen,47 aber eine Theorie der consociatio gleichsam als entsakralisiertes Pendant 46 M. Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, [Leipzig 1880 – 1891], rist. Osnabrück, 1965, Bd. II, S. 83; Gäumann, Reich Christi, zit., S. 162. 47 Vor allem die ersten Überlegungen Luthers zur Kirche scheinen vielmehr das gemeinsame Fundament des inneren Protestantismus zu sein, aber die nachfolgenden Differenzierungen dürfen nicht unterschätzt werden. Vgl. P. Althaus, Communio sanctorum: die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken. Bd. 1: Luther, München, 1929 (ein weiterer Band ist nie erschienen); K. Hammann, Ecclesia spiritualis: Luthers Kirchenverständnis in den Kontroversen mit Augustin von Alveldt und Ambrosius Catharinus, Göttingen, 1989; J. Lutz, Unio und Communio: zum Verhältnis von Rechtfertigungslehre und Kirchenverständnis bei Martin Luther; eine Untersuchung zu ekklesiologisch relevanten Texten der Jahre

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der communio cum Christo und als Basis einer ethischen und politischen Theorie war viel stärker im Calvinismus als im Innern des Luthertums entwickelt, wo wir vielmehr ein Denken antreffen, das von der vorgegebenen Regierungsmacht des Amtes ausgeht, vor allem vom Monarchen, wie bei Arnisaeus. Nicht ohne Grund sah Werner Elert – ein Autor, der wegen seines völkischen Ansatz in der Theologie- und Kirchengeschichte höchst problematisch ist – in dem Satz von Melanchthon „Vult Deus esse consociationem“ 48 den entscheidenden Ausgangspunkt für eine Theorie der Gesellschaft, die sich fundamental von jener Luthers unterschied, die in dem Satz „Vult Deus esse discrimina ordinum“ ihre paradigmatische Erfassung finde. Nach Auffassung Elerts war Melanchthon in mehrerlei Hinsicht für die Vernachlässigung der reinen lutherischen Theologie verantwortlich hatte das Tor zur calvinistischen Überfremdung geöffnet. Bei Luther ist die Institution und die Autonomie der ,Stände‘ der Begründung von Gesellschaft systematisch und logisch vorgängig.49 Bei Melanchthon, bei einigen Philippisten, heterodoxen Lutheranern und Calvinisten war es vielmehr das Gegenteil: der Moment der Assoziierung war der erste und die Fundamente der Gesellschaft und der Kirche wurden sehr unterschiedlich entworfen. Die Gegenüberstellung mag etwas zu hart sein, aber der Tendenz nach scheint sie mir richtig zu sein. Bucer konnte eine Abhandlung De regno Christi (1551) schreiben, die eine Komplett-Reform Englands zum Gegenstand hatte.50 Das christliche England mit seinem König, seinen weltlichen 1519 – 1528, Göttingen, 1990; B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen, 1995, S. 294 – 316. 48 P. Melanchthon, Postillae, C. Pezel (Hg.) [erste Edition postum 1594! denkbar also ,calvinistische‘ Verfremdung des Melanchthon-Textes durch Pezel!], Corpus reformatorum, hrsg. v. C. G. Bretschneider / H. E. Bindseil, Bd. XXV (Braunschweig, 1856; neue Ed. New York / London, 1963), col. 148 – 167 (in Lukas 1 gepredigt), col. 152 f.: „[ . . . ] Recitantur autem ista, quia Deus vult extare testimonia de suis patefactionibus in Ecclesia, vult consociatam esse Ecclesiam, ut dicitur in Psalmo: ,Hierusalem aedificatur ut civitas, cuius participatio in id ipsum‘ [Ps. 121, 3]: was ist geredt? id est, quae est consociata in id ipsum; hoc est, simul. Deus vult esse consociationem. ,Non deserite congregationem vestram‘ inquit Epistola ad Hebraeos [Hebr. 10, 25 – ungenau zit.]. Scitis, quod tunc floreant Respublicae, quando est consensus in rebus bonis, ut Plato inquit: ,/ìµí ä[epsilon con gravis, è corretto, mi manca qui] / ôµí íüìùí 2ðüèåóéò 7í ô@õôá âëÝðåéí, iðù£ fóïíôáé ï0 ðïëßôáé ìÜëéóôá 6ãáèïM, κáß 6ëëÞëïéò ößëïé‘ – ,Finis legum nostrarum est, ut cives sint honesti, et sint inter se concordes‘ [Platon, Nomoi 743c5]. Non potest enim esse diuturna concordia, ubi non est iustitia. Et ubi est discordia necesse est alteram partem esse iniustam. Romanum imperium floruit tempore Augusti post victum Antonium; quia tunc fuit tale, ut esset concors et instam imperium. Sic orat Christus etiam pro Ecclesia: ,Pater, fac ut unum sint in nobis‘ [Gio. 17, 21]: petit, ut sanctificemur in verbo, et ut consociati simus in Deo. Ita hic videtis esse consociationem Zachariae, Mariae, Elizabeth, Simeonis et aliorum, quibus est patefactum hoc miraculum concepti filii Dei“. 49 WA 44, 440, 25; WA 49, 613, 1 ff.; WA 31 I, 399, 26 ff.; W. Elert, Morphologie des Luthertums, Bd. 2: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München, 19532, S. 51. Vgl. das ganze Kapitel S. 49 – 65 und zum sozialen Einfluss der lutherischen DreiStände-Lehre L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in B. Moeller / S. E. Buckwalter (Hgg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, Gütersloh, 1998, S. 435 – 461 und in anderen Veröffentlichungen.

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und geistlichen Institutionen als Teil der communio cum Christo kann das regnum Christi selbst sein.51 Die communio – κïéíùíßá – consociatio wird schließlich immer mehr zum zentralen Begriff für eine calvinistische Theorie der Gesellschaft, die vom Abendmahl ausgeht. In der Föderaltheologie ist sie eine Konsequenz des vor dem Sündenfall geschlossenen Paktes zwischen Gott und Adam, in dem Gott die Rettung Adams verspricht. Im Abendmahl bei Zwingli, Bullinger, Lasco, Bouquin, Erastus, Olevian wie auch bei Martyr, Tremellio, Ursinus, Zanchi etc. ist die Zeremonie (mit Unterschieden im Detail)52 selbst nur eine Wiedererinnerung daran, schon in der communio cum Christo zu sein. Das Abendmahl ist nicht eine momentane Herstellung der Gemeinschaft oder ein Moment der Vermittlung über die geschlossene Barriere zwischen regnum mundi und regnum Christi hinweg, denn das Abendmahl ist eine Einheit, die diese Trennung übersteigt und der in Christus inkorporierte Mensch hat lediglich an einem Prozess der Vervollkommnung zwischen Dieseits und Jenseits teil. Die reale Präsenz Christi ist in der Zeremonie des Abendmahls nicht notwendig, weder in, noch sub vel cum pane, weil die communio eine spirituelle Tatsache ist, deren Anfang weit vor der Geburt eines jeden Gläubigen in dieser Welt liegt. Wichtig ist, dass die orthodoxe Theologie des Calvinismus und die Föderaltheologie sich auf dieser Ebene nicht sehr stark unterscheiden: wenn in der Orthodoxie die Zentralität der kosmologischen Erzählung des Vertrages fehlte und das unilaterale Dekret Gottes von größerer Wichtigkeit war, so war doch der Effekt dieser beiden unterschiedlichen Erst-Ursachen (Pakt oder Dekret) dieselbe communio. Im Detail lässt sich dies daran zeigen, dass z. B. ein ,orthodoxer‘ Théodore de Bèze selbst sich eher die bucerische Version der communio zu eigen machte und weniger die von Calvin.53 In diesem Punkt konnten sich also die Gläubigen der Niederlande, Frankreichs, Emdens, Herborns, Heidelbergs, Genfs, Zürichs und die der ,calvinistischen‘ Regionen des Ostens ohne Kommunikationsprobleme verständigen – jenseits der Differenz zwischen stärker ,memorialer‘ oder stärker ,spirituellen‘ Auslegungen des Abendmahls. Wenn man also nun eine ,Politik‘ aus der Perspektive eines calvinistischen Christen dieser Tradition schrieb – eine Theorie des Politisch-Sozialen im präoder protomodernen Sinne –, schrieb man sie, ohne explizit auf die theologische Kosmologie Bezug zu nehmen, die hinter dem analysierten sozialen Zustand steht. Aber es bleibt stets eine Verbindung zu diesem metaphysischen Hintergrund, weil die organisierte und zu organisierende Gesellschaft immer, mindestens implizit, eine christliche ist, die unter der Herrschaft des caput Christus steht, auch wenn M. Bucer, De regno Christi, F. Wendel (Hg.), Gütersloh, 1954 (= Opera latina, 15, 1). Sicher beginnt Bucer mit der Aufzählung der Unterschiede und der Gemeinsamkeiten zwischen dem regnum mundi und dem regnum coelorum (ibid., I, 2, S. 6 – 20). Aber für die gesamte Abhandlung ist die Teilidentität der Reiche am Ende doch der Ausgangspunkt. 52 Vgl. für weitere Ausführungen zur terminologischen Genealogie der consociatio Zwierlein: Reformierte Theorien der Vergesellschaftung, zit., S. 214 f. 53 T. Maruyama, The Ecclesiology of Theodore Beza. The Reform of the True Church, Genève, 1978, S. 20 – 25 und passim. 50 51

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der politische Theoretiker nicht in erster Linie von Christus und dem göttlichen Schöpfungswerk spricht, sondern nur von der Ebene des Menschen. Aber die verbindende Kraft (die iunctura), die die Menschen in der communio auch in diesem Modell vereint, kann schließlich nur von der göttlichen Kraft kommen. Außerhalb dieser Gesellschaft, die beschrieben werden kann, gäbe es nur die Gesellschaft des Antichristen, die keiner Organisationstheorie bedarf, während im Luthertum das regnum mundi nicht für sich eine ,ununterbrochene‘ Verbindung mit dem Himmel in der politischen Ordnung hat, sieht man vom Stiftungsakt selbst dieser Ordnung ab (Röm 13, 1). Und genau deshalb ist die Vertikale der göttlichen lex symbiotica, die Verbindung zwischen Gott und der menschlichen Gemeinschaft, bei Althusius a priori in jeder Art von consociatio eingeschlossen. Zwar will und kann auch eine lutherische Politiklehre immer eine christliche Regierung fordern. Aber es wäre immer denkbar, dass die real sichtbare Kirche sich in einem nicht-christlichen Reich befände, in einer paganen Herrschaft, typisch für das regnum mundi, das nicht notwendig unmittelbar mit dem Reich des Antichristen zu identifizieren sein muss. Somit gäbe es in einer lutherischen Politik auf der anderen Seite auch nicht notwendig eine Identifikation zwischen regnum Christi und politischer Herrschaft. d) Nicht vergessen darf man schließlich die aristotelische Tradition.54 Bereits das fünfte Wort der Politica des Aristoteles ist κïéíùíßá. In die Prägung des Begriffes consociatio fließt sicher auch der aristotelische Sprachgebrauch mit ein. Wichtig ist vor allem die Idee, dass die Menschen nicht gleich sind und dass das ,Soziale‘ ein kumulativer Effekt der Unfähigkeit jedes Einzelnen ist, alleine zu überleben (I, 4). Ich glaube aber, dass die Frage, ob Althusius ein aristotelischer Denker war oder nicht, so abstrakt gestellt, sich als fehlerhaft herausstellt.55 Man kann sich einen europäischen Denker der frühen Neuzeit, der nicht in gewisser Weise auch ,aristotelisch‘ ist, kaum vorstellen. Auch ein ,Platoniker‘ nutzte immer auch die aristotelischen Texte und das gleiche gilt für die ,Ciceronisten‘. Wenn die Autoren sich untereinander (vor allem in polemischer Art und Weise) mitunter als ,aristotelisch‘ oder ,platonisch‘ bezeichneten, kann das auf einen gewissen Charakter des Werkes hinweisen – manchmal ist es aber auch keine große Hilfe (,platonisch‘ konnte 1600 in Rom die Bezeichnung für einen ,Machiavellisten‘ sein, ein ,Machiavellist‘ konnte auch nur aristotelische Texte zu Rate ziehen und umgekehrt). Unsere Aufgabe ist es vielmehr, die Versatzstücke der verschiedenen Traditionen in der Gesamtkonzeption eines Autors zu erkennen und zu bemessen – wozu natürlich auch die aristotelischen Texte gehören, vor allem in der Übersetzung von Leonardo Bruni.56

Aristoteles: Politica, 1251 a 1. P.-L. Weinacht, Althusius – ein Aristoteliker? Über Funktionen praktischer Philosophie im politischen Calvinismus, in Politische Theorie des Johannes Althusius, hrsg. v. K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel, Berlin, 1988, S. 443 – 463. 56 Siehe unten Abschn. 4. 54 55

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3. Die Häufigkeit der Benutzung von ,consociatio‘ in der Politica Die Häufigkeit der Rekurrenz des Terminus selbst ist natürlich überaus hoch, da dieser ja der Schlüsselbegriff des Werkes ist. Wichtig ist allerdings zu erwähnen, dass nach den ersten Kapiteln (I-VIII), in denen das strukturelle System des Werkes und die Abfolge der verschiedenen Ebenen der consociationes herausgestellt werden, im Zusammenhang mit der consociatio universalis publica eine gewisse Abnahme in der Wichtigkeit der Begriffsverwendung zu beobachten ist: die Begriffe respublica57 und regnum kehren nun häufiger wieder, ohne dass aber consociatio den Status des Schlüsselbegriffes verlöre. Ab diesem Punkt erscheint die consociatio mehr als generelle dem Werk unterlegte Struktur, da der Autor (und sein Leser) sich ab Kapitel IX nun gewissermaßen ,in‘ der größten, komplexesten consociatio befinden, wo die besonderen Probleme der Steuern, der Privilegien, der ,konstitutionellen‘ Institutionen (Ephoren, höchster Magistrat), etc. behandelt werden. Der Begriff taucht indes häufig in Verbal- und Adjektivformen auf (consociandus, consociatus . . . ), welche den strukturellen Rahmen der consociatio gegemwärtig halten. Freilich kann man nicht leugnen, dass das Werk in den späteren Kapiteln eine gewisse Inkonsequenz aufweist, wenn immer von der direkten Relation summus magistratus – subditi die Rede ist, während die Ebenen der dazwischen liegenden consociationes (Städte, Korporationen, Familien) mit ihren Rechten und Privilegien ein wenig vergessen oder versteckt wirken. 4. Die Bedeutung des Begriffs bei Althusius Wenn man die verschiedenen semantischen Traditionen betrachtet, die in Abschnitt II ermittelt wurden, ist es zunächst zur Vermeidung von Missverständnissen wichtig festzuhalten, dass Althusius weder einen theologischen Traktat über die communio cum Christo schreibt, noch einen juristischen Traktat über das Gesellschaftsrecht. Aber in seine neue Bedeutung der consociatio fließen ein: – der Ciceronismus (siehe oben, 2.a)), insoweit es um den Begriff an sich geht und vor allem, was die intellektuelle Operation betrifft, den kleinsten gemeinsamen Nenner aller politico-juristischen Strukturen und der Vergesellschaftung vor die Klammer zu ziehen. Diese Operation ist ,ciceronisch‘ im Sinne der ramistischen Methode, weil man auf diese Weise von einem Niveau zum Nächsten übergehen kann, wobei immer in zwei Untergruppen unterteilt wird. – das römische Gesellschaftsrecht (siehe oben, 2.b)), vor allem, um der neuen Einheit eine formellere Struktur zu geben. Die Bedeutungen der „Kommunikation“ der Mitglieder im Inneren der Gemeinschaft oder der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, der Teilung von Leistungen, Dingen und Gütern untereinander sind dem semantischen Feld des römisch-byzantinischen Gesell57

Vgl. den Beitrag zu Respublica von C. Zwierlein in diesem Band.

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schaftsrechts eigen. Wenn man auf verschiedene Bezeichnungen verweist (κïéíùíßá, κïéíðρáîßá communicatio, communio, consociatio), die bisweilen fast synonym gebraucht werden, manch anderes Mal aber eher in einer klar hierarchischen oder funktionalen Unterordnung, so macht Althusius deutlich, dass die Bedeutung dieser Begriffe nicht absolut feststeht und in jedem Abschnitt des Werks deutlich unterschieden wird. Der Gebrauch des griechischen Begriffes κïéíùíßá als causa formalis der consociatio schließt auch die große Bandbreite der Bedeutung des römischen Gesellschaftsrechts ein, angefangen bei der communio incidens – wo keine Willenserklärung von Seiten der Mitglieder des ,Gemeinschaftseigentums‘ nötig ist – bis hin zum formalen contractus societatis – der auf ausdrücklichen und gegenseitigen freiwilligen Willensakten besteht. Diese weite Skala spiegelt sich wieder in der Verschiedenheit zwischen einer consociatio simplex privata naturalis necessaria propinquum auf der einen Seite, in der der Mensch Mitglied ist, lediglich ex communi fonte & radice sanguinis (III, 4), ohne je seinen Willen dazu erklärt zu haben und den consociationes simplices privatae civiles spontaneae (die im Kapitel IV behandelt wurden) auf der anderen Seite, die sich auf der Grundlage einer ausdrücklichen und von den Teilnehmern diskutierten Übereinstimmung bilden. Das pactum expressum und das pactum tacitum der anfänglichen Definition der consociatio beziehen sich offensichtlich auf diese Bandbreite von Bedeutungen (I, 2). Im Allgemeinen gibt die Annäherung der consociatio an das semantische Feld des Rechts dieser schon als Grundbegriff – und nicht erst der universitas – einen konstitutionell-korporativen Charakter auf dem Weg hin zu einer juristischen Person, auch wenn die consociatio eine ,ontologische‘, soziale, vor-rechtliche Grundeinheit bleibt. – die Theologie der κïéíùíßá (siehe oben, 2.c)), die bereits ab der Mitte des 16. Jahrhunderts von der juristischen Semantik durchdrungen war. Die κïéíùíßá oder auch die theologische consociatio Bucers, Lascos, Bouquins etc. ist nicht identisch mit der consociatio des Althusius. Die eine ist ein theologoumenon, um aus einer theologischen Perspektive die Verschmelzung des Menschengeschlechtes mit Christus und gleichzeitig den Urgrund der menschlichen Gesellschaft zu beschreiben; die andere ist ein Terminus, um aus der Perspektive einer sich entwickelnden protomodernen Politikwissenschaft den Urgrund des Gesellschaftlichen an sich zu beschreiben. Die Originalität des althusianischen Gedankens, eine Gesellschaft von unten nach oben zu begreifen (und nicht vice versa, angefangen beim höchsten, von Gott bestellten Magistrat) wäre ohne diese Einheit nicht möglich. Und diese ist nur möglich im Horizont einer solchen Theologie: die apriorische Inklusion des jus symbioticum als lex consociationis (I, 10 ff.) und integrale Komponente dieser Einheit in jeder consociatio lässt die Kombination der Herrschaftsvertikalen mit der konsensualen Horizontalen als abstrakte Struktur der consociatio deutlich werden, wie es der Fall bei der theologischen κïéíùíßá war. Auch wenn die Analyse des Gesetzes nur im Zusammenhang mit der consociatio universalis publica (XXI, 16 – 41; XXII) aufkommt, lassen sich die dortigen Erläuterungen des Althusius aber auf jede

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consociatio auf jeder Ebene der Gesellschaft und des Staates anwenden. Regieren und verwalten bedeutet nichts anderes als das Gesetz ausführen, und das Gesetz ist der Wille Gottes; aber das Gesetz ist auch die regula vivendi für jeden Untertanen, ergo immer präsent (XXI, 15 – 17). Die Herrschaftsvertikale zwischen Gott und den Menschen verläuft gleichsam ohne Unterbrechung vermittels dieses Gesetzes. Wo es consociationes gibt oder diese sich bilden, ist ihnen immer auch das Gesetz Gottes eingeschrieben, als Kommunikationsmedium mit dem Ewigen – ohne dass der Mensch dieses ausdrücklich oder weniger noch willentlich einschließen müsste oder könnte. Nur auf diese Weise – weil sie schon an und für sich eine von Gottes Gesetz regierte Einheit ist – genießt jede consociatio ihre relative ursprüngliche Autonomie (die áõôÜρκåéá in I, 7 und 10), die ihr die Kompetenz verleiht, den höchsten Ebenen im Staat und in der Gesellschaft Befugnisse abzutreten (Prinzip der Subsidiarität).58 Nur so kann die consociatio als eine Monaden-Einheit des ganzen gesellschaftlich-staatlichen Modells des Althusius dienen – monadisch nur im Sinne dieser jeweiligen Ausgangsautonomie, denn freilich hat jede Vereinigung das Bedürfnis sich darüber hinaus weiter zu vereinigen).59 – die aristotelische politische Tradition der κïéíùíßá, insbesondere für das a priori nach dem der Mensch alleine nicht „áõôÜρκ磓 (I, 3 f.) ist, sondern das Bedürfnis hat, sich zusammenzuschließen:60 „La socialità è per l’uomo un dato naturale, un presupposto della sua essenza“.61 Von diesem Ausgangspunkt her muss die Differenz zwischen dem modernen Föderalismus, der auf dem freiwilligen Konzept der gegenseitigen Übereinkunft basiert und dem prä- oder protomodernen Konzept des Althusius beachtet werden.62 Aber es ist auch wichtig

58 C. Malandrino, La ,sussidiarietà‘ nella ,Politica‘ e nella prassi antiassolutista di J. Althusius a Emden, in „Il pensiero politico“, XXXIV, 2001, S. 41 – 58. 59 Eine treffliche Synthese zur Relation zwischen ius symbioticum und consociationes findet sich bei M. Scattola, Subsidiarität und gerechte Ordnung in der politischen Lehre des Johannes Althsius, in Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft. Genese, Geltungsgrundlagen und Perspektiven an der Schwelle des dritten Jahrtausends, hrsg. v. P. Blickle / T. O. Hüglin / D. Wyduckel, Berlin, 2002, S. 337 – 369: 351 – 363. 60 Vgl. Aristoteles: Politik, 1253 a 7 – 10. Zum aristotelischen Begriff vgl. z. B. P. WeberSchäfer, Community und koinonía. Versuch einer Begriffsklärung, in Politik und Politeia. Formen und Probleme politischer Ordnung. Festgabe für Jürgen Gebhardt zum 65. Geburtstag, hrsg. v. W. Leidhold, Würzburg, 2000, S. 619 – 629. 61 Scattola, Dalla virtú alla scienza, zit., S. 292 – 295: 293. 62 G. Duso, Althusius. Pensatore per una società postmoderna?, „Filosofia politica“, 1990, S. 163 – 175; Id., Sulla genesi del moderno concetto di società: la ,consociatio‘ di Althusius e la ,socialitas‘ di Pufendorf, „Filosofia politica“, 1996, S. 5 – 31; Id., Una prima esposizione, zit.; Id., Il governo e l’ordine delle consociazioni, zit.; Id., Mandatskontrakt, Konsoziation und Pluralismus in der politischen Theorie des Althusius, Duso / Krawietz / Wyduckel, zit., S. 65 – 81; Id., Herrschaft als ,gubernatio‘ in der politischen Lehre des Johannes Althusius, in Politische Begriffe, Bonfatti / Duso / Scattola, zit., S. 13 – 33: 19. Vgl. L. Calderini, La ,Politica‘ di Althusius. Tra rappresentanza e diritto di resistenza, Milano, 1995, S. 59 – 70.

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zu betonen, dass dieser Aristotelismus untrennbar mit dem Ciceronismus vermischt ist (vgl. die Metapher der musikalischen Harmonie zwischen Regierenden und Untertanen)63, so wie auch mit dem theologischen und juristischen Sprachgebrauch (vgl. die breite Spanne zwischen pactum tacitum und pactum expressum) und wie das ,angenommene‘ Essenzielle der menschlichen Natur auf die göttliche Schöpfung verweist. Diese vier semantischen Traditionen der verschiedenen Bereiche (Cicero im ramistischen Sinne, die artes liberales, die Logik; die Theologie; die Jurisprudenz und die politische Philosophie) fließen im althusianischen Begriff der consociatio zusammen. Althusius macht aus ihnen eine neue Einheit, einen Schlüssel zur Interpretation des Staates und der internen Gesellschaft. Das neue ,Amalgam‘ dient ihm zur „Entpersonalisierung der Macht“ und sein Transfer führt zur abstrakten Einheit der consociatio hin, die Lucia Bianchin in seinem Werk richtig ausgemacht hat.64

5. Die Rezeption des Begriffs Es hat sich noch niemand wirklich umfassend mit der Frage der Rezeption des althusianischen Werks in der frühen Neuzeit befasst. N. Runeby hat so manchen Hinweis auf sein Schicksal in Schweden gegeben.65 Der Althusius-Bibliographie von Wyduckel folgend66 hat Gerhard Menk versucht, einige Werke aufzuzählen, die im 17. Jahrhundert noch für eine gewisse Zeit die althusianische Begriffskonzeption wiederaufnehmen und seine Präsenz in den akademischen Institutionen der calvinistischen deutschen Territorien und vor allem der Niederlande belegen (Herborn, Leiden, Groningen etc. – Philiph Heinrich Hoen, Johann Heinrich Alstedt, Gisbert Voetius, Matthias Pasor und einige andere Autoren des jus publicum imperiale (Reichspublizistik) sowie die ,anti-Althusianer‘ Herman Conring, Peter Gartzius).67 Man mag auch einige Zitate des Althusius in den Dokumenten der Konflikte zwischen den territorialstaatlichen Ständen und einem Fürsten (etwa der Landgräfin von Hessen) in der Mitte des 17. Jahrhunderts finden (Robert v. FriedeIbid., S. 295 f. Anm. 265. L. Bianchin, Politica e scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in Campos Boralevi / Quaglioni (Hgg.), Politeia biblica, zit., S. 409 – 430: 410. 65 N. Runeby, Monarchia mixta. Marktfördelningsdebatt i Sverige under den tidigare stormaktstiden, Stockholm, 1962, S. 18 ff., 450 ff. und passim. 66 Althusius-Bibliographie: Bibliographie zur politischen Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, H. U. Scupin / U. Scheuner (Hgg.), ausgearbeitet von D. Wyduckel, 2 Bde., Berlin, 1973. 67 Vgl. G. Menk, Johannes Althusius und die Reichsstaatsrechtslehre. Ein Beitrag zur Wirkung der Althusianischen Staatstheorie, in Politische Theorie des Johannes Althusius, Dahm / Krawiez / Wyduckel, zit., S. 255 – 300. 63 64

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burg).68 Derselbe Friedeburg hat auch über die Rezeption des Althusius in England und in Schottland im 17. Jahrhundert geschrieben.69 Anhand dieser Studien kann aber nicht entschieden werden, ob eine Althusius-Rezeption nur hinsichtlich des einen oder anderen Elements stattfindet (z. B. die Figur der ,Ephoren‘, das Widerstandsrecht, die Diskussion der Souveränitätsfrage) oder auch hinsichtlich des Grundbegriffs der consociatio selbst. In ihrer althusianischen, desakralisierten Form scheint der Begriff eher keine große Diffusion erfahren zu haben. Indes, bei seiner historischen Beschreibung der Konföderation der hanseatischen Städte verwendet sie der Sekretär und Bürgermeister der Stadt Magdeburg, Johann Angelius Werdenhagen.70 Vittorio Conti betitelte sein wichtiges Buch über die republikanische Tradition in den Niederlanden Consociatio civitatum, aber in den von ihm zitierten Textpassagen der Druckerei Elzevir erscheint der Begriff tout court kein einziges Mal – außer in der Politica des Althusius.71 Es scheint demnach, dass die Konjunktur des Begriffes im politisch-juristisch-(theologischen) Sprachgebrauch der Epoche nach Althusius zwar steigt, aber der Terminus bleibt vermutlich immer auf der Ebene eines eher ungenauen Synonyms zu confoederatio, foedus etc., oder zumindest auf der Linie des theologisch-juristischen Sprachgebrauchs, wie er zuerst vor Althusius bei Melanchthon, Bucer, Daneau und Ursinus anzutreffen war. 68 Vgl. R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Landespatriotismus. Territorialstaatsbildung und Patriotenpflichten in den Auseinandersetzungen der niederhessischen Stände mit Landgräfin Amelie Elisabeth und Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel 1647 – 1653, in Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16. – 18. Jh.), hrsg. v. A. De Benedictis / K.-H. Lingens, Frankfurt / M., 2003, S. 267 – 326 und Id., Widerstandsrecht, Untertanen und Vaterlandsliebe: Die ,Politica‘ des Johannes Althusius von 1614 und ihre Rezeption in einem ständisch-fürstlichen Konflikt (1647 – 1652), in Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, Carney / Schilling / Wyduckel, zit., S. 261 – 283: 277 – 281. 69 Siehe unter anderem R. v. Friedeburg, Self-defence and religious strife in early modern Europe, Aldershot, 2002. 70 J. A. Werdenhagen, De civitatum Hanseaticarum antiquo celeberrimoque foedere, eius consociatione, articulis et fundamentali constitutione tractatus specialis pars posterior alias respectu antecedentium quarta, = J. A. Werdenhagen, De rebus publicis Hanseaticis tractatus cum urbium earum iconismis, descriptionibus, tabulis geographicis et nauticis nec non inductione generali Rom. Imper. Germ. noviter auctus et revisus, Frankfurt / M., 1641, pars 4 / I (erste Auflage Leiden 1630). Zu Werdenhagen vgl. A. Voigt, Über die Politica generalis des Johann Angelius von Werdenhagen (Amsterdam 1632), Erlangen, 1965; R. Crahay, Dalla ,République‘ di Jean Bodin alla ,Synopsis‘ di Johann Angelius Werdenhagen (1635). Un rinnovamento dei concetti religiosi e politici, „Rivista storica italiana“, CIV, 1992, S. 629 – 677; V. Conti, Consociatio civitatum. Le repubbliche nei testi elzeviriani (1625 – 1649), Firenze, 1997, S. 121 – 146; demnächst D. Quaglioni, Prerogative e limiti del potere nell’Europa dei principi: la ,Synopsis‘ di Johann Angelius Werdenhagen (1635 e 1645), in La società dei principi, C. Dipper, / M. Rosa, Bologna, 2004. Zu seiner theologischen Konzeption vgl. A. Brendecke / M. Friedrich, Reformationsjubiläum als Kritik. Das ,wahre Christentum‘ in Johann Angelius Werdenhagens acht Helmstedter Reden von 1617, „Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte“, XX, 2001, S. 91 – 105. 71 Conti, Consociatio civitatum, zit.

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Wie für das gesamte Werk des Althusius scheint die Wiederentdeckung durch Gierke auch das Interesse für den Zentralbegriff der consociatio zu erneuern. Gierke identifiziert ihn mit seiner Genossenschaft, die ihrerseits der Zentralbegriff bei seinem doppelten Anliegen ist, einerseits das deutsche Recht zu reformieren (Gildensozialismus), andererseits eine Rechtsgeschichte des Genossenschaftswesens zu schreiben.72 Die Gierke‘sche Interpretation leidet vor allem an einer zu modernistischen Auslegung im Stil des 20. Jahrhunderts und an der ahistorischen Hineininterpretation eines vor-rousseauianischen Gesellschaftsvertrages in den Begriff der consociatio des Althusius. Diese Interpretation war sehr einflussreich. Troeltsch zum Beispiel folgt Gierke und man kann bei ihm über Althusius lesen, dass sein Werk „die Gesellschaft der Freiheit und der Gleichheit der Individuen“ konstruiere, während sich in Wirklichkeit doch Althusius äußerst wenig für die Individuen und deren Freiheit interessiert und vor allem von der ersten Seite an bis zur letzten die Ungleichheit der Menschen unterstreicht.73 Die berühmte Arbeit des Ferdinand Tönnies ist nicht direkt von Althusius inspiriert und ist vor allem aus einer gewissen Kontraposition zum Gierke‘schen Gedanken geschrieben, aber das Interesse für die vormoderne ,Gemeinschaft‘ (auch wenn es das Ergebnis einer Mythisierung ist), ist trotzdem in eine indirekte, mit dem Projekt von Gierke verbundene Genealogie inseriert. Althusius selbst kannte sicherlich weder zwischen ,Staat‘ und ,Gesellschaft‘, noch zwischen ,Gemeinschaft‘ und ,Gesellschaft‘ eine klare Differenz; alles bestand aus consociationes.74 Es war vor allem C.-J. Friedrich, der in seiner teilweisen Edition der Politica 1932 eine erste weniger ideologische und mehr historische Ausdeutung des althusianischen Denkens lieferte.75 Dieser betont gegen Gierke, dass vor allem, was die Bedeutung der consociatio angehe, Althusius nicht wie ein juristischer oder naturrechtlicher Autor betrachtet werden dürfe, sondern dass seine Wichtigkeit in der klaren Unterscheidung zwischen der Jurisprudenz und der Politik bestehe und dass seine consociatio so als Grundbegriff für eine relativ empirische Betätigung der Gesellschafts- und Machtanalyse diene.76 Wie später auch Duso betonte Friedrich die vor- oder nicht-voluntaristische Verfassung des althusianischen Gedankens; die consociatio habe nichts zu tun mit dem contrat social von Rousseau.

72 O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., [erste Edition 1868 – 1913], neue Edition, Darmstadt, 1954; Id., Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Rechtssystematik [1880], Aalen, 19817; vgl. M. Peters, Johannes Althusius (1557 / 63 – 1638) aus der Sicht Otto v. Gierkes (1841 – 1921), Bonfatti / Duso / Scattola (Hgg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld, S. 331 – 361. 73 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen, 1912 (1994), Bd. 2, S. 696. 74 F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt, 1988 [erste Edition 1887]. 75 C. J. Friedrich, Introductory Remarks, in J. Althusius, Politica methodice digesta, Cambridge, 1932, S. xv – cxxxix. 76 Ibid., S. Lxvii – Lxxv.

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Die interpretative und historische Forschung über Althusius wurde nach dem Krieg in den 60er-Jahren fortgesetzt, aber nur von wenigen Forschern, die meist kulturell dem Calvinismus verbunden waren.77 Während Althusius mit Friedrich und den holländischen Forschern in die angelsächsische Tradition eingetreten war, blieben im Heimatland Bodins die ihm von Mesnard gewidmeten Seiten fast ohne Nachfolge – vielleicht ließ die klassische Tradition des zentralisierten Staates als evidenter Ausgangspunkt die Theorie des Althusius nicht besonders nützlich erscheinen.78 Nach 1988, seit dem Jubiläum des 350. Geburtstags des Autoren, nahm das Interesse an Althusius erheblich zu, mit Hilfe diverser, oft von Dieter Wyduckel organisierter Symposien.79 Es erschienen damals die Monografien von Hueglin und Calderini,80 die diversen Studien von Duso und Scattola. 1997 wurde eine Tagung ausschließlich den Konzepten von ,Konsens und Konsoziation‘ gewidmet;81 hervorzuheben ist auch der Artikel von Peter Blickle über den Terminus der consociatio, der ihn als ,Spiegelbild‘ oder als ,theoretische Elaboration‘ der kommunalistischen Praxis der zu Althusius‘ Lebzeiten gerade ausklingenden Epoche verstand.82 Bedeutsam war auch der Artikel von Horst Dreitzel, der die Wichtigkeit der Föderaltheologiefür das Werk des Althusius allgemein und für den Begriff der consociatio im Besonderen verneinte.83 Außer diesen, nur Althusius gewidmeten Symposien ist es gerade für das Schicksal des Begriffes consociatio auch wichtig, zu erinnern, dass in der Nachkriegszeit (genauer 1967) die Theorie der ,consociational democracy‘ von Arend Lijphart und Gerhard Lehmbruch entstand. Diese beiden benutzten den Begriff des Althusius,84 diesen selbst zitierten sie indes fast nie in den Diskussionen. Der Begriff wurde von seinem Verfasser gelöst. Überdies war die Theorie der ,consociational democracy‘ nicht in direkter Linie mit dem althusianischen Gedanken verbunden: es handelte sich um eine Theorie, die dazu diente, demokratische Ord77 H. W. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Diss. phil. Köln 1954; P. J. Winters, Die ,Politik‘ des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen, Freiburg i.Br., 1963; H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius, Diss. theol. Münster 1990. 78 P. Mesnard, L’essor de la philosophie politique au XVIe siècle, Paris, 19693, S. 567 – 617; zur Diskussion der ,consociatio symbiotica‘ vgl. ibid., S. 577 – 581. 79 Politische Theorie des Johannes Althusius, Dahm, Krawietz, Wyduckel (Hgg.), zit. 80 Hüglin, Sozialer Föderalismus, zit.; L. Calderini, La ,Politica‘ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Milano, 1996. 81 Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, hrsg. v. G. Duso / W. Krawietz / D. Wyduckel, Berlin, 1997; Politische Begriffe und historisches Umfeld, hrsg. v. E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola, zit. 82 P. Blickle, Die ,Consociatio‘ bei Johannes Althusius als Verarbeitung kommunaler Erfahrung, in Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft. Genese, Geltungsgrundlagen und Perspektiven an der Schwelle des dritten Jahrtausends, hrsg. v. P. Blickle / T. O. Hüglin / D. Wyduckel, Berlin, 2002, S. 215 – 236. 83 Dreitzel, Althusius in der Geschichte des Föderalismus, zit. Diskutiert bei Zwierlein, Reformierte Theorien der Gesellschaften, zit. 84 Vgl. Hüglin, Early modern concepts, S. 16 Anm. 4.

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nungen der Politik und Verfassung im Vergleich zwischen verschiedenen Arten von Demokratie zu beschreiben. Zu Beginn wurde diese angewandt auf Länder wie die Schweiz, die Niederlande, Belgien, Südafrika und andere Länder, in denen eine kulturell sehr inhomogene und gespaltene Gesellschaft staatsähnlich in einer Demokratie mit starken Elementen des Föderalismus im Inneren (Privilegien für Minderheiten, administrative Autonomie für bestimmte Gruppen oder Regionen in unterschiedlicher Hinsicht) vereinigt war, in denen aber ein großer Konsens der Eliten vorherrschte, die quer zu kulturellen und ethnischen Barrieren die Einheit des demokratisch-staatlichen Körpers ausmachten. Diese Art Demokratie verstand sich als Gegenmodell zum Typ ,Westminster‘, in dem – auf der angenommenen Grundlage einer ziemlich homogenen Gesellschaft – die bei den Wahlen siegreich hervorgehende Mehrheit ohne powersharing regierte. Ersteres Modell ist seit 1989 wieder berühmt und wichtig geworden, weil es sich besser als das Modell ,Westminster‘ in den kürzlich demokratisierten Staaten des ehemaligen Jugoslawiens und anderen Regionen der Welt umsetzen lässt.85 Diese Theorie teilt mit dem althusianischen Gedanken die Ideen der Kombination von Subsidiarität und einvernehmlicher communicatio im Inneren des Staatskörpers, aber das Ausgangsproblem der Theorie der konsozialen Demokratie – die Beziehung Mehrheit – Minderheit – ist bei Althusius nicht in dem Maße präsent. Die Deutung der Europäischen Union als eine konstitutionell-politische ,konsoziale‘ Einheit auf dieser mehr oder weniger althusianischen Linie scheint allerdings überzeugend.86 Diese Diskussionen, wie auch die zum ,Neokorporativismus‘ und zum ,Kommunitarismus‘, zur civil society, zur ,kosmopolitischen Demokratie‘ und den verschiedenen Formen des föderalistischen Gedankens, die hier nicht erwähnt werden, da sie weniger Anleihen beim Konzept der consociatio nehmen,87 sind eng mit der 85 Vgl. A. Lijphart, Consociational Democracy, „World Politics“ XXI, 1969, S. 207 – 225; G. Lehmbruch, A Noncompetitive Pattern of Conflict Management in Liberal Democracies: The Case of Switzerland, Austria, and Lebanon, in Consociational Democracy: Political Accomodation in Segmented Societies, K. MacRae (Hg.), Toronto, 1974; A. Lijphart, PowerSharing in South-Africa, Berkeley, 1985 (= Policy Papers in International Affairs 24); Institutional design in new democracies. Eastern Europe and Latin America, A. Lijphart / Carlos H. Waisman (Hgg.), Boulder / Oxford, 1996; J. Steiner, European Democracies, New York et al., 19974, S. 268 – 313; R. B. Andeweg, Consociational Democracy, „Annual Review of Political Science“ III, 2000, S. 509 – 536; Northern Ireland and the Divided World. The Northern Ireland Conflict and the Good Friday Agreement in Comparative Perspective, J. McGarry (Hg.), Oxford, 2001 (,consociationalism‘ dient als interpretativer Schlüssel); A. Lijphart, The Evolution of Consociational Theory and Consociational Practices, „Acta politica“ XXXVII, 2002, S. 12 – 20. 86 M. J. Gabel, The Endurance of Supranational Governance. A Consociational Interpretation of the European Union, „Comparative Politics“ XXX, 1998, S. 463 – 475; M. G. Schmidt, The Consociational State. Hypothesis Regarding the Political Structure and the Potential for Democratization of the European Union, „Acta politica“ XXXVII, 2002, S. 213 – 227. Vgl. auch Hüglin, Early modern concepts, zit., S. 210 – 212. 87 Vgl. Hüglin, Early modern concepts, zit., S. 212 – 219 zur Diskussion der „affinities“ dieser Diekussionen und Theorien mit dem althusianischen Gedanken. Vgl. auch C. Maland-

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,post-‘ oder ,spät-modernen‘ Auffassung der Welt und der Staaten verbunden: wenn Althusius sich hier einer neuen Wichtigkeit als ,klassischer‘ historischer Bezugspunkt rühmen darf, ist dies vielleicht dem ersten Eindruck zu verdanken, den seine Politica immer macht, nämlich dass sie keine klare Trennung von Gesellschaft und Staat kennt, und dass seine Theorie auf der Grundidee einer gleichzeitig sozialen, politischen und juristischen Vereinigung aufruht – weshalb die Theorie inzwischen vielleicht wieder Quelle einer größeren Inspiration im Vergleich zu,alten‘ Klassikern wie Bodin, Hobbes und auch Rousseau sein kann, die immer von den Einheiten des Staates und der Regierung auf der einen Seite ausgehen und vom Individuum (,frei‘ und ,gleich‘, Untertan oder ,Repräsentant‘) auf der anderen Seite. Von der Warte der Wort- und Begriffsgeschichte aus betrachtet bleibt dieser Bezug zu Althusius immer recht abstrakt. Althusius dachte nicht an consociationes von verschiedenen ethnischen oder kulturellen Gruppen; die lex symbiotica, die jede consociatio beherrschte, war allen gemeinsam; es war ein eindeutig christliches und calvinistisches Gesetz. Die Vermischung von ,Religion‘ und ,Politik‘ – und zwar präzise gesagt von einer Religion mit der Politik – scheint mir bei Althusius stärker zu sein, als viele Autoren, die sich heute daran orientieren, um postmoderne Theorien der Gesellschaft zu entwerfen, vielleicht bereit sind, zu akzeptieren; oft ist es gerade die Verschiedenheit der Religion (gemischt mit weiteren ethnischen und kulturellen Komponenten), die das fundamentale Problem für die neuen Demokratien im Zeitalter der Globalisierung ist und hierfür ,konsozietale‘ Theorien interessant macht. Was ist also die lex symbiotica, die für alle in einer ,Gesellschaft aus consociationes‘ von heute gültig sein müsste? Besteht sie in den Menschen- und Bürgerrechten? Auch dies sind Erfindungen der okzidentalen Aufklärung und das Postulat ihrer ,universellen Gültigkeit‘ wäre immer ein Konfliktherd. Ein gewisser übergreifender Universalismus, der sich einer wert-neutralen, technisch-konsozietalen Aggregation beliebiger Gruppen widersetzt, bleibt der althusianischen Theorie und dem Schlüsselbegriff der consociatio somit eingeschrieben – eben deshalb, weil die größte Gemeinschaft (die respublica) und die kleinste am Ende die gleiche ethische Normativität im Modell des Althusius teilen. Diese strenge Verbindung und Verpflichtung wird durch die Behauptung der Teil-Autonomie der Gemeinschaften und der Subsidiarität zwischen ihnen nicht gekappt.

rino, Sovranità nazionale e pensiero critico federalista. Dall’Europa degli stati all’unione federale possibile, „Quaderni fiorentini“, XXXI, 2002, S. 169 – 244: 236 – 244.

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Ephori 1. Im klassischen Griechenland bezeichnet der Begriff „Ephoren“ Amtsträger mit einer speziellen Kontrollmacht. Das griechische Stichwort éphoros bedeutet genau „überwachend“, „Wächter“. Die Amtsträger mit dieser Bezeichnung finden sich in verschiedenen griechischen Städten, aber der Erfolg der Erscheinung und des Begriffs ist mit der Verfassung des antiken Sparta verbunden, das über die Jahrhunderte hinweg einen geradezu unvergänglichen politischen Mythos aufrecht erhalten hat. Die spartanische Verfassung wird rasch idealisiert, wurde aber auch schon bei den Griechen heftig kritisiert und zum Streitbegriff im politischen Diskurs; in diesem Zusammenhang wird das Bild der Ephoren dann von den politischen Philosophen, die über ihre Rolle und die Regierungsform, deren zentrale Erscheinung sie sind, diskutieren, entweder in hellen Farben oder dunkel gezeichnet. Von der Antike an ist die Frage der politischen Ordnung der Spartaner in ein mythisches Licht getaucht, das auf einer Überlagerung einer intellektuellen Abstraktion und der konkreten Vielfalt der historischen Realität beruht, von der allerdings nur wenig bekannt ist, und auch das nur auf indirektem Weg, so dass Teilaspekte ausgearbeitet, deformiert und gegeneinander gestellt werden, um zusammen mit den Lykurg zugeschriebenen Gründungsgesetzen die Gebräuche, das Erziehungsmodell, die militärische Tüchtigkeit, die Gleichheit und die Freiheit aller Spartaner zu preisen oder zur Diskussion zu stellen. Neben den kriegerischen Tugenden ist die Gleichheit eines der grundlegenden Bestandteile des Mythos von der spartanischen Ordnung. In Wirklichkeit sind in der griechischen Stadt die Bürger nur eine Minderheit und üben die Macht über eine große Menge von Nicht-Bürgern aus. Von den Bürgern sind die Ephoren führend, die ein Kollegium von fünf Amtsträgern bilden, dem der erste Ephor vorsitzt, der dem Jahr den Namen gibt; seine Amtszeit beträgt ein Jahr. Die Ephoren sind dadurch, dass sie von der Apella oder dem in einer Versammlung vereinten Volk gewählt werden, Vertreter der Volkes, die unterschiedslos aus allen Spartanern ausgewählt wurden. Nach einer Überlieferung, der allerdings andere und abweichende Zeugnissen widersprechen, wird ihre Einrichtung Lykurg zugeschrieben, der von Sparta als der historische Gesetzgeber verehrt wird, dessen Figur aber von geheimnisvollem Nebel umgeben ist, der ihm göttliche oder zumindest mythische Ursprünge zuspricht. Sicher ist allerdings, dass die spartanischen Ephoren eine alte Einrichtung sind; man kann sie bis ins achte Jahrhundert vor Christus zurück nachweisen.

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Mit der Zeit haben die spartanischen Ephoren immer mehr Macht erlangt, bis sie zu den eigentlichen Staatshäuptern wurden, die zusammen mit der Gerusia sowohl über der Volksversammlung als auch über den beiden Königen standen, und das umso mehr, als die Versammlung und die Gerusia nicht ständig zusammenkamen und die Könige ihrerseits viel in äußere Kriege eingebunden waren, so dass die einzigen Amtsträger, die ständig präsent waren und sich um alle öffentlichen Angelegenheiten kümmerten, eben die Ephoren waren. Auf diese Weise erlangten sie zentrale Bedeutung. Sie haben eine sehr weitreichende zensorische Gewalt, die unter anderem in der moralischen und physischen Erziehung der Jugendlichen zum Ausdruck kommt, in der Kontrolle des privaten und öffentlichen Lebens der Bürger usw. bis hin zur Kontrolle der Könige und der militärischen Angelegenheiten, ganz zu schweigen von der Kontrolle der anderen Amtseinrichtungen. Sie dringen dann leicht in den Tätigkeitsbereich anderer Organe ein – auch dank einer ebenso weit gefassten wie unbestimmten Befugnis, die ungeschriebenen Traditionen der Stadt auszulegen. Ihr fortschreitender Machtzuwachs führt zum Ausbruch der königlichen Opposition und endet erst mit der Ermordung der amtierenden Ephoren durch Kleomenes III. und ihrer konsequenten Unterordnung unter die Könige im Jahr 227 vor Christus.1 Trotz der kritischen Analysen dieser Verhältnisse von vielen Philosophen und sogar von Aristoteles2 findet die Idealisierung von Sparta bereits in der klassischen Antike und über die Jahrhunderte hinweg Verbreitung und taucht bisweilen in verkürzter Form wieder auf und hält sich bis in die jüngste Zeit. So werden zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Zusammenhängen die Erscheinung und die Rolle der Ephoren wieder aufgegriffen und von politischen Denkern neu zum Vorschlag gebracht, wobei sie ihre Funktion entstellen, sie der Ideologie ihres Diskurses anpassen und die vorgebliche Qualität der spartanischen Verfassungen in ein zeitlos stereotypes Bild fassen, das ihr Bestehen über mehrere Jahrhunderte hinweg und die der Stadt zugeschriebenen Tugenden preist und über den unvermeidlichen Verfall der Institutionen im Laufe der Zeit hinwegsieht. In Griechenland setzt das geschönte Bild Spartas mit dem Erfolg der Demokratie in Athen und in anderen Städten ein; all diejenigen, die sich in den neuen demokratischen Gebräuchen nicht wiedererkennen, blicken damals sehnsüchtig nach Sparta. Umso mehr ist es daher eine intellektuelle und soziale Elite, die die Ephoren aufwertet, die Hüter und Wächter der alten Tugenden sind. Die unkritische Akzeptanz des spartanischen Dogmas in Verbindung mit unterschiedlichen kulturellen Modifikationen wird von einer ihm eigenen einzigartigen Besonderheit befördert: Die Lykurg zugeschriebene Verfassung bietet sich dazu an, einmal (wegen der Existenz von Königen) als eine Monarchie und ein andermal (aufgrund der Geronten) als Oligarchie oder (wegen des Volkes, das in der Versammlung anwesend ist und über 1 Zur Kontrolle der Amtsträger im antiken Griechenland vgl. P. Fröhlich, Les cités greques et le contrôle des magistrats (IV-I siècle avant J.-C.), Genf 2004; N. Richer, Les Ephores. Etudes sur l’histoire et sur l’image de Sparte, VIII – III siècle, Paris 1998. 2 Vgl. Aristoteles, Politik, II, 9.

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die Vertretung durch die Ephoren die Amtsträger kontrolliert) als Demokratie und schließlich auch aufgrund all der genannten Gründe als eine Mischverfassung interpretiert zu werden. Um diese Eigentümlichkeit zu fassen zu bekommen, ist der Begriff miroir complaisant verwendet worden: die spartanische Verfassung ist ein schmeichelnder Spiegel, der seinen Betrachtern das Bild zurückwirft, das sie sehen möchten3. 2. Im 16. Jahrhundert wird der Mythos der Einrichtungen Spartas mit dem Thema des Ephorats mit Elan wieder aufgegriffen und von Autoren unterschiedlicher politischer Ausrichtung je nach Belieben interpretiert und entsprechend ihrer Interessen genutzt. Diese neuerliche Aktualität fügt sich in das Bild des Modernisierungsprozesses und in die Erforschung der Regeln der Monarchie oder der Normen, die der Monarchie Ordnung, Zurückhaltung, Maß verleihen können, um deren Bestimmung sich alle Denker des 16. Jahrhunderts, welcher Seite sie auch angehören, in unterschiedlicher Weise bemühen. Das gilt vor allem für die Theoretiker jener Monarchie, die auf die königliche Macht und auf die Souveränität des Monarchen konzentriert ist, die weit davon entfernt sind, die Gestalt der Ephoren oder jede andere Amtseinrichtung oder jeden anderen Mechanismus zu schätzen, der den Anschein erweckt, die souveräne Macht zu bedrohen. Bodin hatte sich bereits 1566 in seiner Methodus ad facilem historiarum cognitionem, aber auch später in den Six livres de la République von 1576 auf das Ephorat und eine aristokratische Sicht der spartanischen Verfassung berufen, um auf den willkürlichen und tyrannischen Charakter der Macht der Ephoren hinzuweisen. Nach der bodinschen Interpretation erscheinen die Ephoren tatsächlich als Träger einer Kontrollmacht, die über der der Könige steht, so dass sie die Souveränität der Könige zunichte macht4. Diesem Bild widerspricht die Analyse von Etienne Pasquier nicht grundsätzlich, der in Pourparler du Prince 1560, auch wenn er in der Autorität der Ephoren eine Art Bremse für die Freiheit der Könige erkennt, dennoch ein Lob auf das maßvolle Ausüben der königlichen Macht in der französischen Monarchie anstimmt, wobei er dies nicht auf Kontrollorgane zurückführt, sondern auf die Weisheit der Monarchen selbst5. Das Ephorat wird dagegen mit einer ganz anderen Forderung von denen neu überdacht und zum Vorschlag gebracht, die glauben, dass seine Zügel nicht ausreichen, die Macht der Monarchen zu mäßigen und dem Abdriften der Monarchien in die Tyrannei entgegenzusteuern. Sie lernen von den griechischen Städten, wie sich die Bürger bemühen, die Kontrolle über das Handeln der Amtsträger nicht zu ver3 Vgl. F. Ollier, Le mirage spartiate (1933), New York 1973, S. 46; vgl. auch G. Giorgini, I doni di Pandora. Filosofia, politica e storia nella Grecia antica, Bologna 2001; E. Rawson, The Spartan Tradition in European Thought, Oxford 1969. 4 Vgl. J. Bodin, Methodus ad facilem historiarum cognitionem libri VI. Parisiis, apud Martinum Iuvenem, 1566; Id., Les six livres de la République, II (it. Ausgabe / I Sei libri dello Stato, hrsg. von M. Isnardi Parente und D. Quaglioni, Turin, VTET, 1964 – 1997, I). 5 Vgl. E. Pasquier, Pourparler du Prince, in: B. Sayhi-Périgot (Hrsg.), Pourparlers, Paris 1995, S. 99.

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lieren, und beanspruchen, die volle Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, und verleihen ihrerseits bei den Gesetzen des Reichs den sicheren Kontrollmechanismen, Institutionen oder zuständigen Korporationen ein Gewicht, so dass sie eine ephorale Macht erhalten. Es ist eine Idee, die unter den Protestanten Verbreitung findet, für die das Problem der Verteidigung des Glaubens und der Kultusfreiheit zum Mittelpunkt ihres Forderungskatalogs wird. Calvin selbst gibt in der Frage den Ton vor. In der Institutio Religionis Christianae (Erstausagbe 1536), genauer: in Kapitel XX des vierten Buchs (De politica administratione) schreibt der Reformator, dass die beste Regierungsform die ist, in der eine gut eingeschränkte und dauerhafte Freiheit herrscht, und dass die Herrschenden, die für die Freiheit des Volkes verantwortlich sind, die Pflicht haben, sie zu erhalten. Calvin vertritt die Meinung, dass es allein von Gottes Willen abhängt, ob in den Reichen und über die freien Völker gute oder schlechte Regierungen eingesetzt werden, und er ist der Auffassung, dass eine Gehorsamspflicht der Privatleute gegenüber jeglicher Autorität besteht mit der alleinigen Ausnahme des außerordentlichen und von Gott direkt inspirierten Helden, der die Aufgabe hat, ein ungerechterweise geplagtes Volk zu befreien. Nach Calvin müssen die Privatleute auch eine regellose Autorität als gerecht akzeptieren – als Strafe Gottes für begangene Sünden. Er stellt jedoch fest, dass dies nicht heißt, dass eine solch angemaßte Autorität für sich genommen gut ist und auch nicht, dass sie zulässig ist. Er lobt daher jene Verfassungen, die Einrichtungen für die politische Kontrolle vorsehen, die auch – wo es sie gibt – von den gewöhnlichen Gehorsamspflichten der Amtsträger freigestellt sind, die eben genau zum Schutz des Volkes eingerichtet worden sind und dafür, die übermäßige Freiheit und Habgier der Souveräne einzuschränken („ad moderandam Regum libidinem constituti“). Er macht dies damit deutlich, dass er eben neben den römischen Volkstribunen und den athenischen Demarchen die Ephoren von Sparta anführt, zu denen er bezeichnenderweise hinzufügt: „hodie in singulis regnis tres ordines.“ Calvin haucht auf diese Weise mit der raschen Aufzählung der idealen Ordnungen dem antiken Prinzip der Kontrolle der Amtsträger neue Lebenskraft ein und erklärt genauer, dass die Abgeordneten der drei Stände sich dem zügellosen Verhalten und den Grausamkeiten eines Souveräns nicht nur entgegenstellen können, sondern müssen, denn er meint, dass sie von Gott die Aufgabe zugewiesen bekommen haben, über die Freiheit des Volkes zu wachen6. Dieser Passus Calvins löste rasch Diskussionen aus. Aber seine Betrachtungsweise, die Lykurgs Staat zu den besten zählt und seine Ordnung unter der Typologie „Mischverfassung“ subsumiert, findet unter seinen Anhängern Verbreitung und prägt die moderne Konzeption der Kontrollmacht der Ephoren, die schrittweise und nach einer Entwicklung erfolgt, die sich in den Hauptwerken der französischen calvinistischen Monarchomachen wiederfindet. Sie greifen nämlich auf die Figur der spartanischen Ephoren zurück und nutzen sie politisch, und zwar immer weiter 6 Joannis Calvini, Opera selecta ediderunt P. Barth, G. Niesel. Bd. V: Institutionis christianae religionis, 1559. Editio secunda emendata, München 1962, IV, XX, 31, S. 501.

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von den Bezügen zur historischen Ordnung der Spartaner losgelöst. Dieses kulturellen Erbes und dieser Erfahrungen wird sich Johannes Althusius ausgiebig bedienen. Bereits François Hotman, der Autor der Francogallia von 1573, wird von Althusius häufig zitiert, der ihn vor allem als Juristen liest. Anders als Bodin kombiniert Hotman ohne Vorbehalte die spartanische und französische Verfassung und bezeichnet beide als gemischte Verfassungen. Hotman beurteilt die Rolle der Ephoren7 ganz im Sinne Calvins und nutzt das Verhältnis zwischen König und Ephoren zu seinem Vorteil, wobei er in den Ephoren nicht nur eine Zügelungsinstanz der Autorität erkennt, sondern sie als regelrechte Kontrolleure versteht, die in seinen Worten Garanten für die Achtung des von den Königen geleisteten Eides sind; er erinnert nämlich an den monatlich geleisteten gegenseitigen Eid zwischen Königen und Ephoren und wendet ihn auf seine Zeit an, wobei er der Auffassung ist, dass die ersteren geschworen hätten, innerhalb der von den Gesetzen vorgesehenen Grenzen zu regieren und letztere die königliche Autorität bewahrten, wenn die Könige sich nicht an den Eid gehalten hätten8. Die Ephoren sind für Hotman demnach die Garanten für die Verfassung, haben also eine Aufgabe, die er in der französischen Verfassung der Ständeversammlung zuschreibt, in der für den Autor letztlich die Souveränität liegt, die also als Souveränität des Volkes bezeichnet werden sollte. Hotman macht folglich den Dreh- und Angelpunkt der Mischverfassung an den Mitgliedern der Ständeversammlung fest. Seine Rekonstruktion der Institutionengeschichte von Frankreich zeigt, dass Adlige, Amtsträger, Beamte der Krone, der Provinzen oder der Städte institutionell dazu bestimmt sind, dem König die Zügel zu halten. Es ist bezeichnend, dass diese Personen als reguli, also als kleine Könige bezeichnet werden; der entsprechende französische Ausdruck ist Roitelets. Der Begriff, der auch von Bèze und dem Autor der Vindiciae contra tyrannos verwendet wird, hat nichts Einschränkendes gegenüber der höheren Funktion des Königs, sondern zeigt vielmehr die Teilhabe an der königlichen Autorität und die vollständige Eingliederung in die Sphäre der Souveränität an. Im 1579 veröffentlichten Text der Vindiciae contra tyrannos, in dem das calvinistische Denken mit Blick auf die Vertragstheorie vollständig ausformuliert ist, setzt Stephanus Junius Brutus die Ephoren direkt mit dem Volk gleich, zumal sie zusammen mit denen, die die Macht von der Autorität des Volkes erhalten haben oder mit den Amtsträgern, die dem König unterstehen und die das Volk delegiert oder irgendwie als seine Repräsentanten eingesetzt hat, eng an die Macht gebunden sind und als Kontrolleure des Königs fungieren („Quasi imperii consortes et Re7 Das grundlegende Kapitel ist aus diesem Blickwinkel Kapitel X der Ausgabe von 1573, Kapitel XII der Ausgabe von 1586 und in der von Giesey und Salmon besorgten kritischen Ausgabe mit dem Titel Qualis regni Francogallici constituenda forma fuerit. Vgl. F. Hotman, Francogallia, hrsg. von R. E. Giesey / J. H. M. Salmon, Cambridge 1972. 8 Vgl. Hotman, Francogallia (FN 7), S. 402.

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gum Ephoros“)9. Hier ist der Ausdruck Regum Ephori nicht mehr in eine Reflexion über das antike Sparta eingebettet, sondern autonom und gibt Zeugnis von seiner zwischenzeitlichen Präsenz und Verständlichkeit im Wortschatz und in der begrifflichen Struktur der calvinistischen Denker. Er bezeichnet die Gesamtheit von Repräsentanten, die einzeln und gemeinsam die Aufgabe haben, Vorkehrungen zu treffen, damit der Staat oder die Kirche keinen Schaden nehmen10. Es handelt sich um eine Kontrollmacht, die präventiv angewendet wird, den wahren Trägern der Souveränität zugeschrieben wird, den Beamten, die im Einzelnen unter dem König stehen, wenn sie aber als Korporation angesehen werden, über ihm. Unter Regum Ephori wird das Volk in seiner Gesamtheit verstanden. Junius Brutus greift das Thema des spartanischen Königreichs und die Macht der Ephoren auch in Verbindung mit der Verteidigung des Königreichs noch einmal auf. Wie die Vertragsbindung zwischen den Ephoren und den spartanischen Königen in der Francogallia beschrieben wurde, so erscheint sie auch in den Vindiciae vollkommen ähnlich zu jenen, die im französischen und in anderen Königreichen den König und sein Volk binden. Darauf gründet die Verpflichtung, den Tyrannen zu bezwingen. Der Autor spezifiziert, dass der Schwur, um das Wohl des Reichs bemüht zu sein, sowohl vom König als auch von einem jeden Beamten geleistet wird und folglich der Eidbruch des Königs oder von einer Reihe Beamter, der weit davon entfernt ist, die Verpflichtung der anderen Beamten aufzulösen, diese noch mehr dazu zwingt, ihr Versprechen in Ehren zu halten. Als „tamquam ephori“11 sind die Kronbeamten und die Beamten der Provinzen mit einem Mandat versehen, das direkt von Gott und dem Volk stammt, das ihnen eine klare Pflicht auferlegt: Erstere müssen den Tyrannen bezwingen, Letztere ihn über die Grenzen der ihnen anvertrauten Regionen vertreiben, wobei sie auch Waffen benutzen dürfen, denn Waffen dürfen gegen einen Tyrannen mit gutem Recht eingesetzt werden und das nicht nur zugunsten der Religion, sondern auch für das Vaterland12. Im politischen Denken der Hugenotten kam dem Mythos von Sparta, auf den bereits Calvin hingewiesen hatte, in den schrecklichen Jahren der Religionskriege eine wichtige inspirierende Rolle zu13. Die Hugenotten stellen ihn neben die alte nationale Geschichte, denn hier und nicht in der Zeit der Klassik wollen sie die Argumente für die Thesen von der Kontrolle der königlichen Machtausübung und ihrer Teilung finden. Von Calvin bis zu den Vindiciae contra tyrannos wird die Gestalt der Ephoren als historisches Beispiel und als Streitbegriff, der er war, ge9 S. Junius Brutus (Pseudonym), Vindiciae contra tyrannos, sive De Principis in Populum et Populi in Principem, legitima potestate, Edinburgh 1579, S. 47. 10 Ebd., S. 48 f. 11 Ebd., S. 207. 12 Ebd., S. 167 f. 13 Vgl. dazu S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea di contratto (1572 – 1579), Florenz 2002.

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wissermaßen ein autonomes Begriffskonzept. In den Vindiciae sind die Regum Ephori grundsätzlich die Vertreter des Volkes, jene große und bunte Menge von reguli, die, ein jeder gemäß seiner institutionellen Verantwortlichkeit, das Reich vor der Tyrannis bewahren, sei es, dass die Tyrannis als religiöse Unterdrückung, oder als Übertreten der Grenzen der politischen Macht im Hinblick auf das erteilte Mandat wahrgenommen wird; die souveräne Macht wird nicht durch den Vertrag etabliert, sondern gebührt dem Volk, das vor dem Vertrag existiert und das dem Fürsten die Macht anvertraut, um sie auszuüben. Kurz: Die Ephoren sind das Volk selbst und ihre Funktion besteht nicht darin, die Souveränität zu begrenzen oder zu kontrollieren, sondern vielmehr die Macht des Fürsten zu beschränken und über sie Kontrolle auszuüben. Auf diese Weise dringt wie die alte Verfassung so auch das Konzept des Ephorats – intensiv durchdacht, ideologisch neu ausgearbeitet und in die Nationalgeschichte integriert – in die Projektentwürfe der Hugenotten ein und wird zu einem ihrer Teile. Auf diese moderne von den Calvinisten ausgearbeitete Konzeption der Ephoren bezieht sich Althusius. Sein Werk ist nämlich stark von den Vindiciae contra tyrannos beeinflusst, und das auch in den Passagen, in denen der Text von Stephanus Junius Brutus nicht direkt zitiert wird. 3. Den Ephoren widmet Althusius in der Politica von 1614 ein ausführliches und in sich geschlossenes Kapitel, Kapitel XVIII (De ephoris eorumque officio), und einen erheblichen Teil von Kapitel XXXVIII (De tyrannide eiusque remediis). Bereits in der Ausgabe von 1603 ist dem Thema das bedeutende Kapitel XIV (De ephoris Reipublicae eorumque officio et speciebus) gewidmet14. In der Lehre des Althusius sind die Ephoren Amtsträger, die den höchsten Spitzen der Macht die Souveränität des Volkes verdeutlichen. Sie sind das Rückgrat des politischen Systems. Die Art und Weise, auf die das Volk das Ausüben der Souveränitätsrechte auf andere überträgt, ist in Kapitel XVIII genau beschrieben – auf den Seiten, auf denen die Verwaltung der Rechte der Gemeinschaft behandelt wird. Die Verwaltung, der vitale Geist und die bindende Kraft der respublica, drückt sich im Ordnen, Einrichten und Leiten der verschiedenen öffentlichen Ämter aus und aus diesem Grund werden die öffentlichen Amtsträger, die angemessenerweise von den vereinigten Gemeinschaften gewählt werden, mit der Autorität ausgestattet, die dafür nötig ist, die Rechte des Zusammenschlusses zu verwalten, zu leiten und zu erhalten. Die Bedeutung ihrer Aufgabe impliziert, dass sie durch einen Eid auf dieses Ziel verpflichtet sind, weshalb sie in der Ausgabe von 1614 als „custodes, praesides et propugnatores Reipublicae [ . . . ], atque prudentes et diligentes juris et legis exsecutores“ bezeichnet werden (XVIII, 4). Die Einsetzung der Verwalter erfolgt also über einen Vertrag, der auf Gesetzen und Bedingungen beruht, die sie in der Ausübung ihrer Funktionen „ad consociatae multitudinis utilitatem et salutem“ zu achten schwören (XVIII, 6). Der Vertrag 14 Vgl. J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris profanis illustrata, Herborn 1603.

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weist den Amtsträgern eine große Macht zu, die auch die Macht über Leben und Tod umfasst, aber er ist so ausgestaltet, dass er die Volkssouveränität bewahrt. Die Vertragstheorie des Althusius geht – mit den juristischen Texten verglichen und durch diese bestätigt – mit der Konzeption der calvinistischen Monarchomachen konform, stützt sich auf das bereits in den Vindiciae contra tyrannos deutlich zum Audruck gebrachte Prinzip, dass die respublica weder für den König noch für jeglichen anderen Amtsträger da ist, sondern im Gegenteil die Amtsträger für die politía da sind, und dies kraft der Vorzeitigkeit und dem Vorrang des Volkes gegenüber seinen Regierenden: „populus natura et tempore prior, potior et superior est suis gubernatoribus“ (XVIII, 8). Diese repräsentieren das Volk selbst, das als Gemeinschaft verstanden wird, gemäß eines analogen Verhältnisses rechtlicher Verbindlichkeit zwischen Schutzbefohlenen oder Minderjährigen und Vormündern oder zwischen Herren und Dienern (XVIII, 11 und 14). Dieses Verhältnis sieht auf Grundlage der Vertragsklauseln der Vollmacht auf der einen Seite vor, dass die Einzelnen sich zum Gehorsam verpflichten, wobei sie „subditi et famuli suorum administratorum et rectorum“ werden, aber auf der anderen Seite auch, dass die Verwalter sie nicht als Sklaven ansehen, sondern als Brüder (XVIII, 15). Die Sichtweise des Althusius, die ein reifer Ausdruck für die Entwicklung des calvinistischen Denkens ist, bekräftigt die Vernünftigkeit des Aufbaus einer Gesellschaft in der von ihm theoretisch entworfenen Gestalt („horum ministrorum Reipublicae constitutio dicitur a recta ratione et jure gentium profecta et inventa [ . . . ] ob utilitatem nimirum et commodum regnicolarum et corporis politici“), aber insistiert auf der Macht des Volkes und auf der natürlichen Gleichheit der Menschen und folglich auf dem Konsens als Grundlage der Autorität („jure naturali omnes homines sunt equales et nullius jurisdictioni subjecti, nisi ex suo consensu et facto voluntario“), um zu bestätigen, dass die Regierenden und die Verwalter, die die Grenzen, die ihnen gesetzt sind, überschreiten, ihre Macht missbrauchen und in die Tyrannis verfallen (XVIII, 16 – 18). Er definiert also im Voraus die Ziele und Grenzen der öffentlichen Verwaltung, um die Rolle der Ephoren in sie einzupassen. Es gibt zwei Erfordernisse, die die öffentliche Verwaltung erfüllen muss: Das Ziel, für die commoda publica zu sorgen und die incommoda zu vermeiden, und die Einhaltung der Gesetze (XVIII, 34 f.), vorausgesetzt, dass auf der einen Seite „quae dicitur absoluta et plenissima potestas principi concessa, nulla est“, sondern vielmehr „tales administratores suae administrationis rationem reddere tenentur“ (XVIII, 39), und auf der anderen Seite der Machtmissbrauch darin besteht, Befehle entgegen der ersten Tafel des Dekalogs zu erteilen, gottlose Kommandos zu geben und „propriam et privatam, non communem utilitatem et salutem universalis consociationis“ (XVIII, 42) zu verfolgen. Auf dieser Grundlage entwickelt Althusius das Thema der Verwalter der respublica oder der Ephoren und des summus magistratus15. Wie deutlich wurde, 15

Letzterem ist Kapitel XIX gewidmet.

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gründet die Aufgabe der Ephoren auf dem Konsens des politischen Körpers, der ihnen die respublica in ihrer Gesamtheit anvertraut: „Ephori sunt, quibus populi, in corpus politicum consociati, consensu demandata est summa Reipublicae seu universalis consociationis“. Als Vertreter des Volkes und mit der Macht versehen, das Recht anzuwenden, wählen die Ephoren daher den obersten Magistrat, helfen ihm mit Rat und Tat in den Angelegenheiten des zusammengeschlossenen Körpers und gebieten seiner Freiheit Einhalt, wobei sie ihn zwingen, innerhalb der Grenzen seines Amts zu bleiben und dafür Sorge zu tragen, dass die respublica nicht aufgrund von Privatinteressen, von Hass, Handlungen, Unterlassungen oder durch die Trägheit des höchsten Magistrats beschädigt wird (XVIII, 48)16. Wie auch immer ihre Wahl erfolgt (durch das ganze Volk, das in den Körperschaften vereint ist, auf die es verteilt ist oder einzeln oder durch ein Losverfahren, nach Gewohnheit), die Bedeutung der Einrichtung ändert sich nicht, weil dies nur die Art und Weise betrifft, in der die Stimme des gesamten Volks zum Ausdruck kommt. Dasselbe gilt auch für die Fälle, in denen der Fürst oder der oberste Magistrat oder die Optimaten die Macht haben, die Ephoren zu wählen oder einen davon im Todesfall zu ersetzen, weil dies immer „ex populi concessione et beneficio“ heraus erfolgt (XVIII, 59). Althusius bevorzugt für diese Aufgabe reiche Männer, weil es ihm scheint, dass sie sich leichter des allgemeinen Wohls annehmen können, und erhofft sich nach der von Jean Bodin ausformulierten Lehre eine breite Zustimmung, aber noch mehr liegt ihm am Herzen, dass ihre Bindung durch einen Eid festgelegt wird: „Electi ephori jurant, se utilitatem regni, seu universalis illius consociationis, vel Reipublicae curaturos, et partes oficii demandati fideliter et diligenter facturos“ (XVIII, 61). Der Eid der Ephoren beschneidet sie nicht in ihrem Ansehen, sondern verleiht ihnen vielmehr einen angemessenen Glanz. Die Macht der Ephoren ist in der Tat sehr groß. Althusius besteht jedoch auf dem wichtigen Prinzip, dem gemäß die Einrichtung ihren Sinn in der Körperschaft der Ephoren und der Vollständigkeit ihrer Macht hat. Das erklärt die Praxis, der zufolge die Entscheidungen des Kollegiums der Ephoren ungeachtet ihres Gegenstandes, und sei es die Wahl des Magistrats, mehrheitlich erfolgen, und dies eben deshalb, weil sie ihr Votum nicht als Einzelne abgeben, sondern als Kollegium, als Körperschaft, die die politía repräsentiert und die als solche über mehr Macht als selbst der oberste Magistrat verfügt (XVIII, 62). Die Ephoren haben vor allem fünf Aufgaben: Den obersten Magistrat zu wählen; ihn als Wächter, Verteidiger und Rächer der Freiheit und der Rechte des Volkes innerhalb der Grenzen und Begrenzungen seines Amts zu halten; die respublica im Falle der Unfähigkeit des obersten Magistrats oder in Zeiten des Interregnums zu 16 Die Ephoren werden auch bezeichnet als „patricii, seniores, status et regni primores, officiarii regni, pacti inter magistratum summum et populum initi vindices, custodes et defensores justitiae et juris, quibus magistratum summum subjiciunt et parere cogunt, item censores summi magistratus, inspectores, consiliarii regni, censores honoris regii, fratres summi magistratus“ (XVIII, 49).

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verwalten; den obersten Magistrat abzuberufen, wenn er sich als tyrannisch erweist; den höchsten Magistrat und seine Rechte zu verteidigen. Der Umfang des Amts hängt mit dem Prinzip der Souveränität des Volkes zusammen und mit dem Risiko, dass der Träger der höchsten Gewalt in die Tyrannis abirrt, dem Kriterium der von Althusius erneuerten Beschränkung der Macht folgend: „Nihil enim aptius ad Imperii jus conservandum, quam moderatio potestatis per alios facta, qua in terminis suis continetur. Nam magna potestas se intra terminos sine coercitione aliqua et moderatione aliis demandata, continere non potest“ (XVIII, 65). Der deutsche Rechts- und Staatsdenker folgt so der gedanklichen Ausrichtung der Monarchomachen; tatsächlich betont er die Bedeutung von Konzepten, die kurz zuvor bereits von Denkern wie vor allem Junius Brutus und Hotman geäußert wurden (XVIII, 66), wenn er die Meinung vertritt, dass die Verletzungen, denen die Ephoren zuvorkommen und die sie unterdrücken müssen, die göttlichen Gesetze des Dekalogs betreffen, die Gesetze des Reichs und die Souveränitätsrechte und dass die Ephoren deshalb mit dem Recht über Leben und Tod ausgestattet sind. Aber weil er auf dem Prinzip der Mäßigung besteht, weist er auch in eine Richtung, in der sich, in verschiedenen Zeiten und Zusammenhängen, ein Prinzip des modernen Konstitutionalismus entwickeln wird. In diesem Sinne ist auch die Notwendigkeit der Billigung durch die Ephoren zu verstehen, was die Bestätigung der Maßnahmen und allgemeinen Dekrete des obersten Magistrats betrifft. Noch einmal beruft sich Althusius auf die Autorität der Vindiciae und der Francogallia, die belegen, dass die Autorität und Macht der Ephoren im Königreich Frankreich so groß war, dass die königlichen Aktivitäten nicht ohne ihre Billigung gültig waren, wohingegen er das brandmarkt, was er als den grundlegenden Fehler Bodins ansieht: „constat, magno in errore esse Bodinum, qui absolutam et omnimodam potestatem regi Galliae tribuit“ (XVIII, 68 f.). Für Althusius wäre die Sorge Bodins um die Einheit des Reiches unbegründet, weil die Ephoren oder all diejenigen, die in unterschiedlicher Weise, auch wenn sie Macht über bestimmte Regionen haben, mit den Amtsträgern des Reichs gleichgesetzt werden können, doch auf jeden Fall unter dem König stehen; ihre Überlegenheit ergibt sich nur aus ihrer Gesamtheit, weil sie nur in dieser Weise mit dem Volk identifiziert werden. Im Übrigen hat das Volk die eigene Macht und Autorität nicht auf den obersten Magistrat übertragen, sondern für sich behalten und den Ephoren die Sorge für sie übertragen und ihre Verteidigung gegen einen jeden, der sich ihrer bemächtigen oder der sie verletzen will. Hieraus ergeben sich das Recht und die Verpflichtung des Widerstands gegen den obersten Magistrat, der durch den Missbrauch der Souveränitätsrechte oder durch den Versuch, die Rechte der respublica zunichte zu machen, zum Tyrannen geworden ist (XVIII, 83 f.). Aber die Verpflichtung der Ephoren, über die Stabilität des Reichs zu wachen, bringt auch bei Althusius eine neue Aufmerksamkeit für die Verteidigung der Rechte des obersten Magistrats gegen Verschwörungen und Machenschaften der Untertanen – und vor allem der Adligen und Mächtigen – mit sich. Man muss das persönliche Recht der Ephoren in der Verwaltung des Reichs, das ein allgemeines ist, von dem Recht der Ephoren als Herzöge, Grafen, Fürsten oder

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einem anderen Recht in bestimmten Territorien unterscheiden, das speziell oder beschränkt ist. Außerdem ist festzuhalten, dass nicht einmal das Recht der Ephoren der Kontrolle entgeht; auch dieses Recht hat unüberwindbare Grenzen, die vom obersten Magistrat kontrolliert werden: „Haec mutua inter regem et status, seu ephoros, correctio, censura et observatio, regni statum salvum, sartum et tectum conservat, atque ab omnibus periculis, malis et incommodis liberat“ (XVIII, 91). Die Stabilität des Reichs und der Erhalt des Volkes und seiner Identität beruhen auf einem rationalen Entwurf geometrischer Art17, in dem die Personen und Aufgaben fein abgegrenzte, mess- und kontrollierbare Felder einnehmen, die gemäß einer hierarchischen Organisation angeordnet sind, die von den ständigen Beziehungen und angemessenen Proportionsverhältnissen und dem Gleichgewicht zwischen den Teilen der Struktur garantiert wird. So platziert Althusius die Untertanen als Einzelne unter, in ihrer Gesamtheit aber über dem König, weshalb der König den einzelnen Untertanen zugleich über- und untergeordnet ist. An die Spitze stellt Althusius jedoch das Gesetz, das über allen steht, ob sie nun als Einzelne oder als Gemeinschaft betrachtet werden. Aus diesem Grund hört der Monarch, der gegen die Gebote des Gesetzes verstößt, auf, ein König und eine öffentliche Person zu sein, wird zum Privatmann und kann sich dadurch dem Widerstand eines jeden aussetzen. Die Souveränität des Volkes ist in der Tat ein und dieselbe, unteilbare und unveräußerliche. Das Recht des Königs ist also das eine, das Recht des Volkes etwas anderes: ersteres ist zeitlich und an die Person gebunden, letzteres immerwährend; ersteres ist kleiner, letzteres größer; ersteres aufgrund eines Vertrags zugestanden, letzteres wesenseigen und unübertragbar (XVIII, 104). In dieser Darstellung tritt die Funktion der Ephoren oder Staaten und Stände des Reichs deutlich hervor, seien sie immerwährend und erblich oder zeitlich befristet, kirchlich oder weltlich, solche des Adels oder des Volkes, seien es allgemeine oder spezielle Ephoren, die ihr Amt vom ganzen Reich oder von einzelnen seiner Teile erhalten haben. Althusius macht den Gegenstand anhand von zahlreichen Fallbeispielen aus antiken und modernen Verfassungen deutlich, wobei er von der Ordnung des alten Israel ausgeht, um sodann aus der umfangreichen und eingehenden Untersuchung den Schluss zu ziehen, dass es in jedem wohlgeordneten Reich notwendig ist, Ephoren einzusetzen, weil ansonsten ihre Funktionen mechanisch und womöglich ineffektiv vom gesamten Volk übernommen werden müssten. Auch die Ephoren haben sich wie der Monarch als von Gott und dem Volk eingesetzt zu betrachten: Von Gott indirekt, vom Volk direkt. Auch sie können also ebenso wie der oberste Magistrat von Gott und vom Volk abgesetzt werden (XIX, 69). In Kapitel XXXVIII (De tyrannide eiusque remediis) geht Althusius ausdrücklich auf das Problem der Tyrannis ein, die er im Anschluss an das Modell der Vindiciae als eine Form veranschaulicht, die nur als das Gegenteil der rechten Verwaltung bestimmbar ist. In diesem Szenario ist das Mittel gegen die Tyrannis auf die 17 Vgl. S. Junius Brutus (Pseudonym), Vindiciae (FN 9), Praefatio, III, wo der Verfasser des Vorworts die Formulierung more geometrico verwendet.

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primäre Funktion der Ephoren gestützt: „Cognita tyrannidis natura, videndum nunc est de remedio, quo tempestive illa tollatur; quod consistit in resistentia et exauctoratione tyranni, solis optimatibus concessa“ (XXXVIII, 28). Das Widerstandsrecht ist also den Ephoren vorbehalten und besteht darin, mit Wort und Tat die Tyrannis des obersten Magistrats zu verhindern, indem sie ihn entmachten oder seiner Mittel berauben. Althusius zählt etwa zehn Rechtfertigungsgründe für das Widerstandsrecht auf, wie die Verletzung des zwischen Magistrat und Volk abgeschlossenen Vertrages hinsichtlich der Achtung des Dekalogs und der Gesetze des Reichs und der daraus folgenden Aufhebung der Verpflichtung des Volks zum Gehorsam (XXXVIII, 30 f.); die Ausweitung der Macht über die dem Amt des Regierenden gesetzten Grenzen hinaus (auch dieser Missbrauch entbindet einen jeden des Gehorsams) (XXXVIII, 32); das Hinwegsetzen über die Verbindlichkeiten gegenüber Gott, die im Vertrag stillschweigend oder ausdrücklich enthalten sind (XXXVIII, 33 f.)18. Andere Rechtfertigungen kommen vom Recht des Volkes her, den von ihm eingesetzten Magistrat zu entmachten oder ihn aufzuhalten, wenn er heimtückisch handelt oder das Leben, die Güter oder das Recht des Volkes bedroht (XXXVIII, 35 – 37). Letzterer Fall ermächtigt jeden privaten Bürger, sich auf Grundlage der Normen des Naturrechts zu verteidigen. Die Nichtbeachtung der Reichsgesetze und des Dekalogs von Seiten des obersten Magistrats macht den Widerstand der Ephoren zur Pflicht, da sie andernfalls zu Mitverantwortlichen oder Komplizen würden: „Peccant igtur ephori in omittendo, vel cessando et tolerando, connivendo, non repugnando tyranno“ (XXXVIII, 38). Dasselbe gilt für das im Vertrag angegebene Ziel, das im allgemeinen Wohl besteht (XXXVIII, 39 f.). Das Fehlen eines Richters, an den man appellieren kann, ist ein zusätzlicher Rechtfertigungsgrund für den Widerstand (XXXVIII, 41); John Locke, der dies im Zweiten Traktat seiner Two Treatises of Government von 1690 aufgreift, wird Althusius ignorieren und nur die Autorität der Vindiciae contra tyrannos anerkennen, die im Übrigen dieses genaue Konzept nicht enthalten und das der englische Philosoph auch nicht direkt zu kennen scheint19. Alhusius schließt die Auflistung der Begründungen für den Widerstand gegen den Tyrannen mit dem Fall der notorisch ungerechten Regierung ab (XXXVIII, 42) und bemerkt letztlich, dass der fehlende Widerstand gegen die Tyrannis die Freiheit des Tyrannen und seine zerstörerische Kraft im Hinblick auf die Bürgergesellschaft und die Kirche vergrößert, weshalb er letztlich zusammenfassend sagen kann: „Ideo Deus etiam vult coërceri et puniri ordinaria potestate in Republica delicta commissa. Ea autem potestas est ephororum, vel populi, quando illi non sunt“ (XXXVIII, 43). Die praktische Tragweite der Konstruktion des Althusius entnimmt man der Antwort auf einige Fragen nach dem Muster der hugenottischen Texte: Welchen 18 19

Althusius bezieht sich direkt auf die Quaestiones I und II der Vindiciae contra tyrannos. Vgl. S. Testoni Binetti, Introduzione, in: S. Junius Brutus, Vindiciae (FN 9), S. XXXIIIf.

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Ephoren kommt der Widerstand gegen einen Tyrannen zu? Wann? Auf welche Weise und bis wann? Zusammenfassend stellt er fest, dass der Widerstand gegen die Tyrannis den Ephoren des Reichs in ihrer Gesamtheit oder je einzeln zukommt; was die Untertanen betrifft, die darauf zielen, das Vaterland und sein Recht zu bewahren, so müssen sie sich den Ephoren anschließen und ihrer Anleitung folgen. Das Recht und die Verpflichtung zum Widerstand der besonderen Ephoren ist auf den Teil des Reichs begrenzt, der ihnen anvertraut ist, selbst wenn es auch anderen Untertanen erlaubt ist, sich ihnen im Kampf gegen die Tyrannis anzuschließen. Größere Vorsicht übt Althusius im Hinblick auf den Widerstand gegen den Magistrat von Seiten der Ephoren über die Grenzen der ihnen anvertrauten Regionen hinaus, wenn die Initiative nicht mit Zustimmung der anderen Ephoren erfolgt. Anders gelagert ist der Fall, wenn ein Tyrann sich ohne Rechtstitel mit Gewalt an die Stelle eines legitimen Magistrats setzen will; dann hat auch ein einzelner Ephor die Pflicht, ihn aus dem gesamten Reich zu vertreiben (XXXVIII, 47 – 55). Der Widerstand der Ephoren erfolgt, wenn der oberste Magistrat tyrannisch regiert oder seine tyrannische exercitio bekannt und hartnäckig ist und wenn es keine anderen Mittel gegen ihn gibt. Es ist auch eine Konsequenz der bereits festgelegten Prinzipien, dass die Definition einer derartigen Tyrannis in der Versammlung der Ephoren und aller Stände des Volkes erfolgt und dass eben hier die Ephoren die Aktivitäten des obersten Magistrats dem Volk, damit es ein Urteil abgeben kann, unterbreiten müssen, ohne die Bewertung und die praktischen Konsequenzen zu übergehen, so dass das Unternehmen nicht nur rechtmäßig, sondern auch angemessen ist (XXXVIII, 56 – 60). Der Widerstand muss also der Situation angepasst sein: von den Worten bis zu den Taten, zum bewaffneten Widerstand und der Hilfe von außen, wenn dies erforderlich ist (XXXVIII, 61 f.). Die Dauer des Widerstands hängt schließlich von der Dauer der Tyrannis ab, zumal ihre Beendigung nur in der Rückkehr zum gesetzmäßigen Zustand bestehen kann, sei es durch die Beseitigung des Tyrannen aus seinem Amt, sei es auch mit seiner Ermordung und Ersetzung (XXXVIII, 63). Althusius bemerkt jedoch in Übereinstimmung mit einer reichen Tradition und mit den Positionen der hugenottischen Monarchomachen, dass der Widerstand nur dann zulässig ist, wenn die Tyrannis noch im Entstehen begriffen und noch nicht akzeptiert und konsolidiert ist. Das Recht und die Verpflichtung zum Widerstand der Ephoren befreit die Untertanen und Privatpersonen von der ihnen eigenen Last, den obersten Magistrat zu beurteilen oder zu bestrafen, weil das Volk all seine Autorität und seine Macht den Ephoren übertragen hat, denen es mit dem Recht über Leben und Tod auch die entsprechende Gewalt gegeben hat. Die Privatleute können daher nur zur Verteidigung des eigenen Lebens tätig werden, wozu sie durch das Naturrecht autorisiert sind, oder können gegenüber einem Tyrannen, der ohne Rechtsanspruch herrscht, an den sie also rechtlich nicht gebunden sind, den Gehorsam verweigern. In allen anderen Fällen offensichtlicher Tyrannis aber müssen die Ephoren das Volk zusammenrufen.

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Althusius‘ Streben nach einer Organisationsform der Macht und der festen, gleichen und friedlichen Gesellschaft wird im Verhältnis zwischen der Macht der Ephoren und der Rechtsgewalt des obersten Magistrats deutlich. Dieser Letztere wird, statt dass er von Ersterem geschwächt würde, kraft der Unterstützung und Mitarbeit der Ephoren bei und an einer guten Verwaltung und hinsichtlich der Rücksicht auf die rechtlichen und gesetzlichen Normen vielmehr gestärkt. So preist der Autor das von Hotman und Junius Brutus beschriebene, von der Macht der Ephoren gestützte Reich und hebt es über die von Bodin und William Barclay theoretisch entworfene Monarchie hinaus, die faktisch schwächer ist. Er weist alle Kritik zurück, die auf die Suche nach einem vollkommenen Staat gegründet ist; die Macht der Ephoren dient ihm gerade dazu, die beste mögliche politía zu entwerfen, „in hoc humanarum rerum Oceano, et naturae nostrae infirmitate“ (XXXVIII, 123). Für ihn macht allein die Einrichtung der Ephoren diese Form möglich, in der die respublica in jedem ihrer Teile und in jeder ihrer Komponenten am besten ist. Die Macht der Ephoren unterscheidet sich nämlich von der des Monarchen und ist etwas anderes als diese: „Constat quoque, hanc [Ephororum et optimatum Reipublicae potestatem] a populo prius constitui, quam regis ab hisce electi potestas constituitur“ (XXXVIII, 125). Das Volk hat dem König also die Macht, die es bereits den Ephoren übertragen hatte, weder weiter übertragen können noch wollen; ohne das Ephorat wäre die allgemeine Macht direkt vom Volk ausgeübt worden, und das auch in dem Fall, dass ein König mit höchster Macht gewählt worden wäre („corpus Reipublicae hoc jus ephororum semper retinet, etiam rege cum summa potestate electo“). Dieses Recht steht über dem König, weil es die Eigenheiten des Rechts und des Gesetzes oder der Gerechtigkeit betrifft; es unterstellt den König dem Gesetz, so dass die respublica eher als „honesta politía“ denn als „tyrannis pessimorum hominum congregatio“ (ibidem) bezeichnet werden kann. Die Macht der Ephoren ist also das Gegenteil der absoluten Macht, ist speziell dafür eingerichtet worden, letztere zu unterdrücken und im Keim zu ersticken: „concludo igitur [ . . . ] nullam absolutam potestatem reperiri, et si quis ea utatur, tyranni magis, quam principalem potestatem dici“ (XXXVIII, 130). 4. In der respublica von Althusius ist die Einrichtung der Ephoren eine Autwort auf die Frage nach der Repräsentation des Volkes und der Verteidigung seiner Rechte. Diese Ephoren haben reichlich wenig mit denen des antiken Sparta zu tun; es sind moderne Ephoren, die konzeptionell dem Denken Calvins und der Calvinisten entspringen, die die wichtigste Rolle der Politik im Erhalt der Verhältnisse von Ordnung, Disziplin und zivilem Zusammenleben zwischen den deutschen Gemeinden darstellen. Bleiben in der Politica methodice digesta die Bindungen an die religiöse Gesinnung und an die moralische und theologische Ausrichtung, die schon für die Werke von Junius Brutus, Bèze und viele andere hugenottische Denker der Zeit der Religionskriege charakteristisch waren: der Vertrag ist mit Gott geschlossen, die Amtsträger sind auch von Gott eingesetzt, das Ziel der Gesellschaft umfasst den Erhalt des Reiches Gottes und seines Volkes. Dennoch sind die rationalen Gründe in den Fundamenten des Zusammenlebens, mit anderen Worten

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die Religion, das Naturrecht, der Konsens von Bedeutung. Verschiedene Forscher haben eine so genannte „Laisierung“ des calvinistischen politischen Denkens in der Politica methodice digesta festgestellt, auch wenn Althusius die besagten Prinzipien Calvins weder widerlegt noch korrigiert20. Dies trifft auch für das Ephorat und die Kontrollmacht im Allgemeinen zu.21 Althusius‘ Konzeption der Ephoren legt die Grundlagen für indirekte, aber konsistente Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es das Prinzip der Volkssouveränität, das in seiner unmittelbaren Gegenwart vom Vorherrschen der Theorien des monarchischen Absolutismus in den Schatten gestellt wird, und das dazu bestimmt ist, mit einigen Zugeständnissen in der Ausarbeitung des deutschen Rechtsgelehrten wieder zu erscheinen. Er entnimmt seine Anregungen den französischen Calvinisten und entwickelt ihre Idee der Repräsentanz der Ephoren weiter, geht über ihre aristokratische Konzeption hinaus und macht aus seinen Ephoren Repräsentanten des gesamten Volkes und aller Gemeinschaften. Auch wenn er ihren korporativen Charakter anerkennt, ist die Lehre des Althusius, der der Entwicklung der modernen Naturrechtslehre folgt, auf dieser Grundlage mit der Vertragstheorie und mit dem Volksideal von Jean-Jacques Rousseau22 verbunden und dadurch Teil des Ideenschatzes, in dem sich die europäische Kultur auch heute noch wiedererkennt. Auf der anderen Seite stellen die von den Ephoren ausgeübte Kontrolle hinsichtlich der Legitimität der Machtausübung durch den höchsten Magistrat und die daraus folgende Rechtsverpflichtung zum Widerstand im Namen des souveränen Volkes die reifste Phase der hartnäckigen Versuche der Monarchomachen dar, Kontrollmechanismen zur Verhinderung einer Tyrannis oder, wo ein Vorbeugen nicht ausreichend ist, zu ihrer Unterdrückung, in die Verfassung einzubauen. Die Gegenseitigkeit der Kontrolle von Ephoren und oberstem Magistrat, die Ausweitung des Prinzips der Absetzbarkeit auf die Ephoren, die Verteidigung und der Schutz des höchsten Magistrats vor Korruption und den Machenschaften mächtiger und anmaßender Untertanen, entsprechen der Absicht, die Entwicklung jeder Art von Tyrannis zu verhindern, auch wenn despotische Entartungen selbst der Geschichte der Macht der Ephoren nicht fremd sind. In der Politica aber wird das Prinzip der Mäßigung „ad Imperii jus conservandum“ (XVIII, 65) hervorgehoben oder die Einrichtung von äußeren Barrieren betont, die zusammen mit einigen Zwangsmaßnahmen die natürlichen Schwierigkeiten der Macht, sich innerhalb ihrer Grenzen 20 Das Verhältnis zwischen der Politica und den Werken der Calvinisten wird entwickelt und diskutiert bei: L. Calderini, La „Politica“ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995, S. 164 – 176. 21 Vgl. O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, Breslau 1902, S. 19 ff. (ital. Ausg., S. 65 – 75); zum Verhältnis zwischen Politik zu Recht, Ethik, Theologie vgl. P. Mesnard, L’essor de la philosophie politique au XVIe siècle, Paris 1951 (ital. Übersetzung, Fabri 1964, Bd. 2, S. 302 – 307). 22 Vgl. Gierke, Johannes Althusius (FN 21), (ital. Ausg. S. 170 – 172) R. Derathé, JeanJacques Rousseau et la science politique de son temps (1950), Ital. Ausg. Jean-Jacques Rousseau e la scienza politica del suo tempo, Bologna (Il Mulino) 1993, S. 120 – 125.

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zu halten (ibidem), einschränken. Die Aufgabe der Ephoren, in der auf geschickte Weise Zusammenarbeit und Kontrolle kombiniert sind23, fügt sich in die Dynamik der öffentlichen Verwaltung ein – zum Schutz der respublica vor jeglicher Art von Verletzung und um sie ständig auf ihre Prinzipien zurückzuführen. Es ist zurecht bemerkt worden, dass das Widerstandsrecht der Ephoren direkter Ausdruck der juristischen Ordnung und der politischen Realität ist, weil es mit den im Vertrag abgeschlossenen Konditionen konform geht und für den Erhalt der gesamten symbiotischen Gemeinschaft notwendig ist24. Die Entwicklungen, die diese Ideen nehmen, werden in den polyarchischen Formen des modernen Konstitutionalismus zusammenfließen, in der neuen Gestalt von konkreten rechtlichen Mechanismen zur Verteidigung und zur Kontrolle der Berücksichtigung des Willens des Volkes, der in konstitutionelle Begriffe übersetzt ist.

23 Vgl. G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: La dottrina del patto e la costituzione del regno, in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis (Hrsg.), Su una sconosciuta „Disputatio“ di Althusius. Sonderdruck aus: Quaderni Fiorentini 25 (1996), S. 65 – 126, hier: 111 – 114. 24 Vgl. P. Mesnard, Il pensiero politico rinascimentale (FN 21), S. 354.

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Foedus (Confoederatio)1 1. Foedus (und damit verbunden confoederatio und weitere davon abgeleitete weniger bedeutende Termini) sind wichtige Worte in der Anlage und Struktur der definitiven dritten Ausgabe der Politica. Ihre Behandlung drängt sich aus verschiedenen Gründen auf. Erstens, um eine philologische Analyse einer zentralen Begrifflichkeit für die allgemeine Interpretation des Texts vorzunehmen. Zweitens, um festzustellen, ob und in welchen Maße es ausgehend von genauen Bezügen zum Hauptwerk des deutschen Denkers gerechtfertigt ist, das System des Althusius als „föderal“ zu bestimmen und ihn unter die Stammväter des „Föderalismus“ einzureihen, wie es die Forscher bisweilen ein bisschen oberflächlich und oft aus didaktisch-populärwissenschaftlichen Gründen tun.2 Es ist in der Tat notwendig, von der Tatsache auszugehen, dass er der allgemein anerkannten Tradition angehört, dass sich der „Föderalismus“ des Althusius – auch wenn man genauer von einem „Protoföderalismus“ sprechen müsste, um die Eigentümlichkeit und Unverkürzbarkeit im Hinblick auf den modernen Föderalismus herauszustreichen – sowohl auf der Ebene der inneren Verfassung der politischen symbiotischen Gesellschaft als auch auf jener der zwischenstaatlichen und internationalen Beziehungen –, die organisch und systematisch entwickelt wird. Im Hinblick auf den ersten Punkt ist der grundlegende Terminus – der den spezifischeren und originelleren Beitrag des Althusius zum politischen Wortschatz darstellt – nach Auffas1 Es sei darauf hingewiesen, dass dies nicht die Schreibweise der Begriffe in der dritten Ausgabe der Politica ist, in der vielmehr fedus und confederatio geschrieben wird. Sie ist jedoch aus folgenden Gründen vorzuziehen: Weil es die verbreitetste Schreibweise in der klassischen Antike war (vgl. Thesaurus linguae latinae editus auctoritate et consilio academiarum quinque germanicarum etc. Leipzig 1906 – 1909, S. 998: „fedus, quod est deformis, per ,e‘ solam scribendum, foedus quod est pactum, per ,oe‘ diptongon“) und bei den Autoren der Zeit des Althusius; zweitens auch, weil in dem Exemplar des Althusius, das in der Wiesbadener Landesbibliothek aufbewahrt wird, Marginalglossen – im wesentlichen Überschriften, die der Autor selbst eingetragen hat – vorhanden sind, in denen foedus und confoederatio geschrieben wird, eine Schreibweise, an die sich im Übrigen auch schon die erste Ausgabe hielt. Man beachte schließlich auch, dass Althusius auch den Begriff foederatio nicht verwendet, der in der antiken und mittelalterlichen Tradition als Synonym für confoederatio Verwendung findet. 2 Es gibt in diesem Sinne eine lange währende Gewohnheit, der sich auch der Verfasser leider angeschlossen hat, aber den Leser darauf hinweist, dass eine derartige gefällige Definition substanziell ungenau ist; vgl. auch für weitere bibliografische Hinweise C. Malandrino, Federalismo. Storia, idee, modelli. Roma 1998, S. 25 – 28.

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sung des Verfassers in Wahrheit nicht so sehr das Wort foedus, als das der symbiosis und symbiotiké (vgl. den Beitrag zu Symbiosis). Dies ist die Definition der Politik als „Kunst, die Menschen zusammenzuschließen, damit sie untereinander ein gesellschaftliches Leben begründen, pflegen und erhalten“3. Der Prozess des Zusammenschließens ist daher als eine regelrechte „föderale Konstruktion“ anerkannt.4 Er erfolgt durch einvernehmliche stillschweigende oder ausdrückliche Abmachungen (pacta), die ursprünglich einzelne Menschen betreffen und sich dann innerhalb der privaten und öffentlichen symbiotischen Lebensgemeinschaften weiterentwickeln: von den Familien – den einfachsten privaten Zusammenschlüssen – bis zu den Stämmen, von den ständische Zusammenschlüsse bis zu den höchsten und komplexesten öffentlichen Lebensgemeinschaften oder den Städten, Provinzen und Staaten. Das Wesen der symbiotischen Politik in den Lebensgemeinschaften wird in der perfekten funktionalen Integration ihrer Mitglieder gesehen, mit dem Ziel, eine „heilige, gerechte, angemessene und glückliche“ Union zu erlangen. Aber inwieweit ist es stichhaltig, eine derartige Rekonstruktion als „föderal“ zu bezeichnen? Und in der Tat: Abgesehen von der schlichten Tatsache, dass Althusius Termini wie „Föderalismus“ oder „föderal“ weder im Lateinischen noch im Deutschen gebraucht, die erst eine Generation später gebräuchlich werden, muss man sich doch fragen, ob und in welcher Form und in welchem Maß der Gebrauch des Terminus foedus (und von ihm abgeleiteter Wörter) in der Politica Ausdruck einer bewussten Absicht ist, ein föderales System zu konstruieren, sei es nun modern oder protomodern. Eine andere Frage, die man sich stellen muss, geht dahin, wie nah oder fern Althusius der Art und Weise steht, mit der andere Autoren, die seine Zeitgenossen waren oder kurz vor ihm wirkten und die ihm im Hinblick auf Ausbildung, Kultur und Ideale nahe standen, das Wort benutzen: vor allem die Autoren der so genannten „Föderaltheologie“ unter den Schweizer, deutschen (vor allem im Herborn des Althusius), holländischen, französischen und englischen Reformierten. Bis wohin kann man eine anzunehmende Nähe von Althusius zum föderaltheologischen Denken als gesichert annehmen, in dem der Terminus foedus ständig Verwendung findet? Einige Historiker des politischen und juristischen Denkens sind der Auffassung, dass Althusius der bedeutendste Übersetzer der Föderaltheologie in die politisch-juristische Lehre ist5. Andere bestreiten das ent3 Vgl. J. Althusius, Politica. Übersetzt von Heinrich Janssen. In Auswahl herausgegeben, überarbeitet und eingeleitet von Dieter Wyduckel, Berlin 2003, S. 24. 4 Vgl. T. O. Hueglin, Sozietaler Föderalismus, Berlin / New York 1991, passim. 5 Vgl. die kritische Tradition, die in G. Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 157 – 178 (vgl. in dem Sinne auch H. Graffmann, Kaspar Olevians Stellung in der Entstehungsgeschichte der Demokratie, in: Jahrbuch der hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 22 (1971), S. 85 – 121) ihren angesehensten Theoretiker hat und ebenso in der Gruppe von amerikanischen Politikwissenschaftlern, deren Haupt D. J. Elazar ist. Vgl. dazu den Sammelband von D. J. Elazar / J. Kincaid (Hrsg.), The Covenant Connection: From Federal Theology to Modern Federalism, Lanham, Maryland 1999 und von C. S. McCoy / J. W. Baker,

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schieden und verweisen stattdessen auf den Diskurs der humanistischen „föderalhierarchischen“ Tradition mittelalterlicher Provenienz6. Welches ist also die Position, die mit dem faktischen Ausdruck des politischen Wortschatzes von Althusius am meisten zusammenstimmt und kohärent ist? 2. Zunächst ist zu klären, wie der Terminus foedus (mit seinen Ableitungen) zu Althusius gelangt, um verstehen zu können, welche Funktion er in der Politica hat. Ein erster intuitiver Zugang erfolgt über das römische Recht, was schon dadurch nahe liegt, weil der Autor Doktor beider Rechte und einer der wichtigsten Rechtsgelehrten seiner Zeit war. Die Römer hatten mit ihren Nachbarn und den italischen, mittelmeerischen und europäischen Völkerschaften keine konföderalen Beziehungen, die jenen vergleichbar wären, die für die jüdische und griechische Welt typisch sind. Ihre Geschichte wurde von einer tendenziell unitarischen und imperialistischen Zielsetzung im Rahmen der (im weiteren Sinne) „internationalen“ Beziehungen geformt. Trotzdem: Auch sie kannten eine Vielzahl föderativer Institutionen. Den ersten von diesen gingen Formen des Zusammenschlusses früherer sozialer Siedlungen mit Rom voraus. Der Terminus des foedus war eine vertragliche Abmachung, die oftmals einen Krieg beendete und zugleich das Instrument, mit dem die Römer mit den Völkern Latiums und den italischen Völkerschaften Allianzen schlossen: Die amicitia, die im gegenseitigen Erhalt des Friedens besteht, die societas, die die Kontrahenten zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung verpflichtet. Aber bereits in der Zeit der Republik, als sich die imperiale Expansionspolitik etabliert hatte, verloren diese foedera ihre Bedeutung als Abmachungen zwischen fast gleichen (auch wenn sie für die Adressaten bedeutende Rechte wahrten), und nahmen die Gestalt von Verhältnissen klarer Unterordnung der foederati unter die römische Macht an. Unter dem Prinzipat des Augustus und mehr noch mit der bürokratischen Neuordnung unter den nachfolgenden Kaisern, verloren diese Einrichtungen ihre Bedeutung und verschwanden fast völlig. Letztlich ist dieser Tradition gemäß das foedus etwas mehr oder weniger als ein pactum (Abmachung oder Vertrag), insofern es speziellere Anwendungen findet. Foedus ist ein Begriff, der eng mit dem „internationalen“ Recht verbunden ist7. Fountainhead of Federalism. Heinrich Bullinger and the Covenantal Tradition, Louisville / Kentucky 1991 mit ebenso wichtigen Ansätzen. Dazu vgl. C. Malandrino, Teologia Federale, in: Il pensiero politico 32 (1999), S. 427 – 446; ders., Politische Theorie und Föderaltheologie, in: F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und politische Theologie, Berlin 2004, S. 123 – 142, aus dem hervorgeht, dass der Verf. der Meinung ist, dass es bei Althusius wirklich – und letztlich nicht so sehr aufgrund des Gebrauchs, den er von dem Begriff foedus, sondern vom pactum symbioticum macht – ein Bemühen gibt, die vertragliche Voraussetzung der Föderaltheologie in eine politische Vision zu übertragen. 6 Vgl. H. Dreitzel, Althusius in der Geschichte des Föderalismus, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des J. Althusius, Wiesbaden 2002, S. 49 – 112.

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Man muss sich diese Besonderheit vor Augen halten, um zu verstehen, welchen Gebrauch Althusius von dem Terminus macht, den er mit dem pactum weder verwechselt noch ihn überlagernd verwendet, anders als dies dagegen in der föderaltheologischen Literatur der Zeit der Fall ist. Tatsächlich durchläuft der Terminus foedus in der reformierten Lehre der Föderaltheologie, die auf ihn zurückgreift – von Bullinger bis zu den Vindiciae, von Ursinus bis Junius (alles Althusius bestens vertraute und von ihm häufig zitierte Werke und Autoren)8 – eine Bedeutungsveränderung – oder, wenn man so will: eine Bedeutungsanpassung –, die weit über die romanistische Tradition hinaus geht. Man kann das bei der Lektüre der Schrift Bullingers von 1534 De testamento seu foedere Dei unico et aeterno feststellen9. Hier kommt eine interessante etymologische Rekonstruktion des Zürcher Reformators und Nachfolger Zwinglis zum Vorschein. Bullinger stellt klar, dass er foedus gegenüber testamentum den Vorzug gibt (der lateinischen Übersetzung von „Abmachung“, die von den Kirchenvätern, die die Bibel übersetzt haben, bevorzugt wird, vom griechischen diatheke, das wiederum die Übersetzung des hebräischen berith ist), weil sich dadurch das Konzept der „Abmachung“ vollständiger zum Ausdruck bringen lasse. Testamentum drückt nämlich nach Bullinger, wie übrigens 7 Vgl. dazu die Bemerkungen vom Präsidenten des Institute for Christian EconomicsEurope, R. C. Alvarado, Herausgeber der Zeitschrift „Symbiotica“, im Artikel „Fountainhead of Liberalism, in: Contra Mundum 10 (1994), S. 5 (www.visi.com/~contra_m/cm/features/ cm10_font.html). Wenn diese Bedeutung akzeptiert werden kann, insofern sie zum Beispiel im Corpus Juris Civilis vorkommt (vgl. Vocabularium iurispurdentiae romanae auspiciis instituti etc., Berlin 1933), muss man allerdings in der Behauptung weniger rigide sein. Es ist nämlich daran zu erinnern, dass das foedus in der römischen Gesellschaft nicht nur in der öffentlichen „internationalen“ Form gegenwärtig war, sondern auch in der Form der privaten Abmachung zwischen Personen; vgl. dazu Thesaurus linguae latina (FN 1), S. 1004 f. Vgl. zudem den Gebrauch, den Petrus Gregorius von dem Begriff macht, und zwar in De Republica, Lugduni, Sumptibus Ioannis Baptistae Bryson, 1596, Bd. I, 2, S. 12: „Clientes, qui se principalibus familiae, vel foedere, vel fide devinxerant, vel illis se commiserunt.“ 8 Um die bekanntesten Texte zu zitieren vgl. G. Snecanus, Methodica descriptio et fundamentum trium locorum communium Sacrae Scripturae de gratuito Dei foedere [ . . . ], Lugduni Batavorum, Ex officina J. Paetsii, 1584; der Deutsche C. Olevianus (Mitautor des Heidelberger Kathechismus, dem bedeutendsten theoretischen Text der reformierten Kirchen in Mitteleuropa), De substantia foederis gratuiti inter deum et electos, Genevae, Vignon, 1585; der Engländer J. Cameron, De triplici Dei cum hominibus foedere theses, Heidelberg 1608 (in TA ÓÙÆÏÌÅÍÁ sive Opera [ . . . ], Genevae, Sumptibus Petri Chouet, 1659, S. 544 – 551; J. Coccejus, Summa doctrinae de foedere et testamento Dei, Lugduni Batavorum, Ex officina Elzeviriorum, 1654. Die bedeutendste Rückwirkung dieses Diskurs-Wortschatzes auf das Gebiet der politischen Traktatliteratur haben sicher die Vindiciae contra tyrannos. Hier erscheint foedus mit der neuen, auf Bullinger zurückgehenden – und der romanistischen Tradition vollkommen fremden – Bedeutung bereits in der zweiten Auflage, so es heißt: „Diximus in rege inaugurando duplex foedus initum fuisse. Et primum quidem inter Deum, Regem et Populum, sive inter summum Sacerdotem, Populum et Regem“ (vgl. Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra tyrannos. Il potere legittimo del principe sul popolo e del popolo sul principe, hrsg. u. übers. v. S. Testoni Binetti, Turin 1994, S. 40). 9 Tiguri, in aedibus Christoph. Frosch, mense Septemb. 1534, jetzt in englischer Übersetzung in: McCoy / W. Baker, Fountainhead of Federalism (FN 7), S. 99 – 138, hier: S. 101 – 103.

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auch diatheke, mehr das Erbe oder das Versprechen eines Willens aus, der nicht die Abmachung in sich selbst darstellt. Das foedus betrifft dagegen ebenso sehr die Abmachung wie auch die Umstände ihres Abschlusses. Der Zürcher Pastor führt die Tatsache an, dass im Lateinischen dasselbe Wort, foedus nämlich, zwei Bedeutungen hat – die erste eben den Vertrag, die zweite, als Adjektiv, die Bedeutung „schrecklich, furchtbar, grausam“ –, und diese Bedeutungen, darauf weist er hin, sind nach den lateinischen Grammatikern miteinander verknüpft. Bullinger stützt seine Argumentation damit, dass in alten Zeiten, noch vor den Römern, im Rahmen des Abschlusses einer Abmachung zwischen zwei Ex-Feinden10 ein Tier, gewöhnlich ein Schwein geopfert und auf grausame Weise (foede) geschlachtet wurde. Es würde zu weit führen, weiter auf die Opfersymbolik einzugehen, die hinter alledem steht. Man denke nur an den Sündenbock. Aber bleiben wir beim Thema: Nach Bullinger verfestigen Jahrhunderte und Jahrtausende die Prozedur des Abmachungs-Vertrags, der dank spezieller Zeremonien und besonderer Bedingungen feierlich abgeschlossen wird, durch den man in einen Zustand besonderer Freundschaft eintritt (iniit) – für einen Zeitabschnitt, dessen Dauer von der Abmachung selbst vorgegeben ist. Nachdem Bullinger dies erklärt hat, unterstreicht er, dass der Kontakt zwischen der dem Wort foedus zugrundeliegenden historisch-politisch-literarischen Tradition und der Theologie darin besteht, dass Gott in seiner großen Güte dadurch, dass er durch seinen grundlosen Willen „das Mysterium der Einheit und Freundschaft mit den Menschen“ anbieten will, die Wahl trifft, „einer menschlichen Gewohnheit“ zu folgen – jener nämlich, eine Abmachung einer „Allianz / eines foedus“ zwischen zwei Subjekten abzuschließen – wobei er sich der Schwäche der menschlichen Natur bewusst ist. Deshalb die Abmachung / den foedus der Genesis mit Abraham und seinen Nachfolgern. Nach dem Zürcher Pastor fahren auch die Autoren der Föderaltheologie darin fort, foedus zu verwenden, um die „Abmachung einer Allianz“ auszudrücken, wobei sie jedoch hinsichtlich der Zahl der foedera Dei Veränderungen vornehmen, von einem zu zweien, dreien und dann noch etlichen mehr. Die wichtigste Änderung betrifft jedoch die Tatsache, dass das foedus nicht nur für die Bezeichnung der göttlichen Abmachung verwendet wird (foedus operum vel gratiae) mit den Zielen der Beziehung zwischen Gott und Menschen und dem Heils, sondern auch als root metaphor11, eine Wurzelmetapher, ein Archetyp, um die doppelte, religiöse und politische Beziehung zwischen dem Volk, dem höchsten Priester und dem Magistrat zu beschreiben, wie man es eben in den Vindiciae contra tyrannos sieht. Es ist hier allerdings nicht der Ort, weiter auf die föderaltheologische Analyse einzugehen. Hier ist es jetzt notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, dass über das föderaltheologische Verständnis das, was ein Terminus 10 Vgl. ebd., S. 103: „In Wirklichkeit wird ein foedus eigentlich zwischen Feinden am Ende eines Krieges geschlossen.“ 11 Zum Begriff root metaphor vgl. C. McCoy, The Centrality of Covenant in the Political Philosophy of J. Althusius, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 191 ff.

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des „internationalen Rechts“ war, ein Schlüsselausdruck der reformierten Theologie wird und im Anschluss daran einer der politischen Theorie des Calvinismus, die das Problem der Gründung einer politischen Ordnung und der Souveränität im Staat umfasst. Hier muss man sich nun fragen, wie und in welchem Kontext der Politica Althusius sich des Worts foedus bedient. 3. Wenn man diese Frage beantwortet und dabei streng vom Text des Althusius ausgeht, stellt man bei Althusius eine lexikalische Abweichung gegenüber der föderaltheologischen Literatur fest, denn der Terminus foedus wird von ihm niemals im Allgemeinen als Synonym von pactum oder contractus verwendet. Es zeigt sich vielmehr eine feine funktionale Unterscheidung. In dieser Hinsicht will Althusius bis zur Pedanterie präzis sein. Foedus hat in der Tat einen ganz speziellen Anwendungsbereich und bezieht sich grundsätzlich auf die Verhältnisse zwischen verschiedenen Völkern, die Art und Weise in der sie sich aneinander binden, wie aus der zweiten Hälfte des Kapitels XVII deutlich wird – De cura bonorum corporis consociati et comitiis – und aus einigen kurzen Auslassungen von wenigen Paragrafen in anderen Kapiteln: In Kapitel XXV – De auctoritate summi magistratus – in Kapitel XXXI – De studio concordiae conservandae –, in Kapitel XXXIII – De conciliis universalibus – und in Kapitel XXXIX, De cura et tractatione armorum tempore pacis. In Kapitel XXV ist von den „foedera ad potentiam necessaria“ die Rede, und es werden Beispiele von foedera zwischen Salomon und Tiro, zwischen den Römern und Karthagern, etc. angeführt. In Kapitel XXXI ist von der „confoederatio cum vicinis“ die Rede, um die Eintracht und den Frieden zu erhalten (und in Kapitel XXXIV wird davon abgeraten, „foedera cum impiis“ abzuschließen). Es handelt sich also um Verträge, die zwischen verschiedenen und häufig zuvor miteinander verfeindeten Volkern abgeschlossen werden. Eine erste Feststellung: foedus ist deshalb also nicht das Wort, das Althusius normalerweise benutzt, um das berühmte „ausdrückliche oder stillschweigende Bündnis (pactum)“ des ersten oder zweiten Kapitels zu definieren, jene Bindung, die nämlich grundlegenden Wert für die consociatio symbiotica hat und die das gesamte konsoziative System des Althusius durchzieht. In diesem Fall wird immer pactum verwendet. Foedus kommt nicht einmal dann vor, wenn von dem pactum zwischen Volk und Magistrat die Rede ist, der die obligatio mutua zwischen den politischen Subjekten (die man heute als asymmetrisch bezeichnen würde, die für Althusius aber vollkommen symmetrisch waren) im Hinblick auf das Thema der Souveränität herstellt. In diesem Fall wird contractus mandati oder, viel seltener, pactum verwendet12. Diese lexikalische Unterscheidung ist gleichermaßen auch in 12 Ein Abschnitt, der dieser Notwendigkeit von Präzision klar Ausdruck verleiht und dabei die Bedeutung der verschiedenen Termini zusammenstellt und unterscheidet, ist XX, 21, wo von der gegenseitigen Verpflichtung und vom gegenseitigen Versprechen des Gehorsams und der Ehrerbietung gegenüber dem Magistrat die Rede ist. Hier heißt es: „Utroque casu [mit anderen Worten: wenn man den Vertrag zwischen Volk und Magistrat aufgrund der Rebellion des Ersteren oder der Tyrannis des Letzteren bricht, Anm. d. Verf.], quia conditio conventioni et foederi apposita non impletur, contractus ipso jure solutus est . . .“ In diesem Passus

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der ersten Ausgabe der Politica präsent.13 Was in der dritten Ausgabe vollendet wird, ist dagegen die substantielle Erweiterung der Platzes, der dem foedus eben im XVII Kapitel vorbehalten ist, das in der ersten Ausgabe fehlt. Tatsächlich wird der Stoff des kurzen 13. Kapitels der ersten Ausgabe – De defensione Reipublicae et bonis illius et comitiis – über die Maßen erweitert und wird zum Ausgangspunkt für konsistentere Kapitel in der dritten Ausgabe, nämlich von Kapitel XVI – De protectione universalis consociationis – und vor allem von Kapitel XVII. Der Abschnitt über das foedus, der in der ersten Ausgabe kaum erwähnt wird, macht quasi die ganze zweite Hälfte von Kapitel XVII aus – von Paragraf 25 bis 54. Zweite Feststellung: In allen Abschnitten der Kapitel, die auf Kapitel XVII folgen, wird das Wort foedus in derselben bereits erwähnten Bedeutung verwendet, oder als vertragliches Mittel, ein Abkommen, das auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen verschiedenen Völkern wirkt, mit dem Ziel, die Güter des ursprünglich konsoziierten Körpers zu vermehren oder aber aus Gründen seiner Sicherheit und Verteidigung. Die Anreicherung der Abhandlung des Althusius über das foedus nimmt also von utilitaristischen, diplomatischen und militärischen Gründen ihren Ausgang (nicht von ungefähr taucht es auch zwei- oder dreimal im Kapitel über die Behandlung der Waffen auf). In Paragraf 24 (XVII) heißt es tatsächlich: „Atque haec de conservatione et custodia bonorum corporis consociati; sequitur, ut nunc etiam dicamus de eorundem auctione et amplificatione, quae fit per confoederationem, consociationemve aliorum14, vel per alios titulos et modos legitimos“. Das foedus dient folgenden Zielen: Vergrößern, Bereichern, Verstärken und Sichern der consociatio symbiotica, sei sie ein Dorf oder eine städtische oder provinzielle universitas, respublica, ein regnum oder eine politia. Wenn dies Althusius, wie bereits gesagt, behauptet, scheint er sich von der föderaltheologischen Tradition loszusagen und sich wesentlich in Kohärenz mit dem traditionellen romanistischen Verständnis zu befinden; und in der Tat führt er viele Verweise auf die feierlichen Zeremonien an, die beim Abschluss der foedera zwischen den Römern und anderen Völkerschaften gewöhnlich abgehalten wurden. In diesem Sinne führt er in den erscheint der Gebrauch von der conventio unterschieden, die im symbiotischen pactum mitgeteilt wird; foedus, das eine vertragliche Abmachung ist, die, wie deutlich werden wird, zwei unterschiedliche Völker unter einem einzigen obersten Magistrat vereint; und contractus, der der rechtliche contractus mandati ist, durch den der Magistrat seine legitime Macht erhält. Bereits in X, 3 steht, wenn auch im abweichenden Zusammenhang des Vergleichs zwischen dem Augenblick des Promulgierens eines Gesetzes und dem Inkrafttreten des Vertrags: „Membra consociata [ . . . ] ex contractu obligantur“ und in Kapitel XIX, 6: „Pactum hoc, seu contractum mandati cum magistratu summo initum“; in Paragraf 23 wird wiederholt: „Porro constitutio seu pactum, quo corporum consociatorum consensu ab ephoris magistratus summus constuitur, duo habet membra.“ 13 J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum, Ex officina C. Corvini, 1603. In De regno von 1602 kommt foedus nicht vor (vgl. G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis, Su una sconosciuta ,Disputatio‘ di Althusius, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 13 – 126). 14 Die Kursiva vom Verfasser.

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Paragrafen 49 und 50 die kanonische Unterscheidung zwischen dem foedus par et aequum und den impar oder iniquum an. Trotzdem bringt er in Kapitel XVII auch eine neue Anwendung des foedus, was einen äußerst originellen Beitrag zu seiner politischen Theorie darstellt und es ihm ermöglicht, seinen Abstand zu den Föderaltheologen zu verringern und damit eine Brücke zwischen der traditionellen Anwendung des foedus, die auf das zwischenstaatliche Gebiet begrenzt ist, und seiner erweiterten Verwendung zum Teil in Überlagerung mit und Integration des symbiotischen pactum herzustellen. Auf diese Weise schließt sich Althusius implizit wieder dem Ansatz der symbiotischen Abmachung an, der – und das auf jeden Fall – die Übersetzung des föderaltheologischen Vertrags ins Politische ist (vgl. unten den Beitrag zu Symbiosis). Die Prämisse für eine derartige Neuerung kündigt sich in dem Wort an, das als Apposition auf die Formulierung „per confoederationem“ oder „consociationemve“ folgt, was soviel bedeutet wie die Konföderation unter bestimmten Umständen auch als eine Form der Konsoziation ansehen zu können. Schauen wir uns an, wie dies vor sich geht. 4. In Paragraf 24 von Kapitel XVII, das in der Inhaltsangabe Confoederatio quid überschreiben ist, schreibt Althusius, dass „die Lebensgemeinschaft, die als Konföderation bezeichnet wird, etwas darstellt, in dem verschiedene Reiche, Provinzen, Städte oder Dörfer zusammenkommen und sich zur Gemeinschaft eines einzigen Körpers zusammenschließen, womit sie den Körper der universalen Lebensgemeinschaft erweitern und stabiler und sicherer machen“15. Angesichts dieser allgemeinen Definition, die der Formulierung nach für alle Formen der Konföderation gelten muss, wird in Paragraf 26 eine saubere Unterscheidung zwischen der „vollständigen“ Konföderation und der „nicht-vollständigen“ Konföderation eingeführt, die partiell und begrenzt ist. Althusius schreibt dazu: „Consociatio eiusmodi extranei populi, vel corporis alterius, est duplex: plena scilicet, vel non-plena, ex parte et quadantenus facta“. Ferner ist anzumerken, dass eine kleine Abhandlung zu „non-plena“ eingefügt ist, die besagt, dass diese Art von Konföderation nicht einfach eine Negation der ersten ist, sondern ein Typ der Konföderation, der unterschiedliche und autonome Züge aufweist. Paragraf 27 setzt mit der Auseinandersetzung der „plena consociatio et confoederatio“ ein, die bis zum Paragraf 29 reicht. Paragraf 30 liefert die Definition der „non-plena confoederatio“ und die folgenden Paragrafen geben die allgemeinen Regeln und die Arten der foedera an oder präzisieren von Fall zu Fall die Bezüge zum ersten oder zweiten Typ von Konföderation. Diesen Abschnitten ist zu entnehmen, dass die „non-plena confoederatio“ eine institutionelle Form der festen Allianz zwischen Provinzen und Reichen ist, die 15 Althusius bringt in diesem Paragrafen Zitate aus den Novellen, aus Gregorius, De Republica, aus Alessandro Alessandri, Genialium dierum libri sex, Lugduni, Apud Paulum Frellon, 1608 und von Theodor Zwinger, Theatrum humanae vitae, Basileae, Per Eusebium Episcopium, 1586.

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jedoch das Recht der Einzelnen auf die jura majestatis der Souveränität nicht in Frage stellt, sondern infolge der Abmachung auf eine bestimmte Zeit hin oder auch nicht stets mit feierlichen Zeremonien eingerichtet ist, mit dem Ziel, sich gegenseitig gegenüber Feinden zu helfen und ein gegenseitiges Verhältnis der Treue, des Friedens und der Freundschaft aufrecht zu erhalten16. Es ist also genau das, was auch im späteren politischen Wortschatz der Moderne von Montesquieu bis Hamilton einfach als Konföderation bezeichnet werden wird17. Es gibt dabei keine Neuerung im Hinblick auf die römische Tradition (oder, wenn man so will, auch im Hinblick auf die griechische Tradition der Amphiktyonen). Es ist interessant, dass Althusius keine speziellen politischen Beispiele für diese weit gefasste und schwache Art von Konföderation anführt. Ganz anders liegt der Fall der „plena confoederatio“. Bei Althusius heißt es: „Plena consociatio et confederatio est, qua alienum regnum, ejusque regnicolae, vel provincia, ut consociatio universalis quaevis alia, communicatis legibus fundamentalibus regni, et juribus majestatis, in plenum integrumque jus et communionem regni adsumuntur, cooptantur, et quasi in unum idemque corpus conjunguntur et coalescunt, tanquam unius ejusdemque corporis membra“.18 Althusius ist sich im Hinblick auf die Souveränität des grundlegenden Unterschieds zwischen dieser speziellen „vollständigen“ und der „nicht-vollständigen Konföderation“ bewusst und betont sofort: „Atque hoc jus foederis ineundi ad majestatis capita referri, dubitandum non est [ . . . ]“. Es besteht kein Zweifel, dass dieses Recht, einen Vertrag abzuschließen, auf Prinzipien der Souveränität zurückgeführt wird. Für Althusius ist dieser Unterschied in seiner Zeit nichts Neues. Er fährt nämlich mit der Bemerkung fort, dass „foedus ejusmodi et confoederatio apud Romanos fiebat per fecialem, caeremoniis solitis solemnibus, et jurejurando interveniente, et recitatis legibus conventis pro foedere“ oder mit besonders feierlichen und aufwendigen Verfahren, die dem Kollegium der Fetiales oblagen19, zwanzig Priestern, denen die Verteidigung des internationalen Rechts anvertraut war, mit dem Vortrag eines Schwurs und der Gesetze, die sie gemeinsam festsetzen. Vorbilder für derartige „vollständige Konföderationen“ gibt es in der Antike zwischen den Römern und Albanern, den Juden und Gibeoniten, Idumäern und Edomiten; und aus der Zeit des Althusius wird der Fall der Union zwischen Schottland und England angeführt, die von Jacob I. in der Dynastie der Stuarts zusammengeführt wurden. 16 In diesem Abschnitt werden Autoren wie Dionysios von Halikarnass (Antiquitates romanae), Gregorius (De Republica) und Jean Bodin (De Republica, Francofurti, Apud Johannem Wechelum & Petrum Fischerum consortes, 1591) zitiert. 17 Zu diesen Unterschieden vgl. C. Malandrino, Federalismo (FN 2), Kap. III, passim. 18 Die Definition wird gestützt mit Zitaten aus den Novellen, aus Alberico Gentili (De jure belli libri tres, Hanoviae, Apud Haeredes Gulielmi Antonii, 1612) und aus Gregorius (De Republica). 19 Eine kulturelle und sakrale Besonderheit, die von dem anderen Typ von Konföderation nicht wiedergegeben wird.

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Eine Überlegung: Im Abschnitt über die confoederatio non-plena findet der Begriff consociatio keine Verwendung, während in jenem über die confoederatio plena diese in jeder Hinsicht einer Form der consociatio gleichgestellt wird. Dieser Wandel in der Wortverwendung erfolgt, weil im ersten Fall, wie Althusius meint, sich kein neuer symbiotischer Körper bildet, in letzterem jedoch sehr wohl. Warum? Mir scheint es, dass die Antwort in der Tatsache zu suchen ist, dass in letzterem Fall zwischen den Parteien, die den Vertrag abschließen, eine Verbindung der Grundgesetze und der Souveräntitätsrechte erfolgt: Aus der Verbindung und der Gemeinschaft in plenum et integrum entwickelt sich ein neuer politischer Körper, dessen Glieder die Vertragsparteien sind. Es entsteht auf diese Weise eine neue symbiotische Lebensgemeinschaft. In diesem Fall legt sich das foedus, auch wenn es nicht vollständig im pactum symbioticum aufgeht, sondern stets als rechtlicher und konventioneller Vertrag in seiner formal-autonomen Art bestehen bleibt, dennoch funktional über das pactum und vervollständigt es mit dem Ziel, der Schaffung eines neuen symbiotischen Körpers Legitimität zu verleihen. Im Grunde genommen erfüllt es die Funktion einer rechtlichen Grundlage für die Legitimation der neuen symbiotischen Lebensgemeinschaft als souverän. Als utilitaristischer, diplomatischer Kunstgriff der internationalen Politik und der Militärpolitik eignet sich das foedus in diesem Fall zum Instrument für die symbiotische Gestaltung auf einem Niveau, das oberhalb der niederen symbiotischen Lebensgemeinschaften liegt, und das wirklich (wie in Paragraf 25 geschrieben steht) fähig ist, zur Erweiterung und zur Verfestigung der universalen symbiotischen Lebensgemeinschaft zu führen. Letztere ist auf diese Art und Weise nämlich das Ergebnis eines graduellen Aggregationsprozesses, der von unten nach oben verläuft. An dieser Stelle kann man eine derartige Lebensgemeinschaft von der Substanz her durchaus berechtigt als „protoföderal“ bezeichnen. 5. Von dieser Interpretation nehmen jedoch verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Gründen Abstand. So etwa Dreitzel in dem eingangs zitierten Aufsatz. Die von ihm gelieferten Argumente erscheinen aber nicht als begründet. Seine allgemeine These20 kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Politica des Althusius ist als letzte Theorie einer „hierarchisch-föderalen“ Monarchie anzusehen; sie ist also keine Vorläuferin des „modernen Föderalismus“ (den Dreitzel vollkommen richtig vom amerikansichen Federalist begründet sieht), sondern die letzte Etappe einer im Mittelalter gründenden Tradition. Unter „hierarchischem Föderalismus“ – dem in seinem Artikel viele Seiten gewidmet sind – versteht man die theoretische, im Laufe der Zeit geschichtete Konstruktion vornehmlich deutscher Juristen (aber nicht allein, denn es sind auch die Beiträge von Aegidius Romanus und schließlich Bodin ausführlich vertreten), die dem Heiligen Römischen Reich entspricht und die die politisch-institutionellen Beziehungen zwischen 20 Vgl. Dreitzel, Althusius (FN 6), S. 100 f. u. 111 f. Zur ausführlicheren Diskussion der Thesen von Dreitzel und der Beiträge im von Duso, Bonfatti und Scattola herausgegebenen Band sei verwiesen auf: C. Malandrino, Discussioni su Althusius, lo Stato moderno e il federalismo, in: Il pensiero politico 37 (2004), S. 425 – 438.

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den verschiedenen staatlichen Formen ebenso wie in seinem Inneren und zwischen diesen und der Spitze des Reichs modelliert. Die eigentümlich „föderalistische“ politische Theorie des Althusius erweist sich allerdings, so sehr sie auch in die Komplexität des Deutschen Reichs eingeschlossen ist, nach Meinung von Dreitzel „wenig entwicklungsfähig und einflussreich“. Neben dieser zentralen These, die von den traditionellen Thesen von Gierke21 und Friedrich22 abweicht, bringt Dreitzel einige zusätzliche Thesen vor und versucht sie zu beweisen; sie haben das Ziel, die Grundlagen der Theorien grundsätzlich zu nivellieren, die verschiedene Althusiusforscher in der jüngsten Zeit aufgestellt haben, wie zum Beispiel Thomas Hueglin23. Um die wichtigsten Punkte aufzugreifen: Als erstes wird bestritten, dass eine Verbindung zwischen reformierter Föderaltheologie und dem, was der „Föderalismus“ des Althusius genannt wird, besteht. Zweitens wird die von verschiedenen Forschern vertretene Interpretation angegriffen, der zufolge die Konföderationen der Niederlande und der Schweizer Kantone der „universalen politischen Lebensgemeinschaft“ des Althusius zum Modell gedient haben: daraufhin fällt Dreitzel ein drastisches Urteil: „Die confoederationes gaben Althusius nicht das Modell für das föderative Gemeinwesen.24. Drittens weist Dreitzel die Interpretation Hueglins im Hinblick auf die Existenz eines „sozietalen“ Föderalismus bei Althusius zurück, der in gewisser Weise eine Form des föderalen sozioökonomischen, also integralen Denkens vorwegnimmt, das sich dann im 18. Jahrhundert bei Proudhon in größerer Vollständigkeit findet. Es ist hier gewiss nicht möglich, auf alle Gedanken einzugehen, die Dreitzel vorbringt. Dennoch können einige Überlegungen und Einwände vorgebracht werden. In der begrifflichen Analyse bestätigt sich, dass das Modell der confoederationes für Althusius keinen Bezugspunkt für die consociationes darstellt – zumindest nicht für den Teil der confoederationes non plenae. Ich denke darüber hinaus, dass als sicher vorauszusetzen ist, dass der „Föderalismus“ des Althusius nicht dem „modernen Föderalismus“ angenähert werden kann. Wie oben dargelegt wurde, kann man ihn auch unter terminologischen Gesichtspunkten nicht mit dem Worte „Föderalismus“ definieren (wie es Dreitzel jedoch irrtümlicherweise tut), weil der Terminus eine Prägung des späten 17. Jahrhunderts ist und folglich auf die föderalistischen Erfahrungen der Amerikaner und Franzosen (Girondismus) zurückgeht25. Angesichts dessen ist es allerdings umso mehr zu bezweifeln, dass der 21 Vgl. O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, 7. unveränderte Ausgabe mit Vorwort von Julius von Gierke, Aalen 1981. 22 Vgl. C. J. Friedrich, Introductory Remarks to J. Althusius, Politica methodice digesta, Cambridge 1932, S. XV– XCIX. 23 Neben dem zitierten „Sozietaler Föderalismus“ vgl. Hueglin, Early Modern Concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo / Ontario 1999. 24 Vgl. Dreitzel, Althusius (FN 6), S. 65.

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„Protoföderalismus“ des Althusius einfach, wie Dreitzel es tut, auf eine Form des „hierarchisch-funktionalen Föderalismus“ im 17. Jahrhundert reduziert werden kann. In dieser Zuweisung und Definition ginge das verloren, was im „Protoföderalismus“ des Althusius von vitaler Bedeutung ist und das, worauf bereits Friedrich hingewiesen hat, in seiner charakteristischen und progressiven Verbindung mit dem Calvinismus besteht, nämlich einem Geflecht zwischen Gedanke und Aktion, das nicht verschleiert werden darf – ein bezeichnender Umstand, der jedoch auch in Anbetracht der Erfahrungen im Rahmen seines Syndikats in Emden problematisiert, kontextualisiert und vertieft werden muss, ohne jedoch grundsätzlich das gesamte politische Projekt des Althusius und seine theoretische Sicht der Dinge abzuwerten. Die mehrmals erwähnte Auffassung, dass der spätmittelalterliche Ständestaat in seinem imperialen Rahmen26 mit allen notwendig begrenzenden Konsequenzen auf dem Gebiet des althusischen Konstitutionalismus den praktischen politischen Horizont der Existenz von Althusius darstellt und deshalb das Entfalten der föderativ-konsoziativen Handlung und seiner theoretischen Konzeption betrifft, diese Auffassung ist vertretbar. Man muss aber die Frage stellen, ob die konstruktive Kraft des politischen Denkens von Althusius in die Grenzen des „jurisdiktionellen Ständestaats“ eingeschrieben werden kann, auch wenn er unzweifelhaft historisch mit ihm verbunden ist. Man muss sich auch mit der Hypothese auseinandersetzen, dass Althusius im Laufe des epochalen, an mehreren Fronten ausgefochtenen Kampfes der calvinistischen Strömungen gegen den gegenreformatorischen und lutherischen Absolutismus in Wirklichkeit den Forderungen der sozialen Stände eine so breite Spanne zugewiesen hat, dass er schließlich zur Theoretisierung der konstitutionellen Hauptelemente des „jurisdiktionellen Ständestaats“ gelangt, wobei dieser nicht nur mit der sozialen Vision kohärent ist, die für das calvinistische Umfeld typisch ist, sondern auch und vor allem mit dem taktischen Ziel, innerhalb von weit größeren provinziellen Bezirken bürgerliche Gemeinschaften zu bilden, die alle von föderativen Bindungen aufrecht erhalten und zusammengeschlossen werden und dem Triumph des „wahren Kults“ Gottes verpflichtet sind. Es ist offensichtlich, dass all das, was den Kern der Erfahrung von Althusius als Syndikus von Emden ausmacht und das auf theoretischer Ebene in das Konzept der Symbiose des althusischen Protoföderalismus eingeht, nicht in der übermäßig res25 Es handelt sich hier nicht darum, nur einen formalen Einwand gegen Dreitzel vorzubringen, der den Begriff Föderalismus allzu leichtfertig verwendet. Auch wenn Dreitzel auf mehreren Seiten davor warnt, sich nicht von „Worten, die denselben Klang haben“, nicht aber dieselbe Bedeutung, verführen zu lassen (S. 63) und Termini nicht in historisierender Form zu verwenden (S. 73, Anm. 60), verstößt er selbst dagegen, wenn er von dem Wort „Föderalismus“ einen derart weiten Gebrauch macht, und dies auf einen angeblichen mittelalterlichen „hierarchischen Föderalismus“ zurückführt. In diesem Fall ist der Terminus „Föderalismus“ meiner Meinung nach unpassend. 26 Vgl. dazu die Bemerkungen von A. M. Lazzarino Del Grosso, Alle origini di una visione federalistica dello Stato germanico, in: E. A. Albertoni (Hrsg.), Dottrine politiche e istituzioni del federalismo, Mailand 1993, S. 203 – 211.

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triktiven Weise verstanden werden kann, die Dreitzel vorschlägt27. Außerdem ist in die Betrachtung der zutiefst föderativen Konstruktion der politischen Lebensgemeinschaften des Althusius der implizite Bezug auf die Problematik der subsidiären Macht (auf die Hueglin dagegen als Hilfsmittel abstellt)28 stets mit einbegriffen gewesen. Es ist zu betonen, dass die protoföderalistische Begründung des Althusius im Konzept der Symbiose besonders gut sichtbar wird, wo sie als zentraler Ort des pactum verstanden wird (und, in zweiter Instanz, über die Ausarbeitung des Konzepts der confoederatio plena, des foedus) und sich zudem in der mittelbaren Beziehung mit der föderaltheologischen Tradition zeigt.29 Bei dieser Position, die sich von der gerade dargelegten grundsätzlich negativen unterscheidet, auch wenn sie im Hinblick auf das bedingungslose Akzeptieren des vorgeblichen „Föderalismus“ des Althusius kritisch ist, muss man von Friedrichs Orientierung ausgehen. In der Einleitung der Neuausgabe der lateinischen Ausgabe der Politica stellt der deutsch-amerikanische Autor in maßgeblicher Weise und in kritischer Wendung gegen Gierke fest, dass es nicht angemessen ist, das Verhältnis zwischen weniger integrierenden Gruppen oder symbiotischen Lebensgemeinschaften als „Föderalismus“ zu bezeichnen. Denn „der Föderalismus ist nur eine Sonderform des allgemeinen Typs der symbiotischen Gemeinschaft, die von Althusius entwickelt wird“.30 Friedrich hebt vollkommen zurecht die verschiedenen

27 Man muss dazu allerdings erklären, dass für ihn die Erfahrung von Emden „schwer zu verstehen“ war, vgl. Dreitzel, Althusius (FN 6), S. 100. Es ist verständlich, dass, wenn Dreitzel diese fundamentale Tatsache entgeht, Althusius durch eine Annäherung an lutherische Sichtweisen und an Bodin „normalisiert“ wird (vgl. S. 95: „Blickt man auf die politischen Theorien von Bodin und Althusius [ . . . ] aus dem mittelalterlichen Gesichtspunkt ,Polis und Regnum‘, so verringert sich der Gegensatz zwischen ihnen erheblich: beide stellen die Struktur des monarchischen ,Reiches‘ in den Mittelpunkt ihres Werkes, beide sahen in ihm die vollkommene Ausbildung der Gemeinwesen insgesamt, beide gaben der hierarchisch-föderativen Ordnung eine fundamentale Bedeutung“). 28 Vgl. Hueglin, Althusius – Vordenker des Subsidiaritätsprinzips, in: A. Riklin / G. Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, Vaduz 1994, S. 97 – 117; ders., Early Modern Concepts (FN 23), S. 152 – 168. Ich teile im Allgemeinen die Auffassungen von Hueglin, aber schlage eine Interpretation vor, die sich durch ein analytisches Herangehen an die Politica von seinen Auffassungen abhebt und die Beziehung zwischen der Theorie des Althusius und seiner antiabsolutistischen Praxis als Syndikus von Emden in den Vordergrund rückt (dazu C. Malandrino, Die Subsidiarität in der ,Politica‘ und in der politischen Praxis des Johannes Althusius in Emden, in: P. Blickle / Th. O. Hueglin / D. Wyduckel (Hrsg.), Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft. Genese, Geltungsgrundlagen und Perspektiven an der Schwelle des dritten Jahrtausends, Berlin 2002, S. 237 – 258; auch in der italienischen Fassung in Il pensiero politico 34 (2001), S. 41 – 58). 29 Aber auf diese Weise kommen wir zu dem ersten der Zusätze, die von Dreitzel angegriffen werden oder zu der Tatsache, dass seiner Meinung nach die Föderaltheologie nichts mit der politischen Theorie des Althusius gemein hat. Die These von Dreiztel ist wie immer klar ausgeführt, auch wenn sie mir wenig nachvollziehbar erscheint. Dennoch sei für eine Auseinandersetzung mit diesem Punkt auf den Beitrag des Verfassers zur Symbiosis in diesem Band verwiesen. 30 Vgl. Friedrich, Introductory remarks (FN 22), S. LXXXVII.

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Bedeutungen und Funktionen – wie bisher dargelegt – hervor, die in der Politica Termini wie pactum, contractus und foedus haben. Man kann daher den Ausführungen von Friedrich nur zustimmen. Wenn man zum Schluss eine umfassendere Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem „föderalen“ Charakter des gesamten politischen Systems des Althusius (und nach den Grenzen eines derartigen „Protoföderalismus“) geben will, muss man die Antwort entsprechend der drei Ebenen des Diskurses von Althusius auffächern. Auf der untersten Ebene gibt es eine allgemeine föderative Tendenz, die dem Aufbau des gesamten symbiotischen Gebäudes vorausgeht und die in die verfahrensmäßige Praxis übersetzt wird, die auf dem Abschluss von Verträgen zwischen politischen Subjekten für die Gründung von Lebensgemeinschaften gründet: von Einzelnen, die sich in der Ehe und Familie vereinigen, bis hin zu Familien, die sich in Dörfern oder in Gemeinschaften der Kollegen zusammenschließen, diese in den universitates, in den Provinzen, dann in den Reichen, in den Politien bis hin zur allgemeinen universalen Lebensgemeinschaft des Reichs. Es handelt sich um diese an und für sich föderalisierende Neigung, die die angelsächsischen Forscher der Föderaltheologie als „convenental“ bezeichnen (Elazar), oder „root metaphor“ des Föderalismus (McCoy). Was die Konstruktion der einzelnen consociationes anbelangt, so geht sie in dem Vorgang auf, der die Symbiose hervorbringt und folglich die gesamte symbiotische Politik charakterisiert. Man muss also von einem symbiotischen Protoföderalismus sprechen. Und dennoch: Wenn dieses Faktum aufgrund der Analyse des Wortschatzes der Politica deutlich herausgestellt werden kann, muss man doch auch zugeben, dass sich das konstruktive Vorgehen des Althusius von dem der Föderaltheologen unterscheidet und dass er über die Tatsache hinaus, dass er einen differenzierten Gebrauch des Wortes foedus macht, zugesteht, dass es mehrere mögliche Formen gibt. Auf der zweiten Ebene nimmt der Syndikus von Emden nämlich an, dass eine konföderative Tätigkeit wie die traditionelle weiter bestehen kann, die in das Abschließen von Vertragsabmachungen internationalen Rechts zwischen verschiedenen Subjekten mündet, die mit majestas versehenen sind, auf die sie kraft des Vertrags selbst nicht verzichten. Dies ist bei der confoederatio non plena der Fall. In diesem Fall einer schwachen Form des althusischen Föderalismus gibt es absolut nichts, was man als „symbiotischen Protoföderalismus“ bestimmen könnte. Auf der dritten Ebene, jener der confoederatio plena, ist es jedoch schließlich möglich, dass das jus foederis, das analog zum pactum symbioticum wirkt, neue und größere symbiotische Körper hervorbringt, die derart angelegt sind, dass der Grad der Verschmelzung intimer ausfällt und genau von dem Zusammenbringen der majestas (und also von dem Verzicht auf die Exklusivität des Besitzes) und der Grundgesetze der ursprünglichen Lebensgemeinschaften gebildet wird, die sich kraft des foedus-Abkommens fast unlösbar miteinander verbinden. Hier befindet man sich erneut in einem Zusammenhang des „symbiotischen Protoföderalismus“. Wenn man aber an die grundlegende Tatsache denkt, dass – abgesehen von den privaten consociationes ersten Grades, also Familien und Gemeinschaften der Kol-

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legen – die handelnden Subjekte in den pacta immer politische Kollektive sind, die in einer Ordnung der Dinge enthalten sind und niemals einzelne Individuen, und dass es immer geografisch-politische Gegebenheiten oder symbolische Einheiten der öffentlichen Macht sind, die in den foedera interagieren, dann erscheint die Zurückhaltung gegenüber der Irreduzibilität des althusischen „Protoföderalismus“ vollkommen verständlich und gerechtfertigt, auch wenn er mit jenem modernen Föderalismus, der von den amerikanischen und europäischen Modellen (Schweiz, Deutschland) abstammt, als „protomodern“ und als bedeutende politische Kraft existiert. Es gibt schließlich ein weiteres unterscheidendes Merkmal zwischen dem „Protoföderalismus“ des Althusius und dem modernen Föderalismus: die gesetzliche Regelung des Sezessionsrechts eines Teils des Staates. Der Abschnitt zur theoretischen Erörterung des Sezessionsrechts von „Teilen des Reichs“, über das Althusius im Kapitel über die Tyrannis als ein Fall legitimen Widerstands Überlegungen anstellt, bildet eine der Voraussetzungen der protoföderalistischen Ausrichtung seines Denkens. Tatsächlich führt Altusius in Paragraf 76 von Kapitel XXXVIII die Modalitäten der Initiativen der Ephoren in Sachen des Widerstandsrechts gegen die Tyrannis aus und fügt eine wichtige Präzisierung hinzu, die er wörtlich zitiert: Potest etiam ex optimatibus unus, vel pars una regni, peculiarem regem, aut novam Reipublicae formam sibi deligere, derelicto reliquo corpore, cui adhaerebat, quando vel istius partis totius publica manifestaque salus id omnino suadet, vel leges patriae fundamentales a magistratu non observantur, sed obstinate violantur & insanabiliter, vel verus Dei cultus jussusque patefactus, id fieri diserte praecipit & postulat. Et tum haec pars statum suum & formam novam ejusmodi adversus reliquas ejusdem regni partes, a quibus descivit, defendere vi & armis potest.

Althusius zufolge wäre es also im Fall einer ausgerufenen und unabänderlichen Tyrannis auch einem einzelnen der Optimaten (Ephoren) oder einem Teil des Reichs erlaubt, den Staatskörper zu verlassen, dem sie bis dahin verbunden waren, und einen anderen Souverän anzuerkennen oder sich eine neue Staatsform zu wählen. In dieser Formulierung erkennt man eine Legitimation des Sezessionsrechts in Fällen, in denen, wie Althusius spezifiziert a) es das öffentliche Heil erfordert und sich dieses in eben jenem Teil manifestiert, b) die Grundgesetze des Vaterlands vom Magistrat nicht eingehalten werden, sondern vielmehr hartnäckig und ohne, dass man etwas dagegen unternehmen könnte, verletzt werden, c) wenn es der wahre Kultus und das Gebot Gottes offensichtlich fordern. In diesen außerordentlichen Alternativen, schließt Althusius, kann der Teil, der vom eigenen Widerstandsrecht Gebrauch macht, mit Waffengewalt „seinen Staat und die neue Staatsform“ gegen die verbleibenden Teile desselben Reichs, von denen er sich getrennt hat, verteidigen.

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Justitia 1. Die Verwaltung der Gerechtigkeit ist wie die Seele des Körpers (quod anima in corpore), ist wie das Ruder des Schiffs (quod clavus in navi) und wird zurecht als Band und Schutz der menschlichen Gesellschaft und des Gemeinwesens bezeichnet, vinculum et custodia humanae societatis et Reipublicae (XXIX, 27). In der Politica des Althusius vereinigen sich die Symbioten unter einem gemeinsamen Recht, um von gerechten Gesetzen in einer Lebensgemeinschaft geleitet zu werden, die im Teilen und Teilhaben an jedem nützlichen und notwendigen Gut besteht (I, 10)1. Dieses Recht (jus symbioticum), das je nach Art des Zusammenschlusses variiert, ist das, was jede Gemeinschaft zusammenhält, sei sie öffentlich oder privat, von der einfachsten, der Familie, bis zur aufgegliedertsten und komplexesten, dem Staat. Es geht aus dem Konsens der zusammengeschlossenen Glieder hervor, um die gegenseitigen Beziehungen zu regeln und die Pflichten festzusetzen, die jeder gegenüber dem anderen hat (I, 20 und II, 6). Die ratio dieser Gemeinschaft im Recht ist das gemeinsame Ziel der Gerechtigkeit, das mit einer ausgewogenen Ordnung gleichgesetzt wird (ordo et griech. óõììåôρßá), mit dem die Handlungen aller entsprechend der Lage eines jeden in Einklang gebracht und gesteuert werden (II, 7)2. 2. Die Idee der Gerechtigkeit impliziert schon für sich genommen die Konformität mit einer Ordnung. Die Ordnung kann normativ sein, erteilt von einer Auto1 Aus den zahlreichen Untersuchungen über das Assoziationsmodell des Althusius sei verwiesen auf: Th. O. Hueglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin / New York 1991 und ders., Early Modern concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo / Ontario 1999; ferner auf die kürzlich erschienen Bände P. Blickle / T. O. Hueglin / D. Wyduckel (Hrsg.), Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft. Genese, Gestaltungsgrundlagen und Perspektiven an der Schwelle des dritten Jahrtausends, Berlin 2002 und F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, Berlin 2004; von letzterem vgl. vor allem die folgenden Beiträge: C. Malandrino, Politische Theorie und Föderaltheologie und C. A. Zwierlein, Reformierte Theorien der Vergesellschaftung: Römisches Recht, föderaltheologische κïéíùíßá und die consociatio des Althusius, ebd., S. 123 – 141 und 191 – 223. 2 Ebd., S. 14 f. in Analogie zu Aristoteles, Politica, V, 1302b, 34 – 40. Zu aristotelischen Themen bei Althusius vgl. P.-L. Weinacht, Althusius – ein Aristoteliker? Über Funktionen praktischer Philosophie im politischen Calvinismus, in: K. W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 443 – 463.

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rität, mit der eine Auseinandersetzung unausweichlich ist, wie das römisch-justinianische Recht lehrt, oder sie kann teleologisch sein, impliziert in den Zwecken, die dem sozialen Leben Orientierung geben und die sich von Mal zu Mal mit einer moralischen Norm (der Natur oder der Vernunft nach), wie in der griechischen oder in der humanistischen Kultur, oder mit dem Willen Gottes der biblisch-christlichen Kultur identifizieren. Die Gerechtigkeit des Althusius zeigt Spuren des Durchgangs durch viele Etappen eines langwährenden Nachdenkens über dieses Ideal3. Es gibt umfangreiche Verweise auf die „Gerechtigkeit der Alten“: Platon und sein Bild von den Gesetzen, eine Synthese von Tugend und Vernunft; Aristoteles und seine grundlegende Beschreibung der Inhalte von Gerechtigkeit, die in der Maxime suum cuique tribuere zusammengefasst sind; Cicero und das notwendige Verhältnis, mittels dessen das Recht an die Gerechtigkeit gekoppelt wird und das dabei den Unterschied zwischen einer Volksmenge und einem Staat festsetzt; aber auch das jüdisch-christliche Paradigma einer perfekten göttlichen Gerechtigkeit, das mit der Furcht vor dem Letzten Gericht die Gerechtigkeit der Menschen auf dem rechten Weg hält, hat einen ungeheuren Wert4. Dem justinianischen Recht kommt die grundlegende Rolle bei der Definition der philosophisch-juristischen Begriffe zu (iustitia, lex, ius und ihrer Spezifizierungen), die Althusius oft wortwörtlich aus dem Corpus Iuris Civilis übernimmt, vor allem aus den Titeln de iustitia et iure, mit denen die Institutionen und die Digesten eröffnet werden. Dieser Wissensschatz erstreckt sich durch seine Überarbeitung von Seiten der mittelalterlichen Rechtslehre bis in die Frühmoderne; in erster Linie ist hier die Kanonistik zu nennen, mit ihrem originellen Beitrag zur Idee der aequitas, dem Grundkriterium der Gerechtigkeit. Diesem Weg folgt auch das beeindruckende vermittelnde und systematisierende theologisch-konzeptionelle Werk der Patristik mit Augustin und das der Scholastik mit Thomas von Aquin5. Die Gerechtigkeit, die auf diesem Weg Form annimmt und auf die sich Althusius ständig beruft, ist ein moralischer Wert, der einer übergeordneten religiösen Dimension angehört, die nicht auf die rechtliche Dimension reduziert werden kann und von Seiten der Macht unverletzlich ist. Sie besteht aus unveränderlichen ethischen Prinzipien, die Teil einer göttlich-natürlichen Ordnung sind, der der Wille, die menschlichen Handlungen und noch eher die Rechtsordnung anzupassen aufgerufen ist. Aus der 3 Vgl. P. Prodi, Una storia della giustizia. Dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra coscienza e diritto, Bologna 2000. Zu den Quellen vgl. besonders C. J. Friedrich, Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975 und P. J. Winters, Die ,Politik‘ des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen. Zur Grundlegung der politischen Wissenschaft im 16. und im 17. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 1963. 4 Über die Paradigmen der Heiligen Schrift in der Politica vgl. K. H. Rengstorf, Die Exempla sacra in der Politica des Johannes Althusius, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 201 – 212 und H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius, Frankfurt am Main 1992. 5 Vgl. W. Schmidt-Biggemann, Althusius’ politische Theologie, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 213 – 231.

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Konformität mit diesen Prinzipien bezieht das positive Recht seine Legitimität. Also ius a iustitia: das Recht geht von der Gerechtigkeit aus, die seine Quelle ist und die ihm den lebendigen Geist nur insofern weitergibt, als es ,angemessen‘ und ,gerecht‘ ist6. 3. Diese Konzeption der Gerechtigkeit trifft in der Lehre des Althusius mit den neuen Erfordernissen der Beschränkung der Macht zusammen, die kraftvoll vom politischen Denken des Calvinismus dargestellt werden. Althusius verweist regelmäßig auf Hotman, Buchanan, Gentillet, Théodore de Bèze und auf die Vindiciae contra tyrannos und betont die Kontinuität zwischen den beiden Denktraditionen. Der Appell an eine übergeordnete Gerechtigkeit, die in einer sakralen Dimension abgeschieden und der politischen Sphäre entzogen ist, bildet die Prämisse, auf der sich auch die Theorie eines legitimen Widerstands gegenüber Machtmissbrauch gründet7. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf diese praktische Dimension der Gerechtigkeit, die aktueller und problematischer ist. Der häufigere Gebrauch des Begriffs justitia, der mit einem Apparat von Verweisen auf die Züge der idealen Gerechtigkeit versehen ist, betrifft die Verwaltung der Gerechtigkeit von Seiten des obersten Magistrats. Althusius widmet ihr ein ganzes Kapitel, und verlegt in sie den Wesenskern der Regierungstätigkeit des Staates. Auch justus wird in diesem Sinne vor allem dazu verwendet, die Regierung, die Gesetze, die Urteile zu charakterisieren. Wenn die Gesetzgebung ein Werk der Zusammenarbeit ist, die aus dem allgemeinen Konsens hervorgeht und die dem obersten Magistrat nur für das formale Erlassen anvertraut wird, dann ist die Rechtsprechung seine ihm eigene und spezifische Aufgabe: Der oberste Magistrat ist von Gott und vom Volk eingesetzt worden, um die Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den miteinander Verbundenen zu verwirklichen. Ihm steht es zu, die moralischen Vorschriften der perfekten Norm der Gerechtigkeit, die von Gott erlassen worden sind, an die ganze Bandbreite der einzelnen Umstände anzupassen. In diesem Sinn hat der oberste Magistrat an der göttlichen Gerechtigkeit teil, die er im Dienste des Volkes ausübt. Seine Mittlertätigkeit macht sich eine Fähigkeit zum Verstehen zunutze (notitia, ratio, arcano naturae instinctu), die von Gott dem menschlichen Bewusstsein eingeprägt worden ist und die es erlaubt, gerecht von ungerecht zu unterscheiden. Neben Cicero und dem biblischen Modell, der vormodernen Tradi6 Vgl. D. Quaglioni, La giustizia nel Medioevo e nella prima età moderna, Bologna 2004. 7 Vgl. S. Bildheim, Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2001 und S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea di contratto (1572 – 1579), Florenz 2002; spezieller: D. Wyduckel, Althusius und die Monarchomachen, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 133 – 164 und C. Strohm, Das Verhältnis von theologischen, politisch-philosophischen und juristischen Argumentationen in calvinistischen Abhandlungen zum Widerstandsrecht, in: A. De Benedictis / K. H. Lingens (Hrsg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16 – 18. Jh.), Frankfurt am Main 2003, S. 141 – 174.

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tion und jener der calvinistischen Theologie, finden die neuen naturrechtlichen Lehren der spanischen Schule in dieser Passage breiten Eingang. 4. Für Althusius ist das Ziel der Politik die Verwirklichung von Gerechtigkeit. Die universale symbiotische Gemeinschaft, was ihre weltliche und politische Seite (communio politica secularis) betrifft, die neben die kirchliche Seite (communio simbiotica ecclesiastica) gesetzt wird, gründet sich auf das Reichsrecht, das auch als weltliche Souveränität bezeichnet wird (jus regni, seu jus majestatis seculare), die auf die Einrichtung eines gerechten Lebens ausgerichtet ist (X, 1 und X, 2)8. Dem obersten Magistrat steht dieses Recht zusammen mit der bürgerlichen Verwaltung des Reichs zu, mit der er sich um die weltlichen Aktivitäten, um all das, was die Symbioten zu etwas Gemeinsamen machen, und um jedes Mittel, das für ein gerechtes Leben nützlich und notwendig ist, kümmert, um im Staat vor allem eine gute Ordnung (å§ôáîßá), eine gerechte Gesetzgebung (å§íïìßá), eine autarke Ökonomie (á§ôÜρκåéá) und eine äußere Disziplin herzustellen und schützend über sie zu wachen. Der oberste Magistrat leitet seine Macht von einem Auftragsvertrag her, mit dem ihn die Gemeinschaft im Namen Gottes und über die Ephoren auf die Achtung der Reichsgesetze und einer Reihe von Grundbedingungen verpflichtet – in Übereinstimmung mit einer vorgegebenen Ordnung von pietas et justitia (XIX, 25)9. Diese Ordnung ist vom göttlichen Willen gegeben und spiegelt sich in erster Linie im Dekalog, dem von Gott geschriebenen Gesetz, wider, das verfügt, die Macht auf fromme und gerechte Weise auszuüben. In der kirchlichen Verwaltung, die darauf ausgerichtet ist, die vita pia et sancta im Staat umzusetzen, muss sich die Regierung des Magistrats besonders an der ersten Tafel ausrichten, die die Pflichten gegenüber Gott festlegt; in der bürgerlichen Verwaltung, die auf eine vita justa ausgerichtet ist, ist die zweite Tafel maßgeblich, die die Prinzipien der Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Leben vorgibt (XIX, 31). Die oberste göttliche Bestimmung markiert und beschreibt also den Handlungsspielraum des obersten Magistrats, der an ihre Einhaltung gebunden ist, auch wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart worden sein sollte (XIX, 33). Dieser Angelpunkt der Lehre des Althusius liegt auf einer Linie mit dem Denken der protestantischen „Monarchomachen“ und bedient sich der Autorität Bodins und der Passagen seiner République (I, 9 und VI, 2), in denen erklärt wird, dass das Volk dem Fürsten niemals freie Hand für den eigenen Ruin gegeben hat, und dass sich das göttlich-natürliche 8 Dem „jus majestatis ecclesiasticum“ ist Kapitel IX gewidmet, in dem die althusische Lehre von der Souveränität entwickelt wird. Von den verschiedenen Untersuchungen des Konzepts vgl. H. U. Scupin, Die Souveränität der Reichsstände und die Lehren des Johannes Althusius, in: Westfalen 40 (1962), S. 186 – 196; R. Hoke, Althusius und die Souveränitätstheorie der realen und der personalen Majestät, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 235 – 253 und G. Duso, La Maiestas populi chez Althusius et la souveraineté moderne, in: G. M. Cazzaniga / Y. C. Zarka (Hrsg.), Penser la souveraineté à l’époque moderne et contemporaine, Paris 2001, S. 85 – 106. 9 Mit dem wiederholten Anführen der Vindiciae contra tyrannos und der Politices christianae libri septem von Lambertus Danaeus (III, 6), der seinerseits auf De iure magistratuum in subditos von Théodore de Bèze verweist.

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Recht hinsichtlich des Souveränitätsrechts auf einer Ebene der Unberührbarkeit befindet. Das Prinzip wurzelt fest im justinianischen Recht, worauf Althusius sich mehrmals ausdrücklich bezieht, wobei er sich ständig darum bemüht, die Tragweite der entgegengesetzten Interpretationsansatzes einzudämmen, der allerdings auf derselben Tradition beruht und der einige der bekanntesten Loci des Corpus Iuris Civilis heranzieht, die die absolute Macht des Fürsten stützen (Dig., I, 3, 31 und I, 4,1)10. Auch wenn das Volk alle seine Rechte und seine Macht dem König scheinbar unbegrenzt und ohne Vorbehalte übertragen haben sollte, kann die königliche Macht doch nicht der Natur der Sache nicht konform sein; und weil die Sache hier die Regierung eines Staates ist, die auf den Nutzen für die Untertanen und nicht auf den ausgerichtet ist, der regiert, ist die Verwaltung, die der Staat verlangt, nichts weiter als die, die der rechten Vernunft und Gerechtigkeit Folge leistet. Augustinus schreibt in einem berühmten Passus, der von Althusius wiederholt zitiert wird: „Nam remota justitia, quid aliud sunt regna, quam magna latrocinia?“11. Die absolute Macht und die Erlaubnis zum Sündigen (absoluta potestas et jurisdictio peccandi) können dem obersten Magistrat also niemals zugestanden werden (XIX, 35). Mit dem Reichsrecht (der weltlichen Souveränität) ist dem Magistrat die Sorge um die Praxis der politischen Gerechtigkeit anvertraut (praxis hujus justitiae politicae) (VII, 11). Sie besteht in der Beförderung, in der Kontrolle und, falls notwendig, in der Auferlegung der Achtung der Prinzipien der göttlichen Gerechtigkeit, in erster Linie durch den Erlass des Rechts und der Gesetze (promulgatio iuris oder sanctio legum); in zweiter Linie durch die Gesetzesausführung (exsecutio legis), die durch die Jurisdiktion erfolgt. Die Bestimmung der Gesetze ist also der erste Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Die Gesetze sind vor allem notwendig, um den Gemütern eine Orientierung zu geben, weil es nur dann, wenn die Pflichten verstanden werden, die man gegenüber dem Nächsten hat, möglich ist, daraus abzuleiten, wie man sich verhalten und was man vermeiden muss (X, 5). Das im Konsens mit allen festgelegte Gesetz bestimmt die Rechte, die einem jeden zustehen, und gibt dem Grundprinzip der Gerechtigkeit, das in der Maxime suum cuique tribuere aufgeht, einen konkreten Inhalt. Die Güter, die jedem Individuum zugehören, sind 10 Vgl. D. Quaglioni, La sovranità, Bari 2004, S. 17 – 44. Bereits in der Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando zeichnet sich der grundlegende Dissens der in diesem Punkt ab. Vgl. G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis, Su una sconosciuta Disputatio di Althusius: La dottrina del patto e la costituzione del regno, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 65 – 126, hier: S. 33 – 34. 11 Zitat nach Augustinus, De civitate Dei, IV, 4, mit Verweis auf De republica von Cicero (III, 14, 24) und sodann auf De republica von Platon. Das Zitat findet in der Politica des Althusius noch mehrmals Verwendung, so in XXIV, 48; XXIX, 15; XXXVIII, 9. Vgl. C. Malandrino, Remota justitia, quid sunt regna nisi magna latrocinia? (Politica XXXVIII, 9). Il ,dispotismo‘ nella definizione althusiana di tirannide, in: Tirannide e dispotismo nel dibattito politico tra Cinque e Seicento. Atti della IX Giornata ,Luigi Firpo‘ (Torino, 27 – 28 settembre 2002), [im Druck]. Die Maxime findet sich auch in den Vindiciae contra tyrannos, quaest. III wieder (vgl. Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra tyrannos, hrsg. von S. Testoni Binetti, Turin 1994, S. 99).

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für Althusius in erster Linie das natürliche Leben, die Unversehrtheit und die Freiheit, in zweiter Hinsicht der Ruf, die Ehre und die Würde, Werte also, die „das zweite Leben des Menschen“ ausmachen, in dritter Hinsicht die Güter, derer sich jeder bedient. Von hier nehmen die Gebote ihren Ausgang, die die zweite Tafel des Dekalogs bilden und die die Pflichten eines jeden gegenüber seinem Nächsten anschaulich vor Augen führen (X, 6). Althusius untersucht sie im Rahmen der calvinistischen Lehre, wobei er den Wortlaut der Gebote auf das politische Leben ausweitet12. So wird das fünfte Gebot, das den Kindern die Achtung der Eltern auferlegt, auf jede Beziehung zwischen Untergebenen und Vorgesetzten ausgedehnt, um ein geordnetes gesellschaftliches Leben zu erhalten. Das sechste Gebot, das das Töten verbietet, erstreckt sich auf den Schutz des Lebens und der natürlichen Freiheit vor jeglicher Verletzung und Unmenschlichkeit, auf den Erhalt der Fortpflanzung des Menschengeschlechts mit dem Schutz der Ehe, dem Erhalt der legitimen Abstammung und der ehrenwerten Erziehung der Kinder bis hin zur Solidarität mit Bedürftigen13. Das siebte Gebot, das den Ehebruch verbietet, schließt jeglichen Exzess oder jegliche Nachlässigkeit im Verhalten, in Worten und Taten, ein. Vom achten Gebot, das das Stehlen verbietet, nimmt ein strenger rechtlicher Schutz von possessio, usus vel proprietas vor jeglicher Form des Missbrauchs oder der Einmischung, von Raub bis zu Fälschungen und bis hin zur Verletzung der Korrektheit und der guten Glaube bei Verträgen seinen Ausgang. Das neunte Gebot „Du sollst kein falsches Zeugnis geben“, umfasst den vollständigen Schutz der Ehre und des guten Namens. Das zehnte, das das Begehren des Hab und Guts und der Frau eines anderen untersagt, schützt nicht nur vor Begehrlichkeit und Niedertracht anderer, sondern erlegt allen ein kontrolliertes und korrektes Verhalten auf14. Dies ist der Inhalt, den Gesetze haben müssen: so, schließt Althusius und nimmt die praecepta iuris der justinianischen Rechtswissenschaft auf, werden wir ehrenhaft leben, den Nächsten nicht schädigen und jedem das Seine zugestehen: „honeste vivamus, alios non laedamus, et suum cuique tribuamus“ (X, 7)15. So verwirklicht man auch jene irdische Gerechtigkeit, die das Evangelium für seinen Teil 12 Aufbau und Aufteilung des Althusius entsprechen denen Calvins. Vgl. G. Calvino, Istituzione della religione cristiana, I-II, hrsg. von G. Tourn, Turin 1971, Liber II, Kap. VIII, S. 486 – 585. Auch hier ist die Zählung der Gebote jene des hebräischen Texts und der Septuaginta, nicht jene der Vulgata. Ungeachtet der Unterschiede bleibt die Konfrontation mit Augustinus und Thomas von Aquin in der calvinistischen Abhandlung über den Dekalog bestehen. 13 Über das Problem der persönlichen Freiheit folgt ein Verweis auf die Dicaeologia, wo Althusius sich mit diesen Themen im Buch I, Kapitel II (De dominio et possessione) und V (De delictis) auseinandersetzt. 14 Von den Geboten der zweiten Tafel des Dekalogs handelt Althusius wiederholt. Eine erste Darlegung findet sich im Kap. X, 7, S. 191 f.; eine ausführlichere Untersuchung erfolgt im Kap. XXI, 22 – 29, S. 408 – 414. Die politische Lesart findet sich im Kapitel XXI, 27, S. 410 – 413. 15 Vgl. das Fragment Ulpians in Digesten I, 1, 10, und den analogen Passus der Institutionen (I, 1, 3): „Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere“.

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damit gleichsetzt, dass man dem Nächsten das tut, von dem man sich auch selbst wünscht, dass es einem selbst getan wird. Wenn die Handlungen, die die Gebote der ersten Tafel verletzen, als gottlos bezeichnet werden, so sind die Verletzungen jener der zweiten Tafel ungerecht (XXI, 28). Althusius greift hier auf eine lange Tradition zurück, die von der Nikomachischen Ethik des Aristoteles über Thomas von Aquin und die mittelalterliche Kanonistik bis in die Frühe Neuzeit reicht, und bringt entsprechend den Begriff der Billigkeit (aequitas) zur Anwendung, die oft in Verbindung mit oder aber auch als Alternative zu jenem der Gerechtigkeit verwendet wird. Er versteht den Begriff dabei in Bezug auf die Verhältnisse zwischen den Menschen, im Zusammenhang einer Gerechtigkeit des konkreten Falls, die wiederum in der göttlichen Gerechtigkeit verankert ist. Zu den im Zusammenhang mit der aequitas am meisten zitierten Quellen zählt man Covarruvias und die Controversiae Illustres des Fernando Vasquez, eines der unabhängigsten Geister der Theologie der Schule von Salamanca16. Die natürliche Billigkeit ist eine notwendige Eigenschaft des menschlichen Gesetzes: sie ist ein Prinzip, das sich mit der recta et certa ratio identifiziert, auf der alles menschliche Recht beruht (XXI, 32). Die aequitas naturalis bezeichnet den Unterschied zwischen den gerechten Gesetzen und Verträgen (zwischen den in einer Lebensgemeinschaft Lebenden, zwischen Lebensgemeinschaft und Magistrat, zwischen Völkern), die respektiert werden müssen, und den ungleichen Bedingungen, die für nichtig zu halten sind (XIX, 32; vgl. auch XIX, 48 und 69). Alle Völker und europäischen Staaten, schreibt Althusius, sind in dieser Hinsicht in gewisser Weise ähnlich, insofern sie sich auf das römische Recht stützen (XXI, 33). Diese natürliche Billigkeit, die von sich aus den Gesetzen eine Richtung vorgibt, kommt auf jeden Fall noch von Gott: die gerechten Gesetze sind nichts weiter als die Entfaltung des moralischen Gesetzes des Dekalogs (lex Decalogi moralis) und seine Anpassung an die verschiedenen und zufälligen örtlichen, zeitlichen, dinglichen und personellen und von der jeweiligen Staatsform bedingten Umstände. Man kann sie im Hinblick auf bestimmte Aspekte von jenem höchsten moralischen Gesetz ausgehend differenzieren und ihnen je nach den Umständen etwas hinzufügen oder etwas von ihnen wegnehmen; man kann sie aber niemals in offenen Gegensatz zum Naturrecht oder zur moralischen Billigkeit bringen (X, 8 und XXI, 32)17. Das Gesetz muss nämlich billig, nützlich, notwendig und vom 16 Vgl. E. Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. Untersuchungen zur Ideengeschichte des Rechtsstaates und zur altprotestantischen Naturrechtslehre, Karlsruhe 1955, S. 41 f. und G. P. van Nifterik, Fernando Vázquez on the Prince and the Law, in: Jurisprudenz (FN 1), S. 347 – 370. Über Althusius und das Naturrecht vgl. die unumgängliche Arbeit von O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, ND, Aalen 1981; außerdem H. J. van Eikema Hommes, Naturrecht und positives Recht bei Johannes Althusius, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 371 – 390 und M. Scattola, Johannes Althusius und das Naturrecht des 16. Jahrhunderts, in: Jurisprudenz (FN 1), S. 371 – 397.

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Magistrat im Konsens mit dem Reich festgesetzt sein: billig, weil es die Billigkeit ist, die ein Gesetz wirksam, heilig und unverletzlich macht; nützlich, weil die Nützlichkeit eines Gesetzes diesem die Zuneigung der Gemeinschaft verschafft, und ein Gesetz nützlich ist, wenn es die Fehler mit der Furcht vor Strafe behebt und mit der Hoffnung auf Ehre zur Tugend bewegt; notwendig für den Staat, wie die Sorge um eine Wunde, die der Arzt im Verhältnis zur Schwere behandelt, wobei er nur ein lokal wirkendes Heilmittel anwendet oder aber, wenn sie infiziert ist, die Gliedmaße amputiert (XXIX, 4 f.)18. In der Althusianischen Staatslehre ist das Gesetz, das die Regel dessen vorgibt, was man tun oder lassen muss, um die Gerechtigkeit im Leben der allgemeinen Gesellschaft zu verwirklichen, vom Konsens aller im Reich beschlossen. Die neuen Gesetze müssen sich den Sitten und Gebräuchen, dem Wesen und dem traditionellen Recht jedes Volks anpassen, mit – soweit dies möglich ist – Rücksicht auf die alten Gesetze und Gewohnheiten19. Aus diesem Grund ist es beim Gesetzgeben notwendig, bescheiden, vorsichtig und maßvoll zu sein, denn dadurch ist es möglich, ein Gleichgewicht zwischen gegensätzlichen Bedürfnissen herzustellen, häufige Wechsel in den Gesetzen zu vermeiden und auch den Willen derjenigen zu hören, die von diesen Gesetzen geleitet werden sollen. Das Hinzuziehen der Vertreter der Ordnungen und Stände des Reichs (der Ephoren) ist ein fundamentaler Abschnitt im Gang der Gesetzesbildung. Das Gesetz ist in der Tat nicht so sehr ein Befehl an das Volk, sondern eher ein feierliches Bemühen aller, eine Vorschrift im Interesse der Gemeinschaft zu beachten (X, 4). Die spezifische Aufgabe des obersten Magistrats ist nicht so sehr das Statuieren der Gesetze, die Ausfluss des gemeinschaftlichen Konsenses sind, sondern vielmehr ihre gerechte Ausführung im Einzelfall. Das Gesetz, das nicht ausgeführt wird, ist wie eine Glocke ohne Schwengel, wie ein stummer oder toter Magistrat: es reicht nicht hin, dass in einer Stadt ein Gesetz existiert, wenn es in ihr niemanden gibt, der die Gerechtigkeit ausüben kann (XXIX, 14)20. Aus diesem Grund ist der Magistrat eingesetzt worden, um das lebendige Gesetz zu sein, Diener und Wächter des stummen Gesetzes: Wenn die Gesetze nicht spontan beachtet werden, ist es seine Aufgabe, wie das Ebenbild Gottes auf Erden zu intervenieren, um die Ordnung wieder herzustellen und jedem das zukommen zu lassen, was er verdient, oder die Guten zu belohnen und die Verbrecher zu bestrafen, um Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ein Musterbeispiel zu geben (X, 10). Das Gesetz verfügt im Allgemeinen das, was man tun soll oder nicht tun darf, aber es führt dies nicht selbst durch, so wie ein Medikament, das nur der oberste Magistrat, der Arzt 17 Dieses Bild von den Gesetzen ist den Digesten, I, 1, 6 entlehnt, wo sich die Definition des „ius civile“ von Ulpian findet, die Althusius mehrmals aufgreift, und in den Institutiones I, 2, 11 für das Verhältnis zwischen dem natürlichen und dem bürgerlichen Recht. 18 Mit Verweis auf lex humanum est (Cod., I, 14, 8), die die Kriterien für den Erlass der Gesetze mit Akzent auf dem Konsensprinzip festlegt. 19 Eine wichtige Quelle für diesen Aspekt sind die De Republica libri sex et viginti von Petrus Gregorius Tholosanus; wiederholt werden daraus Liber I, Kap. 1, Anm. 14 ff. und Liber VII, Kap. 15 und 19. 20 Vgl. Novellae, 161.

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des Staates, in passender Weise verschreiben kann, wenn er den Organismus und die Ursachen seiner Krankheit beurteilt hat. Deshalb ist die verweigerte Gerechtigkeit das größte Verbrechen, das ein König begehen kann: ein König, der die Gerechtigkeit nicht ausübt, ist wie ein Arzt, der sich weigert, zu heilen (XXIX, 28). Das Urteilen nach dem Gesetz erfolgt niemals automatisch. Das Urteil durchläuft einen Interpretationsakt (legis interpretatio), der das allgemeine Normenprinzip an den Einzelfall anpasst, wobei der Grund für das Gesetz (ratio legis) und die Natur der Sache (natura negotii), der Personen und Umstände, der Zeiten und Orte zur Deckung gebracht werden und das Gesetz an der Verständnisfähigkeit des Menschen angepasst wird (X, 9). Viele Stellen der Heiligen Schriften, die in der Politica regelmäßig angeführt werden, erinnern daran, dass die Könige von Gott und dem Volk eingesetzt wurden, um judicium et justitiam auszuüben und dass sie mit der Verwaltung der Gerechtigkeit zugleich ihr Reich und ihren Thron festigen (XXIX, 1, 26 und 31)21. Um richtig zu regieren und zu urteilen ist es jedoch notwendig, über eine einzigartige mehr göttliche als menschliche Befähigung und Tugend zu verfügen: Die Fähigkeit, die nur Gott zugestehen kann, zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden. Es handelt sich um eine komplexe theologische Frage, auf die Althusisus mit einem seiner seltenen Bezüge auf Calvin im Zusammenhang mit dem freien Willen aufmerksam macht22. Althusius greift das Thema breit in Kapitel XXI auf, das dem Gesetz gewidmet ist, wobei er auf dieselben Quellen wie dieser zurückgreift, vor allem auf Cicero (De legibus, II) und den Römerbrief des Apostels Paulus (XXI, 19 – 21 und 29). Das bürgerliche Gesetz, das vom Gewissen bestimmt ist, das eine Spur der perfekten göttlichen Gerechtigkeit aufweist, zeigt also den Weg für die irdische Gerechtigkeit. Von einer gerechten Regierung und einem gerechten Urteil kann man daher nur dann sprechen, wenn sie sich nach dem Recht und den Gesetzen richten und ihre exakte und präzise Umsetzung darstellen. Die Psalmen 101 und 82, die von Althusius als die besten Beschreibungen der bürgerlichen Regierung ausgewiesen werden, zeigen, dass in der Gesetzestreue des Königs seine Treue zu Gott zum Ausdruck kommt. Dieselben Psalmen verurteilen den Miss-

21 Mit Verweis auf Spr. 16, 12 und 29, 4; I Kön. 3, 9 u. 10, 9; Jes., 32; Ps. 71 und 101, etc. Unter anderem wird an die biblische Episode erinnert, in der das jüdische Volk von Gott einen König wie die anderen Völker erbittet: ein Gott, der die Gerechtigkeit übt; vgl. hierzu D. Quaglioni, L’iniquo diritto, ,Regimen regis‘ e ,ius regis‘ nell’esegesi di I. Sam. 8, 11 – 17 e negli ,Specula principum‘ del tardo Medioevo, in: A. De Benedictis (Hrsg.), Specula principum, Frankfurt a.M. 1999, S. 209 – 242; außerdem L. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in: L. Campos Boralevi / D. Quaglioni (Hrsg.), Politeia biblica, Florenz 2003 [= Il pensiero politico XXXV (2002)], S. 411 – 432. 22 Vgl. G. Calvino, Istituzione della religione cristiana I (FN 12), Liber II, Kap. II, S. 367 – 402. „Dies ist“, stellt Calvin sofort richtig, „der Hauptunterscheidungspunkt zwischen uns und den Papisten“ (S. 367). Ein Vergleich der politischen Theorien von Althusius und Calvin findet sich bei H. H. Esser, Calvin und Althusius. Analogie und Differenz ihrer poltisichen Theorien, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 163 – 186.

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brauch der Justiz seitens der Mächtigen und schreiben fest, dass die Könige als Richter der Menschen Gott unterworfen sind, der der Richter aller Richter ist, und dass es ihre Aufgabe ist, gerecht zu urteilen, und im Besonderen die Schwachen, Waisen und Armen zu verteidigen23. Die Ausführung des Rechts kann zwei Formen annehmen: Die Verwaltung der Gerechtigkeit im engen Sinne, das heißt die ordentliche Gerichtsbarkeit, und die Zensur, die jedes abweichende Verhalten verfolgt, das von den Gesetzen nicht erzwungen werden kann oder noch nicht bestraft worden ist. Der erste Weg ist der gewöhnlichere und darauf ausgerichtet, das Einhalten der verabschiedeten Gesetze sicher zu stellen. In dieser technischeren Hinsicht besteht für Althusius die Verwaltung der Gerechtigkeit darin, dass jedem das ihm Zustehende zugewiesen wird, und zwar nach einer Kombination der beiden traditionellen Kriterien der Gerechtigkeit: Jener kommutativen oder arithmetischen, die im Sinne absoluter Gleichheit einem jeden das Gleiche zuweist, und jener distributiven, die dem geometrischen Verhältnis folgt, die also „nach dem Gewicht und nach dem Maß“ ausgerichtet ist und somit auf qualitative Unterschiede Rücksicht nimmt (XXIX, 15). Bereits der ausgiebig zitierte Aristoteles schrieb, dass die echte Gleichheit (6íáëïãßá oäïò) weder ausschließlich (nach dem demokratischen Ideal) mit jener numerischen, noch ausschließlich (nach den aristokratischer Vorstellungen) mit jener am Verdienst gemessenen identisch ist, sondern sich einmal der einen und ein anderes Mal der anderen bedient24. Dieses Modell der Gerechtigkeit gelangt zu Althusius über einen Weg, der vom klassischen politischen Denken und der thomistischen Theologie zu Bodin führt, der das Modell aufgreift und zu neuem Leben erweckt. Im Gegensatz zur Zensur, die ein außerordentliches Mittel des Urteils ist, das unabhängig von der ,Spitzfindigkeit‘ der Prozesse wirkt, ist die Verwaltung der Gerechtigkeit als ordentliche Gerichtsbarkeit in den Grenzen einer rigorosen Prozessordnung eingezwängt (legitimus cognitionis ordo et processus), im Hinblick auf die sich Althusius auf die Darlegungen der Rechtsgelehrten bezieht (XXIX, 47). Es gibt jedoch einige Grundprinzipien dieser Materie, an die zu erinnern ihm wichtig ist. Vor allem muss die Gerechtigkeit ohne Ausnahme mit extremer Sorgfalt verwaltet werden, ohne Ausnahmen, ohne Rücksicht auf Personen und Ämter, ohne den Gefühlen Raum zu geben und immer nach dem Gewissen, nicht wie es Pilatus machte, als er Christus verurteilte. Die Entscheidung der Streitsachen muss billig und nach dem Gesetz erfolgen, niemals strenger oder milder als dieses. Es steht nicht in der Macht des Magistrats, die Strafe zu erlassen oder sie ohne triftigen Grund abzumildern, denn die Bestrafung ist Gott geschuldet, und der Magistrat hat keinen Rechtstitel dafür, mit dem Recht eines anderen großzügig umzugehen, dessen Verwalter er ist und nicht dessen Herr. Darüber hinaus muss das Recht 23 Der Psalm 101 wird zu Beginn des Kapitels über die Verwaltung der Gerechtigkeit ausführlich wiedergegeben. Vgl. XXIX, 3, aber auch XXIX, 13; X, 10 und XXI, 16. 24 Vgl. Aristoteles, Politik V, 1 und III, 9.

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in nicht allzu langer Zeit umgesetzt werden, weil es sonst an Wirkungskraft verliert, dies darf aber auch nicht zu schnell erfolgen, so dass es der ganzen Prozedur Hohn sprechen würde (XXIX, 34). Die Wiederherstellung der verletzten Ordnung erfolgt durch ein öffentliches Urteil, das dem Richter und dem Urteil größere Autorität verleiht, und sie erfolgt vor allem durch eine öffentliche Strafe, die exemplarischen und erzieherischen Charakter hat (XXIX, 18 und 49). Althusius entwirft dann die Grundzüge seiner gerichtlichen Ordnung. In erster Linie ist hier zwischen Gerechtigkeit inter magistratum et subditos und inter subditos et subditos zu unterscheiden: Die Erstere befasst sich mit den Streitsachen, die die gegenseitigen Pflichten des Magistrats und der Untertanen zum Gegenstand haben; die Letztere mit jenen, die die Beziehungen zwischen den Symbioten betreffen. Das Ziel ist es auf jeden Fall, die entstandenen Streitigkeiten zu schlichten und jeden Missbrauch, jeden Betrug und jede verbrecherische Tat zu beseitigen (XXIX, 29). Die Hauptmittel, die dafür zu Verfügung stehen, sind die zivil- und strafrechtlichen Urteile. Bei den Ersteren geht es um private Streitsachen, die sich aus Verträgen, letztwilligen Äußerungen, Eigentumsrechten und Ehefragen ergeben; bei den Letzteren geht es um Verbrechen und entsprechende Strafen, von der Beleidigung bis zum Kapitalverbrechen. Die Rechtsprechung ist eine Aufgabe, die dem Magistrat eigen ist, der sie aber zum großen Teil an einen Justizapparat delegiert, der mit der erforderlichen Macht ausgestattet ist und besondere Gerichte in jeder Region und jeder Stadt hat. Die Verwaltung der Gerechtigkeit muss nämlich immer nahe und gegenwärtig sein, so dass kein Verbrechen im Staat unbestraft bleibt. Die Erfahrung zeigt auf der anderen Seite, dass auch die übermäßige Zunahme an Richtern und Prozessen schädlich ist: Sie verlangsamt das Gerichtssystem und macht es zur Belastung und verlängert die Zeit rechtlicher Unsicherheit – zum Schaden für Staat und Privatpersonen. Es ist also wichtig, dass der oberste Magistrat auch alternative Mittel ausfindig macht und in erster Linie die außergerichtliche Beilegung der Streitigkeiten fördert und empfiehlt (XXIX, 52 – 53). Um die einfachsten Streitsachen zu beurteilen, wird es hinreichend sein, einen Richter zu benennen, wohingegen die komplexen besser einem Kollegialgericht anvertraut werden. Diese mittleren Magistrate (höhere und niederere, ordentliche und außerordentliche, königliche und städtische), die mit Sorgfalt aus ehrenwerten Männern ausgewählt werden, üben die Rechtsprechung ernsthaft, exakt und sorgfältig im Namen ihres jeweiligen Vorgesetzen aus, an den sie alle schwierigeren und kontroversen Frage zurückverweisen werden25. Die Rechtsordnung nach den Vorstellungen des Althusius hat einen festen Punkt in der Garantie des doppelten Gerichtszuges mit der Möglichkeit der Berufung an ein höheres Gericht (XXIX, 57), dem ein strenges Verantwortlichkeitsprinzip der Richter in Fällen von Fehlurteilen zur Seite steht. Für ungerechte Urteile haften nämlich sowohl der oberste Magistrat, der Rechtsträger der Rechtsprechung ist, als auch der delegierte Richter, der sowohl im Hinblick auf Nachlässigkeit wie auf faktischen und rechtlichen Irrtum dem Urteil der censores et 25 Zur Aufteilung der Magistraturen verweist Althusius öfter auf L. Danaeus, Politices christianae libri septem, lib. VI.

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errorum castigatores unterworfen ist (XXIX, 39 und 56). Für eine rechtswidrige Gerechtigkeit gibt es keine Vergebung. 5. Das überlieferte Paradigma der Gerechtigkeit, auf das sich Althusius streng beruft, widersetzt sich der voluntaristischen Betrachtung des Gesetzes, die das Verhältnis zwischen den normativen Quellen (göttliches Recht, natürliche Billigkeit, bürgerliches Recht und alte Gebräuche) umstürzt und so jener teilhabenden Ausübung der Macht das Wasser abgräbt, die allein in der Lage ist, die Ungerechtigkeit einzudämmen. Der Haupttheoretiker der neuen imperativistischen Betrachtung des Gesetzes, Bodin, der von Althusius in einer Reihe von technisch-praktischen Fragen (den Überlegungen zur Präsenz des Königs in den Urteilen, der Verteilung von Lob und Strafe, etc.) ausgiebig zitiert wird, findet dagegen niemals hinsichtlich seines grundlegenden Kapitels über die Gerechtigkeit Erwähnung, das die République krönend abschließt. Dem neuen Modell der politischen Gerechtigkeit26, das ein Spiegel des politischen Prinzips der Souveränität ist, stellt die Politica des Althusius jenes auf die Heilige Schrift gestützte Modell eines Königs entgegen, der für seine eigenen Fehler haften muss, die umso schwerer sind, als sie die Verwaltung der Gerechtigkeit betreffen, die die einhellig angenommenen Prinzipien respektieren muss. Mit dem Vergleich zwischen summa potestas und administratio justitiae schließt die Abhandlung des Althusius über die Gerechtigkeit, die hier ihre neuartigste Entfaltung findet: die Entscheidung in letzter Instanz (provocationis ultimae beneficium), die unter die souveränen Vorrechte eingereiht wird, steht dem obersten Magistrat und dem Rat der Ephoren als kollegialen Repräsentanten des Reichs zu, so dass der eine ohne den anderen nichts beschließen kann (XXIX, 58)27. Die Lösung besteht in beiden Fällen in einer geteilten Kompetenz, die weder die auctoritas noch die potestas in irgendeiner Weise mindert, sie vielmehr in ihrer Kraft erhält: wie die Hand nicht schwächer ist, weil sie ihre Kraft in fünf Fingern zum Ausdruck bringt, und sogar flinker im Handeln ist, so sind auch die Souveränität und die Verwaltung der Gerechtigkeit nicht dadurch gemindert, dass sie unter verschiedenen Personen aufgeteilt sind. Wie die Seelentugend ihre Aufträge durch den Körper und die Glieder ausführt, so kommen die Souveränität und die Verwaltung der Gerechtigkeit über Beamte und Minister zum Ausdruck. Diese verschiedenen Magistrate bedienen sich nicht der höchsten Gewalt, die genauso wenig geteilt werden kann wie die Einheit, aber sie verleihen ihr Effektivität nach Art des Prinzips, aufgrund dessen von der Einheit all die anderen Zahlen stammen und vom Punkt die Gerade ausgeht, die eine Folge von Punkten ist (XXIX, 44 mit Verweis auf XVI, 9 – 10, XVIII, 68, XXVII, 42 ff. und XXXIII).

26 Vgl. D. Marocco Stuardi, La teoria della giustizia armonica nella ,République‘, in: Il pensiero politico 14 (1981), S. 134 – 144 mit umfangreicher Bibliographie. 27 Vgl. N. Achtenberg, Gewaltenteilung bei Althusius, in: Politische Theorie des Johannes Althusius (FN 2), S. 497 – 512.

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Majestas (Jura Majestatis) 1. Es ist jüngst berechtigterweise darauf hingewiesen worden, dass für Althusius vom Vorwort an „der Wille, für den Sozialkörper den Rechtstitel der Souveränitätsrechte einzufordern, das geistige Movens der Politica darstellt“.1 So wird bereits in der ersten Ausgabe von 1603 festgestellt, dass die jura maiestatis voll und ganz nirgendwo anders angesiedelt werden können als in der Gesamtheit des Volkes („proprietas et ususfructus illorum in populo universo nisi consistant, locum alium non habent“).2 Dies ist die wagemutigere Formulierung eines Gedankens, der sich unterschwellig bereits in der Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando eingeführt findet, einer Disputatio, „die von Hugo Pelletarius unter dem Vorsitz von Althusius verteidigt und in Herborn im Jahre 1602 veröffentlicht wurde“.3 In diesen Thesen, die „eine erste schematische Darlegung eines Großteils des Stoffes der ersten Ausgabe der Politica darstellen, die nur ein Jahr zuvor bei demselben Verleger Corvinus erschienen ist“4, „ist die majestas mit den Rechten, die sie ausmachen, bezeichnenderweise nicht dem Fürsten zuzuweisen“5. Im Bewusstsein, einer übermächtigen opinio zu widersprechen und sich so auf die Seite einer Lehrminderheit zu begeben, äußert sich Althusius dazu weit ausführlicher in der dritten und endgültigen Ausgabe der Politica (1614), mit vielen Erweiterungen und neuen Gedanken auch hinsichtlich der jura majestatis: „Jura [ . . . ] majestatis, quae vocant, non summo magistratui, sed Reip. vel consociationi universali attribui. Plerique jurisconsulti et politici haec soli principi et summo magistratui propria adscribunt, adeo ut, si illa tribuantur et communicentur populo, vel Reip. eo ipso 1 L. Bianchin, Politica e scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I. Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in: L. Campos Boralevi / D. Quaglioni (Hrsg.), Politeia biblica, Florenz 2003 (= Il pensiero poltico 35 (2002), S. 409 – 430, hier: 409). 2 J. Althusius, Politica, Methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, cui in fine adjuncta est Oratio panegyrica de necessitate, utilitate et antiquitate scholarum, Herbornae Nassoviorum, Ex Officina Christophori Corvini, 1603, Praefatio, fol. iiijv. 3 G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: la dottrina del patto e la costituzione del regno, in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis (Hrsg.), Su una sconosciuta ,disputatio‘ di Althusius, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 65 – 126, hier: 67. 4 Ebd. 5 Ebd., S. 92.

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pereant, et amplius non sint. Contrarium ego cum paucis aliis statuo, adeo nimirum haec corpori symbiotico consociationis universalis propria esse, ut huic spiritum, animam, et cor attribuant, quibus sublatis, corpus illud, quod dixi, etiam pereat“ (Praefatio, fol. *3v –*4r).

Bei der Feststellung, dass der Fürst ein „Verwalter, Prokurator, Statthalter der Souveränitätsrechte“ ist, wiederholt Althusius die Zuweisung des Rechtstitels eines „vollkommenen Eigentums“ der majestas („poprietarium [ . . . ] et usufructuarium majestatis“) ausschließlich an die Allgemeinheit des Volkes („nullum alium, quam populum universum“) in seiner korporierten und konsoziativen Verfassung, wobei er dieser Eigenschaft zuerkennt, dass sie nicht entfremdet werden kann: „Quae majestatis jura adeo, meo judicio, illi consociationi propria sunt, ut etiamsi illa se his velit abdicare, eaque in alium transferre, et alienare, nequaquam tamen id possit non minus quam vitam suam, qua quis fruitur, alii communicare potest. Nam haec jura majestatis, consociationem universalem constituunt, et conservant. Atque ut a populo, seu membis Reipublicae vel regni inceperunt, sic non nisi in illis consistere possunt, et ab illis conservari“ (Ebd., fol. *4r).

2. Gierke erkennt hierin vollkommen zurecht die ganze Innovationskraft der althusischen Vertragslehre im Hinblick auf die mittelalterliche Tradition der Herrschaftsverträge, weil der Autor der Politica dem Volk, von dem die Macht ausgeht, nicht nur den abstrakten Rechtstitel der jura majestatis zuweist; im Sinne des Schemas vom öffentlichen Recht, das hier vom zivilrechtlichen auf den staatsrechtlichen Bereich des dominium übertragen wird, weist er sie vielmehr vollkommen mitsamt proprietas und usufructus dem Volk zu; aus diesem Grund bildet sich das Volk zum Subjekt heran, das im modernen Sinne Inhaber der Souveränität ist: „Die Majestätsrechte sind dem socialen Körper (corpus symbioticum) nothwendig und ausschliesslich eigen; sie sind sein Geist, seine Seele, sein Lebensodem; nur wenn er selbst sie besitzt, lebt er, durch ihren Verlust geht er unter oder wird doch des Namens der ,Respublica‘ unwerth. Ihr Verwalter ist freilich ein höchster Magistrat: aber Eigenthum und Niessbrauch an ihnen sind untrennbar beim Volke in seiner Gesammtheit [ . . . ]. Ja sie sind ihm dergestalt eigen, dass, auch wenn das Volk auf sie verzichten und sie einem Andern veräussern und übertragen will, es dies nimmermehr kann, so wenig wie Jemand das Leben, das ihm eignet, einem Andern mitzutheilen vermag. Wie das Volk die allein denkbare Quelle der Majestät ist, so ist es das allein denkbare und beständige Subject derselben.“6 Auf der Suche nach einer historischen Begründung der deutschen Lehre der Korporation im Organizismus des Althusius (und mehr noch in der Suche nach einer Konzeption der Souveränität, die „in der Einheit das Moment der Pluralität“ nicht zunichte macht),7 konnte Gierke annehmen, dass Althusius „mit seiner allsei6 O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik. Zweite durch Zusätze vermehrte Ausgabe, Breslau 1902, S. 19 f. (ital. Ausg.: ders., Giovanni Althusius, Turin 1974, S. 34 f.). 7 So das Urteil von H. Heller angesichts der Spuren der gierkeschen Sicht im Denken von H. Preuß in: ders., La sovranità. Contributo alla teoria del diritto dello Stato e del diritto

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tigen systematischen Durchdringung des staatlichen Lebens“ sein gesamtes System rational von einem vollkommen profanen Konzept der Gesellschaft ableitete und dass sich die Politica „mit ihrer allgemeinen systematischen Entwicklung des Staatslebens [ . . . ] als ein rein weltliches Buch“ darstellte und – mehr noch – trotz seines streng calvinistischen Geists als ein Werk erschien, das „von der theokratischen Auffassung des Staates sich so gut wie völlig löst“.8 Der lange Zeit bestehende Glaube daran, im Sinne von Gierkes Versuch aus Althusius den Modellvertreter einer vollkommen rationalen und laikalen politischen Wissenschaft zu machen (man ist sogar so weit gegangen, „im Hinblick auf die Politica von einem ,dekorativen Charakter der Bibelzitate‘“ zu sprechen),9 was uns heute als ein Missverständnis erscheint, war in Wirklichkeit nichts anderes als der Versuch, die Lehre des Althusius aus ihrem genetischen Verhältnis zur politischen Theologie des Mittelalters und mit der Tradition des öffentlichen Rechts herauszunehmen, weil für Gierke die moderne Vertragslehre des Staates „überall auf die theokratische Idee“ folgt, die „auf Jahrhunderte hinaus tyrannisch“ über die Geister geherrscht hat.10 Weil Gierke an der Entwicklung der Vertragslehre in Richtung auf die Idee der Kollektivität des Volkes „als ursprünglichem Subjekt aller öffentlichen Gewalt“11 interessiert war, und weil er sich wie nur wenige andere des fundamentalen Beitrags des Mittelalters zu einer organischen Konzeption der menschlichen Vereinigungen bewusst war, war er der Meinung, dass die organische Staatsbetrachtung „trotz einer solchen Durchbildung [ . . . ] vor der Erreichung eines letzten Zieles Halt [gemacht habe], von dem aus allein sie zur Beherrschung der eigentlichen juristischen Konstruktion des Staates befähigt gewesen wäre“, also „das Schattenwesen der persona ficta durch den Begriff der realen Gesamtpersönlichkeit zu verdrängen“.12 Wenn also Gierke zugestehen konnte, dass das Konzept der Souveränität, so fremd es dem primitiven mittelalterlichen Konzept auch war, im Laufe des Mittelalters „die ersten Stadien seiner Entwicklungsgeschichte“ 13 durchlaufen hatte, so internazionale, in: ders., La sovranità ed altri scritti sulla dottrina del diritto e dello Stato, hrsg. von P. Pasquino, Mailand 1987, S. 82. Vgl. D. Quaglioni, Un dogma in crisi: il dibattito sulla sovranità nel pensiero giuspolitico del Novecento, in: A. M. Lazzarino Del Grosso (Hrsg.), Temi politici del Novecento, Neapel 1997, S. 11 – 36, und jetzt ders., La sovranità, Rom / Bari 2004, S. 106. 8 Gierke, Althusius, (FN 6), S. 60 (ital. Ausg., S. 67). 9 Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius (FN 1), S. 422 zu E. Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. Untersuchungen zur Ideengeschichte des Rechtsstaates und zur altprotestantischen Naturrechtslehre, Karlsruhe 1955, S. 13. 10 Gierke, Althusius (FN 6), S. 76 (ital. Ausg., S. 79). 11 Ebd., 123 (ital. Ausg., S. 111). 12 Ebd., S. 136 (ital. Ausg., S. 118 f.) Zu diesem echt gierkeschen Thema vgl. die ausführlichen Anmerkungen von F. Todescan, Dalla ,persona ficta‘ alla ,persona moralis‘. Individualismo e matematismo nelle teorie della persona giuridica del sec. XVII, in: Itinerari moderni della persona giuridica, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 11 – 12 (1982 – 1983), S. 59 – 93.

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bestritt er doch zugleich, dass die mittelalterliche Lehre wirklich in der Lage war, „sich zu einem Konzept der Souveränität des Staates zu erheben“, weil der unitarische Charakter des Staates „so gut wie völlig hinter den sichtbaren Trägern der Gewaltbefugnisse“ verschwunden war, mit der Folge, dass der Streit „um das höhere und vollere Recht [ . . . ] nur zwischen den beiden im Herrscher und in der Volksversammlung verkörperten oder verkörpert gedachten Rechtssubjekten, in welche der Staat sich spaltete“ zu lösen war.14 Der Unvollständigkeit der Lehre von der Souveränität des Volkes vor Althusius stehen daher die „neuen und eigenthümlichen Züge“ der Politica gegenüber, die sich „hauptsächlich der Verwendung eines verschärften Souveränitätsbegriffs“ verdanken.15 3. Diese bessere Definition konnte nur vom Bodin der République und seiner Überarbeitung der Lehren von der majestas und des begrifflichen Instrumentariums der frühneuzeitlichen Juristen stammen. Genau dort, wo er die bekannte Definition der Souveränität als „puissance absolue et perpetuelle d’une Republique“ vorstellt, stellt Bodin nämlich fest, dass sie das ist, was „les Latins appellent maiestatem, les Grecs eκρáí 7îïõóßáí, et κýρéïí ðïëßôåõìá et κõρßáí 6ρ÷Þí: les Italiens segnoria, duquel mot ils usent aussi envers les particuliers, et envers ceux là qui manient toutes les affaires d’estat d’une Republique: les Hebrieux l’appellent , c’est à dire, la plus grande puissance de commander“.16 An ebendieser Stelle, an der die Begriffe versammelt sind, die in den Wortschatz der Politica eingehen werden (wie im Falle des griechischen ðïëßôåõìá, das Althusius (I, 5) dem aristotelisch-bodinschen Kontext entnehmen wird, um es einer evangelisch-paulinischen Matrix zuzuweisen: „Politiae vocabulum tria praecipue significat [ . . . ]. Primum enim communicationem juris, quod est in Repub. indicat, quod Apostolus politeuma vocat, Philip. c. 3. 20.“),17 fügt der lateinische Text der République zum hebräischen (thomekh shebet) aus Amos 1, 5 und 818 eine zusätzliche gelehrte Bemerkung hinzu, die der Lexikografie der Zeit entGierke, Althusius (FN 6), S. 139 (ital. Ausg., S. 121). Ebd., S. 137 (ital. Ausg., S. 119). 15 Ebd., S. S. 149 (ital. Ausg., S. 127). 16 J. Bodin, Les six livres de la Republique, ensemble une Apologie de Rene Herpin, a Paris, Chez Iacques du Puis 1583, I, Chap. VIII (De la souveraineté), S. 122. 17 Vgl. aber bereits die Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando, hrsg. von M. Scattola, in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis (Hrsg.), Su una sconosciuta ,disputatio‘ di Althusius (FN 3), S. 23 – 46, X, S. 26 – 27: „Politeuma est jus civitatis seu Reipublicae commune“(wo mit Ausnahme einer Bezugnahme auf Gellius alle Verweise aus dem Neuen und Alten Testament stammen), und XI, S. 27: „Politeuma hoc consistit in κïéíïíßá et κïéíïðρáîßá seu communicatione rerum, operarum, et juris ejusdem“. Zum Wort, das die Vulgata bekanntermaßen mit „conversatio“ wiedergibt, und das Luther mit „Wandel“ übersetzt vgl. M. Zerwick / M. Grosvenor, A Grammatical Analysis of the Greek New Testament, Bd. II, Rom 1979, ad Phil. 3, 20, S. 600: „citizenship; commonwealth; colony“. 18 Wörtlich: „derjenige, der des Szepter hält“ (Bodin, I sei libri dello stato, hrsg. v. M. Isnardi Parente, Turin 21988, S. 346, Anm. 3); vgl. W. Gesenius / F. Buhl, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Leipzig 171915 (Nachdruck Berlin / 13 14

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liehen ist: „Maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas, quam Graeci lκρáí 7îïõóßáí, interdum κõρßáí 6ρ÷Þí κýρéïí ðïëßôåõìá, Itali segnoriam, Hebraei id est, maius imperium appellant: est enim maiestas, inquit Festus, a magnitudine dicta“.19 Der „besten Definition“ der Souveränität, mit der Bodin das mittelalterliche Paradigma der doppelten potestas vereinfacht, indem er bei seiner Formel die potestas ordinaria et ordinata abschneidet und den Inhalt allein auf die potestas absoluta reduziert, schließt sich die interpretatio per etymologiam an, die humanistisch auf dem neuesten Stand ist: mit dem Anführen des hochverehrten Festus, mit dem Rückgriff auf das Griechische und vor allem auf das Hebräische, der ursprünglichen Kommunikationssprache, die daher Ausdruck für das Wesen der Dinge ist, und des Italienischen als der Sprache einer Politik, die dagegen das dominium im privatrechtlichen Sinne mit der Herrschaft als Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten verbindet. Als er den Entwicklungsgang der maiestas über die Seiten der lateinischen Ausgabe der République nachvollzog und bei dem Kapitel verweilte, das der Souveränität gewidmet ist und in der lateinischen Ausgabe De iure maiestatis überschrieben ist, hatte Althusius einen klaren Eindruck von dem Beitrag Bodins zu einer vollständigen Theorie der fundamenta Reipublicae. Es war nämlich, wie Gierke sagt, „ein kühner und toller Wurf“, der Volkssouveränität das Konzept der Souveränität der Absolutisten zuzuweisen; ob Althusius dann, wie Gierke weiter meint, das Konzept „in seiner ganzen schneidigen Schärfe“ bewahrt hat, indem er als erster von der „Majestät“ des Volkes spricht, als erster „die dieser Majestät vindizierten Attribute der Ausschließlichkeit, Unveräusserlichkeit, Unmittheilbarkeit und Beständigkeit“ zuspricht, die „von Bodinus der Herrschaftsmajestät vindiziert“ wurden, und damit „mit gleicher Energie wie sein Gegner die Begriffe der gemischten Verfassung und der Theilung der Staatsgewalt“20 zurückweist, ist immer noch eine offene Frage. Gierke konnte tatsächlich vereinfachend annehmen, das Althusius „nur in Einem wichtigen Punkte [ . . . ] den Souveränitätsbegriff des Bodinus [korrigierte]: erfüllt von der Idee des Rechts- und Verfassungsstaats, verwarf er schlechthin den Begriff der ,potestas absoluta‘ und erklärte auch die souveräne Gewalt nicht blos durch das göttliche und natürliche Recht, sondern ebenso durch die positiven Gesetze und Göttingen / Heidelberg 1962, ad v. , Anm. 2, S. 881: „der Szepterträger“, und F. Zorell, Lexicon Hebraicum Veteris Testamenti, Rom 1989, ad v. , Anm. 3, S. 816: „sceptifer, i.e. rex vel summus magistratus“; zum Vorkommen vgl. G. Lisowsky, Konkordanz zum Hebräischen alten Testament, Stuttgart 21981, ad vv. und , S. 1522, u. 1396. 19 Bodin, De Republica libri sex Latine ab Auctore redditi, multo quam antea locupletiores, Francofurti, Sumptibus Jonae Rosae viduae, Typis Anthonii Hummii, 1641, I, Cap. VIII (De Iure Maiestatis), S. 113 (das Griechisch ist leicht entstellt, das Hebräische fast vollständig). Für die Entlehnungen aus den Lexika von Brisson und Hotman vgl. Lexicon iuridicum. Hoc est, Iuris Civilis et Canonici in schola atque foro usitatarum vocum Penus, Coloniae Allobrogum, Ex Typographia Iacobi Stoer, 1615, ad v. Maiestas, S. 688: „Maiestas a magnitudine dicta est, inquit Festus“ (De signficatione verborum, 136 M). 20 Gierke, Althusius (FN 6), S. 157 (ital. Ausg., S. 132).

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vor allem durch die Verfassungsgesetze für gebunden“.21 Auch wenn Althusius den universellen Wert des göttlich-natürlichen Rechts und der Grundrechte anerkannte, dann „glaubt er“ im Unterschied zu Bodin „nicht mehr an ihre reale zwingende Kraft, und sieht folglich in der unbegrenzten Macht die schlechthin konkrete Bedrohung und aktuelle Bedrohung durch einen Tyrannen“.22 Folglich verwirft er von der bodinschen Definition der Souveränität die Züge der Beständigkeit und der Absolutheit. Auch wenn Althusius von Bodin und vielleicht noch mehr von dem Werk De republica von Petrus Gregorius (1596) und seiner Idee der „ars bene regendi multitudinem hominum“ als „Reipublicae anima“,23 einen Begriff der Souveränität als Prinzip der Individuation der politischen Gemeinschaft24 aufnimmt, fördert er die Metamorphose der Fülle der Macht hin zur Sorge um den Staat und hin zu seiner Verwaltung (die „Reipublicae solicitudo“ abermals des Gregorius):25 „Talis vero potestas regni, seu consociatorum corporum, una semper est, non plures potestates, sicuti una anima, non plures in corpore physico imperant. Administratores potestatis hujus plures esse possunt, ita ut singuli in partem solicitudinis, non in plenitudinem potestatis adsumantur [ . . . ]. Et singuli hi non habent penes se supremam potestatem, sed omnes simul unam agnoscunt in consociatorum corporum consensus et concordia“ (IX, 19).

So schreibt Althusius in der Endversion der Politica, in jenem Kapitel IX (der Überarbeitung des Kapitels VI des Erstdrucks von 1603), in dem er den problematischen Kernpunkt der Souveränität ausführlicher angeht und dabei das ganze Ausmaß seiner Abhängigkeit und zugleich seiner Distanz zu Bodin offenlegt: „Hic sententiae nostrae, qua regno seu universali consociationi summa potestas tribuitur, contradicit Bod. lib. 1. c. 8 de Repub. ibi enim ille jus majestatis, quod regni jus appellavimus, dicit esse summam et perpetuam potestatem, nec lege, neque temEbd., S. 157 f. (ital. Ausg. S. 132). Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius (FN 1), S. 427. 23 Gregorius, De Republica libri sex et viginti, in duos tomos distincti, Pontimussani, 1596, X, 1, Bd. I, S. 592. 24 So erscheint es bereits in der Disputatio politica (FN 17), S. 28: „Majestatis jura sunt, in quibus á§ôïíïìßá, amplitudo, magnitudo et autoritas regni consistit, et sine quibus esse nequit ullum regnum“. 25 Gregorius, De Republica (FN 23), V; 1, Bd. I, S. 235. Über die Herkunft dieser Formel aus der Ragion di stato von Botero (1589) vgl. D. Quaglioni, La prima recezione della ,Ragion di Stato‘ in Francia. Il ,De Republica‘ di Pierre Grégoire (1591), in: A. E. Baldini (Hrsg.), Botero e la ,Ragion di Stato‘. Atti del convegno in memoria di Luigi Firpo (Torino, 8 – 10 marzo 1990), Florenz 1992, S. 395 – 403; vgl. auch ders., I limiti della sovranità. Il pensiero di Jean Bodin nella cultura politica e giuridica dell’età moderna, Padua 1992, S. 249 u. für die bodinianische Wurzel der Themen, die Bodin, Gregorius und Althusius am Herzen liegen vgl. ders., ,Imperandi ratio‘: l’édition latine de la République (1586) et la raison d’Etat, in: Y. Ch. Zarka (Hrsg.), Jean Bodin. Nature, histoire, droit et politique, Paris 1996, S. 161 – 174. In diesem Sinne könnte man darüber diskutieren, was von Duso in Zweifel gezogen worden ist in Duso, Una prima esposizione (FN 3), S. 90 mit Anm. 50 zu M. Behnen, Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der ,Politica‘ des Johannes Althusius, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984, S. 417 – 472, hier S. 419. 21 22

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pore definitam [ . . . ]. Ego in eo, quo Bodinus haec sensu accipit, nullum horum requisitum genuinum in jure hoc majestatis agnosco. Non enim est summa potestas, non perpetua neque lege soluta“ (IX, 20).26 Der größte Dissens bestand aber nicht in puncto Definition der summa potestas, die Althusius mit Worten zurückwies, die sich nicht von denen unterschieden, die Bodin selbst gebraucht hatte, um, wie Gierke richtig sagte, „den staatlichen Absolutismus abzumildern“ und damit den Souverän an das göttliche und natürlich Gesetz zu binden.27 Es war im Übrigen eben der Autor der Politica, der das anerkannte, indem er eine Stelle aus Augustinus zitierte, die ebenso berühmt war wie sie ihm am Herzen lag: „Summa non est, quia legem divinam naturalemque superiorem agnoscit omnis humana potestas [ . . . ]. Absoluta vero summa, et legibus omnibus soluta potestas, tyrannis dicitur [ . . . ]. Augustin. De civit. Dei. l. 4. c. 4. Remota, ait, justitia, quid sunt regna nisi magna latrocinia. In quo quidem nec Bodinus a nobis dissentit“ (IX, 21).28 Der wirkliche Streitpunkt lag in der solutio a legibus, also in dem vorgeblich „juristisch unkonditionierten“ Charakter der höchsten Macht, im „Primat der Politik“ oberhalb des positiven Rechts und gegen es gerichtet, der von der Macht selbst ausgeht. Die Passage des Althusius, die in Form einer Quaestio gehalten ist, ist von größter Wichtigkeit im Zusammenhang mit der Überarbeitung des bodinschen Konzepts: „Quaestio igitur nobis est de civili lege et jure, an huic etiam imperium et fasces subijciat, qui summam dicitur habere potestatem. Negat Bodin. et plurimi alii cum eodem. Erit igitur ex horum sententia summa potestas, quae civili lege non est definita, sed illa soluta: quod ego non dixerim. Nam lege civili potestatem solvere, est etiam aliquatenus naturalis et divinae legis vinculis eandem exuere. Nulla enim est, nec esse potest, lex civilis, quae non aliquid naturalis et divinae aequitatis immutabilis habeat admistum. Nam si haec prorsus discedit a sententia juris naturalis et divini, non lex dicenda est, sed nomine hoc prorsus indigna, l. 6 jus. civile. de justit. et jur. [Dig. 1, 1, 6] quae neminem obligare potest contra aequitatem naturalem et divinam. §. final. Institut. de jur. natur. gent. et civili [Inst., 1, 1, § 11]“ (IX, 21).29 Dieser Diskurs ist genau besehen in seiner strengen Logik nichts anderes als eine radikale Darstellung des Prinzips der romanistisch-kanonistischen Tradition, echter Referenzpunkt für das gesamte öffentliche Recht, für die Konformität des ius civile mit der natürlichen Gleichheit und dem göttlichen Recht. Und es ist ein besonnener Diskurs, Ausdruck eines Misstrauens gegenüber „einer Norm, die sich 26 Zu alledem vgl. H. U. Scupin, Der Begriff der Souveränität bei Johannes Althusius und bei Jean Bodin, in: Der Staat 4 (1965), S. 1 – 26. 27 Gierke, Althusius (FN 6), S. 162. 28 Vgl. C. Malandrino, Remota justitia, quid sunt regna, nisi magna latrocinia? (Politica XXXVIII, 9). Il ,dispotismo‘ nella definizione althusiana di tirannide, in: Atti della IX Giornata Luigi Firpo, Tirannide e dispotismo nel dibattito politico tra Cinque e Seicento (Torino, 27 – 28 settembre 2002) [im Druck]. 29 Zu diesem Passus und zur Auseinandersetzung mit Bodin vgl. L. Calderini, La ,Politica‘ die Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995, S. 105.

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selbst als Gesetz legitimiert, das heißt als Willensakt eines souveränen Subjekts“, und gegenüber dem Gesetz, das „eine reine Form wird [ . . . ], ein inhaltsloser Akt, das heißt [ . . . ] ein Akt, dem niemals ein bestimmter Inhalt Legalität verleihen wird, sondern immer und ausschließlich die Herkunft vom einzigen souveränen Subjekt“.30 Vielsagend ist die Tatsache, dass das Fragment Ulpians in Dig., 1. 1. 6 angeführt wird, das darüber aufklären soll, dass das positive Recht immer eine Anpassung einer höheren normativen Ordnung ist, die in dem festen und unabänderlichen Grund des Naturrechts angesiedelt ist, jener naturalia iura, quae apud omnes gentes peraeque servantur und die, wie die am Schluss von Althusius angeführte gaianische Stelle besagt divina quadam providentia constituta semper firma atque immutabilia permanent (Inst., 1, 1, § 11).31 Die Abhandlung des Althusius kann auch als direkte Konsequenz aus der Polemik gegen De regno et regali potestate (1600) von William Barclay im Zusammenhang mit dem Ursprung der Königsmacht gelesen werden, sowie ihrer Einrichtung, ihrer Grenzen und ihrer Abirrung in die Tyrannei, die dann eintritt, wenn man sich eine absolute Macht des Königs vorstellt, die von der Achtung der bürgerlichen Gesetze befreit ist. Von hier nämlich, kann man sagen, geht in erster Linie jene angenommene Identität zwischen dem Willen, den der soziale Körper zum Ausdruck bringt, und dem Willen Gottes aus, die für die Politica charakteristisch ist: „In dieser Hinsicht nehmen alle Bestimmungen der Gemeinschaft einen quasi göttlichen Charakter an, der weit über den Wert hinausgeht, den diese für sich genommen als einmütige Willensäußerung der Untertanen hätten. Letzte Konsequenz daraus ist, dass die bürgerlichen Gesetze für den König im gleichen Maße wie die Normen des göttlichen Rechts vollkommen bindend werden: Sie werden nämlich vom König erlassen, werden aber vom Konsens der verschiedenen Bestandteile des Reichs festgesetzt und sind daher auch Ausdruck einer Art von „immanentem“ göttlichen Willen. Der göttliche Wille wird auf diese Weise eine normative Kraft, die sich in der Gesellschaft auch und vor allem über die für die menschliche Gemeinschaft charakteristischen Vorschriften offenbart, dem bürgerlichen Gesetz“.32 Althusius denkt dabei mit Sicherheit an das Prinzip, das Gaius in Dig., 4, 5, 8 zum Ausdruck bringt (civilis ratio civilia quidem iura corrumpere potest, naturalia vero non utique, „die bürgerliche Vernunft kann bisweilen vom göttlichen Recht abgehen, aber niemals vom Naturrecht“) und verteidigt bereits in der Disputatio 30 Vgl. P. Grossi, Modernità politica e ordine giuridico, in: ders., Assolutismo giuridico e diritto privato, Mailand 1998, S. 443 – 469, hier 459 f. Zu diesen Aspekten vgl. die Zusammenfassung bei D. Quaglioni, À une déesse inconnue. La conception pré-moderne de la justice. Préface et traduction de l’italien par M.-D. Couzinet, Paris 2003, S. 23 – 51 u. 119 f. (La giustizia nel Medioevo e nella prima età moderna, Bologna 2004, S. 23 – 52 u. 122 – 124). 31 Vgl. G. Gorla, ,Iura naturalia sunt immutabilia‘. I limiti al potere del ,principe‘ nella dottrina e nella giurisprudenza forense fra i secoli XVI e XVIII, in: Diritto e potere nella storia europea, Florenz 1982, s. 629 – 684. 32 Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius (FN 1), S. 421.

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politica De regno recte instituendo et administrando von 1602 die These, dass das erste und wichtigste der jura miestatis darin besteht, die Gesetze zu geben, zu interpretieren und außer Kraft zu setzen, vorausgesetzt, dass sie nicht dem Naturrecht und den moralischen Normen widersprechen, und das im Sinne der Notwendigkeit und der Nützlichkeit für den Staat („juri tamen naturali vel legi morali non contrarias [ . . . ], prout necessitas et utilitas Reipubliae exigit“)33. Deshalb ist Althusius (IX, 21) der Meinung, dass der Fürst sich berechtigterweise nur im Hinblick auf die Inhalte der bürgerlichen Gesetze als solutus bezeichnen kann, die sich vom Naturrecht entfernen, „quatenus lex illa civilis in quibusdam discedit a naturali aequitate“: Nur in diesem Fall hat der Inhaber der summa potestas keinen anderen über sich als Gott und die natürliche Gleichheit („neque superiorem nisi Deum et naturalem aequitatem“). Und daher beendet Althusius seine quaestio damit, dass er wiederholt die Konstitution digna vox (Cod. 1, 14, 4) zitiert, die Norm, die in der Tradition des öffentlichen Rechts die solutio a legibus abschwächt, indem sie die maiestas preist, die sich dem Recht unterwirft. Denn er erklärt, dass er sich nur in diesem Sinne der Lehre Bodins und der zeitgenössischen Juristen anschließt; er lehnt aber auf jeden Fall die proprietas einer derartigen Macht für ein Subjekt ab, das nicht der Körper der consociatio universalis ist: „Atque in hoc sensu accepta lege, soluta summa potestate, concedo in sententiam Bodini, Gregorii Tholosani, Cujacii, Donelli, Duareni, et aliorum Juriscomsultorum. Sed hanc summam potestatem nequaquam possum tribuere regi, aut optimatibus; quam sententiam tamen Bodinus acerrime propugnare conatur, sed jure illa tantum corpori universalis consociationis, nimirum Reip. vel regno, tanquam propria est adscribenda“ (IX, 22). 4. Diese Lösung, die darin besteht, dass die Existenz einer juristisch nicht konditionierten Macht nur in Abhängigkeit von den moralisch neutralen Inhalten der bürgerlichen Gesetze zugestanden wird, wobei man sich jedoch der romanistischen Tradition und der bedeutenden Denkschule der mittelalterlichen Juristen anschließt, stellt die wirkliche Neuerung des Werks von Althusius dar. Sie bringt nämlich die beiden Begriffe der mittelalterlichen Diskussion über die höchste Macht wieder zusammen, die auf der einen Seite in der Formel princeps legibus solutus (Dig., 1, 3, 31) und auf der anderen in der Konstitution digna vox niedergelegt sind, die dagegen eine Macht proklamiert, die legibus alligatus ist. Sie bringt eben die Meinung zum Ausdruck, dass es der maiestas des Fürsten würdig ist, sich als unter dem Gesetz stehend zu betrachten; denn seine Autorität von der des Rechts abhängig zu machen, seine Macht der des Rechts unterzuordnen, bedeutet, die Souveränität zu vermehren und nicht zu mindern (maius imperio est submittere legibus principatum). Die Macht erstreckt sich also bis dahin, wo das Recht ihre Grundlage bildet und ihr eine Grenze setzt, jenseits derer die Macht aufhört Macht des Reichs, also Souveränität, zu sein (quod nobis licere non patimur).34 Es ist also kein Zufall, dass die Vindiciae contra tyrannos (1579), ein Werk, 33

Disputatio politica (FN 17), XVII, S. 28.

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das für Althusius von grundlegender Bedeutung ist, mit einem Motto beginnt, das als Ausdruck eines höchsten antiabsolutistischen Prinzips erscheint, das letztlich jenes der beiderseitigen Verpflichtung von Fürst und Volk ist: genau der Text der Konstitution digna vox.35 Die Lösung des Althusius fasst deshalb eine lange Zeit der Kontroversen zusammen und schließt sie ab, eine lange Zeit mit einer Literatur, die auf Themen konzentriert ist wie die beiderseitige Verpflichtung des Souveräns und der Untertanen, die Kontrollmacht der Magistrate, die Macht des Naturrechts, die politische Macht zu beschränken, die aus den Grundrechten des Reichs heraus entstehenden Bindungen. Aber sie fasst auch eine ganze exegetische Tradition zusammen. Das gilt im Übrigen auch schon für die Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando, wo unter XXXVIII das Prinzip verteidigt wird, aufgrund dessen der oberste Magistrat nicht nur an das göttliche Recht und das Naturrecht „in administratione sua alligatus“ ist, sondern auch an die bürgerlichen Gesetze und an die leges „regni et maiestatis“.36 Der beachtliche Apparat von auctoritates, mit dem die Dissertation versehen ist, bestreitet, dass der Magistrat „legibus generalibus solutum [ . . . ] nec etiam civilibus“ sei, führt in diesem Zusammenhang wiederholt die Konstitution digna vox an und nimmt das antiabsolutistische Argument der notwendigen naturrechtlichen Begründung der bürgerlichen Gesetze vorweg, ohne die es nicht nur die Bezeichnung Recht und Gesetz nicht verdient, sondern sich in injuria verwandelt: „Ratio est, quia hae leges exstructae sunt ex naturalibus. Diss. Dd. vulgo per l. 31. D. de legib. qui leges fingunt, mere civiles, quibus principem solutum dicunt. Sed ejusmodi leges mere civiles, quae nihil prorsus ex jure natuae habent, revera nullae sunt; et si sint, nec juris, nec legis nomen merebuntur, sed merae erunt injuriae“.37 „Dissentiunt Doctores vulgo per l. 31, D. de legibus, qui leges fingunt mere civiles, quibus principem solutum dicunt“, „Auf Grundlage von l. 31 (princeps legibus solutus est) in Dig., 1, 3 (de legibus) sind die Juristen, die die Gesetze auf reine Formen des Zivilrechts reduzieren, bekanntlich notorisch unterschiedlicher Auffassung, weil sie meinen, dass der Fürst nicht von ihnen gebunden wird“.38 Die 34 Zur Konstitution vgl. ebenfalls D. Quaglioni, À une déesse inconnue (FN 30), S. 34 (La giustizia nel Medioevo e nella prima età moderna (FN 30), S. 34 f.). 35 Vgl. Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra Tyrannos. Il potere legittimo del principe sul popolo e del popolo sul principe, hrsg. v. S. Testoni Binetti, Turin 1994, S. 3. 36 Disputatio politica (FN 17), XXXVIII, S. 33. 37 Ebd., S. 34. 38 Dies ist die einzige Möglichkeit, das Zitat aufzulösen und zu interpretieren, die folglich nicht eine „Bemerkung zu einer allgemeinen Diskussion über das in Frage stehende Gesetz“ darstellt (Scattola, Nota bibliografica, in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis (Hrsg.), Su una sconosciuta ,disputatio‘ di Althusius (FN 3), S. 47 – 63, hier 53). Keine der dort beliebigen undifferenziert zum Vorschlag gebrachten Lesarten ist akzeptabel (und schon gar nicht jene, die die Hypothese aufstellt, Althusis habe die Dissensiones dominorum gekannt, die bis zur Veröffentlichung Haenels im 19. Jahrhundert unbekannt waren und keinesfalls mit dem fraglichen Argument zusammenstimmen); nicht viel anders verhält es sich mit folgender Deu-

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Schwierigkeit, Prinzipien, die derart weit auseinander liegen, dass sie in offenem Widerstreit miteinander zu stehen scheinen, miteinander zu versöhnen, war schon den mittelalterlichen Interpreten der Konstitution digna vox vertraut.39 Das zeigt die Glosse des Accursius, die Mitte des 13. Jahrhunderts viele Jahrzehnte Lehrdiskussion zusammenfasst. Der Glossator, der erklärt, dass man den Akt, sich dem Gesetz zu unterwerfen, als freiwillig ansehen muss („digna est si dicat se velle“), hatte sich offen verlegen gezeigt, als er sich einem Vorschlag gegenüber sah, der offensichtlich falsch war, weil er der Maxime princeps legibus solutus offensichtlich widersprach („sed quomodo est digna vox, cum sit falsum?) und einen Interpreten dazu verführen konnte, irrigerweise davon auszugehen, dass es die Bestimmung den Fürsten erlaubte, zu lügen („alii dicunt quod hic permittitur mentiri [ . . . ] quod non placet“). Accursius zögerte schließlich nicht, vorzuschlagen, dass die Unterwerfung des imperium unter die Gesetze sich auf Motive der Ehre und der Konvention beziehen müsse, da das imperium vom Glück abhängig sei („Quasi dicat: maior est honor, et maior est convenientia, cum imperium sit de fortuna“).40 Cino da Pistoia ging Anfang des 14. Jahrhunderts zu der Glosse auf Distanz und vertrat die Auffassung vom Prinzip de honestate der Unterwerfung des Fürsten unter das Gesetz, weil die honestas nichts anderes sei als die Sakralität der rechtlichen Bindung.41 Außerdem bringt Cino gegen das Argument, dass die freiwillige Unterwerfung unter die Gesetze eine Verletzung jener maiestas darstelle, die der Fürst vielmehr zu mehren verpflichtet sei, das Gegenargument von einer höheren dignitas der Macht vor, die an die honestas gebunden sei („quia dignitatem suam ob hoc non minuit imo auget [ . . . ], unde honor est esse in tali ligamine“), und tung: „über Digesto, I, 3, 31 besteht traditionell eine große Meinungsverschiedenheit“. Zum Thema vgl. die wichtige Arbeit von D. Wyduckel, ,Princeps legibus solutus‘. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, Berlin 1979. 39 Vgl. D. Quaglioni, La souveraineté partagée au Moyen Âge, in: M. Gaille-Nikodimov (Hrsg.), Le gouvernement mixte. De l’idéal politique au monster constitutionnel en Europe, XIIIe-XVIIe, Saint-Étienne 2005, S. 15 – 24. 40 Vgl. Accursius, Gl. „digna vox“ und Gl. „principatum“, ad l. digna vox, C. de legibus et constitutionibus principum (C. 1, 14 [17], 4), in: Codicis D. Iustiniani ex repetita praelectione libri novem priores, Lugduni 1575, col. 117. Zu Accursius und der Glosse vgl. E. Cortese, Il diritto nella storia medievale, Bd. II: Il Basso Medioevo, Rom 1995, S. 179 – 185. 41 Cino da Pistoia, ad l. digna vox, C. de legibus et constitutionibus principum (C. 1, 14, 4), Nr. 2 – 3, in: Cino da Pistoia, In Codicem, et aliquot titulos primi Pandectorum Tomi, id est, Digesti veteris, doctissima Commentaria, Francofurti, Impensis Sigismundi Feyerabendt, 1578, foll. 25v-26r: „Verum est quod princeps est solutus legibus [ . . . ]: quia leges ab eo sunt a quo ipsarum pendet auctoritas [ . . . ] et ideo non possunt eum ligare, quatenus non possit contrafacere [ . . . ]; tamen ipse dicit se ligatum, non tamen est verum: ita dicit gloss. hic. Sed non bene intelligit, salva reverentia sua. Dico ergo, quod Imperator est solutus legibus de necessitate: tamen de honestate ipse vult ligari legibus, quia honor reputatur vinculum sacri iuris“. Zu Cino da Pistoia und seinem politischen Denken vgl. D. Maffei, La ,Lectura super Digesto Veteri‘ di Cino da Pistoia. Studio sui MSS Savigny 22 e Urb. Lat. 172, Mailand 1963.

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lehnt abermals die in der Glosse geäußerte Meinung42 ab und kommt schließlich auf die quaestio zurück, die bereits Guido da Suzarra Ende des 13. Jahrhunderts formuliert hatte und die die Frage behandelte, ob der Fürst und seine Nachfolger verpflichtet seien, sich nach den Verträgen zu richten, die sie mit ihren Untertanen beschworen haben. Die Antwort auf die Frage war positiv und das genau aufgrund der entstehenden Bindung des Naturrechts („naturalia iura suadent pacta servari [ . . . ]; quia honestas ligat etiam principem [ . . . ] et nihil magis debetur homini quam pacta servare“),43 und die Antwort fiel so aus, dass sie das Recht der Untertanen auf Widerstand gegen den Fürsten begründete, dessen Ungerechtigkeit notorisch ist: „iustitia resistendo, si ex parte domini sit iniusta et notoria violentia“; der Widerstand war berechtigt, wenn dieser die Verträge verletzt, die letztlich nichts anderes sind als sein eigenes Gesetz (denn „contractus principis est lex“).44 Eine Generation später wiederholte sein bester Schüler Bartolo da Sassoferrato diese Lehre und weitete das Prinzip der Unterordnung unter die aequitas auf jede Form der Macht aus: „Aequum, et dignun est principem legibus vivere, et quemlibet habentem Imperium [ . . . ]. Opp[onitur] quia in veritate Princeps est solutus legibus [ . . . ]. Sol[utio]. Fateor quod ipse est solutus legibus, tamen aequum, et dignum est quod legibus vivat [ . . . ], unde ipse submittit se legibus de voluntate, non de necessitate. Ita debes intelligere hanc legem. Quaero quid si Imperator facit pactum cum aliqua civitate, utrum teneatur illud pactum servare? Videtur quod non quia est solutus legibus [ . . . ]. Contrarium est veritas. Nam pacta sunt de iure gentium [ . . . ]. Jura gentium sunt immutabilia [ . . . ]. Ita tenent ibi do[ctores] et Cy[nus] hic refert“.45 Und Baldus wird sich am Ende des 14. Jahrhunderts nicht anders ausdrücken, wenn er in der Lehre vom öffentlichen Recht das theoretische Schema der begrenzten Souveränität fixiert. Auch er geht nämlich von der Bindung durch die honestas und vom Prinzip des stare pactis aus, aber versichert darüber hinaus, dass die Souveränität „geteilt“ ist, wobei er zwischen einer abstrakten Dimension der Macht (der potestas absoluta, der juristisch unkonditionierten Macht) und der konkreten Dimension ihrer Ausübung (der potestas ordinaria oder ordinata, die dem Gesetzen untergeordnet ist) unterscheidet.46 Auch Baldus 42 Cino da Pistoia, ad l. digna vox (FN 41), Nr. 4 – 6, fol. 26r: „Ulterius procedo, hic dicitur, quod maius est imperio, etc. Quæro quare sit maius? Dicit glo. quia imperium est a fortuna. Circa istud videtur quod etiam male dicat gloss. quia imperium est a Deo“. 43 Ebd., Nr. 7, fol. 26r. 44 Ebd. 45 Bartolo da Sassoferrato, ad l. digna vox, C. de legibus et constitutionibus principum (C. 1, 14, 4), nn.1 – 2, in: Bartolo da Sassoferrato, In Primam Codicis partem, Venetiis, Apud Iuntas, 1570, fol. 27v. Zum politischen Denken des Bartolo vgl. D. Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano. Il ,De tyranno‘ di Bartolo da Sassoferrato (1314 – 1357). Con l’edizione critica dei trattati ,De Guelphis et Gebellinis‘„De regimine civitatis‘ ,De tyranno‘, Florenz 1983. 46 Baldo degli Ubaldi, ad l. digna vox. C. de legibus et constitutionibus principum (C 1, 14, 4), in: Baldo degli Ubaldi, In Primum, Secundum, et Tertium Cod. Lib. Com. Venetiis, Apud Iuntas, 1599, fol. 64v: „Princeps debet vivere secundum leges, quia ex lege eiusdem

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kommt in Übereinstimmung mit Cino am Ende zu einem Schluss zugunsten der Achtung der Verträge zwischen Souverän und Untertanen, Verträge, die auch für die Nachfolger des Souveräns bindend sind.47 5. Das juristische Denken des Mittelalters bewahrt die Dialektik zwischen zwei verschiedenen Betrachtungsweisen der Souveränität und gibt sie an die Neuzeit weiter: Die Souveränität impliziert die solutio a legibus, das heißt die Unabhängigkeit von der zwingenden Kraft des Gesetzes, die vom princeps ausgeht, die aber gleichwohl von den ethisch-juristischen Prinzipien eingeengt wird, die im natürlichen und göttlichen Völkerrecht niedergelegt sind. Die Krise des ausgehenden 16. Jahrhunderts macht die Suche nach einer neuen Grundlage für die Ansprüche des Staates notwendig. Wenn in der République Bodins der gesetzgebende Fürst, der legibus solutus ist, in den Gesetzen Gottes und der Natur eine heilige und unverletzliche Beschränkung findet, müssen die Untertanen in jedem Fall seinen Befehlen Folge leisten. Bodin lehnt jede Vertragskonzeption der Macht ab, weil sie die Idee der konventionellen Natur des Gesetzes impliziert und folglich auch die Unterordnung des Souveräns unter sein eigenes Gesetz und unter seine eigenen Untertanen (eine „auf zwei verteilte Souveränität“ oder, wie man sie eben in den Vindiciae contra tyrannos vorliegen hat, eine „legitime Macht des Fürsten über das Volk und des Volks über den Fürsten“ gemäß der bilateralen Natur einer politischen Verpflichtung, die auf einem Vertrag beruht).48 Die République ist Beleg für das Bemühen, von der Lehrtradition Abstand zu nehmen, und das vor allem an den Stellen, wo Bodin von der Souveränität nicht als einem abstraktem Prinzip (der potestas absoluta) spricht, sondern von der konkreten Ausübung der Macht in ihren Beziehungen zu den Untertanen und zu den Richtern (die potestas ordinaria et ordinata). Deshalb hat das Thema der Grenzen der „absoluten“ Macht des gesetzgebenden Fürsten im Denken Bodins den Zug einer „mittelalterlichen Thematik, die bis zu ihren extremen Konsequenzen fortgeführt wird“.49 Nicht nur aufgrund des Hangs des humanistischen Juristen, die Digesten dem Kodex vorzuziehen, die ursprüngliche Formulierung der Macht des Reichs gegenüber der Maxime den Vorzug zu geben, die die Grundlage der Macht selbst zu einer moralischen Verpflichtung macht, betont Bodin in seiner Definition der Souveränität nachdrücklich jene potestas absoluta, die im Mittelalter von bestimmten Vorkehrungen flankiert war pendet authoritas [ . . . ]. Intellige, quod istud verbum, debet, intelligitur de debito honestatis, quæ summa debet esse in Principe, sed non intelligitur præcise, quia suprema et absoluta potestas Principis non est sub lege: unde lex ista habet respectum ad potestatem ordinariam, non ad potestatem absolutam“. Über das politische Denken des Baldus vgl. J. Canning, The Political Thought of Baldus de Ubaldis, Cambridge 1987. 47 Vgl. Baldo degli Ubaldi, ad l. digna vox, ebd., n. 4, fol. 64r: „Do[minus] Cy[nus] dicit, quod istud pactum est servandum, si Imperator facit pacem, vel capitulum cum subditis propter generale, et publicum bonum, quod ista non debent infringi per successorem, nisi ex parte subditorum intervenisset dolus, vel fraus“. 48 Vgl. Quaglioni, La souvranità (FN 7), S. 49 – 53. 49 Vgl. M. Isnardi Parente, Introduzione, in: J. Bodin, I sei libri dello Stato, I (FN 18), S. 43.

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und radikalisierte auf diese Weise die Themen, die das juristische Mittelalter immer als konfligierend erkannt, aber niemals als vollkommen unvereinbar miteinander angesehen hatte. Im neuen Entwurf jener Dialektik beschränkt sich die „methodische“ Entwicklung der althusischen Lehre nicht darauf, die Souveränitätsrechte von einem Subjekt auf ein anderes zu übertragen (vom Fürsten auf die consociatio), sondern gelangt dahin, die überkommene Lehre im Hinblick auf die Souveränität in Frage zu stellen. „Die Souveränität, die uns in der Politica entgegentritt, ist nämlich im Hinblick auf Bodin, für den mit der souveränen ,Macht‘ notwendigerweise ein bestimmtes souveränes ,Subjekt‘ korrespondiert, ein sehr viel weniger definierter und strenger Begriff. Mit Althusius zeigt der Diskurs über die Souveränität die Tendenz zu einer Art Entpersonalisierung der Macht. Vor allem die Souveränität des Althusius löst sich in einen abstrakten Rechtstitel auf, der dem Sozialkörper zugestanden wird, und in eine konkrete Ausübung der Macht, die faktisch dem Belieben des Fürsten anheimgestellt bleibt. Diese Lage ist seit Gierke oft in das Schema der doppelten majestas gefasst worden, die genau die Doppelkombination herausstellt, die von einer majestas realis gebildet wird, die den vollen Rechtstitel des Souveränitätsrechts darstellt, und von einer majestas personalis, die die ausübende Macht der souveränen Prärogativen ist. Außerdem wird das Thema von einer Reihe von Grenzen und Bremsen praktischer und religiös-konstitutioneller Art merklich kompliziert, die sowohl die auctoritas der consociatio wie auch die potestas des Fürsten umreißen und es dadurch wirklich schwer machen, die Definition der einen wie der anderen Form der Macht in Begriffen der ,Souveränität‘ zu fassen“.50 Auf der anderen Seite, wie bereits im Hinblick auf die Schwierigkeit bemerkt wurde, eine Konzeption der Souveränität, die nicht unwiderruflich „monolitisch“ ist und einem noch grundsätzlich mittelalterlichen Verständnis der Macht verpflichtet ist,51 in der Moderne eine bestimmte Stelle zuzuweisen, „hat das neuzeitliche Konzept der Souveränität im politischen Modell des Althusius bereits seinen Eingang gefunden [ . . . ], auch wenn es nicht so sehr in seiner spezifischen Bedeutung im Sinne einer ,Fülle der staatlichen Macht‘ begriffen wurde, sondern vielmehr als begriffliche Kategorie, die allgemein dazu dient, auszumachen, wer in der 50 Vgl. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione de I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20 (FN 1), S. 410 f., mit umfangreicher Bibliografie. 51 Die Schwierigkeit hat in jüngster Zeit dazu geführt, zu leugnen, dass die majestas des Althusius als eine Souveränität verstanden werden kann und selbst die Möglichkeit abzulehnen, Althusius als Autor in einem Moment der Heranbildung moderner Souveränität zu sehen. So Duso, La Maiestas populi chez Althusius et la souveraineté moderne, in: G. M. Cazzaniga / Y. Ch. Zarka (Hrsg.): Penser la souveraineté à l’époque moderne et contemporaine, Pisa-Paris 2001, I, S. 85 – 106, hier: S. 88. Vgl. E. Bonfatti / G. Duso / M. Scatola, Warum lesen wir noch Althusius? – Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 7 – 12 und ferner G. Duso, Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Johannes Althusius, ebd., S. 13 – 33.

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politisch-rechtlichen Ordnung die Suprematie der Macht besitzt“.52 Aber genau deswegen und weit davon entfernt, wie man es vielleicht gerne hätte, ein „mode de penser la politique qui est exactement celui qu’on entend réduire à néant avec la naissance de la souverainteté moderne“53 zu sein, muss die majestas des Althusius als eine moderne Verkörperung des Prinzips der Souveränität erkannt werden, mehr noch: genau als das konservative Prinzip einer pluralen Ordnung und der gegenseitigen Verpflichtung zwischen Regierenden und Regierten, von dem gewiss nicht gesagt werden kann, dass es der Moderne fremd ist.54

52 Vgl. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius (FN 1), S. 411, Anm. 5, mit Bezugnahme auf G. Duso, Althusius. Pensatore per una società postmoderna?, in: Filosofia politica 4 (1990), S. 163 – 175. 53 Vgl. G. Duso, La Maiestas populi chez Althusius et la souveraineté moderne (FN 51), S. 88. 54 Vgl. D. Quaglioni, La sovranità (FN 7), S. 120.

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Methodus (Methodice) 1. Das Wort ìÝèïäïò (méthodos), weiblichen Geschlechts (wie auch der von ihm abgeleitete lateinische Ausdruck methodus), findet durch Klassiker wie Platon und Aristoteles1 in den intellektuellen Wortschatz des Westens fest Eingang, aber auch und vor allem dank der Schriften von Fachleuten verschiedener Künste, die vor allem in der so genannten „Kaiserzeit“ gelebt haben, wie zum Beispiel der Arzt Galen (129-ca. 200 n. Chr.)2 und der Rhetor Hermogenes von Tarsos (ca. 161 – 240 n. Chr.)3. Die Wortbedeutung ist immer die gleiche: Methodus bezeichnet ein logisches Vorgehen, durch das man die selbst gesteckten Ziele bei einer wissenschaftlichen Recherche oder in den angewandten Künsten erreicht und / oder die größte Effektivität in der Lehrvermittlung der jeweiligen Wissensgebiete sicher stellt. Im lateinischen Sprachbereich wird das Konzept gewöhnlich mit Worten wie via, modus, ordo zum Ausdruck gebracht, die vor allem in den berühmten Abhandlungen von Cicero und Quintilian zur Darstellung der Ziele, Mittel und Regeln der Rhetorik Verwendung finden und von ihnen in das mittelalterlich-scholastische und proto-humanistische Vokabular weitergegeben wurden wie auch in das der Juristen, die, wie man sagen kann, ohne Unterbrechung in der Kontinuität von der klassischen Zeit an das Ziel verfolgen, der Darlegung des eigenen Studiengegenstandes eine rationale Systematik zu verleihen und sich dabei vor allem von der Lehre des Aristoteles leiten lassen.4 In den letzten 50 Jahren hat es zahlreiche 1 Nach N. W. Gilbert, The Renaissance Concepts of Method, New York 1960, S. 40 erscheint der Terminus ìÝèïäïò in seiner technisch-philosophischen Bedeutung zum ersten Mal in einem geglückten Passus von Platons Phaidros (265d – 277c), der bereits im Kern alle Konnotationen umfasst, die das Wort in der Folge im griechischen Denken annehmen wird. Aristoteles wird von Platon beeinflusst und greift den Ausdruck und das mit ihm verbundene Konzept in seinen logischen Schriften wieder auf, vor allem in den Topiken und in den Büchern der Analytica posteriora. Vgl. dazu ebd., S. 6 f. 2 Zur wissenschaftlichen Methodologie Galens und zu ihrem Erfolg vgl. Gilbert (FN 1), S. 13 – 24. 3 Vgl. W. J. Ong, Ramus, Method and the Decay of Dialogue. From the Art of Discourse to the Art of Reason, Cambridge / Mass. 1958, S. 231. 4 Vgl. C. Vasoli, La dialettica e la retorica dell’Umanesimo. „Invenzione“ e „Metodo“ nella cultura del XV e XVI secolo. Mailand (Feltrinelli) 1968, S. 32 – 36, 249 – 250. Über die Entwicklung der Ziele und konkreten Versuche der Verwirklichung einer logisch-systematischen Behandlung des juristischen Stoffes von Cicero bis ins 16. Jahrhundert vgl. vor allem V. Piano Mortari, Diritto, logica, metodo nel secolo XVI. Neapel 1978, besonders Kapitel IV

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grundlegende Studien gegeben, die sich mit dem Entwicklungsverlauf befasst haben, der während der Zeit des Humanismus und der Renaissance zu einer immer engeren Verflechtung zwischen zwei Erscheinungen geführt hat: zum einen dem Bemühen der innovativen Lehrmeister, die antiken Regeln der Dialektik wieder herzustellen und sie an die ihnen bewusste Notwendigkeit anzupassen, ein Wissen zu befördern, das in den verschiedenen Bereichen des bürgerlichen Lebens konkret anwendbar ist, und zum andern dem nie geminderten und von der politischen und sozialen Großwetterlage mehr denn je geweckten Interesse für die artes sermocinales wie auch für das (ein bisschen in allen Lehrtraditionen) Auftauchen der Zentralität des Methodenproblems (unabhängig vom Wort, das für dieses Konzept gebraucht wird)5. Zu ihnen zählen die aufgrund ihrer breiten und souveränen Anlage, ihres gedanklichen Reichtums und ihrer Originalität meisterhaften Arbeiten von Vasoli, die einen unumgänglichen Bezugspunkt für das Verständnis des status quaestionis in der Zeit und an den Ausbildungsorten des Althusius und jener der Ausarbeitung seiner Schriften darstellen. Hier verdient auch der weit jüngere Band von Guido Oldrini besondere Erwähnung, der die scharfsinnigen Bemerkungen von Friedrich6 bestätigt und äußerst prägnant auf die Fruchtbarkeit der für Althusius (aber auch für Bodin) eigentümlichen Anwendung der Idee der Methode eingeht, die im Laufe der heftigen europaweiten Diskussion herangereift ist, die sich während eines Gutteils der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt. Was das rein Lexikalische anbelangt, ist entsprechend der erwähnten Studien daran zu erinnern, dass das lateinische Wort methodus und seine Derivate recht spät bei den humanistischen Lehrern und Gelehrten Verbreitung finden, die jedoch bereits im 15. Jahrhundert „anhand der großen Lehre, die sie durch die klassische Rhetorik erhalten“ in den dieser Kunst eigenen Begriffen und Mitteln wie auch in deren Anwendung zum Zwecke der Verbesserung und Erneuerung der Dialektik mit dem Titel „Dialettica e giurisprudenza. Studio sui trattati di dialettica legale del sec. XVI“, S. 115 – 264. 5 Vgl. Ong, Ramus (FN 3); Gilbert, The Renaissance (FN 1); Vasoli, La dialettica (FN 4); ders., Per una ricognizione delle fonti della storia della scienza in Italia. Scritti di logica e metodologia e letteratura magico-astrologica nei secoli XIV-XVI, in: ders., Profezia e ragione. Studi sulla cultura del Cinquecento e del Seicento. Napoli 1974, S. 405 – 445; ders., La retorica e la dialettica umanistiche e le origini delle concezioni moderne del „metodo“, ebd., S. 507 – 593; ders., Jean Bodin, il problema cinquecentesco della „Methodus“ e la sua applicazione alla conoscenza storica, ebd., S. 595 – 647; V. Piano Mortari, Diritto (FN 4); C. Vasoli, Il metodo nella „République“, in: La „République“ di Jean Bodin. Atti del Convegno di Perugia, 14 – 15 novembre 1980. „Il pensiero politico XIV (1981), S. 3 – 17; M.-D. Couzinet, Histoire et méthode à la Renaissance. Une lecture de la Methodus de Jean Bodin. Paris 1996; G. Oldrini, La disputa del metodo nel Rinascimento. Indagini su Ramo e sul ramismo, Florenz 1997. 6 C. J. Friedrich (Hrsg.), Politica methodice digesta of Johannes Althusius (Althaus). Reprinted from the Third Edition of 1614. Augmented by the Preface to the First Edition of 1603 and by 21 hitherto unpublished Letters of the Author, Cambridge / Mass. 1932, S. XIII – LXIII; ders., Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, S. 58 – 62.

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und ihrer Lehrvermittlung, die ihrerseits der Effektivität und der Überzeugungskraft des Diskurses in den unterschiedlichsten Wissensgebieten zweckdienlich ist, den „Weg“ und die „Methode“ finden, um eine immer größere und vielfältiger werdende Menge an Kenntnissen und Wissensbeständen zu beherrschen und den vor allem praktischen Erfordernissen einer zunehmenden Zahl intellektueller Kreise zugänglich zu machen, die sich aktiv am Sozialleben beteiligen7. Der Terminus methodus, den es im klassischen Latein nicht gibt und der besonders bei Cicero nicht nachgewiesen werden kann, den Scholastikern im Mittelalter jedoch nicht unbekannt ist8, findet Dank der Wiederentdeckung der Schriften des Hermogenes in der Rhetorik wieder Verwendung und erlebt eine einzigartige Beachtung, wobei Hermogenes besonders als Autor des Traktats Ðåρß ìÝèïäïò äåéíüôçôò (Über die Methode der Redekunst) im Sinne von „Technik für einen sicheren Erfolg in der Redekunst“ figuriert9; auch wenn er die erfolgreichen Rhetoricorum libri des Georg von Trapezunt (1434) zu großen Teilen beeinflusst hat, wird in diesen das Wort nicht ausdrücklich aufgegriffen, erscheint aber in der Rhetorica von Guillaume Fichet, die 1471 in Paris veröffentlicht wurde10. Neben dem neu aufgekommenen Interesse für die Texte von Aristoteles und Platon zu Wissenschaft und Methode im Rahmen der Studien zur Dialektik11, tragen einige neue Übersetzungen des èåρáðåõôικÞ ìÝèïäïò und der ôÝ÷íç ßáôρικÞ . von Galen als Methodus medendi und Ars parva, die am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Vokabel Methodus besonders dazu verwenden, um die drei „Wege“ der Lehre der Medizin auszuweisen, die in letzterem Traktat vorgeschlagen werden, zur Verbreitung und zum Erfolg des lateinischen Äquivalents methodus als Synonym der traditionellen ciceronianischen Begriffe via, modus, ordo, dispositio bei, die bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts vorherrschend sind12. Wie Cesare Vasoli hervorgehoben hat, wird die Übertragung der methodologischen Lehre des Galen von der Medizin in den Bereich der Logik der Wissenschaften von seinen humanistischen Exegeten Niccolò Leoniceno und Giovanni Mainardi bewerkstelligt, deren Traktate einmal 1532 und im letzteren Fall 1529 eine Neuauflage in Basel erfuhren13, was in Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 509 – 515. Das Wort wurde von Boëthius, der es in seiner Übersetzung der Topiken des Aristoteles als erster latinisiert hat, in das Hochmittelalter überliefert; danach wird es ohne allzu großen Erfolg in einigen mittelalterlichen Übersetzungen der Werke von Aristoteles verwendet, vor allem in jenen des Wilhelm von Moerbecke. Es findet vor allem in der Bedeutung von ratio compendiaria oder via brevis Verbreitung, die ihm Johannes von Salisbury verliehen wurde, und die dann in den Summulae des Petrus Hispanus wieder aufgenommen wird. Vgl. Gilbert, The Renaissance (FN 5), S. 48 – 60. 9 Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 34. 10 Ebd. 11 Dafür bezeichnende Abschnitte sind außer im Phaidros und im Philebos von Platon in den Anlytica priora, in der Physik und in der Ethik des Aristoteles enthalten; vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 249. 12 Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 548. 7 8

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Hinblick auf eine mögliche Kenntnis der Werke von Seiten des Althusius besonders hervorzuheben wichtig sein dürfte. Das Wort methodus, das genauso wie seine Synonyme immer mehr als Bezeichnung für ein einfaches, schnelles und essentielles Vorgehen beim Aufnehmen und in der Lehre von Künsten und spezifischen Disziplinen verstanden wird, beginnt Anfang der 1520er Jahre immer häufiger im Titel von Handbüchern und Traktaten zu ihnen vorzukommen; bereits 1519 spricht zum Beispiel Erasmus in seinem Werk Ratio vel compendium verae theologiae von einer via et methodus der Theologie14. In seinen erfolgreichen Annotationes in Pandectas, die zwischen 1509 und 1535 erschienen, hatte übrigens bereits Guillaume Budé eine kurze aber gelehrte Darstellung von den Bedeutungen, Synonymen und historischen Anwendungsweisen von methodus gegeben, die er aus Cicero, Quintilian und Galen bezog; es ist eine Veranschaulichung, die dazu beigetragen hat, die korrekte Anwendung des Begriffs zu erleichtern – sei es in Sinne von ratio docendi, ratio loquendi oder ratio anderer Künste wie der Medizin, sei es im Sinne von brevis via oder breve compendium15. Auf inhaltlicher Ebene markiert um die 1480er Jahre das Werk De inventione dialectica des Rudolf Agricola eine bezeichnende Veränderung zu einem neuen Zugang zum Problem der Methode. Die Methode tendiert zu der Zeit dahin, die Anstrengungen und die Techniken der Dialektiker und der Rhetoren zu verbinden. Agricola insistiert vor allem auf der Bedeutung der Methode zum Zwecke der „Auffindung“ der Argumente und auf der rechten Bestimmung des Systems ihrer „Orte“. Man muss allerdings die Aufnahme dieser Lehre, die bereits seit den 1520er Jahren in Europa große Verbreitung findet, durch Philipp Melanchthon abwarten, bis sich das Wort methodus, das in erster Linie als Ausdruck für das Ordnungsprinzip des Wissens und als Instrument zur Rückgewinnung der christlichen Kultur verstanden wird, durchsetzt und bei den europäischen Gelehrten – und vor allem im Deutschen Reich – Popularität erlangt16. Für den Melanchthon der Dialecticae Libri, deren erste Ausgabe ins Jahr 1527 datiert, ist es eben die Dialektik, die die ars et via docendi ausbildet, da sie in definiendo, dividendo et argumentando besteht17. Aber erst in einer Ausgabe, die fünfzehn Jahre später erscheint (1537), wird das Wort methodus zum ersten Mal verwendet18. Vasoli bemerkt dazu, dass „in jeder Hinsicht Melanchthon das Verdienst zukommt, mehr als jeder andere

Vgl. Vasoli, Per la „ricognizione“ delle fonti (FN 5), S. 432 f. Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 549. 15 Vgl. Gilbert, The Renaissance (FN 1), S. 64. Der Abschnitt, von dem Gilbert in der Fußnote einige Auszüge zitiert, und der die Bedeutungsentsprechung zwischen dem von Quintilian und Galen verwendeten Wort methodon und den ciceronianischen Termini via, ars, ratio unterstreicht, ist der Pariser Ausgabe von 1535 entnommen. 16 Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 536 – 544. 17 Ebd., S. 544. 18 Ebd., S. 548. 13 14

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dazu beigetragen zu haben, dass in die Sprache der humanistischen DialektikHandbücher ein Wort eingeführt wurde, dem in der Geschichte der Philosophie und der modernen Wissenschaft ein derart einzigartiger Erfolg beschieden war“19. In den Erotemata dialectices (1547) widmet der große deutsche Humanist dem methodus eine ganze Sektion des ersten Buchs. Um eine der Traditionen besser würdigen zu können, die – wenn auch mittelbar – sicher in der Konzeption von Althusius zusammenfließen, ist es angebracht, einem diesbezüglich erhellenden Abschnitt aus der wertvollen Rekonstruktion Vasolis Aufmerksamkeit zu schenken: „Es ist allerdings schon sehr bezeichnend, dass Melanchthon dieses Thema in enger Verbindung mit der Theorie der „inventio“ angeht und zudem in einer Perspektive, die die Nähe des Ursprungs seiner Lehre zur Rhetorik verrät: „Veteres Methodum vocant rationem recte atque ordinem docendi, iuxta praecepta dialectices, ac saepe monent ut in omnibus negotiis, controversiis, artibus demus operam, ut Methodum teneamus, quia necesse sit animum vagari incertum nisi hac ratione regatur. Ac in uno quoque genere semper felicius docent hi qui callent Methodum, quam qui non callent, quantumvis abundent ingeniis“. – Diese Worte genügen, um zu verstehen, was Melanchthon unter Methode versteht: 1) sie ist ein allgemeines Kriterium, das dazu dient, dass man in jeder Art von Unterricht exakt und geordnet vorgeht; 2) sie ist ein Prinzip, dem man stets bei der Ausübung aller Künste und Disziplinen folgen muss; 3) ihr Fehlen beeinträchtigt auf jeden Fall die Möglichkeit eines erfolgreichen Unterrichtens und Lernens; 4) die Ausarbeitung der „Methode“ steht in enger Verbindung mit dem System der Topoi und der Anlage einer allgemeinen „Topik“20. Auch wenn Agricola das Wort methodus nicht verwendet hat, wird sein Werk doch von Melanchthon gerade unter methodologischem Gesichtspunkt als beispielhaft gelobt und stellt geradezu den Hauptgegenstand der Lehrveranstaltungen dar, die Johannes Sturm als ein anderer berühmter Intellektueller aus Deutschland von 1529 bis 1536 in Paris am Collège Royal abgehalten hat. Sturm hatte als Professor der Redekunst, der seine Ausbildung am Collegium trilingue von Louvain im Umkreis der liberalen Strömungen der Reformation erfahren hat, während seines Pariser Aufenthalts unter seinen Studenten den jungen Petrus Ramus. Außerdem nimmt man an, dass er bedeutenden Einfluss auf das Reifen der methodologischen Konzeption Melanchthons hatte21. Als Autor eines wichtigen Logikhandbuchs, der Partitiones dialecticae, deren vier Bücher von 1539 bis 1560 erscheinen, bringt Sturm in seiner Schrift In partitiones oratorias Ciceronis dialogi quatuor (1539) eine Definition des methodus, der in den von den ramistischen Lehren beeinflussten Kreisen großer Erfolg beschieden war: „Est enim ars propositionum et comprehensionum perpetuarum, et ad exitum artis utilem spectantium copiosa perceptio. 19 20 21

Ebd., S. 550. Ebd., S. 550 f. Zum Beitrag Sturms vgl. ebd., S. 555 – 566.

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Sed in hac copia et in artibus instituendis viam certam, brevem, rectam et quasi compendiariam ingredi oportet, quae simplex sit et aperta et directa; hanc Greci methodum vocant, quae ad docendum tradendumque adhibeatur“22. Mit Rückbezug auf die Lehre von Galen, die er mit der des Hermogenes vermischt, macht er eine dreifache ratio aus, die in der systasis (oder für Galen: sy´ntesis) als einem Fortschreiten vom Einfachsten zum Komplexesten, in der análysis als Vorgehen vom Komplexen zum Einfachen, und in der diaíresis erkennt, die die Definitionen in ihre Bestandteile zerlegt und diese voneinander trennt. Diese Unterscheidung wird von Sturm im dritten Buch seiner Partitiones dialecticae (Straßburg 1543) aufgegriffen. Das Werk hatte großen Erfolg und genoss eine beachtliche Verbreitung in den deutschen und französischen Humanistenkreisen. Mit Petrus Ramus, der in der 1546er Ausgabe seiner Dialectiae inistitutiones, die 1543 erstmals in Paris herauskamen, eine erste Abhandlung über das Thema des methodus einfügt, die zweifellos von der Lehre Sturms beeinflusst ist, und die er später in seinen nachfolgenden Schriften zu einer originellen und organischen Lehre weiterentwickelt, die auf wissenschaftlich-praktischer Grundlage zu einem Neuaufbau des gesamten Wissenssystems und zur Bestimmung einer allgemeinen Theorie des Unterrichts in den verschiedenen Künsten bestimmt ist, – mit diesem Petrus Ramus erreicht die Ausarbeitung der inzwischen vollkommen ausgereiften Reflexion über die Methode, mit manchen melanchthonischen Einsprengseln, eine neue Phase der Recherchen und Debatten, die sich über eine große Zeitspanne der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erstreckte. Auf diese Weise nehmen die Häufigkeit des Wortes und des Konzeptes des methodus in fachlicher Pluralität um ein Vielfaches zu. Zwischen 1546 und 1556 bringt Ramus seinen berühmten und einflussreichen methodus-Begriff auf den Punkt, dessen Fruchtbarkeit besonders in den Werken von Bodin und Althusius bestens hervortritt, die eindeutig von ihm beeinflusst sind23. In polemischen Wendungen gegen die Gefolgsleute der galenianischen Lehre von den „drei Wegen“, proklamiert er die Einzigkeit des methodus, die faktisch mit dem „analytischen“ Weg in eins fällt (wenn er auch einen methodus „der Lehre“ und einen methodus „der Klugheit“ unterscheidet, die in speziellen Umständen des praktischen Lebens anzuwenden sind), und definiert ihn als „multorum et bonorum argumentorum dispositio“ oder als „dispositio rerum variarum ab universis et generalibus principiis ad subiectas et singulares partes deductarum“. Er ist in der Lehrtätigkeit in den verschiedenen Künsten einsetzbar, deren Lehrende die einzelnen Stoffe nach dem Gesichtspunkt ihrer größeren oder geringeren Allgemeinheit und Verständlichkeit anordnen müssten24. Folglich wird die vorrangig pädagogische Ausrichtung des methodus betont. Seine Definition erweist sich in der Dialectique, die 1555 in Paris veröffentlicht wurde, weit ambitionierter: Hier 22 23 24

Ebd., S. 562. Dazu vgl. Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 204 – 210. Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 575 f.

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erscheint der methodus als eine allgemeine Theorie der perfekten Wissensordnung (dispositio) und als ein Dreh- und Angelpunkt der Dialektik. Diese Ordnung, die von den eindeutigsten und allgemeinsten Begriffen ausgeht und immer mehr zu den weniger ersichtlichen bis zu den Einzelbeispielen der verschiedenen Stoffe hinabschreitet, in denen sich die Vermittlung der Kenntnisse ausdrückt, empfiehlt sich abermals für eine Anwendung innerhalb der einzelnen Wissenschaften und Künste25. Ramus liefert zwischen 1556 und 1562 auch Anwendungsbeispiele für die so umrissene Methoden für eine ganze Reihe von speziellen Fächern, in einer Zeit also, als er in heftigen fachlichen Polemiken mit der Verteidigung seiner eigenständigen Konzeption befasst ist. Die Polemiken bringen ihn 1566 dazu, die „drei allgemeinen Gesetze“ der Methode zu formulieren, denen man Aufmerksamkeit schenken muss, um dem System der Wissensbestände und jedem einzelnen von ihnen den Status der Wissenschaftlichkeit zu verleihen: Die lex veritatis (oder de omni), die die universelle Gültigkeit der Aussagen gebietet; die lex justitiae (oder die der Homogenität), die die fachliche Homogenität der verschiedenen Begriffe der Aussage verlangt, wobei sie die Frage nach der strengen Definition der Grenzen und der Gegenstände der verschiedenen „Künste“ stellt; die lex sapientiae (oder lex necessariae proprietatis, auch als der Wechselseitigkeit bezeichnet), die die wechselseitige Umwandelbarkeit der Begriffe ihrer Aussagen betrifft26. Es zeichnet sich so ein Modell der Methode ab, das von Ramus in seinen letzten Schriften (1571 – 1572) weiter vertieft wird und seine befriedigendste Ausführung in den logischen Techniken der Geometrie erfährt, auch wenn für Ramus die Ausgangs-„Axiome“ allgemeine Begriffe bleiben, deren Wert auf der Erfahrung und auf der Verifizierung durch den Diskurs beruht27. Es genügt, nur an die logische Struktur der République von Jean Bodin zu erinnern, um festzustellen, wie im Übrigen von verschiedenen Forschern ausführlich dargelegt worden ist, aus denen noch einmal Vasoli herausgegriffen sei28. wie sehr diese Schrift mehr noch als der Methodus, in der verschiedene Einflüsse – und vor allem die der rhetorischen Tradition Ciceros – nachgewiesen werden können, diesem Schema und diesen Regeln verdankt und dennoch in der Anwendung nicht wenige Schwierigkeiten sichtbar macht, dieses Schema durchzuführen. Im Hinblick auf die Neuheit des Beitrags von Ramus und hinsichtlich seiner europäischen Wirkung hat Oldrini den Akzent auf die Korrespondenz zwischen Ebd., S. 579 – 581. Vgl. ebd., S. 492 – 495, 555 – 557; Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 86 – 91. 27 Vgl. Vasoli, La dialettica (FN 4), S. 589 – 591. 28 Vgl. besonders Vasoli, Jean Bodin e il problema cinquecentesco della „methodus“ (FN 5); ders, Il metodo ne „La République“ (FN 5). Zum Ramismus Bodins vgl. jedoch auch M.-D. Couzinet, Histoire et méthode (FN 5), S. 52 – 58 (mit Bezug vor allem auf die Methodus ad facilem historiarum cognitionem) und Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 204 – 207. 25 26

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dieser entscheidenden, wenn auch nicht abschließenden Wendung zu einer Laisierung und zur Erhebung der praktischen Fächer in den Rang von autonomen Wissenschaften (mit besonderem Bezug auf Recht, Ethik, Geschichte und Politik) und den „typischen“ Ansprüchen „einer sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft“ legen wollen, die vor allem von den aufsteigenden sozialen Schichten wie denen der französischen officiers und den englischen yeomen geltend gemacht wurden. 2. Es sind aber vor allem die Universitätsprofessoren, die im 16. und 17 Jahrhundert die neuen Modelle des methodus diskutieren und anwenden. Und Althusius hat sicher genau zur Zeit seiner universitären Ausbildung die ramistische Lehre aufgenommen, und zwar über Lehrer, Texte und durch die noch überaus lebendige Lehrtraditionen vor allem in Basel, der „geistigen Hauptstadt des reformierten Europas“29, wo er bekanntlich 1586 in utroque iure promoviert wurde. Hier hatte der Freiburger Jurist Johannes Thomas Freigius Ramus 1568 persönlich kennen gelernt, dessen Lehren er schon vorher enthusiastisch aufgenommen hatte; um die Jugend auf den rectissimum studiorum iter et expeditissimum zu bringen, hatte Freigius vom Ende der 1560er Jahre bis Anfang der 1580er Jahre eine Reihe von Schriften veröffentlicht, die die Anwendung der ramistischen Logik auf das Gebiet der Rechte vorsahen. Freigius bestand besonders auf dem methodologischen Wert der dispositio dicotomica und hatte sich auf die Ausarbeitung von „Tafeln, Schemata und Kompendien“ spezialisiert, „die methodisch auf die Lehre hin abgefasst waren“30: eine grundlegende Ergänzung der wissenschaftlichen Abhandlung und des didaktischen Instrumentariums, der wir in allen Hauptwerken von Althusius wieder begegnen und besonders in den verschiedenen Ausgaben der Politica, und die dazu dienen, das Ergebnis der ungeheuren Arbeit des Neuordnens und Neusystematisierens des Verfassers zusammenzufassen und unmittelbar anschaulich zu machen, aber auch, nützliche Koordinaten für die Recherche und die logische Anordnung der einzelnen Argumente bereitzustellen. Auch andere Professoren, die entschieden von Ramus beeinflusst oder für seine Vorschläge eingenommen waren, lehrten und publizierten ihre Handbücher in Basel, aber auch Anhänger der jüngeren deutschen Tradition in der Dialektik, wie Theodor Zwinger31 und Johannes Bilstenius, Autor eines Syntagma PhilippoRameum artium liberalium, methodo brevi ac perspicua concinnatum (1588, Neu29 Die treffende Formulierung, die es wichtig wiederzugeben ist, um das entscheidende Klima ins Gedächtnis zu rufen, das der Ausbildung und dem wissenschaftlich-didaktischen Vorhaben des Althusius Orientierung bot, bei Vasoli, Dialettica e retorica (FN 4), S. 570. Auch Ramus hat in seiner letzten anstrengenden Lebensphase, nachdem er 1568 in Basel den vielleicht fruchtbarsten und angenehmsten Studienaufenthalt (der aber auch der Aufenthalt eines Verbannten war) in der Schweiz und im Deutschen Reich verlebt hat, ein Lob dieser Stadt verfasst. Vgl. ebd., S. 581. 30 Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 197 – 199. 31 Vgl. Friedrich, Johannes Althusius (FN 6), S. 28; Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), s. 129, 208 f.

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ausgabe 1956), ganz zu schweigen von seiner Dialectica: in qua Petri Rami et Philippi Melanchtonis praecepta logica coniunguntur, die 1594 in Hannover veröffentlicht wurde; in Siegen erscheinen genau in den Jahren, in denen Althusius dort unterrichtet und das Amt des Rektors ausübt, die Ramea dialectica und die Ramea rhetorica von Johann Heinrich Bisterfeld32. All dies macht leichter verständlich, in welchem intellektuellen Klima, mit welchem Bildungsgut und mit welchen in diesem Umfeld geradezu schon obligatorischen Intentionen Althusius seine erste Schrift, die Iuris Romani libri duo: ad Leges Methodi Rameae conformati et tabulis illustrati, geschrieben hat, die ihm – 1586 in Basel veröffentlicht –, unverzüglich eine glänzende universitäre Laufbahn im Bereich der juristischen Studien eröffneten und in den folgenden Jahren mehrfach nachgedruckt wurden33. Es ist zu bemerken, dass Althusius weder damals noch später jemals eine Diskussion der Methode in Angriff nimmt. Er wendet einfach diejenigen Methoden an, die ihm als Ergebnisse einer inzwischen langen und kontrovers verlaufenen Suche im 16. Jahrhundert erscheinen mussten und sich ihm als Orientierungsmuster darstellten, die sowohl in der deutschen akademischen Publizistik der vorangehenden Generation, als auch in der seiner Zeitgenossen ausgiebig erprobt worden waren, und widmet sich ihrer genauso anspruchsvollen wie notwendigen Anwendung in fachlichen Bereichen, die seinem Habitus und der in ihm bereits verwurzelten Erwartungen entsprechend seine Aufmerksamkeit mit Blick in erster Linie auf die Didaktik immer mehr gefangen nehmen: Allen voran das Römische Recht, aber auch, wie die Dicaeologicae libri tres (1617) zeigen, mit deren Abfassung er gut 30 Jahre befasst ist, die gesamte Rechtswissenschaft und dann die Ethik und die Politik. Eben deshalb erscheint, wie wir hier für die Politica feststellen werden, das Wort methodus fast gar nicht in seinen Schriften, mit denen allerdings sich sein Methodenkonzept in gewisser Weise identifiziert, denn er zielt darauf ab, dass sie Bereich für Bereich ein immer strengeres und innovativeres Anwendungsmodell darstellen; in der Tat finden wir in den Titeln und in den Vorworten seiner Hauptschriften den Hinweis darauf, welche absolut zentrale Stellung und welchen konstituierenden Wert das Konzept der Methode und des methodischen Vorgehens in den wissenschaftlichen Arbeiten des Althusius annehmen; sie wollen von den Lesern als methodice digesti und complectentes verstanden und erinnert werden und werden es auch.34 Vgl. Odrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 91, Anm. 14. Vgl. Anm. 35, 36 und 38. Für die folgenden Ausgaben vgl, die bibliografischen Angaben von D. Wyduckel in: J. Althusius, Politik. Übersetzt v. H. Janssen. In Auswahl herausgegeben, überarbeitet und eingeleitet von D. Wyduckel. Berlin 2003, S. LXIX. 34 Der Ausdruck methodice digesta erscheint außer im Titel der dritten Ausgabe der Jurisprudentia romana (Herborn 1592) in den Titeln aller Ausgaben der Politica und auch in den Civilis conversationis libri duo methodice digesti et exemplis sacris et profanis passim illustrati. Editi a Philippo Althusio. Hanoviae (apud Guilielmum Antonium) 1601, während das monumentale Werk über das Recht, das erste Mal in Herborn 1617 veröffentlicht wurde, folgenden Titel trägt: Dicaeologicae Libri Tres. Totum et universum Jus, quo utimur, methodice complectentes. Cum parallelis huius et Judaici Juris, tabulisque insertis, atque Indice triplici; 32 33

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Wenn der Bezug auf die ramistische Methode im Titel der ersten Ausgabe des romanistischen Handbuchs unseres Autors ersichtlich wird, das deutlich auf die universitäre Lehre ausrichtet ist, dann bringt seine Praefatio ausdrücklich die Absicht zum Ausdruck, eine systematische Abhandlung des Stoffes anhand ihrer Regeln vorzunehmen: „Unum est, quod suscepturis hoc onus mea quidam sententia praeclaram, dicam maximam, praestat operam: Logicam, Logicam puto, vere illam Socraticam et Ramaeam, ad cujus normam tanquam ad Lesbiam regulam et Cynosuram jus erit conformandum“35. Der Verweis auf Ramus bleibt mit leichten Abwandlungen in den Titeln der beiden folgenden erweiterten und überarbeiteten Ausgaben von 1588 und 1589 erhalten36, wohingegen er aus dem Titel der nächsten Ausgabe von 1592 entfernt ist, in dem sich schon die Titel des künftigen opus maius des Althusius im Bereich der juristischen Logik37 wie auch der Werke der folgenden Jahre ankündigen. Für die hohe didaktisch-wissenschaftliche Auffassung des Autors erscheint im Übrigen die Formulierung methodice digesti / digesta bezeichnend, die sich in allen folgenden Traktaten und besonders in allen Ausgaben der Politica wiederfindet38. Vor allem die in den beiden Ausgaben von 1589 und 1596 identische Praefatio macht zusammen mit dem umfangreichen Zitat eines berühmten Passus aus Ciceros De oratore (I, 42), der die Hoffnung auf eine perfecta ars iuris civilis zum Ausdruck bringt, die auf klaren und korrekten Definitionen, Unterscheidungen und Unterteilungen des gesamten Stoffes gründet, und zusammen mit den Glückwunschversen eines gewissen Valentinus Thilo, die die strahlende Führung von Ramus preist, den Voruno, auctorum; altero, capitum singulorum; tertio, rerum et verborum locupletissimo et accuratissimo. Opus tam theoriae quam praxeos aliarumque Facultatum studiosis utilissimum. Herbornae Nassaviorum (apud Christophorum Corvinum) 1617. Ein Nachdruck des Werks erscheint bei demselben Drucker 1618, während eine zweite, überarbeitete und erweiterte Ausgabe 1649 postum in Frankfurt bei den Erben des Christopher Corvinus erscheint. 35 J. Althusius, Iuris Romani libri duo: ad Leges Methodi Rameae conformati et tabula illustrati. Basileae (ad Lecythum Waldkirchianum) 1586, fol. 4. Da ich diese Ausgabe nicht einsehen konnte, beziehe ich mich auf das Zitat von Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 207. 36 Vgl. J. Althusius, Iurisprudentia romana, vel potius Juris Romani ars, duobus libris comprehensa, et ad leges methodi Rameae conformata. Editio altera, aucta et correcta. Herbornae, Ex officina Christophori Corvini, 1588; ders., Iurisprudentiae Romanae libri duo, ad leges methodi Rameae conformati et tabulis illustrati. Editio altera, aucta et correcta. Accessit Cynosura Reidiniana Juris Civilis: qua tum prima totius Juris Principis, Titulorum propria; generaliora, notabiliora, necessariora: tum frequentiora rariora, obsoletiora, perpetuis numeris monstrabitur. Basileae, Per Conrad Valdkrich, 1589. 37 Im Anschluss an das Urteil Gierkes definiert Piano Mortari die Dicaeologicae libri tres als „das am strengsten nach den ramistischen Prinzipien ausgearbeitete Werk, das zudem anhand der grundlegenden Konzeptionen bis in die kleinsten Details mit unerschütterlicher Folgerichtigkeit, man könnte schon beinahe sagen: mit Fanatismus, durchgeführt worden ist“; Piano Mortari, Diritto, logica, metodo (FN 4), S. 248 f. 38 J. Althusius, Iurisprudentiae romanae methodice digesta libri duo. Editio altera et correcta et epitome ac brevi anacephalaeosi dicaeologicae aucta. Herbornae, Ex officina Christophori Corvini, 1592.

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satz deutlich, das Ziel Ciceros weiter zu verfolgen, das nicht nur nicht realisiert wurde, sondern von dem sich die Jurisprudenz vielmehr seit der Zeit Justinians entfernt und immer ordnungsloser und verwirrter geworden war und vollkommen ohne ordo und methodus dastand – eine Situation, die sich im Laufe der Jahrhunderte sicher nicht verbessert hatte. Althusius , dem anscheinend die vielfältigen entsprechenden Versuche von Zeitgenossen und Vorgängern unbekannt waren, stellte die Forderung auf, dass man an eine radikale und rationale Neuordnung des Stoffes herangehen solle, um auf diese Weise Stufe für Stufe nach der typischen ramistischen funktionalen Hierarchie in einer Folge fortschreitender und aneinanderhängender Klärungen vom Allgemeinen zum Einzelnen herabschreiten zu können: „ut scilicet ea tantum primum locum vindicent, quae notiora sequentibus lucem inferunt, medium obtineant, quae de superioribus lumen acceptum rursum inferioribus communicant, et omnia omnino Iurisprudentiae praecepta sint necessario vera, propria et catholica“39. Der Bezug auf die drei Gesetze von Ramus ist hier offensichtlich. Auch an die politische Bedeutung eines derartigen Vorgehens, dem sich Althusius im vollen Bewusstsein widmet, er werde es in kurzer Zeit noch alleine zu Ende bringen zu können (in dieser Hinsicht erklärt er, auf die Mitarbeit und die Arbeit von Freunden, berühmten und geschätzten Gelehrten wie Hermann Vultejus, Denis Godefroy, Henricus Bocerus zu vertrauen) wird bezeichnenderweise (auch dies ist „ramistisch“) neben dem direkteren Ziel in Erinnerung gerufen, den jungen Studenten (tyrones) die Aufnahme des Rechts zu erleichtern. 3. Während der Begriff methodus, der in diesem ersten handbuchartig-systematischen Werk des bereits 30jährigen Althusius aufscheint, auf die Idee der Neudisponierung und inneren Restrukturierung eines immensen Corpus wie dem des Römischen Rechts konzentriert ist, das immer dunkler und chaotischer wurde („Tollatur confusio, tollantur repetitiones, generalia generaliter doceantur, et quaelibet suo loco, et omnia plana et expedita et exposita erunt“)40, so herrscht in den Civilis conversationis libri duo methodice digesti et exemplis sacris et profanis passim illustrati, die von seinem Neffen Philipp Althusius 1601 in Herborn zum Druck gegeben wurden, während der Onkel ebenfalls in Herborn bereits stark in publicis negotiis engagiert war41, das Bemühen vor, nach wie vor den Gesetzen der ramistischen Methode entsprechend die Moral (oder Ethik) zu bestimmen und neu zu ordnen. Diesmal erinnert Philipp in der Widmung an den jungen adligen Josia Wolmerchausen an Ramus, allerdings mit Bezug – und das ist alles andere als unwichtig – auf den für ihn unverzichtbaren Wert der libertas philosophica, die er als socratica et ramaea definiert42. Er fügt übrigens, vielleicht ein wenig rhetorisch, J. Althusius, Iurisprudentiae romanae libri duo (FN 38), S. 3v-4r. Ebd., S. 3r. 41 Von 1597 an ist er Mitglied des Rates des Herzogs Johann von Nassau; vgl. Friedrich, Preface (FN 6), S. XXIX. 42 J. Althusus, Civilis conversationis libri duo: Methodice digesti et exemplis sacris et profanis passim illustrati. Editi a Philippo Althusio U.J.D. Hanoviae 1601, S. 3r. 39 40

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hinzu: „Rationem methodi, qua autor usus est, et praeceptorum, non reddo. Num convenientia ista et secundum logicas regulas conformata sint, ex logica examinandum relinquo“43. Während sich Althusius im ersten Kapitel des ersten Buchs des Werks, das „De generalibus adfectionibus communis conversationis“ betitelt ist, darum bemüht, eine allgemeine Definition der Conversatio civilis zu geben, die er als „ars moribus decentibus utendis, vel ars, mores secundum decorum et rectam rationem conformandi“ versteht, und zeigen will, dass sie mit der Ethik in eins fällt, die die „ars decore conversandi cum hominibus“ ist44, erscheint das zweite Kapitel in Wirklichkeit von der Absicht bestimmt zu sein, unter Befolgung des ramistischen Gesetzes der notwendigen Homogenität der Begriffe und Äußerungen jeder einzelnen Kunst, das spezielle Feld der Ethik zu bestimmen, wobei er mit einer zweifellos kühnen Entscheidung, die auf Aufsehen erregende Weise mit der Vergangenheit bricht, die Gegenstände, die von einer ansehnlichen und überaus autoritativen Tradition unrechtmäßig ihrem Kompetenzbereich zugewiesen wurden, aus ihm entfernt. So ist für Althusius zum Beispiel die Behandlung vieler für die klassische und christliche Ethik wichtigster Tugenden wie die der Gerechtigkeit, der Freundschaft, der Barmherzigkeit, der Nächstenliebe und zahlreicher anderer jubente lege Logicae ad suas quasque facultates et artes zurückzuführen: entweder auf die Theologie, die Jurisprudenz, die Physik, die Politik, die Logik, „in quibus virtutes suas habent sedes et ex quibus earum plena et vera cognitio haurienda, in quibus illae homogeneae et essentiales“; die Vorschriften der Ethik betreffen nämlich weder die Kenntnis noch die Verwirklichung dieser Tugenden, sondern müssen notwendig mit dem höchsten Ziel dieser Kunst „übereinstimmen“, die im Besitz der boni mores besteht.45 Der Ethik die Kompetenzen zuzuschreiben, die anderen Künsten zugehören, die Althusius entsprechend der ramistischen Lehre auf der wissenschaftlichen Ebene als vollkommen unabhängig ansieht, heißt, gegen die justitiae lex (oder das ramistische Gesetz der Homogenität) zu verstoßen46. Zum Bereich der Ethik gehören also nur die scientia und der usus der mores honesti et decentes: In ihnen kommen die Tugenden zum Ausdruck, aber sie werden von anderen Fächern (artes) vermittelt (traditae) und in deren Rahmen studiert. Es ist Aufgabe der Ethik, aufzuzeigen, wie sie in verschiedenen Kontexten und Situationen des sozialen Lebens angewandt werden. Auf den folgenden Seiten gibt Althusius kurz an, welches die geeigneten sedes (oder fachlichen Bereiche) für die Tugenden sind, die die ethici irrigerweise „weil sie die Methode nicht berücksichtigen“ (ìçèïäικþðροι), der Ethik zuweisen47. Im Verlauf seiner fachlichen NeuEbd., S. 4v. Ebd., S. 1. 45 Ebd., S. 9 f. 46 Ebd., S. 10. Zu den drei Gesetzen von Ramus und zur Bedeutung der lex justitiae für die Formulierung des grundlegenden Prinzips der wissenschaftlichen Autonomie der verschiedenen Fächer, die auch auf die praktischen Künste und vor allem auf die historisch-politischen angewandt wird, vgl. vor allem Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 86 – 101. 43 44

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positionierung der klassischen Tugenden ruft er ausdrücklich die leges artium informandarum wieder ins GedaÈchtnis, das heiût die drei ramistischen Gesetze, die von jeder Kunst oder Wissenschaft praecepta vera, genuina, essentialia, homogenea et reciproca verlangen48. Auch die Politik wird erwähnt, auf deren Bereich Tugenden wie (zumindest in gewissen Hinsichten) die Mäßigung und die Bescheidenheit oder (ebenfalls in gewissen Hinsichten) der Gehorsam und die soziale Freundschaft zurückzuführen sind. Speziell im Hinblick darauf bemüht sich Althusius, der sicher bereits mit der Abfassung seines berühmtesten Traktats befasst ist, das Terrain eben jener Kunst abzustecken und zu sichern, von der er meint, dass sie zu unrecht von der Ethik in Anspruch genommen wurde: „De sociali vita et hominum consortio in vita huius commodis et incommodis, sola politica uberrime agit et proponit media utilia et necessaria ad continuandam, conservandam et colendam societatem humanam; cui si haec adimis, nihil habitura est illa omnino in quo consistere possit.“ Die von Althusius angezeigten Grenzüberschreitungen werden von ihm dem tribunal legum artium et methodi vorgelegt und verurteilt: Nachdem die Dinge wieder an ihren Platz gestellt wurden und viele „heterogene“ und „fremde“ Teile, die in der Tradition ausgemacht werden konnten, beseitigt und den Künsten, denen sie zugehören, aufgrund ihrer Hauptausrichtung zurückerstattet wurden, ist es endlich möglich, zur methodischen Behandlung der Politik überzugehen, wobei der Anfang mit ihrer sehr allgemeinen Aufteilung gemacht wird49. In der Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata von 1603 stößt man abgesehen vom Titel ausschließlich in der Martin Neurath und Jacob Tieffenbach gewidmeten Praefatio auf eine Bezugnahme der Methode. Sie hebt mit der Erklärung an, dass das Werk nicht nur darauf abzielt, das umfangreiche historische corpus der praecepta politica, die aus einer Vielzahl von Texten und Autoren herausgezogen werden können, in angemessener Weise neu zu ordnen, sondern konkret die Anwendbarkeit der methodica docendi ratio juxta Logicorum praescriptum auf diesen Stoff zu erproben50. Das Ziel ist also überwiegend didaktisch: Es soll das Erlernen der politica doctrina durch die tyrones erleichtern. Im Unterschied zum vorangehenden Werk, in dem, wenn von der Politik die Rede war, vornehmlich der Begriff ars Verwendung fand, benutzt Althusius zu ihrer Kennzeichnung nun wiederholt auch den Begriff scientia, der im Übrigen genau von der ramistischen Methodologie zum Äquivalent von ars erhoben worden war51. Um einer wirklich wissenschaftlichen Politica Raum zu geben, wie er dies Althusius, Civilis conversationis (FN 42), S. 11. Ebd., S. 13. 49 Ebd., S. 18. 50 J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata. Cui in fine adjuncta est Oratio panegyrica de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, Herborn 1603 [im Folgenden: Politica 1603], fol. IIr. 51 Vgl. Oldrini, La disputa del metodo (FN 5), S. 105 – 109. 47 48

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bereits für die Ethik getan hatte, beruft sich der Autor in erster Linie auf die Notwendigkeit, die lex justitiae zur Anwendung zu bringen und damit all das zu eliminieren, was die vorangehenden Autoren häufig aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen auf anderen Gebieten an impertinentia et aliena hineingebracht haben, und führt stattdessen das ein, was von Philosophen, Theologen, Juristen und Ethikern an Sachbezogenem geschrieben wurde, sowie andere „notwendige“ Themen, die aber von „Politikern“ zuvor nie angegangen wurden, weil sie als nicht passend angesehen wurden52. Hauptziel des Werkes bleibt das Verfolgen eines „methodum et ordinem convenientem, id quod imprimis quaerebam, et cujus causa totus hic labor a me susceptus est“. Auch hier wird auf den enormen Nutzen hingewiesen, den die ratio illa (oder der methodus) für Lernende und Lehrende darstellt, deren Erinnerung und Intelligenz aufgefrischt und deren Urteilsfähigkeit gebildet wird53. Wenn Johannes Althusius im Hinblick auf die Lehrer der Vergangenheit more Socratico die volle Freiheit zur Kritik und zur Äußerung einer abweichenden Meinung einfordert, stoßen wir auch hier – wenn auch nicht direkt zitiert – wieder auf Ramus, der Philipp Althusius besonders am Herzen lag. Weil unser Autor wie bereits in den Civilis conversationis libri duo besonders darum bemüht ist, die stoffliche Homogenität seiner Regeln sicher zu stellen, verbreitete er sich lange über dieses einleitende und heikle Vorgehen, wobei er allerdings herausstellt, dass es auf dem Gebiet der Politik besonders schwierig ist, das Juristische vom Politischen zu scheiden, wie die vielen Wirrnisse zeigten, die seinem Urteil nach noch bei Bodin und Petrus Gregorius von Toulouse zu finden sind. Dasselbe gilt für die Bestimmung und für das Auseinanderhalten dessen, was der Philosophie oder der Theologie zugehört. Die Methode aber lehrt, auf das spezielle Ziel einer jeden Wissenschaft zu schauen, wobei sie in ihrer theoretisch-praktischen Anlage nur das bewahrt, was diesem untergeordnet ist. Und das Ziel der Politik ist die Einrichtung und die Bewahrung der consociatio, der humana societas, der vita specialis zum Wohle ihrer Mitglieder (pro bono nostro) durch die dafür geeigneten, nützlichen und notwendigen Mittel. Alle Thematiken und Vorschriften, die nicht diesem Ziel dienen, werden daher als „heterogen“ ausgeschlossen.54. Ein entsprechendes Vorgehen wird auf dem Feld der Jurisprudenz vollzogen, dessen Ziel es ist, das Recht vom Faktum abzuleiten und „de jure et merito facti in humana vita“ zu urteilen. Für sich genommen fallen die Fakten jedoch nicht in den Bereich der juristischen Wissenschaft, sondern sind in ihrer Vielfalt Gegenstände verschiedener Künste, denen die Juristen jene Kenntnisse entnehmen müssen, die ihnen nützlich sind. Dies ist bei den jura und den capita majestatis der Fall, was Althusius sehr am Herzen liegt: Als Erscheinungen gehören sie der Politik zu, während es Aufgabe des Juristen ist, das Recht zu behandeln, das davon 52 53 54

Politica 1603, fol. IIv – IIIr. Ebd., fol. IIIr. Ebd., fol. IIIv – IIIIr.

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herrührt, wenn einmal zwischen dem Volk und dem Fürsten ein Vertrag über die Ausübung der Macht abgeschlossen wurde. Juristen und Politiker müssen innerhalb ihrer Fachgrenzen bleiben, auch wenn dann in der Anwendung und in der Praxis alle Künste miteinander verflochten sind. Die unmittelbar daran anschließende Bemerkung, die die große grundlegende, ideologisch folgenschwere aber auch für die Bestimmung des inneren ordo des Traktates wesentliche Entscheidung hinsichtlich der Politica ankündigt, ist formal nicht mit der Frage der Methode verbunden: Die Wahl, den Rechtstitel der Souveränität und seiner Prärogativen dem Reich oder der respublica beziehungsweise dem jeweiligen Volk zuzuweisen. Trotz der maßgeblichen diametral entgegengesetzten Position eines Bodin oder eines Gregorius und der Mehrzahl der doctores, ist sich Althusius seiner Sache sicher und präsentiert seine These als Ausgangspunkt eines vernünftigen Vorgehens, das in der Umsetzung deutlich verifizierbar ist: „Non curo Bodini clamores, nec aliorum dissentientium voces, quando meae sententiae mihi constant rationes“. Eine andere Schwierigkeit, die sich einer vollkommenen Befolgung der Gesetzte der Methode in der Politik entgegenstellt, rührt von der extremen Vielfältigkeit und Wechselhaftigkeit der sozialen Phänomene her, die es für ihn bisweilen notwendig gemacht haben, „theoremata contingentia“ einzuführen, die – wie er zugibt – „ab arte aliena sunt“. Man kann allerdings nicht anders vorgehen: „Quis hic praecepta generalia, necessaria et reciproce vera, de re tam varia et indifferenti tradere potest? Sunt tamen haec politico cognoscenda, nec in scientia politica omittenda, quae scire gubernatorem Reipublicae oportet, quaeque ipsum informant et ad imperandum idoneum reddunt“55. 4. Die Prüfung der Anwendbarkeit der Gesetze der Methode auf die politische Sphäre und damit die Prüfung der Möglichkeit, eine „perfekte“ politische Wissenschaft ins Leben zu rufen, die derjenigen entspricht, die Cicero sich für das Recht ersehnte, ergibt daher am Ende, dass ein gewisser Prozentsatz an Unvollkommenheit unvermeidbar ist, dass dieser Mangel jedoch hinter dem Nutzen zurücktritt und die Wissenschaftlichkeit des Gesamtunternehmens nicht in Frage stellt. Diese Wissenschaftlichkeit wird wie in den vorangehenden Werken von den zahlreichen und dichten schematischen Tafeln unter Beweis gestellt, die die neue rationale und „methodische“ Disposition des gesamten Stoffes zeigen. Als 1610 die zweite erweiterte Ausgabe der Politica herauskommt, ist Althusius bereits seit einigen Jahren Syndicus von Emden, und seine Sicht ist nicht mehr wie in den ersten Werken vornehmlich akademisch, auch wenn er sich in den wenigen freien Stunden, die er neben seinen wachsenden Aufgaben in der praktischen Politik hat56, weiterhin leidenschaftlich der Überarbeitung und der Anreicherung seiner Ebd., ohne Paginierung. Vgl. J. Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanes illustrata. 2. Neudruck der 3. Auflage, Herborn 1614. Aalen 1981 [im Folgenden: P.], S. 2. Die Praefa55 56

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großen wissenschaftlichen Abhandlungen über die Politik und das Recht widmet57. In die Schrift finden die neuen Themen und neuen Interessen kraftvoll und prägnant Eingang, die von der Zugehörigkeit des Autors zur politischen und religiösen Gedankenwelt der führenden Kreise Emdens und der nahe gelegenen Republik der Vereinigten Provinzen angeregt sind, die für ihn die Hauptstütze in seinem Kampf für die Autonomie gegen die tendenziell zentralistische und tyrannische Politik der Grafen von Ostfriesland darstellt. Und trotzdem werden die Neuerungen und die Ergänzungen, wie man der bezeichnenderweise den ordines der holländischen Provinz Friesland gewidmeten Praefatio entnehmen kann, weiterhin als eine wissenschaftliche Vervollkommnung dargestellt und gerechtfertigt und daher als eine bessere Umsetzung der methodus58. Es wird nicht nur die vorrangige Aufmerksamkeit, die der korrekten Zuweisung der verschiedenen Thematiken zu den in Frage kommenden Fächern gewidmet wurde, hervorgehoben, so dass dem Gebiet der Politik nur das verbleibt „quae hic scientiae et disciplinae essentialia et homogenea mihi esse videbantur“; es werden darüber hinaus die methodologischen Argumente entwickelt, die die zentrale Stellung des Themas „Souveränität“ (die majestatis capita) in den politischen Studien unter Beweis stellen, zumal die iura majestatis ein konstitutives und von der consociatio universalis untrennbares Element darstellen, das für ihren Erhalt unverzichtbar ist; außerdem wird in den bereits zuvor dargelegten Begriffen die Demarkationslinie neudefiniert, die in dieser Hinsicht die Kompetenzen des Politikers von denen der Rechtswissenschaftlers scheidet. Im Vergleich zur Praefatio von 1603 fügt Althusius den Hinweis auf eine grundlegende Neuerung im systematischen Aufbau des Werkes hinzu, mit der Einforderung der praecepta Decalogi (der Gebote der zweiten Tafel) für die Politik, die von den anderen Autoren übergangen wurden; und dennoch sind sie, wie die Souveränität, im Hinblick auf diese Wissenschaft absolut essentiell und „homogen“, „Quatenus nimirum illa consociationi et vitae symbioticae, quam tradimus, spiritum vitalem infundunt, facem praeferunt et vitae socialis huic, quam querimus, viam, regulam, cynosuram59 atque sepem societati humanae constituunt et praescribunt“60. tio, die in der Ausgabe von 1614 erscheint, ist mit jener der Ausgabe von 1610 identisch. Ich zitiere daher aus dieser Ausgabe. 57 Über die Tätigkeit des Althusius als Syndicua von Emden und über ihre Auswirkungen auf die Neuausarbeitung und Erweiterung des Textes der Politica vgl. C. Malandrino, Il „Syndikat“ di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, Il Pensiero Politico XXVIII (1995), S. 359 – 383 und die dort angeführte Bibliographie. Malandrino setzt sich scharfsinnig auseinander mit den Thesen von H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des J. Althusius in Emden. Aurich 1955; ders., J. Althusius als Syndicus Reipublicae Embdanae. Ein kritisches Repetitorium, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des J. Althusius. Berlin 1988, s. 67 – 88. 58 Politica, fol. 2r: „animadverti, secundas meas meditationes opus politicum novum, a priori sciagraphia, forma, methodo et rerum multitudine diversum peperisse“. 59 Wörtlich: Kleiner Bär, aber hier in der heutigen Bedeutung von „Polarstern“. 60 Ebd., fol. 2v – 3r / v.

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Diese Betonung ist Ausfluss des erzkalvinistischen Klimas, in dem er nunmehr lebt und arbeitet und stimmt mit der Präzisierung überein, bei den exempla politica Passagen aus der Heiligen Schrift bevorzugt zu haben, seitdem die Kunst der Politik die imago eines „guten“ Soziallebens liefern muss und die politia Judaeorum das vollkommenste und weiseste Modell aller Zeiten darstellt61. Auch aus diesen Zeilen kann man den Einfluss der Ideen und Weltanschauungen herauslesen, die in den politischen Kreisen der Republik der Vereinigten Provinzen zirkulierten, die nicht von ungefähr am Ende der Schrift begeistert gelobt wird, das zu einer Zeit entstand, als das politische Modell der politia Judaica zum Mittel des Lobes der erworbenen republikanischen Freiheit wurde62. Die weit ausführlichere Beweisführung zugunsten der These, dass die iura majestatis allein dem populus der consociatio universalis zustehen, während der princeps oder summus magistratus sie lediglich verwaltet, ist ein Vorspiel zur Rechtfertigung und zum Lob des holländischen Widerstands; die Beweisführung erfolgt weiterhin auf Grundlage der methodologischen Regel, die es zur Verpflichtung macht, auf das eigentliche Ziel der Politik zu schauen, um die „Eigenschaft“ einer Äußerung festzustellen: Die Konstituierung und der Erhalt des „symbiotischen Körpers“ der consociatio universalis, der die iura maiestatis spiritum, animam et cor verleihen, so dass der Körper ohne sie umkommen würde; ebenso gründet sie auf der Betrachtung der logischen Ordnung des schrittweisen Prozesses, der den populus universus und die Glieder der respublica oder des regnum (die Provinzen) dazu bringt, als solche zu bestehen und in ihrem Sinne die für ihr Fortbestehen wesentlichen und folglich unveräußerlichen Rechte zu entwickeln63. Die Tatsache, dass Althusius dieselbe Praefatio ohne Veränderungen in der Ausgabe der Politica von 1614 wiedergibt, könnte als Hinweis für eine Abschwächung seines ursprünglichen Bemühens erscheinen, die vornehmlich didaktisch-wissenschaftliche Stoßrichtung des Werkes zu veranschaulichen; ein Bemühen, das mit der neuen Erfahrung von Emden und mit der Positionsnahme in den aktuellen politischen Zusammenhängen in Vergessenheit geraten ist. Bezeichnend bleibt allerdings die Bekräftigung der Bemerkungen von 1610 und das Einfügen von einigen Ergänzungen in das Ordnungs- und Dispositionsschema der Themen, das offensichtlich bereits auf befriedigende Weise für vollständig und nur um wenige Verbesserungen ergänzungsfähig erachtet wurde. Dass Althusius nach 1603 seine Arbeit nach den zur Zeit der ersten Redaktion festgelegten methodologischen Kriterien fortgesetzt hat, während er sich parallel dazu streng nach den ramistischen Kanones der immensen Neuordnung des juristischen Stoffes der Dicaeologica (die

Ebd., fol. 3v. Vgl. L. Campos Boralevi, La „Respublica Hebraeorum“ nella tradizione olandese, in: L. Campos Boralevi / D. Quaglioni (Hrsg.): Politeia Biblica. Firenze 2003 (Auszug aus „Il pensiero politico“ 35, 2002), S. 431 – 463 und die dort aufgeführte Bibliographie; vgl. auch ders., Politica judaica, im vorliegenden Band. 63 Politica, fol. 4r. 61 62

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er wenige Jahre später zum Druck geben wird) widmete, machen einige Ergänzungen innerhalb des Textes deutlich, wo er in polemischer Wendung gegen die aristotelische Tradition und gegen die Thesen einiger Zeitgenossen und zur Unterstützung der Entscheidungen, die er in der systematischen Disposition der verschiedenen Kapitel und Themen getroffen hat, explizit oder indirekt an die lex oder die leges methodi erinnert (III, 42; XXI, 41; XXXIX, 23; XXXIX, 83 – 84). So wendet er sich in Kapitel III im Zusammenhang mit den familiären consociationes gegen die These von „einigen Politikern“, nach der jede Abhandlung, die mit ihnen zu tun hätte, allein in den Zuständigkeitsbereich der Ökonomie falle. Ohne die conjugium et consanguineorum doctrina wäre es in der Tat unmöglich, die anderen und sich aus dieser Lebensgemeinschaft ergebenden privaten und öffentlichen consociationes angemessen zu erklären und zu verstehen. Die abschließende Beweisführung weist einen offensichtlichen Bezug auf die ramistische Terminologie auf: „Nam stat fermum et fixum hoc axioma, omnem symbioticam consociationem et vita esse Politicae essentialem, genuinam et homogeneam (III, 42; kursiv von mir, A.M. L.D.G.). Eine entsprechende wissenschaftliche Legitimität wird von Althusius entschieden bei der Aufnahme der materia Decalogi in die Politik geltend gemacht, da sie die justam viam erga symbioticos oder die für das Bestehen und den Erhalt der menschlichen und politischen Gesellschaft unverzichtbaren Verhaltensweisen lehrt: „est igitur materia Decalogi politica prorsus genuina, essentialis et propria“. Und kurz darauf, wenn er der Jurisprudenz und der Ethik ihre speziellen Anwendungen vorbehält, fordert noch einmal: „doctrina Decalogi generalis in Politica essentialis, homogenea et necessaria est“ (XXI, 41). Im abschließenden Kapitel, in dem er von der Mischverfassung handelt, die er für ein gut auf die Regierung des obersten Magistrats anwendbares Modell hält, bestreitet er, dass ihre Behandlung jener über die „reinen“ Regierungsformen vorangestellt werden müsse, da dies mit der lex methodi kollidieren würde, die das Vorgehen vom Einfachen zum Komplexen, vom Allgemeinen zum Einzelnen vorscheibt: „A notioribus et generalioribus, a quibus lucem sequentia accipiunt, per specialia minus nota, conatus sum procedere ad specialissima, quae a praecedentibus pendent et sine illis intelligi non possunt“ (XXXIV, 23). Wenig später wird die Tatsache, dass in seinem Werk die Behandlung der Ursachen der Zerstörung der consociatio oder das traditionelle Thema der staatlicher Umstürze fehlen, damit erklärt, dass sie sich hinsichtlich der Kunst der „symbiotischen“ Politik „fremd“ und unpassend ausnehme und es also gut sei, dass die Behandlung dieser Themen aus dem Band herausgelassen worden sei. Die Regeln einer schlechten politischen Kunst, die entgegengesetzte Ziele verfolgt, seien nämlich mit ihr nicht kompatibel. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Lehre der Logici und den Methodici (XXXIX, 83). Eine weitere methodologische Präzisierung betrifft die Bedeutung zweier Zeitgenossen, Bartholomaeus Keckermann und Philip Heinrich Hoen, nach deren Auf-

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fassung die rechte Ordnung die gewesen wäre, in der auf die Ausführungen über die verschiedenen Arten des „obersten Magistrats“ eine Auseinandersetzung mit der Mischverfassung hätte folgen müssen, um erst dann auf die Provinzen und die Städte zu sprechen zu kommen. Althusius vertritt die Meinung, dass dies gegen die lex methodi verstößt: Die respublica und die regna werden nämlich von den Siedlungen, Städten und Provinzen gebildet und im richtigen ordo muss die Ursache der Wirkung vorangehen, das einfache und bekannteste dem, das zusammengesetzt und abgeleitet ist. Man muss nämlich dem ordo und den processus der Natur folgen: „necessario igitur doctrina de vita symbiotica conjugium, propinquorum, collegiorum, civitatum et provinciae, antecedit eam, quae est de regno vel universali consociatione symbiotica, a priore orta et ex ea composita, quamvis usu ad salutem communem singulorum et universorum symbioticorum conjungenda haec omnia. Nam nec publica consociatio sine privata domestica esse potest. Utraque enim ad áýôÜκειáí et commodam vitam degendam utilis et necessaria“ (XXXIX, 84). Ein anderer Fehler bestehe darin, den Provinzen, Städten und anderen Jurisdiktionsträgern Formen autonomer Regierung zuzuschreiben: In Wirklichkeit, präzisiert Althusius, handelt es sich um Glieder der consociatio universalis, die von ministri geleitet werden, die vom rex oder von den principales superiores der respublica, der sie zugehören, abhängig sind und die sie repräsentieren, ohne über eine eigenen Macht zu verfügen; folglich kann die Form ihrer Verwaltung nicht dieselbe der consociatio universalis sein. Am Ende wird, um das Fehlen (in polemischer Wendung gegen Bodin als Autor des Methodus) von speziellen Abhandlungen zum „besonderen politischen Status des Gemeinwesens“ implizit an das erste Gesetz der ramistischen Methode erinnert: die des notwendigen universalen Charakters der wissenschaftlichen Aussagen: „Debet enim ars politica esse generalis, quae omnibus etiam specialibus et particularibus locis temporibus vel populis semper et ubique conveniat et accomodari possit, quamvis regna diversa et separata, suis propriis legibus ad aliis discrepantibus in quibusdam causis saepe utantur“ (XXXIX, 85). Was die bestimmenden Themen der Traktatliteratur zur Staatsraison – Einrichtung, Anwachsen, Ausweiten und Erhalten des Staates – betrifft, so ist es für Althusius undenkbar, sie zu Gegenständen einzelner Kapitel machen kann: „Nam politiae augendae, amplificandae, conservandae et instituendae eadem est ratio. Iisdem enim artibus conservatur amplificaturque, quibus est constituta, uti definitio nostra Politicae satis explicat“ (XXXIX, 86). 5. Während des komplexen Weges, den er während der Komposition und Ausarbeitung seines erfolgreichsten Hauptwerkes zurücklegt, erachtet Althusius die Regeln des methodus, die er der ramistischen Lehre entnommen hat (und die sicherlich auch vom Nachdenken, den Kommentaren und den Anwendungsversuchen der Lehrer und Kollegen der ihm vertrautesten deutschen Universitäten vermittelt sind) wirklich als „Polarstern“ (cynosura), die seinen außergewöhnlichen Anstrengungen als Wissenschaftler beständig Orientierung bietet. Und wie deut-

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lich geworden ist und wie jede Seite seiner Politica aufs Neue deutlich macht, bedeutet methodus für ihn vor allem die korrekte und konsequente systematische Erfassung und Gliederung des Stoffes, angefangen bei der axiomatischen Definition, die die Zielausrichtung des Stoffes anzeigt. Auch die Auswahl des Arbeitsfeldes und der Lehren, die, wie etwa die der Legitimation des Widerstandsrechts, heute mehr mit seinen praktischen Erfahrungen verbunden erscheinen, finden in seinem System absichtlich und sozusagen notwendigerweise eine in erster Linie methodologische und rationale Anordnung und Rechtfertigung. Vielleicht ist es dieser Zug, der ihn trotz der gemeinsamen ramistischen Herkunft von Bodin unterscheidet, bei dem die Grundlagen der Geschichte und der Empirie, die kontingenten Sorgen, die er sich im Hinblick auf die Politik macht, die noch stärkere, alles verschlingende humanistische Neugierde und die kosmische Weite seiner Weltanschauung, entschieden die Oberhand gewinnen.

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Politia Judaica 1. Politia Judaica ist ein äußerst wichtiges Lemma im politischen Wortschatz des Althusius. Es kommt im Text der Politica mit beeindruckender Häufigkeit in primären und sekundären Zusammenhängen vor, die die Relevanz der sprachlichen, aber auch und vor allem der konzeptionellen Einkleidung des Begriffs bezeugen. Unter Politia Judaica oder Politia Judaeorum versteht Althusius den jüdischen Staat, wie er in der Bibel, den fünf Büchern der Torah (dem Pentateuch), aber auch in den „Geschichtsbüchern“ der Richter, der Könige und in einigen Schriften der Propheten wie jenen von Josua und Samuel beschrieben ist, in denen die heroische und politische Geschichte der Hebräer geschildert wird, die von der Knechtschaft in Ägypten befreit und zum Volk Gottes geworden sind, mit dem Vertrag und dem Gesetz, um dann den Staat Israel im Gelobten Land zu gründen. Die verschiedenen Regierungsformen, die über die Zeiten aufeinander folgten, die Teilungen und Zwiste des antiken Israel bis hin zur Auflösung nach dem Exil, aber auch seine Gesetze sowie öffentlichen und sozialen Einrichtungen bilden das, was die politischen Autoren vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (wie Bertram und eben Althusius) als Politia Judaica bezeichneten oder als Respublica Israëlis (wie Martin Bucer), oder Politia Mosis (wie Junius), oder Respublica Hebraeorum (wie Sigonius). Die politische Literatur über die Respublica Hebraeorum, die in Europa im 16. und 17. Jahrhundert eine große Entwicklung erlebt hat, verstand es auf eine neue Art, die ungeheuren mittelalterlichen „Archive“ der christlichen und jüdischen Exegese zu nutzen, um eine theologisch-politische Deutung der juristischen, sozialen Erscheinungen und der Regierungsformen vorzulegen, die der antike Staat Israel aufwies und wie sie uns in der Bibel beschrieben werden, und all dies in regelrechten Spezialabhandlungen oder im Rahmen allgemeiner gefasster Werke1. Eine Liste der von Althusius zitierten Bibelstellen, wie sie von den verschiedenen Herausgebern der Politica sorgfältig angelegt und von den Kommentatoren häufig unkritisch übernommen wurde, macht für sich genommen keinen Sinn. Man muss sie mit den Listen anderer, früherer oder späterer Autoren vergleichen, die der Tradition der Literatur über die Respublica Hebraeorum angehören. 1 Vgl. L. Campos Boralevi / D. Quaglioni (Hrsg.), Politeia biblica, in: Il Pensiero politico 35 (2002), S. 365 – 521, auch als separater Band veröffentlicht mit Verzeichnis der Namen und Schriftstellen: Florenz 2003, S. 365 – 521, IX.

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Wichtiger als die Häufigkeit der Bibelzitate ist es, aus dieser Perspektive zu betrachten, welche Namen und Werke von Autoren in dem Werk zu finden sind, die dieser Tradition angehören, von ihrem Ahnherrn Giuseppe Flavio des Contra Apione und der Antiquitates Judaicae, über Licinius Ruffinus, dem die Collatio legum Mosaicarum et Romanarum zugeschrieben wurde, bis hin zu Martin Bucer, der der Hauptvertreter des polyarchischen Modells der Respublica Israëlis ist, das er in seinen Enarrationes in librum Iudicum und seinen Enarrationes perpetuae in sacra quatuor Evangelia ausbreitet2. Althusius zitiert ausdrücklich alle wichtigen zeitgenössischen Vertreter der politischen Literatur über die Respublica Hebraeorum – von Calvin, Theodor de Bèze, Gilbert Génébrard, Juan de Mariana und Menochius bis hin zu Bartholomäus Keckermann. Er verweist besonders auf den Cuiacius der Observationum et emendationum (1566 – 1590), auf den Bodin der République und des Methodus, auf den Stephanus Junius Brutus der Vindiciae contra tyrannos (1579), sowie auf Bonaventura Bertram (De Politia Judaica, tam civili quam ecclesiastica, 1574), Carlo Sigonio (De Republica Hebraeorum, 1582), Joseph Justus Scaliger (Opus novum de emendatione temporum . . . , 1583) und Franciscus Junius (De politiae Mosis observatione, 1593)3. Es ist also nicht allein die gewichtige Präsenz des Lemmas Politia Judaica, sondern mehr noch die Rolle, die Althuius der Politia Judaica als sozialem und politischem Modell zuweist, das ständige Verweisen auf die Autoren, die sich mit ihr befassen, und auf ihre Werke und aufs Ganze gesehen die ständige Bezugnahme auf ihre Themen, die es uns als erlauben, seine Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata vollkommen zurecht in die Tradition der politischen Literatur über die Respublica Hebraeorum einzureihen. Althusius kennt diese Literatur nicht nur, sondern teilt mit ihr Sprache, Begriffsapparat und methodischen Zugriff. 2. Dennoch bedeutet die kritische Auseinandersetzung mit Althusius und der Respublica Hebraeorum in keiner Weise, dass man sein Denken einfach in die calvinistische Tradition einordnet und zugleich für den Calvinismus in der Theoriebildung zum Widerstand gegen ungerechte Herrschaft in der Neuzeit eine Vorrangstellung oder die Hegemonie einfordert, wie es ein historischer Ansatz vorsah, der spätestens seit den beiden Bänden von Skinner über die Foundations of Modern Political Thought4 überwunden ist. Im Übrigen lässt auch ein erster Gesamtüberblick erkennen, dass etwa die Hälfte der von Althusius zitierten Verfasser von Werken über die Respulica Hebraeorum keine Calvinisten sind – wobei Althusius selbst orthodoxer Calvinist war, Rechtsprofessor in Herborn, 34 Jahre Syndikus in 2 Vgl. M. A. Falchi Pellegrini, Modelli politici e contesti storici. La Respublica Israelis in Martin Bucer, in: Politeia biblica (FN 1), s. 369 – 381. 3 Vgl. C. R. Ligotha, L’histoire à fondement théologique. La République des Hébreux, in: L’Écriture Sainte au temps de Spinoza et dans le système spinoziste, in: Travaux et documents du Groupe de recherche spinoziste, Paris, Bd. 4, Paris 1992, S. 149 – 167. 4 Q. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, 2 Bde., Cambridge 1978.

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Emden, dem „Genf des Nordens“ – und dass er nach Belieben Calvin oder de Maraiana, Gregorius von Toulouse oder Hotman zitiert, wobei er mehr auf das geistige Niveau der Gelehrten und auf ihre Übereinstimmung mit seinen Ansichten achtete als auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit. So wird zum Beispiel das Werk De Republica Hebraeorum des katholischen Carlo Sigonio, das 1582 in Bologna veröffentlicht wurde und Papst Gregor XIII. gewidmet ist, das in Frankfurt 1585 veröffentlicht und dann in Hanau 1608 nachgedruckt wurde, nicht nur von Althusius zitiert, sondern auch von allen Holländern und noch ein halbes Jahrhundert danach von den Engländern, die sich an dieser Debatte beteiligten5. Die Frage ist viel komplexer und verlangt dem Historiker einen besonderen Einsatz ab – nicht nur im Hinblick auf die korrekte Kontextualisierung des althusischen Denkens, sondern auch, um einige historiographische Kategorien zu korrigieren. Deshalb bedeutet das Sprechen über Athusius und die Respublica Hebraeorum, dass man sein Denken nicht in eine religiöse oder konfessionelle, sondern eine authentisch politische Tradition einordnet; und, dass man in dieser politischen Tradition nach seinen Quellen sucht und dabei sein Werk mit diesen vergleicht: Es heißt, die Originalität des Althusius zu bestimmen, eine Bilanz zwischen der gedanklichen Kontinuität und den Brüchen zwischen ihm und diesen Quellen zu ziehen, seine Größe zu beurteilen, aber auch den direkten und historisch nachweisbaren Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Tradition deutlich zu machen; es gilt dabei zweierlei zu vermeiden: zum einen die Kategorie des „Großen Vorläufers“, und zum andern, ihn mit der Lektüre der Bibel eines Augustinus oder anderer Kirchenväter ins Verhältnis zu setzen, die parallel zu der langen Kette der Vermittlungen durch seine realen und idealen Gesprächspartner erfolgt. Das Werk des Althusius in die Tradition der politischen Literatur über die Respublica Hebraeorum einzuordnen bedeutet mit anderen Worten, eine Ideengeschichte zu betreiben, in der die Menschen die Protagonisten sind, die die Ideen hervorgebracht haben und die nicht nur in ihren Beziehungen mit den Institutionen in den Blick zu nehmen sind, sondern auch im Netzwerk ihrer – gewiss – persönlichen und politischen, aber auch und vor allem kulturellen, fachlichen und ideellen Beziehungen. Die Kategorien der Geschichtsschreibung, die eine derartige Kontextualisierung in Frage stellt, betreffen besonders das Verhältnis zwischen Politik, Religion, Recht und Theologie. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Wiederentdeckung des Althusius als eines europäischen politischen Autors von erstem Rang mit Gierke eingesetzt hat, um sich im Übergang vom 19. zu den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhundert mit Friedrich fortzusetzen, eine Zeit, in der die Relevanz eines politischen Autors ausschließlich in politischen Begriffen unter Beweis gestellt werden musste und andere Elemente, die in dieser Zeit als nicht relevant angesehen wurden, aus5 A. Strumia, L‘immaginazione repubblicana. Sparta e Israele nel dibattito filosofico-politico dell’età di Cromwell, Florenz 1991.

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geblendet oder in den Hintergrund gerückt wurden. Das Werk Gierkes, das den unbestreitbaren Wert hat, die Aufmerksamkeit der Historiker des politischen Denkens in Europa auf Althusius aufmerksam gemacht zu haben, ist später einer näheren Prüfung unterzogen und zahlreichen Kritiken ausgesetzt worden, die jedoch häufig den besagten Aspekt des kulturellen Umfelds Gierkes, Friedrichs oder ihrer zahlreichen Epigonen nicht berücksichtigt haben. Eine aufmerksamere Kontextualisierung berücksichtigt das kulturelle Umfeld, nicht von Gierke, sondern von Althusius, also des Autors der Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata (und es ist kein Zufall, dass der zweite Teil dieses Titels noch heute oft unberücksichtigt bleibt); sie zwingt zu einem Überdenken der Beziehungen zwischen Politik, Religion, Recht und Theologie im Lichte ihrer Konzeption im Europa der in Frage stehenden Zeit, ohne den Versuch zu unternehmen, dieser Beziehungen unsere Überzeugungen überzustülpen. 3. Zweifellos weist Althusius in der Politica der civilis doctrina gegenüber der Politik, dem Recht und der Theologie einen autonomen Status zu: Tractarunt vero politicas quaestiones et aphorismos tum Philosophi, tum Jurisconsulti, tum Theologi. [ . . . ] Ejusmodi ut supervacua in hac arte et aliena rejicienda et ad sedes proprias, quas dictante iustitia in aliis scientiis habent, releganda esse putavi.6

Aber die Tatsache, dass er für die Politica einen autonomen Raum beansprucht und dabei exakt die Grenzen der verschiedenen Kompetenzsphären aufweist, impliziert noch lange nicht, dass er sich jemals eine Politik vorgestellt hat, die Theologie und Recht nicht berücksichtigt7. Althusius hob nicht nur in besonderer Weise die Bedeutung der Politik als autonome Wissenschaft hervor, sondern wies ihr auch großen Wert für die Theologie zum Nutzen für die Politik zu. Die Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata kann also auch als einer der vielen theologisch-politischen Traktate der Zeit gelesen werden, in deren Neuerungswert nicht in der Beseitigung jeglicher Beziehung zur Theologie bestand, sondern im Gegenteil im bewussten Versuch bestand, den Vorrang der Theologie in dem Moment zu bestreiten, in dem die Bedeutung des politischen Nutzens geltend gemacht wurde, den das große kulturellen Gedächtnis darstellte, das die Tradition der Theologie liefert.8 Ein Beispiel für einen derartigen Umgang mit der theologischen Tradition bietet die Widerlegung von De regno et regali potestate (1600) von Barclay, die, wie 6 Vgl. J. Althusius, Politica, methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum 1603, Praefatio. 7 Vgl. H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius, Frankfurt am Main 1992. 8 Vgl. D. Quaglioni, L’iniquo diritto. ,Regimen regis‘ e ,ius regis‘ nell’esegesi di I Sam. 8, 11 – 17 e negli ,specula principum‘ del tardo Medioevo, in: A. de Benedictis (Hrsg.), Specula Principum, Frankfurt am Main 1999 (= Ius Commune. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Sonderheft 117), S. 209 – 242.

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Bianchin herausstellt, im Rahmen der Interpretation des ius regis ausgehend von Samuel I, 8 und Deuteronomium, 17 erfolgt: Im ersten Teil von Deuteronomium, 17 macht Althusius in den Geboten des Moses die „lex fundamentalis regni et politiae Judaicae oder das grundlegende konstitutionelle Prinzip des hebräischen Reichs“ aus, wobei er jenes Gesetz als lex fundamentalis definiert hat, das die im Konsens erfolgende Einrichtung des obersten Magistrats betrifft (XIX, 49)9. Auf diese Weise bildet für Althusius das mosaische Gesetz der gerechten Königsmacht von Deuteronomium, 17 die theologische Grundlage für die Einschränkung einer derartigen Macht. In der Politica erklärte Althusius, dass er in der Politia Judaica die perfekte und beste Politie erkannte, die es jemals gegeben hat; und als er die dritte Ausgabe der Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata 1614 den „Illustres Frisiae Ordines“ widmete, und diese zusammen mit jenen der „confoederatarum aliarum Provinciarum“ als die besten zeitgenössischen Modelle auswies, hielt er die „Politia Judaica“ rundheraus für den Idealstaat: „Sacrarum literarum exemplis frequentius utor, quod illa vel Deum autorem, vel pios viros habent, et quod nullam ab initio mundi politiam sapientius et perfectius Judaeorum politia constitutam existimem“10. Und um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, fügte er hinzu: „A quo quoties in similibus factis et circumstantiis discedimus, errare nos arbitror.“ Die Annäherung der beiden Politikmodelle erfolgt nicht zufällig, denn Althusius hielt sie beide für exempla für den von ihm theoretisch behandelten perfekten Föderalismus. Im Übrigen ist der Vergleich zwischen der föderalen Struktur des antiken Israel und jener der Vereinten Provinzen ein topos, dessen sich neben Althusius auch Ubbo Emmius bedient, der Autor von der (Grotius gewidmeten) De Republica Emendanda, und noch viele andere, die sich einer Tradition verbunden wissen, die von Arias Montanus und Carolus Sigonius zu Petrus Cunaeus führt und weiter bis zu Spinoza reicht.11 Sie übersetzen den hebräischen berith-Pakt und die Allianz mit dem lateinischen Begriff foedus; aus diesem Grund nimmt in dem von vielen Theoretikern der Respublica Hebraeorum verfochtenen „Föderalismus“ das lateinische foedus vor allem in der Neuzeit zusätzlich zahlreiche Bedeutungen an, die aus der biblischen Tradition stammen, so dass das alte Israel, das auf den Berith-Pakt gegründet ist, zum föderalen Staat schlechthin wird: Vom Pakt als Allianz zwischen Gott und 9 Vgl. L. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Samuele 8, 11 – 18 e Deuteronomio 17, 14 – 20, in: Politeia biblica (FN 1), S. 424. 10 Vgl. Althusius, Politica, methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum 31614, Praefatio, Hrsg. V. C. J. Friedrich, Cambridge / Mass. 1932, S. 8. 11 Vgl. L. Campos Boralevi, La Respublica Hebraeorum nella tradizione olandese, in: Politeia biblica (FN 1), S. 431 – 463; V. Conti, Consociatio civitatum, Le repubbliche elzeviriane 1625 – 1649, Florenz 1997, bes. S. 178 – 187.

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dem Menschen – Noah und dann Abraham – der von Moses mit dem Anerkennen des Gesetzes auf das ganze Volk ausgeweitet wurde, bis hin zum System der Verträge, mit dem die politische Literatur der Zeit alle politischen Beziehungen der Respublica Hebraeorum deutete: Der Pakt zwischen Gott und König und zwischen König und Volk, jener zwischen den Stämmen, der den Staat Israel begründete, und schließlich jener zwischen Israel und den benachbarten Völkerschaften.12 So wird die Abmachung zwischen Fürst und Volk, die im Mittelpunkt der Behandlung der Vindiciae contra tyrannos steht, bei Althusius das pactum religiosum zwischen dem obersten Magistrat und dem Volk, mit einer politischen Lesart von Deuteronomium 17:20 und Samuel 23:3. (XIX, 34; XXVIII, 15).13 Bei Althusius erlangt der topos der Politica Judaica als Beispiel des föderalen Staates zentrale Bedeutung, so dass sein Vorschlag für eine respublica – mit einer Struktur, die „auf drei konzentrischen Kreisen von Vereinigungen beruht, von denen jeder die vorherigen umfasst und übertrifft, ohne jedoch ihre Charakteristiken aufzuheben“, wie Conti zusammenfasst –, eine respublica also, die sich gleichermaßen aus dem idealen Modell der dreigeteilten Politia Judaica zu speisen scheint, die der Respublica Hebraeorum des Sigonius und den Anregungen entlehnt ist, die von den neuen politischen Verhältnissen der Vereinten Provinzen Hollands kommen, „in denen über der publica consociatio der Städte die consociatio provinciae stand und an der Spitze die universalis publica consociatio, die von der Generalversammlung der Staaten gebildet wurde“.14 In der von Sigonio vorgeschlagenen Lesart präsentiert sich die hebräische Republik als respublica triplex, die auf der Grundlage von drei konzentrischen Kreisen organisiert ist – dem gesamten Volk, den zwölf Stämmen und den einzelnen Städten – in denen „eine jede ihre eigenen Beamten, die eigenen Ordnungen, die eigenen Regeln hatte, auch wenn die eine mit der anderen verbunden ist“, was deshalb drei Ebenen der concio popularis beinhaltete: die des Senats, der Beamten und der principes.15 In politia Judaica [ . . . ] conciliorum [ . . . ] publicorum tria erant genera: unum, quando omnes tribus Israel conveniebant, qui erant conventus universales regni. Alterum, quando unius tribus familiae omnes qui erant conventus provinciales [ . . . ] Tertium, quando civitatis alicuius cives universi convocabantur (XVII, 60).16

12 Vgl. D. J. Elazar, Viewing federalism as Grand Design. Federalism as Grand Design, in: Publius 9 (1979), S. 1 – 11; zu den Bezügen zur Föderaltheologie vgl. auch C. Malandrino, Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 32 (1999) u. ders., Foedus (Confoederatio) im vorliegenden Band. 13 Vgl. Althusius, Politica XIX, 34 u. XXVIII, 15; Vgl. John Coffey, Johannes Althusius, The Jubilee Centre 2004, March (http: //www.jubilee-centre.org). 14 Vgl. V. Conti, Consociatio civitatum (FN 11), S. 184 f. 15 Vgl. ebd., S. 117. 16 Vittorio Conti stellt dieser Beschreibung jene des Sigonius zur Seite, der festgestellt hatte: „rempublicam Hebraeorum quomadmodo tripartitam fuisse [ . . . ] una [ . . . ] quae univer-

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Dieses Modell stützt die wiederholte Behauptung der Politica, dass für die Städte, die Stämme und die Provinzen die städtischen Gerichte und die Eigenregierung notwendig sind, und die Wahl und die Ernennung der Beamten und des monarchischen Magistrats mit der Zustimmung des Volkes erfolgt, und vor allem, dass der Bezug zum mishpat hamelech (jus regni) als Konstitution der Consociatio universalis eine bürgerliche Konstitution ist, die in Einklang mit dem Naturrecht entstanden ist (XLIX).17 4. Wenn die Politia Judaeorum die heiligste und vollkommenste politia war, die es jemals gegeben hat, dann war sie doch nur eine politia, ein politisches Modell, aus dem man Lehren ziehen und Gesetze und allgemeine Prinzipien ableiten konnte und das auch dank des Vergleichs zwischen dieser politía und anderen, wie dies Bodin in seiner Methodologie gelehrt hatte, der im Methodus theoretische Überlegungen über den Wert eines „wissenschaftlichen“ politischen Modells angestellt hatte18. Das Verhältnis zwischen Althusius und der Politia Judaica kann man nämlich mit diesem Oszillieren zusammenfassen und umschreiben, das im Übrigen für viele andere Autoren der Zeit typisch ist, die über die Respublica Hebraeorum schreiben, Bodin eingeschlossen: dem Oszillieren zwischen einer „wissenschaftlichen“ Erörterung des alten Israel als einer Zivilisation, als einer zu analysierenden, zu verstehenden und mit anderen Zivilisationen und politischen Gemeinschaften des Altertums und der Neuzeit zu vergleichenden politischen Gemeinschaft auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Betrachtung der Einzigartigkeit, des Heiligen, des Göttlichen in der Geschichte eines Staates, dessen Volk nach Aussagen der Heiligen Schrift das Volk Gottes ist. Man darf niemals vergessen, dass die Geschichte dieser politia nicht in irgendeinem Geschichtswerk dargestellt wurde, sondern in der Bibel, in den Worten Gottes, die dieses Modell heilig machten und deshalb mächtiger als jedes andere. Während das hebräische Modell seine Normativität aus der Sakralität der biblischen Geschichte bezieht, aus seinem einzigartigen weil in gleicher Weise göttlichen und irdischen Charakter, ergeben sich für einen Forscher zur Politik im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert eine Reihe von äußerst interessanten Konsequenzen: Zum Beispiel, dass im alten Israel göttliches und positives Recht in eins fallen. Aber gerade in diesem Oszillieren zeigen sich einige sehr wichtige Aspekte des althusischen Denkens, etwa im Bemühen, dem Beispielcharakter des Modells der sum populum complexa est [ . . . ] altera, quae singula ipsius populi tribus; tertia, quae singula singularum tribuum civitates“, die dann auch in De Respublica emendanda aufgegriffen und dem jungen Grotius zugeschrieben wird: „In Hebraico populo tria sunt genera corporum speciem reipublicae praeferentia, minimum corpus est unaquaeque civitas: medium Tribus, quae plures continet civitates: maximum ex ipsis Tribubus constans Imperii Israelitici communitas“, vgl. V. Conti, ebd. u. S. 105 – 119. 17 Vgl John Coffey, Johannes Althusius (FN 13). 18 Vgl. A. M. Lazzarino Del Grosso, La ,Respublica Hebraeorum‘ come modello politico ,scientifico‘ nella Methodus di Jean Bodin, in: Politeia biblica (FN 1), s. 382 – 398.

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Politia Judaica einen „wissenschaftlichen“ Anstrich zu geben, im Bemühen, seine Normativität in einigen Fällen zu umschreiben und / oder einzugrenzen19; oder im Bemühen, wissenschaftlich sich der Grenzen des in eins Fallens von göttlichem und positivem Gesetz zu versichern, in dem Versuch, in aller Genauigkeit auszumachen, welches die Gesetze des alten Israel waren, die an die historische Kontingenz gebunden und folglich nicht notwendig und für die Menschen des 17. Jahrhunderts nicht notwendigerweise normativ sind, und welche dagegen die Gesetze des alten Israel sind, in denen die göttliche Prägung stärker war, die notwendigen Gesetze – und unter diesen die Zehn Gebote –, die (zumindest zur Zeit des Althusius) noch als zwingend angesehen wurden. Der Unterschied zwischen notwendigen und nicht notwendigen Gesetzen erfolgt nach einer von Franciscus Junius mit seiner Schrift De politiae Mosis observatione20 initiierten Denktradition, die auf die Gesamtheit der Moses von Gott gegebenen Gesetze angewendet wird, einer Schrift, auf die zwanzig Jahre später Hugo Grotius zurückgreift, der eben von diesem Franciscus Junius, einem Theologieprofessor, seine ersten hebräischen Worte gelernt hatte.21 Und genauso wie es bei Grotius möglich ist, den Weg zu rekonstruieren, der den Holländer dahin bringt, in den folgenden Ausgaben von De iure belli ac pacis immer häufiger die Literatur über die Politia Judaica heranzuziehen, was in seinen Annotationes in Vetus Testamentum den Höhepunkt erreicht, ist es bei Althusius möglich, seit den ersten Werken über das Römische Recht eine zunehmende Häufigkeit dieser Themen nachzuweisen. Bereits in den Civilis Conversationis libri duo (1601) zeigen sich offen die Bezugnahmen von Althusius auf die Literatur zur Respublica Hebraorum, wenn sie auch nicht für alle Leser, so doch für die Spezialisten offensichtlich sind, die, wie im Fall von Emilio Bonfatti, gezeigt haben, dass sie direkt aus der Schrift Jeremias, sive de Actione, de habitu et gestu von Benito Arias Montanus stammen, dem großen Judaisten, der von Philipp II. damit beauftragt wurde, die Oberaufsicht über die Ausgabe der Polyglotte von Antwerpen, die Biblia Regia (1569 – 1572) zu übernehmen und der dieser einen beeindruckenden dreibändigen kritischen Apparat beigegeben hatte, mit einer außerordentlichen Fülle von Abhandlungen über die Geschichte, die Sprache, die Archäologie, die Fauna und die unterschiedlichsten Aspekte des Heiligen Landes. Montanus kann mit Recht als einer der großen Autoren zur Respublica Hebraeorum angesehen werden, der allen Vertretern dieser Tradition bestens bekannt ist, auch wenn er nur selten ausdrücklich zitiert wird.22 Bonfatti hat besonders aufgezeigt, wie der JereOhne sie jedoch jemals zu bestreiten, wie es 70 Jahre später nur Spinoza können wird. Vgl. F. Junius, De politiae Mosis observatione; quid in populo Dei observari, quid non observari ex ea oporteat, postquam gratia et veritas per Christum facta est, et Evangelio promulgata, Lugduni Batavorum, Ex officina Plantiniana, apud Franciscum Raphelengium, 1593. 21 Vgl. Campos Boralevi, La Respublica Hebraeorum nella tradizione olandese, in Politeia biblica (FN 1), S. 453. 22 Vgl. ebd., S. 431 f. u. 447 – 453. 19 20

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mias des Montanus von Althusius in seinen Civilis conversationis libri duo, methodice digesti et exemplis sacris et profanis passim illustrati ausgiebig benutzt (man würde besser sagen: ausgeschlachtet) wurde.23 Die Themen, die mit der Politia Judaica verbunden sind und die Verweise auf diese Literatur nehmen in den verschiedenen Ausgaben der Politica zu und gipfeln in der Ausgabe von 1614, mit der zitierten programmatischen Erklärung, die im Gegensatz zu den vorherigen Ausgaben bereits im Vorwort gemacht wird, die also von den ersten Zeilen an das stärkere Bewusstsein des Althusius für diese Thematik unterstreichen will, was sich darin nicht erschöpft, sondern vielmehr in der Dicaelogica weiter entwickelt werden wird, die 1617 veröffentlicht wurde – in demselben Jahr also, in dem die drei Bücher über die Respublica Hebraeorum von Petrus Cunaeus herauskamen. 5. Die Collatio legum Mosaicarum et Romanarum war im fünften Jahrhundert ein ungewöhnlicher Text: Er machte geltend, dass das göttliche Recht, das in der Heiligen Schrift als mosaisches Gesetz offenbart wird, älter ist, dass es zumindest in einigen Punkten das römische Recht vorweggenommen hat und, mehr noch, dass in diesen Punkten zwischen den beiden Rechten vollkommene Übereinstimmung bestanden hat. Die Collatio zielte darauf ab, eine mögliche Koexistenz von mosaischem Recht, verstanden als juristische Norm mit eminent moralischem und religiösem Zug und dem römischen Recht, verstanden als eine Norm positiven Rechts, der man Folge leisten musste, nachzuweisen. Die Beweismittel der Collatio sind nicht zufällig zusammengestellt. Ihre Titel entsprechen dem zweiten Teil des Dekalogs.24 Die Forscher haben die unterschiedlichsten Hypothesen darüber vorgebracht, wer der Autor des Werks sein könnte und welche seine Ziele sind: Zu den anerkanntesten Thesen zählen die, die davon ausgehen, dass es sich um einen apologetischen jüdischen Text handelt oder um eine Art Lehrbuch des römischen Recht für den Klerus, eine Hypothese, die die enorme Präsenz und die Ordnung des Dekalogs erklären würde, mit dem das römische Recht verglichen wird25. Das Wich23 Vgl. J. Althusius, Civilis conversationis libri duo, methodice digesti et dexemplis sacris et profanis passim illustrati, Hanoviae, Apud Haeredes Guilielmi Antonii, 1601; vgl. E. Bonfatti, Di una fonte taciuta nei ,Civilis Conversationis Libri Duo‘ di Johannes Althusius, in: Filosofia politica 10 (1996), S. 33 – 38. 24 Die Titel I und II (De sicariis et homicidis und De atroci injuria) beziehen sich auf das sechste Gebot „Du sollst nicht töten“; die Titel IV-VI (De adulteriis, De Stupratoribus, De incestis) beziehen sich auf das siebte Gebot „Du sollst nicht begehren deines nächsten Frau“; die Titel VII –VIII (De furibus, De falso testimonio) beziehen sich auf das achte Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“, usw. Der Text hebt die Berührungspunkte zwischen den beiden Rechten hervor und übergeht folglich zum Beispiel die mosaischen Gesetze zum Jubiläum oder jene über die Sklaverei, die sich tiefgreifend vom Römischen Recht unterscheiden. Vgl. M. Hyamson (Hrsg.): Mosaicarum et Romanarum Legum Collatio, London 1913. 25 Zu diesem Themenkomplex bleibt aufgrund der Fülle an Perspektiven unübertroffen E. Volterra, Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, in: Memoria della reale Accademia dei Lincei 327 (1930), Serie VI, III,1, S. 5 – 123.

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tigste war das plötzliche Wiederauftauchen der Collatio, die zwar im Mittelalter eine gewisse Verbreitung gefunden hatte26 und 1544 von Jean Dutillet in einem nordfranzösischen Kloster wiederentdeckt und von ihm Licinius Ruffinus zugeschrieben wurde. Die Wiederentdeckung wurde sofort zu einer Sensation: Die Nachricht verbreitete sich sofort in den Gelehrtenkreisen und erreichte Charondas, Contius, Cujas, Josephus Justus Scaliger und Isaac Casaubon, die Briefe von unbändiger Begeisterung austauschten und Kommentare wie Anmerkungen für die Veröffentlichung des Texts vorbereiteten, von dem inzwischen verschiedene Abschriften zirkulierten. Aber erst 1572, nicht zufällig kurz nach der Bartholomäusnacht, beschloss Pierre Pithou, den von ihm kommentierten Text zum Druck zu geben und ihm dem hervorragenden „Christophorus Th. Celius“ zu widmen, dank dem er „publicae utilitati hoc tempore praestare potuit“. Auf diese erste berühmte Ausgabe folgten in weniger als einem Jahrhundert mehr als zwanzig weitere, von dieser sich unterscheidende Editionen. Die zwei zentralen Thesen der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum – das höhere Alter des mosaischen Rechts, aus dem das Römische Recht hervorgegangen sein soll und, vor allem, das Fehlen jeglichen Unterschieds zwischen den beiden Rechten – kamen den Bedürfnissen dieser Späthumanisten offensichtlich entgegen, die zudem von der Autorität eines derart alten und authentischen Dokuments fasziniert waren. Mehr oder weniger alle stimmten der Zuschreibung an Licinius Rufus zu, und die Collatio, die viele auch als Lex Dei oder als Collatio Legis Judaicae bezeichneten, wurde rasch Bestandteil ihres Wissensschatzes. Die beeindruckende Folge der verschiedenen Editionen der Collatio ist nur eine Erscheinung von vielen in einer Blütezeit von einschlägigen Studien, die vom Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herauskamen, unter denen beispielsweise an die Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum Parallela des Engländers William Welwood zu erinnern ist, die nach der Basler Ausgabe von 1574 im Jahre 1594 in Leiden veröffentlicht wurde27. Zu diesen Untersuchungen zählt auch das Werk des Althusius, der in der Dicaelogicae [ . . . ] Totum et universum Jus, quo utimur, methodice complectentes: cum parallelis hujus et Judaici juris die Themen der verschiedenen Ausgaben der Collatio aufgriff und sie den Regierenden von Emden widmete, „Deo praeside et ductore“ und damit Ordnung und Methode in ein Werk brachte, das er als Opus tam theoriae quam praxeos aliarumque Facultatum studiosis utilissimum ansah28.

26 Vgl. L. Loschiavo, La legge che Dio trasmise a Mosè. Fortuna medioevale di un’operetta volgare, in: Rechtsgeschichte 2 (2003), S. 72 – 86. 27 William Welwood, Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum Parallela, Lugduni Batavorum, Ex officina Plantiniana, apud F. Raphelengium, 1594. 28 Vgl. J. Althusius, Dicaelogicae Libri Tres, Totum et universum Jus, quo utimur, methodice complectentes: cum parallelis hujus et Judaici juris, [ . . . ] Opus tam theoriae quam praxeos aliarumque Facultatum studiosis utilissimum, Herbornae Nassoviorum, apud Christophorum Corvinum, 1617.

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Aber auch abgesehen von den Dicaelogicae, die von den Althusiusforschern zu Unrecht vernachlässigt werden, ermöglicht uns die Kenntnis der Collatio und ihrer Bedeutung in der kulturellen und politischen Diskussion der Zeit zweierlei: zum einen werden einige Passagen in der Politica besser verständlich: ihre zahlreichen Verweise auf die Collatio, die häufig in der verkürzten Form als Lex Dei zitiert wird (was die Forscher offensichtlich irregeführt hat); und zum andern wird der Aufbau der Politica verständlicher, die sich als Traktat einer politischen Wissenschaft darstellt, die auf dem zweiten Teil des Dekalogs beruht. Die Verwendung der Collatio, die Analyse der Politia Judaica und die Diskussion all der großen Themen, die die Tradition der zeitgenössischen Literatur über die Respublica Hebraeorum lebendig erhalten, zeigen, wie aktiv Althusius an dieser kulturellen und politischen Bewegung teilhat, die von einem methodologischen Zugriff gekennzeichnet ist, der den Gebrauch der modernsten Mittel der Philologie und der vergleichenden politische Wissenschaft zuließ, um die großen theologischpolitischen Traktate der Neuzeit abzufassen: die Politica des Althusius, den berühmten Tractatus Theologico-politicus des Spinoza, aber auch den ersten der Two Treatises of Government von John Locke.

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Populus 1. Der Begriff populus bezeichnete den Träger der majestas, der Souveränität, der respublica: Das ist der wesentliche Grund für seine Bedeutung in der Politica. Der Begriff hat eine doppelte semantische Konnotation: In den ersten 19 Kapiteln und in Kapitel XXXVIII bezeichnet der Begriff ein Subjekt superior et prior rege auf Grundlage des Rechtstitels der majestas; in Kapitel XXIII werden dagegen die Eigenschaften herausgestellt, aufgrund derer das Volk administratio und gubernatio nötig hat; eben weil der populus sich nicht selbst verwalten kann, vertraut er den Magistraten mittels Mandatsvertrag das ministerium der administratio und der gubernatio an. Das Wohlergehen des populus ist der Kerngedanke, das Ziel des Vorgangs der gubernatio, aber das Volk führt sie nicht direkt aus. Seine Überlegenheit und sein „Vorrang“ gegenüber demjenigen, der es verwaltet, ist die Superiorität des Beauftragenden gegenüber dem Beauftragten; aber die Theorie des Mandatsvertrags verlangt, dass der Beauftragte in der Wahl der Mittel, die geeignet sind, die utilitas und die commoditas des Auftraggebers sicherzustellen, frei ist (auch wenn es sich um eine Autonomie handelt, deren Gebrauch der Beauftragte gegenüber dem Auftraggeber in Anwesenheit von dessen Repräsentanten, den Ephoren, verantworten muss). Die Kriterien zur Beurteilung die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit der vom Beauftragten angewandten Mittel liefern die Tafeln des Dekalogs und die tradierten Gesetze. Die Politica des Althusius zeichnet den populus als Trägersubjekt der Souveränität, als leichtes Opfer und gleichzeitig möglichen Sockel für die Tyrannis. Diese doppeldeutige, oszillierende Gestalt legitimiert die Funktionen der administratio und der gubernatio als Dämme gegen die Tyrannis.1 2. Der Ausgangspunkt der althusischen Ausarbeitung des Konzepts des populus ist das juristisch-politische Denken des spätrepublikanischen Rom. Cicero stellt fest: „Populus autem non omnis coetus quoque modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus“2. Im Hinblick auf die Formulierung Ciceros erweist sich die bekannte Definition des Festus als komplementär und verdeutlichend: „Populi commune est in legibus ferendis cum plebe 1 Vgl. die Artikel Majestas (Jura Majestatis) und Tyrannis von D. Quaglioni und Ephori von S. Testoni Binetti im vorliegenden Band. 2 Vgl. Cicero, De Republica I, 25. Der Passus wird auch von Augustinus zitiert in De Civitate Dei contra Paganos II, 21 u. XIX, 21 u. 24.

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suffragium: nam comitia ex patribus et plebe constat“3. Der coetus Ciceros ist nämlich aus einer Vielzahl von ordines zusammengesetzt. Der Begriff Ciceros findet sich (angepasst an das vom Prinzipat seit Octavian Augustus neu geschaffene Klima) von Seneca an in De Clementia, von Plinius dem Jüngeren im Panegyricus des Trajan und vom Corpus iuris an im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen populus und princeps. Der populus weist dem princeps die Aufgabe zu, es zu regieren und zu verteidigen. Nach der römischen Sicht des Verhältnisses populus-princeps ist der populus Träger der Souveränität, der den princeps mit der Aufgabe betraut zu regieren, weil er nicht in der Lage ist, wirklich sein eigener Souverän zu sein. Von diesem Ausgangspunkt haben sich, als sich im politisch-europäischen Kontext Europas Tendenzen abzeichneten, die auf eine Zentralisierung der souveränen Macht hinausliefen, nach und nach Versuche herauskristallisiert, die maiestas des princeps mit der Rolle des populus zu versöhnen. Hier hat die vielfach behandelte Frage nach der „wahren“ Bedeutung der Definition des princeps als legibus solutus ihren Ursprung. Die Versöhnung erforderte allerdings unvermeidlich eine Begrenzung der Macht des princeps. Mit der Absicht, jede Form der soluta potestas zu bestreiten, greift Althusius auf den hier eingangs zitierten Passus Ciceros zurück, ferner auf die Modelle des princeps, die von Seneca und Plinius dem Jüngeren ausgearbeitet wurden, vor allem aber auf die Schrift De Principatu von Mario Salamonio degli Alberteschi von 1512 – 1513, die nach Alberteschis Tod 1544 veröffentlicht wurde. Salamonio stellt fest: „Populus creans maior est a se creato Principe“.4 mit zwei bezeichnenden Glossen: „Qui mandatum [ . . . ] accipit minister quidam est eius qui mandat“5 und „Assumitur autem Princeps ad gubernationem civilis societatis, et ideo sunt leges quibus utitur Princeps, ad Deorum et populi maiestatem conservandam atque imperium exercendum“.6 Daraus folgt, dass die Institution des der princeps eingerichtet worden ist „sola ad commoda populorum“.7 Das Wohlergehen des Volkes ist das Ziel der Regierungshandlung: Dies ist der Gesichtspunkt, den Althusius als anti-tyrannischen Dreh- und Angelpunkt in der Politica geltend macht, wobei er den populus als „janusköpfiges“ Subjekt darstellt, das Hüter der maiestas ist und der administratio wie der gubernatio bedarf. Die juristisch-politische Geschichte des Wortes macht deutlich, dass diese Vorstellung des Althusius sehr tiefe Wurzeln hat. 3 Sextus Pompeius Festus, De verborum significatu quae supersunt cum Pauli epitome, Ed. W. M. Lindsay (1913), ND, Hildesheim 1965, S. 264, II.17 – 22; das oben angeführte Zitat gibt die Ergänzungen des verstümmelten Texts von Carl Ottfried Müller in seiner Ausgabe von 1839 wieder und dann in der von 1880 des Festus-Texts, die Lindsay im kritischen Apparat auf S. 265 aufführt. 4 Vgl. M. Salamonio, De principatu, hrsg. v. M. D’Addio, Mailand 1954, S. 18. 5 Ebd., S. 24. 6 Ebd., S. 30. 7 Ebd.

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Populus kennzeichnet in der politischen Sprache am Ende der Römischen Republik sowohl die Fraktion der populares, in Opposition zu derjenigen der optimates, als auch einen gewissermaßen „zwischenklassischen“ Begriff, der nicht an die sozialen Klassen gebunden ist, die ständig im Streit sind, analog zum Plural des Begriffs civis.8 Als juristisch-politisches Subjekt ist der populus der Eigentümer der res publica.9 Der Stand des freien civis, dem das Kriterium des census komlementär ist, ist Voraussetzung für die Teilhabe am populus.10 Am Ende der republikanischen Zeit bezeichnet populus „eine Gemeinschaft, die aus verschiedenen Willen organisiert ist, und in diesem Sinne muss man sicher die Meinung teilen, die die Grundnorm der römischen Verfassung im Verbot ausgemacht hat, den öffentlichen Willen dem Willen eines einzelnen Individuums unterzuordnen, und die das Subjekt der Macht im populus erkennt“11. In der Zeit des fortgeschrittenen Prinzipats ist wie bei Gaius12 und in den Digesten13 der populus ein corpus ex distantibus, der sich selbst immer gleich bleibt, auch wenn nach einem Jahrhundert keiner von denjenigen mehr lebt, die einmal Teil von ihm waren. Nach den Digestenist jenes Volk als frei zu bezeichnen, „qui nullius alterius populi potestati est subiectus“. Darin ist die Konzeption der Übertragung des imperium und der potestas auf den Imperator enthalten: „Quod principi placuit, legis habet vigorem: utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem confertat“.14. Daraus folgt, dass „Quodcumque igitur imperator per epistulam et subscriptionem statuit vel cognoscens decrevit vel de plano interlocutus est vel edictu praecepit, legem esse constat“.15 Dennoch: „In rebus novis constituendis evidens esse utilitas debet, ut recedatur ab eo iure, quod diu aequum visum est“.16 Nach den Digesten beinhaltet die Übertragung des imperium nicht das Zugeständnis unbeschränkter Macht; im Gegenteil: die Einführung neuer Gesetze ist durch ihre offensichtliche Nützlichkeit bedingt; Nützlichkeit für das Subjekt, das die Befehlsgewalt auf den Kaiser übertragen hat, wie es das Ziel des Übertragungsakts selbst deutlich macht. Das ProbVgl. L. Peppe, Popolo, in: Enciclopedia del Diritto, Bd. 34, Mailand 1985, S. 315 ff. Cicero, De Republica I, 25: „Est igitur [ . . . ] res publica res populi“; ebd. I, 26: „Omnis ergo populus qui est talis coetus multitudinis qualem exposui, omnis civitas quae est constitutio populi, omnis res publica quae dixi populi res est, consilio quodam regenda est, ut diuturna sit“. 10 Vgl. L. Peppe, Popolo (FN 8), S. 321. 11 Gaius, I, 3, vgl. Gai Institutionum commentarii quattuor separatim ex iurisprudentiae anteiustinianae reliquiis a P. E. Huschke compositis iterum ediderunt E. Seckel et B. Kübler, editio secunda, Lpsiae, in aedibus B. G. Teubneri, 1908, S. 2. 12 Digestum 5, 1, 76. 13 Digestum, 49, 15, 7, 1. 14 Digestum, I, 4, 1. 15 Digestum I, 4, 1, 2. 16 Digestum I, 4, 2. 8 9

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lem besteht natürlich darin zu klären, welche Subjekte berechtigt sind, die evidens utilitas der kaiserlichen Maßnahmen zu beurteilen, die den Rechtsbestand erneuern – ein Problem, das mit der Zweideutigkeit der kaiserlichen Macht zusammenhängt. Die kaiserliche Herrschaft gründete sich anfangs zum einen auf die auctoritas von Augustus und zum andern „auf eine Reihe von persönlichen und wiederholt erneuerten und von regulären Beschlüssen des Senats und des römischen Volks zugestandenen Rechten“.17 Eben die lex de imperio Vespasiani18, die dem Kaiser die Macht übertrug, alle legislativen Handlungen zu vollziehen, die ihm notwendig erscheinen19, legitimiert die Vorschrift der Digesten20. die den Kaiser als von den Gesetzen entbunden darstellen und ihm die volle Macht zuweisen, die in der Tat immer zentralistischer werden wird. Im Mittelalter bezieht sich der populus „immer auf komplexe menschliche Wirklichkeiten, also auf menschliche Zusammenschlüsse, die von elementaren Zusammenschlüssen gebildet werden, die ihrerseits populi sind“21. Diese Zusammenschlüsse kennzeichnet das Leben mit dem Wort ius, wie in De verbis quibusdam legalibus nachzulesen ist, einem anonymen Werk aus der Frühzeit der Schule von Bologna22. das der Forderung Ciceros in De Republica nachkommt (I, 25, wie oben zitiert). Der populus entspricht nach dem anonymen Fragmentum de aequitate der universitas: „Universitas, id est populus, hoc habet officium, singularis scilicet hominibus quasi membris providere. Hinc descendit hoc ut legem condat, conditam interpretetur et aperiat“23. Für Bartolus von Sassoferrato ist der populus einer jeden Stadt, jeder Burg, jeder Villa collegia permissa im Sinne des ius gentium, er kann sich also selbst konstituieren („sibi constituere“). Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts hatte Cino da Pistoia den populus als Quelle der kaiserlichen Macht ausgewiesen, auf der Linie der Glosse des Accursius, der im populus den minister Dei ausmachte; Giovanni Bassiano hatte im Kaiser den procurator Gottes Vgl. G. Poma, Le istituzioni politiche del mondo romano, Bologna 2002, S. 128. Vgl. M. H. Crawford (Hrsg.), Roman Statues, 2 Bde., London 1996, Bd. 1, S. 549 ff.; für einen akkuraten Abriss der Problemlage vgl. Poma, Le istituzioni (FN 17), S. 129 f. 19 Digestum, I, 4,1: „Quod principi placuit legis habet vigorem.“ 20 Digestum, I, 3, 31: „Princeps legibus solutus est.“ 21 G. tantini, Populus, in: Enciclopedia del diritto (FN 8), Bd. 34, S. 331; zum Werk in seinen Grundzügen dort, S. 330 – 341 wobei hinzuzuziehen ist F. Calasso, I Glossatori e la teoria della sovranità, Mailand 1957, S. 92 – 97. 22 Vgl. F. Patetta, De verbis quibusdam legalibus, in: Bibliotheca Iuridica Medii Aevi, Bd. II, Bologna 1892, S. 131: „Populus est collectio multorum ad iure vivendum, quae nisi iure vivat, non est populus“. Irnerius stellt fest, dass allein die Tatsache ausschlaggebend ist, dass „das Volk einer universitas seine Befehle iure erteilt und feierliche Versprechungen nomine singulorum machen kann. Das Volk ist also eine juristische Struktur, die ihre Basis aus der Legalität bezieht.“, wie Santini schreibt, in: Enciclopedia del diritto (FN 8), Bd. 34, S. 334. 23 Vgl. G. Santini, Enciclopedia del diritto (FN 8), Bd. 34, S. 334. Man vergleiche in der Folge Marsilius von Padua, Defensor pacis, I, 4, 5 und I, 3, 4, 5 (von Santini herangezogen ebd., S. 335, Anm. 45), der der Auffassung ist, dass die universitas civium eine vollständige Verbindung darstellt „et terminum habens per se sufficientiae“. 17 18

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auf Erden erkannt24. Es entstand auf diese Weise ein Zirkel, der Gott, populus und imperator miteinander verband und unmissverständlich im populus den Träger der Macht erkannte, sich Gesetze zu geben25. Aus dieser Verbindung ergaben sich Interpretationen, die in der Regierung der voluntas principis den Vorzug gaben26, und Deutungen wie die von Baldo degli Ubaldi, die dem Willen des populus entsprechend der grundsätzlichen Doppeldeutigkeit der überkommenen Lehre des Römischen Rechts größeres Gewicht gaben. Bis hierhin ist deutlich geworden, dass der gemeinsame Zug in allen Definitionen des populus als Inhaber der Macht, Gesetze zu geben, darin besteht, dass der populus nicht über die Fähigkeit zur Selbstregierung verfügt; die Grundlage der Theorie des Mandatsvertrags selbst besteht darin, dass der populus die Regierung nicht selbst ausüben kann, sondern sie durch einen oder mehrere Beauftragte ausüben lassen muss. Cicero sieht den populus als befähigt zu Maß und Weisheit an, aber er sieht ihn auch dazu in der Lage, den Staat seinem eigenen Willen anheim zu geben27 und sich so in eine enthemmte Menge zu verwandeln, die die Ordnung der respublica auf den Kopf stellt. Genau diese Neigung zur Zügellosigkeit ist es, die es notwendig macht, ihm eine gubernatio aufzuerlegen. Eben dieser Aspekt des populus wird von den Autoren des 16. Jahrhunderts betont, die Althusius zu seinen Quellen wählt. So stellt Niccolò Losa (Nikolaus Losaeus)28 fest, dass die Schwierigkeit, einen großen populus zu vereinen, dazu geführt hat, Regierungsorgane zu schaffen, über die „Reipublicae regerentur, administrarentur, nec non conservarentur“.29 Im Volk „inest plebs“ und „vulgares et plebei facile dissentiunt“.30 Petrus Gregorius stellt fest: „Populus aliunde, plerunque abutitur licentia et libertate vel indulgentia principum, et gubernatorum, et quia bestia multorum capitum, vix in unam saltem sanam convenit sententiam: et in eam condiscendens, non diu in ea perseverat: mutationibus et suspicionibus obnoxius, sine ratione actus instituens, aut perficiens“.31 Der populus „non potest probe sibi consulere“.32 Francesco Patrizi bemerkt: „Plebs namque omnis aut humiliter servit, aut cum magna G. Santini, Enciclopedia del diritto (FN 8), S. 337. Vgl. Baldo degli Ubaldi, In l. omnes populi, ff. de iustitia et iure [Digestum 1, 1, 9] und die wirklichkeitsnahe Bemerkung von Johannes von Paris, De potestate regia et populi, dem gemäß der rex a voluntate populi gemacht wird; auf beide verweist Santini, Enciclopedia del diritto (FN 8), Bd. 34, S. 338, Anm. 47 u. 48. 26 Sie stützen sich auf die Gestalt des princeps als minister Dei bei Paulus, Römer, 13, 4. 27 Vgl. Cicero, De Republica I, 42 mit einem Zitat aus Platon, Republik, 562d-563c; und Cicero, De Republica, I, 43. 28 Vgl. Universitas von A. Torre im vorliegenden Band. 29 Vgl. N. Losa, Tractatus de iure universitatum, Mediolani, Apud Io. Baptistam Bidellium, 1619, I, 3, Nr. 10 – 11, S. 50. 30 Ebd., I, 3, Nr. 7, S. 50. 31 Vgl. Petrus Gregorius, De Republica libri XXVI, Lugduni, Sumptibus Ioannae Baptistae Buysson, 1596, IV, 3, 16, S. 150. 32 Ebd., Titel von V, 3, 26. 24 25

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crudelitate imperat“.33 Das Volk bedarf als juristisches Subjekt der eigenen gubernatio, weil es dazu neigt, sich von Leidenschaften hinreißen zu lassen und weil es unfähig ist, selbst für sein eigenes Wohlergehen zu sorgen. Über die ciceronianische Tradition hatte sich eine problematische Konzeption des populus den Weg gebahnt, die allerdings Salomonio nicht beeinflusst hat, eine andere wichtige Quelle für die Politica des Althusius. In De Principatu, wird, wie deutlich wurde, der populus in Übereinstimmung mit dem Ziel der Schrift, den anti-zentralistischen Charakter der respublica geltend zu machen, rein juristisch betrachtet. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Gebrauch, den Althusius von populus macht, jenem von Losa, Gregorius und Patrizi näher, ein Wortgebrauch , der seinerseits auf Cicero zurückgeht. 3. Das Wort populus kommt auf den 968 Seiten der Politica von 161434 mindestens 475 mal vor, ist aber nur in Kapitel XXIII Gegenstand einer spezifischen und dezidierten Abhandlung. Man muss vier Bedeutungen des Begriffs unterscheiden: 1) Volk als Komplex von ordines; 2) als ordo der nicht-Adgen; 3) als turba; 4) als Stadt ohne Magistrat. Die ersten beiden Bedeutungen stehen in Kap. IV, 26 – 30 nebeneinander: Der populus ist ein Körper, der sich bereits bei den Römern, den Juden und den Ägyptern in verschiedene ordines gliedert; die ordines verwalten die der Lebensgemeinschaft gemeinsamen Rechte auf Provinz- und Staatsebene: „Hodie in plerisque locis populus civitatis, provinciae, vel regni aut politiae, ratione professionis suae et vacationis, seu ex vitae institutae genere et diversitate in tres ordines, status, sive generalia, majora collegia distribui solet [ . . . ] tertium est populi, seu plebis, quae a scholasticis hominibus, agricolis, mercatoribus, opificibus existit“. Der populus ist eine Einheit, die in den ordines der Berufsgruppen und in der Art der Lebensführung zum Ausdruck kommt, ist aber auch selbst einer der ordines. Hinsichtlich des ersten Aspekts ist er die Substanz der politía. Populus heißt darüber hinaus eine Gesamtheit von „homines congregati sine jure symbiotico“, die als „turba, coetus, multitudo, populus, gens“ (V, 4) bezeichnet wird. Auch die urbs magistratus habens fällt unter die Bezeichnung populus (V, 49). Das regnum, also der Staat, ist proprietas populi (IX, 4) im ersten Sinne von populus, wie von folgendem Passus bestätigt wird: „Juris hujus regni statuendi et se obligandi ad id, potestatem populus, seu membra regni consociata habent“ (IX, 16). Hier wird populus als Gesamtheit der ordines verstanden und ist „konstituierendes Subjekt“ der majestas des Königs (X, 24) und als solches dem Besitzer eines Schiffs vergleichbar: „Respublica vero navi [erg. comparatur], populus autem domino navis“ (XVIII, 7); der oberste Magistrat ist also dem Kommandanten eines Schiffes vergleichbar. 33 Vgl. F. Patrizi, de Institutione Reipublicae libri IX, editio postrema, Argentinae, Impensis Lazari Zetzneri, 1544, S. 24. 34 Weniger häufig ist das Adjektiv popularis (etwa 16 Nachweise) und das Substantiv plebs (ebenfalls etwa 16 Nachweise).

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Der populus ist „natura et tempore prior, potior et superior [ . . . ] suis gubernatoribus“35. Er hat sich nämlich vorher nach festgelegten Gesetzen zusammengeschlossen und dann den Ministern und Herrschern jene Regierungsfunktionen anvertraut, die er allein nicht erfüllen konnte (XVIII, 10).36 Die universale Lebensgemeinschaft ist der populus und als solche macht er den rex, den director, den gubernator, den curator. Wie der oberste Magistrat zum Tyrannen degenerieren kann, so kann sich der populus zur wilden Menge entwickeln; um diese Gefahr zu vermeiden, erfolgt die Gliederung der Lebensgemeinschaft in membra und ordines. Diese sind Träger des Rechts zur Entscheidung und gliedern sich in concilia und comitia, deren Funktion wie folgt erklärt wird: „Hoc modo libertas quadam populo relicta superest, atque administratores publici, rationes suae administrationis reddere, ad populum, seu universalem consociationem dominum suum, a quo constituti, agnoscere coguntur“ (XVII, 60). Der populus ist durch die consilia (oder comitia) frei, ein echtes Kontrollinstrument gegenüber den öffentlichen Verwaltern. Diese müssen dem populus über ihre Verwaltungstätigkeit Rechenschaft ablegen. Dieser ist Herr seiner Verwalter, weil er sie eingesetzt hat, damit er nicht zur turba wird, das heißt, damit er gegliedert, geordnet und differenziert ist. Als turba ist der populus aufrührerisch, auf Wechsel aus, unduldsam bezüglich des täglichen Daseins, immer auf der Suche nach einer anderen Ordnung und einer anderen Verfassung für den Staat (XXIII, 30)37, Frieden und Ruhe gegenüber feindlich eingestellt, vor allem wenn es die Führung hat („praesertim quando dux est“). Seiner Natur nach neigt der populus dazu, Gebräuche und Lebensstil des obersten Magistrats zunachzuahmen, so gut oder schlecht diese auch sein mögen (XXIII, 31). Aufgrund dese fehlenden Unterscheidungsvermögens beim Volk kommt dem Fürsten eine wichtige Funktion und große Verantwortung zu: Er muss ein Vorbild sein. Althusius zitiert diesbezüglich Siracch 10, 2 und das Wort: „Qua35 Ein vergleichbares Konzept findet sich unter den zahlreichen calvinistischen Schriften im Réveille-Matin des Français et de leurs voisins composé par Eusèbe Philadelphe Cosmopolite en forme de Dialogues, Edimburgh, J. James, 1574; lateinische Ausgabe 1573, französische Ausgabe 1573; dazu F. Mesnard, L’essor de la philosophie politique en XVI siècle [1952] (ital. Ausg.) Bd. 1, S. 547; Mesnard schreibt, dass das Volk als finale Ursache und Wirkursache des Königs angesehen wird und dass es für den König und für jeglichen Magistrats kein anderes Ziel geben kann als das Wohlergehen des Volks. 36 Vgl. auch XVIII, 59, S. 295 u. XVIII, 93, S. 310. Diese Aussage stützt sich auf die Autorität von F. Vázquez, Illustrium Controversiarum, I, c. 44, n. 6, c. 1, c. 42, wird aber bereits in der Lex de imperio Vespasiani vorausgesetzt. Vgl. die Ausarbeitung des Prinzips des Vorrangs des populus gegenüber dem princeps in M. Salamonio, De Principatu (FN 4), lib. II, S. 11 – 32. 37 Für einige Beispiele des vorwiegend negativen Gebrauchs des Begriffs turba vgl. Digestum 47, 8, 4: „Turbam multitudinis hominum esse turbationem et coetus, at rixam duorum“ [erg.: Labeus ait]; Sallust, De coniuratione Catilinae, 38: „Semper in civitate quibus opes nullae sunt, bonis invident, malo extollunt, turba atque seditionibus sine cura aluntur“.

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lis rex talis grex: qualis princeps talis populus“.38 Die Tugenden oder Fehler des Fürsten sind für das Heil des Staates entscheidend, das nichjuristisch, sondern ethisch betrachtet wird; das Ethos des Fürsten ist ausschlaggebend für das des populus und folglich für das Wohlergehen der Respublica. Der Fürst, der um diese wandelbare, nicht fassbare, tendenziell undisziplinierte Natur weiß, muss die Stände des Reichs häufig zusammenrufen und ihnen aufmerksam zuhören und es zulassen, dass sie sich frei heraus beschweren (XXIII, 33). Dazu ist es angebracht, auch Zensoren einzusetzen, Beobachter und Bevollmächtigte, die als „magistratus aures“ (Ohren des Magistrats) fungieren; es ist angebracht, die Treffen und Zusammenkünfte der Untertanen und des breiten Volks zu kennen und zu untersuchen (XXXIII, 38)39, vor allem die nächtlichen: die Nacht ist nämlich die Zeit, in der bestimmte Agitatoren die schlechtesten Elemente versammeln, um Unfrieden zu säen. Auch die Verhaltensweisen der Hof- und Palastdiener müssen sorgfältig überwacht werden: Sie bereiten nämlich oft den Niedergang des Magistrats und seiner Befehlsgewalt vor: für den summus magistratus ist dies ein Problem, dass in Verbindung mit der Wechselhaftigkeit des populus die Stabilität der respublica in ernsthafte Gefahr bringt (XXIII, 40; 41 – 63). Kurz: „Populo indistincte electionem dare, periculosum videtur, utpote qui privatis personis sui affectibus ducitur, atque de bonis et prudentibus, aptis et idoneis personis judicare non potest“ (XXXIX, 50)40, es ist eine weise Entscheidung, dass dieses Recht durch die Hände der Optimaten oder Ephoren geht. Der populus als Subjekt des Mandatsvertrags und der populus als wilde Menge fügen sich vollkommen in die Sicht des Althusius von der gubernatio ein: Er ist eben deshalb der Adressat der gubernatio, weil er nicht nur eine gut in ordines unterteilte consociatio symbiotica ist; er ist zugleich auch tuba, coetus, vulgus: aus diesem Grund bedarf er einer directio, eines regimen, das ihn auf die communicatio hin ausrichtet, die das entscheidende Moment für die Symbiose darstellt. Auf der anderen Seite ist die „Seele“ der gubernatio die Tugend des Oberhaupts, seiner 38 Worauf sich das mittelalterliche Sprichwort bezieht „Plebs bona aut mala est, prout eius est bonus rex aut malus“, das J. Gruter anführt in: Florilegium ethico-politicum, pars I, Frankfurt 1610, wiedergegeben auch bei H. Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters und der frühen Neuzeit in alphabetischer Anordnung, „Carmina Medii Aevi Posterioris Latina, II / 9, Teil 9: P – Z, Göttingen 1986, S. 89. In Politica, XXV, 26 bekräftigt Althusius dies und stellt fest, dass für die subditi der Fürst ein nützliches und ein schädliches Vorbild sein kann. 39 Politica, XXIII, 38: „conventicula subditorum vel vulgi“. Die Unterscheidung zwischen Untertanen und Volk ist bezeichnend: der vulgus ist jener Bestandteil des populus, der dazu neigt, jeder Disziplin auszuweichen, nicht nur das niedere Volk. 40 Althusius spricht von der aristokratischen Regierungsform und zitiert J. Bodin, De Republica libri sex, Francofurti, Apud Ioannem Wechelum & Petrum Fischerum consortes, 1591, lib. 2, c. 6, S. 349 – 369 (vgl. ders., Lex six livres de la République, Lyon, Par G. Cartier, 1593, ND Paris 1986, Bd. I, S. 89 – 124); das Prinzip hat aber allgemeinen Wert.

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Fähigkeit, mit sicherer aber milder Hand den populus zu führen und ihm ein Vorbild zu sein. 4. Die Finalisierung des Begriffs populus in der Politica besteht darin, die Theorie des Mandatsvertrags und die Praxis der administratio und der gubernatio miteinander zu verbinden. Die Theorie des Mandatsvertrags wirft ein Licht auf die wirkliche Natur der summa potestas und auf die Grenzen, die sie als juristische Erscheinung bestimmen; diese Grenzen leiten sich alle von der Figur des „besten Herrschers“ her, die von Seneca und Plinius dem Jüngeren in der Theorie entworfen wurde, sowie von den Vindiciae contra Tyrannos, der Denktradition der Hugenotten, in unterschiedlicher Kombination mit Überlegungen der bereits angeführten Salomonio, Covarruvias, Vázquez und Pruckmann. Als corpus consociatum ist der populus ein dominus, das heißt, er ist Herr und Eigentümer des Staates; aber weil er auch dazu neigt, den Staat in eine turba zu verwandeln, kann er diesen nur über die Ephoren und den summus magistratus verwalten. In gewissem Maße besteht eine Art Spiegelbildlichkeit zwischen populus und summus magistratus: Auch dieser neigt, wenn er mit absoluter Macht versehen ist, seiner Natur nach der Tyrannis zu, und findet seine Grenzen als begriffliche Figur in der Macht der Ephoren, die ihrerseits vom summus magistratus und von dem in seinen vielfältigen universitates zusammengefassten populus kontrolliert werden, aus denen die oberste consociatio symbiotica gebildet wird. Ziel der letzteren ist die salus reipublicae, die die salus populi ist. Der populus ist der Ausgangs- und Zielpunkt des gesamten Verwaltungsprozesses, der aus einer Serie von „Vermittlungen“ besteht, die darauf ausgerichtet sind, auf der einen Seite die Anarchie zu verhindern und auf der anderen Seite die Tyrannis (Anarchie und Tyrannis, die Althusius als Phasen in einem einheitlichen Auflösungsprozess der respublica versteht, wie er in Kap. XXXVIII darlegt). Zwischen dem populus auf der einen und Ephoren und summus magistratus auf der anderen Seite besteht eine Beziehung, die analog zu der zwischen dem Mündel und seinem Vormund ist sowie zu der, in der jemand einem anderen ein Gut anvertraut, damit er es für ihn bewirtschafte. Dass dieses privatrechtliche Schemas auf die Ebene des öffentlichen Rechts erhoben wurde, ist nicht das Werk des Althusius; aber Althusius macht es zum Dreh- und Angelpunkt eines anti-zentralistischen Staatsmodells, das auf der „Trias“ populus-ephori-summus magistratus gründet; in dieser „Trias“ kommt dem populus, wie gesagt, die Funktion des Ausgangs und des Adressaten des gesamten Verwaltungsprozesses zu. Dass die Politica des Althusius in Europa in Vergessenheit geriet, ist der Etablierung von theoretischen und praktischen Modellen geschuldet, die an die Prozesse der Zentralisierung der Verwaltung gebunden sind und in der Praxis des Verwaltungsstaats napoleonischer Prägung gipfeln. Umgekehrt scheint es so, dass das Werk des Althusius genau zu der Zeit auf unbestreitbares Interesse gestoßen ist, als die ersten Diagnosen zu einer Krise des Nationalstaats gestellt wurden. 5. Der Begriff des populus ist in seiner ganzen Komplexität nicht mit der theoretischen Wortfamilie in Einklang zu bringen, die im Volk in der modernen

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Naturrechtslehre das „konstituierende Subjekt“ sieht. Die Sicht, die Althusius vom populus hat, von seiner Gliederung in universitates, dem Antizentralismus, den es bestimmt, zeugen für uns sowohl einem vormodernen Denkhorizont als auch von einer anderen Moderne, die gleichzeitig mit dem pactum subjectionis bestand. Der Begriff populus ist im Hinblick auf seinen juristisch-politischen Aspekt in den interpretatorischen Hauptwerken zur Politica ausführlich behandelt worden. Für Gierke begriff die mittelalterliche Lehre den populus als echten Souverän jeglicher Staatsform, ohne jedoch von der Theorie abzugehen, die in der Monarchie die normale und zu bevorzugende Verfassung erkannte. Althusius wandte als erster „auf das dem Volk vindicirte Recht den scharfen Begriff der im Staate nur einmal vorhandenen Souveränetät und den dafür durch die Anhänger der Fürstensouveränetät zum terminus technicus ausgeprägten Namen der ,majestas‘ an“.41 Althusius konzipierte den Souverän anhand von Hinweisen der Monarchomachen als „Beamten des Volks“, gemäß dem „Gedanken eines beiderseits verbindlichen Anstellungsvertrages“42; von hier aus entwickelte sich die Lehre des Widerstandsrechts. Nach Gierke hat Althusius die Volkssouveränität auf das Konzept der Souveränität bezogen, das von den „Absolutisten“ ausgearbeitet wurde, und hat es in all seiner Strenge bewahrt; und diese Lehre, die in der Lehre der Monarchomachen und in der frühabsolutistischen Theorie gründet, mündet dann in die rousseausche Lehre von der Volkssouveränität. Für C.-J. Friedrich verweist populus auf die consociatio symbiotica, die „a cooperative group of living members (whether individuals or groups)“ ist, „held together by the obligation of ,communicating‘ what is useful and necessary to the group and the right of participating in these things“43, Der populus ist in Körperschaften gegliedert, ist Eigentümer des Staates und hat die Souveränität inne44 (auch für Friedrich stammt dieses Konzept aus dem Umstürzen der bodinschen Konzeption der Souveränität45 durch die calvinistische Theorie der Volkssouveränität). Karl-Wilhelm Dahm46 und vor allem Thomas O. Hueglin47 haben die konstituierende Rolle des Volks betont, wobei sie es endgültig vom Rousseauschen BezugsVgl. O. von Gierke, Johannes Althusius, S. 144, S. 124; 34 f.; 38, 41, 59. Ebd., S. 145 (ital. Ausg., S. 125). 43 Vgl. C.-J. Friedrich, Introductory Remarks zu: Johannes Althusius, Politica methodice digesta, Cambridge / Mass. 1932, S. LXXXIV. 44 Entsprechend Mesnard, Il pensiero politico (FN 35), Bd. II, S. 361: Der populus wird als eine Genossenschaft angesehen, die von föderierten Mitgliedern gebildet wird, die kollegial verstanden werden. 45 Vgl. Friedrich, Introductory Remarks (FN 44), S. XCI. 46 Vgl. K.-W. Dahm, Althusius – ein Herborner Rechtsgelehrter, in: Politische Theorie des Johannes Althusius, (= Rechtstheorie, Beiheft 7), S. 35: „Der Consociatio als Ganzer hat er das Ius Majestatis, die Souveränität als Leben anvertraut“. 41 42

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modell unterschieden und stattdessen die Rolle hervorhoben, die die monarchomachischen Überlegungen der Calvinisten und die Erfahrung mit den Bindungen der Genossenschaft in der Ausarbeitung des Konzepts des populus in der Politica gespielt haben. Der Aspekt, den man passend als „psychologisch-politisch“ (oder anthropologisch-politisch) bezeichnen müsste, hat bislang bei den Forschern kein Interesse geweckt; und dennoch ist er entscheidend, um genauer verstehen zu können, was die Theorie der Volkssouveränität, die auf dem Mandatsvertrag beruht, und die Bindungen der gubernatio, die Volkssouveränität und die strikte Behauptung der Natürlichkeit der hierarchischen Beziehungen in Verbindung mit einer antizentralistischen Perspektive miteinander verbindet. Das innovativste Moment auf der Ebene des politischen Wortschatzes in der Geschichte des Begriffs ist der Erhebung des privatrechtlichen Verhältnisses von Auftraggeber-Auftragnehmer zum Dreh- und Angelpunkt des politischen Verhältnisses zu verdanken, durch den die oberen universitates an die unteren gebunden werden; dank dieser Transposition wird der populus vom „natürlichen“ Subjekt, das in seinem Dasein von grundsätzlich blinden Impulsen geleitet wird, zu einem „konstituierenden“ politischen Subjekt in einem feinen „Netzwerk“, in dem jede Komponente die andere Kontrolliert und von dieser kontrolliert wird. Der Sinn, das Ziel dieses Systems, wird anschaulich durch die Übertragung der respublica in Bilder ausgedrückt, die in der Politica mehrfach aufgegriffen werden: das Bild der musikalischen Harmonie, die sich aus der Verschiedenheit der Töne ergibt und das Bild von einem Schiff – Bilder, die mit den Konzepten der administratio und der gubernatio eng verbunden sind48.

47 Vgl. Th. O. Hueglin, Sozietaler Föerdalismus, Berlin / New / York 1991, S. 209 ff., bes. S. 219: „Volkssouveränität als Gemeinschaftsherrschaft“; ders., Early Modern concepts for a Late World. Althusius on Community and federalism, Ontario 1999, S. 56 ff. 48 Vgl. den Beitrag zu Concordia von A. M. Lazzarino Del Grosso im vorliegenden Band.

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Respublica – regnum – politeía* 1. Bedeutung der Begriffe Es stellt sich die Frage, ob ,respublica‘, ,regnum‘ und auch ,politeia‘ wirklich genuin althusianische Begriffe sind und ob es der Mühe wert ist, sie im Rahmen des althusianischen Wortschatzes zu behandeln. Sicherlich sind es Begriffe, die in der gesamten juristischen und politischen Literatur vor und nach ihm genutzt wurden, und sie sind keine neuartigen Termini wie consociatio oder die gesellschaftliche symbiosis. Gleichwohl tauchen auch die Begriffe der ,respublica‘, und des ,regnum‘ sehr häufig bei Althusius auf, folglich wäre es notwendig zu verstehen, wie er diese Termini reinterpretiert. Im Kontext der aktuellen Historiografie muss man wohl zunächst Althusius in die Tradition des Republikanismus des Abendlandes bzw. der westlich-atlantischen Tradition einzuordnen, den Quentin Skinner und John G. A. Pocock als Paradigma etabliert haben – sie folgten dem begrifflichen Leitfaden der deutschen Auswanderer der Zeit des Nationalsozialismus, Hans Baron und Felix Gilbert –, dessen Gültigkeit für verschiedene Themen und auf den verschiedenen Ebenen der Forschung diskutiert werden. Man kann sich fragen, ob dieser Begriff als Leitfaden (vor allem der von Pocock) korrekt ist, wenn er die kontinental-europäische politisch-juristisch-theologische Tradition vom 16. bis zum 18. Jahrhundert außer Acht lässt. Kann man denn gleichsam alle Entwicklungen in Europa, außer denen in Florenz um 1500 und später denen in England ignorieren? Ist die völlige Opposition eines Republikanismus des aktiven Bürgers, der am Staatsgeschehen teilnimmt, und eines Strauss‘schen Liberalismus mit seinem am Staat desinteressierten Bürger korrekt? Wenn dies die großen Fragen sind, die eher aus dem Interesse an der Problematisierung und an der Selbstdefinition der jeweils zeitgenössischen Politik entstanden sind, bleibt dennoch die Tatsache, dass eine historische Nachforschung, die über die Begriffe respublica (dieser Begriff wird ein wenig mehr im Mittelpunkt stehen), regnum und politeía bei Althusius angestellt wird, sich dieses interpretativen Rahmens bewusst sein muss.1 * Übersetzung aus dem Italienischen von Rosemary Snelling, nachbearbeitet vom Autor. 1 J. G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Republican Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton, 1975; Q. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, 2 Bde., Cambridge, 1978; M. van Gelderen / Q. Skinner (Hgg.), Republicanism. A Shared European Heritage, 2 Bde., Cambridge, 2002. Von der mittlerweile reichlichen kritischen Literatur (die kritisch auch gegenüber dem binären Paradigma ist, den Republika-

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Im ersten Kapitel der Politica (I, 7), zitiert Althusius Ciceros De republica2 mit der berühmten Definition, „das Volk sei eine Vereinigung (coetus), die sich aufgrund rechtlicher Übereinstimmung und des gemeinschaftlichen Nutzens wegen zusammengeschlossen hat“.3 In Ciceros Text ist die Passage länger und behandelt die Definition der Republik selbst: „Est igitur, inquit Africanus, res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed – und darauf folgt der bereits zitierte Satz – coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus“.4 Althusius zitiert diesen Teil über das Volk der Definition der „respublica“ als res populi an einer Stelle, wo es eigentlich um das Funktionieren der consociatio selbst geht, die wechselseitige Teilhabe an Dingen, Werken und gemeinsamen Rechten, die das alltägliche Leben konstituiert und bewahrt. In jedem Fall muss man die respublica Althusii – wie auch die consociatio – als einen Begriff (zumindest teilweise) ciceronianischen Ursprungs auffassen. Der calvinistische Ciceronianismus des Althusius bleibt präsent.5 nismus und Machiavelli entweder nach Strauss oder nach Pocock zu interpretieren), seien nur einige ausgewählt, die meist auf Machiavelli selbst fokussieren: V. B. Sullivan, Machiavelli’s momentary ,Machiavellian moment‘: a reconsideration of Pocock’s treatment of the Discourses, in „Political Theory“, XX, 2, 1992, S. 309 – 318; C. Nadon, Aristotle and the Republican Paradigm: a reconsideration of Pocock’s Machiavellian Moment, in „Review of Politics“ LVIII, 4, 1996, S. 677 – 698; M. Gaille / Nikodimov, Machiavel au prisme du ,moment machiavélien‘, in G. Sfez / M. Senellart (Hgg.), L’enjeu Machiavel, Paris, 2001, S. 231 – 239; T. Ménissier, Qu’est-ce que la vertu républicaine? Quelques remarques sur l’interprétation de Machiavel dans ,Le Moment machiavélien‘, ibid., S. 241 – 254; eher philosophisch als geschichtlich Sfez, Machiavel, Le Prince sans qualités, Paris, 1998; Sfez, Machiavel, la politique du moindre mal, Paris, 1999 sowie weitere Publikationen von Sfez; T. Berns, Violence de la loi à la Renaissance. L’originaire du politique chez Machiavel et Montaigne, Paris 2000, S. 17 – 21; eine gehaltvolle Lektüre T. Ménissier, Machiavel, la politique et l’histoire: enjeu philosophiques, Paris, 2001; sehr klar M. E. Vatter, Between Form and Event: Machiavelli’s Theory of Political Freedom, Dordrecht u. a. 2000, S. 1 – 23; F. Frosini, Contingenza e verità della politica. Due studi su Machiavelli, Roma 2001, S. 19; Sullivan, Machiavelli, Hobbes, and the Formation of a Liberal Republicanism in England, Cambridge, 2003 (eine ausschließlich auf England konzentrierte Revision, die die scharfe Opposition zwischen Liberalismus und Republikanismus aufbricht). Für eine kritische Lektüre, weniger philosophisch-politisch ausgerichtet als aus einem Vergleich mit anderen geschichtlichen Traditionen resultierend, vgl. die unten zitierten Autoren, Anm. 23 und 31; für eine Studie der entstehenden Politikwissenschaft, des frühen Machiavellismus und seiner Wichtigkeit für die Wahrnehmung auf Seiten der Regierungen und für das Procedere der Entscheidungsfindung in den ,neuen‘ absolutistischen Staaten sei verwiesen auf C. Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland, 1559 – 1600, Göttingen 2006. 2 Cicero, De republica, I, 25 (i.e. I, 39). 3 „populum esse coetum juris consensus & utilitatis communione consociatum“, nach der Übersetzung von H. Janssen, Althusius, J.: Politik, D. Wyduckel (Hg.) Berlin 2003. 4 Es wird deutlich, dass der Begriff consociare für Althusius von so großer Wichtigkeit war, dass er den ciceronianischen Text ein wenig modifiziert hat, vgl. das Lemma Consociatio in diesem Wörterbuch. 5 Die Konsequenz der von Althusius angestellten Bezugnahme auf die ciceronianische Definition ist, dass man die Begriffe respublica – regnum – politeía nicht bearbeiten kann, ohne

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2. Die Quellen Bekanntlich wurde das Palimpsest von Ciceros De republica von Angelo Mai entdeckt und erst 1822 publiziert; daher war es zur Zeit des Althusius nicht bekannt. Aber der Passus Ciceros ist in der Civitas Dei des Augustinus überliefert. Zwar kannte Althusius zweifelsohne das Werk Augustinus’, aber es scheint wahrscheinlicher, dass die direktere Quelle für seine ciceronianische Konzeption des Volksbegriffes und des Begriffes der respublica die Politices christianae libri septem von Lambert Daneau darstellen, für die aktuell das Werk von Christoph Strohm grundlegend ist.6 Althusius scheint in den ersten Paragraphen seines Buches vorwiegend Daneau zu folgen (zum Beispiel Politica I, 5 = Daneau, Politices christianae, I, 1, S. 7 ff.); Daneau stützt seine Definition der respublica, die er begrifflich als Synonym zu politeía betrachtet, auf dasselbe bei Augustinus überlieferte Zitat Ciceros. Daneau parafrasiert folgendermaßen: „Civilis Politia im allgemeinen ist also der bíos démou, das heißt, die vitae ratio, welche das ganze Volk befolgt“.7 Schon bei Daneau findet sich also eine – wenn auch wenig profilierte – Spur einer ,ciceronianischen‘ calvinistischen Politiktheorie. Wichtig wäre freilich, die Bedeutung von ,calvinistisch‘ in diesem Zusammenhang klar darzulegen – auf diese Frage wird jedoch später zurückzukommen sein. Was Althusius also interessiert, ist die Unterscheidung Ciceros zwischen multitudo und plebs auf der einen und populus auf der anderen Seite, womit schon eine durch das Ziel eines gemeinsamen Nutzens und eines gemeinsamen Rechts vereinigter Einheit gemeint ist. Dies sagt er explizit im fünften Kapitel (V, 4) mit erneut sehr ciceronianisch anmutenden Worten: „Homines congregati sine iure symbiotico, sunt turba, coetus, multitudo, congregatio, populus, gens“. Er handelt nicht von der plebs, sondern vom populus und in der Definition von populus ist das ius symbioticum immer unauslöschbar mit inbegriffen. Dieselbe ciceronianische Definition kehrt in IX, 4 wieder, wenn Althusius sich noch ausdrücklicher auf den Begriff der respublica oder besser: auf die consociatio universalis publica maior in einem gewissen Ausmaß auch den Begriff populus mit einzubeziehen Vgl. hierzu das eigene Lemma von F. Ingravalle, supra. 6 C. Strohm, Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, Berlin / New York, 1996, S. 346 – 380. 7 „Ergo quid illa Politia seu Respublica sit, uterque definienda, aliunde investigemus. M. Tullius Cicero (ut de nomine Latino disserens ab optimis linguae Latinae autoribus ordiar) Rerumpubl. ac proinde Politiam sic olim descripsit lib. 3. de Republ. quemadmodum Augustinus qui eos libros habuit, legitque, tradit lib. 2. de Civitate Dei cap. 21. Respublica est res populi. Populus autem est non omnis coetus multitudinis, sed coetus iuris consensu, et utilitatis communione sociatus: adeo ut Ciuilis Politia in universum sit âßïò äÞìïõ [vgl. Aristoteles, Politica, 1295a], id est, vitae ratio, quam universus populus sequitur, quemadmodum in libro de Tribus Politiis Plutarchus scripsit superiorem illam M. Tullij Definitionem, káôá püäᣓ (L. Daneau, Politices Christianae libri septem, Genève, 1596, S. 11). Man sieht, dass Daneaus sehr weit vom aristotelischen Original entfernte Paraphrase des âßïò äÞìïõ, welche sich auf die polis bezog, auf die noch freier formulierte des Althusius in I, 7 vorausweist.

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konzentriert. Seiner Ansicht nach ist diese universalis consociatio ein Synonym zu politia, imperium, regnum, respublica und auch zu populus, das – erneut klingt Cicero nach – aus einem Gebilde vieler, einem einzigen Recht unterstehender Sonder-consociationes und -corpora zusammengesetzt und verbunden ist.8 Althusius wehrt sich gegen die Idee, dass regnum nur die Bezeichnung für einen von einem König regierten Staat sei und wehrt sich so auch gegen die Idee der Republik im engeren Sinne eines Freistaats oder einer demokratischen Regierung, da auch das regnum Eigentum des Volkes sei (IX, 4). Folglich würde der höchste Magistrat (XXXIX) auch als Bezeichnung für alle Arten von Regierung gelten, für den Monarchen, für das aristokratische oder im Extremfall sogar für das demokratische Regiment. Cicero folgen bedeutet nicht Augustinus und nicht Aristoteles folgen. Augustinus hatte die Passagen der De republica des Cicero zitiert, um dann in Buch XIX, 24 der Civitas Dei die Konsequenz zu ziehen, dass weder das römische Reich noch vielleicht kein anderer Staat auf dieser Welt bis zu seiner Zeit eine respublica nach dieser Definition gewesen sei und sein könnte, weil kein Staat der ciceronianischen Forderung nach Garantie des Gerechtigkeit entsprechen würde. Sein Argument lautet, dass kein Staat Gott das gebe, was ihm zustehe, also den Menschen selbst. Um die absurde Folgerung zu vermeiden, dass überhaupt keine respublica existiere, definiert Augustinus das Volk neu, wobei er auf die Bedingung des iuris consensus verzichtet: „Populus est coetus multitudinis rationalis rerum quas diligit concordi communione sociatus“ (XIX, 24, 2). Nur unter diese Definition kann Augustinus auch das römische Reich seiner Zeit subsumieren; der Grund ist, dass die Semantik der Gerechtigkeit von ihm christianisiert wurde. Die Lösung Augustinus’ ist die strikte Trennung von civitas terrena und civitas Dei. Der Christ müsste Teil der civitas Dei sein, diese existiert jedoch nicht auf dieser Welt. Also muss er den Frieden der civitas terrena, im schlimmsten Fall auch den ,Frieden Babylons‘ nutzen, um zu überleben und auf diese Weise die Möglichkeit zu nutzen, Gott so gut wie möglich als ein in einer nicht-christlichen Welt und in einem nicht-christlichen Staat lebender Mensch zu dienen.9 Die jüngere Tradition des humanistischen Aristotelismus, angefangen bei Leonardo Bruni, scheint nicht so fundamental für die Definition und den Begriff von Republik bei Althusius gewesen zu sein: Bruni hatte die pïëéôåßá des Aristoteles10 mit der respublica11 identifiziert, eine bei Althusius nur selten in SynonymreihunIn Kapitel XXIII verwendet er jedoch populus im Sinne von plebs. Zum Wandel des Begriffes respublica von Cicero bis Augustinus vgl. W. Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff. Über Verwendung und Bedeutung von Res publica, regnum, imperium und status von Cicero bis Jordanus, 2a Ed., Münster, 1976, S. 1 – 220. 10 Aristoteles, Politica III, 6, 1278 b 8 – 9. 11 L. Bruni, Aristotelis libri politicorum, in Aristoteles, Opera cum Averrois commentariis, 10 Bde. (Venezia 1562 – 1574), wiedergedruckt in Frankfurt, 1962, Bd. 3. f. 249A. Vgl. W. Mager, Republik in Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozia8 9

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gen (z. B. IX, 3) genutzte Identifikation, wobei er die Polysemie (die drei Bedeutungen) der von Plutarch in I, 5 erwähnten pïëéôåßá unterstreicht und sich zugleich ausdrücklich von dem aristotelischen Begriff der respublica entfernt (in IX, 4). Im Aristotelismus des 15. Jhdts. diente diese Gleichsetzung hingegen auch dazu, um respublica von civitas zu unterscheiden – eine Unterscheidung die eher für ,monarchische‘ Theorien nützlich war, als für solche, die eine plurale oder limitierte Aufteilung der Macht der Regierung bevorzugten. Wenn zwar die augustinische Theologie für alle Protestanten grundlegend war, so wurde sie doch allein in der lutherischen Linie (weniger in der calvinistischen, und vor allem weniger in der zwinglischen Linie der Föderaltheologie) neu umgearbeitet in der – zumindest idealtypischerweise präsenten – Unterscheidung zwischen den regna Christi und denen dieser Welt, vor allem (bei denen dieser Welt) zwischen den drei Bereichen menschlichen Handelns, dem politischen Bereich, dem kirchlichen und dem ökonomisch-haushaltlichen Bereich als Ordnung und fundamentalem Ausgangspunkt vor allem anderen.12 Im calvinistisch-zwinglischen Flügel der Reformation gibt es zwar natürlich auch eine Einteilung in ,Stände‘ oder ,Regimenter‘, aber diese spielt stets eine sehr viel geringere Rolle. Für das Konzept einer politischen Wissenschaft haben diese Unterscheidungen Konsequenzen: eine in der lutherischen Kultur geschriebene Politiklehre wird immer dazu neigen, die Unabhängigkeit des einen Regiments oder Standes vom anderen zur Schau zu stellen – eine Unabhängigkeit, die jedoch gerade Ausgangspunkt für eine scharfe Kritik der einen Sphäre gegenüber der anderen sein kann. Ein klassischer Beispielsfall einer solchen politischen Theorie ist die des Arnisaeus, der ganz konsequenterweise Althusius und auch Keckermann für ihre Vermengung von civitas und respublica scharf kritisiert, welche aus der eben erläuterten Akzeptanz des ciceronianischen Begriffes resultiert.13 len Sprache in Deutschland, hrsg. v. O. Brunner / E. Conze / R. Koselleck, Bd. 5, Stuttgart, 1984, S. 549 – 651 und 565 – 571. 12 Dies ist die These von Luise Schorn-Schütte, zuletzt in L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die ,politica christiana‘ als Legitimitätsgrundlage, in Id. (Hg), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München, 2004, S. 195 – 232. 13 Vgl. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus, zit., S. 336 – 364; M. v. Gelderen, Republikanismus in Europa. Deutsch-Niederländische Perspektiven 1580 – 1650, in Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte, zit., S. 283 – 309: 301. Wenn Aristotelismus und Ciceronianismus in der Florentiner Kultur des 15. Jahrhunderts vereint sind (zum Ciceronianismus, vor allem aus De officiis schöpfend vgl. C. Varotti, Gloria e ambizione politica nel Rinascimento. Da Petrarca a Machiavelli, Milano, 1998; die Interpretation einer schärferen Unterteilung zwischen ,Ethik‘ und ,Politik‘ schon im Florenz des 15. Jahrhunderts. vertritt R. Fubini, Politica e morale in Machiavelli. Una questione esaurita?, in Cultura e scrittura di Machiavelli, Roma, 1998, S. 117 – 143) so kann Brunis Übersetzung von pïëéôåßá als respublica und die Idee der respublica als res populi ab dem 15. Jahrhundert auch zusammen verwendet werden, um das Konzept eines ,freien Stadtstaats‘ in einem anti-tyrannischen Sinne auszudrücken (vgl. T. Maissen, Genf und Zürich von 1584 bis 1792 – eine Allianz von Republiken? in W. Kaiser / C. Sieber / Lehmann / C. Windler (Hgg.), Eidgenössische ,Grenzfälle‘: Mülhausen und Genf. En marge de

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Wenn es nun nicht die jüngere Tradition Brunis ist, könnte man auf den ersten Blick folgern, dass es eher der mittelalterliche korporative Begriff der Republik ist, der bei Althusius präsent bleibt.14 Sicherlich ist vor allem der Begriff der universitas der Postglossatoren und seine Vermengung mit dem Begriff der res publica in vielerlei Hinsicht dem Denken des Althusius näher als der Aristotelismus (zumindest in seiner Fassung des 16. Jahrhunderts – man könnte auch sagen, dass das Konzept des Althusius näher am ursprünglichen Aristotelismus ist).15 Die universitates als personae publicae, die eine gewisse Autarkie genießen (das Imperium Romanum, Rom selbst, die respublica cuiuslibet civitatis oder auch cuiuslibet municipii), sind respublicae laut Bartolus und Baldus.16 Aber abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass Althusius den Begriff universitas ausschließlich für die Stadt reserviert (Politica, V),17 dass er für diese Stadt nicht den Begriff respublica verwendet (sondern civitas), und dass er selbst mit einer hoher Präzision und einer gewissen philologischen Rigorosität auf die Polysemie des Begriffes im Text des Corpus iuris civilis hinweist, was seine humanistische Distanz – im neuen Sinne des mos gallicus – vom juristischen Quelltext zeigt,18 lässt sich feststellen, dass das System der sukzessiven consociationes nicht ein System von personae publicae im juristischen Sinne ist, sondern immer eine undifferenzierbare Mixtur aus sozialen Gegebenheiten und rechtlichen Korpora bleibt. Weder der Aristotelismus allein, noch die Jurisprudenz allein im Sinne des mos italicus (die des mos gallicus bezieht sich eher auf die historische Methode als auf die praktische Jurisprudenz selbst) reichen also als Quellen für das Konzept der respublica bei Althusius aus. Die Wahl der ciceronianischen Definition verankert Althusius in der Tradition der politica christiana, angefangen bei Vermigli bis hin zu den französischen Monarchomachen. Während Bucers De regno Christi keine große Spur hinterlassen zu haben scheint – seltsamerweise, wenn man die diskursive Genealogie bedenkt, in der Bucer sowohl für Calvin als auch für seinen Kollegen im englischen Exil, Vermigli, von großer Wichtigkeit war – ,19 hatte die calvinistische exegetila Confédération: Mulhouse et Genève, Basel, 2001, S. 295 – 330: 301), die explizite Trennung und Gegenüberstellung dieser Konzepte um 1600 bei Arnisaeus und Althusius markiert einen wichtigen Schritt. 14 So das Ergebnis bei Mager, Republik, zit., S. 559 – 563. Vgl. auch W. Mager, Res publica chez les juristes, théologienns et philosophes à la fin du Moyen Âge, in Théologie et droit dans la science politique de l’Etat moderne, Roma, 1991, S. 229 – 239. E. Gojosso, Le concept de République en France (XVIe – XVIIIe siècle), Aix-en-Provence, 1998, 31 – 34, er folgt Magers Ansicht für diese Epoche. 15 So H. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und Absoluter Staat. Die ,Politica‘ des Henning Arnisaeus (ca. 1575 – 1636), Wiesbaden, 1970, S. 146. 16 Mager, Republik, zit., S. 561. 17 Hier folgt Althusius dem Traktat des Losaeus, der getreu die Theorie des mos italicus wiedergibt; vgl. das Lemma Universitas von A. Torre, infra. 18 Vgl. die Aufzählung der unterschiedlichen Bedeutungen in IX, 4.

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sche Tradition (vor allem zum Buch der Richter), welche in Vermigli einen seiner wichtigsten Vertreter des 16. Jahrhunderts findet, bereits die Kombination der ciceronianischen Begrifflichkeit der respublica aufgenommen, ohne den Aristotelismus besonders zu berücksichtigen.20 Das Verständnis der respublica als res populi, insbesondere durch die Mediatisierung des populus, indem die magistrati inferiores (oder bei Althusius die Ephoren) mit der maior et sanior pars identifiziert werden, die den populus gegenüber der und gegen die summa potestas (dem König) repräsentiert – hatte nach der Vorarbeit Bucers ihre gewichtigste Ausprägung bei den französischen Monarchomachen gefunden; sowohl bei Calvinisten wie bei Katholiken.21 Es ist dieser Punkt, da die jüngste Kritik der holländischen und italienischen Forschung die Wichtigkeit der respublica oder der politeia biblica betont hat: während Theologen schon immer gemahnt hatten, die Menge der Bibelzitate im Werk des Althusius22 nicht zu vergessen, haben Kossmann, Ligota, Conti, Campos Bo19 Dem Terminus respublica wird in Bucers De regno Christi nicht das geringste Interesse entgegengebracht, vgl. M. Bucer, De regno Christi, hrsg. v. F. Wendel (= Opera latina 15), Gütersloh, 1955. Umgekehrt kommt bei Althusius das regnum Christi fast nie vor (aber in IX, 33). Eine Behandlung von respublicae findet sich bei Bucer aber im Kommentar zum Römerbrief, vgl. die quaestio ,An potestas quae gladium gestat in terra omnium suprema sit, cui quicunque hic vitam degunt subiecti esse debeant.‘ eingefügt in M. Bucer, Metaphrasis et enarratio in epist. D. Pauli Apostoli ad Romanos [ . . . ], Straßburg 1536, wiedergedruckt in Basel, 1562, S. 564 – 576, vgl. C. Zwierlein, La loi de Dieu et l’obligation à la défense de Florence à Magdeburg, 1494 – 1550, in P.-A. Mellet (Hg.), Théologie et politique: les monarchomaques. Actes du colloque au Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Genève, 2006, S. 31 – 75). Bucer verwendet hier respublica und politeia (als Staatsform) ziemlich konsequent distinkt. Respublica ist zu Beginn des Passus synonym zu regnum, später sind auch alle civitates, die die Regierungsgewalt des imperium merum besitzen, respublicae. Bucer formuliert hier gewissermaßen eher den korporativen Republikanismus des Mittelalters um. Bei ihm besteht die Innovation in der Ordnung der Polyarchie und deren Kombination mit der theologischen Kosmologie. Vgl. M.A. Falchi Pellegrini, Tra teologia politica e ideologia: le libere città imperiali in Martin Bucer, in V. Conti (Hg.), Le ideologie della città europea dall’Umanesimo al Romanticismo, Firenze, 1993, S. 149 – 162 und Id., Modelli politici e contesti storici: La ,Respublica Israelis‘ in Martin Bucer, in L. Campos Boralevi / D. Quaglioni (Hgg.), Politeia biblica, Firenze, 2002 („Il pensiero politico“ 35, 3, 2002), S. 369 – 381; A. Gäumann, Reich Christi und Obrigkeit. Reformatorisches Denken und Handeln bei Martin Bucer, Frankfurt am Main et al., 2001; C. Strohm (Hg.), Martin Bucer und das Recht, Genève, 2002. 20 Vgl. G. O. Bravi, Über die intellektuellen Wurzeln des Republikanismus von Peter Martyr Vermigli, in E. Campi (Hg.), Peter Martyr Vermigli – Petrus Martyr Vermigli. Humanism, Republicanism, Reformation, Genève, 2002, S. 119 – 141: 132 ff.) zu den In librum Iudicum [ . . . ] commentarii (1561). 21 Vgl. für den Terminus respublica bei den Monarchomachen Gojosso, Le concept, zit., S. 110 – 132: 118, 132; zu den Monarchomachen vgl. die rezente Publikation von S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea di contratto (1572 – 1579), Firenze, 2002 und P.-A. Mellet, Les traités monarchomaques: confusion des temps, résistance armée et monarchie parfaite (1560 – 1600), Genève 2007. 22 Vgl. H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius, Diss. phil. Münster 1990, vor allem S. 47 – 54.

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ralevi und Quaglioni in systematischerer Form daran erinnert, dass auf dem Weg zwischen dem Florenz Machiavellis und dem England Hobbes’ ein Ort für den calvinistischen ,Republikanismus‘ um 1600 gefunden werden müsse, der weniger auf der machiavellistischen Tradition basiert als auf einer Ableitung aus biblischem Material. Dabei wurde die Frage akzentuiert, ob das calvinistische Konzept nicht eigentlich die Suche nach und neue Implementierung einer rekonstruierten Respublica Hebraeorum sei.23 Ohne Zweifel ist evident, dass die Heilige Schrift immer die erste Quelle zur Entnahme von Ideen und Exempla für Althusius war. Und es stimmt, dass die Bücher des Alten Testamentes aus der Epoche der Richter und der jüdischen Könige dominieren, weil Althusius der Ansicht ist, dass „nullam ab initio mundi politiam sapientius & perfectius Judaeorum politia, constitutam“ (Praef. ad Frisiae Ordines). Anstatt eine Utopie wie Platon oder Thomas Morus zu schreiben, will Althusius einen realisierbaren Staat entwerfen, einen, der geschichtlichen, schon einmal erfolgreich realisierten Modellen folgt, wie eben der politia Judaica a Deo constituta, XXXVIII, 123. Aber man darf dabei nicht die anderen historischen Beispiele, derer Althusius sich bedient, außen vor lassen. Er möchte exempla politiarum optimarum verwenden, vor allem solche der Judaicae a Deo constitutae. Es ist die historisch-induktive Hermeneutik, die schon Bucer sich zu eigen machte, um die besten Gesetze zur Konstituierung einer dem Gesetz Gottes konformen Ordnung auszuwählen. Die gewählten Normen sind oft biblische Normen, Normen des alttestamentarischen jüdischen Zeitalters; aber auch Normen des römischen Rechts, erlassen von den frommen Kaisern, den pii imperatori.24 So ist Althusius Teil der Bewegung des 15. und 16. Jhdts., die sich der historisch-komparativen Erforschung der Verfassungen der antiken und modernen der Staaten und Imperien verschrieben hatte, bzw. er bedient sich ihrer Ergebnisse; eine Arbeit, die Aristoteles einst begonnen hatte, wovon aber keine Schriften überliefert sind, außer seiner Respublica Atheniensium und der Respublica Lacedaemoniorum (des Xenophon?). Althusius nutzt für diese komparativen Untersuchungen Contarinis De magistratibus et republica Venetorum, die De republica Lacedaemoniorum von Niels Krag, Giannottis ,Republica‘ (Venedig), Charles Dumoulins Bücher über Frankreich, Carlo Sigonios Werke (zu Italien, Rom, Athen) ebenso wie Simlers (Schweiz) und Thomas Smiths 23 Vgl. E. H. Kossmann, Dutch Republicanism, in Id., Politieke theorie en geschiedenis. Verspreide opstellen en voordrachten, Amsterdam 1987, S. 211 – 233; C. Ligotha, L’histoire à fondement théologique: la République des Hébreux, in L’Écriture Sainte au temps de Spinoza et dans le système spinoziste, Paris 1992, S. 149 – 167; L. Campos Boralevi, Per una storia della ,Respublica Hebraeorum‘ come modello politico, in V. I. Comparato / E. Pii, Dalle ,Repubbliche‘ elzeviriane alle ideologie del ’900. Studi di storia delle idee in età moderna e contemporanea, Firenze, 1997, S. 17 – 33; Conti, Consociatio civitatum; Campos Boralevi / Quaglioni, Politeia biblica, zit.; L. Campos Boralevi, Classical Foundational Myths of European Republicanism: The Jewish Commonwealth, in van Gelderen / Skinner, Republicanism, Bd. 2, zit., S. 247 – 261. Von L. Campos Boralevi vgl. den Eintrag Politica judaica, supra. 24 Vgl. C. Zwierlein, Reformation als Rechtsreform. Bucers Hermeneutik der lex Dei und sein humanistischer Zugriff auf das römische Recht, in C. Strohm (Hg.), Martin Bucer und das Recht, zit., S. 29 – 81.

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(England); außerdem verwendet er einige historische Werke ebenfalls für Informationen über die Verfassung der Länder, wie zum Beispiel die Geschichte der holländischen Kriege von Emanuel van Meteren. Die Forschungen und der Gebrauch von exempla politiarum optimarum haben eine stabile, konstante, auf lange Dauer ausgelegte respublica zum Ziel – eine Sorge, die Althusius mit allen politischen Schreibern des 16. und 17. Jhdts. teilt, von Machiavelli bis Bodin, von Pierre Grégoire bis Lipsius. Die daraus resultierende ,Verzeitlichung‘ des Begriffes respublica schlägt sich in den chronologischen Tafeln nieder, auf welchen die Dauer der Dynastien und der Herrschaften der Geschichte festgehalten ist und die im 16. Jhdt. in vielen Auflagen veröffentlicht wurden. Ein ausschließlich komparatistisch arbeitender Kompilator dieser Tafeln ist Theodor Zwinger, der im 2. Kap. des 28. Bandes des Theatrum humanae vitae – dasselbe wird relativ häufig von Althusius zitiert (III, 33; IV, 27; IV, 30; V, 44; VI, 10; VI, 17; VI, 39; VII, 26 etc.) – eine Synopse der Ergebnisse einer historischempirischen Forschung von ca. 100 Jahren über die politiae bietet.25 Auch wenn Althusius für seine Politica nur teilweise die Bücher verwendet, die seinerzeit Zwinger benutzte, ist es vielleicht erhellend, hier eine Liste der historischen und zeitgenössischen Imperien und Königreiche und der historiografischen Quellen zu geben, die sich bei Zwinger finden: Sein Theatrum war ja eine der ersten ProtoEnzyklopädien, die ,alles Wissen‘ ihrer Zeit umfassen wollte und die so Zeugnis von dieser säkularen vergleichenden Verfassungsforschung ablegt: Hebraeorum imperium

G. Mercator

Chaldaeorum imperium

Eusebius, G. Mercator, Io. Funck

Babyloniorum, Persarum, Graecorum Monarchia

Mercator, Funck

Romanorum Monarchia (Reges et consules)

Glarean, Carlo Sigonio, Haloander, Onufrio Panvinio, Antonius Contius

Romanorum imperatores Troiani reges

Aventin

Tyriorum reges

Iosephus, G. Mercator

Reges Lydorum

Io. Funck, G. Mercator

Ponti et Bospori reges

Reinerus Reineccius

Pergameni reges

Strabon

Reges Graecarum (Sicyoniorum, Argivorum, Mycenarum, Thebanorum, Corinthiorum, Reges Messeniae, Atheniensium, Lacedaimoniorum)

Pausanias, G. Mercator, Io. Funck, Carlo Sigonio

25 T. Zwinger, Theatrum humanae vitae Theodori Zuingeri Bas. [ . . . ], Basileae per Eusebium Episcopium 1586, Bd. 28 (,De Vita Hominis Politica‘), lib. 2 (,Politiam secundum causas examinat‘), S. 4231 – 4303: 4205 – 4303 zu den ,Magistratus Chronologice considerati, quo ad Ordinem & Seriem successionis‘.

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Latinorum reges

Glarean, G. Mercator

Germanorum reges

Aventin, Berosus

Gothorum et Sveonum, sive Svecorum reges

Io. Magnus Gothus

Danorum reges

Io. Magnus, Io. Funck

Norvagiorum reges

Saxonus, A. Krantz

Persarum post christum

Sabellico, Io. Funck, G. Mercator

Parthorum reges

Bodin, Methodus; Sabellico

Hierosolymitani reges Arabum, Saracenorum Amirae sive reges

Cedrenus, Io. Funck, G. Mercator

Turcorum reges

Io. Funck, G. Mercator, Drechsler, Giovio

Tartarum reges

Haytonus Armenus, Sabellico

Vandalorum reges in Hispania

Io. Funck

Italiae principes post Christum (Gothorum, Graecorum, Longobardorum reges, Francorum, Italicorum, Venetorum, Neapolitani et Siculi principes)

G. Mercator, Sigonio, Petrus Marcellus, Sabellico, Pandolfo Collenuccio, Michaele Ritius,

Imperatores Franci et Germani Francorum reges in Gallia

P. Emilio

Hispaniae reges (Asturum et legionis et castellae reges, Navarrae & Aragonum reges, Portugalliae Pannoniae reges varii

Io. Funck; Naucler; Rodericus Santius, Rodericus Toletanus; Io. Magnus; A. Crantz

Hunnorum, Hungariae principes

Abraham Bakschay

Polonorum reges

Martin Cromer, Alex. Guagninus

Boemorum principes

Enea Silvio Piccolomini; Martin Cromer; Io. Funck; Io. Dubrauius

Britannorum reges (Anglorum Saxonum, Scotorum reges)

Eusebius, Polydorus Vergilius, H. Boethius

Zu diesen Kaiserreichen, Republiken und Königreichen notiert Zwinger immer, auf mehr als 100 Seiten Tabellen, die chronologischen Listen der Könige und die Dauer des Staates im Verhältnis zur Weltgeschichte, wobei er chronologische und historiografische Literatur auswertet.26 Dabei darf dem usus der Zeit entsprechend 26 Neben den Werken antiker Autoren werden folgende Werke zitiert: G. Mercator, Chronologia, hoc est temporum demonstratio exactissima, ab initio mundi usque ad annum Domini M.D.LXVIII, Colonia, 1569; J. Funck, Chronologia: hoc est omnium temporum et annorum ab initio mundi computatio; usque ad a. 1553, Basilea, 1554; H. Glarean, Chronologia sive Temporum Supputatio in XI. Dionysii Halicarnassei Libros Antiquitatum Romanorum ab Troia capta ad trecentesimum duodecimum ab Urbe Condita annum [ . . . ], in Dionysius Alexandros Halicarnassensis, Antiquitatum sive originum Romanarum libri X. [ . . . ], Basilea,

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die personale Bezeichnung reges nicht insoweit darüber täuschen, dass eigentlich auf den Staat Bezug genommen wird, auf die transpersonale Gesamtheit des Reiches und der Regierung also. Althusius zitiert die Jahreszahlen dieser chronologischen Listen27 nicht, aber wenn man in Betracht zieht, wie oft er das entsprechende Kapitel Zwingers zitiert, kann man eine gewisse Art der Wahrnehmung der respublicae als Einheiten von einer bestimmten Dauer ableiten, welche auch ein wichtiger Faktor beim Vergleich ist. Die angegebenen Jahreszahlen der jeweiligen Herrschaftsdauer bei Zwinger sind gleichsam eine versteckte semantische Komponente, wenn Althusius den Namen eines Reiches oder einer vergangenen Republik in einer Reihe von Vergleichen nennt; eine Komponente, die etwas über den Erfolg dieses Staates aussagt (Politica, IX, 4; IX, 6; XVII, 28; XVIII, 53; XIX, 89; XXXI, 3 etc.). Venedig ist zum Beispiel die beste Republik, nicht auf Grund seiner Institutionen, sondern 1549; Id., Chronologia sive temporum supputatio in omnem romanam historiam [ . . . ], in T. Livius, Decades tres cum dimidia, Basilea, 1535; C. Sigonio, De antiquo iure civuvm romanorvm, Italiae, provinciarvm, ac romanae iurisprvdentiae ivdiciis, libri XI [ . . . ], Hanoviae, 1609; zur Liste der Konsulen des Haloander (1530) vgl. Zwierlein, Reformation als Rechtsreform, S. 54 – 61 und 68; O. Panvinio, Commentariorum in fastos consulares appendix, Venezia, 1558; die Kompilation der fastes consulares von Antoine Leconte ist inbegriffen in seiner Edition des Codex Iustiniani (1571); I. Aventinus, Annalium Boiorum libri VII, Basilea, 1580 (es gab auch deutschsprachige Ausgaben mit chronologischen Tafeln); R. Reineck, Familiae regum Ponticorum et Bosporanorum [ . . . ], Lipsia, 1570; C. Sigonio, De republica Atheniensium libri IV, Venezia, 1565; G. Nanni (A. di Viterbo), Berosi sacerdotis Chaldaici, Antiquitatum Italiae ac totius orbis libri quinque [ . . . ], Anversa, 1552 (erste Edition 1498); I. Magnus, Gothorum Sueonumque Historia, ex probatis antiquorum monvumentis collecta [ . . . ], Basileae, 1558; A. Krantz, Chronica regnorum aquilonarium Daniae, Suetiae, Norvagiae, Argentorati, 1548; M. A. C. Sabellicus, Rhapsodiae historiarum ab orbe condito ad annum Christi 1504 [gegliedert in Enneaden], Paris 1509; G. Cedrenus, Annales sive historiae ab exordio mundi ad Isaacium Commenum usque compendium, Basilea, 1566; W. Drechsler, De Saracenis et Turcis chronicon, Argentorati, 1550; J. Bodin, Methodus, ad facilem historiarum cognitionem, Paris, 1566; P. Giovio, Historiarum sui temporis [ . . . ] Accessit rerum Turcicarum commentarius, Lyon, 1561; Haythonus Armenius [Het’owm Patmic], Historia orientalis, Helmstadt, 1585; Sigonio, Historiae historiarum de regno Italiae libri 15, Venezia, 1574; P. Marcellus, De vitis principum et gestis Venetorum liber, Venezia 1554; P. Collenuccio, Historiae Neapolitanae [ . . . ], Basilea, 1572; M. Ricci, De regibus Francorum lib. III, Basilea, 1517; P. Emili, De rebus gestis francorum libri X, Paris, 1548; J. Naucler, Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronici commentarii [ . . . ], Tübingen 1516; Rodericus Sanctius, Compendiosa historia hispanica, s.l. [Roma], U. Han, c. 1470; Rodericus Ximenius de Rada, Rerum in Hispania gestarum Chronicon libri X, Granada 1545; A. Bakschay, Chronologia de regibus Hungaricis, Cracovia, 1567; M. Cromer, De Origine et rebus gestis polonorum libri XXX, Basilea, 1568; A. Gwagnin, Sarmatiae Europeae descriptio, [ . . . ] item genealogia regum polonorum, Spira, 1581; E. S. Piccolomini, De Bohemorum, et ex his imperatorum aliquot origine ac gestis [ . . . ] historia, Basilea, 1575; J. Skála Dubravius, Historia Boiemica, Basilea, 1575; H. Boëthius, Scotorum Historiae a prima gentis origine [ . . . ], Paris, 1575. 27 Zur Einführung der Tabelle als Ordnungsform des Wissens in der Historiografie der Neuzeit vgl. A. Brendecke, Synopse, Segment und Vergleich. Zum Leistungsvermögen tabellarischer Geschichtsdarstellungen der Frühen Neuzeit, in „Storia della Storiografia“ XXXIX, 2001, S. 75 – 85.

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weil die mittelgroße Bevölkerungszahl und die mittelgroße Macht eine lange Dauer garantiert (IX, 10 ff.). Die Untersuchung der historischen Königreiche und Republiken beschränkt sich also nicht auf das jüdische Modell, sondern schreibt sich in eine breiter angelegte komparatistische Operation ein, die dem funktionalen Faktor des effektiven Erfolgs einer Regierungsform in der Zeit Rechnung trägt – jenseits und neben dem Faktor der ethischen Normativität (dass ein solches Modell das beste sei, weil es von Gott eingerichtet wurde). Bei den optima exempla handelt es sich nicht nur ethisch gesehen um die besten Beispielstaaten, sondern um solche, die im Verlauf der Geschichte optimal funktionierten. Freilich existiert für Althusius trotzdem eine Hierarchie der Würde unter den historischen Beispielen und oftmals nahm hier das biblische Modell den ersten Rang ein. Die Quellen, auf die Althusius sich beruft, sind, wie immer, auch für die Begriffe respublica, regnum und politeia das römische Recht, die politische Philosophie – mit dem Vorzug von Cicero gegenüber Aristoteles – und die jüngste ,protostatistische‘ Tradition der Beschreibungen von historischen und modernen Verfassungen und Herrschaftsformen. Die Theologie hat für die althusianische Vorstellung der respublica keine so vordringliche Bedeutung, auch wenn der Republik, wie auch dem Grundkonzept der consociatio, die lex symbiotica eingeschrieben ist: das Gesetz Gottes im calvinistischen Sinne nimmt die Position der Normativität und der Rechtserfordernis ein, die dem Begriff der respublica bei Cicero und im Ciceronismus inhärent ist, die hingegen in der augustinisch-lutherischen Konzeption nicht vorhanden ist.

3. Häufigkeit des Begriffs Die Häufigkeit des Begriffes ist selbstverständlich sehr hoch im gesamten Werk. Die genaue Zahl anzugeben, bringt keine neuen Erkenntnisse. Sicherlich tauchen respublica und regnum aber häufiger nach dem VIII. Kapitel auf, da es in den Kapiteln IX bis XXXVIII vorwiegend um die consociatio universalis publica maior geht, die im althusianischen Konzept die respublica und auch das regnum darstellt (IX, 1 – 3). Diese Identifikation von regnum und respublica, die Althusius ausdrücklich anderen Konzepten vorzieht, wobei er seinem ciceronianischen Weg treu bleibt und dies durch die Polysemie des Begriffes in den römischen Rechtstexten belegt (IX, 4),28 zeigt, dass der Syndicus von Emden unter der Bezeichnung respublica das neue Phänomen des frühneuzeitlichen Territorialstaates theoretisieren will. Wenn es andererseits offensichtlich ist, dass die Struktur des Reiches oder auch das Modell der holländischen Staaten in seiner Analyse der consociatio universalis publica maior integriert ist und wenn im Nachhinein wenigstens das Beispiel des 28 Ebenfalls wichtig ist darauf hinzuweisen, dass zumindest für den Terminus respublica nicht die Bibel der erste Referenztext ist, sondern das Corpus iuris.

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Reiches nicht das Beste zu sein scheint, weil in der heutigen Historiografie das Alte Reich normalerweise nicht wie ein ,Territorialstaat‘ im Sinne des Absolutismus behandelt wird, beinhalten nichtsdestoweniger die respublica und das regnum des Althusius in semantischer Hinsicht diese breite Skala von Bedeutungen: auf der einen Seite ist es ganz offensichtlich ein Staat mit einem klar definierten Territorium (IX, 14: „Territorium regni hic est [ . . . ]“), auf der anderen Seite überschneidet sich die korporative Struktur einer Verbindung von consociationes im exakt althusianischen Sinne mit dieser Territorialität. „Mitglieder“ des Regnum sind fortan nur die consociationes mistae publicae der civitas, nicht einzelne Männer, auch nicht Familien oder Vereinigungen (IX, 5). Es ist dies der Ausgangspunkt des ,Föderalismus‘ und der Subsidiaritätsideen, die in Althusius’ Werk präsent sind. Es ist nicht das Modell des ,absolutistischen‘ Staates, das Monarchen und Untertanen konfrontiert. An diesem Punkt wird eine der wichtigsten Differenzen zwischen dem althusianischen Begriff der respublica und dem Bodin’schen der République sichtbar; bei Bodin sind les mesnages (die Familien) die unmittelbar konstitutiven Elemente eines Staates So gäbe es also keine direkte Herrschaftslinie zwischen dem summus magistratus und den ,Untertanen‘, sondern nur in dem Maße, in dem die Mitglieder der respublica sich im Konsens und einem Recht (ius maiestatis) folgend sub uno capite begeben und diesem Haupt unterworfen haben (IX, 12). Die Souveränität (unter dem Namen der summa potestas, nicht unter dem der maiestas, wie es für andere politische reformierte Schreiber typisch war)29 wird so der respublica selbst attribuiert, nicht der Person des summus magistratus: dies richtet sich ausdrücklich gegen Bodin, IX, 18 – 27.30 In Folge dieser grundlegenden Konstruktionen finden wir bei Althusius die Systematisierung der Grenzen der Macht (die Ephoren, die überwachen, dass der summus magistratus dem festgesetzten Recht folgt;31 das positive Recht des Widerstandes im Falle einer Tyrannei), weshalb der Autor von Barclay zu den Monarchomachen gezählt wurde.

4. Die Bedeutung des Begriffs bei Althusius An dieser Stelle soll die Frage, warum Althusius auf die ciceronianische Definition zurückgreift, wiederaufgenommen werden und mit der Frage nach dem theologischen Element im althusianischen Text kombiniert werden: wie schon gezeigt wurde, könnte die Entscheidung, beim Begriff respublica auf Cicero zu rekurrieren, bei Althusius und anderen Reformierten gewissermaßen als eine anti-luthe29 Vgl. M. Scattola, Dalla virtù alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna, Milano, 2003, S. 242 – 300. 30 ,Spersonalizzazione del potere“, L. Bianchin, Politica e scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in Campos Boralevi / Quaglioni, Politeia biblica, zit., S. 409 – 430: 410. 31 Zu den Ephoren vgl. das Lemma Ephori von S. Testoni Binetti, supra.

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rische Wahl gelesen werden. Wyduckel hat richtigerweise daran erinnert32, dass Althusius Luther nicht ein einziges Mal zitiert und auch nur selten eines der theologischen, politischen oder auch rechtswissenschaftlichen Werke der lutherischen Orthodoxie. Althusius stimmt hingegen in vielen Dingen mit dem katholischen Pierre Grégoire überein – dieser ist bemerkenswerterweise immerhin ein ehemaliger Anhänger der französischen katholischen Liga; auch bei Grégoire ist die politische Sphäre keineswegs von normativen Anforderungen und Ansprüchen von Seiten ,Gottes‘ in dieser Welt befreit – auch wenn sicherlich die im Werk Grégoires enthaltene päpstliche Ekklesiologie nicht die des Althusius ist. Aber hinsichtlich der ausdrücklichen Unterwerfung der Politik unter eine ethische Normativität überhaupt scheinen die Theorien calvinistischer und katholischer Provenienz sich näher zu stehen, während die lutherische politische Theorie in diesem Punkt ein wenig näher an der Bodins zu verorten wäre. Althusius schreibt keine theokratische Politik und auch keine ausdrücklich theologisch orientierte. Aber die gewählten Strukturen verraten außerpolitische Quellen, folglich auch theologische. Das ius symbioticum ist der gesamten consociatioFolge inhärent und wenn das Volk nur dann ein solches ist, wenn es eine wechselseitige Teilnahme des Rechts und des Rechtswesens gibt (nach der Definition Ciceros), steht man wieder einer Theorie gegenüber, die nur vor dem Hintergrund einer calvinistischen, föderaltheologischen Anthropologie funktioniert und nicht vor dem einer lutherischen.33 Die negative Anthropologie des Luthertums ist zwar sicherlich dem gesamten Protestantismus gemein. Nach dem Sündenfall des Menschen und seiner Vertreibung aus dem Paradies hat der Mensch die Fähigkeit, als individuelles Wesen gut zu sein, verloren. Sola gratia, sola fide. Im Calvinismus aber und vor allem in der Föderaltheologie verändert die Konzentration auf die Vorgeschichte Adams, auf sein Wesen und seinen Zustand im Paradies, auf seine prälapsarische Beziehung zu Gott diese Anthropologie, weil der Sündenfall die Charakteristik dieser Mensch / Gott- Beziehung nicht vollständig ausgelöscht hat. Der Mensch auf dieser Welt kann trotzdem immer noch das Gesetz Gottes erkennen – natürlich ist es verborgen und verschlüsselt; aber die Möglichkeit des regnum Dei auf dieser Welt existiert, vielleicht nicht in seiner gänzlichen Vollkommenheit, aber doch in einer gewissen Quantität. Wenn und weil es also einen gewissen Zugang zum göttlichen Gesetz gibt, zur Erkenntnis des Richtigen, kann man auf Cicero zurückkommen, um das Volk und die res populi, die respublica zu definieren. Wenn aber eine solche Möglichkeit zur Erkenntnis und zur Wahrnehmung der Gerechtigkeit im Menschen nicht angelegt ist, wird es schwierig sein, die ciceronianische Definition als Ausgangspunkt zu nehmen. Im Luthertum gibt es grosso modo keine Möglichkeit eines direkten Zugangs zur lex Dei, also gibt es auch keine Forderung nach einer res populi, in der der populus ein Zusammenschluss 32 Vgl. D. Wyduckel, Einleitung, in J. Althusius, Politik, üs. v. H. Janssen, hrsg. v. D. Wyduckel, Berlin, 2003, S. VII – XLVII: XXVII. 33 Vgl. dazu das Lemma Symbiosis von C. Malandrino, infra.

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von Menschen ist, die sich dem Recht im wahren Sinne der lex Dei (bei Althusius: lex symbiotica) beugen. Dort reicht ein externer und funktionaler Gehorsam gegenüber der lex humana aus, auch wenn diese von einem Tyrannen festgesetzt worden wäre. Bei Althusius muss natürlich auch jeder gehorchen, aber nur, weil der, der herrscht, auch die wahre Gerechtigkeit vollzieht, das ius symbioticum oder auch ius symbioticum universale, welches das politeuma ist. Interessant ist eine seiner Überlegungen zur berühmten Frage, ob der Magistrat lege solutus sei. Althusius verneint dies (IX, 21), weil es nicht möglich ist, dass das Gesetz – auch das Bürgerrecht – nicht auch etwas Göttliches in sich trage. Wenn dies nicht der Fall wäre, wäre es auch kein Gesetz. Wenn aber das vom Magistrat erlassene Zivilrecht mit dem göttlichen Gesetz konform ist, kann der Magistrat nicht jenseits und über dem Gesetz stehen, dessen er nur die digna vox ist.34 Noch einmal wird also die Wichtigkeit dieser Teilhabe der iustitia und der lex in der consociatio und in der ciceronianischen res publica als res populi deutlich. Die Funktionalisierung der von Althusius zur Formierung seines Konzepts der respublica, des regnum und der Form oder Verfassung derselben (der politéia) verwandten Quellen entspricht also ganz der oben schon für die consociatio skizzierten Linie. Dieses Mal handelt es sich nicht um einen ,neuen‘ Begriff oder einen von Althusius neu geprägten, sondern um Termini, die in vielen semantisch verschiedenen Traditionen genutzt wurden, von denen er diejenige wählt, die am besten mit einer calvinistischen Kosmologie vereinbar ist – auch wenn diese Kosmologie nicht wesentlicher Bestandteil seines politischen Systems ist; aber sie ist der Bedingungsrahmen, der semantische und systematische Entscheidungen begrenzt, herausfordert und provoziert.

5. Die Rezeption des Begriffs Gojosso fasste für Frankreich nach Ende der französischen Religionskriege zusammen, dass „après avoir occupé la scène politique pendant deux décennies, la res publica – res populi va connaître une longue éclipse. Elle s’efface pour près de deux siècles devant la figure ,formidable‘ du souverain“.35 Wenn diese Vision korrekt ist, so nur für Frankreich, denn genau in derselben Zeit des Aufstiegs des immer zentralistischeren französischen ,bodinianischen‘ Staates, der gewöhnlich vor Henshall ,absolutistisch‘ genannt wurde und keinen Raum für die Idee des Primats des Volkes gegenüber dem Regenten ließ, wächst und vereindeutigt sich das republikanische Konzept eines gewissen ,Proto-Republikanismus‘. Die Niederlande und die Schweiz sind seine ersten Vertreter.36 Der (sicherlich eingeschränkte) Er34

Vgl. D. Quaglioni im Bezug auf die Überlegungen zu Majestas, supra und Tyrannis,

infra. Vgl. Gojosso, Le concept, zit., S. 132. Vgl. T. Maissen, Eine ,absolute, independente, souveraine und zugleich auch neutrale Republic‘. Die Genese eines republikanischen Selbstverständnisses in der Schweiz des 17. Jahr35 36

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folg des althusianischen Werkes in den Niederlanden,37 in Schottland38 und in Teilen Deutschlands scheint zu zeigen, wie die Politica als eine erste systematische Theorie, die sich recht gut den staatlichen Verhältnissen dieser Regionen anpassen ließ, aufgenommen wurde. Aber Althusius formulierte noch keine Theorie der ,modernen Republik‘ unter der Prämisse einer klaren Trennung von Gesellschaft und Staat oder als eine der Monarchie entgegengesetzten Staatsform und Regierung, wie es die republikanische Idee des 18. und 19. Jahrhunderts war. Nach Maissen entstand dieses neue Konzept von souveräner ,Republik‘ nicht vor 1650 und auch in dieser Zeit hätte es sich nur am allerersten Anfangspunkt seiner Entwicklung befunden. In jedem Fall kann man kaum exakt beurteilen, ob das Konzept der respublica, des regnum oder der politeía, wenn man es in späteren Zusammenhängen wieder trifft, nun wirklich auf Althusius zurückzuführen ist, denn die Wahl der ciceronianischen Definition ist nicht per se ein sicheres Indiz: Althusius war hier nur ein Vertreter eines mehrstimmigen Diskurses. Auf der anderen Seite könnte man immer dann, wenn sich ein sicherer Bezug auf eine althusianische Passage identifizieren lässt – etwa auf die Institution der Ephoren – argumentieren, dass dann auch sein Konzept der respublica, zumindest teilweise, enthalten ist, denn letztendlich transportieren alle Einrichtungen, alle Gesetze, all die Besonderheiten, die er in der Politica beschreibt (oder auf die er vorausweist), semantische Elemente seiner respublica, die die Denomination für das Ganze des Staates bleibt. So betrachtet, vermischt sich die Frage nach dem ,Erfolg‘ der Bedeutung des althusianischen Begriffes der respublica mit dem Erfolg des gesamten Werkes. War Althusius ein Republikaner? Oder gar ein Republikanist? Im protomodernen Sinn ja; um 1600 verdient vielleicht kein anderes systematisches politisches Werk dieses Epitheton mehr als das seinige. In Bezug auf diese Frage bleibt auch die Opposition Bodin – Althusius (oder Arnisaeus – Althusius) gültig, die von den Zeitgenossen vermerkt wurde, und die wir heute vielleicht in anderen Hinsichten relativieren würden. Wenn dieser Republikanismus (immer mit einem unentbehrlichen summus magistratus!), durch die Brille der Moderne betrachtet, nicht vollständig entwickelt erscheint, so könnten aus einer ,post-modernen‘ Perspektive zumindest gewisse Elemente seiner strukturell korporativen und föderalen respublica hunderts, in M. Böhler / E. Hofmann / P. H. Reill / S. Zurbuchen (Hgg.), Republikanische Tugend. Aussbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers, Genève, 2000, S. 129 – 150 und Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, 2., veränd. Aufl., Göttingen 2008; vgl. Maissen, ,Par un pur motief de religion et en qualité de Republicain‘ – Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande und seine Aufnahme in der Eidgenossenschaft (ca. 1670 – 1710), in: Schorn-Schütte, Aspekte, zit., S. 233 – 282. 37 Vgl. Conti, Consociatio civitatum, wobei Contis Buch aber weniger eine Geschichte der Althusius-Rezeption im eigentlichen Sinne behandelt, als vielmehr den ,Republikanismus‘ der Niederlande insgesamt. 38 Vgl. R. v. Friedeburg, Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht. Die ,Politica‘ des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption, in Schorn-Schütte, Aspekte, zit., S. 149 – 194.

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adäquater für einige aktuelle politische Situationen erscheinen als solche der Rousseau’schen Republikanismus-Tradition: wenn die consociationes publicae die einzigen vollwertigen Glieder der respublica sind, könnten sie heute als Staaten wie auch als nicht staatliche Einheiten interpretiert werden – ohne den Anspruch oder die Vorbedingung, dass zunächst überhaupt eine homogene Gesellschaft gleicher Menschen existieren müsse; denn die Personen selbst sind im althusianischen Sinne keine konstitutiven ,Glieder‘ der Republik. Was bleibt, ist aber das Problem des ius symbioticum – es müsste nach Althusius für alle dasselbe sein, was eben heute doch einem allumfassenden Mindestanspruch gemeinsamer Normativität an alle im Staat entsprechen würde.39

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Zu einigen Überlegungen vgl. den Abschnitt 5 des Eintrages Consociatio, infra.

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Summus Magistratus (Monarchicus, Polyarchicus) 1. Die politische Debatte über die Souveränität und ihre Grundkomponenten – Natur, Grundlage, Grenzen, Ziele –, über ihre Trägerschaft und über ihre Ausübung, ihre institutionellen Apparate, ihre Formen, ihre Abirrungen kann man sich über die Rekonstruktion der Bedeutung der Ausdrücke summus magistratus, monarchicus, polyarchicus und ihrer Kontexte, kurz: über ihre Geschichte vergegenwärtigen. Gewiss können diese Ausdrücke nicht unter aseptischen Bedingungen untersucht werden, indem reine Theorien entwickelt werden: Es sind Ausdrücke, die in der sozialen und politischen Wirklichkeit verankert sind, die in der Geschichte abgenutzt wurden und die diachronen Bedeutungsänderungen unterworfen sind. Es sind Ausdrücke, die mit ideologischen Bezügen aufgeladen, also eminent politisch sind. Um sie herum entwickelt sich die Debatte zwischen absolutistischen und konstitutionellen Theorien, eine Debatte, die auf dem Boden stattfindet, auf dem sich zu dieser Zeit politische Ideen entwickeln. Bereits der Gebrauch oder Nicht-Gebrauch derartiger Ausdrücke ist bezeichnend. Ob man die höchste politische Autorität mit dem Ausdruck rex oder mit dem des magistratus benennt ist sicher nicht unbedeutend: Damit reagiert man auf verschiedene geschichtliche Kontexte, schließt eine spezifische Konzeption der Macht ein, impliziert, dass es verschiedene politische Modelle gibt. Die thomistische Unterscheidung zwischen regimen regale und regimen politicum, macht diese verschiedenen Typen der Macht sehr schön deutlich. „Regale quidem est regimen, quando ille qui civitati praeest habet plenariam potestatem. Politicum autem regimen est quando ille qui praeest habet potestatem coarctatam secundum aliquas leges civitatis“.1 Die Macht des magistratus ist hinsichlich der Zeit und des Objekts eingeschränkt, sie ist eine legale Macht, ist eine typische Macht der bürgerlichen Regierung: So rezipiert sie Althusius von der klassischen und mittelalterlichen Tradition und stellt sie in den Kontext des modernen Staats. Magistratus stammt von magister ab, und daher ist der magistratus der magister populi. Im Wortschatz des klassischen Lateins bezeichnet der Ausdruck ein „officium, vel munus in re publica administranda constitutum“ und bezeichnet in enge1 Thomas von Aquin, In octo libros Politicorum Aristotelis expositio, Turin 1966, Lib. 1, l. 1, Anm. 13, S. 6.

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rem Sinne „munus vel officium aliquod superius in libera re publica constitutum, quod aliqua potestate publica praeditum est“.2 Der Terminus magistratus bringt also den Aspekt des öffentlichen Amts und jenen der politischen Autorität zum Ausdruck. In beiden Aspekten kennzeichnet den magistratus das Recht, das dem Amtsträger Machtbefugnisse und Aufgaben zuweist. 2. Das Lemma summus magistratus ist im Lateinischen Wortschatz weit verbreitet: Es findet sich bei Cicero,3 Caesar4 und Livius.5 Mit dem Ausdruck werden die obersten Ämter bezeichnet, die Konsuln und Praetoren: es sind Ämter, die Träger des imperium sind, Träger von Befehlsgewalt. In der Frühen Neuzeit zeichnet sich der oberste Magistrat über die Unterscheidung verschiedener Grade des imperium, durch den Rechtstitel des merum imperium aus, durch „gladii potestatem ad animadvertendum in facinorosos homines“6, das mehr oder weniger je nach der politischen und juristischen Auffassung und nach der jeweiligen ideologischen Anschauung auch den niederen Amtsträgern zuerkannt werden kann7. Die Adjektivbildung monarchicus, polyarchicus findet sich in den lateinischen Quellen nicht. Man muss auf den politischen Diskurs der Griechen zurückgehen, um auf die ersten Nachweise der Substantive monarchia, polyrchia zu stoßen. Die lexikalische Entwicklung der beiden Ausdrücke ist äußerst unterschiedlich verlaufen: Der Gebrauch des Ausdrucks Monarchie, die Herrschaft von Einem, ist in allen Klassifikationen von Regierungsformen aristotelischer Prägung fest verwurzelt. Neben Monarchie erscheinen Aristokratie / Oligarchie, die Herrschaft weniger, und Demokratie, die Herrschaft des Volkes. Der Ausdruck polyarchia, Macht von Vielen, findet in Griechenland in der gewöhnlich dreiteiligen Klassifizierung der Verfassungen nicht als Gegensatz zu Monarchie Verwendung. Die ungewöhnliche Wortform wird von Thukydides8 und 2 Thesaurus linguae latinae, editus iussu et auctoritate consilii ab academiis societatibusque diversarum nationum electi, Lipsiae, In aedibus B. G. Teubneri, 1936 – 1966, Bd. VIII, S. 91 f. 3 Cicero, Oratio in Verrem secunda, 50: „Catinam cum venisset, oppidum locuples, honestum, copiosum, Dionysiarchum ad se proagorum, hoc est summum magistratum, vocari iubet“. 4 Caesar, De bello gallico, I, 16: „in his Dividiaco et Lisco, qui summo magistratui preerat, quem vergobretum appellant, Haedui, qui creatur annuus et vitae necisque in suos habet potestatem“. 5 Livius, Ab urbe condita, V, 28: „Forte eo anno in summo magistratu erat Timasitheus quidam“. 6 Ulpian, Digesten, II, 1, 3. 7 Vgl. A. Alciatus, De verborum significatione libri quatuor, Lugduni, Sebastianus Gryphius Germanus excudebat, 1576, S. 244; G. Budaeus, Altera editio Annotationum in Pandectas (1526), Lugduni, Apud Sebastianum Gryphium, 1551, S. 234; V. Piano Mortari, Il potere sovrano nella dottrina giuridica del secolo XVI, Neapel 1973, S. 34 – 63. 8 Thukydides, Peloponnesischer Krieg, I, VI, 72: „Großer Schaden war durch die Überzahl von Strategen und der Polyarchie entstanden (sie hatten 15 Strategen)“.

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Plutarch9 gebraucht, um die Pluralität der Befehlsgewalt negativ zu konnotieren. Die Polyarchie wird in diesen Texten als Ursache für Unordnung sowie politischer und militärischer Schwäche ausgewiesen. Ungeachtet der terminologischen Lücke ist die Unterscheidung zwischen der Herrschaft eines Einzelnen und der Macht von Vielen in der Kultur des Altertums durchaus präsent. In einer politischen Rede Ciceros,10 der jede monarchische Staatsform als verdorben ansieht, ist er besonders zentral11. Das von ihm vorgeschlagene positive Regierungsmodell, die römische Republik, ist eine Polyarchie, auch wenn dieser Ausdruck von ihm nicht verwendet wird. In diesem Modell gehört die souveräne Macht dem Volk, ist ihre Ausübung auf mehrere Ämter verteilt, also begrenzt und gesetzeskonform12. Im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert findet in der politischen Kultur der Städte nach dem mittelalterlichen Modell der theokratischen Monarchie das ciceronianische Modell Verbreitung: Der Ausdruck, der verwendet wird, um es zu umschreiben, ist „Republik“, aber der vorgeschlagene politische Sachverhalt ist der der „Polyarchie“. In der bürgerlichen Politik wird die Rolle des magistratus zentral, der im politischen Wortschatz der Frühen Neuzeit neben rex oder princeps zu stehen kommt. Die Dichotomie von princeps und magistratus steht für zwei Regierungsformen, für zwei Arten von Verfassung und Herrschaft: Die Prinzipate, für die eine zentralisierte und tendenziell absolute Herrschaft charakteristisch ist, und die Republiken, für die nach der Klassifizierung Machiavellis eine Vielfalt von Herrschaften, politischen Rechtsformen und Freiheiten typisch ist. Im 16. Jahrhundert wird das Modell der Stadtrepublik entwickelt: Es ist ein polyarchisches Modell, das auf der Rechtmäßigkeit als Regel und Begrenzung der Herrschaft gründet und der Zentralisierung und dem Absolutismus entgegengestellt wird. Die politischen Verhältnisse in der Stadt Straßburg haben bereits 1514 Erasmus dazu veranlasst, sie als Vorbild für eine gute bürgerliche Regierung darzustellen: Eine Monarchie ohne Despotismus, eine Aristokratie ohne Fraktionen, eine Demokratie ohne Unruhen13. 9 Plutarch, Camillus, 18,6: „Vor allem war die Unruhe groß, die von der Polyarchie hervorgerufen wurde“. 10 Cicero, De officiis, II, 1: „Ego autem quam diu res publica per eos gerebatur, quibus se ipsa commiserat, omnes curas cogitationesque in eam conferebam: cum autem dominatu unius omnia tenerentur . . .“. 11 Cicero, De republica, II, 3: „Desunt omnino ei populo multa, qui sub rege est, in primisque libertas, quae non in eo est, ut iusto utamur domino, sed ut nullo“. 12 Cicero, De legibus, III, 3: „Magistratibus igitur opus est, sine quorum prudentia ac diligentia esse civitas non potest, quorumque discriptione omnis rei publicae moderatio continetur“. 13 Erasmus von Rotterdam an Jakob Wimpfeling, Basel, 21. September 1514, in: ders: Correspondance, Bd. II, Brüssel, S. 27: „Je voyais le gouvernement d’un seul, mais sans despotisme, une aristocratie sans factions, une démocratie sans désordres, des fortunes, mais sans mollesse, du bonheur, mais sans jactance“.

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Im politischen Denken des Protestantismus lutherischer wie calvinistischer Prägung wird der Pluralismus der Mächte – verstanden sowohl im Sinne einer polyarchischen Form höchster Jurisdiktion als auch im Sinne der Aufteilung der politischen Macht zwischen dem obersten Magistrat und unteren Magistraten – mit theologisch-biblischen, juristischen und politischen Argumenten als ein Instrument der Begrenzung der Macht von Königen und Kaisern und der Legitimation des Widerstandsrechts dargestellt14. Den politischen Autoren der Zeit erscheint dies angesichts der Probleme, die seinerzeit auf Europa lasten, als eine gute Lösung, die auf der biblischen, der klassischen, der christlich-mittelalterlichen Tradition gründet und die praktisch umsetzbar ist, ohne übermäßige soziale Traumata hervorzurufen. Der magistratus ist der Protagonist des politischen Lebens in den freien Reichsstädten; er ist der Garant für die politische und religiöse Autonomie der Stadt, eine Autonomie, die mit schweren Kämpfen erkauft wurde und daher umso wertvoller ist. Wer konnte dies besser als Althusius, Calvinist und Syndikus von Emden, verstehen? 3. Der Ausdruck summus magistratus spielt in der Politica des Althusius eine zentrale Rolle: Über ihn charakterisiert er seine Konzeption von Staat und Regierung und bezieht in der zeitgenössischen politischen Debatte klar Position. Die Bedeutung, die für den Autor die Probleme im Zusammenhang mit dem summus magistratus haben, kann man auch der Rolle entnehmen, die sie in der Argumentation der Politica spielen. Bereits in der Einleitung kündigt Althusius seine Theorie des obersten Magistrats an, die in den Kapiteln XV De regni commissione und XXXII De speciebus summi magistratus der Ausgabe von 1603 breit dargelegt wird, sowie in Kapitel XIX De regni, sive universalis imperii, commissione und in Kapitel XXXIX De speciebus summi magistratus, das den Text von 1614 beschließt. Der Ausdruck summus magistratus wird häufig dem der ephori an die Seite oder gegenübergestellt. Den beiden Lemmata sind eigene Abhandlungen gewidmet. „Tantum de Ephoris universalis consociationis: sequitur de Magitratu illius summo“ ist in den einführenden Zeilen von Kapitel XIX zu lesen. Beim obersten Magistrat und den Ephoren handelt es sich um die Ämter, unter denen die Aufgabe des Verwaltens und Regierens der consociatio universalis aufgeteilt ist. „Administratores universalis huius consociationis sunt duorum generum: sunt enim ephori, vel magistratus summus“ (XVIII, 47). Über eine sorgfältige Verteilung der Mächte und Funktionen zwischen diesen beiden Ämtern konzipiert Althusius ein Verfassungssystem, das auf der Balance der Mächte basiert, die sich gegenseitig begrenzen. Ziel dieser Konstruktion ist es, die Degeneration des Staates im absolutisti14 Vgl. O. Chadwick, The Early Refomation on the Continent, Oxford 2001, S. 313 – 350; D. Wyduckel, Recht und Jurisprudenz im Bereich des Reformierten Protestantismus, in: C. Strohm (Hrsg.), Bucer und das Recht, Genf 2002, S. 1 – 28.

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schen Sinne zu verhindern und die Freiheiten und Rechte der Provinzen und Städte sicherzustellen. Das politische Ziel, das Althusius zusammen mit den Mitteln zu ihrer Umsetzung verfolgt, verdankt sich seinem geschichtlichen Umfeld, seiner Ausbildung, seiner Biografie. Althusius greift politische Theorien seiner Zeit, der Frühen Neuzeit, auf und führt sie zur Vollendung. Es handelt sich um Vertrags- und Verfassungstheorien sowie um Theorien zum Pluralismus der politischen Macht, und um Theorien zum Widerstandsrecht, die in einer Vielzahl von historischen und theoretischen Aspekten betrachtet werden. An der Schwelle zum 17. Jahrhundert bildet die theoretische Auseinandersetzung des Althusius mit dem Amt des obersten Magistrats und der Polyarchie, die mit der des Ephorats vervollständigt wird, vollkommen organisch das juristisch-institutionelle Fundament dieser Theorien. Die Haltung des Althusius ist mit Blick auf die von ihm herangezogenen Quellen nicht passiv-rezeptiv, sondern vielmehr kritisch und konstruktiv, wie seine sehr persönliche Lesart der Ausdrücke und politischen Schlagworte der Vergangenheit zeigt. Die Politica erscheint als eine neue Konstruktion, die auf soliden, weil in der Geschichte verwurzelten Fundamenten gründet. Diese Konstruktion, die in der dialektischen Auseinandersetzung mit den zahlreichen von Althusius zitierten und auf die Thesen des Althusius hin gelesenen Autoren ausgearbeitet wurde, steht durch die ständige Auseinandersetzung zwischen den Thesen des Althusius und seiner Zeitgenossen im Mittelpunkt der politischen Debatte im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert. Die politische Konstruktion des Althusius ist deshalb neu, weil sie die Zeichen der Zeit berücksichtigt, weil sie auf die Bedürfnisse reagiert, die in diesen Jahren offensichtlich geworden sind, und weil sie nicht versucht, der Wirklichkeit eine philosophische Theorie überzustülpen, sondern die Theorie an der Wirklichkeit orientiert. Die diachrone Entwicklung der Thesen des Althusius kann leicht am Vergleich der beiden Ausgaben der Politica von 1603 und 1614 abgelesen werden, zwischen denen er Erfahrungen als Syndikus von Emden sammelte15. Um diesen Vergleich möglich zu machen, auch wenn die Analyse hier auf Grundlage des Texts von 1614 vorgenommen wird, werden die aufschlussreichsten Varianten zur Ausgabe von 1603 angeführt, die für die behandelten Themen von der größten Bedeutung sind. Dem obersten Magistrat ist ein Teil der Einleitung der Auflage von 1614 gewidmet, der Ad Illustres Frisiae ordines überschrieben ist: Auf diesen allerersten Seiten des Buchs bezieht Althusius in der umstrittenen Frage der Machtbefugnisse des höchsten Magistrats Position. „Adminsitratorem, procuratorem, gubernatorem jurium majestatis principem agnosco. Proprietarium vero & usufructuarium majestatis, nullum alium, quam populum universum, in corpus unum symbioticum ex pluribus minoribus consociationibus consociatum“ (Praefatio, S. 4). Die These 15 Vgl. C. Malandrino, Il Syndakat di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, in: Il Pensiero Politico 1995, S. 359 – 383; ders., La sussidiarietà nella ,Politica‘ e nella prassi antiassolutistica di J. Althusius a Emden, in: Il Pensiero Politico 2001, S. 41 – 58.

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hatte er bereits 1603 vorgebracht, mit einer polemisch gegen Bodin gerichteten Argumentation, wobei er zur Unterstützung den „jurisconsultus celeberrimus“16 Covarruvias zitierte. In der Auflage 1614 werden die angeführten Argumente miteinander kombiniert. In erster Linie beschäftigt Althusius nicht mehr die kritische Auseinandersetzung mit Bodin, sondern der Bezug auf die realen politischen Verhältnisse. Auch wenn in diesem Text ein dichtes Netz aus Zitaten aufgebaut wird, das die Beweisführung des Verfassers stützt, stellt die Einleitung unmissverständlich klar, dass die behandelten Fragen nicht Themen eines Disputs zwischen verschiedenen Schulen sind, sondern reale politische Fragen, die an historische Ereignisse gebunden sind, Ausdruck eines spezifischen institutionellen Systems – das der Vereinigten Provinzen. „Ad quod ipsum demonstrandum etiam vestrum & reliquarum confoederatarum provinciarum exemplum laudabile producere possum“ (Praefatio, S. 5)17. Dieser spezifische Bezug auf die Provinzen, denen der Autor sein Werk widmet und an denen er den Inhalt des Werks ausrichtet, fehlt im Text von 1603. 4. Wer bildet den summus magistratus, welches ist der Rechtstitel, auf den seine Macht sich gründet, welches sind Charakteristikum, Umfang und Inhalt dieser Macht? Diesen Fragen ist Kapitel XIX De regni, sive universalis imperii, commissione gewidmet. „Magistratus hic summus, qui secundum leges ad salutem & utilitatem universalis consociationis constitutus, jura illius administrat & executioni mandat“ (XIX, 1). In der Definition des summus magistratus von 1603 gibt es die erläuternde Formulierung „universalis consociationis“ nicht, stattdessen ist von „subditorum civium“ die Rede18. Die Änderung ist keine Formalie, sie verschiebt den Akzent nämlich von den Bürgern auf den Sozialkörper: Ziel des obersten Magistrats wird der Nutzen für die consociatio, und im Text von 1614 gibt eben die Aufmerksamkeit für die consociatio in ihren verschiedenen Ebenen – Staat, Provinz, Stadt – der politischen Konstruktion des Althusius in föderalem Sinne Orientierung. Die oben zitierte Definition beinhaltet das Problem der Gewalten / Aufgaben des obersten Magistrats, das bereits in der Einleitung angeschnitten wurde: Der summus magistratus existiert nicht von sich aus, sondern kraft anderer, er ist nicht Trä16 Vgl. J. Althusius, Praefatio, clarissimo consultissimoque viro Martino Neurath U.J.D. advocato & caussarum patrono Sigenensi, adfini meo onorando: nec non praestantissimo et consultissimo viro Jacobo Tieffenbachio advocato Cambergensi, adfini meo onorando, in: ders., Politica methodice digesta et exemplis sacris & profanis illustrata, Herbonae Nassoviorum, Ex officina Christophori, 1603, S. 5: „Non curo Bodini clamores [ . . . ] quando meae sententiae mihi constant rationes“. 17 Ebd.: „Movit me etiam, quod a vobis, ab urbibus, constitutionibus, moribus, rebus gestis vestris, & confoederatarum aliarum provinciarum belgicarum desumpta petam“. 18 J. Althusius, Politica, 1603 (FN 16), Cap. XV, S. 167: „Magistratus Reipublicae summus est, qui secundum Leges, ad salutem & utilitatem subditorum civium constitutus, jura regni administrat & exsecutioni mandat“.

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ger der jura regni oder jura maiestatis, sondern ist vielmehr Diener, hat die Verwaltung inne und ist ausführendes Organ. Bevor Althusius das Thema der Einrichtung des obersten Magistrat angeht, spitzt er die grundlegende Unterscheidung zwischen oberstem Magistrat und Souverän zu, mit der er sich von Bodin unterscheidet und die für seine politische Theorie grundlegend ist. „Nam jura universalis consociationis [ . . . ] ratione proprietatis & dominii pertinent ad corpus universalis consociationis, seu membra regni; at vero ratione usus & administrationis, spectant ad summum illius magistratum“ (XIX, 2)19. Dadurch, dass er sich auf der Linie der lex digna vox20 und jener der romanistischen Tradition bewegt und sich jener mittelalterlichen Tradition von Thomas und Bartolus anschließt21, weist Althusius die Macht des obersten Magistrats als begrenzt aus: Er steht unter dem Gesetz und ist auf das Wohl des politischen Körpers ausgerichtet. Der oberste Magistrat verfügt also nicht über die absolute Macht. „Absoluta potestas, seu plenitudo potestatis, quam vocant, summo magistratui dari non potest“ (XIX, 9)22. In Übereinstimmung mit dem Schema des Bartolus von De tyranno usurpiert der oberste Magistrat, der diese Grenzen nicht respektiert, eine Macht, die ihm nicht zusteht, und wird zum Tyrannen. Der oberste Magistrat hat die Macht nicht auf ewig, seine Macht ist zeitlich begrenzt. Das unterscheidet ihn allerdings nicht vom König oder Fürsten, denn „sola temporis praescriptio non mutat rei naturam“ (XIX, 4). Außerdem wird nicht einmal dem König die Macht auf ewig zugestanden, sie ist vielmehr nur so lange gültig wie er sie rechtschaffen ausübt: sie verfällt, wenn er zum Tyrannen wird. Die Beweisführung des Althusius erfolgt in Opposition zu einer gegenteiligen These Bodins, die jedoch in einem anderen Kontext formuliert wurde. Für den Franzosen hängt die Frage vom Rechtstitel der Souveränität ab: ein Magistrat kann nicht Souverän sein, auch wenn er zum Diktator bestimmt wird und den Namen eines Königs erhält, wie es in Sparta geschehen ist23. 19 Dieser Teil fehlt im Text von 1603. Über die Art und die Trägerschaft der Souveränität bei Althusius vgl. C. J. Friedrich, Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, S. 62 – 69; 121 – 126. 20 Lex digna vox (C 1, 14. 4): „digna vox maiestate regnantis legibus alligatum se principem profiteri: adeo de auctoritate iuris nostra pendet auctoritas. Et re vera maius imperio est submittere legibus principatum“. Vgl. E. Cortese, Il problema della sovranità nel pensiero giuridico medievale, Rom 1966, S. 119 – 154. 21 Vgl. D. Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano. Il ,De tiranno‘ di Bartolo da Sassoferrato, con l’edizione critica dei trattati ,De Guelphis et Gebellinis‘, ,De Regimine Civitatis‘ e ,De tiranno‘, Florenz 1983. 22 Althusius zitiert Covarruvias (Diego Covarruvias, Variorum ex Iure Pontificio, regio, et Cesareo, Resolutionum libri quatuor, in: ders., Opera Omnia, Venetiis, Apud Haeredem Hieronymi Scoti, 1581, II, l. III, cap. 6, n. 8, S. 260). 23 Jean Bodin, De republica libri sex, Francofurti, Typographeo Nicolai Hoffmanni, impensa haeredum Petri Fischeri, 1609, lib. II, cap. 3, S. 306 f.: „Quod item Spartiatarum duces regum appellation amplectitur, id quidam absurde, cum qui iura maiestatis non habeat, Regem esse non posse superius dictum sit [ . . . ] nihil tamen imperatoria potestas cum regia

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An die romanistische und mittelalterliche Tradition knüpft auch die Theorie des Althusius über die vertragliche Grundlage der Macht des obersten Magistrats an. „Constitutio magistratus summi est, qua illi imperium & administrationem regni, à corpore consociationis universalis delatam suscipienti, regni membra se ad obsequia obligant“ (XIX, 6). Es sind also die Provinzen, die regni membra, die sich gegenüber dem obersten Magistrat verpflichten: Dieser bezeichnende politischer Bezug wird im Text der Auflage von 1614 hinzugefügt24. Althusius beschreibt das Abkommen oder den Mandatsvertrag zwischen dem summus magistratus als Mandatsnehmer und der consociatio universalis als Mandatierendem, wobei er mit Daneau den Vorrang der consociatio über den obersten Magistrat (XIX, 15)25 und die Begrenztheit und Bedingtheit der ihm zugewiesenen Macht betont. Zunächst verpflichtet sich der oberste Magistrat durch einen Schwur und erst dann gehen die regni membra ihre Verpflichtung ein; der oberste Magistrat hat so viel Gewalt, wie ihm ausdrücklich zugesprochen wird und hat weniger Macht als das Volk, an das die Macht am Ende des Mandats oder nach dem Tod des Mandatsnehmers zurückfällt. Althusius interpretiert den Vertrag nach einer eingehenden Kontextualisierung auf der Grundlage von historischen Beispielen aus dem antiken klassischen Zeitalter und der Moderne in einer Sichtweise, die des politischen Realismus nicht entbehrt. Althusius rezipiert die katholischen wie die protestantischen politischen Vertragstheorien juristischer und theologischer Prägung des 16. Jahrhunderts und überarbeitet sie eigenständig. Das Fehlen der Bindungen an eine einzige Schule und die Vielfalt der kulturellen Bezüge bei ihm ist typisch für seine Modernität. Covarruvias26 und Daneau27 werden im Zusammenhang mit der Definition der Form und der Inhalte des Vertrags wiedergegeben – und buchstabengetreu – zitiert, denn der Autor der Politica bezieht die nützlichen Elemente für seinen Aufbau maiestate comune habet, cum privatis ac magistratibus tribuatur: maiestatem vero nec in privatos, nec in magistratus convenire, nec dissolubilem esse antea demonstravimus“. 24 Vgl. J. Althusius, Politica, 1603 (FN 16), cap. XV, S. 167 f.: „Constitutio Magistratus est, qua ille à populo, vel nomine populi, ab Ephoris, pacto reciproco & mutuo consensu contstitutus Imperium & administrationem Reipublicae seu regni suscipit“. 25 Althusius bringt die Feststellung Daneaus wieder aufs Tapet: „Apparet reges à subditos, non autem subditos à regibus creatos: et subditos esse suis regibus tempore naturàque priores“, L. Danaeus, Politices Christianae libri septem, [Genf], Apud heredes Heustathii Vignon, 1596, lib. 1, cap. IIII, S. 41. Dieser Teil ist in der Ausgabe von 1614 hinzugefügt worden. 26 Althusius zitiert (XIX, 21) Covarruvias (Covarruvias, Practicarum quaestionum liber unus, cap. 1, n. 2, conclusio I, in: ders., Opera Omina (FN 22), S. 417): „Covarruvias preclarè, temporalis, ait, potestas, civilisque iurisdictio, tota et suprema penes ipsam Rempublicam est: idcirco is erit princeps temporalis, omnibusque superior Reipublicae regimen habiturus qui ab eadem Repubblica fuerit electus, et constitutus, quod ex natura rei ipso jure gentium, et naturali constat“. 27 Althusius zitiert (XIX, 21) Daneau (L. Danaeus, Politices Christianae (FN 25), S. 41): „Nam, ut dicit Danae. lib I c. 4 Polit. ne inferiores, infirmioresque à potentioribus opprimerentur [ . . . ] elegerunt“.

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gleichermaßen aus der thomistischen wie der calvinistischen Tradition. Elemente beider Traditionen zur Stützung der Vertragsgrundlage und der Begrenztheit der obersten politischen Macht werden herausgehoben, Elemente die sowohl dem Naturrecht und dem positiven Recht als auch der Geschichte entnommen sind. „Constitutio seu pactum, quo corporum consociatorum consensu ab ephoris magistratus summus constituitur, duo habet membra. Prius est de commissione regni & administrationis Reipublicae seu universalis consociationis. Alterum de obsequiorum & obedientiae promissione“ (XIX, 23). Mit der commissio regni delegieren die Ephoren die Verwaltung des Reichs an den obersten Magistrat und dieser nimmt sie an. Der einzige legitime Machtanspruch des obersten Magistrats ergibt sich für Althusius aus seiner Wahl durch die consociatio universalis28. die von den Ephoren repräsentiert wird. „Jure hoc eligendi utuntur regni status, vel ephori universi collegialiter collecti, non singuli“ (XIX, 27)29. Das von Althusius beschriebene politische Verhältnis ergibt sich aus dem Zusammenwirken dreier Elemente: des obersten Magistrats, der Ephoren und dem Volk. Die Ephoren repräsentieren das Volk oder die consociatio universalis, und kraft dieser Repräsentanz wählen sie den obersten Magistrat. Den Ephoren kommt also eine zentrale Rolle der Vermittlung und Kontrolle zu, die politisch von größerem Gewicht ist als die des obersten Magistrats. Die Neigung des Althusius, die oberste Macht zu begrenzen und aufzuteilen, um Zentralismus und Absolutismus, Synonyme der Tyrannis, zu vermeiden, führt seine politische Theorie mitten in den Strom der Reformation der Städte und des Calvinismus hinein, verweist zugleich auf die nachfolgenden Theorien der Teilung der Macht und des Föderalismus und macht sie zu einer historisch fundierten und zugleich innovativen Theorie. Die Bedingungen für den Vertrag werden dem obersten Magistrat von den Ephoren unterbreitet, der nur dann mit der Macht versehen wird, wenn er sie mit einem Schwur akzeptiert hat (XIX, 20): „Conditiones verò & leges subjectionis, vel imperii demandati modus, forma & fines solent certis articulis concipi, & eligendo magistratui publicè praelegi & proponi, ab uno ex ephoris, qui postea eligendum interrogat, an hos articulos in regni administatione observare velit, & promittentem juramento solemniter concepto obstringit“. Die Macht des obersten Magistrats ist also genauen vertraglichen Bedingungen unterworden, bestimmten Gesetzen, den jura regni, wie sie für den Kaiser von der Goldenen Bulle vorgegeben sind. An derselben Stelle heißt es: „Vide auream Bullam Caroli quarti. Nam hisce articulis potentia limitatur & coarctatur, ne per insolentiam & injuriam sese efferat in Reipublica perniciem“. In der Ausgabe von 1614 fügt Althusius in diesem Punkt die Paragrafen 32 – 37 hinzu, die die Vertragsbedingungen betreffen, also die Beschränkung der Macht Vgl. Covarruvias, Practicarum quaestionum (FN 26), cap. 1, n. 4. Diese Zuspitzung ist im Text von 1614 hinzugefügt, in dem das keineswegs neue Thema ausführlicher und genauer behandelt wird als 1603. 28 29

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des obersten Magistrats, ein Thema von großer politischer Relevanz, das dem Autor zudem besonders am Herzen liegt. Der Magistrat antwortet auf Fragen der Ephoren und verspricht unter Einhaltung der Gesetze zu regieren, mit Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Wenn die Gesetze und die Vertragsbedingungen ungerecht und gegen das Naturrecht sind, sind sie wertlos. Wenn dann im Vertrag keine rechtlichen Regelungen getroffen oder ausdrückliche Bedingungen gestellt werden, muss der Magistrat doch stets die Gebote des Dekalogs beachten. Eine absolute und unbegrenzte Macht kann dem obersten Magistrat niemals zugestanden werden. Auch wenn das Volk dem obersten Magistrat die Macht erteilt, ohne ihre Grenzen genau aufzuweisen, müsste diese Zuweisung entsprechend der Art der politischen Macht eng ausgelegt werden30. „Natura verò magistratus & imperii est, ut utilitatem subditorum, non imperantis commodum respiciat, & secundùm rectam rationem & justitiam administret Republicam“ (XIX, 35). Auf diesen Seiten kommt eine starke Prägung durch Arisoteles, Cicero, Thomas zum Ausdruck, die zum biblischen Modell passt. Althusius aktualisiert diese Modelle und bezieht sie auf die politische Wirklichkeit des Europas seiner Zeit, das er über die Eide der Souveräne in den Blick nimmt. Diese Eide waren schon Anlass zu politischen Erörterungen und bildeten den Schlüssel zum Verständnis der verschiedenen institutionellen Systeme und der Mittel für die politisch-theoretischen Konstruktionen. Sie sind mehr als Formeln, sie sind politische Handlungen. Althusius beruft sich auf sie ganz in diesem Sinne und erinnert an den Eid Karls V. in der Wiedergabe von Sleidanus, den des französischen Königs nach den von Hotman aufgeführten Königsgesetzen Frankreichs, den des polnischen Königs, der von Bodin wiedergegeben wird. Die Formeln dieser Eide stellen präzise Übernahmen von Verpflichtungen dar, denen die Übertragung der Macht untergeordnet ist, die in den Grenzen erfolgt, die von den Fundamentalgesetzen des jeweiligen Reichs festgelegt sind (XIX, 47): „Verùm diligenter & accurate hic observandum, quod & suprà diximus, tantum juris & imperii in magistratum summum à populo seu corpore consociato eligente transferri, quantum in legibus & conditionibus praescriptis, in quas jurat magistratus, continetur“. „In electione vero summi magistratus, summa cura legis fundamentalis regni, habenda est“ (XIX, 49). Die Voraussetzung für die theoretische Konstruktion des summus magistratus besteht bei Althusius darin, dass die Grundlage seiner Macht auf Wahl beruht: Diese Grundlage bildet im Gegensatz zu Barclay (XIX, 91)31 das Modell des 30 F. Pruckmann, Paragraphus soluta potestas. Tractatus de regalibus in quo quid princeps ratione legum, contractum et ultimatum voluntatum pro aliis jure possit, accuratissime tractatur, Wittemberg, Simon Grunenbergius, 1592, cap. 3, n. 97, S. 176 f.: „Consequitur itaque verbum potestatis in dictis testis positum ad solutam potestatem non referendum [ . . . ] Quod itaque expressum concedens non esset permissurus, idipsum ex tacita, & generali concessione inferendum non erit“. 31 „Ex his constat, falsam esse Barclaii sententiam, contendentis, jus Imperii sua natura ad haeredes regis transire“. W. Barclay, De Regno et Regali potestate adversus Buchananum,

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Buchs der Richter und der Könige Israels. Althusius zitiert dabei Cabot und betont, dass „etiam Galliae reges, quamvis jure haereditario antecessoribus suis succederent, tamen procerum regni suffragiis electos fuiss“ (XIX, 91)32. Diese Themen geben Althusius die Möglichkeit, das Problem des Verhältnisses zwischen Theokratie und Vertrag, also zwischen göttlichem Auftrag und Wahl des obersten Magistrats systematisch zu einer Lösung zu führen. In einem Passus, in dem es von Zitaten aus dem Alten Testament nur so wimmelt, formuliert Althusius die Theorie der doppelten Übertragung des Reichs, eine Theorie, die nicht neu ist, die vielmehr die hugenottische Theorie der zwei Verträge aufgreift und ältere Vorstellungen mittelalterlicher Autoren weiterentwickelt. „Regni curam Deus non soli regi, verumetiam statibus & ephoris regni commisit [ . . . ] rex et ephori à Deo constituuntur, & à populo. A Deo mediatè, à populo immediate“ (XIX, 68 f.).33 Die theologische Argumentation vervollständigt somit die juristische und politische, die den Wahlcharakter der Macht des summus magistratus unterstützt, und verleiht ihr größeres Gewicht. Nachdem Althusius die Verfassung des obersten Magistrats, sein Amt, seine Gewalten und Funktionen analysiert hat, muss er noch seine verschiedenen Erscheinungsformen untersuchen. Dies tut Althusius im letzten Kapitel der Politica, das in der Ausgabe von 1614 erweitert und argumentativ angereichert ist. Er weist dem Thema auf diese Weise einen abschließenden Wert für das gesamte Werk zu, und das auch, was die innovative Tragweite der von ihm vorgeschlagenen Lösungen betrifft. „Magistratus ergo summus, alius est monarchicus, alius polyarchicus“ (XXXIX, 1). – Mit dieser Unterscheidung weist Althusius die Klassifikation der Verfassungen des Aristoteles nicht zurück, sondern synthetisiert sie in einer Dichotomie zwischen der Herrschaft eines Einzelnen und der Herrschaft von Vielen, eine Dichotomie, die in seinen Augen die politische Essenz der Klassifikation darstellt. Es ist eine neue Lösung, auch wenn es, wie dargelegt, Vorläufer gibt. Es ist vor allem eine Lösung, die sich in Übereinstimmung mit dem politischen Umfeld befindet, in dem der Autor lebt, mit dem Europa der Städte, die neben den Monarchien mächtig werden. Brutum, Boucherium, et reliquos Monarchomachos, libri sex, Parisiis, Apud G. Chaudiere, 1600, lib. III, cap. 3, S. 115: „Apud omnes fere nationes, quae sub regibus degunt, haereditario iure in regnum succeditur, quae res omnem populo eligendi facultatem adimit. Stabilitum enim in familia sceptrum, ad haeredes nascendi forte, & iure gentium ita devolvitur“. 32 V. Cabotius, Variarum iuris publici et privati disputationum libri duo, Parisiis, In officina Claudii de Monstroeil et Ioannis Richerii, 1598, lib. 1, cap. 3, S. 55: „quamvis regnum Francorum hereditarium fuerit, procerum tamen vel populi sufragijs, quandoque successio ereditaria approbata fit“. 33 Auch diese Beweisführung erfolgt im Gegensatz zu Barclay, De Regno et Regali potestate adversus Buchanan, Brutum, Boucerhium, et reliquos Monarchomachos (FN 31), lib. III, cap. 2, S. 110 – 113. Die komplexe Auseinandersetzung mit Barclay zum Wahlcharakter der Gewalt des obersten Magistrats ist in der Ausgabe von 1614 auf S. 350 – 363 sowie S. 373 f. hinzugefügt.

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Althusius schreibt Bodin die Unterscheidung zwischen monarchischem und polyarchischem Staat zu. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Bodin zwischen drei Staatsformen unterscheidet und seinen Diskurs darauf aufbaut. Bei seiner Gegenüberstellung zwischen den Vorzügen und Nachteilen der verschiedenen Herrschaftsformen gelangt er aber dahin, die Monarchie mit der Herrschaft vieler zu vergleichen, allerdings ohne den Ausdruck „Polyarchie“ zu verwenden, und bestreitet, dass die auf viele verteilte Macht eine wirkliche Souveränität darstellt. Er ist sich also des grundlegenden Unterschieds zwischen den zwei institutionellen und juristischen Gegebenheiten bewusst und hält letztere im Sinne Plutarchs für verderblich.34 In weiteren Verlauf der Ausführungen werden die Unterschiede zwischen den beiden Autoren deutlich: Althusius weist die Unterscheidung Bodins zwischen den Staatsformen und den Regierungsformen zurück, weil nur das Volk Träger der Souveränität sein kann. „Male, meo iudicio, ita Bodinus distinguit. Nam ex sola administrandi potestate species magistratuum sumuntur [ . . . ] Iura majestatis semper, in omnibus speciebus magistratuum [ . . . ] sunt populi“ (XXXIX, 3)35. „Monarchicus magistratus summus est, qui solus, sine socio, est summus magistratus, in subditos omnes universos, & singulos imperium, cum administratione regni, tenens“ (XXXIX, 4). In der Monarchie hat der oberste Magistrat allein das imperium und die administratio inne. „Natura Monarchiae est“, schreibt Althusius und nimmt dabei einige bezeichnende Worte von Petrus Gregorius auf, „ut nutu & potestate unius, Rempublicam administretur“ (XXXIX, 6)36. Der Jurist aus Toulouse wird zur Stützung der Thesen des Althusius zitiert, zusammen mit Covarruvias, Vázquez, Pruckmann und der lex digna vox, um eine Monarchie darzustellen, die zum einen von den Gesetzen begrenzt wird: „Leges in hoc Reipublicae statu tales esse convenit, quibus potestas monarchae contineatur, ne peccet in defectu vel excessu, quibus adverus eos qui potestatem [ . . . ] usurpant, muniatur & quibus eosdem in officio contineat“ (XXXIX, 27); zum anderen von der rechten Vernunft in Grenzen gehalten wird: „Natura imperii non est, quidvis posse imperare, nec 34 J. Bodin, De republica libri sex (FN 23), l. VI, S. 1111: „Maiestas autem imperii praeterquam in uno principe vere ac proprie consistere nullo modo potest. Nam si duo pluresve principes fuerint, summum imperium nullius est“; S. 1113: „Quod si bellicae res summa laude ac facilitate ab uno gerentur, quis urbanam disciplinam ab unius summo dominato melius quam à pluribus explicari non videat sive ad imperii decus ac maiestatem, sive ad ea quae in deliberationem cadunt, semel decernenda, sive ad sententiarum varietatem ac dubitationem tollendam, sive ad ea quae decreta sunt exsequenda, sive ad arcana imperii retinenda“. Vgl. die diesbezüglichen Bemerkungen bei A. M. Lazzarino Del Grosso, Bodin e la critica della democrazia, Neapel 2004, S. 59 f. 35 Die Auseinandersetzung mit Bodin fehlt im Text von 1603. 36 P. Gregorius, De Republica libri sex et viginti, Lugduni, Sumptibus Ioannis Baptistae Buysson, 1596, lib. V, cap. 1, n. 2, S. 235 – 236: „reguntur autem istae loco distinctae civitates, aut societates, aut respublicae: vel nutu et potestate unius, aut paucorum, vel plurium“. Die folgenden Paragrafen 7 – 23, die die Analyse der Monarchie und der gemischten Regierung enthalten, sind in der Ausgabe von 1614 hinzugefügt.

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potestatis natura est, quidvis posse facere, sed ea tantum, quae naturae et rationi rectae conveniunt“ (XXXIX, 8); außerdem wird sie von den niederen Magistraten eingeschränkt. Ebenfalls im Anschluss an Gregorius stellt Althusius fest, dass es in einer Monarchie ratsam ist, dass die mittleren Magistrate auf Dauer vergeben werden, weil sie eine stärkere Sachkenntnis voraussetzen und weniger von privaten Interessen geleitet sind37. Die Beamten des Reichs, die Ephoren, die Adeligen, die Parlamente, die Räte, die es in den verschiedenen Staaten gibt, müssen vom König konsultiert werden, der keine Entscheidung ohne ihre Zustimmung treffen kann: „Sine eorundem consensu, de talibus negotiis nihil statuendum, decernendum & promulgandum“ (XXXIX, 7)38. Die gemischte Regierungsform, in der die oberste Macht nach dem von Cragius39 beschriebenen spartanischen Vorbild auf Ephoren, König und Senat verteilt ist, wird als die beste angesehen, oder auch die, in der sie zwischen Prinzipat, Herrschaft der Optimaten und Zivilregierung verteilt sind, nach dem Vorbild von Venedig, das von Contarini gepriesen wird40. „Polyarchicus magistratus summus est, qui subditis, cum aliis sociis pari vel eodem imperio summo instructus, imperat, & jura majestatis administrat: hoc est, vicissitudo administrationis inter plures comunicata“ (XXXIX, 32). Mit dieser genauen Definition der Polyarchie als Verteilung des imperium und der administratio auf verschiedene Träger liefert Althusius einen bedeutenden Beitrag zur Einrichtung der Institutionen und des Wortschatzes des modernen Staates, wobei er eine Denktradition zum Abschluss bringt, die das 16. Jahrhundert durchzieht und deren politisches Subjekt die Städte sind. Die Polyarchie wird 1530 von Bucer als Modell vorgeschlagen41, der sie nach dem Beispiel der politeia biblica begründet. Auf der Grundlage dieser Denktradition erhält diese Regierungsform eine positive Wertigkeit und wird als ein Mittel gegen die Tyrannis ausgewiesen. Eine Regierung von Magistraten ist für die Städte die beste, sie erhält ihnen ihre Freiheit, ohne sie der Gefahr der Unsicherheit auszusetzen. Vgl. Gregorius, De Republica (FN 36), lib. IIII, cap. 5, n. 36, S. 174 f. Hinsichtlich des französischen Königreichs stellt Althusius zu diesem Punkt die Standpunkte Bodins und jene von Hotman und Junius Brutus einander gegenüber. 39 N. Cragius, De Republica Lacedaemoniorum libri IIII, apud Petrum Santandreanum, [Genf], 1594, lib. I, cap. 4, S. 15: „Itaque ut de his, quae secura sunt, agamus temporibus, quibus quinta aetas continetur, post illa videri potest extitisse ea Respublica quam plerique mixtam affirmant, quando videlicet dominantibus Ephoris, magna ex parte tamen remansit Regibus sua potestas, & Senatui adhuc sua constitit auctoritas“. 40 G. Contarini, De magistratibus et republica Venetorum libri quinque, Basileae, Froben, 1544, lib. I, S. 28: „Hoc in re temperiem adhibuere, eamque mixtionem omnium statuum, qui recti sunt, ut haec una respublica, et regimen principatum et optimatum gubernationem, et civile item regimen referat“. 41 M. Bucer, Enarrationes perpetuae in sacra quatuor Evangelia, Argentorati, Apud Georgium Ulricherum Andlanum, 1530, fol. 57v: „Qui in unum transferre hominem conatur, potestatem quam Deus, ut rebus humanis maxime conducebat, dispartitus est in plurimos, is ordinationi Dei resistit“. 37 38

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5. Im 1614 veröffentlichten Text der Politica betont Althusius den positiven Wert der Polyarchie, die mit den Gesetzen gegen eventuelle Abirrungen im monarchischen Sinne abgesichert werden muss. Wer versucht, in einer Polyarchie zum Monarch zu werden, ist ein Usurpator (XXXIX, 42): „Praeterea in Polyarchia leges tales esse utile est, quibus potestas polyarchica munitur contra eos, qui monarchiam quandam potestatem in ea usurpant“42. Sie muss auch gegen die Gefahr von Abspaltungen abgesichert werden, die besteht, wenn die Polyarchen die Rechtsprechung für bestimmte Zeiten oder Gebiete unter sich aufteilen: deshalb ist es ratsam, dass die Rechtsprechung wenigstens in schwierigen Zeiten mit der Zustimmung aller von einem Polyarchen ausgeübt wird43. „Polyarchicus hic magistratus, est Aristocraticus, vel Democraticus“ (XXXIX, 45). Die höchste Gewalt und Verwaltung können wenigen oder dem zusammengeschlossenen Volk übertragen werden. Die Klassifikation der Regierungsformen reduziert sich an dieser Stelle wieder auf drei Arten, um die Vielfalt der historischen Kasuistik besser verständlich zu machen. In der Aristokratie können die Magistrate von den Optimaten oder den Ephoren oder direkt vom gesamten Volk gewählt werden. Letzteres ist gefährlich und kann zur Abirrung in die Tyrannis führen, weil das Volk nicht über die notwendige Kenntnis und Klugheit verfügt, die notwendig ist, um geeignete Personen auszuwählen44. In der Demokratie ist die Macht, die die Ephoren und die Optimaten in der Monarchie und in der Aristokratie haben, dem Vorsteher der Provinzen zugewiesen oder den Grafen, Herzögen, Fürsten, Präfekten; die oberste Macht gehört der Gesamtheit des Volkes; und es besteht Gleichheit, Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz. „Omnes singulis imperant & singuli omnibus obtemperant“ schreibt Althusius, wobei er gewissermaßen Daneau paraphrasiert (XXXIX, 61)45. Es ist besser, dass die Magistrate nicht auf Dauer im Amt sind, sondern auf Zeit, um zu vermeiden, dass die einen übermächtig werden und Reichtümer ansammeln und den Neid der anderen auf sich ziehen46.

42 Diese Beweisführung erweist sich bezeichnenderweise als parallel zu jener oben zitierten von Bucer. 43 Vgl. Franciscus Patricius, De Regno et regis Institutione libri IX, Parisiis, apud Aegidium Gorbium, 1582, lib. I, tit. 13, S. 40: „Quinetiam civitates atque respublicae ipsae, quum bellorum calamitatibus aut maximis difficultatibus premuntur, ad unitatis remedium se conferunt, nullaque ratione alia facilius evadunt, quam si res omnis ad unius arbitrium redigatur. Romani in magnis periculis dictatorem unum creabant, cuius imperio omnia permittebant“. Diese detaillierte Analyse der Polyarchie ist ein Zusatz im Text von 1614 (Paragrafen 32 – 44). 44 Althusius zitiert zur Unterstützung Bodin, De repubblica (FN 23), lib. II, cap. 6. 45 Vgl. L Danaeus, Politices Christianae (FN 25), lib. VI, cap. 5, S. 434: „politiae formam [ . . . ], ubi inter cives sunt, & observantur vices parendi, & imperandi“. 46 Vgl. ebd., S. 435 f.

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Althusius sieht es als notwendig an, dass in einer Demokratie die Gesetze regeln, dass die Regierung wenigen, den Besten anvertraut wird, und dass diese ausgelost und gewählt werden, um die Freiheit des Volkes mit der Qualität seiner Regierenden in Einklang zu bringen. Wenn in der Volksherrschaft die Magistrate dagegen nicht durch Wahl bestimmt werden, sondern nur durch Losentscheid, überwiegt die Zahl. „Ideoque in hoc statu sapientes consilium dant, sed de eo insipientes, & rerum imperiti iudicant, hoc est, populus“ (XXXIX, 64). Dies ist ein ungeordnetes und unruhiges Regime, ein Opfer der Parteiungen, das in eine Tyrannis abirren kann, wenn ein Diktator ernannt wird, oder in eine Anarchie, wenn „omnes simul volunt regere, nemo parere“ (XXXIX, 81). Althusius misstraut wie Aristoteles, der in diesem Passus oft zitiert wird, der Herrschaft des Volkes. Für ihn ist es sachdienlich, wenn das Volk, das in der consociatio universalis vereint ist, in der Politik eine Rolle spielt. Diese Rolle nimmt es jedoch vermittelt durch die Funktionen und die Gewalten der Ephoren oder anderer Magistrate des Volks wahr, ganz nach dem spartanischen Modell, an das Calvin erinnert. Eine Volksdemokratie würde auf der anderen Seite nicht mit der althusischen Konstruktion des föderalen Staates zusammenpassen, in der die Subjekte, die die Verträge schließen, die Provinzen, die regni membra, sind und nicht die Individuen. Es ist kein Wagnis, den Schluss zu ziehen, dass für Althusius die Polyarchie als politisches Modell mit der aristokratischen Form des obersten polyarchischen Magistrats identisch ist. Die Form der bürgerlichen Regierung, die sich in der Ausgabe von 1614 gut dargelegt findet, untermauert mit politischen Inhalten die Polyarchie, in der sich der soziale Pluralismus in einen politischen Pluralismus übersetzt, in eine institutionelle Struktur, die die Polyarchie neben das Amt der Ephoren stellt, das nach dem lutherisch-calvinistischen Modell im Kontrast zur Tyrannis47 konzipiert wurde, auf der Linie der biblischen und der klassischen Tradition und offen für den Republikanismus.

47 Vgl. M. Scattola, Il concetto di tirannide nel pensiero politico tedesco della prima età moderna, in: Filosofia politica 3 (1996), S. 391 – 420.

Corrado Malandrino

Symbiosis (Symbiotiké, Pactum) 1. Der Terminus „Symbiose“, von dem sich alle Definitionen der „symbiotischen Politik“ und der „symbiotischen Lebensgemeinschaft“ herleiten, ist in Verbindung mit dem der communicatio der zentrale Begriff der ausgereiften Konzeption der Politica des Althusius1. Nicht von ungefähr nimmt die „Politik“ selbst von daher die Bezeichnung symbiotiké an. Auf die Bedeutung dieses Worts weist auch Merio Scattola in einem sprachlich gewandten und gelehrten Artikel philologischen Zuschnitts hin, der im Band der Wolfenbütteler Forschungen erschienen ist, der ausschließlich den „politischen Konzepten“ des Althusius gewidmet ist.2 Hier zeigt sich der bemerkenswerte Unterschied zwischen der ersten und der dritten Ausgabe der Politica, durch den die dritte Ausgabe nicht als eine Erweiterung der ersten erscheint, sondern geradezu als ein anderes Werk, das so gelesen werden kann, dass in ihm die zentrale Stelle, die in der ersten Ausgabe die gesamte Problematik der jura maiestatis einnimmt, nun von der symbiosis beigelegt wird. Die historische Rekonstruktion des Worts symbiosis stützt sich bei Scattola vor allem auf das, was Peter J. Winters in seinem Buch von 1963 über „Die Politica und ihre zeitgenössischen Quellen“ geschrieben“ hat.3 Auch wenn Winters Interessantes vorbringt, auf das im Folgenden eingegangen werden wird4, beschränkt sich 1 Vgl. auch die Interpretation von D. J. Elazar, mit der man in weiten Teilen in den wichtigen Punkten übereinstimmen kann: D. J. Elazar, Exploring Federalism, Tuscaloosa 1987; ders. (Hrsg.), Federalism as a Grand Design. Political Philosophers and the Federal Principle, Lanham 1987; ders., the Covenant Tradition in Politics, Bd. I: Covenant & Polity in Biblical Israel, Bd. II: Covenant and Commonwealth. From Christian Separation Through the Protestant Reformation; Bd. III: Covenant and Constitution. The Great Frontier and the Matrix of Federal Democracy; Bd. IV: Covenant and Civil Society. The Constitutional Matrix of Modern Democracy, New Brunswick / London 1995 – 1999, bes. Bd. II, S. 315 – 333; schließlich vgl. auch die letzte Veröffentlichung D. J. Elazar / J. Kincaid: The Covenant Connection: From Federal Theology to Modern Federalism, Lanham 1999. 2 Vgl. M. Scattola, Von der majestas zur symbiosis. Der Weg des J. Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.): Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des J. Althusius, Wiesbaden 2002, S. 211 – 249. Zu den Hauptthesen von Scattola hat der Verf. einige Einwände zu machen, für die der Kürze halber verwiesen sei auf: C. Malandrino, Discussioni su Althusius, lo stato moderno e il federalismo, in: Il Pensiero Politico XXXVII (2004), S. 425 – 438. 3 Vgl. P. J. Winters, Die „Politik“ des J. Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen, Freiburg i. Br. 1963, S. 175 ff.

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seine Ausarbeitung des Konzepts der symbiosis in Wirklichkeit auf zwei, drei Seiten, die zudem weit weniger konsistent sind, als jene, die der zweite große Althusius-Interpret Carl Joachim Friedrich ihm in der umfangreichen Einleitung zur lateinischen Neuausgabe der Politica von 1932 gewidmet5 und der im Hinblick auf Gierke, der fast gar nichts zu diesem Aspekt gesagt hat, eine radikale Neuerung gebracht hat. Selbst Pierre Mesnard, hat nach Friedrich und vor Winters in seiner Geschichte des politischen Denkens in der Renaissance6 Interessantes über die consociatio symbiotica geschrieben, auch wenn er meines Erachtens hinter Friedrich zurückfällt, weil er die Interpretation des Althusius nur auf die Denktradition des Korporativismus der mittelalterlichen Scholastik zurückführt. Es müssen daher die wichtigsten Aspekte der Symbiose betont werden, im Hinblick auf eine korrekte und vor allem vollständige Interpretation der Politica hinsichtlich der grundlegenden Kategorien des althusischen Denkens, wie etwa der Vertrag (pactum und foedus), und von daher ein Urteil über den „Protoföderalismus“ des Althusius)7, die consociatio, das jus symbioticum. Dazu muss man von der Interpretation Friedrichs ausgehen, weil nicht nur viele Dinge, die er gesagt hat, nicht überholt, sondern vielmehr zu unrecht vergessen worden sind und dies noch heute nicht geringe interpretatorische Verzerrungen oder Fehler hervorruft. Aber auch Friedrich war trotz seines scharfen Blicks hinsichtlich des Themas der Symbiose in dieser Hinsicht nicht vollständig, verstand er nicht, die Materie bis ins Letzte zu durchdringen, um die innersten Beziehungen zwischen diesem Begriffswort und den Konzeptionen, die er als erster als die wichtigsten Quellen der politischen Inspiration des Althusius auswies, nämlich den politischen Calvinismus und die föderative Konzeption der Gesellschaft und des Staates, zu durchschauen. Und doch bilden eben diese Beziehungen den Kern des politischen Diskurses von Althusius und begründen die Entscheidungen, die in der Politica in vielen anderen wichtigen Fragen getroffen werden. Ich gehe im Folgenden kurz auf zwei Entscheidungen des Althusius ein. Die erste, die Untersuchung der Symbiose, macht die Entscheidung des Althusius deut4 Der Verf. hat eine differenziertere Sicht der Dinge als Scattola. Scattola betont in einer Weise, die nicht geteilt werden kann, dass sich Althusius langsam von der problematischen Zentralität der jura maiestatis entfernt hat und folglich dieses Thema bei ihm immer schwächer wird. Zu dieser Frage vgl. auch den Beitrag von D. Quaglioni, Majestas (Jura Majestatis) im vorliegenden Band. 5 Vgl. C. J. Friedrich, Introductory Remarks, in: J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Cambridge / Mass. 1932, S. LXVIff; O. von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, 7. unveränderte Ausgabe mit Vorwort von Julius Gierke, Aalen 1981. 6 Vgl. P. Mesnard, J. Althusius e la democrazia corporativa, in: P. Mesnard, Il pensiero rinascimentale (1951), hrsg. v. L. Firpo, 2 Bde., Bari 1963 – 1964, hier: Bd. 2, S. 291 – 368. 7 Dazu sei auf das Stichwort von C. Malandrino, Foedus, im vorliegenden Band, verwiesen. Man beachte, dass Althusius fast nie den Begriff foedus als synonym von pactum verwendet.

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lich, sich angesichts des politischen Naturalismus des Aristoteles auf eine andere und höhere Ebene zu begeben, auch wenn nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Aristotelismus den allgemeinen kulturellen und philosophischen Hintergrund für Althusius und die Neoscholastiker (und auch für Bodin) abgibt. Die zweite: Das spezielle althusische Verständnis von der Symbiose und von dem engen Verhältnis, das zwischen ihr, dem politischen Calvinismus und der Föderaltheologie besteht, führt dazu, dass sich eine theoretische Barriere aufrichtet, die es dem Juristen aus Herborn und Syndikus von Emden nicht gestattet, sich dem klassischmodernen Paradigma der Staatlichkeit anzuschließen; dies zwingt ihn dazu, in der Mitte, in einem Übergang zu verharren, in dem er Autor und Bezugspunkt für eine andere potentielle und alternative Moderne8 wird, die sich allerdings als nicht umsetzbar herausstellen sollte. Die These, die wir hier ausführen wollen, lautet, dass folglich die Symbiose von Althusius entwickelt wurde, weil er sie auf der Ebene des politischen Calvinismus und einer daraus folgenden Theorie der Gesellschaft und des Staates als einen Begriff verstand, der zur allgemeinen föderaltheologischen Ausrichtung passt, die das Ambiente der Herborner Reformierten kennzeichnete, das wiederum von der theologischen Kultur Schweizer Prägung her kam, von Bullinger bis Calvin und ihren Nachfolgern, von denen Zacharias Ursinus und Franciscus Junius (von Althusius häufig zitiert) in der Nähe von Herborn waren oder dort arbeiteten, und weniger Kaspar Olevianus (der in der Politica nicht zitiert wird).9 Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Symbiose in den Augen von Althusius als zu bevorzugendes Wort, weil er viel funktionaler als andere für das Ziel ist, die doppelte in der Föderaltheologie enthaltene Notwendigkeit auch auf die soziopolitische und juristische Ebene zu übertragen, oder mit anderen Worten: die Symbiose nicht nur auf der personellen und religiösen Ebene umzusetzen, sondern auch in den politischen Institutionen, und dabei dem „Werkvertrag“ (foedus naturale) und dem „Gnadenvertrag“ die Autonomie des politisch-institutionellen Entwurfs gegenüber der theologisch-religiösen Sphäre zu bewahren. Schauen wir uns an, wie das vor sich geht. 2. Wir verdanken Friedrich eine akkurate philologische Untersuchung zum Stichwort symbiosis. Er betont die „Neuheit“ in dieser „Schöpfung“ des Althusius10. Friedrich zufolge ist Althusius der einzige Autor, der die Politik als „symbio8 So argumentiert m. E. zurecht Thomas Hueglin in seinem interpretativen Beitrag im ersten Teil des vorliegenden Bandes, auf den an dieser Stelle verwiesen sei. 9 Zur Diskussion dieser Themen vgl. C. Malandrino, Teologia federale, in: Il Pensiero Politico 32 (1999), S. 427 – 446; ders., Politische Theorie und Föderaltheologie, in: F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hrsg.): Jurisprudenz, Politische Theorie und politische Theologie, Berlin 2004, S. 123 – 142. 10 Vgl. Friedrich, Introductory Remarks (FN 5), S. LXVIff. Positiv gewendet muss man kurz klarstellen, dass das Stichwort in den enzyklopädischen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts in den verschiedenen europäischen Sprachen nicht aufgeführt ist, z. B. in der großen Encyclopédie, und auch nicht in den gelehrten Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts, wie dem

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tisch“ bezeichnet. Er erklärt als erster, dass der Zuwachs von der ersten bis zur dritten Ausgabe der Politica mit einer Zunahme ihrer Wichtigkeit einhergeht – und mit dem systematischen Gebrauch des Worts der Symbiose und der von ihr abgeleiteten Begriffe. Eine Recherche zu der altgriechischen Wurzel, wo man auf den Terminus Symbiose mit der Bedeutung „Zusammenleben, eheliche Vereinigung, Ehe“ stößt (von Platons Staat bis zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles, der den Begriff allerdings nicht in der Politik verwendet, bis hin zu Polybius und zu den Latinisierungen bei Cicero)11 lässt ihn zu dem Schluss kommen, dass das Wort immer in einem naturalistischen und einem moralischen Sinn verstanden wurde, die wir beide als allgemein oder schwach bezeichnen können, im Gegensatz zu dem starken politischen Verständnis, das Althusius in der dritten Ausgabe der Politica offeriert12. Darin hatte Althusius schließlich keine Vorgänger. Für Friedrich bringt Althusius in der letzten Ausgabe der Politica die „Symbiose“ in Vorschlag, um das „natürliche Gefüge“ der Macht (im Sinne von potentia, potestas und auctoritas) auszudrücken, die aus dem „symbiotischen“ Zusammenleben der Menschen hervorgeht. Sie ist Ausdruck der deterministischen biologischen Grundlagen des politischen Lebens. Darin sieht Friedrich sogar ein Element wissenschaftlicher Aktualität, das Althusius dem Denken der Theoretiker der „Gemeinschaft“ des 19. Jahrhunderts annähern würde13. wobei allerdings nicht klar ist, wie begründet seine Meinung ist. Auch wenn er die naturalistische Bedeutung von Symbiose annimmt, fügt Friedrich jedoch hinzu, dass das Weltverständnis des Althusius, in dessen Rahmen er den unvermeidlichen Schritt in Richtung auf die Symbiose unternimmt, der zugleich wissenschaftlich-naturalistisch und providentiell ist, und zwar in dem Sinne, dass Gott nicht im Sinne einer menschlichen Gestalt, sondern als kosmische „normative, impersonale Kraft“ verstanden wird, die eine kreative und ordnende Aufgabe übernimmt, die mit der des „Gesetzes in der Gesellschaft“ verglichen wird. Es ist hilfreich, sich mit Friedrich14 daran zu erinnern, dass die Welt in der AdmoTommaseo oder dem Littré. Die Enzyklopädie von Treccani führt ihn weiterhin nur als botanischen und biologischen Begriff auf, der 1884 von H. A. de Bary geprägt wurde. Auch der Grande Dizionario della Lingua Italiana, der von S. Battaglia ins Leben gerufen wurde (Turin, UTET) erkennt nur einen Gebrauch von „simbiosi“ im 19. und 20. Jahrhundert, was die Anwendung des Begriffs auf den Bereich der Politik betrifft. 11 Mit diesen Bedeutungen und mit diesen Verweisen bringt den Begriff noch der Thesaurus Grecae Linguae, ab Henrico Stephano Constructus (1572), erweitert und überarbeitet von C. B. Hase, G. Dindorfius u. L. Dindorfius, Paris 1848 – 1854, Bd. VII, S. 105: „Inter illos, qui simul vivunt, et contubernales sunt, dicitur esse óõìâßùóéò“. 12 Man beachte nebenbei, dass auch Althusius in der ersten Ausgabe der Politica den Begriff Symbiose in der traditionellen schwachen Bedeutung verwendet. 13 Der Hauptverweis ist R. MacIver, ein Soziologe der Columbia University in New York und Verfasser des 1917 veröffentlichten Werks Community, a Sociological Study, London 1935. 14 Vgl. Friedrich, Introductory Remarks (FN 5), S. LXVIII. Der Abschnitt des Althusius (vgl. den Text De utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, in: Politica (FN 5), S. 973 f.),

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nitio panegyrica, De necessitate, utilitate et antiquitate scholarum, die als Appendix zur Politica veröffentlicht worden ist, von Althusius als eine „Maschine“ bezeichnet wird, deren Erkenntnis das Ergebnis von empirischen und nicht rationalistisch-deduktiven Operationen ist. Die Symbiose des Althusius, so stellt Friedrich abschließend fest, ist für die Menschen eine natürliche und geistige Schickung, der man sich nicht entziehen kann, die man vielmehr für das Überleben zu wollen gezwungen ist – aus mehreren Gründen und in unterschiedlicher Ausformung (natürlich über einen individuellen Willensakt für die kleineren privaten Lebensgemeinschaften und über einen kollektiven für die größeren öffentlichen, was sich mehr im Akt der formalen Konstitution und im guten Erhalten der speziellen Symbiose widerspiegelt, und was nicht mit dem künstlichen Akt des schöpferischen Willens der Gesellschaft des vertragsmäßigen Menschen eines Hobbes gleichsetzbar ist). Ein ähnlicher Determinismus der Symbiose ist verschieden und viel stärker sowohl als der rationale Voluntarismus, der immer der mittelalterlichen Lehre des Naturrechts untersteht, als auch als der aristotelische Terminus des zoon politikón (selbst wenn er, wie in Politica I, 32 ins Gedächtnis gerufen wird, unterstreicht, dass der Mensch ein „viel stärker“ soziales Wesen als die anderen Lebewesen ist). Die consociatio symbiotica, stellt Friedrich fest, ist ein „politischer Körper“, der immer – und von den niederen bis zu den höheren – zu verstehen ist als „a vital phenomenon, as a natural phenomenon which leaves no choice to the individual“15. Im Zusammenhang mit der universalen konsoziativen Symbiose schreibt er dann: „[ . . . ] The whole structure of super-imposed governmental regulation rests in the long run upon this biological foundation of social relations“.16 Aber dieser Determinismus wird nicht nur von der physisch-animalischen und intellektuellen Natur des Menschen vorausgesetzt, sondern auch von der geistigen Natur als Geschöpf, das nach dem Ebenbild Gottes gemacht wurde, auch wenn es zur Sünde prädestiniert war. Hier ist nach Friedrichs Auffassung der Teil des sehr viel entschiedeneren Determinismus verankert, der zur Symbiose hinführt, die nicht nur deshalb vorstellbar ist, weil die Menschen das physische, intellektuelle und moralische Bedürfnis nach gegenseitiger Hilfe haben. Das ist eine Tatsache, die im Übrigen nicht die Notwendigkeit eines freiwilligen Vertrags auf jeder Ebene, auch der der familiären Symbiose, ausschließt17. Da die individuelle und kollektive Natur des Menschen radikal sündhaft ist, ist der Urmensch – der biblisch der in der Tat eine moderne wissenschaftliche Sensibilität an den Tag legt, lautet: „Arithmeticae et Geometriae beneficio homo quasi in caelum ascendit ad sidera et planetas, orbes coelestes discurrit, rerum quantitatem, locorum distantiam, longitudinem, latitudinem metitur, describit, totam mundi machinam percurrit, in eaque suavissima operum Dei cognitione se oblectat“ (Hervorhebungen vom Verf.). 15 Vgl Friedrich, Introductory Remarks (FN 5), S. LXX. 16 Ebd., S. LXXII. 17 Man erinnere sich, dass für Aristoteles dagegen die familiäre koinonia ein unvermeidliches Faktum ist, weil der Mann ohne die Frau nicht sein kann wie der Sklave nicht ohne den Herrn.

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und orthodox vom Supralapsaristen Althusius unter dem Blickwinkel der Ursünde betrachtet wird – deshalb nicht nur von seiner biologischen Natur her dazu prädestiniert, seine eigene Unwissenheit und Dummheit über die Konstruktion von symbiotischen Lebensgemeinschaften abzubüßen, die auf der christlichen Nächstenliebe aufbauen und in denen sich Wohlwollen und Eintracht als Vorbedingungen für Gerechtigkeit manifestieren können. Die Gerechtigkeit, betont Friedrich, ist nicht auf bestimmte Inhalte bezogen, sondern ist „a formal concept designating the willingness to subordinate individual considerations to the welfare of the group, and furthermore to accept the decisions of the group as binding upon the individual“18. Von da her der unausweichliche Aufruf (die vocatio zum Beruf) Gottes an jeden Menschen, von denen jeder seinem Schicksal gemäß verschiedene und zu denen von anderen komplementäre Merkmale hat, sich mit anderen zusammen zu tun und mit Erfolg und zum höheren Ruhme Gottes in der Symbiose zusammen zu arbeiten (man denke an die unbarmherzige Polemik von Althusius gegen die Eremiten!) in allen Handlungsbereichen, die die Grundlage der Gesellschaft und der Ordnung bilden, inklusive der Regierungsfunktionen19. Dies ist die Kraft, die die Menschen notwendigerweise dazu zwingt, die Symbiose auf allen, auf sozialen und politischen Ebenen zu wollen, die, wenn sie sich nicht einstellt, die tragische Alternative eines „awful terror of being among the damned“ hat20. Deshalb ist die Symbiose nicht nur „gerecht, angemessen und glücklich“, wie es für die koinonía des Aristoteles hinreichend wäre, sondern muss auch „heilig“ sein – etwas, was jedoch nur für die althusische Symbiose kennzeichnend ist. Anhand dieses Verständnisses folgen in der Untersuchung von Friedrich wichtige, aber diskutierbare Überlegungen, die die christlich-calvinistischen Motive für das jus symbioticum – Vgl. Friedrich, Intoductory Remarks (FN 5), S. LXXII. Zum Verhältnis, das in der politischen Weltanschauung der Calvinisten zwischen Gott und dem Menschen hergestellt wird und das aus Befehl und Gehorsam gebildet ist, äußert sich M. Walzer grundlegend in The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics, New York 1974, S. 166 f. (ital. Ausg.: ders., La rivoluzione die santi. Il puritanesimo alle origini del radicalismo politico (1965), Turin 1996, S. 202 f. Walzer stellt äußerst überzeugend klar, dass nach der kalvinistisch-puritanischen Theorie, die m. E. in diesem Sinne auch gut zum althusischen Verständnis des symbiotischen Vertrags passt, der eine „heilige“ Lebensgemeinschaft schafft). „God did not simply ,use‘ his saintly instruments; in some sense their activity had to be deliberate. [ . . . ] God’s command sought out not only pious acquiescence, but a kind of eager consent, a response registered, so to speak, not in the mind or the heart so much as in the conscience and the will. Men must make themselves ,serviceable‘; God’s willfulness required human willingness. The two came together, finally, in the Puritan idea of the covenant. Enabled by God’s grace, the saints volunteered to be God’s instruments; command and consent met, and terms were drawn up. [ . . . ] What the covenant did was to suggest a disciplined and methodical response to grace, a new, active and willing obedience to command – and these were the major themes of Puritan ,practical‘ theology during the seventeenth century.“ Und man kann ohne Bedenken hinzufügen, das eine derartige Funktion auch für die Vertragspraxis des Althusius Gültigkeit hat. 20 Vgl. Friedrich, Introductory Remarks (FN 5), S. LXXIII. 18 19

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oder die symmetrische Teilung der Normen, der Güter und der symbiotischen Werke im politeuma – an den Anfang der modernen Demokratie stellen. Aber wir lassen andere Überlegungen beiseite und betonen, dass es hier von Interesse ist, dass Friedrich nicht die methodologischen Konsequenzen im Hinblick auf die föderativen Vorgänge der Bildung der Symbiose zieht, was umso seltsamer ist, als er in allgemeineren Zusammenhängen die Bedeutung des althusischen „Protoföderalismus“ betont (ohne den Fehler zu begehen, ihn mit der vagen mittelalterlichen Tradition des deutschen „Föderalismus“ oder mit der Vertragslehre gleichzusetzen, von der Gierke spricht, oder mit dem modernen Föderalismus).21 3. Nachdem wir Friedrichs Interpretation der symbiosis notwendigerweise noch einmal durchgegangen sind, sollten wir uns jetzt ansehen, wie das Wort im Text der Politica vorkommt, so dass wir den Grund verstehen können, warum wir vorschlagen, einen Schritt über diese scharfsinnige Interpretation von Friedrich hinaus zu machen. Der Index verborum et rerum, der von Althusius der dritten Ausgabe des Traktats beigegeben ist, verweist für das Wort symbiosis und seine Ableitungen einzig und allein auf Passagen in den ersten vier Kapiteln. In Wirklichkeit kommt das Adjektiv „symbiotisch“ auch an vielen anderen Stellen vor, aber letztlich erfolgt die grundlegende Behandlung des Terminus im ersten Kapitel. Der Anfang des ersten Kapitels ist nur allzu gut bekannt: Althusius schreibt dort, dass die Politik, eben weil sie die Kunst ist, die dahin tendiert, das soziale Leben der Menschen zu konstituieren, zu unterhalten und zu bewahren, „óõìâéùôéκÞ vocatur“. Über das wirkliche, innere Verhältnis zwischen der Symbiose des Althusius und dem Vertrag, genügt es, die Abschnitte Politica I, 2 und 3 zu lesen. Im zweiten Abschnitt schreibt er: „Gegenstand der Politik ist die Lebensgemeinschaft, in der die Symbioten sich in einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag untereinander zur wechselseitigen Teilhabe all dessen verpflichten, was zum Zusammenleben notwendig und nützlich ist“. Die Symbioten begründen auf diese Weise die Lebensgemeinschaft mit einem ausdrücklich oder stillschweigend geschlossenen Vertrag, mit dem Ziel gemäß Paragraf 3, eine „heilige, gerechte, angemessene und glückliche Lebensgemeinschaft“ oder ein Leben in der Symbiose zu begründen, der oder dem „es an nichts Notwendigem oder Nützlichem mangelt“. Es ist notwendig, besonders auf das Adjektiv „heilig“ hinzuweisen und es in all seiner interpretativen Tragweite zu erfassen, wie dies in der Einleitung zu diesem Band dargelegt worden ist, weil genau an diesem Punkt der Vergleich zwischen der ersten und der dritten Ausgabe die radikale Veränderung deutlich macht, die im Gebrauch des Worts Symbiose eingetreten ist. In der ersten Ausgabe fehlt das besagte Adjektiv nämlich in der Definition der Lebensgemeinschaft. Und erst nach der ersten Ausgabe wird die Symbiose angesprochen, um die „Gemeinschaft der 21 Zu den Unterschieden und interpretativen Unstimmigkeiten zwischen Gierke und Friedrich vgl. A. Passerin D’Entrèves, G. Althusio e il problema metodologico nella storia della filosofia politica e giuridica, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 14 (1934), S. 109 – 123 (wieder veröffentlicht in: ders., Saggi di storia del pensiero politico, hrsg. v. G. M. Bravo, Mailand 1992, S. 243 – 257.

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Heiligen“ auszuweisen, als welche dann gewöhnlich die calvinistischen Gemeinschaften bezeichnet werden. Zu diesem Zweck, fährt Althusius fort, „nemo hominum est per se áõôáρκåó“, oder selbständig und „von Natur aus hinreichend ausgestattet“. 4. Diese Formulierungen werfen verschiedene Fragen auf. Eine betrifft das pactum (nicht das foedus!), das immer die Symbiose begründet. Man fragt sich zum Beispiel: Warum schreibt Althusius, dass der Vertrag auch stillschweigend sein kann?22 Gewöhnlich erklärt man sich das mit einer eingeschränkten Interpretation hinsichtlich der Auswirkung der Vertragstheorie auf die Politica23, wobei man zum Beweis anführt, dass Althusius in Wirklichkeit nicht nur kein echter Vertreter der Vertragslehre im modernen Sinne ist (dem kann man vollkommen zustimmen, wenn das auch nur wenige wissen, zumal viele von Gierke in die Irre geführt worden sind), sondern seine Vertragslehre wenig mehr als Blendwerk ist. Meines Erachtens ist letztere der beiden Interpretationen zu verwerfen. Angesichts des bis hierher Dargelegten kann man das genaue Gegenteil feststellen: Der Vertrag ist einfach der methodische Bestandteil der existentiellen Praxis, die die politische consociatio symbiotica (potestas constituens, wie Friedrich schreibt) begründet, er ist von der Erfahrung mit dem Verhältnis zu Gott angeregt und kann einfach deshalb stillschweigend sein, weil der Mensch als solcher zur Symbiose prädestiniert ist, sich, wenn er Erlösung finden will, nicht vollkommen selbständig sein kann (das nämlich ist die Übersetzung des „per se“). Diese Wahl zu treffen, die auf verschiedenen und von einander unabhängigen Ebenen im politischen Bereich auch starke religiöse Implikationen hat, ist notwendig, um den Körper und die Seele zu retten. Aber es steht den Menschen frei, die Wahl zu treffen oder nicht zu treffen. Die Menschen können sich entscheiden, mit ihrem üblen Handeln fortzufahren oder entsprechend der vocatio zum Guten zu leben. Dieser Wille, der nicht der einfache mittelalterliche oder neuzeitliche naturrechtliche Wille ist, muss sich Tag für Tag, Handlung für Handlung im symbiotischen Leben bestätigen; er muss sich bestätigen in der Politik, die im Zeichen der Gerechtigkeit in einer symbiotischen Staatlichkeit, die sich im Institutionellen widerspiegelt; und der Wille muss sich letztlich in voller technischer Autonomie bestätigen, wobei er dem Prinzip der gegenseitigen Verpflichtung zwischen Volk und Magistrat Folge leistet (von da her kommen die Eigenheit der jura majestatis, die dem Volk zueigen sind und nicht dem obersten Magistrat, wie es im contractus mandati festgesetzt ist), im Bezugsrahmen des jurisdiktionell-populären föderativen Staates mit Ständeverfassung. Auf diese Weise verbinden sich in einer einzigen Vertragsstruktur der foedus naturae vel operum und das foedus gratiae, von dem die zeitgenössischen und Althusius nahe stehenden Theologen sprechen wie Zacharias Ursinus und Franciscus Junius. Diese Interpretation ist meines Erachtens vollständiger und typischer für Vgl. Friedrich, Intruductory Remarks (FN 5), S. LXXII. Dies scheint letztlich trotz einiger interessanter Aufschlüsse, die These von G. Hartung, Althusius’ Vertragstheorie im Kontext spätmittelalterlicher Jurisprudenz und Scholastik, in: Jurisprudenz, Politische Theorie und politische Theologie (FN 9), S. 287 – 303 , zu sein. 22 23

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das althusische Verständnis der Symbiose, das aus der Neuauslegung von Friedrich stammt, das aber über diese hinaus geht und sich auf andere Textbezüge zur doppelten – materiellen und spirituellen – Struktur der Symbiose stützt, die gewöhnlich vergessen oder übergangen werden. Im Abschnitt Politica I, 4 schreibt Althusius, dass nicht einmal im Erwachsenenalter der Mensch, auch wenn er einen wohl genährten Körper hat, außerhalb der Symbiose „das Licht seines Geists zeigen [ . . . ] und die zu einem angemessenen und heiligen Leben erforderlichen Hilfsmittel bei sich selbst finden kann.“ In I, 6 steht geschrieben: „Die Symbioten sind also symboethoi [ein Ausdruck, der wörtlich nur „diejenigen, die sich helfen“ bedeutet, während er bei Althusius geistlich aufgeladen ist], die durch das Band eines sie eng zusammenschließenden Vertrages dasjenige in die Gemeinschaft einbringen, was einer für Leib und Seele förderlichen Lebensführung angemessen ist mit dem Ziel, daran Anteil zu nehmen und zu geben.“ Das hat für alle Ebenen Gültigkeit: nicht nur für die der privaten Lebensgemeinschaften (Familie oder Kollegium), sondern auch für die öffentlichen (Stadt, Provinz und universale symbiotische Lebensgemeinschaft). Im Abschnitt Politica III, 42 liefert Althusius eine gedrängte Beweisführung, um die These zu stützen, dass die „symbiosis omnis est politica“ oder dass alle symbiotischen Lebensgemeinschaften, die privaten wie die öffentlichen als politische Lebensgemeinschaften anzusehen sind. Letztlich ist die Symbiose eine „heilige“, gerechte, angemessene und glückliche Verbindung, zu deren Realisierung die naturalistische Neigung aristotelischer Prägung nicht hinreicht, sondern ein metaphysisches, auf eine Wahl ausgerichtetes Willenselement notwendig ist, ein Element, das in dem theologisch-föderalen Instrument des Vertrags enthalten ist, der zuerst von Gott als foedus naturae et operum eingerichtet worden ist und nach und nach über die Prädestinationslehre in die soziale und politische Methodologie eingedrungen ist und der über die Erlösung mittels des foedus gratiae schließlich, wie Charles McCoy meint, zur root metaphor des politischen Handelns geworden ist. Es ist ein Instrument, das den Menschen an die Hand gegeben wurde, damit sie lernen, in erster Linie fromm in wahrer Gottesverehrung zusammen zu leben, was auf geschichtlicher, konkreter und praktischer Ebene notwendigerweise impliziert, dass sie angemessen zusammenleben, den eigenen Nutzen suchen, aber auf gerechte Weise und unter Berücksichtigung des Gesetzes. Im gegenteiligen Fall, außerhalb der Symbiose, mahnt Althusius in Politica XXI, 18 an und zitiert die Heilige Schrift „Legibus sublatis, societas humana, quam symbioticam vocamus, in beluinam vitam mutatur“. 5. Wir haben eingangs geschrieben, dass nach Friedrich P. J. Winters abermals die Aufmerksamkeit auf die „metaphysische Komponente“ der „göttlichen Prädestination hinsichtlich der Symbiose“ gelenkt hat, die in der religiösen Erfahrung des Menschen verwurzelt ist24. Aber auch er hat nicht das ganze Potential auf der Ebene der politischen Methodologie und auf der institutionellen Ebene des „ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrags“ ausgereizt, die, wie wir gesehen 24

Vgl. Winters, Die ,Politik‘ des J. Althusius (FN 3), S. 178.

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haben, nach Althusius am Anfang von jeder Art von Lebensgemeinschaft steht. Dieser Schritt wird aber glücklicherweise im bereits zitierten Buch über die Revolution der Heiligen von Walzer vollzogen. Man kann ihn in dieser Angelegenheit als Referenztext nehmen, auch wenn in ihm der Traktat von Althusius nie als Beleg zitiert wird, wenn auch immerhin der einleitende Essay von Friedrich zur Ausgabe der Politica von 1932. Mit den notwendigen Einschränkungen und Modifikationen können wir uns die Überlegungen von Walzer zur Natur und Tragweite des föderaltheologischen Vertrags zueigen machen, die auch in die Konzeption des symbiotischen Vertrags des Atlhusius einbezogen ist. Es ist eine falsche Annahme, die zu großen Teilen von der traditionelleren historisch-politischen Kritik ausgeht, wenn man meint, dass die althusische Formel „explizit oder implizit“ Ausdruck dafür ist, dass Althhusius dem Problem des Vertrags wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall: Weil es keine Gesellschaft ohne einen symbiotischen Vertrag geben kann, kann man ihn als implizit voraussetzen. Deshalb will Althusius mit voller Absicht die Politik unabhängig von der Theologie behandeln (und das bezeugt seine beginnende Modernität – auch wenn sie „anders“ als die ist, die dann tatsächlich im Zeichen des hobbes’schen Rechtsnaturalismus entstanden ist – in der Sicht der menschlichen Natur, die immer von einem unzerstörbaren christlichen Glauben geprägt ist), und kann darauf verzichten, direkt in theologischen Begriffen zu sprechen. Dennoch macht der Vertrag – ob explizit oder implizit – den naturalistischen, aber konstruktiven und voluntaristischen Charakter der Symbiosen vollkommen klar. Wie Walzer feststellt, „der Vertrag betonte aufs Neue die Auflösung der alten Bindungen [ . . . ]. Er war in Abkommen zwischen Gott und Mensch, dessen Bestimmungen, wie man annahm, in der Heiligen Schrift niedergelegt waren und auf perfekte Weise die künstliche Natur aller Beziehungen symbolisierte. Durch den Vertrag wurden die Menschen ,Diener‘ Gottes – und nicht seine Kinder –, und dieses Bild implizierte die freiwillige Anerkennung einer Verpflichtung, einer rechtlichen und ökonomischen Obligation“25. In der Tat muss man betonen, dass in der Lehre vom symbiotischen Vertrag des Althusius – die die Grundlage seiner speziellen Konzeption der föderativen Gesellschaft bildet – etwas mehr und etwas anderes enthalten ist, als von den allgemeinen Ausführungen der bisher angeführten kritischen Interpretationen herausgestellt wurde26, mit Ausnahme von Elazar und der föderaltheologischen Literatur der jüngsten Zeit. Der Ruf nach der politischen Symbiose, die von Gott in die menschliche Natur eingepflanzt wurde (auch wenn sie nicht allen Menschen zugestanden wurde und niemals auf alle Menschen gleich verteilt wurde), kann sich nach Althusius nur über die vertragliche und föderative Methodologie realisieren, die, wie die Vgl. Walzer, The Revolution fot he Saints 1974 (FN 19), S. 168 (ital. Ausg., S. 204). Vgl. z. B. die Lesart von A. de Benoist, The First Federalist: Johannes Althusius, S. 34 ff. in: http: //www.alaindebenoist.com. Auch Benoist berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Symbiose auch „fromm“ sein muss, wenn auch im Verhältnis zum religiösen Leben nicht im umfassenden Sinne, sondern besonders im Bezug auf das zivile politische Leben, das nach den Vorgaben des politischen Calvinismus organisiert ist. 25 26

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ihm vorausgehende Föderaltheologie deutlich macht, zuerst vom Schöpfergott festgelegt wurde, als er Bündnisverträge mit Adam abschloss, dann mit Noah, mit Abraham und so weiter bis hin zum foedus gratiae mit Christus und über Christus mit den Menschen. Man kann daraus ableiten (weil Althusius es nicht ausdrücklich sagt), dass der Vertrag mit Adam, der von diesem mit dem Sündenfall gebrochen wurde, ein foedus naturae ist, der sich nach dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies in der Geschichte als „Werkvertrag“ darstellt, der die Welt verändert und sich innerlich mit der Prophetie über die Ankunft des Erlösers verbindet und dass sich dann mit dem christlichen „Gnadenvertrag“ der Mensch und die Welt endgültig retten. Die Methodologie des Vertrags hat nicht nur kirchlich begründenden Wert oder bildet nicht nur das Volk Gottes aus, sondern hat auch politische Wertigkeit, und in diesem Sinne schafft er die Symbiose.27 Das heißt nicht, dass man ein theokratisches Prinzip zur Grundlage der politischen Gemeinschaft macht, insofern der politische Bereich seine angestammte strukturelle und funktionale Eigenständigkeit behält, auch wenn er, wie Althusius nicht müde wird zu wiederholen, auf die Umsetzung der zweiten Tafel des Dekalogs ausgerichtet ist. Weder Friedrich noch Walzer bringen jedoch die göttliche vocatio zur Symbiose direkt mit dem Begriff des foedus naturae vel operum in Verbindung, dessen kritische Wiedergewinnung dagegen im Mittelpunkt der föderaltheologischen Literatur steht, die seit den 1960er Jahren nach der Pionierarbeit von Gerhard Oestreich über die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag eine Blüte erlebte (wobei Oestreich Anregungen nicht von der Althusiusforschung, sonder von der älteren Literatur über die Bundestheologie und über die politische Säkularisierung des theologischen Wortschatzes aufnahm). Diese Literatur wurde in den 1980er und 1990er Jahren mit den Studien von Daniel J. Elazar, David Alexander Weir, Charles McCoy und Wayne Baker über die Föderaltheologie und die Anfänge des Föderalismus fortgeführt.28 Oestreich machte deutlich, bis wohin und in welchem Ausmaß die Föderaltheologie in die theoretischen Mühen eingegangen ist, aus denen die wichtigsten Staats- und Politikkonzepte im modernen Sinne hervorgegangen sind. Er erfasste diesen Moment des schrittweisen Übergangs – der sich im 16. Jahrhundert charakteristischerweise beschleunigt – von einer „verfassungsmäßigen“ Haltung des Mittelalters zur Verhandlung von Freiheiten und Privilegien (Statusvertrag) durch Stände und soziale Gruppen gegenüber Fürsten und Herren bis hin zur noch moderneren Vertragsaktivität, die auf die Gründung des Staats zielt (Staatsvertrag).29 Oestreich schrieb, dass die Verwandlung der religiösen Vorstellung vom 27 Das erkennt man auch in der so genannten Disputatio de regno, vgl. G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis, Su una sconosciuta ,Disputatio‘ di Althusius, Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996, S. 26 ff. 28 Vgl. G. Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag in, ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 157 – 178. Für weitere bibliografische Angaben sei aus Platzgründen verwiesen auf Malandrino, Teologia federale (FN 9).

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Vertrag, eines ursprünglichen Vertrags des status, hin zu einer freien und politischen Vertragsbeziehung eine bis dahin unbekannte Seite der Geschichte der politischen Ideen zum Vorschein bringt. „Die säkulare Vertragstheorie des 16. Jahrhunderts gewann über alle genannten realen Bezüge hinaus durch die bewusste Analogiebildung zur biblischen Bundesidee eine gewaltige sittliche und religiöse Festigkeit und Stoßkraft“30. Es bildete sich auf diese Weise ein starker Kreis, der aus wechselseitigen Einflüssen der jüdisch-christlichen Religion, des römischen Privatrechts und des fränkisch-europäischen Feudalrechts besteht, dessen Folge eine stärker moralische und religiöse Verwurzelung des Staatslebens war.31 Das hätte sicher auch Althusius nicht missfallen, der doch die Autonomie der politischen Wissenschaft in ihrem eigenen Bereich behauptete. Letztlich verdenken wir in jüngerer Zeit McCoy und Baker (neben Elazar) die theoretische Behandlung des föderativen Vertrags (covenant) als root metaphor32. Der covenant, der von den Theologen aufgegriffen und vor allem von Althusius als „radikales“ methodologisches Mittel zur Grundlage der föderalpolitischen Konzepte der calvinistischen Theoretiker gemacht wurde – ein Mittel, das es möglich machte, die Theorien so anschaulich zu machen, dass ihre Verbindungen mit dem Gemeinsinn zur Geltung kamen, die sie von anderen Theorien unterscheiden, und sie mit den Mitteln auszustatten, mit denen sie ihre Angemessenheit rechtfertigen können. Der covenant bildet die Grundlage dieser soziopolitischen Sichtweise, der zufolge die Natur des Menschen „convenantal“ ist, und davon hängen wiederum die Theorien zur Souveränität, der Repräsentanz und letztlich der Charakter selbst der politischen Ordnung ab. Wayne Baker und McCoy formulieren in Fountainhead of Federalism33 eine Art theologisch-politisches Paradigma und eine geschlossene Folge seiner Ausdrucksformen in der föderaltheologischen Tradition, in seiner Abfolge und in seiner schrittweisen Ausbildung von einer rein theologischen Vision zur politischen Praxis. Der Terminus a quo wird ins Jahr 1534 gelegt, das Jahr, in dem der Nachfolger Zwinglis in Zürich, Heinrich Bullinger, sein Werk De testamento seu foedere Dei unico et aeterno veröffentlichte, das diesem Paradigma 29 Diese Bezeichung ist jüngst bestätigt worden von A. Tenenti, Dalle rivolte alle rivoluzioni, Bologna 1997, wo im Zusammenhang mit dem Befreiungskampf der Niederlande gegen Philipp II. auf die Verbindung zwischen dem so genannten Privileg von Brabant (1536) hingewiesen wird, das ein Bündel von Freiheiten und Privilegien für die Provinzen und Städte darstellte, und den Forderungen der revoltierenden Calvinisten unter der Leitung von Wilhelm dem Schweiger im Hinblick auf die Gründung eines neuen föderativen Staates. Dazu ausführlich die Studie von C. Secretan, Les privilèges berceau de la libertè. La révolte des Pays-Bas. Aux sources de la pensée politique moderne (1566 – 1619), Paris 1990. 30 Vgl. Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes (FN 28), S. 162 f. 31 Vgl. die Zusammenfassung der Argumentation bei Oestreich, ebd., S. 177. 32 Vgl. C. McCoy, The Centrality of Covenant in the Political Philosophy of J. Althusius, in: K.-W. Dahm / W. Krawietz / D. Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 191 ff. 33 Vgl. W. Baker-McCoy, Fountainhead of federalism, Louisville / Kentucky 1991, S. 12 – 14.

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eine erste systematische Form gibt. Entlang des Rheins über theoretische, politische und kriegerische Auseinandersetzungen wurzelt diese Tradition in den deutschen Regionen zwischen Pfalz, Nassau, Hessen und Westfalen (und findet auch in den Städten Nordfrieslands wie Emden oder in Hansestädten wie Bremen Verbreitung), in den Niederlanden, wo sie mit Ursinus, Olevianus, Veluanus, Snecanus, Wiggertz, Althusius, Martini, Coccejus ihre Hauptvertreter findet. Von hier erfolgt die Verbreitung nach England und Schottland über Autoren wie Dudley Fenner und William Perkins, Robert Rollock und Samuel Rutherford, auf die alle Walzer in seinem Buch ausführlich eingeht. In Frankreich ist Stephanus Junius Brutus, der Autor der Vindiciae, der Hauptvertreter der Föderaltheologie. Aber die echte Wahlheimat der politisch-föderalen Transformation im modernen Sinne wird in Neuengland gesehen. Während in Europa der absolute Territorialstaat dominiert und die föderaltheologischen Gärstoffe zerstreut und vergessen sind, setzt sich hier die föderale Konzeption der Kolonien fest, die der föderalistischen Blüte des 18. Jahrhunderts vorausgeht34.

34 Diese Interpretation der althusischen Symbiose als politisches Grundgebilde des althusischen „Protoföderalismus“ passt nicht mit den anderen Lesarten zusammen, wie zum Beispiel jener von H. Dreitzel, die die Symbiose vielmehr mit einer vorgeblichen föderal-hierarchischen mittelalterlichen Tradition in Verbindung bringen, vgl. H. Dreiztel, Althusius in der Geschichte des Föderalismus, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des J. Althusius (FN 2), S. 49 – 112. Zu diesem Thema sei auf den Beitrag von Malandrino zu Foedus, im vorliegenden Band verwiesen.

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Tyrannis 1. Das Problem der Tyrannis und der Abirrung der Machtausübung zur Tyrannis, ein großes Erbe der moralisch-philosophischen Reflexionen der Antike, prägt das theologisch-politische Denken des Mittelalters und wird in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht vollständig systematisiert.1 Von der Zeit der Glossen bis zu jener der großen Kommentatoren des 14. und 15. Jahrhunderts ist der gesamte linguistische und begriffliche Bestand der Macht auf die Bezeichnung der Tyrannis als radikale Pervertierung einer moralisch-juristischen Ordnung hin ausgerichtet. Das juristisch-politische Denken von Bartolo, dem Autor, der Mitte des 14. Jahrhunderts den berühmten Traktat De tyranno geschrieben hat, bildet den Gipfelpunkt dieser über eine sorgfältig untergliederte Definition der Tyrannis ausgearbeiteten Lehre, die sich nicht als von jener der theologisch-politischen des Mittelalters unterschieden darstellt, sondern in dieser ihr erstes und notwendiges theoretisches Fundament findet. Sein Beitrag besteht vielmehr in der theoretisch-juristischen Fixierung eines Paradigmas, durch das der Begriff der Tyrannis technisiert wird und durch die Dreiteilung der Formen der Abweichung von den legitimen Machtformen eine eminent konstitutionelle Funktion erhält.2 Die Tyrannis ist per definitionem ein unrechtes Regime. Sowohl in universalistischer als auch in spezieller Hinsicht auf die Macht ist der Tyrannen „qui non iure principatur“3, jemand, der die Macht „gegen das Recht“ ausübt. Die Macht gegen das Gesetz auszuüben bedeutet, dass man nicht nur die gegebenen Formen des Gesetzes verletzt, sondern auch die Grenzen der Macht, die von unverrückbaren juristischen Prinzipien gebildet werden, sei es, dass es sich um die Macht des Kaisers, sei es, dass es sich um die Macht eines Richter-Regenten der mittelalterlichen Stadt Italiens handelt. Die Abirrung von den rechtlichen Formen der Macht erfolgt entweder offensichtlich oder im Verborgenen. Bei den offensichtlichen Abirrungen können zwei Typen unterschieden werden: ex defectu tituli und ex parte exercitii, das heißt aufgrund des Fehlens eines Rechtstitels und durch Missbrauch eines 1 Vgl. F. D’Agostino, Tirannide, in: Enciclopedia del diritto, Bd. 44, Mailand 1992, S. 543 – 555. 2 Vgl. D. Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano. Il ,De tyranno‘ di Bartolo da Sassoferrato (1314 – 1357). Con l’edizione critica dei trattati „De Guelphis et Gebellinis“, „De regimine civitatis“ e „De tyranno“, Florenz 1983. 3 Bartolo da Sassoferrato, Tractatus de tyranno, q. II., Edition in: D. Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano (FN 2), S. 177.

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rechtmäßig erworbenen Rechtstitels; aber der Umsturz der rechtlichen Formen kann auch im Verborgenen erfolgen, sei es, dass jemand de facto Macht ausübt, ohne jemals mit einer rechtmäßigen Macht ausgestattet worden zu sein (Tyrannis propter defectum tituli), sei es, dass das Ausüben der Macht unter dem Deckmantel eines Amts erfolgt, mit dem keine rechtmäßige Macht verbunden ist (Tyrannis propter titulum). Über eine originelle Aufarbeitung der theologisch-philosophischen Tradition und des Denkens des Aristoteles, die er für die Juristen seiner Zeit zusammengefasst hat, bestimmte Bartolo die Formen der Perversion der legitimen Macht und gestaltet die Figur des Tyrannen – jedes Tyrannen – zu einem streng umrissenen Paradigma. Seine Lehre vervollständigt sich mit der Abhandlung über das Problem der politischen Verfassung der Stadt, bei der er klar demokratische Formen bevorzugt, weil diese von der für das Königtum typischen Machtfülle weit entfernt sind. Er hat eine echt theokratische Sicht der Demokratie. Dieses „magis Dei quam hominum regimen“4 ist für Bartolo eine mehr göttliche denn menschliche Regierung, weil sie von den Versuchungen, denen die Macht eines einzelnen ausgesetzt ist, weit entfernt ist und damit von einem Regime, das seiner Natur nach der Abirrung in die Tyrannis unterworfen ist. Im Zentrum von Bartolos Untersuchung, die eine fast vollständige Kasuistik der Tyrannis darstellt, steht das Problem des Einverständnisses, das in der Sprache des öffentlichen Rechts dem Problem der willentlichen Vergehen im Rechtsgeschäft gleichgestellt ist. Unter diesen ist es nicht nur die physische, sondern auch die moralische Gewaltausübung (iustus metus), das heißt die aktuelle Bedrohung durch ein unrechtes und beträchtliches Übel, die vorgenommen wird, um jemanden dazu zu zwingen, eine Handlung zu vollziehen und die daher dafür von Relevanz ist, das rechtsgeschäftliche Wollen zu entkräften. Deshalb untersucht der Jurist die Arten physischer und moralischer Gewalt („qualiter violentia vel metus inferatur in populum“)5 und bezieht sich ausdrücklich auf die actio quod metus causa, das heißt das für den Fall vom Magistrat zugestandene Gegenmittel, dass die konkrete Präsenz einer Bedrohung mit einem beträchtlichen moralischen und juristisch unrechtmäßigen Übel festgestellt wurde, die als störendes Element des Prozesses der Willensbildung fungiert. Im Schema des Bartolo wird also – und als solche ist sie verfolgbar – bewiesen, dass die Tyrannis propter defectum tituli jedes Mal dann eintritt, wenn die civitas die Jurisdiktion auf den dominus überträgt, und sei es mit dem formalen Akt der Wahl, aber in einem unmittelbaren Zustand der Bedrohung, denn die öffentliche Gewalt muss in einem feien Willensakt übertragen werden, und wo dieser Wille von einer begründeten Furcht zunichte gemacht wurde, ist diese Übertragung offensichtlich unrechtmäßig („iurisdictio debet transferri voluntarie et si per metum fiat ipso iure non valet“).6 4 5 6

Bartolo da Sassoferrato, Tractatus de regimine civitatis (FN 3), S. 164. Ebd., S. 186. Ebd.

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2. Im Denken der Zivilrechtslehre des 14. Jahrhunderts zur Tyrannis verfestigen sich die Elemente, die einmal die lange Symbiose des theologischen, philosophischen und juristischen Denkens hervorrufen werden, die die Lehre des mittelalterlichen Okzidents kennzeichnet. Das Paradigma, das von der Lehre des öffentlichen Rechts entwickelt wurde, reicht mit wesentlicher Kontinuität im juristischen und politischen Denken von den Humanisten wie Coluccio Salutati bis hin zur großen Krise Ende des 15. Jahrhunderts, wenn es in der gegen Tyrannen gerichteten Predigt und in der theologisch-politischen Traktatliteratur eines Girolamo Savonarola zusammengefasst wird, und bis zu Niccolò Machiavelli, dem der provokante Umsturz der gesamten Tradition zuzuschreiben ist, durch die die verfassungsmäßigen Grenzen der Macht moralisch wie juristische in Modellentwürfen und in der christlichen Paränetik begründet waren7. Machiavellis Fürst ist mehr noch als ein Modell für die Autonomie politischer Entscheidung, ein Fürst, der die eigene Macht an Regeln ausrichtet, die aus der Erfahrung und dem Nachdenken über die Geschichte gewonnen sind: Regeln, die strenger als jede juristische und moralisch-religiöse Regel sind, Regeln, aus denen der Florentiner eines bezwingende Vision des menschlichen und vor allem des politischen Handelns macht.8 Im neuen Klima des 16. Jahrhunderts stellt sich das Begriffskonzept der Tyrannis also als offensichtlich abgenutzt dar, vor allem aufgrund seiner offensichtlichen Doppeldeutigkeit und Überkommenheit in der République von Bodin (1576), wo die Kategorie im Bild der monarchie tyrannique typenartig zugeschnitten ist, die von der monarchie seigneuriale und von der monarchie royale unterschieden wird9. Bei Bodin wird die Kategorie der Tyrannis zu einem „archaischen Residuum, das schlecht zu einer Konzeption der Macht passt, die vom Moment der Zustimmung absieht“10; und dennoch ist sie „weit davon entfernt, einen rein gelehrten topos darzustellen oder eine obsolete Frage“, und das eben deshalb, weil „sie in den beiden vorangehenden Jahrhunderten in der politischen Literatur und Traktatliteratur zu intensiv behandelt worden ist, als dass sie friedlich beiseite gelegt werden könnte“11. Das zeigt der Fall des aus Toulouse stammenden Petrus Gregorius, ein echter Sammler der politischen Hauptthemen des späten 16. Jahrhunderts und stän7 Vgl. D. Quaglioni, Tirannide e democrazia. Il ,momento savonaroliano‘ nel pensiero giuridico e politico del Quattrocento, in: G. C. Garfagnini (Hrsg.), Savonarola. Democrazia Tirannide Profezia, Florenz 1998, S. 3 – 16. 8 Vgl. D. Quaglioni, Il modello del principe cristiano. Gli ,specula principum‘ fra Medio Evo e prima Età Moderna, in: V. I. Comparato (Hrsg.). Modelli nella storia del pensiero politico, Florenz 1987, S. 103 – 122. 9 Hinsichtlich des doppeldeutigen und überkommenen Charkters des Tyrannis-Konzepts im Denken Bodins vgl. M. Isnardi Parente, Introduzione zu: J. Bodin, I sei libri dello stato, 2. Auflage, Turin 1988, S. 38 f., 89 f. und 94 f. Zur Haltung Bodins gegenüber der Reaktion der Vindiciae contra tyrannos vgl. Quaglioni, La sovranità, Rom / Bari 2004, S. 52 f. 10 Vgl. M. Isnardi Parente, Jean Bodin su tirannide e signoria nella ,République‘, in: La ,République‘ di Jean Bodin. Atti del convegno di Perugia, 14 – 15 novembre 1980, Florenz 1981, S. 73. 11 Vgl. ebd., S. 61 – 77, bes. S. 68, Anm. 22.

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diger Bezugsautor für Althusius. Grundlage der Lehre von der Tyrannis und der Mittel gegen sie ist für Bodin wie für Gregorius die Unterscheidung von Bartolo zwischen tyrannis ex defectu tituli und tyrannis ex parte exercitii. Wie Bodin gesteht Gregorius „die Möglichkeit einer Reaktion der Untertanen hinsichtlich des Tyrannen ex defectu tituli zu; während er dem Volk jede Macht hinsichtlich demjenigen bestreitet, der auf legitime Weise zum Inhaber der Souveränität geworden ist“12, und das auch wenn er die Macht auf dem Rechtsweg erworben hat und gegen den Willen seiner Untertanen regiert. In einer langen „Rekapitulation“ der Frage des Tyrannenmordes im Syntagma iuris universi von 1582 wiederholt Gregorius die Lehre, die vom der Kirche auf dem Konzil von Konstanz (1415) verkündet wurde, die die Thesen von Jean Petit als häretisch verwarf, der den Tyrannenmord befürwortet hatte. Er lehnt also auf jeden Fall die Zulässigkeit des Tyrannenmordes ab und schlägt stattdessen die Einberufung der Generalstaaten und den Appell an das Urteil des Papstes „ut superior“ vor13. In einem schwierigen Zusammenschluss mit der bodinschen Theorie der höchsten Macht bietet Gregorius ein Bild der „konstitutionellen“ Monarchie, in der den Reichsstände noch eine Rolle in den Mitteln gegen die Perversion der Macht zukommt: Sogar das widerwillige Berufen auf die kalvinistische Lehre von Ephorat, das jenem Bodins nicht unähnlich ist, geht mit der Idee einher, dass der König, der ex parte exercitii zum Tyrann geworden ist, „per magistratus“ einvernommen werden kann.14 Im späteren Werk De Republica (1596) bringt Gregorius erneut das Konzept der „tyrannischen Monarchie“ als ein Regime vor, das notwendigerweise keinem Gesetz untersteht, das mit der Gewalt gegen das Privatinteresse und vollkommen unabhängig von dem Willen der Untertanen ausgeübt wird: „Necesse est tyrannidem illam esse monarchiam, quae nullis subiaceat legibus et dominetur per vim [ . . . ] et respiciat ad utilitatem propriam non ad untilitatem subditorum, quapropter illa monarchia est involuntaria, cum nemo liber sponte ferat huiusmodi servitutem“15. Die Formulierung monarchia involuntaria spielt natürlich auf den „Roy volontaire“ 12 L. Gambino, Il De Republica di Pierre Grégoire. Ordine politico e monarchia nella Francia di fine Cinquecento, Mailand 1978, S. 45 mit Anm. 62. 13 P. Gregorius, Syntagma Juris Universi, atque legum pene omnium gentium, et Rerumpublicarum, in tres partes digestum. In quo divini et humani Iuris totius naturali, ac nova methodo per gradus, ordineque, materia universalium et singularium rerum, simulque iudicia explicantur, Lugduni, Apud Ioan. Pillehotte, 1607, I, vi, 20 (Anacephalaeosis eorum, quae ingratitudinem excusant vassallorum, et culpabilem et ingratum reddunt dominum), nn. 12 – 13, S. 166. Vgl. D. Quaglioni, Tirannide e tirannicidio nel tardo Cinquecento francese: la ,Anacephalaeosis‘ di Pierre Grégoire, detto il Tolosano (1540 – 1597), in: Il Pensiero politico 16 (1983), S. 341 – 356; ders., I limiti della sovranità. Il pensiero di Jean Bodin nella cultura politica e giuridica dell’età moderna, Padua 1992, S. 267 – 268. Zum Synodalbeschluss vgl. Conciliorum Oecumenicorum decreta, curantibus J. Alberigo, J. A. Dossetti, P.-P. Joannou, C. Leonardi, consultante H. Jedin, Bologna 31973, S. 432. 14 Syntagma Juris Universi (FN 13), I, vi, 20 (Anacephalaeosis eorum, quae ingratitudinem excusant vassallorum, et culpabilem et ingratum reddunt dominum), n. 16, S. 166. 15 Gregorius, De Republica libri sex et viginti, in duos tomos distincti, Pontimussani 1596, V, 18, n. 10, Bd. I., S. 353.

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Bodins an und hebt sich davon ab, das heißt auf den König durch Eroberungsrecht, aber vielleicht auch und nicht weniger antithetisch auf die servitus voluntaria, mit der Etienne de La Boétie die Tyrannis bezeichnet hatte oder eher noch jedes Regime eines Einzelnen, und zwar in De la servitude volontaire, das besser unter Contr’un (1553 – 1554) bekannt ist und in der hugenottischen und monarchomachischen Literatur schnell Verbreitung gefunden hat. „Ce sont [ . . . ] les peules mesmes“, hatte La Boétie geschrieben, „qui se laissent ou plustost se font gourmander, puis qu’en cessant de servir ils en seroient quittes. C’est le peuple qui s’asservit, qui se coupe la gorge, qui, aiant le chois ou d’estre serf ou d’estre libre, quitte sa franchise et prend le joug, qui consent à son mal ou plustost le pourchasse“16. Mehr noch bricht La Boétie erstmals mit dem traditionellen Schema der radikalen Unterscheidung und Opposition zwischen Tyrann und legitimen König und macht die Tyrannis in allen Lagen aus, in denen ein einzelner regiert, sei es, dass er durch Wahl an die Macht kommt, durch dynastisch Erbfolge oder durch Eroberungsrecht: „Il y a trois sortes de tirans: les uns ont le Roiaume par election du peuple, les autres par la force des armes, les autres par succession de leur race [ . . . ]. Et estans les moiens de venir aus regnes divers, tousjurs la façon de regner est quasi semblable“17. Paradoxerweise zeigt sich im Gegensatz zum traditionellen Schema die positive oder negative Art der Macht nicht mehr in der Art und Weise, wie sie erworben wurde, sondern erweist sich im allgemeinen aufgrund einer immer und grundsätzlich verdammenswürdigen Herrschaft eines einzelnen als verderbt. 3. In diese jüngsten Tradition und nicht nur in die weiter zurückreichenden Tradition der juristisch-politischen Lehren des späten Mittelalters fügt sich die Lehre des Althusius von der Tyrannis ein, die die Assimilation von Tyrannis und absoluter Monarchie der kalvinistischen (und vor allem hugenottischen) Literatur entleiht und zur Vollendung führt und dabei „eine konstitutionelle Perspektive, die Bodin sich nicht bis ins Letzte zu untersuchen zugestehen konnte“18 wieder eröffnet und wiederbelebt. Im Originalentwurf der Politica methodice digesta (1603) ist jedoch kein Platz für eine eigenständige Behandlung des Themas Tyrannis, das bereits ausführlich in den Thesen der Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando (1602) enthalten war, die „eine erste schematische Darlegung eines guten Teils des Stoffes der ersten Ausgabe der Politica“ darstellen, die „ein Jahr 16 Etienne de La Boétie, De la servitude volontaire ou Contr’un. Edité avec introduction et notes par M. Smith, Genf 1987, S. 38. Vgl. D. Quaglioni, Tirannide e servitù volontaria. Rileggendo il „Contr’uno“ di Estienne de la Boëtie, in: Politique et literature en France aux XVIe et XVIIe siècles. Actes du Colloque international, Monopoli 28 septembre – 1 octobre 1995, Bari / Paris 1997, S. 341 – 353, hier: S. 349. 17 La Boétie, De la servitude volontaire ou Contr’un (FN 16), S. 44 f.; Vgl. H. Weber, La Boétie et la tradition humaniste d’opposition au tyran, in: Culture et politique en France à l’époque de l’humanisme et de la Renaissance. Etudes réunies et présentées par F. Simone, Turin 1974, S. 355 – 374, hier: S. 356. 18 L. Calderini, La ,Politica‘ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza, Mailand 1995, S. 162.

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zuvor bei demselben Drucker Corvinus erschienen war“19. Man kann vielmehr sagen, dass der Stoff den größten Teil der Disputatio ausmacht, weil er von n. LVII (über die Pflicht der Optimaten, die Tyrannis des obersten Magistrats zu verhindern) bis zum Schluss des Texts (n. LXXV, über das Rechtsverpflichtung des Volks, einem Tyrannen absque titulo aktiv Widerstand zu leisten, bis hin zur Initiative der Optimaten hinsichtlich des Tyrannen exercitio) Gegenstand der Thesen ist.20 Die Disputation geht alle Aspekte des Themas schematisch an, mit deutlichen Verweisen auf die künftige erste Ausgabe der Politica: von der Verantwortung der „optimates regni universi“ und der „speciales Ephori“, die Tyrannis zu verhindern (mit der Verzeichnung der Missbilligung Bodins)21, bis hin zur Unterscheidung der zwei Arten von Tyrannen, die auf Bartolos De tyranno gründet, auf De principe et eius privilegiis von Egidio Bossi und auf den Vindiciae conra tyrannos, die beinahe ad unguem mit den später in der Politica angeführten Definitionen22 übereinstimmen, wie es im Übrigen auch für die Reihe der Gründe zutrifft, die zur Rechtfertigung des jus resistendi angeführt werden (fünf, das heißt die Natur des Vertrags zwischen Magistrat und Volk; das Übertreten der Grenzen der Rechtsprechung; die höhere Verpflichtung des Volks gegenüber Gott und seinem Gesetz; die Natur selbst der Verpflichtung zwischen Magistrat und Volk, die über die Grenzen der natürlichen Verpflichtung zwischen Vater und Sohn, zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Herrn und Vasall nicht hinausgehen kann; der Verlust ipso jure der Gewalt und die Rückführung des Tyrannen zur Privatperson; mit der Beifügung sakraler und profaner exempla).23 In der ersten Ausgabe der Politica ist dagegen der Stoff im Kapitel XIV ausgebreitet (De Ephoris Reipub. eorumque officio et speciebus), nachdem das Problem des Wesens der kirchlichen Souveränität ausführlich dargelegt worden ist und 19 G. Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: la dottrina del patto e la costituzione del regno, in: G. Duso / M. Scattola / M. Stolleis, Su una sconosciuta ,disputatio‘ di Althusius, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 25 (1996), S. 65 – 126, hier: S. 67. 20 Disputatio politica De regno recte instituendo et administrando, a cura di M. Scattola, in: Duso / Scattola / Stolleis, Su una sconosciuta ,disputatio‘ di Althusius (FN 19), S. 23 – 36, LVII, S. 40; LXXV, S. 44 f. 21 Ebd., LVIII, S. 40: „Diss[entit] Bodin[uns] lib 2. de Repub. c. 4.“ Vgl. J. Bodin, Les six livres de la Republique. Ensemble une Apologie de Rene Herpin, A Paris, Chez Iacques du Puis, 1583, II, Chap. IV (De la Monarchie Tyrannique), S. 297; ders., De Republica libri sex latine ab Auctore redditi, multo quam antea locupletiores, Francofurti, Sumptibus Jonae Rosae viduae, typis Anthonii Hummii, 1651, II, Cap. IV (De Tyrannide), S. 323. 22 Ebd., LX – LXI, S. 41: „Tyrannus absque titulo est, qui Rempublicam sibi non commissam, vi, vel malis artibus, sine ullo justo vel electionis, vel successionis titulo invadit, sine consensu populi [ . . . ]. Tyrannus exercitio est, qui, postquam legitime constitutus magistratus est, degenerat, nihil eorum praestans, quae in se recepit in pacto utroque com populo et cum Deo inito“. 23 Ebd., LXIX – LXXIV, S. 43 f.

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noch vor dem Übergang zur Behandlung des königlichen Rechts und seiner Grenzen in Kapitel XV (De regni commissione). Althusius fixiert die Typologie der Tyrannis, wobei er die Unterscheidung Bartolos zwischen Tyrann absque titulo und Tyrann exercitio nachzeichnet: „Tyrannus absque titulo est, qui Rempub. sibi non commissam, vi, scelere, vel malis artibus, sine ullo justo, vel electionis, vel successionis, titulo, aut belli justa caussa, invadit, sine consensu populi [ . . . ]. Tyrannus exercitio est, qui postquam legitime constitutus Magistratus est, non ex lege et moribus gubernat, aut qui abutitur imperio, et ipsam dignitatem in suam convertit praedam, et quaestum facit ex populo indebite, quem ab oppressione ratione potestatis sibi concessae, protegere et tueri debebat“24. Dem fügt Althusius die Ausführung von acht rationes hinzu, die das Widerstandsrecht der Ephoren oder, wenn sie abwesend sind, des Volkes rechtlich begründen.25 Eben dieses Kapitel über das Ephorat findet im Anschluss an die beträchtlichen Erweiterungen und tiefgreifenden Veränderungen des ersten Teils des Werks im Hinblick auf das Thema der Souveränität und der jura maiestatis in der dritten und letzten Ausgabe der Politica (1614) als Kapitel XVIII Aufnahme – mit einem leicht veränderten Titel und mit einem eben im Hinblick auf die Definition der Tyrannis und das Recht, gegen sie Widerstand zu leisten, erheblich verkürzten Inhalt26. Der ganze Stoff hinsichtlich der Tyrannis ist nämlich nicht ohne tiefgreifende Veränderungen und Hinzufügungen zu einem kleinen Teil in Kapitel XIX (Kapitel XV in der Ausgabe von 1603) verschoben worden, in eine knappe Polemik mit dem Barclay von De regno et regali potestate (1600) und zu einem größeren Teil in das vorletzte Kapitel XXXVIII, das, ex novo in den Text des Werks inseriert, eine vollständige Lehre von der Tyrannis (und der Mittel gegen sie) enthält.27 Das Thema der Abirrung der Machtausübung zur Tyrannis macht deutlich, dass Althusius sehr stark von der kontroversen Literatur abhängig ist, die in dem Discours contre Nicolas Machiavel von Innocent Gentillet (1576) und in den Vindi24 J. Althusius, Politica, Methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, cui in fine adjuncta est Oratio panegyrica de necessitate, utilitate et antiquitate scholarum., Herbornae Nassoviorum, Ex officina Christophori Corvini, 1603, Cap. XIV (De Ephoris Reipub. eorumque officio et speciebus), S. 132 – 167, hier: S. 155 f. 25 Ebd., S. 146 – 152. 26 J. Althusius, Politica Methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Cui in fine adiuncta est Oratio panegyrica De necessitate, utilitate et antiquitate scholarum. Editio tertia, duabus prioribus multo auctior, Herbornae Nassoviorum 1614, Cap. XVIII (De ephoris, eorumque officio), S. 273 – 322. 27 Ebd., Cap. XXXVIII (De tyrannide ejusque remediis), S. 879 – 940. Zum Verhältnis zwischen der Disputatio und den verschiedenen Ausgaben der Politica und vor allem zu den Thesen zum Widerstandsrecht und zur Tyrannis vgl. die ausführliche Untersuchung von Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: La dottrina del patto e la costituzione del regno, (FN 19), S. 69 – 71 und 114 – 124. Vgl. jetzt zuletzt C. Malandrino, Remota justitia, quid sunt regna, nisi magna latrocinia? (Politica XXXVIII, 9). Il ,dispotismo‘ nella definizione althusiana di tirannide, in: Atti della IX giornata Luigi Firpo, Tirannide e dispotismo politico tra cinque e Seicento (Torino, 27 – 28 settembre 2002).

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ciae contra tyrannos (1579) Niederschlag gefunden hat, und dass er als Kavalier des 17. Jahrhunderts im Gegensatz zu den Lehren des Absolutismus dem unter den hervorstehendsten und am häufigsten gelesensten Begriffskonzepten in der Tradition der Politiktheorie eine neue Gestalt verleiht28. Man kann dennoch sagen, dass im Vergleich zur ersten Fassung der Politica und mit einer entschiedeneren Transposition der Souveränitätsrechte von einem bestimmten politischen Subjekt (der Fürst oder summus magistratus) auf ein unbestimmtes (die Gemeinschaft oder consociatio) und mit der konsequenten Entpersonalisierung der Macht auch die Tyrannis, die die von der souveränen Macht abgewichene und korrupte Regierungsform darstellt, in den folgenden und tiefgreifenden Durchsichten und Überarbeitungen des Textes einen analogen Prozess der Entpersonalisierung durchmacht. Das Problem der Tyrannis erscheint also in der endgültigen Redaktion der Politica, um mit Kapitel XIX zu beginnen, als Teil der Reflexion um die Natur und die Reichweite des königlichen Rechts, „die Althusius damit einleitet, dass er das Prinzip darlegt, durch das jedes Recht ratione proprietatis et dominii der politischen Gemeinschaft angehört und präzisiert, dass die königliche Macht ausschließlich in jenen Zuweisungen besteht, die von der politischen Gemeinschaft spezifisch auf den obersten Magistrat ratione usus et administrationis übertragen werden“29. In diesem Zusammenhang, den Althusius in polemischer Wendung gegen William Barclay angeht um dann zu zu den exempla aus der Schrift überzugehen, die die mittelalterliche Tradition in der Diskussion um die Königsmacht, ihre Einrichtung und ihre Grenzen bevorzugt heranzieht, in diesem Zusammenhang also, ist die Tyrannis dann nichts anderes als die Degeneration des königlichen Rechts, das seiner Natur nach notwendigerweise begrenzt und an die Beachtung der Gesetze gebunden ist. In diesem Sinne ist das jus regis, das Gott dem Volk im erste Buch Samuel androht „nichts als die Beschreibung einer tyrannischen Abirrung der Königsmacht“30, eine Degenerierung, die sich dann einstellt, wenn sich „eine absolute Macht des Königs“ abzeichnet, „die von der Beachtung der bürgerlichen Gesetze losgelöst ist“31. 4. Die Anpassung der Kategorie der bodinschen Souveränität, die C. J. Friedrich in der Vergangenheit dazu veranlasst hat, von Althusius als einem „echten Bodinianer“ zu sprechen, ja sogar vom „tiefsten und logischsten Gefolgsmann, den Bodin 28 Vgl. D. Quaglioni, Il pensiero politico dell’assolutismo, in: Il pensiero politico. Idee teorie dottrine II: Età moderna, a cura di A. Andreatta e A. E. Baldini, Turin 1999, S. 99 – 125. 29 L. Bianchin, Politica e scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in: Politeia biblica, a cura di L. Campos Boralevi e D. Quaglioni, Florenz 2003 [„Il pensiero politico 35 (2002), n. 3], S. 409 – 430, hier: S. 412. 30 Ebd., S. 427. 31 Ebd., S. 429. Vgl. A. Weber-Möckl, „Das Recht des Königs, der über euch herrschen soll“. Studien zu 1 Sam 8, 11 – 17. in der Literatur der frühen Neuzeit, Berlin 1986; D. Qauglioni, L‘iniquo diritto. ,Ius regis‘ e ,regimen regis‘ nell’esegesi di I Sam. 8, 11 – 17 e negli ,specula principum‘ del tardo Medioevo, in: Specula principum, a cura di A. De Benedictis, Frankfurt am Main 1999, S. 209 – 242.

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jemals hatte“, mündet in Kapitel XXXVIII der Politica in die Synthese von „einer vollkommenen souveränen Macht und dem Recht, den König abzusetzen, wenn nicht gar zu töten, der zum Tyrann geworden ist, wobei der revolutionäre – oder schlimmer noch: der anarchische – Ausgang vermieden wird“32. Die „Verbindung von absoluter Macht und Tyrannis“ bekommt man am Schluss von Kapitel XXXVIII zu fassen, „wo die Existenz absoluter Macht bestritten und zurückgewiesen wird, die, wenn sie sich überhaupt durchsetzt, im Bereich der Tyrannis verortet wird“33. Die Tyrannis ist für Althusius nichts anderes als das Gegenteil der gerechten und rechten Verwaltung und folglich die Art und Weise, mit der der oberste Magistrat die Grundlagen und die Bindungen der universalen consociatio ständig, hartnäckig, in nicht wieder gut zu machender Weise in Verletzung des ihm entgegengebrachten Vertrauens und des abgeschlossenen Vertrags aufhebt und umstürzt: „Tyrannis igitur est justae et rectae administrationis contraria, qua fundamenta et vincula universalis consociationis obstinate, perseveranter et insanabiliter contra fidem datam et praestitum juramentum, a magistratu summo tolluntur et evertuntur“ (XXXVIII, 1). Diese Formel, mit der Kapitel XXXVIII sogar öffnet, hat etwas von einer umfassenden Definition, die nicht dazu neigt, anzuzeigen, wer ein Tyrann ist, wie es in der mittelalterlichen Tradition üblich war, sondern welches die Voraussetzungen sind, aufgrund derer sich notwendigerweise der Umsturz der Ordnung, ja sogar das Ende der Ordnung ergibt („non minus [ . . . ] quam homo sine anima“), so dass die Tyrannis die consociatio universalis legittima auflöst, indem sie sie ihrer originären Form beraubt und sie gleichsam mit Zügen einer kriminellen Vereinigung versieht („speciem societatis maleficiorum perpetrandorum“), der alle Barmherzigkeit und Gerechtigkeit fremd sind und durch die der Umsturz sowohl des säkularen Staats als auch des Kirchenstaats vollzogen wird (XXXVIII, 2). Die Definition des Tyrannen richtet sich logisch wie auch jene des aktiven Subjekts, egal ob es monarchisch oder polyarchisch ist, an der verbrecherischen Handlung aus, die bewusst begangen wird, um die Grundlagen und rechtlichen Bindungen des politischen Körpers aufzulösen: „Tyrannus igitur est, qui obstinate, violata fide et religione jurisjurandi, vincula et fundamenta consociati corporis Reip[ublicae] convellere et dissolvere incipit“ (XXXVIII, 3). Beide Definitionen, die allgemein angelegt und schlechthin strafrechtlich ausgerichtet sind (wie die zahlreichen angeführten Auslassungen der frühneuzeitlichen Traktatschreiber zum Thema des crimen laesae maiestatis von Gigante bis Farinaccio belegen), öffnen den Weg 32 Calderini, La ,Politica‘ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza (FN 18), S. 153; vgl. C. J. Friedrich, Introductory Remarks, in: Politica Methodice Digesta of Johannes Althusius (Althaus). Reprinted form the Third Edition of 1614. Augmented by the Preface of the First Edition of 1603 and by hitherto unpublished Letters of the Author. With an Introduction by C. J. Friedrich, Cambridge / Mass. 1932, S. LIX. 33 Calderini, La ,Politica‘ di Althusius tra rappresentanza e diritto di resistenza (FN 18), S. 163 f.

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zu einer Reihe von spezifischen Definitionen, die von einem typischen dichotomischen Vorgehen gekennzeichnet sind. Die Tyrannis oder – was dasselbe ist – die tyrannische Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten tritt in zwei Formen auf, die eine modernisierte Fassung der Unterscheidung des Bartolo zwischen Tyrannis ex defectu tituli und Tyrannis ex parte exercitii darstellen: Der erste Typ steht für den Tyrann, der die grundlegenden Gesetze des Reichs gefährdet; der zweite dagegen repräsentiert einen Tyrannen, der die Regeln der Gerechtigkeit in der Regierung des Sozialkörpers auf den Kopf stellt. Die erste Tyrannis tritt dann ein, „quando summus magistratus leges regni fundamentales violat, mutat, tollitve, praesertim illas, quas religionem veram concernunt“, oder wenn der oberste Magistrat den dem Sozialkörper geleisteten Treueid verletzt, und damit die konstitutionellen Funktionen der „ordines et status regni“ einschränkt (XXXVIII, 6 f.). Der zweite Typ unterteilt sich in eine allgemeine Form und eine spezielle Form der Tyrannis: Die erste ist jene, die in allem der consociatio universalis widerspricht, wie es der Fall ist, wenn der oberste Magistrat die Zivil- und Kirchenordnung dadurch in Unordnung bringt, dass er eine absolute Macht ausübt und sich über jede Auflage hinwegsetzt, die ihm öffentlichen Recht gemacht worden ist; die zweite dagegen ist jene, die auf die Güter und Rechte der Privatleute übergreift und die Regeln der Justiz in einzelnen Bereichen der Verwaltung auf den Kopf stellt. Die spezielle Ausrichtung dieser Typologie verleiht dem Diskurs des Althusius einen kasuistischen Zug, der ebenfalls eine modernisierte Fassung des aristotelischen topos der cautelae darstellt, die bereits in der mittelalterlichen Tradition die Funktion eines Index der Unterscheidungsmerkmale der Tyrannis angenommen hat. So besteht diese spezielle Form der Tyrannis darin, dass sie die Untertanen des wahren Kults beraubt und sie zur Idolatrie zwingt; darin, dass sie den Unterricht und die Wissenschaften abschafft oder verkommen lässt, um jegliche Art von Verderben im Volk zu verbreiten; in der Beleidigung der Autorität der laikalen und kirchlichen Würdenträger; in der Rechtsverweigerung im Zulassen von Straffreiheit für kriminelle Organisationen; im Vernachlässigen öffentlicher Pflichten zugunsten eines prunkvollen Lebens und Raub; darin, die Verteidigung des Reichs vor äußerer Bedrohung zu unterlassen; das Gemeinwesen dadurch zu verwirren, dass man die Spaltungen und Fraktionsbildungen unter den Untertanen schürt; dadurch, dass man das Volk durch Kriege im Ausland schwächt; dadurch, dass man den Handel behindert; durch übermäßigen Steuereinzug; durch die Behinderung der freien Meinungsäußerung; in der Förderung jeglicher Freizügigkeit; im Fördern von Privatinteresse zum Schaden des öffentlichen Interesses; im Verprassen des Staatsschatzes; in der Nötigung des Willens der Untertanen dadurch, dass man Widerstand verhindert, unschuldige und führende Persönlichkeiten angreift, Privatbesitz missbraucht, sie ihrer materiellen Werte weitgehend beraubt und sie zu Sklaven macht, um zu verhindern, dass sie „consensu unanimi contra injurias et vim tyranni nihil agere possint“ (XXXVIII, 25). 5. Nachdem er die Art der Tyrannis erschöpfend behandelt hat, geht Althusius dazu über, sich mit den Mitteln gegen sie zu befassen, die im Widerstand und in der

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Entmachtung des Tyrannen bestehen, „solis optimatibus concessa“ (XXXVIII, 28). Dieses jus resistendi, das den Ephoren im Namen des Volks zugewiesen wird, wird mit zehn Argumenten (rationes) begründet, die hergeleitet sind: 1) aus der Natur des Vertrag zwischen Magistrat und Volk, von dem die wechselseitige Verpflichtung ausgeht (eine Verpflichtung, die für den Magistrat absolut ist, während der Gehorsam des Volkes davon abhängig ist, wie der Magistrat die Vorschriften befolgt, „ad juste et pie imperandum, secundum sibi praescirptas leges, utramque nimirum Decalogi tabulam, et leges regni“, XXXVIII, 30); 2) von den Grenzen her, die der dem obersten Magistrat übertragenen Rechtsprechung gesetzt sind, über die hinaus er keinen Gehorsam aufoktroyieren kann; 3) von der vorhergehenden und höheren Verpflichtung her, die das Volk mit Gott vertragsmäßig eingegangen ist; 4) von der vom Volk vorgenommenen Investitur des Rechts und der Macht der Ephoren; 5) von der Art der gegenseitigen Verpflichtung zwischen Magistrat und Volk her, die nicht über die natürliche Verpflichtung zwischen Vater und Söhnen, zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Herrn und Vasall hinausgehen kann; 6) vom Verlust der öffentlichen Machtposition ipso iure und der Degradierung zum Privatmann jenes obersten Magistrats, der sich wie ein Tyrann verhält; 7) von der Mitschuld der Reichsstände und der Optimaten, die ihre Verantwortung nicht von der des Tyrannen abgrenzen; 8) von der Art des Mandatsvertrags zwischen Volk und obersten Magistrat her; 9) vom Recht auf Vergeltung her, wo es unmöglich ist, ein Urteil herbeizuführen; 10) von der Verpflichtung jedes Magistrats her, von unrechten Handlungen abzulassen. Diesen zehn rationes, also streng juristischen Argumenten, fügt Althusius noch zwei weitere hinzu: die Notwendigkeit, die Gesellschaft vor der Zerstörung zu bewahren, die sich zwangsläufig aus der Einrichtung einer Tyrannis ergibt, und die Beispiele, die der sakralen und profanen Geschichte entnommen sind, angefangen bei der berühmten Schriftstelle (I Samuel 8, 11 – 17), die in der theologisch-politischen Literatur ausführlich zitiert wird, in der Gott selbst die autokratische Macht des Königs als ungerecht verurteilt.34 Das Kapitel über die Tyrannis wandelt sich so zu einem Traktat über das Widerstandsrecht und über die Requisiten und Grenzen seiner Ausübung von Seiten der Ephoren oder Optimaten, vor allem im Verhältnis zur Verpflichtung, im Falle einer „tyrannus exercitio“ jedes andere mögliche Mittel zu nutzen (XXXVIII, 56). Während man nämlich einem tyrannus absque titulo von privater Seite her Widerstand entgegenbringen kann und muss („etiam privata autoritate sine alterius jussu, omnes et singuli patriae amantes optimates et privati resistere et possunt et debent“), ist es den Untertanen nicht erlaubt, sich gegen den obersten Magistrat, der seine Macht missbraucht hat, zu stellen, bevor die Optimaten ein Urteil gefällt oder eine entsprechende Initiative ergriffen haben („privata sua auctoritate contra summum suum magistratum nihil facient“), (XXXVIII, 62 f.). Es ist schließlich daran zu erinnern, dass Althusius im Kapitel über die Tyrannis theoretische Ausführungen zum Nachfolgerecht hinsichtlich „Teilen eines Reichs“ 34

Vgl. immer noch Bianchin, Politica e scrittura in Althusius (FN 29), S. 421 – 429.

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als einem der Fälle rechtmäßigen Widerstands macht. Er legt hier die Modalitäten der Initiative der Ephoren dar und schreibt: „Potest etiam ex optimatibus unus, vel pars una regni, peculiarem regem, aut novam reipublicae formam sibi deligere, derelicto reliquo corpore, cui adhaerebat, quando vel istius partis totius publica manifestaque salus id omnino suadet, vel leges patriae fundamentales a magistratu non observantur, sed obstinate violantur et insanabiliter, vel verus Dei cultus jussusque patefactus, id fieri diserte praecipit et postulat. Et tum haec pars statum suum et formam novam ejusmodi adversus reliquas ejusdem regni partes, a quibus descivit, defendere vi et armis potest“ (XXXVIII, 76). Unter diesen Bedingungen also ist es im Falle einer Tyrannis und in Verbindung mit der mutua obligatio zulässig, „dass auch einer der Optimaten (Ephoren) allein oder ein Teil des Reichs den Staatskörper verlässt, dem sie bis dahin angehört haben, und einen andere Souverän anerkennt oder sich eine neue Form von „Staat“ wählt“35. Dank Althusius, der in der wichtigsten Erweiterung der Politica, in eben jener des Kapitels XXXVIII, wie gesagt ein Jahrhundert der Diskussionen zusammenfasst und „modernisiert“, erlangt „la pensée politique protestante sur la tyrannie et sur le tyrannicide . . . le plus haut degré tant par la qualité herméneutique de l’analyse que par la systématisation achevée de sa doctrine“36.

35 C. Malandrino, Il Syndikat di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, in: Il Pensiero politico 28 (1995), S. 359 – 381, hier 80 f. mit Anm. 71 mit der berechtigten Korrektur eines interpretativen Versäumnisses von H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des J. Althusius in Emden, Aurich 1955, S. 189, der „oberflächlich auf die sezessionistischen Absichten in der politischen Strategie des Althusius eingeht, sie aber nicht mit dem theoretischen Problem des Föderalismus in Verbindung bringt“. 36 M. Turchetti, Tyrannie et tyrannicide de l’Antiquité a nos jours, Paris 2001, S. 563.

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Universitas (Losaeus) 1. Man kann mit gutem Recht wie Thomas Hueglin1 feststellen, dass der Begriff universitas den zentralen Schlüssel zum politischen System des Althusius darstellt. Mehr noch: Wie Pietro Costa gesagt hat, bildet er die Grundlage der Macht, auch der höchsten Macht2. Beide Bemerkungen finden sich meines Erachtens in der Definition zusammengefasst, die Althusius vom Staat als einer Gemeinschaft von Gemeinschaften gibt3. Im knappen Rahmen dieses Beitrags stellt der Begriff universitas schließlich in der inneren Entwicklung der Politica Methodice Digesta ein zentrales Glied dar: den Übergang von der privaten zur öffentlichen Sphäre. Diese strategische Rolle des Begriffs universitas ist zum Teil mit jener überaus großen Bedeutung verbunden, die dem Bild und der Rolle der lokalen Gemeinschaften im sozialen, juristischen und politischen Ensemble des 16. Jahrhunderts zukam. Mehr noch: Der Augenblick, in dem Althusius sein Werk redigiert, kann als der Moment angesehen werden, in dem sich das juristische und politische Profil der universitas innerhalb eines allgemeineren Konflikts zwischen Souveränität und Jurisdiktion herauskristallisiert, zwischen Gemeinderecht und fürstlichem Absolutismus, zwischen Welt des Handelns und Welt der Macht4. Auch aus diesem Grund kann wahrscheinlich das Bild der universitas, das die Politica beherrscht, nicht als Begriffsgerüst gelesen werden, das an den Begriff „Gemeinschaft“ gebunden ist, der in den Sozial- und Rechtswissenschaften des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde5. Dieser Unterschied ist im Übrigen von den historischen Studien der letzten 1 Vgl. T. O. Hueglin, Early Modern concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo / Ontario 1999, Kap. 7, S. 85 – 108. – Bei der Abfassung dieses Texts habe ich die Meinung zahlreicher Freunde eingeholt, denen ich hier danken möchte: Simona Cerutti, Marco Geuna, Francesco Ingravalle, Corrado Malandrino und Carlo Montanari haben mir ihr Wissen großzügig zur Verfügung gestellt, und ich hoffe, dass ich den Sinn ihrer Lektüreempfehlungen nicht missverstanden habe. 2 Vgl. P. Costa, Civitas. Storia della cittadinanza in Europa. 1. Dalla civiltà comunale al Settecento, Rom-Bari 1999, Kap. 2, § 5, S. 88 – 97. Er spricht von einem „ordnenden Prinzip“ (S. 90 f.). 3 Ebd., S. 93 und öfter. 4 Für eine jüngere Übersicht über das Problem vgl. P. Blickle (Hrsg.), Resistance, Representation, and Community, Oxford (Clarendon Press) 1997. 5 Zur universitas als entschieden territorial bestimmter Gemeinschaft besonders J. W. Burrows, A Liberal Descent. Victorian Historians and the English Past, Cambridge 1981 und S. Collini / D. Winch / J. W. Burrows, That Noble Science of Politics, Cambridge 1983;

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dreißig Jahre bestätigt worden, die unser Bild der Gemeinschaften des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit so tiefgreifend verändert haben, dass sie dem politischen Diskurs des Althusius eine Aktualität verliehen haben, die bis vor kurzem noch undenkbar war6. Aus all diesen Gründen muss eine knappe Betrachtung zur Bedeutung des Begriffs universitas von einer möglichst umfassenden Untersuchung des Bedeutungsspektrums ihren Ausgang nehmen, über das der Begriff zur Zeit des Althusius verfügte. In einem zweiten Schritt wird es nötig sein, den Gebrauch zu untersuchen, den Althusius von ihm in den verschiedenen Versionen seiner Arbeit macht. Auf diese Weise wird ein spezifisches Verständnis zum Vorschein kommen, das einer speziellen und leicht auszumachenden Quelle zugeschrieben werden kann. Das Verhältnis, das Althusius mit einer präzisen begrifflichen Instrumentalisierung in einem bestimmten Moment einführt, wird es erlauben, die Motive und die praktisch-politische Bedeutung der Politik des Althusius zu hinterfragen. 2. Der Begriff universitas hat zweifelsohne juristische – zivile wie kanonistische – Wurzeln7, das heißt er bezeichnet die juristische Stellung und die Position von Rechten, von Machtbefugnissen und von Verpflichtungen einer Gruppe von Personen. Deshalb hat er sowohl für die Gruppen Bedeutung, die auf Grundlage eines gemeinsamen Ziels, einer gemeinsamen Berufung oder Affinität bestimmt werden (Berufsgenossenschaften, territoriale Körperschaften), als auch für das Kollegium, das an den Klerikerstatus gebunden ist. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auch Bedeutungen des Begriffs gibt – und vor allem zur Zeit der Abfassung der Politica Bedeutungen gab –, die die Begriffe weit von dem Problem entfernten: Ich beziehe mich hier besonders auf die verschiedenen Formen von rituellen Gemeinschaften, die die historischen Forschungen des vergangenen halben Jahrhunderts bis in die kleinsten Einzelheiten in den Gesellschaften des ancien régime aufgespürt haben8. Es handelt sich um Gemeinschaften, die das Ziel haben, E. Grendi, Charles Phythian-Adams e la ,local history‘ inglese, in: Quaderni storici 89 (1995), S. 559 – 578. Vgl. jetzt F. Tönnies, Community and Civil Society, hrsg. v. J. Haris, Cambridge 2001. 6 Vgl. D. W. Sabean, Power in the Blood, Cambridge 1984; G. Politi, Gli statuti impossibili, Turin 1993; E. Grendi, Il Cervo e la Repubblica, Turin 1993 und O. Raggio, Faida e parentele. Lo stato Genovese visto dalla Fontanabuona, Turin 1990 als Beispiele für eine nichtfunktionalistische Untersuchung der lokalen Kommunen. 7 Vgl. J. Najemy, Stato, commune e ,universitas‘, in: Annali dell’Istituto storico Italo-Germanico in Trento 20 (1994), S. 245 – 263. D. Quaglioni, La sovranità, Bari / Rom 2004 und ders., ,Universi consentire non possunt‘. La punibilità dei corpi nella dottrina del diritto commune, in: C. Nubola / A. Würgler (Hrsg.), Suppliche e gravamina: politica, amminstrazione, giustizia in Europa (secc. XIV – XVIII), Bologna 2002, S. 409 – 426. Für die kirchliche Herkunft des Gemeinschaftsbegriffs vgl. P. Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le Moyen Âge Latin, Paris 1970 und jetzt Y. Thomas, L’extrême et l’ordinaire. Remarques sur le cas médiéval de la communauté dosèarie, in: J. J.-C. Passeron / J. Revel (Hrsg.), Penser par cas, Paris 2005, S. 45 – 73. Zu den Körperschaften vgl. A. Black, Guilds and Civil Society. European Political Thought from the Twelfth Century to the Present, London 1984.

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über zeremonielle Funktionen Solidarität zwischen den eigenen Mitgliedern herzustellen: Aus diesem Blickwinkel stellen sie, wie berühmte Untersuchungen über Städte der Renaissance gezeigt haben, „bürgerliche“ Rituale her, um die herum sich die Teilhabe an der Gemeinschaft modelliert9. Aus diesem Grund hat man im Zusammenhang mit Studienfällen zu Florenz von Lernfunktionen hinsichtlich der Regierungen gesprochen, die die rituellen Gemeinschaften übernommen hätten10. In unterschiedlichem Maß und in unterschiedlicher Intensität zeigen diese dann die Fähigkeit, einen Raum juristisch zu konnotieren. Ich meine damit nicht nur, dass viele dieser rituellen Gemeinschaften in ihrem Innern arbiträre Aufgaben haben, sondern auch und vor allem, dass sie in vielen Fällen eine topografische Beschaffenheit haben11, das heißt dazu tendieren, exklusive soziale wie territoriale Bereiche schaffen. Neben diesen klassischen Formen sind andere rituelle Gemeinschaften aufgetaucht, die vor allem aus der Tradition von Gemeinschaften hervorgegangen sind, die an die Nächstenliebe gebunden sind (confratria)12, die als Mittel der symbolischen Schöpfung der Bürgerschaft und der Örtlichkeit angesehen werden können, die weit von dem Gesichtspunkt der „Laienreligiosität“ entfernt sind, unter dem sie gewöhnlich zusammengefasst werden13. Es ist vielmehr die wachsende Anerkennung des prärogativen Charakters der rituellen Handlung (z. B. die Schaffung eines Präzedenzfalls) von Seiten der Historiker, die die öffentliche und jurisdiktionelle Funktion eines Gutteils des zeremoniellen Lebens des Ancien Régime ausgemacht hat. Diese Tradition ist Althusius sehr wohl präsent, der in der Politica (Ausgabe von 1614) mit Enthusiasmus der Auffassung ist, dass die rituellen politischen Praktiken der Welt der collegia legitim sind, und der sich ihren typischen Ausdrucksformen gegenüber, die an die Tischgenossenschaft gebunden sind, positiv eingestellt zeigt: „Benevolentia mutua & reciproca est affectus & charitas [ . . . ] 8 Über die „konstitutionelle“ Rolle der Rituale vgl. F. Cosandey / R. Descimon, L’absolutisme en France. Histoire et historiographie, Paris 2002, bes. S. 75 – 82. 9 R. C. Trexler, Public Life in Renaissances Florence, New York 1980 bleibt bis auf Weiteres das Modell für derartige Studien; vgl. aber auch E. Muir, Civic Ritual in Renaissances Venice, Priceton 1981 und ders., Ritual in Early Modern Europe, Cambridge 1997. 10 Vgl. R. Weissman, Ritual Brotherhood in Renaissance Florence, New York 1980. 11 Vgl. E. Grendi, Le societates juvenum e il cerimoniale, in: ders., In altri termini. Etnografia e storia di una società di antico regime, hrsg. v. O. Raggio / A. Torre, Mailand 2004, S. 111 – 132. Über das Verhältnis von Bruderschaften zum Recht vgl. M. Momblli Castracana, Ricerche sulla natura giuridica delle confraternite laicali nell’età della Controriforma, in: Rivista di storia del diritto italiano 55 (1982), S. 43 – 116. 12 Vgl. A. Torre, Faith’s boundaries: Ritual and Territory in Rural Piedmont in the Early Modern Period, in: N. Terpstra (Hrsg.): The Politics of Ritual Kinship. Confraternities and Social Order in Early Modern Italy, Cambridge 1999, S. 243 – 261. Zum Verhältnis von Bürgerschaft und christlicher Caritas in den Vereinigten Provinzen sind viele Daten zu den „Heilige Geestmeesters“ vorgelegt worden, auch wenn ihr Ritual nicht untersucht worden ist, in: C. H. Parker, The Reformation of Community. Social Welfare and Calvinist Charity, Cambridge 1998, S. 49, 51 – 55, 57, 77 – 81, 91, 93, 95 f. 13 Dies fehlt auch bei Costa, Civitas (FN 2). Vgl. A. Torre, Consumo di devozioni. Religione e comunità nell’Ancien Régime, Venedig 1995.

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conviviis, convictu, et agapis publicis alitur, fovetur et conservatur“ (IV, 23 u. 13)14. Es handelt sich um eine heute auch aufgrund der von der posttridentinischen Kirche gegen sie vorgenommenen repressiven Maßnahmen missverstandene Praxis. Die Gegenwart dieser dynamischen und transformativen Bedeutung der Bürgerschaft im Text des Althusius ist nicht als eine einfache Bestätigung seiner Neigung zu verstehen, das politische System von unten nach oben zu lesen (oder eher ausführlich und sorgfältig). Eher scheinen sich seine Grundlagen entlang einer aufsteigenden Strecke anzusiedeln, worauf Costa hinweist, sie sind aber Ausdruck einer Legitimität, die sich in den Randgruppen des sozialen Lebens entwickelt und reproduziert und die in der rituellen Handlung eine unabdingbar Unterstützung und seine Besiegelung findet. Ich will damit betonen, dass Althusius‘ Behandlung der Formen der Sozialität nicht als eine bloße Anhänglichkeit gegenüber einem verbreiteten und allgemein anerkannten rhetorischen System aristotelischer Prägung angesehen wird, sondern als eine bewusste (und ich würde sagen: kontextuelle) Reflexion über die politischen Verfahren seiner Zeit. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet kann man verstehen, warum die polemische Wendung von Althusius gegen (den durch Petrus Gregorius vermittelten) Bodin eben genau die totale Heterogenität der Ebenen betrifft, auf denen Familie und Staat legitimiert werden. Für Bodin finden sich Familie und Staat bekannterweise auf grundsätzlich verschiedenen Ebenen legitimiert15. Der Staat ist eine gerechte Regierung vielfältiger Familien und von dem, was sie gemein haben, und er ist mit souveräner Macht versehen. Die Familie dagegen ist eine gerechte Regierung von vielfältigen Subjekten, denen der Gehorsam gegenüber einem Familienoberhaupt und dem, was ihm eigen ist, auferlegt ist. Der Unterschied besteht also darin, dass die Familienoberhäupter die Herrschaft darüber haben, was ihnen eigen ist (über ihr Eigentum). Das heißt, dass der Familienkreis ganz und vollkommen im privaten Kreis enthalten ist (trotz der Existenz gemeinsamer Beiträge). Und auf jeden Fall ist sie der Souveränität untergeordnet: „Jede Körperschaft oder jedes Kollegium bezeichnet ein legitimes Gemeinschaftsrecht, das der souveränen Macht untersteht“16. Die Legitimität ist durch das gemeinsame Anerkennen des Unterschieds in der hierarchischen Stellung zwischen den verschiedenen Körpern gege14 Vgl. auch die von F. S. Carney besorgte englische Übersetzung, Indianapolis 1995, S. 37. Dass es sich nicht um Erscheinungen handelt, die auf das Zusammenleben von Berufsgenossenschaften begrenzt sind, wird besonders dadurch nahegelegt, dass die Region Ostfriesland, in der Althusius zur Zeit der Abfassung de Politica wirkt, im Mittelalter Einrichtungen territorialer Repräsentanz kannte, die vom Rückgriff auf wichtige Rituale der Tischgemeinschaft bestimmt waren, die an den Pfingstkreis gebunden sind. Vgl. http: // www. biermannfamilyhistory.com/Webpages/osthistessays.htm: A history of Ostfriesland by Bernd Oldewurtel, S. 1. 15 J. Bodin, I sei libri dello Stato, a cura di M. Isnardi Parente, Torino (UTET) 1997, Bd. I., Buch I, cap. II, S. 11. 16 Ebd., Bd. II, 1988, S. 251.

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ben, von denen allerdings bei Bodin zumindest die Spitzenposition erkannt und anerkannt wird. Bei Althusius dagegen ist die universitas der Angelpunkt des politischen Systems: „Politica consociatio per excellentiam.“ Aber dieses System besteht nicht aus einer Gemeinschaft von Individuen, sondern aus einer Gemeinschaft von Körpern, die miteinander über Begriffe der Konföderation und der Freundschaft, die von unten nach oben verlaufen, in Verbindung stehen: von der ersten Gemeinschaft, die von den Eheleuten gestellt wird, deren Kontrolle dem Ehemann obliegt, über den Körper der Verwandten bis hin zu dem der Kollegien (berufliche oder religiöse). Dennoch stellt für Althusius die unversitas eine Unterbrechung in dieser graduellen Aufnahme der öffentlichen Wertigkeiten der menschlichen Lebensgemeinschaften dar: „Societas humana certis gradibus ac progressionibus minorum societatum a privatis ad publicas societates pervenit“17. Das Bewusstsein für den transformativen Charakter des Rituals (die Befähigung, ein Phänomen vom privaten in den öffentlichen Bereich zu übertragen), ist möglicherweise ein Schlüssel zur Lektüre des Zugangs von Althusius zur Politik jenseits der literarischen Tradition, im Umkreis derer wir ihn ansiedeln können. 3. Die Bedeutung des Begriffs unviersitas erlebt in den verschiedenen Ausgaben der Politica erhebliche Veränderungen, von denen jede eine spezielle Untersuchung verdient. In der ersten Ausgabe des Traktats wird die universitas als eine Form der privaten und öffentlichen Lebensgemeinschaft definiert, die das Ziel hat, ein politeuma zustande zu bringen, das heißt ein Recht auf gemeinsame Nutzung von nützlichen und notwendigen Ressourcen. Diese universitates werden von den Bürgern gebildet (vergemeinschaftet?), die sich als „Teilhaber“ (socii) mit dem Ziel darstellen, die Lebensgemeinschaft selbst möglich zu machen. Diese Funktion wird von Althusius als „politische Funktion schlechthin“ bestimmt. Sie ist politisch, weil die universitas sich als eine „collectio“ niederer Körper darstellt (die umso niedriger sind, desto weiter die Lebensgemeinschaft ist): Ehegemeinschaften, Verwandtschaftsverbände, öffentliche und private Körperschaften wie „Kollegien“, all jene Zusammenschlüsse, in denen der Wille zum Teilen von gemeinsamen Interessen zum Ausdruck kommt: typischerweise jene beruflichen Zusammenschlüsse, aber auch andere wie nicht zuletzt jene territorialen und karitativen. Der Primat des assoziativen Aspekts schließt nicht eine Teilung aus, die die universitas im Hinblick auf die Rechte ihrer Mitglieder durchzieht. Diese können vollberechtigte Bürger sein („plene et proprie“) oder nur teilweise berechtigte Bürger („improprie“), je nachdem sie alle oder nur einen Teil der Vorteile und Rechte der Mitgliedschaft in einer territorial begründeten Gemeinschaft haben. Zur ersten Kategorie zählen die Individuen, die aus dem entsprechenden Ort stammen oder 17 Es handelt sich um die Präambel, die er in der Ausgabe von 1614 Kapitel V voranstellt, S. 59.

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jene Eingewanderten, die den Zuspruch der Mitbürger genießen und von diesen durch Zustimmung als Mitbürger anerkannt werden18. Der Wohnsitz ist die ausdrückliche Voraussetzung dafür, dass sie akzeptiert werden. Ausgeschlossen sind dagegen all diejenigen, die von außen kommen und nur auf Zeit in einem bestimmten Ort wohnen und prinzipiell all diejenigen, die der Handel in den Ort führt, die in den Gasthöfen leben, aber vom Marktort profitieren und von dem Gesetz, das an ihrem zeitlich begrenzten Wohnort gilt, dem sie Teile ihres Reichtums zuwenden. Je nach ihrer jeweiligen Herkunft wird ihnen eine unterschiedliche Behandlung zuteil: Sie sind zum Beispiel konföderiert, wie alle jene, die aus Orten stammen, mit denen Verträge auf Gegenseitigkeit bestehen (eine Konföderation, das heißt eine Art „Freundschaft“ kommerzieller Art) mit der universitas unter zeitlich befristetem Wohnsitz. Es gibt verschiedene Typen der universitas: „vicus, oppidum, urbs, metropolis, provincia“ in aufsteigendem Sinne, wie es für die politischen Abhandlungen des 16. Jahrhunderts typisch ist. Jede von ihnen wird im Hinblick auf ihre Struktur (Bauten) und ihre Regierung kurz beschrieben, worauf wir im Folgenden eingehen werden. In den nachfolgenden Ausgaben des Traktats bleibt das Bild von einer aus einer Vielzahl von kleineren Lebensgemeinschaften zusammengesetzten Lebensgemeinschaft erhalten, es erlebt aber einige bezeichnende Veränderungen, die auf eine generelle Entwicklung im Denken von Althusius zurückgeführt worden sind19. Man hat zum Beispiel den kommunikativen Aspekt der universitas betont, der die juristischen Grundlagen selbst verändert: Die universitas erweist sich jetzt als ein Produkt eines jus symbioticum publicum, aber man erkennt ihren partikulären Charakter, mit anderen Worten: ihre Begrenzung auf bestimmte und definierte Orte (V, 7). Man bemüht sich vor allem darum, die Legitimität nachzuweisen und man erkennt sie in einer spezifischen Charakteristik: die universitas ist eine Lebensgemeinschaft, die vom Völkerrecht zugestanden und gebilligt wird. Trotzdem kommen ihre Stärke und ihre Legitimität durch eine spezielle Form zum Ausdruck: die universitas, eine Lebensgemeinschaft von Körperschaften (vom Ehepaar bis zur Korporation) erweist sich als fähig, die einzelnen Glieder in dem Augenblick und in dem Maße, in dem sie rechtmäßig zusammengeschlossen wird, zu repräsentieren. Eine Form verleiht also die Kraft einer (kollektiven) Person20 einem Körper, 18 Diese Aspekte macht Costa, Civitas (FN 2), S. 93 aus. Über die Staatsbürgerschaft vgl. S. Cerutti, Giustiza sommaria, Mailand 2003 und R. Descimon, Qui étaient les Seize? Mythes et réalités de la Ligue parisienne (1584 – 1594), Fédération des Sociétés Historiques et Archéologiques de Paris et de l’Ile de France, Paris 1983. 19 M. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis. Der Weg des Johannes Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: E. Bonfatti / G. Duso / M. Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 211 – 249. 20 Der Gebrauch von persona erscheint bei Althusius fest umrissen: Er stellt nämlich fest (V, 9), dass die universitas wie jede Gemeinschaft als „persona“ definiert wird, diese als

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der, wie Althusius bemerkt, sonst das Risiko eingeht, auf eine „turba, coetus, multitudo, congregatio, populus, gens“ (V, 4) reduziert zu werden. Das Konzept wird später weiter verstärkt, wenn Althusius feststellt, dass die „Glieder“ der universitas natürlich die verschiedenen privaten Lebensgemeinschaften sind, die in einem bestimmten Licht gesehen werden, das die Natur ihrer einzelnen Bestandteile transformiert. Die universitas setzt sich nicht aus „conjuges, cognati, collegaeve“ zusammen, sondern aus „cives“, die dem territorialen Körper Kohärenz verleihen, mit einer Konvergenz von Absichten, die die verschiedenen zugehörigen privaten Körper und die des Lebens untereinander in Kommunikation bringt und ein „jus symbioticum“ entstehen lässt. Extrem zugespitzt könnte man also sagen, dass man von einer interkorporativen Form des lokalen Zusammenlebens zu einer legitimen und freiwilligen Form der Kommunikation des Rechts auf Zusammenleben übergeht. Dies ist eine nicht unbedeutende Variante, von der die kurzen Überlegungen im Folgenden versuchen sollen, Ursprung und Sinn zu verstehen. Die Tendenz, über den politischen den juristischen Charakter der universitas und ihre Verknüpfungen zu verstehen, stellt eine wichtige semantische Verschiebung dar, die eine genaue Untersuchung erfordert. Bekanntlich, und wie Scattola jüngst überzeugend dargelegt hat, ändern sich das Aussehen und die Substanz der Argumentation von Althusius in der zweiten Ausgabe von 1610. Das findet seine Bestätigung, wenn man den Begriff universitas untersucht: denn von der zweiten Ausgabe der Politica an ist die universitas nicht darauf beschränkt, eine von der – und sei es mit Wohlwollen versehenen – Nachbarschaft auferlegte Konföderation von Körpern zu sein; sie erlangt vielmehr eine juristische und politische Existenz. Ein summarischer Blick auf den Text macht deutlich, dass er verändert ist und dass die Hinzufügungen alles andere als ornamental sind oder der Erhöhung des Umfangs wegen angefügt wurden. Das Bild, in dem die universitas erscheint, ist sozusagen radikal anders und hat ein Bewusstsein für ihre Eigentümlichkeit erlangt, die von der Behandlung der Lebensgemeinschaften von Eheleuten und Verwandten bis zu der der Lebensgemeinschaften von Körperschaften von Kollegen und von Universitäten deutlich zum Ausdruck kommt. Am ersten von diesen Gelenkpunkten, die von der Welt der Verwandten zur Welt der „collegia“ herüberführen, verliert sich Althusius bekannterweise in theoretischen Ausführungen über die Selbständigkeit der eigenen Personalität aber nur dann zu verstehen ist, wenn es sich um eine legitime Einberufung oder Versammlung handelt. Die Quelle davon ist Losaeus; zu ihm ausführlich unten. Vgl. Q. Skinner, Visions of Politics, Bd. II., Renaissance Virtues, Cambridge 2002, Kap. 14, From the State of Princes to the Person of the State. Skinner spricht von dem juristischen Gebrauch des Personenbegriffs in der monarchomachischen Tradition und von einer relativen Unfähigkeit, neben der Person des korporierten Körpers des Volks den unpersönlichen Körper des Staates auszumachen, wie es dagegen später bei Hobbes erfolgt. Ich danke M. Genua dafür, mich auf die Bedeutung dieses Texts aufmerksam gemacht zu haben.

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Methode und den eigenen Gegenstand. Er sagt (III, 41) nämlich, dass die Ehegemeinschaft und die Gemeinschaft der Verwandten nicht im traditionellen Sinne einer „Ökonomik“ zu verstehen sind, sondern mit vollem Recht dem eigentlichen Bereich der Politik zuzuordnen ist; er ist der Meinung, dass ohne diese Integration das Verständnis jeder Art von Lebensgemeinschaft verstümmelt und unvollständig erscheinen würde, weil auch die Gemeinschaften von Eheleuten und Verwandten wie jeder Lebensgemeinschaft „symbiotica et generalis“, also von der Tatsache bestimmt sind, dass sie die „communicatio“ von Dingen, Werken, Rechten und Ratschlägen in sich schließen. Es ist nicht so, dass es eine ökonomische Behandlung der Familie und der Verwandtschaft nicht geben könnte. Aber hier (in der Politica) handelt es sich um anderes, und das heißt: um die Kommunikation und das Übertragen von Dingen etc.21. Deshalb ist jeder Verbund öffentlich, das heißt, er kann den Gegenstand für jede Betrachtung des Politischen abgeben, „unde sequitur, privatam consociationem recte quoque ad Politicam referri“ (III, 41). Daraus ergibt sich eine Untersuchung der universitas, die von der der ersten Ausgabe grundlegend verschieden ist: Sie wird als eine Lebensgemeinschaft von vielfältigen privaten Lebensgemeinschaften verstanden, es handelt sich aber nicht um eine einfache Summierung und auch nicht um einen einfachen Zusammenschluss aufgrund von Nähe oder Affinitäten. Es geht vielmehr um eine andere Art von Kommunikation, die dieselben Personen einbezieht, sie aber in einem speziellen und spezifischen Licht betrachtet, dem des Gegenstands des Traktats selbst, der Politik. „Membra universitatis sunt privatae, diversaeque consociationes conjugum, familiarum, et collegiorum, non singuli cujusque consociationis privatae, qui hic non conjuges, cognati, collegaeve [ . . . ] sed cives ejusdem universitatis sunt, à coeundo, ideo, quod ex private simbiotica transeuntes, coeunt in unum corpus universitatis“ (V, 10). Genau besehen ist die Definition von universitas selbst verändert und von einem einfachen Zusammenschluss von sozialen (politischen) Körpern zu einer „consociatio . . . certis legibus facta“ (V, 8) geworden22. Besser noch: Die universitas ist kein Zusammenschluss, sondern eine spezifische Lebensgemeinschaft, der eine vollkommen von Rechtmäßigkeit erfüllte Form zugesprochen wird. Das Zeichen für die entscheidende Bedeutung des juristischen Aspekts, der in der Ausgabe von 1603 noch nicht vorhanden war, findet seine Bestätigung, wenn man die Quellen desselben Kapitels der neuen Ausgabe in Betracht zieht. In der ersten Ausgabe der Politica ist die Originalität der Definition im ausdrücklichen Gegensatz zu Bodin greifbar, der durch Petrus Gregorius vermittelt ist. Aber wenn man auf die Quellen achtet, aus denen Althusius schöpft, dann stellt 21 Hueglin ist in diesem Zusammenhang sehr klar, vgl. Early Modern Concepts (FN 1), Kap. 7. 22 Vgl. M. Scattola, Von der maiestas zur symbiosis (FN 19), S. 219, Anm. 18, wo er bemerkt, dass die „consociationes simplices“ in der Ausgabe von 1610 aus dem Rahmen der öffentlichen Angelegenheiten herausfallen.

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man fest, wie sein Bezugspunkt neben den beiden französischen Juristen (und letzterer mehr als ersterer) vor allem der Text der Bibel ist. Kapitel V, das der universitas gewidmet ist, weist 10 Zitate aus Gregorius und vier aus Bodin auf, wohingegen sich die Bibelzitate auf 146 belaufen. Es handelt sich um ein Korpus von Kenntnissen, das Althusius natürlich nicht verloren gehen lässt, dessen spezifisches Gewicht allerdings variiert. Wie viele Kommentatoren bereits hervorgehoben haben, ergibt sich die Distanz zwischen 1603 und 1610 – 1614 aus der Lektüre und dem häufigen Zitieren aus einem Werk, dem Tractatus de iure universitatum23 des piemonteser Juristen Nicolò Losa, der unter dem Namen Losaeus bekannter ist (in vielen angelsächsischen Bibliografien Lossaeus). Die Lektüre des Werks ist im bibliografischen Apparat und den Anmerkungen der Ausgabe von 1610 leicht nachweisbar, und es ist überraschend, dass sich niemand bisher die Mühe gemacht hat, zu untersuchen, worin der Beitrag dieses Autors wirklich bestanden hat. Es ist also nötig, in dem dieser Untersuchung gesetzten knappen Rahmen zu untersuchen, worin Methode, Ziel und Ergebnisse des piemonteser Juristen eigentlich bestehen und dann zu verstehen, welchen Gebrauch Althusius von alledem macht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, wie systematisch aber begrenzt der Gebrauch dieses Autors ist: Die Bezugnahme auf Losaeus konzentriert sich nämlich auf wenige Kapitel, jene, die der Definition und Klassifikation der Formen von Lebensgemeinschafen (Verwandte, Kollegien, Universitäten, Städte) gewidmet sind, den Formen der Verwaltung und der Regierung (besonders der Interferenz von privilegierten Strukturen mit den Formen der Verwaltung und der Regierung). Bereits diese Anzahl der Rückgriffe auf Losaeus lässt auf einen selektiven Gebrauch schließen. Die spezifischen Inhalte der Bezüge machen dann deutlich, dass Losaeus Althusius dazu dient, einen bestimmten Sachverhalt zu stützen: grundsätzlich die Tatsache, dass die universitates Körper sind, die mit einer juristischen Legitimation versehen sind. Wenn man von diesem Gesichtspunkt ausgeht, kann man sehen, wie Althusius und Losaeus denselben Weg zurücklegen, aber in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Begriffsarsenalen: Für letzteren handelt es sich darum, eine Gemeinschaft als legitime Gesprächspartnerin mit einem Fürsten zu erfinden und zu schaffen, während es für ersteren darum geht, sich einen neuen politischen Protagonisten auszudenken, der sich in einem neuartigen Kontext bewegen muss. 4. Das von Althusius benutzte Buch von Losaeus ist in fünf Teile unterteilt: Ein erster Teil ist „Quid sit universitas“ überschrieben und geht von der Suche nach 23 N. Losaeus, Tractatus de iure universitatum omnibus legum studiosis & in foro & in scholis versantibus maxime utilis, ac necessarius, Augustae Taurinorum, Apud Pantaleone Goffis et Laurentium Vallinum, 1601. Mehr als 11 Zitate ab der zweiten Ausgabe der Politica belegen die Bedeutung dieses Werks für Althusius.

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einer Definition aus, die es erlaubt, alle Arten von universitates und Modalitäten der Verwaltung in Übereinstimmung mit einer konsolidierten juristischen Tradition zu analysieren; nach und nach werden die gerichtlichen und außergerichtlichen (Geschäfte und Verträge) der Universitäten untersucht; ein vierter Teil ist den Vergehen der Universitäten gewidmet; schließlich befasst sich ein letzter Abschnitt mit den Nachfolgeregelungen in ihnen und beschließt den Traktat. Das Buch von Losaeus steht explizit in der Tradition des Stadtrechts, von dem es eine Version zu vermitteln scheint, die der des Bartolo da Sassoferrato sehr nahe steht, denn sie macht den voluntaristischen Aspekt der civitas zum Dreh- und Angelpunkt des politischen und juristischen Systems. Auf jeden Fall bedient sich Losaeus einer entschieden technisch-juristischer Methode und auf einer entsprechenden argumentativen Ebene. Das zeigt sich besonders an der Definition der universitas, deren Bedeutung Althusius nicht entgangen ist. Den Ausgangspunkt für Losaeus bilden die Definitionen von universitas im Wissensbereich des Stadtrechts. In seiner Tradition ist die universitas eine „corporum collectio, inter se distantium, uno nomine specialiter eis deputato“. Ein Hang zum Didaktischen veranlasst Losaeus dazu, jeden einzelnen Bestandteil der Definition genau zu untersuchen. Die Kenntnis der Entfernung würde so dazu dienen, die Pluralität der in der universitas enthaltenen Körper zu ermitteln (die universitas ist ein Behälter, „ut est in armario“, ein Begriff, der auf eine Pluralität von Körpern verweist). Von hier gelangt Losaeus dahin, nachdrücklich zu betonen, dass der Kollektivbegriff universitas ein Abstraktum ist („nomen generalissimum“), das man auch auf Entitäten anwenden kann, die nicht über Vernunftbegabung verfügten (Bsp. Herde), aber auch auf Entitäten, die mit Vernunft begabt sind (Volk, Kollegium, Gesellschaft). Der Hinweis auf die abstrakte Natur der universitas hat das Ziel (oder zumindest den Vorteil), die Beschaffenheit lokaler Gemeinschaften herauszustellen. Nach Losaeus sagen die Gelehrten, dass die universitas die Gesamtheit der Menschen einer Siedlung darstellt, womit sie nicht nur sagen wollen, dass sich die Gesamtheit nicht von ihren (echten) Teilen unterscheidet, sondern dass im Begriff universitas die einzelnen Glieder „collective sumpti“ sind. Unabhängig voneinander und jedes für sich genommen bilden sie nicht universitas und Volk. Die „homines“ bilden keine universitas: Diese ist nach der Definition von Baldus eine „hominum collectio in unum corpus mysticum et abstractive sumptum“. Durch dieses neue Einsatzstück gelangt Losaeus zu einer zentralen Festsellung, der gemäß die universitas eine juristische Funktion hat: „secundum fictionem iuris“ steht die universitas für „unam personam quae est quid alium diversum ab hominibus universitatis“, denn sie besteht auch nach dem Tod ihrer Glieder fort: Sie ist etwas anderes als ihre Glieder wie das Erbe etwas anderes ist als die Dinge, die man erbt. „Universitas esse nomen iuris et non personarum“, sie hat weder Seele, noch Intellekt, Bewusstein und Körper, aber besteht in einem spezifischen Augenblick, in dem nämlich, zu dem sie legitim versammelt und zusammengerufen wird.

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Diese Definition verdeckt eine Doppeldeutigkeit von universitas, die (bereits bei Baldus) auf zweierlei Arten betrachtet werden kann: Im Abstrakten ist sie weder eine Person noch ein belebter Körper, sondern ein geistiger Körper, der eine juristische Bezeichnung hat; „konkret“ steht sie für die Bezeichnung der Individuen und man nimmt sie für die (an Stelle der?) einzelnen Individuen, die in ihr enthalten sind. Losaeus verwendet viel Mühe darauf, Beweise für diese Doppeldeutigkeit des Begriffs beizubringen: Es gibt Unterschiede zwischen den Handlungen der einzelnen und den Handlungen der universitas; die Befreiung der universitas berührt die einzelnen nicht; eine Streitigkeit der universitas ist keine Streitigkeit jedes einzelnen; entsprechend ist ein Interessenausgleich der universitas nicht ein Interessenausgleich aller ihrer Mitglieder jeweils für sich genommen. Es handelt sich also bei der universitas weniger um eine Einheit, als um einen Modus, die menschlichen Gemeinschaften zu betrachten: Vasallen, Kleriker, Diener, Schulden, Güter, Ursachen der universitas gehören einem Bereich der Wirklichkeit an, der die einzelnen Individuen nicht materiell berührt. Einen anderen und entscheidenden Beweis bildet die Tatsache, dass die universitas auch angesichts der Veränderung oder sogar der Beseitigung ihrer Bestandteile (solange nur ein Glied erhalten bleibt) begrifflich unverändert bleibt. Die unviersitas kann „sine corpore“ existieren und Gegenstand von Versprechungen und Schwüren sein. Man gelangt so zur ersten einer Reihe von paradoxen Vorzügen der Vorgehensweise des Losaeus: Die Abstraktheit der universitas hat den Vorteil, innere Widersprüche24 zuzulassen ohne dadurch ihre Einheit zu gefährden. Nachdem die Natur der universitas einmal festgelegt ist, geht Losaeus im zweiten Teil dazu über, die verschiedenen Arten von universitates zu untersuchen, von denen er vier ausmacht: provincia,25 civitas, castrum seu villa, simplex collegium. Die Arten von universitates unterscheiden sich aufgrund ihrer jeweiligen Jurisdiktion: die Provinz hat beispielsweise eine reine und gemischte Oberherrschaft. Die civitas dagegen zeichnet sich durch das „gesellschaftliche Band“ aus: sie ist weder durch die Bischofsmacht bestimmt, noch von den Mauern oder durch Wohlstand (commoditas); sie ist eine Form von „communitas“, was die allgemeinste Bezeichnung26 ist, die einer Pluralität von Formen des Zusammenlebens Legitimität verleihen kann: „est nomen generale pertinens ad universitatem civitatis, castri, villae et cuiuslibet municipij, eo quod ab ipsa hominum communitate principaliter regatur“27. Das ist eine Feststellung, deren „egalitäre“ oder zumindest antihierarchische Tragweite im Hinblick auf die Untersuchung der Beziehungen zwischen Ebd., Teil I, Kap. 39. Es ist erstaunlich, dass Althusius den Traktat von Losa nicht für seine Überlegungen zur „Provinz“ verwendet. Ohne sichere Erklärung dafür scheint es mir, dass man fragen kann, ob der Abstand nicht auf den Unterschied der politischen Gestalt des Reichs zurückzuführen ist, auf die sich Althusius stattdessen bezieht. 26 N. Losaeus, Tractatus de jure (FN 23), Teil 2, Kap. 33. 27 Ebd. 24 25

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Siedlungszentren, Regierungsformen und politischer Legitimität nicht zu übersehen ist. Die Notwendigkeit eines adäquaten Verständnisses ähnlicher Formulierungen ist hier nicht zu übersehen. Die Zugehörigkeit zur Tradition des Stadtrechts ist unter diesem Gesichtspunkt ein wertvoller Hinweis, aber sie reicht meines Erachtens nicht aus, die Eigenheit der Interpretation von Losaeus zu erfassen und, was uns anbelangt, das Interesse zu verstehen, das der Traktat bei Althusius geweckt hat. Das Verständnis von Losaeus wird jedoch nicht so sehr durch seine Dunkelheit eingeschränkt, von der er umgeben ist, sondern vielmehr von der Tatsache, dass das einzige ihm gewidmete Werk Hinweise zur Methode und zum Stoff enthält, die in die Irre führen: Die einzige Abhandlung, die nämlich jemals über ihn geschrieben worden ist28, stammt aus der Feder von Edoardo Ruffini (Sohn von Francesco Ruffini), der aus ihm einen „Mann des Fürsten“ gemacht hat. Es handelt sich dabei um eine Feststellung, die vermutlich nicht so sehr vom Inhalt des Traktats von Losaeus herrührt, sondern mit den persönlichen politischen Angelegenheiten von Edoardo Ruffini zu tun hat29: Einen Fürsten als handelnde Person gibt es in der Abhandlung des Losaeus nicht. Ganz im Gegenteil: Er geht so weit, dass er, wenn er feststellen muss, wer den universitates Legitimität verleihen kann, unzweideutig feststellt: „Veritas ipsa est ipsam probationem de principe non est necessaria cum a iure gentium praemissu“. Mit anderen Worten: Die universitates existieren unabhängig vom fürstlichen Willen. Angesichts dieses Ansatzes muss man neu an den Text herangehen, um Losaeus kennen zu lernen. Da ein wünschenswerter Eintrag im Dizionario Biografico degli Italiani noch aussteht, ist die einzige Möglichkeit die, einige biografische Züge zu rekonstruieren. Ruffini ist es zu verdanken, einige, wenn auch nur rudimentäre, Daten bekannt zu geben, weil sie mit der Karriere des Losaeus als Magistrat von Carlo Emanuele I von Savoyen zusammenhängen. Es gibt andere Dokumente (auf die ich rein zufällig gestoßen bin)30, die sich auf sehr viel komplexere Zusammenhänge beziehen. Es handelt sich nämlich um einen Musensohn, der von jenem 28 E. Ruffini Avondo, Il trattato „De jure universitatum“ del torinese Nocolò Losa (1601), in: Rivista di Storia del Diritto Italiano 4 (1931), S. 5 – 28. Aus jüngster Zeit einige Andeutungen bei S. Hunziker, Die ländliche Gemeinde in der juristischen Literatur 1300 – 1800, in: P. Blickle / R. Fuhrmann / A. Holenstein (Hrsg.), Gemeinde und Staat im Alten Europa, München 1998, S. 426 – 433 und bei F. Todescan, Dalla ,persona ficta‘ alla ,persona moralis“. Individualismo e matematismo nelle teorie della persona giuridica del sec. XVII, in: Quaderni Fiorentini per la Storia del Pensiero Giuridico Moderno 11 / 12 (1982 – 1983), S. 59 – 93, jetzt auch in: Etiamsi daremus. Studi sinfonici sul diritto naturale, Padua 2003, S. 133 – 167. 29 Die Interpretation Ruffini Avondos scheint aus seiner politischen Biografie erklärbar und zu rechtfertigen: Die Verweigerung des Schwurs auf das Regime, seine Entfernung aus der Universität. Ich danke C. Montanari für Lektürehinweise zu Losa und Ruffini. 30 Archivio di Stato di Torino, Corte, Conventi soppressi, Gesuiti, mm. 540 – 43 enthalten Streitsachen, Inventare und Bittschriften von Alessandro Losa junior, die es erlauben, die Unglücksfälle der Losa summarisch nachzuzeichnen.

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Alessandro Losa abstammt, dem berühmten Kommentator des dritten Teils des Digestum, der jener engen Gruppe von piemontesischen Rechtsgelehrten angehörte, die Mitte des 16. Jahrhunderts mit den Franzosen zusammenarbeiten und später der neuen savoyischen Dynastie Rechnung legen müssen31. Im Fall der Losa kann es sich nicht um eine geradlinige Angelegenheit gehandelt haben, die sicher von den gerichtlichen Schwierigkeiten des Vaters32 erschwert wurden und die vielleicht die Positionsnahme des Sohns rechtfertigen können, von der wir glauben, sie ausmachen zu können. Aber was wichtig ist: Diese Positionen und die Karriere des Magistrats Losaeus gehen mit bezeichnenden ökonomischen Entscheidungen einher. Der Fall der Losa ist nämlich der einer Familie, die in die Verbindlichkeiten der universitates investierte, wie eine systematische Reihe von Erwerbungen des Zensus (Verbindlichkeiten) von Gemeinden deutlich macht. Das ist im Piemont der 1680er und vor allem der 1690er Jahre alles andere als ungewöhnlich, also genau zu der Zeit, als Nicolò an seinem Buch schreibt. Das, was in seinem Fall frappierend ist, ist die Tatsache, dass diese Aktivität die Familie in den Ruin treibt: Im Piemont begleichen im Bürgerkrieg von 1639 – 1640 die Gemeinden ihre Schulden nicht mehr. Die lockere Verbindung der Familie mit der Entourage der Herzöge von Savoyen macht sich hier bemerkbar: Ein direktes Zeugnis besteht darin, dass der Sohn von Nicolò, Alessandro junior, sich bitter darüber beklagt, dass er nicht Ämter in der Richterschaft des Piemont übernommen hat, die ihn vor der Insolvenz der Gemeinden geschützt hätte. Bereits diese rudimentären Angaben über die Quelle des Althusius geben uns die Möglichkeit, einige wenige offensichtliche Aspekte seiner Argumentation in einem anderen Licht zu sehen. Das Erfassen der Legitimität in einer Form gibt, wie wir gesehen haben, Losaeus die Möglichkeit, einige Hindernisse auf dem Weg zur Identifizierung des Grades der Genauigkeit zu überwinden, mit der sich eine universitas manifestieren kann. Auf dieser Grundlage polemisiert er auf der einen Seite gegen all jene, die die unviersitas nicht mit dem eigenen Leben als Rechtskörper gleichsetzen, sondern einfach mit dem eigenen kollektiven Wesen (Mynsinger) oder mit einem Abstraktum, das unfähig ist, zu handeln (Gail). Vor allem aber 31 Ich weise hier beiläufig auf die Notwendigkeit hin, die Werke von Persönlichkeiten wie Gerolamo Cagnolo (1491 – 1551) und anderer piemonteser Juristen wieder zu lesen, die von A. Mazzacane in die Wege geleitet, aber gewiss in ihren Möglichkeiten nicht vollkommen ausgeschöpft worden ist, in: Dizionario Biografico degli Italiani: Cagnolo erweist sich als Autor eines Traktats über die Regierung von Fürsten, der Emanuele Filiberto gewidmet ist, der wesentlich ein Traktat über die Tyrannis ist. Vgl. Splendidissimi Iurisconsulti D. Hieronymi Cagnoli Equitis et Ill. Sabaudiae Ducis Senatoris, in Costitutiones et Leges primi secundi quinti et duodecimi Pandectarum [ . . . ] aurearum enarrationum, Ap. Hier. Scotum, Venetiis 1553; zu den anderen Juristen gehört auf jeden Fall Gian Francesco Porporato; zu ihm vgl. C. Agliaudi, Notizie biografiche su Gian Francesco Porporato, Pinerolo 1866. 32 Alessandro war Lektor der Rechte in Toulouse und Turin. Er erhielt den Indult für einen Mord, der bereits 1531 erfolgte: Archivio di Stato di Torino, Corte, Protocolli Ducali, 213, fo. 83, zitiert in: Manno, Patrizio Subalpino, Losa Calusio signori di Solbrito.

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wendet er sich gegen diejenigen, die die universitas dem Inneren von Körpern subsumieren, die mit faktischer Legitimität (Macht) versehen sind, wie die castra, die sich für den piemontesischen Rechtsgelehrten Cagnolo (Dozent in Padua) nicht von der universitas unterschieden. Für Losaeus dagegen existiert die unviersitas immer dann und überall, wo es ein rechtlich begründetes Gemeinschaftsleben gibt. Das bedeutet, dass es, damit von einer universitas die Rede sein kann, notwendig ist, dass es einen Volkskern gibt, so bescheiden er sich auch ausnehmen mag. Um auf das vorige Beispiel zurückzukommen: Auch dort, wo die Macht über Einzelpersonen und niedere Lebensgemeinschaften auf der Ebene reiner Gewalt zum Ausdruck kommt, wie in den Schlössern des niederen Adels oder im Kreis des piemontesischen Adels, ist, um eine Gemeinschaft zustande zu bringen, die Existenz eines noch so kleinen Kerns von Bewohnern notwendig. Auch die kleinen Volkskerne haben das Recht, wenn sie die Form beachten, als rechtmäßige universitates aufzutreten. Es handelt sich um einen grundlegenden und bewusst formulierten Passus des piemontesischen Juristen. Noch bevor er das Besagte feststellt, erklärt er uns selbst, warum er dies tut. Er erklärt, dass er sich in diesem speziellen Punkt von der konsolidierten Tradition des Gemeinen Rechts abheben will33. Um diesen Punkt zu untersuchen ist es notwendig, in Betracht zu ziehen, wie Losaeus die Art angeht, in der ein „herrschaftliches Haus“ eine universitas darstellen kann. Schließlich liefert er eine besondere Definition, mit der er sich von allen vorhergehenden Autoren abhebt: Losaeus versteht das herrschaftliche Haus nicht als ein Gebäude, sondern als eine Vielzahl peripherer Wohnungen im Vergleich mit jedem anderen Typ der Agglomeration. Nach Losaeus ist ein herrschaftliches Haus ein kleines Stadtviertel, eine kleine Ortschaft bis zur Untergrenze von fünf Hausvorständen. Wir merken hier, dass eines seiner Ziele darin besteht, diese Art von Ansiedlungen zu legitimieren. Wir können feststellen, dass er diese Entscheidung auf der Grundlage seines eigenen Interesses für jede auch nur schwache Andeutung eines öffentlichen Raums trifft: Nun ist bekanntlich der öffentliche Aspekt in der gefestigten Tradition des Gemeinen Rechts durch die Existenz einer Konstellation von mindestens drei Person gegeben. Der Punkt ist wichtig, weil er auch den Grad der Legitimität der Ortschaften gegenüber den Städten berührt. So gesehen können wir feststellen, wie Losaeus systematisch darauf achtet, Formen der Legitimität im geographisch kleinsten Raum gegenüber dem nächst größeren aufzuspüren. Auf dieser Grundlage macht er sich an eine sehr auf den Pluralismus bedachte Konstruktion, die aber sehr vom Kontext abhängig ist, in dem er selbst agiert. Mit anderen Worten: 33 Losaeus, Tractatus de jure (FN 23), Teil II, Kapitel 39: „sed in hoc nostro tractatu univ. accipimus villam prout est congregatio hominum et unitas quarundam domorum sine muris, quasi vallis vallata et circum, quia non munitione murorum sed vallatione multorum fortificatur, nam villa est quae est [34] extra muros civitatis data l.j.C. ne rusticani d. ullum obseq devot. Lib. II Bart l.j.§ sive heares§j., n. 8 sgg. de legati e l. 83 Marcus, n. 366, 27 v. 1 In Gallia Villa est quod civitas Bart. e Marcus“ und Kap. 40: „Villa consistit ex quinque hominibus partibus familiae“, wofür verwiesen sei auf Alex l. 31 n. 7 c. de testamentis.

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Es scheint mir, dass, wenn Losaeus von civitas spricht, er darunter keineswegs die Stadt versteht, sondern jene Gemeinschaft von Dörfern und Dörfchen, die auch für seine Zeitgenossen für das Piemont typisch waren34: ein Spezifikum, dessen Implikationen sich heute weder die Natur noch die Politik entziehen können35. Losaeus versucht, diesen Aspekt zu legitimieren: Als Investor, der auf die Schulden der Gemeinden gesetzt hat, ist er daran interessiert, denen die größtmögliche Legitimität zu verleihen, deren Verschuldung er aufkauft. Das ist ein Paradox und die einzige Antwort, die er darauf finden kann, besteht in der Suche nach den größten Garantien für die universitates, um diese sozialen Hindernisse zu beseitigen, zum Beispiel das Privileg, die Schulden der Gemeinden abzulösen; die rechtliche und öffentliche Dimension der universitas ist eine Seite, die die Zahlungsfähigkeit zulässt. Es wird daher von zentraler Bedeutung sein, zu beobachten, wie Losaeus die internen Privilegien der Gemeinschaften behandelt: Sie können nicht abgeschafft werden und gründen im Übrigen auch auf legitimen Erscheinungsformen, werden aber genauestens begrenzt, vor allem, was das äußerst gefährliche Prinzip betrifft (hier spricht der Gläubiger), nach dem das Ausüben von Funktionen innerhalb der universitas zur steuerlichen Immunität führen kann36. Der letzte, sehr wichtige Punkt in der Darstellung von Losaeus betrifft die Straftaten der Gemeinschaften. Mit einer Argumentation, die wir heute als kanonistisch 34 Relazione della corte di Savoia di G. Correr tornato ambasciatore nel 1566, in: Le relazioni di ambasciatori veneti al Senato durante il secolo XVI, a cura di E. Albéri, s. II, t. V, Florenz 1858, S. 12: Im Piemont gibt es „900 castella“, deren Existenz ebenfalls G. Correr „in den Büchern der Kammer“ hat verifizieren lassen, mit dem Ergebnis, dass „man keine drei oder vier Meilen reiten kann, ohne auf ein kleines Landgut zu stoßen und manchmal sieht man vier oder sechs auf einmal, die alle nahe beieinander liegen“. Das ist keine rein subjektive Wahrnehmung, denn auch F. Molino spricht 1574 von einer Welt, „die so angefüllt mit Befestigungen ist, dass man keine zwei Schritte gehen kann ohne drei oder vier davon zu sehen“: Vgl. Relazioni di ambasciatori veneti al Senato, a cura di L. Firpo, Bd. XI, Turin 1983, S. 302. 35 Dass die territorialen Körperschaften Konsortien von Rechteinhabern sind und dass diese in den lokalen Gesellschaften das Ancien Régime allgegenwärtig sind, wird von den Historikern der europäischen Landstriche langsam allgemein anerkannt, im Gegensatz zur marxistischen Tradition Großbritanniens seit den 1920er Jahren, der gemäß die gemeinsamen Güter allen Bewohnern einer Ortschaft gemeinsam gehörten. Heute dagegen scheint es klar zu sein, das die gemeinsamen Güter denen gehörten, die sich zu einem Konsortium zusammenschlossen. Dieser Konsortiumsaspekt der lokalen Politik ist von zentraler Bedeutung und macht es verständlich, warum die Konsortien so minutiös verteilt waren und beispielsweise auch auf die Sphäre der Devotionalien einwirkten. Mehr noch: Die Religiösen Gesellschaften nennen sich Konsortien (Consortia Beatae Virginis ist beispielsweise die Körperschaft, die der Compagnia del Rosario vorausgegangen ist: der Name scheint auf das Zusammenleben hinzuweisen, auf eine propinquitas, die die Interessengemeinsamkeit erklärt). Vgl. Althusius, Politica, 1603, S. 36: Die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft wird als „jus utendi utilibus et necesssariis“ verstanden, und die „cives“ werden auch als „socii“ bezeichnet. 36 Losaeus, Tractatus (FN 23), Teil 3, Kapitel 10, § 8, 11, 27, 13 und Teil 1, Kap. 3.

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identifizieren können37, gelangt er dahin festzustellen, dass die Gemeinschaften strafrechtlich nicht belangt werden können: die abstrakte (formale) und kollektive Natur der universitas ist so geartet, dass sie es unmöglich macht, dass eine Handlung von allen ihren Mitgliedern gebilligt wird und diese gleichzeitig etwas Schlechtes tun und sich nicht von dem distanzieren können, was von anderen getan wurde. Die wirkliche Verantwortung ist ziviler Natur, das heißt schuldnerisch, vertraglich: sie liegt auf einer Ebene, die von der Unterdrückung verschieden ist, einer Ebene des Vertrags und der Vereinbarung. Hinter der aseptischen Art der Abhandlung verbergen sich im Buch von Losaeus also wichtige Stellungnahmen, auch wenn sie für uns nicht einfach lesbar und transparent sind: sie können jedoch die Motive deutlich machen, aufgrund derer ein Gläubiger den Kampf gegen die inneren Privilegien der bäuerlichen Gemeinschaften herbeiwünschen kann. Indem er dies tut, fixiert Losaeus ein für alle Mal die Legitimität der universitas, macht es möglich, dass die Formen des Gemeinschaftssinns und der Wechselbeziehung, die durch die Verwandtschaft und die Nachbarschaft gegeben sind, einen öffentlichen Zug annehmen und die universitas in einer definierten juristischen Form erschließen. 5. Angesichts dieser Feststellungen erscheint es nicht unwichtig, sich die Frage zu stellen, wie Althusius Losaeus hat lesen können. Althusius gebraucht, wie wir gesehen haben, Losaeus selektiv: Er übernimmt von ihm den klassifikatorischen Teil, zeigt sich aber wenig interessiert an den Teilen, die die gerichtlichen Handlungen und noch weniger an jenen strafrechtlichen Passagen, die die universitates zu Hauptgegenständen haben. Bei Althusius fehlt jede Besorgnis hinsichtlich einer Strafbarkeit der universitates: das kann nur damit zusammenhängen, dass die Bauern, die er vor Augen hat, eine ständische Vertretung haben. Mit anderen Worten: Auf einem kaiserlichen Terrain wie dem von Emden und von Ostfriesland, wo die Bauern eine politischverfassungsmäßige Vertretung hatten, muss man sie nicht verteidigen. In einer Gegend wie dem Piemont, die an das Reich gebunden war, aber in der Form politischer Unterordnung unter eine Reihe von Territorialfürsten, erscheint die Garantie für die Bauern und sogar für die örtlichen Eliten38 viel schwächer. Dahingegen erweist sich der Gebrauch des definitorischen Teils von Losaeus als sehr wichtig und ist für die „Juridisierung“ der Gemeinschaft verantwortlich, die sich, wie wir gesehen haben, im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts herausgebildet hat. Es gibt aber dennoch wesentliche Unterschiede zwischen Althusius und Quaglioni, „Universi consentire non possunt“ (FN 7). Zur Regierung von Emanuele Filiberto vgl. P. Merlin, ll Cinquecento, in: P. Merlin / C. Rosso / C. Symcox / G. Recuperati, Il Piemonte sabaudo. Stato e territori in età moderna, Turin 1994. Über die Abschaffung der repräsentativen Versammlungen im Herzogtum Savoyen vgl. H. G. Koenigsberger, The Parliament of Piedmont during the Renaissance 1460 – 1560, in: ders., Estates and Revolutions. Essays in Early Modern European History, Ithaca 1971. 37 38

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Losaeus, auf die hier eingegangen werden muss. Althusius interessiert sich nicht für die Definition einer kleinen Ortschaft, er verwendet den Begriff „villa“ und meint damit Gebäude, kommt also auf die italienische Tradition zurück, die Losaeus beiseitegeschoben hatte: Anders ausgedruckt, scheint es so, dass die gut gepflegten und auf der Ebene des Lebens der Sozialkörper von Althusius sogar gebilligten Veränderungskräfte des Rituals auf der Ebene juristischer Formalität gestrichen werden, wie wenn man sich der potentiellen Gefährlichkeit nicht bewusst wäre. Wir müssen uns fragen, auf was dieser selektive Gebrauch zurückgeführt werden kann oder wovon er abhängt. Auf dieser Untersuchungsebene scheint es, dass drei Faktoren nicht unwichtig gewesen sind: Ich beziehe mich dabei auf kontextuelle, methodologische Gründe und auf ideale Bestrebungen. Ich versuche, sie kurz zu untersuchen. Was die Kontexte betrifft, so dürfen wir nicht vergessen, dass sich Althusius in einem Umfeld bewegt, in dem die universitates einen Rechtsstatus erlangt zu haben schienen, die sich von der wesentlich unterscheidet, die uns Losaeus zuzugestehen gewillt zu sein schien: Eine Legitimität, die von der Zuweisung der Souveränität an das Volk auch dann abgeleitet zu sein scheint, wenn man, wie dies Althusius tut, die hierarchisch höhere Position der formalen Inhaber der Souveränität anerkennt39. Als ebenso wichtig erscheinen die Auswahlentscheidungen, die von methodischen Faktoren bestimmt sind. Indessen gibt es Unterschiede bezüglich des Typs der in Anschlag gebrachten Logik. Losaeus, der als Jurist in der romanistischen Tradition des Gemeinen Rechts ausgebildet wurde, „denkt für drei“: das heißt er braucht einen öffentlichen Aspekt (der genau durch die Gegenwart von mindestens drei Handelnden gegeben ist). Man hat dagegen hervorgehoben, wie Althusius aufgrund seiner engen Verbindung zur Logik des Ramus „für zwei“ denkt40: Für ihn ist eine Gesellschaft von zweien öffentlich, wie er es wiederholt im Kapitel über die Ehe- und die Verwandtschaftsbeziehung sagt. Aus diesem Grund ist er für das Problem der Legitimität der societates unsensibel, denn diese findet sich im lebensgemeinschaftlichen Aspekt der Gemeinschaft wieder. Sehr sensibel ist er dagegen für das Problem der formalen Gesetzlichkeit der universitas: Das Problem, in juristisch unbestreitbarer Weise die Verteidigungsfähigkeit der Gemeinschaft zu definieren. Ich frage mich genau genommen, ob er letztlich nicht dem Prinzip des Gemeinen Rechts romanistischer Prägung anhängt, das die Notwendigkeit einer gewissen Schwelle von Öffentlichkeit bestätigt. Eine Schwelle also, die die Gegenwart von drei Handelnden erfordert.

Costa, Civitas (FN 2), S. 90. Man muss sich fragen, ob dies daher kommen könnte, dass Althusius der Logik von Pierre de la Ramée anhängt, wie Scattola in seinem Aufsatz ,Von der majestas zur symbiosis‘ (FN 19) hervorhebt. 39 40

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Es ist kein Zufall, dass Althusius in diesem Zusammenhang in einer weiteren Neuerung der Ausgaben der Politica nach 1603 ausdrücklich zwei (wenn auch nicht erklärtermaßen) von Losaeus angenommene Elemente einführt: Auf der einen Seite nimmt Althusius nämlich die unterste Schwelle der Existenz von drei Mitgliedern für die Existenz eines Körpers an (IV, 4), und wendet das Majoritätsprinzip als Grundelement der Funktionsfähigkeit der universitates an (IV, 19). Es sind Kernelemente, die in der ersten Ausgabe keine Erwähnung gefunden haben. Zu kontextuellen und methodologischen Gründen treten jedoch ideale Motive hinzu. Man muss sich fragen, welche Gemeinschaft sich Althusius vorstellt oder welche er vorschlägt. Mir scheint es vollkommen klar zu sein, dass Ende des 16. Jahrhunderts zwischen Deutschland und den Niederlanden keineswegs unbedeutend war, zu verstehen, welche Art von Genossenschaften in den lokalen Gesellschaften in den Niederlanden und Friesland repräsentiert und wiedergegeben wurden. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass Althusius „modulare“ Definitionen von Gemeinschaften gibt, er sie sich also als soziale Formationen vorstellt, die von der Gegenüberstellung von Körpern hervorgebracht werden. Es handelt sich um Formationen, die von denen, die Losaeus vorgestellt hat, sehr verschieden sind: Eine Definition von civitas zum Beispiel, die wir bei Althusius finden und die er leider nur vage auf einen Passus von Losaeus bezieht, besteht darin, dass „die civitas eine Ansammlung oder eine Konkretisierung von unzähligen Dörfern“ ist. Aber wir wissen, dass man die pagi, die für Althusius etwas anderes sind als für Losaeus, nicht „schaffen“ kann (auch wenn offensichtlich ist, dass man dies tun kann): Anders ausgedrückt: die zentrifugalen Kräfte, die das Piemont ausmachen und die Losaeus auf theoretischer Ebene verzeichnet, werden abgeschwächt. Oder besser noch: Die Schaffung der universitates muss von den örtlichen Eliten kontrolliert werden. 6. Nachdem wir bis zu diesem Punkt gekommen sind, können wir – wenn auch mehr vermutend – einige Schlussbetrachtungen anzustellen versuchen. Wir haben gesehen, wie zwischen der ersten Ausgabe der Politica und den folgenden sich die Definition der universitas bei Althusius in gleicher Weise wie die anderer Begriffe verändert. Sie ändert sich in dem Sinne, dass sich die Diskontinuität zwischen den universitates und den „consociationes simplices“ verschärft: die universitas wird auch dank ihres formalen Charakters ein Element, das mit öffentlicher Legitimität versehen ist. Universitas ist eine Repräsentationsform der Gemeinschaft, ist ihre juristisch legitime Form. Dieser Bedeutungswandel ergibt sich aus der Annäherung an die Behandlung der universitas, die vom Gemeinen Recht vorgegeben ist, die Althusius in dem Buch von Losa zusammengefasst findet und die er in genau diesem Sinne verwendet. Wir müssen uns auf jeden Fall fragen, worin der begriffliche Wandel besteht, den wir glauben ausgemacht zu haben, und was er impliziert. Es ist nämlich von zentraler Bedeutung, zu wissen, ob es sich um einen Wandel handelt, der von rhetorisch-argumentativen Veränderungen induziert ist, die im literarischen Genus zu

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suchen sind, in das sich die politisch-methodische Traktatliteratur einschreibt. Etwas Ähnliches ist im Hinblick auf dieselben Jahre und weit kompetenter, als dies der Verfasser leisten kann, von Scattola im Vergleich von Althusius und den anderen Theoretikern der Politik des kaiserlich-deutschen Bereichs geleistet worden41. Auch wenn der Begriff universitas nicht im Mittelpunkt der Untersuchungen Scattolas stand, scheinen seine Schlüsse mit dem übereinzustimmen, was hier gesagt wurde: Althusius benutzt Begriffe, die um ihn herum in Gebrauch sind, er führt sie aber einer originellen und persönlichen Synthese zu. Für meinen Teil und in der Überzeugung der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit einer Geschichte der politischen Ideen, die so eng wie möglich an eine Geschichte der Institutionen und sozialen Praktiken gebunden ist, würde ich mir auch die Frage stellen, ob es nicht möglich wäre, Spuren anderer Faktoren auszumachen, die auf die Semantik des Althusius Einfluss haben konnten42. Ich möchte angesichts dessen auf den wichtigen Unterschied zwischen Althusius und seiner Quelle, Losaeus, zurückkommen, was das Umfeld betrifft, dem man die formale Bildung der universitas zuschreiben muss. Wir haben gesehen, wie Althusius jenes Element fallen lässt, das Losaeus selbst als seinen eigenen Beitrag ausgewiesen hatte: den dynamischen Aspekt, der territorial artikuliert und von der Verfassung der universitas aufgesplittet wird, die er in der Rolle erkennt, sich als Schöpfer von Orten in Vorschlag zu bringen, die die fragmentierten und winzigen Siedlungen übernehmen, die in den Territorien vorhanden sind. Also in der Möglichkeit, die universitates im Territorium zu vermehren und dabei den Vorgaben der Demografie zu folgen und zugleich dem Gewicht in Begriffen von Macht und Prestige Rechnung zu tragen. Es handelt sich um Optionen, die in den lokalen Verhältnissen, in denen sich Losaeus bewegt, in diesen Jahren sehr wohl präsent sind43. Die Tatsache, dass, wie wir gesehen haben, diese von dem piemonteser Juristen ausgearbeitete neutrale, aber dynamische Sicht einer Lebensgemeinschaft der universitas von Althusius fallen gelassen wird, muss einen verwundern. Zugegeben: Dies passt ziemlich gut in die Perspektive wachsender Systematisierung der eigenen Methodologie von Seiten des deutschen Juristen44. Weniger gut fügt sie sich in die Radikalisierung seines Denkens ein, die gewöhnlich in Bezug genommen wird, wenn es darum geht, die Veränderungen zu erklären, die zwischen den verschiedenen Ausgaben der Politica bestehen. Schauen wir uns also die Grundelemente an, Ebd., S. 247 ff. Für eine Skizze der Kontextualisierung sei neben dem Werk von Ubbo Emmius (Angaben in FN 49) auf H. Antholz verwiesen: H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Aurich 1955; J. Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Graetness, and Fall 1477 – 1806, Oxford 1995, S. 160 – 173 und 233 – 591; A. Pettegree, Emden and the Dutch Revolt. Exile and the Development of reformed Protestantism, Oxford 1992. 43 Torre, Consumo di devozioni (FN 13), Kap. II: Carità e Concordia. 44 Scattola, Von der majestas zur symbiosis (FN 19) und ders., Dalla virtù alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna, Mailand 2003. 41 42

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die wir zur Verfügung haben. Auf der einen Seite befasst sich Althusius mit der Stadt im Kampf gegen die territorialen Feudalherren. Wir müssen uns fragen, welches Ziel dieser Kampf hatte: Hueglin hat im Sinne des Buchs von Antholz die These aufgestellt, dass das Projekt des Althusius darin bestanden hat, der Stadt Emden ein Statut als kaiserliche Stadt zu verschaffen45. Ein Statut, das durch den materiellen Erfolg der Stadt gerechtfertigt war, der ihr aufgrund der politischen Ereignisse und aufgrund des Handels sicher war46 und der ihr ungeachtet der Wechselfälle der politisch-militärischen Auseinandersetzung zwischen den Provinzen der Vereinigten Niederlande und den Spaniern47 während der ganzen ersten Hälfte des folgenden Jahrhunderts erhalten bleiben sollte. Mehr noch: Wie A. Pettegree nahe gelegt hat, zeigt selbst die Kartographie eine Stadt, die sich über ihre eigenen Mauern hinaus ausdehnt und außerhalb auf eigenem Gebiet Dörfer anlegt. Es ist nicht aus der Luft gegriffen, wenn man die These formuliert, die offensichtlich von den nicht-kartographischen Quellen bestätigt wird, dass die Integration der Fremden – die in der Ausgabe von 1603 sehr wohl erwähnt wird48 – ein Problem der politischen Definition der Bürgerschaft aufs Tapet brachte, die die Möglichkeit zur territorialen Kontrolle von Seiten der bürgerlichen Elite nicht minderte. Mit anderen Worten: Man muss sich fragen, ob und in welchem Maße ein kaiserliches Stadtstatut die Kontrolle der kleingliedrigen Schaffung von peripheren potentiell autonomen Gemeinschaften durch die bürgerliche Elite impliziert49. Eine Res-

45 Hueglin, Early modern concepts (FN 1), S. 36. Zur Biografie von Althusius nach wie vor H. Antholz, Die politische Wirksamkeit (FN 42). 46 J. Israel, The Dutch Republic (FN 42), S. 160 – 173, 241 – 276, 311 – 333; A. Pettegree, Emden and the Dutch Revolt (FN 42). 47 A. Pettegree, Emden and the Dutch Revolt (FN 42), S. 26 – 46, hier bes. S. 44 mit der Karte der Stadt von 1570, die die Aufteilung der beiden Stadtteile und Spuren von Feldern und von Gebäuden in den Gebieten nördlich von Emden verzeichnet; S. 45 f. für die Entwicklung der Stadt; S. 224, Anm. 169, wo eine Recherche zur historischen Kartographie der Stadt angeregt wird; S. 224 zu den Wechselfällen in der Auseinandersetzung mit den Spaniern. 48 Das Problem ist vielmehr von zentraler Bedeutung in der Abhandlung des Kapitels zu den universitates, die sich ohne „symbiosis“ mit der Integration von Fremden als Hauptproblem befassen müssen. Vgl. Politica 1603, S. 36 – 39. 49 Ubbo Emmius, De statu Reipublicae et Ecclesiae in Frisia Orientali quae est in fide ill. et generosi Domini d. Ennonis Comitis et Dominij ejusdem regionis Liber, in: Rerum Frisicarum Historia Auctore Ubbone Emmio Frisio distincta in decades sex. Quarum postremo nunc primum prodit, pria. ita recognitis et locupletitis ut novae prorsus Accedunt praetera . . . , Lugduni Batavorum, Aapud Lud. Elzevirium, 1616, mit gesonderter Zählung, ist Althusius gewidmet (Amplissimis viris, virtute, doctrina dignitate praestantissimus consulibus et senatoribus inclytae civitatis Emdanae et carissimo consultissimoque domino Ioanni Althusio eorundem Syndico prudentissimo), S. 8 – 10. Das städtische Leben in Emden erscheint von der Eingemeindung neuer Dörfer und der neuen Stadt Veldern (von der alten Stadt durch Mauern getrennt) bestimmt worden zu sein; außerdem erscheinen von zentraler Bedeutung: die den Vorstädten („quae magna sunt“) erteilte Bewilligung, sich der Stadt anzuschließen, und die Rolle der sozialen Kontrolle, die der Barmherzigkeit der Diakonate anvertraut wurde. Vgl. auch C. H. Parker, The Reformation of Community (FN 12) und Israel, The Dutch Republic (FN 42), S. 353 – 360.

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source zugunsten eben jener Elite, deren Interessen Althusius verteidigte, was die fleißige Teilnahme des Juristen am Konsistorium rechtfertigen würde, die Würdigung für seine rhetorische Kompetenz und die Zustimmung, die er offensichtlich erfuhr50. Wenn diese Arbeitshypothese sich bewahrheiten sollte, würde man zu einem paradoxalen Schluss kommen: Die kluge formalistische Formulierung von Losa, die mit der schwachen Bindung des Piemont an die politischen Strukturen des Reichs und mit seiner persönlichen Sicht als Investor in das Defizit der Kommunen der Region zusammenhängt, legte eine sehr offene Haltung an den Tag, sowohl im Hinblick auf die Möglichkeit, die bestehenden Kommunen zu zerschlagen und neue zu schaffen (eine Tendenz, die sich in der subalpinen Gegend bemerkbar machte)51 als auch, was die Notwendigkeit betrifft, die inneren Missverhältnisse der einzelnen universitates einzuschränken, die Vorboten von Konflikten und Beschränkungen der Möglichkeiten sind, seinen Ruf wieder zu erlangen. Die Grenzsituationen sind von der Anerkennung des Widerstandsrechts garantiert, das in der kanonistischen Tradition der Nicht-Strafbarkeit der universitates erkennbar ist. Die Althusische Definition der universitas als politische Schöpfung, die sowohl aus methodologischer wie auch aus inhaltlicher Sicht sehr viel radikaler ist, würde in dieser Hinsicht nicht wenige Härten enthalten: Wir könnten sie der Kürze halber mit der Macht gleichsetzen, die einer städtischen Elite zugeschrieben wird und ihrem wachsenden Zusammenhalt im Rahmen des konfessionellen Wandels des öffentlichen Lebens im lokalen Bereich. Eine Macht mit der Fähigkeit, die Dynamiken der zentrifugalen Legitimation der lokalen Gesellschaften einzudämmen, die eben die Stadtentwicklung und der wachsende Erfolg der fordernden Politik von Emden möglich machten. Auf der einen Seite also die verteidigende Kraft des Rechts; auf der anderen Seite die Strategien der Macht des ideologischen Radikalismus. Dies zeigt uns auf jeden Fall, wie Ende des 16. Jahrhunderts das Reich sich als eine politische Formation profiliert, die fähig ist, in ihrem Innern beide Optionen politischer Ordnung im Verhältnis zwischen Städten und Territorien zu enthalten. Es ist eine Lebendigkeit, die von den Historikern des 19. Jahrhunderts unterschätzt wurde, deren Blick vom gleißenden Licht des historischen Prozesses der Formierung des modernen Staates in seinen verschiedenen Bedeutungen geblendet war, nicht zuletzt jener der Disziplinierung, die eben im Bereich des Althusius eine gastliche Amme gefunden hat.

50 H. Schilling (Hrsg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557 – 1620, Bd. II, 1575 – 1620, Köln 1992, S. 1026, 1039, 1047, 1100, 1107. Über Althusius in Emden und die kalvinistische Politik vgl. C. Malandrino, Il Syndikat di Johannes Althusius a Emden. La ricerca, in: Il Pensiero Politico 28 (1995), S. 359 – 383. 51 Carlo Bascapé, Novaria seu de Ecclesia Novariensi libri duo. Primus de locis, alter de episcopis, Carolo episcopo, auctore, Novara, Sessallo, 1612.

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Von daher gesehen haben Losaeus und Althusius auf demselben Gebiet verloren, weil der Dreißigjährige Krieg, der bald danach einsetzen sollte, beide Konstruktionen über den Haufen warf: Sowohl die Welt der bäuerlichen, mit juristischer Legitimität ausgestatteten Schuldner, die sich Losaeus wünschte, als auch das Universum, das Althusius entwarf, ein Universum von territorialen Konsortien, die von lokalen Eliten, die ihre Identität und ihre Befähigung zur Kontrolle aus dem religiösen Zusammenhalt bezogen, unerschütterlich kontrolliert werden.

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Utilitas (Commodum) 1. Den beiden Begriffen utilitas und commodum kommt im republikanischen Denken des Althusius eine herausragende Bedeutung zu. Dies stellt bereits Carl Joachim Friedrich in seiner Einleitung zur lateinischen Neuausgabe der Politica methodice digesta von 1932 fest. Friedrich siedelt die Abfassung des Werks vollkommen richtig im Kontext der politischen Fährnisse der deutschen Stadtstaaten im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert an und betont, dass „Althusius was moved by a sincere enthusiasm for these great and free city-states, and the opportunity to serve one of them must have had a powerful appeal to him who had compared wise man refusing to serve the state to a hidden treasure, claiming frankly that the active is better than the contemplative life“1. Auf der anderen Seite lenkt Friedrich die Aufmerksamkeit zugleich auf die präutilitaristische Haltung des calvinistischen Juristen aus Deutschland, die jedoch ebenfalls Resultat seiner Neigung zum tätigen Leben und der Bedeutung ist, die er individuellem und kollektivem Erfolg im weltlichen Bereich beimisst. In einem anderen wichtigen Passus spricht er von den urbanen und kommerziellen Grundlagen der Ideen des Althusius und kommt zu dem klaren Ergebnis: „Althusius is already at the threshold of modern utilitarianism“ 2. Es ist also wichtig, Bedeutung und Gewicht dieser beiden politischen Begriffe im Wortschatz des Althusius genauer zu fassen. 2. Im Lateinischen sind sie gewissermaßen Synonyme: sie stehen für Nutzen, Vorteil, Profit, Zuträglichkeit; im Sprachgebrauch werden die beiden Substantive häufig vom Genitiv begleitet. Bei Cicero erlangen sie eine politische Wertigkeit; bei ihm nämlich finden wir die Ausdrücke utilitas populi und commodum rei publicae. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass utilitas und commodum im politischen Wortschatz des florentiner Humanismus Verbreitung gefunden haben, was dem Kanzler Leonardo Bruni zu verdanken ist, der 1438 die Politik des Aristoteles ins Lateinische übertrug3. In dem Werk handelt Aristoteles von der Ökonomie, wobei 1 Vgl. C. J. Friedrich, Introductory Remarks, in: J. Althusius, Politica methodice digesta, Cambridge 1932, S. XXXVII. 2 Ebd., S. LXXVIII – IX. Natürlich bringt Friedrich diese Interpretation mit der allgemeinen Deutung von Max Weber über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus in Verbindung.

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er die Führung eines Hauses von der der Republik trennt4; bei der Übersetzung ins Lateinische griff der Kanzler Bruni auf die Substantive utilitas und commodum zurück. Im Februar 1439 beendete Matteo Palmieri die Arbeit an seinem Dialog über die Vita civile5. Im Vorwort wandte er sich an den „hervorragenden Bürger“ Alessandro degli Alessandri und erklärte, dass er das Werk in vier Bücher unterteilt habe; in den ersten beiden handele er darüber, wie sich „der Mensch im Privaten wie in der Öffentlichkeit“ zu verhalten habe; im dritten „über all das, was die Justiz betrifft“; das vierte war „nur zum Nutzen geschrieben“, weil es in der Zivilverwaltung „viele Dinge gibt, aus denen man Nutzen und Vorteil ziehen kann“. In der Storia ideologica d’Europa da Savonarola ad Adam Smith habe ich betont, dass im 15. Jahrhundert der politische Wortschatz in Florenz von einem realistischen Verständnis von Nutzen und Wohlergehen bestimmt war. Die florentiner Kanzlei folgte nicht nur juristischem Formalismus, sondern betrachtete die Sachverhalte und Unternehmungen mit einer Umsicht, die man bei einer Kalkulation walten lässt, und mit der Skrupellosigkeit des „Vorteilsdenkens“. Der gesamte politische Wortschatz in Florenz war von einem starken Realismus bestimmt, der seine Wurzeln in der Händlermentalität der Bürger hatte. Seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts führte die ökonomische Prosperität von Florenz dahin, dass der „Vorteil für die Bürger“ abgeschätzt und der Nutzen „von Künsten und Handel, die die Reichtümer vermehren“, taxiert wurde. In der zweiten Jahrhunderthälfte prüfte die Kanzlei von Florenz jeden politischen Vorgang im Hinblick auf seinen Nutzen und die öffentlichen Angelegenheiten wurden mit Profitdenken betrieben6. Diese utilitaristische und auf den Vorteil bedachte Orientierung findet auch im politischen Wortschatz Machiavellis in der Zeit Niederschlag, als er die Funktion eines Sekretärs innehatte. In den scritti di governo der florentiner Kanzlei drückte er sich wie folgt aus: „Jede Person dahingehend beurteilen, ob sie ,nützlich und notwendig‘ ist, den ,Nutzen‘ jeder Unternehmung bedenken, mit ,Klugheit‘ jede Sache abwägen, bei den Feinden ,an die Gier des Verdienens denken‘, zurückgehen auf einen ,hervorragenden Dreh‘, ,das tun, was möglich ist, wenn man Geld hat‘, ,auf sein Privatvermögen achten‘, sich entscheiden ,für die Parteiung, die für unsere Stadt günstiger erscheint‘“7. Die Begriffe „Nutzen“ und „Vorteil“ zählen auch zum Wortschatz von Machiavellis Principe – mit besonderer Bezugnahme auf die Dinge „quae principibus uti3 Politica Aristotelis Stagiritae ex recognitione Iacobi Fabri Stapulensis, Leonardo Aretino interprete, venundatur Parrhisiis via divi Iacobi apud Dionysium Roce sub intersignio divi Martini, 1505. 4 Aristoteles, Politik, I, 8, 1256a1 bis I 13, 1260b24. 5 Matteo Palmieri, Vita civile, hrsg. von G. Belloni, Florenz 1982. 6 Salvo Mastellone, Storia ideologica d’Europa da Savonarola ad Adam Smith, Florenz 1979, S. 9 f. 7 Niccolò Machiavelli, Legazioni Commissarie e scritti di governo, Bari 1971, S. 273 – 284.

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lia an inutilia sint“ (Kapitel XX). Allerdings entwickelte sich in Frankreich nach dem Massaker der Bartholomäusnacht des 24. August 1572 eine heftige Kritik an der utilitaristischen Konzeption des Principe von Machiavelli. In meiner Arbeit Venalità e machiavellismo in Francia (1572 – 1610)8 habe ich die Auffassung vertreten, dass sich die moralische Kritik gegen die schlechten Berater richtete, die Katharina von Medici und den Souverän umgaben. Am 1. März 1576 widmete Innocent Gentillet François d’Alençon die Discours sur le moyens de bien gouverner . . . contre Nicolas Machiavel Florentin, die der Kritik an all jenen galten, die in der politischen Praxis die Maximen des Autor des Principe umgesetzt hatten. Vor allem im dritten Teil der Discours, in dem er von der „police que doit avoir un Prince“ handelt, spielte Gentillet auf die „nützlichen“ Ratschläge an, die Machiavelli dem „Fürsten“ gibt9. Der Diskurs im Hinblick auf die „private Nutzlosigkeit“ des Fürsten findet sich dagegen erstmals in den Vindiciae contra tyrannos – ich schreibe sie Hubert Languet zu – angelegt, die 1579 veröffentlicht wurden: In ihnen wird die utilitas populi der utilitas principis gegenübergestellt. Wie man im Vorwort des Werks lesen kann besteht das wahre Recht in der Macht des Volks über den Fürsten und nicht in der Macht des Fürsten über das Volk10. Der Untertitel des lateinischen Texts, der 1579 in Edinburgh veröffentlicht wurde, stellte dies unmissverständlich klar: De Principis in Populum, Populique in Princiepem, legitima potestate (die französische Übersetzung wurde 1581 ohne Angabe des Ortes veröffentlicht). Mit Ausnahme der Bezugnahme in der Einleitung „auf die falschen und verderblichen Maximen des Florentiners Niccolò Machiavelli“ gab es weder im Text noch in den Fußnoten Bemerkungen zu Leben und Werk des Florentiner Sekretärs; aber in der „Quaestio tertia“, die die längste und wichtigste der Cinque Questioni darstellt, besteht der gedankliche Kontrast zu Machiavelli in der Gegenüberstellung von utilitas populi und utilitas principis, wo der „Vorteil“ und das „Wohl des Fürsten“ dem „interest populi“ unterstellt werden. Folglich müssen die reges ihre Sorge auf die „utilitas populi“ richten11, die dann zur utilitas publica wird12. Fürst und Souverän sind utilitatis publicae causa eingerichtet worden13; und der reipublicae interest14 bleibt grundlegend, weil er die communis utilitas beinhaltet15: deshalb ist die Rebellion erlaubt, die auf Kosten des privatum des Fürsten auf das bonum publicum abhebt16. Salvo Mastellone, Venalità e machiavellismo in Francia (1572 – 1610), Florenz 1972. Innocent Gentillet, Discours contre Machiavel, Florenz 1974, S. 213 – 532. 10 Vindiciae contra tyrannos, cura e traduzione di Saffo Testoni Binetti, Turin 1954, S. 5. 11 Ebd., S. 77. 12 Ebd., S. 106. 13 Ebd., S. 125. 14 Ebd., S. 144. 15 Ebd., S. 194. 16 Ebd., S. 195. 8 9

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3. Althusius greift in der Politica methodice digesta den gedanklichen Ansatz der Vindiciae contra tyrannos zugunsten der utilitas populi auf und entwickelt ihn fort. Althusius schließt Respublica, Populus und Cives zusammen und entwickelt in der Theorie eine republikanische Bürgergesellschaft ohne königliche Souveränität. In einer Gesellschaft, die eine Respublica mit Majuskel ist, ist für die Bürger das Einhalten der erlassenen Gesetze essentiell, die administratio Reipublicae aber muss die commoditates und die vita socialis sicherstellen. Die Durchsicht des Werks, die mit den Ziel erfolgte, die Präsenz der Substantive utilitas und commodum hervorzuheben und zu betonen, ist im vorliegenden Beitrag auf der Grundlage der Ausgabe der Politica des Althusius von 1614 durchgeführt worden. Es ist daher geboten, daran zu erinnern, dass Althusius im Vorwort zur ersten Ausgabe von 1603 zu den Theologen auf Distanz gegangen ist, die dem Politiker „pietatis et caritatis Christianae praecepta“ vorgeben, und dass er sich von den Juristen absetzte, die dem Politiker „plurima quaestiones juridicas“ vorschreiben. Weil die politische scientia die Mittel zu untersuchen hat, die für das Sozialleben nützlich sind, lobt Althuisus im Vorwort vom Februar 1610, das in der dritten Ausgabe der Politica von 1614 erscheint, ausdrücklich die Republik der Vereinigten Provinzen der Niederlande, die nicht nur dem spanischen König den Krieg erklärt hat, sondern eine neue consociatio gegründet hat, die an die utilitas der Vertragspartner denkt und den Bewohnern der städtischen universitas die commoditas zu verschaffen sucht: „Quid Respublica sine communione et communicatione utilium et necessariorum ad vitam humanam?“ (S. 3) In besagter Ausgabe wird vor allem in den letzten Kapiteln der republikanische Wert viel deutlicher, der der consociatio beigemessen wird, die nicht von der utilitas und dem commodum – seien sie öffentlich oder privat – absehen kann. Der Bedarf führt zur Vereinigung; diese erlangt man durch einen stillschweigenden oder ausdrücklichen Vertrag zwischen den symbiotici, aber die Gemeinschaft (koinonía) erstreckt sich auf die Rechte und auf die sozialen Normen. Jede consociatio wählt im Konsens ein Haupt, dem die symbiotici gehorchen, aber die Autorität des Hauptes, so sehr es den einzelnen überlegen ist, bleibt immer der Autorität der Vereinigung untergeordnet, die im Namen der utilitas und des commodum der Republik handelt17. Im ersten Paragrafen des ersten Kapitels ist für Althusius die Politica eine Kunst, die es den Menschen ermöglicht, eine vita socialis zu begründen und zu erhalten, und darüber hinaus die Dinge zu erkennen, quae sunt utilia, um commode zu leben (Kap. I, §§ 1 – 4). Natürlich beruft sich Althusius auf die Politik des Aristoteles, um den Titel von Paragraf 4 zu erklären: „consociationis necessitas et utilitas“; Notwendigkeit und Nutzen sind die ratio administrandi et instituendi Rempublicam; folglich stellt er in Paragraf 22 fest (Kap. I), dass die Respublica optima et felicissima sein wird, wenn „magistratus et cives conferunt omnia sua ad salutem et commodum Reipublicae“. Im gesamten ersten Kapitel kommen das Substantiv utilitas und das Adjektiv utilis ständig vor. 17 Salvo Mastellone, Storia del pensiero politico europeo dal XVI al XVIII secolo, Turin 2003, S. 120 – 125.

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Von Anfang des zweiten Kapitels an steht zu lesen, dass die utilitas die Grundlage der vita symbiotica darstellt, aber das Argument der Paragrafen 10 und 11 ist das commodum der symbiotici, das den unausgesprochenen Übeln oder der utilitas et commodum principis entgegengestellt wird. Das Binom utilitas et commoditas wird ab dem fünften Kapitel angeführt, wenn Althusius von der consociatio publica handelt, die zum Entstehen der civitas führt: „Utilitas, quam homines ex loco capere possunt et commoditas quam locum praebet“ (§ 75). Wenn sich Althusius im neunten Kapitel die Frage der distinctio inter regnum et Rempublicam zuwendet (§ 4), die das zentrale Thema seiner Politica darstellt, ist der Begriff utilitas sehr präsent, und man bewegt sich von der utilitas Reipublicae (§ 8) zur utilitas et commoditas subditorum (§ 24), und das auf der Grundlage der sozio-juristischen Voraussetzung, die sich in Paragraf 22 ausgedrückt findet: „Potestas summa non regi, sed Reipublicae competit“. In Kapitel X, § 8 äußert Althusius die Meinung, dass „Leges respiciunt ad utilitatem et necessitatem humanae consociationis“; dabei beruft er sich wie gewöhnlich auf die Autorität des Aristoteles, eröffnet aber einen republikanischen Diskurs über die „utilitas et necessitas in Republica“, Straftäter zu bestrafen. Die Überlegungen über die Republik weiten sich im XI. Kapitel aus, denn wenn die utilitas Reipublicae auch utilitas populi ist, muss man an auch die utilitas commerciorum denken (§ 6 f.), wie Aristoteles gelehrt hat. In Kapitel XV besteht Althusius auf dem Prinzip „bonus civis non debet praeferre propria commoda privata utilitati et necessitati Reipublicae“ (§ 13), und in Kapitel XVII widmet er sich der Republica et eius utilitate et commodis (§ 56). In Kapitel XVIII ist die salus Reipublicae mit der salus totius communitatis (§ 17) verbunden, und folglich ist sie „utilitas et salus subditorum“ (§ 40); aus diesem Grund beginnt Althusius seine Polemik gegen Bodin: „magno in errore esse Bodinus, qui absolutam et omnimodam potestatem regi Galliae tribuit“ (Kap. XVIII, § 69). Im darauffolgenden XIX. Kapitel ist der populus nicht nur das politische Subjekt der consociatio, sondern er wird zu einer juristischen Konstante: „Princeps mortalis est, populus immortalis (Kap. XIX, § 18). Auf Grundlage der Autorität der Vindiciae contra tyrannos, die ständig angeführt werden (Kap. XX, §§ 12 und 21; Kap. XXIV, § 39) definiert Althusius den princeps tyrannus als einen, der nicht die utilitas populi erstrebt und die commoda civium verteidigt, denn „tyrannus suum ipsius commodum spectat et quaerit“ (Kap. XXIV, § 44). 4. Althusius hat drei Arten von Bürgern vor Augen (Kap. V, § 14) und folglich drei Republiken: Den Civis Romanus der römischen, den Civis Hebraeus der jüdischen und den Civis Atheniensis der griechischen Republik, er vergisst aber auch nicht die Respublica Venetorum, denn Althusius verfügt über ein weitreichendes juristisches und historisches Wissen. Vittorio Conti, der die Idee der Republik in den Texten der Elzevirn untersucht hat18, hat festgestellt, dass sich Althusius im Zusammenhang mit der politica Hebraeorum auf Carlo Sigonios De republica

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Hebraeorum libri VII (1575) beruft, für die römische Republik auf die Schriften von Justus Lipsius, für die griechische auf De republica Lacedaemoniorum von Nicolaus Cragius (1593), und für die Republik Venedig auf De republica Venetorum von Gasparo Contarini (1544). Aber Althusius geht im Schlussteil der Politica eben genau auf der Grundlage der beiden Begriffe utilitas und commodum über die antiken Republikmodelle hinaus und geht auch weiter als das Beispiel der Republique des suisses Descrite en latin par Iosias Simler de Zurüch et mise en françois (Paris, 1577). Die Theorie der „Polyarchie“ als ethisch-juristische Ordnung, also als civilis administratio, die den cives Reipublicae nützlich ist insofern sie commoda oder Wohlergehen und Vorteile mit sich bringt, wird in den letzen Kapiteln ausgebreitet. In Kapitel XXXVII mit der Überschrift De administratione civili rerum publicarum et privatarum wird zwischen utilitas regni und utilitas Republicae unterschieden, wobei die utilitas vitae socialis die Grundlage bildet. Die administratio, die „communem Reipublicae utilitatem et commodum“ befördert und die administratio, die die „principis potestatas, majestatas et auctoritatas principis“ erweitert, werden einander gegenübergestellt. Um den Fürsten, der „opera vanitatis, non utilitatem vel commoditatem Reipublicae“ ausführt, nehmen die officiarii inutiles und famuli ständig zu, die sich vom sanguis populi ernähren und die pecunia publica vergeuden. Von diesen Prämissen leitet sich die Unterscheidung zwischen regnum als Monarchia und Republica als polyarchia her: von diesen beiden Formen der Regierung stammen die „commoda et incommoda in populum“; in der ersten Form ist es der Fürst, der entscheidet „quod ad personas subditorum attinet“, in der zweiten regiert der summus magistratus „ad vitam politicam commode et bene degendam“, sodass „Reipublicae administrator, primum corpus totum Reipublicae deinde illius membra curat et diversa rimedia illis adhibet“ (§ 79). Die polyarchia ist die republikanischen Regierungsform, wobei einige juristische Ratschläge von Bedeutung sind: „ut omnes dissensiones ortae ex causis privatis in officio publico deponantur propter Rempublicam“; „ne dissensiones ex Reipublicae administratione ortae, veniant ad res privatas“ (XXXVII, § 69); „officia magistratum secolarium et ecclesiasticorum distincta et servanda sunt“ (§ 70). Von besonderer Wichtigkeit in sozialer Hinsicht scheinen mir mit Bezug auf die Initiativen, die die civitas Amsterlodamum ergriffen hat, die folgenden Vorkehrungen zu sein: „in primis vero cura et defensio miserabilium personarum summo magistratui commendata est“ (§ 83): „certum quoque locum et reditus in usus necessarius harum miserabilium personarum constituet“ (§ 84). Der summus magistratus muss sich immer in Erinnerung rufen, dass „utilitas publica preferenda est privatae“; „et quando plurimum interest, et res respicit universos ut universos, attenditur majoris partis sententia potius, quam unius vel paucorum“ (§ 115)19. 18 V. Conti, Consociatio civitatum: le repubbliche nei testi elzeviriani 1625 – 1649, Florenz 1997; vgl. auch den Beitrag zu Politia Judaica von L. Campos Boralevi im vorliegenden Band.

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Kapitel XXXVIII ist De tyrannide überschrieben, aber die Tyrannis steht nicht für sich, sondern bildet hier das Gegenteil zur Zivilgesellschaft, denn der Tyrann ist derjenige, der die „vincula et fundamenta consociati corporis Reipublicae“ verletzt (§ 5) und der Polyarchie ein Ende bereitet, wodurch er die societas civilis zerstört (§ 49). Dieses Bild von der Bürgergesellschaft, die als polyarchische consociatio angelegt ist, führt zur Abneigung, von Althusius gegenüber der Tyrannis, aufgrund derer er erklärt, warum „rex Hispaniae Philippus secundus ab Ordinibus Belgicis anno 1581, propter tyrannidem, hostis Belgii declaratus et jure suo in Belgica provincias privatus fuit“ (§ 45). Und er legt ferner dar, warum in diesen Jahren „Hollandi, Selandi, Frisii, Geldri, atque reliqui confederati, reliquos Status et ordines provinciarum Belgicarum, sibi consociatos, contra vim et tyrannidem Hispani defendunt“ (§ 55)20. In Kapitel XXXVIII, Paragraf 81 stellt sich der Republikaner Althusius des weiteren die Frage „An rege populus sit superior“ und präsentiert auf Seite 916 die Antwort: Man ist einem König oder einer öffentlichen Persönlichkeit, die die Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit überschreitet, nicht Gehorsam schuldig; daraus folgt: „religio, libertas et jura patriae sunt defendenda“, man muss sich dem Tyrann widersetzen, auch wenn daraus „multa incommoda“ entstehen (§ 84). Althusius entwirft die consociatio humana wie folgt: in einer societas hominum civilis, die mit dem consensus populi geordnet wurde, „salus Reipublicae suprema lex est“ (§ 93 – 102), und er stellt fest: „si omnis principatus ad populi utilitatem est constitutus“ (§ 109), ist die Autorität des Volkes unbestritten. In Paragraf 114 fügt er hinzu: „Negari igitur non potest ante regem populum extitisse“, und „populus regis subditus dici non potuit“, wobei er sich auf die Tradition der Respublica Israelitica beruft (§ 118); und er wiederholt: „Populus est immortalis ob successionem perpetuam; rex est singularis persona et mortalis“ (§ 121). Gegen die „Politica Platonica“, die „Utopia“ von Morus und De republica von Bodin verteidigt Althusius „utilitas, commodum et salus“ des Volkes (§ 128), „Officium veri et legitimi magistratus est Rempublicam administrare secundum leges honestas et justas, ad promovenda societatis civilis commoda et avertenda illius incomoda“ (§ 131). Im abschließenden Kapitel XXXIX trifft Althusius die Unterscheidung: „Magistratus summus alius est monarchicus, alius polyarchicus“, aber er bestimmt die Regierung der „Polyarchie“ als Democratica, oder als popularis Status (§ 1). Die Democratica ist die Form der gubernatio, die allein vom Volk gebildet wird: Wenn der „universus populus“ die „Respublica“ bildet, dann „Democratia vocatur“, denn „in Democratia populus unum repraesentare debet consensu, concordia, unione et factis suis“ (§ 12); oder: „Status Democraticus est ubi summa potestas est penes populum“ (§ 11). Daraus folgt: „Poliarchicus magistratus summus est, qui subditis, cum aliis sociis pari vel eodem imperio summo instructus, imperat, et jura majesta19 Vgl. dazu auch A. Falchi Pellegrini, Summus magistratus und C. Zwierlein, Respublica im vorliegenden Band. 20 Vgl. D. Quaglioni, Tyrannis, im vorliegenden Band.

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tis administrat: hoc est, vicissitudo administrationis inter plures communicata“ (§ 32). Man muss ergänzen: „Consultum utile est in statu Reipublicae polyarchico“ (§ 39); auf diese Weise wird in einer Demokratie „communi et concordi suffragio usus jurisdictionis per ministrum communiter et individue exerceatur“ (§ 39). 5. Aus der utilitaristischen Ausrichtung des Althusius ergibt sich eine administrative Konzeption der polyarchischen Respublica, die mit der Wahl der Ephoren repräsentativ ist: diese nämlich „eliguntur consensu totius populi“; „hoc est sufragiis totius populi“ (XVIII, § 59). Althusius hält es für gefährlich, jede Entscheidung direkt dem Volk zu übertragen „qui privatis suis affectibus ducitur“ (XXXVIII, § 50); die Wahl der Ephoren ist dem vorzuziehen. Im „index verborum et rerum“ muss man nur die Eintragungen zu electio durchgehen, um die Bedeutung zu ermessen, die Althusius der Wahl von Repräsentanten beimisst. Althusius hat eine klare Vorstellung von der Demokratie: „Democratica administratio recte instituitur et peragitur, quando populus instar unius, jura majestatis exercet“; „natura Democratiae postulat ut honorum equalitas et libertas sit“; und er beruft sich auf die römische Republik: „Apud Romanos in Statu Democratico imperium erat in magistratibus, auctoritas et consilium in Senatu, potestas in plebe et majestas in populo“ (§ 59). Aus der ganzen Abhandlung über die Democratia sticht allerdings stets der Begriff der utilitas Reipublicae heraus (§ 80). Diese Ausführungen schließen mit der Feststellung, dass in der publica consociatio das Vorrang haben muss, was „ad commodam vitam degendum utilis“ ist (§ 97).