Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat: Positionierung deutscher Interessenverbände von 2000 bis 2014 [1. Aufl.] 9783658318246, 9783658318253

In der sozialwissenschaftlichen Literatur werden unterschiedliche Thesen zur Rolle von Interessenverbänden in Bezug auf

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Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat: Positionierung deutscher Interessenverbände von 2000 bis 2014 [1. Aufl.]
 9783658318246, 9783658318253

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXXI
Einleitung und Fragestellung (Benedikt Bender)....Pages 1-6
Analytisch theoretischer Rahmen (Benedikt Bender)....Pages 7-34
Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: Abbau, Konsolidierung und Ausbau zwischen 2000 und 2014 (Benedikt Bender)....Pages 35-77
Auswahl der Interessensorganisationen nach politischer und gesellschaftlicher Relevanz (Benedikt Bender)....Pages 79-101
Beschreibung und erwartete Positionierung der relevanten Gewerkschaften und Unternehmerverbände (Benedikt Bender)....Pages 103-142
Methodik der Textanalysen (Benedikt Bender)....Pages 143-150
Empirische Analysen (Benedikt Bender)....Pages 151-244
Fazit: Moderate Konfliktlinien und die Koexistenz struktureller und strategischer Interessen im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat (Benedikt Bender)....Pages 245-256
Back Matter ....Pages 257-297

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Benedikt Bender

Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat Positionierung deutscher Interessenverbände von 2000–2014

Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat

Benedikt Bender

Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat Positionierung deutscher Interessenverbände von 2000–2014

Benedikt Bender Institut für Politikwissenschaft Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland Dissertation Universität Mannheim, 2020

ISBN 978-3-658-31824-6 ISBN 978-3-658-31825-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31825-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

„The power resource approach expects conflicts of interests with respect to social citizenship between employers and economically well endowed categories, on the one hand, and employees relying primarily on labor power, on the other hand.“ (Korpi 2006: 174) „De-commodification strengthens the worker and weakens the absolute authority of the employer. It is exactly this reason that employers have always opposed de-commodification.“ (Esping-Andersen 1990: 22) „Protection of employment and income is widely seen in the welfare state literature as reducing workers’ dependence on the market and employers (‘decommodification’ in Esping-Andersen’s terminolo-gy). In turn, this is argued to reflect a particular balance of power between labor and capital. We reject both theses.“ (Estevez-Abe, Iversen, Soskice 2001: 180-81) „Because the interests of these workers would be well aligned with most employers, there would be a formidable political coalition in favor of retaining and strengthening existing institutions.“ (Estevez-Abe, Iversen, and Soskice 2001: 161)

Für Justyna, Simon und Sara

Danksagung

Die Dissertation ist in Verbindung mit zwei Forschungsprojekten erarbeitet worden, die beide von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurden: das am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) angesiedelte Projekt „Krisenkorporatismus oder Korporatismus in der Krise? Soziale Konzertierung und Sozialpakte in Europa“1 und am Sonderforschungsbereich „Political Economy of Reforms“ das Teilprojekt „Welfare state reform support from below: linking individual attitudes and organized interests in Europe“.2 Erst durch die finanzielle Förderung der DFG konnten überhaupt Anknüpfungspunkte zum Dissertationsprojekt entstehen. Wer sich der Dissertationsschrift annimmt, benötigt Zeit und Ausdauer zum Studieren der Arbeit. Personen, die diese Zeit und Ausdauer bereits im Vorfeld aufgebracht haben, möchte ich genauso danken wie Personen, die mich insgesamt begleitet haben. Mit meinem akademischen Einstieg in Darmstadt hatte Prof. Dr. Gisela KubonGilke entscheidenden Anteil an meinem Interesse an der Thematik, da sie mir ökonomische Zusammenhänge verdeutlichte, die meine Neugier auf die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung erst entstehen ließen. Ebenfalls ist Prof. Dr. Jürgen Kohl zu nennen, dem ich eine unvergessliche, intensive Studienzeit der Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg verdanke. Jürgen Kohl hat maßgeblichen Anteil an der Entwicklung meines soziologischpolitikwissenschaftlichen Verständnisses, und das Thema dieser Arbeit steht in direktem Zusammenhang mit seiner Einführungsvorlesung „Staat und öffentliche Verwaltung“. 1 Projektnummer: 2 Projektnummer:

EB 434/3-1. 139943784–SFB 884.

IX

X

Danksagung

Mit dem Wechsel an die Universität Mannheim hatte Prof. Dr. Bernhard Ebbinghaus dann maßgeblichen Anteil an meinem wissenschaftlichen Arbeiten und insbesondere an der vorliegenden Dissertation. Er hat meine Arbeit mit kritischen Kommentaren, hilfreichen Hinweisen und neuen Ideen immer wieder bereichert. Der Dank ist zu groß, um ihn in Worte zu fassen, es sei aber darauf hingewiesen, dass viele Wissenschaftler international von Bernhard Ebbinghaus begleitet werden, wovon die (Sozial-)Wissenschaften als Ganzes profitieren. Auch Prof. Dr. J. Timo Weishaupt, Prof. Dr. Katja Möhring, PhD Thomas Bahle sowie allen Kolleginnen und Kollegen des MZES und SFB gilt mein ausdrücklicher Dank. Alle haben in unterschiedlichen Bereichen zu dieser Arbeit beigetragen, und für eine Korrekturlesung gilt Beate Rossi gesonderter Dank. Mareike Ariaans möchte ich ebenfalls für ihre konstruktive Kritik danken genauso wie dem ganzen „Arbeitskreis Dissertation“, den wir 2015 gegründet haben und von dem mir immer wieder gute Hinweise gegeben wurden. Allen studentischen Mitarbeitern in beiden Projekten sei ebenfalls herzlich gedankt, besonders Florian Andersen und Luzia Hackenbroch. Ebenfalls möchte ich allen Studierenden danken, die meine Lehrveranstaltungen am Lehrstuhl für Makrosoziologie besucht haben und diese mit kritischer Diskussion bereicherten. Aus dem nicht akademischen Bereich möchte ich Bernd Neumann besonders hervorheben. Bernd begleitet mich seit vielen Jahren, und ich habe derart viel von seiner geistreichen Kritik gelernt, dass mein Weg ohne ihn nicht zu denken ist. Der letzte und größte Dank geht an meine Familie, meine liebe Mutter und besonders an meine Frau und meine beiden wundervollen Kinder. Es gibt kein größeres Geschenk als eine Familie zu haben, die einem in derart liebevoller Zuneigung verbunden ist. Besonders dann, wenn der Dissertationsprozess mal nicht ganz so einfach verläuft. In diesem Sinne möchte ich allen Personen, die während ihres Dissertationsprozesses auch einmal mühsamere Momente erleben, das Gemälde „Der junge Gelehrte“, gemalt um 1630 von einem Leidener Künstler im Umkreis von Rembrandt van Rijn, ans Herz legen. Es zeigt mit beeindruckender Deutlichkeit, dass man nicht der Einzige gewesen ist, der diese Momente zu überwinden hatte.

Zusammenfassung

Mit der Agenda 2010 und dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wurden neue Kapitel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland aufgeschlagen, die maßgeblich mit dem Wandel des Wohlfahrtsstaates verbunden werden. Zwei konkurrierende Thesen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung nehmen besonderen Bezug auf organisierte Interessen in diesem Wandlungsprozess: Nach der Machtressourcentheorie (Korpi, Esping-Andersen) sind es Gewerkschaften und Unternehmernehmerverbände, die im Widerstreit miteinander unterschiedliche Ziele in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verfolgen. Nach der koordinierten Marktwirtschaft (Hall, Soskice) haben hingegen beide Organisationstypen in bestimmten Branchen und Sektoren gleiche Interessen und präferieren wohlfahrtsstaatlichen Ausbau. Beide Erklärungsansätze werden durch die Neo-Korporatismustheorie (Schmitter, Streeck) ergänzt und über einen Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse empirisch überprüft. Es werden mehr als 2.400 Pressemitteilungen aus einem Zeitraum von über vierzehn Jahren analysiert, um die Frage zu beantworten, wie sich Gewerkschaften und Unternehmerverbände zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel positionieren. Es zeigt sich eine Koexistenz struktureller und strategischer Interessen, d. h. auf der einen Seite die Homogenität der Interessen einer Arbeitnehmer- und Kapitalseite, auf der anderen Seite aber auch situations- bzw. themenabhängige Eigeninteressen der Verbände, die von dem post-industriellen Klassenkonflikt abweichen. Insgesamt trägt die Neo-Korporatismustheorie am stärksten zum Erklärungsmodell bei, weil gezeigt wird, dass die gegensätzlichen Positionen umso moderater wurden, je mehr Austauschbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden vorhanden sind. Aus den Ergebnissen wird sodann eine neue Hypothese generiert, die der „Grad der präzisen Meinungsvielfalt“ genannt wird. Vereinfacht ausdrückt: Je geringer die Meinungsvielfalt ist, desto größer ist der Einfluss auf den Politikprozess. XI

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2 Analytisch theoretischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Machtressourcentheorie im Spiegel von Gewerkschaftsund Unternehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschaftsund Unternehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- und Unternehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung: Analytisch theoretischer Rahmen . . . . . . . . .

7

3 Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: Abbau, Konsolidierung und Ausbau zwischen 2000 und 2014 . . . . . . . . . . . . . 3.1 Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000 bis 2005. Kabinette Schröder I und II (SPD und Bündnis 90/Grüne) . . . . . 3.1.1 Zeit-/Leiharbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Befristete Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Teilzeittätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Jobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Existenzgründerzuschuss (Ich-AG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.7 Arbeitslosengeld I und II sowie aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.8 Zusammenfassung: Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000 bis 2005. Kabinette Schröder I und II (SPD und Bündnis 90/Grüne) . . . . . .

8 15 22 31 35 36 39 43 44 45 45 47 47

52

XIII

XIV

Inhaltsverzeichnis

3.2

3.3

3.4

3.5

Arbeitsmarkt und Sozialpolitik von 2005 bis 2009. Kabinett Merkel I (CDU/CSU und SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Arbeitslosengeld I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . 3.2.3 Kombilohn-Modelle und Lohnkostenzuschüsse . . . . . . . 3.2.4 Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Konjunkturpakete I & II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Arbeitslosengeld II – Hinzuverdienstmöglichkeiten und branchenspezifische Mindestlöhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsmarkt und Sozialpolitik von 2009 bis 2013. Kabinett Merkel II (CDU/CSU & FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Arbeitslosengeld II – Berechnungsmethode des Regelbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . 3.3.3 Branchenspezifische Mindestlöhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsmarkt und Sozialpolitik von 2013 bis 2014. Koalitionsverhandlungen und Beginn des Kabinetts Merkel III (CDU/CSU und SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Zeit/Leiharbeit und Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Teilzeittätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Aktive Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: Abbau, Konsolidierung und Ausbau von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 Auswahl der Interessensorganisationen nach politischer und gesellschaftlicher Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Politische Relevanz von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gesellschaftliche Relevanz von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Gesellschaftliche Relevanz von Gewerkschaften . . . . . . 4.2.2 Gesellschaftliche Relevanz von Unternehmerverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Diskussion der Organisationsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 55 57 58 59 60

61 64 67 67 68

69 71 72 72 72

75 79 80 88 88 92 99

Inhaltsverzeichnis

5 Beschreibung und erwartete Positionierung der relevanten Gewerkschaften und Unternehmerverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Deutscher Industrie und Handelskammertag (DIHK) . . . . . . . . . 5.8 Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) . . . . . . . . . . . . 5.9 Gesamtmetall – Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10 Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

103 103 107 111 116 119 123 127 129 133 136

6 Methodik der Textanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Datenkorpus – Generierung und Selektion der Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Codeschema, Codierung und die Berechnung der Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Ungewichtete Positionsberechnung – Ausschluss der Salienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

7 Empirische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Mitgliedermobilisierung und Strategien der Einflussnahme . . . . 7.1.1 Insider-Outsider-Strategie der Einflussnahme seitens der Unternehmerverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Insider-Outsider-Strategie der Einflussnahme seitens der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Zwischenbetrachtung: Mitgliedermobilisierung und Strategie der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Unternehmer- und Gewerkschaftsinteressen im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Exkurs: Der Grad der präzisen Meinungsvielfalt . . . . . . 7.2.2 Positionierung der Unternehmerverbände zum Arbeitslosengeld I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Positionierung der Unternehmerverbände zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik (Fordern) . . . . . . . . . .

151 152

143 146 148

153 159 164 166 167 169 172

XVI

Inhaltsverzeichnis

7.2.4

Positionierung der Unternehmerverbände zur aktiven Arbeitsmarktpolitik (Fördern) . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Positionierung der Gewerkschaften zum Arbeitslosengeld I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Positionierung der Gewerkschaften zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik (Fordern) . . . . . . . . . . 7.2.7 Positionierung der Gewerkschaften zur aktiven Arbeitsmarktpolitik (Fördern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8 Gesamtbetrachtung: die Positionierungen zum Arbeitslosengeld, aktivierender und aktiver Arbeitsmarktpolitik bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8.1 Gesamtbetrachtung Arbeitslosengeld I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8.2 Gesamtbetrachtung aktivierende Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8.3 Gesamtbetrachtung aktive Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9 Positionierung der Unternehmerverbände zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.1 Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.2 Befristete Beschäftigungsverhältnisse . . . . . . 7.2.9.3 Teilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.4 Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Jobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.5 Zeit-/Leiharbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.6 Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9.7 Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10 Positionierung der Gewerkschaften zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10.1 Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10.2 Befristete Beschäftigungsverhältnisse . . . . . . 7.2.10.3 Teilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10.4 Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Jobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10.5 Zeit-/ Leiharbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10.6 Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 177 181 186

189 191 193 195 196 200 202 203

204 205 207 207 208 211 213 215

216 217 221

Inhaltsverzeichnis

7.2.10.7 Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.11 Gesamtbetrachtung: Positionierung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.12 Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn . . . . . . . . 7.2.12.1 Positionierung der Unternehmerverbände zum Mindestlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.12.2 Positionierung der Gewerkschaften zum Mindestlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.12.3 Exkurs: Die Gewerkschaften und die SPD bei der Einführung des Mindestlohns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.13 Gesamtbetrachtung: Positionierung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften zum flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn . . . . . . . . . . 8 Fazit: Moderate Konfliktlinien und die Koexistenz struktureller und strategischer Interessen im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Theoretische Implikationen: Koexistenz struktureller und strategischer Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Politische Implikationen: Reformpakete, Organisationsstruktur und Ausmaß des Konfliktes . . . . . . . . . . . .

XVII

222

223 226

227 232

239

241

245 248 253

Codepläne zur Analyse der Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

Verzeichnis der Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273

Abkürzungsverzeichnis

ABM AGEV AGV Banken Agv-MoVe ALLBUS ALG ALG I ALH AL-Versicherung AP AVR BA BASF BAAK BAG Arbeit BAP BAVC BBS BDA BdB BDI

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Arbeitgebervereinigung für Unternehmen aus dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitätsund Verkehrsdienstleister Allgemeine Bevölkerungsumfrage Arbeitslosengeld Arbeitslosengeld I (Rechtskreis SGB III) Arbeitslosenhilfe Arbeitslosenversicherung Arbeitsmarktpolitik Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken Bundesagentur für Arbeit Badische Anilin- & Soda-Fabrik (Chemiekonzern) Bundesarbeitsgemeinschaft für Arbeitskammern Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister Bundesarbeitgeberverband Chemie Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband deutscher Banken Bundesverband der Deutschen Industrie

XIX

XX

BDIH

BfB BffK BGA BITKOM BSW BTGA BV Schmuck+Uhren bvdm CDU CGB CGM CGZP CME CSU DAV DBB DBV DEHOGA DeSH DFeuG DGB DHV DIHK Diff. DPhV DPoIG DVFB E-Formen EVG

Abkürzungsverzeichnis

Bundesverband der Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und kosmetische Mittel Bundesverband der Freien Berufe Bundesverband für freie Kammern Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien Bundesverband Solarwirtschaft Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung Vereinigung der Bundesverbände des deutschen Schmuck- und Silberwarengewerbes Bundesverband Druck und Medien Politische Partei Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands Einzelgewerkschaften Christliche Gewerkschaft Metall Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen Koordinierte Marktwirtschaften Politische Partei Christlich Soziale Union in Bayern Deutscher Arbeitgeberverband Beamtenbund und Tarifunion Deutscher Bauernverband Deutscher Hotel- und Gaststättenverband Deutsche Säge- und Holzindustrie Bundesverband Deutsche Feuerwehr Gewerkschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Die Berufsgewerkschaft Deutscher Industrie- und Handelskammertag Differenz Deutscher Philologenverband Deutsche Polizeigewerkschaft Deutscher Vieh- und Fleischhandelsbund Erwerbsformen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft

Abkürzungsverzeichnis

FDP Figawa Gew. Orga.-Grad GDBA GdF GDV GdL Gesamtmetall GEW GKV GL GÖD Grünen Gsmt GW Hartz IV Hartz I-IV HDE herv. hpv IAQ Ich-AG IG Bau IG BCE IG BE IG CPK IG Metall IGZ KoalPartei KfW KMW Linken LME

XXI

Politische Partei Freie Demokratische Partei Bundesvereinigung der Firmen im Gas- und Wasserfach Gewerkschaftlicher Organisationsgrad Ehemalige Gewerkschaft im Deutschen Beamtenbund Gewerkschaft der Flugsicherung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Gewerkschaft Deutscher Lokführer Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metallund Elektroindustrie Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie Gewerkschaft Leder Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen Politische Partei Bündnis 90/Die Grünen Gesamt Gewerkschaften Arbeitslosengeld II (Rechtskreis Sozialgesetzbuch Zweites Buch) Arbeitsmarktreformen von 2003-2005 Hauptverband des Deutschen Einzelhandels Hervorgehoben Hauptverband Papier und Kunststoffverarbeitung Institut für Arbeit und Qualifikation Förderung von Existenzgründung Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie Industriegewerkschaft Bergbau und Industrie Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik Gewerkschaft Metall Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen Koalitionspartei Kreditanstalt für Wiederaufbau Koordinierte Marktwirtschaft Politische Partei Die Linke Liberale Marktwirtschaften

XXII

MEW Mio. MRT M.-Verbände/- kammern NGG Niedriglohnsek. NKT NRW OECD Orga. OT-Mitgliedschaft PM Relev. Rot-grün RWE SAP SGB SGB II SGB XII Soz.leistungen SPD SPECTARIS SV TdL UFO UV VBE VCI VDA VDMA Ver.di Vereinf. VoC

Abkürzungsverzeichnis

Marx-Engels-Werke Millionen Machtressourcentheorie Mitgliedsverbände und Mitgliedskammern Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Niedriglohnsektor Neo-Korporatismustheorie Nordrhein-Westfalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Organisation Mitgliedschaft ohne Tarifbindung Pressemitteilung Relevanz Koalitionsbündnis zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (Energieversorgungskonzern) Softwarekonzern Arbeitsförderungsreform-Gesetz Sozialgesetzbuch Zweites Buch Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialleistungen Politische Partei Sozialdemokratische Partei Deutschlands Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse Tarifgemeinschaft deutscher Länder Unabhängige Flugbegleiter Organisation Unternehmerverband/Unternehmerverbände Verband Bildung und Erziehung Verband der Chemischen Industrie Verband der Automobilindustrie Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Vereinfachte Varieties of Capitalism

Abkürzungsverzeichnis

VW WS ZVEI ZDH ZVEI

XXIII

Volkswagen AG (Automobilkonzern) Wohlfahrtsstaat Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie Zentralverband des Deutschen Handwerks Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Abbildung 2.2 Abbildung 2.3 Abbildung 2.4

Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 7.1 Abbildung 7.2 Abbildung 7.3

Abbildung 7.4

Interessenmodellierung des Machtressourcenansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenmodellierung des Neo-Korporatismusansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenmodellierung in der koordinierten Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenmodellierung von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden für mehr wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und die Regulierung des Arbeitsmarkts nach der Machtressourcen- und Neo-Korporatismustheorie sowie der koordinierten Markwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absolute Mitgliederanzahl der Dachverbände in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitglieder nach Statusgruppen im DGB und DBB . . . . Mitgliederanteile der Einzelgewerkschaften im DGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der relevanten Pressemitteilungen und Codes der Unternehmerverbände von 2000–14 . . . . . . . Übersicht der relevanten Pressemitteilungen und Codes der Gewerkschaften von 2000–14 . . . . . . . . . . . . Relevante Pressemitteilungen und Codes von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grad der präzisen Meinungsvielfalt (Idealtypus) . . . . . .

12 20 28

33 89 90 91 156 161

165 168

XXV

XXVI

Abbildung 7.5 Abbildung 7.6 Abbildung 7.7 Abbildung 7.8 Abbildung 7.9

Abbildung 7.10 Abbildung 7.11

Abbildung 7.12 Abbildung 7.13

Abbildung 7.14

Abbildung 7.15

Abbildung 7.16 Abbildung 7.17

Abbildung 7.18 Abbildung 7.19 Abbildung 7.20

Abbildungsverzeichnis

Positionierung der Unternehmerverbände zum Arbeitslosengeld von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik von 2000–14 . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zu aktiver Arbeitsmarktpolitik von 2000–14 . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zum Arbeitslosengeld von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zu aktivierender Arbeitsmarktpolitik (Fordern) von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zu aktiver Arbeitsmarktpolitik (Fördern) von 2000 bis 2014 . . . . . Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zum Arbeitslosengeld 2000–2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierungen der Organisationstypen zum Arbeitslosengeld 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zu aktivierender Arbeitsmarktpolitik (Fordern) 2000–2014 . . . . . . . . . . . Positionierung der Organisationstypen zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik (Fordern) 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zu aktiver Arbeitsmarktpolitik (Fördern) 2000–14 . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Organisationstypen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik (Fördern) 2000–14 . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zur Zeit-/Leiharbeit von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zur Kurzarbeit von 2008 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169 173 175 177

182 187

192 192

194

194

195 196

197 206 208

209

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 7.21

Abbildung 7.22 Abbildung 7.23

Abbildung 7.24 Abbildung 7.25 Abbildung 7.26 Abbildung 7.27

Abbildung 7.28 Abbildung 8.1

Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zur Zeit-/Leiharbeit von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zur Kurzarbeit von 2008 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Organisationstypen zur Flexibilisierung von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Unternehmerverbände zum Mindestlohn von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften zum Mindestlohn von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zum Mindestlohn von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Organisationstypen zum Mindestlohn von 2000 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multidimensionales Politikfeld zu Konsens und Konflikt bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXVII

218 222

225 226 227 233

242 242

251

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.1 Tabelle 2.2 Tabelle 2.3 Tabelle 2.4 Tabelle 3.1 Tabelle 3.2 Tabelle 3.3 Tabelle 3.4 Tabelle 3.5 Tabelle 3.6 Tabelle 3.7 Tabelle 3.8 Tabelle 3.9 Tabelle 3.10

Idealtypische Organisationsinteressen nach der Machtressourcentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealtypische Organisationsinteressen nach der Neo-Korporatismustheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealtypische Organisationsinteressen nach der koordinierten Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealtypische Organisationsinteressen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckdaten zu Bundestagswahlen und Parlamentszusammensetzung von 1998 bis 2005 . . . . . . . . Überblick Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 1998– 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerbsformen in Deutschland von 1998 bis 2014 . . . . . . Eckdaten zu Bundestagswahlen und Parlamentszusammensetzung von 1998 bis 2009 . . . . . . . . Überblick Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2006– 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckdaten zu Bundestagswahlen und Parlamentszusammensetzung von 1998 bis 2013 . . . . . . . . Überblick Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2010– 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckdaten zu Bundestagswahlen und Parlamentszusammensetzung von 1998 bis 2017 . . . . . . . . Überblick Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 2014 . . . . . . . . . Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000–2014; vereinf. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 18 27 32 36 36 41 54 54 64 65 69 70 75

XXIX

XXX

Tabelle 4.1 Tabelle 4.2 Tabelle 4.3 Tabelle 4.4 Tabelle 4.5 Tabelle 4.6

Tabelle 4.7 Tabelle 5.1

Tabelle 5.2 Tabelle 5.3 Tabelle 5.4 Tabelle 5.5 Tabelle 5.6 Tabelle 5.7 Tabelle 5.8 Tabelle 5.9 Tabelle 5.10 Tabelle 5.11 Tabelle 5.12 Tabelle 5.13 Tabelle 5.14

Tabellenverzeichnis

Relevante Anhörungen im Bundestag von 2003 bis 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevante Anhörungen im Bundestag von 2005 bis 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevante Anhörungen im Bundestag von 2009 bis 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevante Anhörungen im Bundestag 2014 . . . . . . . . . . . . . Die größten Spitzenverbände und Dachorganisationen der Arbeitgeberverbände in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . Die größten Mitgliedsverbände in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die größten Spitzenverbände und Dachorganisationen der Deutschen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerbstätige, gewerkschaftlicher Organisationsgrad und Gewerkschaftsmitglieder absolut des DGB von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; DGB herv. . . . . . . . . . . . . Mitgliederentwicklung der IG Metall von 2000–14 . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; IG Metall herv. . . . . . . . . Mitgliederentwicklung der IG BCE von 2000–14 . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; IG BCE herv. . . . . . . . . . . Mitgliederentwicklung bei Ver.di von 2000–14 . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; Ver.di herv. . . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. BDA herv. . . . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; BDI herv. . . . . . . . . . . . . . Die größten Mitgliedsverbände des BDI . . . . . . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; DIHK herv. . . . . . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; ZDH herv. . . . . . . . . . . . . Mitgliederentwicklung des ZDH von 2000–14 (Kammern und Innungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81 82 84 86 93

95 97

104 107 109 111 112 115 117 119 121 124 126 128 130 132

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.15 Tabelle 5.16 Tabelle 5.17 Tabelle 5.18 Tabelle 6.1 Tabelle 7.1 Tabelle 7.2

Tabelle 7.3 Tabelle 7.4 Tabelle 7.5

Tabelle 7.6

Tabelle 7.7

Tabelle 8.1 Tabelle A.1 Tabelle A.2 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

A.3 A.4 A.5 A.6 A.7

Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; Gesamtmetall herv. . . . . . Mitgliederentwicklung bei Gesamtmetall von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliederentwicklung beim BAVC von 2000–14 . . . . . . . Erwartete Positionierung der Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik; BAVC herv. . . . . . . . . . . . Anzahl gesammelter (Vor) und codierter (Nach) Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der relevanten Pressemitteilungen der Unternehmerverbände von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der Codes aus den relevanten Pressemitteilungen der Unternehmerverbände von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der relevanten Pressemitteilungen der Gewerkschaften von 2000–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der Codes aus den relevanten Pressemitteilungen der Gewerkschaften von 2000–14 . . . . Theoretische Erwartung und Positionierung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften bei Debatten zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel . . . . . . . . . . . . Theoretische Erwartung und Positionierung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften bei Debatten zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts . . . . . . . . . Theoretische Erwartung und Positionierung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften bei Debatten zum Mindestlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationsinteressen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeplan für Höhe und Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeplan für aktivierende Arbeitsmarktpolitik (Fordern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeplan für aktive Arbeitsmarktpolitik (Fördern) . . . . . . . Codeplan für Flexibilisierung des Arbeitsmarkts . . . . . . . . Codeplan für Zeit-/Leiharbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeplan für Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeplan für Mindestlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXI

134 135 138 141 145 154

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243 247 257 258 259 260 261 261 262

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Einleitung und Fragestellung

Bei der Frage, wie die Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten erklärt werden kann, lautet eine prominente These, dass Arbeitgeber immer gegen sozialstaatlichen Ausbau opponiert haben (Esping-Andersen 1990: 22), dass soziale Sicherung im Falle von Arbeitslosigkeit, ein stark ausgeprägter Kündigungsschutz oder die Regulierung des Arbeitsmarkts immer gegen die Interessen der Kapitalseite durchgesetzt worden sind. Mit den Spielarten des Kapitalismus ist eine Gegenthese hinzugekommen, die besagt, dass die Arbeitgeber durchaus ein Interesse an einem ausgeprägten Kündigungsschutz oder sozialer Absicherung haben können, damit sich die Mitarbeiter firmenspezifisch weiterbilden (Estevez-Abe et al. 2001; Iversen, Soskice 2001). Diese unterschiedlichen Thesen bilden die Grundlage der Fragestellung, die grob gefasst lautet: Welche Interessen haben Arbeiternehmer1 und Arbeitgeber im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat? Was bedeutet zunächst ein sich wandelnder Wohlfahrtstaat, und warum wird Deutschland im Zeitraum von 2000 bis 2014 analysiert? Deutschland wird häufig als repräsentativ für eine ganze Ländergruppe genannt unter der Annahme, dass sich Mechanismen von Reformprozessen und Konfliktlinien auch in anderen kontinentaleuropäischen Ländern (Niederlande, Österreich und Belgien) nachweisen lassen (Esping-Andersen 1990; Hall, Soskice 2001, 2003; Streeck 2001). So auch der sich wandelnde Wohlfahrtsstaat, der seit den 2000er Jahren unter einem „Wandel der Beschäftigungsverhältnisse“ oder „Transformation des Arbeitsverhältnisses“ diskutiert wird (Bonoli, Natali 2012: 8; Mau, Verwiebe 2009: 144 f.). Übersetzt werden kann diese Transformation der Arbeitsverhältnisse grob mit einer Flexibilisierung 1 Einzig

aus Gründen der Lesbarkeit wird auf eine explizit geschlechterneutrale Schreibweise wie Leser und Leserin, LeserIn, Leser-in, Leser_in, Leser*in, Lesex etc. verzichtet. Das grammatische Maskulinum bezieht immer alle Geschlechter mit ein. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Bender, Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31825-3_1

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Einleitung und Fragestellung

der Beschäftigungsverhältnisse, die mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie im Vertrag von Amsterdam 1997 formalisiert und eingeleitet wurde. Bei der Europäischen Beschäftigungsstrategie handelte es sich um eine Reihe gemeinsamer Ziele für eine bessere Beschäftigungssituation in Europa (Héritier 2005: 7). Über die offene Methode der Koordinierung sollten die Mitgliedsstaaten jeweils „nationale Aktionspläne“ entwickeln, die Auskunft darüber geben, wie die gemeinsamen Ziele und Richtlinien umgesetzt werden sollen. In Deutschland war dies im Jahr 1998 der Ausgangspunkt für die neue Bundesregierung aus SPD und Bündnis90/Grüne für die darauffolgende Agenda 2010. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein britischer Amtskollege Tony Blair stellten im Jahr 1999 im „Schröder-Blair-Papier“ ihre jeweiligen nationalen Aktionspläne vor. Das Schröder-Blair-Papier handelte von einer Neuausrichtung moderner Sozialdemokratie (Schmidt 2012: 44), die durch den Soziologen Anthony Giddens auch als the third way zwischen Sozialismus und liberaler Marktwirtschaft beschrieben wurde. Schröder und Blair übersetzten diesen dritten Weg in praktische Reformideen wie: Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, aktivierende Arbeitsmarktpolitik und geringe Sozialleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit (Bäcker et al. 2010b: 540). Immer wieder wird in der Literatur seither von der Umorientierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als Paradigmenwechsel gesprochen (Ebbinghaus, Weishaupt 2014: 676). Genau damit ist der sich wandelnde Wohlfahrtsstaat gemeint, d. h. maßgeblich mit der Agenda 2010 und deren Flexibilisierungsmaßnahmen (Mohr 2012: 57). Allerdings weisen neuere Studien darauf hin, dass diese Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen vorbei ist und es in den letzten Jahren, wenn überhaupt, nur noch in sogenannten weniger wissensbasierten Bereichen des Dienstleistungssektors Flexibilisierungsmaßnahmen gegeben hat (Apitzsch et al. 2015). In allen anderen Bereichen sei eine Regulierung zu beobachten. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn ist eingeführt, und auch in anderen Bereichen gab es Korrekturen und eine teilweise Rücknahme der Agenda 2010. Die Frage lautet, welche Interessen Gewerkschaften und Unternehmerverbände an Flexibilisierung und Regulierung haben sowie am wohlfahrtsstaatlichen Ab- und Ausbau und wie diese erklärt werden können. Drei theoretische Vorüberlegungen werden herangezogen, um Hypothesen für die Positionierung abzuleiten: Erstens, aus der Machtressourcentheorie ein ausgeprägtes Interesse pro wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und der Regulierung des Arbeitsmarkts bei den Gewerkschaften und ein ausgeprägtes contra bei den Unternehmerverbänden (Esping-Andersen 1990; Esping-Andersen, Korpi 1984; Korpi 1983). Zweitens, die Neo-Korporatismustheorie, gemäß der immer noch ein Gegensatz der Interessen zwischen Kapital(ist) und Arbeit(er) erwartet wird, die Interessen sind allerdings nicht ausgeprägt, sondern „lediglich“ moderat pro und contra (Schmitter 1979, 1985;

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Einleitung und Fragestellung

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Schmitter, Streeck 1999). Moderat, weil Gewerkschaften und Unternehmerverbände über Tarifpolitik, betriebliche Bündnisse und den gleichberechtigten Einbezug in den Politikprozess miteinander verbunden sind. Diese institutionelle Verbundenheit verhindert in bestimmten Bereichen letztlich, dass die Unternehmerverbände Laissez-faire fordern und die Gewerkschaften eine Überregulierung des Arbeitsmarkts. Drittens, die Gegenthese, dass in den Leitsektoren der deutschen Wirtschaft gleiche Interessen bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden vorliegen, weil beide Organisationstypen komparative Vorteile eines ausgebauten Wohlfahrtsstaates und regulierten Arbeitsmarkts sehen (Estevez-Abe et al. 2001; Iversen, Soskice 2001; Iversen, Soskice 2019). Insgesamt hat die Frage nach den Interessen von Arbeit und Kapital eine lange Tradition, und bereits Karl Marx rückte diese in einen besonderen sozilogischen Interessensfokus. Unabhängig von seinen Prognosen und Hypothesen formulierte er zur Erklärung von sozialem Wandel den Grundgedanken gesellschaftlicher Auseinandersetzung als eben jenen Klassenkonflikt zwischen Bourgeoisie (Besitz) und Proletariat (Nichtbesitz) (MEW 1956–1990: 1, 390). Dass gesellschaftliche Konflikte immer Verteilungskonflikte sind und die eine Gruppe mehr Umverteilung präferiert (Nichtbesitz, Arbeit) und die andere Gruppe weniger Umverteilung (Besitz, Kapital), ist der Kern des marxistischen Gedankens (Neffe 2017: 136–142). Dieser Kern des marxistischen Gedankens findet sich auch in der Machtressourcen- und Neo-Korporatismustheorie wieder, da von gegensätzlichen Interessen ausgegangen wird. In einer differenzierungstheoretischen Auseinandersetzung werden solche einfachen Kategorien wie Arbeit und Kapital allerdings kritisch betrachtet. Die Moderne sei eine differenzierte Konstruktion und es gebe immer mehr als die Existenz zweier Hauptklassen aus Kapital(isten) und Arbeit(er) und damit auch multiple Interessen, die nicht auf die Kriterien Besitz und Nichtbesitz reduziert werden könnten (Schwinn 2011: 29 f.). Im Kern berührt dies die hiesige Fragestellung, nämlich ob die Gewerkschaften (Arbeit) homogene Interessen pro wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Regulierung des Arbeitsmarkts haben und diese gegen die homogenen Interessen der Unternehmerverbände artikulieren oder ob in bestimmten Bereichen des exportorientierten Sektors nicht gleiche Interessen zwischen Arbeit und Kapital vorliegen. Der Forschungsstand – das zeigt Kapitel 2 – ist kontrovers und ambivalent. So können gleiche Interessen bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik am Beispiel der Kurzarbeit gezeigt werden (Bender, Ebbinghaus 2020: 45; Eichhorst, Weishaupt 2013: 11 f.). Besonders die Kurzarbeit scheint als das prominenteste Beispiel aus der koordinierten Marktwirtschaft zu sein, wenn auch andere Autoren gleiche Interessen bei der Flexibilisierung von

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Einleitung und Fragestellung

Tarifverträgen, bei Lohnzurückhaltung oder der Zunahme von prekärer Beschäftigung analysiert haben (Streeck 2016: 58). Busemeyer weist zudem auf gleiche Interessen beim Berufsbildungsgesetz im Jahr 2005 hin, allerdings wird dabei nochmals zwischen Insider- und Outsider-Interessen unterschieden (Busemeyer 2011: 15–17). Es wird betont, dass gleiche Interessen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden überwiegend bei Themen vorhanden sind, die Insiderinteressen stärken, was auch am Beispiel der Mini-Jobs gezeigt wird (Palier, Thelen 2010: 121). Ähnliche gleiche Positionen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau bei Arbeitsmarktinsider ist nach Davidsson auch bei Re-Regulierungsreformen der sozialen Sicherung vorhanden gewesen (Davidsson 2009: 15). Weniger auf die Differenzierung von Insider- und Outsiderinteressen ausgerichtet, sondern vielmehr ein genuines Interesse der Unternehmerverbände an mehr beruflicher Bildung und mehr Kündigungsschutz begründen Iversen und Soskice damit, dass firmenspezifische Bildungsinvestitionen von den Mitarbeitern nur getätigt werden, wenn sie ausreichend gegen Entlassung und Arbeitslosigkeit geschützt sind (Iversen, Soskice 2019: 50, 67, 69). Laut Swenson liegt zudem ein Interesse an mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor, da mehr Weiterbildung den Arbeitskräftemangel behebt und damit auch im Interesse der Unternehmen ist (Swenson 2002: 7). Paster zeigt Ähnliches bei der Frühverrentung, wo eine „künstliche“ Verknappung der Nachfrageseite in Phasen von hoher Arbeitslosigkeit für mehr Beschäftigung sorgt und somit auch im sozialund arbeitsmarktpolitischen Interesse der Unternehmer ist (Paster 2019: 7–9). Es liegen allerdings auch gegenteilige Ergebnisse vor, welche die These der gleichen Interessen aus der koordinierten Marktwirtschaft widerlegen. Emmenegger, Marx (2011) argumentieren, dass sich aufgrund zu erwartender steigender Kosten für die einzelnen Unternehmen die Kapitalseite nach dem Zweiten Weltkrieg immer gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und für Arbeitsmarktflexibilisierung positioniert hat. Besonders bei den Themen Kündigungsschutz, Grundsicherung (Gordon 2015: 94) und Mindestlöhne (Meyer 2016: 550) liegen Analysen vor, dass die Unternehmer contra wohlfahrtsstaatlichen Ausbau waren und ihre Interessen gegen die Interessen der Gewerkschaften artikulierten. Die Gewerkschaften positionierten sich hingegen einheitlich für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Arbeitsmarktregulierung (ebd.). Der vorliegende Beitrag ergänzt also einen ambivalenten Forschungsstand zum Wandel des Wohlfahrtsstaates und den Interessen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden im Vergleich. Die Motivation der Fragestellung ist gleichsam aus der Beobachtung dieser unterschiedlichen Forschungsergebnisse entstanden. Nachfolgend gilt es nun, diese Interessen systematisch und über einen längeren

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Einleitung und Fragestellung

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Zeitraum zu analysieren, da in der bisherigen Literatur Analysen für mehrere Legislaturperioden, mehrere Regierungswechsel, unterschiedliche Themenbereiche und unter Berücksichtigung externer Schocks wie der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008/2009 für den deutschen Fall fehlen (Häusermann 2015: 603). Zudem werden nachfolgend die Themen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausgeweitet: Sie beschränken sich nicht ausschließlich auf den Kündigungsschutz oder Mindestlohn, sondern die nachfolgende Analyse geht über den aktuellen Forschungsstand hinaus und beinhaltet zusätzlich die Höhe und Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes, aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen, Teilzeit, Zeit-/Leiharbeit, Werkverträge und die Kurzarbeit. Um die Interessen zu diesen Themen zu analysieren, wird ein Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse angewandt. Die Codierung basiert dabei nicht einzig auf einer automatisierten Analyse bestimmter Wörter oder Wortkombinationen, sondern die Pressemitteilungen werden qualitativ durchgearbeitet, d. h. interpretiert und händisch codiert. Die Aussagen der Organisationen werden einem zuvor festgelegten Kategorienschema zugeordnet, aus dem Textmaterial extrahiert und numerisch aufbereitet sowie grafisch dargestellt (Kuckartz 2010; Wickham, Grolemund 2017). Folgende Fragenkomplexe sind zentral und gliedern die Arbeit in acht Kapitel: In Kapitel 2 wird theoretisch danach gefragt, welche Interessen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden angenommen werden können und welche Hypothesen sich daraus ableiten lassen. In Kapitel 3 werden Flexibilisierungsund Regulierungsreformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland beschrieben, in Kapitel 4 werden die einzelnen Organisationen vorgestellt und begründet, warum zehn Organisationen (vier Gewerkschaften und sechs Unternehmerverbände) ausgewählt wurden. In Kapitel 5 wird die Mitgliederentwicklung der ausgewählten Organisationen beschrieben und abgeleitet, welche Positionierungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik je nach Branche, Austauschbeziehung und Organisation zu erwarten sind. Nach der methodischen Beschreibung der qualitativquantitativen Inhaltsanalyse in Kapitel 6, folgt in Abschnitt 7.1 die erste deskriptive Beschreibung der Pressemitteilung. Hier wird die Anzahl der Pressemitteilungen je Organisation und der vergebenen Codes dargestellt und erklärt. Abschnitt 7.2 umfasst dann die eigentliche empirische Analyse mit der Darstellung und Erklärung der Interessen der jeweiligen Organisation; ferner, ob und, wenn ja, wie sich die Interessen im Zeitverlauf verändert haben und welche Rückschlüsse auf die Hypothesen gezogen werden können.

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Einleitung und Fragestellung

Zwar handelt es sich bei dieser Arbeit nicht um eine Analyse des Einflusses auf den Politikprozess, aber dennoch wird in Abschnitt 7.2.1. ein neues Konzept vorgestellt, das zu weiterer Forschung über den Einfluss von Interessengruppen anregen soll. Das Konzept wird der „Grad der präzisen Meinungsvielfalt“ genannt, und es wird die These formuliert, dass der Einfluss auf den Politikprozess am größten ist, wenn der „Grad der präzisen Meinungsvielfalt“ am geringsten ist. Im Fazit, Kapitel 8, werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst, nämlich, dass es sich um strukturelle und strategische Organisationsinteressen handelt, mit denen politisch-ökonomische Konfliktlinien erklärt werden können. Strukturelle Interessen sind normative Grundorientierungen einer Arbeiternehmer- und Kapitalseite, die im moderaten Konflikt miteinander stehen. Strategische Interessen sind hingegen situations- und themenabhängige Abweichungen von eigennutzenorientierten Verbänden, wie es die Beispiele des Mindestlohns (2000 bis 2006), aktiver (2008 bis 2014) und aktivierender Arbeitsmarktpolitik (2002) sowie Kurzarbeit zeigen. Diese Koexistenz struktureller und strategischer Interessen in der Arbeitsmarktund Sozialpolitik Deutschlands ist der zentrale Beitrag des Buches und schließt mit der Anregung, die strategisch-dynamischen Einzelinteressen der Verbände stärker branchen- und sektorenunabhängig zu berücksichtigen.

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Analytisch theoretischer Rahmen

Welche Interessen können theoretisch von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik angenommen werden, wie lautet der Forschungsstand und wie lassen sich Hypothesen ableiten? Zentral werden folgende theoretische Annahmen sein: Zum Ersten, dass die Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder repräsentieren und als Transmissionsriemen und je nach eigener Machtressource in den Politikprozess transformieren. Bei dieser Interessenstransformation präferieren die Gewerkschaften mehr wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und mehr Arbeitsmarktregulierung und stehen damit im ausgeprägten Gegensatz zu den Interessen der Unternehmerverbände. Zum Zweiten, dass aufgrund des Einbezugs beider Organisationstypen in den Politikprozess, der Kooperation über Tarifpolitik und betriebliche Mitbestimmung kein ausgeprägter, sondern ein moderater Gegensatz der Interessen vorliegt. Zum Dritten werden in (hoch-)spezialisierten Bereichen des exportorientierten Sektors gleiche Interessen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbände erwartet, weil sie beide ein Interesse an einem ausgebauten Wohlfahrtsstaat haben. Besonders die Machtressourcentheorie und die koordinierte Marktwirtschaft widersprechen sich in Grundannahmen zur Positionierung von Arbeit und Kapital und damit auch in ihrer Erklärungskraft zu sozial- und arbeitsmarktpolitischen Reformdebatten (Häusermann 2015: 603). Nachfolgend werden zunächst idealtypische Konstruktionen der Präferenzen abgeleitet. Wie sich die einzelnen Organisationen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik positionieren wird je nach Mitgliedergröße und Branche erst bei der Organisationsbeschreibung in Kapitel 5 ausformuliert.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Bender, Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31825-3_2

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2.1

Analytisch theoretischer Rahmen

Machtressourcentheorie im Spiegel von Gewerkschafts- und Unternehmerinteressen

Die Machtressourcentheorie ist ein konflikttheoretischer Ansatz zur Erklärung von Staatstätigkeit und geht dabei von der Annahme aus, dass das Ausmaß der Machtverteilung zwischen gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Klassen den Charakter der Staatstätigkeit bestimmt (Schmidt et al. 2007: 40). Nicht etwa funktionalistische, sozioökonomische oder institutionalistische Faktoren bestimmen die Staatstätigkeit, sondern, wenn von einem System ausgegangen wird, das seinen Bürgern eine freie Organisation ihrer Interessen einräumt, handelt es sich um einen Aushandlungsprozess von Gruppenkonflikten. Frei organisierbare Interessen und die Auswirkungen der Konfliktaustragung werden dabei grundsätzlich als positiv bewertet, als Kennzeichnen einer funktionierenden Demokratie und als Zeichen einer stabilen Gesellschaft (Münch 2004: 336). Die Zusammensetzung des Parlamentes bzw. der Regierung ist also nicht die primäre Determinante staatlicher Politik, sondern die Machtbalance und die Mobilisierung der Mitglieder politisch organisierter Klassen. Politik ist in diesem Sinne eingebettet in und Ausdruck von Klassenkonflikten und prägt in diesem Sinne die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates. Die Interessen politisch organisierter Klassen werden in marxistischer Tradition als Klassenantagonismus verstanden, der als Kriterium den Besitz (Bourgeoisie/Kapital) oder den Nichtbesitz (Proletariat/Arbeit) von Produktionsmitteln hat. Nach dieser Lesart verfolgen Arbeit und Kapital im Widerstreit zueinander stehende Interessen (Korpi 2006: 171–183). Diese Interessen organisieren sich bei den Arbeitern in Gewerkschaften und linken Parteien und bei den Arbeitgebern in Unternehmerverbänden und marktliberalen Parteien (Ebbinghaus 2015: 57). Es handelt sich bei der Machtressourcentheorie also um das Verständnis, dass die Mitglieder von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden unterschiedliche Zielvorstellungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben, die über ausgeprägte Konfliktlinien sichtbar sind und von den Organisationen in den Politikprozess transferiert werden (Busemeyer 2011: 6; Iversen, Soskice 2019: 102). Korpi schreibt in diesem Zusammenhang: “As noted above, the power resource approach expects conflicts of interests with respect to social citizenship between employers and economically well endowed categories, on the one hand, and employees relying primarily on labor power, on the other hand.” (Korpi 2006: 174)

2.1 Machtressourcentheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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und Esping-Andersen ergänzt: “De-commodification strengthens the worker and weakens the absolute authority of the employer. It is exactly this reason that employers have always opposed de-commodification.” (Esping-Andersen 1990: 22)

Es bestehen also gegensätzliche Interessen zwischen Arbeit und Kapital, wobei die These lautet, dass die Mitglieder von Gewerkschaften primär für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Arbeitsmarktregulierung votieren und die Mitglieder von Unternehmerverbänden primär dagegen sind. Die Machtressourcentheorie begrenzt sich darauf, dass zumindest die primären Interessen bei Gewerkschaften auf die Wohlfahrt und Sicherheit der Arbeiter (ihrer Mitglieder) ausgerichtet sind und somit relativ weit entfernt sind von den primären Interessen der Arbeitgeber in den Unternehmerverbänden (Brosig 2011: 313). Die Positionen liegen so weit auseinander, weil die Unternehmen das primäre Interesse haben, Kapital zu vermehren, indem Produkte oder Dienstleistungen mit einem Mehrwert produziert und angeboten werden. Wenn Aktionäre beispielsweise einen Anteil an einem Unternehmen kaufen, wird davon ausgegangen, dass das investierte Kapital irgendwann vermehrt wird.1 Für das Unternehmen bedeutet dies eine Zielvorgabe (ausgeprägter) Gewinnmaximierung, welche sie durch ständige Wettbewerbsfähigkeit und kontinuierliche Einbindung in den (Welt-)Markt realisieren möchte. Wettbewerbsfähigkeit und Einbindung in den (Welt-)Markt bedeuten aber nicht selten, die Arbeitskosten gering zu halten, damit auf externe Schocks dadurch reagiert werden kann, dass Mitarbeiter kurzfristig entlassen und wiedereingestellt werden können. Unternehmenssteuern, Lohnnebenkosten, Arbeitszeiten, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz werden auf Arbeitgeberseite als Stellschrauben betrachtet, die nur durch unternehmerische Freiheiten oder durch marktsystemimmanente Stabilität gestaltet werden können. Nur dadurch kann eine sukzessive Gewinnmaximierung garantiert werden, damit privates Kapital (weiter) zum Investieren angeregt wird oder damit private Unternehmen angeregt werden, mehr zu produzieren – angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Wenn die Lohn- und Lohnnebenkosten von Unternehmen oder Land A im Vergleich zu den Kosten von Unternehmen oder Land B exorbitant hoch sind, werden die Lohnkosten des Unternehmens A inkl. aller Nebenkosten ceteris paribus höher, 1 Es

soll darauf hingewiesen werden, dass nicht jede Unternehmung daran interessiert ist, Investoren (Aktionäre) anzulocken. Gerade bei kleineren Unternehmen ist es möglich, dass andere Zielvorstellungen der Unternehmensführung zu Grunde liegen. Ziel des Kapitels 2 ist es aber, die Präferenzen als Idealtypen zu konstruieren und die einzelnen Unterschiede innerhalb der Kapitalseite werden erst in Kapitel 5 ausformuliert.

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Analytisch theoretischer Rahmen

was wiederum negative Auswirkungen auf die (Welt-)Markteinbindung und die Wettbewerbsfähigkeit hat. Infolgedessen könnten die Arbeitskosten in Land A proportional stärker steigen als in Land B, was den Wirtschaftsstandort A schwächen könnte, d. h. die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Damit wäre das Unternehmen A aber für (ausländische) Investoren weniger attraktiv und die Investitionen gingen ceteris paribus zurück. Deswegen, so die These, stehen die Interessen der besitzenden Klassen im Gegensatz zu den Interessen der nichtbesitzenden Klassen, sprich: den Arbeitnehmern (Esping-Andersen, Korpi 1984). Die Arbeiternehmer sind im Gegensatz zu den Unternehmen primär an höheren Löhnen interessiert, ausgebauten Kündigungsschutzregelungen oder materieller Absicherung bei Arbeitslosigkeit. Gewerkschaften werden als solche Organisationen angesehen, welche die primären Präferenzen der Arbeiter organisieren und gegen die primären Interessen der Arbeitgeber in den Unternehmerverbänden artikulieren. Somit steht das ausgeprägte Interesse für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Arbeitsmarktregulierung dem primären Interesse der Unternehmerverbände an mehr Flexibilisierung und gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau entgegen wie es aus Tabelle 2.1 deutlich wird.

Tabelle 2.1 Idealtypische Organisationsinteressen nach der Machtressourcentheorie Machtressourcentheorie Klassenantagonismus stark ausgeprägt; klassenübergreifende Bündnisse aufgrund gegensätzlicher Interessen in der Arbeitsmarktmarkt- und Sozialpolitik zwischen Arbeit und Kapital nicht möglich Wohlfahrtsstaatlicher Ausbau und Regulierung des Arbeitsmarkts Reformdebatten

Interesse/Position Gewerkschaft

Unternehmerverband

Mehr Arbeitslosengeld

ausgeprägt dafür

ausgeprägt dagegen

Weniger aktivierende Arbeitsmarktpolitik

ausgeprägt dafür

ausgeprägt dagegen

Mehr aktive Arbeitsmarktpolitik

ausgeprägt dafür

ausgeprägt dagegen

Weniger Flexibilisierung, mehr Regulierung des Arbeitsmarkts

ausgeprägt dafür

ausgeprägt dagegen

Mehr (höherer) Mindestlohn

ausgeprägt dafür

ausgeprägt dagegen

Neben dem primären Interesse für oder gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und regulierte Arbeitsmärkte ist in Tabelle 2.1 das Wort ausgeprägt von Bedeutung, weil dies den Unterschied zu der weiter unten diskutierten Neo-Korporatismustheorie

2.1 Machtressourcentheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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darstellt. Ausgeprägt verdeutlicht den Charakter der primären Mitgliederinteressen, die bei den Gewerkschaften lauten: mehr Arbeitslosengeld, mehr aktive und weniger aktivierende Arbeitsmarktpolitik und mehr Mindestlohn sowie mehr Kündigungsschutz, weniger befristete Beschäftigung und weniger Zeit-/Leiharbeit. Erklären lassen sich diese Interessen, weil eine generöse soziale Absicherung den Status-quo-Erhalt des Arbeiters – und dessen Familie – gewährleistet (EspingAndersen 1996: 75; 1999: 23). Daher sind Gewerkschaften auch primär am Erhalt des „Normalarbeitsverhältnisses“ interessiert, d. h. an einem starken Kündigungsschutz und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen mit relativ hoher Lohnhöhe. Neben der sozialen Absicherung und dem Status-quo-Erhalt des Arbeiters und dessen Familie sind mehr Arbeitslosengeld, mehr Arbeitnehmerschutzregelungen und höhere (Mindest-)Löhne zudem Faktoren, welche die Binnennachfrage ankurbeln, Wirtschaftswachstum generieren und Arbeitslosigkeit verhindern, was im Einklang mit dem Nachfragewirtschaftsmodell steht, welches von den Gewerkschaften primär favorisiert wird (Sesselmeier et al. 2010: 175 f.). Im Gegensatz dazu verfolgen die Arbeitgeber in den Unternehmerverbänden ein primäres Interesse an angebotsorientierter Wirtschaftspolitik, konkret daran, die Arbeitskosten gering zu halten, indem geringere (Mindest-)Löhne gezahlt werden, und an weniger Arbeitslosengeld oder aktiver Arbeitsmarktpolitik, weil diese sozialpolitischen Maßnahmen über höhere Steuern und Abgaben der Unternehmen (mit-)finanziert werden müssen (Sesselmeier et al. 2010: 75 f.). Im Gegensatz zu den Gewerkschaften sind die Arbeitgeber primär an „natürlicher Flexibilität“ interessiert, an relativ freien Arbeitsmärkten und wenig regulatorischer Begrenzung auf dem Arbeitsmarkt (Brosig 2011: 313). Abbildung 2.1 zeigt diese Interessensmodellierung unter der Annahme von mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und mehr Arbeitsmarktregulierung: Die gestrichelte Linie stellt die Positionierung der Gewerkschaften bei ausgeprägt größerem wohlfahrtsstaatlichem Ausbau dar, die durchgezogene Linie die Positionierung der Unternehmerverbände bei ausgeprägt geringerem Ausbau.

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Analytisch theoretischer Rahmen

Abbildung 2.1 Interessenmodellierung des Machtressourcenansatzes

Gestützt wird der Gedanke ausgeprägter, gegensätzlicher Interessen durch empirische Erkenntnisse, wonach Arbeitgeber und Unternehmerverbände relativ homogene Interessen angebotsorientierter Wirtschaftspolitik haben (Dür et al. 2019: 39) und gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau eingestellt sind (Lindbeck 1997; Lindbeck et al. 1995). Prinzipiell, so wird argumentiert, erwarten die Unternehmer bei Marktregulierung negative Auswirkungen auf die Profitabilität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (Atkinson 1999; Korpi 1996). Es werden daher Flexibilisierungsmaßnahmen präferiert, die Einschränkung bei befristeter Beschäftigung abgelehnt (Emmenegger 2020: 207–216) oder die Einführung staatlicher Sicherungssysteme kritisiert (Paster 2019: 14). Arbeitslosigkeit wird als individuelles Verschulden oder mangelnde Qualifikation des Individuums betrachtet was kein staatliches Handeln im Sinne von mehr Unterstützungsleistungen erfordert. Laut Kinderman, unterstützen die Unternehmen die Reduzierung des Kündigungsschutzes sowie die Ausdehnung von Befristungsmaßnahmen und jegliche Liberalisierungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt (Kinderman 2005). Auch in der Rentenpolitik liegen Ergebnisse vor, die zeigen, dass die Kapitalseite überwiegend Flexibilisierungsmaßnahmen befürwortet (Ebbinghaus 2000: 520–523) und aus historischer Perspektive immer gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau oder die Regulierung des Arbeitsmarktes gewesen ist (Emmenegger, Marx 2010, 2011).

2.1 Machtressourcentheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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Brosig zeigt ergänzend, dass in Deutschland die Unternehmer vor allem in der Zeit des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus zwischen 1950–1970 dagegen gewesen sind und auch während der Modifikation des Wohlfahrtsstaates von 1970 bis Mitte der 1990 Jahre mehr Sozialpolitik abgelehnt haben. Hingegen ist die wohlfahrtsstaatliche Kürzungsphase ab dem Jahr 2000 begrüßt worden (Brosig 2011: 322–330). Wenn die Einheit der Organisationen vorhanden gewesen ist, sind auch einheitliche Interessen der Kapitalseite gegen marktregulierende Staatseingriffe gezeigt worden sowie die Ablehnung ausgebauter Kündigungsschutzregelungen und hohe Sozialleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit (Emmenegger 2010b; Korpi 2006; Paster 2012). Aus der ablehnenden Positionierung der Unternehmerverbände zum wohlfahrtsstaatlichen Ausbau folgt, dass ein ausgebauter Wohlfahrtsstaat stärker im Zusammenhang steht mit zentral organisierten und einheitlich auftretenden Gewerkschaften (Bonoli, Emmenegger 2010; Emmenegger 2010a, 2010b). Dort wo Gewerkschaften besser organisiert sind und einheitlich auftreten, sind wohlfahrtsstaatliche Standards ausgeprägt und Arbeitsmärkte reguliert (Hacker, Pierson 2002; Huber, Stephens 2001). So wird auch erklärt, warum sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten (wie Schweden) eine höhere dekommodifizierende Wirkung haben als konservative (wie Deutschland) oder liberale Wohlfahrtsstaat (wie Großbritannien) (Esping-Andersen 1990: 128; Kohl 1993). Trotz dieser vermeintlich deutlichen Erkenntnisse der Interessengegensätze von Gewerkschafen und Unternehmerverbänden bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist der Forschungsstand ambivalent, da der Machtressourcentheorie vorgeworfen werden kann, dass sie einzig die säkular-konservativen Parteien und marktradikalen Unternehmerverbände aus den USA und Großbritannien vor Augen hat. Diese lehnen sozialstaatliche Reformen tatsächlich konsequenter ab und räumen Marktprozessen auf Arbeitsmärkten einen viel größeren Spielraum ein als dies von Organisationen in koordinierten Marktwirtschaften gemacht wird. Auch kann die fehlende Differenzierung der Machtressourcen kritisiert werden, da die Trennung zwischen Arbeit und Kapital gänzlich homogene Gruppen postuliert, die, laut Mares (2003), nicht (mehr) vorhanden sind. Weder die Gewerkschaften noch die Unternehmerverbände stellen einen einheitlichen Block dar, der ein gemeinsames Interesse für oder gegen wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und regulierte Arbeitsmärkte vertritt. Als Beispiel wird die deutsche Rentenpolitik genannt, in der sich gegensätzliche Interessen bei den Gewerkschaft IG BCE und IG Metall einerseits und dem Dachverband DGB andererseits zeigen und der Annahme gänzlich homogener Gruppen widerspricht (Häusermann 2010: 135–162). Auch die Labour divided Theory (Nijhuis 2013) macht diese Konfliktlinie innerhalb des Gewerkschaftslagers deutlich, wo ebenfalls Interessenskonflikte gezeigt

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Analytisch theoretischer Rahmen

werden zwischen Gewerkschaften, die ein überwiegend männliches, höher gebildetes (high skill) Klientel im „Normalarbeitsverhältnis“ (Insider) organisieren und Gewerkschaften, die überwiegend weibliche Beschäftigte mit geringerer Bildung (low skill) im Niedriglohnsektor oder mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Outsider) organisieren. Zwar sind Gewerkschaften und linke Parteien auch bei der Labour divided Theory treibende Kräfte für mehr wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und regulierte Arbeitsmärkte, allerdings lehnen die Gewerkschaften der besser qualifizierten Personen staatliche Eingriffe wie einen Mindestlohn oder die Regulierung befristeter Beschäftigung stärker ab, weil ihre eigene Klientel davon weniger betroffen ist (Nijhuis 2013). Auch Caju et al. (2009) zeigen diesen Befund, da sich Gewerkschaften, die ein höher qualifiziertes Facharbeiterklientel organisieren, kritischer zu Mindestlöhnen äußern als Organisationen, die weniger gut ausgebildete Personen organisieren. Diese innergewerkschaftlichen Differenzen sind auch beim Thema Kündigungsschutz vorhanden gewesen, was ebenfalls Widersprüche zur Einheitlichkeit der Arbeiter zeigt (Trampusch 2004: 241). Allerdings sprechen die Vertreter der Machtressourcentheorie in diesem Zusammenhang häufig von einem Missverständnis, da durchaus von einer Vielfalt der Interessen ausgegangen wird. Korpi betont besonders in späteren Arbeiten, dass Unternehmerverbände und Gewerkschaften durchaus differenzierte, heterogene Organisationen sind mit unterschiedlichen Interessen (Korpi 2006: 177). Diese Heterogenität ist gar nicht auszuschließen, was an den Beispielen von Interessenskonflikten zwischen Industrie- und Branchengewerkschaften, Einzel- und Dachverbänden sowie zwischen Organisationen und Betriebsräten gezeigt wird (Völkl 2002). Allerdings, argumentiert Korpi, sind trotz dieser Interessensdivergenz die primären Positionen einheitlich (Korpi 2006): bei den Gewerkschaften für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Arbeitsmarktregulierung und bei den Unternehmerverbänden gegen diesen Ausbau und für Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt (siehe ergänzend Young, Pagliari 2017). Selbst wenn unterschiedliche Interessen bei den Gewerkschaften mit höher gebildeten Mitgliedern (high skill) im Normalarbeitsverhältnis (Insider) vs. Organisationen mit geringer gebildeten Mitgliedern (low skill) in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Outsider) vorhanden sind, subsumieren sich die Interessen eben doch zu einem Gewerkschaftslager, das als Einheit gegen die primären Interessen der Unternehmerverbände ausgerichtet ist. Schlussendlich, so das Argument der Machtressourcentheorie, werden immer entgegengesetzte Positionierungen vorhanden sein zwischen Arbeit und Kapital – ganz ähnlich wie bei Marx, wo zwei analytische Kategorien aus Kapital(isten) und Arbeit(ern) angenommen werden (Neffe 2017: 138 f.).

2.2 Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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Stützend für die These der Machtressourcentheorie stehen exemplarisch die Analysen von Faust und Gordon: Faust zeigt, dass die Einführung der staatlichen Arbeitslosenversicherung in Deutschland von den Gewerkschaften zunächst abgelehnt wurde, weil das staatliche System mit dem gewerkschaftlichen Sicherungssystem (Ghent-Modell) zu konkurrieren drohte. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich allerdings aufgrund steigender Arbeitslosigkeit alle Gewerkschaften für die staatliche Variante ausgesprochen und sind damit im ausgeprägten Konflikt zu den ablehnenden Unternehmerinteressen gewesen (Faust 1987: 261 f.). Gordon zeigt ergänzend, dass in Ländern mit einem hohen Grad an Einheitlichkeit der Gewerkschaften (Index of inclusive unionism) die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme generöser ist. Das bedeutet, dass sich hier die Machtressourcentheorie bestätigt, da ein gemeinsames Interesse der Gewerkschaften besteht an einer Grundsicherung für arbeitslose Personen, die staatlich organisiert und unter Einbezug der Gewerkschaften (mit-)verwaltet wird (Gordon 2015: 94 f.). Zusammenfassend wird aus der Machtressourcentheorie demnach folgende Hypothese abgeleitet: H1: Je mehr primäre Mitgliederinteressen repräsentiert werden und die Einheit der Organisationen vorhanden ist, desto stärker positionieren sich die Gewerkschaften bei Debatten zur Reform des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus und zur Arbeitsmarktregulierung ausgeprägt dafür und die Unternehmerverbände ausgeprägt dagegen.

2.2

Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschafts- und Unternehmerinteressen

Es wurde bereits bei der Machtressourcentheorie darauf hingewiesen, dass die NeoKorporatismustheorie zwar auch von unterschiedlichen Mitgliederinteressen bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden ausgeht, aber Austauschbeziehungen beider Organisationstypen stärker im Mittelpunkt stehen (Schmitter 1979). Sind es bei der Machtressourcentheorie noch ausgeprägte Gewerkschaftsinteressen, die in Verbindung mit linken Parteien an der Regierung zu mehr Dekommodifizierung führten, sind es beim Neo-Korporatismus Gewerkschaften und Unternehmerverbände, die über einen impliziten „sozialen Pakt“ am Politikprozess beteiligt werden (Baccaro, Simoni 2008: 1; Ebbinghaus 2010: 198). Bei diesen sozialen Pakten geht es um den politischen Austausch, in dem nicht nur die Interessen der Gewerkschaften oder der Unternehmerverbände berücksichtigen werden, sondern Arbeit und Kapital werden gleichberechtigt beteiligt (Kaufmann 1988: 81–89; zudem Korpi 2006: 175). In den Bereichen, in denen politische Austauschprozesse besonders stark vorhanden sind, wird demnach ein Ausgleich der

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2

Analytisch theoretischer Rahmen

Interessen erwartet, der über eine moderate Konfliktlinie von Arbeit vs. Kapital gezeigt wird (Lehmbruch 1979: 150). Es ist bei der Neo-Korporatismustheorie also nicht das Gegeneinander konkurrierender pressure groups (Coxall 2016: 164 f.; Held 1996: 202), sondern durch die Austauschbeziehungen von Gewerkschaften und Unternehmerverbände wird ein künstliches, politisch bestimmtes Marktgleichgewicht im Politikprozess erwartet (Münch 2004: 243–260). Politisch bestimmt, weil nicht alle, sondern nur ausgewählte Gewerkschaften und Unternehmerverbände diese privilegierten Möglichkeiten des Austausches bekommen. Die Frage lautet jedoch: Wer sind diese Gewerkschaften und Unternehmerverbände, die privilegierten Zugang zu den Austauschprozessen erhalten? In der Korporatismusliteratur wird zumeist von Dachverbänden beider Organisationstypen gesprochen, die in Form von Einheitsorganisationen nach internen hierarchischen Strukturen aufgebaut sind und eine hohe Anzahl abhängig Beschäftigter oder Arbeitgeber organisieren (Schmitter 1974: 13; Streeck, Kenworthy 2003: 450). Sie repräsentieren dann heterogene Einzelinteressen und bringen diese in gebündelter Form in die Austauscharenen ein. Sie wirken – zumindest theoretisch – sozial integrativ (Durkheim, Simpson 1964), da Einzelinteressen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber austariert werden, verschiedene Ansichten zur Sprache kommen und die Mitglieder miteinander im Gespräch bleiben. Die Organisationen vernetzen gleichsam unterschiedliche individuelle Interessen miteinander und verbinden mit der Transformation der Interessen in den Politikprozess das Gesellschafts- mit dem Parteienwesen.2 Aufgrund dieser sozial integrativen Funktion einzelner Organisationen und deren Einbezug in Politikprozesse werden korporatistischen Arrangements immer auch positive, demokratiestabilisierende Effekte zugeschrieben. Es gibt zum Beispiel Argumente dafür, dass politischer Austausch über Klassengrenzen hinweg eine konfliktfreie Umsetzung von Reformen ermöglicht (Visser, Hemerijck 1997: 182). Anders als wenn die Organisationen ungefragt und per Gesetz zu mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau oder Flexibilisierung des Arbeitsmarkts verpflichtet werden, kann über Austauschbeziehungen ein Kompromiss gefunden werden, den Gewerkschaften und Unternehmerverbände ausgehandelt haben und daher akzeptieren. Durch die Beteiligung beider Organisationstypen wird dann auch erwartet, dass 2 Zu

den Herausforderungen für Interessenverbände und ihre sozialintegrative Funktion zählt vor allem die Diskussion über das „Management von gestiegener Vielfalt“(Streeck 1999). Damit sind Veränderungen in der Sozialstruktur gemeint, die eine heterogener gewordene Basis der Organisationen zur Folge haben. Ob und wenn ja in welchem Grad sich die Sozialund Wertestrukturen der (potentiellen) Mitglieder verändert haben und ob die Ansprüche und Interessen weniger leicht auf einen Nenner zu bringen sind, ist eine andere empirische Frage und bedarf der weiteren Analyse.

2.2 Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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die Reformen vollständig und ohne großen Widerstand umgesetzt werden (Streeck, Kenworthy 2003: 455). Es findet somit eine Interessenvermittlung in beide Richtungen statt: Die Organisationen vermitteln die austarierten Mitgliederinteressen in den Politikprozess (Systemebene), müssen aber den ausgehandelten Kompromiss der Reformen auch gegenüber den eigenen Mitglieder rechtfertigen (Avdagic 2008: 7). Theoretisch wird in diesem Zusammenhang beim Neo-Korporatismus davon ausgegangen, dass die Mitglieder ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zu ihrer Organisation haben und Reformbedarf stärker akzeptieren, wenn die „eigene“ Organisation an der Erarbeitung von Reformvorschlägen beteiligt wird. Die These lautet, dass eine höhere Akzeptanz von Reformen vorliegt, weniger Klagen, weniger Streiks und Demonstrationen, weniger Verzögerung und eben auch weniger demokratiedestabilisierende Tendenzen, bei mehr institutionalisiertem Austausch. Zu diesen institutionalisierten Austauschbeziehungen werden speziell im deutschen Fall Tarifverhandlungen gezählt, betriebliche Mitbestimmung, der Einbezug in die Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit und der Sozialversicherungen (Müller-Jentsch 2007: 9–13).3 Dass es bei dieser Interessenvermittlung in beide Richtungen zwangsläufig zu Problemen kommt, wird in der Debatte um die logic of membership und logic of influence ausführlich beschrieben (Schmitter, Streeck 1999; Streeck, Kenworthy 2003: 452). Der Einbezug unterschiedlicher Mitgliederinteressen bringt zwangläufig eine Notwendigkeit der Kompromissfähigkeit mit sich. Daher folgt in Abgrenzung zur Machtressourcentheorie die eigene Schlussfolgerung, dass bei den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden von Beginn an ein gewisses Maß an Kompromissfähigkeit und Zugeständnisse bei der Artikulation von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Interessen vorausgesetzt wird. Es werden von den Akteuren, die in politische Austauschformen eingebunden sind, eben keine ausgeprägten Interessen pro oder contra im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat erwartet, weil Extrempositionen aufgrund des zu erwartenden Kompromisses von der Organisation ohnehin nicht durchgesetzt werden können. Diese Hypothese steht zwar nicht im Gegensatz zur Machtressourcentheorie, da den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden immer noch gegensätzliche Interessen bei wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und Arbeitsmarktregulierung unterstellt werden, aber es wird davon ausgegangen, dass die Interessen pro und contra nur moderat 3 Nachfolgend werden die Tarifpolitik, betriebliche Mitbestimmung, der Einbezug in Verwal-

tungsgremien der Bundesagentur für Arbeit oder der Sozialversicherungen zusammengefasst und mit Austauschbeziehungen, Austauschprozessen oder auch politischen Austauschforen beschrieben.

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Analytisch theoretischer Rahmen

artikuliert werden. Ein ausgeprägter Klassenkonflikt im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat wird aufgrund von Austauschbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, Kompromissen und Konsensorientierung verhindert, was in der Tabelle 2.2 mit dem Ausdruck moderat kenntlich gemacht wird. Tabelle 2.2 Idealtypische Organisationsinteressen nach der Neo-Korporatismustheorie Neo-Korporatismustheorie Klassenantagonismus vorhanden, aber aufgrund von Konfliktpartnerschaft nur moderat; klassenübergreifende Bündnisse in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik möglich, Kompromissfähigkeit und Konsensorientierung bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden ausgeprägt vorhanden Wohlfahrtsstaatlicher Ausbau und Regulierung des Arbeitsmarkts Reformdebatten

Gewerkschaft

Interesse/Position Unternehmerverband

Mehr Arbeitslosengeld

moderat dafür

moderat dagegen

Weniger aktivierende Arbeitsmarktpolitik

moderat dafür

moderat dagegen

Mehr aktive Arbeitsmarktpolitik

moderat dafür

moderat dagegen

Weniger Flexibilisierung, mehr Regulierung des Arbeitsmarkts

moderat dafür

moderat dagegen

Mehr (höherer) Mindestlohn

moderat dafür

moderat dagegen

Es wird nicht davon ausgegangen, dass die Gewerkschaften und Unternehmerverbände ausgeprägte Interessengegensätze haben (Machtressourcentheorie) oder in manchen Sektoren sogar gleiche Interessen, wie weiter unten aus der koordinierten Marktwirtschaft abgeleitet wird, sondern die Interessen sind moderat gegensätzlich. Moderat, weil die Organisationen eingebettet sind in Austauschprozesse, weswegen das Bewusstsein der handelnden Akteure besteht, dass Extrempositionen nicht durchgesetzt werden können. Somit werden diese Extrempositionen auch nicht artikuliert, da der spätere Kompromiss immer auch den eigenen Mitgliedern erklärt werden muss. Wenn dieser Kompromiss zu weit von den Extrempositionen entfernt ist, wird die Vermittlung des Kompromisses schwieriger und die Identifizierung der Mitglieder mit ihrer Organisation könnte abnehmen (Jahn 1988; Offe, Wiesenthal 1980). Anders als in politikwissenschaftlichen Studien wird auch nicht dem Gesetzgeber die aktive Rolle des Mediators gegensätzlicher Interessen von Arbeit und Kapital zugeschrieben (Jahn 2016: 51–52), sondern es wird unterstellt, dass bei bestimmten Organisationen ein Bewusstsein einer sog. Konfliktpartnerschaft

2.2 Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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vorhanden ist (Müller-Jentsch 1993). Dabei handelt es sich um das zentrale soziologische Moment der Neo-Korporatismustheorie: Es sind die Akteure, die an den Austauschprozessen beteiligt sind, gleichsam der handlungstheoretische Unterbau der Organisationen, der eine Konfliktpartnerschaft mit moderaten Interessensgegensätzen im sich wandelnden Wohlfahrtstaat erklärt. Von den Organisationen, die am Austausch beteiligt werden, wird hypothetisch ein Verständnis des konsensorientierten Verhaltens angenommen, da aufgrund der institutionellen Einbettung immer auch der spätere Kompromiss mit bedacht werden muss (Busemeyer 2020: 18–23). Es muss sozusagen immer damit gerechnet werden, dass der Kontrahent, mit dem man sich (vorher) öffentliche Auseinandersetzungen lieferte, zum späteren Verhandlungspartner wird. Daher werden auch keine Extrempositionen von Gewerkschafen und Unternehmerverbänden in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erwartet, sondern in den Bereichen, wo relativ starke Austauschbeziehungen vorhanden sind, eine politische Kultur des Konsens und der Kompromissbereitschaft beider Organisationstypen (Müller-Jentsch 2007: 29). Zum Beispiel wäre es bei ausgeprägten Austauschbeziehungen nicht ungewöhnlich, dass Unternehmerverbände zwar ein Interesse an einer Flexibilisierung des Arbeitsmarkts haben, aber kein Laissez-faire fordern, d. h. eine völlige Unternehmerfreiheit oder eine völlig flexible Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse. Zum einen aufgrund von Pfadabhängigkeiten (Ostheim, Schmidt 2007: 85–90), zum anderen aber, da dieses Laissez-faire im politischen Austauschprozess nur schwer durchsetzbar wäre. Die Gewerkschaften sind Konfliktpartner und es wird im Vorfeld bereits davon ausgegangen, dass die Gewerkschaften eine völlige Unternehmerfreiheit nicht tolerieren werden. Daher werden Extrempositionen eines Laissez-faire von den Unternehmerverbänden auch gar nicht erst artikuliert werden, selbst wenn einige Mitgliedsunternehmen in den Verbänden diese primären Interessen hätten. In jenen Bereichen, in denen Unternehmerverbände und die Gewerkschaften aber miteinander verhandeln, im Gespräch und im Austausch sind, wird von Beginn an eine abgeschwächte Form der Auseinandersetzung erwartet. Eine gleichsam vermittelnde Positionierung in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, bei der die Gleichung lautet, von Beginn an eher Kompromissbereitschaft zu signalisieren als Extrempositionen (primäre Interessen) zu artikulieren, womit die Gesprächskreise gänzlich gefährdet würden (O’Donnell et al. 2011: 25). Abbildung 2.2 zeigt diese Interessenmodellierung aus dem NeoKorporatismusansatz unter der Annahme von mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und mehr Arbeitsmarktregulierung: Die gestrichelte Linie stellt die Positionierung der Gewerkschaften bei moderat mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau dar, die durchgezogene Linie die Positionierung der Unternehmerverbände bei moderat weniger.

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2

Analytisch theoretischer Rahmen

Abbildung 2.2 Interessenmodellierung des Neo-Korporatismusansatz

Bei der Frage, wie stark die Austauschbeziehungen vorhanden sind, liegt Deutschland zumeist im oberen Mittelfeld (Kenworthy 2001; Kenworthy, Kittel 2003), hinter Schweden, Österreich und den Niederlanden (Jahn 2016: 59). Ob die Austauschbeziehungen zu- oder abnehmen und welche Rolle dem jeweiligen Gesetzgeber besonders nach der Wirtschaftskrise ab 2007/08 zukommt, ist umstritten (Guardiancich, Molina 2017). Nach einer Hochzeit in den 1970er und 80er Jahren ist nach kurzzeitiger Reaktivierung in den 1990er Jahren von einem kontinuierlichen Niedergang die Rede (Haipeter 2012; Siegel 2005). Besonders deutlich wird der Niedergang, wenn Austauschformen über soziale Pakte operationalisiert werden (Avdagic 2011: 34; Molina, Rhodes 2002). Zwischen 1981 und 2006 entstanden immer weniger soziale Pakte, was mit immer weniger Austauschforen aufgrund einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Organisationen und ökonomischem Druck erklärt wurde (ebd. sowie Castater, Han 2016). Auch eine Studie, die stärker auf die Wirtschafts- und Finanzkrise fokussiert ist, zeigt einen abnehmenden Trend der Austauschbeziehungen. Die Konfliktpartner werden nur noch unter bestimmten Bedingungen zu Ad-hoc-Gesprächen oder Krisen-Gipfeln als Informationslieferant eingeladen, aber nicht mehr als gleichberechtigte Verhandlungspartner in ritualisierten Austauschforen nachgefragt (Bender, Ebbinghaus 2020: 44–47).

2.2 Neo-Korporatismustheorie im Spiegel von Gewerkschafts- …

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Gründe geringerer Austauschbeziehung zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sind nach Urban, Afonso oder Baccaro Liberalisierungsprozesse industrieller Beziehungen, der abnehmende Trend der Tarifbindung und der Mitgliederverlust der Organisationen (Afonso 2012; Baccaro 2003, 2014; Urban 2012: 425). Besonders die Gewerkschaften agieren nach dieser Lesart aufgrund der eigenen Organisationsschwäche nicht mehr als gleichberechtigte Konfliktpartner, sondern werden nur noch aus Legitimationsgründen in die Austauschprozesse integriert, besonders dann, wenn größerer Widerstand in der Bevölkerung oder im Parlament zu erwarten ist. Sinkende Mitgliederzahlen oder abnehmende Tarifbindung werden in diesem Zusammenhang häufig mit der Transformation vom industriellen Sektor zum Dienstleistungssektor erklärt. Es sei schwieriger, in kleinen Dienstleistungsbetrieben Gewerkschaftsmitglieder zu rekrutieren als in großen Unternehmen der Metallund Elektroindustrie. Busemeyer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass, wenn es immer weniger Gewerkschaftsmitglieder gibt, auch der Legitimationsanspruch der Gewerkschaft abnimmt und Austauschbeziehungen zwischen Arbeit und Kapital zurückgehen (Busemeyer 2020: 25–26). Allerdings ist auch hier der Forschungsstand ambivalent, da andere Autoren auf Austauschforen verweisen, die bestehen und historisch betrachtet immer wieder reaktiviert wurden. In Deutschland zum Beispiel runde Tische wie „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ (1967), „Bündnis für Arbeit“ (1995–96), „Bündnis für Arbeit und Beschäftigung“ (1998), „Hartz-Kommission“ (2002), „Bündnis der Industrie“ (2013), „Konzertierte Aktion Pflege“ (2018) oder die „Kohlekommission“ (2019). Zwar sind auch runden Tische gescheitert, es verdeutlicht aber, dass Reaktivierungen möglich sind (Hassel, Trampusch 2006: 114–26). In dieser Aufzählung werden dann häufig auch die immer noch ausgeprägten Tarifverhandlungen oder die betrieblichen Bündnisse und Mitbestimmung in der Metall-, Elektro- und Chemischen Industrie genannt, die verdeutlichen, dass Austauschbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sektoral immer noch stark vorhanden sind (Hassel 2009; Müller-Jentsch 2016). Auch wird in diesem Zusammenhang auf die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen oder der Bundesagentur für Arbeit verwiesen, die den Charakter von Austauschbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden immer noch relativ stark widerspiegeln (Klenk 2012: 53 f.; Schroeder 2006: 266–267).

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2

Analytisch theoretischer Rahmen

Interessanterweise fehlt bei den Analysen zu Austauschformen häufig der Bezug zu den Interessen und Positionen der beteiligten Akteure.4 Umso notweniger erscheint die Fragestellung, ob die Interessen der Organisationen zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel im Zusammenhang stehen mit den institutionalisierten Austauschformen (Hassel 2007b: 9). Oder wie es Müller-Jentsch ausdrückt, ob die Ausgestaltung der industriellen Beziehungen in Deutschland „die Interessensgegensätze zwischen Kapital und Arbeit entschärft“ (Müller-Jentsch 2007: 29). Zusammenfassend wird aus der Neo-Korporatismustheorie daher folgende Hypothese abgeleitet: H2: Je mehr Austauschbeziehungen in bestimmten Sektoren vorhanden sind, desto moderater positionieren sich die Gewerkschaften, die in diese Austauschformen eingebunden sind, bei Debatten zur Reform des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus und zur Arbeitsmarktregulierung dafür und die beteiligten Unternehmerverbände moderat dagegen.

2.3

Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- und Unternehmerinteressen

Die Spielarten – oder auch Varianten – des Kapitalismus gehen von unterschiedlichen Formen des Kapitalismus aus bzw. von länderspezifischen Ausprägungen. Diese Ausprägungen sind institutionenabhängig, historisch gewachsen (Pilz 2009: 167) und stellen nicht den Wähler, den politischen Akteur (Partei) oder Gewerkschaften in den Vordergrund, sondern Unternehmensstrukturen und Unternehmerinteressen werden zu den maßgeblichen Protagonisten, anhand deren die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung erklärt wird (Schröder 2013: 15). Bezüglich der Unternehmerinteressen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik schreib Häusermann: Bei den Interessen an mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und stärkerer Regulierung des Arbeitsmarkts widerspricht die Annahme der Spielarten des Kapitalismus „vor allem der Machtressourcentheorie, [da] als treibende Kraft der sozialpolitischen Entwicklung nicht mehr der Klassenkonflikt identifiziert wird, sondern gemeinsame, klassenübergreifende Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den leistungsfähigsten Firmen und Sektoren des Produktionsregimes.“ (Häusermann 2015: 603)

4 Siehe

auch die Korporatismus-Indizes von Lehmbruch, Siaroff (1999), Huber, Stephens (2001), Hicks, Kenworthy (1998) oder Baccaro (2014), wo die Positionierung der Organisationen im Politikfeld keine Rolle spielt.

2.3 Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- …

23

Warum aber sind in bestimmten Sektoren des Produktionsregimes gleiche Interessen bei Gewerkschaften und Unternehmerverbänden zu erwarten und welche Präferenzen sind das? Jeder Wirtschaftsprozess bedarf der Koordination, damit „ausreichend“ Güter hergestellt und Dienstleistungen angeboten werden. Ebenfalls muss koordiniert werden, wer diese Güter und Dienstleistungen wann, wo und unter welchen Bedingungen bereitstellen soll. Ferner, wie die zeitliche Abstimmung unterschiedlicher Produktionsabläufe abgestimmt wird und wie die Qualität des Produktes sichergestellt wird. Die Ökonomie hat lange Zeit die grundlegenden Lösungsmöglichkeiten von Traditions-, Zentral- und Marktsteuerung angeboten (Kubon-Gilke 2013: 41–51), wenngleich die Spielarten des Kapitalismus nun selbst die Marktsteuerung nicht als einheitliches Modell betrachten, sondern eine Vielfältigkeitsannahme der Marktprozesse annehmen. Diese Annahme der Vielfältigkeit der Marktprozesse gilt insofern als überraschend, als der Kapitalismus an sich immer schon als eher homogenisierende Kraft angesehen wurde, dem auch zugetraut wurde, in allen möglichen Bereichen gleiche Verhältnisse hervorzubringen.5 Zunächst differenzierte die Annahme der Vielfältigkeit des Marktsystems den Kapitalismus aber dann in zwei Hauptformen. Diese Hauptformen wurden nach liberalem und non-liberalem bzw. angelsächsischem und rheinischem Kapitalismus unterschieden (Streeck 2001). Hieran orientieren sich die Spielarten des Kapitalismus, sprechen aber von liberalen (LME) und koordinierten (CME) Marktökonomien (Hall, Soskice 2001). Grundlegend sind die Unterscheidungen im Marktmechanismus angloamerikanischer Prägung, der von einer weitgehend dominanten Wertsphäre6 der Ökonomie ausgeht, die wenig Begrenzung durch die umliegenden Wertsphären hat. Die Wertsphäre-Politik hat im angloamerikanischen System zum Beispiel keinerlei (oder wenig) Einfluss auf die Wertsphären Wirtschaft, Bildung oder Religion. Anders bei der nicht marktvermittelnden Koordination im non-liberalen oder rheinischen Wirtschaftssystem, bei dem der Wirtschaftsprozess durchaus von der Politik, Religion, Bildung etc. begrenzt, reguliert oder beeinflusst wird. Auch Gewerkschaften wirkten beim rheinischen Modell in bestimmten Wirtschaftssektoren beispielsweise aktiv auf die Gewinnmaximierung von Unternehmen ein. In koordinierten Marktwirtschaften (rheinischer Kapitalismus) wird 5 Die Machtressourcentheorie lehnt sich in gewisser Weise an eine linke Kapitalismuskritik an,

wenn sie davon ausgeht, dass sich ein einheitliches, gleichsam homogenes Wirtschaftssystems als Ganzes umbauen oder umgestalten lässt (Nassehi 2015: 90). 6 Der Begriff Wertsphäre wird in Anlehnung an Max Weber verwendet (Weber 1972: 536 f.).

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2

Analytisch theoretischer Rahmen

in bestimmten Bereichen von Bindungsvorstellungen zwischen dem Staat, den Unternehmern und den Gewerkschaften ausgegangen, gleichsam als System der wechselseitigen Beziehungen. Wechselseitige Beziehungen bedeuten, dass der Staat, Gewerkschaften und Unternehmerverbände sich untereinander koordinieren und über verschiedene Koordinationsmodi in den leistungsfähigen Firmen und Sektoren des Produktionsregimes miteinander verbunden sind (embedded) (Hollingsworth, Boyer 1997). Das Theorieangebot der koordinierten Marktwirtschaft geht in der Konsequenz nicht von einer freien Gestaltungsmöglichkeit von Unternehmen in den leistungsfähigsten Sektoren der Wirtschaft aus, sondern von institutionalisierten Verfahrensweisen, mit denen Unternehmen untereinander und mit deren Umfeld koordinieren (Höpner 2015: 174). In das Umfeld werden dann wiederum politische Parteien genauso mit einbezogen wie alle weiteren Unternehmen, die in der Produktionskette der wirtschaftlichen Leitsektoren vorhanden sind, z. B. Zulieferer, Eigentümer, Kreditgeber, Kunden etc. Analytisch zeigten Hall und Soskice diese unterschiedlich stark ausgeprägten Koordinationsmodi der Unternehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, im Ausbildungswesen, der Unternehmensbeziehung, -führung und -finanzierung (Hall, Soskice 2001: 6 f.). In koordinierten Marktwirtschaften ist es daher besonders häufig, dass die Austauschbeziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern stark ausgeprägt sind und organisierte Interessen von Arbeit (Gewerkschaften) und Kapital (Unternehmerverbände) über Tarifverhandlungen oder betriebliche Mitbestimmung miteinander verbunden sind (Busemeyer, Trampusch 2012: 13). Es spielt dabei keine Rolle, wie eine Koordination aussieht, d. h. wie die hierarchischen Strukturen zwischen den Unternehmen aufgebaut sind und in welchem Maße Arenen für die Koordination bereitgestellt werden. Es wird lediglich unterschieden, ob langfristig strategische Koordination, wie in koordinierten Marktwirtschaften (CMEs), oder kurzfristig flexible Koordination, wie in liberalen Marktwirtschaften (LMEs), die institutionellen Sphären des Produktionsregimes dominieren (Höpner 2009: 309). Die Idee der Spielarten des Kapitalismus ist nicht zu zeigen, welche Koordinationsmodi am besten sind, d. h. am produktivsten funktionieren – sozusagen, woran sich alle anderen Systeme orientieren sollten. Die These lautet vielmehr, dass es gerade die Unterschiede sind, die einen Wettbewerbsvorteil für das jeweilige Marktmodell ausmachen (Estevez-Abe et al. 2001: 152). Diese Unterschiede haben sich laut Hall und Soskice aufgrund historisch nationaler Pfade der einzelnen Ökonomien ergeben, sind aufgrund von Pfadabhängigkeit nun aneinander gebunden und führen zu komparativen Vorteilen für jede einzelne Ökonomie:

2.3 Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- …

25

„In liberal market economies, firms coordinate their activities primarily via hierarchies and competitive market arrangements. Market relationships are characterized by the arm’s-length exchange of goods or services in a context of competition and formal contracting. In response to the price signals generated by such markets, the actors adjust their willingness to supply and demand goods or services, often on the basis of the marginal calculations stressed by neoclassical economies. In coordinated market economies, firms depend more heavily on non-market relationships to coordinate their endeavors with other actors and to construct their core competencies. These nonmarket modes of coordination generally entail more extensive relational or incomplete contracting, network monitoring based on the exchange of private information inside networks, and more reliance on collaborative, as opposed to competitive, relationships to build the competencies of the firm.“ (Hall, Soskice 2001: 8)

Zentral ist der Gedanke, dass auch in kapitalistischen Produktionsregimen unterschiedliche Regulierungsvorstellungen vorhanden sein können (Schröder 2013: 18). Die Frage eines starken oder schwachen Kündigungsschutzes (Arbeitnehmerschutz insgesamt) und dessen produktive oder destruktive Wirkung auf die Innovationskraft von Unternehmen kann nach der Logik von langfristig strategischer oder kurzfristig flexibler Koordination in bestimmten Sektoren von den Unternehmen unterschiedlich beantwortet werden. Das bedeutet, ob ein starker oder schwacher Kündigungsschutz für Unternehmen A einen funktionalen Beitrag zur Produktivitätswirkung haben kann, kann nur beantwortet werden, wenn die Abhängigkeiten der verschiedenen institutionellen Sphären mitberücksichtigt werden. Daraus folgt die These, dass ein starker Kündigungsschutz für Unternehmen A präferiert werden kann, wenn es sich in einem der wirtschaftlichen Leitsektoren befindet und aufgrund strategischer Kooperation mit langem Zeithorizont positive Auswirkungen auf die Produktivitätsentwicklung erwartet (Iversen, Soskice 2019: 50). Warum? Weil es in den leistungsfähigsten Sektoren auf firmen- und sektorenspezifische Qualifikationen der Mitarbeitern (specific skills) ankommt, die aber nur für wenige Unternehmen – nur für Unternehmen A – eine Voraussetzung für die Produktivität sind (Busemeyer, Trampusch 2012: 12–15; Estevez-Abe et al. 2001: 149–155). Daher hat auch nur Unternehmen A ein Interesse daran, dass der Mitarbeiter in diese spezifische Aus- und Weiterbildung investiert – oder investieren lässt (Iversen 2005). Für den Mitarbeiter ist es aber nur interessant in diese firmen- oder sektorenspezifischen Qualifizierung zu investieren, wenn er durch einen relativ starken Kündigungsschutz abgesichert ist oder im Falle von Arbeitslosigkeit durch eine generöse materielle Absicherung (Iversen, Soskice 2019: 110). Erst dann ist er

26

2

Analytisch theoretischer Rahmen

bereit, sich für specific skills zu entscheiden, was ein Unternehmerinteresse an ausgebauter Sozialpolitik und regulierten Arbeitsmärkten begründet (Estevez-Abe et al. 2001: 149–150; Häusermann 2015: 603). Die Unternehmer haben somit ein ähnliches Interesse wie die Gewerkschaften, die ebenfalls Arbeitsmarktregulierung und wohlfahrtsstaatlichen Ausbau präferieren, was im Endeffekt ein gleiches Interesse bei Gewerkschaften (Schutz des Arbeitnehmers) und Unternehmer (Produktivität) begründet. Im Gegensatz zur Machtressourcentheorie bedeutet das, dass wohlfahrtsstaatlicher Ausbau und regulierte Arbeitsmärkte nicht nur im Gewerkschaftsinteresse sind, sondern in bestimmten wirtschaftlichen Sektoren auch im langfristigen, strategischen Unternehmerinteresse sein können (Manow 2001: 157–158). Die These lautet, dass sich die Unternehmensstrategien in Deutschland besonders im industriellen und chemischen Sektor auf die Interessen der Verbände auswirken können und diese somit wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und regulierte Arbeitsmärkte präferieren, weil komparative Vorteile für die Unternehmen zu erwarten sind (Brosig 2011: 316; Busemeyer 2011: 7; Estevez-Abe et al. 2001: 146). Unternehmerverbände erkennen die institutionellen Grundlagen wirtschaftlicher Wettbewerbsvorteile und stimmen Reformen zu, (bzw. stoßen sie an), die (auch) mehr Sozialstaat und (auch) mehr Arbeitnehmerschutz bedeuten. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Stärkung kooperativer Strukturen in koordinierten Marktwirtschaften zu einer erhöhten Produktivität der Unternehmung führt, ist es nicht verwunderlich, dass selbst Unternehmerverbände ähnlich wie die Gewerkschaften für eine Ausweitung der Mitbestimmung in Unternehmen plädieren und damit für weniger Flexibilität und Handlungsfreiheit des einzelnen Unternehmens. In der Konsequenz kann dann besonders in den Sektoren, in denen spezifische Qualifikationen vorausgesetzt werden, kein Klassenantagonismus mehr gezeigt werden, weil Kapital(ist) und Arbeit(er) gleiche Interessen haben.

2.3 Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- …

27

Tabelle 2.3 Idealtypische Organisationsinteressen nach der koordinierten Marktwirtschaft Koordinierte Marktwirtschaft (VoC) Klassenantagonismus zwischen Arbeit und Kapital in den wirtschaftlichen Leitsektoren nicht vorhanden, klassenübergreifende Bündnisse aufgrund gleicher Interessen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik möglich und ausgeprägt Wohlfahrtsstaatlicher Ausbau und Regulierung des Arbeitsmarkts Reformdebatten

Interesse/Position Gewerkschaft

Unternehmerverband

Mehr Arbeitslosengeld

moderat dafür

moderat dafür

Weniger aktivierende Arbeitsmarktpolitik

moderat dafür

moderat dafür

Mehr aktive Arbeitsmarktpolitik

moderat dafür

moderat dafür

Weniger Flexibilisierung, mehr Regulierung des Arbeitsmarkts

moderat dafür

moderat dafür

Mehr (höherer) Mindestlohn

moderat dafür

moderat dafür

In Tabelle 2.3 wird deutlich, dass die Unternehmerverbände in bestimmten Bereichen der koordinierten Marktwirtschaft genau wie die Gewerkschaften mehr Arbeitslosengeld, mehr aktive Arbeitsmarktpolitik und mehr Mindestlöhne präferieren sowie weniger aktivierende Elemente und weniger Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. Diese Präferenzen zur Einschränkung der Handlungsfreiheit der Unternehmer konnten auch nicht über die Neo-Korporatismustheorie abgeleitet werden. Zwar wurde dort aufgrund von Austauschbeziehungen und (impliziten) sozialen Pakten von einer moderaten Konfliktlinie ausgegangen, die unterschiedlichen (Grund-)Interessen von Arbeit und Kapital blieben aber bestehen. Diese unterschiedlichen (Grund-)Interessen lösen sich nun in bestimmten Bereichen des exportorientierten Sektors auf, da davon ausgegangen wird, dass sich die Unternehmerverbände genauso wie die Gewerkschaften für einen starken Kündigungsschutz aussprechen (Emmenegger 2008: 94). Ferner müssten die Unternehmerverbände an einer relativ hohen Lebensstandardsicherung im Falle von Arbeitslosigkeit interessiert sein, um Beschäftigte zu ermutigen, in unternehmens- oder sektorenspezifische Qualifikationen zu investieren (vgl. zu unterschiedlichen Beispielen ausführlich Höpner 2009: 311–316; Höpner 2015: 184 f. sowie; Mares 2003). Auch ist zu erwarten, dass die Unternehmerverbände ein Interesse daran haben, dass flächendeckende Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften geführt werden, damit kein Lohnwettbewerb entsteht, und die Gewerkschaften sogar gedrängt werden, zentral und mitgliederstark organsiert zu sein (Swenson 1991, 2002).

28

2

Analytisch theoretischer Rahmen

Abbildung 2.3 zeigt diese Interessenmodellierung aus der koordinierten Marktwirtschaft bei mehr Arbeitsmarktregulierung und wohlfahrtsstaatlichem Ausbau: Die durchgezogene Linie stellt die Positionierung der Unternehmerverbände bei moderat mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau dar, die gestrichelte Linie die Positionierung der Gewerkschaften, die noch etwas positiver eingestellt sind als die Unternehmerverbände (ebenfalls bei moderat mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau). Im Prinzip handelt es sich aber um relativ gleiche Interessen im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat bei Arbeit und Kapital.

Abbildung 2.3 Interessenmodellierung in der koordinierten Marktwirtschaft

Dass Deutschland als Prototyp einer koordinierten Marktwirtschaft gilt, wird neben dem dualen Ausbildungssystem (Koordination zwischen Staat und Verbänden) sowie der Unternehmerfinanzierung (Koordination zwischen Unternehmen und Hausbanken), besonders mit den industriellen Beziehungen (Koordination zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften) und mit der Koordination zwischen Unternehmensmanagement, politischen Akteuren und Gewerkschaften begründet (Hall, Soskice 2001: 21–27). Exemplarisch können Unternehmen herangezogen werden, in denen gewerkschaftliche (und politische) Akteure die Unternehmensstrategie mitbestimmen und Strategieentscheidungen, Kapitalerhöhungen und Satzungsänderungen zustimmen

2.3 Koordinierte Marktwirtschaft im Spiegel von Gewerkschafts- …

29

müssen.7 Das Unternehmensmanagement ist dann in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt, da die Arbeitnehmer (und politischen Akteure) ein Vetorecht besitzen und die Firmenspitze mit beiden Vetospielern kooperieren muss. Die These der koordinierten Marktwirtschaft lautet nun, dass diese Einschränkung der Unternehmerfreiheit kein Wettbewerbsnachteil ist, sondern die Koordination führt gerade zu Wettbewerbsvorteilen für das Unternehmen. Es zählt – zumindest theoretisch – nicht nur der reine Unternehmensgewinn für die Kapitalgeber, sondern wirtschaftliche Beziehungen bedienen in hohem Maße auch andere, nicht wirtschaftliche Belange wie Arbeitsplatz- und Standortsicherung. Wirtschaftliche Beziehungen sind zumindest auch auf andere soziale Ziele hin ausgerichtet, weswegen klassenübergreifende Bündnisse zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften auch stärker in koordinierten Marktwirtschaften erwartet werden können (Barr 2001).8 Klassenübergreifende Bündnisse organisierter Interessen kann zum Beispiel bei generöserer Arbeitslosenversicherung sein, die Mitarbeiter motivieren soll, in firmen- oder sektorenspezifische Qualifikation zu investieren. Auch muss bei relativ 7 Der

Volkswagenkonzern (VW) ist ein prominentes Beispiel, da bei VW neben der Eigentümerfamilie Porsche und Piëch ebenfalls die Mitarbeiter und das Bundesland Niedersachsen anteilsmäßig beteiligt sind. Es können neben dem VW-Konzern aber noch eine Vielzahl weiterer Praxisbeispiele genannt werden, die exemplarisch sind für die koordinierte Marktwirtschaft in Deutschland. Zum Beispiel die ehemaligen Staats-Monopolisten Deutsche Post, Deutsche Telekom, Deutsche Bahn oder auch die Staatsbank KfW. Ferner die Bundesdruckerei, Flughäfen, Service-Unternehmen der Bundeswehr, Hofbräu München (Freistaat Bayern), die Badische Staatsbrauerei Rothaus AG (Baden-Württemberg), die Staatsweingüter Rheinland Pfalz, die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meißen (Sachsen) oder die etwa 400 Sparkassen (Busse 2017: 23). In dieser Aufzählung sind städtische oder kommunale Betriebe zur öffentlichen Daseinsvorsorge wie Schwimmbäder, Büchereien oder Wasserbetriebe noch gar nicht miteingeschlossen. Auch sind Siemens 2018, Kaiser’s Tengelmann 2015/2016, Schaeffler AG 2009 und Bombardier 2008 Einzelfallbeispiele in denen das Unternehmermanagement seine eigene Entscheidungsfreiheit einschränkte und Gewerkschaften sowie politische Akteure mit in die Verkaufs- oder Sanierungsverhandlungen einbezog (DPA 2017:18). 8 Dass Unternehmen in koordinierten Marktwirtschaften auch auf soziale Ziele hin ausgerichtet sind, könnte die Kooperationen mit Unternehmen aus liberalen Marktwirtschaften erschweren. Einzelfallbeispiele für diese schwierigere Kooperation sind gescheiterte Joint Ventures wie General Motors und Opel (1929), Daimler und Chrysler (1998), Deutsche Telekom und Voicestream (2000), RWE und America Water (2003), Adidas und Reebok (2005) sowie Siemens und Dade-Behring (2007) (Büschemann 2016: 15). Weitere Übernahmen deutscher und amerikanischer Unternehmen, die sich aktuellen Koordinationsaufgaben stellen müssen, könnten zur weiteren Forschung anregen, z. B. Siemens und der Maschinenbauer Dresser-Rand sowie der 16,4-Milliarden-Kauf des US-Laborausrüsters Sigma-Aldrich durch den Pharma-Konzerns Merck (2014).

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2

Analytisch theoretischer Rahmen

hoher materieller Absicherung die arbeitslose Person nicht gezwungen werden, jede gering qualifizierte Erwerbstätigkeit anzunehmen, sondern kann in ihr allgemeines Humankapital investieren, wovon auch ein Unternehmen bei späterer Einstellung wieder profitiert (Iversen 2005: 12 f.). Ferner die Begründung für die Umverteilung der Risiken: Gerade in Sektoren, in denen Unfälle oder Arbeitslosigkeit wahrscheinlicher sind, wird das wirtschaftliche Risiko des Unternehmers minimiert, wenn Sicherungssysteme bewusst aus dem eigenen Verantwortungsbereich ausgelagert werden. Mares argumentiert, dass dann auch bei Unternehmerverbänden ein Interesse vorhanden ist mitzuentscheiden, unter welchen Gerechtigkeitsaspekten die Sicherungssysteme ausgestaltet werden, und eine Positionierung pro wohlfahrtsstaatlichen Ausbau der Unternehmer begründen (Mares 2001: 206 f.; 2003: 116 f.). Stützend darauf liegen Ergebnisse vor, die ganz generell in Deutschland ein Interesse der Unternehmer an sozialpolitischen Reformen zeigen (Wood 2001: 266 f.), was beim Mindestlohn besonders ausgeprägt gewesen sei. In Anlehnung an Pies (2015) wird die Bedeutung normativer Faktoren betont, die (auch) vonseiten der Kapitalseite für mehr Sozialpolitik sprechen (Weishaupt 2018: 72). Auf „periodenspezifische Präferenzen“ macht Paster aufmerksam und argumentiert, dass sich die Präferenzen zur staatlichen Sozialpolitik je nach Kontext ändern, durchaus aber auch pro Sozialpolitik sein können. Bei der Einführung der staatlichen Arbeitslosenversicherung 1927 sind die Arbeitgeber zwar dagegen gewesen, weil sie höhere Kosten für die Unternehmen befürchteten, bei der Frühverrentungspolitik aber aufgrund negativer Arbeitsanreize für mehr Regulierung (Paster 2019: 23). Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist zudem ein besonderer Kontext gewesen, in dem die Unternehmerverbände die Regelungen des Kurzarbeitergeldes ähnlich wie die Gewerkschaften befürwortetet haben und somit beide für wohlfahrtsstaatlichen Ausbau votierten (Bender, Ebbinghaus 2020: 45; Eichhorst, Weishaupt 2013: 11 f.). Die Kurzarbeit ist eines der prominentesten Beispiele aus der VoC-Literatur, da es sich hier auch um eine politische Reform handelte, die besonders die Unternehmen im exportorientierten Sektor unterstützten. Allerdings wird bei der These, dass Unternehmerverbände zum Unterstützer eines wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus werden, kritisch betont, dass damit nicht erklären werden kann, warum auch die Unternehmen in den leistungsfähigsten Sektoren eine generelle Ablehnung gegenüber gesetzlichen Mindestlöhnen gehabt haben (Meyer 2016: 550). Daran anknüpfend zeigen Baccaro und Howell, dass ganz unabhängig vom wirtschaftlichen Sektor ein einheitliches Interesse der Unternehmer an

2.4 Zusammenfassung: Analytisch theoretischer Rahmen

31

mehr Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, völliger Unternehmerfreiheit und geringerer sozialer Sicherung vorliegt (Baccaro, Howell 2011). Laut Brosig hat besonders die BDA während des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus und auch in der Phase der Modifikation bis Mitte der 1990er Jahre gegen den wohlfahrtsstaatlichen Ausbau votiert. Ferner, entgegen der VoC-Annahme, haben die Unternehmerverbände in Deutschland die sozialpolitische Kürzungsphase seit dem Jahr 2000 begrüßt (Brosig 2011: 322–330). Hier wird die These der Machtressourcentheorie wieder hervorgehoben, die auch in den wirtschaftlichen Leitsektoren von gegensätzlichen Interessen von Arbeit und Kapital ausgeht. Zusammenfassend wird aus der koordinierten Marktwirtschaft daher folgende Hypothese abgeleitet: H3: Je höher die Spezialisierung und Exportorientierung in bestimmten Sektoren ist, desto mehr positionieren sich die Unternehmerverbände und die Gewerkschaften aus diesen Bereichen bei Debatten zur Reform des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus und zur Arbeitsmarktregulierung dafür.

2.4

Zusammenfassung: Analytisch theoretischer Rahmen

Die Forschungsfrage lautet, ob und wenn ja wie stark sich die Interessen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat unterscheiden. Aus der Machtressourcentheorie wurde die Hypothese abgeleitet, je mehr primäre Mitgliederinteressen repräsentiert werden und die Einheit der Organisationen vorhanden sind, desto ausgeprägter positionieren sich die Gewerkschaften bei Debatten zur Reform des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus und zur Arbeitsmarktregulierung dafür und die Unternehmerverbände dagegen. Daraus wird sodann ein ausgeprägter Klassenkonflikt erwartet, bei dem die primären Interessen zu weit auseinanderliegen, als dass klassenübergreifende Bündnisse eingegangen werden können. Denn den Unternehmerverbänden wird ein primäres Interesse an eigener Handlungsfreiheit und weniger Regulierung unterstellt, was sich an der Befürwortung flexibler Beschäftigungsformen und geringer Sozialleistungen zeigen müsste. Die Gewerkschaften haben hingegen ein primäres Interesse an Arbeitnehmerschutz und ausgebauten sozialpolitischen Standards. Aus der Neo-Korporatismustheorie wurde sodann die zweite Hypothese abgeleitet, dass es sich zwar immer noch um gegensätzliche Interessen handelt, aber je mehr Austauschbeziehungen in bestimmten Sektoren vorhanden sind, desto moderater positionieren sich die Gewerkschaften pro wohlfahrtsstaatlichen Ausbau

32

2

Analytisch theoretischer Rahmen

und Arbeitsmarktregulierung und desto moderater die Unternehmerverbände contra. Bestimmte Gewerkschaften und Unternehmerverbände haben aufgrund ihrer Repräsentativität und sozial integrativen Funktion privilegierte Möglichkeiten des Austausches, was zwangsläufig zum Kompromiss und einem Bewusstsein der Konfliktpartnerschaft bei den beteiligten Akteuren führt. Konfliktpartnerschaft bedeutet dann kein Interesse an einem völlig freien Arbeitsmarkt oder einer Überregulierung, sondern Begriffe wie Ausdehnung oder Lockerung bestimmen die Reformdebatten im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat. Die dritte Hypothese war die Gegenthese zu den unterschiedlichen Interessen von Arbeit und Kapital, die da lautet, dass in bestimmten Bereichen des Produktionsregimes gleiche Interessen bei Unternehmerverbänden und Gewerkschaften erwartet werden können. Je nach volkswirtschaftlichem Leitsektor haben die leistungsfähigsten Firmen ein Interesse an der Regulierung des Arbeitsmarktes, einer Ausdehnung des Kündigungsschutzes, höheren Löhnen oder höheren Sozialleistungen, weil sie komparative Vorteile durch den wohlfahrtsstaatlichen Ausbau erwarten. Die Ausdehnung des Kündigungsschutzes, höhere Löhne und generösere Sozialleistungen sind genau die Interessen, die von Gewerkschaften ebenfalls erwartet werden, weswegen klassenübergreifende Koalitionen prinzipiell möglich sind, weil der Klassenkonflikt wegfällt.

Tabelle 2.4 Idealtypische Organisationsinteressen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Wohlfahrtsstaatlicher Ausbau und Regulierung des Arbeitsmarkts Reformdebatten

Interesse/Position GW

UV

GW

UV

GW

UV

Mehr Arbeitslosengeld

+2

−2

+1

−1

+1

+1

Weniger aktivierende Arbeitsmarktpolitik

+2

−2

+1

−1

+1

+1

Mehr aktive Arbeitsmarktpolitik

+2

−2

+1

−1

+1

+1

Weniger Flexibilisierung, mehr Arbeitsmarktregulierung

+2

−2

+1

−1

+1

+1

Mehr (höherer) Mindestlohn

+2

−2

+1

−1

+1

+1

MRT (H1)

NKT (H2)

KMW (H3)

Abkürzungen: Machtressourcentheorie (MRT), Neo-Korporatismustheorie (NKT), koordinierte Marktwirtschaft (KMW), Gewerkschaften (GW) und Unternehmernehmerverbände (UV). Anmerkung: Aufgrund einer besseren Übersicht sind die Interessen ausgeprägt dafür mit +2 gekennzeichnet, moderat dafür mit +1, moderat dagegen mit −1 und ausgeprägt dagegen mit −2

2.4 Zusammenfassung: Analytisch theoretischer Rahmen

33

Diese drei Hypothesen zu den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Gewerkschaften und Unternehmerverbände sind in der Tabelle 2.4 nochmals zusammengefasst und mit +2 bis −2 dargestellt. Plus 2 bedeutet ein ausgeprägtes Interesse an wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und Arbeitsmarktregulierung und −2 eine ausgeprägte Ablehnung. Moderat ausgeprägt dafür ist mit +1 dargestellt und moderat dagegen mit −1. In Abbildung 2.4 sind die Interessensmodellierungen nochmals etwas anschaulicher dargestellt, und es wird deutlich, dass über die Machtressourcen ein primäres Interesse der Gewerkschaften an ausgeprägt mehr wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und Arbeitsmarktregulierung erwartet wird, und die entgegengesetzten primären Interessen der Unternehmerverbände an ausgeprägt weniger. Ganz im Gegensatz zur koordinierten Marktwirtschaft, bei der deutlich werden soll, dass in hochspezialisierten Bereichen des exportorientierten Sektors gleiche Interessen von Arbeit und Kapital vorliegen und beide Organisationstypen mehr wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und Arbeitsmarktregulierung unterstützen.

Abbildung 2.4 Interessenmodellierung von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden für mehr wohlfahrtsstaatlichen Ausbau und die Regulierung des Arbeitsmarkts nach der Machtressourcen- und Neo-Korporatismustheorie sowie der koordinierten Markwirtschaft

Die hergeleiteten Hypothesen werden in Kapitel 5 nochmals spezifiziert, da die Position, die eine Organisation in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einnimmt, abhängig sein kann von ihrer Größe, davon, ob es sich um einen Dachverband oder

34

2

Analytisch theoretischer Rahmen

eine Einzelorganisation handelt, sowie davon, in welcher Branche sie ihre Mitglieder organisiert. Warum sich Deutschland nicht nur als empirischer Testfall in Bezug auf die Verbandsinteressen anbietet, sondern dass es sich dort auch um einen sich wandelnden Wohlfahrtsstaat handelt, wird im nachfolgenden Kapitel deutlich (Crouch et al. 1999: 32 f.; Hassel 2007b: 256; Kitschelt 2006: 414). Im Vordergrund steht die Agenda 2010, die überwiegend Flexibilisierungsmaßnahmen und wohlfahrtsstaatlichen Abbau beinhaltet. Ab 2005 folgt dann die Konsolidierung des Wohlfahrtsstaates mit vereinzelten Tendenzen in Richtung Ausbau und Regulierung bis 2009, als auch in Richtung Abbau und Flexibilisierung von 2009 bis 2012. Mit dem Beschluss des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns beginnt 2013 dann eine wohlfahrtsstaatliche Politik, die auf sozialpolitischen Ausbau und mehr Arbeitsmarktregulierung fokussiert ist.

3

Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: Abbau, Konsolidierung und Ausbau zwischen 2000 und 2014

Mit der Agenda 2010 von SPD und Bündnis 90/Grüne wurde ein neues Kapitel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aufgeschlagen, das maßgeblich mit dem Wandel des Wohlfahrtsstaates verbunden wird. Der wohlfahrtsstaatliche Abbau und die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts sind Beschreibungen, die mit den vier Gesetze für moderne Dienstleitungen am Arbeitsmarkt (Hartz I-IV) verbunden werden. Nach dem Jahr 2005 waren es dann bis 2009 eher Konsolidierungsmaßnahmen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, mit wenigen Korrekturen der Agenda 2010. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedeten zum Beispiel die Ausdehnung der Kurzarbeit und Verlängerung des Bezugszeitraumes für das Arbeitslosengeld I. Die Konsolidierung des Wohlfahrtsstaates bestimmte auch die Zeit zwischen 2009 und 2013, in der ebenfalls keine inkrementellen Änderungen vorgenommen wurden. Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die von CDU/CSU und FDP in diesem Zeitraum verabschiedet wurden, waren zum Beispiel das „Sparpaket“ und das „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“1 . Nach der Bundestagswahl im Jahr 2013 wurden von CDU/CSU und SPD Reformvorhaben angekündigt, die mit wohlfahrtsstaatlichem Ausbau und der Regulierung des Arbeitsmarkts verbunden werden. Beispiele sind der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn, die „Einschränkung von Befristungsmöglichkeiten“ und das „Programm zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit“. Bevor die relevanten Änderungen in der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Gesetzgebung beschrieben werden, wird als Eingang ein kurzer Rückblick auf das 1 Das „Bildungs- und Teilhabepaket“ wurde ebenfalls zwischen 2009 und 2013 verabschiedet,

spielte in den Pressemitteilungen der Organisationen aber keine Rolle. Es wurde deswegen aus der Analyse ausgeschlossen und nachfolgend auch nicht beschrieben. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Bender, Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31825-3_3

35

36

3 Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: …

vorrangegangene Wahlergebnis und die Zusammensetzung des Parlaments gegeben (siehe dazu ergänzend die Tabellen 3.1, 3.4, 3.6 und 3.8). In Tabelle 3.3 werden zudem arbeitsmarkt- und beschäftigungsrelevante Indikatoren ausgewiesen, auf die im Fließtext Bezug genommen wird und die bei der Einordnung des wohlfahrtsstaatlichen Wandels helfen. Es wird ferner der bisweilen ambivalente Forschungsstand zu den Auswirkungen von wohlfahrtsstaatlichem Aus- und Abbau sowie der Flexibilisierung und Regulierung wiedergegeben, damit die Kontroversen des wohlfahrtsstaatlichen Wandels verdeutlicht werden.2

3.1

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000 bis 2005. Kabinette Schröder I und II (SPD und Bündnis 90/Grüne)

Tabelle 3.1 Eckdaten zu Bundestagswahlen und Parlamentszusammensetzung von 1998 bis 2005 Jahr

Wahltag

Vereidigung

Kanzler & Partei

Koal-Partei I

Sitze I

Koal-Partei II

Sitze II

1998–2002

27.09.98

27.10.98

Schröder/SPD

SPD

44,5%

B’90/ Grüne 7,0%

2002–2005

22.09.02

22.10.02

Schröder/SPD

SPD

41,6%

B’90/ Grüne 9,1%

Quelle: Döring, Manow (2018). Eigene Zusammenstellung

Tabelle 3.2 Überblick Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 1998–2005 Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1998–2005

Kabinette Schröder I und II (SPD und Bündnis 90/Grüne)

1998

Arbeitsförderungsreform-Gesetz (SGB III)*

1999

Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Jobs)

2001

Teilzeit- und Befristungsgesetz

2002

Job-AQTIV-Gesetz Modell der Job-Rotation wird in SGB III aufgenommen Förderung der Frauenquote bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen

2003

Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) Einrichtung von Jobcentern* (Fortsetzung)

2 Das

führt an einigen Stellen dazu, dass die Forschungsergebnisse in indirekter Rede widergegeben werden.

3.1 Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000 bis 2005. …

37

Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1998–2005

Kabinette Schröder I und II (SPD und Bündnis 90/Grüne)

Einführung von Personal-Service-Agenturen (Zeit-/Leiharbeitsfirmen) Flexibilisierung der Zeit-/Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Wegfall des Befristungsverbotes und gleicher Lohn für gleiche Arbeit) Aufweichung des Kündigungsschutzes (Anhebung des Schwellenwertes, neue Angestellte werden bei der Ermittlung des Schwellenwertes nicht mitgezählt) Einführung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (Befristung von 24 Monaten bei Sachgrund möglich, Beschränkung für >52-Jährige aufgehoben, bei Firmenneugründungen max. 4 Jahre Befristung ohne Einschränkung) Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen im SGB II (Meldeplichten, Umzug und Beweislast) Verschärfung der Arbeitspflicht im SGB II Reform der Eingliederungszuschüsse Kürzung verschiedener Typen von Eingliederungszuschüssen und Einschränkung bzgl. der Höhe und Dauer Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz II) Reform und Ausweitung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Job bis 400 e) Einführung von Midi-Jobs (401–800 e) Einführung von Ich-AGs (Förderung von Existenzgründung) Reform des Scheinselbstständigen-Gesetz 2004

Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes Kürzung der Dauer des Arbeitslosengeldes I auf max. 18 Monate Beschäftigungsbegleitende Eingliederungshilfen werden ins SGB III aufgenommen Rückführung der Förderung beruflicher Weiterbildung Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz III) Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit in Bundesagentur für Arbeit* De- und Regulierung von Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik

2005

Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld werden zusammengelegt) Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen (zumutbarere Erwerbstätigkeit) Verschärfung der Sanktionen im Leistungsbezug SGB II Einführung von Arbeitsgelegenheiten (1-e-Job)

*Reformdebatten zu diesen Themen werden nicht mit analysiert

38

3 Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: …

Als die SPD und Bündnis 90/Grüne im Jahr 1998 eine Koalition eingingen, lag die Arbeitslosenquote bei 11,1 Prozent (4,28 Millionen), und der Wahlkampf war bereits geprägt von der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland; die Bundesrepublik wurde als „kranker Mann im Euroraum“ bezeichnet (Economist 1999). Trotz dieser schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage strebten SPD und Grüne zunächst keine inkrementellen Änderungen in der Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik an, sondern präferierten die „Politik der ruhigen Hand“ (Eichhorst, Zimmermann 2005: 12). Dies hatte mit Reformen der Vorgängerregierung unter Helmut Kohl zu tun, die 1997–1998 das Arbeitsförderungsgesetz reformierte und in das neue Sozialgesetzbuch III (SGB III) überführte. Die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP verabschiedete sich bereits mit der Reform des SGB III von einer fiskalischen Beschäftigungspolitik, da die Maßnahmen der passiven Arbeitsmarktpolitik reduziert und das aktivierende Paradigma gestärkt wurde (Ebbinghaus, Eichhorst 2006: 8). Ebenfalls begann die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse bereits unter der damaligen Kohl-Regierung und wurde von den Kabinetten Schröder I und II mit der Agenda 2010 weitergeführt (Eichhorst, Kaiser 2006; Streeck, Trampusch 2005). Die Agenda 2010 war ein ganzes Bündel von Reformmaßnahmen, das zwischen 2002–2005 von der rot-grünen Bundesregierung verabschiedet wurde. Nach dem Vermittlungsskandal der Bundesanstalt für Arbeit im März 2002 setzte das Kanzleramt eine Experten-Kommission ein, die unter der Leitung des früheren VW-Personalvorstandes, Peter Hartz, Vorschläge zur Senkung der Arbeitslosigkeit, Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und Reformierung der Arbeitsvermittlung erarbeiten sollte. Bereits vor der Übergabe des Abschlussberichtes im August 2002 äußerte der Bundeskanzler das Versprechen, im Falle der Wiederwahl bei den anstehenden Bundestagswahlen die Vorschläge „eins zu eins“ umzusetzen und damit die Anzahl von 5 Millionen arbeitslosen Menschen zu halbieren (Jann et al. 2004). Konkrete Änderungen, die dann mit der Agenda 2010 umgesetzt wurden, waren die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (Hartz IV), die Ausweitung befristeter Beschäftigungsmöglichkeiten, von Zeit-/Leiharbeit und Mini-Jobs sowie die Schwächung des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Die Schwächung des Kündigungsschutzes war insofern bemerkenswert, als er bis dato als charakteristisch galt für das Normalarbeitsverhältnis in Deutschland (Apitzsch et al. 2015: 19). Aber nicht nur der Arbeitsmarkt wurde flexibilisiert, sondern das ganze Leitbild der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik änderte sich ab 2000, da nicht mehr der Staat die Verantwortung trägt, Beschäftigung zu fördern, sondern das Individuum mehr Eigenverantwortung übernehmen muss, um seine (!) Arbeitslosigkeit zu beenden (Kluve 2010: 905). Die Betonung der Eigenverantwortung der arbeitslosen

3.1 Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von 2000 bis 2005. …

39

Person schlug sich nicht nur in stärkeren Sanktionen und Zumutbarkeitsregelungen bei der Arbeitsaufnahme nieder (§ 10 SGB II), sondern auch in Kürzungen von Lohnzuschüssen und Regelleistungen (§ 31 SGB II) für arbeitslose Personen. Das neue Leitbild unter Rot-Grün lautete Aktivierung der arbeitslosen Person, was mit dem Job-AQTIV-Gesetz und einer Stärkung des Verständnisses von Rechten und Pflichten bei Arbeitslosigkeit verbunden war (Weishaupt 2011: 262). Das JobAQTIV-Gesetz wurde somit zum Vorläufer des Konzeptes „Fördern und Fordern“ der Agenda 2010 und es wird in der empirischen Analyse besonders darauf zu achten sein, wie sich die Gewerkschaften und Unternehmerverbände dazu positionieren.

3.1.1

Zeit-/Leiharbeit

In Anlehnung an die Hartz-Kommission wurde zwei Monate nach der Vereidigung des neuen Kabinetts Schröder II im Dezember 2002 (Tabelle 3.1) das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I) vom Bundestag verabschiedet. Es regelte primär die Organisation der Personal-Service-Agenturen (PSA). Die PSA konnten ihre Mitarbeiter als sog. Zeit-/Leiharbeiter an verschiedene Unternehmen verleihen, je nachdem, wo und wofür gerade eine Nachfrage nach Arbeitskräften vorhanden war. Bei den PSA sind die Mitarbeiter zwar unbefristet beschäftigt, dadurch, dass sie in verschiedene Unternehmen ausgeliehen werden können, handelte es sich aber faktisch um befristete Arbeitsaufenthalte. Wie Schröder (2010) ausführt, war die Idee mit der Verleihung in ein Unternehmen, ein potentielles Brückenverhältnis zur unbefristeten Festanstellung entstehen zu lassen. Zeit-/Leiharbeit war schon vor dem Hartz-I-Gesetz möglich, allerdings auf zwölf Monate im selben Unternehmen begrenzt. Um die Einstellung für die Unternehmen flexibler zu machen, konnten die Leih-/Zeitarbeitnehmer ab 2002 dann länger als 24 Monate an ein Unternehmen ausgeliehen werden – Wegfall des Befristungsverbots als Ausdruck der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Allerdings sollte nach einer Übergangszeit von zwölf Monaten im gleichen Unternehmen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ (Gleichheitsgrundsatz) gelten, d.h. dass für den entliehenen Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit der gleiche Lohn bezahlt wird wie für die festangestellte Person. Ausnahmen von diesem Grundsatz waren nur zulässig, wenn es sich bei der Neueinstellung um eine arbeitslose Person handelte oder wenn sich Gewerkschaften und Unternehmer(verbände) über Tarifverträge auf Abweichungen einigten.3 3 Die

Reform zur Zeit-/Leiharbeit und die Möglichkeit über Tarifverträge von equal pay abweichen zu können, wird in der Inhaltsanalyse der Pressemitteilungen eine wichtige Rolle

40

3 Wohlfahrtsstaatlicher Wandel in Deutschland: …

Wie aus Tabelle 3.3 deutlich wird, hat sich die Anzahl der Zeit-/Leiharbeiter nach dieser Reformierung mit Ausnahme während der Zeit der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 kontinuierlich erhöht. Die absolute Anzahl stieg von 2002–14 von 326.295 auf 912.519 Personen (von 1,2 Prozent auf 3,0 Prozent). Der Anteil von 3,0 Prozent ist relativ gering, konzentriert sich aber fast ausschließlich auf die Automobilindustrie, in der bis zu 30 Prozent der Mitarbeiter über Zeit-/Leiharbeit beschäftigt sind (Sozialpolitik-aktuell 2018a). Es wird zu analysieren sein, ob Gewerkschaften und Unternehmerverbände im exportorientierten Sektor gleiche Interessen haben oder ob sich ein kontinuierlicher Gegensatz bei der Positionierung zur Zeit-/Leiharbeit zeigen lässt. Mehr als zwei Drittel dieser Zeit-/Leiharbeiter sind Männer, die zum größten Teil vorher arbeitslos gewesen sind. Allerdings zeigen Studien auch, dass das Brückenverhältnis (Klebeeffekt) weitgehend ausblieb, da über die Hälfte der überlassenden Zeit-/Leiharbeiter nach der maximalen Entleihdauer von 24 Monaten keine Festanstellung gefunden hatten; im Gegenteil zeigen Apitzsch et al. (2015: 35), dass sie wieder arbeitslos geworden sind. Zudem nutzten einige Unternehmen die Form flexibler Einsatzmöglichkeiten immer häufiger dazu, um Stammpersonal durch Zeit-/Leiharbeiter zu ersetzen. Dadurch fielen nicht nur festangestellte Personen im Normalarbeitsverhältnis weg, sondern, wie Vitols (2008: 158) zeigt, wurden dadurch auch Kündigungsschutz- und tarifvertragliche Regelungen umgangen. Eine Kritik, die mit den Hartz-Reformen immer in Verbindung gebracht wurde, besagt, dass immer mehr Beschäftigte kein Normalarbeitsverhältnis mehr haben und prekär beschäftigt werden. Zum Teil wurden ganze PSA als Verleiheinheiten in den Unternehmen gegründet, um kurzfristige Personalengpässe (Krankheit, Urlaub) oder ausbleibende Aufträge auszugleichen. Einige Unternehmen favorisierten die PSA ebenfalls, weil der Rekrutierungsund Verwaltungsaufwand der Zeit-/Leiharbeiter entweder an die eigene PSAVerleiheinheit (Tochterunternehmen) oder an die externen Agenturen ausgegliedert wurde, was in beiden Fällen Kosteneinsparungen bedeutete (Schröder 2010). Neuere Forschungen zeigen allerdings, dass diese Kosteneinsparungen nicht gesichert nachgewiesen werden können, wenn die Ausfallstunden des Stammpersonals gegen das Anlernen und Einarbeiten des Zeit-/Leiharbeiters gerechnet werden. Kritik wurde ferner im Zusammenhang mit den neuen sozialen Risiken für die Zeit-/Leiharbeiter hervorgebracht. Besonders die unsicheren und instabilen Entleihverhältnisse, kurzfristige Beschäftigung, Befristung und hohe Fluktuation wurden als negative Effekte der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts aufgeführt. einnehmen. Es handelt sich um zentrale Erkenntnisse aus der Gesamtbetrachtung, die an diesem Einzelfallbeispiel deutlich werden.

38,6

39,3

39,3

39,1

38,8

38,9

38,9

39,1

39,8

40,3

40,3

40,6

41,6

41,1

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

73,0

72,7

71,2

70,4

70,2

69,0

67,2

65,5

65,0

64,6

65,3

65,8

65,6

65,2

64,7

29,5

29,1

28,3

27,8

27,9

27,5

26,8

26,4

26,5

26,7

27,4

28,0

28,1

27,8

-

2,90

2,98

3,24

3,41

3,26

3,76

4,49

4,86

4,38

4,38

4,06

3,85

3,89

4,10

4,28

38,1

1998

%

6,8

7,1

7,7

8,1

7,8

9,0

10,8

11,7

10,5

10,5

9,8

9,4

9,6

10,5

11,1

%

Mio

Mio

Maßzahl

in

SV3

Mio

BA

BA

BA1

Quelle

OECD2

Arbeitslose

Erwerbstätige

E-Form

4,53

4,52

4,39

4,46

4,49

4,55

4,51

4,49

4,31

4,07

4,02

4,05

3,97

3,90

3,96

Mio

OECD

11,6

11,7

11,6

11,6

11,7

12,0

12,1

12,4

12,0

11,4

11,2

11,1

11,0

10,8

11,0

%

Selbstständige

13,7

14,5

14,5

14,5

14,7

14,6

14,5

14,2

12,4

12,2

12,0

12,4

12,7

13,1

12,2

%

OECD

Befristet

Tabelle 3.3 Erwerbsformen in Deutschland von 1998 bis 2014

22,2

22,3

21,8

21,9

21,8

22,0

21,8

21,5

20,1

19,6

18,8

18,3

17,6

17,1

16,6

%

OECD

14,4

15,1

20,3

20,3

22,0

20,3

20,7

20,1

15,7

14,3

12,3

11,9

12,0

13,0

13,6

Unfrei.4

Teilzeit