Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung: Zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982-1989 an den Beispielen der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik [1 ed.] 9783428495627, 9783428095629

Die Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck von CDU-Parteiführung, Unionsfraktion und

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Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung: Zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982-1989 an den Beispielen der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik [1 ed.]
 9783428495627, 9783428095629

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JÜRGEN GROS

Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 104

Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung Zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982 -1989 an den Beispielen der Finam-, Deutschlandund Umweltpolitik

Von Jürgen Gros

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gros, Jürgen: Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung: zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982 - 1989 an den Beispielen der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik / von Jürgen Gros. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 104) Zugl.: München, Univ., Diss., 1997/98 ISBN 3-428-09562-6

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-09562-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Vorwort Die Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck von CDU-Parteiführung, Unionsfraktion und Bundesregierung sind von der politikwissenschaftlichen Forschung bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben. Deshalb wird in dieser Studie exemplarisch in der Analyse der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik untersucht, welche Akteure in welcher Form im Machtdreieck in die Politikgestaltung involviert sind, wie sich ihre Möglichkeiten zur Einflußnahme auf Entscheidungsprozesse im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland gestalten, und welche Strukturen des Interessenausgleichs und der Konfliktregelung sich zwischen den relevanten Akteuren für die Jahre zwischen 1982 und 1989 nachweisen lassen. Mit dem Blick unter die Oberfläche vertrauter Vorstellungen und Kenntnisse formeller, institutioneller Verantwortlichkeiten werden dabei strukturelle und prozessuale Tiefendimensionen eines zentralen Teilbereichs des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland freigelegt. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1997/98 von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation zum Dr. rer. pol. angenommen. Als Erst- und Zweitgutachter fungierten Prof. Dr. Dr. h. c. Wemer Weidenfeld sowie Prof. Dr. Dieter Grosser. Mein Dank gilt Prof. Dr. Dr. h. c. Wemer Weidenfeld, der die Arbeit in der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung in München unterstützte. Zu besonderem Dank verbunden bin ich Manuel Fröhlich für die intensive und kritische Diskussion meiner Arbeitsergebnisse sowie Guido Gros für die gründliche Durchsicht der Studie auf ihre formale Korrektheit. In gleichem Maße danke ich Dr. Manuela Glaab, PD Dr. habil. Karl-Rudolf Korte und Dr. Thomas Paulsen, die mir in der Forschungsgruppe Deutschland jederzeit als kritische und zugleich hilfreiche Diskussionspartner zur Verfügung standen. München, im Juli 1998

Jürgen Gros

Inhaltsverzeichnis A. Untersuchungsrahmen......................................................................................... I.

13

Untersuchungsansatz .... .................... .... ........... .... .... ....... ....... ................. .........

13

I. Untersuchungsgegenstand und Begriffsklärungen.......................................

14

2. Leitfragen.... ....... ....... ...................... ..... .......... .... ..... .... ... ...... ..... ...... ....... ......

20

II. Inhaltliche und zeitliche Eingrenzung .... ... ...... ............... ........... ............. ... ......

22

III. Materialbasis....................................................................................................

28

IV. Methodik und Vorgehensweise .......................................................................

31

B. Forschungsstand...................................................................................................

33

I.

Parteiflihrungsgremien.....................................................................................

33

II. Unionsfraktion.................................................................................................

37

III. Bundesregierung..............................................................................................

44

IV. Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck ............

46

V. Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik..............

52

I. Finanzpolitik................................................................................................

52

2. Deutschlandpolitik.......................................................................................

55

3. Umweltpolitik..............................................................................................

60

C. Akteure... ..... .... ....... ....... ............ ......... .................... ............ ................ ...... .... .........

62

-

I.

CDU-Parteiflihrung..........................................................................................

62

I. Grundlagen..................................................................................................

62

2. Struktur und Organisation ....... ....... ........... ... ........ ........... ....... .... ...... ....... ....

64

3. Mitglieder ....................................................................................................

71

II. Unionsfraktion .................................................................................................

75

I. Grundlagen ..................................................................................................

75

2. Struktur und Organisation ......... ...... ................. .............................. .............

81

8

Inhaltsverzeichnis 3. Mitglieder ....................................................................................................

89

HI. Bundesregierung.............................................................................................. 97 1. Grundlagen................................... ....................... ........................................

97

2. Struktur und Organisation .................................................... .......................

99

3. Mitglieder ........................................................................................... .. ....... 106

D. Politikfelder und Fallbeispiele............................ ............... ........... ....................... 110

I.

Finanzpolitik....................................................... .................... .... ..................... 110 I. Agendasetting und Beschlußfassung zur Finanzreform 1984 - Das Parteipräsidium als Gremium der Interessenkoordination. .. .... ......... ....... ...... ........ 110 2. Finanzpolitisches Agendasetting während der Koalitionsverhandlungen 1987 - Programmvorgaben durch die Parteiführung ................................... 138 3. Vorbereitung des Referentenentwurfs zum SteuerreJormgesetz J990 1987 - Federführung des Bundesfinanzministers ......................................... 162 4. Kontroversen um die Abschaffung der Flugbenzinsteuer 1988 - Fraktionsdisziplin als Machtsicherung ......... .................. ........... ........ ............ ........ 178

H. Deutschlandpolitik ........................................................................................... 202 I. Deutschlandpolitische Profil schärfung 1984/85 - Versuche der Einflußnahme aus der Unionsfraktion auf die Regierungspolitik ............................ 202 2. Die Verhandlungen zur gemeinsamen Entschließung 1985 - Die Rolle der Unionsfraktion zwischen programmatischer Eigenständigkeit und Regierungsunterstützung .... .................. .............. ......... ............................ .... 225 3. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1987 - Deutschlandpolitische Dominanz des CDU-Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers ......... 252 4. Der Wiesbadener Parteitag 1988 - Interventionen und Positionskorrekturen durch die Unionsfraktion .................................................................... 271 III. Umweltpolitik .................................................................................................. 297 I. Die Einführung des Katalysatorautos 1983/84 - Regierungsinterne Positionssuche sowie Einflußnahme seitens Unionsfraktion und CDU-Ministerpräsidenten..... ..... ........... .......... ...... .......... .............. ...... .... ...... ...... .......... 297 2. Staatszielbestimmung Umweltschutz 1983-1987 - Positionsvorgaben durch Parteiführung und Regierung ............................................................. 327 3. Die Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die Ministerberufung 1986 - Entscheidungen im Bundeskanzleramt........... ....... ..... .............. ................. .... ......... ....... .............. 351

Inhaltsverzeichnis

9

4. Erarbeitung des Umweltprogramms Unsere Verantwortung fiir die Schöpfung 1988/89 - Programmvorgaben durch die Regierungspolitik ...... 370

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse .......................................................... 391

F. Anhang .................................................................................................................. 405 I.

Bibliographien, Materialien, Quellen .............................. ........................ ........ 405

H. Literaturverzeichnis ...... ................ ..... .............................. ............ .. ...... .. .......... 408 III. Verzeichnis der Hintergrund- und Zeitzeugengespräche ................................. 426 IV. Zusammenstellung: ,,20 weitere Mitglieder des CDU-Bundesvorstandes" ..... 427 V. Sachregister ..................................................................................................... 429

Tabellenverzeichnis Tabelle I: Gewählte Mitglieder des CDU-Präsidiums 1982-1989............. ........ ........ 73

Tabelle 2: Ablauf einer typischen Sitzungswoche der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.... ................... ........ ........................... ..................... ....................... 84

Tabelle 3: Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der 9., 10. und 11. Wahlperiode .............................................................................................. 91

Tabelle 4: Arbeitsgruppenvorsitzende in der 9., 10. und 11. Wahlperiode................ 95

Tabelle 5: Minister, Parlamentarische Staatssekretäre, Staatssekretäre in der Kanzlerschaft Kohls 1982-1989 ............................ ...................... ........ ............. 107

Tabelle 6: Mitglieder der Kommission Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik ................................................................................... 274

Abkürzungsverzeichnis AA

Auswärtiges Amt

AdG

Archiv der Gegenwart

ADN

Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst

AG

Arbeitsgruppe

ARD

Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

ASD

Arbeitsstab Deutschlandpolitik

BDI

Bundesverband der deutschen Industrie

BGB!

Bundesgesetzblatt

B.I.L.D

Bureau International de Liaison et de Documentation

BKamt

Bundeskanzleramt

BMB

Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BMU

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

BPA

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Bundesverfassungsgerichtsentscheidung

CDA

Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDUSozialausschüsse)

CDU

Christlich-Demokratische Union

CSU

Christlich-Soziale Union

d. Js.

des Jahres

DLF

Deutschlandfunk

DUD

Deutschland Union Dienst

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freiheitlich Demokratische Partei

FJS

Franz Josef Strauß

FN

Fußnote

12

Abkürzungsverzeichnis

FR

Frankfurter Rundschau

GA

Generalanzeiger

GG

Grundgesetz

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

GOBReg

Geschäftsordnung der Bundesregierung

GOBT

Geschäftsordnung des Bundestages

IFRI

Institut Franr;ais des Relations Internationales

JU

Junge Union

Kfz

Kraftfahrzeug

KZ

Konzentrationslager

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

o.D.

ohne Datum

0.1.

ohne Jahr

0.0.

ohne Ort

o.T.

ohne Titel

PGF

Parlamentarischer Geschäftsführer

Pkw

Personenkraftwagen

RIAS

Rundfunksender im amerikanischen Sektor in Berlin

RP

Rheinische Post

SAPMO-BArch Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StSenkG

Steuersenkungsgesetz

StVZO

Straßenverkehrszulassungsordnung

SZ

Süddeutsche Zeitung

TA

Technische Anleitung

UiD

Union in Deutschland

vorl.

vorläufig

Vors.

Vorsitzender

WDR

Westdeutscher Rundfunk

WP

Wahlperiode

ZDF

Zweites Deutsches Fernsehen

ZK

Zentralkomitee

A. Untersuchungsrahmen I. Untersuchungsansatz Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung von Politikgestaltungsprozessen im Akteursdreieck von CDU-Parteiführung, Unionsfraktion 1 und Bundesregierung2 . Auf der Basis einer empirischen Vorgehensweise wird in der Analyse der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik danach gefragt, welche Akteure 3 in welcher Form in diesem Machtdreieck in die Politikgestaltung involviert sind, welche Möglichkeiten sie zur Einflußnahme auf Entscheidungsprozesse besitzen, und welche Strukturen des Interessensausgleichs und der Konfliktregelung sich zwischen den untersuchungsrelevanten Akteuren herausgebildet haben. Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit umfaßt die Zeit zwischen Oktober 1982 und Herbst 1989. Obgleich seit einigen Jahren ein verstärkter Trend zur empirisch-wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland erkennbar ist,4 sind die Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltungsprozesse von Bundesregierung (Regierung Kohl), der mitgliederstärksten Fraktion im Deutschen Bundestag (Unionsfraktion) und den Führungsgremien einer "Hauptregierungspartei,,5 (CDU) in den achtziger Jahren Im folgenden auch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion bezeichnet. In Anlehnung an die Definiton in Art. 62 des Grundgesetzes wird hier unter Bundesregierung das aus Bundeskanzler und den Bundesministern bestehende Kollegialorgan verstanden. Die Begriffe Regierung und Kabinett werden synonym benutzt. Der Begriff des Regierungsapparates schließt im folgenden auch die Ministerialverwaltungen der Bundesministerien mit ein. 3 Der Begriff des Akteurs umfaßt hierbei sowohl individuelle (z. B. Politiker) als auch kollektive Akteure (Parteifllhrungen, Fraktionen, Kabinett) und wird an den relevanten Untersuchungsstellen entsprechend differenziert. Zur Typologie von Akteuren vgl. Helga Haftendorn: Zur Theorie außenpolitischer Entscheidungsprozesse, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen. Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven, Opladen 1990, S. 404; Volker von Prittwitz: Politikanalyse, Opladen 1994, S. 14 f. 4 Vgl. hierzu exemplarisch Hans-Hermann HartwichlGöttrik Wewer (Hrsg): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1-5, Opladen 1990 ff. S Der Begriff wurde von Haungs eingeführt. Vgl. Peter Haungs: Die CDU in den achtziger Jahren. Anmerkungen zur Organisation und Strategie, in: Rupert Breitling/Winand Gellner (Hrsg.): Machiavellismus Parteien und Wahlen. Medien und Politik. Zum 65. Geburtstag von Erwin Faul, GerIingen 1988, S. 105; ders.: Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik - Das Beispiel der CDU, in: Hans-HerI

2

14

A. Untersuchungsrahmen

von der politikwissenschaftlichen Forschung bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben. Mit dieser Studie, die sich an der Schnittstelle von Regierungslehre, Parlamentarismus- und Parteien forschung bewegt, soll der Versuch unternommen werden, diese Forschungslücke zu schließen und einen spezifischen und im weiteren näher zu erläuternden Ausschnitt bundesdeutscher Verfassungswirklichkeit aufzuarbeiten. Es wird somit auf einer umfassenden empirischen Materialbasis versucht, mit Hilfe einer eingegrenzten Fragestellung Facetten politischer Wirklichkeit darzustellen und akteursspezifische Zusammenhänge im parlamentarischen Regierungssystem zu analysieren. Nachfolgend wird das Definitionsgerüst der Begriffe "Machtdreieck" und "Politikgestaltung" vorgestellt sowie die untersuchungsleitende Fragestellung entwickelt. In weiteren Schritten werden die zeitliche Abgrenzung und die politikfeldspezifischen Eingrenzungen der Untersuchung erläutert, die Materialund Quellenlage problematisiert sowie der Untersuchungsablaufpräzisiert.

1. Untersuchungsgegenstand und Begriffsklärungen

Machtdreieck

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt VOn einem engmaschigen Beziehungsgeflecht zwischen Parlament, Regierung und den Parteien. Diese Trias bildet allgemein das Führungszentrum im deutschen Regierungssystem. 6 In diesem Führungszentrum kulminiert die politische Macht im parlamentarischen Regierungssystem. 7 Dieses Zentrum läßt sich almann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 2: Formale und informale Komponenten des Regierens, Opladen 1991, S. 119. 6 Verfassungsrechtlich liegt die politische Führung im politischen System der Bundesrepublik bei Parlament und Regierung; so auch Joachim Jens Hesse/Thomas Ellwein: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 7. völlig neubearb. und erw. Autl. Opladen 1992, S. 259. Allerdings wird an dieser Stelle vom Autor der vorliegenden Studie die These zugrunde gelegt, daß das Verfassungsrecht von der Verfassungswirklichkeit, der politischen Realität, an diesem Punkt überholt worden ist. Die Parteien - hier insbesondere die Partei führungen - sind de facto in die politische Führung eingebunden. Jäger verweist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Einbeziehung auch der Parteien in politikwissenschaftliche Analysen. Vgl. Wolfgang Jäger: Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 1, 1988, S. 29. Zur Bedeutung der Parteien für die politische Führung vgl. auch. Heinrich Oberreuter: Politische Führung in der parlamentarischen Demokratie, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.): Staat und Parteien. Festschrift für RudolfMorsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 171. 7 Dazu auch Karl Martin Graß: Partei-Fraktion-Regierung. Bemerkungen zu einem schwierigen Verhältnis, in: Peter Haungs u. a. (Hrsg.): Civitas. Widmungen für Bemhard Vogel zum 60. Geburtstag, Paderbom u. a. 1992, S. 549. Graß spricht in bezug auf Partei, Fraktion, Regierung ebenfalls von einem "Machtdreieck".

I. Untersuchungsansatz

15

lerdings noch weiter spezifizieren, wenn man die Institution des Parlaments nach Mehrheits- und Oppositionsfraktionen differenziert. Nur erstere - im weiteren auch Regierungsfraktion(en), regierungstragende Fraktion(en) genannt sollen nachfolgend zum Führungszentrum gezählt werden und nicht das Parlament als Ganzes. Denn de facto sind es die Regierungsfraktionen, die der Regierung im Parlament die legitimatorische Basis besorgen, den Bundeskanzler wählen, politischen Vorhaben der Regierung durch ihre Zustimmung zur Realisierung verhelfen und Entscheidungen sowie Politik der Bundesregierung verteidigen. In der für die Studie relevanten Koalitionsregierung wurde das politische Führungszentrum grundsätzlich von folgenden Akteuren gebildet: - Parteien: CDU, CSU, FDP; - Fraktionen: CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Unionsfraktion); FDP-Fraktion; - Bundesregierung (mit Regierungsapparat). Ausgehend von diesen Akteursgruppen soll der Begriff des Führungszentrums für diese Studie zusätzlich eingrenzt werden. So wird angenommen, daß innerhalb der Parteien in erster Linie die Parteiführungen eine hervorgehobene Rolle und innerhalb der Fraktionen vor allem die Fraktionsvorstände und Arbeitsgruppen wichtige Funktionen einnehmen. Regierungsparteien und Mehrheitsfraktionen markieren somit die politische Peripherie, innerhalb der Parteisowie Fraktionsführung agieren. Damit bilden zwar Parteien und Mehrheitsfraktionen formale Bestandteile des Führungszentrums. Ihre Repräsentation erfolgt dort jedoch im wesentlichen über Mitglieder der jeweiligen Führungsgremien. Ohne die Einflußpotentiale, die von Gliederungen und Organisationseinheiten der Parteien (z. 8. Parteizentrale) oder Fraktionen (Fraktionsversammlung) ausgehen können, auszublenden, soll deshalb auf die genannten Führungsgremien im folgenden verstärkt der Blick gerichtet werden. Innerhalb des Führungszentrums sind diverse Verflechtungs-, Interaktionsund Kommunikationsmuster zwischen den einzelnen Akteursgruppen denkbar. Jede der Konstellationen stellt zugleich eine potentielle Machtbeziehung im Führungszentrum dar. 8 Wird dabei von einer Machtbeziehung im Führungs8 Grundsätzlich kann hier der Machtbegriff Webers zugrunde gelegt werden: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl. Tübingen 1980, S. 28. Ergänzend soll der Begriff der Macht in dieser Studie in folgenden Ausprägungen verstanden werden: Macht als Injormationszugang umfaßt die Möglichkeit und Fähigkeit eines Akteurs, Zugang zu Informationen im Führungszentrum zu erlangen. Macht als Initiativ- und Einflußpotential umreißt die Möglichkeit und Fähigkeit eines Akteurs, Initiativen im Führungszentrum einzubringen, durchzusetzen und die Initiativen anderer Akteure zu beeinflussen oder zu verhindern. Macht umfaßt damit in seiner negativen Ausrichtung auch den Aspekt der "Blockierungsmacht" . Zu diesem Begriff vgl. auch Peter Graf Kielmannsegg: Organisierte Interessen als "Gegen-

16

A. Untersuchungsrahmen

zentrum gesprochen, dann ist damit zunächst allerdings noch keine substantielle Aussage über die Machtverteilung in der Beziehung selbst getroffen. Diesem Aspekt gilt es im empirischen Teil der Studie (Kapitel D) nachzugehen. Mit dem Begriff der Machtbeziehung beziehungsweise des Machtdreiecks wird hier fürs erste lediglich eine Akteurskonstellation beschrieben, von der angenommen wird, daß sie im Akteursgeflecht des Führungszentrums einen Machtfaktor darstellt. Aus der Vielzahl der möglichen Machtkonstellationen im Führungszentrum9 wurde für die Untersuchung eine Akteursbeziehung ausgewählt, die folgende drei Akteure des Führungszentrums im politischen System der Bundesrepublik Deutschland umfaßt und nachfolgend als Machtdreieck bezeichnet wird: - CDU-Vorstand/-Präsidium als Parteifiihrungsgremien,1O in denen alle wesentlichen Vertreter der Parteigliederungen und politische Repräsentanten des größten Koalitionspartners auf Bundes- und Länderebene (so z. B. auch die CDU-Ministerpräsidenten), der "Hauptregierungspartei"11 , Sitz und Stimme haben. - Unions fraktion als die mitgliederstärkste Fraktion der Regierungskoalition 12 im Deutschen Bundestag im allgemeinen und ihre Führungsgremien im besonderen. - Bundesregierung als das von den Regierungspartnern nach einem durch das Ergebnis der Bundestagswahlen vorbestimmten und in den Koalitionsverhandlungen fixierten Proporz gebildete Verfassungsorgan.

regierung"?, in: Wilhelm HennislPeter Graf KielmannsegglUlrich Matz (Hrsg.): Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung. Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 139-176. 9 Grundsätzlich sind Beziehungen in folgenden Konstellationen denkbar: Parteiflihrungen der Koalitionspartner; Bundesregierung und Parteiflihrungen der Koalitionspartner; Fraktion(sflihrung)en der Koalitionspartner; Bundesregierung und Fraktion(sflihrung)en der Koalitionspartner; Parteiflihrungen und Fraktion(sflihrung)en der Koalitionspartner; Parteiflihrung und Fraktion(sflihrung) eines Koalitionspartners; Bundesregierung, Partei- und Fraktion(sflihrung) der Koalitionspartner; Bundesregierung, Partei- und Fraktion(sflihrung) eines Koalitionspartners. 10 Zu den Parteiflihrungs- bzw. Leitungsgremien der CDU zählen Präsidium, Vorstand, Bundesausschuß und Parteitag. Da die laufenden Geschäfte der Partei von Präsidium und Vorstand bewältigt werden, sollen hier vor allem sie in das Wahrnehmungsfeld gerückt werden. Bundesfachausschuß und Parteitag werden dort in die Untersuchung miteinbezogen, wo sie relevant werden; zu den CDU-Leitungsgremien vgl. auch Haungs: Die CDU, S. 214. 11 Haungs: Die CDU, S. 105; ders.: Parteipräsidien als Entscheidungszentren, S. 119. 12 Sie verfligte zudem über eine strategische Mehrheit im Deutschen Bundestag, d. h. eine Regierungsbildung unter Ausschluß der Unionsfraktion war im Untersuchungszeitraum ab 1983 nicht möglich.

I. Untersuchungsansatz

17

Somit wird die Analyse auf ein Machtdreieck beschränkt, das eine mögliche Machtbeziehung innerhalb des von den Koalitionspartnem CDU, CSU und FDP gebildeten Führungszentrums darstellt. \3 Es ist damit eines von mehreren Subsystemen des Führungszentrums. Ein Kennzeichen dieses Subsystems ist die Möglichkeit des personellen Austausches (z. B. bei Personalrekrutierungen) und der Verbindung zwischen den einzelnen Akteursgruppen (z. B. über Personalunionen). Die personellen Verschränkungen zwischen diesen drei Akteursgruppen und die Ausbildung von Schnittstellen mit Akteuren außerhalb dieses Dreiecks 14 werden im Verlauf der Arbeit zu berücksichtigen sein. Es wird für diese Studie angenommen, daß das Machtdreieck von CDUFührungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung eine von mehreren Akteursgruppierungen ist, die im Führungszentrum Politikgestaltungsprozesse initiieren, beeinflussen und an Beschlußfassungen beteiligt sind. Dies rechtfertigt, trotz der Tatsache, daß das Führungszentrum im Untersuchungszeitraum von einer Koalitionsregierung gebildet wurde, eine isolierte wissenschaftliche Betrachtung jenes Akteursdreiecks und die Analyse seiner Binnenstrukturen. Die Akteure innerhalb der Parteiorganisation, des Regierungsapparates und der Gliederungen der Unionsfraktion, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der thematischen Ausrichtung der Studie auf die Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik stehen, werden jedoch ebenso wie die übrigen Akteure des Führungszentrums immer dann miteinbezogen, wenn es für das Gesamtverständnis der Untersuchung von Bedeutung ist. 15

Politikgestaltung

Unter Politikgestaltung soll hier das auf politische Probleme und Inhalte bezogene Handeln der Akteure des Machtdreiecks in politischen Prozessen verstanden werden. Zur Beschreibung derartiger Prozesse wurden in der policy13 Gleichzeitig wird somit ein Ansatz gewählt, der über die Untersuchung bilateraler Akteursbeziehungen hinausgeht. Zur Beschreibung derartiger Beziehungen haben Grube/Richter/Thaysen in ihrer verdienstvollen Studie ein Beschreibungsraster erarbeitet. Sie unterscheiden vier Typen: I. Die Fraktion als Erftillungsgehilfe der Partei; 2. Die Fraktion als Mittelpunkt der Partei; 3. Die Fraktion als Erftillungsgehilfe der Regierung; 4. Die Regierung als Erflillungsgehilfe der Fraktion. Vgl. Frank Grube/Gerhard Richter/Uwe Thaysen: Politische Planung in Parteien und Parlamentsfraktionen, Göttingen 1976, S. 80 f. 14 SO Z. B. die in der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU angelegte Verbindung zwischen bei den Parteien. 15 Diese Notwendigkeit ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß Politikgestaltungsprozesse im untersuchungsrelevanten Akteursdreieck nicht isoliert von der politischen Umwelt ablaufen, sondern auch von parallel in anderen Akteursbeziehungen ablaufenden Prozessen beeinflußt werden können bzw. dem Einfluß externer Faktoren (Berater, Medien, Pressure-groups etc.) unterliegen.

2 Gros

18

A. Untersuchungsrahmen

Forschung diverse Prozeßmodelle entwickelt. 16 Gleichwohl stellen diese policy-cycles immer Modelle politischer Realität und somit nur eine mehr oder minder gelungene Annäherung an politische Wirklichkeit dar. 17 Wenngleich in der policy-Forschung grundsätzlich Konsens über Grundstrukturen und Phasen von Politikgestaltung herrscht,18 hat sich bisher kein einheitliches Modell zur Beschreibung politischer Prozesse beziehungsweise ihrer Abläufe herauskristallisiert. Resultierend aus der Vielzahl der von der policy-Forschung vorgestellten Modelle zur Beschreibung politischer Ablaufprozesse zeigen sich vor allem zwei Defizite der policy-Forschung. Zum einen ist es bisher nicht gelungen, in Form einer semantischen Konvention für bestimmte Phasen in politischen Prozessen einheitliche Bezeichnungen zu fmden. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, daß Abgrenzung und Definition der jeweiligen Phasen in den verschiedenen Modellen differieren. So kommt es durchaus vor, daß beispielsweise die Verwendung des Begriffs "Politikformulierung" im Modell a des einen Wissenschaftlers keineswegs identisch mit der in Modell b des anderen ist und in Modell c eines dritten Wissenschaftlers ein gleicher oder zumindest ähnlicher Sachverhalt mit der Formulierung "Zieldefinition" überschrieben wird. 19 Zum zweiten erscheint der Umgang mit dem Begriff "Entscheidung" in verschiedenen policy-Modellen darm äußerst problematisch, wenn mit ihm eine eigene Phase im Politikgestaltungsprozeß bezeichnet wird. 20 Diese Vorgehensweise verkennt, daß Politikgestaltung vom Moment, in dem ein bestimmtes Problem als politikrelevant erkannt wird, bis hin zur Beschlußfassung über einen Sachverhalt aus der Aneinanderreihung und Verzahnung einer Vielzahl politischer Einzelentscheidungen besteht. Vor diesem Hintergrund soll Politikgestaltung in dieser Untersuchung als latent ablaufender Prozeß politischer Entscheidungsfindung verstanden werden, der seinen Abschluß erst im Moment einer verbindlichen Beschlußfassung im Machtdreieck über die jeweilige Politik findet. Politikgestaltung umfaßt in dieser Studie folgende zwei Phasen: 21

16 Vgl. Wemer Jann: Kategorien der Policy-Forschung, Speyer 1981, S. 34 (Speyerer Arbeitshefte 37). Eine synoptische Darstellung findet sich bei Klaus Schubert: Politikfeldanalyse. Eine Einführung, Opladen 1991, S. 70; ergänzend ebd., S. 69-79; Wemer Jann: Politikfeldanalyse, in: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik, Opladen 1991, S. 500; umfassend zur Policy-Analyse auch Adrienne Windhoff-Heritier: PoIicy-Analyse: Eine Einführung, Frankfurt a. M./New York 1987. 17 Zum Modellcharakter auch Hesse/Ellwein: Das Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 263. 18 Vgl. Jann: Politikfeldanalyse, S. 500. 19 Vgl. dazu auch die Synopse zentraler policy-Modelle und Erläuterungen in Schubert: Politikfeldanalyse, S. 70 f. 20 So z. B. bei Prittwitz: Politikanalyse, S. 59; Klaus von Beyme: Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum, Opladen 1997, S. 12.

1. Untersuchungsansatz

19

- Politikeingrenzung (Problemwahrnehmung und Agendasetting): Hierunter wird die Erkennung und Identifikation von Problembereichen und ihrer Einordnung in das Interessen- sowie Prioritätenkalkül der politischen Akteure verstanden. Mit dem Prozeß der Problemwahrnehmung und Problemdefinition ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob das entsprechende Thema für die politischen Akteure handlungsrelevant ist oder wird. Handlungsrelevant wird ein Problemfeld erst, wenn "es in entscheidungsnahen Akteursbereichen politisch artikuliert und damit zum aktuellen Thema gemacht wird,,22 - es zum Agendasetting im Machtdreieck kommt und somit das Themenfeld in die politische Tagesordnung eingespeist wird?3 Mit dem Prozeß des Agendasettings geht zudem eine Phase der Entwicklung, Abschätzung und Eingrenzung von Handlungsoptionen und Lösungsstrategien einher. Dieser Eingrenzungsvorgang erfolgt zunächst vorrangig innerhalb der jeweiligen Akteursgruppen und richtet sich an ihrem Interessen- und Prioritätenkalkül aus. - Besch/ußfassung (Programm- und Zie/bi/dung): In dieser Phase erfolgt - im Falle von Handlungsalternativen und Optionendivergenz - in einem Aushandiungsprozeß 24 die Beschlußfassung und Ergebnisfindung über die schließlich für alle beteiligten Akteure tragbare und gültige Problem lösungs-

21 Diese Phaseneinteilung besitzt idealtypischen Charakter. In der politischen Praxis kann es, aufgrund des dynamischen und von G1eichzeitigkeiten geprägten Charakters von Politik, durchaus zu Phasenüberschneidungen kommen. 22 Prittwitz: Politikanalyse, S. 58. 23 Der Prozeß des Agendasettings kann zudem von verschiedenen Einflußfaktoren außerhalb des hier untersuchten Machtdreiecks - z. B. Medien, Koalitionspartner, Opposition, Pressure-groups - initiiert und beeinflußt werden. Sie sollen jedoch in dieser Studie in ihrem Einfluß auf diese Agendasettingprozesse als konstant angesehen werden und bleiben deshalb in den Einzelanalysen weitgehend ausgeblendet. Vgl. zu möglichen Einflußfaktoren auch Beyme: Der Gesetzgeber, S. 73-175. Exemplarisch zum Einfluß der Medien vgl. Klaus von Beyme: Politische Kommunikation als Entscheidungskommunikation in der Demokratie, in: Carsten Schlüter (Hrsg.): Die Demokratien überdenken. Festschrift für Wilfried Röhrich, Berlin 1997, S. 239-250. Unter Berücksichtigung eines theoretischen Ansatzes vgl. auch: Wolfgang Eichhorn: Agenda-SettingProzesse. Eine theoretische Analyse individueller und gesellschaftlicher Themenstrukturierung, München 1997. 24 Zur Bedeutung von Macht in diesem Prozeß stellt Schattschneider fest: "Political conflict is not Iike an intercollegiate debate in which the opponents agree in advance on a definition of the issues. As a matter of fact, the definition of the alternatives is the supreme instrument of power; the antagonists can rarely agree on what the issues are because power is involved in the definition. He who determines what politics is about runs the country, because the definition of the alternatives is the choice of conflicts, and the coice of conflicts allocates power." (Hervorhebung im Original) Erich E. Sattschneider: The Semi-Sovereign People. A Realist's View of Democracy in America, New York 1967, S. 68.

20

A. Untersuchungsrahmen

strategie. Lösungsprogramm und -ziel werden vereinbart. 25 Beschlußfassung und Ergebnisfindung müssen nicht zwangsläufig auf geronnene Politik mit "rechtlich verbindlichem Charakter,,26 (Gesetze, Verordnungen etc.) zielen, sondern können ebenso informelle inhaltliche Vereinbarungen zwischen den Akteuren umfassen oder auch Personalentscheidungen. 27 Der Begriff der Politikgestaltung ist dabei immer nur auf das zu analysierende Machtdreieck zu beziehen. Es kann daher keine unmittelbare Aussage darüber abgeleitet werden, inwieweit es den involvierten Akteursgruppen nun gelingt, ihre im Prozeß der Politikgestaltung entwickelte Position innerhalb des Führungszentrums umzusetzen. Weitgehend ausgeblendet bleiben in diesen Betrachtungen von Politikgestaltungsprozessen die Implementation und Evaluation von Beschlüssen und Vereinbarungen.

2. Leitfragen Vor dem Hintergrund des in den voranstehenden Kapiteln skizzierten Untersuchungsansatzes sollen die im Machtdreieck von CDU-Führung, Unionsfraktion sowie Bundesregierung ablaufenden Politikgestaltungsprozesse mittels nachstehendem, übergeordnetem Fragenkatalog analysiert werden: - Wo und von wem wird im Machtdreieck die Politikeingrenzung vorgenommen und entschieden, welche Initiativen, Vorschläge und Entwürfe in den Prozeß der Politikgestaltung Eingang finden und dort weiter verfolgt werden? Welchen Einfluß können die Akteure im Machtdreieck auf die Programmund Zielbildung in der Phase der Beschlußfassung nehmen? - Wie sind die Strukturen der Konfliktregelung und Konsensbildung im Machtdreieck ausgestaltet? - Läßt sich im Machtdreieck ein politikgestalterischer Gravitationskern erkennen?

25 Zur Programmbildung detailliert Schubert: Politikfeldanalyse, S. 162 f. In seiner negativen Ausrichtung kann das Lösungsprogramm auch darin bestehen, ein politisches Thema aufgrund unüberwindbarer Interessendivergenzen nicht weiter zu verfolgen. Dennoch liegt damit auch in diesem Fall eine Form der Beschlußfassung der Akteure vor. 26 Windhoff-Heritier: Policy-Analyse, S. 74. 27 Darauf verweist auch Prittwitz: Politikanalyse, S. 59, auch Wolfgang Rudzio: Informelle Entscheidungsmuster in Bonner Koalitionsregierungen, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 2: Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S. 125.

I. Untersuchungsansatz

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Mit Hilfe des Fragenkatalogs sollen somit aus der Fülle des Untersuchungsmaterials Informationen nach folgenden rur die vorliegende Arbeit relevanten Kategorien gefiltert werden: - Einfluß der Akteure auf Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck; - Konfliktregelungs- und Konsensfindungsmechanismen im Machtdreieck; - Gravitationskern des Machtdreiecks.

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A. Untersuchungsrahmen

11. Inhaltliche und zeitliche Eingrenzung Auswahl der Politik/eider

Die Fallbeispiele für die vorliegende Untersuchung wurden aus den Politikfeldern der Finanz-, Umwelt- und Deutschlandpolitik ausgewählt. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Typen von Politikfeldern. Während Finanz- und Umweltpolitik in ihrer Ordnungs- und Prozeßausrichtung verstärkt legislative Elemente beinhalten, liegt das Gewicht in der Deutschlandpolitik vor allem auf der operativen 1 Politik. Politikgestaltung, die in zustimmungspflichtige Abkommen, Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften mündet, ist hier kaum vorhanden. Von der Finanz- und Deutschlandpolitik wiederum hebt sich die Umweltpolitik als ein relativ neues Politikfeld ab, in dem sowohl Inhalte als auch politische Ablaufprozesse erst etabliert werden mußten. Die Finanzpolitik ihrerseits unterscheidet sich von der Umwelt- und Deutschlandpolitik dadurch, daß bei der Politikgestaltung in diesem Politikfeld die föderative Komponente des Regierungssystems deutlich zum Tragen kommt und aufgrund verfassungsrechtlicher Regelungen kaum eine finanzpolitische Entscheidung auf Bundesebene getroffen werden kann, die nicht auch der Zustimmung der Bundesländer bedarf. In diesen Merkmalen und Strukturen - sie werden nachfolgend noch weiter erläutert - besitzen Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik Stellvertretercharakter für die wichtigsten Politikfelder in Bonner Politikgestaltungsprozessen. Durch die Auswahl dieser unterschiedlichen Politikfelder und durch die Auswahl von zusätzlich jeweils vier Fallbeispielen innerhalb der Politikfelder sole - ausgerichtet an den Leitfragen dieser Arbeit - auf möglichst umfassender empirischer Basis untersucht werden, inwiefern sich im Machtdreieck unabhängig von den jeweiligen Politikinhalten bestimmte Interaktionsfiguren der Akteure beobachten lassen. Bei der Analyse der Politikfelder stehen gemäß dem oben dargestellten Ansatz immer Politikgestaltungsprozesse im Mittelpunkt. Policy-Inhalte werden

I D. h. die konkrete Gestaltung der innerdeutschen Beziehungen: Abmilderung der Teilungsfolgen, Ausbau der Beziehungen zwischen bei den Staaten durch ständige Verhandlungen und Ausweitung der Kontakte zwischen den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR; vgl. auch Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Regierungsstil und Entscheidungen 1982-1989, Stuttgart 1998, S. 9 f. 2 Innerhalb der oben genannten Phasen des Agendasettings und der Beschlußfassung umfassen die Fallbeispiele Bereiche wie Ministerauswahl, Ressortgrundung, Vorbereitung von Koalitionsgesprächen, Programmkonzeption (Partei- und Regierungsebene), Politikgestaltung in vorparlamentarischen Stadien (Referentenentwürfe), Politikgestaltung in parlamentarischen Stadien (Änderungsmöglichkeiten von Regierungsentwürfen).

11. Inhaltliche und zeitliche Eingrenzung

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entsprechend nur soweit berücksichtigt, wie sie rur die Analyse der politicsStrukturen und damit rur das Verständnis des jeweiligen Fallbeispieles notwendig sind. Ausgeblendet bleibt eine ex-post-Bewertung der Politikfelder hinsichtlich ihrer inhaltlichen Dimension sowie eine weitergehende Auseinandersetzung mit ihren Voraussetzungen und Folgen. 3

Finanzpolitik Die Finanzpolitik bildet sowohl einen Bereich als auch ein Instrument der Wirtschaftspolitik. Sie ist Ordnungs- und Prozeßpolitik zugleich. 4 Beide Ausprägungen sind in der vorliegenden Untersuchung deshalb zu beachten. Ordnungspolitik umfaßt dabei die Setzung von dauerhaften finanzpolitischen Rahmenbedingungen, z. B. in Form von Steuer- und Abgabensystemen. Als (situative) Prozeßpolitik dient die Finanzpolitik dem Ziel, innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen bestimmte volkswirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. So können z. B. durch Variationen im Bereich der staatlichen Einnahmen und Ausgaben volkswirtschaftliche Größen beeinflußt werden. Zu Beginn der achtziger Jahre befand sich die Bundesrepublik Deutschland in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Konzepte zur Reaktion auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen (Rezession, Inflation, Untemehmensinsolvenzen, Haushaltsdefizit, Arbeitslosigkeit, hohe Steuer- und Abgabenlast etc.) waren gefragt und gefordert. Die sozial-liberale Koalition konnte in diesem Politikbereich keinen Handlungskonsens mehr herstellen. 5 Die ihr nachfolgende "Koalition der Mitte,,6 unter Bundeskanzler Helmut Kohl machte die wirtschaftliche Krisenlage der Bundesrepublik Deutschland und ihre Behebung zu einem zentralen Thema ihrer Politik. 7 Finanzpolitik - zunächst

3 Zu diesem Bereich der policy-Forschung vgl. Wemer Jann: Politikfeldanalyse, in: Dieter NohlenlRainer Olaf Schultze (Hrsg.): Pipers Wörterbuch zur Politik. Bd. 1: Politikwissenschaft. Theorien-Methoden-Begriffe, 4. Aufl. München/Zürich 1992, S. 711716, v. a. S.713. 4 Dazu Heinrich Mäding: Öffentliche Finanzen, in: Uwe Andersen/Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2. neubearb. Aufl. Bonn 1995, S. 408 ff.; ergänzend zum Begriff der Prozeßpolitik auch Michael OlssonlDirk Piekenbrock: Kompakt-Lexikon. Umwelt- und Wirtschaftspolitik, Bonn 1993, S. 254; vgl. auch Ronald Clapham: Strukturen und Prozesse in der Industriegesellschaft, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundwissen Politik, 2. völlig überarb. und aktual. Aufl. Bonn 1993, S. 107. 5 Vgl. dazu auch Claus Gennrich: Die Gefühlsspannung, die den Regierungswechsel vor zehn Jahren begleitete, ist nurmehr zu ahnen, in: FAZ, 1.10.1992. 6 So Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung, in: Deutscher Bundestag: 9. Wahlperiode, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7213. 7 Vgl. Kohls Regierungserklärung vom 13.10.1982, in: Ebd., S. 7213-7229.

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A. Untersuchungsrahmen

als Krisenmanagement zur Sanierung des Bundeshaushalts, später zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland - wurde zu einem Schwerpunktthema der neuen Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen im Deutschen Bundestag vor allem im Zeitraum zwischen 1982 und 1987. 8 Es ist das Politikfeld, in dem die Gewaltenverschränkung von Parlament und Regierung den stärksten Belastungen unterworfen ist und Zwang zum Konsens besteht. Hinzu kommt der in diesem Politikfeld hohe vertikale Abstimmungsbedarf der Bund-Länder-Ebene.

Deutschlandpolitik Die "nationale und staatliche Einheit zu wahren" sowie in "freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands" zu vollenden, waren definitorische Grundlagen und verfassungsmäßige Vorgaben der Deutschlandpolitik. Sie wurden auch durch den Abschluß des Grundlagenvertrages 1972 nicht verändert. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hatte die deutsche Frage in der Wahrnehmung und im Entscheidungskalkül der politischen Akteure ihr eigenes Gewicht9 • Wurde die sozial-liberale Deutschlandpolitik - im übrigen ebenso wie die Ostpolitik generell - zu Beginn der siebziger Jahre von den Unionsparteien zunächst noch stark kritisiert und abgelehnt, so lockerte sich in der Folgezeit vor allem in der CDU die starre Haltung; Positionsverschiebungen setzten ein. 10 Dennoch blieb die Deutschlandpolitik innerhalb der Union ein - zumindest partiell - konfliktbeladenes und in seinen Ausrichtungen kontrovers diskutiertes Politikfeld. Gleichwohl hatte sich bis Anfang der achtziger Jahre unmittelbar vor dem Regierungswechsel im Herbst 1982 in der CDU eine Position durchgesetzt, der die "optimale politische Nutzung der Verträge bei gleichzeitiger Wahrung der Rechtspositionen und Betonung der Menschenrechte zugrunde lag" 11. Situationsorientierter Pragmatismus bei gleichzeitiger normativer Beharrlichkeit wurde damit zum leitenden Prinzip. Dieser Kurs stieß sowohl in verschiedenen Kreisen innerhalb der CDU - hier vor allem in der Bundestagsfraktion - als auch in der CSU auf Kritik. 12 Inwieweit dieses Spannungsverhältnis nach der Regierungsübernahme im MachtZu dieser Wahrnehmung auch Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. Vgl. im Überblick Manuela Glaab: Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Wem er WeidenfeldlKarl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit. Neuausgabe, Frankfurt a. M./New York 1996, S. 178-189. 10 Umfassend dazu Clay Clemens: Reluctant Realists. The Christian Democrats and West German Ostpolitik, Durham 1989; ergänzend Matthias Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson. Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl 1982-1989, S. 58111. 11 Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson, S. 81. 12 Vgl. Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson, S. 81-83. 8

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11. Inhaltliche und zeitliche Eingrenzung

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dreieck eine Rolle spielte und wie es aufgelöst wurde, rückt bei der Analyse der Politikgestaltungsprozesse in diesem Politikfeld mit in das Untersuchungsblickfeld. Von den Feldern der Finanz- und Umweltpolitik grenzt sich die Deutschlandpolitik insofern ab, als sich hier die Analyse von Einflußströmen im Machtdreieck im wesentlichen auf die Untersuchung normativ-programmatischer und operativer Politikelemente beschränken muß. Die gesetzgeberische Ebene fällt für den Bereich der Deutschlandpolitik im Untersuchungszeitraum weg. Umweltpolitik Umweltpolitik umfaßt mit der Sicherung der Umwelt für den Menschen, dem Schutz der Umwelt vor nachteiligen Eingriffen durch den Menschen und der Beseitigung von Schäden, die aus menschlichen Eingriffen resultieren, drei Kernziele. 13 Die Spannbreite der zur Zielerreichung eingesetzten Instrumente reicht dabei von administrativen Verbots- bzw. Gebotsregelungen bis hin zu wirtschafts- und finanzpolitischen Anreizsystemen. 14 Als Politikfeld gewann die Umweltpolitik - nach einer kurzen Phase staatlicher Aufmerksamkeit und erster zaghafter Institutionalisierungen Anfang der siebziger Jahre - seit Mitte der achtziger Jahre rapide an Bedeutung. 15 In der Bundesrepublik Deutschland wurde der Auf- und Ausbau eines rechtlichen Regelungssystems zum Umweltschutz vorangetrieben. Mit ihrem Programm "Umweltforschung und Umwelttechnologie 1984-1987" zeigte die Bundesregierung erstmals die Schwerpunkte und Prioritäten eines integrierten Umweltforschungsprogramms auf. Nicht isolierte Teilbereiche des Ökosystems sollten untersucht werden, sondern eine umfassende Ökosystem forschung wurde angestrebt. 16 Deutliches äußeres Zeichen des zunehmenden staatlichen Engagements in diesem Politikbereich war, neben der Gründung von Umweltministerien auf der Ebene der Bundesländer, die mit dem Organisationserlaß der Bundesregierung vom 6. Juni 1986 erfolgte Gründung eines eigenständigen Bun-

13 Vgl. zu dieser Trias auch Bundesministerium des Innem: Umweltprogramm der Bundesregierung, Bonn 1971. 14 Dazu Hartwig Bartling/Franz Luzius: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 9. Aufl. München 1992, S. 131-140; umfassend zur Umweltökonomie auch Alfred Endres: Umwelt und Ressourcenökonomie, Darmstadt 1985. 15 Weiterführend Helmut Weidner: Reagieren statt Agieren: Entwicklungslinien staatlicher Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Ökologie, Nr. 23,1991, S. 14-22; OlafHillenbrand: Umweltpolitik, in: Wemer Weidenfeldl KarlRudolf Korte: Handbuch zur deutschen Einheit, Bonn 1993, S. 656 ff. 16 Vgl. Bartling/Luzius: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 127.

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A. Untersuchungsrahmen

desministeriums rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 17 Mit der politisch-administrativen Institutionalisierung der Umweltpolitik in einem neugeschaffenen Ministerium sollte die zuvor bei verschiedenen Ministerien (Bundesministerium des Innern, Bundesministerium rur Jugend, Familie und Gesundheit, Bundesministerium rur Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) angesiedelte umweltpolitische Kompetenz des Bundes gebündele s und eine wirkungsvolle Wahrnehmung der Belange des Umweltschutzes ermöglicht werden. 19 In der Folgezeit kam es zu einer Forcierung der Umweltgesetzgebung. Ein zunehmendes Umweltbewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland und die Etablierung des noch relativ jungen Politikfeldes im Bereich staatlichen Handeins erforderten konzeptionelle Überlegungen sowie inhaltliche und programmatische Zielsetzungen?O Diese Aspekte lassen, ebenso wie die mit der Ministeriumsgründung einhergehenden Prozesse, die Berücksichtigung der Umweltpolitik als weiteres Themenfeld in dem vorliegenden Untersuchungszusammenhang geeignet erscheinen.

Untersuchungszeitraum

Der zeitliche Untersuchungsrahmen beschränkt sich auf den Zeitraum zwischen Oktober 1982 und November 1989. Beide Daten markieren politische Zäsuren. Am I. Oktober 1982 wechselten die Unionsparteien aus der politischen Oppositionsrolle in die Regierungsverantwortung. 21 Bundeskanzler Kohl zog ins Kanzleramt ein. Entsprechend kann erst ab diesem Zeitpunkt das Verhältnis von CDU-Vorstand/-Präsidium, Unionsfraktion und Bundesregierung im oben dargestellten Sinne in den beschriebenen Politikfeldern untersucht werden.

17 Umfassend Michael MerteslHelmut G. Müller: Der Aufbau des Bundesumweltministeriums, in: Verwaltungsarchiv, Nr. 78, 1987, S. 459-474; ergänzend Schubert: Politikfeldanalyse, S. 143-146. 18 Im einzelnen vgl. z. B. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bonner Almanach 1987/88. Politik zum Nachschlagen, Bonn 1987, S. 29. 19 Vgl. auch ebd. 20 Seit 1987 zählte die Umweltpolitik in der Wahrnehmung der Bundesregierung zu den wichtigsten Politikfeldern. Vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. 21 Vgl. zu den daraus für die CDU resultierenden Konsequenzen auch Thomas von Winter: Die Christdemokraten als Analyseobjekt oder: Wie modem ist die CDU-Forschung?, in: Oskar NiedermayerlRichard Stöss (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993, S. 58. Grundsätzlich zum Regierungswechsel auch Werner Süß: Wahl und Führungswechsel. Politik zwischen Legitimation und Elitekonsens. Zum Bonner Machtwechsel 1982/83, in: Hans-Dieter Klingemannl Max Kaase (Hrsg.): Wahlen und politischer Prozeß. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1983, Opladen 1986, S. 39-83.

11. Inhaltliche und zeitliche Eingrenzung

27

Im Herbst 1989 wurde die Bundesrepublik Deutschland massiv mit den Veränderungen in der DDR konfrontiert. Am 9. November 1989 fiel die Mauer in Berlin. Mit dem Zusammenbruch der alten SED-Machtstrukturen stand auch die Politik in der Bundesrepublik Deutschland vor neuen Herausforderungen. Betroffen waren nahezu alle Politikbereiche?2 Neue beziehungsweise veränderte Inhalte mußten unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden. Deutschlandpolitik im oben genannten Sinne wurde spätestens mit der Realisierung der deutschen Einheit zum 3. Oktober 1990 obsolet. Ebenso wichtig aber sind die mit dem Prozeß der deutschen Einheit einhergehenden Verschiebungen im Akteursbereich. Das Jahr 1990 stellte als Einigungsjahr auch hinsichtlich der Interaktionsmuster der politischen Akteure ein Ausnahmejahr dar. 23 Die Statik im Machtdreieck wurde zudem durch die aus dem Bremer Parteitag im Herbst 1989 resultierenden Verschiebungen in der CDU-Führung sowie den mit dem Verlust der Bundesratsmehrheit einhergehenden Bedeutungsrückgang des Machtfaktors "CDU-Ministerpräsidenten" verändert?4 Die damit verbundene Veränderung der Akteurskoordinaten im Machtdreieck sowie die unter den Sonderbedingungen "Deutsche Einheit" erfolgten Politikgestaltungsprozesse geben Raum für eine eigene Studie.

22 Weidenfeld verweist zudem darauf, daß 1989 der Kanon der von der Bunde'sregierung seit 1982 vorgenommenen Neujustierungen erschöpft war. "Das natürliche Ende seiner (Kohls/d. Verf.) Regierung schien eingeleitet." Vgl. Werner Weidenfeld: Macht der Euro einsam?, in: Focus, Nr. 25, 16.6.1997, S. 58 f., hier S. 58. 23 Vgl. dazu Jürgen Gros: Entscheidung ohne Alternativen? Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik im deutschen Vereinigungsprozeß 1989/90, Mainz 1994; auch Karl-Rudolf Korte: Die Chance genutzt? Die Politik zur Einheit Deutschlands, Frankfurt a. M./New York 1994; Dieter Grosser: Das Wagnis der Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion. Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln, Stuttgart 1998. Zu den Auswirkungen der deutschen Vereinigung auf die Parteiflihrungsgremien der CDU vgl. Dieter Herzog: Die Führungsgremien der Parteien. Funktionswandel und Strukturentwicklungen, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niederrnayer/Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 305-316. 24 Vgl. zu diesen Einschnitten auch Haungs: Die CDU, S. 213; Karlheinz NicIauß: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einflihrung, Paderborn u. a. 1995, S. 79.

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A. Untersuchungsrahmen

III. Materialbasis Die politikwissenschaftliche Bearbeitung von Themenbereichen, die zur jüngsten Geschichte gehören, hat mit dem grundsätzlichen Problem des Aktenzugangs zu kämpfen. So wird dem Politikwissenschaftler bei seinem Interesse an politischen Entscheidungsabläufen in gerade erst abgeschlossenen Zeitperioden eine in der Regel dreißig Jahre umfassende Sperre von Regierungs-, Partei- und Fraktionsakten zum Hindernis. Ein Zugriff auf Quellen,l die einen besonders hohen Grad an Hintergrund- und Zusatzinformationen über Motive und Interessen der untersuchungsrelevanten Akteure, über Willens bildungsprozesse und Entscheidungsabläufe sowie die damit einhergehenden internen Diskussionen vermuten lassen, ist nicht möglich. Dies ist tUr die vorliegende Arbeit um so mehr von Belang, als gerade informelle, vertrauliche und damit tUr gewöhnlich nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit liegende Abläufe der Politikgestaltung in den Untersuchungsfokus rücken - Abläufe, von denen, wie es Hirsch im Hinblick auf die Umsetzung von Gesetzesvorhaben formulierte, der außenstehende Betrachter kaum mehr mitbekommt "als die Ouvertüre (erste Lesung im Plenum), eine Zwischenaktmusik (zweite Lesung) und das Orchesternachspiel.,,2 Die in den "öffentlichen" Handlungen zum Ausdruck kommenden Interessen, Präferenzen und Positionen müssen dabei nicht zwangsläufig deckungsgleich mit den internen sein. Zwischen bei den gilt es deshalb zu differenzieren. 3 Ist eine präferentielle Akteneinsicht4 nicht möglich, dann kann nur auf die Sichtung und Auswertung öffentlich zugänglicher beziehungsweise veröffentlichter Quellen zurückgegriffen werden. Wenngleich es zutreffend sein mag, "daß weite Bereiche der Zeitgeschichte, zum al der jüngsten, mit Hilfe der allgemein zugänglichen Quellen wissenschaftlich zuverlässig ausgeleuchtet wer-

1 Zum politikwissenschaftlichen Umgang mit Quellen vgl. einführend Werner Reh: Quellen- und Dokumentenanalyse in der Politikfeldforschung. Wer steuert die Verkehrspolitik?, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. Grundriß für Studium und Forschung, Opladen 1995, S. 201-259. 2 Martin Hirsch: Diktatur des Establishments. Zur Willensbildung in der Fraktion, in: Emil HübnerlHeinrich OberreuterlHeinz Rausch (Hrsg.): Der Bundestag von innen gesehen, München 1969, S. 90. 3 Zur Differenzierung von öffentlichen und internen Akteurspositionen auch Prittwitz: Politikanalyse, S. 16. 4 Peter/Schröder weisen in diesem Zusammenhang zu Recht auf das Spannungsverhältnis hin, das sich aus der privilegierten Erschließung neuer Akten und den Grundsätzen der wissenschaftlichen NachpTÜfbarkeit ergibt. Zur Diskussion um einen privilegierten Aktenzugang vor Ablauf der in der Regel üblichen dreißigjährigen Sperrfrist vgl. Matthias PeterlHans-Jürgen Schröder: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn u. a. 1994, S. 58 f.

III. Materialbasis

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den können"s, muß dies doch gleichzeitg immer in dem Bewußtsein geschehen, hiermit allenfalls eine analytische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand leisten zu können. Das öffentlich zugängliche Material stellt schließlich nur einen Quellenausschnitt dar. Aussagen können nur unter dem Vorbehalt des in diesem Ausschnitt vermittelten Informationsstandes getroffen werden. Eine Verifizierung der getroffenen Aussagen kann neben der Bewertung durch prozeßinvolvierte Akteure letztlich nur durch den Historiker oder den zeitgeschichtlich orientierten Politikwissenschaftler geschehen, dem nach Ablauf der Aktensperrfristen die Möglichkeit zur historischen Quellenkritik und Gesamtschau des Quellenmaterials gegeben ist. Erst dann ist die abschließende Überprüfung der hier extrahierten Forschungsergebnisse und eine möglicherweise notwendige Neuakzentuierung oder gar Korrektur derselben realisierbar. Trotz der genannten Einschränkungen war das für diese Studie zu Verfügung stehende und öffentlich zugängliche Quellenmaterial noch immer umfangreich. Für die Analysearbeit wurden stenographische Mitschriften von Debatten des Deutschen Bundestages und Bundesrates zu den untersuchungsrelevanten Politikfeldern ebenso berücksichtigt wie die Protokolle der CDU-Parteitage im Untersuchungszeitraum. Zudem wurde in diese Arbeit die Auswertung von Presseveröffentlichungen, Informationspapieren, Geschäftsberichten etc. von CDU/CSU-Fraktion und der CDU-Bundesgeschäftsstelle genauso einbezogen wie das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung oder Dokumentationen der Bundesregierung zur den untersuchungsrelevanten Politikbereichen. Besondere Aufmerksamkeit galt darüber hinaus der Sichtung und Auswertung der "Bonner-Berichterstattung" in Wochen- und Tageszeitungen beziehungsweise Wochenmagazinen. 6 Ergänzt wurde die Presseauswertung durch die Einbeziehung von dpa-Pressemeldungen. Zudem wurden auch die Zu-

S Gregor Schöllgen: Wie die deutsche Einheit zustande kam, in: Die Zeit, 21.3.1997. Hinzu kommt ein Bonner Spezifikum, das nicht zuletzt in der Fragmentierung der Entscheidungsprozesse und der Vielzahl der darin involvierten Einzelakteure begründet liegt: "Bonn gilt als eine der indiskretesten Hauptstädte der Welt, in der gewiefte Medien nahezu alles erfahren." Beyme: Politische Kommunikation, S. 247. Wenn es seitens der Medien auch mitunter zu einer diskreten Verwendung der erhaltenen Informationen kommt, so ist doch v. a. die "Bonner Zeitungsberichterstattung" eine wichtige Quelle zur Analyse von Politikgestaltungsstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland. 6 Dies geschah in dem Bewußtsein, daß die Berichterstattung immer auch einer Informationsvorfilterung des jeweiligen Journalisten unterliegen kann. Zur Quelle "Presseartikel" grundsätzlich auch Volker Ackermann: Presseartikel, in: Bernd A. Rusinek/Volker AckermannlJörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn u. a. 1992, S. 233-252; allgemein zur Beeinflussung der Realität durch die Medien vgl. auch Hans Mathias Kepplinger: Theorien der Nachrichtenauswahl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15, 1989, S. 316.

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A. Untersuchungsrahmen

sammenstellungen von Beiträgen politischer Akteure in Rundfunk- und Fernsehsendungen in den Kommentarübersichten des Bundespresseamtes mitberücksichtigt. Damit konnte zu besonders relevanten Zeitpunkten im Untersuchungszeitraum eine hohe Verdichtung des Pressematerials und eine breitere Absicherung des daraus gewonnenen Informationsgehalts erreicht werden. Eine weitere hilfreiche Informationsquelle waren dabei die in den Presseerzeugnissen abgedruckten Interviews mit untersuchungsrelevanten Einzelakteuren. Miteinbezogen wurden in die Materialsammlung außerdem die Selbstzeugnisse verschiedener Akteure in Form von Biographien, Erinnerungen etc.? Zusätzlich zu diesem Material wurden zur Ergänzung und Überprüfung der Arbeitsergebnisse im Rahmen dieser Studie Hintergrundgespräche und Interviews mit Akteuren und Zeitzeugen durchgeführt. 8 Sie wurden in teilweise mehrstündigen Interviews befragt. 9 Damit war zumindest ansatzweise die Möglichkeit gegeben, an wertvolle Hintergrund- und Zusatzinformationen zu gelangen - auch dann, wenn man berücksichtigt, daß diese einem persönlichen Wahrnehmungsfilter und der Interpretation beziehungsweise retrospektiven Deutung des befragten Zeitzeugen unterliegen können. Zur Ergänzung, Vertiefung, Einschätzung und Überprüfung der aus den voranstehend benannten Quellen gewonnenen Erkenntnisse sind Zeitzeugengespräche und Akteursbefragungen jedoch hilfreich. Durch den Versuch, auf einer derart umfassenden Materialbasis zu arbeiten, sollte nach Möglichkeit zum einen verhindert werden, Fehlinterpretationen zu unterliegen, und zum anderen erreicht werden, das Machtdreieck aus möglichst vielen, unterschiedlichen Blickwinkeln auszuleuchten und somit in die über verfassungsrechtliche Aspekte hinausgehenden Tiefenstrukturen des Akteursdreiecks vorzudringen.

? Eine Zusammenstellung der relevanten Titel findet sich in Kapitel B. Zur zeitgeschichtlichen Bedeutung von Memoiren vgl. Jörg Engelbrecht: Autobiographien, Memoiren, in: Bernd A. Rusinek/Volker Ackermann/Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit, Paderborn u. a. 1992, S.61-79. 8 Eine Einführung zur Bedeutung des Instruments der Zeitzeugen befragung sowie den an die Durchführung der Befragung und der Interpretation der Ergebnisse anzulegenden Anforderungen findet sich bei Michael Zimmermann: Zeitzeugen, in: Bernd A. Rusinek/Volker Ackermann/Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit, Paderborn u. a. 1992, S. 13-26; Josef Schmid: Expertenbefragung und Informationsgespräch in der Parteienforschung: Wie föderalistisch ist die CDU, in: Ulrich Alemann (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. Grundriß für Studium und Forschung, Opladen 1995, S. 293-326. 9 Ergänzend wurden bei der Analyse des Politikfeldes Deutschlandpolitik Hintergrundgespräche von amerikanischen und deutschen Wissenschaftlern mit ehemaligen Regierungs- und Partei akteuren der DDR berücksichtigt. Diese werden im Archiv des Hoover-Instituts, Stanford, USA öffentlich zugänglich verwahrt.

IV. Methodik und Vorgehensweise

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IV. Methodik und Vorgehensweise Im Rahmen der Inhaltsanalyse und Interpretation von Presseberichterstattung, Reden, Regierungserklärungen, veröffentlichten Interviews etc. kommen vornehmlich hermeneutische und textanalytische Verfahren zur Anwendung. Die Aufarbeitung der prozeßuralen Dimension der Politikgestaltung umfaßt zudem deskriptiv-analytische Methoden zur Beschreibung und anschließenden Analyse des Akteursverhaltens. 1 Arbeitskriterien der Zeitgeschichte finden insbesondere bei der Analyse von Dokumenten und im Rahmen der Akteurs- und Zeitzeugenbefragung Berücksichtigung. 2 Die Untersuchung folgt in ihrem Ablauf einem Dreischritt: Zunächst wird in Kapitel B ein Überblick über den Forschungsstand zu den Untersuchungsgegenständen dieser Studie (Akteure und Politikfelder) zusammengestellt. Dabei stehen zwei Ziele im Vordergrund: - Extrahierung und Darstellung der für die im Rahmen des beschriebenen Untersuchungsdesigns relevanten Forschungsergebnisse. Sie sollen im Verlauf der Studie nach Möglichkeit empirisch überprüft und damit falsifiziert bzw. verfiziert und gegebenenfalls fortgeschrieben werden; - Lokalisierung von Forschungsdefiziten vor dem Hintergrund des hier gewählten Untersuchungsansatzes und gleichzeitig weitere Ausdifferenzierung des dargestellten und für die Untersuchung übergeordneten Fragenkatalogs. In dem sich danach anschließenden Teil (Kapitel C) werden die für die Untersuchung relevanten Akteursgruppen nach folgenden Kriterien erläutert und eingegrenzt: - Darstellung der formalen Grundlagen, die die Handlungsspielräume der Akteure Partei, Fraktion, Bundesregierung bestimmen und ihr Agieren im Prozeß der Politikgestaltung beeinflussen. 3

1 Überblicksartig dazu Aleman (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden; Wilhelm BürkliniChristian Welzel: Theoretische und methodische Grundlagen der Politikwissenschaft, in: Manfred MolslHans-Joachim Lauth/Christian Wagner (Hrsg.): Politikwissenschaft. Eine Einführung, 2. erw. Aufl. Paderborn u. a. 1996, S. 353-392; Jürgen Kriz/Dieter NohlenIRainer-Olaf Schultze: Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994. 2 Zum Instrumentarium der Zeitgeschichte Ahaver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historische Hilfswissenschaften, 10. Aufl. Stuttgart u. a. 1983; Matthias Peter/Hans-Jürgen Schröder: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn u. a. 1994. 3 Inwieweit sich darüber hinaus informelle Strukturen herausgebildet haben, bleibt in Kapitel D zu analysieren.

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A. Untersuchungsrahmen

- Ausleuchtung der Binnenstrukturen innerhalb der untersuchungsrelevanten Akteursgruppen, die für das Verständnis der nachfolgenden Analyse der Politikgestaltung im Dreieck von Partei, Fraktion und Bundesregierung von Bedeutung sein können. - Eingrenzung und Benennung der für die Untersuchung und Politikfelder zentralen Einzelakteure innerhalb der drei Akteursgruppen. Auf der Basis dieser Vorarbeiten erfolgt im zentralen Kapitel D (Politikfelder und Fallbeispiele) anhand ausgewählter Fallbeispiele mit der Aufarbeitung der Politikgestaltungsprozesse in den Themenfeldem der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik die eigentliche empirische Untersuchung. Dieser Abschnitt bildet damit den Hauptteil der Analysearbeit. Als Leitlinie gilt der oben dargestellte Fragenkatalog. Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung, analytischen Einordnung und Bewertung der Arbeitsergebnisse (Kapitel E).

B. Forschungsstand Die vorliegende Studie bewegt sich in ihrem Untersuchungsinteresse an der Schnittstelle von Parteien-, Parlamentarismus- und Regierungsforschung. Entsprechend sind diese drei miteinander verwandten Disziplinen der Politikwissenschaft in ihrem Forschungsstand für diese Arbeit zu berücksichtigen. Den umfangreichen und in Teilbereichen kaum noch überschaubaren Literaturbestand zur Parteien-, Parlamentarismus- und Regierungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland gilt es einzugrenzen und gleichzeitig zu strukturieren. 1 Vor dem Hintergrund des im Untersuchungsrahmen formulierten Untersuchungsansatzes und des mit den Leitfragen aufgezeigten Analysezieles wurde folgende Vorgehensweise gewählt: In einem ersten Schritt werden die Forschungsstände zu folgenden Bereichen aufgearbeitet: - Parteiführungsgremien der CDU; - Unionsfraktion; - Bundesregierung; - Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck; - Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik.

I. Parteiführungsgremien Die Parteienforschung gehört nach wie vor zu den forschungsintensivsten Zweigen der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. 2 Parteienforschung im engeren Sinne "befaßt sich mit der Binnenstruktur politischer Parteien, der Beziehung von Parteien zur Anhängerschaft und zu den Konkurrenten sowie den Grundlagen und den Folgewirkungen der Mitwirkung von 1 Ein wichtiges Hilfsmittel stellen dabei die im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Bibliographien zur Geschichte von CDU und CSU dar. Zum Untersuchungszeitraum vgl. Brigitte KrahelMichaela Seibel (Bearb.): Bibliographie zur Geschichte der CDU und CSU 1981-1986. Mit Nachträgen 1945-1980, Düsseldorf 1990; Thomas SchaarschmidtIHildegard Krengel (Bearb. ): Bibliographie zur Geschichte der CDU und CSU 1987-1990, Düsseldorf 1994. 2 Der Befund, den Kaack bereits zu Beginn der siebziger Jahre konstatierte, zeigt damit noch immer Gültigkeit. Vgl. Heino Kaack: Geschichte und Struktur des deutschen Parteien systems, Opladen 1971, S. 9.

3 Gros

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B. Forschungsstand

Parteien an der politischen Herrschaft,,3. Die Bestandsaufnahme des umfangreichen Abhandlungsreservoirs und Literaturstandes zu diversen Facetten des deutschen Parteiensystems4 soll an dieser Stelle auf die Sichtung der Forschungsergebnisse zu den Führungsorganen der CDU, Präsidium und Vorstand, begrenzt bleiben. Binnenstrukturen innerhalb dieser Gremien, ihre Rolle und Bedeutung in der CDU als Ganzes sowie ihre Funktion im Bereich der politischen Führung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland sind von Interesse - verfassungs- und staatsrechtliche Aspekte bleiben bei der Literatursichtung weitgehend ausgeblendet. 5 Konnte bis in die frühen achtziger Jahre noch ein Mangel an Überblicksund Gesamtdarstellungen zur CDU festgestellt werden,6 so hat sich das Bild mittlerweile zumindest partiell gewandelt.? Neben die für lange Zeit einzige Überblicksstudie von Püti sind die Arbeiten von Schmidt, Schönbohm, Haungs und Hofmann getreten. 9 Sie bieten einen Überblick über Programme, 3 Stefan Immerfall: Die letzte Dekade der westdeutschen Parteienforschung - zur Analogie der Defizite von Parteien und Parteienforschung, in: Zeitschrift ftir Parlamentsfragen, H. 1, 1992, S. 173. 4 Einen exzellenten, detaillierten und noch immer weitgehend aktuellen Überblick über Themen-, Problemfelder und Forschungsstand zum deutschen Parteiensystem bieten Oskar NiedermayerlRichard Stöss (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993; außerdem Alf MintzeilHeinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1992; ergänzend Immerfall: Die letzte Dekade der westdeutschen Parteienforschung, S. 172-189; Alf Mintzel: Hauptaufgaben der Parteienforschung, in: Österreichische Zeitschrift ftir Politikwissenschaft, H. 3, 1987, S. 221-240. 5 Überblicksartig sei verwiesen auf: Karl-Heinz Seiffert: Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1975; Theo Stammen: Parteien in Europa. Nationale Parteiensysteme, transnationale Parteienbeziehungen, Konturen eines europäischen Parteiensystems, 2. Autl München 1978; Dimitris Th. TsatsoslMartin Morlok: Parteienrecht. Eine verfassungsrechtliche Einftihrung, Heidelberg 1982; Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl. München 1984; Dimitris Th. TsatsoslDian SchefoldlHans-Peter Schneider (Hrsg.): Parteienrecht im europäischen Vergleich. Die Parteien in den demokratischen Ordnungen der Staaten der europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1990; Konrad Löw: Der Staat des Grundgesetzes, München 1995, S. 233-248. 6 Dazu Peter Haungs: Die christlich-demokratischen Parteien als Objekte der politikwissenschaftlichen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kar! Dietrich Bracher (Hrsg.): Entwicklungslinien der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Meile 1982, S. 75 ff. 7 Vgl. auch den Forschungsbericht von Thomas von Winter: Die Christdemokraten als Analyseobjekt, S. 57-80; ergänzend loser Schmid: Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus, Opladen 1990, S. 17-19. 8 Helmuth Pütz: Die CDU, 4. Aufl. Düsseldorf 1985. 9 Ute Schmidt: Die Christlich Demokratische Union Deutschlands, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989.

I. Partei führungs gremien

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Strukturen, Mitglieder, Parteifmanzen etc. der Union. Gemeinsam ist den Studien von Haungs und Hofmann, daß den Führungsgremien der CDU dabei keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie allenfalls am Rande Erwähnung fmden. Zudem sind vor allem die Arbeiten von Schmidt und Schönbohm in ihrer Aussagekraft im wesentlichen auf die Zeit vor 1980 eingegrenzt. In Schönbohms Analyse wird die Funktion des Parteipräsidiums als Koordinations- und Abstimmungssmedium zwischen Ländervertretem, Bundesregierung, Bundestagsfraktion sowie den Landesverbänden (sechziger Jahre) und als Koordinations- und Entscheidungszentrale der Parteiarbeit (siebziger und frühe achtziger Jahre) herausgearbeitet. lO Diese Erkenntnisse sind dabei zunächst auf den von ihm abgesteckten Untersuchungs zeitraum begrenzt und bleiben in ihrer Aussagekraft rur den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit zu überprüfen. Auch die von Kleinmann vorgelegte "Geschichte der CDU"II beziehungsweise die von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene "Kleine Geschichte der CDU,,12 können das Infonnationsdefizit über die CDU-Führungsgremien nicht beheben. In beiden "Geschichtswerken" finden nur Rudimente zu Rolle und Bedeutung von Präsidium und Vorstand im allgemeinen und in den achtziger Jahren im speziellen Berücksichtigung. 13 Diesem Manko kann auch die ansonsten verdienstvolle Arbeit von Schmid nicht abhelfen. 14 Zwar werden die Organisations strukturen der CDU untersucht. Allerdings stehen dabei die vertikalen Strukturen und Politikgestaltungsmöglichkeiten "einer Partei im Föderalismus" im Vordergrund des Forschungsinteresses. Erste und bisher auch einzige substantielle Ergebnisse zur Bedeutung von Führungsgremien der CDU hat Haungs in seiner Untersuchung zur Rolle der Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik vorgelegt. 15 Vergleichend untersucht er die Bedeutung von Parteipräsidium und Vorstand unter den Ägiden der Parteivorsitzenden Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger, Rainer Barzel und Helmut Kohl. Er liefert damit zugleich ein erstes Rahmengerüst der Funktionen und Aufgaben des CDU-Parteipräsidiums in der Ära Kohl. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, "daß ParteiBd. I, Opladen 1983, S. 490-660; Schönbohm: Die CDU, Peter Haungs: Die CDU: Prototyp einer Volkspartei, in: Mintzel/Oberreuter (Hrsg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1992, S. 172-216; Robert Hofmann: Geschichte der deutschen Parteien. Von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart, 2. Aufl. München 1993, S. 189-219. 10 Vgl. Schönbohm: Die CDU, S. 59, S. 136. 11 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945-1982, Stuttgart 1993. 12 Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Kleine Geschichte der CDU, Stuttgart 1995. 13 Dieser Befund gilt ferner auch für Gerd Langguth (Hrsg.): In Verantwortung für Deutschland. 50 Jahre CDU, Köln u. a. 1996. 14 Schmid: Die CDU. IS Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren, S. 113-123.

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B. Forschungsstand

präsidien zu den wichtigsten Entscheidungszentren der Regierungspolitik gehören, ohne daß diese Bedeutung [... ] am Beispiel der CDU detailliert hätte nachgewiesen werden können" 16. Inwieweit diese Aussage von Haungs zutreffend ist, soll im Verlauf dieser Arbeit an konkreten Fallbeispielen untersucht werden. Damit wird zugleich der Versuch unternommen, einen Beitrag zur Ausflillung des von Haungs angesprochenen Defizits zu leisten. Neben der Funktion der Entscheidung weist Haungs (1988) vor allem dem CDU-Präsidium die einer (parteiinternen) zentralen Koordinationsinstanz ZU. 17 Kann insgesamt festgestellt werden, daß die Bedeutung von Präsidium und Vorstand der CDU im politischen Entscheidungsprozeß und ihr Beitrag zur Politikgestaltung seit der Gründung der Partei ein bisher kaum wahrnehmbares wissenschaftliches Interesse gefunden haben,18 so gilt dies insbesondere rur die achtziger Jahre: Die neue Lage der CDU, in die sie mit der Regierungsübernahme 1982 insoweit geriet, "als sie nunmehr die Ausübung der Steuerungsfunktion mit den eigendynamischen Prozessen innerhalb der Parteiorganisation in Einklang bringen mußte,,19, ist im wissenschaftlichen Forschungsinteresse bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben. Die Rolle und Funktion der Führungsorgane in diesen Prozessen ist bisher allenfalls marginal aufgearbeitet worden.

16 Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren, S. 120. 17 Vgl. Peter Haungs: Die CDU in den achtziger Jahren. Anmerkungen zur Organi-

sation und Strategie, in: Rupert Breitling/Winand Gellner (Hrsg.): Machiavellismus. Parteien und Wahlen. Medien und Politik. Politische Studien zum 65. Geburtstag von Erwin Faul, Gerlingen 1988, S. 99 f. 18 Zu diesem Ergebnis kommt auch Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren, S. 113; vgl. bestätigend den neueren Befund von Herzog: Die Führungsgremien, S. 301. Diese Forschungslücke verwundert um so mehr, als z. B. ftir die Jahre von 1950 bis 1957 die Vorstandsprotokolle mittlerweile veröffentlicht sind. Vgl. Günter Buchstab (Bearb.): Adenauer: "Es muß alles neu gemacht werden." Die Protokolle des CDUBundesvorstandes 1950-1953, Stuttgart 1986; ders. (Bearb.): Adenauer: "Wir haben wirklich etwas geschaffen." Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957, Düsseldorf 1990; ders. (Bearb.): Adenauer: " ... um den Frieden zu gewinnen." Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961, Düsseldorf 1993. 19 von Winter: Die Christdemokraten, S. 58.

11. Unionsfraktion

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11. Unionsfraktion Die zum Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland erschienene Literatur ist umfangreich. 1 Vergleichsweise überschaubar erscheint dagegen die Zahl der Ausarbeitungen zu den Fraktionen des deutschen Bundestages im allgemeinen und zur CDU/CSU-Fraktion im besonderen. Dies verwundert um so mehr, als Fraktionen oftmals "als zentrale Handlungsträger im politischen System der Bundesrepublik überhaupt"/ "als die ganz beherrschenden Faktoren bei der parlamentarischen Willensbildung,,3 bezeichnet beziehungsweise die "parteipolitischen Gliederungen des Parlaments zu den wichtigsten politischen Entscheidungsträgern im Verfassungsgeruge unseres Staates,,4 gezählt werden. Zudem wird die Bedeutung der Fraktionen im parlamentarischen System verschiedentlich mit Formulierungen wie "Fraktionenparlament,,5 (bezogen auf den Deutschen Bundestag) oder auch als "Fraktionsstaat,,6 (bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland) umrissen und unterstrichen. 7

1 Umfassende, auf den Deutschen Bundestag zugeschnittene bibliographische HilfesteIlungen finden sich bei Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag. Funktionen, Willensbildung, Reformansätze, Opladen 1992; außerdem die Hinweise in Peter Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983 bis 1991. Mit Anhang: Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, Baden-Baden 1994; Überblicke zum Stand der Parlamentarismusforschung z. B. bei Heinrich Oberreuter: Parlamentarismusforschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Karl Bracher u. a. (Hrsg.): Entwicklungslinien der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Meile 1982, S. 108-138; ders.: Zur Parlamentarismusforschung in der Bundesrepublik, in: Jürgen W. Falter/Christian FennerlMichael Th. Greven (Hrsg.): Politische Willensbildung und Interessenvermittlung: Verhandlungen der Fachtagung der deutschen Vereinigung flir Politische Wissenschaft vom 11. bis 13. Oktober 1983 in Mannheim, Opladen 1984, S. 238-253; Werner J. Patzelt: Der Abgeordnete - ein unbekanntes Wesen? Bericht über das Schrifttum der Abgeordnetenforschung, in: Neue Politische Literatur, 1991, S. 76-118. 2 Thomas Saalfeld: Parteisoldaten und Rebellen, Opladen 1995, S. 13. 3 Wolfgang Demmler: Der Abgeordnete im Parlament der Fraktionen, Berlin 1994. 4 Philipp Jenninger: Oft muß die Fraktion die Führung übernehmen, in: Hartrnut Klatt: Der Bundestag im Verfassungsgeflige der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum dreißigjährigen Bestehen des Deutschen Bundestages, Bonn 1980, S. 43. 5 So Uwe Thaysen: Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland: Daten - Fakten - Urteile im Grundriß, 2. Aufl. Opladen 1976, S. 69 oder auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 37; Suzanne S. Schüttemeyer: Der Bundestag als Fraktionenparlament, Opladen 1992. 6 Uwe Thaysen: "Fraktionenstaat": Oder was sonst?, in: Peter Haungs/Eckhard Jesse (Hrsg.): Parteien in der Krise? In- und ausländische Perspektiven, Köln 1987, S. 231242. 7 Insgesamt dazu auch: Hans Troßmann: Der Bundestag: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1979, S. 1-304; Steffani: Parteien (Fraktionen), S. 260-280; Saalfeld: Partei soldaten, S. 12.

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B. Forschungsstand

Nach wie vor überwiegt die staats- und verfassungsrechtlich orientierte Betrachtung von Fraktionen und Parlament. 8 Eine prägnante und aktuelle Einordnung der Fraktionen in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Beziehungen zwischen Abgeordneten und ihrer Fraktion bietet die Studie von Demmler. 9 Er zeigt, daß die "politisch-soziologisch angemessene" Bezeichnung der Fraktionen als "Parteien im Parlament" aus rechtlicher Sicht nur begrenzt zutreffend ist. 10 Zum einen weist er darauf hin, daß die personelle Verklammerung von Partei und Fraktion oftmals gewährleistet, "daß der politische Kurs von Partei und Fraktion nicht auseinanderläuft."ll Zum anderen zeigt er aber auch die rechtliche Freiheit der Fraktion bei der Umsetzung parteipolitischer Zielsetzungen auf. 12 Eine umfassende Darstellung der Fraktionen, ihrer Organisation, Funktion und Rechtsnatur beinhalten auch die Arbeiten von Hauenschild und Kret-

8 Dabei ist Analyse vor allem auf institutionelle und funktionale Aspekte ausgerichtet. Als Schablone dient oft der von Bagehot geprägte parlamentarische Funktionenkatalog. Vgl. Walter Bagehot: The English Constitution, London 1967. Insgesamt wird an dieser Stelle auf die umfassende Anführung der staatsrechtlichen Literatur zu diesem Themenbereich verzichtet. Es sei auf folgende Auswahl verwiesen: Heinhard Steiger: Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems. Eine Untersuchung zur rechtlichen Stellung des Deutschen Bundestages, Berlin 1973; Hartmut Borschert: Die Fraktion - eine eigenständige, demokratisch legitimierte Repräsentation im parteienstaatlichen parlamentarischen System, in: Archiv des öffentlichen Rechts, H. 2, 1977, S. 210-242; Leo Kißler: Der Deutsche Bundestag. Eine verfassungssystematische, verfassungsrechtliche und verfassungsinstitutionelle Untersuchung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1977, S. 39-144; Wolfgang GrafVitzthum: Parlament und Planung. Zur verfassungsgerechten Zuordnung der Funktion von Bundesregierung und Bundestag bei der politischen Planung, Baden-Baden 1978; Siegfried Magiera: Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, Berlin 1979; Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 11: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, München 1980; Herrnann Kerbusch: Die Fraktionen im Spiegel der Judikatur der Verfassungsgerichte, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 2, 1982, S. 225-234; Eckart Busch: Parlamentarische Kontrolle. Ausgestaltung und Wirkung, HeidelberglHamburg 1983; Peter M. Stadler: Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, Opladen 1984; Wilhelm Mössle: Regierungsfunktionen des Parlaments, München 1986; Hans-Peter Schneider/Wolfgang Zeh (Hrsg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, BerlinlNew York 1989; Eckart Busch u. a.: Wegweiser Parlament, Bonn 1990; Emil Hübner: Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1995; Rupert Schick/Wolfgang Zeh: So arbeitet der Deutsche Bundestag. Organisation und Arbeitsweise. Die Gesetzgebung des Bundes, 8. überarb. Aufl. 1995. In diesen Studien finden sich auch Verweise auf weiterführende Literatur. Einen bibliographischen Überblick gibt zudem: Hamburger Bibliographie zum Parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1973 ff. 9 Demmler: Der Abgeordnete. 10 Demmler: Der Abgeordnete, S. 184 ff. 11 Demmler: Der Abgeordnete, S. 182. 12 Demm1er: Der Abgeordnete, S. 190 ff.

II. Unionsfraktion

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schmer. 13 In beiden Studien überwiegt zwar ebenfalls die staatsrechtliche Betrachtungsweise, dennoch bieten sie auch politikwissenschaftlichen Verwertungsgehalt. Bei Hauenschild wird die Funktion der Fraktion im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung mit fünf Eckpunkten umrissen: 14 Er schreibt ihr in seiner Studie eine zentrale Rolle sowohl bei dem Abschluß von Koalitionsvereinbarungen als auch für die Wahl des Regierungschefs zu. Zum dritten verweist er auf das Anliegen der regierungstragenden Fraktion, die Regierung möglichst eng anzubinden - z. B. durch die Durchsetzung von Fraktionsangehörigen als Regierungsmitglieder - und auf ihre Politik festzulegen. Die Fraktion steht viertens in einer besonderen Loyalitätsfunktion, die der Stützung der von ihr getragenen Regierung dient. Schließlich führt Hauenschild als fünften Punkt an, daß die Regierungsfraktion zwar keine öffentliche Kontrolle, wohl aber eine interne Kontrolle, z. B. während Fraktionssitzungen, der Regierung ausübt. Ein ähnlicher Funktionskatalog findet sich auch in dem bereits angeführten Beitrag von Kretschmer. Er verweist nachdrücklich darauf, daß auch die Regierungsfraktion sämtliche Parlamentsfunktionen (Artikulations-, Initiativ-, Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion) wahrnimmt. 15 Er betont zudem, daß "eine Regierungsfraktion zu einem für die Regierung beachtlichen Gegengewicht heranwachsen [kann/d. Verf.]. In diesen Fällen erweist sich, daß die Fraktion Partner, nicht Diener oder Schutztruppe einer Regierung iSt.,,16 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Fraktionsführung entscheidenden Einfluß auf die Regierungspolitik erhält beziehungsweise in den Entscheidungs- und Willensbildungsprozeß unter Nutzung eigener Spielräume eingreifen kann. Geht der Einfluß der Fraktion dabei über die Unterstützung der Regierungslinie hinaus, kann der regierungstragenden Fraktion eine politische Führungsrolle zufallen. 17 Dies setzt allerdings innere Geschlossenheit bei der Fraktion voraus. Die Geschlossenheit der CDUlCSU-, SPD- und FDP-Fraktion bei namentlichen Abstimmungen untersucht Saalfeld auf der Basis von Längsschnittdaten für den Zeitraum 1949-1990. 18 Damit wurden fast alle großen im Bundestag zur Entscheidung anstehenden Themenfelder in der Geschichte der Bundesrepublik \3 Wolf Dieter Hauenschild: Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, Berlin 1968; Gerald Kretschmer: Fraktionen. Parteien im Parlament, Heidelberg 1984. 14 Vgl. Hauenschild: Wesen und Rechtsnatur, S. 131-136. 15 Vgl. Kretschmer: Fraktionen, S. 120 f. 16 Kretschmer: Fraktionen, S. 117. 17 Kretschmer führt als ein Beispiel die Ablösung von Bundeskanzler Erhard an. Mit Hilfe personalpolitischer Entscheidungen versuchte die damalige CDU/CSU-Fraktion die politische Initiative wiederzuerlangen. V gl. Kretschmer: Fraktionen, S. 118 f. 18 Saalfeld: Partei soldaten und Rebellen, insbesondere S. 13 f.

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B. Forschungsstand

Deutschland erfaßt. Hinsichtlich der CDU/CSU-Fraktion kommt Saalfeld zu dem Ergebnis, daß die innerfraktionelle Geschlossenheit seit den siebziger Jahren stark anwuchs und die Unionsfraktion in den achtziger Jahren bei namentlichen Abstimmungen die geschlossenste Fraktion im deutschen Bundestag war. 19 Zur Erklärung dieser Phänomene werden sozialwissenschaftliche Theorien der Gruppensolidarität herangezogen. Wenngleich mit dieser Studie wichtige Eckdaten zu Fraktionsforschung aufgezeigt sowie Prozesse und Mechanismen, die zur innerfraktionellen Geschlossenheit beitragen, herausgearbeitet werden,20 bleibt die Frage nach dem Einflußpotential der Regierungsfraktion in Politikgestaltungsprozessen weiter offen. Die Arbeit Saalfelds kann zudem keinen Aufschluß darüber geben, inwieweit innerfraktionelle Kompromisse im Vorfeld, aber auch Kompromisse und Verhandlungen mit der Regierung, zu einem geschlossenen und die Regierung stützenden Abstimmungsverhalten gefllhrt haben. Konkrete Fallbeispiele, die" weitere Aufschlüsse über Ursachen, Funktion und Folgen von Konformität und Nonkonformität in den einzelnen Fraktionen,,21, insbesondere in der hier relvanten CDU/CSU-Fraktion, hätten liefern können, werden in Saalfelds Studie nicht bearbeitet. Zu den detailreichsten politikwissenschaftlichen Überblicksdarstellungen im Hinblick auf die politischen Akteure Parlament und Fraktionen zählen die Studien von Schüttemeyer, Schäfer und Ismayr?2 Die drei Arbeiten gehen über einen bloßen institutionenkundlichen Ansatz hinaus. Umfassend leuchtet Schüttemeyer die Fraktionen des Deutschen Bundestages, ihre internen Strukturen und Mechanismen, aber auch die Veränderungen, die sich in 45 Jahren im jeweiligen Gefllge der einzelnen Fraktionen ergeben haben, aus. Im Hinblick auf die Unions fraktion wird insbesondere die Bedeutung des geschäftsfllhrenden Fraktionsvorstandes und der parlamentarischen Geschäftsfllhrer fllr innerfraktioneIle Politikgestaltungsprozesse, das interne Fraktionsmanagement sowie die Führung der Fraktion verdeutlicht. 23 Unter Berücksichtigung des von Bagehot 1867 für das englische Unterhaus erarbeiteten Aufgabenkatalogs analysiert Schäfer die Rolle des Deutschen Bundestages im parlamentarischen Regie-

19 Vgl. Saalfeld: Parteisoldaten und Rebellen, S. 352 ff. In den fünfziger und in den sechziger Jahren hatte sich noch ein ganz anderes Bild gezeigt. In dieser Zeit war das Erscheinungsbild der CDU/CSU-Fraktion oftmals "vewirrend bunt und vielschichtig" (Krone 1960). Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, 1993, S. 208-210. Dort findet sich auf S. 209 auch das Zitat von Heinrich Krone. 20 Vgl. Saalfeld: Parteisoldaten und Rebellen, S. 322-346. 21 Werner Bührer: Wie weit geht Fraktionsdisziplin?, in: SZ, 1.7.1996. 22 Suzanne S. Schüttemeyer: Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949 bis 1994. Empirische Befunde und theoretische Folgerungen, Opladen 1998; Friedrich Schäfer: Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgaben und seine Arbeitsweise, 4. verb. u. erw. Aufl. Opladen 1982; Ismayr: Der Deutsche Bundestag. 23 Vgl. Schüttemeyer: Fraktionen im Deutschen Bundestag.

11. Unionsfraktion

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rungssystem im allgemeinen und der Fraktionen im besonderen?4 Auch wenn Schäfers Untersuchung auf die Zeit bis 1982 zielt, können ihr doch detaillierte Informationen über Strukturen und Arbeitsweisen der Unions fraktion und ihrer Gliederungen entnommen werden?5 Einen nach wie vor zentralen Überblick über Strukturen und Mechanismen der Entscheidungs- und Willensbildung der Fraktionen im Parlament gibt Ismayr in dem Teilkapitel "Struktur und Willensbildung der Fraktionen,,26 seiner Studie zum Deutschen Bundestag. Differenziert nach den einzelnen, dem Deutschen Bundestag angehörenden Fraktionen, werden ihre Organisationsstrukturen, Wochenplanungen und Entscheidungsmechanismen umrissen. So macht er mit Blick auf die CDU/CSU-Fraktion ein besonderes Gewicht des engsten Führungskreises um den Fraktionsvorsitzenden, seinen ersten Stellvertreter sowie den ersten Parlamentarischen Geschäftsfiihrer und dessen Stellvertreter aus. 27 Ohne die Gremien genauer einzugrenzen, stellt Ismayr fest: "Der Vorsitzende und der 1. Parlamentarische Geschäftsfiihrer sind auf die laufende politische Abstimmung mit ihren 'ersten Stellvertretern' angewiesen, die sich ihren Einfluß durch nahezu 'paritätische' Präsenz in einer Reihe einflußreicher, informeller Gremien gesichert haben. In der Koalition macht dieses Führungsquartett seinen Einfluß durch Teilnahme an (nahezu) allen zentralen Koordinations- und Entscheidungsgremien geltend.,,28 Der geschäftsfiihrende Vorstand ist nach Ismayr seit der 10. Wahlperiode das Führungszentrum der Fraktion. Allerdings verweist er auch darauf, daß "manche Entscheidungen faktisch in noch engeren Zirkeln getroffen,,29 werden. Offen bleibt, welche Kreise damit konkret angesprochen sind. Deutlich wird in Ismayrs Studie insgesamt, daß insbesondere der Fraktionsvorstand eine zentrale Rolle beim Einschwören der Gesamtfraktion auf die Regierungslinie und bei dem Versuch, während der Fraktionssitzungen ein geschlossenes Meinungsbild der Abgeordneten zu erreichen, einnimmt. 30 Ismayr verdeutlicht dies an verschiedenen Beispielen aus dem parlamentarischen Themen- und Sacharbeitshaushalt. 31 Der Fraktionsvorstand, der, wie Ismayr her24 Vgl. Schäfer: Der Bundestag, S. 135-153. 25 Diese Aussagen gelten eingeschränkt auch für die Studie von Ulrich Lohmar: Das

Hohe Haus. Der Bundestag und die Verfassungswirklichkeit, Stuttgart 1975, insbesondere S. 145-161. 26 Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 83-152. 27 Die Bedeutung der parlamentarischen Geschäftsführer in der Unionsfraktion unterstreicht auch von Beyme. Vgl. Beyme: Der Gesetzgeber, S. 50. 28 Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 123 (Hervorhebung im Original). 29 Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 126. 30 Zu den Möglichkeiten, die der Fraktionsvorstand dabei anwenden kann, vgl. ergänzend auch Hans-Hermann Kasten: Möglichkeiten und Grenzen der Disziplinierung des Abgeordneten durch seine Fraktion: Fraktionsdisziplin, Fraktionszwang und Fraktionsausschluß, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 4, 1985, S. 475-484. 31 Vgl. Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 137-141.

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B. Forschungsstand

vorhebt, von den Regierungsmitgliedern dominiert wird,32 stellt damit offenbar ein zentrales Glied in der Verbindungskette zwischen Fraktion und Bundesregierung dar. Rudzio kommt zwar zu demselben Ergebnis, wenn er dem Fraktionsvorstand eine hervorgehobene Funktion bei der Sicherung fraktioneller Geschlossenheit und interner Organisation der Fraktion zuweist. Er konstatiert jedoch zugleich auch eine Einschränkung der Macht der Führungsgremien in der CDU/CSU-Fraktion z. B. durch die Existenz von Landesgruppen oder anderen innerfraktionellen Untergliederungen. 33 Die Komplexität der innerfraktionellen Strukturen und Machtmechanismen läßt zudem die empirisch wertvolle Untersuchung von Patzelt erahnen. 34 Er fuhrt in seiner Studie an, daß "die Beziehungen zwischen den Abgeordneten und ihren Parteien äußerst komplex und viel komplizierter [sind/d. Verf.], als die Redensarten von 'Parteisoldaten' oder vom 'Fraktionszwang' sie erscheinen lassen.,,35 Patzelt weist auf der Basis seiner Interviewreihen36 die Bedeutung von innerfraktioneller Geschlossenheit und Teamgeist als Voraussetzungen fur Erfolge im parlamentarischen Wettbewerb nach. 37 Gleichzeitig wird auf die Bedeutung und den Einfluß von Führungspersonen im Management der fraktionellen Willens- und Entscheidungsprozesse verwiesen. 38 Als Zwischenfazit läßt sich an dieser Stelle festhalten, daß eine umfassende Studie zur CDU/CSU-Fraktion, die sich sowohl mit den fraktions internen Strukturen als auch mit ihrer Funktion in der Gewaltenverschränkung des parlamentarischen Regierungssystems befaßt, bisher fur den hier gewählten Untersuchungszeitraum nicht vorliegt. 39 Die Zahl der empirischen und politikVgl. Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 127. Vgl. Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. Opladen 1991, S. 240 f. 34 Wemer J. Patzelt: Abgeordnete und ihr Beruf. Interviews, Umfragen, Analysen, Berlin 1995; ergänzend ders.: Deutschlands Abgeordnete. Profil eines Berufsstands, der weit besser ist als sein Ruf, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 3, 1996, S. 462-502. Ebenfalls auf empirischer Basis untersuchte Hübner bereits für die fünfte Wahlperiode in einer umfangreichen Studie das Selbstverständnis von Abgeordneten. Vgl. Emil Hübner: Die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung im Selbstverständnis der Abgeordneten des V. Deutschen Bundestages, München 1980. 35 Patzelt: Abgeordnete, S. 165. 36 Ausschnitte dieser Interviews sind in Patzelt: Abgeordnete abgedruckt. Politische Erfahrungsberichte für die sechziger Jahre finden sich zudem in Hübner/Oberreuter/Rausch (Hrsg.): Der Bundestag von innen gesehen. 37 Vgl. Patezlt: Abgeordnete, S. 34 ff; S. 156 ff. 38 Vgl. Patzelt: Abgeordnete, S. 156. 39 Die letzten umfangreichen Studien zur Unionsfraktion stammen von Veen und beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1969 und 1972. Vgl. Hans-Joachim Veen: Die CDU/CSU-Opposition im Parlamentarischen Entscheidungsprozeß. Zur Strategie und zum Einfluß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Gesetzgebungsarbeit des 6. Deutschen Bundestages (1969-1972), München 1973; ders.: Opposition im Bundestag. 32 33

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feldspezifischen Analysen der politischen Arbeit von Fraktionen im allgemeinen und der CDU/CSU-Fraktion im besonderen kontrastiert mit der hohen Zahl vor allem verfassungsrechtlicher und institutioneller Abhandlungen und Einordnungen von Bundestagsfraktionen in das parlamentarische Regierungssystem.

Ihre Funktionen, institutionelle Handlungsbedingungen und das Verhalten der CDUI CSU-Fraktion in der 6. Wahlperiode 1969-1972, Bonn 1976.

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B. Forschungsstand

IH. Bundesregierung Das Verfassungsorgan "Bundesregierung" ist in seiner staatsrechtlichen und funktionalen Dimension hinreichend untersucht. I Allerdings reicht Verfassungstheorie nicht zur Beschreibung des Akteurs Bundesregierung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Verfassungspraxis ist ebenfalls zu berücksichtigen. Neben die staatsrechtliche muß damit auch die politikwissenschaftliche Betrachtung des Akteurs Bundesregierung treten. Diese schließt zentral die Beachtung des jeweiligen Bundeskanzlers, seiner Regierungspraxis und seines Regierungsstils mit ein? Für die Ära Kohl ist die wissenschaftliche Meinungsbildung bisher uneinheitlich. Die Bewertung schwankt zwischen den Eckpunkten "Kanzlerdemokratie" und "Koordinationsdemokratie" (oder auch "Koalitionsdemokratie,,).3 Während Kaltefleiter und Niclauß in Anlehnung an die für die Amtszeit Adenauers erarbeiteten Merkmale die Re-

I Vgl. Günther Behrendt: Das Bundeskanzleramt, Frankfurt a. M./Bonn 1976; Matthias Schmidt-Preuß: Das Bundeskabinett. Ein Bericht aus der Praxis, in: Zeitschrift flir Verwaltungswissenschaft, 1988, S. 199-219; Volker Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise; mit Blick auf Vergangenheit und Zukunft, Heidelberg 1994; Jean Blondei: The Organization of Government. A Comparative Analysis of Governmental Structures, London u. a. 1982; HesselEllwein: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 259-283; Hübner: Parlament und Regierung, S. 154-180; Ferdinand Müller-Rommel: The Centre of Government in West-Germany, in: European Journal of Political Research, Nr. 16, 1988, S. 171-190; ders.lGabriele Pieper: Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21122, 1991, S. 3-13. Weiterflihrende bibliographische Hinweise finden sich auch in: Heinz-Josef Sprengkamp: Regierungszentralen in Deutschland. Bibliographie mit Annotierungen, Speyerer Forschungsberichte, 2. Autl. Speyer 1992; Markus Ohlhauser: Regierung und Ministerialverwaltung in den deutschen Ländern. Bibliographie mit Annotierungen, Speyerer Forschungsberichte, 2. Autl. Speyer 1994. 2 Dazu u. a.: Clay Clemens: Paradigm or Paradox? Helmut Kohl and Political Leadership in Germany. Paper for the 19. Annual Conference of the German Studies Association Chicago 1995; Stephen Padgett (Ed.): Adenauer to Kohl. The Development of the German Chancellorship, London 1994; Karlheinz NicJauß: Kanzlerdemokratie. Bonner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, Stuttgart u. a. 1988; Peter Haungs: Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich: Adenauers Nachfolger, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 112, 1989, S. 28-39; Ludger Helms: Das Amt des deutschen Bundeskanzlers in historisch und international vergleichender Perspektive, in: Zeitschrift flir Parlamentsfragen, H. 4, 1996, S. 697-711; zentral am Beispiel der Deutschlandpolitik Korte: Deutschlandpolitik. 3 Vgl. auch Axel Murswieck: Die Bundesrepublik Deutschland - Kanzlerdemokratie, Koordinationsdemokratie oder was sonst?, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 151-169.

III. Bundesregierung

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gierungszeit Kohls als Kanzlerdemokratie bewerten,4 sieht Jäger deutliche Anzeichen einer Koordinationsdemokratie. 5 Führungsleistung wird demnach durch die Fähigkeit zur Koordination und Integration bestimmt. Einbindung der Koalitionspartner und Konsensfindung sind zentrale Merkmale dieser Bewertungskategorie. Damit verbunden ist die zunehmende Auswanderung der politischen Entscheidung in informelle, nicht in der Verfassung vorgesehene Gremien. 6 Die daraus rur die Bundesregierung entstehenden Konsequenzen, ihre Folgen rur Funktion und Bedeutung der Regierung im parlamentarischen Regierungssystem beschreiben Bonner Insider wie der ehemalige Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, König,7 der frühere Chef des Bundeskanzleramtes, Schreckenberger,8 und der einstige Bundesminister rur besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Seiters. 9

4 Werner Kaltefleiter: Die Kanzlerdemokratie des Helmut Kohl, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 1, 1996, S. 27-37; Karlheinz Niclauß: Kanzlerdemokratie - Bonner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. I: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 133-143; ders.: Das Politische System. Kanzler- und Parteiendemokratie, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Bunderepublik Deutschland. Geschichte, Bewußtsein, Bonn 1989, S.21-30. 5 Zusammenfassend in Wolfgang Jäger: Wer regiert die Deutschen? Innenansichten der Parteiendemokratie, ZürichiOsnabrück 1994. 6 Vgl. Göttrik Wewer: Richtlinienkompetenz und Koalitionsregierung: Wo wird die Politik definiert?, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 145-150. 7 Klaus König: Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen. Das Bundeskanzleramt, in: Der Staat, Nr. 1, 1989, S. 49-70; ders.: Formalisierung und Informalisierung im Regierungszentrum, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 2: Formale und informale Komponenten des Regierens, Opladen 1991, S. 203-220; ders.: Parteien staat, Parteienfunktionen, Parteipolitik und Regierung, in: Hans-Hermann HartwichlGöttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 3: Systemsteuerung und "Staatskunst", Opladen 1991, S. 8396. 8 Waldemar Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem. Zur Oligarchie der Spitzenpolitiker der Parteien, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 133-157; ders.: Der Regierungschef zwischen Politik und Administration, in: Peter Haungs u. a. (Hrsg): Civitas. Widmungen für Bernhard Vogel zum 60. Geburtstag, Paderbom u. a. 1992, S. 603-614; ders.: Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung zwischen der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen: Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 3, 1994, S. 329-346. 9 Rudolf Seiters: Die Kabinettsarbeit in Bonn und Berlin, in: Wemer Süß (Hrsg.): Hauptstadt Berlin. Bd. 2: Berlin im vereinten Deutschland, Berlin 1995, S. 181-196.

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B. Forschungsstand

IV. Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck Der Prozeß der Poltitikgestaltung wird fiir die Öffentlichkeit meist nur in ihrem Endprodukt, als geronnene Politik in Form von Gesetzen, Verordnungen u.ä. sichtbar. Die dabei ablaufenden Mechanismen und Strukturen liegen vorwiegend im Dunkel und Halbschatten des parlamentarischen Regierungssystems. Dort wurden sie lange Zeit auch von der politikwissenschaftlichen Forschung übersehen. Dabei hatten Fragen nach der Einflußnahme von Bundestagsfraktionen und Parteien auf die Regierung sowie den Beziehungen der Akteure untereinander in den fiinfziger und sechziger Jahren ebenso wie die Frage nach dem "wo" und "wie" des Regierens 1 zunächst eine durchaus beachtliche Konjunktur. So legte Domes die auch heute in ihren Ergebnissen nach wie vor wissenschaftlich wertvolle und zugleich noch immer umfassendste Untersuchung zum Verhältnis von Bundesregierung und Mehrheitsfraktion vor? Sein Untersuchungszeitraum umfaßt die Jahre 1953-1961 und damit eine Zeit, in der die CDU/CSU-Fraktion über eine absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag verfugte. Hierin liegt ein grundlegender Unterschied zur Situation im Deutschen Bundestag nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982. Die CDU/CSU-Fraktion war zwar die größte Fraktion im Bundestag, verfiigte aber nur zusammen mit der FDP-Fraktion über die absolute Mehrheit. Das Untersuchungsdesign von Domes umfaßt sowohl die Fragen nach Gliederung und Organisation der Mehrheitsfraktion und deren Auswirkungen auf den politischen Prozeß, nach dem Einfluß der Mehrheitsfraktion auf die Auswahl der Regierungsmitglieder und der Politikgestaltung als auch die Frage, inwieweit die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament in der politischen Praxis noch vorhanden ist. 3 Von Bedeutung ist bei ihm zudem die Frage nach dem "tatsächlichen Entscheidungszentrum in der Bundesrepublik.,,4 Für seinen Untersuchungszeitraum sieht Domes das Entscheidungszentrum um den Bundeskanzler gruppiert. Es setzt sich aus Angehörigen des Kabinetts und der Fraktionsfiihrung zusammen. Im politischen Entscheidungsprozeß - vor allem

1 Grundlegend dazu Wilhelm Hennis: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, Tübingen 1964; ders.: Aufgaben einer modemen Regierungslehre, in: Politische Vierteljahreschrift, H. 6, 1965, S. 422-441 (Wiederabdruck in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. I: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 43-64). 2 Jürgen Domes: Bundesregierung und Mehrheitsfraktion. Aspekte des Verhältnisses der Fraktion der CDU/CSU im zweiten und dritten Deutschen Bundestag zum Kabinett Adenauer, Köln/Opladen 1964. 3 Domes: Bundesregierung, S. 16 f. 4 Domes: Bundesregierung, S. 17.

IV. Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck

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hinsichtlich der Innenpolitik - konstatiert er eine hervorgehobene Rolle der Fraktion. Sie wird, "und mit ihr vor allem ihr Vorstand, plötzlich aus der einfachen Regierungs-Mehrheit, die sich auf die Funktion der Unterstützung beschränkt, zum Organ der Beratung, zur 'clearing-Stelle' der Interessen. ,,5 Domes zeigt auf, daß es die Fraktion sehr wohl verstand, eigene Vorstellungen gegen die der Regierung durchzusetzen. Er kommt damit zu dem Ergebnis, daß es gerade die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war, die in hohem Maße Einfluß auf (innen-)politische Entscheidungen nahm, und nicht die Parteiorganisationen von CDU und CSu. 6 Domes unterscheidet sich in diesen Aussagen von Wildenmann. Dieser charakterisiert das Verhältnis von Partei und Fraktion dahingehend, daß es die Parteiführungsgremien seien, die die eigentliche Macht auch innerhalb des Parlaments innehaben. Er bezeichnet die Fraktionen in diesem Zusammenhang als Parteiorgane und -instrumente und grenzt damit eine eigenständige Rolle aus. 7 Einen ähnlichen Ansatz wie Domes, aber unter Berücksichtigung der besonderen Umstände einer Koalitionsregierung verfolgt Knorr in seiner Arbeit. 8 Er untersucht nicht nur die koalitionsinternen parlamentarischen Binnenstrukturen, sondern auch ihre Verbindungen zur und Einflußpotentiale auf die Regierungsarbeit. Im Zentrum der Arbeit stehen der parlamentarische Entscheidungsprozeß in der Großen Koalition, die Rolle der Fraktionsfiihrungen und die Gremien, in denen die koalitionsinternen Willensbildung- und Entscheidungsprozesse ablaufen. Zu letzteren zählt er neben dem Kabinett den Kressbronner Kreis 9 und die beiden Fraktionsvorsitzenden, die er als "heimliche Nebenregierung"10 bezeichnet. Auch Brauswetter geht in seiner Studie zur ersten Regierung Brandt in einem Teilkapitel auf den Einfluß der Koalitionsfraktion auf die Regierungsarbeit ein. 11 Er betont dabei die Bedeutung der Parlamentarischen Staatssekretäre als Bindeglieder zwischen den regierungstragenden Fraktionen und der Bun-

Domes: Bundesregierung, S. 168 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Domes: Bundesregierung, S. 135. 7 Vgl. Rudolf Wildenmann: Partei und Fraktion. Ein Beitrag zur Analyse der politischen Willensbildung und des Parteiensystems in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Meisenheim am Glan 1955, S. 160 ff. R Heribert Knorr: Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen Koalition 1966 bis 1969. Struktur und Einfluß der Koalitionsfraktionen und ihr Verhältnis zur Regierung der Großen Koalition, Meisenheim am Glan 1975. 9 Der Kreßbronner Kreis war ein unter Bundeskanzler Kießinger ins Leben gerufenes informelles Gremium, dem die führenden Politiker der Koalition angehörten. Zum Hintergrund auch Kleinmann: Kleine Geschichte der CDU, S. 303 f. 10 Knorr: Der parlamentarische Entscheidungsprozeß, S. 229 ff. 11 Hartrnut Brauswetter: Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip in der ersten Regierung Brandt 1969-1972, Bonn 1976. 5 6

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B. Forschungsstand

desregierung. 12 Was den Einfluß der Fraktion auf die Bundesregierung angeht, ruhrt er aus: "Führende Mitglieder der Koalitionsfraktionen stellten aber klar, daß die Fraktion als Ganzes nur in geringem Maße Einfluß auf die einzelnen Entscheidungen der Bundesregierung hatten.,,13 So beschränkte sich beispielsweise die Funktion der SPD-Fraktion mehr oder weniger auf die Ratifizierung von Entscheidungen. Einflußnahme auf die Regierungsarbeit macht er hingegen bei den Fraktionsarbeitskreisen, ruhrenden Experten der Fraktionen und insbesondere bei der "Spitzengruppe der SPD-Fraktion" aus. 14 Im Gegensatz dazu steht, zumindest bezüglich der Bedeutung der Fraktion als Ganzes, das Selbstverständnis der Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition, das bei Brauswetter folgendermaßen charakterisiert wird: "Die Fraktionsvorsitzenden betonten die Selbständigkeit ihrer Fraktionen und ruhlten sich nicht als weisungsgebundene Einpeitscher wie in England, sondern waren gleichberechtigte Verhandlungspartner der Regierung.'d s Das Spannungsfeld von Parteien, Fraktionen und Kanzlerkandidat untersucht Dexheimer am Beispiel von Koalitionsverhandlungen rur die sechziger Jahre. Das Untersuchungsinteresse gilt der Willensbildung innerhalb der in die Verhandlungen involvierten Parteien und Fraktionen bei der Bildung einer Koalitionsregierung auf Bundesebene. Dexheimer weist ein besonderes Gewicht der Entscheidungsgremien der Partei und Parteiruhrer sowie Fraktionsruhrung bei den Personal- und Sachentscheidungen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen nach. 16 Die in diesen Studien verfolgten Ansätze verschwanden danach rur fast ein Vierteljahrhundert von der Agenda des politikwissenschaftlichen Forschungsinteresses. Erst zu Beginn der neunziger Jahre erlebten sie eine Renaissance. 17 In der Frage nach dem Entscheidungszentrum in der Bundesrepublik Deutschland wurden sie wieder aktuell. In das Wahrnehmungsfeld rückten zunehmend Strukturen der Machttarierung und Gestaltung von Entscheidungsprozessen vor allem außerhalb der formellen, in Grundgesetz und Geschäftsordnungen vorgesehenen Mechanismen. Neue Fragen wurden damit interessant: "Welche Spielregeln herrschen jenseits formaler Normen und Regeln? Sind Netzwerke der

Vgl. Brauswetter: Kanzlerprinzip, S. 140 f. Brauswetter: Kanzlerprinzip, S. 142. 14 Vgl. Brauswetter: Kanzlerprinzip, S. 142. 15 Brauswetter: Kanzlerprinzip, S. 147. 16 Wolfgang F. Dexheimer: Koalitionsverhandlungen in Bonn 1961, 1965, 1969. Zur Willensbildung in Parteien und Fraktionen, Bonn 1973. 17 Vgl. dazu Hartwich/Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1-5. 12 13

IV. Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck

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politischen Kommunikation erkennbar, die aus keinem Organisationsschema hervorgehen?,,,g Das Beziehungsgeflecht von Kanzler, Fraktion und Abgeordneten ist Gegenstand von Jägers Forschungsbeitrag. 19 Ausgehend von der These, daß seit den sechziger Jahren prozessuale Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem stattgefunden haben, die die "Handlungsspielräume sowohl der Regierung bzw. des Regierungschefs wie auch der Parlamentarier und ihrer Fraktionen,,2o begrenzten, fragt er nach Ursachen und Erklärungsmuster dieser Entwicklung. Mit dem Zwang zu Koalitionen, einem stärkeren Einfluß der Parteiorganisationen und einer zunehmenden Moralisierung der Politik benennt er drei Faktoren als Antworten. Wichtig ist für ihn bei der Analyse des Regierens, neben dem Verhältnis Regierungschef-Mehrheitsfraktion auch die Einflußmöglichkeiten der Partei miteinzubeziehen. 21 Unter der zentralen Frage "Wer regiert die Deutschen?" analysiert Jäger in einer jüngeren Studie diese Aspekte vertiefend. 22 Nach der politischen Führung in der parlamentarischen Demokratie fragt auch der Politikwissenschaftler Oberreuter in seiner Untersuchung. 23 Ausgehend von der Feststellung, daß die Führungspraxis im Zusammenspiel von Parlament und Regierung nicht aufgeklärt sei/4 unternimmt er unter Einbeziehung auch des Akteurs Partei eine Annäherung an die Führungsfrage. Die Frage nach der politischen Führung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung, nach der Regierungspraxis im politischen System der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise danach, wer regiert, ist auch der Kern der Studie von Graß, die sich explizit mit dem komplexen Verhältnis von

18 Karl-Rudolf Korte: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, in: Manfred MolslHans-Joachim LauthiChristian Wagner (Hrsg.): Politikwissenschaft. Eine Einführung, 2. erw. Aufl. Paderbom 1996, S. 84 f. 19 Wolfgang Jäger: Eine Lanze für den Kanzlerwahlverein. Zum Verhältnis von Kanzler, Fraktion und Abgeordneten im Wandel der Parteiendemokratie, in: Manfred Mols u. a. (Hrsg.): Normative und institutionelle Ordnungsprobleme des modemen Staates. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Hättisch am 12. Oktober 1990, Paderborn u. a. 1990, S. 96-110. 20 Jäger: Eine Lanze für den Kanzlerwahlverein, S. 99. 21 Dazu Wolfgang Jäger: Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie, in: Zeitschrift für Politik, H. 1, 1988, S. 29. 22 Wolfgang Jäger: Wer regiert die Deutschen?, Zürich 1994. 23 Heinrich Oberreuter: Politische Führung in der parlamentarischen Demokratie, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 159-174; ergänzend ders.: Entmachtung des Bundestages durch Vorentscheider auf höchster Ebene?, in: Hermann Hili (Hrsg.): Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 56. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1988 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1989, S. 121-139. 24 Oberreuter: Politische Führung, S. 159. 4 Gros

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B. Forschungsstand

Partei, Fraktion und Regierung beschäftigt?5 In einem Dreieck, das die genannten Akteursgruppen bilden, verortet er die Kulmination der politischen Macht in der Demokratie. 26 Das Beziehungsgeflecht wird sowohl aus den Perspektiven von Partei, Fraktion und Regierung sowie von unterschiedlichen Ebenen (rechtlich, organisatorisch, personell) aus betrachtet. Jahrelange eigene politische Erfahrungen als Chef des Bundeskanzleramtes beziehungsweise als Staatssekretär bringt auch Schreckenberger in seine Studien mitein. 27 Er leuchtet informelle Entscheidungsstrukturen zwischen den Akteuren Partei, Fraktion und Regierung vor allem tUr die achtziger Jahre aus. Ein Schwergewicht liegt dabei auf der Bedeutung der Koalitionsrunden in diesem Beziehungsgeflecht. Hinsichtlich der Spitzenpolitiker der regierungstragenden Parteien konstatiert er eine Mediatisierungsfunktion, die diese tUr Regierung, Parlament und Parteien einnehmen. 28 Auf die Bedeutung der Koalitionsgremien weist ebenfalls Rudzio hin. 29 Er kommt zu dem Ergebnis, daß "eine Integration von tUhrenden Kabinettsmitgliedem, Spitzen der Koalitionsfraktionen und -parteien (in informelle Entscheidungszentren/d. Verf.) durchaus in der Logik parlamentarischer Regierung mit ihrer Konfrontierung von Mehrheit und Opposition,,30 liegt. Innerhalb der parlamentarischen Mehrheit nimmt die Regierung eine besondere Funktion ein. In der Zusammenarbeit zwischen Fraktion und Regierung ist "die Bundesregierung als das gesetzes initiierende Organ der Mehrheit zu begreifen,,3!. Zu diesem Ergebnis kommt auch Beyme. Er konstatiert: "Die Entscheidung im parlamentarischen Raum zeigt die Regierung als den wichtigsten Initiator von Gesetzesentwürfen.,,32 Schäfer formuliert noch deutlicher, wenn er feststellt, "daß die Regierung de facto die Führung der Parlamentsmehrheit,,33 ist. Gleichzeitig sind aber - wie Schäfer in einem weiteren Beitrag schreibt Bundeskanzler und -regierung genausowenig reine Vollzugsorgane des Parlaments, wie sie die Mehrheitsfraktion zur Unterstützung ihrer Politik zwingen

GraB: Partei, Fraktion, Regierung, S. 549-56l. Vgl. GraB: Partei, Fraktion, Regierung, S. 549. 27 Schreckenberger: Der Regierungschef, S. 603-614; ders.: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 133-157; ders.: Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung, S. 329-346. 28 Vgl. Schreckenberger: Der Regierungschef, S. 605; ausführlich auch Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem. 29 Rudzio: Informelle Entscheidungsmuster in Bonner Koalitionsregierungen, S. 125-141; ergänzend ders.: Die Regierung der informellen Gremien. Zum Bonner Koalitionsmanagement der sechziger Jahre, in: Rudolf Wildenmann (Hrsg.): Sozialwissenschaftliches Jahrbuch für Politik, Bd. 3, München/Wien 1972, S. 339-366. 30 Rudzio: Informelle Entscheidungsmuster, S. 139. 3! Rudzio: Das politische System, S. 260 (Hervorhebung im Original). 32 Beyme: Der Gesetzgeber, S. 363. 33 Schäfer: Der Bundestag, S. 14. 2S

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IV. Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung im Machtdreieck

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können. 34 Damit wird ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Regierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit angedeutet. Der Verhinderung oder dem Abbau möglicher Konflikte in diesem Beziehungsgeflecht dient eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung (Regierungschef) und Fraktion (FraktionsfUhrung), wie sie beispielsweise in der Teilnahme von fUhren den Fraktionsvertretem an Kabinettsitzungen ihren Ausdruck findet. Schäfer weist weiterhin auf ein seiner Ansicht nach notwendiges positives Beziehungsverhältnis zwischen Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzendem hin: "Der Bundeskanzler bedarf, um erfolgreich sein zu können, der guten Zusammenarbeit mit seiner Fraktion [... ] Zwischen Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzendem sollte kein Rivalitätsverhältnis bestehen. ,,35 Dies um so mehr, als der Kanzler legt man die formalen Strukturen des politischen Systems zugrunde - auf die Unterstützung des FraktionsfUhrers bei der Organisation der Fraktion angewiesen scheint. Sontheimer dagegen sieht die Gewichtungen anders. Er kommt zur Feststellung, daß die Machtstellung des Fraktionsvorsitzenden wesentlich "von der Autorität und Ausstrahlungskraft des jeweiligen Bundeskanzlers,,36 abhängt. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich in der Realität nicht letztlich eine Synthese beider Interpetationen zeigt. Eine Antwort auf diese Frage soll der Analysearbeit in Kapitel D vorbehalten bleiben.

34 Vgl. Friedrich Schäfer: Verantwortung der Mehrheitsfraktionen für die Handlungsfähigkeit des Staates, in: Hartmut Klatt: Der Bundestag im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1980, S. 117. 35 Schäfer: Der Bundestag, S. 33; als Negativbeispiel führt Schäfer das Verhältnis zwischen Bundeskanzler Erhard und dem Fraktionsvorsitzenden Barzel an; vgl. ebd. 36 Kurt Sontheimer: Grundzüge des politischen Systems der neuen Bundesrepublik Deutschland, München/Zürich 1993, S. 251.

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B. Forschungsstand

v. PolitikgestaItung in der Finanz-, Deutschlandund Umweltpolitik

Im Mittelpunkt der nachfolgenden Kapitel steht ein Überblick über den politikwissenschaftlichen Forschungsstand zur Politikgestaltung im Bereich der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik. Für alle drei Politikfelder wurde eine Erfassung des ereignisorientierten und prozeßorientierten Forschungsstandes für den Untersuchungszeitraum angestrebt.

1. Finanzpolitik

Nur begrenzt war die Analyse der Finanzpolitik der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland bisher Gegenstand politikwissenschaftlicher Betrachtungen. Ökonomische Analysen überwiegen. I Einen kursorischen Überblick über Ziele und Inhalte der Steuerreformen der achtziger Jahre findet man bei Ande1. 2 Das Gewicht der Studie liegt dabei auf einer policy-bezogenen Bewertung aus Sicht des FinanzwissenschaftIers. Politikwissenschaftliche Aspekte, die für den Fragehintergrund dieser Arbeit relevant wären, bleiben weitgehend ausgeblendet. Eine etwas umfangreichere Beleuchtung der Finanzpolitik, ihrer Akteure und Bestimmungsfaktoren bietet aus politikwissenschaftlicher Sichtweise der Sammelband von Hartwich/Wewer. 3 Wenngleich der Blick stark auf den deutschen Einheitsprozeß gerichtet ist, beinhaltet er dennoch für die vorliegende Studie brauchbare Untersuchungen. So weist Rohwer4 in seinem Beitrag auf

I Hier seien die nicht nur als Materialsammlung idealen, sondern auch zur Bildung von fakten orientiertem Hintergrundwissen bestens geeigneten wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hervorgehoben. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1982/83 ff., StuttgartlMainz 1982 ff. Fakten finden sich auch in: Bundesministerium der Finanzen: Finanzbericht 1983 ff., Bonn 1982 ff. 2 Norbert Andel: Die Steuerreformen der 80er Jahre. Erreichtes und Aufgeschobenes, in: Dieter Döring/Paul Bemd Spahn (Hrsg.): Steuerreform als gesellschaftspolitische Aufgabe der neunziger Jahre, Berlin 1990, S. 23-39. 3 Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 4: Finanz- und wirtschaftspolitische Bestimmungsfaktoren des Regierens im Bundesstaat - unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vereinigungsprozesses, Opladen 1992. 4 Bemd Rohwer: Regieren als Sicherung finanzpolitischer Handlungsspielräume (Steuerpolitik, Finanzausgleich und Kreditaufnahmen), in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 4: Finanz- und wirt-

V. Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik

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die starke Stellung des Finanzministers im Kabinett hin. In einer weiteren Studie untersucht Krupp5 detailliert dessen Handlungsspielräume. Gemeinsam ist jenen Studien aber, daß sie keine tiefergehenden Aufschlüsse über Inhalte und Interessenlagen der fiir diese Untersuchung relevanten Akteursgruppen hinsichtlich der Gestaltung der Finanzpolitik in den achtziger Jahren bieten. Hier kann die umfassende Arbeit von Horst6 zumindest in Teilbereichen weiterhelfen. Komparativ angelegt, beschreibt und analysiert er in seiner Studie den haushaltspolitischen Entscheidungsprozeß in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Ausleuchtung finanzpolitischer Entscheidungsprozesse liefert er neben Interessen und Motiven der Akteure Aufschlüsse über Akteursgewichtung und Zusammenspiel von Bundesregierung, Regierungsparteien sowie den Fraktionen des Bundestages. Er konstatiert eine entscheidungspräjudizierende Funktion der Großen Koalitionsrunde für Kabinett und Fraktionen. Allerdings stellt er auch relativierend fest, daß "insbesondere bei politisch besonders heiklen Fragen [... ] die Koalitionsrunde nicht [entschied/d. Verf.], ohne vorher die Fraktionsexperten in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen.,,7 Ebenfalls eine Arbeit auf der Basis eines vergleichenden Ansatzes hat Sturm zum haushaltspolitischen Entscheidungsprozeß vorgelegt. 8 Die haushaltspolitischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Legislative werden ebenso analysiert wie die im Exekutivbereich. Dabei konstatiert Sturm, daß der haushaltspolitische Handlungsspielraum des Finanzministers "von der Person des Amtsinhabers und dessen Unterstützung durch die Regierungsfraktionen im Parlament abhängig ist".9 Er mißt der Exekutive im Bereich des haushaltspolitischen Entscheidungsgefiiges eine vorstrukturierende Rolle zu. JO Aus der Sicht

schaftspolitische Bestimmungsfaktoren des Regierens im Bundesstaat - unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vereinigungsprozesses, Opladen 1992, S. 47-60. 5 Hans-Jürgen Krupp: Der Finanzminister und sein Handlungsspielraum, in: HansHermann Hartwich/Göttrik Wewer: Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 4: Finanz- und wirtschaftspolitische Bestimmungsfaktoren des Regierens im Bundesstaat - unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vereinigungsprozesses, Optaden 1992, S. 6173. 6 Patrick Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich des haushaltspolitischen Entscheidungsprozesses beider Bundesrepubliken zu Zeiten der konservativen Regierungen Reagan/Bush (1981-92) und Kohl (1982-93), Frankfurt a. M. 1995. 7 Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis, S. 420. 8 Roland Sturm: Haushaltspolitik in westlichen Demokratien: ein Vergleich des haushaltspolitischen Entscheidungsprozesses in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA, Baden-Baden 1989. 9 Sturm: Haushaltspolitik, S. 146. 10 U. a. in Roland Sturm: Die Rolle von Haushaltsausschuß und Parlament in international vergleichender Perspektive, in: Heinrich Mäding (Hrsg.): Haushaltsplanung, Haushaltsvollzug, Haushaltskontrolle, Baden-Baden 1987, S. 79.

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B. Forschungsstand

des Parlaments formuliert, kommt Lange zu demselben Ergebnis. 11 So stellt er fest, daß das Parlament auf die Formulierung eines politischen Willens und "entscheidende(n) haushaltspolitische(n) Vorgaben rur Regierung und Verwaltung" 12 verzichtet. Oberreuter weist in diesem Zusammenhang allerdings in seinem Beitrag darauf hin, daß "politisch-intentionale Übereinstimmung nicht [bedeutetld. Verf.], daß sich die Mehrheitsabgeordneten widerspruchslos den Direktiven ihres Kabinetts beugen. Sie beanspruchen konkrete Mitbestimmung.,,13 Auf die besondere Funktion parlamentarischer Kontrolle in diesem Politikfeld macht Mandelartz aufmerksam. 14 Kontrolle umfaßt dabei neben einer Überwachungs- auch eine Verantwortlichkeits-, Transparenz-, Legitimations- und Integrationsfunktion. 15 Gleichzeitig stellt er aber auch fest, daß die "parlamentarische Mitregierung in der Form der mitwirkenden Kontrolle [... ] lediglich dazu [führtld. Verf.], daß Kontrollmittel der Parlamentsmehrheil nicht eingesetzt werden können und politische Verantwortungsstrukturen verwischt werden". 16 Eine zunehmende Auswanderung finanzpolitischer Kompromißfindung aus Verfassungsorganen in die Führungsgremien insbesondere der größten Regierungspartei, der CDU, legt Mäding u. a. anhand des Finanzausgleichgesetzes von 1987 dar. 17 Auch Böttcher und Renzsch kommen in ihren Studien zu dieser Erkenntnis. 18 Knappe, faktenorientierte Ablaufskizzen und Bewertungen finanzpolitischer Entscheidungen und Maßnahmen zwischen 1982 und 1989 finden sich bei

11 Hermann Lange: Die Rolle der Verwaltung bei der Aufstellung des Haushalts, in: Heinrich Mäding (Hrsg.): Haushaltsplanung, Haushaltsvollzug, Haushaltskontrolle, Baden-Baden 1987, s. 51-67. 12 Lange: Die Rolle der Verwaltung, S. 56. 13 Heinrich Oberreuter: Positionsbehauptungen des Parlaments im Haushaltsprozeß, in: Klaus RoselKurt Faltlhauser (Hrsg.): Die Haushälter. Ist die Zukunft finanzierbar?, Köln 1990, S. 131. 14 Herbert Mandelartz: Zur sogenannten "mitwirkenden" Kontrolle, insbesondere beim Haushaltsvollzug, in: Zeitschrift flir Parlamentsfragen, H. I, 1982, S. 7-20. 15 Detailliert Mandelartz: Zur sogenannten "mitwirkenden" Kontrolle, S. 11-14; ähnlich, wenn auch weniger umfassend, Werner Heun: Parlamentarische Haushalts- und Finanzkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland, in: Klaus RoselKurt Faltlhauser (Hrsg.): Die Haushälter. Ist die Zukunft finanzierbar?, Köln 1990, S. 152 f. 16 Mandelartz: Zur sogenannten "mitwirkenden" Kontrolle, S. 19 (Hervorhebung im Original). 17 Heinrich Mäding: Autonomie und Abhängigkeiten in finanzpolitischen Entscheidungsprozessen im föderativen Staat: das Beispiel Strukturhilfe, in: Politische Vierteljahresschrift, H. 4, 1990, S. 567-584. 18 Hans-Ernst Böttcher: Wir brauchen eine neue Finanzverfassung, in: Zeitschrift flir Rechtsfragen, H. 9, 1989, S. 340-344; Wolfgang Renzsch: Föderale Finanzbeziehungen im Parteienstaat, in: Zeitschrift flir Parlamentsfragen, H. 3, 1989, S. 331-345.

V. Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik

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Grosser und Niclauß.\9 Einen Insider-Bericht zu Inhalten und Problemfeldern der fmanzpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung stellt die Arbeit von Stoltenberg dar?O Aus der Insider-Perspektive eines ehemaligen Bundesministers der Finanzen skizziert er rückblickend detailreich Bonner Politikpraxis. Insgesamt kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß das fmanzpolitisehe Ereignisprofil der Jahre 1982-1989 im Sinne des hier verfolgten Untersuchungsansatzes bisher nicht analysiert wurde. Detaillierte, empirisch ausgerichtete Fallstudien zum Themenfeld der Finanzpolitik wurden aus politikwissenschaftlicher Sicht zu den hier relevanten Untersuchungsaspekten nicht vorgelegt. Finanzpolitik wird zudem vor allem in einer Reduktion auf Haushaltspolitik wahrgenommen.

2. Deutschlandpolitik Über vierzig Jahre war Deutschland geteilt. Die innerdeutschen Beziehungen unterlagen in der Wahrnehmung ost- wie westdeutscher Politiker, aber auch der Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands, Schwankungen, rückten aber nie ganz aus dem Betrachtungsfeld?\ Aufmerksam wurden Veränderungen im innerdeutschen Beziehungsgeflecht vor allem in den achtziger

\9 Dieter Grosser: Soziale Marktwirtschaft - Soziale Sicherheit: Erfahrungen in der Bundesrepublik - Perspektiven im wiedervereinigten Deutschland, Meile 1993, S. 32 ff.; ders.: Die CDU/CSUIFDP-Koalition 1982-1989. Politische Ziele, Wandel der Rahmenbedingungen, Ergebnisse, in: Ders./Stephan Bierling/Beate Neuss (Hrsg.): Bundesrepublik und DDR 1969-1990, Stuttgart 1996, S. 110 f.; ergänzend ders.: Die Wirtschaftspolitik. Grundzüge und Probleme, in: Bundeszentrale flir politische Bildung (Hrsg.): Bundesrepublik Deutschland. Geschichte, Bewußtsein, Bonn 1989, S. 82-86; Niclauß: Kanzlerdemokratie (1988), S. 222 f. 20 Gerhard Stoltenberg: Wendepunkte. Stationen deutscher Politik 1947 bis 1990, Stuttgart 1997, S. 277-307. 2\ Umfassend Manuela G1aab: Deutschlandpolitik in der öffentlichen Meinung. Einstellungen und Regierungspolitik in Westdeutschland 1949 bis 1990, Opladen 1998; ergänzend. z. B. Anne Köhler: Nationalbewußtsein und Identitätsgeflihl der Bürger der DDR unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Frage, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Bd. V/2: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-Baden 1995, S. 1636-1675; Peter Förster: Die deutsche Frage im Bewußtsein der Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands. Das Zusammengehörigkeitsgeflihl der Deutschen. Einstellungen junger Menschen in der DDR, in: Ebd., S. 1212-1380; Werner WeidenfeldIManuela Glaab: Die deutsche Frage im Bewußtsein der Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands. Das Zusammengehörigkeitsgeflihl der Deutschen - Konstanten und Wandlungen. Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung 1945/49-1990, in: Ebd. Bd. V,3: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden·Baden 1995, S. 2798-2962.

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B. Forschungsstand

Jahren registriert?2 Deutschlandpolitik als Themenfeld im oben definierten Sinne ist mit dem staatsrechtlichen Vollzug der deutschen Einheit zum 3. Oktober 1990 von der Agenda des politischen Alltags verschwunden. Die zeitgeschichtliche Aufarbeitung dieses Politikfeldes setzte verstärkt ein. Eine umfassende Dokumentation wissenschaftlicher Analysen zur Deutschlandpolitik - allerdings mit einem Schwergewicht auf Aspekten, die die inneren Belange der DDR betreffen - sowie Zeitzeugenberichte west- und ostdeutscher Regierungsakteure finden sich in dem achtzehnbändigen Materialienkompendium der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", die der Deutsche Bundestag in der 12. Wahlperiode eingesetzt hatte. 23 Ergänzt durch mittlerweile zahlreiche Editionen ostdeutscher Regierungs- und Parteidokumente24 läßt sich damit ein deutschlandpolitisches Mosaik in erster Linie aus DDR-Sicht zusammensetzen. Auf der Basis von Funden in der "Stiftung Archiv Parteien- und Massenorganisationen" im Bundesarchiv wurden in diesen Editionen einst vertrauliche ostdeutsche Gesprächsdokumente zusammengestellt und kommentiert. So werden beispielsweise Telefonate und Gespräche Kohls und Honeckers ebenso dokumentiert wie die Zusammentreffen Honeckers und anderer hochrangiger SEDMitglieder mit führenden westdeutschen Politikern von CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen. Westdeutsche Dokumente zur Deutschlandpolitik finden sich in den weitgehend unkommentierten Materialiensammlungen des Bun-

22 Dazu auch Karl-Rudolf Korte: Der Standort der Deutschen. Akzentverlagerungen der deutschen Frage in der Bundesrepublik Deutschland seit den siebziger Jahren, Köln 1990; ergänzend Werner Weidenfeld (Hrsg.): Nachdenken über Deutschland, Köln 1985; ders. (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein der Deutschen, Köln 1987; ders. (Hrsg.): Politische Kultur und deutsche Frage, Köln 1989. 23 Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Baden-Baden 1995. Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem die Bände V, 1-3 von Bedeutung. 24 Siehe Daniel Küchenmeister (Hrsg.): Honecker-Gorbatschow. Vieraugengespräche, Berlin 1993; Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.): Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Interne Dokumente zum Zerfall von SED und DDR 1988/1989, Berlin 1994; DetlefNakath/Gerd-Rüdiger Stephan: Von Hubertusstock nach Bonn. Eine dokumentierte Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen auf höchster Ebene 1980-1987, Berlin 1995; dies.: Countdown zur deutschen Einheit. Eine dokumentierte Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen 1987-1990, Berlin 1996; Heinrich Potthoff: Die "Koalition der Vernunft". Deutschlandpolitik in den 80er Jahren, München 1995. Ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden Einzelakten und Aufzeichnungen aus dem Bestand der DDR-Staats- und SED-Parteileitung über Treffen mit westdeutschen Regierungs- und Partei akteuren in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission, Bd. V,3: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-Baden 1995, S. 2513-2571; Deutscher Bundestag: Beschlußempfehlung und Bericht des I. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes. Anlagenband 3, Drucksache 12/7600.

V. Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik

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desministeriums für innerdeutsche Beziehungen. 25 Die genannten Editionen haben ein deutliches Schwergewicht auf der Dokumentation gouvernementalen HandeIns. Aktivitäten von CDU-Spitzenakteuren, die nicht in der Regierungsverantwortung standen, oder von Angehörigen der Unionsfraktionen sind nur am Rande erfaßt. Entsprechend konnten nur Aktenrudimente unmittelbar in die Untersuchung einfließen. Als Hintergrundinformation und für die Vergegenwärtigung des politischen Klimas zwischen beiden deutschen Staaten sind sie dennoch von hohem Wert. Eine umfassende Darstellung des Regierungshandelns und des persönlichen Führungsstils von Bundeskanzler Helmut Kohl am Beispiel der Deutschlandpolitik im Zeitraum 1982-1989 findet sich in der bereits erwähnten Arbeit von Korte?6 Detailliert werden rund sieben Jahre deutschlandpolitischer Entwicklung auf der Basis eines privilegierten Zugangs zu westdeutschen Regierungsakten nachgezeichnet und analysiert. Aus dieser Untersuchung gouvernementaler Entscheidungsprozesse und der Aufarbeitung des deutschlandpolitischen Akteurs- und Ereignisgeflechts können, trotz der analytischen Zuspitzung auf das deutschlandpolitische Regierungshandeln des Bundeskanzlers, wertvolle Aufschlüsse für den politischen Entscheidungsprozeß im Machtdreieck von Parteiführungsgremien, Unionsfraktion im Deutschen Bundestag und Bundesregierung gewonnen werden. Mit deutschlandpolitischen Entscheidungsprozessen der Bundesregierungen im Zeitraum 1982-1989 und der Einordnung parteipolitischer Diskussionen beschäftigt sich auch der Aufsatz von Jäger. 27 Eine - wenn auch knappe - Übersicht über die Deutschlandpolitik der CDU/CSU zwischen 1982 und 1989 bieten der Aufsatz von Hacke sowie die Beiträge von Korte und Zimmer. 28 Während Korte in erster Linie die deutschlandpolitische Programmatik der CDU beleuchtet, stehen in Hackes und Zimmers Beiträgen faktenorientierte Überblicksdeskriptionen im Vordergrund. Wenig neue Aufschlüsse zur Deutschlandpolitik im Untersuchungszeitraum 25 Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik Reihe III. Bd. 1-7, Bonn 1985 ff.; außerdem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Innerdeutsche Beziehungen. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1980-1986. Eine Dokumentation, Bonn 1986. 26 Korte: Deutschlandpolitik. 27 Wolfgang Jäger: Die Deutschlandpolitik der Bundesregierungen der CDU/CSUFDP-Koalition (Kohl-Gen scher), die Diskussion in den Parteien und in der Öffentlichkeit 1982-1989, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission. Bd. V/2: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-Baden 1995, S. 1572-1611. 28 Christian Hacke: Deutschlandpolitik der CDU/CSU, in: Werner WeidenfeldlKarlRudolf Korte (Hrsg.): Handwärterbuch zur deutschen Einheit, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 191-201; Korte: Die Chance genutzt?, S. 19-23; Matthias Zimmer: Deutschlandpolitik von Adenauer bis Kohl, in: Karl-Rudolf Korte/Matthias Zimmer: Der Weg zur deutschen Einheit, Sankt Augustin 1994, S. 31-36.

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B. Forschungsstand

kann der Beitrag von Clemens bieten, denn der Schwerpunkt der Studie liegt vor allem auf der Zeit vor 1982?9 Eine analytische Fortschreibung seiner Arbeit zur christdemokratischen Deutschlandpolitik bis zur Wiedervereinigung hat Clemens jedoch in einem Occasional Paper des German Historical Institute vorgenommen. 30 Programmatische Positionen der Bundestagsparteien sind in dem Band von Brocke dokumentiert. 3l Neben einer Einfiihrung findet sich hier die synoptische Zusammenstellung deutschlandpolitischer Positionen fiir die erste Hälfte des Analysezeitraums dieser Untersuchung. Akteurspezifische Betrachtungen spielen dagegen bei Brocke ebensowenig eine Rolle wie in Zimmers Darstellung der Deutschlandpolitik in den achtziger Jahren. 32 Wenn Zimmer auch Fragestellungen zum deutschlandpolitischen Entscheidungsprozeß ausblendet, so gibt er doch eine wertvolle Analyse christlich-demokratischer deutschlandpolitischer Programmatik in den achtziger Jahre und eine Einordnung der Deutschlandpolitik in die Bedingungen des Ost-West-Konflikts. Gleichzeitig bietet diese Arbeit einen Überblick über das deutschlandpolitische Ereignisprofil der achtziger Jahre. Eine detaillierte Bestandsaufnahme der programmatischen Positionen von Parteien und Einzelakteuren und die zu beobachtenden Akzentverschiebungen bietet Roos in seiner Arbeit zum Stellenwert des Wiedervereinigungsgebots des Grundgesetzes 33 • Die deutschlandpolitische Konzeption der von Kohl gefiihrten Bundesregierung rekonstruiert Fröhlich in seiner detaillierten Analyse der Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. 34 Neben den genannten, auf akteursspezifische oder programmatische Aspekte ausgerichteten Arbeiten liegen vor allem Publikationen vor, die den deutschlandpolitischen Erei~nisstrang in den achtziger Jahren verstärkt themenorientiert dokumentieren. 5 Eine Fokussierung des deutschlandpolitischen EntscheiClemens: Reluctant Realists. Clay Clemens: CDU-Deutschlandpolitik and Reunification 1985-1989, Occasional Paper No. 5, Washington 1992. 31 Rudolf Horst Brocke: Deutschlandpolitische Positionen der Bundestagsparteien, Erlangen 1985. 32 Matthias Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson. Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl 1982-1989, Paderborn u. a. 1992. 33 Sören Roos: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in der deutschen Kritik zwischen 1982 und 1989, Berlin 1996. 34 Manuel Fröhlich: Sprache als Instrument politischer Führung. Helmut Kohls Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, München 1997. 35 So z. B. Ernst Martin: Zwischenbilanz. Deutschlandpolitik der 80er Jahre, Stuttgart 1986; Joachim Nawroki: Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland, Berlin 1986; Ting-Fu Hung: Die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung Kohl/Genscher in den Jahren 1984/85. Unter besonderer Berücksichtigung der Diskussion um die Offenheit der deutschen Frage, München 1989; Wilhelm Bruns: Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik. Prämissen, Probleme, Perspektiven, Opladen 1989; Timothy Garton Ash: Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Konti29

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dungs- und Abstimmungsprozesses in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt in diesen Publikationen in der Regel jedoch nicht. Neben diesen Veröffentlichungen fmden sich weitere Überblicksaufsätze und Teilkapitel zur Deutschlandpolitik in Sammelbänden und Gesamtdarstellungen. 36 Sie haben sowohl die Entwicklung des innerdeutschen Verhältnisses als auch außen- und sicherheitspolitische Aspekte der Deutschlandpolitik zum Gegenstand. Aufschlüsse über partei-, fraktions- und regierungsinteme Diskussionen zum Themenfeld Deutschlandpolitik können programmatische Arbeiten 37 und veröffentlichte Memoiren beteiligter Politiker beziehungsweise Biographien zum politischen Wirken zentraler Akteure bieten. Weiterruhrende Aufschlüsse bieten vor diesem Hintergrund die von Filmer/Schwan und Reitz zum politischen Schaffen von Wolfgang Schäuble vorgelegten Publikationen38 genauso wie die Arbeiten von John, Mengel und Bickerich. 39 Gleiches gilt rur die zu Kohl vornent, München/Wien 1993; Elizabeth Pond: Beyond the Wall. Germany's Road to Unification, Washington 1993; Fred Oldenburg: Das Dreieck Moskau-Ost-Berlin-Bonn. Aus den Akten des SED-Archivs, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche Studien, Nr. 54, 1994. 36 Helga Haftendorn: Sicherheit und Stabilität. Außenbeziehungen der Bundesrepublik zwischen Ölkrise und Nato-Doppelbeschluß, München 1986; Thomas Jäger: Neue Wege in der Deutschlandpolitik? Darstellung und Analyse alternativer deutschland-, europa- und weltpolitischer Strategien, Erlangen 1986; Christian Hacke: Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Werner WeidenfeldlHartmut Zimmermann (Hrsg.): Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949-1989, Bonn 1989, S. 535-550; Johannes Kuppe: Die deutsch-deutschen Beziehungen aus der Sicht der DDR, ebd., S. 551-567; Friedbert Pflüger: Deutschlandpolitik 1982-1990, in: Werner WeidenfeldlKarl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handwörterbuch zur Deutschen Einheit, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 183-191; Johannes Kuppe: Die Deutschlandpolitik der DDR, in: Werner WeidenfeidIKarl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit, Frankfurt a. M./New York 1993, S. 182-196; Christi an Hacke: Weltmacht wider Willen. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, akt. u. erw. Ausgabe Frankfurt a. M./Berlin 1993; Wolf D. Gruner: Die deutsche Frage in Europa 1800 bis 1990, München 1993; Jens Hacker: Deutsche Irrtümer - Schönflirber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, 3. Aufl. BerlinIFrankfurt a. M. 1993; Jens Hacker: Die Ostpolitik der konservativen Bundesregierung seit dem Regierungsantritt 1982, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14, 1994, S. 16-26; Wolfram Hanrieder: Deutschland, Europa, Amerika. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Paderborn 1995; Dietrich Thränhard: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, erw. Neuausgabe Frankfurt a. M. 1996; Peter Bender: Die 'Neue Ostpolitik' und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Vereinigung, 3. überarb. und erw. Neuaufl. München 1995; ders.: Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland, München 1996. 37 SO Z. B. Alfred Dregger: Der Vernunft eine Gasse. Politik für Deutschland. Reden und Aufsätze, München 1986; Bernhard Friedmann: Einheit statt Raketen. Thesen zur Wiedervereinigung als Sicherheitskonzept, Herford 1987. 38 Werner Filmer/Heribert Schwan: Wolfgang Schäuble. Politik als Lebensaufgabe, München 1994; Ulrich Reitz: Wolfgang Schäuble. Die Biographie, Bergisch Gladbach 1996. 39 Antonius lohn: Rudolf Seiters. Einsichten in Amt, Person und Ereignisse, Bonn/Berlin 1991; Hans-Peter Mengele: Wer zu Späth kommt... Baden-Württembergs

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B. Forschungsstand

gelegten Biographien. 40 Details zum deutschlandpolitischen Ereignisprofil sowie dem Politikgestaltungsprozeß im Machtdreieck von Partei, Fraktion und Regierung finden sich ferner in den Memoiren von Barzel, Ackermann, Plück und Strauß. 41

3. UmweItpolitik Umweltpolitik rückt zunehmend in das Wahrnehmungsprofil politikwissenschaftlicher Analysen. Dies hängt nicht zuletzt mit der Bedeutung zusammen, die umweltpolitische Fragen in politischen Debatten und innerhalb der konkreten Politikgestaltung einnehmen. 42 Im Vordergrund stehen dabei allerdings vor allem die Erarbeitung und Analyse von Zielen, Prinzipien und Steuerungsformen der Umweltpolitik sowie die Bewertung implementierter umweltpolitischer Maßnahmen. 43

außenpolitische Rolle in den Umbruch-Jahren, Tübingen/Stuttgart 1995; Manfred Behrend: Franz Josef Strauß. Eine politische Biographie, Köln 1995; Wolfgang Krieger: Franz Josef Strauß. Der Barocke aus Bayern, Göttingen/Zürich 1995; Wolfram Bickerich: Franz Josef Strauß. Die Biographie, Düsseldorf 1996. 40 Reinhard Appel: Kohl im Spiegel seiner Macht, Bonn 1990; Oskar Fehrenbach: Helmut Kohl - wer sonst?, München 1990; Werner Maser: Helmut Kohl. Der deutsche Kanzler, Berlinl Frankfurt a. M. 1990; Werner Filmer/Heribert Schwan: Helmut Kohl, 4. Aufl. Düsseldorf 1990; Alexander Gauland: Helmut Kohl. Ein Prinzip, Berlin 1994; Wolfram Bickerich: Der Enkel. Analyse der Ära Kohl, Düsseldorf 1995; Karl Hugo Pruys: Helmut Kohl. Die Biographie, Berlin 1995; Jürgen Busche: Helmut Kohl. Anatomie eines Erfolgs, Berlin 1998; Klaus Dreher: Helmut Kohl. Leben mit Macht, Stuttgart 1998; Jürgen Leinemann: Helmut Kohl. Die Inszenierung einer Karriere, Berlin 1998; Patricia Clough: Helmut Kohl. Ein Portrait der Macht, München 1998; auch Kai DiekmannlRalf Georg Reuth: Helmut Kohl. Ich wollte Deutschlands Einheit, Berlin 1996. 41 Rainer Barzel: So nicht. Für eine bessere Politik in Deutschland, Düsseldorf/Wien 1994; Eduard Ackermann: Mit feinem Gehör. Vierzig Jahre in der Bonner Politik, Bergisch Gladbach 1994; ders.: Politiker. Vom richtigen und falschen Handeln, Bergisch Gladbach 1996; Kurt Plück: Der schwarz-rot-goldene Faden. Vier Jahrzehnte erlebter Deutschlandpolitik, Bonn 1997; Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen, Berlin 1989. 42 Auf die Bedeutung der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland weist Hillenbrand hin. Er führt dafür drei Gründe an: Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil; Vorhandensein materieller Voraussetzungen, um Umweltschutz betreiben zu können; Durchsetzung von Umweltmaßnahmen aufgrund hohem Organisationsgrad der Administration, vgl. Olaf Hillenbrand: Europaöko-Iogisch? Wirkungs- und Störfaktoren der europäischen Umweltpolitik, Bonn 1994, S. 120; ergänzend ders.: Umweltpolitik, S. 657 f. 43 Zum Überblick Volker von Prittwitz (Hrsg.): Umweltpolitik als Modernisierungsprozeß. Politikwissenschaftliche Umweltforschung und -lehre in der Bundesrepublik, Opladen 1993; auch Jochen Hucke: Politik für die Umwelt. Entwicklung eines neuen Politikfeldes und die Problembereiche, in: Politische Bildung, H. 2, 1991, S. 382398.

v. Politikgestaltung in der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik

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Eine umfangreiche Darstellung zum Aufbau des Bundesumweltministeriums bieten Mertes und Müller. 44 Aus der Sicht unmittelbar Betroffener stellen sie nicht nur die Gründungsgeschichte, sondern auch detailreich Herausforderungen und Aufgabenschwerpunkte eines Ministeriums dar, das in der Bonner Politpraxis seinen Platz erst noch suchen mußte. Die umweltpolitische Arbeit der Bundesregierung in den Jahren 1982 bis 1986 stellt Zimmermann in seinen biographischen Aufzeichnungen dar. 4s Ein knappe Skizze des umweltpolitischen Ereignisprofils und eine Markierung der zentralen Etappen in den Jahren zwischen 1982 und 1989 bieten zudem Grosser und Schütze. 46 Eine umfassende Untersuchung der Voraussetzungen, Inhalte und Ergebnisse sowie parteiinternen Diskussionen christdemokratischer Umweltpolitik liegt dagegen bisher ebensowenig vor wie eine Untersuchung zur Politik der Regierung Kohl. Die Studie von Posse 47 zur Untersuchung der umweltpolitischen Politikverflechtung im Föderalismus kann hier ebensowenig Abhilfe - zumal sie die Gründung des Bundesumweltministeriums nicht mehr berücksichtigt - leisten wie die Arbeit von Weidner. 48 Auch ein Blick in die Nachbardisziplinen der Rechtswissenschaft oder Wirtschaftswissenschaften bringt fur den Ansatz der vorliegenden Studie keinen zusätzlichen Informationsgewinn.

Mertes/Müller: Der Aufbau des Bundesumweltministeriums. Friedrich Zimmermann: Kabinettstücke. Politik mit Strauß und Kohl 1976-1991, München/Berlin 1991, S. 218-247. 46 Grosser: Die CDU/CSU-FDP-Koalition, S. 113 f.; Christian Schütze: Die Umweltpolitik der Regierung Kohl, in: Reinhard Appel (Hrsg.): Helmut Kohl im Spiegel seiner Macht, Bonn 1990, S. 213-232. 47 Achim Ulrich Posse: Föderative Politikverflechtung in der Umweltpolitik, München 1986. 48 Helmut Weidner: Reagieren statt Agieren. Entwicklungslinie staatlicher Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Ökologie, H. 23, 1991, S. 14-22. 44

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C. Akteure I. CDU-Parteif'ührung 1. Grundlagen

Die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willens bildung des Volkes ist verfassungsrechtlich in Artikel 21 des Grundgesetzes fixiert. I Eine Präzisierung dieser zunächst allgemeinen Aussage fmdet sich im "Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz)" der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Juli 19672 • Dort werden in § 1 verfassungsrechtliche Stellung und Aufgaben der Parteien umrissen. 3 Entsprechend sind Parteien ein "verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. ,,4 Ihre Bedeutung rur das politische System der Bundesrepublik Deutschland wird damit nachdrücklich unterstrichen. Zudem wird an anderer Stelle des Parteiengesetzes angeruhrt, daß Parteien mit "ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe" errullen. s Die Parteien wirken dabei entsprechend § 1,2 des Parteiengesetzes "an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens" insbesondere dadurch mit, daß sie u. a. - Einfluß auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung nehmen, - geeignete Bewerber rur Wahlen in Bund, Ländern und Kommunen rekrutieren, I Zur (verfassungs)rechtlichen Einordnung umfassend Dimitris T. Tsatsos/Martin Morlock: Parteienrecht. Eine verfassungsrechtliche Einführung, Heidelberg 1982; Dieter Grimm: Politische Parteien, in: Ernst Benda/Werner MaihoferlHans-lochen Vogel (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik. Teil 1, BerlinINew York 1984, S. 317-372; Philip Kunig: Parteien, in: loser IsenseelPaul Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts. Bd. 2, Heidelberg, 1987, S. 103-147. 2 Es wird hier Bezug genommen auf das Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. März 1989; zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes einführend Niclauß: Das Parteiensystem der Bundesrepublik, S. 16. 3 Dazu auch die Einführung von Heinrich Oberreuter: Politische Parteien. Stellung und Funktion im Verfassungssystem der Bundesrepublik, in: Alf MintzeIlHeinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1992, S. 1540. 4 § 1,1 Parteiengesetz. 5 Ebd.

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- Einfluß auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung nehmen, - ihre politischen Ziele in den staatlichen Willensbildungsprozeß einbringen, - und schließlich "für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.,,6 Ergänzt wird dies durch die in § 2 des Parteiengesetzes vorgenommene Definition des Parteien begriffes: "Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. [.. .)"

Den Parteien kommt insgesamt eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Volk und politischen Institutionen zu. Gleichzeitig sind sie damit wichtige Transporteure von Ideen, politischen Programmen etc. in den politischen Prozeß. 7 Die Einflußnahme der Parteien auf Entwicklungen und Prozesse in den Parlamenten - und damit auch in den Fraktionen8 - und in der Regierung ist explizit gewünscht. Sie begleiten nach der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts nicht nur "den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution",9 sondern sind durch das skizzierte Aufgabenprofil ein bedeutsamer "Integrationsfaktor"IO im politischen System der Bundesrepublik. Sie sind ein wichtiger Anlaufpunkt für die Sammlung und Aufnahme von "Interessen, Weltanschauungen und Meinungen. Indem sie ständig gezwungen werden, verschiedene Interessen und Gruppen zu integrieren, bieten sie diesen die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit zu Wort und in der Partei zu Einfluß zu kommen."ll Dies und das umrissene Aufgabenfeld läßt ihnen insbesondere durch die Mitwirkung bei der politischen § 1,2 Parteiengesetz; der vollständige Katalog findet sich ebd. Oberreuter spricht in diesem Gesamtzusammenhang von den Parteien als "Kommunikationskanäle", Böhret u. a. vom "Transmissionsriemen"; vgl. Oberreuter: Politische Parteien, S. 30; Carl BöhretiWerner JannlEva Kronenwett: Innenpolitik und politische Theorie. Ein Studienbuch, 3., neubearb. und erw. Aufl. Opladen 1988, S. 91. 8 Vgl. dazu Kapitel C.I1. 9 BVerfGE 2, 1/73; Vitzthum weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß sich aus der Einordnung der Parteien als Institutionen der Verfassung nicht der Status des Verfassungsorgans ableiten läßt. Vgl. Wolfgang GrafVitzthum: Probleme der Parteiendemokratie, in: Peter M. Huber/Wilhelm MößlelMartin Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, Tübingen 1995, S. 83. 10 BVerfGE 5, 85/388; vgl. zur Integrationsleistung der Parteien auch Axel Murswiek: Die Notwendigkeit der Parteien für die funktionelle Integration der Regierungsgeschäfte, in: Hans-Hermann HartwichlGöttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 3: Systemsteuerung und "Staatskunst", Opladen 1991, S. 119. 11 Dieter Hesselberger: Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung, 9. verb. Aufl. Bonn 1995, S. 184. 6

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C. Akteure

Willensbildung die Funktion eines politischen Kreativitätspools zufallen. Durch den allem übergeordneten Auftrag zur Mitwirkung bei der politischen Willensbildung wird eine funktionale Verbindung zwischen Parteien- und Regierungssystem hergestellt. 12 Die Parteien übernehmen nicht nur die Rolle eines politischen Schrittmachers, sondern verknüpfen und verflechten durch ihre Organisationsstrukturen die verschiedenen Ebenen des politischen Systems. "Sie sind die Akteure im politischen System, die es sowohl in Bewegung halten als es auch in ihren Dienst zu stellen versuchen.,,13 Für den Fortgang der Arbeit wird unterstellt, daß die hier dargestellten rechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekte nicht nur auf "die Partei" im allgemeinen, sondern auch auf einzelne Parteiorgane im speziellen, wie z. B. die Führungsgremien, zutreffen. Legt man zudem den Maßstab von § 11,3 des Parteiengesetzes an, nach dem der Vorstand die Leitung eines Parteiverbandes und dessen Geschäftsführung "nach Gesetz und Satzung sowie den Beschlüssen der ihm übergeordneten Organe" leistet sowie den "Gebietsverband gemäß § 26 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches,,14 vertritt, dann erscheint eine Übertragung der für Parteien allgemein formulierten verfassungsrechtlichen und bundesgesetzlichen Maßgaben auf die Parteiführungsgremien möglich.

2. Struktur und Organisation Die formale Basis für Aufgaben und Zusammensetzung von CDU-Vorstand und CDU-Präsidium bildet das Statut der CDU. 15 Die Zusammensetzung des Bundesvorstandes der CDU ist mit § 33 in einem eigenständigen Paragraphen des Statuts geregelt. Entsprechend setzt sich der Vorstand zusammen aus: ,,1. den Ehrenvorsitzenden, dem Vorsitzenden, dem Generalsekretär, sieben Stellvertretenden Vorsitzenden, dem Bundesschatzmeister und den zwanzig weiteren gewählten Mitgliedern, 16

Dazu Oberreuter: Politische Parteien, S. 22. Heinz Laufer: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1992, S. 174. 14 § 11,3 Parteiengesetz. 15 Der Arbeit liegt eine Version mit dem Stand 1.4.1988 zugrunde. Die Änderungen vom 25.5.1983, vom 9.5.1984, vom 7.10.1986 und vom 9.11.1987 sind fllr den Untersuchungsgegenstand ohne Bedeutung. Zu den Satzungsänderungen nach dem Verein igungsparteitag von West- und Ost-CDU 1990 vgl. im Uberblick Herzog: Die Führungsgremien, S. 305-316. 16 Zwischen den stellvertretenden Vorsitzenden und den zwanzig weiteren gewählten Mitgliedern gab es allerdings in der Arbeitspraxis des Vorstandes keine Hierarchieunterschiede. Darauf verwies Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 12 13

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2. dem Bundeskanzler, dem Präsidenten oder Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages und dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages sowie dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments, soweit sie der CDU angehören, 3. den Vorsitzenden der Landesverbände, soweit sie nicht dem Bundesvorstand bereits als Mitglieder aus dem jeweiligen Bundesland nach Ziffern I oder 2 angehören.,,17

Hinzu kommt der Bundesgeschäftsführer der CDU, der mit beratender Stimme an den Sitzungen des Bundesvorstandes teilnimmt. Daneben nehmen an den Sitzungen des CDU-Bundesvorstandes in der Regel die Vorsitzenden der verschiedenen Gliederungen der CDU (z. B. Seniorenunion, Junge Union, CDA etc.) sowie Mitarbeiter der Parteizentrale (Pressesprecher, Persönlicher Referent des Bundeskanzlers, Abteilungsleiter) und Mitarbeiter Kohls aus dem Bundeskanzlerame s teil. 19 Die übergeordnete Aufgabe des Bundesvorstandes der CDU besteht in der Leitung der Unionspartei?O Richtschnur sind dabei die Beschlüsse des Bundesparteitages, der entsprechend § 28,5 der Satzung der CDU mindestens alle zwei Jahre zusammentritt, und des Bundesausschusses?l Diese Beschlüsse durchzuführen, ist Aufgabe des Bundesvorstandes. Allerdings ist die Arbeitsfähigkeit und -flexibilität dieses Parteileitungsgremiums aufgrund der Größe von circa sechzig Personen stark eingeschränkt. 22 Die Möglichkeit, kurzfristige Sitzungstermine zur Beratung und Diskussion aktueller Themenfragen anzuberaumen, ist bei der Anzahl der einzuladenen Personen kaum gegeben. 23 Der Bundesvorstand ist als Ganzes dem Bundesparteitag, der über die Grundlinien der Politik der CDU und das Parteiprogramm beschließt,z4 berichtspflichtig?5 Darüber

§ 33 (Zusammensetzung des Bundesvorstandes), Statut der CDU. Im Untersuchungszeitraum z. B. der Leiter der Abteilung 5, Eduard Ackermann. 19 Eingeladen wird auch der Vorsitzende des "Ältestenrates" der CDU. Einem informellen CDU-Gremium, dem in den achtziger Jahren, nach Beendigung seiner Amtszeit als Bundespräsident, Karl Carstens vorstand. Auf Meinungen und Einschätzungen von Carstens legte Kohl großen Wert. Vgl. dazu Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997. 20 Vgl. § 34,1 Statut der CDU. 21 Umgangssprachlich auch als "Kleiner Parteitag" bezeichnet. Eine Auswertung der Berichte des CDU-Generalsekretärs für den Untersuchungszeitraum ergab, daß der Bundesausschuß in der Regel dreimal pro Jahr tagte. 22 Zur Anzahl der im Bundesvorstand versammelten Personen und den aus der Größe resultierenden Konsequenzen vgl. Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 23 Grundsätzlich wird der Sitzungsplan für Vorstand und Präsidium auf ein Jahr im voraus festgelegt. Vgl. Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 24 Vgl. § 29,1 Statut der CDU. 25 Vgl. § 29,4 Statut der CDU. 17

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C. Akteure

hinaus hat der Bundesvorstand den Bundesausschuß der CDU 26 mindestens drei mal pro Jahr über seine Arbeit zu unterrichten?7 In der politischen Praxis wird die "Tagesarbeit" des Bundesvorstandes vom wesentlich kleineren Gremium des Parteipräsidiums geleistet. Dieses führt nicht nur gemäß § 34,6 des CDU-Statuts die Beschlüsse des Bundesvorstandes aus. Vielmehr erledigt es "insbesondere die laufenden und dringlichen Geschäfte des Bundesvorstandes. ,,28 Das Präsidium bildet somit gleichsam den geschäftsflihrenden Vorstand der CDU. Im Rahmen dieser Funktion ist das Präsidium entsprechend § 34,2 des Statuts der CDU aufgefordert, "mindestens dreimal jährlich den Vorsitzenden der Landesverbände und Vereinigungen über die Tätigkeit des Bundesvorstandes und des Präsidiums" zu berichten. Laut Satzung wird das Präsidium formal aus dem Vorsitzenden, dem Generalsekretär, den sieben stellvertretenden Vorsitzenden, dem Bundesschatzmeister, den Ehrenvorsitzenden, dem Bundeskanzler, dem Präsidenten oder Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, dem Vorsitzenden der CDU/CSUFraktion des Deutschen Bundestages sowie dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments, soweit sie der CDU angehören, gebildet. 29 Seit den fünfziger Jahren wurde der Kreis der Vorstandsmitglieder und davon abgeleitet später die Zahl der Präsidiumsmitglieder ständig erweitert. So wurde es, ausgehend von einem Beschluß des CDU-Bundesvorstandes aus dem Jahre 1952, zur Tradition, daß neben den gewählten und satzungsmäßig festgeschriebenen Mitgliedern beispielsweise auch die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Bundesländer, soweit sie nicht ohnehin gewählte Mitglieder waren, an den Sitzungen des Bundesvorstandes und später des Präsidiums teilnahmen. 30 Unter der Regie des CDU-Bundesvorsitzenden Kohl entwickelte es sich überdies zur Gewohnheit, daß, beginnend mit Wolfgang Schäuble, auch der jeweilige Minister im Bundeskanzleramt regelmäßig zu den Sitzungen dieses Parteiführungsgremiums hinzugezogen wurde. 31 Somit waren durch die satzungsmäßige Einbindung des

Zu den Aufgaben des Bundesausschusses vgl. § 31,1 Statut der CDU. Vgl. § 31,2 Statut der CDU. 28 § 34,6 Statut der CDU. 29 Vgl. § 29,2 Statut der CDU. 30 Vgl. dazu Beschluß des CDU-Bundesvorstandes vom 15.12.1952, abgedruckt in: Buchstab (Bearb.): Adenauer: "Es muß alles neu gemacht werden.", S. 170-246. Für die Amtszeit Kohls gilt, daß es keinen Hierarchieunterschied zwischen den gewählten Mitgliedern des Präsidiums und den Ministerpräsidenten gab. Beide Gruppen waren in Rede- und Stimmrecht gleichgestellt. Letzteres kam dabei ohnehin kaum zum Tragen, da Abstimmungen im Parteipräsidium äußerst selten waren. Vgl. dazu Worms (2.7.1997) und Vogel (22.7.1997) im Gespräch mit dem Autor. 3\ Dies geschah auf Initiative Kohls, der ihn 1985 zu einer Präsidiumssitzung mitbrachte. Widerspruch hatte es dagegen im Präsidium, wie auch später im Vorstand, 26 27

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CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden nicht nur eine wiChtige Verflechtung mit der Fraktion, sondern durch die Integration des Kanzleramtsministers auch der Informationsfluß mit der Schaltzentrale der Bundesregierung, dem Bundeskanzleramt, gewährleistet. Gleichzeitig zeigte sich darin eine Fortsschreibung der von Schönbohm in anderem Zusammenhang beobachteten Bemühung Kohls, möglichst viele Funktionsträger mit Einfluß in für die Partei wichtige politische Prozesse miteinzubinden. 32 Allerdings ist dabei "Kohls Machtstellung [... ] so unumstritten, daß niemand die Chance hat, nur aufgrund seiner Qualifikation und seines persönlichen politischen Gewichts in den Kreis der Präsidiumsmitglieder vorzudringen. ,,33 Ausschlaggebend ist Kohls Plazet. Das Präsidium ist im Sinne Kohlscher Machtsicherung ganz auf seine Person ausgerichtet. 34 Dieser Personenkreis wurde komplettiert durch den Bundesgeschäftsführer und den Protokollanten - ein Mitarbeiter der CDU-Parteizentrale - der Präsidiumssitzungen. 35 Insgesamt gehörten dem Präsidium der CDU Deutschlands in den achtziger Jahren etwa 20 Personen an. 36 Galt für die siebziger und frühen achtziger Jahre noch, daß der Bundesvorstand für Kohl "das eigentliche Koordinations- und Entscheidungsorgan [war/der Verf.], mit dem er als Parteivorsitzender arbeitete, zumal er im Bundesvorstand immer eine deutliche Mehrheit besaß",37 so scheint sich für die Zeit nach dem Regierungswechsel eine Renaissance der Bedeutung des Präsidiums beobachten zu lassen. Wie schon zu Zeiten der Parteivorsitzenden Kiesinger und Barzel, für die das Parteipräsidium ein wichtiges Gremium "zur Koordination und zur Absicherung ihrer Politik als Bundeskanzler bzw. als Fraktionsvorsitzender,,38 war, wurde nach dem Urteil verschiedener Beobachter nunmehr auch vom Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Kohl das von ihm bis dato weniger genutzte Präsidium im politischen Willensbildungsprozeß

nicht gegeben. Vgl. dazu Wonns (2.7.1997), Stoltenberg (14.7.1997), Vogel (22.7.1997) im Gespräch mit dem Autor. 32 Vgl. Schönbohm: Die CDU, S. 156. 33 Karl Feldmeyer: Im Dreieck der Macht zwischen Kanzleramt, Fraktionsführung und Partei, in: FAZ, 16.10.1996; dazu auch ders.: Eine Einmannpartei, in: FAZ, 12.6.1993; Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987. Den meisten derjenigen, die es geschafft hatten, in diesen Kreis vorzudringen, war dabei bewußt, "aus welchem Trog sie saufen". So Kohl, zitiert in Wamfried Dettling: Das Erbe Kohls. Bilanz einer Ära, Frankfurt a. M. 1994, S. 118. 34 Vgl. auch Kar! Feldmeyer: Im Dreieck der Macht zwischen Kanzleramt, Fraktionsführung und Partei, in: FAZ, 16.10.1996. 35 Vgl. Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 36 So Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. Vgl. auch Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik, S. 20. 37 Schönbohm: Die CDU, S. 156. 38 Schönbohm: Die CDU, S. 156.

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C. Akteure

aufgewertet. 39 Diese Beobachtung der Aufwertung, die es im Verlauf der Arbeit empirisch zu überprüfen gilt, wird rein quantitativ durch ein gewandeltes Verhältnis der Anzahl der Sitzungen von Präsidium und Vorstand gestützt. Überwog bis 1982 die Anzahl der Sitzungen des Vorstandes gegenüber denen des Präsidiums oder war die Tagungshäufigkeit annähernd ausgewogen,40 so ist fur die Zeit nach dem Regierungswechsel eine für das Präsidium, im Vergleich zum Bundesvorstand, höhere Tagungshäufigkeit festzustelIen. 41 So trat im Zeitraum von Juni 1983 bis Mai 1984 das Präsidium zu 12, der Bundesvorstand zu 9 Sitzungen zusammen. Traf sich somit das Präsdium durchschnittlich einmal pro Monat, lag die Quote für den Vorstand darunter. Für die Zeit zwischen Mai 1984 und März 1985 lassen sich 13 Sitzungen des Präsidiums und 9 Sitzungen des Bundesvorstandes ermitteln. Damit war die Sitzungsfrequenz beider Gremien geringfügig höher als in der vorgenannten Periode; gleichzeitig läßt sich aber auch festhalten, daß die Sitzungsfrequenz des Bundesvorstandes im Vergleich zum Präsidium weiter abnahm. Während für die Phase zwischen Ende März 1985 und Oktober 1986 14 Sitzungen des Bundesvorstandes gezählt werden konnten, waren für das Präsidium 22 Zusammenkünfte nachweisbar. Auch für diesen Zeitraum läßt sich somit konstatieren, daß sich der Bundesvorstand im Durchschnitt deutlich weniger als einmal pro Monat traf, das Präsidium aber etwa alIe dreieinhalb Wochen zusammentrat. In der Folgezeit (Oktober 1986Oktober 1987) verringerte sich die Differenz in der Sitzungshäufigkeit bei der Gremien. Im Präsidium traf man sich 16 Mal; der Bundesvorstand trat zu 12 Sitzungen zusammen. Eine stark erhöhte Sitzungsfrequenz des Präsidiums läßt sich fur die Zeit zwischen Mitte November 1987 und Anfang Juni 1988 beobachten. Bei 14 Sitzungen traf man sich damit im Zweiwochenrhythmus. Die Zahl der Sitzungen des Bundesvorstandes ging wieder zurück und lag im Be39 Haungs spricht in diesem Zusammenhang von dem Präsidium als der "zentralen Koordinationsinstanz" innerhalb der CDU bzw. dem "neben den Koalitionsrunden besonders wichtigen Entscheidungsgremium der gegenwärtigen Bundesregierung". ZundeI führt das Präsidium als nach den Koalitionsrunden "zweitwichtigstes Gremium für die Union" an. Horst weist ebenfalls auf die Bedeutung des Präsidiums als Entscheidungszentrum der Regierungspolitik hin, bezweifelt aber zugleich die "politische Steuerungskraft" des CDU-Präsidiums und führt dabei vor allem "starke innere Konflikte" als Ursache an. Vgl. Haungs: Die CDU in den achtziger Jahren, S. 99; ders.: Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich, S. 31; Rolf Zundel: "Ein Kanzler wie ein Eichenschrank", in: Die Zeit, 6.1.1989; Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 271 f. 40 Zu diesen Relationen siehe Haungs: Partei präsidien als Entscheidungszentren, S. 114; vgl. auch Schmid: Die CDU, 1990, S. 159. 41 Ein Trend, den auch StoItenberg (14.7.1997) und Vogel (22.7.1997) in Gesprächen mit dem Autor bestätigten. Nachfolgende Angaben und Berechnungen beruhen auf einer Auswertung der Berichte der Bundesgeschäftsstelle, die zum jeweiligen Bundesparteitag vorgelegt wurden. Nach ihnen richten sich auch die im folgenden vorgenommenen unterschiedlichen Periodisierungen. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle: Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs, Bonn 1983 ff.

I. CDU-Parteiflihrung

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richtszeitraum bei 5. Allerdings trat der Bundesvorstand - zusammen mit dem Präsidium - in dieser Zeit zu einer zweitägigen Klausurtagung zusammen. Für die Zeit zwischen dem 36. und 37. Bundesparteitag (15.6.1988-10.9.1989) läßt sich schließlich eine deutliche Verschiebung in der Tagungshäufigkeit von Präsidium und Bundesvorstand beobachten. Beide Gremien trafen sich zu 11 Sitzungen. Hinzu kam eine zweitägige Klausurtagung beider Gremien. Rein qualitativ scheint sich damit eine Relativierung der Bedeutung des Präsidiums zugunsten des Bundesvorstandes zum Ausgang der achtziger Jahre anzudeuten. 42 Insgesamt kann aber festgehalten werden, daß flir den Kernuntersuchungszeitraum die Sitzungshäufigkeit des Präsidiums deutlich höher war als die des Bundesvorstandes. Man traf sich im Präsidium durchschnittlich deutlich mehr als einmal pro Monat. Der Bundesvorstand der CDU tagte zur Wahrnehmung seiner Aufgaben dagegen maximal einmal pro Monat, oftmals auch weniger. Die Treffen fanden in der Regel Montag vormittags in Sitzungswochen des Bundestages statt. Die Sitzungswochen des Bundestages boten sich deshalb an, weil ein großer Teil des circa sechzig Personen umfassenden Gremiums dann ohnehin in Bonn anwesend war. Mit der hier vorgenommenen rein quantitativen Analyse der Sitzungshäufigkeit von Präsidium und Bundesvorstand läßt sich allerdings noch keine substantielle Aussage zu ihrer Rolle bei der Politikgestaltung im Machtdreieck treffen. Dies gilt umso mehr, als offenbar in der Wahrnehmung von verschiedenen Präsidiumsmitgliedern die Bedeutung des Parteiorgans im Prozeß der Politikgestaltung gegen Ende der achtziger Jahre abnahm. Als Indiz daflir läßt sich die öffentliche Klage von Präsidiumsmitgliedern anführen, daß zentrale Entscheidungen der Koalition und Bundesregierung erst im nachhinein im Präsidium erörtert worden seien. 43 Man flihlte sich zum "Grüß-Gott-Onkel oder KontaktsteIlen im vorpolitischen Raum,,44 reduziert. Im Vor- und Nachfeld des Bremer Bundesparteitags45 der CDU 1989 wurde von flihrenden Präsidiumsmitgliedern wie Süssmuth, Blüm, Geißler oder Späth gefordert, daß das Präsidium vor wichtigen Entscheidungen der Koalitionsgremien oder der Bundesregierung die politische Linie der CDU definieren solle. 46 Entsprechend

42 Siehe dazu auch weiter unten in diesem Kapitel die Diskussionen im Vorfeld des 36. Bundesparteitages und ihre Konsequenzen. 43 Vgl. "Kohls Stellvertreter verlangen mehr Kompetenzen", in: Bonner General-Anzeiger, 30.8.1989. 44 Geißler kritisiert Verteilung der Aufgaben. Dissens in der CDU über die neuen Zuständigkeiten im Parteipräsidium, in: FAZ, 30.10.1989. 45 Zum dabei gegen Kohl geplanten Putsch vgl. auch Dettling: Das Erbe Kohls, S. 124-129. 46 Vgl. Ulrich Reitz: Späth wollte gegen Kohl kandidieren, in: Die Welt, 30.8.1989; Helmut Lölhöffel: Viele Widerworte, etwas Selbstkritik, in: Frankfurter Rundschau, 30.8.1989; Kohls Stellvertreter verlangen mehr Kompetenzen, in: Bonner General-An-

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C. Akteure

hieß es in einer von Geißler, Süssmuth und Blüm fur die Präsidiumssitzung vom 9. Oktober 1989 vorbereiteten Arbeitsordnung: "Bei allen wichtigen Personalfragen der Partei sowie zur Vorbereitung von wichtigen Personalentscheidungen in der Bundesregierung, in der Bundestagsfraktion und der Europäischen Gemeinschaft ist das Parteipräsidium rechtzeitig zu beteiligen. Vor wichtigen politischen Entscheidungen der Bundesregierung und der Koalition ist eine Meinungsbildung im Präsidium herbeizuführen, soweit nicht eine direkte Befassung des Bundesvorstandes erfolgt. Zur Wahrnehmung dieser Führungsaufgabe ist es erforderlich, daß das Präsidium der Partei im zweiwöchigen Abstand zusammentritt. Der Bundesvorstand bzw. das Präsidium entscheidet über die Vertreter der Partei in Verhandlungskommissionen. Das Präsidium beschließt eine Aufgabenverteilung nach politischen Bereichen mit der Maßgabe, daß die für die jeweiligen Bereiche zuständigen Präsidiumsmitglieder auch die jeweiligen Sprecher für diese Sachfragen und die Ansprechpartner für die betreffenden Organisationen und Verbände sind.,,47

Offensichtlich wurden all diese Forderungen in den vorhergehenden Jahren nicht erfüllt - ansonsten hätte ihr "Einklagen" keinen erkennbaren Sinn ergeben. Diesem Katalog der CDU-Präsiden stellte Kohl in derselben Präsidiumssitzung nach dem Bremer Parteitag seine Auffassung von Teamarbeit entgegen: "Und liebe Leute, ich bin natürlich für Teamarbeit. Was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung von meinem Alltag, wenn Sie glauben, Sie müßten mir das vorschlagen. Ich bin um jeden froh, der Arbeit übernimmt und zwar in allen Bereichen. Das gilt für die Bundesregierung wie auch - ganz selbstverständlich - im Amt des Parteivorsitzenden. ,,48

Daß Kohls Verständnis von Team- und Zusammenarbeit aber dennoch nicht deckungsgleich mit dem seiner Präsidiumsmitglieder war, kann aus der Ablösung des langjährigen Generalsekretärs Geißler interpretiert werden. 49 Versteht man diese als Versuch Kohls, die Rolle der Partei zurückzuschneiden und die eigene Position gegenüber Parteiorganisation/-führungsgremien im innerpar-

zeiger, 30.8.1989; CDU-Präsiden fordern mehr Macht, in: Der Spiegel, Nr. 41, 9.10.1989, S.16f. 47 CDU-Präsiden fordern mehr Macht, in: Der Spiegel, Nr. 41,1989, S. 16 f. 48 Zitiert in: Pruys: Helmut Kohl, S. 366 f. 49 Bereits in einem Brief vom 7.11.1988 hatte Kohl Geißler angekündigt, ihn nicht mehr als Generalsekretär der CDU vorzuschlagen. Kohls Brief und weitere Details finden sich in Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 44-50; zu den Hintergründen auch Pruys: Helmut Kohl, S. 362-365; Bickerich: Der Enkel, S. 95-99; ferner Niclauß: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 79.

I. CDU-Parteiführung

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teilichen Meinungsbildungs- sowie Entscheidungsprozeß zu stärken,50 so wäre das wiederum ein Hinweis darauf, daß zumindest in der Wahrnehmung des Bundesvorsitzenden dem Präsidium bis 1989 eine politische bedeutsame Funktion im Politikgestaltungsprozeß innerhalb der Partei und im Machtdreieck zufiel. 51 Diesen unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern von Parteivorsitzendem und Präsidiumsmitgliedern soll bei der Analyse des Politikgestaltens in den Feldern der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik weiter nachgegangen werden. Dabei gilt es insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit das beobachtbare und dargestellte Verhältnis der Sitzungsfrequenz von Präsidium und Vorstand auch die politische Bedeutung des Präsidiums widerspiegelte. Es gilt damit zu überprüfen, ob diese Relation quantitativer Ausdruck einer von Schönbohm bereits für die siebziger und frühen achtziger Jahre beobachteten Tendenz war, nach der sich das Präsidium zu einer Koordinationsinstanz52 entwickelte, "das alle wichtigen Gesetzesvorhaben auf Bundesebene sowohl unter inhaltlichen wie auch strategisch-taktischen Gesichtspunkten erörterte und - häufig mit den Ministerpräsidenten oder den jeweils zuständigen Fachministern der Länder - die politische Linie festlegte."s3

3. Mitglieder Entsprechend dem Untersuchungszeitraum dieser Arbeit sind die vom 29., 31.,33.,35. und 37. Parteitag der CDU gewählten Mitglieder von CDU-Präsidium und -Vorstand, die satzungsmäßig teilnahmeberechtigten Funktionäre und

50 Jäger interpretiert die Ablösung Geißlers "zuvörderst als Ringen darum [... ], ob der Partei oder dem von ihr gestellten Kanzler (oder der Kanzlerfraktion) der Vorrang in der innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsfindung zukomme." Wolfgang Jäger: Der alte Kanzlerwahlverein ist tot, in: FAZ, 1.3.1990; ergänzend Karl Feldmeyer: Eine Einmannpartei, in: F AZ, 12.6.1993. 51 Der langjährige Bonner Journalist Reitz bestreitet in seinem Buch vehement die politische Bedeutung des Parteipräsidiums. Klar wird allerdings nicht, ob er sich mit seinen Ausführungen auf die Zeit vor oder nach dem Bremer Parteitag, der unzweifelhaft einen Einschnitt darstellt, bezieht: "Der Stellenwert dieses höchsten CDU-Gremiums für die Willensbildung der Partei ist gleich Null. Das Präsidium ist ein Torso." Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 51. 52 Schönbohm spricht in seiner Studie zunächst vom Präsidium als einer "zentralen Koordinationsinstanz", bezeichnet aber an anderer Stelle für denselben Untersuchungszeitraum den "Bundesvorstand als das eigentliche Führungsorgan". Vgl. Schönbohm: Die CDU, S. 136, S. 156. Nimmt man aber die Sitzungshäufigkeit als Indikator, spricht vieles dafür, daß das Präsidium unter dem Parteivorsitzenden Kohl sukzessive in seiner parteiinternen Bedeutung zunahm und sich erst in der Phase nach dem Regierungswechsel 1982 zum eigentlichen Parteiführungsorgan entwickelte. 53 Schönbohm: Die CDU, S. 136.

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c. Akteure

die darüber hinaus hinzugezogenen regelmäßigen Teilnehmer fUr diese Untersuchung zu berücksichtigen. Tabelle 1 gibt Aufschluß über die Zusammensetzung der gewählten Mitglieder des CDU-Präsidiums im Zeitraum zwischen 1982 und 1989. Satzungsgemäß teilnahmeberechtigt an Präsidiumssitzungen waren zudem für die Jahre 1982-1989 der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Alfred Dregger, sowie Egon Klepsch als Vorsitzender der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments im Zeitraum zwischen 1984 und 1989. 54 Darüber hinaus gehörten dem Präsidium im Untersuchungszeitraum entsprechend der Satzung der CDU Kurt-Georg Kiesinger als Ehrenvorsitzender55 und Rainer Barzel (29.3.198325.10.1984) sowie Philipp Jenninger (5.1l.l984-1l.ll.l988) aufgrund ihrer Funktion als Bundestagspräsidenten und Heinrich Windeln als Vizepräsident des Deutschen Bundestages in der Zeit zwischen 2. April 1981 und 29. März 1983 an. Soweit sie nicht gewählte Mitglieder waren, nahmen ferner die CDUMinisterpräsidenten der Bundesländer an den Sitzungen des Präsidiums und des Bundesvorstandes tei1. 56 Ab 1985 waren zudem Wolfgang Schäuble und später Rudolf Seiters in ihrer Eigenschaft als Kanzleramtsminister anwesend. Ergänzt wurde die Teilnehmerrunde der Präsidiumssitzungen durch den CDUBundesgeschäftsfUhrer - fUr den Untersuchungszeitraum war dies Peter Radunski. Insgesamt fiUIt auf, daß in den achtziger Jahren die CDU-Bundesminister und der Bundeskanzler zusammen mit den CDU-Ministerpräsidenten unter den Präsidiumsmitgliedern die zahlenmäßig dominierende Gruppe im Präsidium bildeten. Zwar gehörten auch die Bundesminister in der Regel der Unionsfraktion an/ 7 dennoch war die Führungsmannschaft der Unionsfraktion - also Personen aus dem Fraktionsvorstand - fUr fast den gesamten Untersuchungszeitraum nur mit einem Akteur, Dregger, im Präsidium vertreten. Erst ab Herbst 1989 kam mit Rühe ein zweiter führender Fraktionsvertreter hinzu. Die Auswirkungen dieser personellen Zusammensetzung des CDU-Präsidiums auf die Politikgestaltungsprozesse im Akteursdreieck bleiben im weiteren Verlauf der Untersuchung zu analysieren.

54 Klepsch war von 1977 bis 1982 sowie zwischen 1984 und 1992 Vorsitzender der EVP-Fraktion. 55 Er machte allerdings nur in ganz seltenen Fällen von diesem Recht Gebrauch. So Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997. 56 So Bemhard Vogel, Uwe Barschei, Eberhard Diepgen, Wemer Zeyer. 57 Zeitweilige Ausnahmen waren Wal1mann und Süssmuth.

I. CDU-Parteiflihrung

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Tabelle 1

Gewählte Mitglieder des CDU-Präsidiums 1982-1989 Vorsitzender

Stellv. Vorsitzende

Schatzmeister

Generalsekretär

Helmut Kohl

Ernst Albrecht

Walther Leisler Kiep

Heiner Geißler, bis 11.9.89

Norbert Blüm

Volker Rühe, ab 11.9.89

Heiner Geißler, ab 11.9.89 Hanna Renate Laurien, bis 11.9.89 Lothar Späth, bis 11.9.89 Gerhard StoItenberg Rita Süssmuth, ab 9.11.87 Christa Thoben, ab 11.9.89 Walter Wallmann, ab 20.3.85 Richard v. Weizsäkker, bis 84 Bernhard Worms, bis 9.11.87 Quelle: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union, Bonn 1981 ff.

Das CDU-Präsidium war während des Untersuchungszeitraums von hoher personeller Kontinuität geprägt. Läßt man zudem den am Ende des Untersuchungszeitraums liegenden 37. Parteitag außer acht, gab es in sieben Jahren bei den gewählten Präsidiumsmitgliedern nur zwei Wechsel. Über den gesamten Zeitraum betrachtet, zählten Kohl, Albrecht, Blüm, Stoltenberg, Kiep und Geißler (in wechselnden Funktionen) zu den Konstanten im Präsidium. Hierbei handelte es sich zudem um einen Kern, der bereits während der parlamentarischen Oppositionszeit der CDU die Politik der Unionspartei maßgeblich bestimmt hatte.

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C. Akteure

Hinsichtlich der personellen Zusammensetzung des CDU-Bundesvorstands läßt sich auch flir dieses Gremium konstatieren: Die Kontinuität bei den gewählten sogenannten "weiteren zwanzig Mitgliedern" war hoch. Zu ihnen zählten während des Untersuchungszeitraums Matthias Wissmann, Christian Schwarz-Schilling, Kurt Biedenkopf, Birgit Breuel, Horst Waffenschmidt, Eberhard Diepgen, Bernhard Vogel, Wilfried Hasselmann und Elmar Pieroth. Andere wie Christoph Böhr, Roswitha Verhülsdonk, Erwin Teufel, Ulf Fink, Renate Hellwig oder Manfred Wörner hatten zwei "Vorstandsjahre" weniger. 58 Worms, Laurien, Wallmann oder Thoben gehörten mal dem exklusiveren Präsidiumskreis, mal nur dem erweiterten Bundesvorstand an. Einigen weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden CDU-Mitgliedern gelang zwar der Aufstieg in den Vorstand der Partei; sie verblieben dort aber oft nur eine Periode und schieden danach aus diesem Parteiflihrungsgremium wieder aus. 59 Insgesamt bildete sich aber in den untersuchungsrelevanten sieben Jahren zwischen Oktober 1982 und November 1989 ein Personenkontinuum in der CDUFührungsspitze von 40 bis 45 Akteuren, das nur durch marginale personelle Verschiebungen geprägt war. 60

58 Eine umfassende Auflistung der gewählten sogenannten "zwanzig weiteren Mitglieder" findet sich im Anhang. 59 So u. a. Freddy Goette, Peter Jacoby. 60 Spektakuläre Wechsel, wie z. B. das medienwirksame Ausscheiden von Lothar Späth aus den Führungsgremien der CDU 1989, waren damit eine Ausnahme.

II. Unionsfraktion

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11. Unionsfraktion 1. Grundlagen

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war der Akteur Fraktion lange Zeit gar nicht vorgesehen. Erst in dem 1968 in die Verfassung eingefügten Artikel 53a fanden die Fraktionen im Zusammenhang mit dem Modus der Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses von Bundestag und Bundesrat begrifflich in das Grundgesetz Eingang. Darüber hinaus fmden sich keine verfassungsrechtlichen Aussagen zum Status der Fraktionen. l Inwiefern die Anerkennung von Parteien entsprechend Artikel 21 des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen miteinschließt, ist rechtlich umstritten; auch die Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ist in dieser Frage unterschiedlich? Insgesamt gesehen steht im Grundgesetz im Gegensatz zur Fraktion der einzelne Abgeordnete im Vordergrund. 3 Eine entgegengesetzte Akzentuierung wurde dagegen in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgenommen. Eine Definition des Begriffs "Fraktion" findet sich in § 10 Abs. 1 GO BT: "Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens flinf Prozent der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander in Wettbewerb stehen. Schließen sich Mitglieder des Bundestages abweichend von Satz 1 zusammen, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zustimmung des Bundestages.,,4

Damit ist die Fraktionsbildung zunächst an eine Mindestanzahl von Abgeordneten gebunden. Entsprechend können parlamentarische Vertreter von Parteien, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, keinen Fraktionsstatus erlangen. Gleichzeitig wird eine gleichgerichtete politische Zielausrichtung derjenigen gefordert, die eine Fraktion oder Fraktionsgemeinschaft bilden wollen. Diese

1 Demmler weist allerdings auf die Verankerung der Fraktionen in Artikel 38 Abs. I Satz 2 GG hin. In der Ausübung ihres freien Mandats haben die Abgeordneten die Möglichkeiten zur Fraktionsbildung. Vgl. Demmler: Der Abgeordnete, S. 176 f. 2 Eine nach wie vor aktuelle Zusammenfassung der Rechtsdiskussion zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Fraktionen in Artikel 21 Grundgesetz findet sich bei Demmler: Der Abgeordnete, S. 192-194. 3 Vgl. auch Hübner: Parlament und Regierung, S. 118. 4 § 10 Abs. 1 GO BT, geändert durch Beschluß vom 27.3.1969. Gleichwohl ist damit noch keine Aussage über den Rechtsstatus der Fraktionen getroffen. Ein Überblick zur rechtlichen Einordnung von Fraktionen findet sich bei Kerbusch: Die Fraktionen im Spiegel der Judikatur der Verfassungsgerichte, S. 225-234; Kretschmer: Fraktionen. Parteien im Parlament, S. 35-44; Demmler: Der Abgeordnete, S. 195-209.

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C. Akteure

"lex CSU" bietet den Abgeordneten von CDU und CSU die Grundlage fUr die Bildung einer gemeinsamen Fraktion. Wenngleich die Fraktionen mit umfassenden eigenen Rechten ausgerüstete Teile des Deutschen Bundestages sind und sie auch Rechte des Bundestages ausüben können, so sind sie doch keine Organe des Parlaments; "sie sind vielmehr von der Organisationsgewalt des Bundestages unabhängige Vereinigungen von Mitgliedern des Bundestages, die sich zur gemeinsamen Verfolgung politischer Ziele zusammengeschlossen haben. ,,5 Die Fraktionen stellen aber nicht nur eine parlamentarische Organisationsform der Mitglieder des Bundestages dar, sondern sind zudem als Zusammenschluß von Abgeordneten mit gleichgerichteten politischen Zielen auch Repräsentanten der Parteien innerhalb des Parlaments. 6 Trotz einer politisch identischen Grundausrichtung von Partei und Fraktion stellen beide dennoch nicht zwangsläufig "eine deckungsgleiche Einheit"? dar. Dies wird schon durch die zumindest formal über die in Artikel 38 des Grundgesetzes gesicherte Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten, nach der sie als "Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind, verhindert. In der Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dieser Aspekt in § 16,1 explizit aufgegriffen: "In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es keinen Fraktionszwang. Die Abstimmung ist frei."g Allerdings wird im Nachgang in § 16,1 auch auf die Verpflichtung der Fraktionsmitglieder verwiesen, "in wichtigen Fragen ihre 5 Hans Troßmann: Der Deutsche Bundestag. Vorgeschichte und Leistungen, Organisation und Arbeitsweise, Darmstadt 1971, S. 101 f. 6 Henke, Hauenschild, W. Schmidt, Dellmann, Kretschmer, Steffani, Horst u. a. sprechen deshalb auch von "Parteien im Parlament", eine Formulierung, die bereits 1925 von Lebenstein geprägt wurde. Allerdings weist Kretschmer mit Recht darauf hin, daß diese Formel vereinfacht und die parlamentarische und politische Wirklichkeit nicht voll erfaßt. Walter Lebenstein: Die Rechtsstellung der Parteien und Fraktionen nach deutschem Reichsstaatsrecht, Diss. Frankfurt 1925, S. 16; Wilhelm Henke: Das Recht der politischen Parteien, Göttingen 1964, S. 110; Hauenschild: Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, S. 77; Walter W. Schmidt: Chancengleichheit der Fraktionen unter dem Grundgesetz, in: Der Staat, H. 4, 1970, S. 481, 488, 495; Hansjörg Dellmann: Fraktionsstatus als geschäftsordnungsmäßige Voraussetzung für die Ausübung parlamentarischer Rechte, in: Die öffentliche Verwaltung, H. 5, 1976, S. 153 f.; Kretschmer: Fraktionen. Parteien im Parlament, S. 9; Steffani: Parteien (Fraktionen), S. 260-279; Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 298. 7 Kretschmer: Fraktionen. Parteien im Parlament, S. 9; Vitzthum: Probleme der Parteiendemokratie, S. 86. 8 Dazu und zum folgenden vgl. z. B. Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der 9. Wahlperiode vom 6. November 1980 (Dokument aus privatem Aktenbestand). Auch in der jeweiligen, für den Untersuchungszeitraum gültigen "Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU" heißt es in Punkt 10: "Die Abstimmung ist frei; es gibt keinen Fraktionszwang."

II. Unionsfraktion

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von der Fraktionsmehrheit abweichende Abstimmungsabsicht dem Vorsitzenden, dem ersten Parlamentarischen Geschäftsführer oder der Fraktionsversammlung bis zum Vortag der Abstimmung, 17.00 Uhr mitzuteilen." Inwieweit diese Verpflichtung zur Vorankündigung schließlich Druckpotentiale für den "Abweichler" aufbaut und informelle und intrafraktionelle Sanktionsmechanismen in Gang setzt, die dazu führen, daß der jeweilige Abgeordnete sich mit seinem Abstimmungsverhalten letztlich doch der Mehrheitsmeinung anschließt, bleibt im Fortgang der Untersuchung mitzuberücksichtigen. Beide Einheiten, Fraktionen und Parteien, stehen unzweifelhaft in einem ständigen politischen Interaktionsverhältnis. Für die Fraktionen gilt es dabei, einen Spagat zwischen ihren Aufgaben als Funktionseinheiten des Parlaments und ihren Aufgaben als "parteipolitische Gliederungen,,9 zu vollbringen. Philipp Jenninger, lange Zeit erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/ CSU-Fraktion und später Bundestagspräsident, verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß "nicht nur rechtliche, sondern auch sehr weitgehende sachpolitische Unabhängigkeit der Fraktionen gegenüber der Partei [... ] der Fraktion ein sehr hohes Maß an eigener Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit [sichertld. Verf.] , die die Mitglieder der Fraktion auch durch ein mehr oder weniger bewußtes Zusammenwirken in den Gremien der Partei bemüht sind, unangetastet zu lassen.,,10 Wenngleich die Frage, inwiefern sich Partei und Fraktion in der politischen Arbeit wechselseitig beeinflussen und welche von beiden Akteursgruppen die politische Führung übernimmt, in dieser Untersuchung anhand ausgewählter Politikbereiche und Fallbeispiele noch aufgearbeitet werden soll, so kann doch als Ausgangsbasis festgehalten werden, daß Stärke und Zusammensetzung der Fraktionen erkennbar abhängen von "Entscheidungen der jeweiligen Partei und deren politischen Gewicht [... ], das im Wahlergebnis zum Ausdruck kommt.,,11 Neben der Definition der Begriffes der Fraktion in § 10 GO BT wird auch an anderer Stelle in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die Bedeutung der Fraktionen hervorgehoben: So heißt es in § 76 GO BT: "Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages [... ] müssen von einer Fraktion oder von ftinfvom Hundert der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet sein, es sei denn daß die Geschäftsordnung etwas anderes vorschreibt oder zuläßt."

Entsprechend kann ein Abgeordneter politische InitiativeQ im Deutschen Bundestag in der Regel nicht als Einzelner, sondern nur im Verbund mit einer

Jenninger: Oft muß die Fraktion die Führung übernehmen, S. 45. Ebd. 11 Hartmut Borchert: Die Fraktion - eine eigenständige, demokratisch legitimierte Repräsentation im parteienstaatlichen parlamentarischen System, in: Archiv des öffentlichen Rechts, H. 2, 1977, S. 233. 9

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C. Akteure

Mindestanzahl von Gleichgesinnten in Gang setzen. Den Fraktionen kommt damit ein Initiativmonopol ZU. 12 Sie sind dabei zugleich zentrale Gremien des parlamentarischen Willensbildungsprozesses. 13 Die besondere Stellung der Fraktionen im Deutschen Bundestag wird auch daran deutlich, daß ihre personelle Stärke die Berechnungsgrundlage bildet für die Zusammensetzung von Organen des Bundestages und von Gremien, bei deren Formation der Bundestag mitentscheidet. 14 So richtet sich nach der Stärke der Fraktionen der Proporz bei der Besetzung des Präsidiums oder des Ältestenrates des Deutschen Bundestages. Sie bestimmen aus ihren Reihen und berufen ab die Vorsitzenden und Mitglieder von Bundestagsausschüssen, des Vermittlungsausschusses, der Parlamentarischen Kontrollkommission oder von Enquete-Kommissionen. Ihre Stärke ist maßgebend bei der Zusammensetzung des Richterwahlausschusses oder des Wahlmännergremiums zur Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichtes. Nach den Mitgliederzahlen der Fraktionen richten sich die Zusammensetzung der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten, der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung, des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt, des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung u. a .. Fraktionen, nicht aber einzelnen Abgeordneten, ist die Möglichkeit der Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht eingeräumt. Ihnen kommen umfangreiche Rechte bei der Gesetzesinitiative, der Beratung von Gesetzesentwürfen, dem Ablauf von Plenardebatten und der Arbeit in den Ausschüssen des Parlaments zu. IS Weiterhin werden ihnen über die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages umfangreiche Kontrollrechte (§§ 75, 76, 101, 102, 106, 112, 114, 115) in Form von Anfragen an die Bundesregierung, "Aktuellen Stunden" oder dem Recht auf Aussprachen eingeräumt. 16 Den Fraktionen kommt "als Teil des Bundestages,,17 eine dominante Funktion in der Arbeit des Parlaments zu. Dies wird um so deutlicher, wenn man

12 Sieht man von seltenen Fällen ab, in denen die Maßzahl durch einen fraktionsübergreifenden Zusammenschluß von Abgeordneten erreicht wird. 13 Vgl. Steffani: Parteien (Fraktionen) und Ausschüsse im Deutschen Bundestag, S. 261. 14 Vgl. dazu Saalfeld: Parteisoldaten, S. 36-41; Kretschmer: Fraktionen - Parteien im Parlament, S. 50-61. 15 Detailliert dazu Kretschmer: Fraktionen - Parteien im Parlament, S. 62-69. 16 Ausführlich Kretschmer: Fraktionen - Parteien im Parlament, S. 70-72. 17 BVerfGE 1, S. 359; BVerfGE 2, S. 365.

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sich im Gegenzug die Rechte vergegenwärtigt, die dem einzelnen Abgeordneten laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verbleiben: 18 - Teilnahme an Abstimmungen im Deutschen Bundestag; - § 16 GO BT: Einsicht in Akten, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder von Ausschüssen befinden;

- § 20 Abs. GO BT: Beantragung der Änderung der Tagesordnung nach Eröffnung der Plenarsitzung, aber vor Eintritt in die Tagesordnung;

-§ 27, § 29 Abs. 3; § 31; § 32 GO BT: Beteiligung an Aussprachen; Wortmeldungen zur Geschäftsordnung; Erklärungen zu Abstimmungen; Erklärungen außerhalb der Tagesordnung; - § 47 GO BT: Beantragung der Teilung von Fragen vor Abstimmungen; - § 82 GO BT: Beantragung von Änderungen zu Gesetzesentwürfen während der zweiten Beratung; - § I 05 GO BT: Berechtigung, Einzelfragen mündlich oder schriftlich an die Bundesregierung zu richten; - § 111 GO BT: Ausübung von Befugnissen entsprechend Artikel 45 GG nach Übertragung durch den Petitionsausschuß. Hinzu kommt, daß sich in der parlamentarischen Praxis formale (Geschäftsordnungen der Fraktionen) und informale (Fraktionstraditionen, Fraktionssolidariät; Macht- und Willensbildungsstrukturen in der Fraktion) Strukturen herausgebildet haben, die den parlamentarischen Spielraum des einzelnen Abgeordneten weiter einschränken. 19 "Dies gilt insbesondere für die Teilnahme an Debatten, die in hohem Maße dem Reglement der Fraktionen bzw. ihrer Geschäftsführer unterliegen, bis zu einem gewissen Grad aber auch für die - teilweise verplanten - Fragestunden. Änderungsanträge durch einzelne Abgeordnete spielen kaum eine Rolle. Mit der Fraktion 'nicht abgesprochene' Anträge gelten generell als Verstoß gegen den Anspruch der Fraktions-

18 Vgl. auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 38 f.; Jörg Kürschner: Die Statusrechte des einzelnen Abgeordneten, Berlin 1984; Kretschmer: Fraktionen - Parteien im Parlament, S. 73-81; Klaus Abmeier: Die parlamentarischen Befugnisse der Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, Berlin 1984, S. 208 ff., S. 262; Claus Arndt: Fraktion und Abgeordneter, in: Ders./Wolfgang Zeh (Hrsg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin 1989, S. 643-672; Demmler: Der Abgeordnete; Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983-1991, S. 997-1000. 19 Dazu auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 40; umfassend Hans-Josef Vonderbeck: Parlamentarische Informations- und Redebefugnisse, Berlin 1983; Hans-Hermann Kasten: Möglichkeiten und Grenzen der Disziplinierung des Abgeordneten durch seine Fraktion: Fraktionsdisziplin, Fraktionszwang und Fraktionsausschluß, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 4, 1985, S. 475-484.

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C. Akteure solidarität; selbst über die Absicht, im Plenum eine Erklärung (§§ 30, 31, 31)20 abzugeben, ist die Fraktion rechtzeitig zu informieren.,,2\

Der einzelne Abgeordnete hat somit kaum Möglichkeiten, ohne Absprache mit seiner Fraktion und deren Zustimmung parlamentarisch wirkungsvoll tätig zu werden. 22 Die Parlamentsfraktionen, die zunächst aus dem Zusammenschluß von Abgeordneten mit parteipolitisch gleichartig ausgerichteten Zielen entstehen, bilden fur die Abgeordneten den zentralen Bezugsrahmen zur Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Aufgaben. Steffanis Definition von Fraktionen als "innerparlamentarische Vereinigungen [ ... ] von Abgeordneten, denen die Geschäftsordnung bei der Organisation und Arbeitsweise des Parlaments bestimmte, für die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten höchst bedeutsame Befugnisse einräumt,,23, erscheint vor dem Hintergrund der oben zusammengestellten Kataloge praxisnah. Die hervorgehobene Stellung der Fraktionen im Bundestag wird vor diesem Hintergrund auch charakteristisch in dem Begriff des "Fraktionenparlaments" zusammengefaßt. 24 Inwieweit die Fraktionen, insbesondere die hier untersuchungsrelevante Mehrheitsfraktion CDUlCSU-Bundestagsfraktion, "die politischen Kraftzentren und Motoren des parlamentarischen Geschehens" 25 bilden und welche Konsequenzen sich daraus fur das Machtdreieck von Partei, Fraktion und Bundesregierung ergeben, bleibt zu überprüfen.

20 Der GO BT. 2\ Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 39; dazu auch Wolfgang Ismayr: Parlamentarische Kommunikation und Abgeordnetenfreiheit, Frankfurt a. M. 1982, S. 43 f.; Manfred KonukiewitzJHelimut Wollmann: "Fraktion", in: Kurt SontheimerlHans H. Röhring (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2. Autl. München/Zürich 1978, S. 206. 22 Vgl. zur Rolle des fraktionslosen Abgeordneten Kretschmer: Fraktionen - Parteien im Parlament, S. 84. 23 Steffani: Parteien (Fraktionen) und Ausschüsse im Deutschen Bundestag, S. 272 f. Den idealtypischen, in dieser Form noch zu überprüfenden Ablauf faßt Maiseher mit folgender Kurzformel zusammen: "Die Diskussion und Abstimmung in der Fraktion oder ihren Gremien wie Arbeitskreise oder Vorstand macht aus dem Anliegen eines einzelnen [Abgeordneten/d. Verf.], das zunächst vielleicht nur durch eine individuelle oder regionale Interessenlage gestützt ist, eine mehrheitsfähige Initiative. So werden politische Ziele geformt [... ]" Peter Maiseher: Was ist eine Fraktion?, in: CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag (Hrsg.): In Verantwortung für Bayern. 50 Jahre CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag 1949-1996, München 1996, S. 40. 24 Zum Begriff des Fraktionenparlaments umfassend: Uwe Thaysen: Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1976, S. 69-81; Suzanne S. Schüttemeyer: Der Bundestag als Fraktionenparlament, in: Jürgen Hartmann und Uwe Thaysen (Hrsg.): Pluralismus und Parlamentarismus in Theorie und Praxis. Winfried Steffani zum 65. Geburtstag, Opladen 1992, S. 113-136. 25 Schick/Zeh: So arbeitet der Deutsche Bundestag, S. 14.

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2. Struktur und Organisation Die CDU/CSU-Fraktion stellt eine Besonderheit in der parlamentarischen Praxis der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Gruppen CDU und CSU im Bundestag werden von den gewählten Vertretern zweier unabhängiger Parteien gebildet. Zusätzlich zu den Organen der Fraktionsgemeinschaft verfügt jede der beiden Gruppen über eigene Organe?6 Zudem bildeten die CSU-Abgeordneten im Organisationsgeflecht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion immer mehr als nur eine von zehn Landesgruppen 27 der Fraktion: "Die CSU verkörpert das Selbstbewußtsein einer selbständigen Partei in einer gemeinsamen Fraktion.,,28 Dennoch können CDU und CSU gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages eine Fraktionsgemeinschaft bilden, da sie gleichgerichtete politische Ziele verfolgen und in keinem Bundesland in politischer Konkurrenz zueinander stehen. Wenn auch beide Parteien gleichgerichtete politische Ziele verfolgen, so schließt dies nicht das Einbringen unterschiedlicher Positionen in Detailfragen aus. Vielmehr prägt es die besondere politische Atmosphäre der Fraktionsgemeinschaft, die eine wichtige institutionelle Klammer zwischen den beiden Unionsparteien bildet,29 daß die gewählten Vertreter beider Parteien "die aus zwei Volks- und Sammlungsparteien herrührenden Gemeinsamkeiten und Spannungen,,30 in die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einbringen, und "schließt nicht aus, daß die beiden Schwesterparteien politische Kontroversen austragen. Aber bisher war es zwischen ihnen wie in einer Familie: Sie stritten sich mit dem Ziel der Versöhnung.,,3) Diese Darstellung täuscht allerdings darüber hinweg, daß es in der Geschichte der Fraktionsgemeinschaft auch Spannungen 26 Dieser Grundsatz wurde im Dezember 1976 während der Verhandlungen zwischen CDU und CSU zur Überwindung des Kreuther Beschlusses nachdrücklich unterstrichen. Danach handelt es sich bei den parlamentarischen Vertretern von CDU und CSU im Deutschen Bundestag "um die Abgeordneten einer jeweils selbständigen Partei" mit "eigenen Organen". Zitiert nach Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Kleine Geschichte der CDU, S. 120. 27 Diese Angabe bezieht sich auf den Untersuchungszeitraum. Mit Vollendung der deutschen Einheit kamen fünf Landesgruppen hinzu. Zur Stellung der CSU-Landesgruppe innerhalb der Fraktionsgemeinschaft vgl. auch den in seinen Grundzügen nach wie vor gültigen Beitrag von Wolfgang F. Dexheimer: Die CSU-Landesgruppe. Ihre organisatorische Stellung in der CDU/CSU-Fraktion, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 3, 1972, S. 307-313; ergänzend Haungs: Die CDU, S. 210 f. 28 Helmut Herles: Die Fraktionen. Zentren der Willensbildung, in: Günter Neske (Hrsg.): Der Deutsche Bundestag. Porträt eines Parlaments, Pfullingen 1991, S. 10 I; ergänzend Maria Mester-Grüner: In vieler Hinsicht überdurchschnittlich, in: Das Parlament, 10.11.1984. 29 Vgl. hierzu Rudolf Seiters: Union in der Praxis, in: Bayern-Kurier, 21.11.1987. 30 Helmut Herles: CDU/CSU, in: Günter Neske (Hrsg.): Der Deutsche Bundestag. Porträt eines Parlaments, Pfullingen 1991, S. 63. 31 Helmut Herles: Die Landesgruppe der CSU, in: Günter Neske (Hrsg.): Der Deutsche Bundestag. Porträt eines Parlaments, Pfullingen 1991, S. 106.

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gab, die ihren Fortbestand gefährdeten. Ein Höhepunkt stellte dabei der in geheimer Abstimmung gefaßte Kreuther Beschluß der CSU-Landesgruppe vom 19. November 1976 zur Bildung einer eigenständigen Fraktion dar. Allerdings trat die CSU bereits nach wenigen Tagen den Rückzug an, und die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU kam doch zustande. 32 Die Geschäftsgrundlage für die interne Organisation der CDU/CSU-Bundestags fraktion im Untersuchungszeitraum bilden die am 6. November 1980 beschlossene und zu Beginn der 10. (23. März 1983) und 11. Wahlperiode (17. Februar 1987) vereinbarte "Arbeitsordnung,,33 der Fraktionsgemeinschaft sowie die "Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU" fur die jeweilige Legislaturperiode. 34 In § 2 Absatz 1 der Arbeitsordnung werden die Organe der Fraktion benannt. Zu ihnen zählen (in der Reihenfolge ihrer Benennung): die Fraktionsversammlung; der Geschäftsfuhrende Vorstand; der Vorstand; die Arbeitsgruppen; der Ehrenrat; die Finanzkommission. Bis auf den Fraktionsvorsitzenden, der 32 Vgl. dazu Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Kleine Geschichte der CDU, S. 118120; zu den Hintergründen von Kreuth auch Ackermann: Politiker, S. 116 f.; ergänzend Roswin Finkenzeller: Lieb und frech, in: FAZ, 3.9.1997. 33 Die offiziellen Dokumente der Fraktion sprechen nicht von "Geschäftsordnung", sondern von "Arbeitsordnung". Jeweils zu Beginn einer Legislaturperiode beschließen die Abgeordneten der CDU und der CSU des Deutschen Bundestages erneut eine Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU für die laufende Wahlperiode. Aufgrund dieser Vereinbarung wird die jeweils gültige Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion beschlossen. Vgl. "Arbeitsordnung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion der 9. Wahlperiode vom 6. November 1980" (Dokument aus privatem Aktenbestand); "Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der 10. Wahlperiode vom 22. März 1983" (Dokument aus privatem Aktenbestand); Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der 11. Wahlperiode vom 17. Februar 1987" (Dokument aus privatem Aktenbestand). Im folgenden wird Bezug auf die Arbeitsordnung vom 6. November 1980 genommen. Veränderungen in den Arbeitsordnungen während des Untersuchungszeitraumes werden gesondert vermerkt. 34 Vgl. "Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU für die 9. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages" (Dokument aus privatem Aktenbestand); Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU für die 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages" (Dokument aus privatem Aktenbestand); Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU für die 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages" (Dokument aus privatem Aktenbestand). Während die Vereinbarungen für die 9. und 10. Wahlperiode in ihren Kernelementen identisch sind, unterscheiden sich die Fassungen der 10. und 11. Legislaturperiode in Punkt 9 und 10. In die Vereinbarung der 11. Legislaturperiode wurden folgende Zusätze neu aufgenommen: "Ab-weichungen von Koalitionsvereinbarungen können nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. [... ] Gleiches gilt für Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der EG, die die verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder oder ihre wesentlichen Interessen berühren." Neu wurde in Punkt 10 zudem die Formulierung aufgenommen: "Grundsätzliche politische Entscheidungen der CDU/CSU-Fraktion erfolgen nur im Einvernehmen zwischen beiden Gruppen."

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für die Dauer der Legislaturperiode von den Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam gewählt wird, und mit Ausnahme der Arbeitsgruppenvorsitzenden werden alle anderen Mitglieder des Vorstandes von den Gruppen der CDU- und der CSU-Abgeordneten getrennt gewählt. 35 Für den Fortgang dieser Untersuchung sind in erster Linie die Fraktionsversammlung, der Geschäftsführende Vorstand, der Vorstand sowie die Arbeitsgruppen der Fraktionsgemeinschaft von Bedeutung; sie sollen bei der weiteren Betrachtung deshalb im Vordergrund stehen. Die Fraktion der CDUICSU tritt in jeder Sitzungswoche des Bundestages mindestens einmal und grundsätzlich zur Beratung aller politischen Vorgänge vor der Beschlußfassung im Plenum des Bundestages zusammen. Außerordentliche Sitzungen können auf Wunsch von einem Drittel der Abgeordneten der Fraktion oder aber (während einer Sitzungswoche) auf Verlangen einer Arbeitsgruppe angesetzt werden. 36 Zu den Fraktionssitzungen können entsprechend § 3,2 der Arbeitsordnung der Unionsfraktion Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre und Mitglieder des Bundesrates ebenso hinzugezogen werden wie die CDUlCSU-Fraktionsvorsitzenden der Länderparlamente, die Parteivorsitzenden und Generalsekretäre von CDU und CSU, die Mitglieder der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament oder die ehemaligen Mitglieder der Fraktion. Nach Zustimmung durch den Vorstand der Fraktion kann u. a. auch Mitarbeitern der Bundesregierung Zugang zu den Sitzungen gewährt werden. Die Fraktionsversammlung ist formal das zentrale Beschlußorgan der CDUI CSU-Bundestagsfraktion. Sie beschließt gemäß § 4 der Arbeitsordnung über die Politik der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages. Dazu zählt auch nach der Beratung der Tagesordnung der Bundestagssitzungen die Festlegung der Redner, der Rednerreihenfolge sowie der Beschluß über Stellungnahmen der Fraktion zu den einzelnen Tagesordnungspunkten. Die Meinungsbildung zu den Tagesordnungspunkten geschieht in einem nahezu minutiös organisierten Wochenplan. Tabelle 2 gibt einen Überblick über den Ablauf einer Sitzungswoche der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Einbindung in den Rhythmus der Plenarsitzungen.

35 Vgl. Punkt 3 und 4 der "Vereinbarung über die Fortflihrung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU flir die 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages" (Dokument aus privatem Aktenbestand). 36 Vgl. § 3,1 Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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Tabelle 2 Ablauf einer typischen Sitzungswoche der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Montag

Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sitzungen der AusschußPlenarBesprechung Arbeitssitzungen des sitzungen d. Fraktionsgruppen Bundestages (ganztags) referenten (Geschf. Fraktionsvorstand) KoalitionsAusschuß- Plenar- und runde sitzungen des AusschußBundestages sitzungen (gelegentlich) des Bundestages Obleuterunde Nachmittag Geschf. Frak- Fraktions- Regierungstionsvorst. a) sitzung befragung FraktionsFragestunde im Bundestag vorstand Landes(Geschf. Abend Fraktionsgruppen vorstand) aj, .. Daneben tagt der Geschäftsführende Vorstand auch oft nach der FraktIOnsversammlung am DIenstagabend, Vormittag

Zusätzliche Treffen sind immer möglich. Laut Ismayr tagte der Geschäftsführende Vorstand in der 11. WP auch regelmäßig am Freitag der vorausgehenden Sitzungswoche. Vgl. Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 126. Bestätigend Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. Zusammengestellt aus folgenden Quellen: Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996; Kramer im Gespräch mit dem Autor am 13.8.1996; Rudolf Seiters: Die Kabinettsarbeit in Bonn und Berlin, S. 194 f.; Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 126-129.

Zu den organisatorischen Aufgaben der Fraktionsversammlung zählen ausserdem u. a.: 37 - Die Beschlußfassung über die Zahl und Aufgabenbereiche der Stellvertretenden Vorsitzenden und der Arbeitsgruppen sowie die Zahl der Parlamentarischen Geschäftsführer; - die Wahl des Vorsitzenden der Fraktion, der Vorsitzenden der Arbeitsgruppen und ihrer Stellvertreter; - die Benennung von Kandidaten für das Amt eines Vorsitzenden oder Stellvertretenden Vorsitzenden der Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Die Fraktionssitzungen wurden während der achtziger Jahre in der Regel vom Fraktionsvorsitzenden Dregger mit einem "Bericht zur Lage", einer Zu37 An dieser Stelle werden nur die für die Untersuchung relevanten Aufgaben aufgelistet. Ein detaillierter Katalog findet sich in § 4,2 der Arbeitsordnung der CDU/CSUBundestagsfraktion.

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sammenfassung der aktuellen politischen Entwicklungen und der zur Bearbeitung anstehenden Aufgabenfelder eröffnet. An die Ausfiihrungen des Fraktionsvorsitzenden schloß sich oft ein Bericht der Bundesregierung zur aktuellen Politik an. Dieser wurde entweder vom jeweiligen Staatsminister bzw. Bundesminister im Bundeskanzleramt, einem Regierungsmitglied oder vom Bundeskanzler selbst abgegeben. War rur Adenauer die Teilnahme an Fraktionssitzungen identisch mit dem Gang durchs Fegefeuer,38 so hatte Kohl - wohl nicht zuletzt resultierend aus seiner eigenen Zeit als Fraktionsvorsitzender - ein entspannteres Verhältnis zu den Fraktionssitzungen. Kohl nahm im Durchschnitt an jeder zweiten Fraktionssitzung teil und ergriff in der Regel nach Dreggers Sitzungseröffnung das Wort. 39 Das organisatorische Herzstück und die Schaltzentrale der CDU/CSUFraktion bildet der Geschäftsfiihrende Vorstand. Ihm gehören der Fraktionsvorsitzende, seine Stellvertreter, die Parlamentarischen Geschäftsruhrer und die Justitiare der Fraktion an. 40 Traditionell ist der Vorsitzende der Landesgruppe der CSU zugleich auch erster Stellvertreter des Fraktionsvorsitzenden, und der Parlamentarische Geschäftsruhrer der CSU-Landesgruppe ist kraft seines Amtes Stellvertreter des ersten Parlamentarischen Geschäftsruhrers der Fraktionsgemeinschaft. 41 Dem Geschäftsruhrenden Vorstand obliegt neben der Vorbereitung der Sitzungen des Vorstandes und der Fraktionsversammlung auch die Führung der laufenden Fraktionsgeschäfte. 42 Hierzu ist eine enge Abstimmung vor allem zwischen dem Fraktionsvorsitzenden und den Parlamentarischen Geschäftsführern, insbesondere dem ersten Parlamentarischen Geschäftsführer notwendig. Im Geschäftsruhrenden Vorstand der CDU/CSU-Fraktion bilden der Vorsitzende, sein erster Stellvertreter sowie der erste Parlamentarische Geschäftsruhrer und dessen Stellvertreter den engsten Führungskreis. 43 Der erste Parlamentarische Geschäftsruhrer ist eine zentrale Figur im Hierarchiesystem der Fraktion. 44 Er ist rur viele interne Führungs- und Organisationsfragen zuständig: Wer wird was? Was wird politisch gemacht? Wie wird es gemacht? Er

38 Vgl. Eugen Gerstenmeier: Streit und Friede hat seine Zeit: ein Lebensbericht, Frankfurt a. M. 1981, S. 403. 39 Vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. 40 Dazu § 5 der Arbeitsordnung der CDU/CSU Bundestagsfraktion. 41 Vgl. Punkt 3 und 5 der "Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU für die 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages". Vgl. auch Schick/Zeh: So arbeitet der Deutsche Bundestag, 1995, S. 16. 42 Vgl. z. B. Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der 9. Wahlperiode vom 6. November 1980. 43 Dazu auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 123. 44 Vgl. dazu auch Suzanne S. Schüttemeyer: Manager des Parlaments zwischen Effizienz und Offenheit. Parlamentarische Geschäftsführer im Deutschen Bundestag, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/37, 1997, S. 8-17.

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sitzt u. a. für die Fraktion im Ältestenrat des Deutschen Bundestages und im Vermittlungsausschuß. Er nimmt an allen Veranstaltungen, formellen und informellen Runden und Gremiensitzungen teil, die in irgendeiner Form für die Fraktion wichtig sind. 45 Durch spezifische Personenkonstellationen fiel innerhalb dieses engen Führungskreises im Untersuchungszeitraum dem jeweiligen ersten Parlamentarischen Geschäftsführer46 eine zusätzlich hervorgehobene Rolle ZU. 47 Die starke Stellung des ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion in dieser Zeit war auf mehrere Ursachen zurückzuführen: Dregger war schon von seinem Persönlichkeitsprofil her nicht der geborene Fraktionsvorsitzende. Sein besonderes Augenmerk galt vor allem seinen "Lieblingsthemen" aus den Bereichen der Außen-, Sicherheits-, Vertriebenenund Deutschlandpolitik, weniger dagegen den Alltagsfragen der Organisation und Führung der CDU/CSU-Fraktion. 48 Gleichzeitig kam hinzu, daß Dregger zwar während seiner gesamten Amtszeit als Fraktionsvorsitzender loyal zum Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzenden Kohl stand,49 gleichzeitig aber nicht zu den führenden Fraktionsmitgliedem - wie z. B. Schäuble und Seiters zählte, die unmittelbaren Zugang zu Kohl hatten und regelmäßige Teilnehmer seiner abendlichen Zirkel im Kanzleramt waren. 50 Das Verhältnis des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden der CDU zum Vorsitzenden der CDUICSUFraktion im Deutschen Bundestag war distanziert,51 oder wie es jemand aus

Vgl. auch Kramer im Gespräch mit dem Autor am 13.8.1996. Wolfgang Schäuble vorn 4.10.1982 bis 15.11.1984; Rudolf Seiters vorn 15.11.1984 bis 21.4.1989; Friedrich Bohl ab 25.4.1989. 47 Dazu und zum folgenden vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. 48 Vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996; dazu auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 79. 49 Zur Person und Amtsauffassung Dreggers vgl. auch Felicitas Schaefer: Der Führer der "Stahlhelm-Fraktion". Ein Porträt des CDU-Fraktionschefs Alfred Dregger, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 11, 1985, S. 1356-1366. 50 Zum Kern dieser Kreise, der bedarfsorientiert um weitere Teilnehmer ergänzt wurde, zählten: Eduard Ackermann, Anton Pfeifer, Horst Teltschik, Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters. Unregelmäßig nahm auch Norbert Blüm teil. Weitere Informationen zu diesen informellen Zirkeln im Umkreis von Kohl finden sich bei Korte: Deutschlandpolitik, S. 25-31. Ein Indiz für die Bedeutung, die z. B. Kohl den ersten Parlamentarischen Geschäftsführern zuweist, und das Vertrauen, das er ihnen entgegenbringt, ist u. a. in der Tatsache zu sehen, daß, beginnend mit Jenninger und endend mit Bohl, jeder Kanzleramtsminister (Jenninger als Staatsminister im Kanzleramt) zuvor das Amt des ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion begleitet hatte. Horst spricht in diesem Zusammenhang von der Parlamentarischen Geschäftsführung als der "Kaderschmiede fürs Kanzleramt". Vgl. Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 418. 51 Verschiedentlich wird angeführt, daß das allenfalls begrenzte Vertrauensverhältnis Kohls zu Dregger aus dessen Unterstützung für Strauß vor der Bundestagswahl 1980 herrührte. Allerdings bezog Dregger in seiner Amtszeit als Fraktionsvorsitzender bei den gelegentlichen Streitigkeiten zwischen Kohl und Strauß stets Position flir Kohl. 45

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dem Kanzleramt formulierte: Beide zählten zu denen, die "sich nicht jede Woche umarmen.,,52 Welche Konsequenzen dies alles filr die Politikgestaltung im Machtdreieck im Untersuchungszeitraum hatte und inwieweit damit möglicherweise eine Schwächung der CDU/CSU-Fraktion im politischen Entscheidungsprozeß einherging, bleibt im weiteren zu untersuchen. Wenngleich die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion dem Vorstand - er besteht gemäß § 6 der Arbeitsordnung aus dem Vorsitzenden, seinen Stellvertretern, den Parlamentarischen Geschäftsfilhrern, den Justitiaren, den Vorsitzenden der Arbeitsgruppen (Sprechern), den Vorsitzenden der sonstigen Gruppen und acht weiteren Mitgliedern (Beisitzern) - die Führung der "Geschäfte entsprechend den Beschlüssen der Fraktion" und die Beratung "über alle an die Fraktionsversammlung und an die Arbeitsgruppen gehenden Vorlagen" zuschreibt, so haben sich diese Aufgaben im parlamentarischen Alltag doch zu einem Teil auf den geschäftsfilhrenden Vorstand und die engsten Führungszirkel verlagert. Ursache dafilr ist nicht zuletzt die Größe des Fraktionsvorstandes. In voller Besetzung umfaßte er in den achtziger Jahren annähernd 80 Personen. 53 Hierunter litten naturgemäß Arbeitsflexibilität und Entscheidungsfahigkeit. Formal hat der Fraktionsvorstand dennoch eine hervorgehoben Stellung, denn in diesem Gremium werden die politischen Empfehlungen filr die Fraktion ausgearbeitet. Dabei wird eine Abstimmung mit der Regierung nicht zuletzt dadurch gefördert, daß an Sitzungen dieses Gremiums regelmäßig Vertreter der Bundesregierung und der Parteien teilnehmen - so z. B., wenn auch eher unregelmäßig, der Bundeskanzler und Vorsitzende der CDU, Helmut Kohl. 54 Darüber hinaus berichten in diesem Forum die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen der Fraktion über politische Entwicklungen in ihren Arbeitsbereichen und stellen Vorlagen, Initiativen etc. vor, über deren Vorlage an die Gesamtfraktion der Vorstand dann entscheidet. Dabei zeigt die parlamentarische Praxis, daß Vorlagen nur dann dem Vorstand vorgelegt werden, wenn sie zuvor in der Arbeitsgruppe eine mehrheitliche Zustimmung gefunden haben. 55 Gleichzeitig Vgl. Günter Müchler: Kohls junger Mann war er noch nie, in: Rheinischer Merkur, 30.11.1984; "Dregger steht hinter Kohl", in: FR, 3.10.1984. 52 Zitiert nach Carl-Christian Kaiser: Leises Grummeln an der Basis, in: Die Zeit, 9.3.1984. 53 Vgl. dazu Kramer im Gespräch mit dem Autor am 13.8.1996. 54 "Bei den Vorstandssitzungen [sind/d. Verf.] die Parteivorsitzenden und Generalsekretäre der CDU und der CSU und, soweit sie der CDU oder der CSU angehören, die Mitglieder des Bundestagspräsidiums und des Präsidiums des Europäischen Parlaments, der Bundesregierung, die früheren Bundeskanzler und der Vorsitzende der CD-Fraktion des Europäischen Parlaments und der Obmann der deutschen Mitglieder dieser Fraktion mitberatungsberechtigt. Der Vorsitzende kann Gäste zur Beratung hinzuziehen." Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion der 9. Wahlperiode vom 6. November 1980 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 55 So auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 127.

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werden hier - soweit dies noch nicht im geschäftsführenden Vorstand geschehen ist - Strategien, Redewünsche, Redebeiträge sowie deren inhaltliche Schwerpunkten für anstehende Plenarsitzungen koordiniert. Die inhaltliche Arbeit innerhalb der CDU/CSU-Fraktion wird zu wesentlichen Teilen in den Arbeitsgruppen 56 der Fraktionsgemeinschaft geleistet. Den Arbeitsgruppen gehören mindestens die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder der Ausschüsse des Bundestages an, deren Arbeitsgebiet die jeweilige Arbeitsgruppe abdeckt. 57 Gleichzeitig kann aber jeder Fraktionsangehörige die Mitgliedschaft in der ihn interessierenden Arbeitsgruppe beantragen. Über diesen Antrag entscheidet laut Arbeitsordnung formal der Fraktionsvorstand. 58 Die Arbeitsgruppen sind spiegelbildlich zu den Ressorts der Bundesregierung ausgerichtet. 59 Sie entwickeln politische Initiativen der Fraktion im jeweiligen Arbeitsgebiet und beraten gemäß § 8,4 der Arbeitsordnung der Fraktion über "die Vorlagen, die ihnen vom Vorstand überwiesen worden sind." Nach einer Bearbeitung dieser Vorlagen findet in der Regel eine Diskussion, Abstimmung und Koordination der Arbeitsergebnisse mit ebenfalls betroffenen Arbeitsgruppen in dem in der Arbeitsordnung der Fraktion nicht vorgesehenen Gremiun der "Obleuterunde,,60 statt, der "Besprechung der Arbeitsgruppen-Vorsitzenden mit dem Fraktionsvorsitzenden, den Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und den Parlamentarischen Geschäftsführern,,61. Dieses informelle Gremium dient damit nicht nur der organisatorischen Vorbereitung der Fraktionssitzung, sondern kann auch eine zusätzliche inhaltliche ClearingsteIle fUr mögliche divergierende Interessen zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen sein. Wie die Arbeitsgruppen nehmen auch die Landesgruppen der Fraktion eine nicht zu unterschätzende Funktion innerhalb der Fraktion ein. Sie sind mehr als nur die regelmäßige Zusammenkunft von Abgeordneten einer bestimmten Region, eines oder mehrerer Bundesländer. Die Treffen der Angehörigen der Landesgruppen dienen dem Gedankenaustausch, dem Austausch von Informationen aus den unterschiedlichen Arbeitsgebieten und der Koordination der parlamentarischen Arbeit zur Durchsetzung spezifischer regionaler Interessen. 62 Sie dienen aber auch der Information der Fraktionsmitglieder über die 56 Zur Geschichte der Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Fraktion vgl. auch Wolfgang F. Dexheimer/Max Hartmann: Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und -gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in: Zeitschrift fllr Parlamentsfragen, H. 2, 1970, S. 232-236. 57 § 8,1 Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion. 58 V gl. § 8,1 Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion. 59 Dazu im Detail das nachfolgende Kapitel. 60 So Kramer im Gespräch mit dem Autor am 13.8.1996. 6\ Nach Ismayr ist dies die offizielle Bezeichnung. Vgl. Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 144 f. 62 Vgl. auch Deutscher Bundestag (Hrsg.): Eine Woche in Bonn, Bonn 1995.

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Politik der Fraktion, der Erkundung der Stimmungslage der Parlamentarier und haben den Zweck, sie gegebenenfalls auf das Fraktionsprogramm einzuschwören. Die Landesgruppen stellen damit ein weiteres Gremium dar, das dazu beiträgt, die einzelnen Abgeordneten politisch auf die gewünschte Fraktionslinie zu trimmen. Sie bieten den Parlamentariern aber zugleich einen Rahmen, "Dampf abzulassen", ohne mit Sanktionen, wie z. B. in der Fraktionsversammlung, rechnen zu müssen. Darüber hinaus stellen die Landesgruppen aber auch für die Landesverbände der CDU beziehungsweise die CSU die Möglichkeit dar, Anliegen und Interessen in die Bonner Politik zu transportieren. In eine besondere Situation rückte dabei von jeher der Landesgruppenchef der CSU. Insbesondere der langjährige Landesgruppenchef Theodor Waigel hatte für den Untersuchungszeitraum den Spagat zu vollbringen zwischen der Besänftigung eines latenten Argwohns der Parteizentrale in München, "der Landesgruppe gehe in Bonn die bayerische Stelle verloren,,63, und dem Bemühen der CSUAbgeordneten um ein eigenständiges, aber zugleich auch kooperatives Profil in der Regierungskoalition.

3. Mitglieder Der Untersuchungszeitraum zwischen Oktober 1982 und November 1989 schließt drei Legislaturperioden des Deutschen Bundestages ein. Die CDU/ CSU-Fraktion64 umfaßte während der 9. Wahlperiode (1980-1983) 237 Mitglieder. In der 10. Wahlperiode (1983-1987) gehörten ihr zunächst 255 Mitglieder an. Diese Zahl verringerte sich nach Fraktionsaustritten auf 253. 65 In der 11. Wahlperiode (1987-1990) schließlich bildeten 234 Abgeordnete die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag. Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU/CSUIFDPKoalition nach dem konstruktiven Mißtrauensvotum vom 1. Oktober 1982 bedeutete einen grundlegenden personellen Wechsel im Fraktionsmanagement der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die bisherige Führungsmannschaft wechselte zu weiten Teilen in die Regierungsverantwortung. Im geschäftsführenden Vorstand wurden im Zuge der Regierungsübernahme 10 Positionen (von 14) neu- beziehungsweise umbesetzt und die Zahl der stellvertretenden VorsitzenCarl-Christian Kaiser: Leises Grummeln an der Basis, in: Die Zeit, 9.3.1984. Nachstehende Angaben beziehen auch die bis zum 8.6.1990 nicht mit vollem Stimmrecht versehenen Berliner Abgeordneten ein. Diese und die nachfolgenden Angaben beruhen auf Peter Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980-1987, Baden-Baden 1988, S. 277; ders.: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983-1991, S. 373. 65 Am 8.7.1983 bzw. 28.10.1983 verließen die CSU Abgeordneten Franz Handlos und Ekkehard Voigt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 63

64

90

C. Akteure

den um eine auf sieben erhöht. Von den ausscheidenden Vorstandsmitgliedern übernahm Helmut Kohl das Amt des Bundeskanzlers, Friedrich Zimmermann wurde Bundesinnenminister, Manfred Wörner wechselte als Minister in das Bundesverteidigungsministerium, Philipp Jenninger wurde zum Staatsminister im Bundeskanzleramt berufen, Dorothee Wilms übernahm die Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Wilhem Rawe wurde Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Post- und Fernmeldewesen. Fraktionsintern wechselten Alfred Dregger, Wolfgang Schäuble und Reinhold Kreile. Dregger stieg vom Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion zum Vorsitzenden auf. Für ihn rückte als Stellvertretender Vorsitzender Benno Erhard nach. Wolfgang Schäuble stieg vom Parlamentarischen Geschäftsführer zum ersten Parlamentarischen Geschäftsfilhrer auf. Kreile wechselte vom Amt des Justitiars in den Vorsitz der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der bisherige wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Theodor Waigel, übernahm von Zimmermann den Vorsitz der CSU-Landesgruppe und damit zugleich auch das Amt des ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion. Rudolf Seiters und Agnes Hürland wurden als Nachfolger von Rawe und Wilms Parlamentarische Geschäftsfilhrer. Neben diesen Rochaden kam es gleichzeitig zur Neubesetzung des mit dem Ausscheiden von Walther Leisler Kiep seit April 1982 vakanten Amts eines Stellvertretenden Vorsitzenden. Diese Position übernahm zum 14.10.1982 Hansheinz Hauser. Darüber hinaus wurde die Zahl der stellvertretenden Vorsitzenden auf sieben erhöht. Volker Rühe war Nutznießer der Erweiterung des Vorstandes und übernahm innerhalb des geschäftsführenden Vorstandes die Zuständigkeit für außen- und deutschlandpolitische Fragen. Unverändert blieben im geschäftsführenden Vorstand der CDU/CSU-Fraktion lediglich die Positionen von Adolf Müller und Helga Wex (stellvertretende Vorsitzende), von Wolfgang Bötsch (Parlamentarischer Geschäftsfilhrer) sowie Paul Mikat (Justitiar). Nach diesem durch den Regierungswechsel bedingten, umfassenden Fraktionsrevirement war der geschäftsfilhrende Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den Folgejahren bis 1989 von hoher Personalkontinuität geprägt. Mit Schäuble, Seiters und Waigel wechselten nur wenige Mitglieder in die Regierungsverantwortung. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die Zusammensetzung des geschäftsführenden Vorstandes und des erweiterten Fraktionsvorstandes 66 zwischen Oktober 1982 und November 1989.

66 Es fehlen die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen und der sonstigen Gruppen der Fraktion. Vgl. dazu auch Tabelle 4.

11. Unionsfraktion

91

Tabelle 3

Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der 9.,10. und 11. Wahlperiode WP

Vorsitz.

9. WP (ab Alfred Dregger 4.10. 1982-83) (CDU)

t. Stellv. Vorsitz.

Stellv. Vorsitz.

Theodor Waigel (CSU)

Adolf Müller (CDU)

1. PGF

PGF

Wolfgang Wolfgang Schäuble Bötsch (CDU) (CSU)

Benno Erhard (CDU)

Rudolf Seiters (CDU)

Hansheinz Hauser (CDU)

Agnes Hürland (CDU)

Justitiare Beisitzer Paul Mikat (CDU)

Lutz Stavenhagen (CDU)

KarlHeinz Spilker (CSU)

Gerhard Reddemann (CDU) Hans Peter Schmitz (CDU)

Helga Wex (CDU)

Heinz Schwarz (CDU)

Ignaz Kiechle (CSU)

Doris Pack (CDU)

Volker Rühe (CDU)

Reinhard Metz (CDU) Peter W. Höffkes (CSU) Dionys Jobst (CSU)

Alfred 1O.WP (1983-87) Dregger (CDU)

Theodor Waigel (CSU)

Walter Wolfgang Wolfgang Paul Mikat Altham- Schäuble Bötsch (CDU) (CDU), (CSU) mer (CSU), bis 15.11.84 bis 11.1.85 Rudolf KarlRudolf Seiters Seiters Heinz Spilker (CDU), (CDU), (CSU), ab bis ab 11.1.85 15.11.84 15.11.84

KarlHeinz Spilker (CDU)

Renate Hellwig (CDU)

Reinhard Metz (CDU)

(Fortsetzung nächste Seite)

92

C. Akteure

(Fortsetzung Tabelle 3) WP Vorsitz. 1. Stellv. Vorsitz.

Stellv. Vorsitz.

1. PGF

PGF

Justitiare Beisitzer

Benno Erhard (CDU), bis 3.11.83

Friedrich Bohl (CDU), ab 15.11.84

Gerhard Reddemann (CDU)

Karl Miltner (CDU), ab 23.11.83

Agnes Hürland (CDU)

Hans Peter Schmitz (CDU)

Hansheinz Hauser (CDU)

Lutz Stavenhagen (CDU)

Adolf Müller (CDU)

Heinz Schwarz (CDU)

Volker Rühe (CDU)

Peter W. Höffkes (CSU)

Helga Wex (CDU), bis 9.1.86

Dionys Jobst (CSU)

Roswitha Verhülsdonk (CDU), ab 28.1.86 11. WP (19879.11.89)

Alfred Dregger (CDU)

Theodor Waigel (CSU), bis 21.4.89

Karl Miltner (CDU), bis 20.5.88

Rudolf Wolfgang Manfred Kurt BieSeiters Bötsch Langner denkopf (CDU), (CSU), (CDU) (CDU) bis bis 21.4.89 25.4.89

Friedrich Rudolf Alfred Renate Wolfgang Paul Bohl Kraus Sauter Hellwig Bötsch Laufs (CDU) (CSU), ab (CDU), (CDU), (CSU), ab (CDU), 25.4.89 bis 6.7.88 ab 25.4.89 ab 7.6.88 25.4.89

11. Unionsfraktion WP

Vorsitz.

I. Stellv. Vorsitz.

Stellv. Vorsitz.

I. PGF

93 PGF

Justitiare Beisitzer

Hansheinz Hauser (CDU)

KarlFriedrich Peter W. Bohl Höffkes Heinz (CDU), (CSU), ab Hornhues (CDU) bis 21.9.88 25.4.89

KarlHeinz Spilker (CSU)

Jürgen Rüttgers (CDU), ab 25.4.89

HansPeter Repnik (CDU)

Otto Zink (CDU)

Ingrid Roitzsch (CDU)

Hans Peter Schmitz (CDU)

Volker Rühe (CDU), bis 3.10.89

Heinz Schwarz (CDU)

KarlHeinz Hornhues (CDU), ab 3.10.89

Peter W. Höffkes (CSU), bis 21.9.88 Otto Regenspurger (CSU), ab 21.9.88

Roswitha Verhülsdonk (CDU)

Dionys Jobst (CSU)

Nicht aufgeführt sind die Vorsitzenden der sonstigen Gruppen und die entsprechend § 6 der Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mitberatungsberechtigten Personen. Quellen: Peter Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1987, BadenBaden 1988, S. 283-285; ders.: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983 bis 1991, Baden-Baden 1994, S. 381-383; eigene Recherchen.

Auch für die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Fraktion läßt sich ähnliches feststellen wie für den geschäftsführenden Fraktionsvorstand: Die Vorsitzenden der spiegelbildlich zu den Ressorts der Bundesregierung und den Ausschüssen des Deutschen Bundestages ausgerichteten Arbeitsgruppen bildeten 1982 den zentralen Rekrutierungspool für den Aufbau und die Zu-

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C. Akteure

sammensetzung der neuen Regierungsmannschaft. 11 der 15 Arbeitsgruppenleiter wechselten, in erster Linie als Parlamentarische Staatssekretäre, in die neue Regierungsmannschaft. 67 Da gleichzeitig Benno Erhard, Ignaz Kiechle und Theodor Waigel in den geschäftsführenden Vorstand aufrückten, mußten für 14 der 15 Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion neue Vorsitzende gefunden werden. 68 Im Zuge der Neubesetzungen wurde zugleich die Zahl der Arbeitsgruppen auf 17 erhöht. Insgesamt stand damit bis auf das Bundeskanzleramt jedem der 16 Bundesministerien in der CDU/CSU-Fraktion spiegelbildlich eine Arbeitsgruppe gegenüber. 69 Diese Deckungsgleichheit reichte bis hin zur Übernahme der offiziellen Bezeichnungen der Bundesministerien. 70 Die nach dem Regierungswechsel 1982 in der Fraktion angelegte Struktur der Arbeitsgruppen blieb für den gesamten Untersuchungszeitraum weitgehend erhalten. 71 In der 10. Wahlperiode wurde allerdings die Zahl der Arbeitsgemeinschaften durch die am 27. Juni 1986 neugeschaffene Arbeitsgruppe "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit" auf 18 erhöht. 72 Für den Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind vor allem die Mitglieder der Arbeitsgruppen "Finanzen" (AG 8),73 "Haushalt" (AG 9),

67 Heinz Riesenhuber übernahm das Amt des Bundesministers für Forschung und Technologie; Peter Lorenz wurde zum Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin ernannt. Zu Parlamentarischen Staatssekretären wurden: Carl-Dieter Spranger (Bundesministerium des Innern), Dieter Schulte (Bundesministerium für Verkehr), Friedrich-Adolf Jahn (Bundesministerium für Ramordnung, Bauwesen und Städtebau), Hansjörg Häfele (Bundesministerium der Finanzen), Alois Mertes (Auswärtiges Amt), Peter Kurt Würzbach (Bundesministerium der Verteidigung), Volkmar Köhler (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit), Heinrich Franke (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung), Anton Pfeifer (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft). 68 Nur der Vorsitz der Arbeitsgruppe Jugend, Familie und Gesundheit blieb mit Hermann Kroll-Schlüter unverändert. 69 Nur die Arbeitsgruppe "Haushalt" hat keinen direkten Counterpart auf Regierungsebene. 70 So übernahmen beispielsweise die Arbeitsgruppen "Post- und Fernmeldewesen", "Arbeit und Sozialordnung" oder "Jugend, Familie und Gesundheit" die offiziellen Bezeichnungen der entsprechenden Ministerien. Eine Ausnahme bildete lediglich die deutschlandpolitische Arbeitsgruppe, die von "Innerdeutsche Beziehungen und BerIinfragen" zu "Deutschlandpolitik und Berlinfragen" umbenannt wurde. 71 Einen Gesamtüberblick über die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen der CDU/CSUBundestagsfraktion zwischen 1982 und 1989 bietet z. B. Klaus J. Holzapfel (Hrsg.): Kürschners Volkshandbuch. Deutscher Bundestag. 9. Wahlperiode ff., Rheinbreitenbach 1982 ff. 72 Darüber hinaus wurde in der 11. Wahlperiode die Arbeitsgruppe "Jugend, Familie und Gesundheit" in "Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit" umbenannt. 73 Bis zur Beteiligung an der Regierung waren die Bereiche Finanzen und Haushalt in einer einzigen Arbeitsgruppe der Fraktion zusammengefaßt.

11. Unionsfraktion

95

"Deutschlandpolitik und Berlinfragen" (AG 14)74 sowie "Inneres, Umwelt und Sport" (AG 2) wichtig. Aus der letztgenannten Gruppe ging am 27.6.1986 die eigenständige Arbeitsgruppe "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit" hervor. In Tabelle 4 sind die Vorsitzenden und Mitglieder der für die Untersuchung relevanten Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verzeichnet. Tabelle 4

Arbeitsgruppenvorsitzende in der 9.,10. und 11. Wahlperiode Wahlperiode

9. WP(ab 4.10.1982-83) 10. WP (198387)

11. WP (19879.11.89)

AG Inneres, Umwelt und Sport (ab 27.6.1986 eigenständige AG Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) Karl Miltner (CDU) Karl Miltner (CDU), bis 23.11.83 Paul Laufs (CDU), bis 24.6.86 Paul Laufs (CDU), ab 27.6.86 Paul Laufs (CDU)

AG Finanzen

AG Haushalt

AG Deutschlandpolitik und Berlinfragen

Reinhold Kreile (CSU) Reinhold Kreile (CSU)

Manfred Carstens (CDU) Manfred Carstens (CDU)

Eduard Lintner (CSU) Eduard Lintner (CSU)

Michael Glos (CSU)

Manfred Carstens (CDU)

Eduard Lintner (CSU)

Quelle: Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1987, S. 294 f; ders.: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983 bis 1991, S. 396 f.

Insgesamt kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß die Führung der CDU/CSU-Fraktion beim Regierungswechsel ein zentrales Reservoir für die Bildung der neuen Regierungsmannschaft Kohls darstellte. Mit dem Wechsel zahlreicher Politiker aus dem Fraktionsvorstand in die Regierungsverantwortung hatte sich aber gleichzeitig das Gesicht der Fraktion verändert. Nahezu alle, die während der Oppositionszeit der CDU/CSU-Fraktion Rang und Namen hatten, waren in die Bundesregierung übergewechselt. Bundestagsabgeordnete der bisher zweiten und dritten Reihe waren unversehens und in großer Zahl in Führungspositionen gerückt. Damit befanden sich nunmehr Leute "in der 74 Unmittelbar nach dem Eintritt der CDU/CSU in die Regierungsverantwortung wurde diese Arbeitsgruppe am 14. Oktober 1982 in "Deutschlandpolitik und Berlinfragen" umbenannt (zuvor: Innerdeutsche Beziehungen und Berlinfragen).

96

C. Akteure

Waagschale [... ], die bisher zu den soliden Handwerkern des Parlaments gehörten - ganz unentbehrlich für dessen Getriebe, zumal durch ihr Fachwissen, aber keine Symbolfiguren, an denen sich die politische Phantasie entzünden könnte.,,75 Der erste Parlamentarische Geschäftsführer Schäuble brachte die Situation der Fraktion nach dem Regierungswechsel knapp auf den Punkt: "Der plötzliche Weggang der meisten führenden Leute, das ist unser Problem.,,76 Nahezu alle Mitglieder des Vorstandes bzw. des geschäftsführenden Vorstandes hatten ihre parlamentarische Sozialisation während der Oppositionszeit der CDU/CSU im Deutschen Bundestag erhalten. Aus dem geschäftsführenden Vorstand hatten beispielsweise nur Adolf Müller, Benno Erhard und Helga Wex in ihrer parlamentarischen Laufbahn noch CDU/CSU-Regierungen auf Bundesebene erlebt. Auf einen umfassenden Erfahrungsschatz hinsichtlich politischer Kooperation zwischen Bundesregierung und regierungstragender Fraktion konnte nicht zurückgegriffen werden. Eine Übergangs- und damit Lernphase, wie sie die SPD während der Zeit der Großen Koalition Ende der sechziger Jahre nutzen konnte, gab es für die neue Führung der CDU/CSU-Bundestags fraktion nicht. Die unmittelbar nach dem Regierungswechsel angelegte Struktur der Fraktion blieb für den Untersuchungszeitraum im wesentlichen erhalten. Gleichzeitig war der geschäftsführende wie auch der erweiterte Vorstand für den zu untersuchenden Zeitraum von hoher Personalkontinuität geprägt. Eine umfangreiche Rekrutierung neuer Minister und Parlamentarischer Staatssekretäre aus diesem Personalreservoir fand nicht statt. Der Fraktionsvorsitz lag für alle drei untersuchungsrelevanten Legislaturperioden bei Alfred Dregger. Geringfügige Veränderungen in der Fraktionsspitze waren vor allem bedingt durch das Ausscheiden von Schäuble (1984), Waigel (1989) und Seiters (1989). In den knapp über sieben Jahren zwischen Oktober 1982 und November 1989 wechselte nur acht Mal der Vorsitz einer Arbeitsgruppe, von denen ab 27. Juni 1986 in der Unionsfraktion 17 eingerichtet waren. In den im engeren Untersuchungsfokus liegenden Arbeitsgruppen "Finanzen", "Haushalt", "Deutschlandpolitik und Berlinfragen" sowie "Inneres, Umwelt und Sport" (bzw. "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit") gab es mit den Wechseln in der AG 2 (Inneres, Umwelt und Sport) von Karl Miltner (CDU) auf Paul Laufs (CDU) (am 23.11.1983) sowie in der AG 8 (Finanzen) von Reinhold Kreile (CSU) zu Michael Glos (CSU) (zu Beginn der 11. Wahlperiode) nur zwei Veränderungen. Die Führungsebene der CDU/CSU-Fraktion war insgesamt gesehen im Untersuchungszeitraum von einer hohen Personalkontinuität geprägt.

75 Carl-Christian Kaiser: Leises Grummeln an der Basis, in: Die Zeit, 9.3.1984. 76 Wolfgang Schäuble zitiert in: Ebd.

III. Bundesregierung

97

III. Bundesregierung 1. Grundlagen

In Artikel 62 des Grundgesetzes wird die Bundesregierung als Kollegium defmiert, I das aus "dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern" besteht. Damit sind die Einzelakteure, die in ihrer Gesamtheit die Bundesregierung bilden, verfassungsrechtlich eingegrenzt. Parlamentarische Staatssekretäre sind demnach ebenso wie beamtete Staatssekretäre keine Mitglieder der Bundesregierung. 2 Der Bundeskanzler, der gemäß Artikel 63 des Grundgesetzes auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt wird, schlägt dem Bundespräsidenten die Ernennung beziehungsweise Entlassung der Bundesminister vor (Art. 64 GG). Bei seinem Vorschlagsrecht - sowohl was die personelle Zusammensetzung als auch die strukturelle Ressortgliederung der Bundesregierung angeht - ist er weitgehend frei. Einschränkungen ergeben sich dabei formal zum einen aus aus Verfassungsvorgaben resultierenden Notwendigkeiten. Diese sehen die Ernennung eines Bundesministers als Stellvertreter ebenso vor (Art. 69, Abs. 2 GG) wie die Existenz eines Verteidigungs(Art. 65 a GG), Finanz- (Art. 108, Abs. 3; Art. 112, Art. 114, Abs. 1 GG) und Justizministers (Art. 96, Abs. 2 GG). Die Verpflichtung zur ministeriellen Besetzung dieser Ressorts muß der Bundeskanzler bei seinen Vorschlägen an den Bundespräsidenten im Rahmen der Ministerernennung berücksichtigen. Die zweite Einschränkung, die die Freiheit des Bundeskanzlers bei der personellen Zusammensetzung der Bundesregierung zwar nicht verfassungsrechtlich, aber dennoch de facto begrenzt, ergibt sich aus dem Wesen von Koalitionsregierungen. Personal- wie Ressortwünsche der Koalitionspartner sind bei der Regierungsneubildung oder -umbildung ebenso zu berücksichtigen wie der Druck der Öffentlichkeit zu einer kostengünstigen Ausrichtung der Regierungsgröße beziehungsweise Ministerienanzahl. 3 Das Grundgesetz räumt dem Bundeskanzler innerhalb der Regierung eine besondere Stellung ein. 4 Sie wird zum einen durch das bereits benannte Vor-

1 Stern sieht hier das "Gravitationszentrum politischer Gestaltung und Leitung" im parlamentarischen Regierungssystem. Vgl. Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I, München 1984, S. 1009. 2 Vgl. auch Heinz Laufer: Der Parlamentarische Staatssekretär. Eine Studie über ein neues Amt in der Bundesregierung, München 1969, S. 69 f. 3 So Hübner: Parlament und Regierung, S. 158. 4 Zur Frage, inwieweit durch diese Position des Bundeskanzlers der Begriff der Kanzlerdemokratie gerechtfertigt ist, vgl. z. B. Jost Küpper: Die Kanzle~demokratie. Voraussetzungen, Strukturen und Änderungen des Regierungsstiles in der Ara Adenauer, Frankfurt a. M. u. a. 1985; Peter Haungs: Kanzlerdemokratie in der Bundesrepublik

7 Gros

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C. Akteure

schlagsrecht der Minister definiert. Dadurch und aufgrund der Verfassungsvorgabe, nach der die Amtszeit der Minister mit der "Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers" (Art. 69, Abs. 2 GG) endet, ist ihr Schicksal an das seine geknüpft. 5 Zum anderen hebt Artikel 65 GG die Position des Bundeskanzlers innerhalb der Bundesregierung hervor. Es liegt in der Verantwortung des Bundeskanzlers, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. 6 Zudem leitet der Bundeskanzler die Geschäfte der Bundesregierung "nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung."? Durch das in der Richtlinienkompetenz angelegte Kanzlerprinzip wird der Bundeskanzler zwar "nicht zum 'Dompteur' seines Kabinetts, aber er ist auch nicht Gleicher unter Gleichen in der Regierung, sondern die führende Persönlichkeit, die die eigentliche Verantwortung für die Regierungspolitik gegenüber dem Bundestag trägt und dafür zu sorgen hat, daß die Politik der jeweiligen Regierung nach einheitlichen Leitlinien ausgerichtet ist."s Das Kanzlerprinzip und das zugleich in Art. 65 GG formulierte Ressortprinzip, nach dem "innerhalb dieser Richtlinien [des Bundeskanzlers/d. Verf.] jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung"9 leitet, bilden zwei Eckpunkte des Zirkelschlags, 10 der die ArDeutschland. Von Adenauer bis Kohl, in: Zeitschrift für Politik, H. I, 1986, S. 44-66; Jäger: Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie, S. 15-32; ders.: Wer regiert die Deutschen, S. 12-14; Niclauß: Kanzlerdemokratie; Hans-Peter Schwarz: Adenauers Kanzlerdemokratie und Regierungstechnik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1-2, 1989, S. 15-27; Axel Murswieck: Die Bundesrepublik Deutschland. Kanzlerdemokratie, Koordinationsdemokratie oder was sonst?, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer: Regieren in der Bundeserpublik. Bd. I: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 151-169; Kaltefteiter: Die Kanzlerdemokratie des Helmut Kohl, S. 27-37. 5 Hierzu auch Hesselberger: Das Grundgesetz, S. 245. 6 Zu der Spannbreite der Interpretationsmöglichkeiten der Richtlinienkompetenz, die in unterschiedlichen Schattierungen und Abstufungen von Koordinierungsfunktion bis hin zur politischen Leitungsfunktion verstanden wird, vgl. z. B. Theodor Eschenburg: Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, in: Theo Stammen (Hrsg.): Strukturwandel der modernen Regierung, Darmstadt 1979, S. 361-379; Franz Knöpfte: Inhalt und Grenzen der Richtlinien der Politik des Regierungschefs, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 1965, S. 857-892. 7 Art. 65 GG. 8 Hübner: Parlament und Regierung, S. 162. 9 Hesse/ElIwein weisen zurecht darauf hin, daß damit offen bleibt, "wem die Verantwortung geschuldet wird. Im Staatsrecht wird verschiedentlich nur der Kanzler als Adressat gesehen; die 'herrschende Lehre' geht allerdings von einer parlamentarischen Verantwortung aus, auch wenn der Bundestag keine direkte Möglichkeit hat, die Abberufung eines Bundesministers zu erzwingen, vielmehr allein der Kanzler dies veranlassen kann." HesselElIwein: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 270. \0 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Hennis, der in prägnanter Form das subtile Verhältnis von Bundeskanzler und Minister sowie die Bedeutung der Richtlinienkompe-

III. Bundesregierung

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beit innerhalb der Bundesregierung umreißt. Ein dritter Fixpunkt ergibt sich durch das ebenfalls in Art. 65 GG angelegte Kollegialprinzip/Kabinettsprinzip, nach dem "über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern" die Bundesregierung entscheidet. lI Eine explizite Schlichterrolle ist dabei dem Bundeskanzler im Grundgesetz expressis verbis nicht zugedacht. Allerdings kann seine Richtlinienkompetenz auch in diese Richtung interpretiert werden. 12 Die kollegiale Ausrichtung des Kabinetts wird durch weitere Verfassungsvorgaben unterstrichen. 13 So kann nach Art. 76 nur die Bundesregierung als Gesamtakteur Gesetzesvorlagen beim Bundestag einbringen. 14 Die Bundesregierung als Kollegium kann außerdem allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 84, Abs. 2 GG; Art. 86 GG) und das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung in Streitfragen gemäß Art. 93, Abs. 2 GG anrufen. Die Bundesregierung erteilt als Ganzes die Zustimmung bei Änderungen des Haushaltsplans durch Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen (Art. 113 GG). Die in Art. 80, Abs. 1 GG vorgesehene Gesetzesermächtigung zur Erlassung von Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung oder einen einzelnen Bundesminister integriert Aspekte des Kabinetts- wie des Ressortprinzips. Die im Grundgesetz fixierte Bedeutung des Kollegialorgans Bundesregierung wird durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gestützt. So sieht dieses bei der Bundesregierung nicht nur politische Entscheidungsgewalt, sondern auch die Staatsleitung verortet. 15

2. Struktur und Organisation Eine zentrale Rolle im Organisationsgeflecht der Bundesregierung fallt dem Bundeskanzleramt ZU. 16 Es unterstützt den Bundeskanzler bei der Durchführung seiner Aufgaben. l ? Diese vorrangige Aufgabe des Bundeskanzleramtes

tenz in dieser Beziehung zusammenfaßt. Hennis: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 27-31. II Umfassend zu Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip vgl. auch Brauswetter: Kanzlerprinzip. 12 So Korte: Das politische System, S. 88. lJ Vgl. dazu auch Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 274. 14 Dabei sind allerdings die Vorlagen zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zuzuleiten. 15 Vgl. BVerfGE, Bd. 9, S. 281 f.; BVerfGE, Bd. 11, S. 89. 16 Überblicksartig zu den Funktionen des Bundeskanzleramtes vgl. Müller-Rommel/Pieper: Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale; umfassend Behrendt: Das Bundeskanzleramt, S. 48-53. 17 Vgl. auch Busse: Bundeskanzleramt, S. 51; nach Jäger sind die wichtigsten Aufgaben des Bundeskanzleramtes: Unterstützung des Regierungschefs, Sekretariat des

100

C. Akteure

läßt sich nicht zuletzt aus einem Zusatz im Einzelplan des Bundeskanzleramtes im Bundeshaushaltsplan ableiten. Dort heißt es: "Zur Durchführung seiner Aufgaben bedient sich der Bundeskanzler des Bundeskanzleramtes, das vom Chef des Bundeskanzleramtes geleitet wird. Das Bundeskanzleramt hat den Bundeskanzler über die laufenden Fragen der allgemeinen Politik und die Arbeit in den Bundesministerien zu unterrichten. Es hat die Entscheidungen des Bundeskanzlers vorzubereiten und auf ihre Durchführung zu achten.,,18 Das Bundeskanzleramt bildet die Schaltzentrale und kann einen "zentralen Problemlösungsfilter,,19 für die Bundesregierung darstellen. Hier laufen nahezu alle Kommunikations-, Informations-, Koordinations- und Organisationsstränge der Bundesregierung zusammen. Das Bundeskanzleramt ist in seinem Aufbau im wesentlichen spiegelbildlich zu den Ressorts angelegt. Die Angelegenheiten der einzelnen Ministerien werden in sechs Abteilungen20 durch entsprechende Referate - Spiegel- oder Querschnittsreferate21 - im Bundeskanzleramt bearbeitet. 22 Informationen aus den Ressorts 23 erreichen den Bundeskanzler in der Regel nach einer Vorfilterung durch die Referate über die Gruppen- und Abteilungsleiter des Bundeskanzleramtes. Sie kondensieren die zentralen Inhalte aus den Informationsfluten, die ihnen seitens der Ministerien zufließen, und bereiten sie

Kabinetts, Koordination der Regierungspolitik. Vgl. Jäger: Wer regiert die Deutschen?, S.54. 18 Vgl. Einzelpläne des Bundeskanzleramtes in den Bundeshaushaltsplänen im Untersuchungszeitraum. 19 Gaddum lokalisiert u. a. das Bundeskanzleramt im Bereich der Europapolitik als "zentralen Problemlösungsfilter" der Bundesregierung. Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren. Interessen, Konflikte und Entscheidungen der Regierung Kohl, Paderborn u. a. 1994, S. 366. Inwieweit sich diese Filterfunktion auch für die untersuchungsrelevanten Problemfelder konstatieren läßt, bleibt im weiteren Verlauf der Arbeit zu überprüfen. 20 Abteilung I: Recht und Verwaltung; Abteilung 2: auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik, äußere Sicherheit; Abteilung 3: innere Angelegenheiten, Sozialpolitik und Planung; Abteilung 4: Wirtschafts- und Finanzpolitik; Abteilung 5: gesellschaftliche und politische Analysen, Kommunikation; Abteilung 6: Bundesnachrichtendienst, Koordinierung der Nachrichtendienste des Bundes (Stand: Untersuchungszeitraum). 21 Sie unterscheiden sich in ihrer Ressortausrichtung (Spiegelreferate) und Problemausrichtung (Querschnittsreferate). Zur definitorischen Abgrenzung auch Müller-RommellPieper: Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale, S. 9. 22 V gl. dazu auch König: Vom Umgang mit Komplexität, S. 56. 23 Die Ressorts sind gemäß § 3 der GOBReg. verpflichtet, den Bundeskanzler regelmäßig über ihre Arbeit zu informieren: "Der Bundeskanzler ist aus dem Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister über Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die für die Bestimmung der Richtlinien der Politik und der Leitung der Geschäfte der Bundesregierung von Bedeutung sind."

III. Bundesregierung

101

fiir den Bundeskanzler auf4 beziehungsweise verwenden sie als Daten- und Infonnationsreservoir filr die Erstellung von Reden und Regierungserklärungen des Kanzlers?5 Allerdings können die Spiegelreferate dabei, unter Anfilgung eigener Kommentare und Bewertungen, in der Regel nur die Sichtweise weitergeben, die ihnen von den Ministerien vermittelt wird. Denn "die Problematik des Spiegelreferates liegt darin, daß es stark an die Wahrnehmung von öffentlichen Problemen gebunden ist, wie sie durch das betreuende Ministerium erfolgt. Es kann sich nur schwer von der Selektion und Handhabung von Informationen, Interessen, Konflikten lösen, wie sie sich aus Ressortgesichtspunkten ergeben. ,,26 Das Bundeskanzleramt ist in diesem Prozeß aber dennoch mehr als nur der Notar der Regierung. Seine Beamten und Mitarbeiter prüfen die Vorlagen und Entwürfe der Ressorts nach kanzleramtsinternen Vorgaben und verfassen einen (Kabinetts)Verkmerk mit entsprechendem Votum. Sie bilden ein letztes, aber zugleich entscheidendes Glied in einer ministeriellen Kette, ohne dessen Berücksichtigung keine Vorlage Kabinettsreife erhält. 27 Eine besondere Funktion in der Regierungsorganisation kommt dem Chef des Bundeskanzleramtes zu. Er und nicht der Bundeskanzler leitet das Kanzleramt. Er ist der Behördenchef. Im Untersuchungszeitraum begleitete der Chef des Bundeskanzleramtes zwischen 1982 und 1984 den Rang eines Staatssekretärs (Schreckenberger). Mit Amtsantritt Schäubles im November 1984 und dem damit einhergehenden Organisationsreviremenes agierte der Chef des Bundeskanzleramtes im Rang eines Ministers filr besondere Aufgaben. 29 Der Leiter

Dazu auch Behrendt: Das Bundeskanzleramt, S. 50. Im Rahmen der Deutschlandpolitik nahm z. B. das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen bei der Erstellung der Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland eine Zuliefererfunktion ein. Umfassend dargestellt bei: Korte: Deutschlandpolitik. 26 König: Vom Umgang mit Komplexität, S. 56. 27 Dazu auch König: Vom Umgang mit Komplexität, S. 64 f. 28 Der bisherige Staatsminister Jenninger verließ das Bundeskanzleramt und wurde Bundestagspräsident. Schreckenberger gab das Amt des Chefs des Bundeskanzleramtes ab, blieb aber Staatssekretär. Ihm verblieb nach seiner "Degradierung" in der Regierungszentrale zunächst die Zuständigkeit für Europapolitik, Medienpolitik, Kommunikationstechnologie und Geheimdienste. 1987 mußte er zudem die Bereiche Europapolitik und Kommunikationstechnologie an den neuen Staatsminister im Bundeskanzleramt, Lutz Stavenhagen, abtreten. Zu den Hintergründen auch Frank Schaer: Von der Richtlinienkompetenz zur Koordinationskompetenz. Zum Zustand der Kanzlerdemokratie am Beispiel des Regierungsstils Helmut Kohls, Freiburg i.Br. 1994 (Magisterarbeit), S. 63. 29 Schäubles Bedingung für den Wechsel ins Bundeskanzleramt war die Verbindung des Amtes des Chefs des Bundeskanzleramts mit dem des Ministers für besondere Aufgaben. Er hatte für sich damit nicht zuletzt die Konsequenzen aus den offensichtlichen Reibungsverlusten, die durch nicht klar abgegrenzte Aufgabenprofile zwischen dem bisherigen Staatsminister im Bundeskanzleramt und dem Chef des Bundeskanzleramtes entstanden waren, gezogen. Vertiefend Korte: Deutschlandpolitik, S. 73 f. 24

25

102

C. Akteure

des Bundeskanzleramtes nimmt unabhängig davon, ob er den Rang eines Staatssekretärs oder Ministers hat, "zugleich die Geschäfte eines Staatssekretärs der Bundesregierung wahr.,,30 Aus den Paragraphen 7, 16 und 21 der Geschäftsordnung der Bundesregierung läßt sich für den Chef des Bundeskanzleramtes eine unübersehbar mediatisierende Funktion ablesen. 31 Treten bei der Beratung von Angelegenheiten der Bundesregierung zwischen den Bundesministerien Streitigkeiten auf, so sind diese im Vorfeld von Kabinettsitzungen dem Leiter des Bundeskanzleramtes mitzuteilen. 32 Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Chefs des Bundeskanzleramtes, die Arbeiten der einzelnen Ressorts (synergetisch) aufeinander abzustimmen und auf die Einhaltung der vom Bundeskanzler vorgegebenen Richtlinien zu achten. 33 Er setzt die Sitzungen der Bundesregierung "nach näherer Anweisung durch den Bundeskanzler,,34 fest und lädt zu den Kabinettsitzungen ein. 35 Außerdem sind bei dem Staatssekretär des Bundeskanzlers "die von den Bundesminstern vorgelegten Entwürfe und Ausführungen" rechtzeitig vor einer Kabinettsitzung (i.d.R. eine Woche) einzureichen. 36 Der Chef des Bundeskanzleramtes nimmt an den Kabinettsitzungen regelmäßig teil. 37 Neben den formalen Vorgaben der Geschäftsordnung der Bundesregierung sowie der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien hat sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein spezifisches Profil des Chefs des Bundeskanzleramtes herausgebildet. 38 Durch seine allein schon räumliche Nähe zum Bundeskanzler, durch den Zugriff auf die fachlichen Kompetenz, die in den spiegelbildlich zu den Ressorts ausgerichteten Referaten und Abteilungen des Kanzleramtes vereint ist, und durch die von der Geschäftsordnung der Bundesregierung vorgegebene Koordinationsfunktion zählt er zu den zentralen Mitarbeitern und Beratern des Bundeskanzlers. "Er sorgt dafür, daß alle Vorgänge von politischer Bedeutung ohne Verzug dem Bundeskanzler vorgetragen oder mit Voten und Vorschlägen versehen vorgelegt werden. Gleichzeitig besteht eine wichtige Aufgabe darin, den Bundeskanzler von der Flut der tägli-

30

§ 7 GOBReg.

31 Zu den Funktionen und Aufgaben des Chefs des Bundeskanzleramtes vgl. auch

Busse: Bundeskanzleramt, S. 116 ff.; Müller-RommellPieper: Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale, S. 5 f.; Siegfried Schöne: Von der Reichskanzlei zum Bundeskanzleramt, Berlin 1968, S. 206 ff. 32 V gl. § 16,2 GOBReg. 33 Dazu auch Behrendt: Das Bundeskanzleramt, S. 50. 34 § 21,1 GOBReg. 35 Ebd. 36 § 21,2; § 21,3 GOBReg; § 70 GGO I; § 40 GGO 11. 37 Vgl. § 23,1 GOBReg. 38 Vgl. hierzu auch die Analyse von Hennis zur Bedeutung des Kanzleramtschefs in der Amtszeit Erhards. Hennis: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 20.

1II. Bundesregierung

103

chen - wenn auch nicht unwichtigen - Geschäftsvorfälle zu entlasten. Der Chef des Bundeskanzleramtes ist insoweit der letzte Filter filr alle Vorgänge von Bedeutung vor der Tür des Bundeskanzlers.,,39 Insbesondere Wolfgang Schäuble wuchs als Bundesminister filr besondere Aufgaben 40 im Zentrum der Regierungsmacht schnell in eine Schlüsselrolle. Zentral war dabei die enge Abstimmung mit Kohl. "Man kann nicht Chef des Kanzleramtes sein, ohne in engem Kontakt zum Kanzler zu stehen, ohne zu wissen, was er will, oder auch Einfluß darauf zu nehmen, was er will.,,41 Dieser Interdependenzen war sich Schäuble während seiner ganzen Amtszeit als Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister filr besondere Aufgaben bewußt. Als solcher war er nicht nur wie sein Vorgänger an den Kabinettsitzungen teilnahmeberechtigt, sondern im Gegensatz zu Schreckenberger aufgrund seines Ministerstatus auch gleichberechtigtes Kabinettsmitglied. 42 Damit besaß er eine gemeinsame Status- und Aktionsbasis mit den anderen Ministern. Allerdings war dabei auch eine Gratwanderung zu bewältigen. Wenngleich der Bundesminister filr besondere Angelegenheiten jederzeit Zugang zu Kohl hatte und neben dem Bundeskanzler "die einflußreichste Position in der Regierung,,43 innehatte, mußte er stets darauf achten, bei den Ressortkollegen nicht den Eindruck des Über- beziehungsweise Superministers44 zu erwecken und damit Kompetenzstreitigkeiten heraufzubeschwören. 45 Zu seinem Aufgabenprofil als Bundesminister filr besondere Aufgaben gehörte, neben der Zuständigkeit filr die operative Deutschlandpolitik,46 die regie39 Behrendt: Das Bundeskanzleramt, S. 51. 40 Die Konstruktion seines Amtes war dem bereits unter Bundeskanzler Erhard erprobten Modell Westrick nachempfunden. 41 Schäuble zitiert nach: Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 117 f. Zum Einfluß Schäubles auf Kohl vgl. auch ebd., S. 118 f. 42 Auf die rechtliche und administrative Problematik der Personalunion von Bundesminister und Chef des Bundeskanzleramtes verweist Korte: Deutschlandpolitik, S. 34 f.; ergänzend "Jetzt wieder ein Bundesminister als Chef des Kanzleramtes", in: FAZ, 13.12.1984. 43 Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 119. 44 Kohl selbst trat öffentlich den Befürchtungen verschiedener Kabinettsmitglieder angesichts eines neuen Superministers entgegen. Vgl. "Kohl erläutert Wechsel im Kanzleramt", in: FAZ, 13.11.1984. 45 Horst Ehmke, der Kanzleramtschef Schmidts, hatte mit diesem Problem zu kämpfen. Vgl. insgesamt dazu Jäger: Wer regiert die Deutschen?, S. 55. 46 Die Zuordnung der Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt stellte eine Besonderheit im Organisationssystem der Bundesregierung dar. Die Abweichung von der üblichen Organisationsform, die die deutschlandpolitischen Zuständigkeiten beim BMB vermuten ließe, lag in den Spezifika der innerdeutschen Beziehungen begründet. Da die Bundesregierung die DDR nicht als Ausland betrachtete, lehnte sie es ab, die Beziehungen zu Ost-Berlin über das AA zu organisieren. Gleichzeitig akzeptierte die Ost-Berliner Führung aber auch nicht das BMB als Ansprechpartner. Aus dieser komplizierten

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C. Akteure

rungsinteme Koordination der Arbeit der Bundesministerien, die Unterstützung des Bundeskanzlers in den Beziehungen zum Bundestag, die Vertretung der Bundesregierung im Ältestenrat des Parlaments sowie die Kontaktpflege zu den Abgeordneten der Fraktionen des Bundestages. 47 Hierzu zählte insbesondere der permanente Gesprächsaustausch mit den Spitzenpolitikern der CDU/CSUFraktion ebenso wie der mit denen der FDP-Fraktion. 48 Ziel war die Abstimmung der Arbeit von Regierung und regierungstragenden Fraktionen und die koordinierte Umsetzung vor allem von Regierungserklärungen und Koalitionsvereinbarungen in enger Verbindung mit der Parlamentsmehrheit. 49 Das formale Entscheidungsgremium der Bundesregierung wird vom Kabinett gebildet. An den Kabinettsitzungen, die in ihrer zeitlichen Dauer variieren können und denen im Bonner Terminplan der Mittwochvormittag reserviert ist, nehmen unter der Leitung des Bundeskanzlers - oder bei Abwesenheit unter der seines Stellvertreters - die Ressortminister, der Chef des Bundespräsidialamtes, der Schriftfiihrer und von Fall zu Fall hinzugeladene Gäste (Parlamentarische Staatssekretäre,50 Staatssekretäre, Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische FrakLage der innerdeutschen Beziehungen ergab sich, daß das Bundeskanzleramt zur AnlaufsteIle ostdeutscher Regierungsvertreter wurde. Für den politischen Alltag bedeutete dies, daß die operative Deutschlandpolitik vom Chef des Bundeskanzleramtes - er wurde dabei von der Gruppe 22 und dem ebenfalls in der Abteilung 2 angesiedelten ASD unterstützt - gestaltet wurde. Die thematische Autbereitung von Politikfeldern, die Zulieferung von Fakten für Reden, Erklärungen und Berichte des Bundeskanzlers, die regierungsinterne Vorbereitung und Koordination der Arbeit von innerdeutschen Verhandlungskommissionen, die Vertretung der Bundesregierung im Bundestag und Bundesrat, die Koordination der deutschlandpolitischen Aktivitäten der verschiedenen Ressorts sowie die deutschlandpolitische Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland lagen dagegen in der Zuständigkeit des BMB. Vgl. zu diesem Gesamtkomplex auch das Protokoll vom 14.3.1974 über die Errichtung der Ständigen Vertretungen, abgedruckt in: BGBIlI, 1974, S. 934. 47 Vgl. dazu auch Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bonner Almanach 1987/88. Politik zum Nachschlagen, Bonn 1987, S. 40. 48 So z. B. in der Frühstücksrunde Schäubles mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der Koalitionsfraktionen, Rudolf Seiters, Wolfgang Bötsch und Torsten Wolfgramm. Vgl. auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 38. 49 Dazu auch Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bonner Almanach 1989/90. Politik zum Nachschlagen, Bonn 1989, S. 41. 50 Zur Bedeutung der Parlamentarischen Staatssekretäre in der Regierungsarbeit vgl. grundsätzlich Andreas von Bülow: Parlamentarische Staatssekretäre - Karrieremuster und Zufälligkeiten im Rückblick eines Politikers, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 2: Formale und informale Komponenten des Regierens, Opladen 1991, S. 179-189. Auch Friedrich Karl Fromme: Die Parlamentarischen Staatssekretäre. Entwicklung in der 6. Wahlperiode, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. I, 1970, S. 53-83; Laufer: Die Parlamentarischen Staatssekretäre, S. 105 f.; Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Parlamentarische Staatssekretäre. Die 'vergessene' Institution. Handbücher der Politischen Akademie Eicholz, Meile 1979. Ihre Rolle als Bindeglied zwischen Bundesregierung und Unionsfraktion bleibt im weiteren Verlauf der Arbeit zu überprüfen.

III. Bundesregierung

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tionsgeschäftsfiihrer, der Bundesbankpräsident, Parteivorsitzende etc.) teil. Aus dem unmittelbaren bzw. näheren Arbeitsumfeld des Kanzlers sind neben dem Chef des Bundeskanzleramtes zudem die Staatsminister im Bundeskanzleramt, der Chef des Presse- und Informationsamtes51 sowie der persönliche Referent des Bundeskanzlers52 in den Kabinettsitzungen anwesend. 53 Stimmberechtigt sind im Kabinett jedoch nur die Bundesminister und der Bundeskanzler. Dennoch wird mit der zahlenmäßig hohen Vertretung von Mitarbeitern des Bundeskanzleramtes in den Kabinettsitzungen die hervorgehobene Funktion des Bundeskanzleramtes als Sekretariat und Koordinationsstelle der Bundesregierung zusätzlich unterstrichen. Folgt man den Buchstaben der GOBReg, dann sind entsprechend § 15 GOBReg der Bundesregierung in der Kabinettsitzung "alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung" zwecks "Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten". Dazu zählen in erster Linie "a) alle Gesetzentwürfe, b) alle Entwürfe von Verordnungen der Bundesregierung, c) sonstige Verordnungsentwürfe, wenn sie von besonderer politischer Bedeutung sind, d) die Stellungnahme des Bundesrates zu den Vorlagen der Bundesregierung, e) alle Angelegenheiten, für weIche Grundgesetz oder Gesetz dieses vorschreiben, f) Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Bundesministern; Meinungsverschiedenheiten über die Entwürfe der Finanzplanung, des Haushaltsplans, wenn es sich um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung für den betroffenen Bundesminister oder erheblicher finanzieller Bedeutung handelt."

Hinzu kommt die Beratung über Besoldungs- und Eingruppierungsfragen von Beamten und Angestellten sowie die Ernennung von Richtern an obersten Gerichtshöfen des Bundes. All diese Angelegenheiten werden üblicherweise auf der Basis einer Kabinettvorlage behandelt, die durch das jeweils zuständige beziehungsweise federführende Ressort vorgelegt wird. Auf der Grundlage dieser Vorlagen erfolgt im Kabinett die Beschlußfassung. Nur wenige Minister haben dabei im Kabinett die formale Möglichkeit, diese durch ein aufschiebendes Veto zunächst zu verhindern und damit wirksamen Einspruch gegen Regierungsvorhaben einzulegen. So kann der Bundesfmanzminister gemäß § 26,1 GOBReg seinen Widerspruch dann einlegen, wenn "die Bundesregierung in einer Frage von fi51 Mit dem Amtsantritt von Hans Klein (21.4.1989) bekleidete der Chef des Presseund Informationsamtes (Sprecher der Bundesregierung) zugleich das Amt eines Bundesministers für besondere Aufgaben und war damit geborenes Kabinettsmitglied. 52 Im Untersuchungszeitraum war das der jeweilige Büroleiter Kohls. 53 Vgl. § 23 GOBReg; ergänzend Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 74 ff.

106

C. Akteure

nanzieller Bedeutung gegen oder ohne die Stimme des Bundesministers der Finanzen" eine Beschlußfassung vornimmt. 54 Wird dieses zunächst aufschiebende Veto eingelegt, dann muß über diese Angelegenheit in einer weiteren Sitzung des Kabinetts nochmals abgestimmt werden. Das Vorhaben der Bundesregierung unterbleibt dann, wenn sich bei dieser Abstimmung nicht eine zustimmende Mehrheit - diese muß das Votum des Bundeskanzlers einschließen im Kabinett findet. 55 Inwieweit jedoch das Kabinett bei seiner Arbeit im Untersuchungszeitraum zum Notar von bereits anderen Orts getroffenen Entscheidungen reduziert wurde, diese also nur beglaubigte, und sich damit die Funktion des Kabinetts und seiner Mitglieder zunehmend auf eine formelle, exekutierende Rolle eingrenzte,56 bleibt im Verlauf der Arbeit zu überprüfen. Ressortübergreifend vorbereitet, begleitet, koordiniert und ergänzt wird die Regierungs- und Kabinettarbeit auf höchster Ebene zudem durch Ministerrunden, Kabinettausschüsse oder Treffen der Staatssekretäre. 57 Hier werden Regierungsangelegenheiten behandelt, fiir die es nicht der Zusammenkunft des Gesamtkabinetts oder der Teilnahme der beamteten Staatssekretäre aller Ressorts bedarf. Beteiligt sind in jenen Fällen nur die Ministerien, die von einer bestimmten politischen Angelegenheit oder Entscheidung betroffen sind. Dem federfiihrenden Ministerium dienen diese Zusammenkünfte zum einen dazu, Klarheit darüber zu gewinnen, inwieweit mögliche Entscheidungen von anderen betroffenen Ressorts mitgetragen werden. 58 Zum anderen dienen sie der re. . I &. glerungsmternen nlormatlOnstransparenz. 59

3. Mitglieder Nachfolgend sind die Akteure der politischen Leitungsebene (Minister, Parlamentarische und beamtete Staatssekretäre) der für die Untersuchung relevanten Ressorts fiir die Regierungszeit von Bundeskanzler Kohl in den Jahren 54 Über ähnliche Vetorechte verfügen auch die Bundesminister des Innern und der Justiz sowie der Bundesminister für Frauen und Jugend. Vgl. Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 78 ff. 55 Vgl. § 26,1 GOBReg. 56 Dazu auch Rolf Zundel: Ein Kanzler wie ein Eichenschrank, in: Die Zeit, 6.1.1989. 57 SO Z. B. die als "Club der alten Herrn" bezeichnete, in der Regel montags vormittags unter Vorsitz des Chefs des Bundeskanzleramtes tagende Runde der beamteten Staatssekretäre. Vgl. dazu Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987; Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 86 f.; Seiters: Die Kabinettsarbeit in Bonn und Berlin, S. 194. 58 Vgl. auch Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 88 f. 59 Exemplarisch zu den deutschlandpolitischen gouvernementalen Koordinationsgremien vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 109-113.

III. Bundesregierung

107

1982-1989 zusammengestellt. Dazu zählen neben dem Bundeskanzleramt als Koordinierungsinstanz der Bundesregierung, das zudem für die operative Deutschlandpolitik zuständig war, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, das Bundesministerium derFinanzen sowie das bis 1986 für den Bereich der Umweltpolitik in erster Linie zuständige Bundesministerium des Innem und in seiner Ressortnachfolge das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Einzelakteure und ihre jeweilige Amtsdauer. Tabelle 5

Minister, Parlamentarische Staatssekretäre, Staatssekretäre in der Kanzlerschaft Kohls 1982-1989 Ressort

Minister

ParI. Staatssekretäre

Staatssekretäre

Bundeskanzleramt

Wolfgang Schäuble (CDU), 15.11.84-21.4.89

Philipp Jenninger (CDU), 4.10.825.11.84

Waldemar Schrek-

Rudolf Seiters (CDU), ab 21.4.89

Friedrich Vogel (CDU), 4.10.8210. WP

kenberg~r,

4.10.82-3.5.89

Peter Lorenz (CDU), 4.10.82 10.WP Lutz G. Stavenhagen (CDU), ab 11. WP Lieselotte Berger (CDU), 10. WP26.9.89 Günter Straßmeir (CDU), ab 26.10.89 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen

Rainer Barzel (CDU), 4.10.82Ende 9. WP Heinrich Windelen (CDU), ab 10. WP

Ludwig A. RehlinOttfried Hennig ger, 11.1 0.82(CDU), ab 4.10.82 19.5.88 Walter Priesnitz, ab 30.5.88 (Fortsetzung nächste Seite)

108

C. Akteure

(Fortsetzung Tabelle 5) Ressort

Minister

ParI. Staatssekretäre

Staatssekretäre

Dorothee Wilms (CDU), ab 11. WP Bundesministerium Gerhard Stoltender Finanzen berg (CDU), 4.10.82-21.4.89 Theo WaigeI (CSU), ab 21.4.89

Hansjörg Häfele (CDU), 4.10.8221.4.89

Horst Schulmann, bis 31.1 0.82

Friedrich Voss (CSU), ab 4.10.82

Hans Tietmeyer, ab 1.11.82

Manfred Carstens (CDU), ab 21.4.89

Günter Obert, bis 28.2.89 Peter Klemm, ab 21.4.89

Bundesministerium Friedrich Zimdes Innem, bis 86 mermann (CSU), ab 4.10.82

Carl-Dieter Spranger (CSU), ab 4.10.82

Günter Hartkopf, bis 19.4.83

Horst WaffenSiegfried Fröhlich, schmidt (CDU), ab bis 30.6.85 4.10.82 Franz Kroppenstedt, ab 16.5.83 Hans Neusei, ab 1.8.85 Bundesministerium Walter Wallmann für Umwelt, Natur- (CDU), 6.6.86schutz und Reak22.4.87 torsicherheit, ab 6.6.86

Martin Grüner (FDP), ab 11. WP

Christean Wagner, 18.6.86-23.4.87

Klaus Töpfer (CDU), ab 7.5.87

Wolfgang Gröbel (CSU), ab 11. WP

Clemens Stroetmann, ab 15.6.87

Quellen: Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1987, S. 313-326; ders.: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, 1983 bis 1991, S. 419-429.

Es wird deutlich, daß - abgesehen vom Bundesministerium rur innerdeutsche Beziehungen, wo während des Untersuchungszeitraumes zwei Ministerwechsel zu verzeichnen waren, und den personellen Verschiebungen in der Gründungsphase des Umweltministeriums - in den für diese Studie besonders

III. Bundesregierung

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relevanten Ministerien und dem Bundeskanzleramt eine hohe Personalkontinuität sowohl auf der Minister- als auch auf der Staatssekretärebene herrschte. Sowohl der Chef des Bundeskanzleramtes als auch die Minister der ausgewählten Bundesministerien gehörten bis zum April 1989 der CDU an. Während das Kanzleramt in seinen Führungspositionen ausschließlich mit Mitgliedern der CDU besetzt war, wurde in den Bundesministerien die Ebene der Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre am Koalitionsproporz ausgerichtet. Dabei bildete allerdings nur das Bundesministerium rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ab der 11. Wahlperiode - vorher gab es dort keine Parlamentarischen Staatssekretäre - mit einem CDU-Minister und je einem von CSU und FDP gestellten Parlamentarischen Staatssekretär ein klassisches Koalitionsministerium, in dem jeder Partner der Regierungskoalition vertreten war. In den weiteren rur die Studie relevanten Ministerien waren die Positionen der Parlamentarischen Staatssekretäre mit Vertretern der CSU beziehungsweise CDU besetzt. Insgesamt gab es damit in jedem Ministerium und auch im Bundeskanzleramt mindestens einen Parlamentarischen Staatssekretär, der die Verbindung zwischen Ressort und CDU/CSU-Bundestagsfraktion herstellen beziehungsweise aufrechterhalten konnte. Mit Ausnahme von Günter Obert im Bundesministerium der Finanzen wurden in den hier ausgewählten Ministerien sämtliche beamteten Staatssekretäre der sozialliberalen Koalition bis spätestens Mitte 1985 ausgetauscht, die meisten aber bereits in einer Phase zwischen Oktober 1982 und Frühjahr 1983.

D. Politikfelder und Fallbeispiele I. Finanzpolitik 1. Agendasetting und Beschlußfassung zur Finanzreform 1984 - Das

Parteipräsidium als Gremium der Interessenkoordination

Die vorrangigen fmanzpolitischen Zielsetzungen der von ihm angeführten Regierungskoalition hatte der vom Bundestag neugewählte Bundeskanzler Kohl bereits in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt: 1 Der Bundeshaushalt sollte konsolidiert und die staatlichen Leistungen sollten zurückgeschnitten werden. Gleichzeitig war geplant, die Wirtschaft über eine Absenkung der Einkommen- und Lohnsteuertarife anzukurbeln. 2 Mit dieser Entlastungsmaßnahme sollte allerdings erst 1984 begonnen werden, wenn die Mehreinnahmen, die dem Bund durch die zum 1. Juli 1983 in Kraft tretende Mehrwertsteuererhöhung zufließen und somit haushaltswirksam sein würden. 3 Auch in seiner Regierungserklärung zu Beginn der 10. Wahlperiode bestätigte der Bundeskanzler am 4. Mai 1983: "Die Bundesregierung setzt die im Herbst 1982 eingeleitete finanzpolitische Wende fort. [... ] Wir werden die Konsolidierung des Bundeshaushalts nicht zu Lasten von Ländern und Gemeinden vornehmen, denn auch sie sind Hauptträger öffentlicher Investitionen. [... ] Wir wollen mehr Stetigkeit in der Steuerpolitik. Wir werden das Steuersystem Schritt für Schritt umgestalten: Wir wollen private Initiative fördern. Leistung darf nicht länger bestraft werden.,,4

1 Zusammen mit Stoltenberg hatte Schäuble, der seit 1981 zu den wichtigsten finanzpolitischen Beratern Kohls zählte, rur die Union in den Koalitionsgesprächen 1982 die wirtschafts- und finanzpolitischen Verhandlungen geführt und damit die künftige Regierungspolitik in ihren Grundzügen prägend mitbestimmt. Vgl. Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 100; Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 32; Stoltenberg: Wendepunkte, S. 277 f. 2 Zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen dieser Politik vgl. Grosser: Die CDU/CSU/FDP-Koalition 1982-1989, S. 110. 3 Vgl. Regierungserklärung vom 13 .10.1982, in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 9. Wahlperiode. 121. Sitzung. 13.10.1982, S. 7213-7229, hier S. 7216. 4 Kohl in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 4. Sitzung. 4.5.1983, S. 56-74, hier S. 60.

I. Finanzpolitik

111

Er skizzierte in diesem Zusammenhang einen Aufgabenkatalog, bei dem der Refonn des Lohn- und Einkommensteuertarifs und der Schaffung eines Familienlastenausgleichs besondere Bedeutung zufallen sollte. 5 Am Beispiel des Politikgestaltungsprozesses zur Einkommen- und Lohnsteuerrefonn, der Familienentlastung und der Diskussion um die Finanzierung des Gesamtrefonnkonzeptes in der ersten lahreshälfte 1984 soll nachfolgend untersucht werden - welche Möglichkeiten der Einflußnahme die Akteure des Machtdreiecks in der Agendasettingphase auf die Vorarbeiten im Bundesfinanziministerium und das dabei entwickelte Refonnkonzept hatten und - wie die Beschlußfassung über eine einheitliche Position im Akteursdreieck in einem vorparlamentarischen Stadium organisiert wurde. Die anschließende Analyse gliedert sich entsprechend in folgende Schritte: - Agendasetting und Präsentation erster Refonnüberlegungen durch den Bundesfinanzminister; - Reaktionen von Unionsfraktion, Kabinettskollegen und CDU-Ministerpräsidenten; - Interessenkoordination in den Parteiführungs gremien und Beschlußfassung.

Agendasetting und Präsentation erster Reformüberlegungen durch den Bundesjinanzminister

Die von Kohl angekündigte Steuerrefonn wurde zunächst nicht nachhaltig von der Bundesregierung in Angriff genommen. Der zuständige Bundesminister für Finanzen, der schleswig-holsteinische CDU-Landesvorsitzende Stoltenberg, war 1983 vorrangig mit der Konsolidierung des Bundesetats beschäftigt. Vor weiteren Refonnschritten sollten die ersten Erfolge dieser Politik abgewartet werden. 6 Anfang 1984 wurden jedoch die Stimmen lauter, die die von Kohl angekündigten und im Koalitionspapier von 1983 vereinbarten Steuersenkungen einforderten. 7 Angesichts dieses sukzessive entstehenden Druckpo5 Ebd., S. 61 f., ergänzend auch die Kapitel "Haushaltspolitik" und "Steuerpolitik" in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien, abgedruckt in: CDUDokumentation: Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, in: UiD, Nr. 12, 24.3.1983. 6 Dazu auch Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 371 f. 7 Wortführend waren hier vor allem der bayerische CSU-Vorsitzende Strauß, der bayerische Finanzminister Streibel, der baden-württembergische Ministerpräsident Späth und hochrangige Politiker aus den Reihen der FDP. Aus der CSU - aber auch aus Teilen der CDU, so von Späth, - wurde dabei vor allem die steuerliche Entlastung der Familien mit Kindern zum 1.1.1987, von der FDP dagegen für 1986 die Senkung des

112

D. Politikfelder und Fallbeispiele

tentials und der Gefahr, die Refonninitiative zu verlieren, wurden aus dem Bundesfinanzministerium erste Grundsatzüberlegungen zur geplanten Steuerrefonn in der Öffentlichkeit bekanntgegeben. 8 Kohl bestätigte zudem in einer Sitzung des CDU-Bundesausschusses - dem sogenannten kleinen Parteitag Ende Februar 1984 - nochmals die Absicht der Bundesregierung, entsprechend den Ankündigungen der Regierungserklärung vom vorhergehenden Jahr die Refonnen in Angriff zu nehmen. Allerdings machte er dabei keine weiteren Angaben zum zeitlichen Rahmen des Refonnfahrplans. 9 Erste Refonnüberlegungen seines Ministeriums präsentierte Stoltenberg am 21. Februar 1984 in einer Runde der filhrenden Koalitionspolitiker. Für die CDU und die Unionsfraktion nahmen an diesem Treffen in der Regierungszentrale neben Bundeskanzler Kohl und Finanzminister Stoltenberg der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dregger, sein Stellvertreter Waigel 10 sowie der Steuerexperte und 1. Parlamentarische Geschäftsfilhrer der Unionsfraktion, Schäuble, teil. 11 Unmittelbar danach, so sah es der interne Zeitablauf vor, wurde am Nachmittag der zuständige Arbeitskreis "Finanzen und Steuern" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Schäuble über Stoltenbergs Refonneckdaten infonniert. 12 Allerdings waren die Infonnationen, die den Parlamentariern übennittelt werden konnten, nur von begrenztem Neuigkeitswert. So hatte man sich in der Koalitionsrunde vor allem auf einen weiteren Fahrplan der Steuerrefonn verständigt. 13 Inhaltliche Absprachen gab es noch keine. Vorgesehen war zunächst, daß im Kreis der Spitzenpolitiker der Koaliti-

progressiven Steuertarifs gefordert. Vgl. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 290; "Stoltenberg weist 'maßlose Forderungen' an den Haushalt zurück", in: FAZ, 7.2.1984; Jürgen Wahl: Familienstreit ums Geld, in: Rheinischer Merkur, 17.2.1984; "Koalition berät über geplante Steuerreform" , in: SZ, 21.2.1984. 8 So machte Stoltenberg Anfang Februar erste vorsichtige Andeutungen über das Rahmengerüst der Steuerreform. Vgl. Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. Ergänzend auch ,,'Wir brauchen noch etwas Zeit'. Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg über seine Sparpolitik und die Steuerreform", in: Der Spiegel, Nr. 6, 6.2.1984, S. 34-44. 9 Zu den Ausführungen Kohls vor dem Bundesausschuß vgl. "Koalition berät über geplante Steuerreform", 21.2.1984. 10 Für die CSU nahmen zudem Strauß und Zimmermann teil. Die FDP wurde von Genscher, Graf Lambsdorff und Mischnick vertreten. Vgl. "Steuer-Spitzengespräch bei Kohl", in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1984. 11 Vgl. zur Teilnehmerrunde auch "Steuer-Spitzengespräch bei Kohl", in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1984. Üblicherweise waren bei derartigen Koalitionstreffen in der Regierungszentrale auch der Chef des Bundeskanzleramtes, Schreckenberger, sowie Staatsminister Jenninger anwesend. 12 Zum Ablauf vgl. "Steuer-Spitzengespräch bei Kohl", in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1984. 13 Im nachfolgenden wird Bezug genommen auf "Steuerentlastung und Familienhilfe. Koalition denkt an ein Volumen von 25 Milliarden", in: FAZ, 22.2.1984.

I. Finanzpolitik

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onspartner die Beratungen im März fortgesetzt werden sollten. Stoltenberg hatte entsprechend den Auftrag erhalten, bis zu dieser erneuten Zusammenkunft verschiedene Vorschläge und Modelle rur die Refonn des Steuertarifs und einen Familienlastenausgleich vorzulegen. 14 Weiterhin war in der Koalitionsrunde vereinbart worden, daß bis Mai die Eckwerte der Steuerrefonn in der Koalition festgelegt und in die mittelfristige Finanzplanung des Bundes eingearbeitet werden sollten. Bis Herbst 1984 schließlich sollten erste Gesetzesentwürfe ausgearbeitet werden, über die die Bundesregierung dann im November abschließend entscheiden wollte, bevor sie anschließend in den parlamentarischen Prozeß eingebracht werden sollten. Allerdings war bei diesen Überlegungen der Tennin offen geblieben, zu dem letztlich die geplante Steuerrefonn in Kraft treten würde. Dies war jedoch kein Zufall. Denn diese Frage war es, die neben der Höhe der mit der Refonn einhergehenden steuerlichen Entlastung die verschiedenen Lager innerhalb der Regierung, vor allem aber in der CDU entstehen ließ. So hatte Stoltenberg es bisher vehement abgelehnt,15 wesentliche Elemente der Steuerrefonn vor 1988 in Kraft treten zu lassen. 16 Er wollte erst die rur 1986 anstehende Neuordnung der EG-Finanzen abwarten, weil er hier mit zusätzlichen Belastungen in Milliardenhöhe rur den Bundeshaushalt rechnete. Da diese zwar in ihrer Höhe keineswegs abschließend kalkulierbar waren, aber auf jeden Fall den finanziellen Spielraum Stoltenbergs rur eine frühzeitige Steuerentlastung verringern würde, wollte er in dieser Schwebesituation nicht durch voreilige innenpolitische Refonnzusagen den eingeschlagenen Konsolidierungsprozeß der Staats finanzen gefahrden. 17 Stoltenberg konnte in seiner Haltung aus einer gefestigten und starken Stellung im Kabinett argu-

14 Man erwartete von ihm also nicht nur einen Vorschlag, sondern wollte als Diskussionsgrundlage verschiedene Optionen, die die Realisierungschancen aller bisher in die Diskussion als Anregung eingebrachten Vorschläge ausleuchten sollte. Auf dieser Basis galt es dann unter Abwägung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Modelle eine politische Entscheidung herbeizuführen. 15 Sein schärfster Widerpart im Kabinett war Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff, der eine baldige Senkung der Steuertarife zum 1.1.1986 einforderte. Zur Position von Graf Lambsdorff vgl. "Steuerentlastung und Familienhilfe. Koalition denkt an ein Volumen von 25 Milliarden", in: FAZ, 22.2.1984. 16 Vgl. "Steuerentlastung und Familienhilfe. Koalition denkt an ein Volumen von 25 Milliarden", in: FAZ, 22.2.1984; Fides Krause-Brewer: Gerhard Stoltenberg - Minister mit eisener Entschlossenheit, in: Trend, März 1984. 17 Zum Hintergrund "Steuerentlastung und Familienhilfe. Koalition denkt an ein Volumen von 25 Milliarden", in: F AZ, 22.2.1984. Stoltenbergs finanzpolitische Standhaftigkeit brachte ihm im Verlauf der Steuerdiskussionen schließlich aus den eigenen Reihen - so u. a. von Späth - den Vorwurf des "phantasielosen Fiskalisten" ein. Vgl. zu Stoltenbergs Interessen und Position Walter Bajohr: Der standhafte Konsolidierer von Bonn, in: Rheinischer Merkur, 4.5.1984; Dieter Piel: Ein Mann mogelt, in: Die Zeit, 11.5.1984. 8 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

mentieren und auf die Unterstützung Kohls vertrauen. 18 Der Bundeskanzler schien zu diesem Zeitpunkt, ohne sich dabei allerdings öffentlich festzulegen, die Haltung seines Finanzministers zu teilen. 19 Stoltenberg konnte sich in seiner Zeitplanung zudem auf die mehrheitliche Unterstützung der CDU-regierten Bundesländer berufen?O Ihre Argumentation glich vordergründig der des Bundesfinanzministers: Auch sie forderten zunächst eine Fortsetzung des von Stoltenberg eingeschlagenen Konsolidierungsprozesses. Es liegt aber nahe anzunehmen, daß es den Ministerpräsidenten und Länderfinanzministern jedoch vorrangig darum ging, die sich mit der Steuerreform abzeichnende Einnahmenverminderung rur die Länderkassen möglichst lange herauszuschieben. 21 Die Familien- und Finanzpolitiker der Unionsfraktion traten dagegen mehrheitlich rur eine möglichst rasche Realisierung der steuerlichen Entlastung von Familien ein?2 In der Frage des Familienlastenausgleichs gab es wiederum eine dazu gegensätzliche und uneinheitliche Position im Lager der CDU-regierten Bundesländer. Während das Vorhaben bei den einen auf Widerstand zu stoßen drohte,23 ging vor allem dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth - ebenso wie der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion - die von Stoltenberg anvisierte Familienentlastung nicht weit genug. 24 Zusätzliche Komplikationen und eine Verfestigung der Fronten zeichnete sich ab, als Ende März die Ausarbeitungen zweier alternativer Steuerentlastungsmodelle durch Stoltenbergs Ministerium bekannt wurden?5 Gemeinsam

18 Bewertend zur Stellung Sto1tenbergs im Kabinett vgl. auch Fides Krause-Brewer: Gerhard Sto1tenberg - Minister mit eiserner Entschlossenheit, in: Trend, März 1984. 19 Vgl. zur Position Kohls "Steuern: Streichen und erhöhen", in: Wirtschaftswoche, Nr. 14,30.3.1984, S. 22 f. 20 Wortführer der CDU-Ministerpräsidenten war in dieser Frage der niedersächsische RegierungschefEmstAlbrecht. Vgl. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 290. 21 Bestätigend "Steuern: Steichern und erhöhen", in: Wirtschaftswoche, Nr. 14, 30.3.1984, S. 23. Dies klang auch an im Gespräch Stoltenbergs mit dem Autor am 14.7.1997. 22 Allerdings war auch hier die Position nicht einheitlich, wurde doch mitunter eine Gesamtreform für 1987 gefordert. Vgl. auch "Stoltenbergs Steuerpläne sind auch in der Koalition nicht unumstritten", in: FAZ, 31.3.1984. 23 Es wurde aus verwaltungstechnischen Gründen v. a. das Modell des Familiensplittings abgelehnt, das eine Aufsplittung des Familieneinkommens auf die Zahl der Familienmitglieder und damit eine Verringerung der Steuerlast bedeutet hätte. 24 Späth hatte eine Entlastung von mindestens sechs bis acht Milliarden DM, die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zehn Milliarden gefordert. Stoltenberg hatte dagegen für diesen Bereich maximal fünf Milliarden DM vorgesehen. Zur Position Späths und der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vgl. "Steuern: Streichen und erhöhen", in: Wirtschaftswoche, Nr. 14, 30.3.1984, S. 22 f.; "Zehn Milliarden für Familien gefordert", in: SZ, 22.3.1984. 25 Zusammenfassender Überblick über die Inhalte in: Werner Gößling: Bonns Koalitionspolitiker stehen vor der Qual der Wahl, in: Stuttgarter Zeitung, 31.3.1984.

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war beiden Konzepten, daß die Entlastungen im Bereich der direkten Abgaben durch Erhöhung der Verbrauchssteuem gegenfmanziert werden sollten. Innerhalb der Unionsfraktion war der Widerstand der Haushalts- und Finanzpolitiker gegen diese Bestrebungen vorprogrammiert, wie im weiteren Verlauf der Ausführungen noch gezeigt wird. Die Beratung von Stoltenbergs Konzepten sollte in mehreren Etappen erfolgen. Zunächst war eine Zusammenkunft der Koalitionsrunde für den 2. April 1984 geplant. 26 Hier sollten die vom Bundesfmanzminister vorgelegten Eckwertekonzepte erstmals "offiziell" beraten werden. 27 Der weitere, von Kohl vorbestimmte fmanzpolitische Beratungsfahrplan28 sah vor, daß, der Koalitionsrunde unmittelbar nachgeschaltet, eine Beratung der Eckwerte im Vorstand der Unionsfraktion erfolgen sollte. Anschließend war eine Präsentation der Steuerkonzepte in der Unionsfraktion und eine detaillierte Weitergabe der im Bundesfinanzministerium entwickelten Modelle an die zuständigen Arbeitsgruppen (Haushalt, Finanzen) vorgesehen, die darüber in Klausur beraten und Stellungnahmen zu Stoltenbergs Vorschläge erarbeiten sollten. Dieses Verfahren kritisierte Dregger nachträglich. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn die Reformpläne zunächst in einem kleinen Kreis innerhalb der Spitzenpolitiker von CDU und Unionsfraktion ausführlich diskutiert worden wären, bevor sie der Gesamtkoalition und den Abgeordneten der Regierungsfraktion präsentiert wurden?9 Damit wäre der Fraktionsführung frühzeitig die Möglichkeit gegeben worden, auf die Entstehung der Eckwerte Einfluß zu nehmen und eigene Vorstellungen einzubringen. In dieser Kritik kam aber auch Dreggers Fraktionsund Führungsphilosophie zum Ausdruck. An anderer Stelle hatte er dazu formuliert:

26 An der ftinfstündigen Besprechung nahmen aus den Reihen der CDU-Führung teil: Bundeskanzler Kohl, Stoltenberg, Jenninger, Strauß. Die CDU/CSU-Fraktion wurde von Dregger, Waigel, Schäuble, Bötsch und Kreile vertreten. Angaben nach "Steuerrefom nun doch nicht in Stufen und möglichst ohne höhere Belastungen", in: FAZ, 3.4.1984; Heinz Heck: Stoltenberg soll seinen Plan ftir Steuerreform nachbessern, in: Die Welt, 3.4.1984. 27 Dem Bundeskanzler hatte Stoltenberg seine Eckwerte bereits vorab übermittelt. Vgl. "Widerstand gegen höhere Verbrauchssteuern wächst bei den Regierungsfraktionen", in: SZ, 29.3.1984. 28 Vgl. "Stoltenbergs Steuerpläne sind auch in der Koalition nicht unumstritten", in: FAZ,31.3.1984. 29 Vgl. zur Kritik Eduard Neumaier: Ein Papa Krone wird Alfred Dregger kaum werden, in: Stuttgarter Zeitung, 16.4.1984. Nicht auszuschließen ist, daß Dreggers Kritik auch dadurch motiviert wurde, daß es ihm nicht gelang, seine eigenen Vorstellungen einer Reduzierung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings durchzusetzen. Vgl. zu Dreggers Modell exemplarisch "HaushaItsexperten gegen höhere Abgaben", in: SZ, 4.4.1984. Vgl. zur fraktionsinternen Entscheidungsvorbereitung durch Fraktionsvorstände auch Schäfer: Der Bundestag, S. 143; Lohmar: Das Hohe Haus, S.154.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

"Eine Regierungsfraktion muß mit der Regierung selbstverständlich zusammenwirken. Davon hängt der gemeinsame Erfolg ab. Unsere Anhänger bewegt nicht die Frage, wer sich von uns am besten profiliert. Sie wollen den Erfolg. Sie erwarten von uns Einigkeit und Effizienz. Das kann nicht bedeuten, daß die Regierungsfraktion nur vollzieht, was die Regierung in kleinem Kreis entschieden hat. Die Fraktion muß die Möglichkeit haben, auf die Entscheidung der Regierung aktiv Einfluß zu nehmen. Das kann nicht in der Weise organisiert werden, daß schwierige und unpopuläre Regierungsentwürfe zunächst einmal in der Fraktion vorerörtert werden. An dieser Erörterung würde ja nicht nur die Fraktion, sondern auch der politische Gegner und die allgemeine Öffentlichkeit teilnehmen. Danach würden in der Regel so viele Barrieren aufgebaut, daß es später nicht mehr zu einer Entscheidung kommen könnte. [00'] Die Öffentlichkeit der Demokratie kann daher ohne die Vertraulichkeit des kleinen Kreises nicht auskommen.,,30

In der gewählten Vorgehensweise spiegelte sich aber - trotz der Kritik Dreggers - das Bemühen vor allem Kohls und der Leitung des Bundeskanzleramtes wider, möglichst frühzeitig die zuständigen Gremien innerhalb der CDU/CSUBundestagsfraktion in den Beratungsprozeß zu integrieren und die Abgeordneten über den Stand der Beratungen zu informieren. Damit wurde sensibel auf allmählich deutlicher werdende Forderungen aus den Reihen der Abgeordneten nach einer stärkeren Einbindung in den Politikgestaltungsprozeß der Regierung reagiert. 31 Zudem waren in der Regierungszentrale nur zu gut die Proteste der Fraktion in Erinnerung, die sich ein Jahr zuvor erhoben hatten, als die Abgeordneten der Unionsfraktion sich nicht ausreichend in finanz- und haushaltspolitische Reformen und Beschlußfassungen integriert sahen. 32 Diesmal sollten sie frühzeitig in den Meinungsbildungsprozeß miteinbezogen werden. 33

Reaktionen von Unionfraktion, Kabinettskollegen und CDU-Ministerpräsidenten

Im folgenden werden die Stationen des Beratungsprozesses zu den von Stoltenberg vorgelegten finanzpolitischen Reformmodellen und die verschie30 Alfred Dregger in dem Bericht zur Lage vor der Fraktion am 21.6.1983, abgedruckt in: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 21.6.1983, S. 9 f. 31 Zur Stimmungslage in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vgl. den Hintergrundbericht von Carl-Christian Kaiser: Leises Grummeln an der Basis, in: Die Zeit, 9.3.1984. 32 Zum Hintergrund vgl. "In der Unionsfraktion Kritik an Kohl", in: F AZ, 25.3.1983; Hans Jörg Sottorf: CDU/CSU-Fraktion: Kein Vollzugsorgan, in: Handelsblatt, 18.5.1983; Karl Hugo Pruys: Unmut in Unionsfraktion über Kabinett, in: Münchner Merkur, 20.5.1983; "Union: Verärgerung über Stoltenberg", in: Bremer Nachrichten, 20.5.1983. 33 Gleichwohl flihlten sich einige Abgeordnete noch immer nicht ausreichend informiert und kritisierten vor allem die Informationspolitik Stoltenbergs. Vgl. zur Kritik Meldung 0.T. in: Rheinischer Merkur, 13.4.1984.

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denen Akteuerskonstellationen vor allem innerhalb der CDU und CDU/CSUBundestagsfraktion skizziert. Die Auseinandersetzung mit Stoltenbergs Reformplänen erfolgte dabei auf vier Ebenen:

Machtfaktor Haushalts- und Finanzpolitiker Die Haushalts- und Finanzpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatten, nachdem erste Informationen aus dem Finanzministerium in Bonn durchgesickert waren/ 4 eine Gegenfinanzierung der Einkommensteuerreform durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuem bereits in ihrer Arbeitskreissitzung am 27. März 1984 strikt abgelehne s und statt dessen als Kompensation vor allem den Abbau von Subventionen gefordert. 36 Während es ihnen zunächst von der Fraktionsführung untersagt worden war, ihre Empfehlungen - Vermeidung von Steuererhöhungen und Kürzungen von Subventionen - auf offiziellem Fraktionspapier zu verbreiten,37 gingen sie verbal in die Offensive. Die gegenüber Steuererhöhungen ablehnende Position der Finanzpolitiker unterstrich der Haushaltsexperte der CDU, Manfred Carstens, nochmals wenige Tage später arn 30. März 1984. 38 Indem er darüber hinaus ausführte, daß die Vorlage des 34 Am 28.3. wurde schließlich von seiten des BMF offiziell erklärt: "Nach übereinstimmender Auffassung auch der Finanzminister der Länder ist eine teilweiser Ausgleich durch Abbau von Steuervergünstigungen und eine gewisse Erhöhung bei indirekten Steuern vorzusehen." Zitiert nach: "Widerstand gegen höhere Verbrauchssteuern wächst bei den Regierungsfraktionen", in: SZ, 29.3.1984. 35 Stoltenberg reagierte auf diese Ablehnung und machte unmißverständlich die Alternativen deutlich. In einem ARD-Interview führte er aus: "Man muß sich entscheiden. Entweder wir wollen eine große Lösung bei der Einkommen- und Lohnsteuer [... ], dann muß man einen Teilausgleich - nach meinem Vorschlag 11,5 Milliarden Mark - suchen oder wir wählen eine sehr kleine Lösung." Sei letzteres der Fall, dann könne auf Steuererhöhungen als Ausgleichsrnaßnahmen verzichtet werden. Stoltenberg zitiert nach: "Scharfe Kritik aus den Reihen der Union", in: Handelsblatt, 2.4.1984; ergänzend Stoltenbergs Ausführungen vor einer Veranstaltung der schleswig-holsteinischen JU, auszugsweise wiedergegeben in: "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984. 36 Auch eine Finanzierung der Steuerreform über eine Erhöhung der Staatsverschuldung wurde fraktionsintern kurzfristig diskutiert. Allerdings hätte dies die bisherige Regierungspolitik vollständig konterkariert. Vgl. zur Position der Haushalts- und Finanzpolitiker der Fraktion "Widerstand in der Unionsfraktion gegen höhere indirekte Steuern", in: Handelsblatt, 28.3.1984; auch "Widerstand gegen höhere Verbrauchssteuern wächst bei den Regierungsfraktionen", in: SZ, 29.3.1984. 37 Offensichtlich wollte man seitens der Fraktionsführung verhindern, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, die Unionsfraktion trage die Politik der Regierung im allgemeinen und des von ihr gestellten Finanzministers im besonderen nicht mit. Erst nachdem Widerstände von verschiedenen Seiten gegen Stoltenbergs Modelle evident geworden waren, rückte man von dieser Haltung ab. Vgl. zum "Veto" der Fraktionsführung "Haushaltsexperten gegen höhere Abgaben", in: SZ, 4.4.1984. 38 Die Aussagen Carstens sind wiedergegeben in "Stoltenbergs Steuerpläne sind auch in der Koalition nicht unumstritten", in: FAZ, 31.3.1984. In ihrer ablehnenden Haltung

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Bundesfinanzministers es ermögliche, Änderungswünsche einzubringen,39 hatte er unterschwellig deutlich gemacht, daß dies von ihm und seinen Kollegen auch durchaus beabsichtigt war und zugleich subtil auf das Gewicht der Finanzpolitiker der Fraktion im Entscheidungsprozeß hingewiesen. Sehr direkt formulierte er deshalb auch im Anschluß die Grundsätze der Haushalts- und Finanzpolitiker, die es bei den Reformüberlegungen zu beachten gelte. Dazu zählte, daß - die Reformbestrebungen den haushaltspolitischen Konsolidierungsprozeß nicht gefährden dürften; - Steuervergünstigungen und Finanzbeihilfen in den kommenden Jahren abgebaut werden sollten; - die Ausgabendisziplin des Bundes auch in den folgenden Jahren gewahrt bleiben sollte; - die Reformpolitik zum einen die Steuerbelastungen deutlich senken und zum anderen die Lage der Familien verbessern müsse. 40 Noch vor dem Koalitionsgespräch am 2. April hatten somit die Finanzpolitiker der Unions fraktion das Reformterrain abgesteckt und ihren Standpunkt in die Öffentlichkeit gebracht. Mit diesen Leitlinien wurde zudem Stoltenberg in der gemeinsamen Sitzung der Haushaltsexperten der CDU/CSU- und FDPFraktion am Nachmittag des 2. April 1984 konfrontiert,41 nachdem er diesen die Rahmendaten und Inhalte seiner Modelle erläutert hatte. 42 In dieser Runde war es zu einem ersten intensiven unmittelbaren Austausch zwischen Stoltenberg und den Experten der Fraktionen über die Steuermodelle gekommen. 43

Drängen der Unionsfraktion auf Berücksichtigung im Beratungsprozeß Als Stoltenbergs Reformvorschläge Ende März bekannt wurden, ohne daß die Fraktionsmitglieder zu diesem Zeitpunkt detailliert über die Inhalte inforwurden die Finanzpolitiker der CDU/CSU-Fraktion von denen der FDP-Koalition unterstützt. Vgl. ebd. 39 Carstens wiedergegeben in ebd. 40 Vgl. ebd. 41 Die unterschiedlichen Standpunkte Stoltenbergs und der Finanzpolitiker der Union wurden auch wenige Tage später in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages deutlich. Vgl. dazu "Einsparungen oder Ausgleich", in: Handelsblatt, 6.4.1984. 42 Zur Sitzung vgl. "Steuern. Mehr Vertrauen", in: Der Spiegel, NT. 15,9.4.1984, S. 23 f. 43 Vgl. zur Tagung der Haushaltsexperten beider Fraktionen und den Ergebnissen Peter 1. Velte: In der Steuerfrage will die Koalition Ruhe ausstrahlen, in: Bonner General-Anzeiger, 3.4.1984; "Koalitionsmehrheit gegen Steuererhöhungen", in: Stuttgarter Zeitung, 4.8.1984; "Haushaltsexperten gegen höhere Abgaben", in: SZ, 4.4.1984; "In Bonn wächst die Stimmung für ein geschlossenes Steuer-Paket", in: FAZ, 4.4.1984.

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miert worden waren, versuchte in der Öffentlichkeit vor allem der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Eindruck vorzubeugen, die geplanten Reformen seien bereits in ihren Grundzügen festgezurrt. Entsprechend hatte Dregger bereits vor der Koalitionsrunde am 2. April bezüglich der vermeintlichen Verbindlichkeit von Stoltenbergs Steuerplänen erklärt: "Das ist noch völlig offen. Das muß alles noch gründlich beraten werden, sowohl in der Unionsfraktion als auch mit dem Koalitionspartner FDP.,,44 Aus diesen Worten des Fraktionschefs läßt sich eine doppelte Botschaft mit unterschiedlicher Adressatenausrichtung interpretieren: Gegenüber der Regierung wollte Dregger klarmachen, daß man in der Fraktion keineswegs gewillt war, die ministeriellen Ausarbeitungen ohne weiteres hinzunehmen. Gleichzeitig signalisierte Dregger aber seinen Fraktionskollegen, daß er in den einschlägigen Gremien auf ein intensives Mitspracherecht der Unionsfraktion bei der Ausformulierung der finanzpolitischen Reformpläne pochen würde. Allerdings beabsichtigte Dregger als Fraktionsvorsitzender, der loyal zu Kohl stand, dabei keineswegs, auf Konfrontationskurs zur Regierung zu gehen. 45 Seine Strategie war die des Ausgleichs - sowohl zwischen Regierung und Fraktion als auch innerhalb der Fraktion. Ihm fiel die schwierige Aufgabe zu, das Verhältnis Fraktion-Regierung so auszutarieren, daß zum einen die Selbständigkeit der Unionsfraktion im Verhältnis zur Bundesregierung erhalten blieb und zum anderen im notwendigen Augenblick die Mobilisierung der Fraktionsunterstützung für die Regierungspolitik möglich war. Dregger war sich dabei des schmalen Grats bewußt, auf dem sich sowohl er als auch die Fraktion in Politikgestaltungsprozessen bewegten. 46 Ein Grat, der zwischen "Stütze und Widerpart,,47, zwischen Vollzugs-, Unterstützungs- und Korrektivorgan verlief. Dies wurde zunächst bei seinen Ausführungen deutlich, die er unmittelbar vor der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 3. April 1984 machte. Er bescheinigte Stoltenberg, daß dieser durch seine Konzept ein "Höchstmaß an offener Diskussion" ermögliche. In Richtung Fraktion verdeutlichte er, daß die Vorlagen "weder den Charakter einer Gesetzesvorlage noch einer Kabinettsentscheidung haZitiert nach "Interview mit Alfred Dregger", in: Bild am Sonntag, 1.4.1984. Darin unterschied sich nach Dreggers Definition im übrigen eine Regierungs- von einer Oppositionsfraktion: "Die Rolle einer Regierungsfraktion ist in manchem schwieriger als die einer Oppositionsfraktion. Eine Oppositionsfraktion braucht auf die Regierung keine Rücksicht zu nehmen. Sie kann sie angreifen." Alfred Dregger in dem Bericht zur Lage vor der Fraktion am 21.6.1983, abgedruckt in: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 21.6.1983, S. 9. 46 Nach seinem Selbstverständnis sollte die Fraktion "eine eigenständige Kraft [seinld. Verf.], die die Regierung hilfreich und kritisch zugleich begleitet und unterstützt. Wenn es zweckmäßig erscheint, wird die Fraktion aber auch einige politische Akzente setzen". Alfred Dregger in: Hans Peter Schütz: Interview mit dem CDU/CSUFraktionsvorsitzenden Alfred Dregger. "Die Fraktion ist durchaus eigenständig", in: Stuttgarter Nachrichten, 11.9.1983. 47 Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 131. 44 45

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

ben".48 Offensichtlich war dies die Sprachregelung, auf die man sich in der Sitzung des Fraktionsvorstandes zuvor verständigt hatte. Diese ausgleichende Linie verfolgte Dregger dann auch in der Sitzung am 3. April 1984, in der Stoltenberg zuvor den Abgeordneten seine Reformpläne erläutert hatte. 49 Der Fraktionsvorsitzende signalisierte der Bundesregierung Kooperationsbereitschaft: "Ich erwarte auch in dieser Frage50 eine gute und einmütige Entscheidung. Dafür spricht die bisherige Haltung der Fraktion zum Beispiel bei der Entscheidung über die Nachrüstung, über die Haushaltsbegleitgesetze, die mit erheblichen Ausgabenkürzungen verbunden gewesen sind und zuletzt über die Vorruhestandsregelung. [... In der Fraktion gibt es keinen Streit zwischen Wirtschafts- und Finanzpolitikem. 5 Uns allen geht es um die Verstetigung und Verstärkung des wirtschaftlichen Aufschwungs. Wir alle wollen zu diesem Zweck eine erhebliche Steuerentlastung herbeiführen. Wir alle wünschen einen möglichst durchgehenden Steuertarif und den Abbau der leistungshemmenden Progression im mittleren Bereich. Daß wir diejenigen stärker entlasten, die für Kinder zu sorgen haben, ist ein Gebot der steuerlichen Gerechtigkeit und des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. [... ] Außer steuerlicher Entlastung wollen wir die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die für das Vertrauen in die Wirtschaftsentwicklung nicht weniger wichtig ist als die steuerlichen Entlastung. Es ist sicherlich erwünscht, auf eine steuerliche Kompensation ganz zu verzichten. 52 Ob das möglich ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: - vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der steuerlichen Entlastung; je früher die Entlastung kommt, um so schwieriger ist es auf jede Kompensation zu verzichten; - vom Ausmaß des Wirtschaftswachstums und die dadurch ermöglichten Steuereinnahmen; - vom Ausmaß der Streichung von Steuersubventionen. Der Konjunkturzyklus spricht dafür, die steuerliche Entlastung bereits für 1986 vorzusehen, und zwar in einem Schritt.

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48 Dregger zitiert nach: "Haushaltsexperten gegen höhere Abgaben", in: SZ, 4.4.1984. 49 Dabei hatte er den Abgeordneten auch ein siebenundzwanzigseitiges Arbeitspapier mit dem technokratischen Titel "Vorschläge zur Senkung der Einkommen- und der Lohnsteuer, steuerliche Entlastungen der Familien und für Umschichtungen im Steuersystem" zukommen lassen. In ihm waren die im BMF erarbeiteten Reformpläne dokumentiert. Vgl. Peter J. Velte: In der Steuerfrage will die Koalition Ruhe ausstrahlen, in: Bonner General-Anzeiger, 3.4.1984. 50 Gemeint war die geplante Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs einscMießlich des Familienlastenausgleichs. 51 Hintergrund bildeten unterschiedliche Auffassungen über Modalitäten der Steuerreform (Höhe der Entlastungen, Zeitpunkt des Reformbeginns u. a. ) sowie die Frage nach der Gewichtung von angebots- und nachfragepolitischen Elmenten in einer finanzpolitischen Gesamtstrategie. 52 Im Klartext bedeutete dies, daß nach Möglichkeit - unter den nachfolgend weiter beschriebenen Voraussetzungen - keine Steuererhöhung zur Gegenfinanzierung der Steuerreform erfolgen sollte.

I. Finanzpolitik

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Der Bundesfinanzrninister wird unter Mitwirkung von Landesfinanzministern zusammen mit Vertretern der Koalitionsfraktionen eine Prognose vorlegen über die voraussichtliche Wirtschafts- und Finanzentwicklung der kommenden Jahre. Dabei sind die unvermeidlichen Mehrausgaben zu bestimmen, z. B. für die EG. Die CDU/ CSU-Fraktion wird sich bei der Erarbeitung der Prognose durch die Abgeordneten Dr. Schäuble, Manfred Carstens, Professor Kreile und die steIl vertretenden Vorsitzenden Dr. Althammer, Hauser und MüIler (Remscheid) vertreten lassen. [... ] Grundlage der Überlegungen in der Koalition ist der Diskussionsvorschlag des Bundesfinanzrninisters. Diskussion setzt Offenheit voraus. Zur Zeit gibt es keinerlei Festlegungen, weder in der Regierung noch in der Koalition. Die Entscheidung über die Eckdaten der Steuerreform wird Ende Mai getroffen. [... ] Der Bundesfinanzrninister hat sich auf Wunsch der CDU/CSU-Fraktion bereit erklärt, einen ausgearbeiteten Tarifentwurf auf der Grundlage eines Familiensplittings vorzulegen.,,53

Trotz der in den Ausfiihrungen gezeigten Offenheit und des Bekenntnisses zu Stoltenbergs Vorschlägen als Diskussionsgrundlage war dennoch zwischen den Zeilen der Standort der Fraktion in der Steuerdiskussion vom Fraktionsvorsitzenden artikuliert und damit markiert worden. Die von Carstens bereits an anderer Stelle wenige Tage zuvor formulierten Eckpunkte waren in Dreggers Rede eingeflossen. So hatte sich Dregger z. B. doch recht deutlich fiir den I. Januar 1986 als Datum fiir das Inkrafttreten der Steuerreform ausgesprochen. Ferner wies die von Dregger vorgenommene inhaltliche Verbindung zwischen den von einer Änderung der Steuerprogression nicht betroffenen unteren Einkommensschichten und der Notwendigkeit eines Ausgleichs durch erhöhte Kindergeldzahlungen darauf hin, daß er im Gegensatz zu Stoltenberg ein Reformpaket präferierte, das Aspekte sowohl der Ausgaben- wie der Einnahmenseite berücksichtigte. 54 Daß der Finanzminister dazu bewegt werden konnte, über weitere finanzielle Entlastungen der Familien nachzudenken, und die Mitteilung des Fraktionsvorsitzenden, daß fiihrende Abgeordnete und Finanzpolitiker der Fraktion bei der Erarbeitung einer Prognose zur künftigen Finanzentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland mitarbeiten würden, verstärkte in der Fraktion das Gefuhl, in den Politikgestaltungsprozeß miteingebunden zu sein. Auch Dreggers wiederholter Verweis darauf, daß noch keine Vorentscheidungen in Regierung und Koalition gefallen seien und man sich in einem Diskussionsprozeß befinde,

53 Zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zur geplanten Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs einschließlich des Familienlastenausgleichs erklärt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, 3.4.1984. 54 Entsprechend hatte Dregger bereits in einem Interview vor der Fraktionssitzung verkündet, daß er nichts davon halte, das steuerpolitische Entlastungsprogramm in "zwei Portiönchen aufzuteilen". Vgl. Manfred ScheIl: Dregger: Steuerreform in einem Paket, in: Die Welt, 4.4.1984. Ergänzend zu Dreggers Position vgl. Joachim SobottalHeinz Schweden: RP-Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dregger. Steuerentlastung nicht in zwei Portiönchen, in: Rheinische Post, 6.4.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

unterstrich dies. 55 Insgesamt hatte Dregger in subtiler Fonn in seiner Rede vor der Fraktion den Regierungsvertretern - vor allem aber Kohl und Stoltenberg die steuerpolitische Wunschliste der Abgeordneten präsentiert.

Geißlers Kritik an den Refonnplänen des Kabinettskollegen Auch unter den Kabinettsmitgliedern waren die Pläne Stoltenbergs umstritten. Neben Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff 6 kritisierte in erster Linie der Familienminister und CDU-Generalsekretär Geißler die Modellrechnungen des Finanzministers und Kabinettskollegen. Geißler machte vor allem deutlich, daß der von Stoltenberg vorgesehene Ansatz von filnf Milliarden DM zur Entlastung der Familien durch Mittel filr Kinder- und Babygeld, eine Kindergeldzulage sowie die Anrechnung von Kindererziehungszeiten zu ergänzen sei. 57 In diesem Punkt stimmte er mit den Haushalts- und Finanzpolitikern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion überein. Um seiner Haltung Nachdruck zu verleihen, berief er sich auf die einschlägigen Ausfilhrungen der Koalitionsvereinbarung vom März 1983,58 die damals von der CDU eingebracht worden waren. 59 Mit Geißlers Forderung zeichneten sich frühzeitig zusätzliche Belastungen filr Stoltenbergs Haushalt und daraus resultierend ein weiteres Konfliktpotential innerhalb der CDU ab. Auch Geißler hatte, ebenso wie die Haushaltsund Finanzpolitiker, bereits vor dem Zusammentreffen der Koalitionsrunde am Vonnittag des 2. April somit seine Position deutlich gemacht und unüberhörbar Einspruch gegen die Refonnpläne seines Kabinettskollegen eingelegt. 60 Da es 55 Gleichzeitig verwahrte sich Dregger aber dagegen, daß aus der Offenheit der Positionen und dem damit einhergehenden Abwägungsprozeß abgeleitet werde, daß die Regierungskoalition über kein Konzept zur Steuerentlastung verfuge. Vgl. dazu Joachim Sobotta/Heinz Schweden: RP-Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU/CSUFraktion, Dregger. Steuerentlastung nicht in zwei Portiönchen, in: Rheinische Post, 6.4.1984. 56 Zur Position Graf Lambsdorffs z. B. "Scharfe Kritik aus den Reihen der Union", in: Handelsblatt, 2.4.1984; "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984; "Kohl schaltet sich in Steuer-Streit ein", in: Stuttgarter Nachrichten, 2.4.1984. 57 Damit trafen an diese Stelle zwei unterschiedliche finanzpolitische Konzepte aufeinander. Während Stoltenbergs Refonnvorschläge die Einnahmenseite des Staates betrafen, argumentierte Geißler zusätzlich von der Ausgabenseite her. Geißlers Vorschläge bedeuteten de facto nicht nur venninderte Einnahmen des Staates, sondern zusätzlich auch erhöhte Ausgaben. 58 Zu Geißlers Forderungen vgl. "Koalitionsstreit um geplante Steuerrefonn", in: Rheinische Post, 2.4.1984; "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984. 59 Vgl. Kapitel "Familienpolitik" in: CDU-Dokumentation: Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, in: UiD, Nr. 12,24.3.1983. 60 Rückenstärkung bekam er dabei von den CDU-Sozialausschüssen. Zu inhaltlichen Details vgl. Rolf-Dietrich Schwarz: Stoltenbergs Pläne hängen in der Luft, in: FR, 3.4.1984.

I. Finanzpolitik

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sich hierbei in erster Linie jedoch um einen Dissens zwischen Mitgliedern der CDU handelte, war die Kompromißfmdung allerdings auch unmittelbarer zu organisieren als bei einem partei übergreifenden Konflikt zwischen Koalitionspartnern: Kohl schaltete sich direkt ein. Er empfahl den Kontrahenten, sich bilateral zu einigen und einen Komprorniß zu finden. 61 Beide Minister erarbeiteten in den folgenden Wochen auf diese "Anregung" hin in Kooperation ein familienpolitisches Finanzkonzept. 62

Positionen der CDU-Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Die Reaktionen der CDU-Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden auf die Modelle Stoltenbergs zur Reform des Einkommen- und Lohnsteuersystems waren uneinheitlich. 63 Der baden-württembergische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Späth brachte seine Unzufriedenheit mit den Vorschlägen des Bundesfinanzministers dadurch zum Ausdruck, daß er öffentlich eigene Reformüberlegungen seiner Regierung ankündigte. Er sprach sich nicht nur gegen eine Erhöhung von Verbrauchssteuern aus. 64 Ihm ging zudem nach wie vor die vorgesehene Entlastung der Familien nicht weit genug. 65 Den letztgenannten Aspekt stellte auch der Vorsitzende der rheinländischen CDU,

61 So belegt bei Stoltenberg: Wendepunkte, S. 291; Andeutungen auch in "Stoltenbergs Steuerpläne sind auch in der Koalition nicht unumstritten", in: FAZ, 31.3.1984. Bestätigend Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 62 Zu den Ergebnisdetails vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Jahresbericht der Bundesregierung, Bonn 1984, S. 387 f.; auch Stoltenberg: Wendepunkte, S. 291. Die Gespräche Stoltenbergs mit Geißler waren dabei weitgehend unproblematisch. Wesentlich problematischer für die Staats finanzen waren die wenige Monate später einsetzenden und von Blüm initiierten Debatten um die Trümmerfrauenproblematik. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997; ergänzend Stoltenberg: Wendepunkte, S. 291 ff. 63 Die in Detailfragen uneinheitliche Position wurde auch wenige Wochen später während des CDU-Parteitags in Stuttgart in den Reden Späths und Albrechts sowie den dabei vorgenommen Akzentuierungen deutlich. Vgl. zu den Redebeiträgen CDUBundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag. 10. Mai 1984. Stuttgart. 2. Tag, Bonn 0.1. 64 In diesem Punkt wurde Späth von seinem bayerischen Kollegen Strauß unterstützt. Späths Position war in diesem Punkt mit der mehrheitlich von der Unionsfraktion vertretenen Ansicht identisch, unterschied sich aber von ihr in der Frage des Beginns und der Gestaltung der Lohn- und Einkommensteuertarife. Zur Position Späths und Strauß' vgl. auch Heinz Vielain: CDU und FDP einig - Keine höhere Steuer auf Tabak, Alkohol, Benzin, in: Die Welt, 8.4.1984. 65 Zur Position Späths und seiner Ankündigung vgl. "Scharfe Kritik aus den Reihen der Union", in: Handelsblatt, 2.4.1984; "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984; "Kohl schaltet sich in Steuer-Streit ein", in: Stuttgarter Nachrichten, 2.4.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Wonns, in das Zentrum seiner öffentlichen Kritik an Stoltenbergs Plänen. 66 Ebenso wie Späth und Wonns nutzte darüber hinaus der niedersächsische Ministerpräsident Albrechr das Wochenende vor dem Zusammentreten der Koalitionsrunde, um während eines CDU-Kongresses in Cuxhaven seine Ablehnung des von Stoltenberg vorgesehenen Finanzierungskonezpts der Steuerrefonn medien- und öffentlichkeitswirksam zu äußern. Seine Ablehnung gründete sich vor allem darauf, daß deutlich über 50 Prozent der im Zuge der Einkommen- und Lohnsteuerrefonn vorgesehenen Entlastungen - diese sollten ein Volumen von rund 22 Milliarden DM umfassen - nach Stoltenbergs Vorstellungen von den Ländern und Gemeinden getragen werden sollte. 68 Die mehrheitliche Zustimmung der CDU-Länderregierungen fand dagegen die von Stoltenberg vorgesehene Gegenfinanzierung der Einkommen- und Lohnsteuerrefonn durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuern. 69

Interessenkoordination in den Parteiführungsgremien und Beschlußfassung

Dadurch, daß bereits von verschiedenen Akteuren aus den Reihen der Unionsfraktion, von Kabinettsmitgliedern und auch den CDU-Ministerpräsidenten vor dem Zusammentreffen der Koalitionsrunde am 2. April kritische und ablehnende Standpunkte in der Öffentlichkeit ventiliert worden waren, wurde schnell deutlich, daß in dieser Runde zunächst keine Einigung über die Steuerrefonnpläne herzustellen war. Schon allein deshalb nicht, weil in dieser Runde mit den CDU-Ministerpräsidenten eine wesentliche Kritikergruppe nicht vertreten war. Das Koalitionstreffen gab zu diesem Zeitpunkt allenfalls Gelegenheit, die in der Öffentlichkeit bereits dargestellten Positionen nochmals zu wiederholen und mögliche Mißverständnisse in Sachfragen auszuräumen. 7o Inhaltliche Positionsklärung im Machtdreieck war aber die Voraussetzung zur weiteren Abstimmung vor allem mit dem Regierungspartner FDP. Damit war zumindest 66 Vgl. "Koalitionsstreit um geplante Steuerreform", in: Rheinische Post, 2.4.1984; "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984. 67 Sie verfUgten deshalb über weitergehende Informationen, weil Stoltenberg zuvor das Präsidium und die Ministerpräsidenten über sein Konzept informiert hatte. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 68 Zur Kritik Albrechts vgl. "Scharfe Kritik aus den Reihen der Union", in: Handelsblatt, 2.4.1984; "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984. 69 Vgl. dazu "Widerstand gegen höhere Verbrauchssteuem wächst bei den Regierungsfraktionen", in: SZ, 29.3.1984. Gegen diese Variante hatte sich allerdings Strauß ausgesprochen. Vgl. zur bayerischen Position "Anhaltende Kritik an Steuerplänen", in: SZ, 2.4.1984; "Ohne Zeitdruck", in: Bonner General-Anzeiger, 3.4.1984; "Koalitionsparteien wünschen Gesamtreform zum Januar '86", in: SZ, 3.4.1984. 70 Entsprechend bezeichnete Kohl die Gesprächsrunde als "sachkundig und konstruktiv". Kohl zitiert nach "Koalitionsparteien wünschen Gesamtreform zum Januar '86", in: SZ, 3.4.1984.

I. Finanzpolitik

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in diesem Politikfeld zu diesem Zeitpunkt die Entscheidungsfunktion der Koalitionsrunde relativiert. Die Abstimmung und Positionsklärung mußte auf anderen Ebenen erfolgen. Bedeutsam war die Koalitionsrunde allerdings insofern, als die Akteure zum einen durch die Festsetzung des 3. Mai als Datum einer erneuten Zusammenkunft zeitlichen Druck71 auf die intra- und interparteilichen Abstimmungsprozesse ausübten und damit den Einigungsdruck erhöhten und zum anderen offensichtlich eine Verständigung darauf erfolgte, die Reformkontroversen nicht weiter in der Öffentlichkeit auszutragen, sondern sachorientiert in internen Gremien zu diskutieren. 72 Bei alle dem blieb die Position des Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden weitgehend im Dunkeln. 73 In dieser Phase war das Meinungsbild innerhalb der CDU noch zu uneinheitlich, als daß er bereits öffentlich eine inhaltliche Festlegung gewagt hätte. 74 Angesichts der divergierenden Reformansichten zwischen Stoltenberg, Unionsfraktion und CDU-Länderregierungen wurde eine CDU-interne Positionskoordinierung und -abstimmung notwendig - nicht zuletzt auch deshalb, weil mit den in der Koalitionsrunde vereinbarten Terminvorgaben ein zeitliches Korsett gesteckt worden war, das den Zwang zur Positionsklärung und findung für die Christdemokraten erhöhte. In den unionsinternen Klärungsprozeß wurde das CDU-Präsidium einbezogen. Zu einem intensiven Austausch von führenden CDU-Akteuren aus Bundesregierung, Unionsfraktion und Uindem bot die Präsidiumssitzung, die vor den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag von Ex-Bundeskanzler und CDU-Ehrenvorsitzenden Kurt-Georg Kiesinger am 6. April 1984 stattfand, eine erste Gelegenheit. In dieser Sitzung wurden die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Akteure und Akteursgruppen nochmals deutlich. 75 Während die Führung der Unionsfraktion sich nach wie vor gegen eine Erhöhung der Verbrauchssteuern aussprach, wurde ebenso nachdrücklich die mehrheitlich ablehnende Haltung der führenden Länderpoli71 Datumsvorgabe belegt in: "Steuerreform nun doch nicht in Stufen und möglichst ohne höhere Belastungen", in: FAZ, 3.4.1984. 72 Zur Stützung dieser Interpretation vgl. auch Peter J. Velte: In der Steuerfrage will die Koalition Ruhe ausstrahlen, in: Bonner General-Anzeiger, 3.4.1984. 73 Allerdings schien er zunächst, ebenso wie Stoltenberg, dazu zu tendieren, die Steuerreform in zwei Etappen durchzuführen und die steuerliche Entlastung der Familie bereits 1986 zu realisieren, die Reform der Einkommensteuer aber erst für 1988 anzusetzen. Vgl. zur Einschätzung von Kohls Position Ende März "Widerstand gegen höhere Verbrauchssteuern wächst bei den Regierungsfraktionen", in: SZ, 29.3.1984. 74 Vgl. dazu unterstützend auch die Beobachtung von Rolf-Dietrich Schwartz: Das Steuerpaket soll das Markenzeichen F JS tragen, in: FR, 11.4.1984. Ein für Kohl im übrigen typisches Verhalten, das sich auch in anderen Zusammenhängen beobachten läßt. Vgl. dazu exemplarisch Gros: Entscheidung ohne Alternativen?, S. 126. 75 Zu den Ergebnissen und Hintergründen der Sitzung vgl. Heinz Heck: Die Länder machen Front gegen die jüngsten Bonner Pläne zur Steuerreform, in: Die Welt, 7.4.1984; "Die Koalitionsfraktionen für Entlastung ohne höhere Verbrauchssteuern", in: FAZ, 9.4.1984; "Stoltenberg noch weiter isoliert", in: SZ, 9.4.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

tiker gegen eine Lohn- und Einkommensteuerreform ohne finanziellen Ausgleich für die Bundesländer deutlich. Dies stützte indirekt wiederum die Position des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und Bundesfmanzministers Stoltenberg, der eine Gegenfinanzierung der Lohn- und Einkommensteuerreform durch eine Erhöhung von Verbrauchssteuern in seinen Modellen bereits vorgesehen hatte. 76 Der baden-württembergische Ministerpräsident und CDULandesvorsitzende Späth nutzte zudem die Sitzung zur Kritik an den Plänen Stoltenbergs. Er bemängelte grundsätzlich, "daß die jetzige Steuerdiskussion so viele Reibungsverluste produziert, daß für eine wirkliche, langfristig und umfassend angelegte Steuerreform die politische Kraft fehlt.,,77 Gleichzeitig präsentierte der baden-württembergische CDU-Vorsitzende sein angekündigtes Steuermodell. 78 Dieser Drei-Stufen-Plan sah vor, bis 1986 durch diverse Maßnahmen 79 den Familienlastenausgleich zu forcieren; ab 1. Januar 1988 sollte ein korrigierter Lohn- und Einkommensteuertarif in Kraft treten. Als Abschluß war schließlich in einer dritten Stufe eine grundlegende Steuerreform vorgesehen. 80 Der von Späth eingebrachte Drei-Stufen-Plan spielte in den Debatten der folgenden Wochen allerdings keine substantielle Rolle 81 und wurde auch von den Akteuren der CDU nicht wahrnehmbar unterstützt. 82 Eine gemeinsame Unionslinie konnte in dieser Präsidiumssitzung insgesamt nicht erarbeitet werden. Das CDU-Führungsgremium vertagte sich auf den ersten Mai. 83 Parallel zu den Beratungen im Präsidium der CDU arbeiteten vor allem die Steuerexperten der CDU/CSU-Fraktion sowie der FDP-Fraktion und Stoltenbergs Beamte an weiteren steuerpolitischen Konzepten. Neue Modelle wurden

76 Dies war auch in der Sitzung des Finanzplanungsrates am 5.4.1984 deutlich geworden. Zur Allianz von Ländervertretern und Stoltenberg vgl. auch "Wenig Spielraum", in: Stuttgarter Zeitung, 11.4.1984. 77 Späth zitiert nach: Peter BlechschmidtlKurt Bremp: Viele Köche verderben den Brei, in: Stern, Nr. 19,3.5.1984, S. 164-166, hier S. 165. 78 Im nachfolgenden wird Bezug genommen auf Heinz Heck: Die Länder machen Front gegen die jüngsten Bonner Pläne zur Steuerreform, in: Die Welt, 7.4.1984; "Die Koalitionsfraktionen für Entlastung ohne höhere Verbrauchssteuern", in: FAZ, 9.4.1984. 79 Dazu sollten nach Späths Auffassung zählen: Erhöhung des Kinderfreibetrages, des Kindergeldes, des Grundfreibetrages sowie der Werbungskostenpauschale. 80 Vgl. zu Späths Motiven auch "Späths seltsame Attacke", in: FAZ, 25.4.1984. 81 Allerdings versuchte Späth seinen Drei-Stufen-Plan auch in der Folgezeit zu forcieren, was vor allem von der FDP in Bonn als politisch störend empfunden wurde. Vgl. dazu auch die bewertende Stellungnahme des FDP-Sprechers Herbert Schmülling, wiedergegeben in: Rolf-Dietrich Schwartz: Späths 'Störfeuer' mißfällt, in: FR, 25.4.1984. 82 Vgl. dazu auch "Späths seltsame Attacke", in: FAZ, 25.4.1984. 83 Die nächste Sitzung sollte damit unmittelbar nach dem Ende ,'on Kohls Osterurlaub stattfinden.

I. Finanzpolitik

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in die Diskussion eingebracht,84 aber auch bekannte Standpunkte der einzelnen Lager verteidigt. 85 Auf fraktionsübergreifende Kompromisse war das unter der Federführung der Haushaltsexperten von CDU/CSU und FDP, Manfred Carstens und Hans-Günter Hoppe,86 erarbeitete Modell angelegt. Es umfaßte folgende Kernelemente: 87 - Das von Stoltenberg vorgeschlagene Subventionskürzungsvolumen in Höhe von zwei bis drei Milliarden DM sollte auf vier bis fünf Milliarden DM angehoben werden. - Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes sollte verlangsamt werden. Statt eines weiteren Schuldenabbaus sollte die Neuverschuldung 1986 auf dem Niveau des Vorjahres bleiben und nicht um die von Stoltenberg vorgesehenen fünf bis sechs Milliarden Mark verringert werden. 88 - Carstens führte hinsichtlich der vorn Bundesfinanzminister beabsichtigten Anhebung der Verbrauchssteuern aus: "Wir Haushälter des Bundestags legen wie Minister Stoltenberg großen Wert auf eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Aber wir müssen statt der vorgeschlagenen Anhebung der Verbrauchssteuern andere Dinge finden [... ] Wenn schon Steuern angehoben werden müssen, dann können das nicht solche Steuern sein, die uns später in der politischen Auseinandersetzung mehr Ärger als Freude bringen." Er schlug deshalb vor, ohne dies allerdings weiter zu präzisieren, Steuern in einern "politisch vertretbaren Bereich" anzuheben. Daraus sollten Mehreinnahmen in Höhe von zwei bis drei Milliarden DM resultieren. Wenn die Finanzexperten mit ihrem Vorschlag auch Kompromißbereitschaft an die Adresse des Finanzministers signalisierten, so blieb doch nebulös, weiche Steuerarten in einern "politisch vertretbaren Bereich" anzusiedeln waren. 89

84 So z. B. vom finanzpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Reinhold Kreile. Vgl. Details in "Vorschlag Kreiles: Abzug von Schuldzinsen", in: Die Welt, 6.4.1984. 85 Zu den diversen Positionen vgl. im Überblick die Ausgabe der Welt am Sonntag vom 8.4.1984; ergänzend "Stoltenberg noch weiter isoliert", in: SZ, 9.4.1984. 86 Sie standen der Kommission vor, die von den Regierungsfraktionen zur Ausarbeitung von Kompromissen gebildet worden war. Vgl. Heinz Vielain: CDU und FDP einig - Keine höhere Steuer auf Tabak, Alkohol, Benzin, in: Die Welt am Sonntag, 8.4.1984. 87 Nachfolgende Angaben und Zitate sind belegt bei Heinz Vielain: CDU und FDP einig - Keine höhere Steuer auf Tabak, Alkohol, Benzin, in: Die Welt am Sonntag, 8.4.1984. 88 Ein Vorschlag, der auch vom Vorsitzenden der Unionsfraktion öffentlich Unterstützung erhielt. Vgl. Rolf-Dietrich Schwartz: Das Steuerpaket soll das Markenzeichen FJS tragen, in: FR, 11.4.1984. 89 Klar war damit jedenfalls, daß es zu keiner weiteren Anhebung der Mehrwertsteuer kommen sollte, zählte doch diese - wie im übrigen z. B. auch die Mineralölsteuer - zu den politisch sensiblen indirekten Steuern.

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Die Differenzen zwischen CDU-gefiihrten Bundesländern und Unionsfraktion blieben jedoch auch nach der Veröffentlichung dieser Vorschläge bestehen. Von den Ländervertretern wurde mehrheitlich nach wie vor vor allem eine Anhebung der Mehrwertsteuer zur Gegenfinanzierung der Lohn- und Einkommensteuertarifsenkung gefordert. Erst mit dem Ende von Kohls Osterurlaub wurde der Konsensfindungsprozeß in den Steuerfragen beschleunigt. So hatte er nicht nur in einer Rede auf einer Tagung des Deutschen Familienverbandes am 29. April erstmals in der Öffentlichkeit eine vage Position bezogen und angekündigt, die familienpolitischen Komponenten der Steuerreform zum 1. Januar 1986 zu realisieren. 9o Allerdings hatte er darauf verzichtet, Details dieses Vorhabens zu erläutern. Der CDU-Parteivorsitzende versuchte den CDUinternen Meinungsbildungsprozeß zusätzlich zu forcieren, indem er ankündigte, daß in der fiir den 1. Mai anstehenden Präsidiumssitzung91 eine gemeinsame Grundlinie der involvierten Akteure erarbeitet werden sollte. 92 Im Anschluß daran waren weitere Gespräche zwischen Stoltenberg, den Finanzpolitikern der Regierungsfraktionen und Vertretern der unionsregierten Bundesländel3 vorgesehen,94 in denen zusätzliche Kürzungs- und Einsparmöglichkeiten im Bundeshaushalt zur Finanzierung der angestrebten Steuerreform ausgelotet werden sollten. Stoltenbergs Beamte hatten im Bundesfinanzministerium dazu neue Modellrechnungen und Alternativlösungen erarbeitet. 95 Den Abschluß der Gesprächstermine sollte schließlich das Treffen der Koalitionsrunde am 3. Mai 90 Er machte sich damit eine Position zu eigen, die auch der I. Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Schäuble, vertrat und bereits wenige Tage zuvor öffentlich gemacht hatte, und der sich mittlerweile zahlreiche Politiker in CDU, CSU und FDP angeschlossen hatten. Vgl. "Union drängt StoItenberg wegen der Steuerreform", in: Rheinische Post, 26.4.1984; "Kohl stellt Steuerreform flir 1986 in Aussicht. 'Entscheidender Anteil' flir die Familien", in: FAZ, 30.4.1984. 91 Zur mit dieser Sitzung verbundenen Zielsetzung vgl. "Kohl stellt Steuerreform flir 1986 in Aussicht. 'Entscheidender Anteil' für die Familien", in: FAZ, 30.4.1984. 92 Exemplarisch wird an dieser Stelle Kohls Bemühen deutlich, durch die Vorgabe von Terminen politische Führung zu demonstrieren. Vgl. zu dieser Beobachtung auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 82. 93 Sie wurden repräsentiert durch den niedersächsischen Finanzminister Ritz und den bayerischen Finanzstaatssekretär Meyer. Angaben nach "Suche nach Gemeinsamkeit in der Steuerpolitik", in: FAZ, 2.5.1984. Ursprünglich hatte auf bayerischer Seite Finanzminister Streibl teilnehmen sollen. Vgl. Rolf-Dietrich Schwartz: Nur über den Termin sind sich die Koalitionspartner einig, in: FR, 30.4.1984; zu dieser Gesprächsrunde auch Interview mit Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen, im WDR vom 5.5.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 7.5.1984. 94 Stoltenberg fiel dabei vor allem eine zwischen den unterschiedlichen Positionen von Ländern und Regierungsfraktionen vermittelnde Rolle zu. Unter Wahrung seines vorrangigen Interesses, nämlich einer weiteren Konsolidierung des Bundeshaushaltes, versuchte er, einen Ausgleich zwischen den dargestellten Positionen der bei den Akteursgruppen zu schaffen. Dazu "Stoltenberg: Konsolidierung der Haushalte nicht gefährden", in: Bonner General-Anzeiger, 9.4.1984. 95 Vgl. ebd.

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bilden. 96 Damit war die Gesprächsabfolge im Vergleich zum Mai umgedreht worden: Nunmehr erfolgte erst die Abstimmung auf der Ebene der CDUFührung, dann die zwischen Regierung und Fraktion. Das Treffen der Koalitionsrunde stand dagegen am Ende einer Reihe von Spitzengesprächen. In einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung97 wurde die Unionsfraktion schließlich am Nachmittag des 3. Mai über den aktuellen Stand der Diskussionen von Dregger und Kohl informiert. 98 Daß Kohl selbst in der Fraktionssitzung das Wort ergriff, läßt vor allem folgende Aspekte in den Vordergrund TÜcken: 99 Zum einen zeigte der Auftritt Kohls die politische Bedeutung, die der Bundeskanzler der Steuerreform zumaß. Zum zweiten wurde das Bemühen Kohls deutlich, den Abgeordneten das Gefilhl zu geben, in den Politikgestaltungsprozeß eingebunden zu sein. Drittens hatte Kohl damit die Chance, filr Kompromisse bei den Abgeordneten zu werben und ihnen die Dringlichkeit einer einheitlichen Position der Union zu demonstrieren. Er versuchte filr ein nach außen geschlossenes Meinungsbild der Fraktion zu werben und die Fraktion auf eine Kompromißlinie einzuschwören, die zur Erhaltung des Koalitionsfriedens notwendig war. Gleichzeitig konnte er dies im Falle einer Unterstützung als zusätzliches Argument in den Verhandlungen mit der FDP auf Koalitionsebene instrumentalisieren. Der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler trug mit der Terminierung vor allem der Präsidiumssitzung und der Koalitionsrunde der Tatsache Rechnung, daß eine Einigung in der Koalitionsregierung nur möglich sein konnte, wenn die CDU in der Frage der Steuerreform geschlossen auftreten würde. Indem er die CDU-internen Gespräche an den Anfang der Woche, das Koalitionsgespräch dagegen an das Ende plazierte, versuchte er zu verhindern, daß wiederum die FDP die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der CDU filr die Durchsetzung ihrer eigenen Ziele nutzen konnte. Man war sich zudem in der Parteifilhrung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bewußt. 100 Ohne die Zustimmung der unionsregierten Bundesländer in der Länderkammer war die Steuerreform nicht zu verwirklichen. lol Sowohl Kohl als auch CDU-General96 Zum Gesprächsfahrplan der ersten Mai-Woche vgl. ebd.; auch "Steuerreform weiter in der Diskussion", in: Die Welt, 16.4.1984. 97 Vgl. "Widerstand gegen höhere Mehrwertsteuer", in: Berliner Morgenpost, 3.5.1984. 98 Die Teilnahme Kohls an der Fraktionssitzung belegt Heinz Murmann: Koalition wartet noch Steuerschätzung ab, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.5.1984. 99 Grundsätzlich zur Bedeutung und Funktion des Bundeskanzlers vor der Fraktion vgl. auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 131. 100 In sieben der elf Bundesländer regierten die Unionsparteien allein bzw. waren maßgeblich an der Regierung beteiligt. 101 Die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Bundesländer waren sich ihrer Steilung voll bewußt. So machten sie u. a. Dregger während einer CDU-Vorstandssitzung am 11.5. in aller Deutlichkeit klar, daß es nicht die Unionsfraktion sei, die die Entschei-

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sekretär Geißler hatten erkannt, daß die Wirkung der Reformabsichten in der Öffentlichkeit zum einen verpuffen und zum anderen Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Regierung in der Öffentlichkeit verstärken würden, wenn es nicht bald gelang, Klarheit in diesen Fragen zu schaffen. 102 Unmißverständlich forderte Geißler ein Ende der Debatten: "Klar muß sein, daß eine Verlängerung der Diskussion in die Sommerpause tödlich wäre. Ende Mai oder Anfang Juni muß damit endgültig Schluß sein. Da muß ein Knopf dran.,,103 Hinzu kam, daß Stoltenberg verschiedentlich klar gemacht hatte, daß er einen über die bisherigen Modellplanungen hinausgehenden Referentenentwurf zur Steuerreform erst erstellen lassen würde, wenn sich die Union intern und mit dem Koalitionspartner auf ein einheitliches Konzept verständigt haben würde. Als idealer Zeitraum für die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage bot sich die Sommerpause an. Voraussetzung war allerdings, daß man sich bis dahin in der Koalition auf die Reformeckwerte würde verständigen können. 104 Zunächst sah es auch ganz danach aus, als könnte in der Präsidiumssitzung der CDU am 1. Mai 1984 eine Koordination der bis dahin widerstreitenden Interessen von Vertretern der Bundesregierung (Stoltenberg, Geißler), Unionsfraktion und CDU-Ministerpräsidenten hinsichtlich des Datums des Inkrafttretens und der Finanzierung des Reformpaktes gelingen. Denn erste Verlautbarungen, so z. B. von Stoltenberg, im Anschluß an die vierstündige Präsidiumssitzung ließen den Eindruck entstehen, als habe man zu einer "einheitlichen Linie von Bund und Ländern für eine gemeinsame Lösung,,105 in den verschiedenen Aspekten der Steuerreform gefunden. Doch wurde dieser Eindruck vor allem von Länderseite schnell korrigiert, indem von verschiedenen Ländervertretern erklärt wurde, Informationen über eine Lösung der Finanzierungsfragen der Steuerreform seien "weit übertrieben".106 Auch Stoltenberg revidierte da-

dung über die Steuerrefonn treffe. So belegt in "CDU-Länder stellen sich jetzt auf die Hinterbeine", in: Handelsblatt, 14.5.1984. 102 Zu dieser Interpretation vgl. auch "Kohl stellt Steuerrefonn für 1986 in Aussicht. 'Entscheidender Anteil' für die Familien", in: FAZ, 30.4.1984. 103 Geißler zitiert nach: Peter BlechschmidtlKurt Bremp: Viele Köche verderben den Brei, in: Stern, Nr. 19,3.5.1984, S. 165; bestätigend zu einem späteren Zeitpunkt auch Interview mit Dr. Heiner Geißler, BM für Jugend, Familie und Gesundheit und Generalsekretär der CDU im DLF vom 27.5.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 28.5.1984. 104 Zu dieser Position Stoltenbergs vgl. u. a. "Die Unionsparteien stehen vor schwierigen Steuerentscheidungen", in: Bonner General-Anzeiger, 5.5.1984; Interview mit Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen, im WDR vom 5.5.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 7.5.1984. 105 Stoltenberg zitiert nach: Rolf-Dietrich Schwartz: Höhere Mehrwertsteuer scheint sicher zu sein, in: FR, 2.5.1984. 106 So wiedergegeben in: "Einkommenseffekt der Steuerrefonn bleibt immer noch unklar", in: Bonner General-Anzeiger, 4.5.1984.

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nach seine Äußerung. Es habe nicht die Absicht bestanden, zu diesem Zeitpunkt ein abschließendes Beratungsergebnis anzustreben 107 - so seine korrigierte Darstellung der Gesprächsergebnisse. An anderer Stelle bestätigte er, der Terminplan habe ohnehin vorgesehen, daß der Gesprächsrunde Anfang Mai weitere Ende des Monats folgen sollten,108 denn: "Hauptproblem ist, die zum Teil doch unterschiedlichen Ausgangsvorstellungen [... ] insbesondere auch zwischen Bundestagsfraktionen und Bundesländern zu harmonisieren.,,109 Damit war bestätigt, daß der Meinungsfindungsprozeß im Machtdreieck noch immer von den widerstreitenden Interessen des Bundesfinanzministers, den Vertretern der CDU-regierten Bundesländer und der Unionsfraktion geprägt wurde. Vor allem die zwischenzeitlich intensiver diskutierte Möglichkeit, die Mehrwertsteuer zur Gegenfinanzierung der Lohn- und Einkommensteuerreform um einen halben Prozentpunkt auf 14,5 Prozent zu erhöhen, wurde aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion vehement abgelehnt. I 10 Die offizielle Begründung für die Vertagung der Gespräche, man wolle vor Vereinbarungen noch die Steuerschätzung im Juni abwarten,l11 konnte dies nur mühsam kaschieren. Da vor allem innerhalb der CDU noch immer keine einheitliche Position gefunden werden konnte, blieb auch das Koalitionsgespräch der führenden Politiker der Regierungsparteien am 3. Mai ohne konkretes Ergebnis. 112 Man wollte erneut am 23. Mai zusammentreten. Zuvor waren aber weitere Einigungsversuche innerhalb der CDU geplant. Vorstand und Präsidium sollten nach wie vor die Gremien der Konfliktschlichtung innerhalb der CDU sein. Ohne jedoch die Ergebnisse der nächsten Verhandlungsrunde in den CDU-Führungsorganen abzuwarten, markierte Kohl in einer Rede vor dem Gaststättentag am 5. Mai 1984 in Bonn öffentlich zeitliche und inhaltliche Eckdaten der Steuerreform. So gab er bekannt, daß das Kabinett über das Reformpaket am 3. November entscheiden sollte und die Reformmaßnahmen zum 1. Januar 1986 in Kraft treten würden. Nach seiner Auffassung sollte das ange-

107 Vgl. zur Stellungnahme Stoltenbergs Hans-Henning Zencke: Koalition einigte sich über die Steuerreform, in: Rheinische Post, 4.5.1984. 108 Interview mit Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen im WDR vom 5.5.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 7.5.1984. 109 Stoltenberg zitiert nach ebd. 110 Dazu "Die Steuerreform erfolgt nun doch in einem großen Schritt zum 1. Januar 1986", in: Handelsblatt, 4.5.1984; einen zusammenfassenden Überblick über die unterschiedlichen Positionen und diskutierten Modelle bietet zudem Werner Gößling: Steuerpakte sollen keine Profilierungschance bieten, in: Stuttgarter Zeitung, 5.5.1984. 111 Vgl. Heinz Murmann: Koalition wartet noch Steuerschätzung ab, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.5.1984. 112 Vgl. "Bonn vertagt die endgültige Entscheidung über Steuerreform und Familienhilfe auf den Sommer", in: FAZ, 4.5.1984.

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strebte steuerliche Entlastungspotential über 20 Milliarden DM umfassen. 113 Allerdings verzichtete der Bundeskanzler nach wie vor auf Auskünfte darüber, wie die Steuerreform finanziert werden sollte. Insgesamt hatte er mit seinem Vorgehen weiteren öffentlichen Einigungsdruck auf die zerstrittenen Akteursgruppen in seiner Partei ausgeübt, aber gleichzeitig in bezug auf den Kernstreitpunkt, nämlich die Finanzierung der steuerlichen Entlastungsmaßnahmen, keine Lösungsvorschläge unterbreitet. In einer Vorstandssitzung unmittelbar nach dem Stuttgarter Parteitag (9.-11. Mai 1984) sollte in einer weiteren Runde ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Positionen angestrebt werden. Zuvor war die Steuerreform Thema des Parteitags. 114 Die Kontrahenten hatten Gelegenheit, ihre unterschiedlichen Positionen darzustellen. Stoltenberg, Späth, Albrecht, aber auch Blüm und Biedenkopf nutzten die Chance, die Parteimitglieder über den Stand der Beratungen zu informieren und ihre Lösungskonzepte zu präsentieren. Die Delegierten konnten in der Aussprache zum Thema Stellung beziehen. Das Votum der Delegierten war dabei eindeutig: Steuererhöhungen, vor allem aber eine Anhebung der Mehrwertsteuer, wurden abgelehnt. 1I5 Zwar konnte Kohl durch sein Eingreifen in die Debatte verhindern, daß der weitere steuerpolitische Entscheidungsfindungsprozeß durch eine entsprechende Abstimmung der Delegierten vorbestimmt wurde. Dennoch hatte der Parteitag die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, inwiefern die Lohn- und Einkommensteuerreform ohne Steuererhöhungen möglich sei. 116 Trotz des von den Delegierten während des Parteitags erhaltenen Stimmungsbildes wiesen die Regierungschefs der CDU-geführten Bundesländer in der anschließenden Vorstandssitzung nochmals unmißverständlich darauf hin, daß eine Steuerreform ohne eine Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen

113 Vgl. zur Ankündigung des Bundeskanzlers "Kohl: Am 3. November Kabinettsentscheidung", in: Handelsblatt, 7.5.1984. 114 Die Debatte fand im Rahmen der Aussprache zu den Stuttgarter Leitsätzen zur Wirtschaftspolitik statt. Im folgenden wird ohne Einzelnachweis Bezug genommen auf CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag, 1984; zusammenfassende Überblicke finden sich in "In der CDU noch keine Klarheit über die Steuerentlastungen", in: FAZ, 11.5.1984; Walter Kannengießer: Die eigene Position im Verteilungskampf verbessern. Bei der Steuerreform geht es um handfeste Interessen, in: FAZ,15.5.1984. 115 Ergänzend auch die Darstellung Geißlers in "Keine Amnestie, sondern Straffreiheitsgesetz". SZ-Interview mit Heiner Geißler zum Stuttgarter CDU-Bundesparteitag, in: SZ, 14.5.1984. 116 Fast zeitgleich hatte auch der CSU-Vorstand seine bisherige Position nachdrücklich bestätigt, nach der eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Gegenfinanzierung der Steuerreform abgelehnt wurde. Als Berufsgrundlage konnte fortan in den Verhandlungen mit der CDU-Führung das Votum der Delegierten des CDU-Parteitags gelten.Vgl. "CSU bekräftigt: Reform 1986 ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer", iri: SZ, 15.5.1984.

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an anderer Stelle von ihnen nicht mitgetragen werde. 117 Die Ministerpräsidenten Barschei, Albrecht, Vogel, Späth und Zeyer machten gleichzeitig deutlich, daß eine Steuerreform nur mit ihrer Zustimmung den Bundesrat passieren könne. 1I8 Dies war ein eindeutiges Signal sowohl an Kohl als auch an die Vertreter der Unionsfraktion im Bundestag. Im Gegensatz zu den CDU-Ministerpräsidenten hatte Stoltenberg auf dem CDU-Parteitag Verständnis fur das Votum der Delegierten gezeigt und kündigte nun in der Vorstandssitzung gemäß der Aufforderung der Parteitagsdelegierten an zu prüfen, inwiefern ein Verzicht auf die von den Länderregierungschefs geforderte Mehrwertsteuer möglich sei, z. B. durch einen "Abbau von Steuervergünstigungen und gezielte Anhebung anderer Steuern".119 Insgesamt wurde aber während der Vorstandssitzung deutlich, daß die Positionen verhärtet waren. Die CDU drehte sich weiter im Kreis, ohne daß sich eine Kompromißlösung zur Realisierung der Steuerreform abzeichnete. Bewegung in die festgefahrenen Positionen kam erst, als der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler seine Haltung revidierte und von der ursprünglichen Position abrückte, nach der die dem Volumen nach "größte Steuerentlastung seit Bestehen der Bundesrepublik,,120 noch in der laufenden Legislaturperiode kommen müsse. Er schwenkte auf die Linie Stoltenbergs ein, der angesichts der Verweigerungshaltung der Länder schon länger rur eine Reformlösung plädiert hatte, die statt einer Steuerentlastung von rund 20 Milliarden DM lediglich 10 Milliarden DM vorsah. 121 In einer Erklärung des Bundeskanzlers, die Regierungssprecher Boenisch am 25. Mai vorstellte, wurde dies ebenso mitgeteilt wie die Bestätigung Kohls, daß die steuerliche Entlastung der Familien auf jeden Fall zum 1. Januar 1986 einsetzen werde. 122 Weiter hieß es: "Inwieweit dies auch rur die gesamte Tarifreform gelten kann, hängt nicht zuletzt von der Finanzsituation der Bundesländer ab.,,123 Dieser Richtungsschwenk hatte sich am Tag zuvor bereits angedeutet, als Stoltenberg vor der Unionsfraktion zugegeben hatte, daß die Widerstände gegen eine Finanzierung der Steuerreform über eine Anhebung der Mehrwertsteuer zu groß seien und

117 Vgl. "CDU-Länder stellen sich jetzt auf die Hinterbeine", in: Handelsblatt, 14.5.1984. 118 Vgl. ebd. 119 Stoltenberg zitiert nach: Ebd. 120 So Kohls Ankündigung vor den Delegierten des Bundesparteitags. Vgl. Kohls Debattenbeitrag in CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag, 1984, 2. Tag; ergänzend Peter 1. VeIte: Steuerrefonn - Meinungsstreit und unsichere Prognose, in: Bonner General-Anzeiger, 23.5.1984. 121 Zu diesem Vorschlag Stoltenbergs vgl. exemplarisch Rolf-Dietrich Schwartz: Über Steuerreforrn uneinig, in: FR, 24.5.1984. 122 V gl. "Kohl rückt vom Plan einer großen Steuerrefonn ab", in: FAZ, 26.5.1984. 123 Ebd.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

das ursprüngliche Entlastungsvolumen wohl nicht erreicht werden könne. 124 Kohl und Stoltenberg hatten damit den unvereinbarten Positionen von Unionsfraktion und CDU-Ministerpräsidenten Rechnung getragen und nun eine Kompromißlösung ins Auge gefaßt, die beiden Seiten gerecht werden sollte: Den Bundesländern, weil für sie die reformbedingten Mindereinnahmen bei der Reduzierung des Entlastungsvolumen zurückgingen; der Unionsfraktion, weil auf eine Anhebung der Mehrwertsteuer verzichtet werden sollte. Um die Steuerreform aber als Ganzes zu retten, wurde seitens der CDU/CSU-Fraktion nunmehr zusätzlich ein Modell vorgeschlagen, das im Lohn- und Einkommensteuerbereich eine zwei stufige Entlastung bringen sollte, wobei die erste Stufe 1986 und die zweite 1988 in Kraft treten sollte. 125 Kohl übernahm diesen Vorschlag und brachte ihn auch in die Verhandlungen mit den CDU-Ministerpräsidenten in der CDU-Präsidiumsitzung am 18. Juni ein. In dieser Runde, in der der Einigungsdruck hoch war, weil Kohl zuvor öffentlich eine endgültige Entscheidung bis Ende des Monats angekündigt hatte, 126 wurde nunmehr vereinbart, daß die Steuerreform in zwei Schritten in Kraft gesetzt werden und ein Entlastungsvolumen von 17 Milliarden DM umfassen sollte. 127 Diese Formel bildete schließlich die Grundlage, auf der die Koalitionsrunde, an der auch die Steuerexperten der Regierungsparteien teilnahmen, am 20. Juni das Steuerreformpaket beschloß. Dieses war insofern mit dem im CDUPräsidium beschlossenen Paket identisch, als es ein zweistufiges Inkraftsetzen der Steuerreform (1986 und 1988) bestätigte. Allerdings setzten vor allem die FDP-Vertreter eine höhere Entlastungssumme durch, die fur Länder und Bund 1988 jeweils einen zusätzlichen Steuerausfall von rund 1,3 Milliarden DM bedeuten würde. Daß es aber möglich war, in der Koalitionsrunde ein Steuerreformkonzept zu beschließen, das sich, wie Stoltenberg formulierte, "oberhalb des Rahmens,,128 bewegte, den man zwei Tage zuvor im CDU-Präsidium beschlossen hatte, zeigte, daß der Präsidiumsbeschluß Stoltenberg und Kohl noch 124 Vgl. "Steuerreform in einem Wurf wieder wackelig", in: FAZ, 26.5.1984. 125 Dieses Modell präsentierte Dregger in der Fraktionssitzung am 5.6.1984 den Ab-

geordneten. Zuvor war bereits der steuerpolitische Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Ludolf von Wartenberg, für dieses Konzept eingetreten, das in seinen Grundzügen ursprünglich auf einen von Stoltenberg bereits im April präsentierten Alternativvorschlag zurückging. Stoltenberg war sich bereits frühzeitig darüber klar geworden, daß die Steuererforrn nur in zwei Stufen ablaufen konnte. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. Zu Dreggers Vorschlägen vgl. Heinz Heck: Der Kanzler ist im Wort, in: Die Welt, 7.6.1984; "Aus der Sackgasse", in: Die WeIt, 13.6.1984. 126 Zu Kohls Terminvorgabe vgl. Peter 1. Velte: Einigung über Steuerreform rückt offensichtlich näher, in: Stuttgarter Nachrichten, 15.6.1984. 127 Vgl. "Einigung auf Steuerreform in zwei Stufen", in: FAZ, 22.6.1984. 128 Stoltenberg zitiert nach: Heinz Heck: Die geplante Entlastung soll die Durchschnittsverdiener begünstigen, in: Die Welt, 22.6.1984.

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Verhandlungsspielraum für das nachfolgende Koalitionsgespräch gelassen hatte. Bestätigt wird diese These auch dadurch, daß sich seitens der Länder kein nennenswerter Widerstand gegen die Koalitionsvereinbarung regte. In einem fast sechsmonatigen Meinungsfindungsprozeß war damit ein Beschluß über die Eckwerte der Steuerreform zustande gekommen, an dem "die Bundesregierung, die sie tragenden Parteien und die CDU-regierten Bundesländer gleichermaßen mitgewirkt,,129 hatten, und den das Kabinett in seiner Sitzung vom 3. Juli bestätigte. 130 Eine wesentliche Etappe auf dem Weg zur Steuerreform 1986 war damit zurückgelegt. 131 Ausgehend von diesem Beschluß forderte das Kabinett den Bundesfinanzminister auf, während der Sommerpause einen Referentenentwurf zu formulieren, auf dessen Basis der Gesetzgebungsprozeß in Gang gesetzt werden konnte. 132

Zusammenfassung und Bewertung

- Zur Realisierung des Steuere form pakets war neben der Zustimmung des Bundestages auch die des Bundesrates notwendig. Die CDU-Ministerpräsidenten nutzten dies, um eigene Interessen in die Reformdebatte einzubringen. Ihre Bedeutung als eigenständiger Machtfaktor innerhalb des Machtdreiecks wurde immer dann deutlich, wenn sie mit dem Verweis auf eine Ablehnung des Regierungsvorhabens im Bundesrat ihre de facto-Vetogewalt ausspielten und so ihren Forderungen Nachdruck verliehen. - Nachdem sich innerhalb der CDU ein erhöhter Dissens in der Reformdebatte abgezeichnet hatte, reagierte Kohl und versuchte, die Koalitionsrunde nicht durch die entstandenen CDU-internen Streitigkeiten zu belasten. Mit dieser Vorgehensweise konnte er zum einen verhindern, daß die Christdemokraten durch offensichtliche Uneinigkeit ihre Verhandlungsposition schwächten. Zum anderen konnte Kohl verhindern, daß er selbst als Kanzler Schaden

129 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, gab dem Bonner SepzialInformationsdienst 'Vermögen und Steuern' das folgende Interview, 2.7.1984. 130 Zum Kabinettsbeschluß vgl. "Entwurf des Bundeshaushalts 1985 und Finanzplan 1984 bis 1988. Beschluß des Bundeskabinetts vom 3. Juli 1988", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 83,1984, S. 737-747. 131 Zu dieser Einschätzung gelangt auch Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 374. 132 Er fand seinen Abschluß mit dem "Gesetz zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie (Steuersenkungsgesetz 1986/1988 - StSenkG 1986/ 1988)" vom 26.5.1985, abgedruckt in: Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 34, 28.5.1985, S. 1153-1162.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

nahm. Entsprechend standen von nun an CDU-interne Positionsklärungen zwischen CDU-Mitgliedern der Bundesregierung, Unionsfraktion und CDUMinisterpräsidenten im Vordergrund. Erst nachdem hier eine einheitliche Position gefunden und Verhandlungsspielräume ausgelotet waren, sollten auf Koalitionsebene detaillierte Gespräche geführt werden. Damit war zugleich das Risiko begrenzt, daß Regierung und Koalition dadurch geschwächt wurden, daß in der Koalitionsrunde Vereinbarungen getroffen wurden, die - mangels Vorabstimmung - nicht von den CDU-Ministerpräsidenten oder der Unionsfraktion mitgetragen wurden. - Den Parteiführungsgremien fiel die wichtige Funktion einer Informations-, Beratungs- und Koordinationsinstanz zu. Durch die Zusammenkunft der zentralen Akteure aus Regierung, Unionsfraktion und Bundesländern bildeten sie Foren zur Erörterung der Problemlagen und Sondierung alternativer Lösungsmöglichkeiten sowie Lösungsstrategien. In mehreren Sitzungen wurde in Vorstand und Präsidium die Verhandlungsposition zwischen Stoltenberg, Unionsfraktion und CDU-Ministerpräsidenten für die entscheidenden Sitzungen der Koalitionsrunde vorbereitet und abgestimmt. Hier versuchte der CDU-Vorsitzende die auseinandergedrifteten Flügel zusammenzubringen. Ohne eine Linie zunächst verbindlich vorzugeben, machte er die Notwendigkeit einer einheitlichen Position der CDU-Länderregierungen und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Grundlage für den Regierungserfolg auf Bundesebene deutlich. Vor allem das CDU-Präsidium wurde damit in der Steuerreformdebatte zum zentralen Forum des Interessenausgleichs und der Kompromißfindung zwischen Stoltenberg, Unionsfraktion und CDUMinisterpräsidenten. Der CDU-Vorstand spielte, nicht zuletzt aufgrund seiner Größe, im Abstimmungsprozeß eine nur untergeordnete Rolle. Die entscheidenden Sitzungen fanden auf Präsidiumsebene statt. - Ein entscheidender Integrator und Schrittmacher im Dreieck Regierung, Fraktion und Parteiführung war insgesamt gesehen der CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzler. Er hielt sich in der Reformdebatte zunächst mit inhaltlichen Aussagen zurück, nahm aber auf den Einigungsprozeß der Akteure durch Terminvorgaben und deren öffentliche Ankündigung Einfluß. Gleichzeitig erleichterte ihm sein Verhalten der "offenen Position" die Vermittlung zwischen den Kontrahenten. Erst in einer Phase, in der sich die Fronten verhärteten, förderte und beschleunigte er schließlich durch eigene inhaltliche Festlegungen die Beschlußfassung. Frühzeitig und unmittelbar nahm er intern zudem auf den Konflikt der CDU-Regierungsmitglieder Geißler und Stoltenberg Einfluß. Damit erreichte er im weiteren Politikgestaltungsprozeß zumindest ein nach außen geschlossenes Auftreten zentraler Regierungsmitglieder seiner eigenen Partei. Auch auf die Geschlossenheit der Unionsfraktion in der Steuerreformdebatte versuchte er Einfluß zu nehmen, indem er die Abgeordneten während einer Sondersitzung selbst über Details des Verhandlungsstandes informierte und ihnen die Dringlichkeit einer Eini-

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gung verdeutlichte. Kohl agierte dabei als Partei- und Koalitionskanzler. 133 Er hatte sowohl die Stimmungslagen in seiner Partei und der Unionsfraktion als auch die in der Koalition zu berücksichtigen. Er mußte nicht nur als CDUVorsitzender den Interessenausgleich im eigenen Lager fördern, sondern als Bundeskanzler auch immer darauf achten, daß dieser genug Handlungsspielraum für die Gespräche mit der FDP und deren Interessen ließ. - Neben dem Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzenden fiel aber auch Stoltenberg eine vermittelnde Rolle zu. Zwar agierte er in einem hohen Maßen als Ressortleiter, der auf die finanzpolitische Solidität des Reformkonzepts achtete, gleichzeitig versuchte er aber auch, durch die Ausarbeitung von Komprornißformeln sowohl den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion als auch den Forderungen der CDU-Ministerpräsidenten gerecht zu werden. - Wenngleich das Agendasetting der Finanzreform im wesentlichen durch die Bundesregierung erfolgte, achtete man von Regierungsseite doch darauf, daß die Unionsfraktion frühzeitig und umfassend über den jeweiligen Diskussionsstand hinsichtlich der Reformüberlegungen informiert wurde. Damit wurde gleichzeitig Forderungen aus der Unionsfraktion entsprochen. Aus dem Kreis der Abgeordneten - weniger von der Fraktionsführung - wurde ein Mitspracherecht bei der Konzeption der Steuerreform reklamiert. Es gelang der Fraktion, daß zentrale finanzpolitische Akteure in den engeren Beratungsprozeß des Bundesfinanzministers miteinbezogen wurden. Zudem nahmen mit Schäuble und Kreile Finanzexperten der Fraktion - zusätzlich zu den Fraktionsvorsitzenden - an den Gesprächen auf Koalitionsebene teil. - Für Stoltenberg und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ergab sich eine besondere Problematik daraus, daß das Reformkonzept einerseits die Billigung des Koalitionspartners FDP und andererseits die der CDU-Ministerpräsidenten benötigte. Beide gerieten damit in eine "Zwei-Fronten-Stellung", die ein Höchstmaß an Flexibilität und Kompromißbereitschaft verlangte. Wenn auch die Position der Unionsfraktion in dieser Konstellation durch das Votum der Delegierten des Stuttgarter Parteitags gestärkt wurde, das ebenso von Stoltenberg respektiert wurde, so ließ diese Frontenstellung vor allem der Fraktion letztlich wenig Handlungsspielraum für die Durchsetzung eigener Konzepte. Dies hing auch damit zusammen, daß sich die Unionsfraktion ihrer öffentlichen und parlamentarischen Unterstützungsfunktion gegenüber der Regierung bewußt war. Entsprechend agierte man weniger offensiv gegen Regierungsvorschläge als die CDU-Ministerpräsidenten. Gleichwohl nutzte die Fraktion die verbliebenen Spielräume effektiv zur Durchsetzung eigener

J33 Den Begriff des Partei kanzlers verwendet auch Hofmann. Vgl. in diesem Zusammenhang Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Positionen und konnte so z. B. eine Erhöhung der Verbrauchssteuern verhindern.

2. Finanzpolitisches Agendasetting während der Koalitionsverhandlungen 1987 Programmvorgaben durch die Parteiführung Bereits bei der Abfassung des gemeinsamen Programms von CDU und CSU zur Bundestagswahl von 1987 hatten sich CDU-interne Konflikt- und Diskussionspotentiale im Rahmen der rur die neue Legislaturperiode geplanten Steuerreform angedeutet. Aus diesen Gründen hatte man in der CDU-Parteiruhrung in Abstimmung mit der CSU zunächst darauf verzichtet, im Wahlkampfprogramm festzulegen, in welcher Höhe die mit den Reformmaßnahmen anvisierte Senkung des Spitzensteuersatzes erfolgen sollte. Hier bestand innerhalb der CDU noch Klärungsbedarf. 134 Einigkeit bestand dagegen sowohl innerhalb der CDU als auch zwischen den konservativen Schwesterparteien über die Grundzüge der rur die kommende Legislaturperiode vorgesehenen zweiten Steuerreform. Zu den Kemelementen sollten entsprechend den Wahlankündigungen der . . zä·hlen: 135 U monsparteien - Vereinfachung des Steuersystems; - Einruhrung eines linear-progressiven Einkommensteuertarifs sowie Erhöhung des Grundfreibetrages zur Entlastung der kleineren Einkommen; - Anhehung der Kinderfreibeträge; - Verringerung der Unternehmensbesteuerung durch Senkung der Einkommenund Körperschaftsteuer. Die genannten Reformschwerpunkte wurden nochmals in dem knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl vom Kabinett in der Sitzung vom 14. Januar 1987 verabschiedeten "Jahreswirtschaftsbericht 1987 der Bundesregierung" nachdrücklich bestätigt. 136 In ihm waren, gleichsam als vorweggenommenes Legislaturperiodenprogramm, die künftigen steuerpolitischen Reformschritte für den Fall der Wiederwahl der amtierenden Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP skizziert und die gemeinsamen steuerpolitischen Eckwerte

So dargestellt von Strauß: Die Erinnerungen, S. 518. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Weiter so, Deutschland für eine gute Zukunft. Das Wahlprogramm von CDU und CSU für die Bundestagswahl 1987, Bonn 0.1., S. 21 f. 136 Vgl. "Jahreswirtschaftsbericht 1987 der Bundesregierung. Ausgangslage und wirtschaftliche Perspektiven für 1987. Die Zukunft gestalten durch Soziale Marktwirtschaft", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 6, 15.1.1987, S. 37-48, hier S. 45 f. 134 135

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bestätigt. 137 Diese galt es jedoch nach der gewonnenen Bundestagswahl am 25. Januar 1987 im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zu konkretisieren. In den Koalitionsverhandlungen zu Beginn einer Legislaturperiode werden Eckwerte und Rahmendaten der politischen Arbeit für die nachfolgende Amtsperiode zwischen den Regierungspartnern ausgehandelt und in Form von Koalitionsvereinbarungen fixiert. In den anschließenden Teilkapiteln werden am Fallbeispiel "Absenkung Spitzensteuersatz" die Einflußmöglichkeiten der Akteure des Machtdreiecks auf die Aushandlung des Legislaturperiodenprogramms und die ihnen dabei zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume untersucht. Zur Analyse bieten sich deshalb folgende drei Teilschritte an: - Positionsbestimmungen im CDU-Präsidium; - zögerliche Versuche der Einflußnahme durch die Unionsfraktion; - Kohls Schrittmacherfunktion.

Positionsbestimmungen im CDU-Präsidium

Innerhalb der CDU wurden die Koalitionsverhandlungen in zwei Sitzungen des Präsidiums im Kanzlerbungalow beziehungsweise im Bundeskanzleramt am Abend des 27. sowie in einer siebenstündigen Sitzung am 29. Januar vorbereitet. 138 In der ersten Sitzung wurden zum einen die Mitglieder der CDUKemverhandlungsgruppe für die Koalitionsgespräche bestimmt. Ihr sollten neben Bundeskanzler Kohl Kanzleramtsminister Schäuble, Finanzminister Stoltenberg, Arbeitsminister Blüm, CDU-Generalsekretär Geißler, der designierte Vorsitzende der Unionsfraktion, Dregger, 139 sowie der bisherige und auch künftige 1. Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Seiters, angehören. 140 Zum anderen wurden die Schwerpunkte der Koalitionsverhandlungen aus Sicht der CDU festgelegt. Dazu zählten neben der Steuerreform u. a. die Kostendämpfung im Gesundheitswesen, die Rentenre137 Zur Themenagenda der Koalitionsverhandlungen und damit auch der folgenden Legislaturperiode umfassend Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 203-221. 138 CDU-Präsidiumssitzung zur Vorbereitung von Koalitionsverhandlungen fanden in der Kanzlerschaft Kohls stets im Kanzlerbungalow bzw. im Bundeskanzleramt statt. So Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997. 139 Seine Wiederwahl zum Vorsitzenden der Unionsfraktion war ftir den 17.2.1987 vorgesehen. 140 Angaben nach "Linie ftir die Koalitionsverhandlungen", in: FAZ, 28.1.1987; "Stoiber, Tandler und Geißler in heftigem Streit. Relative Ruhe in der SPD", in: FAZ, 29.1.1987. Zu einem späteren Zeitpunkt kam auch Ernst Albrecht noch hinzu. Darüber hinaus waren in speziellen Arbeitsgruppen weitere hochrangige CDU-Politiker in die Koalitionsverhandlungen eingebunden. So z. B. Walter Wall mann, der ftir die CDU federführend die umweltpolitischen Aspekte der Koalitionsvereinbarung aushandelte.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

form und der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. 141 Bereits in dieser Sitzung wurde deutlich, was sich vor der Bundestagswahl angedeutet hatte: Ein Streit über Details und Grundsätze der im Wahlkampf angekündigten Finanzreform. Das nur mäßige Bundestagswahlergebnis der CDU hatte den Strategen in der Führung der CDU deutlich gemacht, daß die christlich-demokratische Politik und mit ihr einhergehende Erfolge für den Wähler wieder unmittelbar wahrnehmbar werden mußten. 142 Entsprechend forderte Generalsekretär Geißler nunmehr Details vor allem von Finanzminister Stoltenberg zur geplanten und angekündigten Finanzreform, Angaben zur bisher für die CDU nicht geklärten Frage der Senkung des Spitzensteuersatzes und verband seine Forderungen mit der zunächst ketzerisch klingenden, aber vor dem Hintergrund anstehender Landtagswahlen 143 durchaus nachvollziehbaren Frage: "Haut das, was wir machen, die Leute vom Stuhl?,,144 Eine Frage, die in dieser Sitzung ebensowenig abschließend beantwortet wurde wie die nach der künftigen Höhe des Spitzensteuersatzes. Die erneute Zusammenkunft am 29. Januar, also zwei Tage später, stand nun ganz im Zeichen der Steuerreformdebatte und dem Versuch einer Positionsfindung im CDU-Führungsorgan für die Koalitionsverhandlungen, deren Beginn für Ende der darauffolgenden Woche angesetzt war. 145 Stoltenberg stellte in einem umfassenden Bericht in der Sitzung den Präsidiumsmitgliedern Grundzüge und Details seines Steuerkonzepts vor, das im Vorjahr in seinem Ministerium ausgearbeitet worden war 146 und die Basis für die Koalitionsverhandlungen bil\4\ Diese Schwerpunkte entsprachen im wesentlichen dem Programm, das Kohl vor der Unionsfraktion am Nachmittag zuvor angekündigt hatte. Vgl. insgesamt "Linie für die Koalitionsverhandlungen, in: FAZ, 28.1.1987; speziell zur Sitzung der CDU/CSUBundestagsfraktion auch "Strauß fordert Festlegungen in Sachfragen", in: FAZ, 28.1.1987; zu Kohls Rede vor der Unionsfraktion auch Carl-Christian Kaiser: Rätseln über einen Denkzettel, in: Die Zeit, 30.1.1987. \42 Vgl. zur Bewertung des Wahlergebnisses auch Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 266. \43 So standen für 1987 Wahlen in den Bundesländern Hessen (5.4.), RheinlandPfalz (17.5.), Schleswig-Holstein und Bremen (beide 13.9.) an. Absehbar war zu diesem Zeitpunkt nicht, ob es auch zu vorgezogenen Bürgerschaftswahlen in Hamburg kommen würde. \44 Geißler zitiert nach: "Steuern. Einigt euch", in: Der Spiegel, Nr. 6, 2.2.1987, S. 21. In der Fraktionssitzung am Nachmittag des 27.1.1987 hatte er bereits deutlich gemacht, daß er vor allem Wert auf eine soziale Akzentuierung der finanzpolitischen Reformen lege. Entsprechend hatte er mit Blick auf die Steuerreform gefordert: Diese müsse "Ieistungsgerecht und sozial" ausgestaltet werden. Vgl. "Linie für die Koalitionsverhandlungen", in: FAZ, 28.1.1987. \45 Nach weiteren Sondierungsgesprächen am 2.2.1987 mit der CSU-Delegation, ihr gehörten Strauß, Stoiber, Tandler, Zimmermann, Waigel und Bötsch an, sollten die Koalitionsverhandlungen mit der FDP am 5.2.1987 aufgenommen werden. \46 Diese Arbeiten hatten unter größter Geheimhaltung stattgefunden. Stoltenberg wollte vermeiden, daß das Konzept im Wahlkampf zerredet würde. Über die Rahmenda-

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den sollte. 147 Für Kontroversen in der Präsidiumssitzung sorgten in erster Linie Stoltenbergs Vorschläge zur Senkung des Spitzensteuersatzes bei Einkommenund Körperschaftsteuer um mehrere Prozentpunkte. 148 Vermeintlich unüberbrückbare Gegensätze wurden dabei deutlich: 149 Während Dregger und Wallmann den Bundesfinanzminister in dieser Position unterstützten, ISO intervenierten Geißler und Stoltenbergs Kabinettskollege Blüm heftig gegen seinen Vorschlag, lehnten die Senkung des Spitzensteuersatzes ab und forderten eine Beibehaltung des Status quO. 151 Beide wollten verhindern, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, die CDU würde durch eine Politik, die die oberen Einkommensklassen entlastet, eine Umverteilungspolitik von unten nach oben fördern. Gleichzeitig sah Blüm durch den Reformplan Stoltenbergs und die damit einhergehenden Belastungen für die Bundeskasse den finanziellen Spielraum für seine Reformpläne im Renten- und Pflege bereich schwinden. 152 An dieser Stelle kamen damit im Präsidium auch Ressortkonflikt und Wettbewerb um knappe Finanzressourcen zwischen Arbeits- und Finanzministerium deutlich zum Tragen. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und niedersächsische Ministerpräsident Albrecht nahm in diesem Konflikt eine vermittelnde Position ein, indem er zwar nicht der Höhe des von Stoltenberg vorgeschlagenen Entlastungsvolumens zustimmte, aber auch eine Zustimmung zur Absenkung des Endtarifs der Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht kategorisch verweigerte. Allerdings forderte er im Einklang mit dem schleswig-holsteinischen Mini-

ten hatte er jedoch Kohl bereits vor der Bundestagswahl informiert. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 147 Zu den Inhalten seines Redebeitrages während der Präsidiumssitzung vgl. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 297 f.; "Steuerreform setzt Begrenzung der staatlichen Ausgaben voraus", in: FAZ, 31.1.1987. 148 Optional wurde eine Absenkung auf 52 bzw. 49 Prozent erwogen. Im ersten Fall hätte dies einen Steuerausfall in Höhe von ca. 27,7 Mrd. DM, im zweiten von rund 30,7 Mrd. DM für die öffentlichen Kassen bedeutet. Vgl. auch "Steuerreform setzt Begrenzung der staatlichen Ausgaben voraus", in: FAZ, 31.1.1987. 149 Zentrale Belege zu den nachfolgend dargestellten Positionen in: Stoltenberg: Wendepunkte, S. 297 f.; "Steuerreform setzt Begrenzung der staatlichen Ausgaben voraus", in: FAZ, 31.1.1987; "Steuem. Einigt euch", in: Der Spiegel, Nr. 6, 2.2.1987, S. 21 f. 150 Darauf wies Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997 hin. 151 Sie konnten dabei auf die nachhaltige Unterstützung der CDU-Sozialausschüsse vertrauen. Dazu auch Reinhard Uhlmann: Finanzierung wird einen großen Kraftakt erfordern, in: Handelsblatt, 26.1.1987; "Nagelprobe", in: FR, 2.2.1987. 152 Neben den angegebenen Belegen sei zusätzlich verwiesen auf "Auf Kleinstflamme", in: Wirtschaftswoche, Nr. 7, 6.2.1987, S. 14-17; Günter Müchler: Wichtige soziale Balance, in: Bonner Rundschau, 2.2.1987.

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sterpräsidenten Barschel 153 im Falle einer Senkung der Tarife Ausgleichszahlungen der reichen südlichen Bundesländer an die ärmeren im Norden. 154 Dies wiederum provozierte den Widerstand Späths, der grundsätzlich eine Senkung der Steuertarife berurwortete und horizontale Ausgleichszahlungen ablehnte. In diesem Falle aber, das machten seine Länderkollegen Albrecht und Barschel im Gegenzug deutlich, wäre es ihnen nicht möglich, die Steuerreform mitzufinanzieren. Sie implizierten damit, was der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und CDU-Vorsitzende Bernhard Vogel später an anderer Stelle unzweideutig mit der Drohung zusammenfaßte, seine Regierung werde der Steuerreform und der angestrebten Verminderung des Spitzensteuersatzes in der vorgesehenen Form im Bundesrat nicht zustimmen. 155 Was zunächst kompromißlos klang, war aber letztlich nur eine Maximalforderung, die rur die CDU-Ministerpräsidenten eine doppelte Funktion errullte: Zum einen hatten sie mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, daß zumindest sie alles zu tun bereit waren, um eine vermeintlich unsoziale Steuerreform zu verhindern. Dies war die auf die breiten Wählerschichten zielende psychologische Wirkung. Zum anderen war mit dieser Position eine Maximalforderung formuliert, die es den CDU-Ministerpräsidenten erlauben würde, eine schließlich doch durchgesetzte begrenzte Senkung des Spitzensteuersatzes als einen noch vertretbaren und unabwendbaren politischen Komprorniß zu verkaufen. Auch dies konnte der Schadensbegrenzung im Wahlkampf dienlich sein. Ähnlich läßt sich im übrigen die Strategie der Sozialpolitiker um Geißler und Blüm interpretieren. Dies zeigte nach Beendigung der Koalitionsverhandlungen zudem das Bekenntnis eines CDA-Vertreters, der äußerte, daß die starre Position in der Frage des Spitzensteuersatzes der "Hebel" gewesen sei, mit dem

153 Barschel hatte dabei wohl - wie im übrigen auch sein rheinland-pfälzischer Kollege Vogel - die anstehende Landtagswahl im Auge. Eine Senkung des Spitzensteuersatzes ohne Absenkung des Eingangstarifs konnte psychologisch falsche Signale in der Wahlphase setzen und die Wahlkampfkontrahenten in den Ländern stärken. 154 Da den Bundesländern und Gemeinden über 57 Prozent des Einkommensteuerund Körperschaftsteueraufkommens zustand, hätte eine Absenkung der Steuertarife für sie einen deutlichen Einnahmeverlust bedeutet. Für die reicheren süddeutschen Länder, vor allem Bayern und Baden-Württemberg, war dies eher verkraftbar als für die norddeutschen - nicht zuletzt deshalb, weil man sich im Süden aufgrund günstiger Standortfaktoren bei einer Steuersenkung zusätzliche Unternehmertätigkeiten erhoffte, was per Saldo den Einnahmeverlust möglicherweise ausgeglichen hätte. 155 Dies hatte Vogel während der CDU-Präsidiumssitzung am 11.2.1987 verkündet. Die Position Vogels ist wiedergegeben in: Diethart Goos/Heinz Heck: Koalitionspartner ringen zäh um die Steuerreform, in: Die Welt, 18.2.1987. Ähnlich deutlich formulierte auch der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rudi Geil; vgl. Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987. Allerdings hatten sowohl Vogel als auch Geil dabei nicht nur die finanziellen Belastungen für die rheinland-pfälzische Landeskasse im Auge, sondern auch die Wirkung einer Bonner Vereinbarung zur Absenkung des Spitzensteuersatzes nur wenige Wochen vor der Mainzer Landtagswahl.

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massive Erleichterungen rur die Bezieher kleiner Einkommen durchgesetzt werden sollten. 156 Obgleich sich die Präsidiumsmitglieder einig waren, daß möglichst bald eine CDU-Linie in dieser Frage rur die Koalitionsverhandlungen gefunden werden mußte, kam es in dieser Sitzung zu keiner abschließenden Einigung über die Absenkung des Spitzensteuersatzes. Auch wenn sich im Präsidium eine Mehrheit gegen die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent oder gar unter . hnete, 158 hatte man dennoc h·1m F··h . . 50 Prozent 157 abzelC u rungsgremmm au f eme formelle Abstimmung verzichtet und keinen Beschluß gefaßt. 159 Zu gereizt war die Stimmungs lage. Es hätte nicht einer auf Einbindung und Ausgleich bedachten Politik Kohls entsprochen, durch eine schnelle Entscheidung und womöglich formale Abstimmung gewichtige Politiker wie z. B. die Kabinettsmitglieder Stoltenberg einerseits oder Blüm andererseits noch vor Beginn der neuen Legislaturperiode ins politische Abseits zu drängen. 160 Außerdem hätte ein explizites Votum gegen die Senkung des Spitzensteuersatzes zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungslage mit CSU und FDP zusätzlich erschwert und Kohl dort möglicherweise den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit eingebracht. 161 Der Par156 Die Position des namentlich nicht genannten CDA-Vertreters ist wiedergegeben in: Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987. Auch Geißler argumentierte später so. Vgl. "Finanzierung im Herbst", in: Wirtschaftswoche, Nr. 11,6.3.1987, S. 16-18. 157 Hier waren die Koalitionäre keineswegs festgelegt. In der FDP trat man für 48, in der CSU zunächst für eine Absenkung auf unter 50, später auf mindestens 53 Prozent ein. Im Rahmen eines Kompromisses war man danach auch in der FDP bereit, dieses Niveau mitzutragen. Vgl. Strauß: Erinnerungen, S. 519; Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987; "Steuern: Zu wenig drauf', in: Der Spiegel, Nr. 9, 23.2.1987, S. 21-23; Heinz Heck: Der Kanzler hat das Wort, in: Die Welt, 23.2.1987. 158 Eine Ansicht, die zusätzlich dadurch gestützt wurde, daß sich auch im BOI ein Positionswandel vollzogen hatte und man hier nicht länger unbedingt eine Senkung des Spitzensteuersatzes forderte, sondern eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer präferierte. Zur Position des BOI auch Siegfried Mann: Macht und Ohnmacht der Verbände, Baden-Baden 1994, S. 225 ff.; ergänzend Stoltenberg: Wendepunkte, S. 298. 159 Dies war exemplarisch für Kohls Politik im Präsidium. Die Aussprachen dienten dem Meinungsaustausch und der Eruierung von Mehrheitsmeinungen; zu formalen Abstimmungen über Themenfragen kam es dabei fast nie. Somit wurden zwar Meinungsbilder eruiert und daraus politische Leitlinien extrahiert, aber nur in seltenen Fällen Entscheidungen durch formale Abstimmungen präjudiziert. Übereinstimmend wurde dieser Führungsstil bestätigt von Woms (2.7.1997), Stoltenberg (14.7.1997) und Vogel (22.7.1997) im Gespräch mit dem Autor. Vgl. dazu auch Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik, S. 116. 160 Zudem waren Abstimmungen im CDU-Präsidium eine äußerst seltene Ausnahme. Sie kamen in den achtziger Jahren nur wenige Male vor. Vgl. Worms (2.7.1997), Stoltenberg (14.7.1997) und Vogel (22.7.1997) im Gespräch mit dem Autor. 161 Kohl hatte es zwar in der nach der Bundestagswahl entbrannten CDU-internen Diskussion vermieden, eindeutig Stellung zu beziehen. Allerdings hatte er vor der Wahl

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teivorsitzende löste die im Präsidium entstandene Situation dadurch auf, daß er eine Vertagung der Debatte vorschlug: 162 "Er sagte, es bestehe noch Erörterungsbedarf, und ein Konsens in der CDU sei angesichts des Konflikts mit der CSU 163 noch wichtiger geworden."I64 Vor allem Kohl war es dabei mit Blick auf die Koalitionspartner CSU und FDP wichtig, daß in der Öffentlichkeit keinesfalls der Eindruck entstand, die CDU-Führungsspitze habe sich gegen eine Senkung des Spitzensteuersatzes entschieden. 165 Weil sich in der öffentlichen Wahrnehmung dennoch der Eindruck verfestigt hatte, im Präsidium würde eine Senkung des Spitzensteuersatzes abgelehnt, versuchte der CDU-Generalsekretär in Pressegesprächen diesen Eindruck zu relativieren, indem er feststellte, es gebe in dieser Frage noch keinen Beschluß. 166 Gleichwohl wies er aber daraufhin, daß es im Präsidium "keine Vorliebe" für die Senkung des Spitzensteuersatzes gebe, und machte die eigentliche Zielrichtung der Steuerdebatte, 167 über die im Präsidium, aber auch mit den bei verschiedenen Gelegenheiten betont, daß er einen Höchstsatz von über 50 Prozent bei Einkommen- und Körperschaftsteuer für überzogen halte. So belegt bei Stoltenberg: Wendepunkte, S. 297. 162 Stoltenberg kritisierte dies im Rückblick. Dadurch, daß Kohl nicht frühzeitig unmißverständlich für eine deutliche Absenkung des Spitzensteuersatzes eingetreten war und bereits unmittelbar nach dem Wahlsonntag die Marschrichtung vorgegeben hatte, leistete er der nachfolgenden Entwicklung Vorschub. Vgl. dazu Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 163 Hier trat man für eine deutliche Senkung des Spitzensteuersatzes ein. Vgl. Strauß: Die Erinnerungen, S. 518 f.; zum Konflikt auch Stoltenberg: Wendepunkte, S. 296. Zudem hatte Strauß mehrmals - unter anderem während der Sitzung der Unionsfraktion am 27.1.1987 - eine einheitliche Verhandlungslinie der Union gefordert, um der FDP geschlossen entgegentreten zu können. Die unterschiedlichen Positionen waren außerdem in dem ersten Treffen der Verhandlungsdelegationen von CDU und CSU am 28.1.1987 im Bundeskanzleramt deutlich geworden. Vgl. zu den Hintergründen "Strauß fordert Festlegungen in Sachfragen", in: FAZ, 28.1.1987; "Stoiber, Tandler und Geißler in heftigem Streit. Relative Ruhe in der SPD", in: FAZ, 29.1.1987. 164 So gibt Stoltenberg die Worte Kohls in der Präsidiumssitzung wieder. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 297. Bei Stoltenberg werden diese Äußerungen Kohls in der Präsidiumssitzung vom 27.1.1987 verortet. Die zeitgeschichtliche Rekonstruktion des Sitzungs- und Ereignisprofils legt nahe, daß der CDU-Bundesvorsitzende diese Worte erst während der Präsidiumssitzung am 29.1.1987, in der man die steuerpolitischen Fragen intensiv behandelte, aber zu keinem Ergebnis gekommen war, geäußert hatte. Vgl. "Steuerreform setzt Begrenzung der staatlichen Ausgaben voraus", in: FAZ, 31.1.1987. 165 Entsprechend gab man sich in der CDU-Führungsspitze nach der Präsidiumssitzung betont offen in allen Sachfragen. Vgl. "Keine Beschlüsse der CDU", in: FAZ, 31.1.1987. 166 Diese und die nachfolgende Wiedergabe von Geißlers Ausführungen sind belegt in: "Steuerreform soll nicht Minister entlasten", in: Stuttgarter Nachrichten, 3.2.1987; ebenso in: Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987. 167 So herrschte bei den Koalitionspartnem grundsätzlich Einigkeit über die Einführung eines linear-progressiven Steuertarifs. Dies war bereits auch vor der Wahl mehrmals deutlich geworden. Vgl. exemplarisch die Bundestagsdebatte über die Steuerpoli-

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Koalitionspartnern Einigkeit herrschte, klar: Es müsse der Union hauptsächlich darum gehen, Unternehmen zu entlasten und mittelständischen Unternehmen die Eigenkapitalbildung zu erleichtern. Die Steuerreform habe "nicht in erster Linie das Ziel, Minister, Intendanten, Fußballspieler und Fußballtrainer zu entlasten".168 Das Themenfeld Steuerreform, insbesondere die Frage des Spitzensteuersatzes blieb in den nächsten Wochen umstritten. Da es der CDU nicht gelang, intern eine einheitliche Position zu finden, wurde dieser Politikbereich auch in den Koalitionsverhandlungen zunächst zurückgestelle 69 und weniger kontroverse Bereiche abgearbeitet. 170 Diese "Ruhepause" in den Koalitionsverhandlungen wurde von Bundesfinanzministerium und Kanzleramt genutzt, um steuerpolitische Alternativmodelle durchzurechnen und Optionen zur Senkung des Spitzensteuersatzes zu entwickeln. Die Fachleute beider Häuser waren nahezu rund um die Uhr damit beschäftigt, den Vertretern der Regierungsparteien im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zuzuarbeiten. 171 Aber auch nachdem Stoltenberg neue Alternativvorschläge und -berechnungen präsentiert hatte,172 konnte sich die CDU-Führungsspitze in weiteren Präsidiumssitzungen am 11. Februar und 20. Februar auf keine klare Position in der strittigen Frage des Spitzensteuersatzes verständigen. Vor allem in der Sitzung am 20. Februar war nochmals die ablehnende Haltung einer Mehrheit um Blüm und Geißler zur Senkung der Steuertarife deutlich geworden. 173 Die CDU-Führung war in verschiedene Lager gespalten, in denen in unterschiedlichen Gewichtungen Koalitions-, Partei- und Ressortloyalitäten aufeinander prallten. Auf der einen Seite stand die - zunächst nicht mehrheitsfähige - Gruppe um Kohl und Schäuble, deren Anliegen es war, die Koalitionsverhandlungen, losgelöst von Detailregelungen, zu einem für alle Beteiligten einvernehm-

tik der Bundesregierung vom 11.12.1986, in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 256. Sitzung. 11.12.1986, S. 20021-20058. 168 Heiner Geißler zitiert nach: "Steuerreforrn soll nicht Minister entlasten", in: Stuttgarter Nachrichten, 3.2.1987. 169 Vgl. auch Stoltenberg: Wendepunkte, S. 298. 170 Grundsätzlich zum Agendasetting fIlr die anstehende Legislaturperiode Eberhard Sandschneider: Regierungsbildung 1987. Koalitionsverhandlungen und Personalentscheidungen, in: Zeitschrift flir Parlamentsfragen, H. 2, 1987, S. 203-221. 171 Dazu Diethart Goos: Bei den Steuern spürte der Kanzler den Gegenwind, in: Die Welt, 26.2.1987. Zum offiziellen, regierungsamtlichen Charakter, den die "Partciveranstaltung" Koalitionsverhandlungen damit annahm, vgl. auch Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 143. l72 Zu den steuertechnischen Details u. a. "Koalition will in den nächsten zwei Jahren auf kostspielige Sozialgesetze verzichten", in: SZ, 13.2.1987; "Stoltenberg will Spitzensteuersatz auf 55 Prozent festlegen", in: FAZ, 21.2.1987. 173 Vgl. dazu Peter 1. Velte: Beim Spitzensteuersatz hört die Freundschaft auf, in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1987; Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 10 Gros

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lichen Ende zu bringen. 174 Insbesondere Kohl mußte seine Loyalitäten dabei zwischen seiner Funktion als Parteivorsitzender und Bundeskanzler einer DreiParteien-Koalition tarieren. Kohl war in dieser Phase nicht mehr in erster Linie "Parteikanzler", sondern auf Machterhalt ausgerichteter Koalitionschef. 175 Entsprechend mußte er agieren und versuchen, die Interessen aller Koalitionsakteure zu berücksichtigen. Ihm stand Geißler gegenüber, der nicht mehr Kabinettsmitglied war und dessen Verhalten in den Koalitionsverhandlungen und den vorbereitenden Gesprächen folgendermaßen treffend charakterisiert wurde: "Seine Loyalität, beobachtete einer, der mit dabei saß am runden Tisch, gelte eindeutig der Partei, dann lange niemandem sonst.,,176 Sein unmittelbares Ziel in der Steuerdebatte war es, die soziale Kompetenz der CDU in der Debatte um den Spitzensteuersatz zu erhalten und keinen Glaubwürdigkeitseinbruch l77 vor den anstehenden Landtagswahlen zu provozieren. Das dritte Lager bildete Stoltenberg. Er agierte nicht als Parteipolitiker, sondern als nüchterner Technokrat und Ressortverwalter, der bei allen Steuermodellen vorrangig die Solidität der Staats finanzen im Auge hatte. Arbeitsminister Blüm war in diesem Raster ein Grenzgänger zwischen den beiden letztgenannten Systematisierungen. In seiner ablehnenden Haltung zur Absenkung des Spitzensteuersatzes fielen parteipolitisch-ideologische und ressortspezifische Überlegungen zusammen. Eine vierte Gruppe bildeten die CDU-Ministerpräsidenten, die vor allem die finanzielle Situation ihres jeweiligen Bundeslandes und den Machterhalt über die anstehenden Landtagswahlen hinaus im Blickfeld hatten. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Waigel, der der CSU-Delegation bei den Koalitionsverhandlungen angehörte, charakterisierte die Situation in der CDU folgendermaßen: "Die gegenwärtig in der Öffentlichkeit hochgespielte Diskussion über eine Senkung des Spitzen174 In diesem koalitionspragmatischen Lager waren auch Seiters und Dregger zu verorten. Für letzteren hatten die bestehenden Kontroversen ohnehin ihren Ursprung nicht in den Regierungsfraktionen, denn "die sind hier in Bonn beieinander", sondern in den Parteipräsidien. Vgl. zu Dreggers Position CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, hat dem Hessischen Rundfunk flir die Sendung "Frankfurter Gespräch" das folgende Interview gegeben, 22.2.1987. 175 Dies wurde nicht zuletzt daran deutlich, daß nicht nur die Koalitionsgespräche, sondern auch CDU-Präsidiumssitzungen im Bundeskanzleramt stattfanden. Zur symbolischen Bedeutung der Ortswahl vgl. auch Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 142. Grundsätzlich zur Machterhaltungspolitik Kohls: Korte: Deutschlandpolitik. 176 Gunter Hofmann: Kurskorrektur nach rechts, in: Die Zeit, 13.3.1987. 177 Die Wahlversprechung, eine leistungsgerechte und sozial gerechte Steuerreforrn zu verwirklichen, sollte nicht gebrochen werden. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Weiter so, Deutschland flir eine gute Zukunft, S. 21 f.; sowie Geißlers Brief an die Kreisvorsitzenden der CDU, Ausschnitte zitiert in: Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987.

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steuersatzes verläuft bedauerlicherweise allzusehr unter ideologischen Gesichtspunkten.'d78 Dies war, wie oben bereits angedeutet, nur in Teilen richtig. Es war eine Mischung aus ideologischer und politischer, auf Machterhalt abzielender Argumentation, die die ablehnende Haltung in Teilen der CDUFührungsspitze determinierte. Ideologisch war sie immer dann, wenn der Aspekt der vermeintlichen sozialen Ungleichheit einer Entlastung nur am oberen Ende der Steuerskala ins Feld geführt wurde, wie dies vor allem aus den Reihen des CDA geschah und in erster Linie von Blüm und Geißler vorgebracht wurde. Aber auch machtpolitische Aspekte spielten eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die wahlstrategischen Überlegungen der CDU-Ministerpräsidenten wurden bereits dargestellt. Von ähnlichen Überlegungen war auch der Berliner Senator Rupert Scholz geleitet, der in einer Analyse der Bundestagswahl zum Ergebnis kam, daß die CDU ein von der SPD hinterlassenes Vakuum bei den Arbeitern füllen müsse. Eine Senkung der Steuers ätze nur im obersten Tarifsegment wäre einer solchen Strategie entgegengerichtet gewesen. Und auch Geißler brachte, neben den bereits dargestellten Aspekten, grundsätzliche Überlegungen ein, die ihn seit der Bundestagswahl umtrieben und seine Meinungsbildung in der Frage der Absenkung des Spitzensteuersatzes mit Sicherheit beeinflußten. Er folgerte: "Die CDU dürfe 'nicht nur' Steuersenkungspartei werden,,179, sondern brauche ein breiteres Politikangebot.

Zögerliche Versuche der Einflußnahme durch die Unions/raktion

Im gesamten Verlauf der CDU-internen Diskussion und der Auseinandersetzung mit der CSU um den Spitzensteuersatz zeigte sich der begrenzte Einfluß der Fraktionsvertreter im Präsidium der CDU und in den Verhandlungsdelegationen von CDU und CSU. Während Waigel und Bötsch auf CSU-Seite ihren Parteivorsitzenden in der Frage der Absenkung des Steuersatzes unterstützten,180 legte sich Seiters in der Öffentlichkeit nicht fest. 181 Der Fraktionsvorsit-

178 Waigel zitiert nach: Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987. 179 So wiedergegeben in: Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987; ergänzend auch "Kurswechsel?", in: Mainzer Allgemeine Zeitung, 24.2.1987. 180 Sie konnten sich dabei auch auf die Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSUFraktion berufen, die bereits im März 1986 ihre Vorstellungen folgendermaßen formuliert hatte: "Die weitere Senkung der [... ] immer noch zu hohen Grenzsteuersätze wird die Wachstumskräfte der Wirtschaft weiter stärken." Zitiert nach: Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987. 181 Vgl. dazu Günter Kleer: 'Kein Grund zum Pessimismus'. Interview mit Rudolf Seiters, 1. Parlarn. Geschäftsführer CDU/CSU, in: Mainzer Allgemeine Zeitung, 14.2.1987; Gisbert Kuhn: 'Die Steuerreform wird ihr Ziel erreichen'. Interview mit dem

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zende Dregger war im Streit um die Steuerreform, einem Gebiet, auf dem er ohnehin kein Fachmann war, bis in die zweite Februarhälfte hinein öffentlich überhaupt nicht zu vernehmen gewesen, schien aber zunächst inhaltlich zum Blüm/Geißler-Lager zu tendieren. 182 Allerdings drängte er in der zweiten Februarhälfte - nicht zuletzt mit Blick auf die in Hessen anstehende Landtagswahl 183 - auf eine Einigung der Koalitionspartner und präferierte als Konsenslösung das sogenannte "Wagner-Modell,,184, weil "dann der Spitzensteuersatz überhaupt keine Rolle mehr,,185 spiele. Dabei ignorierte er, daß die einschlägigen Prüfungen im Bundesfinanzministerium bereits ergeben hatten, daß dieses Modell aus steuersystematischen, verfassungsrechtlichen sowie politischen Gründen nicht realisierbar war. 186 Neben dem bereits genannten Motiv "hessische Landtagswahl" läßt sich ein dreifaches Anliegen in der Intervention Dreggers zu diesem Zeitpunkt erkennen: - Zum einen wird in dem genannten Vorschlag der Versuch Dreggers deutlich, konsensstiftend zu wirken und einen Beitrag zur Überwindung der steuerpolitischen Unentschlossenheit vor allem in der CDU zu leisten. - Zum anderen versuchte er, die eigene Position und die der Fraktion vor möglicher Kritik an den Koalitionsvereinbarungen prophylaktisch abzuschirmen, indem er die "von den Parteien gefiihrten,,187 und bisher ergebnislosen Verhandlungen kritisierte und somit unterschwellig deutlich machte, daß damit Parlamentarischen Geschäftsführer der Bonner Unionsfraktion, Seiters, in: Augsburger Allgemeine, 21.2.1987. 182 Vgl. Erich Hauer: Dregger übt Kritik an Streit in Koalitionsrunde, in: Westfälische Rundschau, 23.2.1987. 183 Zu Dreggers wahlstrategischen Überlegungen vgl. "Koalitionsverhandlungen sollen wegen der Wahl in Hessen zügig abgeschlossen werden", in: FAZ, 23.2.1987. 184 Das Konzept, das angeblich auf den rhein land-pfälzischen Finanzminister CarlLudwig Wagner zurückging, sah einen Verzicht auf die Absenkung des Steuerspitzentarifs vor. Um dennoch die Unternehmen steuerlich zu entlasten, sollten die Gewerbesteuerzahlungen auf die Einkommensteuer angerechnet werden. Vgl. Klaus-Peter Schmid: Streit um ein Symbol, in: Die Zeit, 13.2.1987. Laut Stoltenberg wurde dieses Modell jedoch vom BOI-Präsidenten Hans Joachim Langmann in den Bonner Politikbetrieb lanciert; vgl. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 298. 185 Dregger zitiert nach: Diethart Ooos: "Senkung des Spitzensatzes nicht nötig", in: Die Welt, 23.2.1987. 186 Im Bundesfinanzministerium hatte man zu diesem Vorschlag verschiedene Gutachten eingeholt. Dazu und zu den Prüfungsergebnissen vgl. Diethart GooslHeinz Heck: Koalitionspartner ringen zäh um die Steuerreform, in: Die Welt, 18.2.1987; "Schwierige Suche nach einem Komprorniß im Steuerstreit", in: FAZ, 20.3.1987. 187 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, hat dem Hessischen Rundfunk für die Sendung "Frankfurter Gespräch" das folgende Interview gegeben, 22.2.1987; vgl. auch Erich Hauer: Dregger übt Kritik an Streit in der Koalitionsrunde, in: Westfälische Rundschau, 23.2.1987; "Koalitionsverhandlungen sollen wegen der Wahl in Hessen zügig abgeschlossen werden", in: FAZ, 23.2.1987.

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auch diese und nicht die Regierungsfraktionen im allgemeinen und die CDU/CSU-Bundestagsfraktionen im besonderen die Verantwortung fur die Ergebnisse zu übernehmen hatten. Insgesamt war diese Situation bezeichnend flir das Verhältnis von CDU-Führung (und auch CSU-Führung) zur Unionsfraktion. Die Parteien definierten während der Koalitionsverhandlungen die Eckwerte der Politik flir die nächsten vier Jahre. Dies galt es dann von der Fraktion in der Legislaturperiode gestalterisch umzusetzen,188 oder wie es Dregger formulierte: "dann wird von den Fraktionen regiert,,189. Dregger gefiel diese Gesamtsituation nicht, er bedauerte öffentlich, "daß an den Koalitionsvereinbarungen der Sachverstand der Fraktion nicht unmittelbar teilnehmen könne; die Rückkopplung sei schwierig,,19o. Daß Dregger dies zugab, warf gleichzeitig aber auch ein Schlaglicht auf seine Position,191 die der Fraktionsflihrung sowie die der Fraktion im allgemeinen im Beziehungsgeflecht von Parteiorganisation und Unionsfraktion. 192

188 Zu der damit einhergehenden Problematik, daß Fraktionen Arbeitsprogramme umsetzen, auf deren Entstehungsprozeß sie nur rudimentär Einfluß nehmen konnten, vgl. auch die Anmerkungen von Erwin K. Scheuch: Die Entmachtung der Abgeordneten, in: FAZ, 17.1.1996. 189 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, hat dem Hessischen Rundfunk für die Sendung "Frankfurter Gespräch" das folgende Interview gegeben, 22.2.1987; vgl. auch Dregger, wiedergegeben in: Erich Hauer: Dregger übt Kritik an Streit in der Koalitionsrunde, in: Westfalische Rundschau, 23.2.1987. Hier leuchtete aber auch die Erkenntnis des Politprofis durch, der um den zeitlichen Relativierungsund -verfallswert von Koalitionsvereinbarungen wußte. Schreckenberger hat dies in anderem Zusammenhang prägnant zusammengefaßt: "Auch eine andere Vorkehrung in den Koalitionsvereinbarungen hat sich als wenig wirksam erwiesen, nämlich die weitgehende zahlen- und textmäßige Festlegung für künftige Regelungen. Bei den Beratungen steht die aktuelle Situation so sehr im Vordergrund, daß frühere Entscheidungen erheblich an Gewicht verlieren. Sie werden häufig nicht mehr zur Kenntnis genommen. Das mit dem Tagesgeschäft verbundene politische Management überlagert die konzeptionellen oder längerfristigen Festlegungen. Was bleibt, ist eine Argumentationshilfe." Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 151. 190 Dregger zitiert nach: "Koalitionsverhandlungen sollen wegen der Wahl in Hessen zügig abgeschlossen werden", in: FAZ, 23.2.1987. Daß von Dregger kein Bezug darauf genommen wurde, daß sich die Fraktion noch im Konstituierungsprozeß befand - der Fraktionsvorstand wurde am 17.2., die Arbeitsgruppenvorsitzenden am 17.3. gewählt -, zeigt, daß dies offensichtlich keinen relevanten Einfluß auf den Grad der Einbindung der Fraktion in die Koalitionsverhandlungen hatte. Dies galt um so mehr, als die personelle Kontinuität in den führenden Positionen zwischen 10. und 11. Legislaturperiode hoch war. 191 Vgl. dazu auch die Charakterisierung des "zahmen" Fraktionsvorsitzenden in: Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987. 192 Vor diesem Hintergrund ist auch die Beschreibung Hofmanns zu werten, daß die Fraktion blaß und diffus wirke, zwar geschäftsführende Manager besitze, aber keine politischen Köpfe. Vgl. Gunter Hofmann: Wohin treibt die Union, in: Die Zeit, 17.7.1987.

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- Zum dritten hielt er ganz offensichtlich die detaillierte Programmarbeit der Koalitionäre rur überflüssig und machte dies auch deutlich: Denn - so seine Ausfiihrungen - wenn man zu einem baldigen Ergebnis kommen wolle, "dann darf man nicht alles im Detail regeln wollen, sondern dann wird man sich mit gewissen Grundsätzen begnügen müssen.,,193 Allerdings waren dieses Stellungnahmen Dreggers letztlich doch weniger als ernsthafter Versuch der Einflußnahme auf die Koalitionsverhandlungen zu werten, sondern dienten vielmehr seiner fraktionsinternen Machtsicherung. Die Zielrichtung dieser Äußerungen wird vor allem dann deutlich, wenn man berücksichtigt, daß Dregger deutlicher Kritik seiner eigenen Fraktion ausgesetzt war, die sich über die Koalitionsverhandlungen, vor allem aber die Steuerpläne nur unzureichend informiert fiihlte. Diese Kritik wurde dem Fraktionsvorsitzenden in der Sitzung des Vorstandes der Unionsfraktion wenige Tage vor seiner Offensive am 16. Februar übermittelt. 194 Dregger wies diese damals allerdings kühl - und nicht frei von Selbstherrlichkeit - zurück: "Wer etwas wissen will, kann mich ja anrufen.'d95 Informationsvorsprung wurde an dieser Stelle zur Machtdemonstration, 196 und Dregger instrumentalisierte ihn zunächst, um seine hervorgehobene Stellung als Fraktionsvorsitzender zu unterstreichen. 197 Gleichzeitig zeigte diese Kritik im Fraktionsvorstand, daß auch Seiters, Waigel und Bötsch ihre Informationen aus den Koalitionsverhandlungen offenbar bislang nicht an die Abgeordneten weitergegeben hatten.

Kohls Schrittmacher/unktion Die finanzpolitischen Verhandlungen schienen festgefahren. Insbesondere im CDU-Präsidium hatten sich die Fronten verhärtet. In der Präsidiumssitzung vom 20. Februar 1987 wurde nach intensiver und kontroverser Diskussion deutlich, daß eine Mehrheit gegen eine Absenkung des Spitzensteuersatzes war. 193 Dregger zitiert nach: Erich Hauer: Dregger übt Kritik an Streit in Koalitionsrunde, in: Westfiilische Rundschau, 23.2.1987. 194 Vgl. dazu Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 195 Dregger zitiert nach: Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 196 Insofern war sein Verhalten nicht ungewöhnlich, entsprach es doch den Gepflogenheiten der Politik, die von Schreckenberger wie folgt charakterisiert werden: "Informationen aus den Führungsgremien von Fraktion und Koalition werden wie eine knappe Ressource gehandelt. Denn ein Informationsvorsprung steigert Rang und Ansehen eines Abgeordneten." Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 149. 197 Inwieweit Dregger damit allerdings auch seine in den Koalitionsverhandlungen weitgehend belanglose Rolle kompensieren wollte, mag dahingestellt bleiben.

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Treibende Kräfte in der "Ablehnerfraktion" waren nach wie vor Geißler und Blüm. Sie wurden dabei durch Albrecht, Vogel, Barschel und Wallmann unterstützt. Zugleich wurde Kohl in der Präsidiumssitzung ein Brief übergeben, in dem die acht Bezirksvorsitzenden der nordrhein-westfiilischen CDU für eine Beibehaltung des geltenden Spitzensteuersatzes votierten und davor warnten, daß die Senkung des Spitzensteuersatzes "das Bild der Union als einer um soziale Ausgeglichenheit bemühten Volkspartei auch langfristig beeinträchtigen würde. ,,198 Über die damit bestehende Gesamtsituation konnten auch die in dieser Phase zunehmend zu beobachtenden öffentlichen Beteuerungen Schäubles, nach denen es unzutreffend sei, daß sich die CDU gegen jegliche Absenkung des Steuersatzes wende, nicht hinwegtäuschen. 199 Diese Worte des Kanzleramtsministers dienten wohl auch eher der Beruhigung der Koalitionspartner und als Signal, daß Kohl für eine Unterstützung der Steuerreform durch seine Partei sorgen würde. Allerdings wurde die Zeit für eine Kompromißfindung allmählich knapp. Denn durch die oben beschriebene, nicht erkennbare Bereitschaft einer Mehrheit im CDU-Präsidium, in den Koalitionsgesprächen die Kompromißsignale der Unterhändler von CSU und FDP durch ein eigenes Entgegenkommen in bezug auf eine Absenkung des Spitzensteuersatzes zu honorieren, drohte der Zeitplan für die Kanzlerwahl in Gefahr zu geraten. Diese war für den 11. März angesetzt worden. Eine Verschiebung dieses Datums erschien aus diplomatischen, wahlstrategischen und psychologischen Gründen schwierig: - Zum einen beabsichtigte der Bundespräsident am 15. März seine seit längerem geplante offizielle Südamerikareise anzutreten. Eine Verschiebung dieser Reise aus innenpolitischen Gründen hätte ein schlechtes Bild auf die politische Situation in der Bundesrepublik Deutschland geworfen und eine aufwendige Neuabstimmung von von Weizsäckers Reiseplänen mit den betroffenen südamerikanischen Regierungen notwendig gemacht. - Zum zweiten wäre es wahlstrategisch ungeschickt gewesen, die Koalitionsverhandlungen in Bonn nicht vor der Endphase des hessischen Wahlkampfes

198 Zitiert nach: Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 199 Vgl. zu Details und Hintergründen Peter 1. Velte: Beim Spitzensteuersatz hört die Freundschaft auf, in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1987; Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. "Stoltenberg will Spitzensteuersatz auf 55 Prozent festlegen", in: FAZ, 21.2.1987; "Steuern: Zu wenig drauf", in: Der Spiegel, Nr. 9, 23.2.1987, S. 21-23; "Steuerentlastung zum I. Januar 1988 soll höher als geplant ausfallen", in: SZ, 24.2.1987; Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987.

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abzuschließen und damit womöglich zu riskieren, daß Bonner Kontroversen zum Spielball Wiesbadener Wahlkampfmanöver wurden?oo - Schließlich hätte es in der Öffentlichkeit ein bezeichnendes Licht auf die politische Konsistenz der Regierungskoalition geworfen, wenn diese noch vor der Aufnahme der Regierungsgeschäfte in der neuen Legislaturperiode ein erstes selbstgestecktes Datum aufgrund von Meinungsverschiedenheiten nicht einzuhalten in der Lage war. Hatte sich der CDU-Parteivorsitzende sowie amtierende und zugleich designierte Bundeskanzler bisher auf eine eher koordinierende, moderierendausgleichende Funktion201 in den Koalitionsverhandlungen und den Präsidiumssitzungen beschränkt/o2 so forcierte er in der letzten Februarwoche in der kontroversen Steuerdiskussion die Kompromißbemühungen massiv. Zunächst machte er in einer Besprechung innerhalb der CDU-Verhandlungsdelegation zur Vorbereitung auf das Koalitionsgespräch am 23. Februar eindeutig klar, daß die CDU nunmehr "in der Frage des Spitzensteuersatzes einlenken [müsse/ d. Verf.], weil unsere Position in anderen wichtigen Fragen schwächer werde,,?03 Was Stoltenberg in seinen retrospektiven Betrachtungen lapidar mit "Jetzt einigten wir uns schnell,,204 kommentierte, war der Startschuß zum Einlenken der CDU auf eine Kompromißlinie in der Frage der Absenkung des Spitzensteuersatzes. Sie überdeckt aber zugleich auch das Eskalationsniveau, auf dem sich mittlerweile die Steuerdiskussion innerhalb der CDU-Führungsspitze bewegte. Kohl einerseits sowie Blüm und Geißler andererseits lieferten sich eine heftige Debatte, in der Kohl verklausuliert mit seinem Rücktritt be-

200 Vor dem Hintergrund der anstehenden Auslandsreise von Weizsäckers und der Hessenwahl am 5.4.1987 drängte Kohl im Februar auf einen Abschluß der Koalitionsverhandlungen. Vgl. dazu auch Udo Bergdoll: Das Störende an einer schönen Aussicht, in: SZ, 13.2.1987; "Alle Berechnungen sind eine Fata Morgana", in: Der Spiegel, Nr. 10,2.3.1987, S. 17-25, hier S. 21. 20\ Vgl. zu Kohls Rolle als Moderator in Koalitionsgesprächen grundsätzlich auch Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 150. 202 Zu einem ähnlichen Befund kommt Sandschneider. Allerdings spricht er auch davon, daß Kohl "sich in den Sachverhandlungen insgesamt auf eine steuernde und korrigierende Rolle, die das Kräftespiel zwischen den Parteien förderte und politische Sachentscheidungen Expertengremien überließ," beschränkte. Vgl. Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 216. Für die finanzpolitischen Gespräche gilt die Aussage in dieser Form nur begrenzt. Eine steuernde Funktion ließ sich für den CDU-Vorsitzenden lange nicht erkennen. Außerdem wurden die Fragen der Steuerreform auf höchster Ebene zwischen den Parteiführern und nicht in Expertengremien verhandelt. 203 So wiedergegeben in: Stoltenberg: Wendepunkte, S. 298; Hinweise auf den Tenor dieses Gespräches auch in: "Spitzensteuer wird nun doch gesenkt", in: Bonner Rundschau, 25.2.1987. 204 Stoltenberg: Wendepunkte, S. 298.

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ziehungsweise dem Stellen der Vertrauensfrage gedroht hatte 205 , falls diese nicht endlich ihre Verweigerungsposition aufgeben würden. Politisch brisant war dabei, daß nur wenige Tage zuvor der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Solms, sowie der FDP-Abgeordnete Grünbeck das Schicksal Kohls als Bundeskanzler mit der Senkung des Spitzensteuersatzes verbunden hatten. Dies wiederum hatte hinter den Koalitionskulissen rur heftige Kontroversen gesorgt. Sie gipfelten darin, daß Kohl in Form eines Ultimatums eine KlarsteIlung seitens der FDP gefordert hatte, die dann auch erfolgte; der FDP-Fraktionsvorsitzende relativierte die Bemerkungen seiner Kollegen?06 Fast zeitgleich war der CDU-Vorsitzende angesichts des CDU-internen Steuerstreits auch unter Beschuß des CSU-Vorsitzenden Strauß geraten, der von seinem CDU-Kollegen verschiedentlich massiv - intern und öffentlich - den Nachweis von Führungsstärke und das Einlenken der CDU in der Frage des Spitzensteuersatzes eingefordert hatte?07 Diese Faktoren trugen sicherlich mit dazu bei, daß sich Kohl im "Spannungsfeld von Toleranz und Führung,,208 darur entschied, die politische Führungsleistung über den politischen Wert innerparteilicher Meinungsvielfalt zu stellen, und abweichende sowie kompromißverhindernde Positionen nicht weiter tolerierte. In seiner Doppelrolle - "einerseits ist er Vorsitzender der CDU, andererseits der Bundeskanzler,,209 - entschied sich Kohl darur, seiner 205 So belegt in der Presse berichterstattung z. B. bei Diethart Goos: Bei den Steuern spürte der Kanzler den Gegenwind, in: Die Welt, 26.2.1987; "Alle Berechnungen sind eine Fata Morgana", in: Der Spiegel, Nr. 10,2.3.1987, S. 17-25; während in den genannten Quellen von Rücktrittsdrohungen geschrieben wurde, war in der Berichterstattung des Handelsblatts davon die Rede, daß Kohl damit drohte, die Vertrauensfrage zu stellen, vgl. "Die FDP lobt die Einigung als einen vernünftigen Kompromiß", in: Handelsblatt, 25.2.1987; zum Gesamtbild auch "Spitzensteuer wird nun doch gesenkt", in: Bonner Rundschau, 25.2.1987. Diese unterschiedlichen Versionen weisen darauf hin, daß Kohl wahrscheinlich keineswegs explizit von Rücktritt oder Vertrauensfrage gesprochen hatte, sondern spezifische und für ihn typische Redewendungen nutzte, die jedem im Präsidium jedoch verdeutlichten, daß ihm bestimmte Richtungstendenzen im Präsidium nicht paßten und daß nunmehr der Punkt gekommen war, an dem man sich entsprechend seiner Vorstellungen einigen mußte. Während dieses Verhaltensmuster Kohls und die damit verbundene Möglichkeit, auf die Präsidiumsmitglieder Druck auszuüben, in den achtziger Jahren mehrmals zu beobachten war, konnte sich keines der befragten Präsidiumsmitglieder an eine explizite Rücktrittsdrohung Kohls erinnern. Vgl. dazu u. a. Worms (2.7.1997) und Vogel (22.7.1997) im Gespräch mit dem Autor. 206 Zum Gesamtvorgang vgl. Peter 1. Velte: Beim Spitzensteuersatz hört die Freundschaft auf, in: Bonner General-Anzeiger, 21.2.1987; Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 207 Zur Kritik von Strauß an Kohl vgl. zusammenfassend Siegmar Schelling: Strauß gegen Stoltenberg-Kompromiß, in: Die Welt am Sonntag, 22.2.1987; sowie im Wortlaut Strauß-Interview, in: Die Welt am Sonntag, 22.2.1987; auch "Trotz des Steuerstreits bald 'abschließende Vereinbarungen in allen Sachfragen''', in: FAZ, 21.2.1987; "Steuern: Zu wenig drauf', in: Der Spiegel, Nr. 9, 23.2.1987, S. 21-23. 208 So ein hoher, namentlich nicht genannter Regierungsbeamter, zitiert nach: Günter Müchler: Gerangel um die magische Steuerzahl, in: Bonner Rundschau, 21.2.1987. 209 Wolfgang Schäuble, zitiert nach: Ebd.

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Autorität als CDU-Bundesvorsitzender innerparteilich einzusetzen, um die Einigung in der Koalition zu erreichen und damit das Fundament für seine Wiederwahl als Bundeskanzler zu legen. Kohl machte denjenigen, die eine Veränderung des Spitzensteuersatzes in der CDU ablehnten, nicht nur die Notwendigkeit eines Kompromisses mit den Koalitionspartnern deutlich, er strukturierte zugleich auch die CDU-Verhandlungskommission um. In das Koalitionsgespräch mit CSU und FDP nahm er zur Beratung der Finanzfragen nur noch den Finanzexperten und Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt, Schäuble, Finanzminister Stoltenberg und den stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Albrecht mit. 2 \O Die "Verweigererfraktion" Blüm und Geißler blieb auf CDU-Seite ausgeschlossen. 2lI In dieser verkleinerten Runde wurde dann schließlich in der Nacht vom 23. auf 24. Februar der Durchbruch in der umstrittenen Frage des Spitzensteuersatzes und den Grundzügen der Steuerreform erzielt. Die Verhandlungsergebnisse wurden nicht mehr gesondert den Partei präsidien und Regierungsfraktionen zur Diskussion vorgelegt, sondern fanden unmittelbaren Eingang in die Koalitionsvereinbarung. 212 Insgesamt wurde über folgende Kernpunkte Einigung erzielt: - Einführung eines linear-progressiven Verlaufs der Einkommensteuerkurve; Senkung des Höchststeuersatzes von 56 Prozent auf 53 Prozent und des Eingangssteuersatzes von 22 Prozent auf 19 Prozent; - Absenkung der Körperschaftsteuer von 56 Prozent auf 50 Prozent; - schrittweise Anhebung des Grundfreibetrages 1988 (4.536 DMlLedige; 9.072 DM/Verheiratete) und 1990 (5.616 DMlLedige; 11.232 DM/Verheiratete); - Erhöhung des Kinderfreibetrages um 540 auf3.024 DM; - Anhebung familienbezogener Freibeträge;

210 Auch wenn sich in den Pressedarstellungen die Teilnahme von Dregger und Seiters, den führenden CDU-Repräsentanten der Unionsfraktion, nicht nachweisen läßt, so ist dennoch von ihrer Anwesenheit auszugehen. Dafür spricht alleine schon die Tatsache, daß sowohl FDP als auch CSU durch ihre Fraktionsrepräsentanten vertreten waren. 211 Im Gegenzug nahm auf FDP-Seite der Scharfmacher Lambsdorff nicht teil. Neben den bereits genannten Personen nahmen für die CSU Strauß, Waigel, Streibl, für die FDP Bangemann, Mischnick und der Finanzexperte Gattermann teil. Damit war in dieser Runde hoher finanzpolitischer Sachverstand versammelt. Vgl. zur Teilnehmerrunde: Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987; Diethart Goos: Bei den Steuern spürte der Kanzler den Gegenwind, in: Die Welt, 26.2.1987. 212 Zwischen Kohl und vor allem den Ministerpräsidenten der CDU fand jedoch während der Sitzung ein telephonischer Informationsausstausch statt. Vgl. dazu ausführlich weiter unten.

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- Verbesserung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen; - zusätzliche Sonderabschreibungen für kleinere und mittlere Unternehmen ab 1988. 213 Die erarbeiteten Eckwerte wurden exakt in der Koalitionsvereinbarung der Regierungspartner fixiert, die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent und die des Körperschaftsteuersatzes auf 50 Prozent explizit erwähnt. 214 Damit waren die Verhandlungserfolge vor allem von FDP und CSU dokumentiert. 215 Der nüchterne Auflistung der Prozentwerte und Entlastungsvolumen in DM war aber auch in einer gesonderten Anlage vorgeschaltet, die nicht nur deutlich machte, daß der Kompromißfindung ein kontroverser Meinungsbildungsprozeß vorausgegangen war und daß in der Legislaturperiode weitere Gespräche folgen würden, sondern die zudem die Zielsetzungen benannte, die vor allem von den Sozialpolitikern der CDU mit der Steuerreform verfolgt worden waren. Auf nachfolgende Formulierungen hatten sich die Koalitionäre verständigt: "Nach einer ausfUhrlichen ersten Diskussion216 über die in dieser Wahlperiode zu verwirklichende Steuerreform besteht Einvernehmen über folgende Punkte: Ziele der Steuerreform sind eine spürbare und dauerhafte Entlastung fUr die arbeitenden Menschen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, insbesondere des Mittelstandes und die besondere Förderung der Familien mit Kindern. Der linear-progressive Tarif wird eingefUhrt und zu grundlegenden Verbesserungen fUr mehr als zwei Drittel der Steuerzahler fUhren. Eine erhebliche Anhebung des Grundfreibetrages entlastet vor allem die unteren Einkommensgruppen. Der Kinderfreibetrag und andere familienbezogene Freibeträge werden ausgeweitet. Unternehmenssteuern sollen abgebaut werden. HierfUr ist ein Entlastungsvolumen von mindestens 40 Mrd. DM erforderlich.

213 Angaben nach Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 212 f.; vgl. auch Brief von Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 6.3.1987, Anlage 2 b (Dokument aus privatem Aktenbestand). 214 Vgl. Brief von Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfrakti on v. 6.3.1987, Anlage 2 b (Dokument aus privatem Aktenbestand). 215 Offen war bei alledem allerdings geblieben, wie die beschlossenen Maßnahmen und die Steuerreform schließlich finanziert werden sollten. Mit dieser höchst sensiblen Frage wollte man die Koalitionsverhandlungen offensichtlich nicht zusätzlich belasten. Dazu auch "Alle Berechnungen sind eine Fata Morgana", in: Der Spiegel, Nr. 10, 2.3.1987, S. 17-25; Gunter Hofmann: Kurskorrektur nach rechts, in: Die Zeit, 13.3.1987; vgl. dazu auch die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung im Deutschen Bundestag am 19.3.1987, in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahperiode. 5. Sitzung. 19.3.1987, S. 137-251. 216 Diese Formulierung ließ darauf schließen, daß mit dem Ende der Koalitionsgespräche keineswegs die Steuerdebatte beendet war, sondern Details zu gegebenem Zeitpunkt in weiteren Gesprächen zu erörtern waren.

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Die nachhaltige Tarifsenkung ermöglicht auch eine Vereinfachung des Steuersystems durch Abbau von Steuersubventionen und Sonderregelungen. Finanzhilfen werden in diese Überprüfung einbezogen. Die Netto-Entlastung der Steuerzahler soll mindestens 25. Mrd. DM betragen. Es wird geprüft, ob im Rahmen des Gesamtkonzepts auch eine begrenzte Anhebung einzelner indirekter Steuern erforderlich ist.,,217

Maser charakterisierte das Agieren des CDU-Parteivorsitzenden während der Koalitionsverhandlungen 1987 folgendermaßen: "Er hat seine Entscheidungen zunächst innerhalb der Partei, dann in der Fraktion und schließlich in Gesprächen mit dem Koalitionspartner vorbereitet, was ihn in den eigenen Reihen letztlich unangreifbar macht.,,218 Diese Beschreibung trifft rur den hier untersuchten Politikausschnitt in dieser Form nicht zu. Wie oben bereits dargestellt, hatte Kohl in einem Krisengespräch mit den zentralen Unterhändlern der CDU die Notwendigkeit einer Einigung mit der CSU und FDP in den steuerpolitischen Fragen klargemacht. Eine inhaltliche Detailabstimmung und ein expliziter, zielgerichteter Verhandlungsauftrag an Kohl, Schäuble und Albrecht war aber in dieser Zusammenkunft nicht erfolgt. Parallel zur Koalitionssitzung versuchte der CDU-Vorsitzende allerdings dann, durch telephonische Kontakte vor allem die Bereitschaft der CDU-Ministerpräsidenten, die ausgehandelten Kompromißformeln mitzutragen, auszuloten. 219 Die Details der finanzpolitischen Entscheidungen im allgemeinen und die im Koalitionsgespräch in der Nacht vom 23. auf 24. Februar getroffenen Absprachen im speziellen waren in der Fraktion keineswegs vorsondiert worden. 220 Im Gegensatz zu FDP (Mischnick)221 und CSU (Waigel) war mit Dregger der ruhrende Repräsentant der Unionsfraktion auf seiten der CDU nicht mehr in die Gesprächsrunde einbezogen. Allerdings war das Risiko Kohls, in einer Fraktionssitzung deshalb nachträglich kritisiert zu werden, aus folgenden Gründen gering: 217 Zitiert nach Brief von Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSUBundestagsfraktion v. 6.3.1987, Anlage 2a (Dokument aus privatem Aktenbestand). Inbesondere der letzte Satz und der in ihm verankerte Prüfungsauftrag - er war in erster Linie an Stoltenberg und das BMF gerichtet - zeigten, daß die Koalitionsvereinbarung in der Frage der Steuerreform nur einen Rahmen absteckte, dessen Inhalte im Laufe der Legislaturperiode durch weitere Verhandlungen auszufüllen sein würde, und keinesfalls in allen Aspekten bereits verbindliche Vorgaben gemacht wurden. Dies zeigten in der Tat auch die Steuerdebatten in den nachfolgenden Monaten, insbesondere aber 1988. 218 Maser: Helmut Kohl, S. 254. 219 Auf mehrere Telephonate Kohls vor allem mit den CDU-Ministerpräsidenten während der entscheidenden Koalitionssitzung verweist Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987. 220 Zwar bestand in der Fraktion Einigkeit über die Grundzüge der Steuerreform dies hatte sie bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode hinreichend klar gemacht -, dennoch war sie in den Meinungsbildungsprozeß um die Gestaltung des Spitzensteuersatzes nicht aktiv einbezogen worden. 221 Außerdem war der Steuerexperte der FDP-Fraktion, Gattermann, anwesend.

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- Da vor allem von der CSU eine Absenkung des Spitzensteuersatzes betrieben worden war und zugleich der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion und Vorsitzende der Landesgruppe, Waigel, zu ihren stärksten Befürwortern in den Koalitionsverhandlungen zählte, würde er auch die bayerischen Abgeordneten auf diese Linie einschwören. Aus der starken bayerischen Landesgruppe drohte damit keine Gefahr. - Der Vorsitzende der Unionsfraktion hatte, nachdem der Steuerkompromiß erarbeitet worden war, diesen positiv bewertet und darauf verwiesen, daß in ihm mit der steuerlichen Entlastung der arbeitenden Menschen, der Verringerung der Gesamtsteuerlast für die Wirtschaft und der Verbesserung der Bedingungen für Familien und Alleinstehende drei Hauptziele der CDU erreicht worden seien?22 Mit seiner öffentlichen Stellungnahme unterstützte er die Vereinbarungen mit der Autorität des Fraktionsvorsitzenden und gab zugleich die politische Meinungslinie für die Fraktion vor. - Die Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitiker der Fraktion unterstützten die Senkung des Spitzensteuersatzes ohnehin mehrheitlich. 223 Die Zustimmung der Fachleute in einer Sachfrage bedeutete oftmals auch eine präjudizierende Wirkung auf die Zustimmung der Gesamtfraktion, beeinflußten diese doch durch ihre fraktions internen Stellungnahmen das Meinungsbild der Abgeordneten. 224 - Kohl hatte bei den Verhandlungen mit den Koalitionspartnern darauf geachtet, daß die Senkung des Spitzensteuersatzes junktimhaft mit einer Verringerung des Eingangssteuersatzes verbunden wurde. Damit war auch den Sozialpolitikern der Fraktion die Möglichkeit gegeben, sich in den Vereinbarungen wiederzufinden. 225 Zudem stand Geißler, nachdem die Entscheidung gefallen war, aus Parteidisziplin loyal zu den Vereinbarungen?26

222 Dreggers Position ist wiedergegeben in: Diethart Goos: Albrecht: Eine Basis für gute Arbeit, in: Die Welt, 2.3.1987. 22J Zu den Reaktionen auf das Verhandlungsergebnis auch "Vogel nennt Senkung des Spitzensteuersatzes empörende Ungerechtigkeit", in: FAZ, 26.2.1987. 224 Zum Einflußpotential der Arbeitsgruppen bzw. der Arbeitsgruppenvorsitzenden vgl. auch Hans Apel: Die Willensbildung in den Bundestagsfraktionen. Die Rolle der Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 2, 1969170, S. 223-229, hier S. 229; auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 145. 225 Entsprechend wurde aus diesen Kreisen auch Zustimmung zum Kompromiß signalisiert. Vgl. exemplarisch "Vogel nennt Senkung des Spitzensteuersatzes empörende Ungerechtigkeit", in: FAZ, 26.2.1987. 226 Dazu "Die FDP lobt die Einigung als einen vernünftigen Kompromiß", in: Handelsblatt, 25.2.1987; Günter Müchler: Ein Kratzer im Gesicht blieb übrig, in: Bonner Rundschau, 26.2.1987.

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- Unangreifbar war Kohl in der Fraktion vor allem aber auch deshalb, weil es zu ihm als Kanzler in der CDU zu diesem Zeitpunkt keine Alternative gab. 227 Kühl kalkulierend konnte Kohl die Fraktion vor vollendete Tatsachen stellen. Über die Koalitionsvereinbarung wurde dort nicht abgestimmt, sondern lediglich informiert. Als sich während der Fraktionssitzung am 10. März Protest gegen die unzureichende Einbindung der Fraktion in die Koalitionsverhandlungen erhob und Kritik an einzelnen Vereinbarungen abzeichnete, konterte Kohl und verwies schlichtweg darauf, daß die Verhandlungen Sache der Parteien gewesen seien. 228 Versöhnlich und auf das Selbstbewußtsein der Fraktion zielend, fügte er aber auch hinzu: "Jetzt aber schlägt wieder die Stunde der Fraktionen.,,229 Wollte die Unionsfraktion nicht zu Beginn der Legislaturperiode einen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Eklat produzieren, blieb ihr letztlich gar nichts übrig, als die Koalitionsvereinbarung mitzutragen und Kohl zum Bundeskanzler zu wählen. Insgesamt läßt sich für den Zeitpunkt und für diesen Politikbereich in bezug auf das untersuchungsrelevante Machtdreieck in prononcierter Form das bestätigen, was Sandschneider allgemeiner formuliert: "Als Fazit wird man festhalten können, daß die internen Entscheidungsträger der Regierungsbildung 1987 einzelne Führungspersönlichkeiten der Koalitionsparteien und die ihnen zuarbeitenden Experten unter weitgehendem Ausschluß der Partei- und fast vollständigem Ausschluß der Fraktionsgremien waren.,,230 Für die CDU beschränkte sich der Kreis der Führungspersönlichkeiten auf den Finanzminister sowie auf den Finanzexperten und "Politik-Allrounder" Schäuble.231 Zwar ist davon auszugehen, daß die Fraktion auch während der Gespräche zur Steuerreform durch Dregger und Seiters repräsentiert war, allerdings läßt sich für sie kein nennenswerter Einfluß auf die Verhandlungen nachweisen. Erst nach Abschluß der KoaIitionsverhandlungen wurden sowohl CDU-Vorstand - und nicht nur der engere Führungskreis des Präsidiums - als auch Unionsfraktion über die Details der Koalitionsverhandlungen informiert. Bezeichnend war dabei, daß zunächst der CDU-Vorstand (4. März)232 und danach die Unionsfraktion (10.

227 So auch die Einschätzung in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Kleine Geschichte der CDU, S. 155. 228 Vgl. Günther BadinglDiethart Goos: Den Liberalen liegt der Kompromiß schwer im Magen, in: Die Welt, 11.3.1987, S. 3. 229 Kohl zitiert nach: Günther BadinglDiethart Goos: Den Liberalen liegt der Kompromiß schwer im Magen, in: Die Welt, 11.3.1987, S. 3. 230 Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 216. 231 Albrecht war als Ländervertreter und moderater Vertreter des Kritikerflügels eingebunden worden. 232 Zur CDU-Vorstandssitzung am 4.3.1987 vgl. "Steuern: Falsch eröffnet", in: Der Spiegel, Nr. 11,9.3.1987, S. 23 f.

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März)233 über die Ergebnisse der Gespräche ins Bild gesetzt wurden,z34 In beiden Gremien überwog schließlich die Parteiräson,235 und - dies gilt sowohl rur die hier untersuchten finanzpolitischen Belange wie den Gesamtinhalt der Koalitionsvereinbarung - die Ergebnisse wurden, wenn auch widerwillig, akzeptiert. So gab der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und eDU-Vorsitzende Vogel im Vorstand zu Protokoll, daß er das Verhandlungsergebnis akzeptiere, er jedoch den Steuerbeschluß rur eine "zusätzliche Belastung" kommender LandtagswahIkämpfe halte. 236 Im Vorstand wurde zudem keine formale Abstimmung über die Koalitionsvereinbarung beantragt, sie wurde - von der geschilderten Protokollnotiz abgesehen - stillschweigend gebilligt. 237 Mit Norbert Blüm war zudem einer der Hauptkritiker der Senkung des Spitzensteuersatzes erst gar nicht zur Vorstandssitzung erschienen,z38 In der Unionsfraktion verweigerten einige Abgeordnete, so der Sozialexperte Heribert Scharrenbroich und der Mittelstandspolitiker Winfried Pinger, der Koalitionsvereinbarung die · 239 Z ustJmmung.

Zusammenfassung und Bewertung

- Zum zentralen Vorbereitungsgremium der Koalitionsverhandlungen wurde auf seiten der eDU das Präsidium. Hier wurden zwischen Regierungsvertretem (Kohl, Schäuble, Stoltenberg, B1üm), Unionsfraktion (Dregger) und den eDU-Ministerpräsidenten die Verhandlungspositionen diskutiert und die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation bestimmt. Das Parteigremium 233 Zur Sitzung der Unionsfraktion vgl. u. a. "Deutschland: Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23. 234 Kohl achtete entsprechend seiner oben beschriebenen Intention konsequent darauf, daß der Informations- und Einbindungsvorrang der Partei gegenüber der Fraktion in dieser Phase gewahrt blieb. 235 Den Akteuren ist dabei sehr wohl die negative politische Wirkung einer Ablehnung der in den Koalitionsverhandlungen getroffenen Vereinbarungen vor allem in der Öffentlichkeit - aber auch beim Koalitionspartner - bewußt. Vgl. dazu auch Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997; Wolfgang Ismayr: Parteien in Bundestag und Bundesregierung, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 400. 236 Die Position Vogels ist wiedergegeben in: "Steuern: Falsch eröffnet", in: Der Spiegel, Nr. 11,9.3.1987, S. 23. 237 Vgl. ebd. 238 Hinweise darauf ebd.; zu Blüms Bewertung der Koalitionsabsprachen vgl. Peter Gillies: Frohgemut ist meine Stimmungslage nicht. Welt-Interview mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, in: Die Welt, 26.2.1987; Klaus-Peter SchmidIRolf Zundel: 'Wir müssen sozial empfindlich bleiben'. Zeit-Gespräch mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, in: Die Zeit, 20.3.1987. 239 Angaben nach: "Deutschland: Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 21.

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Präsidium wurde in dreifacher Hinsicht zur CDU-internen Koordinationsstelle: a) Vor der Aufnahme der Koalitionsverhandlungen wurden hier erste Verhandlungslinien festgelegt, b) danach wurde hier über den Stand der Koalitionsverhandlungen regelmässig weiterberaten c) sowie der Meinungsaustausch zwischen tUhrenden CDU-Politikern kanalisiert. - Allerdings reduzierte Kohl in einem entscheidenden Moment der Koalitionsverhandlungen die Rolle des Präsidiums und setzte eigenmächtig den Neuzuschnitt der CDU-Verhandlungsdelegation durch. Nur in Begleitung Albrechts, Stoltenbergs und Schäubles verhandelte er mit den Koalitionspartnern die steuerpolitischen Details. Die Ergebnisse wurden danach - in dieser Reihenfolge - Präsidium, Vorstand und Unionsfraktion zur Billigung vorgelegt. Mit dieser Reihenfolge hatte Kohl zugleich den tUhrenden Fraktionsvertreter, Dregger, bereits frühzeitig in das Zustimmungsverfahren einbezogen. Dies stellte sicher, daß Dregger sich darum bemühen würde, daß auch die Gesamtfraktion sein im Präsidium und Vorstand abgegebenes zustimmendes Votum unterstreichen würde. - Au,f CDU-Seite waren mit Arbeitsminister Blüm und Bundesfinanzminister Sto)tenberg zwei zentrale und unmittelbar von den Folgewirkungen der Finanzreform betroffene Regierungsakteure mit unterschiedlichen Interessenprofilen eingebunden. Dies erleichterte die Verhandlungen nicht gerade. Denn Stoltenberg und im Grundsatz auch Blüm waren dabei weniger Parteivertreter als Sachwalter ihrer Ressortbedürfnisse. Stoltenberg versuchte, die künftigen Belastungen tUr die Bundeskasse gering zu halten, um den eingeschlagenen haushaltspolitischen Konsolidierungsprozeß nicht zu gefährden. Blüm strebte den Erhalt finanzpolitischer Spielräume tUr seine eigenen Reformpläne an. Hinzu kamen die Ministerpräsidenten, die vor allem ihr Überleben bei der nächsten Wahl im Auge hatten und dieses über sachpolitische Erwägungen stellten. Das Lager der CDU war damit in sich wieder in mehrere Teile gespalten. - Kohl agierte in den Koalitionsverhandlungen als CDU-Bundesvorsitzender und Bundeskanzler. Als Partei vorsitzender ließ er die Diskussionen in seiner Partei zunächst treiben, ohne tUr eine der streitenden Akteursgruppen Partei zu ergreifen. Dies tUhrte dazu, daß die CDU in den Koalitionsgesprächen nicht als einheitlicher Block auftrat, sondern zunächst mit unterschiedlichen Positionen in die Koalitionsverhandlungen ging. De facto verhandelten damit vier Akteursgruppen (zwei Lager der CDU sowie CSU und FDP) in den Koalitionsgesprächen. Als Bundeskanzler versuchte Kohl zu moderieren und einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Positionen der Koalitionspar-

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teien zu finden. Dabei mußte er in den Koalitionsverhandlungen stets abwägen zwischen den verschiedenen Interessenlagen in seiner Partei einerseits und den Interessen der Koalitionspartner andererseits. Hierbei kam ihm die Personalunion von Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzender entgegen. Mit seiner innerparteilichen Disziplinierungsgewalt als CDU-Parteivorsitzender beendete er den Streit zwischen den Akteuren im CDU-Präsidium, schloß konfliktorientierte Akteuere (Blüm, Geißler) von den weiteren Verhandlungen aus, forcierte die inhaltliche Einigung und sicherte damit den erfolgreichen Abschluß der finanzpolitischen Koalitionsverhandlungen und seine Wiederwahl als Bundeskanzler. Er instrumentalisierte je nach Situation die ihm aus dieser Personalunion erwachsenden machtpolitischen Möglichkeiten für den erfolgreichen Abschluß der Koalitionsverhandlungen. - Kohl ergriff deutlich erkennbar die inhaltliche Initiative erst, als von verschiedenen Seiten Verzögerungen bei seiner Wiederwahl als Kanzler angedroht (von der FDP) beziehungsweise seine Führungsstärke (von Strauß) angezweifelt wurde. Gleichzeitig instrumentalisierte er das von FDP-Vertretem formulierte Junktim von erfolgreichen finanzpolitischen Verhandlungen und Kanzlerwahl innerparteilich zur Disziplinierung der Kontrahenten. Durch seine verklausulierte Drohung, als Parteivorsitzender zurückzutreten, erhöhte er zusätzlich den Einigungsdruck in der CDU-Parteiführung. - Der finanzpolitische Sachverstand der Unionsfraktion wurde bei den Koalitionsgesprächen, im Gegensatz zur FDP-Fraktion, nicht miteinbezogen. Die Abgeordneten blieben von den Verhandlungen und Informationen über diese weitgehend abgekoppelt. Erst Anfang März erhielten sie die Koalitionsvereinbarungen vom ersten Parlamentarischen Geschäftsführer übermittelt. Eine knappe Aussprache fand schließlich erst unmittelbar vor der Kanzlerwahl statt. Die Unionsfraktion spielte damit in der Phase der Koalitionsverhandlungen im Akteursdreieck für den untersuchten Politikausschnitt keine Rolle. Dies hatte mehrere Ursachen. Einmal befand sich die Fraktion nach der Wahl im Konstituierungsprozeß. Allerdings ist dieser Aspekt eher nachrangig, weil der personelle Umbruch in den Führungspositionen gering war. Entscheidender war vielmehr, daß der Fraktionsvorsitzende Dregger kein finanzpolitischer Fachmann war und sich auch nicht für dieses Politikfeld interessierte. Seine Arbeitsschwerpunkte lagen im außen- und sicherheitspolitischen Bereich. Diese Gesamtkonstellation legt den Schluß nahe, daß die Fraktionsführung (Dregger) im Machtdreieck in dieser Situation über kein hohes Durchsetzungspotential verfügte und nicht die Machtposition hatte, finanzpolitische Kapazitäten der Fraktion in die Gespräche einbinden zu lassen. Umgekehrt ist aber auch zu berücksichtigen, daß vor allem die Position des Partei vorsitzenden in dieser Phase so stark war, daß er die Delegationszusammensetzung bestimmen und auch verändern konnte, ohne daß er machtgefahrdende Folgen hätte fürchten müssen. Insgesamt wurde klar, daß für Kohl die Koalitionsge11 Gros

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spräche Parteiveranstaltungen waren. Diesem Verständnis entsprechend wurden auf der Ebene der Parteiführungen und nicht der der Fraktionsführungen die Koalitiongespräche geführt und die Vereinbarungen getroffen.

3. Vorbereitung des Referentenentwurfs zum Steuerrejormgesetz 1990 1987 - Federführung des Bundesfinanzministers Drei Reformprogramme, darauf hatten sich die Unterhändler der Koalitionspartner während der Verhandlungen zur Regierungsbildung im Februar und März 1987 verständigt, sollten den Kern der politischen Arbeitsagenda der 11. Legislaturperiode bilden. Neben Renten- und Gesundheitsreform umfaßte der Zielkatalog die Fortschreibung der bereits in der 10. Legislaturperiode von der Bundesregierung begonnenen finanzpolitischen Reformmaßnahmen. 240 Zu letzteren sollte Bundesfinanzminister Stoltenberg bis zum Spätjahr 1987 einen Referentenentwurf vorlegen?41 Im Kontext des Untersuchungsansatzes dieser Arbeit wird anschließend für den Zeitraum zwischen Mitte Juni und Ende Oktober 1987 untersucht, - wie und in welcher Form die Akteure des Machtdreiecks in die Phase der Erarbeitung des Entwurfspapieres eingebunden waren und Politikgestaltung in einem Politikbereich erfolgte, für den es in den Koalitionsvereinbarungen keine beziehungsweise nur vage Vorgaben gab, - welche Techniken zur Absicherung der Vorschläge des Bundesfinanzministers im Akteursdreieck Anwendung fanden, - auf welchen Ebenen abschließende Beratungen über die Grunddaten des Reformpakets erfolgten und - wie die Akteure des Machtdreiecks auf die Abstimmungsprozesse auf Koalitionsebene Einfluß nehmen konnten? Folgende Untergliederung der Analyse wurde deshalb vorgenommen: - Stoltenbergs Rückversicherung in Unionsfraktion und CDU-Vorstand; - Unterstützung Stoltenbergs durch Kohl und Schäuble; - Ebenen der Beratung und Vorbereitung der Beschlußfassung.

240 Vgl. auch die vorhergehenden Kapitel. 24\ Zu den Unterschieden zwischen Referentenentwurf, Kabinettsvorlage und Regie-

rungsentwurf grundsätzlich: Ekkehard Handschuh: Gesetzgebung. Programm und Verfahren, in: Eckart Busch u. a.: Wegweiser Parlament. Ausgestaltung und Wirkung, Heidelberg/Hamburg 1983, S. 330-338.

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Stoltenbergs Rückversicherung in Unionsfraktion und CDU- Vorstand Ausgangspunkt und Grundlage für die Erarbeitung eine Entwurfes zum SteuerreJormgesetz 1990 bildete die Koalitionsvereinbarung der Regierungspartner vom März 1987. Die dabei getroffene Vereinbarung - Steuererleichterungen im Bereich der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer in Höhe von mindestens 40 Mrd. DM, Abbau von Steuersubventionen, Netto-Entlastung der Steuerzahler von 25 Mrd. DM 242 - bildeten den Nukleus, um den Stoltenberg seinen Refonnvorschlag konstruieren sollte. Seine Hauptaufgabe bestand darin, ein Finanzierungs- und Streichungskonzept zur Realisierung der genannten Vorgaben zu erstellen. Den Finanzierungsaspekt hatte man nämlich während der Koalitionsverhandlungen offengelassen. Erste Impressionen seiner Refonnabsichten und -grundsätze gab Stoltenberg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Sitzung am 16. Juni 1987. 243 Er stellte nicht nur den Arbeitszeitplan, nach dem die Entscheidung über die Finanzierung der Steuerrefonn vor Weihnachten fallen sollte,244 vor, sondern kündigte auch an, daß trotz der verschlechterten Konjunkturlage und der rückläufigen Einnahmen der öffentlichen Haushalte das im Frühjahr vereinbarte Volumen der Steuerrefonn beibehalten werden sollte. Allerdings machte er prophylaktisch klar, daß die Steuerrefonn nur bei strikter Ausgabendisziplin verwirklichbar sei. Dazu sei es notwendig, viele "Wünsche" zurückzustellen. 245 Stoltenbergs Pläne fanden die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion?46 Der Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, Reinhard Meyer zu Bentrup, unterstützte nachdrücklich Stoltenbergs Ansatz der Ausgabendisziplin und schloß sich dem Appell des Bundesfinanzministers an, "keine ausufernden 242 Vgl. zu den Koalitionsvereinbarungen den Brief von Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 6.3.1987, Anlage 2a (Dokument aus privatem Aktenbestand). 243 Dazu und zum folgenden vgl. "Regierungskoalition bekräftigt Stoltenbergs Steuerreformpläne", in: Bonner General-Anzeiger, 19.6.1987. 244 Wenige Tage später gab Kohl nach der Klausurtagung des CDU-Vorstandes die Sprachregelung aus, nach der das Konzept "im Herbst" vorliegen solle. Stoltenberg übernahm diese Wortwahl im weiteren Verlauf. Hintergrund für Kohls Terminierung bildete wohl der für den 9.11.1987 geplante CDU-Bundesparteitag, bis zu dem Kohl die Steuerdebatte beendet haben wollte. Zu Kohls Terminvorgabe und der Übernahme durch Stoltenberg vgl. u. a. "Kohl: Die Regierung steht zu Gerhard Stoltenberg", in: Handelsblatt, 22.6.1987; Manfred SchelllHans-Jürgen Mahnke: Als Finanzminister steht man im Feuer. Wer das nicht will, ist kaum geeignet, in: Die Welt, 27.6.1987. 245 Diese kryptische Andeutung erläuterte er nicht näher. Aber die Stoßrichtung war unausgesprochen klar. Zum einen zielte er auf Begehrlichkeiten vor allem der finanzschwächeren Bundesländer nach Zuschüssen aus der Bundeskasse, zum anderen war dies auch ein Signal an die Sozialpolitiker in Fraktion, Partei und Regierung, daß der finanzielle Spielraum im Hinblick auf Renten- und Gesundheitsreform gering war. 246 Vgl. dazu und dem nachfolgenden "Regierungskoalition bekräftigt Stoltenbergs Steuerreformpläne", in: Bonner General-Anzeiger, 19.6.1987.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Diskussionen" über den Abbau oder Nicht-Abbau von Subventionen zu führen, bis das Konzept des Bundesfinanzministeriums vorliege. 247 Weniger eindeutig war allerdings die Resonanz auf Stoltenbergs erste Reformskizzen in der CDU-Führung, die er dem CDU-Vorstand während einer Klausurtagung nur einen Tag nach der Präsentation in der CDU/CSUBundestagsfraktion vorstellte. Kritik an den Plänen des Bundesfinanzrninisters gab es in erster Linie von den niedersächsischen und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Albrecht und Späth. Albrecht forderte im Rahmen der Steuerreform eine Neuregelung des Länderfinanzausgleichs248 und eine klare Aussage zu den geplanten Subventionsstreichungen. Späth hatte angesichts abnehmender Steuereinnahmen249 deutliche Zweifel am Inkrafttreten der Steuerreform zum I. Januar 1990 und ihrem geplanten Entlastungsvolumen von weit über 40 Mrd. DM angemeldet. 250 Beide Ministerpräsidenten hatten dabei vor allem die Finanzen ihres eigenen Bundeslandes im Auge.25\ Allerdings fand insbesondere die Position von Späth im CDU-Bundesvorstand keinen Rückhalt. Trotz dieser Einwände wurden die Pläne der Bundesregierung mehrheitlich vom CDU-Vorstand bestätigt. Dies entsprach der Erwartungshaltung des Bundesvorsitzenden, der an die Parteifreunde appelliert hatte, "freundschaftlich zusammenzustehen in der Erkenntnis, daß man nur gemeinsam gewinnen oder verlieren werde,,252. Gleichzeitig stellte er sich vor Stoltenberg und machte deutlich, daß die Steuerreform "Sache der ganzen Bundesregierung und des

247 Offensichtlich wollte Stoltenberg vermeiden, daß ihm durch die öffentliche Diskussion einzelner Subventionen, losgelöst vom Kontext des Refomkonzepts, von vornherein die Erarbeitung eines Gesamtkonzepts erschwert würde. 248 Zu den Hintergründen Renzsch: Föderale Finanzbeziehungen im Parteien staat, S. 337-340; Herman Rudolph: Veraltet und ungerecht? Das Bundesverfassungsgericht muß den Streit um den Länderfinanzausgleich schlichten, in: Die Zeit, 6.12.1985; Christine Landfried: Die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes im Finanzstreit zwischen Bund und Ländern, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bunderepublik. Bd. 4: Finanz- und wirtschaftspolitische Bestimmungsfaktoren des Regierens im Bundesstaat - unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vereinigungsprozesses, Opladen 1992, S. 133-142. 249 Vgl. dazu auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Vorrang für die Wachstumspolitik. lahresgutachten 1987/88, StuttgartlMainz 1987. 250 Zur Kritik Albrechts und Späths in der Vorstandssitzung vgl. "Kohl hält an Steuerreform fest - Späth bleibt bei Kritik", in: Stuttgarter Zeitung, 20.6.1987; HansHenning Zencke: Kein Sommertheater, in: Westfälische Nachrichten, 20.6.1987; "Kohl: Die Regierung steht zu Gerhard Stoltenberg", in: Handelsblatt, 22.6.1987; RolfDietrich Schwartz: Steuerreform bleibt heftig umstritten, in: FR, 23.6.1987. 251 Vgl. dazu auch Renzsch: Föderale Finanzbeziehungen, S. 337-340. 252 So Kohl wiedergegeben in: Hans-Henning Zencke: Kein Sommertheatet, in: Westfälische Nachrichten, 20.6.1987.

I. Finanzpolitik

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Bundeskanzlers [ist/d. Verf.] - damit die Verantwortlichkeit klar ist.,,253 Dies war ein deutlicher Hinweis an die "Stabsoffiziere,,254 in der CDU, daß der Parteivorsitzende loyale Unterstützung des Reformvorhabens insbesondere aus den eigenen Reihen einforderte. Späths Kritik an den Steuerreformplänen255 war schließlich auch Gegenstand einer am Abend des 22. Juni routinemäßig stattfindenden Sitzung der badenwürttembergischen Landesgruppe. Man hatte angesichts des schon länger angespannten Verhältnisses zwischen dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden und der Landesgruppe Späth zur Aussprache eingeladen. In diesem Rahmen kamen auch Späths Forderungen nach Überprüfung von Zeitpunkt des Inkrafttretens und Volumen der Steuerreform zur Sprache und wurden von den baden-württembergischen Abgeordneten scharf kritisiert. 256 Auch hier war das Signal an Späth deutlich. Die Bundestagsabgeordneten aus dem südwestdeutschen Bundesland waren keineswegs gewillt, seine Positionen mitzutragen und tUr diese in der CDU/CSU-Fraktion zu werben. Entsprechend der in der vorhergehenden Woche Stoltenberg von der Gesamtfraktion zugesagten Unterstützung traten sie gegenüber Späth tUr die Pla. . 257 nungen der Bun desreglerung em. Insgesamt gesehen hatten sowohl CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch CDU-Führung der Bundesregierung ihre Unterstützung tUr die Steuerreform vor der parlamentarischen Sommerpause mehrheitlich deutlich zum Ausdruck gebracht. Damit war ein Vertrauensvorschuß gewährt, auf dessen Basis während der Sommermonate im Bundesfinanzministerium möglichst ungestört erste Überlegungen zur inhaltlichen Ausgestaltung der Steuerreform und ihrer 253 Kohl zitiert nach: "Kohl: Die Regierung steht zu Gerhard Stoltenberg, in: Handelsblatt, 22.6.1987. 254 Kohl meinte damit die opponierenden CDU-Ministerpräsidenten. Kohl zitiert nach: Hans-Henning Zencke: Kein Sommertheater, in: Westfälische Nachrichten, 20.6.1987. 255 Vgl. dazu das Interview mit Späth "Wir müssen die Steuerreform neu überlegen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 8.6.1987, S. 21-24; ergänzend "Feine Sache", in: Der Spiegel, Nr. 25, 15.6.1987, S. 21 f. 256 Die Auseinandersetzung fand in angespannter Atmosphäre statt. Diese war neben inhaltlicher Kontroversen auch dadurch entstanden, daß Späth mit einer Verspätung von 45 Minuten eintraf und damit die Zeit für die geplante Aussprache deutlich verkürzte. Vgl. "Harte Kritik an Späth in der Landesgruppe", in: Stuttgarter Zeitung, 24.6.1987. 257 Inwieweit die Kritik an Späth aus dem Bundeskanzleramt forciert wurde, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß Hans-Peter Repnik, der Vorsitzende der baden-württembergischen Landesgruppe, ein alter Jogginggefährte und Vertrauter von Schäuble war. Damit bestand für Kohl über die Achse Schäuble-Repnik eine direkte Verbindung in die badenwürttembergische Landesgruppe. Dieser gehörte im übrigen mit Anton Pfeifer ein unmittelbarer Kohl-Vertrauter an. Zur Beziehung Repnik-Schäuble vgl. Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 80.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Finanzierung angestellt werden konnten. Vorrangig war dabei die Sicherung der Finanzierung der Reformmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund ließ Stoltenberg mehr als 150 bestehende Steuervergünstigungen und staatliche Subventionen und die Möglichkeit ihrer Streichung überprüfen. In einem engen Mitarbeiterkreis 258 des Bundesfinanzministers wurde dazu eine erste Streichliste bestehender Steuervergünstigungen und Subventionen zusammengestellt. Dies geschah unter strenger Geheimhaltung. Die beteiligten Beamten259 wurden mitunter von Stoltenberg per Handschlag auf Stillschweigen verpflichtet. 260 Zusätzlich zu den haus internen Arbeitsrunden hatte Stoltenberg bereits im Sommer ein informelles Abstimmungsgremium etabliert/61 dem neben dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Häfele, die Finanzexperten der Regierungsfraktionen, Meyer zu Bentrup (CDU), Glos (CSU) sowie Gattermann und Solms (beide FDP) angehörten. 262 In dieser Runde wurden die für Oktober anstehenden Koalitionsgespräche fachlich mitvorbereitet und den Fraktionsvertretern Gelegenheit gegeben, die Interessen ihrer Fraktion mit in das Eckwertekonzept Stoltenbergs einzubringen beziehungsweise mit den Vorstellungen im Bundesfinanzministerium zu koordinieren und so bereits im Vorfeld parlamentarischer Beratungen mögliche finanzpolitische Minenfelder zwischen den Regierungsfraktionen auszuräumen,z63 Stoltenberg hatte Wert darauf gelegt, daß die Koalitionsgespräche auf der Basis eines Vorschlags und nicht auf der Grundlage verschiedener Papiere aus den Fraktionen und dem Bundesfinanz-

258 Dazu zählten die Staatssekretäre Häfele und Tietmeyer sowie die Abteilungsleiter Schmidt-Bleibtreu (Abteilungs leiter V und zuständig für "Finanzbeziehungen zu der EG, den Ländern und Gemeinden, internationale Finanzfragen, Staatsrecht") und Uelner (Abteilungsleiter IV und zuständig für "Besitz- und Verkehrssteuern"). Auch mit den Staatssekretären Obert und Voss arbeitete Stoltenberg eng zusammen. Vgl. dazu Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 259 Vgl. dazu auch die Darstellung in: "Stoltenbergs Wundertüte ist leer", in: Der Spiegel, Nr. 18, 2.5.1988, S. 24-32. 260 Zur Geheimhaltung im BMF vgl. auch "Geht so raus", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 105 f. 261 Zur Bedeutung derartiger Koalitionsarbeitsgruppen für den politischen Entscheidungsprozeß vgl. grundsätzlich Philip Manow: Informalisierung und Partei politisierung - Zum Wandel exekutiver Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik, in: Zeitschrift fürParlamentsfragen, H. I, 1996, S. 96-107. 262 Angaben nach Stoltenberg: Wendepunkte, S. 299; Klaus-Peter Schrnid: Allen Schwüren zum Trotz, in: Die Zeit, 16.10.1987 Während nach Angaben von Heck u. a. im Oktober verschiedentlich auch der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Karl-Heinz Spilker (CSU), in die informelle Abstimmungsrunde involviert war, konnte sich Stoltenberg daran nicht erinnern. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997; Heinz Heck: Stoltenberg will 15 Milliarden Steuervergünstigungen sparen, in: Die Welt, 9.10.1987; "Bonn will Zinseinkommen 'an der Quelle' abschöpfen", in: FAZ, 10.10.1987. 263 Vgl. dazu Klaus-Peter Schmid: Allen Schwüren zum Trotz, in: Die Zeit, 16.10.1987.

I. Finanzpolitik

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ministerium gefiihrt wurden?64 Daneben fanden - ebenfalls informell - verschiedene Sondierungsgespräche Stoltenbergs mit den Ministerpräsidenten der CDU-regierten Bundesländer statt, um Meinungsklima sowie Akzeptanz des möglichen Finanzkonzepts und der Subventionsstreichungen auszutesten und bei widerstreitenden Ansichten möglichst frühzeitig nach Kompromißformeln zu suchen?65

Unterstützung Stoltenbergs durch Kohl und Schäuble

Stoltenberg konnte dabei bis zur Vorlage der Arbeitsergebnisse mit der politischen Unterstützung des Kanzleramtes operieren. 266 Dies wurde vor allem dann deutlich, als im Herbst der baden-württembergische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Späth - unterstützt vom Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Rommel - über die Medien seine Bedenken und Mahnungen vom Sommer bezüglich der Steuerreform wiederholte,z67 der Deutsche Städtetag Befürchtungen über die finanziellen Auswirkungen der Reform auf die künftige Finanzlage der Kommunen ventilierte 268 und die SPD in Bund und Ländern ohne Kenntnis der Reformdetails der Regierung finanzpolitische "Orientierungslosigkeit" vorwarf. 269 Ohne daß sie unmittelbar und explizit auf diese Bedenken und Kritik reagiert hatten und eingegangen waren, signalisierten dennoch sowohl Kohl als auch Schäuble in Redebeiträgen während VeranstaltunSo Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. Dazu auch ,,'Ihr dürft nicht daran rütteln''', in: Der Spiegel, Nr. 43, 19.10.1987, S. 46-59. Allerdings wurden sie nicht in Details der Planungen im BMF eingeweiht. Die Gefahr von Indiskretionen schien Stoltenberg zu groß. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 266 Vor diesem Hintergrund konnte er auch Forderungen von Blüm und des wirtschaftspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Wissmann, nach Beibehaltung der Weihnachts- und Arbeitnehmerfreibeträge kühl als "persönliche Überlegungen", die ohne Bindekraft für den Bundesfinanzminister seien, abtun. Vgl. "Stoltenberg kündigt starke Kürzungen von Steuervorteilen an", in: Hannoversche Allgemeine, 5.8.1987. 267 Vgl. zur Position Späths Manfred SchelllHarald Günter: Wie wollen wir eigentlich die Steuerreform bezahlen?, in: Die Welt, 26.9.1987; "Späth warnt FDP: Keine Politik zu Unions-Lasten", in: Die Welt, 26.9.1987; zu Rommel vgl. Interview mit Manfred Rommel, in: Bild-Zeitung, 25.9.1987; "Steuerreform bleibt heftig umstritten", in: SZ, 26.9.1987. Eine zu Rommel gegensätzliche Position vertrat sein Bonner Amtskollege und CDU-Bundestagsabgeordnete Hans Daniels. Vgl. Hartwig Greunke: Weniger Steuern nur bei weniger Vergünstigungen, in: Bonner General-Anzeiger, 8.10.1987. 268 Nach den Berechnungen des Deutschen Städtetages würden den Kommunen durch das Reformvorhaben Steuermindereinnahmen von ca. 10 Mrd. DM entstehen. Vgl. dazu Klaus-Peter Schmid: Wachsender Widerstand, in: Die Zeit, 2.10.1987. 269 So der SPD-Finanzexperte im Deutschen Bundestag, vgl. "Steuerreform bleibt im Kreuzfeuer", in: SZ, 28.9.1987; "Steuerreform bleibt heftig umstritten", in: SZ, 26.9.1987. 264 265

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

gen mit hoher Medienpräsenz und Informationsmultiplikation an die Adresse der Bedenkenträger, daß die Eckdaten der Steuerreform unverrückbar seien?70 Damit stützten sie öffentlich zugleich den angesichts der politischen Entwicklung in Schleswig-Holstein unter zusätzlichen Druck geratenen Bundesfinanzrninister,27I zeigten aber auch den Koalitionspartnern in CSU und vor allem in der FDP, daß die CDU und die von Kohl gefiihrte Bundesregierung weiter am Steuerfahrplan festhalten würde. Standfestigkeit sollte bewiesen werden. Keinesfalls sollte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, daß mit der Steuerreform eines der drei zentralen Reformvorhaben 272 der laufenden Legislaturperiode verschoben oder nur in abgespeckter Version realisiert würde. 273 Kohl und Schäuble traten zugleich in ihren Reden unisono Befiirchtungen entgegen, nach denen mit der Steuerreform ein Subventionskahlschlag einhergehen werde. So hatte Schäuble in seinem Vortrag seine Skepsis gegenüber "Konzepten, die in einem raschen Kahlschlag bei den vielgescholtenen Subventionen ein nicht nur finanzpolitisches Allheilmittel sehen,,274, zum Ausdruck gebracht. Er entsprach damit ganz der von Kohl in seinem eigenen Redebeitrag vor der Bundeskonferenz Junger Unternehmer vermittelten politischen Intention. Der Regierungschef sowie der Minister fiir besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt machten deutlich, daß keine grundsätzliche ordnungspolitische Neuausrichtung beabsichtigt sei und auch in Zukunft notwendige wirtschaftli-

270 Kohl sprach arn 26.9.1987 vor der Bundeskonferenz Junger Unternehmer, Schäuble vor dem Unternehmer-Tag Ostwestfalen-Lippe. Vgl. dazu und zum nachfolgenden "Arbeit morgen - Gemeinschaftsaufgabe heute. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt auf der Bundeskonferenz der Wirtschaftsjunioren arn 26. September 1987 folgende Rede", in: Bulletin, Nr. 97, 1.10.1987, S. 829-834; "Steuerreform bleibt im Kreuzfeuer", in: SZ, 28.9.1987; ,,'Reform wird wie geplant verwirklicht"', in: Handelsblatt, 28.9.1987. 271 Neben der Ausarbeitung von Details der Steuerreform mußte der schleswigholsteinische Landesvorsitzende in Kiel auch politisches Krisenmanagement angesichts der um Barschel entstandenen Turbulenzen betreiben. Unmittelbar vor der schleswigholsteinischen Landtagswahl waren die Verwicklungen um Barschel in die Bespitzelung des SPD-Spitzenkandidaten bekannt geworden. Am 25.9.1987 hatte der schleswigholsteinische Ministerpräsident schließlich seinen Rücktritt angekündigt. 272 Den Stellenwert der Steuerreform im Legislaturprogramm der Bundesregierung betonte Kohl nochmals zusätzlich vor dem CDU-Parteitag in Bonn: "Wirtschaftspolitisches Kernstück dieser Legislaturperiode ist die große Steuerreform; sie ist wegweisend. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik ist etwas Vergleichbares unternommen worden." CDU-Bundesgeschäftsstelle: Protokoll. 35. Bundesparteitag. 9. November 1987. Bonn 0.1., S. 29. 273 In einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger bekräftigte Kohl dies nachdrücklich. Vgl. "Wer sich für unfehlbar hält, ist unglaubwürdig. Interview des General-Anzeigers mit Bundeskanzler Helmut Kohl - Bilanz einer fünfjährigen Amtszeit", in: Bonner General-Anzeiger, 1.10.1987. 274 Schäuble zitiert nach: "Steuerreform bleibt im Kreuzfeuer", in: SZ, 28.9.1987.

I. Finanzpolitik

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che Umstrukturierungen durch Subventionen abgefedert würden. 275 Mit der Integration dieser steuerpolitischen Aspekte in ihre Reden zielten Kohl und Schäuble auf eine Beruhigung der Diskussionslage. Dennoch gerieten die Vorarbeiten Stoltenbergs im Bundesfinanzministerium Ende September zunehmend unter Druck. Nachdem das Thema "Steuerreform" zunächst vom Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland und dem Streit zwischen Bonn und München um den Abbau von Pershing lA-Raketen sowie der daraus resultierenden Koalitionskrise überlagert worden war,276 rückte es danach wieder zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung. Auch aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden allmählich Ergebnisse gefordert. 277 Insgesamt bestand die Gefahr, daß mit einer verzögerten Vorlage des Konzeptes zur Finanzierung der Steuerreform die für die Mehrheit der Bevölkerung positiven Aspekte - Senkung der Spitzen- und Eingangssteuersätze bei Lohn- und Einkommensteuer278 - durch die Diskussion um Subventionskürzungen und die Aufhebung von Steuervergünstigungen überlagert und somit der Glanz dieses großen Reformprojektes und die von den Regierungsparteien beabsichtigte Wählerwirkung verbraucht würde. 279

Ebenen der Beratung und Vorbereitung der Beschlußfassung

In der zweiten Oktoberwoche legte Stoltenberg schließlich das angekündigte Konzept vor, dessen zentrales Element die vom politischen Bonn erwarteten Vorschläge zum Subventionsabbau waren. Unmittelbar vor der Einspeisung seiner Vorschläge in den Entscheidungsprozeß der Koalitionsrunde hatte sich Stoltenberg ein letztes Mal mit den Finanzexperten der Fraktion abgestimmt. Dabei konnten diese den Bundesfinanzminister überzeugen, zunächst auf die 275 Daß sie dies in dieser Form betonten, zeigt, daß sie über die Arbeit des Bundesfinanzministeriums in jener Phase informiert waren. Bestätigend Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 276 Zum weltpolitischen Hintergrund vgl. Gregor Schöllgen: Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941-1991, München 1996, S. 401 f.; zum Bonner Streit vgl. Horst SteinlUlrich Reitz: ... wenn man nur mal mit Franz losef telefoniert hätte, in: Die Welt, 2.9.1987. 277 Vgl. Klaus GöppertiWilfried Herz/Roland Tichy: Stoltenberg unter Druck, in: Wirtschaftswoche, Nr. 14,2.10.1987, S. 14-20. 278 Dies stand immerhin schon seit Abschluß der Koalitionsverhandlungen im März fest. Nicht zuletzt dies veranlaßte den stellvertretenden CSU-Generalsekretär Huber, ein Sprachrohr von Strauß, zur massiven Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesfinanzministeriums. Vgl. Peter Schmalz: CSU fordert weiteres Gespräch über Steuern, in: Die Welt, 28.10.1987. 279 Ähnlich argumentierte auch die niedersächsische Finanzministerin Breuel. Ihre Position ist wiedergegeben in: Hartwig Greunke: Weniger Steuern nur bei weniger Vergünstigungen, in: Bonner General-Anzeiger, 8.10.1987.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Erhöhung von Verbrauchssteuern zur Finanzierung der Steuerrefonn zu verzichten. 28o Damit war den Finanzfachleuten der Regierungsfraktionen unmittelbar vor der Behandlung der Steuerrefonn auf Chefebene eine letzte Gelegenheit zur Einflußnahme auf das Gesamtkonzept gegeben. 28l Diese Verfahrensweise brachte zwei Vorteile mit sich. Zum einen bestand so die Möglichkeit, die größten Hindernisse bereits vor dem Treffen der Spitzenpolitiker zu beseitigen, damit sich diese auf die Aushandlung grundsätzlicher Essentials beschränken konnten. Zum anderen verschaffte sich Stoltenberg durch die Abstimmung mit den Finanzexperten der Fraktion Rückhalt für die Verhandlungen im Kreis der Koalitionsspitzen, indem er bei möglicher Kritik an seinem Konzept darauf verweisen konnte, daß seine Vorschläge die Unterstützung der Finanzfachleute aus den Koalitionsfraktionen fanden. Auf der Basis der Ausarbeitungen des Bundesfinanzministers mit den genannten Parlamentariern erfolgte im Regierungslager ein drei stufiger Diskussions-, Infonnations- und Entscheidungsprozeß. Er umfaßte - in dieser Reihenfolge - die Koalitions-, die CDU-Führungsebene sowie die Unionsfraktion.

Koalitionsebene In zwei Runden wurde auf der Ebene der Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Finanzexperten am 8. und 10. Oktober zwischen den Koalitionspartnern um die Eckwerte des Konzeptes gerungen. 282 Den grundsätzlichen Zeitrahmen hatte dabei Kohl vorgegeben. Sein Ziel war es, die Ergebnisse der Koalitionsrunde noch vor dem CDU-Parteitag am 9. November 1987 von den Regierungsfraktionen billigen zu lassen. Die Regierung sollte Handlungsfähigkeit beweisen. Nachdem sich aber bereits während der ersten Runde ein hoher Konsens stand zwischen den Verhandlungsdelegationen abgezeichnet hatte, forcierte er den Einigungsdruck in der zweiten Runde am Vonnittag des 10. Oktober dadurch, daß er bereits für den Nachmittag sowohl die Mitglieder des CDUPräsidiums als auch die CDU-Ministerpräsidenten nach Bonn bestellt hatte, um ihnen die Arbeitsergebnisse mitzuteilen.

280 Vgl. "Stoltenberg verzichtet auf höhere Verbrauchssteuern" , in: Bremer Nachrichten, 8.10.1987; "Koalition gegen höhere Verbrauchssteuern", in: Stuttgarter Nachrichten, 8.10.1987; Heinz Heck: Stoltenberg will 15 Milliarden Steuervergünstigungen sparen, in: Die Welt, 9.10.1987. 281 Auch vor dem zweiten Treffen auf der Ebene der Spitzenpolitiker der Koalitionsparteien am 10.10.1987 stimmte sich Stoltenberg mit den Finanzexperten der Fraktionen ab. Vgl. "Bonn will Zinseinkommen an der Quelle abschöpfen", in: FAZ, 10.10.1987. 282 Zu Kohls Überlegungen Heinz Heck: Stoltenberg will 15 Milliarden Steuervergünstigungen sparen, in: Die Welt, 9.10.1987; ergänzend auch der nächste Abschnitt.

1. Finanzpolitik

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Auf der Koalitionsebene wurde über die Reformeckwerte vorentscheidend beschlossen?83 Die "Zwölferrunde" war paritätisch besetzt. 284 Für die CDU nahmen der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Kohl, Kanzleramtsminister Schäuble285 sowie der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dregger, teil. 286 Hinzu kam Stoltenberg. Er war zwar formal auch dieser Delegation zuzuordnen. Dadurch, daß er jedoch neben dem politisch Wünschbaren stärker als alle anderen auch an dem finanzpolitisch Machbaren orientiert war, nahm er in dieser Runde eher die Position des technokratisch ausgerichteten Informationslieferanten ein. 287 Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Waigel, war über die CSU-Delegation ebenfalls an den Verhandlungen beteiligt. 288 Offenbar hatte vor allem Kohl nach den Erfahrungen während der Koalitionsverhandlungen Wert darauf gelegt, daß die Diskussion über das Steuerkonzept in kleiner Runde stattfand?89 Durch die verringerte Teilnehmerzahl war zum einen die Geheimhaltung des Gesprächsstandes beziehungsweise Verhandlungsergebnisses eher gewährleistet. Wichtiger noch aber war, daß es so gelang, die bereits während der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr in ihrer sozialpolitischen Kompromißlosigkeit als "trouble-maker" aufgefallenen Blüm und Geißler von den Gesprächen femzuhalten. Damit waren, wie bereits im Frühjahr, zwei zentrale Regierungs- und Parteiakteure von den Gesprächen ausge-

283 Zu den Themendetails der beiden Verhandlungsrunden vgl. "Stoltenberg will Steuervergünstigungen streichen", in: SZ, 9.10.1987; "Bonn will Zinseinkommen 'an der Quelle' abschöpfen", in: FAZ, 10.10.1987; "Stoltenberg: Steuerreform belastet alle gleich", in: SZ, 12.10.1987. 284 Nachstehende Personenangaben bestätigte Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. Der ansonsten an Koalitionsgesprächen beteiligte erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Seiters, nahm aus Paritätsgründen, an dieser Runde nicht teil. 285 Er übernahm zugleich die Funktion des Notetakers in der Koalitionsrunde. 286 Diese und nachfolgende Angaben zur Teilnehmerrunde nach "Stoltenberg will Steuervergünstigungen streichen", in: SZ, 9.10.1987. 287 Schmid bezeichnet Stoltenberg als "Sprachrohr seiner Beamten". Vgl. KlausPeter Schmid: Allen Schwüren zum Trotz, in: Die Zeit, 16.10.1987. 288 Zur CSU-Delegation gehörten neben Waigel Strauß, Streibl und Tandler. Für die FDP verhandelten Bangemann, Mischnick, Graf Lambsdorff und Gattermann. Vgl. "Stoltenberg will Steuervergünstigungen streichen", in: SZ, 9.10.1987; bestätigend auch Rolf-Dietrich Schwartz: Koalition sucht nach Geld für Steuerreform, in: FR, 9.10.1987. 289 Die begrenzte Teilnehmerzahl hatte zur Folge, daß die in die Vorbereitungen involvierten Finanzexperten der Unionsfraktion, Meyer zu Bentrup (CDU) und Glos (CSU), nicht an den Verhandlungen beteiligt waren. Während für Meyer zu Bentrup in der CDU-Delegation aufgrund der Teilnahme Schäubles als Finanzexperten und Vertrauten Kohls und der obligatorischen Einbindung des Fraktionsvorsitzenden kein Platz mehr war, klingen bei Schwartz in bezug auf Glos' Nichtteilnahme fachliche Defizite an. Vgl. Rolf-Dietrich Schwartz: In des Kanzlers Elferrat fehlen die sozialen Narren, in: FR, 9.10.1987.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

grenzt?90 Die Einheit und damit die Verhandlungsstärke der CDU-Delegation wurde durch Bedenkenträger in den eigenen Reihen nicht gefährdet. Kohl und Schäuble zogen an einem Strang. Stoltenberg artikulierte vorrangig sachorientierte Problem lagen haushalts- und verfassungsrechtlicher Natur. Von Dregger waren keine größeren Interventionen zu erwarten, schon allein deshalb, weil er alles andere als ein Finanzfachmann war. Gleichzeitig war über die Teilnahme Dreggers - zumindest nominell - die Unionsfraktion mit ihrem höchstrangigen Akteur in der Koalitionsrunde vertreten.

Parteiebene Bereits nach Beendigung des ersten Treffens der "Zwölferrunde" am 8. Oktober hatte Kohl für den Nachmittag des folgenden Samstags das Präsidium der CDU und die CDU-Ministerpräsidenten zur Sitzung nach Bonn eingeladen. Er setzte damit die von Stoltenberg schon im Vorfeld angewandte Strategie fort, vor allem die Ministerpräsidenten über die aktuellen Entwicklungen in bezug auf die Steuerreform möglichst frühzeitig zu informieren. 291 Im Gegensatz zur bayerischen Landesregierung hatten die CDU-Ministerpräsidenten dadurch, daß sie nicht der CDU-Verhandlungsdelegation angehört hatten, zunächst keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gespräche. Im Rahmen der Präsidiumssitzung wurden zugleich auch zentrale Regierungs- (Blüm) und Parteiakteure (Geißler) über die Verhandlungsergebnisse sowie Vereinbarungen mit FDP und CSU informiert. Diese wurden von Kohl und Stoltenberg vorgestellt und mehrheitlich vom Präsidium ohne nennenswerte Einsprüche gebilligt. Zwar hatte wohl Späth Vorbehalte gegenüber der vorgesehenen Teilbesteuerung des Arbeitnehmervorteils beim Kauf von "Jahreswagen,,292 und der geplanten verstärkten Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen geltend 290 Entsprechend argwöhnisch beobachtete man sowohl in Geißlers Umgebung im Konrad-Adenauer-Haus als auch auf seiten des Arbeitnehmerflügels der CDU die Verhandlungen. Dazu Rolf-Dietrich Schwartz: In des Kanzlers Elferrat fehlen die sozialen Narren, in: FR, 9.10.1987. 291 Damit wurde der faktischen Macht der CDU-Bundesländer im Bundesrat Rechnung getragen. Daß die CDU-Ministerpräsidenten nicht zwangsläufig loyal zur Regierungspolitik standen und sich ihrer Machtposition bewußt waren, hatte sich u. a. im Sommer gezeigt, als Albrecht im Bundesrat am 10.7.1987 Steuersenkungen, die für 1988 vorgesehen waren, erst zustimmte, als ihm von Stoltenberg Ausgleichszahlungen im Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs zugesagt worden waren. Zu den Hintergründen "Kohl hält an Steuerreforrn fest - Späth bleibt bei Kritik", in: Stuttgarter Zeitung, 20.6.1987; "Albrecht stimmt Steuersenkungen in Bonn zu", in: Hannoversche Allgemeine, 11. 7.1987. 292 Dies hätte den Automobilstandort Baden-Württemberg besonders getroffen. Wenige Monate vor der baden-württembergischen Landtagswahl wollte Späth jedoch alles vermeiden, was den Unmut v. a. der Mercedes-Benz-Mitarbeiter provoziert hätte.

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gemacht, aber gleichzeitig auch zugestanden, daß mit dem zum Subventionsabbau vorgelegten Konzept wesentliche Fortschritte erreicht worden seien. 293 Erst nachdem die CDU-Führung und die CDU-Ministerpräsidenten ihr zustimmendes Votum abgegeben hatten, präsentierte Stoltenberg die Grundzüge der Steuerreform am Vormittag des 11. Oktobers - einem Sonntag - in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit. 294

Fraktionsebene Obgleich Stoltenberg die führenden Finanzpolitiker der CDU/CSU-Bundestags fraktion Glos und Meyer zu Bentrup - sowie die der FDP-Bundestagsfrakti on - informell frühzeitig mit in die Reformüberlegungen seines Ministeriums einbezogen hatte, blieb die Regierungsfraktion von Informationen über die Planungen bis Oktober weitgehend uninformiert. Weder Stoltenberg noch die involvierten Abgeordneten hatten detaillierte Informationen an die Fraktionen weitergegeben. 295 Die von Stoltenberg verordnete strenge Geheimhaltung hatte funktioniert?96 Auch nachdem das Gesamtkonzept und die Finanzierung der Steuerreform im Bundesfinanzministerium fertiggestellt worden waren und zur Präsentation in der Koalitionsrunde vorlagen, blieben Stoltenbergs Mitteilungen an die Unionsfraktion kryptisch. In der Fraktionssitzung vom 6. Oktober beschränkte sich der Bundesfmanzminister auf die Ankündigung, daß er seine Ausarbeitungen zur Steuerreform nunmehr den "Entscheidungsträgem,,297 vorlegen könne. Mit dem Begriff der "Entscheidungsträger" meinte er die in der Koalitionsrunde versammelten Spitzenpolitiker. Nach seiner Definition zählten die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ihre Mitglieder offensichtlich nicht dazu. Kaum offensiver war seine Informationspolitik in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Woche später am 13. Oktober. Im wesentlichen beschränkte er sich darauf, die Inhalte und Ergebnisse, auf die man sich in der Koalitionsrunde verständigt hatte, im Überblick zu referieren. Er ging dabei kaum über das hinaus, was er bereits zwei Tage zuvor am Sonntag der 293 Dies läßt sich aus der Stellungnahme schließen, die Späths Regierungssprecher am 11.10. in Stuttgart abgab. Dazu "Stoltenberg. Steuerreform belastet alle gleich", in: SZ,12.1O.1987. 294 Ein zusammenfassender Überblick findet sich in: "Stoltenberg: Steuerreform belastet alle gleich", in: SZ, 12.10.1987; ,,500.000 Arbeitnehmer werden aus der Besteuerung herausgenommen", in: FAZ, 12.10.1987. 295 Vgl. dazu auch Klaus-Peter Schmid: Allen Schwüren zum Trotz, in: Die Zeit, 16.10.1987. 296 Dazu auch "Unsere Botschaft kommt nicht mehr an", in: Der Spiegel, NT. 42, 12.10.1987, S. 17-19. 297 So Stoltenberg wiedergegeben in: "Unsere Botschaft kommt nicht mehr an", in: Der Spiegel, Nr. 42,12.10.1987, S. 17-19.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Presse mitgeteilt hatte?98 Zudem überließ er den Abgeordneten ein Dokument, in dem in den drei Kapiteln "Ziele der Steuerpolitik", "Abbau von Steuervergünstigungen und Sonderregelungen rur ein gerechteres und einfacheres Steuersystem", "Steuerreform: Gemeinschaftsaufgabe rur Bund, Länder und Gemeinden" ein sehr kursorischer Überblick über die Eckwerte der Steuerreform und ihre Finanzierung gegeben wurde?99 Dennoch schienen die Abgeordneten damit zunächst in ihrem Informationsbedürfnis befriedigt. 30o Dies zeigte sich schon darin, daß der Bundesfinanzminister nach der Präsentation seiner Zahlen und der Grundzüge der Steuerreform viel Beifall von den Abgeordneten erhielt. 301 Eine kritische Auseinandersetzung mit Stoltenbergs Konzept fand in der Fraktion zu diesem Zeitpunkt nicht statt. 302 Die Fraktion billigte das Eckwertekonzept, das von den in der Koalitionsrunde versammelten Spitzenpolitikern der Regierungspartner Tage zuvor bereits beschlossen worden war. 303 Allerdings wurde das der Unionsfraktion vorgestellte und in seinen Grundzügen gebilligte Konzepe o4 in den folgenden Tage nochmals in einigen Details nachgebessert. Zu den Nachbesserungen zählte z. B. eine Überarbeitung der

298 Vgl. zur Fraktionssitzung "Ihr dürft nicht daran rütteln", in: Der Spiegel, Nr. 43, 19.10.1987, S. 46-59; zu den während der Pressekonferenz am 11.10. von Stoltenberg bekanntgegebenen Inhalten des Reformpaketes vgl. "Stoltenberg: Steuerreform belastet alle gleich, in: SZ, 12.10.1987; ,,500.000 Arbeitnehmer werden aus der Besteuerung herausgenommen", in: FAZ, 12.10.1987; "Bangemann: 25 Mrd. Mark Entlastung für die Steuerzahler", in: FAZ, 13.10.1987. 299 Vgl. zu diesem Papier und seinem Wortlaut: Gerhard Stoltenberg: Koalition hat Reform- und Handlungsfähigkeit bewiesen!, in: UiD, 15.10.1987. 300 Allerdings war Stoltenbergs Vorgehen auch nicht ungewöhnlich. Eher unüblich war es, zu diesem frühen Zeitpunkt die breite Masse der Abgeordneten über alle Details des Referentenentwurfs zu informieren. Eine vertiefte Information der Spezialisten erfolgte i.d.R. in der jeweiligen Arbeitsgruppe der Fraktion durch den zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär oder auch den Minister selbst. 301 Ob dieser Beifall in der Zustimmung zu Stoltenbergs Konzept begründet lag oder aber in der Erleichterung darüber, daß nun endlich finanzpolitische Details vorgelegt wurden, die die öffentlichen Spekulationen über die Finanzierung der Steuerreform beendeten und es den Abgeordneten ermöglichten, sachorientiert in ihren Wahlkreisen Kritik entgegenzutreten, konnte in dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Allerdings war in der Unionsfraktion im Vorfeld verschiedentlich auf die Vorlage eines Konzepts gedrängt worden. Vgl. dazu Klaus GöpperUWilfried Herz./Roland Tichy: Stoltenberg unter Druck, in: Wirtschaftswoche, Nr. 41, 2.10.1987, S. 14-20. 302 Diese fand erst später statt, als weitere Details des Konzepts bekannt wurden. Vgl. exemplarisch zum Themenfeld " Flugbenzinsteuer" Kapitel 4.1.4. 303 Zur Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vgl. auch Stoltenberg: Wendepunkte, S. 299. 304 Auch die FDP-Bundestagsfraktion hatte dem Konzept zugestimmt. Hintergründe zur FDP-Fraktionssitzung in: "Ihr dürft nicht daran rütteln", in: Der Spiegel, Nr. 43, 19.10.1987, S. 46-59.

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von Späth kritisierten Regelung der Nachtarbeitszuschläge. 305 In einer nur eineinhalbstündigen Koalitionsrunde der Partei- und Fraktionsvorsitzenden am 3. November306 wurden zudem letzte Details der Finanzierung der Steuerreform beschlossen. Dazu zählten u. a. die Zusammenfassung des Arbeitnehmerfreibetrags, der Werbungskostenpauschale und des Weihnachtsfreibetrags in einer erhöhten Arbeitnehmerpauschale,307 die Streichung des Kantinenzuschusses. 308 Wenn damit auch keineswegs die Diskussionen inner- und außerhalb der Regierungsparteien um die Steuerreform beendet waren - dies sollten die nachfolgenden Monate zeigen309 -, hatte Kohl doch sein Ziel erreicht, die Debatten in Regierung, Parteiführung und Unionsfraktion um die Grundfinanzierung der Steuerreform pünktlich vor dem Parteitag abzuschließen und die Ergebnisse als erste Erfolge der Regierungsarbeit und Ausdruck der Handlungstahigkeit der Regierungskoalition in der noch jungen Legislaturperiode zu präsentieren. 31o

Zusammenfassung und Bewertung - Mit der Betrachtung des Ausarbeitungsprozesses eines Konzepts zur Gegenfinanzierung der geplanten Steuerreform stand ein Politikausschnitt im Mittelpunkt der Untersuchung, der in den Koalitionsverhandlungen vom März 1987 nicht geregelt worden war. Während bei den Koalitionsverhandlungen finanzpolitische Fachleute aus der Unionsfraktion nicht beteiligt waren und Partei- beziehungsweise die Regierungvertreter die Gespräche dominierten, erfolgte nunmehr bereits in der Agendasettingphase eine Einbindung von Vertretern der CDU/CSU-Fraktion. Allerdings fand wiederum zwischen ihnen und der Gesamtfraktion keine wahrnehmbare, intensive Rückkopplung statt.

305 Vgl. "Neue Gespräche über Finanzierung der Steuerreform", in: FAZ, 22.10.1987; "Koalition einig über Streichliste", in: FAZ, 4.11.l987. 306 Das erste Treffen am 8.10. hatte immerhin noch zehn Stunden gedauert. 307 Deren Verfassungsmäßigkeit war lange Zeit umstritten. Die Regelung wurde aber schließlich in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes fast zehn Jahre später am 28.5.1997 bestätigt. Vgl. "Freibetrag bleibt gestrichen", in: SZ, 30.5.1997. 308 Vgl. zu den Details den zusammenfassenden Überblick in: "Einigung über Finanzierung der Steuerreform", in: SZ, 4.11.l987; "Finanzierung der Steuerreform perfekt", in: Bonner General-Anzeiger, 4.11.1987. 309 Besonders heftig umstritten waren dabei die Einführung der Quellensteuer und die Freistellung des Flugbenzins für Privattlieger von der Mineralölsteuer. Zu den Hintergründen Dieter Schröder/Franz Thoma: Strauß erneuert Kritik an Stoltenberg: So war die Quellensteuer nicht abgemacht, in: SZ, 26.2.1988. 310 Zu Kohls Rede vor dem Parteitag in Bonn am 9. November 1987 vgl. CDUBundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 35. Bundesparteitag 1987, S. 20-38, insbes. S. 27-31.

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- Insgesamt gesehen war der Kreis derjenigen, die den Stand der Arbeiten in Stoltenbergs Ministerium in seiner Gesamtheit kannten, klein. Im Bundesfinanzministerium wurde entschieden, wer wann welche Informationen erhalten sollte. Hier lag die Federführung der Arbeiten. Die CDU-Ministerpräsidenten waren nur zu Teilbereichen konsultiert worden. Die Zahl der involvierten Abgeordneten beschränkte sich auf vier Personen. Über den jeweiligen Stand der Reformpläne intensiv informiert waren Kohl und Schäuble. Weder Unionsfraktion noch CDU-Führungsgremien wurden jedoch vor Oktober detailliert über den Stand der Reformarbeit in Kenntnis gesetzt. - Stoltenberg hatte sich durch geschickte und frühzeitige Ankündigungspolitik über Rahmenaspekte des Reformvorhabens und die Präsentation eines groben Zeitplans in CDU/CSU-Bundestagsfraktion und CDU-Vorstand pauschal und vorab die loyale Unterstützung seiner Arbeit versichert. In beiden Gremien wurden Widersacher intern diszipliniert. - Stoltenberg agierte bei der Ausarbeitung des Referentenentwurfs in Unterstützung und Koordination mit dem CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler sowie dem Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt. Bereits im Juni hatte Kohl sich im CDU-Vorstand schützend vor Stoltenberg gestellt und verdeutlicht, daß Kritik an ihm oder der Steuerreform zugleich auch Kritik am CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler bedeutete. Kohl versuchte damit einen Teil seiner Autorität auf Stoltenberg zu dessen Schutz zu übertragen. Kohl forderte in der Frage der Steuerreform unmißverständlich die Loyalität seiner Partei. Die Folgezeit zeigte deutlich, daß es anschließend und im Vorfeld der Präsentation der Arbeitsergebnisse Stoltenbergs nur vereinzelt öffentliche Kritik aus den Reihen der CDU gab. Als sich aber die öffentliche Debatte, forciert vor allen von Opposition und pressure-groups, verschärfte, griffen Kohl und auch Schäuble diese in öffentlichen Auftritten auf, traten ihr entgegen und beruhigten die Diskussionslage. - Die Einbindung der Finanzpolitiker der Fraktion in Stoltenbergs Vorarbeiten bot aus Sicht des Bundesfmanzministers drei Vorteile: a) Ihr Sachverstand und die Bewertung von Reformmaßnahmen durch die Brille der Abgeordneten konnte dazu beitragen, daß das Reformwerk nicht zu bürokratisch und administrativ überfrachtet ausfiel. b) Durch die Einbindung der Abgeordneten konnte Stoltenberg in späteren Fraktionsberatungen darauf verweisen, daß über sie die CDU/CSUFraktion in den vorbereitenden Politikgestaltungsprozeß miteinbezogen worden war. Gleichzeitig konnte die Berücksichtigung ihrer Interessen präjudizierende Wirkung auf die spätere Zustimmung der Regierungsfraktionen im parlamentarischen Entscheidungsprozeß haben. Denn die involvierten Abgeordneten waren Vorsitzende der entsprechenden Fraktionsarbeitsgruppen beziehungsweise führende Vertreter im Finanzausschuß des

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Deutschen Bundestages und zählten damit zu den maßgeblichen Meinungsgestaltern innerhalb ihrer Fraktionen in diesem Politikfeld, da sie die entsprechenden Fraktionsvoten mitvorbereiteten. Da das Gros der Abgeordneten in der Unionsfraktion weder die Fachkenntnis noch die Zeit hatte, das Reformpaket im Detail zu durchleuchten, und weitgehend auf das Votum der jeweiligen Fachleute vertraute, waren die Chancen hoch, daß es sich den Empfehlungen der Finanzpolitiker anschließen würde. c) In den anstehenden Verhandlungen auf Koalitionsebene konnte Stoltenberg durch die frühzeitige Einbindung der Fachleute aus den Regierungsfraktionen jeder Zeit darauf verweisen, daß sein Konzept mit ihnen abgestimmt sei, und damit seine inhaltliche Argumentation auch machtpolitisch stützen. - Den Finanzpolitikern gelang es, das Reformkonzept des Bundesfinanzministeriums in seinen Inhalten deutlich zu beeinflussen, bevor es auf der Ebene der Koalitionsspitzen diskutiert wurde. So konnten sie beispielsweise eine Finanzierung der geplanten Steuerreform über eine Erhöhung der Verbrauchssteuern weitgehend verhindern. - Die vorentscheidende Beschlußfassung über die Eckwerte von Stoltenbergs Entwurf erfolgte in der Koalitionsrunde. Kohl hatte rur die CDU die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation bestimmt. Mit Kohl und Stoltenberg gehörten ihr formal zwei gewählte Vertreter und mit Dregger und Schäuble zwei nicht-gewählte Mitglieder des Präsidiums der CDU an. Allerdings agierte Stoltenberg in der Koalitionsrunde weniger in der Rolle des CDU-Präsiden, sondern vielmehr als Sachwalter seiners Ressorts. Schäuble und Kohl waren in ihrem Vorgehen auf Interessenausgleich angelegt und hatten sowohl die Interessen der CDU als auch die Stabilität der Regierungskoalition im Auge. Die Rolle Dreggers, der keine Finanzfachmann war, war in dieser Runde von nachgeordneter Bedeutung. Seine Teilnahme hatte den Charakter machtpolitischer Symbolik, mit der der Unionsfraktion das Gefuhl der Einbindung gegeben werden sollte. - Erst nach der Entscheidung in der Koalitionsrunde wurden das CDU-Präsidium und die Unionsfraktion informiert. Vor allem aus dem Kreise der CDUMinisterpräsidenten gelang es aber nachträglich, Detailänderungen in das von der Koalitionsrunde beschlossene Konzept einzubringen. An dieser Stelle wurde ihre Macht im Bundesrat und die damit einhergehende starke Position im CDU-Präsidium deutlich. - Kohl hatte durch seine Zeitvorgaben den Arbeitsplan Stoltenbergs sowie den Zeitrahmen des anschließenden Entscheidungsprozesses dominiert, ohne dabei jedoch inhaltliche Vorgaben zu machen, die über die Koalitionsvereinbarung vom März 1987 hinausgingen. Auch hier galt: Dadurch, daß er seine Position zunächst offenließ und sich nicht festlegte, war er rur die Rolle des 12 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Streitschlichters und Maklers in der Koalitionsrunde und in seiner Partei prädestiniert.

4. Kontroversen um die Abschaffung der Flugbenzinsteuer 1988Fraktionsdisziplin als Machtsicherung Nachdem die Grunddaten eines von Stoltenberg federführend erarbeiteten Konzeptes der Steuerreform durch die Spitzenpolitiker der Koalitionsparteien und durch die Regierungsfraktionen 311 gebilligt worden waren, wurde der Referentenentwurf nach weiteren Diskussionsrunden innerhalb der Koalitionsfraktionen und den Spitzenverbänden312 im März 1988 in überarbeiteter Form vom Bundesfinanzminister als Vorlage dem Kabinett zur Beschlußfassung vorgelegt. Auf dieser Basis wurde es als Regierungsentwurf in den parlamentarischen Prozeß eingebracht. Mit dem Themenfeld "Abschaffung Flugbenzinsteuer" soll hier ein Einzelaspekt dieses Regierungsentwurfes in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt werden. Während in den bisherigen Fallbeispielen die Prozesse der Politikgestaltung im Akteursdreieck in vorparlamentarischen Stadien untersucht wurden, gilt das Interesse im vorliegenden Fallbeispiel den Handlungspielräumen von Regierung, Fraktion und Partei bei der Initiierung des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses und den sich anschließenden Abläufen. Wie wird das Einbringen eines Gesetzes in den parlamentarischen Prozeß organisiert und koordiniert; welche Möglichkeiten zur Änderung bestehen noch, nachdem die Vorlage eingebracht wurde? Dies sind Aspekte, denen in den drei nachstehenden Teilkapiteln nachgegangen werden soll: - Disziplinierung der Koalitionsakteure durch den Bundeskanzler und Signalwirkung auf das Machtdreieck; - Kanzler-, Fraktions- und Koalitionsloyalität als Druckpotentiale für die Positionsfindung in der Unionsfraktion; - Motive der Rücknahme der Flugbenzinentscheidung und Lageanalyse in der CDU/CSU-Fraktion.

311 Zu den Hintergründen vgl. das vorhergehende Kapitel. Zu den Inhalten des Konzepts vgl. auch "Steuerentlastung, Steuergerechtigkeit, Beschäftigungsimpulse. Die dritte Stufe 1990 der Großen Steuerreform. Bundesfinanzminister Dr. Gerhard Stoltenberg zur Steuerreform 1990", in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nr. 9, Januar 1988. 312 Dazu auch "War beleidigt", in: Der Spiegel, Nr. 8, 22.2.1988, S. 23-26.

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Disziplinierung der Koalitionsakteure durch den Bundeskanzler und Signalwirkung auf das Machtdreieck

Das Vorhaben, Privatflieger sowie kleinere und mittlere Gewerbeunternehmen von der Flugbenzinsteuer zu befreien,313 war nicht neu. Seit Jahren drängte der bayerische Ministerpräsident immer wieder von neuem darauf, die von dem sozialdemokratischen Finanzminister Matthöfer 1981 durchgesetzte Flugbenzinbesteuerung wieder rückgängig zu machen. 314 1985 war eine seiner Initiativen an dem ablehnenden Votum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und öffentlichen Protesten gescheitert. 3J5 Dies hinderte ihn aber keineswegs daran, das Thema weiterzuverfolgen und vor allem Stoltenberg mit entsprechenden Forderungen zu malträtieren. 316 Obgleich sich Strauß, Bangemann und Kohl bereits im Oktober 1987 auf eine Befreiung der Privatflieger von der Flugbenzinsteuer verständigten,317 war ein entsprechender Passus in den Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums vom Januar 1988 zunächst nicht aufgenommen worden. Erst in einer unmittelbar vor der entscheidenden Kabinettsitzung am 22. März 1988 fertiggestellten Beschlußvorlage Stoltenbergs war eine entsprechende Regelung enthalten. Diese Maßnahme, die mit den Finanzpolitikem der Regierungsfraktionen, insbesondere aber denen der Unionsfraktion offensichtlich nicht koordiniert worden war, sorgte bei diesen für eine

Die großen Fluggesellschaften waren ohnehin befreit. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 315 Vgl. zu Hintergründen Bemd Knebel: Strauß steht eine neue Bruchlandung bevor, in: Hannoversche Allgemeine, 22.3.1988. 316 Strauß berief sich dabei offenbar auf ein Versprechen Kohls u. a. vom 14.11.1985, die Flugbenzinsteuer rur Privatflieger abzuschaffen. So z. B. belegt in: "Die laufen in die Regierungsunfahigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 18-25, hier S.23. 317 Obgleich Stoltenberg Vorbehalte gegen diese Entscheidung hegte und bereits verschiedentlich entsprechende Vorstöße von Strauß abgewehrt hatte, hielt er sich in dieser Sitzung zurück, weil er die Unterstützung des Gesamtpaketes im Bundesrat durch Strauß brauchte. Auch sonst gab es keine Gegenstimmen in der Koalitionsrunde gegen die Vereinbarung. So Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997; vgl. auch Stoltenberg: Wendepunkte, S. 301; ergänzend "Größerer Einsatz", in: Der Spiegel, Nr. 23, 6.6.1988, S. 32. Die Übereinkunft der drei Spitzenpolitiker stand jedoch im Widerspruch zum nur wenig später vorgelegten 11. Subventionsbericht der Bundesregierung vom 23.11.1987. Dort war nachzulesen, daß die Begünstigung des inländischen Fluglinien- und fluglinienähnlichen Verkehrs, durch die Befreiung von der Mineralsölsteuer abgebaut werden sollte - eine Ankündigung, die auf das genaue Gegenteil dessen zielte, was die Spitzenpolitiker vereinbart hatten und was später im Kabinettsentwurf Stoltenbergs stand. Vgl. Deutscher Bundestag: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen rur die Jahre 1985 bis 1988 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (STWG) vom 8. Juni 1967 (Elfter Subventionsbericht), Drucksache 11/1338, 25.1l.1987. 3\3

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

entsprechende Überraschung. J18 Der Unionsfraktion blieb jedoch keine Zeit mehr für Interventionen. Zum einen wurde diese Neuerung in der Kabinettsvorlage erst im Verlauf des 18. März, einem Freitag, bekannt und damit zu einem Zeitpunkt, als aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Wochenendes eine Auseinandersetzung mit dieser Neuerung in Fraktions- oder Parteigremien nicht mehr zur organisieren war. Zum anderen fand die abschließende Sitzung der Koalitionsspitzen zur Kabinettsvorlage Stoltenbergs unmittelbar vor der Kabinettsitzung,319 in der das Reformpaket offiziell beschlossen und zur Einbringung in den parlamentarischen Prozeß verabschiedet werden sollte, ohne die Filhrungscrew der Unionsfraktion statt. 320 Aber selbst, wenn die führenden Fraktionsvertreter an diesem Koalitionsgespräch teilgenommen hätten, wäre es ihnen wohl schwer gefallen, die Steuerbefreiung für Privatflieger zu verhindern. Eher nebensächlich wäre dabei noch gewesen, daß man in der Fraktionsführung zunächst kaum Möglichkeiten gehabt hatte, die Repräsentativität der ersten Proteste in der Fraktion gegen die Freistellung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer auszuloten, und daß Waigel im Zweifelsfall aus Parteiloyalität für die Forderung seines Parteichefs eingetreten wäre. Entscheidender war jedoch der in der Koalitionsrunde angedeutete politische Wille des Bundeskanzlers, das Steuerreformprogramm auch unter hohen politischen Kosten zu realisieren. Dies wurde deutlich, als ein Streit vor allem zwischen den FDP- und CSU-Vertretern um letzte Steuerdetails entbrannte, der in beiderseitigen Drohungen gipfelte, dem Reformkatalog in der anschließenden Kabinettsitzung die Zustimmung zu verweigern. 321 Dies entsprach allerdings in keiner Weise dem 318 Vgl. Heinz Murmann: Ein Privileg für die Privatflieger?, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.3.1988; Bernd Knebel: Strauß stehe eine neue Bruchlandung bevor, in: Hannoversche Allgemeine, 22.3.1988. Überraschend dürfte die Maßnahme auch deshalb gewesen sein, weil nur wenige Tage zuvor noch die Möglichkeit reflektiert wurde, die Einnahmesituation des Bundes durch die Besteuerung des Flugbenzins auch von gewerblichen Unternehmen (v. a. Fluglinien) zu verbessern. Vgl. "Bonner Koalition einig über strittige Punkte der Steuerreform, in: SZ, 11.3.1988. 319 Es war die letzte Sitzung vor der Bonner Osterpause. Einen Tag später wollte Kohl seinen Fastenurlaub am Wolfgangsee beginnen. 320 Für die CDU nahmen Kohl in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler und CDUVorsitzender, Schäuble in seiner Funktion als Kanzleramtschef sowie Arbeitsminister Blüm und Finanzminister Stoltenberg teil. Anwesend waren damit aus der engeren CDU-Führung nur diejenigen, die zugleich auch Regierungsämter innehatten. Für die CSU waren Zimmermann und CSU-Generalsekretär Tandler, für die FDP Bangemann, Graf Lambsdorff und der Fraktionsvorsitzende Mischnick anwesend. Angaben nach Joachim Neander: Nein, ein Tanzbär wollte der Kanzler nicht sein, in: Die Welt, 24.3.1988; vgl. auch Klaus Dreher: CSU besteht auf Korrektur der Steuerreform, in: SZ, 24.3.1988. Dregger und Seiters waren offensichtlich nicht eingeladen worden, Waigel war auf einer Reise in China. Weniger auffällig war, daß der CDU-Generalsekretär Geißler nicht anwesend war. Ihn lud Kohl schon seit den Koalitionsverhandlungen 1987 nur noch selten zu Koalitionsgesprächen ein. 321 So die übereinstimmende Darstellung in: "Die Bonner Koalition über der Steuerreform fast zerbrochen", in: FAZ, 23.3.1988; Klaus Dreher: CSU besteht auf Korrektur

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auf Konsens angelegten Kabinettstil Kohls. Er versuchte, es nach Möglichkeit zu vermeiden, daß strittige Punkte ins Kabinett gelangten oder dort Konflikte ausgeführt wurden. 322 Deshalb reagierte Kohl auf diese Drohungen mit der schärfsten Waffe, die ihm in dieser Situation zur Verfügung stand. Er machte den Anwesenden seine Erwartungshaltung in drastischer Form deutlich: "So könnt ihr das mit mir hier nicht machen. Ich erwarte, daß das Kabinett das Ding gleich verabschiedet, und zwar einstimmig. Und wenn ihr das nicht wollt, dann müßt ihr euch halt jemand anderes suchen, dann kann ich ja gleich zum Richard von Weizsäcker gehen, dann ist die Sache zu Ende. Ich lasse mich hier nicht vorführen wie einen Tanzbären. ,,323 In einer auch parteipolitisch kritischen Phase324 hatte Kohl ein Machtwort gesprochen, um zu verhindern, daß die Koalition sich weiter zerstritt und ihm dieser Meinungsstreit als Führungsschwäche angelastet wurde. Damit war eine der seltenen Situationen eingetreten, die Kohl anderen Orts folgendermaßen beschrieb: "Liebe Freunde, nicht immer läßt sich bei Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten mit einem sogenannten Machtwort des Bundeskanzlers eine Entscheidung durchsetzen, und in den wenigsten Fällen ist es klug, in der Öffentlichkeit darüber zu reden. ,,325 Entsprechend wurde auch wenig später nach dem Koalitionstreffen vom Sprecher der Bundesregierung dementiert, der Bundeskanzler habe mit seinem Rücktritt gedroht. 326 Gleichwohl war es doch von den Teilnehmern der Runde so interpretiert worden. Die Verdeutlichung von Kohls Erwartungshaltung und die Präsentation möglicher Konsequenzen für den Fall, daß seine Vorstellungen nicht realisiert würden, wirkte disziplinierend auf die Runde. Man versicherte die Zustimmung zur Kabinettsvorlage. Die Lösung strittiger Fragen wurde vertagt. So wurden auf Vorschlag Schäubles in einer Protokollnotiz die strittigen Punkte festgehalten, um sie im weiteren Gesetzgebungsprozeß zu gegebener Zeit zu überprü-

der Steuerreform, in: SZ, 24.3.1988; Joachim Neander: Nein, ein Tanzbär wollte der Kanzler nicht sein, in: Die Welt, 24.3.1988. 322 V gl. dazu den Praxisbericht von Schmidt-Preuß: Das Bundeskabinett, S. 199-219; ergänzend Korte: Deutschlandpolitik, S. 94; dazu auch Rolf Zundel: Mit Harmonie und Heiterkeit. Helmut Kohls Kabinett-Stil, in: Die Zeit, 10.12.1982. 323 Helmut Kohl, zitiert nach: Joachim Neander: Nein, ein Tanzbär wollte der Kanzler nicht sein, in: Die Welt, 24.3.1988; vgl. auch Walter Bajohr: Der Kanzler in der Trutzburg, in: Rheinischer Merkur, 1.4.1988, "Die Bonner Koalition über der Steuerreform fast zerbrochen", in: FAZ, 23.3.1988. 324 Zur Kritik an Kohl vgl. z. B. "CDU/CSU: Die Lust am Untergang, in: Der Spiegel, Nr. 6, 8.2.1988, S. 18-20; ergänzend auch die Bestandsaufnahme von Walter Bajohr: Der Kanzler in der Trutzburg, in: Rheinischer Merkur, 1.4.1989. 325 So Kohl in einer Reaktion auf den Vorwurf der Führungsschwäche in: CDUBundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 35. Bundesparteitag 1987, S. 26. 326 Vgl. Klaus Dreher: CSU besteht auf Korrektur der Steuerreform, in: SZ, 24.3.1988.

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fen. 327 Aufnahme in diese Notiz fand auf Betreiben der FDP u. a. das Themenfeld Steuerbefreiung des Flugbenzins tUr Privatflieger. 328 De facto wurde somit in der Koalitionsrunde Einigung darüber erzielt, anschließend im Kabinett einer Vorlage zuzustimmen und danach in den parlamentarischen Prozeß einzubringen, von der bereits feststand, daß sie dort aufgrund divergierender Interessen der Regierungspartner nochmals zu überarbeiten war. Wenngleich sich der Wutausbruch Kohls in diesem speziellen Fall in erster Linie gegen die Streitigkeiten zwischen CSU und FDP richtete, bildete er doch einen wichtigen Hintergrund tUr den weiteren Verlauf der Diskussionen um die Flugbenzinsteuer im Akteursdreieck von CDU-Regierungsvertretern, ParteitUhrung und Unionsfraktion. Der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende hatte mit seiner Reaktion sowohl den Koalitionspartnern als auch der eigenen Partei signalisiert, daß er an einer zügigen Umsetzung des Steuerpakets interessiert war und dies weder an Widerständen zwischen den Regierungsparteien noch an solchen aus den Reihen der CDU scheitern lassen wollte. 329 Zudem sollte die schnelle Verwirklichung der Steuerreform Symbolcharakter erhalten tUr die geplante Umsetzung weiterer Reformabsichten in der laufenden Legislaturperiode und damit die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien unterstreichen. 330 327 So belegt bei Klaus Dreher: Die Explosion vor dem Kabinettssaal, in: SZ, 24.3.1988. 328 Weiterhin wurden auf Forderung der CSU u. a. aufgenommen: Abschaffung der Investitionszulage, Abschaffung von Steuerbefreiungen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen, Erhaltung der Freibeträge für Landwirte, Abzugsflihigkeit von auf Einkommen- und Körperschaftsteuer gezahlte Zinsen. Vgl. "Die Bonner Koalition über der Steuerreform fast zerbrochen", in: FAZ, 23.3.1988; "Die vier Forderungen der CSU", in: SZ, 24.3.1988; ergänzend auch Heinz Vielain: Wortlaut des Briefes von Strauß an Kohl, in: Die Welt, 21.2.1988. 329 Kohls Reaktion kann deshalb auch als Signal an vor allem Albrecht und Späth gewertet werden. Späth hatte gedroht, die Steuerreform im Bundesrat nicht mitzutragen, falls die bereits nachgebesserte Regelung der Jahreswagenrabatte nicht ganz zurückgenommen werde. Albrecht neigte dazu - und wurde trotz gegenteiliger Behauptungen von politischen Beobachtern auch so interpretiert -, ein Junktim zwischen seiner Zustimmung im Bundesrat zum Steuerpaket und der Übernahme von Sozialhilfekosten durch den Bund herzustellen. Zu Späths Protesten vgl. "Späth: Ich werde im Bundesrat kämpfen", in: SZ, 16.3.1988. Zur Albrecht-Initiative vgl. Renzsch: Föderale Finanzbeziehungen, S. 340-345; Helmut Fischer: Die Albrecht-Initiative, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, H. 12, 1988, S. 632-634; Birgit Breuel: Neuverteilung der Sozialhilfelasten?, in: Wirtschaftsdienst, Nr. V, 1988, S. 231-234; Guntram Palm: Der Kampf ums liebe Geld, in: Wirtschaftsdienst, Nr. V, 1988, S. 234-237. 330 V gl. dazu auch die Stellungnahmen von Regierungssprecher Ost, wiedergegeben in: "Der Kanzler hält am Steuer-Fahrplan fest", in: SZ, 26.3.1988. Diese Interpretation wird gestützt durch die in dieser Zeit geringen bzw. abnehmenden Popularitätswerte der Regierungskoalition, insbesondere der CDU. Vgl. Jürgen Tuchl: Der Kanzler wird zur Strapaze, in: Nürnberger Nachrichten, 19.2.1988; "Jeder dritte FDP-Wähler liebäugelt mit der SPD", in: Der Spiegel, Nr. 9, 29.2.1988, S. 36-47.

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Kanzler-, Fraktions- und Koalitionsloyalität als Druckpotentiale für die Positionsfindung in der Unionsfraktion

Obgleich es vor allem innerhalb der Unions fraktion nach wie vor vielschichtige Widerstände gegen Details der finanzpolitischen Reformvorhaben gab und in den Sitzungen des CDU/CSU-Fraktionsvorstandes am 12. April sowie der Unions fraktion am 19. April heftige und kontroverse Diskussionen hierzu geruhrt wurden,331 hatten sich die Regierungs- und Fraktionsmanager um Schäuble, Dregger, Seiters, Waigel - sowie Mischnick rur die FDP - darauf geeinigt, den Gesetzesentwurf der Bundesregierung aus Zeitgründen als gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktionen wortgleich parallel zum Regierungsantrag am 21. April in den parlamentarischen Prozeß einzubringen. 332 Auch wenn man seitens der Abgeordneten bereit war, dieses Verfahren mitzutragen, wurde jedoch aus der Unionsfraktion zugleich deutlich gemacht, daß damit keineswegs Änderungen an der Gesetzesvorlage im parlamentarischen Entscheidungs- und Beschlußfassungsprozeß aus den Reihen der CDU/CSUFraktion ausgeschlossen seien. So erklärte der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Glos, daß die gewählte Vorgehensweise nicht bedeuten könne, daß sich "die Fraktion alle Einzelpunkte des Regierungsentwurfes schon jetzt zu eigen macht. ,,333 Dennoch hatten sowohl der Fraktionsvorsitzende als auch sein erster Stellvertreter die Erwartungshaltung der Fraktionsruhrung an die Abgeordneten öffentlich klargemacht. Dregger rechnete damit, daß die Fraktion das Reformpaket in der entscheidenden Abstimmung im Bundestag einstimmig billigen würde. 334 Waigels Mahnung an die Abgeordneten war von grundsätzlicherer Ausrichtung und hatte eine mittelfristige 331 Dazu zählten neben der Flugbenzinsteuerbefreiung in erster Linie Regelungen hinsichtlich der Einflihrung einer Quellensteuer, Details der Zonenrandförderung und der Wegfall der Investitionszulage. Vgl. auch "Steuerrefonn: Ordnende Hand", in: Der Spiegel, NT. 16, 18.4.1988, S. 20 f.; "Unions-Disput über Einzelheiten der Steuerrefonn", in: SZ, 21.4.1988. Allerdings war die Vorlage schließlich bei nur einer Enthaltung von der Fraktion gebilligt worden. So belegt bei Heinz Munnann: Dregger erteilt Initiative Albrechts eine Absage, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 21.4.1988. 332 Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zuzuleiten. Die Länderkammer hat flir diese i.d.R. sechs Wochen Zeit. Da der Zeitplan der Bundesregierung vorsah, das Steuerpaket noch vor der Sommerpause zu verabschieden, konnte dadurch, daß die Gesetzesvorlage auch aus der Mitte des Bundestages eingebracht wurde, zeitgleich mit der Prüfung durch den Bundesrat bereits die I. Lesung der Vorlage im Bundestag beginnen. Zusammenfassend zum Gang der Gesetzgebung Handschuh: Gesetzgebung, S. 327-389. 333 G10s zitiert nach: "Unions-Disput über Einzelheiten der Steuerrefonn", in: SZ, 21.4.1988; vgl. auch die Äußerung von G10s in: Wilfried Herz: Schwieriger Balanceakt, in: Wirtschaftswoche, NT. 18,29.4.1988, S. 24-29. 334 Vgl. Joachim Neander: Steuerrefonn: Streit um Albrechts "Zerreißprobe", in: Die Welt, 21.4.1988; auch Heinz Munnann: Dregger erteilt Initiative Albrechts eine Absage, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 21.4.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Perspektive. Er forderte die Abgeordneten auf, unionsinterne Kontroversen335 zu beenden, nur dann werde es auch 1990 "ohne und gegen die Union keine Regierung geben.,,336 Der Umkehrschluß und seine machtpolitischen Konsequenzen waren jedem Abgeordneten unausgesprochen klar. Die Prognose des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom April schien zunächst auch weitgehend aufzugehen. Während der Fraktionssitzung am 7. Juni 1988 wurde nach einer dreistündigen Diskussion die im Finanzausschuß des Bundestages sowie den Koalitions- und Fraktionsgremien überarbeitete Gesetzesinitiative und die darin nach wie vor enthaltene Steuerbefreiung flir Flugbenzin mit einer deutlichen Mehrheit von drei Viertel der Abgeordneten gebilligt. 337 Allerdings überdeckte dieses Ergebnis die Kontroversen, die in der Fraktionssitzung zum Thema ausgefochten worden waren. Wie zuvor bereits im Fraktionsvorstand,338 mußten zunächst massive Widerstände der Abgeordneten gegen die Befreiung der Privatflieger von der Mineralölsteuer überwunden werden. Heftiger Protest entlud sich. Einer der Wortführer der "Ablehner-Fraktion" war der Barsinghausener Abgeordnete Herbert Lattrnann. Er hob in seinen Ausflihrungen hervor, daß die geplante Mineralölsteuererhöhung flir Autofahrer339 bei einer gleichzeitigen Flugbenzinsteuerbefreiung flir Privatflieger in der Öffentlichkeit nur schwer zur rechtfertigen sei. 340 Dregger, Stoltenberg und Waigel versuchten die Wogen zu glätten und appellierten an die Fraktionsmitglieder, auf die Flugbenzinsteuerbefreiung, das ein Anliegen der CSU sei, Rücksicht zu nehmen und nicht durch eine Verweigerung den

335 In der Fraktionssitzung arn 19.4.1988 hatte sich v.a. in der Frage der Besteuerung des Flugbenzins ein Schlagabtausch zwischen Waigel und Glos einerseits sowie dem CDU-Abgeordneten Lattmann andererseits aufgetan. Vgl. "Mittelständer der Union kritisierten Steurreform", in: Handelsblatt, 21.4.1988. 336 Waigel zitiert nach: Joachim Neander: Steuerreform: Streit um Albrechts "Zerreißprobe", in: Die Welt, 21.4.1988. 337 Dazu und zum nachfolgenden vgl. "Koalition ringt um Steuerreform. Kohl: 4 Prozent Jahreswagen-Rabatt", in: Stuttgarter Zeitung, 8.6.1988; "Koalitionsfraktionen stimmen Steuerreform zu", in: Bonner General-Anzeiger, 8.6.1988; "Kohl kommt Späth bei Jahreswagen entgegen", in: FR, 8.6.1988; "Die laufen in die Regierungsunfähigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 18-25. 338 Vgl. "Die laufen in die Regierungsunfähigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 20 f. 339 Nur wenige Tage zuvor hatte man sich unter Federführung von Schäuble und Stoltenberg in der Koalitionsrunde auf die Erhöhung der Mineralölsteuer verständigt. Diese und die Erhöhung anderer Verbrauchssteuern sollte ebenfalls in der Fraktionssitzung arn 7.6.1988 gebilligt werden. Hintergründe in: "Steuern - Stoltenbergs Nullsummen-Spiel", in: Der Spiegel, Nr. 24,13.6.1988. 340 Zu seinen weiteren Argumenten gegen die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer vgl. im einzelnen "Die laufen in die Regierungsunfähigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 21; Gerda Strack: Kohl kommt Späth bei Jahreswagen entgegen, in: FR, 8.6.1988.

I. Finanzpolitik

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Koalitionszusammenhalt ZU riskieren. Im Klartext bedeutete dies nichts anderes, als machtpolitische Abwägungen über persönliche Abwägungen zu stellen. Weniger appellativ, daftir sachorientiert waren die Ausftihrungen, die von den Finanzpolitikem der Fraktion zur Begründung der Abschaffung der Flugbenzinsteuer angeftihrt wurden: Das Volumen der Steuerbefreiung stelle im Gesamtreformpaket nur einen verschwindend geringen Betrag dar. 341 Dennoch wurde an dieser Stelle deutlich, daß die Abgeordneten keineswegs immer bereit waren, der Empfehlung der Fachleute aus der Fraktion blind zu folgen. Vor allem dann nicht, wenn sie unter politischen Druck ihrer Wahlkreise, wie dies in der Flugbenzinangelegenheit der Fall war, gerieten. Wie hoch zunächst der Widerstand der Abgeordneten gegen die Befreiung der Privatflieger von der Flugbenzinsteuer war, zeigte sich darin, daß Bundeskanzler Kohl zweimal in der Fraktionssitzung das Wort ergriff und damit die Debatte und das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten nachhaltig zu beeinflussen versuchte. Auch er unterstrich in seinen Ausftihrungen die koalitionspolitische Bedeutung des Themas und versuchte gleichzeitig dessen inhaltliche und finanzpolitische Dimension zu marginalisieren. 342 So verwies er u. a. darauf, daß er wegen der Flugbenzinsache schon mehrere offizielle Termine habe verschieben müssen,343 und er "könne keinem ausländischen Gast klarmaehen, daß diese Debatte im Mittelpunkt der deutschen Politik stehe.,,344 Berücksichtigt man die gesamtpolitische Situation, liegt es nahe, daß noch ein weiterer - unausgesprochener Aspekt - Kohls Überlegungen bestimmte: Gelang es ihm erst, ein Votum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu erreichen, war es ihm möglich, diese als zusätzliches Druckmittel gegen die aus spezifischen Länderinteressen345 wider die Steuerreform opponierenden Ministerpräsidenten 341 Allerdings war aufgrund einer unsicheren Datenlage zum damaligen Zeitpunkt die tatsächliche Höhe ungeklärt. Die Angaben über den Steuerausfall schwankten zwischen 8 (Strauß), 15 (Dregger) und 25 Millionen DM (BMF). Vgl. Eghard Mörbitz: Bauchschmerzen haben inzwischen fast alle, in: FR, 23.6.1988. 342 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert Kohl mit einer Bewertung zur Abschaffung der Flugbenzinsteuer, die dies unterstreicht: "Eine Sachbegründung dafür gibt es nicht". Vgl. "Die laufen in die Regierungsunfahigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 21. 343 Offenbar bezog er sich damit auf den zeitgleich stattfindenden Staatsbesuch des indischen Ministerpräsidenten Ghandi. 344 "Koalitionsfraktionen stimmen Steuerreform zu", in: Bonner General-Anzeiger, 8.6.1988. 345 Die Flugbenzindebatte spielte dabei keine nennenswerte Rolle. Hier standen handfeste finanzielle Forderungen der Länder untereinander und gegenüber dem Bund im Vordergrund. Vgl. z. B. "Späth: Ich werde im Bundesrat kämpfen", in: SZ, 16.3.1988; Joachim Neander: Steuerreform: Streit um Albrechts "Zerreißprobe", in: Die Welt, 21.4.1988; Hermann Rudolph: Albrecht bringt Bonn in eine Zwickmühle, in: SZ, 22.4.1988; Eghard Mörbitz: Der Krieg findet im Saale statt, in: FR, 30.4.1988; earl Graf Hohenthal: Späth gegen Albrecht, in: FAZ, 7.6.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

in Niedersachsen und Baden-Württemberg einzusetzen. 346 Von ihrer Zustimmung würde dann das Schicksal der Steuerreform und die weitere Zukunft der Bonner Koalitionsregierung abhängen. 347 Über eine geschlossene Front von CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Bundesregierung sollten auch die CDUMinisterpräsidenten zum Einlenken gezwungen werden. Daß die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber keineswegs so geschlossen hinter der Abschaffung der Flugbenzinsteuer standen, wie das Abstimmungsbild in der Fraktion am 7. Juni 1988 zunächst den Eindruck vermittelt hatte und es sich die FraktionstUhrung sowie der Bundeskanzler wünschten, zeigte schließlich die Sitzung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 16. Juni 1988. Nur mit einer knappen Mehrheit von 12 zu 11 Stimmen gelang es den Koalitionsfraktionen, das Steuerreformgesetz 1990 zu verabschieden. Vor allem aufgrund der Stimmenthaltung von vier Abgeordneten der CDU348 war die Abschaffung der Flugbenzinsteuer und damit das gesamte Reformpaket im Finanzausschuß fast zum politischen Possenspiel verkommen/ 49 das darin bestanden hätte, daß der von den Regierungsfraktionen stimmenmäßig dominierte Ausschuß des Bundestages dem Plenum in seiner Beschlußempfehlung eine Ablehnung der Steuerreform angetragen hätte. 35o 346 Bereits im April hatte man in der Unionsfraktion gefordert, daß Kohl dafür sorgen solle, die CDU-Ministerpräsidenten zur Zustimmung im Bundesrat zu bewegen. Im Bundestag werde man eine Abstimmung mit wechselnden Mehrheiten vermeiden. Aufgabe Kohls sei es, sicherzustellen, daß es dazu auch im Bundesrat nicht komme. Vgl. Heinz Murmann: Dregger erteilt Initiative Albrechts eine Absage, in: Kölner StadtAnzeiger, 21.4.1988; ergänzend Arnd Brummer: Strauß bekommt den Benzinrabatt für Hobbytlieger, in: Bonner Rundschau, 2.6.1988. 347 Nach mehreren Sitzungen des CDU-Präsidiums und bilateralen Abstimmungen gelang es Kohl schließlich, die Zustimmung aller CDU-Ministerpräsidenten wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrates zu erreichen. Vgl. "Die Koalition will Klarheit in der Finanzpolitik schaffen", in: FAZ, 1. 7.1988; Gerhard Hennemann: Zustimmung Albrechts zur Steuerreform im Bundesrat scheint sicher zu sein, in: SZ, 2.7.1988; Helmut Herles: Auf das Klima in der Koalition wendet Kohl alte Bauernregeln an, in: FAZ, 7.7.1988. 348 Zu ihnen zählten Conrad Schroeder, Wolfgang Schulhoff, Ruprecht Vondran, Hans Daniels. Außerdem war der Abgeordnete Rind von der FDP während der Abstimmung nicht anwesend. Angaben nach: ,,'Die laufen in die Regierungsunfähigkeit"', in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 23. 349 Ohne daß dies im Verlauf der Recherchen bestätigt werden konnte, soll an dieser Stelle aber keineswegs ausgeschlossen werden, daß die CDU-Politiker hier ein bewußtes Unmutssignal an die Adresse sowohl der Fraktionsführung als auch die der Bundesregierung setzten. Es ist durchaus anzunehmen, daß nach vorherigen Sondierungen im eigenen Lager sich gerade sovie1e Abgeordnete enthielten, daß die Abschaffung der Flugbenzinsteuer im speziellen und das Reformpaket im allgemeinen nicht vom Finanzausschuß abgelehnt wurde, allerdings auch nur mit knapper Mehrheit beschlossen werden konnte. 350 Grundsätzlich zur Bedeutung der Ausschußberatungen Handschuh: Gesetzgebung, S. 349-362.

I. Finanzpolitik

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Dieses Abstimmungsergebnis im Finanzausschuß zeigte, daß die Fraktionsund Koalitionsdisziplin der CDU-Abgeordneten zu bröckeln begann. Ihr Verhalten war nicht unbeeinflußt geblieben von den Ergebnissen des CDUParteitags, der vom 13.-15. Juni in Wiesbaden stattgefunden hatte. Dort war es der Parteiführung und den Parteitagsmanagern nicht gelungen, einen Beschluß der Delegierten zur geplanten Flugbenzinsteuerbefreiung zu verhindem. 351 Auch Kohl hatte sich in der Debatte nicht zu Wort gemeldet und darauf verzichtet, das Vorhaben der Regierung und den Beschluß der Fraktion zu verteidigen. Kurz vor Ende des Parteitags stimmten die Delegierten mehrheitlich für einen Initiativantrag mit folgendem Wortlaut: "Die Bundesregierung und Bundestagsfraktion werden aufgefordert, die geplante Mineralölsteuerbefreiung der Privatflieger ersatzlos zu streichen.,,352 Zwar wies Dregger bei seiner Berichterstattung über die Ergebnisse des Parteitages gegenüber den Fraktionsmitgliedern darauf hin, daß der Delegiertenbeschluß für die Fraktion nicht bindend sei und die Partei kein imperatives Mandat habe. 353 Dennoch hatte das Votum des Parteitags eine neue Nachdenklichkeit vor allem bei den CDU-Abgeordneten in der Unionsfraktion ausgelöst: Hinzu kam, daß die Mandatsträger zunehmend unter starken Rechtfertigungsdruck in ihren Wahlkreisen gerieten und dort die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer weder den CDU-Mitgliedem an der Parteibasis noch ihren Wählern plausibel machen konnten. 354 Darüber hinaus drohte eine Vielzahl von CDU-Mitgliedem für den Fall der Streichung der Flugbenzinsteuer mit Parteiaustritten beziehungsweise vollzog diese bereits. 355

35\ Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag. 13.-15. Juni 1988. Wiesbaden, Bonn 0.1., S. 430-433; vgl. auch die Aussprache zu den Berichten von Kohl und Dregger ebd., S. 77-111. 352 Beschluß Nr. M 67, abgedruckt in: Ebd., S. 516. Diese Formulierung stellte eine Kompromißformel dar. Denn um Wettbewerbsnachteile mit großen Airlines aufzuheben, sollten die bisher nicht begünstigten kleinen und mittelständischen Fluggesellschaften den Sprit steuerfrei und damit begünstigt erhalten. Vgl. dazu auch die Interpretation von Franz Heinrich Krey, Mitglied der Antragskommission des CDU-Parteitags, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag 1988, S. 431 ff. 353 Zu Dreggers Ausführungen vgl. "Die laufen in die Regierungsunfähigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 19. 354 Durch den geschickten Schachzug der SPD, im Bundestag über die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer und das Steuerreformgesetz namentlich abstimmen zu lassen, gerieten die Abgeordneten der Unionsfraktion unter zusätzlichen öffentlichen Druck. Sie befanden sich in der Zwickmühle zwischen Fraktions- und Wählerloyalität. Insbesondere der Rechtfertigungsdruck vor dem eigenen Wahlkreis war nicht zu vernachlässigen, standen doch bereits für das Ende des Jahres die ersten Vorüberlegungen für die Kandidatennominierungen zum 12. Deutschen Bundestag an. 355 Vgl. u. a. Rolf-Dietrich Schwartz: Steuerreform ist beschlossen, in: FR, 24.6.1988; auch Helmut Lölhöffel: Geißler bestätigt Austrittswelle, in: FR, 11.7.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Das Wahlverhalten der vier CDU-Abgeordneten im Finanzausschuß sollte sich als ein Indikator erweisen, der eine veränderte Stimmungslage in der Unionsfraktion anzeigte. Dies wurde in den nachfolgenden Tagen bis hin zur Fraktionssitzung am 21. Juni, zwei Tage vor der geplanten zweiten und dritten Lesung des Steuerreformgesetzes 1990 im Deutschen Bundestag, deutlich. Eine Gruppe von Abgeordneten hatte in einem Brief an Dregger angekündigt, die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer in der Bundestagsabstimmung nicht mehr mittragen zu wollen. 356 Die Zahl derjenigen, die ihre Zustimmung verweigern wollten, war allerdings zunächst nicht klar abgrenzbar, weil einige Abgeordnete in ihrer Position noch schwankten. Die Regierungsmehrheit im Bundestag - sie betrug 41 Stimmen - war jedoch aufgrund der Flugbenzinsteuerdissidenten in der Unionsfraktion nicht mehr ohne weiteres sicher. 357 Die Manager der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch Schäuble und über ihn Kohl, waren alarmiert. In der dreistündigen Fraktionssitzung am 21. Juni wurde deshalb den Abgeordneten die koalitionspolitische Notwendigkeit ihrer Zustimmung nachdrücklich verdeutlicht. Kohl selbst konnte in dieser Sitzung nicht eingreifen. Er war noch in Toronto und nahm am Weltwirtschaftsgipfel teil. 358 Dregger gab in seiner Rede zur Sitzungseröffnung, obgleich auch bei ihm über die sachliche Notwendigkeit der Flugbenzinsteuerbefreiung "ein Rest von Unbehagen,,359 blieb, unbeirrt die Marschroute der Fraktion vor und stilisierte die Flugbenzinfrage zur machtpolitischen Grundsatzfrage: "Die Frage ist, ob Vogel und die Grünen einen Triumph erleben und die Koalition eine Niederlage. ,,360 Für ihn stand die weitere Handlungsflihigkeit der Regierungskoalition auf dem Prüfstand und damit die Zukunft des von der CDU gestellten Bundeskanzlers. 361 Deshalb mahnte er die Flugbenzinrebellen eindringlich: "Wir dür356 Dieses Verhalten entsprach den Vorgaben der Arbeitsordnung der CDU/CSUBundestagsfraktion. In § 16 heißt es dazu u. a.: "Die Mitglieder sind verpflichtet, in wichtigen Fragen ihre von der Fraktionsmehrheit abweichende Abstimmungsabsicht dem Vorsitzenden, dem 1. Parlamentarischen Geschäftsführer oder der Fraktionsversammlung [... ] mitzuteilen." 357 Hinzu kam, daß auch keineswegs mit einem geschlossenen Votum der FDPFraktion gerechnet werden konnte. 358 Der 14. Weltwirtschaftsgipfel fand vom 19.-21.6.1988 statt. 359 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Nach der gestrigen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte der Fraktionsvorsitzende Dr. Alfred Dregger vor Journalisten, 22.6.1988. 360 Dregger zitiert nach: Ulrich Reitz: Unionspolitiker: Wir sind doch keine Statisten, in: Die Welt, 22.6.1988. 36\ So Dregger wiedergegeben ebd.; wesentlicher direkter drückte es der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Bötsch, aus, als er anführte, daß der Fortbestand der Koalition in Frage gestellt sei, falls die Steuerbefreiung für Privatflieger nicht durch den Bundestag komme. Vgl. "Streit über Flugbenzin bedroht Steuerreform", in: FR, 22.6.1988.

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fen den Sturz des Kanzlers nicht riskieren.,,362 Indem Dregger das Flugbenzinproblem auf diese Ebene hob, hatte er zugleich einen gemeinsamen Nenner für die unterschiedlichen Positionen in den CDU- und CSU-Lagern der Fraktion gebildet. Dreggers Agieren in dieser Situation muß deshalb auch als Bemühen verstanden werden, eine Spaltung der Fraktionsgemeinschaft an der Flugbenzinfrage zu verhindern. Auch Kohls erster Verbindungsmann zur CDU/CSU-Fraktion, der Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt, Schäuble, ergriff das Wort und hielt eine längere Rede an die Abgeordneten. In forschern Stil faßte der Minister die Situation vor der Fraktion zusammen. 363 Fünf Punkte rückte er in den Mittelpunkt seiner Ausführungen: 364 - Die Fraktion habe bereits in einer früheren Abstimmung die Steuerreform gebilligt. Diese Votum sei für alle verbindlich. - Die Abstimmung über die Flugbenzinsteuer stelle keine Gewissensentscheidung dar. 365 - Unveränderbarkeit der Gesamtvorlage: Wer das Reformpaket jetzt aufschnüre, "der weiß nicht, wo das Ganze enden wird." - Wechselnde Mehrheiten bei den anstehenden Abstimmungsverfahren zur Steuerreform im Bundestags seien zu vermeiden. - Es gehe nicht nur um den Beweis von Handlungsfähigkeit, zudem gelte es auch, den Koalitionsvertrag zu erfüllen. Vor allem die drei letztgenannten Punkte hatten eine klare machtpolitische Ausrichtung. 366 Ohne es explizit auszuformulieren, verdeutlichte Schäuble zum 362 Dregger zitiert nach: Tyll SchönemannIKurt Breme: Machterhalt um jeden Preis, in: Stern, Nr. 27, 30.6.1988,148-151, hier S. 149. 363 Gleichwohl stimmten ihn, ohne daß er dies in der Sitzung zugab, die hartnäckigen Proteste der Abgeordneten und die Konsequenzen für das Verhältnis von Regierung und Unionsfraktion nachdenklich. Zur Reaktion Schäubles vgl. Heinz-Joachim Melder: Stimmvieh will künftig keiner mehr sein, in: Rheinischer Merkur, 1.7.1988. 364 Zur nachfolgend dargestellten Position Schäubles vgl. Ulrich Reitz: Unionspolitiker: Wir sind doch keine Statisten, in: Die Welt, 22.6.1988. 365 Schäuble löste damit das Spannungsverhältnis zwischen Art. 38 Abs. 1, Satz 2 GG und der rechtlich nicht fixierten, aber de facto dennoch existenten Fraktionsdisziplin einseitig zugunsten der Fraktionsdisziplin auf. Gleichwohl wiesen Dregger und Seiters in der Fraktionssitzung übereinstimmend darauf hin, daß es bei der Abstimmung im Bundestag keine Fraktionsdisziplin geben werde. Grundsätzlich zum Verhältnis von Fraktionsdisziplin und Gewissensentscheidung des Abgeordneten vgl. Demmler: Der Abgeordnete im Parlament der Fraktionen, S. 122-133. 366 Sowohl Dregger als auch Schäuble hatten somit an die "Systemverpflichtung" der Abgeordneten appelliert und auf die Notwendigkeit des Erhalts der Regierungsflihigkeit hingewiesen. Beide bemühten sich, die Unterstützungsfunktion der Unionsfraktion für die Regierungsarbeit zu erhalten. Was Huneeus für die Verbindung Partei-Regierung

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

einen die Gefahren für die Regierungskoalition, wenn das Refonnpaket nicht umgesetzt würde. Zum anderen ließ er aber auch das anklingen, was Waigel und Bötsch an anderen Stellen mehnnals hervorgehoben hatten: 367 Politik als Kunst der Kompromisse, ein do ut des. Würden nun die CDU-Abgeordneten aus ihren Reihen rekrutierten sich nahezu ausschließlich die Flugbenzinrebellen innerhalb der Unionsfraktion - die Vereinbarung nicht mittragen, könnte sich die CSU im Gegenzug anderen Refonnvorhaben verweigern. Ähnlich verhielt es sich fiir die FDP. Würde jeder kompromißlos auf der Umsetzung seiner Interessen bestehen, wäre dies gleichbedeutend mit dem Ende der Koalition. Vor diesem Hintergrund galt es, wie es verschiedentlich in der Unionsfraktion formuliert wurde, die politische Kröte Flugbenzin zu schlucken. 36B Der Innenpolitiker Johannes Gerster brachte die Stimmung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf den Punkt und faßte an die Adresse der Fraktionsfiihrung zusammen: "Wir werden die Steuerrefonn verabschieden, aber alle Kollegen sagen, bis hierhin und nicht weiter.,,369 Gleichzeitig regte er an, die geplante Freistellung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zu überprüfen. Eine Kompromißtendenz, auf die sich die Fraktionsführung zu diesem Zeitpunkt nicht einlassen wollte. Dregger sah sich in der Abwesenheit von Kohl und Stoltenberg370 nicht in der Lage, eine "Brücke" zu bauen. 371 Waigel erteilte jeglicher Art von Kompromißlösungen, die zu einer

feststellt, gilt hier in gleichem Maße für die Beziehung Fraktion-Regierung: "When the nexus with the party is weakened or lost, govemment authority erodes and in some cases collapses." Carlos Huneeus: How to Build a Modem Party: Helmut Kohl's Leadership and the Transformation of the CDU, in: German Politics, No. 3, 1996, S. 433. Zum Aspekt der Systemverpflichtung auch Winfried Steffani: Parteien als soziale Organisationen. Zur politologischen Parteienanalyse, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 4, 1988, S. 555 f. 367 Zu den Ausführungen von Waigel und Bötsch vgl. "Die laufen in die Regierungsunfähigkeit", in: Der Spiegel, Nr. 25, 20.6.1988, S. 21. Anton Notz: Interview mit dem CSU-Politiker Wolfgang Bötsch über die Steuerbefreiung für Flugbenzin: "Strauß ist kein Sportflieger, er fliegt beruflich", in: Stuttgarter Nachrichten, 23.6.1988. 368 Vgl. Ekkehard Kohrs: Bei der Abstimmung stand die Koalition vor dem Absturz, in: Bonner General-Anzeiger, 24.6.1988; Heinz Murmann: Zitterpartei für die "Jahrhundert-Reform", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.6.1988. Friedrich Neuhausen, ein Abgeordneter der FDP, dichtete dazu: "Wenn einer eine Kröte schluckt! und deshalb in die Suppe spuckt,! so wird er selten nur entdecken/ daß Kröt' und Suppe besser schmecken.! Bezwingt er jedoch seine Wut,! schmeckt wenigstens die Suppe gut." Zitiert nach Ekkehard Kohrs: Bei der Abstimmung stand die Koalition vor dem Absturz, in: Bonner General-Anzeiger, 24.6.1988. 369 Vgl. zur Position Gersters "Unionspolitiker: Wir sind doch keine Statisten", in: Die Welt, 22.6.1988. 370 Stoltenberg nahm ebenfalls am Weltwirtschaftsgipfel in Toronto teil. 371 Zur Position Dreggers vgl. "Wir sind keine Hampelmänner", in: Der Spiegel, Nr. 26,27.6.1988, S. 19.

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Änderung der Steuerreforrn fUhren würden, eine Absage. 372 Nach einer Vielzahl von Redebeiträgen, in denen die Abgeordneten ihren Unmut über das "Flugbenzindiktat" äußerten,373 wurde am Ende der Fraktionssitzung schließlich die Flugbenzinfrage im Sinne des Votums der vorangegangenen Sitzung nochmals in einem Mehrheitsbeschluß bestätigt. 374 Die Zustimmung der meisten Abgeordneten erfolgte weniger aus einer tieferen, an der Sache orientierten Einsicht. Sie fUgten sich vielmehr der Tatsache, "daß geschäftsordnungsmäßig keine andere Möglichkeit mehr besteht".37S Daß diese Bestätigung allerdings nur mehrheitlich und nicht einstimmig erfolgt war, zeigte die nach wie vor vorhandenen Protestpotentiale in der Fraktion. Diese versuchte man in einer Vielzahl von Einzelgesprächen, die Kohl, Schäuble, Dregger, Seiters und Bohl mit den zaudernden Abgeordneten fiihrten, doch noch auszuräumen. 376 So wurde z. B. Kohl, unmittelbar nachdem Schäuble ihm in der ersten morgendlichen Lage nach der Rückkehr aus Toronto über die schlechte Stimmungs lage in der Fraktion berichtet hatte,377 aktiv und suchte von da an bis zur Abstim-

372 Zur Position Waigels vgl. "Koalitions-Abgeordnete gegen Steuerbefreiung flir Flugbenzin", in: Stuttgarter Zeitung, 22.6.1988. 373 Vgl. zu den Inhalten der Redebeiträge "Wir sind keine Hampelmänner", in: Der Spiegel, Nr. 26, 27.6.1988, S. 18-20; Klaus Dreher: Widerstand in den Bonner Koalitionsfraktionen gegen Steuerbefreiung flir Flugbenzin wächst, in: SZ, 22.6.1988; Ulrich Reitz: Unionspolitiker: Wir sind doch keine Statisten, in: Die Welt, 22.6.1988; "Die Steuerreform vor der Verabschiedung. Unions-Streit über das Flugbenzin beigelegt", in: FAZ, 22.6.1988; Eghard Mörbitz: Bauchschmerzen haben inzwischen fast alle, in: FR, 23.6.1988. 374 Vgl. dazu CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Nach der gestrigen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte der Fraktionsvorsitzende Dr. Alfred Dregger vor Journalisten, 22.6.1988. Formell wurde damit kein neuer Beschluß über die Flugbenzinbesteuerung ge faßt, sondern lediglich ein bestehender per Mehrheitsbeschluß bestätigt. 375 Scharrenbroich zitiert nach: Eghard Mörbitz: Bauchschmerzen haben inzwischen fast alle, in: FR, 23.6.1988. Vgl. ergänzend auch Horst: Haushaltspolitik und Regierungspraxis, S. 266 f. Scharrenbroich hatte damit insofern Recht, als es unüblich war, von der Fraktion mehrheitlich gefaßte Beschlüsse in einer nachfolgenden Sitzung ohne Veränderung der Sachlage durch eine erneute Abstimmung aufzuheben. Er hatte auch insofern recht, als die eigene Regierung desavouiert worden wäre, hätte die Unionsfraktion nun beschlossen, in der Bundestagssitzung die Flugbenzinbefreiung nicht mehr mitzutragen. 376 Dazu "Die Steuerreform vor der Verabschiedung. Unions-Streit über das Flugbenzin beigelegt, in: FAZ, 22.6.1988; Martin E. Süskind: Das Geflihl erpreßt zu werden, in: SZ, 24.6.1988; Heinz Murmann: Zitterpartie flir die "Jahrhundert-Reform", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.6.1988; Ekkehard Kohrs: Bei der Abstimmung stand die Koalition vor dem Absturz, in: Bonner General-Anzeiger, 24.6.1988; "Machterhalt um jeden Preis", in: Stern, Nr. 27, 30.6.1988, S. 148-151. 377 Er konnte sich hierbei auf seine eigenen Erfahrungen aus der Diskussion vom Vortag, aber auch auf die ihm von seinen Informanten zugetragenen Stimmungsschwankungen und Unmutsbekundungen seitens der Abgeordneten stützen. Vgl. zur

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

mung im Bundestag das Gespräch mit den Abgeordneten. 378 Auch Schäuble bearbeitete die zur Abweichung entschlossenen Fraktionsmitglieder. Er konnte dabei auf alte Kontakte aus seiner Zeit als Parlamentarischer Geschäftsführer, sein breitgeflichertes Netzwerk in der Fraktion sowie die dabei aufgebauten Vertrauens linien zurückgreifen, im Sinne Kohls Einfluß ausüben und um Verständnis tUr dessen Position werben. 379 In diesen und den Gesprächen Dreggers, Waigels, Seiters' und Bohls380 konnten offensichtlich noch eine größere Zahl der Flugbenzinrebellen zur Zustimmung im Bundestag bewogen werden. 381 Letztlich lehnten nur sieben Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfrakti on die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer ab,382 acht enthielten sich der Stimme. 383 So wurden nach einem an Dramatik kaum noch zu überbietenden Abstimmungskrime 84 sowohl die Befreiung des Flugbenzins

Bedeutung Schäubles als Hörrohr Kohls in der Fraktion auch Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 116 f. 378 Vgl. dazu u. a. Jürgen Tuchei: In der Fraktion herrscht gereizte Stimmung, in: Nürnberger Nachrichten, 22.6.1988; Ulrich Reitz: CDU-Parteiaustritte wegen Flugbenzin, in: Die Welt, 23.6.1988; Heinz Murmann: Zitterpartie für die "JahrhundertReform", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.6.1988; Helmut Herles: Ruf schnell den Geißler im Adenauer-Haus an, in: FAZ, 25.6.1988. 379 Vgl. zu Schäubles Beziehungen zur Fraktion auch Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 116 f. 380 Es war vor allem die Stunde der Parlamentarischen Geschäftsführer. In dieser Phase und später, während der sich am Rande des Chaos bewegenden Abstimmungen im Bundestag, fiel ihnen eine zentrale Rolle bei der Herstellung der "Geschlossenheit" der Fraktion zu. 381 Offen blieb bei den Recherchen im Rahmen dieser Arbeit, inwieweit für diese Gespräche die Darstellung Stoltenbergs zutreffend war, nach der bereits vor der Abstimmung im Bundestag am 23.6.1988 erklärt wurde, die Befreiung der Privatflieger von der Flugbenzinsteuer wieder rückgängig zu machen, "um alle Stimmen der CDU/CSU und FDP zu erhalten". In den sehr detaillierten Berichterstattungen über die Flugbenzinentscheidung spiegelte sich ein derartiges Signal aus Fraktionsführung und Bundesregierung an die Abgeordneten nicht wider. In der ausgewerteten Presseberichterstattung läßt sich erst für Anfang Juli ein Rückzug von der Steuerbefreiung für Privatflieger nachweisen. Vgl. Stoltenberg: Wendepunkte, S. 301; "Koalition kippt den Flugbenzin-Beschluß", in: FR, 4.7.1988. 382 Zu diesen zählten Herbert Lattmann, Doris Pack, Anton Stark, Jürgen Todenhöfer, Ruprecht Vondran, Herbert Werner (alle CDU) sowie Matthias Engelsberger (CSU). Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 87. Sitzung. 23.6.1988, S. 5927 ff. 383 Dietrich Austermann, Wolfgang Börnsen, Udo Ehrbar, Rainer Haungs, Julis Louven, Hans-Werner Müller, Roland Sauer, Werner Schreiber (alle CDU) und Benno Zierer (CSU). Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 87. Sitzung 23.6.1988, S. 5927 ff. 384 So mußte die Abstimmung nach der dritten Lesung wiederholt werden. Dabei fiel den Parlamentarischen Geschäftsführern die Aufgabe zu, die bereits zu diversen Bonner Veranstaltungen ausgeschwärmten Abgeordneten nochmals zur Abstimmung zusammenzurufen. Vgl. u. a. Helmut Herles: Ruf schnell den Geißler im Adenauer-Haus an,

1. Finanzpolitik

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von der Mineralölsteuer als auch das Steuerreformgesetz 1990 am 23. Juni 1988 vom Bundestag mehrheitlich gebilligt. 385

Motive der Rücknahme der Flugbenzinentscheidung und Lageanalyse in der CDU/CSU-Fraktion

Mit der Verabschiedung im Bundestag war das Thema "Flugbenzinsteuer" aber keineswegs ad acta gelegt. Es bestimmte zunächst vor allem aus zwei Gründen auch weiterhin die Agenda der Politik in Bonn:

Rücknahme der Flugbenzinentscheidung In beiden Unionsparteien hatten sich an der Mitgliederbasis Proteststürme gegen die Flugbenzinentscheidung erhoben. Strauß386 und Kohe 87 gerieten unter massiven Druck. Kohls Machtbasis, die Partei, zeigte erste Risse im Fundament. Vor diesem Hintergrund kam es am ersten Juli-Wochenende in Abstimmung zwischen Kohl und Strauß zur Entscheidung, die Flugbenzingeschichte insofern rückgängig zu machen, als die Steuerbefreiung für Privatflieger aufgehoben, die für kleinere und mittlere Fluggesellschaften aber bestehen bleiben sollte. 388 Dieser Schwenk der Parteivorsitzenden von CDU und CSU sorgte bei den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion rur besondere Verbitterung. Nachdem man unter hohem politischen Schaden die Steuerbefreiung für Flugbenzin mitgetragen hatte, galt es jetzt, diese Position zu revidieren. In einer rur alle Fraktionsmitglieder offenen Sitzung des Fraktionsvorstandes am 4. Juli

in: FAZ, 25.6.1988; Heinz Munnann: Zitterpartei für die "Jahrhundert-Refonn", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.6.1988. 385 Zu Ablauf und Redebeiträgen der zweiten und dritten Lesung vgl. auch Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 87. Sitzung. 11. Wahlperiode. 23.6.1988, S. 5831-5927. 386 Strauß geriet zudem massiv in die Kritik der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag. Vgl. Hofman im Gespräch mit dem Autor am 19.7.1996; ergänzend Egon ScotlandlHans Holzhaider: Flugbenzin setzt CSU-Basis in Brand, in: SZ, 30.6.1988; Horst DaIchow: CSU-Fraktion spendete Strauß wieder Beifall, in: Die Welt, 6.7.1988. 387 Zur Kritik in der CDU und an Kohl vgl. u. a. "Koalition kippt den FlugbenzinBeschluß", in: FR, 4.7.1988; "Rückzug von Strauss in der Flugbenzin-Affäre?", in: NZZ,6.7.1988. 388 Der somit gefundene Komprorniß entsprach der Intention des oben dargestellten Beschlusses der Delegierten vom CDU-Bundesparteitag. Zu den Hintergründen der von Kohl und Strauß getroffenen Entscheidung vgl. "Koalition kippt den FlugbenzinBeschluß", in: FR, 4.7.1988; "Rückzug von Strauss in der Flugbenzin-Affäre", in: NZZ, 6.7.1988; ,,'Sind die in Bonn komplett verrückt?''', in: Der Spiegel, Nr. 28, 11.7.1988, S.16-18. 13 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

1988, an der 89 Abgeordnete der Unionsfraktion teilnahmen,389 obgleich offiziell die parlamentarische Sommerpause begonnen hatte, formulierte der Abgeordnete Franz Heinrich Krey stellvertretend für seine Kollegen: "Wir waren die Doofen. ,,390 Vor allem Dregger und Kohl standen im Zentrum der Kritik der Abgeordneten. 391

Lageanalyse in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Diese Sitzung bildete zugleich den Auftakt einer Lageanalyse in der Unionsfraktion, die die Abstimmungsprozesse innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch im Akteursdreieck von CDU und Bundesregierung zum Gegenstand hatte. Schnell wurde dabei deutlich, daß es hier um grundsätzlichere Dinge ging als nur um eine Nachbetrachtung zur Flugbenzindebatte. Sie war lediglich der Auslöser gewesen, der die angestaute Unzufriedenheit einer Vielzahl von Unionsabgeordneten über ihre Rolle im Bonner Politikbetrieb, vor allem aber im Verhältnis zur Bundesregierung zum Ausdruck brachte. Im Mittelpunkt der Kritik stand dabei zunächst der Vorsitzende der Unionsfraktion. Ihm wurden zwar auch die Verwicklungen um die Flugbenzingeschichte angelastet. Dahinter standen aber grundsätzlichere Vorwürfe, zu denen vor allem eine mangelnde Interessenvertretung der Fraktion gegenüber der Bundesregierung und Bundeskanzler Helmut Kohl, eine Degradierung der Fraktion zum Ausführungsorgan der Bundesregierung sowie seine falsche politische Einschätzung "der Durchsetzbarkeit von nicht sachgerechten Entscheidungen,,392 zählten. In diesem Zusammenhang wurde zum Beispiel angeführt, daß Dregger in der Sitzung des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 4. Juli 1988 die Aufhebung der Flugbenzinbesteuerung zunächst verteidigte, obgleich man sich auf der Ebene der Parteivorsitzenden bereits auf ein Abrücken verständigt hatte. 393 Öffentlich wurde über eine Absetzung Dreggers spekuliert. 394 Dregger 389 Von diesen 89 Abgeordneten meldeten sich 40 zu Wort. Eine ungewöhnlich hohe Quote. Angaben nach Helmut Herles: Auf das Klima in der Koalition wendet Kohl alte Bauernregeln an, in: FAZ, 7.7.1988. 390 Krey zitiert nach: "Sind die in Bonn komplett verrückt?", in: Der Spiegel, Nr. 28, 11. 7.1988, S. 17. Krey mußte diese Erkenntnis besonders schmerzen, war er es doch, dem die undankbare Aufgabe zugefallen war, die Notwendigkeit der Steuerbefreiung für Flugbenzin vor dem CDU-Parteitag zu begründen (vgl. weiter oben in diesem Kapitel). 391 Zu den schärfsten Kritikern vor allem Kohls zählte der CDU-Generalsekretär Geißler und sein Vorgänger Biedenkopf. Zur Sitzung vgl. "Sind die in Bonn komplett verrückt?", in: Der Spiegel, Nr. 28, 11.7.1988, S. 17. 392 Ungenannter Abgeordneter zitiert nach: "Abgeordnete wollen Dregger auf Rücktritt ansprechen", in: Die Welt, 28.7.1988. 393 Dazu "Abgeordnete wollen Dregger auf Rücktritt ansprechen", in: Die Welt, 28.7.1988.

I. Finanzpolitik

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selbst ging im August in die Offensive. In schriftlicher Form wandte er sich am 4. August 1988 an die Mitglieder der Unionsfraktion. 395 Neben einer Bilanz und einer Rechtfertigung bisheriger Politik sowie einer Darstellung künftiger Schwerpunkte der Fraktionsarbeit waren vor allem folgende "vier Anmerkungen" in Dreggers Brief an die Abgeordneten von Bedeutung: ,,- Unsere Entscheidungen müssen dem Gesichtspunkt der Vermittelbarkeit nicht weniger Rechnung tragen als dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit. Den Gesichtspunkt der Vermittelbarkeit können wir ausnahmsweise zurückstellen, wenn der Gegenstand der Auseinandersetzung es rechtfertigt. Beim Flugbenzin war das nicht der Fall. [... ] - Wir müssen die Arbeit der beiden Unionsparteien und der Bundestagsfraktion in Zukunft besser koordinieren. Die große Steuerreform, die kurz darauf verabschiedet wurde, war nicht Gegenstand des Bundesparteitages der CDU, wenn ich von meinem Bericht und der in letzter Stunde [... ] gefaßten Entschließung zum Flugbenzin einmal absehe. Die Partei und die Öffentlichkeit wären sicherlich besser vorbereitet gewesen, wenn der Parteitag das Thema Steuerreform zum Gegenstand seiner Erörterung gemacht hätte. Dann allerdings hätte er zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden müssen. - Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Ressorts, Fraktion und Fraktionsarbeitsgruppen verbessern. Diese Zusammenarbeit muß permanent verwirklicht werden auf der Ebene der Fraktionsarbeitsgruppen und der Ressorts. Wenn diese notwendige Zusammenarbeit aus der Sicht einer Arbeitsgruppe nicht befriedigend verläuft, muß die Fraktionsspitze eingeschaltet werden. Wir haben darüber bereits am 2.2. 396 und 23.2.1988 in der Fraktion diskutiert. Ich habe damals das Ergebnis zusammengefaßt und dem Bundeskanzler zugeleitet mit der Bitte, davon die Ressorts zu verständigen, was auch geschehen ist. 397 [ ••• ] Ich fordere alle Ressortchefs und alle Arbeitsgruppen auf, sich danach zu richten. - Auch die Zusammenarbeit innerhalb der Fraktion sollte verbessert werden mit dem Ziel, auch die nicht fachlich beteiligten Kollegen so früh wie möglich an der politischen Diskussion zu beteiligen. Ich schlage vor, die vor uns stehenden Reformwerke nach der Sommerpause einzeln in Sondersitzungen der Fraktion zu erörtern. Es

394 Was de facto aber nur über einen "freiwilligen" Rücktritt Dreggers hätte geschehen können, da er auf vier Jahre und somit bis ans Ende der Legislaturperiode gewählt war. Zu den Spekulationen vgl. "Abgeordnete wollen Dregger auf Rücktritt ansprechen", in: Die Welt, 28.7.1988. 395 Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, hat die "Halbzeit der parlamentarischen Sommerpause zum Anlaß genommen, folgendes Schreiben an die Mitglieder der Fraktion zu richten, 4.8.1988. 396 Dazu Redemanuskript "Fraktionsvorsitzender Dr. Alfred Dregger zur Arbeitsweise von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen in der Sitzung der CDU/CSUBundestagsfraktion am 2.2.1988" (Dokument aus privatem Aktenbestand). 397 Vgl. zum Wortlaut Brief des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger MdB, an Herrn Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl MdB, Bundeskanzleramt v. 10.2.1988 (Dokument aus privatem Aktenbestand).

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D. Politikfelder und Fallbeispiele wäre hilfreich, wenn wir dazu von den Ressortministem schriftliche Vorlagen bekämen. [... ],,39'

Dregger hatte mit dem, was er als verbesserungswürdig benannte, indirekt, aber dennoch prägnant die Defizite innerhalb der Unionsfraktion und in der Zusammenarbeit mit Regierung und Regierungsparteien angesprochen. Insgesamt kann festgehalten werden, daß Dregger die in den zurückliegenden Wochen aus den Reihen der Fraktion vorgebrachte Kritik auf drei Ebenen zusammenfaßte. Zu diesen zählten: - Koordinierungsprobleme auf der Ebene Unionsfraktion-CDU: Sie waren vor allem deutlich geworden in den unterschiedlichen Voten von Unionsfraktion und CDU-Parteitag in der Flugbenzindebatte. Das Fraktionsvotum war zudem während des Parteitages nicht vom Parteivorsitzenden oder anderen Präsidiumsmitgliedern verteidigt worden. - Koordinierungsdefizite auf der Ebene Fraktion-Regierung: Hierzu zählte zum einen, daß die Mehrheit der Abgeordneten erst zu einem späten Zeitpunkt über alle Details des Steuerreformgesetzes 1990 informiert worden war. Ohne ihn direkt anzusprechen, bezog sich Dregger mit seiner Kritik aber auch auf den Arbeitsstil des Bundesfinanzministers, der zu einer abgeschotteten und stark beamtenorientierten Arbeitsweise neigte. 399 - Innerfraktionelle Abstimmungsschwierigkeiten: Von den Abgeordneten der Unionsfraktion waren im Kern nur Glos und Meyer zu Bentrup sowie im weiteren Umfeld einige wenige andere Fraktionsmitglieder an den Ausarbeitungen und Beratungen der Steuerreform beteiligt. Vom Fraktionsmanagement war es versäumt worden, die Gesamtfraktion ausfiihrIich über die inhaltlichen Entwicklungen eines der wichtigsten Reformvorhaben der Legislaturperiode zu informieren und die politische Bedeutung der Einzelaspekte zu verdeutlichen. Damit waren die zentralen Aspekte im Akteursdreieck aus Fraktionssicht lokalisiert. Gleichzeitig hatte Dregger jedoch - wenn auch unbewußt - die Kritik an seiner Person bestätigt. Dies wurde vor allem in zweierlei Hinsicht deutlich:

398 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CDU/CSUBundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, hat die "Halbzeit der parlamentarischen Sommerpause zum Anlaß genommen, folgendes Schreiben an die Mitglieder der Fraktion zu richten, 4.8.1988. 399 Zum Arbeitsstil Stoltenbergs vgl. "Zu wenig drauf", in: Der Spiegel, Nr. 9, 23.2.1987, S. 21-23, hier S. 22; auch "War beleidigt", in: Der Spiegel, Nr. 8, 22.2.1988, S. 23 f.; "Stoltenbergs Wundertüte ist leer", in: Der Spiegel, Nr. 18,2.5.1988, S. 24-32; Rainer Hübner: Herbstmanöver, in: Capital, H. 8, 8.8.1988, S. 24-26. Zu den Notwendigkeiten eines solchen Arbeitsstiles vgl. Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997.

I. Finanzpolitik

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- Dregger hatte auf seine Rede vor der Fraktion vom 2. Februar 1988 verwiesen. Damals hatte er konkrete Verfahrensvorschläge rur die Zusammenarbeit zwischen Ressorts und Fraktion gemacht, die er in drei Abschnitte einteilte. Er ruhrte aus, in welchem Maße und in welcher Form die Fraktion seiner Ansicht nach in den Entstehungsprozeß und die Formulierung von ReferentenentwUrfen, RegierungsentwUrfen und parlamentarischen Beratungsverfahren einzubeziehen sei. 400 Symptomatisch rur Dreggers Stellung im Beziehungsgeflecht von Bundesregierung und CDU/CSU-Bundestagsfraktion war aber, daß seine Forderungen in der Praxis kaum Berücksichtigung fanden. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielte dabei mit Sicherheit zum einen das eingeschränkte Interessenfeld Dreggers selbst, das sich im wesentlichen auf sicherheitspolitische Fragen beschränkte. 401 Darüber hinausgehende Themenbereiche nahm er allenfalls zur Kenntnis, setzte sich mit ihnen inhaltlich aber kaum auseinander. Entsprechend schwach waren seine Antennen auf die Entwicklung in anderen Politikfeldern und den Grad der Einbindung der Unionsfraktion in den Politikgestaltungsprozeß ausgerichtet. Weitaus wichtiger aber war, daß Dregger sich - entgegen seinen Äußerungen - in seiner Amtsruhrung ganz auf die loyale Unterstützung Kohls und der Regierung im Parlament ausgerichtet hatte. 402 Dabei nahm er es hin, nicht zum engeren Entscheidungskreis um Kohl zu zählen und von der Entscheidungsvorbereitung ausgeschlossen zu sein. Kohl wußte wiederum die unbedingte Loyalität des Fraktionsvorsitzenden zu schätzen403 und nutzte Dreggers Amtsverständnis 400 Vgl. detailliert Redemanuskript "Fraktionsvorsitzender Dr. Alfred Dregger zur Arbeitsweise von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 2.2.1988" (Dokument aus privatem Aktenbestand). 401 Vor allem unter den Landesgruppenchefs sorgte dies für heftige Kritik an der Amtsführung Dreggers. Die "Teppichhändler" waren es schließlich auch, die die Absetzung des Fraktionsvorsitzenden offensiv betrieben. Zur Kritik der Landesgruppenchefs vgl. Eduard Neumaier: Wie ein Pfropf im Flaschenhals, in: Rheinischer Merkur, 6.5.1988. 402 Dies trug ihm aus der Fraktion den anonymen Vorwurf ein, zu "regierungshörig" zu sein. Vgl. dazu Jörg Bischoff: "Alfred Dregger muß weg", in: Die Rheinpfalz, 6.8.1988. Zum Amtsverständnis Dreggers auch: Stephan-Andreas Casdorff: Des Kanzlers Mann für die Fraktion, in: SZ, 8.12.1988; Manfred Schell: Welt-Gespräch mit Alfred Dregger, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die Fraktion ist nicht dafür da, Theater zu spielen", in: Die Welt, 20.9.1988. In der Flugbenzindebatte wurde in deutlichen Ansätzen das erkennbar, was Deupmann allgemein zusammenfaßt: "Nach Schäubles Wechsel ins Kanzleramt degenerierte die Fraktion immer mehr zur reinen Unterstützungsmaschinerie für den Kanzler. Der alternde Dregger gefiel sich darin, Vollzug für die von Kohl benötigten Mehrheiten zu melden." Ulrich Deupmann: Wolfgang Schäuble. Ein Porträt, München 1992, S. 15. 403 Die Wertschätzung kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß Kohl, der sehr wohl über die verschiedenen Versuche, Dregger 1988 als Fraktionsvorsitzenden abzusetzen, informiert war, sich nicht aktiv an ihnen beteiligte und auf Dregger Druck ausübte. Im Gegenteil, bei einem Treffen im Sommer sicherte Kohl dem Fraktionsvorsitzenden zu, sich nicht an dessen Sturz, weder aktiv noch durch stille Duldung, zu beteili-

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

flir seine Politik. Offensichtlich war sich Kohl der Gefolgschaft Dreggers und auch der Fraktion - derart sicher, daß es mitunter nicht flir notwendig erachtet wurde, ihre Vertreter zu entscheidenden Koalitionsrunden einzuladen. Ein politischer Circulus vitiosus aus Loyalitätsbekundung (Dregger) und Unterstützungserwartung (Kohl) hatte sich im Laufe der Zeit herausgebildet, der letztlich zur Schwächung der Fraktion gegenüber der Regierung flihrte. Daß es vor diesem Hintergrund zu Unmutseruptionen unzufriedener Abgeordneter,404 die das Amtsverständis Dreggers nicht teilten, kommen mußte, war fast zwangsläufig. 405 Seit Frühjahr 1987 erhoben sich vor diesem Hintergrund in der Fraktion immer wieder kleinere Proteste. 406 In der Flugbenzindebatte kulminierten die angestauten Frustpotentiale und legten die begrenzte Handlungsautonomie der Fraktion gegenüber der Regierung und Kohl offen. Daß Kohl und die Fraktionsflihrung dennoch der Fraktion die FlugbenzinsteuerEntscheidung zumutete, mag darauf hinweisen, daß man in diesem Punkt offensichtlich die Leidensfähigkeit der Fraktion überschätzt hatte. 407 - Fast identisch ließ sich Dreggers Rolle als Verbindungsglied zwischen Fraktion und CDU-Präsidium interpretieren, dessen Mitglied er als Fraktionsvorsitzender war. Als solcher hätte er die Voraussetzung und damit die Möglichkeit besessen, Einfluß auf die Planungen des Parteitages und die dortige Tagesordnung zu nehmen. 408 Dregger zählte, obgleich er im Untersuchungszeitraum als einer der wenigen Präsidiumsmitglieder bei nahezu allen Präsidiumssitzungen anwesend war,409 zu den ruhigeren Akteuren im Präsidium und melde-

gen. Dazu "Kohl: 'Ich gewinne die Wahl 1990"', in: Der Spiegel, Nr. 37,12.9.1988, S. 18-20, hier S. 19. 404 Hierzu zählten viele, nach 1983 in den Bundestag gewählte Abgeordnete und jene, die sich in ihren Aufstiegschancen blockiert sahen. Erstere verfugten nicht über in Oppositionszeiten ausgeprägte Loyalitätsbindungen zu Kohl. Bei den zweiten brachen diese allmählich auf. Bestätigend Claus Genrich: Die Kabinettsumbildung stellt Kohl vor eine schwierige Aufgabe, in: FAZ, 15.8.1988. 405 Deutlichen Ausdruck fand dieser schließlich in den massiven Vorstößen der "Teppichhändler", Dregger Ende 1988 zum Rücktritt zu bewegen. Vgl. "Finger im Wind", in: Der Spiegel, Nr. 50,12.12.1988, S. 30 f.; Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 7983.

406 Vgl. dazu die vorhergehenden Kapitel sowie Ulrich Reitz: Unmut in der Union über fehlende Beteiligung arn Entscheidungsprozeß, in: Die Welt, 3.2.1988; Norbert Bicher: "Einige in der CDU laufen mit der Faust in der Tasche herum", in: Westfalische Rundschau, 16.2.1988; Eduard Neumaier: Wie ein Pfropf im Flaschenhals, in: Rheinischer Merkur, 6.5.1988. 407 Ein weiterer Beleg dafür, daß das ansonsten mit nur geringer Fehlerquote arbeitende Frühwarnsystem Kohls hier nicht funktioniert hatte. Zum Frühwarnsystem auch: Korte: Deutschlandpolitik, S. 497. 408 Vgl. dazu auch die Bewertung von Klaus Dreher: Machtverfall der UnionsFraktion, in: SZ, 10.8.1988. 409 So Vogel im Gespräch mit dem Autor arn 22.7.1997.

I. Finanzpolitik

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te sich kaum zu Wort. 410 Seine politische Bedeutung als erster Repräsentant der Unionsfraktion und Sachwalter ihrer Interessen brachte er dort nicht wahrnehmbar ein. Allerdings war der Spielraum, den ihm Kohl dazu gab, gering. So übernahm es zum Beispiel Kohl selbst, zu Beginn der Präsidiumssitzungen in seinem Lagebericht zur Regierungsarbeit und allgemeinen politischen Situation auch über die Arbeit der Fraktion zu berichten. 4I1 Dregger bildete damit einen zentralen Schnittpunkt der von ihm lokalisierten drei Problemebenen. Einen weiteren bildete aber auch die engere Fraktionsfiihrung (geschäftsfiihrender Vorstand). Besonders galt dies fiir die Stellvertreter Dreggers und die Parlamentarischen Geschäftsfiihrer Seiters und Bohl. Wie Dregger standen auch sie in loyaler Unterstützung zur Regierung beziehungsweise zu Kohl und hatten in der Flugbenzindebatte die Abgeordneten entweder von der macht- und koalitionspolitischen Notwendigkeit der Steuerbefreiung von Flugbenzin zu überzeugen versucht oder aber überhaupt keine Stellung bezogen. 412 Sie hatten ihre Aufgabe vor allem darin gesehen, die Fraktion bedingungslos auf die Regierungslinie einzuschwören, und nicht darin, sich zum Sachwalter der Abgeordneten-Interessen und -Bedenken gegenüber der Regierung zu machen.

Zusammenfassung und Bewertung

- Die Abschaffung der Flugbenzinsteuer war mit der Unionsfraktion nicht abgestimmt und wurde vom Bundesfmanzministerium zu einem Zeitpunkt in die Kabinettsvorlage aufgenommen, als fiir die Fraktionsvertreter keine Möglichkeit mehr zur Intervention blieb. An der entscheidenden Koalitionsrunde waren die Vertreter der Unionsfraktion nicht beteiligt. - Kohl wollte die Steuerreform mit allen Mitteln politisch durchsetzen. Dies machte er vor allem mit seiner Rücktrittserwägung im März deutlich, die ihre Wirkung über das Gremium der Koalitionsrunde, in der er sie aussprach, hinaus entfaltete und auch ein Signal und ein Aufruf zur Geschlossenheit in der eigenen Partei war.

410 Neben Kohl beteiligten sich vor allem Geißler, Späth, Biedenkopf, Blüm und Süssmuth an den Aussprachen im Präsidium. Dregger, Jenninger, Klepsch und Laurien gehörten eher zu den schweigsameren Mitgliedern. Angaben nach Haungs: Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik, S. 119. 411 Dies änderte sich erst, als Schäuble Fraktionsvorsitzender wurde. Vgl. dazu Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 412 Zur Kritik an diesem Verhalten aus der Unionsfraktion vgl. auch Volker Bästlein: Unionsfraktion soll Lehren aus Steuerdebatte ziehen, in: Bonner Rundschau, 20.9.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Kohl nahm durch Reden vor der Unionsfraktion und in Einzelgesprächen selbst massiv Einfluß auf den Meinungsbildungsprozeß der Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und machte ihnen die machtpolitische Komponente ihrer Zustimmung zur Abschaffung der Flugbenzinsteuer deutlich. In seiner Position und in seinem Vorgehen wurde er seitens der Fraktionsführung von Dregger, Waigel, Seiters und Bohl sowie vom Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt, Schäuble, unterstützt. Letzterer hatte es in Kohls Abwesenheit stellvertretend für diesen unternommen, in einer Rede vor der Fraktion die Abgeordneten auf die von der Regierung in der Flugbenzindebatte gewünschte politische Linie nochmals einzuschwören. Er wurde dabei von Dregger unterstützt, der der Loyalität zum Bundeskanzler und zur Bundesregierung in dieser Phase größere Bedeutung zumaß als der inhaltlichen Dimension der Flugbenzindebatte und für die notwendige parlamentarische Unterstützung dieses Regierungsvorhabens sorgte. Er begriff sich als Hauptmann, der die Regierungsbataillone zusammenzuhalten hatte. Entsprechend agierte er in der Fraktion und versuchte, eine offene Spaltung der Fraktiongsgemeinschaft zu verhindern. Seitens Dreggers und der Fraktionsführung wurde an der Regierungsvorlage festgehalten. Kompromißformeln aus den Reihen der Abgeordneten wurden nicht akzeptiert. Erst als von seiten der Regierung (Kohl) - und der Parteiführungen von CDU und CSU (Kohl/Strauß) - ein Abrücken von der ursprünglichen Position signalisierte worden war, revidierte auch die Fraktionsführung ihre Position. - Von den Abgeordneten wurden die von Kohl, Schäuble und Dregger vorgebrachten machtpolitischen Aspekte schließlich akzeptiert und über die inhaltliche Dimension der Flugbenzinfrage gestellt. Sie beugten sich in ihrem Abstimmungsverhalten den Forderungen der Regierung und ihrer Fraktionsführung. - Die Flugbenzindebatte war Kulminationspunkt eines zunehmend gespannteren Verhältnisses zwischen Abgeordnetenmehrheit und Fraktionsführung einerseits sowie zwischen den Volksvertretern in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Bundesregierung andererseits. Die Abgeordneten fühlten sich in ihren Interessen gegenüber der Regierung nicht mehr adäquat vertreten und auf die Funktion einer Zustimmungsmaschine reduziert. Die Fraktionsführung war zum verlängerten Arm der Regierung, insbesondere des Kanzleramtes, in der Unionsfraktion geworden. Im Verhältnis von Unterstützungs- und Kontrollfunktion gegenüber der Regierung überwog die erstgenannte Funktion. Die Fraktion konnte in dieser Phase nicht mehr zum Korrektiv der Regierungspolitik werden. Dies wurde nicht zuletzt daran deutlich, daß sie mit dem Steuerreformgesetz 1990 eine Gesetzesinitiative stellvertretend für die Bundesregierung in den Deutschen Bundestag einbrachte, die sie nicht in allen Details unterstützte.

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- CDU-Präsidium und -Vorstand spielten in der Flugbenzindebatte keine Rolle. Die Flugbenzingeschichte war kein Thema, das die Bundesländer betraf; deshalb bestand auch kein Klärungsbedarf zwischen den Akteursgruppen über dieses Parteifiihrungsgremium. Es handelte sich in erster Linie um einen Konflikt zwischen Regierung und Fraktion beziehungsweise Fraktionsfiihrung und Fraktion, der auch auf diesen Ebenen ausgetragen wurde. Die CDU als Partei spielte aber insofern eine Rolle, als die Delegierten des Wiesbadener CDU-Parteitags die Abgeordneten und die Regierung aufforderten, ihre Flugbenzinentscheidung zu revidieren, und damit die Zwickmühlensituation fI1r die Volksvertreter in der Unionsfraktion und deren Entscheidungsdilemma zwischen loyaler und politisch von der Bundesregierung eingeforderter Unterstützung sowie eigener machtpolitischer Absicherung im Wahlkreis verschärfte.

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11. Deutschlandpolitik 1. Deutschlandpolitische Profilschärfung 1984/85 - Versuche der Einflußnahme aus der Unionsfraktion auf die Regierungspolitik Nach dem Regierungswechsel in Bonn im Herbst 1982 hielt die neue Bundesregierung an der Gesprächsbereitschaft gegenüber der DDR-Führung fest. Die Ergebnisse dieser Gesprächskontinuität wurden in der Öffentlichkeit deutlich: Die Bundesregierung hatte zwei Kreditbürgschaften fur die DDR übernommen; eine Teilrücknahme des erhöhten Mindestumtauschs konnte ebenso erreicht werden wie die Ausdehnung der Reisemöglichkeiten fur DDR-Rentner in den Westen, eine Erweiterung der Besuchsdauer im grenznahen Verkehr und der Abbau der Selbstschußanlagen an der innerdeutschen Grenze. Die Verhandlungen über ein Kulturabkommen hatten nach langer Ruhezeit wieder begonnen.' Wenngleich die Regierung Kohl bei der von ihr betriebenen Deutschlandpolitik stets den normativen Dissens zwischen beiden deutschen Staaten betonte, wurde im Sommer 1984 ein sukzessive angestautes Unmutspotential innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in bezug auf die Regierungspolitik erkennbar. Ein Auslöser dabei war der geplante Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland. Im folgenden soll in drei Abschnitten untersucht werden, welche Versuche in dieser Phase aus der Unionsfraktion unternommen wurden, Einfluß auf die Ausrichtung der operativen Deutschlandpolitik der Regierung zu nehmen und wie seitens der Bundesregierung und der CDUParteifuhrung auf diese reagiert wurde: - Deutschlandpolitische Unzufriedenheit in der Unionsfraktion und Dreggers Ablehnung des Honecker-Besuchs; - "Richtlinienvorgabe" durch den Parteivorsitzenden; - Initiativen der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen.

I Zum Überblick auch Martin: Zwischenbilanz; Nawrocki: Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland; Eberhard SchulziPeter Danylow: Bewegung in der deutschen Frage? Die ausländischen Besorgnisse über die Entwicklung in den bei den deutschen Staaten, 2. Aufl. Bonn 1985; Kurt Plück: Was sich gewendet hat. Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl/Genscher. Eine Zwischenbilanz, in: Die politische Meinung, Nr. 214, 1984, S. 20-27; ergänzend Philipp Jenninger: Eine deutsche Bilanz, in: Bayernkurier, 18.2.1984.

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Deutschlandpolitische Unzufriedenheit in der Unionsfraktion und Dreggers Ablehnung des Honecker-Besuchs In die Schußlinie von Protesten aus der Unionsfraktion geriet ab Sommer 1984 in erster Linie der im Kanzleramt fiir die Deutschlandpolitik zuständige Staatsminister Jenninger. Obwohl er aus seiner Zeit als erster Parlamentarischer Geschäftsfiihrer noch hohes Ansehen genoß, wurden seine Verhandlungsergebnisse mit der DDR im Rahmen der Reiseerleichterung von Unionsabgeordneten kritisiert. 2 Stein des Anstoßes war in erster Linie, daß wichtige Reiseerleichterungen fiir West-Berliner nicht gelten sollten. 3 Stellvertretend fiir die breite Meinung in der Unionsfraktion stand die Äußerung eines Abgeordneten: "Wir hätten der DDR-Führung klarmachen müssen: Ohne Einbeziehung WestBerlins läuft nichts, auch nicht der 950 DM Millionen-Kredit. Wir können doch nicht das tun, was wir der SPD immer wieder vorgeworfen haben, solange sie in Bonn regierte.,,4 Aber auch die Absenkung des Mindestumtauschs fiir Rentner von 25 auf 15 Mark wurde in der Unions fraktion nicht als substantielles, sondern allenfalls als kosmetisches Verhandlungsergebnis betrachtet. 5 Jenninger wurde zudem zum Vorwurf gemacht, daß er in der Zeit als Staatsminister nur noch sporadisch an den Sitzungen der deutschlandpolitischen Gremien seiner Fraktion und des Innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages teilgenommen hatte. 6 Damit reduzierte sich sein Wert als Staatsminister und

2 Unverhohlene Kritik wurde zudem aus dem Innerdeutschen Ministerium laut. Dort nutzte man die Situation, um nachhaltig auf den Sachverstand des Ministeriums und die ungenügende Einbindung des Ressorts in die Vorbereitung des Verhandlungsprozesses mit der DDR hinzuweisen. Vgl. Claus Wettermann: Zwei Chefs und ein Kurs gegenüber Ost-Berlin, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.8.1984. Auch die DDR-Bevölkerung nahm die Verhandlungsergebnisse kritisch auf. Dazu Carl-Christian Kaiser: An der Aufgabe Feuer gefangen, in: Die Zeit, 3.8.1984. J Die West-Berliner Bevölkerung soIlte von der ansonsten für den kleinen Grenzverkehr ausgehandelten Regelung ausgenommen bleiben, nach der sich Besucher aus der Bundesrepublik Deutschland bis zu 48 Stunden in der DDR aufhalten konnten. 4 Zitiert in: Rudolf Bauer: In der CDU/CSU-Fraktion wächst Ärger, in: Rheinische Post, 4.8.1984. 5 Vgl. ebd. Die Kritik reichte von der UntersteIlung dilettantischer Verhandlungsführung bis zum Vorwurf mangelnder Entschlossenheit. Vgl. auch "Harsche Kritik an der Verhandlungsführung Jenningers", in: FAZ, 4.8.1984; zu den Hintergründen auch Michael L. MüIler: Philipp Jenninger ist noch nicht aus dem Schneider, in: Berliner Morgen post, 2.9.1984. 6 Vgl. dazu die Wiedergabe eines Unionsabgeordneten, in: Ebd. Die Verhandlungsergebnisse fanden aIlerdings auch Zustimmung. So stärkten Scholz und Lintner dem Staatsminister den Rücken. Vgl. Eduard Lintner: Deutschlandpolitik: Die Bilanz ist gut. Regierung hat zahlreiche Verbesserungen erreicht, in: DUD, 8.8.1984; Manfred Schell: "Honecker-Besuch kein Wert an sich", in: Die Welt, 9.8.1984; ergänzend Carl-Christian Kaiser: An der Aufgabe Feuer gefangen, in: Die Zeit, 3.8.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Bindeglied zwischen Fraktion und Regierungszentrale 7 - gehörte es doch ursprünglich zu seinen Aufgaben, im Windschatten Kohls den Informationsaustausch zwischen Regierung und der Unionsfraktion zu organisieren. Dazu zählte zum einen, die CDU/CSU-Fraktion über die Entwicklungen in der Politik der Bundesregierung zu informieren. Gleichzeitig sollte er unter Nutzung seines als Parlamentarischer Geschäftsführer angelegten Fraktionsnetzwerkes eine gleichsam seismographische Funktion für Kohl in der Fraktion übernehmen, Veränderungen in Stimmungslagen sowie Wünsche und Initiativen aus der Fraktion im Kanzleramt aufnehmen. Jenninger wurde allerdings in der Unionsfraktion - zumindest aus Sicht vieler Abgeordneter - seiner Funktion als Sprachrohr der Regierung nicht mehr gerecht. Aber auch seine Bedeutung als Hörrohr Kohls in der Fraktion nahm nach 1983 sukzessive ab. Jenninger wurde hierin vom ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion, Schäuble, abgelöst. Wollte Kohl sich über Stimmungs lagen in der Fraktion informieren, tat er dies zunehmend, indem er den "leitenden Kompaniefeldwebel",8 den ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Schäuble anriee In die Schußlinie geriet aber auch der Fraktionsvorsitzende Dregger selbst. Er wurde nicht zuletzt für die von den Abgeordneten als mangelhaft empfundene Zusammenarbeit der Regierung mit der Fraktion und die ungenügende Berücksichtigung des dort vorhandenen deutschlandpolitischen Potentials verantwortlich gemacht. Man forderte eine verstärkte Einbindung des in der Fraktion versammelten deutschlandpolitischen Sachverstandes durch Fraktionsführung und Bundesregierung. lO Diese Unzufriedenheit, aber auch das in einer Vielzahl von Protestbriefen an die Unionsabgeordneten von Wählern und Mitgliedern der CDU zum Ausdruck gebrachte Unverständnis über die Bonner Politik gegenüber Ost-Berlin 11 führten dazu, daß sich der Fraktionsvorsitzende Dregger in der sich im Juli/August 1984 entspannenden Debatte um einen möglichen Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland vernehmlich zu Wort meldete und auf eine augenscheinliche Kampflinie zur Politik der Bundesregierung einschwenkte.

7 Auf die Bedeutung des Scharniers "Parlamentarischer Staatssekretär" im Verhältnis zwischen Regierung und Fraktion weist auch Seiters hin. Vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996. Grundsätzlich zur Bedeutung des Parlamentarischen Staatssekretärs Laufer: Der Parlamentarische Staatssekretär; ergänzend der Erfahrungsbericht von von Bülow: Parlamentarische Staatssekretäre. 8 So nannte Kohl den ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion. Vgl. Filmer/Schwan: Wolfgang Schäuble, S. 101. 9 Dazu Günter Müchler: Kohls junger Mann war er noch nie, in: Rheinischer Merkur, 30.11.1984. 10 Vgl. "Harsche Kritik an der Verhandlungsführung Jenilingers", in: FAZ, 4.8.1984. 11 Dazu Rolf Zundel: Die Querschüsse der Amateure, in: Die Zeit, 31.8.1984.

11. Deutschlandpolitik

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Im Sommer 1984 hatte es lange Zeit so ausgesehen, als würde Honecker der ursprünglich noch von Bundeskanzler Schmidt während eines Treffens am Werbellinsee 1981 vereinbarten und von Kohl mehrmals bestätigten Einladung zum Gegenbesuch 12 in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr Folge leisten. Vor dem Hintergrund einer nicht zuletzt durch Moskauer Störfeuer und Revanchismusvorwürfe angeheizten Debatte 13 um Honeckers Visite in Westdeutschland antwortete Dregger in einem am 23. August veröffentlichten Interview auf die Frage "Moskau und nun auch SED-Chef Honecker richten publizistische Breitseiten gegen Bonn. Wie bewerten Sie die Vorgänge?" folgendermaßen: "Mit Gelassenheit. Unsere Zukunft hängt nicht davon ab, daß Herr Honecker uns die Ehre seines Besuches erweist.,d4 Gleichzeitig formulierte er seine Erwartungen an den Besuch, falls Honecker nun wirklich in die Bundesrepublik Deutschland komme: "Er sollte gut vorbereitet werden, damit die relativ kurzen Gesprächszeiten der Hauptbeteiligten optimal genutzt werden können. Uns geht es, wie bei jeder deutschdeutschen Begegnung, um mehr Freizügigkeit und um mehr Umweltschutz in Deutschland. Selbstverständlich werden wir auch auf die Gesprächswünsche des Herrn Honecker eingehen.'d5

Wert legte Dregger darauf, den Besuch des SED-Parteichefs protokollarisch als Arbeitsbesuch zu behandeln. "Die Verhältnisse in Deutschland sind noch nicht so, daß sie auf höchster protokollarischer Ebene gefeiert werden könnt en. ,.16

12 Bereits während eines Treffens am 14.11.1982 anläßlich der Beisetzung von Leonid Breschnew hatte Bundespräsident Carstens an Honecker im Namen Kohls übermittelt, "daß die Einladung zu einem Besuch in der BRD stehe. Man würde sich freuen, wenn dieser Besuch zustande kommt." Vgl. Gespräch Carstens/Genscher-Honecker am 14. November 1982 (Moskau), abgedruckt, in: Potthof: Die Koalition der Vernunft, S. 94-100, hier S. 94. Persönlich bestätigte Kohl die Einladung u. a. in den Telefonaten (24.1.1983, 18.3.1983, 19.12.1983) bzw. dem Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden in Moskau (13.2.1984). Vgl. die entsprechenden Aufzeichnungen und Niederschriften in: SAPMO-BArch, vorl. SED 41664, Büro Honecker; SAPMO-BArch, J IV 836. 13 Vgl. "Prawda": Auf falschem Weg, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/2, S. 297 f. Überblicksartig auch Christian Schmidt-Häuer: Bündnis der Harten, in: Die Zeit, 3.8.1984. 14 Interview mit Manfred Schell: "Unsere Zukunft hängt nicht vom Besuch Honekkers ab", in: Die Welt, 23.8.1984. Berlins Senator für Bundesangelegenheiten, Rupert Scholz, hatte bereits in einem Interview vom 9.8. betont, der Honecker-Besuch sei "natürlich kein Wert an sich". Er forderte eine Gesprächsagenda, die das umfassen sollte, "was für beide Seiten von Interesse ist und worüber man sich kurz- oder längerfristig verständigen kann." Interview mit Manfred Schell: "Honecker-Besuch kein Wert an sich", in: Die Welt, 9.8.1984. 15 Ebd. 16 Ebd.

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D. Politikfelder und Fallbeispie1e

Diesem Interview des Fraktionsvorsitzenden war wenige Tage zuvor ein Treffen Dreggers mit Jenninger und dem Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium, Rehlinger, vorausgegangen. 17 In der Folge dieses Gesprächs drang aus dem Umfeld des Fraktionsvorsitzenden dessen Skepsis darüber, daß in der westdeutschen Öffentlichkeit durch die bisherigen Regierungsverlautbarungen einem Wahmehmungstrend Vorschub geleistet werde, nach dem die Reise Honeckers vor allem im Interesse der Bundesregierung liege. Außerdem hatte sich Dregger darüber besorgt gezeigt, daß es offensichtlich noch keine detaillierte Vorbereitung rur den am 26. September geplanten Besuch Honeckers gab. Noch wichtiger war filr ihn aber die Erkenntnis, daß es bis dato rur die Bundesregierung offensichtlich keine konkreten Erwartungen gab, was die Gespräche mit Honecker an menschlichen Erleichterungen rur die Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands bringen würden. Dieses deutschlandpolitische Unbehagen war offensichtlich der Hintergrund seiner oben dargestellten Interviewäußerungen. Dregger hatte damit - allerdings mit einer wesentlich stärkeren Öffentlichkeitswirksamkeit - das artikuliert, was der Vorsitzende des Bundestagsausschusses rur innerdeutsche Beziehungen und CDU-Mitglied, Gerhard Reddemann, bereits einige Tage zuvor in nur geringrugig diplomatischere Worte gekleidet hatte: "Ein Besuch Honeckers in seiner alten Heimat ist nur dann nützlich, wenn bei den vorgesehenen politischen Gesprächen etwas für die Menschen herauskommt. Ein Besuch ohne den Wille zu vorzeigbaren Verbesserungen wäre nicht notwendig. Die Bundesregierung würde schlecht beraten sein, wenn sie Konzessionen machte, nur um den Besuch stattfinden zu lassen." I8 Beide - Dregger wie Reddemann - sprachen stellvertretend rur jene in der Unionsfraktion, die den pragmatischen deutschlandpolitischen Kurs der Regierung Kohl mit zunehmender Skepsis betrachteten und im abwägenden Kalkül zwischen Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen und einer möglichen politischen Aufwertung Ost-Berlins durch den Empfang des DDR-Staatsratsvorsitzenden zum damaligen Zeitpunkt keinen Nutzen der Honecker-Visite für die Förderung des deutsch-deutschen Verhältnisses sahen. Neben diesen inhaltlichen Aspekten hatte Dregger zugleich mit seinem Interview aber auch jene zu beruhigen versucht, die schon länger forderten, das Gewicht der Fraktion

17 Dazu und zum folgenden "Disput in der Union über den Besuch Honeckers", in: FAZ, 25.8.1984. Dies legt den Schluß nahe, daß Dregger über den Stand der Besuchsverhandlungen informiert war und vor allem deshalb seine Position öffentlich machte, weil sie von den Deutschlandpolitikern in der Regierung während des Dreiergesprächs nicht ernst genug genommen worden waren. Zu dieser Interpretation vgl. auch Klaus Dreher: Das Protokoll als eigentliches Politikum, in: SZ, 29.8.1984. 18 Interview mit Manfred Schell: "Reddemann: Keine Konzessionen, nur um den Besuch stattfinden zu lassen", in: Die Welt, 30.7.1984.

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gegenüber der Regierung zu stärken, und mehr Einfluß auf die Regierungspolitik wünschten. 19 Scharf waren die Reaktionen aus Ost-Berlin auf Dreggers Aussagen. In einem mit "A. Z." gezeichneten Kommentar im Neuen Deutschland wurden die "skandalösen und provokanten Ausfalle gegen einen etwaigen Besuch des Staatsoberhauptes der DDR in der BRD" als "unerhört" bezeichnet und in scharfem Ton verurteilt. 20 Aber auch innerhalb der Bundesregierung und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fanden die Aussagen Dreggers kritische Gegenworte. Von Kohl selbst, der sich noch im Urlaub am Wolfgangsee befand, war zunächst zwar keine Stellungnahme erfolgt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Rühe/ 1 der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Dreggers Interviews zu Gesprächen in Ost-Berlin war, kritisierte den Fraktionsvorsitzenden in einer eigenen Stellungnahme jedoch zwischen den Zeilen. So verdeutlichte er, daß die Fraktion nach wie vor hinter der Deutschlandpolitik der Regierung stehe und daß es die Bundesregierung gewesen sei, die Honecker eingeladen habe,z2 Dieses Statement beinhaltete damit implizit zwei Aussagen Rühes: Zum einen sollte die Position Dreggers nicht als repräsentativ flir den Mehrheitswillen in der Fraktion verstanden werden. Dies konnte als Versuch Rühes gewertet werden, Interpretationen entgegenzuwirken, die das Interview Dreggers als ein Einschwören der Fraktion auf eine Absage des Besuchs auslegten?3 Zum anderen machte Rühe deutlich, daß die Aussage des Fraktionsvorsitzenden schon formal keine Absage des HoneckerBesuchs von westdeutscher Seite bedeuten konnte, da es sich schließlich um eine Regierungseinladung handelte. An anderer Stelle wurde Rühe deutlicher und kritisierte Dregger unverhohlen: "Ich kann dem Interview [Dreggers/d. Verf.] nicht entnehmen, daß hier eine Absage an den Honecker-Besuch vorliegt, wie das hier vielleicht teilweise verstanden worden ist. [... ] Richtig ist, daß es dort Sätze gibt, die man mißverstehen kann und die

19 Vgl. zu Hintergründen dieser Unzufriedenheit in der Fraktion Carl-Christian Kaiser: Leises Grummeln an der Basis, in: Die Zeit, 9.3.1984. 20 Vgl. A. Z.: Herr Dregger wußte, was er tat, in: Neues Deutschland, 25.8.1984. 21 Rühe war auf Betreiben Kohls zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aufgerückt. Zugleich war damit ein weiterer Aufstieg des deutschlandpolitisch unbequemen Abgeordneten Abelein verhindert worden. Zu den Hintergründen auch Walter Bajohr: Entwöhnung vom Nein, in: Rheinischer Merkur, 29.10.1982; Heinz-Joachim Melder: CDU erteilt Abelein überraschend Absage, in: Rhein-Sieg-Anzeiger, 16.10.1982; Jürgen Tuchei: Klammheimliche Freude in der Unionsfraktion, in: Nürnberger Nachrichten, 16.10.1982. 22 Vgl. Interview mit Volker Rühe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSUBundestagsfraktion, im DLF v. 24.8.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 24.8.1984; zusammenfassend zu Rühes Position auch "Disput in der Union über den Besuch Honeckers", in: FAZ, 25.8.1984. 23 Dazu auch "Scharfe Attacke Ostberlins auf Dregger", in: SZ, 24.8.1984.

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D. Politikfe1der und Fallbeispiele

auch hier mißverstanden worden sind. [... ] Ich bin ganz sicher, daß die Bundestagsfraktion die Deutschlandpolitik der Bundesregierung als einen besonders erfolgreichen Teil unserer Regierungspolitik betrachtet, und wir haben ja Erhebliches erreicht, und dieses trotz einer angespannten Ost-West-Situation. Wenn Herr Dregger sich wendet dagegen, daß unsere Zukunft nicht davon abhängt, so muß man hier sagen, daß das auch niemand behauptet hat.,,24

Zudem betonte Rühe, daß der Besuch Honeckers sehr wohl gut vorbereitet worden sei. 25 Er trat damit dem von Dregger vermittelten Eindruck entgegen. Mit seinen Kritikpunkten wurde Rühe gleichzeitig zur fraktionellen Berufungsinstanz der Regierung. So bezog sich der Regierungssprecher Sudhoff in einer Stellungnahme auf die Aussagen des stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, die denen der Bundesregierung entsprächen. Gleichzeitig verwies er mit Blick auf das Interview von Dregger auf das in einer Demokratie übliche Recht des Politikers, seine Meinung frei zu äußern. Dies kam einer deutlichen Distanzierung gegenüber Dregger durch den Sprecher der Bundesregierung gleich. 26 Außerdem bestätigte Sudhoff nochmals die Gültigkeit der Einladung an Honecker. 27 Auch der im Bundeskanzleramt für die Deutschlandpolitik zuständige Staatsminister Jenninger formulierte seine Verärgerung über Dregger: So machte er deutlich, daß vom Bundeskanzler eingeladene Gäste Anspruch auf Höflichkeit hätten. Man könne sich nicht gegenseitig vor das Schienbein treten. Die Bundesregierung wolle ihre erfolgreiche Deutschlandpolitik fortsetzen. 28

"Richtlinienvorgabe " durch den Parteivorsitzenden

Hatte es unmittelbar nach der Veröffentlichung von Dreggers Positionen aus dem Bundeskanzleramt noch geheißen, der Fraktionsvorsitzende "sei ein gestandener Politiker, der wisse, was er sage und dessen Äußerungen nicht inter24 Interview mit Volker Rühe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im DLF v. 24.8.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 24.8.1984. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. zu den Äußerungen Sudhoffs "Schwerer Konflikt zwischen der Regierung und Dregger um den Besuch Honeckers", in: SZ, 25.8.1984; Disput in der Union über den Besuch Honeckers, in: FAZ, 25.8.1984. 27 Zudem hatte bereits am 23.8.1984 Jenninger an Schalck-Golodkowski eine Nachricht von Kohl an Honecker übermittelt, in der die Relevanz des zwischen ihm und dem Generalsekretär geplanten Gespräches auch vor dem Hintergrund der Friedenssicherung in Europa angedeutet wurde. Vgl. Nachricht von Helmut Kohl fur Erich Honecker, übermittelt von Ph. Jenninger an Alexander Schalck am 23.8.1984, in: SAPMO-BArch, DY vorl. SED 42171, Büro Mittag. 28 Die Kritik Jenningers an Dregger ist abgedruckt in: Bild am Sonntag, 26.8.1984; ergänzend Kurt Breme: Furcht vor der Nagelprobe, in: Stern, Nr. 36, 1984, S. 161 f.

11. Deutschlandpolitik

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pretiert werden müßten,,29, so bezog Kohl nach der Rückkehr aus seinem Urlaub öffentlich Stellung und gab die Interpretation von Dreggers Interview vor. Er verwies darauf, daß die Meinung in seiner Partei und der Koalition zum Besuch Honeckers einheitlich sei: "In Fragen der Deutschlandpolitik sind wir uns völlig einig. Es gibt hier nicht die Spur einer Nuance.,,3o Er betonte weiter, daß der bisher eingeschlagene deutschlandpolitische Weg weiter verfolgt werden sollte. "Dies ist natürlich auch die Meinung von Alfred Dregger, damit da gar kein Zweifel aufkommt. Alfred Dregger hat mit dieser Bemerkung möglicherweise auf etwas ganz anderes angespielt, nämlich auf eine Betrachtung dieser Beziehungen, die zuviel erwartet. Es gibt auch in der Bundesrepublik Leute, die jetzt in dieser Begegnung von vornherein, vielleicht sind es Hoffnungen, vielleicht sind es aber auch Hypotheken, interpretieren wollen, die dieses Gespräch von vornherein außerordentlich belasten. Wir wollen offen in dieses Gespräch hineingehen und nicht mit Erwartungen, die beide Seiten nicht halten können. So bitte ich Sie, die Äußerung von Dregger zu interpretieren, und das entspricht auch meiner Vorstellung, damit das ganz klar ist. Aber, ich habe Herrn Honecker eingeladen und es ist mein Wunsch, wenn er dem entspricht, daß er kommt. ,,31

Auf die Nachfrage "Sie würden jedenfalls in den Äußerungen Alfred Dreggers zu diesem Zeitpunkt keine Nuancen von Vorbehalten oder sogar deutliche Vorbehalte von einigen Teilen in der Fraktion der CDU/CSU sehen?" antwortete Kohl unmißverständlich. "Damit das ganz klar ist: Die CDU Deutschlands - hier spreche ich als Parteivorsitzender - hat in dieser Frage eine völlig eindeutige Meinung. Unsere Meinungen werden in Parteigremien festgelegt, auf dem Parteitag, im Bundesparteiausschuß, im Parteivorstand - das sind die Beschlußgremien. Und da gibt es eine ganz klare Meinung. Es gibt da nicht die Spur einer Nuance, daß diese Politik etwa nicht richtig ist.,;12

Kohls Worte waren in ihrer Wirkung mehr als nur der Bühnendonner im deutschlandpolitischen Sommertheater. Er hatte unzweideutig die für die CDU geltenden Positionen kraft seines Amtes und seiner Autorität als Parteivorsitzender festgezurrt. 33 Als solcher bestimmte er die deutschlandpolitischen Richt-

29 "Scharfe Attacke Ostberlins auf Dregger", in: SZ, 24.8.1984. Interview mit Bundeskanzler Helmut Kohl in der ZDF-Sendung "Bonner Perspektiven" v. 26.8.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 27.8.1984. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Kohl hatte an dieser Stelle sein volles Gewicht als Parteivorsitzender und seine feste Verankerung in der Partei machtpolitisch ausgespielt und in die Waagschale geworfen. Vgl. ergänzend auch die Bewertungen bei Hans Ulrich Kempski: Alle Macht liegt beim Kanzler, in: SZ, 22.3.1985; auch Kaltefleiter: Die Kanzlerdemokratie des Helmut Kohl, S. 27-37. 30

14 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

linien flir seine Partei und forderte Parteiräson. Folgende Aspekte waren davon von besonderer Bedeutung: - Mit politischem Fingerspitzengeflihe4 wies Kohl Dregger in die Schranken, indem er ihm die Interpretation seines eigenen Interviews vorgab. Dabei war die Kritik nicht explizit zum Ausdruck gebracht, sondern in die Worte einer konsensualen Vermittlungsstrategie gekleidet worden. Zwischen den Zeilen war diese zwar unmißverständlich formuliert, gab aber Dregger gleichzeitig den Spielraum, der ihm einen geordneten Rückzug ohne Gesichtsverlust auf die von Kohl definierte Parteilinie ermöglichte. - Durch seine Aufzählung der Beschlußgremien in der CDU Deutschlands markierte Kohl die Orte der Diskussion und Entscheidung eindeutig. Die Fraktion beziehungsweise Fraktionsflihrung fand in dieser Reihe keinen Platz. Nichtnennung war in diesem Falle auch eine Aussage. Die Richtungsvorgaben erfolgten unter Kohls Anleitung in den Parteigremien. Gleichzeitig wurde aber noch ein anderer Aspekt verdeutlicht. Dregger hatte in den aufgelisteten Gremien Sitz und Stimme. Wenn es dort, wie Kohl formulierte, "eine ganz klare Meinung gab", dann schloß diese auch Dregger mit ein. Der Fraktionsvorsitzende hatte sich daran zu halten. Ein nachträgliches Abweichen von vereinbarten Linien unterminierte die Position der Regierung und warf ein ungünstiges Licht auf die Beziehungsgeflechte innerhalb der CDU. Derartiges galt es aus Kohls Sicht zu vermeiden. - Kohl sandte zugleich aber auch die von den Kritikern des Honecker-Besuchs gewünschten Signale aus: Programmatische Abweichungen würde es nicht geben, bekannte deutschlandpolitische Standpunkte würden nicht aufgegeben. Dies waren Aussagen, die vor allem vor dem Hintergrund der in dieser Zeit aufflackernden Spekulationen um Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft oder der Schließung der zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter an Gewicht gewannen. 35 - Hatte Kohl bei den drei erstgenannten Aspekten als Parteivorsitzender gesprochen, so machte er in seiner Funktion als Bundeskanzler deutlich, daß er es war, der Honecker eingeladen hatte, und daß er auch weiterhin an dieser Einladung festhalten wollte. Auch hier hatte wieder das Nichtgesagte Bedeutung. Nur er, der Bundeskanzler, und nicht der Vorsitzende der Unionsfraktion war legitimiert, Honecker wieder auszuladen. 34 Dazu auch "Helmut Kohl. Extra extra large", in: The Economist, 26.10.1996, S.23-29. 35 So hatte z. B. Rühe bezüglich Salzgitter Gesprächsbereitschaft signalisiert, wenn sich Anzeichen flir eine Verbesserung der Situation an der innerdeutschen Grenze ergeben würden. Vgl. Interview mit Volker Rühe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im DLF v. 24.8.1984, abgedruckt, in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 24.8.1984.

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Nach dieser doch massiven Intervention Kohls schwächte Dregger in der Tat in den folgenden Tagen den Inhalt seines Interviews ab, interpretierte seine Äußerungen in Nuancen um, stellte Positionen klar. In einer neuerlichen öffentlichen Stellungnahme verwies er darauf, daß seine Äußerung, nach der die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland nicht vom Besuch Honeckers abhänge, "ein Stückehen Ironie" enthalte. Diese beziehe "sich nicht auf die Person des Generalsekretärs, sondern auf die Bedeutung seines Besuches.,,36 Nach weiteren Erläuterungen seines früheren Interviews schloß er mit der von Kohl am Vortag implizit verlangten Linientreue: "Ich unterstütze die erfolgreiche Deutschlandpolitik des Bundeskanzlers. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden sie auch in Zukunft als loyaler und kritischer Partner der Regierung begleiten.,,37 Allerdings machte Dregger mit seinem "Kritikvorbehalt" auch deutlich, daß die Rolle der Fraktion sich auch in Zukunft nicht im einfachen "Beifallspenden" für die Politik der Regierung erschöpfen konnte. Die Einheitlichkeit der deutschlandpolitischen Positionen wurde auch während und nach der Sitzung des CDU-Präsidiums am 27. August demonstriert. 38 CDU-Generalsekretär Geißler verwies darauf, daß sich sowohl der Bundeskanzler als auch der Fraktionsvorsitzende zur Frage des Honecker-Besuchs in "identischen Aussagen" geäußert hätten. Dregger hatte in der Sitzung zwar nochmals seine Positionen verdeutlicht/ 9 gleichzeitig aber auch klargestellt, daß er die Deutschlandpolitik der Regierung unterstütze. 40 Meinungsverschiedenheiten in den Argumentationen von Kohl und Dregger waren nicht mehr auszumachen. 41 Offensichtlich hielt sich auch der baden-württembergische Ministerpräsident mit seiner zuvor gemachten und in dieser Phase durchaus 36 Alfred Dregger: "Ich unterstütze Kohls Deutschlandpolitik", in: Die Welt, 27.8.1984. 37 Ebd. Auf der ersten Sitzung der Unionsfraktion nach der Sommerpause im Berliner Reichstag am 11.9.1984 hielt Dregger dann auch eine Rede mit dem bezeichnenden Titel "Wir unterstützen die Deutschlandpolitik der Bundesregierung", abgedruckt in: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Die Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Aktuelle Argumente und Dokumente. Dokumentation, 14.9.1984; zur Sitzung auch Klaus Dreher: Helmut Kohl besänftigt die Unionsabgeordneten, in: SZ, 12.9.1984. 38 Zur Präsidiumssitzung vgl. "CDU erörtert den Besuch Honeckers. Termin und Ort stehen noch nicht fest", in: FAZ, 28.8.1984. 39 Dazu zählten: Detaillierte Vorbereitung des Besuchs, keine einseitigen Zugeständnisse, protokollarische Behandlung als Arbeitsbesuch, Empfang durch den Bundespräsidenten außerhalb Bonns. Vgl. "CDU erörtert den Besuch Honeckers. Termin und Ort stehen noch nicht fest", in: FAZ, 28.8.1984; "Parteien stellen Umweltschutz ins Zentrum ihrer Aktivitäten", in: Stuttgarter Zeitung, 28.8.1984. 40 Vgl. "Parteien stellen Umweltschutz ins Zentrum ihrer Aktivitäten", in: Stuttgarter Zeitung, 28.8.1984. 41 So auch bestätigend der erste Parlamentarische Geschäftsflihrer der CDU/CSUBundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, in einem RIAS-Interview v. 1.9.1984, abgedruckt in: CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 1.9.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

brisanten Aussage zurück, nach denen Gespräche mit der DDR so selbstverständlich sein sollten wie jene mit England oder Frankreich. 42 Kohl machte in der Präsidiumssitzung, nicht zuletzt im Hinblick auf entsprechende Stimmen in der Unionsfraktion, deutlich, daß es sich bei dem anstehenden Besuch Honekkers um einen Arbeitsbesuch und nicht um einen Staatsbesuch handele. Damit war der in den bislang ungeklärten Protokollfragen angelegte Sprengstoff entschärft. 43 Trotz der nach dieser Sitzung demonstrierten Bonner Einigkeit zwischen Regierung, Partei und Unionsfraktion wurde Dregger allerdings von Ost-Berlin wesentlich die Verantwortung für die Absage des Besuchs und damit der deutschlandpolitische "Schwarze Peter" zugeschoben. 44 In der von der Nachrichtenagentur ADN am 4. September 1984 veröffentlichten Meldung zur Absage von Honeckers Reise in die Bundesrepublik Deutschland hieß es nämlich u. a.: "Der Botschafter der DDR in der BRD, Leiter der Ständigen Vertretung Ewald Moldt, gab am Dienstag nach einem Treffen mit Staatsminister Jenninger vom Bundeskanzleramt vor Journalisten die Erklärung ab, daß man davon ausgehen kann, daß der von der Bundesregierung ins Auge gefaßte Termin für einen Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR nun schon nicht mehr real ist. [... ] Es ergebe sich, daß Stil und öffentliche Auseinandersetzung in der BRD im Zusammenhang mit dem ursprünglich ins Auge gefaßten Besuch äußerst unwürdig und abträglich, er [Moldtld. Verf.] denke dabei an Dregger, sowie für den Umgang zwischen souveränen Staaten absolut unüblich seien.,,45 Allerdings wurde damit lediglich das deutliche Veto verschleiert, das Moskau bereits frühzeitig gegen Honeckers Reisewunsch eingelegt hatte. So hieß es in der Niederschrift über ein Gespräch zwischen Honecker und Tschemenko am 17.8.1984 - also bereits sechs Tage vor Dreggers Interview in der "Welt"u. a.: "Was den Besuch in der BRD betrifft, so ist das natürlich eine Sache, die von der SED zu entscheiden ist. Wir glauben, daß Sie noch einmal kollektiv und allseitig, unter Berücksichtigung der von uns geäußerten Überlegungen, diese Frage prüfen.

42 Zur Position Späths vgl. "FDP-Chef Genseher: Behutsames Reden ist vor allem erforderlich", in: Die Welt, 27.8.1984. 43 Vgl. zum Unbehagen, das in der Fraktion in bezug auf die Protokollfragen herrschte, auch Klaus Dreher: Das Protokoll als eigentliches Politikum, in: SZ, 29.8.1984; ders.: Reddemann: Honecker soll auch nach Bonn kommen, in: SZ, 8.9.1984. 44 Daneben wurden offiziell nicht gelöste Protokollfragen als Grund für die Absage angeführt. Vgl. dazu auch Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 237; sowie Meldung der Nachrichtenagentur ADN v. 4.9.1984 zur Absage des Besuchs, abgedruckt in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/2, S. 329. 45 Ebd.

11. Deutschlandpolitik

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Wir möchten Ihnen jedoch sagen, daß die sowjetischen Kommunisten es positiv aufnehmen würden, wenn Sie in der entstandenen Lage von dem Besuch Abstand nehmen.,,46

Daß Dregger filr die Absage des Besuches herhalten mußte, lag aber auch an der speziellen Rolle, die ihm im Geflecht zwischen Unionsfraktion und Regierung zugefallen war. Wie bereits auf dem 32. Bundesparteitag der CDU vom 9.-11. Mai 1984 in Stuttgart zu beobachten war, übernahm Dregger die undankbare und in der öffentlichen Wahrnehmung Kritik anziehende Rolle, deutschlandpolitisch das zu konkretisieren, was der Parteivorsitzende und Bundeskanzler beziehungsweise die Vertreter der Bundesregierung lediglich unverbindlich andeuteten. So formulierte Kohl während des Parteitags in den deutschlandpolitischen Passagen eher blumig: "Wir wissen, mit wem wir es bei diesen Gesprächen zu tun haben, wenn wir mit der Führung der DDR sprechen. Wir - das gilt, liebe Freunde, in ganz besonderem Maße auch rur mich selbst - vergessen dabei keinen Augenblick, daß es sich dort um eine kommunistische Diktatur handelt, die fortdauernd die Menschenrechte unserer Landsleute in der DDR verletzt.,,47

Dregger war dagegen in seinen Ausfilhrungen wesentlich direkter und konkretisierte die Erwartungen an den Honecker-Besuch: "Wir müssen mit den Verantwortlichen in Ost-Berlin handeln und verhandeln, um den Druck auf unsere Landsleute zu lockern und um den Zusammenhalt der Nation über diese Grenze hinweg zu wahren. [... ] Herr Honecker hat die Absicht, seine alte Heimat in der Bundesrepublik Deutschland zu besuchen. Das ist gut so; letzten Endes ist ja auch er deutscher Staatsbürger. Bitte Herr Generalsekretär, kommen Sie aber nicht mit leeren Händen. Wir erwarten von Ihnen mehr als die Korrektur der in letzter Zeit entstandenen Mißhelligkeiten. Wir erwarten substantielle Verbesserungen rur das Zusammenleben der Deutschen in Deutschland.,,48

Dregger mußte die Linie finden, die die Unterstützung der Fraktion filr die Regierungspolitik öffentlich demonstrierte und gleichzeitig eine Integration konservativer Kreise innerhalb der Unionsfraktion ermöglichte. Mit seinen Äu46 Niederschrift über Gespräch zwischen Honecker und Tschernenko am 17.8.1984 (Auszüge), in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.039/280, Büro Krenz. Außerdem Honekkers Selbstzeugnis, in: Erich Honecker: Moabiter Notizen. Letztes schriftliches Zeugnis und Gesprächsprotokolle vom BRD-Besuch 1987 aus dem persönlichen Besitz von Erich Honecker, Berlin 1994, S. 46. Zu den Hintergründen auch Garton Ash: Im Namen Europas, S. 250 f.; Oldenburg: Das Dreieck Moskau-Ost-Berlin-Bonn; ders.: Honecker kam nicht bis Bonn. Neue Quellen zum Konflikt zwischen Ost-Berlin und Moskau 1984, in: Deutschland Archiv, H. 8, 1995, S. 791-805. Bestätigend auch Karl Seidel (8.7.1991) und Hans Schindler (3.10.1991) im Gespräch mit James McAdams, Gespächsaufzeichnungen archiviert in: Hoover-Institution, Stanford. 47 Kohl in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, S. 27. Dort hatte Kohl dem Parteitag die Wiederholung seiner Einladung an Honecker mitgeteilt. 48 Dregger in: Ebd.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

ßerungen im August 1984 hatte er allerdings überzogen. Dies wiederum gab Kohl die Möglichkeit, in die Rolle des Vermittlers zwischen den unions internen Positionen zu schlüpfen. Indem er zunächst abwartete und es Rühe und Jenninger überließ, Dregger zu attackieren und zu kritisieren, konnte er danach in ausgleichender konsensualer Moderation die rur das Unionslager verbindliche Richtung vorgeben. Gleichzeitig geriet damit nicht er, sondern Dregger ins Kreuzfeuer der Kritik Ost-Berlins. Kohl mußte damit in der Wahrnehmung Ost-Berlins als derjenige erscheinen, der auch weiterhin am innerdeutschen Dialog Interesse hatte. Nach den vor allem durch Fraktionsmitglieder während des Bonner Sommerloches angeheizten Diskussionen bemühte sich die Führung der Unionsfraktion, in der Folgezeit die deutschlandpolitische Geschlossenheit in den eigenen Reihen wiederherzustellen. Diesem Zweck diente nicht zuletzt die am 14. September 1984 an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion verteilte Dokumentation "Die Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Aktuelle Argumente und Dokumente".49 Die herausgeberische Verantwortung lag bei dem ersten Parlamentarischen Geschäftsruhrer der Unionsfraktion, Schäuble. Redaktionell wurde diese Dokumentation von den persönlichen Referenten Rühes und Schäubles, Burkhard Dobiey und Alexander Wormit, sowie dem Fraktionsreferenten Hans-Jürgen Kaack betreut. Das Papier umfaßte in Auszügen die Rede von Bundeskanzler Kohl zum Tag der Heimat am 2. September in Braunschweig, die bereits erwähnte Rede Dreggers vom 10. September vor der Unionsfraktion, in der er der Regierung deutschlandpolitische Unterstützung zusagte, sowie die Beiträge Kohls, Barzels und Rühes aus der Aktuellen Stunde zur Deutschlandpolitik im Deutschen Bundestag vom 12. September. Diesen Reden vorgeschaltet war ein sechsseitiges Papier "Grundsätze unserer Deutschlandpolitik." Einleitend wurde in diesem Papier konstatiert: "Die Deutschlandpolitik der CDU/CSU ist zugleich prinzipiell und pragmatisch: Prinzipiell in den Grundpositionen und pragmatisch in allen Bereichen der praktischen Politik." Ausgehend von dieser Feststellung wurden bekannte Positionen der CDU (Rechtspositionen, Westorientierung, Offenheit der deutschen Frage) unter Berufung auf Reden des Bundeskanzlers (so die Rede Kohls vor dem Deutschen Bundestag am 14.12.1982 sowie seine Rede auf dem "Tag der Heimat" am 2.9.1984) benannt. Ausruhrlich wurde die Erfolgsbilanz deutschlandpolitischer Regierungsarbeit seit 1982 dargestellt. Zu dem in der Regierungsfraktion umstrittenen Besuch Honeckers und seiner schließlich rur 1984 erfolgten Absage wurde folgende Formel formuliert:

49 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Die Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Aktuelle Argumente und Dokumente, hrsg. v. Wolfgang Schäuble, 14.9.1984.

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"Wir werden die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit konsequent fortsetzen, um die Beziehungen zwischen den bei den Staaten in Deutschland stetig fortzuentwickeln. Auch unter diesem Gesichtspunkt bleibt ein deutsch-deutsches Gipfeltreffen weiterhin sinnvoll; je eher es stattfinden kann, desto besser. Es wäre ein wichtiges Element im Prozeß der Fortentwicklung unserer Beziehungen, denn es könnte Anstöße geben und Perspektiven aufzeigen. Entscheidend für die Verbesserung der Verhältnisse im geteilten Deutschland sind aber nach wie vor geduldige Verhandlungen und kontinuierliche Entwicklungen.,,50

Dies war nicht nur ein Signal an die Bundesregierung, daß von der Unionsfraktion weiterhin die Einladung an Honecker unterstützt und die Fortsetzung der "bisher eingeschlagenen Linie der Vernunft"SI durch die Fraktion auch künftig mitgetragen werde. "Das Machbare [sollte/d. Verf.] weiterhin verwirklicht werden."s2 Sieht man von Formulierungen ab, die fraktions intern bei einigen Mitgliedern für Unbehagen sorgtenS3 , gab es um dieses Papier keine inhaltlichen Kontroversen. Die Fraktion fand sich mit ihren wesentlichen deutschlandpolitischen Positionen darin wieder, gleichzeitig wurde der Bundesregierung damit aber auch Respekt für die bisherige Arbeit gezollt und die Fraktionsunterstützung für weitere deutschlandpolitische Maßnahmen zugesichert. Problematisch erwies sich allerdings, daß bei der Abfassung der "Grundsätze" die Deutschlandpolitiker der Fraktion ausmanövriert worden waren. Die Hilfstruppen der Bundesregierung in der Fraktion um Schäuble und Rühe hatten sie bewußt ausgebremst. Unter dem Deckmantel "Aktuelle Argumente und Dokumente" waren zugleich auch Grundsätze der Deutschlandpolitik formuliert worden. Erst einen Tag vor der Verteilung des Papiers an die Bundestagsabgeordneten hatte Eduard Lintner, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfrage der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, von der geplanten Zusammenstellung der "Argumente und Dokumente zur Deutschlandpolitik der CDU/CSU" erfahren. Auf Nachfrage bei dem für die Deutschlandpolitik zuständigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Rühe wurde er aber nur darüber unterrichtet, daß lediglich vorgesehen sei, eine Zusammenstellung bereits vorhandener Veröffentlichungen zu publizieren. Daß in diesem Rahmen auch grundsätzliche deutschlandpolitische Positionen der Fraktion veröffentlicht werden sollten, hatte man Lintner nicht mitgeteilt. S4 50 Ebd., S. 4. 51 Ebd., S. 6. 52 Ebd. 53 So wurde z. B. die Verwendung der Fonnulierung "deutsch-deutsch" statt "innerdeutsch" von Lintner kritisiert. Vgl. Brief von Eduard Lintner an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Alfred Dregger, 14.9.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand). S4 Brief von Eduard Lintner an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Alfred Dregger, 14.9.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand).

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Neben den inhaltlichen Differenzen brach an diesen Stellen ein klassischer Konkurrenzkonflikt zwischen Arbeitsgruppenvorsitzenden und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf. Letztere hatten im Fraktionsvorstand die verantwortliche Zuständigkeit rur bestimmte, mit den Inhalten der Arbeitsgruppen oftmals identische Politikbereiche. Der Konflikt kreiste um die Kernfrage: Wer war autorisiert, rur die Fraktion zu sprechen und Positionen zu defmieren?55 Lintner monierte das Verhalten Rühes in einem Brief an Dregger vom 14. September. Er verwies dabei explizit auf § 8,2 der Arbeitsordnung der Fraktion, nach der die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen die verantwortlichen Sprecher rur den jeweiligen Aufgabenbereich der Arbeitsgruppe sind. Entsprechend formulierte er seine Kritik am Entstehungsprozeß der "Grundsätze": "Diesen Anforderungen [der Arbeitsordnung/d. Verf.] kann ein Vorsitzender allerdings nur dann gerecht werden, wenn er von entsprechenden Vorhaben der Fraktionsführung rechtzeitig infonniert wird und sichergestellt ist, daß er zusammen mit der Arbeitsgruppe auch an der Ausarbeitung der entsprechenden Papiere beteiligt wird. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Schon aus diesem Grunde vermag ich rein fonnell den Vorspann des Papiers für die Arbeitsgruppe nicht mitzutragen.,,56 Gleichzeitig forderte Lintner Dregger auf, "sich darur einzusetzen, daß künftige Praktiken unterbleiben, die es einer Arbeitsgruppe unmöglich machen, an wichtigen, den Arbeitsbereich der Arbeitsgruppe betreffenden Veröffentlichungen rur die Fraktion beteiligt zu werden." Konsequenzen fiir die Initiatoren der Grundsätze blieben allerdings aus. Die Gruppe um Schiluble und Rühe war zu stark.

Initiativen der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen Trotz der Versuche Schäubles und Rühes, die deutschlandpolitische Steuerung der Fraktion zu übernehmen, ließen die Mitglieder der Arbeitsgruppe 55 Fonnal war dies über die Arbeitsordnung der Fraktion zwar geregelt und den Vorsitzenden der Arbeitsgruppen im Hierarchiesystem und bei der Außendarstellung eine besondere Rolle zugeschrieben. Denn sie leiten nicht nur die Arbeitsgruppen, sondern sind zugleich die "verantwortlichen Sprecher der Fraktion für den Aufgabenbereich der Arbeitsgruppe. Will ein anderes Fraktionsmitglied in diesem Sachgebiet eine Erklärung für die Fraktion abgeben, so ist vorher die Zustimmung der verantwortlichen Sprecher einzuholen." Damit schreibt die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion in § 8,2 zumindest fonnal ein nach außen gerichtetes Infonnationsmonopol bei den Arbeitsgruppenvorsitzenden fest. In der Praxis wurde diese Regelung - das zeigte auch der vorliegende Fall - immer wieder durchbrochen. In solchen Fällen wurden die Machtpositionen, die die jeweiligen Arbeitsgruppenvorsitzenden und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden in der Fraktion hatten, deutlich. 56 Brief von Eduard Lintner an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Alfred Dregger, 14.9.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand).

11. Deutschlandpolitik

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Deutschlandpolitik und Berlinfragen und insbesondere der Vorsitzende Lintner nicht nach, ihr Gewicht im Regierungslager zu stärken, die deutschlandpolitische Meinungsbildung der Unionsfraktion zu steuern und Einfluß auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Vor diesem Hintergrund kann eine von der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen im Dezember 1984 gestartete Initiative gewertet werden. Aus ihren Reihen wurde gefordert, daß wieder verstärkt Menschenrechtsverletzungen in der DDR, die Erziehung zum Haß auf den "Klassenfeind" oder auch die Militarisierung des dortigen Alltags öffentlich angeklagt werden sollten. Zwar strebe man, wie der Vorsitzende der deutschlandpolitischen Arbeitsgruppe der Unionsfraktion, Lintner, in einem Interview ausführte,57 keine Konfrontationspolitik mit der DDR an, aber die schwierige Menschenrechtssituation in der DDR sollte auch nicht länger durch "spektakuläre Ereignisse,,58 in den innerdeutschen Beziehungen überdeckt werden. 59 "Diese Phase ist jetzt vorbei, wie müssen auf diese Dinge wie Schießbefehl, Minenfelder und Mauer zurückkommen. 60 [ ... ] Wir müssen wieder die Realitäten in der DDR aufzeigen, das erwarten unsere Wähler.,,61 Über den Charakter des SED-Regimes sollten in der Bundesrepublik Deutschland keine Illusionen entstehen. 62 Vor diesem Hintergrund forderte er auch ein weiteres Festhalten an der zentralen Erfassungsstelle von DDR-Unrecht in Salzgitter. Erst wenn die DDR-Führung den Schießbefehl aufhebe und das innerdeutsche Grenzgebiet von Minen räume, stehe eine Auflösung zur Diskussion. Als Themen der deutschlandpolitischen Agenda der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das folgende Jahr benannte Lintner: 63 - Menschenrechtliche Lage der Deutschen in der DDR und Osteuropa; - Durchftihrung eines Hearings über die Zustände in DDR-Haftanstalten; - Forcierung der Umweltbemühungen zwischen beiden deutschen Staaten;

57 Er gab damit die einhellige Meinung der Mitglieder der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen wieder; vgl. Interview mit Gerhard Reddemann, Vorsitzender des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages, im DLF v. 17.12.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.12.1984. 58 Gemeint waren die Kreditgewährung an die DDR und die Vorbereitung des Honecker-Besuchs. 59 Vgl. Reinhold Michels: Neue Akzente in der Deutschlandpolitik, in: Rheinische Post, 14.12.1984; Hans Herbert Gaebel: Bestimmte Empfindlichkeiten, in: FR, 18.12.1984; ergänzend "Union künftig deutlicher", in: Münchner Merkur, 14.12.1984. 60 Am l.l2.1984 war es wieder zu einem Zwischenfall an der Mauer in Berlin gekommen, bei dem DDR-Grenzsoldaten einen Flüchtling niederschossen. 61 Lintner zitiert in: Reinhold Michels: Neue Akzente in der Deutschlandpolitik, in: Rheinische Post, 14.12.1984. 62 So Lintner wiedergegeben in: Ebd. 63 Vgl. Reinhold Michels: Neue Akzente in der Deutschlandpolitik, in: Rheinische Post, 14.12.1984; "Union künftig deutlicher", in: Münchner Merkur, 14.12.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Auseinandersetzung mit zunehmenden Spionageaktivitäten der Stasi und anderer östlicher Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland; - Möglichkeiten der Behandlung der deutschen Frage in Bildungseinrichtungen beider deutscher Staaten. In diesen Forderungen wurde er unterstützt vom Vorsitzenden des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages, dem CDU-Mitglied Gerhard Reddemann. Dieser hob hervor, daß es nicht darum gehe, eine härtere "Gangart" gegenüber der DDR einzuschlagen, sondern es gehe um die Frage, "ob man Ereignisse, die in der DDR derzeit von der SED-Regierung forciert werden, einfach links liegen läßt und sagt, wegen der allgemeinen Bemühungen, eine besseres Verhältnis zur DDR-Regierung zu schaffen, wollen wir über solche unangenehmen Dinge nicht reden, oder aber, ob nicht z. B. die verstärkte Militarisierung und die Haßerziehung, die derzeit sehr stark drüben propagiert wird, ob man die nicht einfach hier in der Bundesrepublik dadurch bewußt machen muß, daß man dies auch im Parlament behandelt.,,64

Die Lage im "realexistierenden Sozialismus,,65 in der DDR sollte öffentlich in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert werden. Lintner und Reddemann zielten dabei mit ihren Äußerungen in erster Linie auf die FDP, die in den zurückliegenden Monaten mehrere deutschlandpolitische Initiativen der CDU/ CSU-Fraktion, so u. a. eine große Anfrage über die "menschenrechtliche Lage der Deutschen in der DDR und Osteuropa", verhindert hatte und sich auch gegen die parlamentarische Behandlung des Themenfeldes "Haßerziehung und Militarisierung in der DDR" wandte. 66 Zurückhaltung und bremsender Einfluß der FDP auf die Deutschlandpolitik der Koalition stieß in Reihen der Unionsfraktion zunehmend auf Kritik. 67 Gleichzeitig wurde aber auch verdeutlicht, daß sich die Deutschlandpolitiker der Unionsfraktion - trotz ihrer immer wieder betonten deutschlandpolitischen Unterstützung - nicht von der Regierung und ihrer gegenüber der DDR vertretenen Politik einvernehmen lassen wollten. So stellte Reddemann klar, daß er

64 Interview mit Gerhard Reddemann, Vorsitzender des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages, im DLF v. 17.12.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.12.1984. 65 Ebd. 66 Vgl. Reinhold Michels: Neue Akzente in der Deutschlandpolitik, in: Rheinische Post, 14.12.1984. 67 Genscher wiederum reagierte auf die Kritik von Lintner und Reddemann und hob die Bedeutung von "Diskretion, Gemeinsamkeit und Behutsamkeit" für die Gestaltung der innerdeutschen Beziehung hervor. Vgl. "Genscher rügt CDU-Position", in: FR, 15.12.1984.

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"volles Vertrauen zu Herrn Schäuble68 [habe/d. Verf.], ich kenne die Art seiner Verhandlungen [... ], ich habe auch nicht die Absicht, ihm öffentliche Ratschläge zu geben, aber ich muß immer wieder darauf hinweisen: Das, was der Kollege Schäuble als Mitglied der Bundesregierung bei seinen Verhandlungen tut, ist Sache der Bundesregierung. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Bundesregieru~ die Absicht hat, irgend jemandem im Parlament deswegen den Mund zu verbieten."

Damit war, zumindest in der Öffentlichkeit, auch nicht zu rechnen - zumal Schäuble, der mittlerweile für die Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt zuständige Bundesminister für besondere Aufgaben, an anderer Stelle den Gleichklang der Politik von Bundesregierung und Unionsfraktion betonte. Lintner - so Schäuble - habe ihm in einem Gespräch versichert, daß er übereinstimme mit der Deutschlandpolitik, wie sie vom zuständigen Minister Windelen erarbeitet, von Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung formuliert und von ihm ausgeübt werde. 70 Offen blieb dabei aber, wie Lintner gegenüber Schäuble in diesem Prozeß der Erarbeitung, Formulierung und Ausübung die Rolle der Unionsfraktion eingeschätzt hatte. Für Schäuble schien die Aufgabenverteilung dagegen klar. Im Bewußtsein seiner Schnittstellenfunktion zwischen Regierung und Unions fraktion führte er taktisch gewieft aus: "Meine Aufgabe im Kanzleramt ist natürlich neben der Leitung des Amtes als Chef des Kanzleramtes möglichst, auch die politische Koordinierung innerhalb der Regierung, Regierungsfraktionen, Koalition möglichst frühzeitig herbeizuführen. Das gilt für alle Felder der Politik und damit auch für die Deutschlandpolitik.,,71

Inhaltlich bezog der Chef des Bundeskanzleramtes zwar keine Position, er wies aber auf seine Koordinierungsfunktion hin. Für den aufmerksamen Beobachter wurde deutlich, daß damit zu rechnen war, daß Schäuble zwar der Fraktion nicht "den Mund verbieten" würde, aber es zumindest anstrebte, im Vorfeld deren deutschlandpolitische Koordinaten mitzubestimmen und mit denen der Bundesregierung zu koordinieren. Deutlicher als Schäuble reagierte der für den Bereich der Deutschlandpolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Rühe. Er kritisierte unverblümt die aus den Reihen der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen artikulierten Positionen und Forderungen:

68 Schäuble war mittlerweile aus der Fraktionsführung ins Bundeskanzleramt gewechselt und dort u. a. für die Koordination der Regierungskontakte mit der DDRFührung zuständig. 69 Interview mit Gerhard Reddemann, Vorsitzender des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages, im DLF v. 17.12.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.12.1984. 70 Vgl. Interview mit Wolfgang Schäuble, Bundesminister für besondere Aufgaben, Chef des Bundeskanzleramtes, im Bayerischen Rundfunk v. 15.12.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.12.1984. 71 Ebd.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

"Eine Regierung wird - ebenso wie eine Regierungspartei - nicht an ihren guten Grundsätzen gemessen, sondern an ihren guten Ergebnissen. Wer Regierungsverantwortung trägt, muß sich daher - ohne die eigenen Grundsätze zu verleugnen - darum bemühen, das Machbare so weit wie möglich zu verwirklichen. Anders als der Opposition [... ] steht einer Regierung und den sie tragenden Parteien das gesamte Instrumentarium des politischen Handeins zur Verftigung. Dieses Instrumentarium muß mit Sorgfalt, mit Augenmaß, mit Verantwortungsbewußtsein und ergebnisorientiert im Sinne praktischer Politik genutzt werden. Die Beschreibung der Lage in der DDR oder in Osteuropa ist noch kein Beweis ftir praktische Politik. Dieser wäre erst dann erbracht, wenn sich dadurch die dort herrschenden Zustände tatsächlich verbessern ließen. [... ] Das Instrument der öffentlichen Kritik mag in manchen Fällen angebracht sein, aber die Erfahrung lehrt, daß es im allgemeinen wirkungslos bleibt. Mehr noch: Wer anprangert, verkürzt eher seine Einwirkungsmöglichkeiten, weil er beim Adressaten seiner Kritik zusätzliche Verhärtungen hervorruft. [... ] Wohlgemerkt: Es geht nicht um Verharmlosung oder Leisetreterei. Wir machen keinen Hehl daraus, daß wir das totalitäre System des 'Realsozialismus' und seine die Menschen bedrückenden Praktiken ablehnen. Wir verschweigen weder die Tatsachen noch fördern wir Illusionen über die kommunistische Wirklichkeit. [... ] Unsere Politik soll den Menschen dienen. Die Menschen erwarten von uns allerdings nicht starke Worte, sondern starke Ergebnisse. Sie erwarten praktische Verbesserungen ihrer Lage bei ihren Alltagsproblemen, bei ihren Reisewünschen, bei der Familienzusammenftihrung und als Gefangene im Zuchthaus. Die Bilanz unserer Ost- und Deutschlandpolitik zeigt, daß wir ihnen bisher in vielfacher Weise helfen konnten.,,72

Der dem engeren Kohl-Umfeld zuzurechnende stellvertretende Fraktionsvorsitzende bezog damit als Reaktion auf Lintners Vorstoß und im Vorfeld des fur Februar 1985 anstehenden Berichts der Regierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland eine eindeutige Position, die die von der Bundesregierung formulierte und eingeschlagene Richtung unterstützte. Realpolitischer Pragmatismus wurde den deutschlandpolitischen "Zungendreschern,,73 in der Fraktion entgegengesetzt. Kohl und Schäuble reagierten nicht direkt auf die Positionierungsversuche in der Fraktion. Nach außen warteten sie ab und überließen zunächst die Positionsbestimmungen einem fraktionsinternen Klärungsprozeß. In diesem übernahm mit Rühe einer ihrer Statthalter in der Fraktionsführung die Sprecherrolle - der Fraktionsvorsitzende Dregger trat dabei nicht in Erscheinung. Damit wurde zunächst in der Fraktion nicht der Eindruck erweckt, als solle sie durch ihre Regierungsvertreter gemaßregelt werden. Rühe übernahm es aus dem Kreis der Fraktion heraus, die eigenen Mitglieder zu mahnen,74 die deutschlandpolitischen Prioritäten im Sinne der Regierung zu definieren und ihr im Namen der Fraktion weiterhin Unterstützung zuzusichern. Im Bewußtsein des normativen Dissens sollten die innerdeutschen Be72 Volker Rühe zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion (Pressereferat): Zur aktuellen Diskussion über methodische Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik erklärt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Rühe, 20.12.1984. 73 So Hans-Herbert Gaebel: Bestimmte Empfindlichkeiten, in: FR, 18.12.1984. 74 Die Ausftihrungen Rühes wurden auch innerhalb der Fraktion als deutliche Mahnung gewertet. Vgl. dazu "Vor Kursänderung gewarnt", in: FR, 21.12.1984.

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ziehungen ergebnisorientiert - d. h. auf menschliche Erleichterungen hin ausgerichtet - gestaltet werden. Kritik an der SED-Führung sollte weniger öffentlich artikuliert als vielmehr im bilateralen Gespräch plaziert werden - unter gleichzeitigem Signalisieren von Kooperationsbereitschaft beim weiteren Ausbau der innerdeutschen Beziehungen. 75 Der Zweck heiligte hier die Mittel, auch wenn man sich - wie verschiedentlich von Fraktionsseite kritisiert - damit in eine vermeintlich "schlechte psychologische Situation [begab/d. Verf.], wenn wir die Attacken der anderen Seite einfach hinnehmen, ohne darauf zu verweisen, was tatsächlich an Negativem sich leider weiter in der DDR entwickelt.,,76 Wenngleich Lintners Initiativen vom Dezember zunächst partei- und koalitionsintern auf Kritik gestoßen waren, bildeten sie dennoch den Kern, um den die deutschlandpolitischen Arbeitsgruppen von CDU/CSU- und FDP-Bundestags fraktion ein deutschlandpolitisches Arbeitsprogramm erarbeiteten. Unter der Leitung von Lintner und Uwe Ronneburger, dem deutschlandpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, wurde in Arbeitssitzungen der Deutschlandpolitiker beider Fraktionen vereinbart,77 im weiteren Verlauf der Legislaturperiode das Programm gemeinsam durch die Koalitionsfraktionen zu bearbeiten beziehungsweise in parlamentarischen Initiativen zu behandeln. Man verständigte sich dabei zwischen den Fraktionen auf zehn Themen. 78 Dazu zählten u. a.: - Im Zusammenhang mit der menschenrechtlichen Lage der Deutschen in der DDR und Osteuropa sollte die Bundesregierung noch vor Beginn der KSZEMenschenrechtskonferenz in Ottawa79 im Bundestag über ihre beabsichtigte Stellungnahme zur Verwirklichung der Prinzipien in Korb VII berichten und diese im Deutschen Bundestag zur Diskussion stellen. Zum Thema "Zustände

75 Von diesem Pragmatismus hatte sich auch Wolfgang Schäuble bei seinem Antrittsbesuch in Ost-Berlin am 6.12.1984 in den Gesprächen mit DDR-Außenminister Fischer und ZK-Sekretär Herbert Häber leiten lassen. Die Mißbilligung des neuerlichen Schußwaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze wurde zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig wurden aber auch die Felder für die Weiterentwicklung der innerdeutschen Beziehungen abgesteckt. Vgl. Berichte der Gespräche in: SAPMO-BArch, J IV

2/2AJ2713.

76 Interview mit Gerhard Reddemann, Vorsitzender des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages, im DLF v. 17.12.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.12.1984. 77 Für die Unionsfraktion nahmen teil: Volker Rühe, Gerhard Reddemann, Wilfried Böhm, Hans Graf Huyn, Claus Jäger, Gerhard Schulze (Berlin), Michael von Schmude, Hans-Peter Voigt, Herbert Wemer, Bemd Wilz, Roswitha Wisniewski; aus den Reihen der FDP waren beteiligt: Helmut Schäfer, Günter Hoppe. Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985. 78 Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985. 79 Das KSZE-Expertentreffen über Menschenrechte und Grundfreiheiten fand vom 7. Mai bis 17. Juni 1985 in Ottawa statt.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

in den Haftanstalten der DDR" beabsichtigten beide Fraktionen weitere Beratungen, sobald der Abschlußbericht einer Kommission des Europarates vorgelegt sei. Zugleich wollten sich beide Fraktionen an der Zusammenstellung einer Materialsammlung zum Themenfeld "Haßerziehung und Militarisierung des Lebens in der DDR" beteiligen. - Zu den Bereichen "Behandlung der deutschen Frage in den Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" sowie "Stand und künftige Entwicklungen von Umweltschutzmaßnahmen in der DDR und gemeinsame Umweltschutzbemühungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" sollten Große Anfragen ausgearbeitet werden. Die Bundesregierung sollte gebeten werden, einen ausfiihrlichen Sachstandsbericht über die "Darstellung der deutschen Frage im internationalen Rahmen" zu geben. Nach Auffassung der deutschlandpolitischen Arbeitsgruppen beider Fraktionen bestand "der Bedarf nach einem systematischen Überblick über vorhandene Materialien, Vorschriften und Richtlinien" zu diesem Thema. - Zum Gegenstand der gemeinsamen deutschlandpolitischen Arbeit beider Fraktionen sollte zudem auch die Beschäftigung mit den noch immer bestehenden "unverständlichen Härten und Widrigkeiten" werden, denen Bundesbürger im Reiseverkehr auf Transitstrecken durch die DDR-Behörden ausgesetzt waren. - Zu möglichen Kontakten zwischen der Volkskammer der DDR und dem Deutschen Bundestag wurde eine Kompromißforrnel gefunden, die allerdings nicht mehr war als eine Bestandsaufnahme bestehender Positionen. In ihr Klang die Bereitschaft der FDP zu offiziellen Beziehungen mit der Volkskammer ebenso an wie die nach wie vor deutliche Ablehnung durch die Unionsfraktion: 80 "Beide Arbeitsgruppen sind der Auffassung, daß im Zusammenhang mit der Forderung nach Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der DDR-Volkskammer die damit zusammenhängenden Statusfragen in jedem Falle vor einem solchen Schritt zweifelsfrei geklärt sein müssen. Dies gilt insbesondere auch für die Stellung der Berliner Abgeordneten. Die Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist darüber hinaus der Auffassung, daß offizielle Kontakte eine nicht ohne weiteres zu rechtfertigende Aufwertung des Ansehens der Volkskammer darstellen würden.,,81

80 Fe\dmeyer dagegen interpretierte daraus eine Tendenz in der CDU/CSU, "nicht mehr auf einer definitiven Ablehnung der Aufnahme offizieller Kontakte zwischen Bundestag und Volkskammer zu bestehen"; vgl. "Umweltschutz, Zoll, Gebühren, Haftbedingungen, Menschenrechte. Ein Arbeitsprogramm der Koalition zur Deutschlandpolitik", in: FAZ, 2.3.1985. 81 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985.

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- In einem abschließenden Punkt wurde die Absicht bekundet, zusammen mit der SPD-Bundestagsfraktion einen gemeinsamen Entschließungsentwurf zum Bericht zur Lage der Nation 82 zu formulieren. Im Sinne der deutschlandpolitischen Realpolitiker sollte dabei inhaltlich eine "Konzentration auf das 'Machbare",83 im Vordergrund stehen. Der weitere zeitliche Verlauf zeigte allerdings, daß dieses Programm nur peripher umgesetzt und von der Regierung in ihrer Politik berücksichtigt wurde. Die geplanten großen Anfragen an die Regierung wurden nicht gestartet. 84 Dem Ersuchen, einen Bericht zur KSZE-Menschenrechtskonferenz zu erstatten, kam die Bundesregierung zwar nach, aber nicht wie ursprünglich gefordert vor der KSZE-Konferenz,85 sondern in Form einer Regierungserklärung nach Beendigung der Konferenz. 86 Allerdings wurden dabei subtil die oben dargestellten Forderungen v. a. aus den Reihen der Union berücksichtigt. Insbesondere Windelen hob hervor, daß den Delegierten in Ottawa die Auffassungen der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverstößen in der DDR "nachdrücklich vorgetragen worden" seien. 87 In derselben Rede griff Windelen auch das Themenfeld der "Erziehung von Kindern und Jugendlichen zum Haß und die Kultivierung von Feindbildern,,88 auf. Explizit wurde die DDR aufgefordert, "die Haßerziehung endlich einzustellen.,,89 Damit war die Regierung in diesen Punkten verbal auf die Forderungen Lintners vom Dezember 1984 und des CDU/CSUIFDP-Arbeitsprogramms vom März 1985 eingegangen.

Zusammenfassung und Bewertung

- Indem er den Honecker-Besuch in Frage stellte, machte sich der Vorsitzende der Unionsfraktion, Dregger, zum Sprachrohr derjenigen Abgeordneten von 82 Im Papier von CDU/CSU und FDP wurde nur dieser Kurztitel des Berichts zur Lage der Nation im geteilten Deutschland verwendet, vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985. 83 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985. 84 Auch die sieben kleinen deutschlandpolitischen Anfragen im Zeitraum zwischen 1985 und 1987 gingen alle auf das Konto der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag. 85 Außenpolitik zählt zu den klassischen Domänen der Exekutive. Es wäre mehr als unüblich gewesen, hätte sie ihre Konferenz-Strategie vor dem KSZE-Treffen öffentlich gemacht. 86 Vgl. v. a. die Reden von Hans-Dietrich Genscher und Heinrich Windelen in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 149. Sitzung. 27.6.1985, S. 11149-1154, S. 11169-11171. 87 Ebd., S. 11169. 88 Ebd., S. 1170 (Hervorhebung im Original). 89 Ebd.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

CDU und CSU, die der Deutschlandpolitik der Bundesregierung kritisch gegenüberstanden. - Kohl gab als CDU-Vorsitzender die Richtlinien der Deutschlandpolitik der CDU vor. Er nutzte das CDU-Präsidium, um in einer kritischen Phase die CDU im allgemeinen und die Führung der Unions fraktion im speziellen auf eine geschlossene deutschlandpolitische Position einzuschwören. Dabei war seine Strategie auf Einbindung und nicht Konfrontation angelegt. Indem er zudem öffentlich die Äußerung Dreggers zum Honecker-Besuch in seinem Sinne interpretierte, gab er dem Fraktionsvorsitzenden die Möglichkeit, ohne größeren Gesichtsverlust die eigene Position zu revidieren, die von Kohl vorgegebene Politik zu bestätigen sowie der Regierungspolitik seine Unterstützung zuzusichern. Kohl hatte bei seinem Vorgehen darauf geachtet, die Autorität des Fraktionsvorsitzenden in der Unionsfraktion nicht zu beschädigen und nicht den unmittelbaren Eindruck zu erwecken, dieser sei eine Marionette des Bundeskanzlers. - Die unmittelbare Kritik an Dregger wurde v. a. über Kohls Sprachrohr in der Fraktion, Rühe, eingebracht. Zusammen mit Schäuble versuchte dieser darüber hinaus die deutschlandpolitische Progammatik und Ausrichtung der Fraktion zu beeinflussen. Die zuständigen Deutschlandpolitiker sowie die Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen wurden dabei nicht eingebunden. Gleichzeitig übernahm Rühe rur Kohl die Funktion eines deutschlandpolitischen Resonanzbodens und testete die Akzeptanz von Regierungspositionen in der Unionsfraktion aus. Insgesamt zeigte sich, daß Kohls Netzwerk in der Fraktion funktionierte. Über Stellvertreter, die damit auch potentielle Kritik von ihm ablenkten, konnte er Kontrahenten kritisieren, die Akzeptanz von Positionsverschiebungen ausloten und schließlich rur sie aus den Reihen der Fraktion werben lassen. - Während es v. a. aus der deutschlandpolitischen Arbeitsgruppe der Fraktion kritische Stimmen zur Regierungspolitik gab, unterstützte der rur die Deutschlandpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende die Regierungslinie bedingungslos und versicherte der Regierung öffentlich deutschlandpolitische Loyalität. In erster Linie zwischen dem Arbeitsgruppenvorsitzenden und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zeigte sich dabei ein Komeptenzkampf, den Rühe nicht zuletzt aufgrund seines Rückhalts im Kanzleramt rur sich entscheiden konnte. - Das Initiativpotential der Deutschlandpolitiker in der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der Fraktion war gering. Zwar formulierte man Arbeitsprogramme, diese wurden aber im Verlauf der Legislaturperiode allenfalls in Rudimenten von der Fraktion selbst umgesetzt. Nur in geringem Umfang ging die Regierung auf deutschlandpolitische Anregungen aus der Fraktion ein.

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2. Die Verhandlungen zur gemeinsamen Entschließung 1985Die Rolle der Unionsfraktion zwischen programmatischer Eigenständigkeit und Regierungsunterstützung 1984 verabschiedeten CDU/CSU, FDP und SPD - allerdings gegen die Stimmen der Grünen - im Deutschen Bundestag einen gemeinsamen Beschluß zum Bericht zur Lage der Nation der Bundesregierung. 9o Die Verabschiedung war der erste fraktionsübergreifende deutschlandpolitische Beschluß des Bundestages seit der gemeinsamen Entschließung von 1972, die vor dem Hintergrund der Ostverträge entstanden war. Der mit der gemeinsamen Entschließung von 1984 demonstrierte deutschlandpolitische Grundkonsens91 zwischen Regierungs- und Oppositionslager hatte sich allerdings bereits 1985 verbraucht. Der neuerliche Versuch, auch 1985 eine gemeinsame deutschlandpolitische Entschließung im Deutschen Bundestag zu formulieren und zu verabschieden, scheiterte. Nachfolgend wird analysiert, inwieweit die Unions fraktion in diesen parlamentarischen Aushandlungsprozeß eigenständige Positionen einbringen konnte, inwiefern sie Parteipositionen der Union übernahm und in die Verhandlungen mit der SPD einbrachte, und in welchem Maße sie als parlamentarische Unterstützungstruppe der Regierung agierte? Damit zielen die Fragen auf die Steuerungsmöglichkeiten von Regierung und Partei gegenüber der Unionsfraktion in parlamentarischen Prozessen und die Handlungsoptionen, die der Fraktion in dieser Situation zur Verrugung stehen. Antworten auf diese Fragen werden in den anschließenden vier Teilkapiteln gesucht: - Ablehnung des SPD-Entwurfes durch die Unionsfraktion und Positionsstreit in derCDU; - Forcierung der Verhandlungen aus dem Bundeskanzleramt; - Ablehnung des Kompromißpapieres in der Unionsfraktion; - Signale aus dem Bundeskanzleramt zum Verzicht auf die gemeinsame Entschließung.

Ablehnung des SPD-Entwurfes durch die Unionsfraktion und Positionsstreit in der CDU

Der von der SPD-Bundestagsfraktion bereits Anfang 1985 vorgelegte Entwurf einer gemeinsamen Entschließung war rur die Regierungsfraktionen nicht 90 Der gemeinsame Beschluß ist abgedruckt in: Bundesministerium flir innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/2, S. 45-47. 91 AusflihrIich Zimmer: Nationales Interesse, S. 128 f.

IS Gros

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tragbar. 92 So war für die Unionsabgeordneten - wie im übrigen auch für die der FDP - die Forderung der SPD nach einer vollen Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft ebenso inakzeptabel wie die begriffliche Einfassung der Beziehungen zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR als Sicherheitspartnerschaft. 93 Die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnten zudem mehrheitlich die von FDP und SPD geforderte Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschem Bundestag und DDR-Volkskammer ab. 94 Im Gegensatz zu der Entschließung, die 1984 noch gemeinsam von SPD, FDP und CDU/CSU im Bundestag verabschiedet worden war, stieß in Reihen der Unionsfraktion außerdem auf Kritik, daß der nunmehr vorgelegte SPD-Entwurf den Deutschlandvertrag, die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages von 1972 zu den Ostverträgen, den Brief zur deutschen Einheit sowie die entsprechenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts als wichtige Rahmenelemente der Deutschlandpolitik nicht beinhaltete und damit nach Interpretation der Unionsfraktion ignorierte. Vor allem die letztgenannten Aspekte kamen den wirklichen Ablehnungsgründen nahe. Die Konflikte innerhalb der CDU im allgemeinen und der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag hatten ihre Ursache zwar auch - wie bereits 198495 - im operativen Umgang der Bundesregierung mit der DDR-Staatsleitung und der Gestaltung der operativen Deutschlandpolitik. Überlagert wurden sie aber von dem Streit um Gültigkeit und geographische Abgrenzung des Wiedervereinigungsgebots. 96 Hier lag 1985 der Kern der deutschlandpolitischen Differenzen. Die Umsetzung des im deutschlandpolitischen Arbeitsprogramm der regierungstragenden Koalitionsfraktionen explizit erwähnten Vorhabens, "mit der SPD-Bundestagsfraktion einen gemeinsamen Entschließungsantrag zum Bericht zur Lage der Nation zu formulieren,m, erwies sich vor diesem Hintergrund allerdings mehr als kompliziert. Für die folgende Untersuchung rücken die unions internen Auseinandersetzungen und die Analyse der verschiedenen Positionen bei der gemeinsamen Entschließung in den Vordergrund. Zu ihrem Verständnis und ihrer Einordnung ist die Berücksichtigung und Kenntnis von nachfolgend skizzierten fünf Daten des deutschlandpolitischen Ereignisprofils in den Jahren 1984/85 hilfreich: 98

92 Zum SPD-Antrag vgl. auch Wilfried Hertz-Eichenrode: Die Kehrtwendung, in: Die Welt, 28.2.1985. 93 Vgl. z. B. "Koalition betont Gemeinsamkeiten in Deutschlandpolitik", in: Stuttgarter Zeitung, 2.3.1985. 94 Vgl. auch "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985. 95 Vgl. dazu das vorhergehende Kapitel. 96 Zu diesem Ergebnis kommt auch Zimmer: Nationales Interesse, S. 130. 9? CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 1.3.1985. 98 Darüber hinaus auch Ting-Fu Hung: Die Ost- und Deutschlandpolitik.

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Deutschlandtag der Jungen Union 1984 Als symptomatisch für die unterschiedlichen Positionen in der Grenzfrage innerhalb der Union konnten die während der Deutschlandtage der Jungen Union am 24. und 25. November 1984 geführten Diskussionen gewertet werden. Unter der Federführung von Friedbert Pflüger, zu dieser Zeit Pressereferent des Bundespräsidenten, war ein Leitantrag erarbeitet und vom Vorstand der Jungen Union der Delegiertenversammlung präsentiert worden, dessen Aussagen zur polnischen Westgrenze Kontroversen auslösten. In dem ursprünglichen - und letztlich von den Delegierten abgelehnten - Entwurf hieß es: "Die Junge Union setzt sich dafür ein, daß von deutscher Seite die polnische Westgrenze nicht mehr in Frage gestellt wird.,,99 Wenngleich im Vorstand der Jungen Union um Böhr und Pflüger die deutsche Frage als weiterhin offen und die Grenzen vom 31. Dezember als aus völkerrechtlicher Sicht fortbestehend angesehen wurden,lOo so wurde doch mit der zitierten Passage ein deutschlandpolitischer Einschnitt vorgenommen. Mit dem Bewußtsein, daß eine Revision der polnischen Westgrenze - wie es im Leitantrag hieß - "zu einer neuen Vertreibung von Millionen von Menschen aus ihrer Heimat führen,,101 würde, hatte der Leitantrag eine realpolitische und nicht zuletzt deshalb auch eine parteipolitisch konfliktprovozierende Komponente. Ihr lag die Forderung Böhrs nach einer Deutschlandpolitik zugrunde, die Grenz- und Hoheitsfragen immer unbedeutender werden lassen sollte. 102 In diesem Sinne zielte der Leitantrag nicht nur auf das Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland zur polnischen Grenze gemäß des Warschauer Vertrages, sondern ging darüber hinaus, indem er sie für eine interpretatorisch weitgefaßte "deutsche Seite" - und damit auch für ein wiedervereinigtes Deutschland - einforderte. Nicht zuletzt aufgrund heftiger Interventionen des bayerischen Landesverbandes der Jungen Union einigten sich die Delegierten des Deutschlandtages nach heftigen und teilweise chaotischen Debatten auf ein Kompromißpapier, das an entscheidender Stelle nunmehr folgende Formulierung beinhaltete:

99 Zitiert nach Robert Leicht: Die Junge Union im politischen Zwielicht, in: SZ, 27.11.1984. IOD Vgl. F. Diederichs: Leitantrag umstritten, in: Die Welt, 24.11.1984; Interview mit Christoph Böhr, Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands, im DLF v. 24.11.1984, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 26.11.1984; zu Böhrs Position auch "Der Vorsitzende der Jungen Union fordert 'realitätsbezogene' Deutschlandpolitik, in: FAZ, 16.3.1985. 101 Zitiert nach F. Diederichs: Leitantrag umstritten, in: Die Welt, 24.11.1984. 102 Diese Linie behielt Böhr auch nach dem Deutschlandtag bei. Vgl. "Der Vorsitzende der Jungen Union fordert 'realitätsbezogene' Deutschlandpolitik", in: FAZ, 16.3.1985.

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"Die Junge Union setzt sich dafür ein, daß im Rahmen einer friedensvertraglichen Regelung das Heimatrecht von Millionen Polen nicht in Frage gestellt wird. ~.) Die Junge Union tritt für das Selbstbestimmungsrecht des polnischen Volkes ein." 0

Damit waren auf diesem Bundeskongreß, an dem auch Bundeskanzler Kohl und der Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, teilnahmen, programmatische Änderungen verhindert worden. Gleichwohl konnte der vom Vorstand der Jungen Union vorgelegte und von Böhr mit Kohl im vertraulichen Gespräch vorsondierte Leitantrag lO4 als Stimmungsbarometer rur ein innerhalb der CDU politisch sensibles Themenfeld interpretiert werden. Die Reaktionen in der Jungen Union und die Ablehnung des Leitantrages konnten als stellvertretend rur die Stimmungs lage innerhalb der CDU im speziellen und der beiden Unionsparteien im allgemeinen gewertet werden: Die Grenzfrage war kein Thema, das in der CDU zum damaligen Zeitpunkt offensiv diskutiert werden konnte. 105 Die Grenzfrage konnte nur auf der Basis verbaler Filigranarbeit angegangen werden. Offensive Vorstöße wie die der Jungen Union bargen die Gefahr nachhaltiger tektonischer parteipolitischer Erschütterungen in der CDU. 106

"Schlesien bleibt unser" Die Sensibilität der Grenzfrage zeigte auch die Kontroversen um das Motto für das Deutschlandtreffen der Schlesischen Landsmannschaft vom 14.-16. Juni 1985. Noch vor Bekanntgabe des Mottos ,,40 Jahre Vertreibung - Schlesien bleibt unser,,107 hatte Bundeskanzler Kohl seine Teilnahme am Treffen zugesagt. Das vom Gesamtvorstand der Landsmannschaft Schlesien zunächst einstimmig beschlossene Motto lO8 sorgte aber nach seiner Veröffentlichung für 103 Zitiert nach Karl Feldmeyer: An der Deutschlandpolitik hat sich die Junge Union verhoben, in: FAZ, 26.11.1984. 104 Dazu Zimmer: Nationales Interesse, S. 130 f.; Walter Bajohr: Als Minenhunde zwischen Stacheldraht, in: Rheinischer Merkur, 30.11.1984. 105 Zur Stimmungslage auch Robert Leicht: Die Junge Union im politischen Zwielicht, in: SZ, 27.11.1984. 106 So auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 245. 107 Zur Erläuterung des Mottos führte Hupka, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, u. a. aus: "Schlesien ist Teil Deutschlands in seinen rechtmäßigen Grenzen. Der Stamm der Schlesier ist Teil des deutschen Volkes. Weder Schlesien noch die Schlesier sind untergegangen, dürfen untergehen. [00'] Unsere Heimat Schlesien ist nicht die ehemalige Heimat, nicht die verlorene Heimat, sondern die uns geraubte Heimat. [00'] Jede Preisgabe von Teilen Deutschlands, jede Vorwegnahme eines Friedensvertrages ist Politik nicht für, sondern gegen Deutschland und das deutsche Volk." Abgedruckt in: Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen (Hrsg.): Materialien zu Deutschlandfragen 1985/86, Bonn 1986, S. 40 f. 108 Vgl. Herbert Hupka: Unruhiges Gewissen. Ein deutscher Lebenslauf. Erinnerungen, München 1994, S. 338. Allerdings wurde das Motto auch in den eigenen Reihen kritisiert, so von Helmut Sauer, Hartrnut Koschyk oder auch vom Präsidenten des 8un-

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heftigen Streit innerhalb der CDU. 109 Würde der Kanzler trotz dieses Mottos teilnehmen und so die darin zum Ausdruck kommenden revisionistischen Tendenzen unterstützen? Was durch die Teilnahme Kohls ursprünglich als Einbindung der Vertriebenen in die Regierungspolitik gedacht war und ihrer Verteidigung gegen Revanchismusvorwürfe dienen sollte, 110 wurde nunmehr zur innenwie außenpolitischen Belastung der Regierung. 111 Innerparteilich brodelte es. 112 Auseinandersetzungen zwischen dem Parteivorsitzenden der CDU und ihrem Generalsekretär folgten. 113 Dennoch bezog Kohl nach außen eine zunächst abwartende Position und taktierte hinter den Kulissen. 114 Dabei waren die Optionen schnell klar: Entweder würde die schlesische Landsmannschaft ein politisch unverfilnglicheres Motto wählen oder Kohl dem Deutschlandtreffen fernbleiben. 1I5 Die Schlesier um Herbert Hupka mußten die Kompromißlosigkeit Kohls in dieser Frage anerkennen. Das Motto wurde geändert und lautete in seiner letztendlich gültigen Fassung: 116 ,,40 Jahre Vertreibung - Schlesien bleibt unsere Zukunft im Europa freier Völker.,,117 Letztlich hatte sich damit die Bundesregierung mit ihrer Auffassung behauptet, nach der der zentrale Aspekt in der Frage der Ostgebiete und dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschen nicht eine Grenz-, sondern eine Freiheitsfrage war. Mit ihrer territorialen Interpreta-

des der Vertriebenen, Herbert Czaja. Vgl. ebd., S. 338; Herbert Czaja: Unterwegs zum kleinsten Deutschland? Marginalien zu 50 Jahren Ostpolitik, Frankfurt a. M. 1996, S. 624. 109 Eine Initialzündung stellte dabei der von dem politischen Redakteur der FAZ, Michael Bader, am 14.12.1984 veröffentlichte Artikel "Was meint 'Schlesien bleibt unser'? - Das mehrdeutige Motto fIlr das 21. Deutschlandtreffen der Schlesier" dar. Er kritisierte den in dem Motto zum Ausdruck kommenden Rechtsanspruch und warnte davor, daß eine Teilnahme des Kanzlers - bei Beibehaltung des Mottos - "die polnischwestdeutschen Beziehungen verschlechtern" würde. Ergänzend Hupka: Unruhiges Gewissen, S. 337. 110 Dazu auch Brief von Kohl an Hupka vom 23.1.1985, abgedruckt in: Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen (Hrsg.): Materialien 1985/86, S. 42-44. 111 Zu den außenpolitischen Reaktionen vgl. Eberhard SchulzlPeter Danylow: Bewegung in der deutschen Frage? Die ausländischen Besorgnisse über die Entwicklung in den bei den deutschen Staaten, Bonn 1985, S. 154 ff.; zu innenpolitischen Reaktionen Gunter Hofmann: Die Wunschdenker auf dem Vormarsch, in: Die Zeit, 4.1.1985. 112 Dazu Zimmer: Nationales Interesse, S. 131. 113 Darauf verweist Korte: Deutschlandpolitik, S. 250. 114 V gl. detailliert Korte: Deutschlandpolitik, S. 250 f. 115 Auf Kohls ultimative Forderung verweist Czaja: Unterwegs zum kleinsten Deutschland?, S. 624; auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 251. 116 Hintergründe bei Hupka: Unruhiges Gewissen, S. 339. 117 Ergänzend Brief von Hupka an Kohl vom 22.1.1985, abgedruckt in: Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen (Hrsg.): Materialien 1985/86 S. 41 f. Vgl. auch die Replik Kohls auf Hupka vom 23.1.1985, abgedruckt in: Ebd., S. 42-44.

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ti on konnte sich die Landsmannschaft Schlesien nicht durchsetzen. 118 Kohl blieb, unterstützt vom Vorstand der CDU,119 bei seiner Zusage, am Deutschlandtreffen teilzunehmen.

"Politische Bindewirkung" des Warschauer Vertrags Der Wellenschlag der politischen Kontroversen um das Motto des Deutschlandtreffens der Schlesier war dennoch derart hoch, daß es auf Antrag der SPD im Zusammenhang mit dem Schlesiertreffen in Hannover am 6. Februar 1985 zu einer Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag kam. l2O Nach dem Abgeordneten Schmude von der SPD war der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Rühe der erste Redner für die Unionsfraktion. Er sprach noch vor Windelen und Kohl. Bereits die Anordnung der Rednerreihenfolge hatte dabei ein unübersehbar taktisches Moment. Indem Rühe zuerst sprach, gab er anschließend Kohl die Möglichkeit zur vermittelnden, staatsmännischen Rede. Bei der Festlegung der Rednerreihenfolge fiel dem Chefrnanager der Unionsfraktion, dem ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Seiters, eine zentrale Rolle zu. Unter seiner Federführung wurde in der Fraktionsversammlung die Tagesordnung der Plenardebatten durchgesprochen und die Reihenfolge der Redner sowie die thematische Ausrichtung ihrer Beiträge festgelegt. 121 Da sowohl Seiters als auch Rühe zum engen Kohl-Umfeld zählten, liegt es nahe anzunehmen, daß diese Gesamtstrategie mit dem Bundeskanzler und vor allem dem Chefkoordinator im Bundeskanzleramt, Schäuble, abgestimmt und geplant war.

118 Vgl. stellvertretend zum Stellenwert der Grenzfrage für die Schlesier Hupka: Unruhiges Gewissen, S. 336-344; "Hupka: Warum soll Schlesien nicht unser sein?", in: FAZ, 20.12.1984. 119 Zu diesem Ergebnis war der Vorstand der CDU übereinstimmend in seiner Sitzung am 28.1.1985 gekommen. Vgl. "CDU-Spitze ermuntert den Bundeskanzler zur Teilnahme am Schlesier-Treffen", in: SZ, 29.1.1985. 120 Schon in der der Aktuellen Stunde vorausgehenden Fragestunde mußte der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Friedrich Vogel, Fragen der Abgeordneten Ehmke, Schmude, Becker, Jaunich, Soell (alle SPD) im engeren und weiteren Zusammenhang mit dem Schlesier-Motto beantworten. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8793-8810. Während der Beantwortung der Fragen hatte Vogel dabei u. a. ausgeführt: "Ich möchte sehr deutlich sagen, daß für die Bundesrepublik Deutschland nach Abschluß des deutsch-polnischen Vertrages diese Gebiete für die Bundesrepublik Deutschland Ausland sind. Dies ist ganz genau die Rechtssituation, die durch diesen Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland entstanden ist." Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8806. 121 Zu diesem Aufgabenfeld vgl. auch Seiters im Gespräch mit dem Autor am 13.3.1996.

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Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende bezog während seiner Rede in der Grenzdiskussion eindeutig Position, indem er nach vorgehender Abstimmung mit dem Bundeskanzler 122 sowohl rechtliche als auch realpolitische Aspekte berücksichtigte und unmißverständlich formulierte: "Wir haben Verständnis für den Wunsch des polnischen Volkes, in gesicherten Grenzen und in einem territorial lebensfähigen Staat zu leben. Diesem berechtigten Interesse des polnischen Volkes hat die Bundesrepublik Deutschland im Warschauer Vertrag Rechnung getragen. Sie konnte dabei rechtlich nur im eigenen Namen handeln und einem Friedensvertrag nicht vorgreifen. Das ist die rechtliche Lage. Aber es gibt auch eine politische Lage. Wer nüchtern und illusionslos nachdenkt, der weiß, daß der Warschauer-Vertrag mit Polen eine politische Bindewirkung hat, die auch von einem wiedervereinigten Deutschland nicht ignoriert werden könnte. Wer sich zum Gewaltverzicht bekennt, der muß sich darüber im klaren sein, daß etwaige territoriale Veränderungen in Mitteleuropa nur mit dem Einverständnis aller Beteiligten möglich wären. Dazu gehört natürlich auch Polen. [... ] Wer die Versöhnung mit dem polnischen Volk will l der darf nicht den Eindruck erwecken, daß er dessen Lebensraum in Frage stellt." 23 Gleichzeitig verwies Rühe aber auch auf die deutschen Interessen. "Ich wiederhole: Ich habe Verständnis für die nationalen Interessen des polnischen Volkes. Wir erwarten aber auch Verständnis für unser Anliegen, die deutsche Frage so lange offenzuhalten, bis sie durch das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes beantwortet ist. •.124 Ein Lippenbekenntnis, das der Beruhigung der konservativen Kreise in den eigenen Reihen dienen sollte. Wenn auch Rühe einleitend verbal auf Distanz zu seinem Vorredner Schmude gegangen war, so schlug er inhaltlich doch dessen Richtung an. 125 Es war ein Versuch, sukzessive die eigenen Reihen an politische Realitäten zu gewöhnen. Mit dem aus der Position des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden abgeleiteten Selbstverständnis nahm Rühe dabei in Anspruch, rur die gesamte Fraktion zu sprechen. 126 Ihm ging es darum, gültige

122 Dies klingt an bei Udo Bergdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985; bestätigend auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 253 f. 123 Rühe zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8812 (Hervorhebungen im Original). 124 Ebd. (Hervorhebungen im Original). 125 Schmude hatte ausgeführt: "Die verlorenen früheren deutschen Ostgebiete gehören politisch nicht mehr zu Deutschland, und es flihrt in die Irre, sie als Eigentum aller Deutschen zu bezeichnen. Der Vorbehalt der Grenzziehung in einem Friedensvertrag bedeutet heute nichts anderes mehr, als daß die Endgültigkeit zum Beispiel der Westgrenze Polens dann erneut bestätigt werden würde." Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8811. 126 Vgl. dazu auch Interview mit Volker Rühe im WDR-Zeitfunk vom 28.2.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 28.5.1985. Jahre später bekannte er freilich, daß der Begriff der "Bindewirkung" "eine Formulierung gewesen ist, die nicht die Unterstützung aller gefunden hat, sondern daß sie umstritten geblieben ist."

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Rechtsgrundlagen nicht nur zu zitieren, sondern durch eine politische und moralische Dimension zu erweitern. 127 Direkter als dies dem Bundeskanzler aus politischen Gründen möglich war, hatte er somit einen in der Union umstrittenen Aspekt fonnuliert. 128 Im Gegensatz zu Rühe konnte Kohl, auch wenn dies aus den Reihen der Opposition noch so sehr gefordert wurde,129 diese Position nicht offensiv in der Öffentlichkeit vertreten. Kohl mußte als Partei vorsitzender und Regierungschef integrierender fonnulieren. Ohne in der Sache näher auf Rühes Darlegungen oder gar Einzelfonnulierungen einzugehen, gab er allerdings in der Aktuellen Stunde eine Ortsbestimmung seiner eigenen Position, indem er vage ausruhrte: "Meine Freunde Heinrich Windelen 130 und Volker Rühe haben in ihren kurzen Beiträgen meine Position noch einmal aus der Sicht der Union sehr klar unterstrichen. Sie haben beide etwas gesagt, was ich nur mit einem Satz aufgreifen will: daß neben der rechtlichen Situation und den rechtlichen Grundlagen das Leben natürlich 40 Jahre lang - das sind Generationen - weitergegangen ist und daß wir alle das zur Kenntnis nehmen, übrigens auch die Kollegen Hupka, Czaja und die Vertriebenen.'.!31

In der Summe sich ergänzend hatten Rühe und Windelen also in dieser Bundestagssitzung die wesentlichen Meinungsströmungen in der Unionsfraktion und der CDU abgedeckt. Vor allem Rühe übernahm dabei zugleich die Funktion des Minenhunds und Prellbocks, indem er zum einen den Spielraum rur verbale und inhaltliche Positionsverschiebungen auslotete und zum anderen potentielle Kritik am Bundeskanzler auf sich ablenkte. Der Kanzler und Parteivorsitzende ruhrte die von Rühe und Windelen vertretenen Positionen integrierend dadurch zusammen - womit er zugleich den Schlesiern die Hand bot -, daß er die Schlesier explizit vor Revanchismusvorwürfen in Schutz nahm. Notdürftig waren die Kontroversen innerhalb der Union überdeckt. Welchen Zündstoff Interview mit Volker Rühe im DLF vom 9.1.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 9.1.1987. 127 Vgl. Interview mit Volker Rühe im WDR-Zeitfunk vom 28.2.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 28.5.1985; ergänzend auch Volker Rühe: Keine Dauerlösung, in: Die Zeit, 9.8.1985; zur Einordnung auch Rolf Zundel: Im Spagat zwischen Praxis und Prinzip, in: Die Zeit, 8.3.1985. 128 Zu den Reaktionen auf Rühes Rede vgl. weiter unten. 129 Der SPD-Abgeordnete Ehmke und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Vogel, kommentierten Rühes Rede mit folgenden Zwischenrufen: "Das hätten wir gern vom Kanzler gehört! (Ehmke); "Das hätte Herr Kohl sagen sollen, gleich am Anfang!" (Vogel), abgedruckt in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 11 9. Sitzung. 6.2. I 985, S. 8812. 130 Er hatte zuvor in einer nüchternen Rede die Situation der Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland gewürdigt. V gl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8815 f. 131 Kohl zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8817.

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die Grenzfrage in sich barg, zeigte die zweieinhalbstündige Sitzung der Unionsfraktion am 26.2.1985, die erste nach der Aktuellen Stunde vom 6. Februar und zugleich die letzte vor Kohls Bericht zur Lage der Nation 1985. Die Unzufriedenen erhielten endlich die Gelegenheit, ihrem angestauten Ärger Luft zu machen. Die Kritik an Kohl, der in der Sitzung selbst nicht anwesend war, sowie an Rühe und Vogel eruptierte. 132 Sie gerieten ins Kreuzfeuer einer Gruppe um Manfred Abelein, Hans Graf Huyn, Herbert W. Köhler (Duisburg), Claus Jäger (Wangen), Herbert Czaja sowie Lorenz Niegel und Herbert Werner. 133 An Kohls Adresse richtete Abelein den Vorwurf, der Kanzler habe sich außerhalb der "Sukzession Adenauers" gestellt. 134 Ähnlich scharf waren die Attacken gegen Rühe. Dieser hatte sich aber wohlweislich schriftlich vorbereitet und konnte seinen Kritikern mit einer dezidierten Darlegung seines Standpunktes entgegentreten. 135 So verwies er in drei Punkten darauf, daß erstens die Rechtslage Deutschlands unverkürzt intakt bleiben müsse, daß zweitens die bloße Beschreibung der Rechtslage noch keine praktische Politik sei und daß zum dritten die rechtstechnische Auslegung des Warschauer Vertrages einen gesamtdeutschen Souverän nicht binde, "denn er ist ja keine Bindung eingegangen." 136 Die deutschlandpolitische Gesamtkritik kondensierte sich während der Fraktionssitzung zudem in dem prozeßuralen Vorwurf, Führungspersonal der Fraktion und der Mitglieder der Bundesregierung hätten ohne Abstimmung und Rückkopplung mit der Fraktion gravierende Änderungen deutschlandpolitischer Positionen vorgenommen. 137 Diese Kritik wurde mit der Aufforderung verbunden, künftig eine grundsätzliche Aussprache in der Fraktion zu führen, bevor derartige, unabgestimmte Positionen in die Öffentlichkeit getragen wür-

132 Auch der Abgeordnete Hans Klein geriet in die Schußlinie, hatte er doch Rühes Fonnulierung "der Bindewirkung" in einem Beitrag während der Aktuellen Stunde vom 6.2.1985 aufgegriffen. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8817. 133 V gl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 254; "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985. \34 Vgl. "Union streitet über Deutschlandpolitik, in: SZ, 28.2.1985; auch Eghard Mörbitz: Die Lage der Union wurde 'schwer erträglich', in: FR, 28.2.1985; Thomas Kielinger: Unions-Fraktionen im reinigenden Gewitter, in: Die Welt, 28.2.1985. Wegen dieses Angriffs war Kohl "stinksauer", wie Unionspolitiker mitteilten. Vgl. Jürgen Tuchel: In der Unionsfraktion flogen die Fetzen, in: Nürnberger Nachrichten, 28.2.1985. \35 Dazu und zum folgenden vgl. Karl Feldmeyer: Die Sache schwelt weiter in der Union, in: FAZ, 28.2.1985. \36 Rühe zitiert nach: Karl Fe\dmeyer: Die Sache schwelt weiter in der Union, in: FAZ,28.2.1985. 137 Vgl. Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.l985. In der Tat hatte Rühe seine in der Rede vertretenen Positionen nicht in der Fraktion abgestimmt. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 253 ff.

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den. 138 Ein Gruppe um die Abgeordneten Geißler, Lamers, Mertes, Mikat und Schäuble trat dem entgegen und reagierte scharf auf die Vorwürfe vor allem gegen Kohl und Rühe. So warnte u. a. Mertes vor den Gefahren einer politischen Isolierung Bonns im Westen, wenn die Frage der Rechtspositionen in der Öffentlichkeit überbetont würden; sie sollten vielmehr "fest" und "still" vertreten werden. 139 Der Fraktionsvorsitzende Dregger nahm eine zwischen den Positionen vermittelnde Funktion ein 140 und beendete die Debatte mit einem geschickten Schachzug. Zunächst stellte er fest: "Ich möchte am Ende dieser Diskussion mit Zustimmung aller feststellen können, daß der Bundeskanzler gerade in seiner Deutschlandpolitik in dieser Fraktion außer jedem Streit steht! (Beifall) Ich sage das, weil Helmut Kohl die Ausgrenzung der Vertriebenenverbände von Ludwig Erhard bis zu ihm beendet und er sie wieder in unser Volk eingefügt hat! Und ich sage es, weil Helmut Kohl die nationale Frage wieder in das Bewußtsein der Menschen gebracht hat - in beiden Teilen Deutschlands und in der Welt! Das ist sein großes persönliches Verdienst, und dafür sind wir ihm alle dankbar.'''41

Abschließend ließ sich dann Dregger die zentralen Passagen seiner Rede für die am nächsten Tag anstehende Debatte um den Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland ausdrücklich von der Fraktionsversammlung genehmigen. 142 Dregger hatte damit insgesamt zum einen die Einheit von Regierung und Fraktion in deutschlandpolitischen Fragen betont, zum zweiten der Bundesregierung deutschlandpolitische Unterstützung signalisiert und zum dritten die Fraktion bereits auf seine eigene Rede am nächsten Tag vorbereitet. Durch diese Maßnahmen versuchte er, die politische Atmosphäre zu entspannen. Schäuble hatte, gleichsam als Kohls deutschlandpolitisches Sprachrohr, am 26. Februar in der Fraktionssitzung ebenfalls versucht, die Wogen zu glätten, 138 Vgl. "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985. 139 Vgl. "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985; Schäuble argumentiert ähnlich, vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 256. 140 Diese Position nahm er auch am folgenden Tag im Plenum des Deutschen Bundestages ein. Unmittelbar vor Kohls Rede sprach er für die Öffentlichkeit deutlich wahrnehmbar mit Rühe und tauschte danach mit Hupka einen längeren Händedruck aus. Die Einigkeit der Fraktion wurde demonstrativ vorgeführt. Zu diesen Beobachtungen auch Ekkehard Kohrs: Gemeinsamkeiten und eine Rüge für den kauenden Genossen, in: Bonner General-Anzeiger, 28.2.1985. 14\ Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 27.2.1985. 142 V gl. "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985; Dreggers Ausführungen stützen die Regierungsposition. Er verzichtete dabei jedoch auf umstrittene Formulierungen im Rühe-Duktus. Vgl. Dreggers Rede im Deutschen Bundestag, in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 122. Sitzung. 27.2.1985, S. 9023-9033.

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indem er in einer Vorwegnahme von Kohls Bericht zur Lage der Nation den Konsens zwischen Regierung und Fraktion klarstellte: "Die deutsche Frage ist nach wie vor offen. Solange wir keinen Friedensvertrag haben, solange die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes fortbestehen, ist niemand befugt, die Grenzen Deutschlands neu zu definieren.'''43

Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1985 Durch die Reaktionen auf Rühes Rede und die Debatte im Nachfeld der Aktuellen Stunde vom 6. Februar 1985 war Kohl gewarnt. Er mußte mit seinem Bericht zur Lage der Nation den beiden sich kristallisierenden Grundrichtungen 144 in der CDU und insbesondere der Unionsfraktion gerecht werden, wollte er nicht zwischen ihnen zerrieben werden. Entsprechend integrierend waren der Abschnitt zum Verhältnis zu Polen und den Vertriebenen im Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1985 angelegt. 145 Strategisch durchdacht und kalkuliert war der Textaufbau in diesem Bereich. 146 An eine Darstellung der rechtlichen Grundlagen der Deutschlandpolitik schloß Kohl die Betonung des Festhaltens am Friedensvertragsvorbehalt 147 ebenso an wie den Verweis auf die Notwendigkeit einer Verständigungsbereitschaft "mit unseren östlichen Nachbarn; das heißt vor allem auch mit unseren polnischen Nachbarn.,,148 An die Adresse der Polen gerichtet, zitierte er die einschlägigen Passagen aus dem Warschauer-Vertrag zur Unverletzlichkeit der Grenzen und setzte deutlich hinzu: "Wir, die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen, haben gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche und werden solche auch in Zukunft 143 Schäuble zitiert nach: Manfred Schell: Schäuble: Niemand ist befugt, Grenzen neu zu definieren, in: Die Welt, 27.2.1985. 144 Hier spiegelten sich auch die in außenpolitischen Fragen zum Tragen kommenden Kontroversen der "Genscheristen" und der "Stahlhem-Gruppe" in der Unionsfraktion wider. Vgl. dazu auch Karl Feldmeyer: In der Unionsfraktion geht es weiter um Genscheristen und die Stahlhelm-Gruppe, in: F AZ, 5.12.1985; Hans Jörg Sottorf: Stahlhelm gegen Genscherismus, in: Handelsblatt, 5.12.1985. 145 V gl. Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, abgedruckt in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 56-73. 146 Im Detail analysiert und bewertet bei Fröhlich: Sprache als Instrument, S. 141143. 147 Zur rechtlichen und politischen Bedeutung des Friedensvorbehaltes vgl. Dieter Blumenwitz: Oder-Neiße-Linie, in: Werner Weidenfeld/Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Einheit, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 517-527; Fröhlich: Sprache als Instrument, S. 141 f. 148 Kohl zitiert nach: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 62.

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nicht erheben.,,149 Wenn Kohl damit auch keine Aussage filr ein wiedervereinigtes Deutschland getroffen hatte, so fonnulierte er doch aber in dem Bewußtsein, daß es auch nach Abschluß eines Friedensvertrages keine Grenzrevisionen mehr geben würde. ISO Kohls Ausfilhrungen zu den Gebieten jenseits der OderNeiße-Linie unterstreichen diesen Schluß: "Meine Damen und Herren, in den Gebieten jenseits der polnischen Westgrenze leben heute polnische Familien, denen diese Landschaften in zwei Generationen zur Heimat geworden sind. Wir werden dies achten und nicht in Frage stellen."lsl Ohne die Fonnulierungen Rühes aufzugreifen, hatte Kohl doch denselben Inhalt transportiert. Auch die Vertriebenen versuchte er in seinem Bericht einzubinden. Er griff die entsprechenden Passagen der Stuttgarter Charta auf und hob den darin fonnulierten Gewaltverzicht als "eine klare Absage an jede Fonn von Revanchismus" 1S2, als "eine Botschaft des Friedens"ls3 hervor. Kohl sicherte seinen Bericht in den strittigen Themenfeldern in Richtung beider Diskussionspole innerhalb der Fraktion ab. Der in der Fraktion und zwischen Teilen der Fraktion und der Bundesregierung schwelende Dissens in der Grenzfrage war damit zunächst überdeckt. Wie lange aber würde die Ruhe halten?ls4

Treffen Kohl!Honecker in Moskau 1985 Am 12.3.1985 kam es im Rahmen der Trauerfeierlichkeiten rur den verstorbenen sowjetischen KPdSU-Generalsekretär, Tschemenko, zur zweiten Begegnung Kohls mit Honecker. lss Als Ergebnis des Treffens ls6 wurde eine "Ge-

Ebd., S. 63. Dazu auch Zimmer: Nationales Interesse, S. 132; auch Kohls politisches Agieren während des 2+4-Prozesses zur Herstellung der Deutschen Einheit bestätigt diese Einschätzung. Zu Rolle und Position Kohls im 2+4-Prozeß vgl. Werner Weidenfeld: Außenpolitik fIlr die deutsche Einheit: Die Entscheidungsjahre 1989/90, Stuttgart 1998. 151 Kohl zitiert nach: Bundesministerium fIlr innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 63 . 152 Ebd. 153 Ebd. 154 Von seiten der Fraktions- und Parteifllhrung wurde alles unternommen, die Ruhepause möglichst lange zu gestalten. So fiel es Dregger zu, während des 33. Bundesparteitages ausfllhrlich zur Deutschlandpolitik zu referieren. Er setzte den gesamtdeutschen Akzent des Parteitags. Dabei betonte er nicht nur den klaren deutschlandpolitischen Kurs von Regierung und Fraktion, sondern markierte auch ohne Widerspruch der Delegierten Positionen im Sinne der Bundesregierung, indem er ausfllhrte: "Wir sind überzeugt, daß die Freiheitsfrage fIlr Polen und Deutsche wichtiger ist als die Grenzfrage." CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 33. Bundesparteitag. 20./22. März 1985, Bonn 0.1. 155 Erstmals hatte man sich am 13 .2.1984 ebenfalls in Moskau getroffen. 149 150

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mein same Erklärung über das Gespräch von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR Erich Honecker in Moskau" veröffentlicht. 157 In Anlehnung an den Wortlaut des Warschauer-Vertrages und des Berichtes zur Lage der Nation 1985 hatte man - allerdings in anderem Kontext - formuliert: "Die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen sind eine grundlegende Bedingung fUr den Frieden.,,158 Hatte man von seiten der Bundesregierung bisher immer darauf geachtet, Grenzfragen nur fUr die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber fUr ein möglicherweise wiedervereinigtes Deutschland zu formulieren, so war dieser Punkt in der Gemeinsamen Erklärung gar nicht thematisiert worden. Die in der Moskauer Erklärung gewählte Formulierung ließ hier neue Interpretationsspielräume fUr die Bindewirkung bestehender Grenzen zu. Aber auch die DDR-Führung interpretierte die Gemeinsame Moskauer Erklärung als eine qualitative Neuausrichtung des deutsch-deutschen Verhältnisses. Sie sah in diesem Text die Manifestierung der förmlichen Anerkennung ihrer Souveränität. 159 Die Erklärung sorgte nicht nur unionsintern fUr Querelen,160 sondern auch fUr Verwirrung auf dem Parkett der internationalen Diplomatie. So mußte man im Auswärtigen Amt mehrmals Nachfragen ausländischer Diplomaten mit dem Hinweis bescheiden, die Gemeinsame Erklärung basiere selbstredend auf den Ostverträgen und den damit seitens der Bundesrepublik Deutschland in den Briefen zur deutschen Einheit formulierten Vorbehalten. 161 Die Diskussionen um die rechtliche Wirkung bestehender Verträge und politischen Absichten der Deutschlandpolitik bildeten einen zentralen unionsspezifischen Hintergrund, vor dem die angestrebte Verabschiedung einer gemein-

156 Zum Gesprächsinhalt vgl. Niederschrift Gespräch Kohl-Honecker am 12.3.1985 in Moskau, in: SAPMO-BArch, J IV 2/2N2739. Zu den Hintergründen vertiefend auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 219-227. 157 Abgedruckt in: Bundesministerium fIir innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 160 f. Die Erklärung war von Teltschik und Honeckers Büroleiter, Herrrnann, vorbereitet worden. Sie war allerdings nicht Gegenstand des Gesprächs Kohls mit Honecker. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 225. 158 Bundesministerium fIir innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 160 f. 159 Zu dieser Interpretation auch Potthoff: Die "Koalition der Vernunft", S. 26 f. 160 Noch Jahre später wurde sie Kohl kritisch angelastet. In einer Fraktionssitzung am 10.2.1987 mußte er sich wieder einmal fIir die Erklärung rechtfertigen: "Was ich dort [... ] besprochen habe, [... ] entspricht der amtlichen Politik. Da ist überhaupt nichts dagegen zu sagen. Als Bundesrepublik haben wir uns in der Verträgen verpflichtet; wir verpflichten nicht eine spätere denkbare gesamtdeutsche Regierung, wir verpflichten uns. Wir haben keine Grenzansprüche." Zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 226. \6\ Hinweise finden sich bei Jürgen Lorenz: Kohl schweigt im Streit um Deutschlandpolitik, in: Badische Neuste Nachrichten, 17.10.1985.

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samen Entschließung zum Bericht zur Lage der Nation durch die Bundestagsfraktionen von SPD, FDP und CDU/CSU zu sehen war. Nachdem sich - wie einleitend dargestellt - abzeichnete, daß der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion vom Frühjahr nicht die Zustimmung der Unionsfraktion erhalten würde und umgekehrt der Vorschlag der Fraktionsfiihrung von CDU/CSU, den Entschließungsantrag von 1984 erneut im Bundestag zu bekräftigen, nicht mit der Unterstützung der SPD-Fraktion rechnen konnte, 162 suchten die Deutschlandpolitiker der involvierten Fraktionen nach Kompromißformein. Diese Verhandlungen zogen sich aber bis zur parlamentarischen Sommerpause, ohne daß es zu konkreten Ergebnissen kam. Die Positionen waren festgefahren. Die Formulierungen der SPD zur Grenzfrage - und auch zur Gleichberechtigung bei der deutscher Staaten - stießen auf Widerstand in erster Linie bei den national-konservativen Kreisen innerhalb der Unionsfraktion. Den Unterhändlern von CDU/CSU (Herbert Werner), FDP (Uwe Ronneburger) und SPD (Gerhard Heiman) gelang es auch bei ihrem letzten Treffen vor der Sommerpause am 21. Juni 1985 nicht, eine Kompromißlösung zu finden. 163 Vor allem der Spielraum von Werner war durch die in dieser Zeit starke Position der deutschlandpolitischen Fundamentalisten eingeengt. 164 Sie leisteten nicht nur Formulierungshilfen auf seiten der Unionsfraktion, sondern gaben klare Vorgaben,165 die die Verhandlungen blockierten. 166 Die noch 1984 zwischen den Fraktionen demonstrierten Gemeinsamkeiten waren aufgebraucht. 167 162 Zu diesen Überlegungen vgl. auch "Gegensätze in der Deutschlandpolitik. Die Union im Streit mit sich und mit der Opposition", in: FAZ, 27.2.1985. 163 Als Konsequenz schlug Ronneburger vor, die parlamentarische Sommerpause zum Nachdenken zu nutzen, und danach erneut über die Formulierung eines Entschlusses zu verhandeln. Dazu auch Udo Bergdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985. 164 Vgl. zu den Hintergründen Martin E. Süskind: Ein erbitterter Streit um Worte, die Programm bedeuten, in: SZ, 14./15.8.1985. Zu den Fundamentalisten zählte Hofmann die "Heimatlosen" um Hupka, Czaja, Sauer, Lintner, Todenhäfer. Er grenzte diese Gruppe ab von dem "Kontinuitätsflügel" ("Genscher-Truppe") um Jenninger, Blüm, Pinger, Rühe und Hans Klein. Von diesen beiden Gruppen unterschied er die Mitmacher. "Sie gilt als nicht sonderlich interessiert [an der Deutschland- und Ostpolitik/d. Verf.], hat auch keine wirklichen Wortführer und will vor allem dem Kanzler nichts vermasseln". Gunter Hofmann: Die Wunschdenker auf dem Vormarsch, in: Die Zeit, 4.1.1985. Der Pressesprecher der Bundesregierung, Klein, dementierte an anderer Stelle die Richtigkeit dieser pauschalen Kategorisierungen. Vgl. "Streit in der Unionsfraktion", in: FR, 2.12.1985. 165 Vgl. u. a. Martin E. Süskind. Ein erbitterter Streit um Worte, die Programm bedeuten, in: SZ, 14./15.8.1985. 166 So hatte Herbert Czaja die Verhandlungen mit eigenen Textvorschlägen belastet. Vgl. dazu auch Udo Bergdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985. 167 Dazu trugen aber nicht zuletzt auch Äußerungen des stellvertretenden SPDAbgeordneten Schmude bei, der eine Überprüfung, Änderung oder den Wegfall des er-

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Der Verhandlungserfolg hing an wenigen, aber programmatisch bedeutsamen Worten und Formulierungen. Trotz des Bemühens der Mitglieder des innerdeutschen Ausschusses von SPD, FDP und CDU/CSU, eine gemeinsame Erklärung zu formulieren und "aufeinander zuzugehen", 168 konnten die Klippen der umstrittenen Formulierungen zur Grenzfrage und zum Verhältnis beider deutschen Staaten nicht umschifft werden. Diese wurden an verschiedenen Stellen des Entschließungstextes deutlich: "Grundlage der Deutschlandpolitik sind die bestehenden Grenzen in Europa.[ ... ] Das Gebot des Gewaltverzichts ist für sie [die Bundesrepublik Deutschland/d. Verf.] verbindlich,,169 - so die Formulierungen im SPD-Vorschlag. In der CDU beharrte man dagegen auf nachfolgenden Formeln: "Die Deutschlandpolitik respektiert die gegenwärtigen Grenzen in Europa. [... ] Das Gebot des Gewaltverzichts ist für sie [die Bundesrepublik Deutschland/d. Verf.] verbindlich.,,170 Textliche Einfügungen oder Auslassungen bedeuteten in diesem sensiblen Politikfeld Welten. 171 In der Unschärfe der Formulierungsvorschläge aus dem Unionslager zeichnete sich das zwanghafte Bemühen ab, die Positionen der einzelnen Flügel begrifflich und formulierungstechnisch zu vereinen.

Forcierung der Verhandlungen aus dem Bundeskanzleramt

Nach der Sommerpause wurden die Formulierungsverhandlungen zwischen den Fraktionen unter der Federführung von Eduard Lintner (CDU/CSU), I72 Uwe Ronnerburger (FDP) und Gerhard Heimann (SPD) fortgesetzt. Anfang Oktober konnte man sich auf dieser Arbeitsebene auf einen gemeinsamen Entschließungsentwurf einigen. Waren es vor der Sommerpause die Störmanöver sten Satzes der Präambel des Grundgesetzes "Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden" gefordert hatte. Dies stieß auf deutliche Ablehnung im Regierungslager. Vgl. zu den Hintergründen "Kohl: Das Gebot der Wiedervereinigung darf unter keinen Umständen aufgegeben werden", in: FAZ, 20.5.1985. 168 Interview mit Gerhard Reddemann im DLF vom 16.6.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 18.6.1985. 169 Zitiert nach: Martin E. Süskind: Ein erbitterter Streit um Worte, die Programm bedeuten, in: SZ, 14./15.8.1985. 170 Zitiert nach: Martin E. Süskind: Ein erbitterter Streit um Worte, die Programm bedeuten, in: SZ, 14./15.8.1985. Mit ihrer Formulierung des "Respektierens" hatte sich die Unionsfraktion graduell von der gemeinsamen Erklärung Kohls und Honeckers vom 12. März 1985 entfernt; ergänzend auch Interview mit Gerhard Reddemann im DLF vom 16.6.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 18.6.1985. 171 Zu den Formulierungen zur Gleichberechtigung beider deutscher Staaten und zur Aktualität des Wiedervereinigungsgebotes vgl. auch Martin E. Süskind: Ein erbitterter Streit um Worte, die Programm bedeuten, in: SZ, 14./15.8.1985. 172 Er hatte Herbert Werner als Verhandlungsflihrer abgelöst.

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der national-konservativen Kreise in der Unionsfraktion, die eine Einigung verhinderten, so war es jetzt der vom Kanzleramt ausgeübte Druck, der die Konsensfindung förderte. Von dort hatte man nämlich heftig auf eine Verständigung gedrängt. 173 Vorrangig drei Gründe lassen sich als Erklärung für dieses Druckpotential anführen:

Signal an das Ausland Nach der im Rahmen der Schlesier-Debatte unglücklich verlaufenden Diskussion zur Jahreswende 1984/85 und der entsprechenden Rezeption im Ausland bot eine gemeinsame interfraktionelle Erklärung der Bundestagsparteien eine zusätzliche Möglichkeit, die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Grenzfrage und den vertraglich eingegangenen Bindungen zu demonstrieren. Die Regierungspolitik würde damit eine explizite Zustimmung der großen Mehrheit des Bundestages erhalten und eine weitere Berufungsgrundlage für die Fortsetzung des mit der operativen Deutschlandpolitik eingeschlagenen Weges bekommen. Revanchismusvorwürfe im Ausland würden damit weiter entkräftet werden.

Signal an die DDR Mit der interfraktionellen Erklärung konnte ein weiteres Signal an die DDR im Sinne der Kohlschen Deutschlandpolitik gesetzt werden. Sie konnte nicht zuletzt einer weiteren Entspannung der im Hintergrund laufenden deutschdeutschen Delegationsgespräche und den Verhandlungen um einen möglichen Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland dienen.

Einbindung der stärksten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag und Erhalt der deutschlandpolitischen Initiative Von der SPD war ursprünglich die Initiative einer gemeinsamen interfraktionellen Erklärung auch zum Bericht zur Lage der Nation 1985 ausgegangen. Sie hatte dazu eine Vorlage gemacht. Die sozialdemokratische Oppositionspartei versuchte sich im Sinne der sozial-liberalen Regierungen eigene deutschlandpolitische Meriten zu verdienen. Damit drohte der Bundesregierung Initiativkonkurrenz auf deutschlandpolitischen Gebiet. Dies war mit ihrem Füh173 Vgl. Udo Berdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985; ergänzend "Verzicht der Bonner Koalitionsparteien auf eine deutschlandpolitische Resolution", in: NZZ, 23.10.1985.

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rungsanspruch, der gleichwohl auch auf eine Einbindung der SPD zielte, nicht vereinbar. Die CDU/CSU-Fraktion mußte auf das Angebot der SPD eingehen und somit die Chance nutzen, in Abstimmung mit der Regierung die Initiative zurückzugewinnen. Kooperation, nicht Verweigerung gegenüber der SPD war das Konzept. Die gemeinsame Entschließung und die Mitwirkung an ihrem Zustandekommen bekam somit die Funktion einer Unterstützungsleistung der Unionsfraktion filr die Regierung. Dieses Kalkül konnte allerdings nur aufgehen, wenn die gemeinsame Erklärung nicht am Widerstand der CDU/CSU scheiterte. Damit galt es filr die Unionsfraktion, den schmalen Grad zwischen Erfolgsdruck in den Verhandlungen mit der SPD und der Wahrung eines innerfraktioneIlen Konsenses zu bestehen. Vor Abschluß der Endredaktion wurde der Text filr die interfraktionelle deutschlandpolitische Erklärung innerhalb der Regierungskoalition während einer Frühstücksrunde im Bundeskanzleramt am 2. Oktober im Kreis hochrangiger Deutschlandpolitiker diskutiert. An der Runde nahmen unter Vorsitz von Bundesminister Schäuble aus den Reihen der CDU/CSU die deutschlandpolitisch filhrenden Politiker Windelen, Rühe, Lintner und Reddemann teil. l74 Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Dregger, war nicht eingeladen worden. Die im Kanzleramt versammelte Runde stimmte dem vorgelegten Entwurf zu, "der Kurs wurde abgesegnet,,175. Dieses Ergebnis wurde am 3. Oktober auch dem deutschlandpolitischen Verhandlungsfilhrer der SPD-Bundestagsfraktion übermittelt. Die damit gültige Fassung des Entschließungsantrages sandte Lintner bereits am 4. Oktober l76 an Schäuble ins Bundeskanzleramt. Den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Beriinfragen der Unionsfraktion wurde er dagegen erst am 10. Oktober - und damit sechs Tage später - vom zuständigen Referenten, Kaack, zur Kenntnisnahme zugestellt. l7 Der Mehrheit der Fraktionsmitglieder lag der Text allerdings auch bis zum 15. Oktober 1985 noch nicht vor. l78

174 Zum Teilnehmerkreis vgl. Udo Bergdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985. 175 So Lintner, zitiert nach: Claus Wettermann: Beim Frühstück herrschte noch Harmonie, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.10.1985. 176 Das Datum läßt sich schließen aus den Angaben von Korte: Deutschlandpolitik, S 248. 177 Vgl. "Entwurf (4.10.85) Gemeinsame Entschließung" (Dokument aus privatem Aktenbestand); abgedruckt auch in: "Die Teilung erträglicher machen", in: Bonner General-Anzeiger, 18.10.1985. Bereits seit einigen Tagen konnte man erste Versatzstücke der Presse entnehmen. Vgl. z. B. Stefan Heydeck: Doch noch ein Komprorniß zur Deutschlandpolitik, in: Die Welt, 7.10.1985. Am 9.10.1985 wurde diese, ihr vorab über dunkle Kanäle zugespielte Passage von der " Welt" veröffentlicht. Vgl. "Vorschlag für eine gemeinsame Deutschlandpolitik, in: Die Welt, 9.10.1985. 178 Das bekannte Volker Rühe freimütig in einem Interview im Heute-Journal vom 15.1 0.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 16.10.1985. Dies 16 Gros

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Das Papier stellte einen Minimalkonsens zwischen den Bundestagsfraktionen dar. So hatte man bezüglich der Grenzfrage die entsprechende Formulierung aus der Gemeinsamen Erklärung von Kohl und Honecker l79 übernommen und erklärt: "Der Deutsche Bundestag bekräftigt jetzt und für die Zukunft die in den Verträgen von Moskau und Warschau und im Grundlagenvertrag verankerte Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in ihren gegenwärtigen Grenzen als eine grundlegende Bedingung für den Frieden und damit auch die Deutschlandpolitik.,,180 Den zwischen den Parteien unterschiedlich bewerteten Aspekt der Offenheit der deutschen Frage faßte man in vage Worte: "Die deutsche Frage bleibt unge" t" 181 E'me K omprom ißfiorme, 1'82 d'le L'mtner - emge . d enk d er b e k annten Ios. Vorbehalte l83 in Teilen der Unionsfraktion - nur widerwillig akzeptiert hatte.'84 Potentiellen Zündstoff bot zudem die Passage des Entwurfspapieres, nach der "die deutsche Frage [ ... ] vor allem auch eine europäische Frage" seL I85 "Eine legt den Schluß nahe, daß man seitens interessierter Kreise (Bundeskanzleramt, Teilen der CDU/CSU-Fraktionsführung) versuchte, die Bekanntgabe des Textentwurfes möglichst lange hinauszuzögern, den Abgeordneten vor der Abstimmung möglichst wenig Zeit zur Prüfung zu geben und sie damit vor vollendete Tatsachen zu stellen. In diese Richtung weist auch die Aussage Rühes, daß die vorzeitigen Veröffentlichungen des Entschließungstextes "nicht hilfreich" waren. Rühe in: Ebd. 179 Abgedruckt in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/3, S. 160 f. 180 "Entwurf (4.10.85) Gemeinsame Entschließung", S. 3 (Dokument aus privatem Aktenbestand); hierbei handelte es sich im Kern um ein Zitat aus dem Warschauer Vertrag, das Kohl auch bereits in seinem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland am 27.2.1985 verwandt hatte. 181 "Entwurf (4.10.85) Gemeinsame Entschließung", S. 3 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 182 Zum Kompromißcharakter des gesamten Papieres und dem darin zum Ausdruck kommenden Minimalkonsens vgl. auch Werner Kahl: Noch kein Durchbruch: Baut die SPD neue Hürden auf?, in: Die Welt, 9.10.1985; Helmut Lölhöffel: Verschleierte Deutschlandpolitik, in: FR, 14.10.1985. 183 Als konsensfähig und genug Spielraum für die in der Unionsfraktion verfolgten deutschlandpolitischen Interpretationsmuster einräumend galt bisher die Formulierung: "Die deutsche Frage ist offen". Dazu Jäger: Deutschlandpolitik in der CDU/CSUIFDPKoalition, S. 1595 f. 184 Hintergrund war, daß die SPD mit der Zustimmung zu einer offensiveren Formulierung Politiker wie Apel oder Schmude desavouiert hätten. So hatte Apel bereits 1984 die deutsche Frage als nicht mehr offen bezeichnet. Vgl. Brocke: Deutschlandpolitische Positionen, S. 36; Plück: Der schwarz-rot-goldene Faden, S. 393. Schmude hatte in der Aktuellen Stunde vom 6.2.1985 die Offenheit der deutschen Frage in Zweifel gezogen. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8811. 185 In der Tat war dies einer der zentralen Kritikpunkte der Vertriebenen an dem Papier. Vgl. "Erregung in der Union über ein deutschlandpolitisches Papier", in: FAZ, 15.10.1985.

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adäquate Antwort kann es nur geben, wenn sie von den Menschen in beiden Staaten in Deutschland und der Völkergemeinschaft in Ost und West getragen wird. Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieden,186 sondern den Grenzen ihren trennenden Charakter zu nehmen.,,187

Ablehnung des Kompromißpapieres in der Unionsfraktion

Bereits kurze Zeit nach Veröffentlichung des interfraktionellen Entwurfes zum geplanten Entschließungsantrag zeigte sich allerdings seine begrenzte Tragkraft. Die in den vergangenen Monaten nur mühsam zurückgehaltenen Positionen der verschiedenen Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion brachen wieder in die Öffentlichkeit durch. Die Erregung innerhalb der Unionsfraktion und den Unionsparteien über den Entwurf war groß. Bei Dregger sammelten sich Protestbriefe von Bürgern und Beschwerden von Abgeordneten. 188 In die Schußlinie der innerparteilichen Kritik geriet der deutschlandpolitische Unterhändler der Fraktion, Lintner. Der interfraktionelle Entwurf wurde zum Lintner-Papier reduziert, und dem CSU-Abgeordneten damit die Verantwortlichkeit zugeschoben. Die Wortllihrer der Kritik innerhalb der Unionsfraktion waren Barzel und Czaja. Sie hatten sich in schriftlicher Form an Dregger gewandt und ihre Kritik im Detail dargelegt. 189 Barzel bellirchtete durch die geplante Entschließung eine Aushöhlung früherer Bundestagsentschließungen und ein Ver190 CzaJa . 191 machte "schwerste Beden ken . . .. sc hWImmen von Ulllonspositionen. und entschiedenen Einspruch" geltend und sah in dem Entschließungstext "illegitime, verfassungs- und vertragswidrige Nachbesserungen" zu Ostverträgen und Grundlagenvertrag. 192 Zudem wurde in den Reihen der Vertriebenen halblaut, aber dennoch in Bonn deutlich vernehmbar, über eine mögliche Wahlverweigerung bei anstehenden Wahlen und der Bundestagswahl 1987 nachgedacht sowie die Gründung einer eigenen Partei erwogen. 193 Aus MünTippfehler im Original. Gemeint war "verschieben". "Entwurf (4.10.85) Gemeinsame Entschließung", S. 8 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 188 Hintergrundinformationen in: "Deutschland-Papier stößt auf Bedenken", in: Die Welt, 14.10.1985; "Erregung in der Union über ein deutschlandpolitisches Papier", in: FAZ,15.1O.1985. 189 Vgl. "Erregung in der Union über ein deutschlandpolitisches Papier", in: FAZ, 15.10.1985. 190 Vgl. "Streit um Deutschland-Resolution vertagt", in: SZ, 16.10.1985. 191 Er hatte zudem einen ähnlich lautenden Brief an Strauß gerichtet. Vgl. "Strauß: Deutschland-Resolution nicht annehmbar", in: SZ, 17.10.1985. 192 Zitate nach: "Streit um Deutschland-Resolution vertagt", in: SZ, 16.10.1985. 193 Vgl. "Erregung in der Union über ein deutschlandpolitisches Papier", in: FAZ, 15.10.1985. 186 187

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ehen signalisierte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende unverhohlen Ablehnung des Entwurftextes. 194 In einem Schreiben an den Vorsitzenden der Landesgruppe der CSU und stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Theo Waigel, hatte Strauß mitgeteilt, daß er das Papier in der vorgelegten Fassung für nicht annehmbar hielt. Er lehnte die "nebulöse Phraseologie" des Papiers ab und betonte die Notwendigkeit, "für uns unaufgebbare Rechtspositionen, deren Festschreibung durch das Bundesverfassungsgericht wir erstritten haben, eindeutig zu vertreten und alles zu vermeiden, was als Preisgabe dieser Rechtspositionen oder auch nur als Anschein einer solchen Preisgabe verstanden werden könnte.,,195 Zugleich bemängelte er, daß keine Aussagen über die Deutschen jenseits von Oder und Neiße . enth a Iten waren. 196 . d em p m apler Angesichts dieser Proteste mußte die Führung der Unionsfraktion handeln. Der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion beschäftigte sich intensiv mit der Entschließung in einer Sitzung am 14. Oktober. An dieser Runde nahm auch Lintner, der im Auftrag der Fraktion das Entschließungspapier verhandelt hatte, teil. 197 Er versuchte, der Kritik am Papier entgegenzutreten, indem er darauf verwies, daß die Aussagen über die Unverletzlichkeit der Grenzen identisch mit Kohls Bericht zur Lage der Nation 1985 und der zusammen mit Honecker im März abgegebenen Erklärung seien. Dabei hatte man, und dies bildete jetzt den Kern der Diskussion, einen entscheidenden Punkt übersehen: Die Formulierung, die im Bericht zur Lage der Nation 1985 noch eindeutig auf Polen gemünzt war, wurde in der universellen Verwendung der Moskauer Erklärung von Honecker und Kohl nun auch in den Entwurf der interfraktionellen Entschließung übernommen. Losgelöst vom Kontext des Berichts zur Lage der Nation konnte die isoliert verwandte Formulierung allerdings auch als eine Garantie für die Existenz der DDR interpretiert werden. 198 Der mit dem Moskau194 Vgl. Eghard Mörbitz: Strauß erhebt Einspruch, in: FR, 17.10.1985. Eine Gegenposition bezog öffentlich nur der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen. Vgl. "Grundduktus des Papiers ist richtig. GA-Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen", in: Bonner General-Anzeiger, 18.10.1985. 195 Der Brief ist im Wortlaut abgedruckt in: "Strauß besteht auf Verantwortung Bonns", in: Die Welt, 17.10.1985; ergänzend "Strauß: Deutschland-Resolution nicht annehmbar", in: SZ, 17.10.1985. 196 Vgl. auch Günther Bading: Kein Bedarf für Entschließung, in: Die Welt, 22.10.1985. 197 Zur Vorstandssitzung vgl. "Dregger: Nicht auf Kosten der Wahrheit", in: Saarbrücker Zeitung, 16.10.1985. 198 In der Zeit nach dem Moskauer Treffen hatte Honecker bei jeder sich bietenden Gelegenheit deshalb auch auf diesen Passus der gemeinsamen Erklärung hingewiesen und ihn als Anerkennung der staatlichen Souveränität durch die Bundesregierung gewertet. Vgl. dazu auch Potthoff: Die "Koalition der Vernunft", S. 27. Dies hatte man im Kanzleramt mittlerweile erkannt. Schäuble wies deshalb im Hinblick auf die geplante

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er-Vertrag wie dem Grundlagenvertrag verknüpfte und in den Briefen zur Deutschen Einheit 1970 und 1972 zum Ausdruck gebrachte Vorbehalt, "auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt", war in dieser Textvariante in den Augen der konservativen Fraktionskreise nicht mehr unmittelbar erkennbar. 199 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund und entsprechend der Münchner Direktive plädierte Waigel in der Sitzung des Vorstandes der Unionsfraktion am 15. Oktober rur eine Präzisierung des Entschließungsentwurfes. Auch der innerdeutsche Minister, Windelen, der ebenfalls an der Sitzung teilnahm, wehrte sich gegen Verwässerungen bestehender Rechtsauffassungen und Unionspositionen. Ohne es konkret zu formulieren, forderte auch er durch seinen Hinweis, die interfraktionelle Entschließung müsse mehr sein als ein "Minimalkonsens", inhaltliche und begriffliche Präzisierungen?OO Angesichts der sich insgesamt zeigenden Kritikpotentiale hielt Dregger, der zunächst in der internen wie öffentlichen Debatte geschwiegen hatte, den Zeitpunkt rur eine Reaktion gekommen. Er schloß sich der Kritik an Lintner an und stellte die Grundsatzfrage, ob überhaupt eine neue interfraktionelle Entschließung notwendig sei. 201 Vor der Fraktionsversammlung' am 15. Oktober ruhrte er, ohne eine sachliche Erörterung des Entschließungspapiers zuzulassen, aus: "Der jetzt vorliegende Entwurf ist nach meinem Urteil unbefriedigend.,,202 Entsprechend den im Fraktionsvorstand getroffenen Absprachen teilte er mit, daß der Entwurf zunächst in den Arbeitsgruppen rur Außenpolitik, Deutschlandpolitik und Berlinfragen sowie in der Arbeitsgruppe der Vertriebenen in Abstimmung mit dem Bundesminister rur innerdeutsche Beziehungen auf Fußangeln hin geprüft werden interfraktionelle Entschließung auf die Gefahr der Mißinterpretation bei aus dem Zusammenhang gerissenen Passagen hin. Vgl. Interview von Wolfgang Schäuble und Hans-Jochen Vogel im ZDF (Bonner Perspektiven) v. 20.10.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 21.10.1985. 199 Erst in einem weiteren Gliederungspunkt hieß es unter Bezug auf eine operationale Deutschlandpolitik: "In Erfüllung des Auftrages des Grundgesetzes der Bundesrepublik kann gestaltende Deutschlandpolitik nicht heute die Entscheidung vorwegnehmen, die unser Volk in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts eines Tages treffen wird." "Entwurf (4.10.85) Gemeinsame Entschließung", S. 3 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 200 So war beispielsweise seine Position zur Offenheit der deutschen Frage eindeutig. Er wollte lieber auf eine interfraktionelle Erklärung verzichten, als in dieser Frage Kompromisse eingehen. Dazu Korte: Deutschlandpolitik, S. 248 f. 201 Auf diese Position zog sich, bevor es dann zur endgültigen Ablehnung kam, wenige Tage später auch Lintner zurück. Vgl. Interview mit Eduard Lintner im DLF vom 16.10.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.10.1985. 202 Vgl. "Dregger: Entwurf für Entschließung unbefriedigend", in: Die Welt, 16.10.1985; zur Position Dreggers und seinen Ausführungen vor der Fraktion vgl. auch Roos: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, S. 179.

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sollte, wobei allerdings das Prüfungsergebnis durch sein unmittelbar zuvor vor der Fraktion verkündetes Urteil präjudiziert wurde. Die Koordination des Prüfungsprozesses wurde dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Rühe übertragen?03 Die Benennung Rühes war von Brisanz, sie war aber auch strategisch geschickt. Brisant war sie deshalb, weil es gerade Rühe war, der seit seinen Ausfiihrungen über die "Bindewirkung" der Ostverträge in den Augen des CSU -Vorsitzenden und fiihrender Vertriebenenfunktionäre als deutschlandpolitischer Abweichler galt. Seine Rolle als Koordinator des Prüfungsmechanismus würde von den Konservativen in der Fraktion und von Strauß kritisch beobachtet werden?04 Geschickt war sie deshalb, weil Rühe zu denen zählte, die den Entwurf seinerzeit abgesegnet hatten. Jetzt konnte er in die politisch mißliche Lage kommen, seine eigene Entscheidung öffentlich revidieren zu müssen. Dregger wiederum hatte damit die Chance, die deutschlandpolitische Position des Kohl-Manns Rühe in der Fraktion zurückzuschneiden, ohne ihn direkt angreifen zu müssen. Geschickt war die Benennung Rühes zudem, weil damit der unmittelbare Informationsfluß zum Kanzleramt und damit der Zentrale der operativen Deutschlandpolitik sichergestellt war. Ohne daß sie explizit als Akteur auftauchten, waren damit aber auch Kohl und Schäuble über ihren Gewährsmann in die weitere Entwicklung eingebunden. Außerdem waren mit Rühe die "Genscheristen" in der Fraktion prominent involviert. Fände ein die Entschließung ablehnendes Prüfungsergebnis die Zustimmung Rühes, würde ihnen wiederum nicht viel Spielraum zur Kritik bleiben.

Signale aus dem Bundeskanzleramt zum Verzicht auf die gemeinsame Entschließung

Das deutschlandpolitische Stimmungsbarometer stand angesichts der Verwicklungen um die gemeinsame Erklärung innerhalb der Unionsfraktion und den Unionsparteien unverkennbar auf Sturm. Dieser drohte sich zur Orkanstärke auszuweiten. Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Kohl äußerte sich zwar weiterhin öffentlich nicht zum Thema. Er ließ aber die Deutschlandpolitiker in seinem Umfeld nun mit voller Kraftanstrengung die Segel einziehen und in ruhigere Gewässer zurückrudem. Am 20. Oktober teilte der fiir die Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt zuständige Minister, Schäuble, mit, daß die Bundesregierung keinen "dringenden Bedarf' an einer neuen gemein-

Vgl. "Streit um Deutschland-Resolution vertagt", in: SZ, 16.10.1985. In der Fraktion wurde kolportiert, in den Augen von Strauß mache man sich allein schon dadurch verdächtig, daß man auf einem Photo mit Rühe zu identifizieren sei. Vgl. Udo Bergdoll: Betretenes Schweigen nach dem Begräbnis, in: SZ, 24.10.1985. 203

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samen Entschließung sehe. 20s Das noch vor wenigen Wochen deutlich erkennbare Interesse des Bundeskanzleramtes an einer interfraktionellen Entschließung hatte sich verflüchtigt. Schäuble - ihm lagen mit Sicherheit bereits Informationen über das zu erwartende Ergebnis der Prüfung des Entschließungspapiers durch die Arbeitsgruppen der Unionsfraktion vor - nahm damit gleichzeitig die Entscheidung der Unionsfraktion vorweg, die geplante deutschlandpolitische Entschließung nicht zu verabschieden. Kohl und die FraktionsfUhrung hatten sich entschieden, die Kontroversen innerhalb der Unionsfraktion nunmehr schnell zu beenden und zugunsten des Fraktions- und auch Parteifriedens auf die Verabschiedung einer interfraktionellen Resolution zu verzichten. Weiteres Aufsehen sollte vermieden, die kontroversen Debatten um die Sache nicht verlängert und ein irreparabler politischer Schaden in der Fraktion und im Verhältnis zur Regierung verhindert werden. 206 Man hatte aus den wochenlangen Querelen um das Schlesier-Treffen zu Beginn des Jahres gelernt. Während der Sitzung des Fraktionsvorstandes am 21. Oktober gab Dregger das Ergebnis der innerfraktionellen Prüfung des geplanten Entschließungsantrages bekannt: "Der von Deutschlandpolitikern der CDU/CSU, SPD und FDP auf Wunsch der SPD unternommene Versuch, die Entschließung von 1984 nachzubessern, hat sich nicht als hilfreich erwiesen.,,207 Die bereits eine Woche zuvor von dem CSU-Abgeordneten Niegel im Zusammenhang mit dem Prüfungsauftrag geäußerte Prognose hatte sich damit bewahrheitet: Die Resolution war tot. "Töter geht es gar nicht.,,208 Dregger machte im Vorstand klar, daß er die Diskussionen innerhalb der Unionsfraktion beenden wollte, und lenkte zusätzlich von den internen Kontroversen, aber auch denen zwischen rechten Flügeln der Fraktion und der Bundesregierung dadurch ab, daß er einen Konflikt zwischen Bundesregierung und SPD-Opposition ausmachte: "Die operative Deutschlandpolitik ist Sache der Regierung, nicht Sache des Parlaments. Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition, die es auch in der Deutschlandpolitik gibt - wie die Debatte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland am 27. Februar 1985 gezeigt hae o9 -, müssen im Parlament offen ausge-

205 So Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Südwestfunk vom 20.10.1985, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 21.1 0.1985. 206 Ergänzend Carl-Christian Kaiser: Ein neues Possenspiel, in: Die Zeit, 25.10.1985. 207 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 21.10.1985. 208 Niegel zitiert nach: "Dregger: Entwurfflir Entschließung unbefriedigend", in: Die Welt, 16.10.1985. 209 Hier hatte Dregger allerdings eine einseitige Wahrnehmung. Selten war eine deutschlandpolitische Debatte im Deutschen Bundestag so harmonisch verlaufen wie die zum Bericht zur Lage der Nation 1985. Ehmke hatte beispielsweise in seiner Rede an die Adresse des Bundeskanzlers gerichtet: "Herr Bundeskanzler, wir können Ihren Aussagen heute in weiten Teilen zustimmen." Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 122. Sitzung. 27.2.1985, S. 9023.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

tragen werden. Es dient nicht der Sache - wie sich gezeigt hat - und es entspricht auch nicht der Aufgabe des Parlaments, in langen Entschließungen Meinungsverschiedenheiten durch Fonnelkompromisse zu überbrücken.,,210

Indem Dregger jetzt einen Konflikt zwischen Regierung und Opposition konstruierte, lenkte er von den Verwerfungen zwischen der eigenen Fraktion und der Bundesregierung ab. Unausgesprochen war klar, welche Rolle die eigene Fraktion nun einzunehmen hatte. Sie mußte jetzt Geschlossenheit zeigen und die Regierung gegen Vorwürfe der Opposition unterstützen. Durch die Eröffnung einer neuen Front sollten die eigenen Reihen geschlossen werden. Einen Tag später erklärte Dregger vor der Fraktionsversammlung: "In der letzten Fraktionssitzung habe ich über den Entwurf einer neuen deutschlandpolitischen Entschließung gesprochen. Dabei habe ich die Frage gestellt, warum wir jedes Jahr ein neues Papier machen müssen und habe gemeint, Gemeinsamkeit sei gut, aber nicht auf Kosten der Klarheit, Wahrheit und der Grundsatzpositionen. 211 Im übrigen habe ich gemeint, wir würden nicht wegen der Gemeinsamkeiten gewählt, sondern wegen der Unterschiede. Deswegen ist es notwendig, diese Unterschiede deutlich zu machen. [... ] Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß es über die Grundlagen der Deutschland- und Ostpolitik in dieser Fraktion keinerlei Meinungsverschiedenheiten gibt. (Zustimmung) [... ] Ich kenne niemanden, der in dieser Fraktion eine dieser Grundlagen der Deutschland- und Ostpolitik in Zweifel zöge. 212 Es gibt vielleicht Meinungsverschiedenheiten über einzelne Äußerungen. Aber wir haben keinerlei Veranlassung, einzelne Äußerungen in den Rang von Dogmen zu erheben. Wir würden uns jeden Handlungsspielraum nehmen, wenn wir das täten. Keiner ist vor der Gefahr gefeit, einmal un~lücklich zu fonnulieren, gleichgültig, wer er ist und in welcher Funktion er tätig ist." 13

Dregger redete den Konsens im eigenen Lager herbei. 214 Zudem forderte er im Namen der Fraktion die Bundesregierung auf, den bisher eingeschlagenen 210 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 21.10.1985. 211 In diesem Sinne äußerte sich auch der erste parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Seiters, vgl. "Die Union bekennt sich zu allen Verträgen", in: Augsburger Allgemeine, 26.10.1985. 212 Zu diesen hatte Dregger zuvor gezählt: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland; Deutschlandvertrag, Ostverträge, Briefe zur deutschen Einheit, Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972; Grundlagenvertrag, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1973, 1975 und 1977; Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983; Berichte des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland vom 23.7.1983,15.3.1984,27.2.1985. Vgl. CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 22.10.1985. 213 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 22.10.1985. 214 Gleichzeitig trug diese Rede klassische Merkmale eines Fraktionsvorsitzenden vor der Fraktionsversammlung: Politische Abgrenzung vom politischen Gegner; Stärkung der eigenen Position durch Zielfonnulierung der Fraktions- und Parteiinteressen; Sicherung eines nach außen geschlossenen Meinungsbildes; Verweis auf Schwächen der anderen Parteien und dadurch Ablenkung von den eigenen; Betonung der Gemeinsamkeiten von Regierung und Hauptregierungspartei. Vgl. ergänzend zu den Ritualen der Rede des Fraktionsvorsitzenden auch Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 131.

11. Deutschlandpolitik

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deutschlandpolitischen Weg fortzusetzen. 215 Es war ein bewußt nach außen gesetztes Unterstützungs- und Vertrauenssignal rur die Regierung Kohl. Allerdings konnte er sich auch Kritik nicht verkneifen. Was zunächst nachsichtig klang, war zugleich aber auch eine Ablehnung zweideutiger deutschlandpolitischer Fonnulierungen und des Versuchs, deutschlandpolitische Positionen sukzessive zu verändern. Vorrangig zielte die Kritik zunächst auf Lintner, der rur den abgelehnten Entwurf und seine Fonnulierungen auf Unionsseite maßgeblich verantwortlich war. Sie bezog aber auch unausgesprochen den Bundeskanzler selbst mit ein. Teile seiner deutschlandpolitischen Reden hatten die Vorlage rur den abgelehnten Entschließungsantrag gegeben. Nachträglich war damit dessen in der Gemeinsamen Erklärung mit Honecker zum Ausdruck gebrachte Position durch die Fraktion abgelehnt worden. Ohne den Bundeskanzler direkt anzugreifen und damit zu schwächen, hatte Dregger das deutschlandpolitische Gewicht der Unions fraktion gegenüber der Regierung verdeutlicht. Der Bundesregierung wurde klar signalisiert, daß die durch die operative Deutschlandpolitik geschaffenen Fakten nicht gleichbedeutend mit einer Veränderung programmatischer Grundlagen sein konnten. Hier sperrte sich realitätsverleugnend der konservative Flügel in Fraktion und Partei. Auf ihn mußte in der Fraktion aus machtpolitischen Gründen Rücksicht genommen werden. Unterschwellig hatte Dregger vor der Fraktion aber auch deutlich gemacht: Die Unionsfraktion sollte deutschlandpolitisch von der SPD unterscheidbar bleiben. Gleichzeitig mußte das bisherige Wählerklientel bei der Stange gehalten werden. Nach einem rur die Bundesregierung und Kohl nicht glücklich verlaufenen Jahr216 stimmten die Umfrageerrebnisse zu der in 15 Monaten anstehenden Bundestagswahl nachdenklich. 21 Es schien gefährlich, jetzt durch eine deutschlandpolitische Entschließung mit der SPD auf der Basis von vagen Kompromißfonneln zusätzliche Stimmenabwanderungen im konservativen Lager zu provozieren. Auch dies waren Faktoren, die bei der Entscheidung zur Ablehnung des Entschließungsantrages eine Rolle spielten. Die Deutschlandpolitiker um Kohl mußten das akzeptieren, ihrem deutschlandpolitischen Pragmatismus waren damit Grenzen gesetzt. In Abstimmung mit der FDP wurde seitens der Unionsfraktion 1985 auf die Einbringung der interfraktionellen Entschließung der Bundestagsfraktionen

Vg!. CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 22.10.1985. So z. B. die politischen Auseinandersetzungen im Rahmen des Reagan-Besuchs in der Bundesrepublik. Vg!. dazu Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 221 ff. Kohl sah sich zudem verschiedentlich dem Vorwurf der Führungsschwäche ausgesetzt. Strauß hatte z. B. massiv in einem Gespräch mit Schalck-Golodkowski darauf verwiesen und als potentiellen Nachfolger des amtierenden Bundeskanzlers den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth benannt. Vg!. Gespräch Strauß-Schalck am 10.6.1985, in: SAPMO-BArch, vor!. SED 42181. 217 Vg!. auch Hans Heigert: Um des Kaisers Bart, in: SZ, 23.10.1985. 215

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

von CDU/CSU, FDP und SPD verzichtet. Während der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag, Mischnick, laut über den Sinn nachdachte, jedes Jahr eine neue Entschließung zu machen,218 hatte der Parteivorsitzende Bangemann weniger feinfühlsam auf die unübersehbare Kakophonie im Unionslager reagiert: Mit dem Verzicht auf die gemeinsame Entschließung nehme man Rücksicht auf die Meinungsverschiedenheiten in den Unionsparteien - so seine Begründung für den Verzicht. 219 Die Suche nach einem fraktionsübergreifenden deutschlandpolitischen Konsens war gescheitert. Die konservativen Deutschlandpolitiker in der Unions fraktion hatten sich durchgesetzt. Ihr Beharrungsgewicht war stark. Sie konnten ihre Position in der Grenzfrage auch in den nachfolgenden Jahren behaupten,z20

Zusammerifassung und Bewertung

- Dem Scheitern der Gemeinsamen Entschließung von 1985 lagen vor allem interne Flügelkämpfe in der Unionsfraktion zugrunde. Ein zentraler Hintergrund bildete dabei der bereits längere Zeit schwelende Dissens über den Grad der Endgültigkeit der polnischen Westgrenze. Vor allem die deutschlandpolitischen Hardliner unter den Abgeordneten hatten sich mit ihrem Beharrungsvermögen in bezug auf die polnische Westgrenze nicht nur in der Fraktion, sondern letztlich auch gegenüber der Regierung durchsetzen können. - Die Proteste gegen das Kompromißpapier zur Gemeinsamen Entschließung in der Fraktion waren zugleich eine politische Niederlage für die Deutschlandpolitiker um Kohl, hatten sie das Papier doch forciert und ihm zuvor zugestimmt. Hinzu kam, daß das Papier im Wortlaut Formulierungen enthielt, die Kohl an anderer Stelle selbst gebraucht oder unterzeichnet hatte. Durch die 218 So gab ihn Dregger in der Fraktionssitzung vom 22.10.1985 wieder, vgl. CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 22.10.1985. 219 Vgl. "Verzicht der Bonner Koalitionsparteien auf eine deutschlandpolitische Resolution", in: NZZ, 23.10.1985. Dem Eindruck der Meinungsverschiedenheit hatte Dregger allerdings in der Fraktionssitzung vom 22.10.1985 versucht entgegenzuwirken und ihn schlichtweg bestritten. Vgl. dazu CDU/CSU-Fraktion: Pressereferat, 22.10.1985. 220 Besonders deutlich sichtbar im Wahlprogramm "Weiter so, Deutschland flir eine Gute Zukunft" der Unionsparteien flir die Bundestagswahl 1987. Dort hieß es u. a.: "Die deutsche Frage ist offen. [00'] Die deutschen Fragen können endgültig erst in einem Friedensvertrag festgelegt werden. [00'] Die Ostverträge sind keine Grenzanerkennungsverträge, sie haben nichts an der völkerrechtlichen Lage verändert. Eine spätere gesamtdeutsche, demokratisch gewählte Regierung ist dadurch nicht gehindert, die deutschen Interessen zu vertreten." CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Weiter so, Deutschland flir eine gute Zukunft. Das Wahlprogramm von CDU und CSU flir die Bundestagswahl 1987, Bonn o.J., S. 9.

II. Deutschlandpolitik

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Verweigerung der Zustimmung zum Text der Gemeinsamen Entschließung konnte aus der Fraktion zugleich die Mißbilligung der schleichenden Veränderung deutschlandpolitischer Programmatik durch die in der operativen Deutschlandpolitik von der Regierung gesetzten Fakten zum Ausdruck gebracht werden. Durch das Scheitern der Gemeinsamen Entschließung wurde der Einfluß der deutschlandpolitischen Gewährsleute um Kohl in der Fraktion zurückgedrängt. Die national-konservativen Abgeordneten konnten ihre Position stärken. - Dregger versuchte zu verhindern, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck einer Spaltung der Fraktion beziehungsweise eines deutschlandpolitischen Dissenses zwischen Fraktion und Regierung entstand. Seine Politik war die Demonstration des Konsenses und der deutschlandpolitischen Einheit von Regierung und Fraktion. Er versicherte der Regierung öffentlich weiterhin deutschlandpolitische Unterstützung. Um den deutschlandpolitischen Konsens innerhalb der Fraktion zu erhalten, forcierte er jedoch das Scheitern der Gemeinsamen Entschließung in den fraktionsinternen Gremien und versuchte den von nahezu allen Abgeordneten als gemeinsame Basis akzeptierten deutschlandpolitisch-programmatischen Status quo zu wahren. - Insgesamt mußte während der gesamten Diskussion um die gemeinsame Entschließung von der Fraktion beziehungsweise der Fraktionsführung ein Spagat vollbracht werden. Dieser umfaßte einerseits die Verteidigung der Deutschlandpolitik der Bundesregierung gegen Angriffe aus der Opposition und Ost-Berlin und andererseits den Versuch, ein eigenständiges deutschlandpolitisches Profil zu bewahren beziehungsweise zu erlangen und als programmatisches Korrektiv zur operativen Deutschlandpolitik des Bundeskanzleramtes zu wirken. Der Unionsfraktion fiel damit eine Korrekturfunktion gegenüber der Deutschlandpolitik der Bundesregierung zu. - Der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende war in der gesamten Diskussion um die Gemeinsame Entschließung nicht präsent. Er ließ seine Position wie schon zuvor in der Grenzfrage von Rühe - über Stellvertreter artikulieren. In der Frage der Gemeinsamen Entschließung war dies in erster Linie Schäuble. - Die CDU-Führungsgremien spielten im Hinblick auf die gemeinsame Entschliessung der Bundestagsfraktionen keine Rolle. Die politische Koordination zwischen Bundesregierung und Unionsfraktion fand unmittelbar statt und wurde vom Bundeskanzleramt aus organisiert und gesteuert. Von hier aus wurde versucht, die Verhandlungen zwischen den Bundestagsfraktionen durch Einflußnahme auf die CDU/CSU-Fraktion zu forcieren. In der Regierungszentrale war man vor allem aus außenpolitischen Gründen an einer fraktionsübergreifenden Unterstützung der Regierungspolitik in Form einer gemeinsamen Entschließung interessiert. Unter Schäubles Leitung wurde im Bundeskanzleramt - die Ortswahl war hierbei bezeichnend - von führenden

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Deutschlandpolitikern aus Regierung und Unions fraktion das mit SPD und FDP erarbeitete Kompromißpapier beraten und beschlossen. Der Bundesminister für besondere Aufgaben war aber auch derjenige, der, nachdem sich deutliche Proteste in der Unionsfraktion gegen dieses Papier erhoben hatten, stellvertretend für Kohl die weitere Handlungsmaxime ausgab, indem er signalisierte, daß die Bundesregierung keine gemeinsame Entschließung mehr erwarte. Nachdem die Protestpotentiale lokalisiert waren, verfolgte man aus der Regierungszentrale das Vorhaben nicht weiter, um ähnliche Verwicklungen wie im Vorfeld des Schlesier-Treffens zu verhindern. Der Fraktionsfrieden und machtpolitische Abwägungen wurden in diesem Falle über gesamtpolitische (außenpolitische) Erwägungen gestellt. In diesen machtpolitischen Überlegungen spielte als Kalkulationsfaktor auch eine Rolle, daß bei einem Beharren auf einer gemeinsamen Entschließung die deutliche Gefahr eines weiteren Abbröckelns im konservativen Wählerspektrum bestand.

3. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1987 - Deutschlandpolitische Dominanz des CDU-Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers In diesem Kapitel erfolgt die Analyse der Rollen von CDU-Vertreter in der Bundesregierung, CDU-Parteiführung und Unionsfraktion im Hinblick auf den deutschlandpolitischen Bereich der Koalitionsverhandlungen und die Ministerauswahl in diesem Politikfeld. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei den Fragen geschenkt werden, wie und in welcher Form es den genannten Akteuren gelang, deutschlandpolitische Positionen in die Regierungsagenda für die neue Legislaturperiode einzubringen und Einfluß auf die deutschlandpolitische Ministerauswahl zu nehmen. Die Untersuchung folgt dabei nachstehender Gliederung: - Politischer Schachzug des Bundeskanzlers: Ausklammerung der Deutschlandpolitik aus den Koalitionsverhandlungen; - Kohls Machtdemonstration: Ministerwechsel im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen; - Proteste: Deutschlandpolitischer Unmut in der Unionsfraktion; - Beschwichtigungs- und Konsensstrategie: Aufnahme von Fraktionspositionen in die Regierungserklärung und Einbindung der Unionsfraktion in den deutschlandpolitischen Informationsfluß.

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Politischer Schachzug des Bundeskanzlers: Ausklammerung der Deutschlandpolitik aus den Koalitionsverhandlungen Unmittelbar nach dem Wahlsonntag (25.1.1987), der rur die Regierungskoalition, vor allem aber rur die CDU/CSU mit dem bis dato schlechtesten Bundestagswahlergebnis seit 1949 einen wenig glanzvollen Sieg gebracht hatte,221 begannen die Vorbereitungen rur die anstehenden Koalitionsgespräche. Die angesichts des bescheidenen Ergebnisses insbesondere bei der CDU getrübte Stimmung des Wahlabends verflüchtigte sich aber schnell. 222 Entsprechend dem Motto "Mehrheit ist Mehrheit,,223 konzentrierte man sich auf die Koalitionsverhandlungen in dem Bewußtsein, daß Wahlergebnisse zwar ein wichtiges Verhandlungsfundament bilden, aber "Koalitionsverhandlungen oft aufschlußreicher rur die politische Realität als das Zahlenwerk am Wahlabend,,224 sind, denn in ihnen werden zentrale politische Weichen der neuen Legislaturperiode gestellt. 225 Die Kemverhandlungsmannschaft der CDU - sie wurde bei Bedarf und je nach Verhandlungsgegenstand durch Experten ergänzt beziehungsweise verkleinert - umfaßte zunächst mit Kohl, Schäuble, Blüm, Stoltenberg, Geißler, Dregger und Seiters sowohl die Führung von Partei und Unionsfraktion als auch zentrale Regierungsakteure. 226 Wenn die Regierungskoalition durch die Wahl auch bestätigt worden war, so hatte sich doch die Koalitionsarithmetik verändert. Durch ihr gutes Wahlergebnis war das Selbstbewußtsein der FDP gestiegen. Sie forderte ein zusätzliches Ministerium. Diesen Aspekt galt es in den Verhandlungen zu berücksichtigen. Zugleich hatte der Generalsekretär der CSU, Tandler, vollmundig, allerdings ohne nähere Präzisierung, angekündigt, man werde sich diesmal "nicht Zur Wahlanalyse vgl. Berger u. a.: Sieg ohne Glanz, S. 689-734. Folgt man Pruys, dann war bei Kohl angesichts des Wahleregbnisses aber auch "tiefe Befriedigung" zu beobachten, stärkte doch das gute Ergebnis der FDP den bürgerlich-liberalen Charakter seiner Regierung. Vgl. Pruys: Helmut Kohl, S. 327. 223 So Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 266; auch Heinz-loachim Melder: Koalitionsstreit und der Vorwurf der Führungsschwäche, in: Filmer/Schwan: Helmut Kohl, S. 204-207, hier S. 206. 224 Kurt Becker: Pokern um Positionen, in: Die Zeit, 30.1.1987. 225 Zu den Koalitionsverhandlungen am Beispiel der Regierungsbildung 1987 vgl. Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 203-221. 226 Vgl. "Linie rur die Koalitionsverhandlungen", in: FAZ, 28.1.1987. Die CSU wurde von Strauß, Stoiber (Leiter der Staatskanzlei), Tandler (CSU-Generalsekretär), Zimmermann (Bundesinnenminister), Waigel (Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion) und Bötsch (Parlamentarischer Geschäftsfllhrer der CDU/CSU-Fraktion) vertreten; dazu "Stoiber, Tandler und Geißler in heftigem Streit. Relative Ruhe in der SPD", in: FAZ, 29.1.1987. Auf die Bedeutung der Verknüpfung von Partei, Regierung und regierungstragender Fraktion in Zusammensetzung von derartigen Koalitionsrunden weist auch Schreckenberger hin. Vgl. Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 141 f. 221

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

mehr so großzügig verhalten, wie bei der vorigen Regierungsbildung und ganze politische Bereiche ausklammern, um sie später zu klären.,,227 In allen Bereichen sollte detailliert festgelegt werden, welche Ziele die Regierung künftig anstreben wollte. Allerdings wurde schnell deutlich, daß in den Koalitionsverhandlungen dennoch Politikbereiche ausgeklammert bleiben sollten. Die relative Bedeutungslosigkeit des Themenfeldes Deutschlandpolitik, die sich bereits im Wahlkampf gezeigt hatte, war auch während der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP erkennbar. Obgleich vor allem die Unionsabgeordneten Reddemann und Lintner vor und während der Koalitionsverhandlungen durch öffentliche Wortmeldungen auf Themen hinwiesen 228 und die deutschlandpolitischen Interessen der Fraktion deutlich machten, zählte das Politikfeld nicht zu den Verhandlungsgebieten der Koalitionsunterhändler. Schäuble hatte bereits vor der Aufnahme der Verhandlungen zur Bedeutung der Deutschlandpolitik fur die Koalitionsgespräche ausgefiihrt: "Natürlich wird die Deutschlandpolitik in der Regierungserklärung eine wichtige Rolle spielen. Aber in den Koalitionsverhandlungen müssen wir uns ja vor allem mit den Fragen beschäftigen, wo es zwischen den drei Parteien, die diese Koalition bilden wollen, unterschiedliche Akzente gibt. In der Deutschlandpolitik sind wir uns weitestgehend einig. Wir stimmen alle darin überein, daß wir beides wollen: zugleich festhalten am Ziel der Einheit in Freiheit - und damit auch an unserer Fürsorgepflicht für alle Deutschen; aber eben auch - solange wir mit der Teilung unseres Vaterlandes leben müssen - durch Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands die Folgen der Teilung für die Menschen in Deutschland Iindern.,,229

Hinter dieser Äußerung Schäubles und der Ankündigung, daß Inhalte der Deutschlandpolitik während der Koalitionsverhandiungen 230 keine Rolle spielen würden, verbarg sich eine subtile deutschlandpolitische Strategie, die folgende vier miteinander verwobene Schlüsse über vor allem Kohls politische Ziele zuläßt:

227 Tandler zitiert nach: Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 203. 228 So wurden umweltpolitische Maßnahmen (Werra-Entsalzung) ebenso eingefor-

dert wie das Hinwirken auf Verbesserungen der Menschenrechtssituation in der DDR und die Erweiterung der Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Menschen beider deutscher Staaten. Vgl. dazu im einzelnen Gehard Reddemann: Umweltschutz. Eine gesamtdeutsche Pflicht, in: DUD, 19.1.1987; Eduard Lintner: Bestätigung der Deutschlandpolitik der Union, in: DUD, 9.2.1987; ders: O.T., in: DUD, 25.2.1987. 229 Interview mit Wolfgang Schäuble im ZDF (Bonner Perspektiven) vom 1.2.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 2.2.1987. 230 Zum Themen- und Personalkatalog vgl. auch Gunter Hofmann: Kurskorrektur nach rechts, in: Die Zeit, 13.3.1987.

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Kohl wollte sich von den Koalitionspartnern nicht in seine Deutschlandpolitik reden lassen Der Bundeskanzler betrachtete während seiner gesamten Amtszeit Deutschlandpolitik als Chefsache. 231 Deutschlandpolitische Regierungsziele und Strategien defmierte er - im Rahmen bestehender Verträge und verfassungsrechtlicher Vorgaben - kraft seiner Autorität als Regierungschef. Die Ziele der Legislaturperiode gab er in Form eher allgemeiner Absichtserklärungen in der Regierungserklärung232 bekannt. Sie waren dabei so konstruiert, daß dem Bundeskanzleramt bei der Gestaltung der operativen Deutschlandpolitik mit den OstBerliner Verhandlungspartnern genug Spielraum blieb, ohne durch Fixierungen und detaillierte Zielvorgaben in Koalitionsvereinbarungen eingeengt zu sein. 233 Der Bundeskanzler wollte in diesem Politikfeld vermeiden, durch Vorgaben in Koalitionsvereinbarungen in der für diesen Politikbereich notwendigen Flexibilität, vor allem aber in seiner operativen Handlungsautonomie eingeschränkt zu werden. Im Falle der Deutschlandpolitik gab es somit für die Koalitionspartner, aber auch für die eigene Fraktion, keine schriftlichen Berufungsgrundlagen. Kohl konnte "einklagbare" Detailfestlegungen vermeiden. Er setzte mit der Ausklammerung inhaltlicher Aspekte der Deutschlandpolitik aus den Koalitionsverhandlungen zugleich das klare Signal an die Regierungspartner und die Unionsfraktion, daß dieses Politikfeld in Zuständigkeit des Bundeskanzlers und seines deutschlandpolitischen Unterhändlers, Schäuble, - und allenfalls unter Mitwirkung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen gestaltet werden sollte. 234 Aber auch gegenüber Ost-Berlin sollte eine einheitliche Linie dokumentiert werden. Während der Koalitionsverhandlungen womöglich präsentierte unterschiedliche deutschlandpolitische Auffassungen hätte Ost-Berlins Partei- und Staatsführung als Berufungsgrundlagen nutzen und die Koalitionspartner gegeneinander ausspielen können.

Umfassend Korte: Deutschlandpolitik; auch Pruys: Helmut Kohl, S. 332. Vgl. für die 11. Wahlperiode Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 51-73; grundsätzlich Fröhlich: Sprache als Instrument. 233 Auf den einengenden Handlungsspielraum durch präzise Festlegungen in Koalitionsvereinbarungen verweist Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 142. 234 Dazu Korte: Deutschlandpolitik, insbes. S. 209-227; S. 304-309; auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 305. 231

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Durch den Hinweis, deutschlandpolitische Aspekte in die Regierungser-klärung aufzunehmen, wurde die Relevanz des Themas unterstrichen Dadurch, daß Schäuble darauf verwies, daß die Deutschlandpolitik in der Regierungserklärung eine wichtige Rolle spielen würde, hatte Kohl aber zugleich auch ein Signal an all jene setzen lassen, die auf eine Berücksichtigung dieses Themenfeldes warteten, und deutlich gemacht, daß es keinesfalls in der Regierungsprogrammatik unberücksichtigt bleiben würde. Die angekündigte Aufnahme der Deutschlandpolitik in den Themenkatalog der Regierungserklärung unterstrich damit nach außen die Bedeutung, die dem Thema trotz Ausklammerung in den Koalitionsverhandlungen durch die Regierung im allgemeinen und Kohl im speziellen zugemessen werden sollte.

Durch frühzeitige Sondierung wurden vorab deutschlandpolitische Positionen geklärt Zwischen den Unionsparteien gab es formal keinen Bedarf zur Definition der deutschlandpolitischen Handlungslinien mehr. Das Wahlprogramm zur Bundestagswahl war Agenda. Dabei war es thematisch umfassend und doch inhaltlich so offen, daß der Regierung genug Spielraum für eigenes Vorgehen gegeben wurde. Die deutsche Frage war als weiterhin offen erklärt, die Aussagen zu den deutschen Grenzen eindeutig formuliert, inhaltliche Schwerpunkte der zukünftigen Regierungsarbeit benannt (Begegnungen der Menschen beider Staaten, Jugendaustausch, Kontakte auf kommunaler Ebene, Zusammenarbeit beim Umweltschutz, Ausbau des innerdeutschen Handels, Kulturabkommen mit Leben erfüllen, Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, Verbesserungen rur Berlin).235 Der Rahmen für künftige Politik war grob abgesteckt: "Wir werden den erfolgreichen Weg der letzten vier Jahre fortsetzen und über das bisher Erreichte hinaus weitere Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland anstreben. Dazu gehört vor allem, daß sich mehr Menschen als bisher begegnen können.,,236 Mit diesen bereits vor der Wahl fixierten Programm inhalten war zugleich verhindert, daß Strauß, wie während der Koalitionsverhandlungen 1983 geschehen, mit einem umfassenden deutschlandpolitischen Forderungskatalog zu den Gesprächen nach Bonn

235 Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Weiter so, Deutschland für eine gute Zukunft. Das Wahlprogramm von CDU und CSU für die Bundestagswahl1987, Bonn 0.1., S. 9 f. 236 Ebd. Den Kontinuitätsaspekt hatte Kohl auch während des Wahlkampfes betont. Vgl. "Kohl verspricht 'Kontinuität deutscher Politik auch und gerade im Wahljahr''', in: FAZ, 14.1.1987.

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kommen und die Verhandlungen zusätzlich belasten würde. 237 Lediglich eine Zusicherung, künftig nicht mehr von der politischen Bindewirkung der Ostverträge zu sprechen - was Kohl selbst ohnehin nie getan hatte -, wollte Strauß vom CDU-Vorsitzenden und bekam sie von ihm auch in einem bilateralen Gespräch während der Koalitionsverhandlungen. 238 Kohl hatte zudem frühzeitig, im Dezember 1986, mit Genseher ein Gespräch über politische Inhalte und Ziele für die Zeit nach der Bundestagswahl geführt. Für dieses Gespräch hatten sowohl das Auswärtige Amt als auch der Arbeitsstab Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt Papiere zur Deutschlandpolitik formuliert. 239 Allerdings kamen sie nicht zum Einsatz, Kohl und Genseher waren sich - zumindest hinsichtlich der Grundlagen und Ziele der weiteren Gestaltung der Deutschland··k - emlg. .. 240 po lItl

Deutschlandpolitik sollte nicht zum kontrovers diskutierten Thema werden und damit möglicherweise das verbesserte Arbeitsklima mit Ost-Berlin und Moskau stören Koalitionsverhandlungen verlaufen nicht immer geräuschlos und störungsfrei. "Den Auftakt zu den Koalitionsverhandlungen bilden meist öffentliche Ankündigungen und Forderungen der Parteien sowie Programmpunkte aus den vorausgegangenen jeweiligen Wahlprogrammen oder Restbestände aus der verflossenen Regierungsarbeit.,,241 Für den Themenbereich der Deutschlandpolitik galt in den Koalitionsverhandlungen 1987 augenscheinlich: Er sollte zum einen nicht in den Strudel der Koalitionsverhandlungen und Kontroversen um andere heftig umstrittene Politikfelder geraten?42 Zum anderen sollten aber auch keine weiteren Diskussionen innerhalb der Unionsfraktion beziehungsweise zwischen CDU/CSU und FDP über deutschlandpolitische Strategien und Ziele provoziert werden. Öffentliche und unkontrollierte Debatten um oder über die Deutschlandpolitik der Bundesregierung bargen die Gefahr in sich, das feingliedrige Beziehungsgefüge zu Ost-Berlin zu belasten. Gleiches galt auch 237 Zum Wortlaut von Strauß' 83er Verhandlungskatalogs vgl. "Streit um die neue Außenpolitik", in: Quick, 24.3.1983; zu den Hintergründen auch Klaus Dreher: Große Worte von Strauß zur Deutschlandpolitik, in: SZ, 29.3.1983. 238 Vgl. Gunter Hofmann: Kurskorrektur nach rechts, in: Die Zeit, 13.3.1987. 239 Hinsichtlich des im Bundeskanzleramt entstandenen Papieres wurde in einem Begleitvermerk an Schäuble notiert: "Das anliegende Papier ist die Zusammenfassung einer Ausarbeitung für das mögliche Vorgehen nach der Wahl." So belegt bei Korte: Deutschlandpolitik, S. 307. 240 V gl. ebd. 241 Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 142. 242 Dazu zählten u. a. Fragen der Steuerreform.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

im Hinblick auf Moskau. 243 Dies hatten vor allem die Debatten in der Union 1984/85 deutlich gemacht. Vor dem Hintergrund des weiteren Aus- und Aufbaus der Kontaktebenen zur DDR-Führungsmannschaft und einer weiterhin erfolgreichen Deutschlandpolitik galt es, hier Störpotentiale von vornherein zu vermeiden und den Willen zur Fortführung bisheriger Politik öffentlich dadurch zu dokumentieren, daß man sie erst gar nicht zum Gegenstand der Koalitionsverhandlungen machte. 244

Kohls Machtdemonstration: Ministerwechsel im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen

Wenngleich deutschlandpolitische Inhalte während der Koalitionsverhandlungen keine wahrnehmbare Rolle spielten, so ergab sich doch als Konsequenz des Wahlergebnisses eine Veränderung in der Zusammensetzung der Bundesregierung mit deutschlandpolitischer Relevanz. Mit Vehemenz hatte der Ge. der Wa, hl d'Ie FDP,em 2 4 5 ·vIertes · M'" . hts wmner mistenum ge fiordert. 246 Angesic des Wahlergebnisses forderte man hier eine Neugestaltung des Koalitionsproporzes. Gleichzeitig lehnte es die CSU ab, aus ihrem bisherigen Besitzstand ein Portefeuille abzugeben. Der Koalitionsproporz mußte neu gestaltet werden. Nach einer Kompromißlösung war zu suchen. Nachdem die Verhandlungen der Koalition über die Politikinhalte abgeschlossen waren, wurde zwischen dem 9. und 11. März intensiv über die ministeriellen Personalfragen verhandelt. 247 Die Gespräche wurden auf der Ebene der Partei- und Fraktionsführungen geführt, in der Regel jeweils bilateral und vertraulich mit dem Vorsitzenden der CDU und Bundeskanzler Helmut Kohl. 248 Die Mitteilung über endgültige Ressortbesetzungen behielt sich Kohl jedoch bis unmittelbar vor der Kanzlerwahl im Deutschen Bundestag am 11. März 1987 vor. Noch einen Tag vorher hatte er 243 Dies wurde auch deutlich im Interview mit Rudolf Seiters in der Berliner Morgenpost vom 29.2.1987; Vorabdruck in: CDU/CSU-Pressedienst, 27.2.1987. 244 Allerdings barg diese Strategie der demonstrierten Einigkeit auch die Gefahr der Mißinterpretation in sich. So konnte aus der Nichtberücksichtigung eines Themas in den Koalitionsvereinbarungen auch auf eine mögliche Uneinigkeit der Koalitionspartner geschlossen werden. Vgl. dazu auch weiter unten im Unterkapitel "Deutschlandpolitische Proteste in der Unionsfraktion". 245 Immerhin hatte sie sich gegenüber der Bundestagswahl von 1983 um 2,1 Prozent von 7 auf 9, 1 Prozent verbessert. Die Unionsparteien hatten dagegen 4,5 Prozent verloren. 246 Vgl. Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 266; zur dabei von der FDP angewandten Strategie der FDP vgl. ergänzend "Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23. 247 Hintergründe bei Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 206-211. 248 Darauf verweist Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 208; auch Schrekkenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 142.

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sich nicht in der Lage gesehen, während der Fraktionsversammlung der CDU/CSU die Zusammensetzung der Bundesregierung zu präsentieren, und bat dafür die Mitglieder der Unionsfraktion um Verständnis?49 Ob es nun die schwere Last der Entscheidung war oder aber Strategie, um per Überraschungscoup seine Kabinettsliste - soweit sie die CDU-Minister betraf - in der Fraktion durchzubringen und die Zeit für Unmutsreaktionen vor seiner Kanzlerwahl zu minimieren, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. 250 Überraschend jedenfalls war das Ergebnis seiner lediglich im Bundeskanzleramt mit Schäuble abgestimmten Entscheidung. 251 In erster Linie die Ablösung des innerdeutschen Ministers Windelen und seine Ersetzung durch die ehemalige Bildungsministerin Dorothee Wilms 252 sorgten für Erstaunen in den eigenen Reihen - sowohl bei Wilms selbse53 als auch im innerdeutschen Ministerium - sowie zusätzlich auch für Mißmut in der Unionsfraktion. 254 Kohl hatte vor allem in Hinblick auf die Unionsfraktion nicht die führenden Fraktionsmitglieder und Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen als parlamentarische Transformatoren seiner Persona!entscheidungen benutzt und über sie nicht die Abgeordneten auf seine deutschlandpolitischen - aber auch die anderen Personalentscheidungen - vorbereiten lassen. 255 Sie wurden ebenso wie die einfachen Fraktionsmitglieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen gab man sich angesichts des Wechsels in der Führungsetage erstaunt: 256 "Die ihm [Kohl/d. Verf.]

249 Übereinstimmend belegt in: "Die FDP wünscht in der Regierung ein viertes Ministerium", in: FAZ, 11.3.1987 sowie Korte: Deutschlandpolitik, S. 308. 250 Allerdings scheint letztere Vermutung der Wahrheit sehr nahe zu kommen. Bereits Adenauer hatte eine ähnliche Strategie angewandt und seine Kabinettsliste sogar erst nach der Kanzlerwahl präsentiert, um nicht die Stimmverweigerung unzufriedener Abgeordneter zu provozieren. 251 Zumindest Kohls Entscheidung über sein Kabinett kann als Beleg dafür gelten, daß Maser irrt, wenn er ausführt: "Er hat seine Entscheidungen zunächst innerhalb der Partei, dann in der Fraktion und schließlich in Gesprächen mit dem Koalitionspartner vorbereitet, was ihn in den eigenen Reihen letztlich unangreifbar macht." Maser: Helmut Kohl, S. 254. Weder Parteigremien noch Fraktion hatten bei Kohls Entscheidung über die Zusammensetzung des Kabinetts letztlich Mitsprachemöglichkeit. 252 Wie auch Windelen war auch sie nicht dem unmittelbaren Kohl-Umfeld zuzurechnen. 253 Vgl. Interview mit Dorothee Wilms im DLF vom 13.3.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 13.3. 1987. 254 Unzufriedenheit mit dieser Entscheidung innerhalb des Stahlhelm-Flügels der Union deutet Korte an. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 308 f. 255 Zur Rolle der Fraktionsspitzen und ihrer Bedeutung für die Transformation von Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen in die Fraktion vgl. Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 142. 256 Ganz so groß kann das Erstaunen dann doch nicht gewesen sein, denn zumindest der Parlamentarische Staatssekretär im BMB, Hennig, mußte von der möglichen Ablö-

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

eigene Art der Koalitions- und Kabinettsarithmetik filhrte zu einem fUr unser Ministerium überraschenden Ergebnis: Heinrich Windelen mußte seine Ministerkarriere beenden. Wir fragten uns, warum ein Mann, der dem Kanzler schlechthin ergeben war, gehen mußte. Denn sein Ressort hatte er so gefUhrt, daß aus dem Kanzleramt Kritik nicht laut werden konnte.,,257 Ungeachtet der gegenteiligen Aussagen der neuen innerdeutschen Ministerin 258 wurde die Umbesetzung in der Führung des Ressorts von den dortigen Mitarbeitern "als Ausdruck einer gewissen Geringschätzung,,259 des Ministeriums fUr innerdeutsche Beziehungen empfunden. Obgleich Kohl mit seiner Entscheidung den Sachzwängen der durch die Bundestagswahl veränderten Koalitionsarithmetik ebenso Rechnung trug wie dem Ziel der Stabilisierung beziehungsweise der Erhöhung der Frauenquote im Kabinett,260 gab es doch einen durchaus wichtigen und wohl auch beabsichtigten Nebeneffekt des Ministeraustauschs: Kohl wollte die Position des Bundeskanzleramtes und des deutschlandpolitischen Chefmanagers in diesem Politikbereich weiter stärken. 261 Die Gelegenheit zur Ersetzung des Vetriebenenpolitikers Windelen war günstig. Bedeutung und Gewicht der Vetriebenenpolitiker in der Unions fraktion hatte nach 1985 abgenommen,z62 Entsprechend waren heftige Proteste gegen die Absetzung Windelens von ihrer Seite nicht zu erwarten. 263

sung Wind bekommen haben. Entsprechend hatte er sich selbst Hoffnungen auf Windelens Nachfolge gemacht. Darauf verweist Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 267. 257 Plück: Der schwarz-rot-goldene Faden, S. 400. Folgt man den Aufzeichnungen des ehemaligen Kohl-Intimus Ackermann, dann fiel Kohl die Entscheidung zur Ablösung Windelen in der Tat auch nicht einfach. Vgl. Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 267. Windelen wurde von Kohl als einer der letzten über seine Demission informiert. Vgl. Walter Bajohr: Fehlzündung beim Start, in: Rheinischer Merkur, 20.3.1987. 258 Vgl. Interview mit Dorothee Wilms im DLF vom 13.3.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 13.3.1987. 259 Plück: Der schwarz-rot-goldene Faden, S. 400. 260 Zu den koalitionsstrategischen und geschlechtsspezifischen Aspekten in Kohls Überlegungen vgl. Sandschneider: Regierungsbildung 1987, S. 207 f.; Günther Bading: Ein Karussell, das sich kaum dreht, in: Die Welt, 28.1.1987; Gunter Hofmann: Kurskorrektur nach rechts, in: Die Zeit, 13.3.1987. 261 Zu diesem Ergebnis kommt auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 305; ebenso, aber umfassender Korte: Deutschlandpolitik, S. 304-323. 262 Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung hatte ihnen in den Jahren nach 1985 keine nennenswerten Kritikmöglichkeiten mehr gegeben. Die Erfolge insbesondere im humanitären Bereich fanden deutliche Akzeptanz in der Fraktion. Außerdem blieb dem BMB mit Hennig, dem Sprecher der ostpreußischen Landsmannschaft, ein hochrangiger Vertriebenen-Vertreter erhalten. 263 Bezeichnenderweise gab es aus ihren Reihen auch keinen weiter vernehmbaren Protest gegen die Ablösung Windelens.

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Die designierte Ministerin verfUgte über keine besondere deutschlandpolitische Sachkompetenz. Sie mußte sich erst einarbeiten. Außerdem war sie keinem der deutschlandpolitischen Flügel innerhalb der Unionsfraktion zuzuordnen. Tendenzen einer Klientelpolitik waren bei ihr nicht zu erwarten. Die Chancen, dem Bundesministerium fiir innerdeutsche Beziehungen mehr denn je eine Statistenrolle zuzuweisen und die deutschlandpolitische Politikgestaltungskompetenz innerhalb der Bundesregierung noch stärker als bisher auf das Bundeskanzleramt zu konzentrieren,264 standen damit gUt. 265 Zudem hatte Kohl während seiner Rede vor der Unionsfraktion zur Vorstellung der neuen Ministerin am 11. März 1987 neue Schwerpunkte im künftigen Aufgabenprofil des innerdeutschen Ministeriums anklingen lassen: "Ich habe sie [Wilms/d. Verf.] gebeten - gerade jetzt, wo ich jedenfalls reelle Chancen sehe in den Jahren, die vor uns liegen, wenn die weltpolitische Entwicklung so verläuft, wie ich persönlich hoffe und Sie auch -, den wirtschaftspolitischen Zusammenhang in diesem Ressort mit zu sehen - und den anderen, ganz wichtigen Zusammenhang, den ich eigentlich langfristig für den wichtigeren und wichtigsten überhaupt halte: daß das, was sie übernommen hat aus ihrem bisherigen Ressort an Erfahrung, hier einbringt, um die Frage der Teilung unseres Landes wieder sehr stark auch im Bewußtsein der jungen Generation durch eine besondere Aktivität dieses Ressorts deutlich zu machen. Ich halte dies für eine sehr, sehr wichtige Entscheidung.,,266

Die in diesen Worten Kohls zum Ausdruck kommende Strategie war subtil und hatte durchaus auch eine machtpolitische Komponente: Durch eine Verschiebung der Aktivitäten des Bundesministeriums fUr innerdeutsche Beziehungen auf das Gebiet der Vermittlung und Wachhaltung des Staats-, Nationalund Geschichtsbewußtseins 267 wurde das Bundesministerium fUr innerdeutsche Beziehungen auf Distanz zur operativen Deutschlandpolitik gehalten. Gleichzeitig war es aber den Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nur schwer möglich, gegen diese Akzentuierung Einwände vorzubringen, gehörte es doch zu den Anliegen der Unionsparteien, das Bewußtsein fUr die deutsche Frage wachzuhalten.

264 Konkrete Beispiele bei Korte: Deutschlandpolitik, S. 317-322. 265 In der Tat tendierte in der Folgezeit der deutschlandpolitische Einfluß des von Wilms geführten Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen auf die Regierungspolitik gegen Null. Überdeutlich zu beobachten in der Zeit des Zusammenbruchs der DDR 1989/90. 266 Kohl zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 309. 267 Wilms hatte dieses Themenfeld auch umgehend besetzt. Vgl. "Frau Wilms: Zusammengehörigkeit festigen", in: FAZ, 21.3.1987. In der Folgezeit wurden verschiedene Projekte zum Staats-, National- und Geschichtsbewußtsein initiiert. Ein Projekt- und Arbeitsschwerpunkt bildete sich dabei um Prof. Weidenfeld in der "Forschungsgruppe Deutsche Frage" (ab 1990: Forschungsgruppe Deutschland) in Mainz. Darauf weist auch Plück hin; vgl. Plück: Der schwarz-rot-goldene Faden, S. 409.

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D. Politikfelder und Fal1beispiele

Proteste: Deutschlandpolitischer Unmut in der Unionsfraktion Kohl hatte mit seiner Entscheidung zum Wechsel in der Spitze des innerdeutschen Ministeriums zwar den Unmut der Unionsfraktion provoziert und während seiner Wahl zum Bundeskanzler den stillen Protest der Unzufriedenen erfahren müssen: 268 Ihm fehlten 15 Stimmen aus den eigenen Reihen. Schwerer wog allerdings, daß noch vor seiner Wiederwahl deutschlandpolitische Diskussionen innerhalb der Unionsfraktion losbrachen, die Kohl während der Koalitionsverhandlungen durch die beschriebenen Vorsondierungen sorgsam zu vermeiden gesucht hatte. In Schreiben vom 6. und 9. März hatte Rudolf Seiters, der erste Parlamentarische Geschäftsführer, den Mitgliedern der Unionsfraktion die "Vereinbarungen aus den Koalitionsverhandlungen,,269 übersandt. 270 Zielgerichtet überprüften die Abgeordneten vor allem in den für sie relevanten Fachgebieten die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. Den Deutschlandpolitikern der Unionsfraktion war die Ahnung schnell zur Gewißheit geworden: Nach 1983 gab es auch nun wieder keine deutschlandpolitischen Vereinbarungen zwischen den Koalitionären. 271 Dieses Defizit wurde zum Gegenstand der Fraktionssitzung am 10. März, nur einen Tag vor der Kanzlerwahl. Nachdem Dregger bereits mit seinen sitzungseröffnenden Worten auf diesen Aspekte hingewiesen hatte,272 wurde nach Kohls allgemeiner Erläuterung der Koalitionsvereinbarung vom Abgeordneten Werner - stellvertretend für weitere Fraktionsmitglieder - moniert: "Es ist diesmal nunmehr das zweite Mal, daß wir Koalitionsvereinbarungen vorfinden, in denen schriftlich bezüglich der Deutschlandpolitik sich nichts befindet! Und ich finde, dies weist darauf hin, daß nicht nur die Koalitionspartner vennutlich nicht ganz übereinstimmend in diesem Bereich denken, sondern ich habe auch den Ein-

268 So beklagte insbesondere die nordrhein-westflilische Landesgruppe, daß gerade sie auf einen Minister (Winde\en) verzichten mußte. Zur Reaktion innerhalb der Unionsfraktion auf diese und andere Regierungsveränderungen vgl. "Kohl mit knapper Mehrheit wiedergewählt", in: SZ, 12.3.1987; "Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23. Auch als Dregger in der Fraktionssitzung unmittelbar nach der Kanzlerwahl Kohl gratulierte, bekam dieser nur verhaltenen Beifall. Vgl. Walter Bajohr: Fehlzündung beim Start, in: Rheinischer Merkur, 20.3.1987. 269 Mitteilungen von Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6. März bzw. 9. März 1987 (Dokumente aus privatem Aktenbestand). 270 Es handelte sich dabei offensichtlich um die Zusammenstellung der vom Amtschef des Bundeskanzleramts, Schäuble, zu den jeweiligen Sachthemen angefertigten Ergebnisprotokol1e. Vgl. zu dieser Aufgabe Schäubles auch Schreckenberger: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 143. 271 Die Koalitionsvereinbarung von 1983 ist im Wortlaut abgedruckt in: UiD, H. 12, 24.3.1983 (CDU-Dokumentation 12, S. 1-8); auch abgedruckt in: "Vor al1em den beginnenden Aufschwung verstärken", in: FR, 26.3.1983. 272 Dazu "Kohl erwartet große Chancen für die Deutschland-Politik", in: FAZ, 11.3.1987.

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druck, als ob der eine oder andere in unseren Reihen, auch mit etwa dem Begriff 'Bindewirkung', mit der Rechtsgültigkeit von Verträgen und deren Auslegung etwas anderes meint als zum Beispiel die Deutschlandpolitiker.,,273

Damit drohte innerhalb der Fraktion genau die Diskussion aufzubrechen, die der Parteivorsitzende und Bundeskanzler während der Koalitionsverhandlung von Anfang an zu vermeiden versucht hatte. Kohl mußte vor der Fraktion Position beziehen und die Abgeordneten beschwichtigen. Bedenkenträger und Skeptiker waren einen Tag vor der Kanzlerwahl zu beruhigen. Dies um so mehr, als Lintner am Vortag in einem Papier - gleichsam als Positionssignal gegenüber Kohl und der Bundesregierung und als Reaktion auf die Nichtberücksichtigung der Deutschlandpolitik in der Koalitionsvereinbarung - auf die "unverrückbaren Grundlagen" in der Deutschlandpolitik der CDU/CSU-Fraktion hingewiesen hatte: 274 Grundgesetz, Deutschlandvertrag, Moskauer und Warschauer Vertrag, Viermächte Abkommen, Briefe zur deutschen Einheit, Grundlagenvertrag und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1973 und 1975. Kohl betonte in seiner Gegenrede zu Werner vor der Fraktion nicht zuletzt deshalb auch die Kontinuitätslinien seiner bisherigen Deutschlandpolitik. Er wies zudem auf die anstehende Regierungserklärung, die auch deutschlandpolitische Akzente tragen werde, und auf die klaren Aussagen seiner Berichte zur Lage der Nation von 1985 und 1986 hin. 275 Hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit von Grundsatzpositionen - so z. B. über die Geraer Forderungen - zeigte er sich vor der Unionsfraktion in der dort gewünschten eisernen Bedingungslosigkeit: "In diesen Grundsatzfragen kann es keine Debatte geben, mit dem Ergebnis, daß wir hier einen Komprorniß schließen.,,276 Dies war aber nicht der einzige deutschlandpolitische Aspekt, zu dem Kohl Position beziehen mußte. Durch die von Dregger bestimmte Dramaturgie277 wurde Kohl in der Sitzung auch mit den Ausführungen von Bernhard Friedmann278 konfrontiert279 und 273 So der Abgeordnete Wemer, zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 310. 274 Vgl. Eduard Lintner: O.T., in: DUD, 9.3.1987. 275 Detailliert Korte: Deutschlandpolitik, S. 310 ff. 276 Zitiert nach Korte: Deutschlandpolitik, S. 310. 277 Dregger hatte die Generaldebatte um die Koalitionsvereinbarung eröffnet und auf Forderung von Abgeordneten auch eine Debatte über Themen zugelassen, die in den Vereinbarungen gar nicht vorhanden waren. Allerdings hatte er bewußt zu Beginn der Sitzung auch gerade auf diese hingewiesen. Vgl. "Kohl erwartet große Chancen rur die Deutschland-Politik", in: FAZ, 11.3.1987. 278 Friedmann war seit 1976 Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages. Sein Arbeitsschwerpunkt lag in der Betreuung des Verteidigungshaushaltes. Außerdem war er Vorsitzender des Bewilligungsausschusses rur Verteidigungsausgaben. Ihm fiel damit eine wichtige Rolle zu bei der Bewilligung von Ausgaben zur Beschaffung von Material und Waffen, deren Einzelsumme 50 Millionen D-Mark überschritt.

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mußte auf sie reagieren?80 Bereits im Nachfeld des Treffens von Reagan und Gorbatschow in Reykjavik281 und im Zuge der Abrüstungsdiskussionen hatte Friedmann in der Fraktionssitzung vom 4. November 1986 vorgeschlagen,282 nunmehr die Wiedervereinigung als operatives Element auf die Agenda der internationalen Politik zu setzen. 283 Friedmanns Überlegungen umfaßten im Grundsatz drei miteinander mehr oder minder verwobene Aspekte: 284 So ging der mittelbadische Unionsabgeordnete davon aus, daß die Teilung Deutschlands die zentrale Spannungsursache im Ost-West-Verhältnis sei. Könne diese überwunden werden, werde sich dies positiv auf die Abrüstungsverhandlungen auswirken und dazu beitragen, eine politische Lösung für die Spannungen in Europa zu finden. Deutschlandpolitik sollte deshalb dezidiert auf die Wieder279 Friedmann war in seinen Forderungen Anfang März u. a. vom CDU-Bundestagsabgeordneten und Präsidenten des Bundes der Mitteldeutschen, Bernd Wilz, unterstützt worden. Vgl. "Deutschlandpolitik wieder auf die Tagesordnung setzen", in: FAZ, 6.3.1987. 280 Inhaltlich nahm Kohl Friedmann allerdings keineswegs ernst. Vgl. auch "Friedmann-Papier stößt auf einhelligen Widerspruch", in: SZ, 21.5.1987. Bereits vor der Bundestagswahl hatte die Gefahr bestanden, daß Friedmann mit seinen Thesen flir deutschlandpolitischen Diskussionsstoff sorgen würde. Im Sinne von Kohls Strategie, in diesem Themenfeld jegliche Konflikte zu vermeiden, hatten er und die Fraktionsflihrung die Diskussion auf die Zeit nach der Bundestagswahl dadurch vertagt, daß man Friedmann eine deutschlandpolitische Sondersitzung in den ersten Monaten des Jahres 1987 zugesagt hatte. Friedmann hatte diese während den Koalitionsverhandlungen mehrmals eingefordert. Kohl konnte sich deshalb nunmehr einer Reaktion auf Friedmann nicht mehr entziehen. Vgl. zu den Hintergründen "Deutschlandpolitischer Appell an Kohl - Wird die Wiedervereinigung zum Thema politischen HandeIns?", in: FAZ, 6.11.1986; "Deutschlandpolitik wieder auf die Tagesordnung setzen", in: FAZ, 6.3.1987. 281 Zum amerikanisch-sowjetischen Gipfel in der isländischen Hauptstadt vgl. Gregor Schöllgen: Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941-1991, München 1996, S. 398-401. 282 Zur Stimmungslage während dieser Fraktionssitzung und der Reaktion Kohls auf die Vorschläge Friedmanns vgl. Pruys: Helmut Kohl, S. 331 f. 283 Friedmanm fordete konkret: "Bei den Abrüstungsgesprächen in Genf müssen Ost und West über die Wiedevereinigung Deutschlands verhandeln - in freien Wahlen mit dem Ziel eines Friedensvertrages. Bundeskanzler Helmut Kohl sollte zu diesem mutigen und historischen Schritt die Initiative ergreifen. US-Präsidient Reagan und Kreml-Chef Gorbatschow können dann bei ihrem neuen Gipfeltreffen im nächsten Jahr die Weichen für die Wiedervereinigung Deutschlands stellen." Zitiert nach "Appell an Kohl, Reagan, Gorbatschow: Verhandelt über die Wiedervereinigung!", in: Bild am Sonntag, 2.11.1986; vgl. auch "Deutschlandpolitischer Appell an Kohl - Wird die Wiedervereinigung zum Thema politischen HandeIns?", in: FAZ, 6.1l.l986; ergänzend Karl Feldmeyer: Reykjavik als Anstoß zur Wiedervereinigung, in: FAZ, 11.11.1986; umfassend zu Friedmanns Thesen 1986/87 Zimmer: Nationales Interesse, S. 194-199; im Selbstzeugnis: Friedmann: Einheit statt Raketen; ergänzend auch Roos: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, S. 154 ff. 284 Dazu Friedmann: Einheit statt Raketen; zur Kritik an den Positionen Friedmanns vgl. Zimmer: Nationales Interesse, S. 196-199.

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vereinigung der beiden Staaten ausgerichtet werden. 285 Außerdem sah Friedmann eine Tendenz der USA zur Abkoppelung von Europa und der Bundesrepublik und damit eine potentielle Bedrohungsgefahr durch das konventionelle Waffenpotential im Warschauer-Pakt. Deshalb mußte seiner Ansicht nach auch seitens der Bundesregierung eine aktive Rolle in den Abrüstungsdebatten übernommen werden. Zum dritten sah er ein wiedervereinigtes Deutschland nicht zwangsläufig im Westen eingebunden. In Abkehr vom Grundsatz der festen Verankerung der Bundesrepublik Deutschland in westlichen Bündnisstrukturen und Kohls Postulat der "Freiheit vor Einheit,,286 hatte er artikuliert: "Im Gegensatz zur Grundentscheidung für eine freiheitliche Demokratie kann und darf dies jedoch keine unverrückbare Voraussetzung sein, bei deren Nichterfüllbarkeit wir gegebenenfalls auf die Wiedervereinigung verzichten würden.,,287 Friedmann brachte diesen Teil seiner Vorstellungen in der Fraktionssitzung am 10. März erneut vor. Dem hielt Kohl in seiner Replik vor der Fraktion ein klares "Für mich ist die Westbindung der Bundesrepublik ein Teil der Staatsräson der Bundesrepublik!,,288 entgegen. Auf eine deutschlandpolitische Grundsatzdebatte von derartigem Ausmaß wollten sich zu diesem Zeitpunkt aber weder Kohl noch die Fraktionsführung einlassen. Auf Vorschlag Dreggers vertagte man dieses Thema auf eine deutschlandpolitische Sondersitzung/89 ohne daß dafür ein konkretes Datum benannt wurde. 290 Die deutschlandpolitische Dis-

285 Diese Begrenzung auf die bei den deutschen Staaten rief stellvertretend für die Vertriebenenpolitiker Ottfried Hennig auf den Plan, der in Friedmanns Wiedervereinigungskonstrukt eine Verkürzung der Politik der Bundesregierung sah, die "schon im Ansatz über eine politische Bindungswirkung für eine gesamtdeutsche Regierung weit hinaus [geht/d. Verf.] und [... ] an den rechtlichen Grundlagen unserer Deutschlandpolitik" rüttelt. Zitiert nach "Staatssekretär Hennig wirft Friedmann eine 'gefährliche Illusion' vor", in: Die Welt, 22.5.1987. 286 So Kohl u. a. in der Fraktionssitzung vom 10.3.1987; vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 310. 287 Friedmann: Einheit statt Raketen, S. 49. 288 Kohl zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 310. 289 Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 311. 290 Damit hatte man Friedmann nach der Fraktionssitzung vom 4. November nun ein zweites Mal vertröstet. Auf eine weitere Verschiebung dieser Sondersitzung verständigte man sich während der Fraktionssitzung vom 5.5.1987. Allerdings hatten Dregger und Friedmann in einer Besprechung am 8.5. vereinbart, daß der baden-württembergische Abgeordnete Thesen zu seinem Wiedervereinigungskonzept ausarbeiten sollte. Diese sind abgedruckt in: Friedmann: Einheit statt Raketen, S. 145-152. Zu einer umfassenden deutschlandpolitischen Diskussion kam es dann in der Fraktionssitzung vom 6.10.1987; vgl. Interview mit Peter Lorenz im DLF vom 7.10.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 7.10.1987 sowie Beitrag von Eduard Lintner, in: DUD, 9.10.1987.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

kussion wurde schließlich dadurch beendet, daß Kohl die Sitzung vorzeitig verlassen mußte. 29 ! Deutschlandpolitik hatte in den Koalitionsverhandlungen als Themenfeld keine bedeutsame Rolle gespielt. In der Wahrnehmung von Teilen der Fraktion hatte es aber sehr wohl einen erheblichen Stellenwert. Dies ließen die Deutschlandpolitiker unter den Abgeordneten Kohl in der Fraktionssitzung vom 10. März 1987 spüren. Durch sein strategisches Vorgehen in der Tagesordnung hatte Dregger es der Fraktion ermöglicht, auch über dieses Thema zu debattieren. Durch seine Eröffnungsrede und den expliziten Hinweis auf die in der Koalitionsvereinbarung fehlenden Themen hatte er zugleich die Fraktionsmitglieder rur diese Politikbereiche sensibilisiert. Er gab ihnen damit das Gefühl, ihre Interessen gegenüber Kohl wahrzunehmen und zu artikulieren, setzte Kohl aber auch unter Rechtfertigungsdruck. Dieser konnte sich der Diskussion nicht entziehen. Ein schlichte Beendigung der Diskussion hätte die Fraktion brüskiert und womöglich den Eindruck von Konzepdosigkeie92 hinterlassen. Gewarnt von den Kontroversen um die Deutschlandpolitik in den vorhergehenden Jahren, mußte Kohl sich der Debatte stellen, allein schon um zu verhindern, daß sie wie nur zu oft in der Vergangenheit rur alle Beteiligten schädlich über die Medien ausgetragen wurde. Seismographisch verzeichnete der Bundeskanzler dabei aber die deutschlandpolitische Stimmungslage. Sie gab ihm wertvolle Anhaltspunkte rur die in der Regierungserklärung anzuschlagende Tonlage. 293 Aber auch die Unionsfraktion hatte ihr Erfolgserlebnis. Wenn das Thema auch außerhalb der Koalitionsagenda geblieben war, so hatte man doch Kohl jetzt wieder zu deutschlandpolitischen Aussagen gezwungen und ihm die Erwartungshaltung an seine Regierungserklärung verdeutlicht. Außerdem war mit den Protesten in dieser Sitzung signalisiert worden, daß man keineswegs gewillt war, die Bundesregierung autonom im Bereich der Deutschlandpolitik agieren zu lassen, man wollte informiert und einbezogen werden. 294

291 Vgl. "Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23. 292 Diesen Vorwurf hatten Mitglieder der Fraktion Kohl während der Koalitionsverhandlungen hinsichtlich anderer Themenfelder ohnehin schon gemacht. Vgl. "Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23. 293 Zu den Hintergründen Korte: Deutschlandpolitik, S. 312 ff. 294 Ähnlich bewertet auch Korte die Situation. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S.

313 f.

11. Deutschlandpolitik

267

Beschwichtigungs- und Konsensstrategie: Aufnahme von Fraktionspositionen in die Regierungserklärung und Einbindung der Unionsfraktion in den deutschlandpolitischen Informationsfluß Das Gefühl der Einbindung und der Infonniertheit war es, was der Bundeskanzler der Unionsfraktion dann auch in der Folgezeit im Bereich der Deutschlandpolitik zu vennitteln versuchte. Entsprechend war der deutschlandpolitische Teil der Regierungserklärung vom 18. März 1987 angelegt. 295 Er war nach der dargestellten und von Kohl deutlich registrierten Kritik auf Einvernehmen ausgerichtet. Er war aber auch - ganz der Strategie der zurückliegenden Monate entsprechend - gegenüber der DDR im Ton konziliant. Zwar wurden nach wie vor die deutschlandpolitischen Grundsätze der Bundesregierung betont und damit auch eine Abgrenzung gegenüber der DDR-Führung vorgenommen, doch Menschenrechtsverletzungen, Schikanen etc. des DDR-Grenzregimes wurden nicht mit gewohnter Deutlichkeit angesprochen. 296 Kohl unternahm hier den gelungenen Versuch einer Gratwanderung zwischen Befriedigung der Erwartungshaltung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einer Politik, die auf Offenhaltung der Gesprächs- und Verhandlungskanäle mit OstBerlin zielte. Dem Zweck, der Fraktion das Gefühl der deutschlandpolitischen Eingebundenheit zu vennitteln, diente auch Schäubles Bericht über seine Reise nach OstBerlin in der Fraktionssitzung vom 31. März 1987,z97 Kohls und Schäubles venneintliches Bemühen, die Fraktion in die deutschlandpolitische Politikgestaltung einzubinden, war allerdings nur vordergründig. Sie gaben ihr das Gefühl beteiligt und infonniert zu sein, verfolgten aber parallel weiter eine Politik des Geheimen und Verborgenen. Dazu zählten Gespräche und Sondierungen über Sonderemissäre und auf geheimen Kanälen,z98 Weder wollte man das politische Gesamtklima noch die Vorbereitungen für einen immer wahrscheinlicheren Besuch Honeckers durch deutschlandpolitische Aufgeregtheiten in der Fraktion gefährden. In Wirklichkeit wurde Deutschlandpolitik in dieser Phase zur ausschließlichen Domäne des Kanzlers. Er bestimmte die Akteure und die 295 Zum Entstehungsprozeß der Regierungserklärung vgl. Mainhard Graf Nayhauß: 36 Tage Arbeit an der Rede des Kanzlers, in: Quick, Nr. 14,25.3.1987, S. 116-118. Die Regierungserklärung ist abgedruckt in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. I!. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 51-73. 296 Zu diesen Befunden kommt auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 435; zur Rezeption der Rede auch Karl Feldmeyer: Grundsätze und kein Weg, in: FAZ, 20.3.1987. 297 Inhalte bei Korte: Deutschlandpolitik, S. 315 f. Korte verweist darauf, daß derartige Berichte vor der Fraktion für Schäuble untypisch waren und weder vor- noch nachher stattgefunden hatten. Vgl. auch Albrecht Hinze: Schäuble bei Honecker und Fischer, in: SZ, 27.3.1987; "Bonn und Ost-Berlin stimmen überein: Der Gegenseite nichts Unzumutbares zumuten", in: FAZ, 28.3.1987. 298 Grundsätzlich zu diesen Gesprächsebenen Korte: Deutschlandpolitik.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Themen. So hatten die Kanzlervertrauten Walther Leisler Kiep299 - Bundesschatzmeister und CDU-Präsidiumsmitglied - sowie Bemhard Vogel - rheinland-pflilzischer Ministerpräsident - bereits während der Koalitionsverhandlungen Mitte Februar das politische Klima in Ost-Berlin sondiert. 30o Kiep fiihrte zu seinem Gespräch mit dem DDR-Wirtschaftslenker Mittag am 11. Februar 1987 in Ost-Berlin aus: "Es besteht in der Tat der Wunsch der DDR, die Gespräche nicht nur fortzuflihren, sondern zu intensivieren, dort gewissennaßen weiterzuarbeiten, wo man vor Beginn des Wahlkampfes aufgehört hat. Das gilt flir alle angeschnittenen und in der Diskussion befindlichen Fragen und Abkommen. Ein besonderer Schwerpunkt ist sicherlich auch nach dieser harten Winterperiode die Frage des Umweltschutzes. Darüber hinaus ist in der DDR und ist bei Herrn Mittag großes Interesse sichtbar geworden, die Gespräche auch in den politischen Fragen - insbesondere Rüstungskontrolle und Abrüstung - intensiv zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu besprechen. [... ] Wenn Sie zu den beiden genannten Bereichen noch hinzunehmen würden wirtschaftliche Kooperation, dann [... ] haben Sie die gesamte Bandbreite der DDRInteressen. Ich kann nur sagen: Sie decken sich natürlich auch mit unseren Interessen. Es ist eine sehr weitgehende Übereinstimmung in der Frage, welche Bereiche und weIche besonderen Themen im gegenseitigen Interesse liegen.,,301

Nur wenige Tage nach Kiep war auch Vogel am 13. Februar 1987 in OstBerlin, übermittelte Honecker Grüße von Bundeskanzler Kohl und verband dies mit dem Hinweis, daß Kohl die Einladung an Honecker "zum Besuch der BRD auch flir die neue Bundesregierung bekräftige. Kohl möchte, daß Dialog und sachliche Zusammenarbeit die Grundlage der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR bleiben. Er sei dankbar rur die positiven Schritte, die in der Vergangenheit getan werden konnten. Kohl betrachte unverändert die Moskauer Gespräche mit E. Honecker vom März 1985 und die dort vereinbarte Gemeinsame Erklärung 302 als Grundlage der Beziehungen.,,303

299 Er hatte auch in den Jahren zuvor schon zu Kohls "DDR-Sonden" gezählt. Vgl. auch Marlies Menge: DDR: Neue Kontakte zur Bundesrepublik, in: Die Zeit, 20.2.1987. 300 Nachdem Vogel die Einladung zum Besuch aus Ost-Berlin erhalten hatte - Hintergrund waren seine Anregungen, Städtepartnerschaften von Mainz und Erfurt bzw. Trier und Weimar aufzunehmen -, stimmte er seine Reise mit Kohl und Schäuble ab. Ein Punkt war dabei die Erneuerung der Einladung an Honecker und die KlarsteIlung, daß diese durch Kohls Vergleich von DDR-Gefängnissen mit KZs nicht aufgehoben sei. Vgl. dazu Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. Im Gegensatz zu Vogel hatten Strauß (15.3.) und Späth (15./16.3.) ihre Treffen mit Honecker und weiteren DDR-Funktionären nicht koordiniert. Vgl. dazu auch Peter Jochen Winters: Innerdeutscher Dialog rasch fortgesetzt, in: FAZ, 16.2.1987; "Die Zeit der Irritationen ist vorbei", in: Augsburger Allgemeine, 17.3.1987. 301 Interview mit Walther Leisler Kiep im DLF vom 13.2.1987, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 13 .2.1987. 302 Kohl verwies dann auch in seiner Regierungserklärung vom 18.3.1987 explizit auf die gemeinsame Moskauer Erklärung. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 66.

11. Deutschlandpolitik

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An anderer Stelle versuchte Vogel, nachdem Honecker das Stichwort geliefert hatte, Kohls Fauxpas von Dortmund304 abzuschwächen: "Vogel erwiderte, er möchte zunächst etwas zum Wahlkampf sagen. E. Honecker habe ihn als sturmbewegt bezeichnet. Natürlich sei ein Wahlkampf keine FronIeichnahmsprozession. Er sei in Dortmund bei der Rede von Kohl dabei gewesen. Er lege Wert auf die Feststellung, daß es sich nicht um eine von langer Hand vorbereitete Aussage über die KZ's in der DDR gehandelt habe. Kohl habe zunächst eine positive Aussage über die Entwicklung der Beziehungen zur DDR gemacht. Das habe im Mittelpunkt gestanden. Die Äußerung über die KZ sei in einem Nebensatz in einer freigesprochenen Rede gefallen. Sie sei auch nie wiederholt worden. Es handle sich also nicht um den Ausdruck der Absicht, eine andere Politik gegenüber der DDR einzuleiten. ,,305

Insgesamt zeichnete sich Anfang 1987 während und unmittelbar nach den Koalitionsverhandlungen ab: Kohl wollte weiterhin den Kontakt zu Ost-Berlin pflegen, allerdings ohne dabei in irgendeiner Form durch Vorgaben der Unionsfraktion oder seiner Partei - aber auch des Koalitionspartners - in seinem Handlungsspielraum eingeengt zu werden.

Zusammenfassung und Bewertung

- Erfolgreich hatte Kohl es vermieden, die Deutschlandpolitik zum Gegenstand der Koalitionsverhandlungen zu machen. Zwei Aspekte standen dabei im Vordergrund: - Kohl wollte sich den operativen deutschlandpolitischen Handlungsspielraum nicht durch Vorgaben in den Koalitionsvereinbarungen einengen lassen. - Das sensible Beziehungsgeflecht mit Ost-Berlin und der sorgsam in der Koalition und innerhalb der Unionsparteien austarierte deutschlandpolitische 303 Niederschrift über das Gespräch des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit dem Ministerpräsidenten des BRD-Bundeslandes Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, am 13. Februar 1987 im Amtssitz des Staatsrates, in: SAPMO-BArch, J IV 942. 304 Kohl hatte am 4. Januar während einer Wahlkampfveranstaltung der CDU im Hinblick auf die Gespräche mit der DDR-Führung ausgeführt, "daß wir [nicht/d. Verf.] eine Minute vergessen, mit wem wir sprechen, nicht mit einer frei gewählten Regierung und auch mit einem politischen Regime, das immerhin 2.000 unserer Landsleute als politische Gefangene drüben in der DDR in Geflingnissen und Konzentrationslagern hält." Kohl zitiert nach: "Aufregung über ein Wort des Kanzlers", in: FAZ, 6.1.1987. Zu den Hintergründen vgl. auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 304 f. 305 Niederschrift über das Gespräch des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit dem Ministerpräsidenten des BRD-Bundeslandes Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, am 13. Februar 1987 im Amtssitz des Staatsrates, in: SAPMO-BArch, J IV 942. In den Grundzügen bestätigend Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Konsens sollte nicht durch eine Diskussion über künftige Strategien und Ziele während des in Koalitionsverhandlungen ohnehin angespannten Gesprächsklimas belastet werden. - Den Deutschlandpolitikern der Unionsfraktion gelang es nicht, das Themenfeld der Deutschlandpolitik zum Gegenstand der Koalitionsverhandlungen zu machen. Wenn der Unionsfraktion auch keine Gelegenheit gegeben war, deutschlandpolitische Vorstellungen in die Koalitionsverhandlungen einzubringen, so machten die Deutschlandpolitiker der Fraktion nach Beendigung der Koalitionsverhandlungen doch beharrlich klar, daß sie die Regierungspolitik in diesem Politikfeld keineswegs widerspruchslos hinnehmen wollten. Lintner betonte in einem Brief an Kohl die programmatischen Grundlagen der deutschlandpolitischen Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dregger ruhrte durch geschicktes Management der Tagesordnung der Fraktionsversammlung einen Tag vor der Kanzlerwahl eine Aussprache nicht nur über die Themen herbei, die in die Koalitionsvereinbarung Eingang gefunden hatten, sondern auch über jene, wie die Deutschlandpolitik, die man dort ausgeklammert hatte. Kohl nahm die dabei aus den Reihen der Unionsfraktion vorgetragenen Vorwürfe - sieht man einmal von Friedmanns These ab - ernst. Er griff sie in Teilen in der Regierungserklärung in Form beruhigender Antworten auf. Mit Blick auf die Deutschlandpolitiker in der Fraktion betonte er bekannte Positionen und signalisierte deutschlandpolitische Kontinuität. Die konservativen Deutschlandpolitiker erreichten damit zumindest eine rhetorische Bestätigung des normativen deutschlandpolitischen Status quo durch den Bundeskanzler. Zudem beschwichtigte Kohl in dieser Phase auch dadurch, daß er die Fraktion von Schäuble über dessen Ost-Berlin-Visite informieren ließ und den Abgeordneten damit in dieser Phase das Geruhl gab, in den deutschlandpolitischen Politikgestaltungsprozeß eingebunden zu sein. - Die Entscheidung zur ministeriellen Umbesetzung im Bundesministerium rur innerdeutsche Beziehungen traf Kohl ohne Rückkopplung mit Vertretern aus der CDU-Parteiruhrung und der Unionsfraktion. Zwar hatte er vorab Stimmungen sondiert, die Entscheidung aber letztlich autonom im Bundeskanzleramt getroffen. Sie war Teil einer Gesamtstrategie, die deutschlandpolitische Zuständigkeit in der Regierung weiter in den Machtbereich des Bundeskanzleramtes zu verlagern.

11. Deutschlandpolitik

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4. Der Wiesbadener Parteitag 1988 - Interventionen und Positionskorrekturen durch die Unionsfraktion Bereits während des Bonner Parteitags der CDU von 1987 hatte der Bundesvorsitzende Helmut Kohl für den 36. Bundesparteitag in Wiesbaden die Rahmendaten der Agenda fonnuliert. Beeindruckt von Diskussionsstil und fonn des Bonner Parteitags/o6 kündigte er für das nachfolgende Jahr einen weiteren Parteitag der Diskussionen an. Auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden sollten wichtige "Zukunftsfragen unseres Landes - Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, Fragen auch, die die Werteordnung unserer Gesellschaft und unseres Staates betreffen, schließlich auch Fragen die sich an unser Selbstverständnis als Christlich Demokratische Union richten,,307 - in den Mittelpunkt gerückt und beraten werden. In der Tat wurde es ein Parteitag der Diskussionen, allerdings - wie noch zu zeigen sein wird - weniger während der Versammlung der Delegierten selbst als vielmehr im Vorfeld. Gegenstand der parteiintern geführten Kontroversen sollte mit der Deutschlandpolitik ein Politikfeld werden, das Kohl in seiner Auflistung zu Ende des Bonner Parteitags gar nicht benannt hatte. Diese "Vernachlässigung" bildete dabei einen Gegensatz zur Parteitagseröffnungsrede Kohls, in der er während seiner Regierungsbilanz deutlich auf die deutschlandpolitischen Erfolge der von ihm geführten Regierung verwiesen und den Zusammenhang von deutsch-deutschen Begegnungen und Deutschlandpolitik unterstrichen hatte: "Das, liebe Freunde, ist nicht irgendein Thema. Wir stärken mit dieser Politik die Zusammengehörigkeit der Deutschen, wir schärfen das Bewußtsein für die Einheit der Nation.,,308 In der anschließenden Betrachtung der deutschlandpolitischen Programm arbeit für den Wiesbadener Parteitag ist das Augenmerk auf folgende Aspekte gerichtet: Wie wurde die Programmarbeit organisiert? Welche Akteure des Machtdreiecks waren an der Programmarbeit in welcher Fonn beteiligt? Wie wurden Konfliktpotentiale und inhaltliche Kontroversen zwischen den Akteuren aufgelöst? Diesen Fragen soll nachfolgend in vier Abschnitten nachgegangen werden: - Einsetzung einer Programmkommission durch das CDU-Präsidium; - Kritik am Kommissionsentwurf aus Partei und Unionsfraktion;

306 Vgl. Kohl in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 35. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. 9. November 1987. Niederschrift, Bonn 0.1., S. 144. 307 Kohl zitiert nach: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 35. Bundesparteitag 1987, S. 145. 308 Kohl zitiert nach: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 35. Bundesparteitag 1987, S. 28.

272

D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Beschwichtigung und Rechtfertigung durch Dregger, Kohl und Geißler vor der Unions fraktion; - Überarbeitung des Programmentwurfs durch eine neugegrUndete Kommission.

Einsetzung einer Programmkommission durch das CDU-Präsidium

Die von Kohl filr den Wiesbadener Parteitag angekündigten Themengebiete wurden im Laufe des Jahres von der Parteifilhrung der CDU eingegrenzt und schließlich in zwei Formulierungsformen gegossen: - "Unsere Verantwortung in der Welt"; - "Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes". Zu beiden Themenfeldern wurde vom Bundespräsidium der CDU je eine Kommission eingesetzt, die unter dem Vorsitz des CDU-Generalsekretärs Entwürfe erarbeiten sollte. Den Kommissionen gehörten sowohl Experten aus Wissenschaft und Praxis an als auch Regierungsmitglieder und Parteimitglieder. Die im weiteren Verlauf relevante Kommission "Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik" sollte dabei in ihrem Entwurf Perspektiven filr das nächste Jahrzehnt entwickeln und somit den Anspruch der CDU unterstreichen, auch in den neunziger Jahren bestimmender Akteur in den Bereichen der Außen- und Deutschlandpolitik zu sein. 309 Interessant zu beobachten war bei der Namengebung der Kommission die Aneinanderreihung der Themenfelder. Wenngleich die Deutschlandpolitik - im Gegensatz noch zu Kohls Auflistung vom November 1987 in Bonn - nunmehr immerhin explizit erwähnt wurde, so stand sie jedoch am Ende der Auflistung im Kommissionsnamen. Ließen sich daraus Rückschlüsse auf die politische Bedeutung der Deutschlandpolitik filr die CDU ziehen? Diese Frage gilt es im weiteren Verlauf zu beachten. Nachdem die Kommission "Außen-, Sicherheits-, Europa und Deutschlandpolitik" unmittelbar nach dem Bonner Parteitag vom 9. November eingesetzt worden war, konstituierte sie sich am 17. Dezember 1987. Die Mitgliederkonstellation der Kommission war dabei durchaus bemerkenswert. Neben den wissenschaftlich ausgewiesenen deutschlandpolitischen Spezialisten Weidenfeld, Gradl, Hacke, Schwarz waren mit Geißler, Kiep, Klepsch und Wömer vier Mitglieder des Bundesvorstandes der CDU vertreten. Wichtiger war jedoch, daß dieser Kommission kein filhrendes Mitglied der Arbeitsgruppe "Deutschlandpolitik und Berlinfragen" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion angehörte, auch 309 Dazu auch CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. 36. Bundesparteitag. 12.-15. Juni 1988, Bonn 1988, S. 11.

11. Deutschlandpolitik

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nicht der stellvertretende Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe, Gerhard Schulze. 3IO Ebenso war der Obmann der Unions fraktion im Innerdeutschen Ausschuß, Reddemann, in dieser Kommission nicht berücksichtigt worden. Ranghöchstes Fraktionsmitglied war Volker Rühe, der in der Fraktion als stellvertretender Vorsitzender für außen- und deutschlandpolitische Fragen zuständig war. Er war in den letzten Jahren von Kohl gefOrdert worden und galt als loyal zum Bundeskanzler stehend. 3lJ Als weitere Fraktionsmitglieder nahmen lediglich Karl Lamers, Hans-Peter Repnik und Hans Stercken teil. 312 Letztere waren beide als Kenner der internationalen Politik, aber nicht als ausgewiesene deutschlandpolitische Fachleute bekannt. Mit Repnik war allerdings ein Abgeordneter eingebunden, der als Schäubles Hörrohr in der Unionsfraktion galt. 313 Mit Wolfgang Schäuble, dem Chef des Bundeskanzleramtes und Minister für besondere Aufgaben, mit Lutz Stavenhagen, Staatsminister im Bundeskanzleramt sowie Horst Teltschik, dem Leiter der Abteilung 2 im Bundeskanzleramt,314 waren drei Mitglieder des engeren beziehungsweise engsten Umfeldes Kohls im Regierungsapparat an den Beratungen der Kommission beteiligt. Mit Schäuble und zudem Dorothee Wilms waren die für die Deutschlandpolitik in der Bundesregierung zuständigen Minister in die Kommissionsarbeit eingebunden. Insgesamt ergab sich damit eine personelle Konstellation in dieser Kommission, in der die führenden Deutschlandpolitiker der Fraktion nicht beteiligt, Vertrauenspersonen des Bundeskanzlers und dezidierte Kenner seines deutsch-

310 Eduard Lintner, der Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe der Unionsfraktion, war Mitglied der CSU und kam damit ohnehin nicht in Frage. 311 Allerdings stieß er bei den nationalkonservativen Deutschlandpolitikern der Unionsfraktion auf Vorbehalte, seit er in der Bundestagsdebatte vom 6. Februar 1985 hinsichtlich der Oder-Neiße-Grenze und dem Festhalten an den Grenzen des Deutschen Reiches vom 31.12.1937 ausgeführt hatte: "Wer nüchtern und illusionslos nachdenkt, der weiß, daß der Warschauer Vertrag mit Polen eine politische Bindewirkung hat, die auch von einem wiedervereinigten Deutschland nicht ignoriert werden könnte. Wer sich zum Gewaltverzicht bekennt, der muß sich darüber im klaren sein, daß etwaige territoriale Veränderungen in Mitteleuropa nur mit Einverständnis aller Beteiligten möglich wären. Dazu gehören auch die Polen. [... ] Wer die Versöhnung mit dem polnischen Volk will, der darf nicht den Eindruck erwecken, daß er dessen Lebensraum in Frage stellt." Rühe zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 119. Sitzung. 6.2.1985, S. 8812. 312 Abgesehen von den Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären, die zugleich auch Mitglieder der Unionsfraktion waren. 313 Zusammen mit Johannes Gerster und Willi Rawe zählte er zu den Fraktionsmitgliedern, die 1988 aktiv Dreggers Absetzung und Schäubles Inthronisierung als Vorsitzenden der Unionsfraktion betrieben. Zu diesem Vorhaben und ihrem vorläufigen Scheitern vgl. Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 80-83. 314 Abteilung 2: Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen; Entwicklungspolitik; äußere Sicherheit.

18 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

landpolitischen Standortes aber sehr wohl eingebunden waren. 315 Revolutionäre inhaltliche Abweichungen von bisherigen deutschlandpolitisch-programmatischen Aussagen der CDU, von denen der Bundesregierung und Kontraste zu der von ihr verfolgten operativen Deutschlandpolitik waren damit nicht zu erwarten. Tabelle 6 Mitglieder der Kommission Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik Vorsitz

Stellvertr. Vorsitz

Geschäftsführung

Mitglieder

Heiner Geißler

Peter Radunski

Wulf Schönbohm

Markus Berger, Lothar Domröse, Johann B. Gradl, Christian Hacke, Walther Leisler Kiep, Egon Klepsch, Karl Lamers, Wolfgang Pfeiler, HansGert Pöttering, Hans-Peter Repnik, Volker Rühe, Wolfgang Schäuble, Hans-Peter Schwarz, Lutz Stavenhagen, Hans Stercken, Horst Teltschik, Roland Wegener, Wemer Weidenfeld, Peter Weilemann, Dorothee Wilms, Manfred W ömer

Quelle: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Bericht der Generalsekretärs. 36. Bundesparteitag, S. 12.

Die Kommission "Außen-, Sicherheits-, Europa und Deutschlandpolitik" wurde in ihrer Arbeit von Mitarbeitern der Hauptabteilung Politik sowie der Grundsatz- und Planungs abteilung der Parteizentrale der CDU, dem Konrad315 Zudem wurde aus den Reihen der CDU kritisiert, daß man mit der Einrichtung der Programm kommission den bestehenden Bundesfachausschuß "Außenpolitik- und Deutschlandpolitik" übergangen habe. Die Kommission sei in personeller Hinsicht zweckgerichtet besetzt worden. V gl. "Geißlers Papier", in: F AZ, 19.2.1988. Der Generalsekreträr des Bundes der Vertriebenen, Koschyk, mokierte den "unverzeihlichen Management-Fehler des Konrad-Adenauer-Hauses", die Vertriebenenpolitiker der CDU bei der Besetzung der Programmkommission nicht berücksichtigt zu haben. V gl. "Kritik aus dem Bund der Vertriebenen", in: FAZ, 19.2.1988; auch Clemens: CDU Deutschlandpolitik and Reunification 1985-1989, S. 12.

II. Deutschlandpolitik

275

Adenauer-Haus, inhaltlich und organisatorisch unterstützt. Der erwähnten konstituierenden Sitzung vom 17. Dezember folgten mit der Klausurtagung vom 15./16. Januar 1988 sowie dem Treffen vom 8. Februar 1988 zwei weitere Zusammenkünfte der Kommission. 316 Während dieser drei Runden entstand der Entwurf "Unsere Verantwortung in der Welt. Christlich-demokratische Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik", der am 18. Februar 1988 veröffentlicht wurde. 317 Ziel der frühzeitig vor dem Parteitag erfolgten Veröffentlichung war es, allen Interessierten innerhalb und außerhalb der CDU Gelegenheit zu geben, Anregungen, aber auch Kritik in die Formulierung der Entwürfe einzubringen. 318 Diese Stellungnahmen sollten dann in einer zweiten Runde bei einer Überarbeitung des Entwurfes berücksichtigt werden und gegebenenfalls miteinfließen. Der endgültige Entwurf sollte danach dem Bundesvorstand vorgelegt und von diesem nach Beratung und Zustimmung als Leitantrag für den Bundesparteitag in Wiesbaden verabschiedet werden. Die öffentliche Präsentation des Entwurfes der Kommission durch ihren Vorsitzenden Geißler am 18. Februar319 fiel in ein politisches Klima, das innerhalb der Union von vier Faktoren geprägt wurde, die als Hintergrundfolie der weiteren Entwicklung nicht außer acht bleiben können. Zu ihnen zählten:

Betonung des Stellenwertes der operativen Deutschlandpolitik innerhalb der CDU Exemplarisch für andere Gliederungen beschworen die CDU-Sozialausschüsse der CDU die Einheit der Nation. Deutschlandpolitik sollte auch in der Arbeit der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) zum Schwerpunkt werden. So warnte der Vorsitzende der CDA, Fink, davor, "die deutsche Frage für erledigt zu erklären, sei gegen Vernunft und Geschichte. Von der Tei-

316 Zu den Inhalten dieser Sitzungen vgl. auch "Neue Streitkultur", in: Der Spiegel, Nr. 8, 22.2.1988, S. 22 f. JI7 Vgl. CDU-BundesgeschäftssteIle: Unsere Verantwortung in der Welt. Christlichdemokratische Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik. Diskussionsentwurf der vom Bundesvorstand eingesetzten Kommission, Bonn 18.2.1988. 318 Dazu CDU-BundesgeschäftssteIle: Bericht der Bundesgeschäftsstelle. 36. Bundesparteitag, S. 10. 319 Korte verweist darauf, daß den Mitgliedern der Unionsfraktion der Entwurf mit einem Brief des 1. Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion vom 17.2.1987 zugeleitet worden war. Zuvor bereits war vom Adenauer-Haus auch ein Entwurf zur Information und Prüfung an Kohl ins Bundeskanzleramt geschickt worden. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 401.

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D. Politikfe\der und Fallbeispiele

lung müsse eine Politik der Einheit ausgehen,,320. Im Sinne Kohls deutschlandpolitischer Philosophie321 und seiner Regierungslinie wurde die Bedeutung und Förderung der Begegnungen zwischen den Menschen beider Staaten als wichtig flir die innerdeutsche Dialogpolitik betont. 322 Der Stellenwert der operativen Ausrichtung der Deutschlandpolitik wurde hervorgehoben. 323

Deutschlandpolitische Rede von Bundesministerin Wilms in Paris Am 25. Januar 1988 hielt die Bundesministerin flir innerdeutsche Beziehungen, Wilms, vor dem Institut Fran~ais des Relations Internationales (IFRI) und dem Bureau International de Liaison et de Documentation (B.I.L.D.) eine Rede zum Stellenwert der Deutschlandpolitik im Rahmen der europäischen Einigung. In die Kritik - in erster Linie von Unionsmitgliedern324, den Vertriebenenverbänden und der FAZ325 - gerieten vor allem die Passagen ihrer Rede,326 in denen sie - den Nationalstaat nicht als Selbstzweck bezeichnete, denn "der Nationalstaat um seiner selbst willen, das ist weder der Auftrag des Grundgesetzes noch entspricht dies unserem politischen Bewußtsein"; - das Recht auf nationale Selbstbestimmung der Deutschen mit der Zustimmung der Nachbarn verband; - die Teilung Europas als Voraussetzung flir die Überwindung der deutschen Teilung benannte und - im Zusammenhang mit der Milderung der Teilungsfolgen flir die Menschen in Ost- und Westdeutschland bekannte, "daß die Überwindung der Teilung 320 Ulf Fink, zitiert in: "Die Deutschlandpolitik soll wieder Arbeitsschwerpunkt werden", in: FAZ, 9.1.1988. 321 Vgl. dazu grundsätzlich Korte: Deutschlandpolitik; Fröhlich: Sprache als Instrument politischer Führung. 322 Vgl. "Die Deutschlandpolitik soll wieder Arbeitsschwerpunkt werden", in: FAZ, 9.1.1988. 323 Die Betonung dieser operativen Komponenten war innerhalb der CDU allerdings nicht unumstritten. Vgl. dazu Hans Krump: Im Deutschland-Disput streiten drei 'Parteien', in: Die Welt, 19.3.1988. 324 Im einzelnen dazu z. B. Hans Krump: "Wiedervereinigungs-Gebot steht nicht zur Disposition, in: Die Welt, 30./31.1.1988. 32S Vgl. z. B. "CDU: Abschied von alten Einheits-Träumen", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 18-21; Karl Feldmeyer: "Deutsche Einheit nicht Selbstzweck", in: FAZ, 26.1.1988; ders.: Visionen jenseits des Zeithorizonts, in: FAZ, 29.1.1988; "Endgültig disqualifiziert", in: FAZ, 29.1.1988; Martin S. Lambeck: "Für meine Überzeugung laß ich mich beschimpfen", in: Hamburger Abendblatt, 2.4.1988. 326 Die Rede von Dorothee Wilms ist belegt in: Deutschlandpolitik im Rahmen der europäischen Einigung, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/6, S. 22-36.

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Deutschlands in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, weil auch die Teilung Europas noch andauert".327 Die Pariser Rede von Wilms war nicht mit Kohl und seiner deutschlandpolitischen Expertencrew im Kanzleramt abgestimmt worden. Ein solches Verfahren hätte aber auch nicht den Bonner Gepflogenheiten entsprochen. 328 Dies um so mehr, als sich Wilms mit ihrer Rede keineswegs von der Kohlschen Regierungslinie entfernt hatte. Sie hatte zum einen mehrmals explizit Bezug auf Kohl-Reden genommen 329 und zum anderen - allerdings diplomatisch-rhetorisch weniger verklausuliert und in direkter Formulierung - Positionen des Bundeskanzler aufgegriffen - so z. B. die Konnexion von europäischer und deutscher Teilung oder das Mitspracherecht der europäischen Nachbarn bei der Herstellung der deutschen Einheit. 330 Das Ziel der Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit hatte sie in ihrer Rede aber nie aus den Augen verloren. 331 Gleichzeitig zeigte ihre Rede jedoch, daß in den national-konservativen Kreisen der CDU332 im allgemeinen und der Unionsfraktion im speziellen deutschlandpolitische Formulierungen mit seismographischer Mikrogenauigkeit registriert wurden. 333

327 Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und Sprecher der ostpreußischen Landsmannschaft, Hennig, kommentierte dies folgendermaßen: "Abwarten ist keine uns erlaubte Politik", zitiert nach: "CDU: Abschied von alten Einheits-Träumen", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 19. Von der Öffentlichkeit weniger beachtet, hatte bereits im Dezember 1987 der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, in einer Rede vor der Arbeitgemeinschaft der "Gesellschaft Bundesrepublik Deutschland-Sowjetunion" hinsichtlich eines möglichen Zeitpunktes einer Wiedervereinigung nüchtern formuliert, daß die Bundesregierung keine Angst davor habe, "die deutsche Frage der geschichtlichen Entwicklung anzuvertrauen." Schäfer zitiert nach: FAZ, 16.12.1987. Zur Reaktion daraufu. a. Hartrnut Koschyk: Warten auf die Geschichte reicht nicht, in: FAZ, 2.2.1988. 328 Darauf weist auch Korte hin. Gleichwohl hatte der Bundeskanzler der innerdeutschen Ministerin nachträglich seine Zustimmung zur Rede signalisiert. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 400. 329 Vgl. Dorothee Wilms: Deutschlandpolitik im Rahmen europäischer Einigung, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/6, S. 28, 36. 330 Weiterführend Korte: Deutschlandpolitik, S. 399 f. 331 Sie stellte somit keineswegs, wie von einem ihrer schärfsten Kritiker, dem FAZJournalisten Feldmeyer, unterstellt, den Willen der Bundesregierung zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten in Frage. Vgl. Karl Feldmeyer: Visionen jenseits des Zeithorizonts, in: FAZ, 29.1.1988. 3J2 Überblick und personelle Zuordnung von Einzelakteuren zu deutschlandpolitischen Positionen bei Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson, S. 109 ff.; ergänzend Hans Krump: Im Deutschland-Disput streiten drei "Parteien", in: Die Welt, 19.3.1988. 333 Zur unterschiedlichen Interpretation zentraler Begriffe (Nation, Selbstbestimmungsrecht, Europäische Friedensordnung) durch die unterschiedlichen Gruppen und

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Wilms reagierte auf diese Kritik unter anderem mit einern Leserbrief in der FAZ, in dem sie ihre Positionen und die der Bundesregierung nochmals klarstellte. 334 So erläuterte sie zum Zusammenhang von europäischer Integration und Wiedervereinigung: "Was ich gesagt habe [00'] ist, daß nach Lage der Dinge die deutsche Teilung nur im Zuge der Überwindung der Teilung Europas überwunden werden kann. Die 'Lage der Dinge' habe ich im Zusammenhang eingehend erörtert: Dazu gehört unsere Definition der deutschen Frage in ihrem Kern als Freiheitsfrage. Dazu gehört ebenso die bedauerliche Tatsache, daß die Sowjetunion ihr Imperium bis an die Eibe ausgedehnt und ihr politisches System einem Teil des deutschen Volkes aufgezwungen hat. So stellt sich aus meiner Sicht das Normative und Faktische dar. Die Konzeption der Bundesregierung, nach der sie handelt und die sie in ihren Regierungserklärungen wiederholt ausführlich dargelegt hat, berücksichtigt dies. Diejenigen, die der Bundesregierung unterstellen, sie habe keine Konzeption, meinen in Wahrheit, sie habe die falsche und diese müsse durch eine andere ersetzt werden.,,335

Verhärtung der innenpolitischen Lage in der DDR Am 17. Januar 1988 karn es in der DDR im Rahmen von Gedenkdemonstrationen an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zur Verhaftung von Mitgliedern unabhängiger Menschenrechts- und Friedensgruppen. Mitglieder der Zionsgemeinde wurden Anfang März zu Freiheitsstrafen verurteilt. 336 Eine geplante Reise der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und BerIinfragen der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages in die DDR wurde seitens der DDR abgesagt. 337

Ungenügende Einbindung der Unionsfraktion in politische Entscheidungen Schon längere Zeit rumorte es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. So war es aus verschiedenen - vor allem haushalts- und finanzpolitischen - Gründen immer wieder zu Unmutsäußerungen der Fraktion gekommen. Unzufriedenheit

Akteure innerhalb der Union vgl. die detaillierte Darstellung von Zimmer: Nationales Interesse und Staatsräson, S. 85-107. 334 Vgl. Dorothee Wilms: Lösung der deutschen Frage nicht im Alleingang, in: FAZ, 2.2.1988; ergänzend "Frau Wilms wehrt sich gegen Kritik an ihrer Rede", in: Die Welt, 1.2.1988. 335 Dorothee Wilms: Lösung der deutschen Frage nicht im Alleingang, in: FAZ, 2.2.1988. 336 Vgl. zur Entwicklung und den Hintergründen umfassend Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission, Bd. VII, 1 u. 2. 337 Ergänzend Niederschrift über Gespräch Honecker-Rühe am 28.4.1988 in OstBerlin, in: SAPMO-BArch, DY 30/J IV/925, Bestand Erich Honecker.

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mit der Einbindung der Fraktion in die Regierungspolitik, mit dem Maß der Unterrichtung durch die Bundesregierung, aber auch mit der Führungsleistung des Fraktionsvorstandes, insbesondere des Fraktionsvorsitzenden, hatten sich breit. gemacht. 338

In diese komplizierte Gesamtlage fiel die Veröffentlichung des Kommissionspapieres, das schnell - obwohl er keineswegs der Alleinautor war - zum Geißler-Papier reduziert wurde. Von verschiedenen Seiten wurde dieser Entwurf unmittelbar kritisiert, wie nachfolgend dargestellt wird. Kritik am Kommissionsentwurj aus Partei und Unionsfraktion

Unmittelbare Kritik mußte sich Geißler von seinem Parteivorsitzenden anhören. Aufgeschreckt durch den Wellenschlag, den das Kommissionspapier erzeugte,339 sah Kohl den deutschlandpolitischen Konsens in den Unionsparteien gefährdet und negative Auswirkungen auf die Stammwählerschaft am Horizont aufziehen. 340 Während der CDU-Parteichef damit vor allem die machtpolitischen Konsequenzen der Kommissionsarbeit im Blick hatte, setzte man sich anderen Orts in der CDU und der Unions fraktion detailliert mit den Inhalten des Papiers auseinander. Die Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beriet am 1. und 8. März 1987 über den Entwurf der Parteitagskommission. Ausgehend von den Vorschlägen der konservativen Unionspolitiker Wemer und Lummer,341 übermittelte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen, Lintner, dem Vorsitzenden der Kommission Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik, Geißler, im Namen der Unionsfraktion Kritik und Änderungswünsche am Entwurfspapier. 342 Dazu zählten: 343

338 Vgl. Heinz-Peter Finke: Um das Bundeskanzleramt schwelt ein Flächenbrand, in: Stuttgarter Zeitung, 4.2.1988. 339 Vgl. dazu auch Reitz: Wolfgang Schäuble, S. 317 ff. 340 Nachdem Kohl die Tragweite des Papiers überblickt hatte, machte er seine Ablehnung des Papiers im Präsidium unverhohlen deutlich und setzte alles daran, den Fehler zu korrigieren. Vgl. dazu Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. Zur Reaktion Kohls vgl. auch "Neue Streitkultur", in: Der Spiegel, Nr. 8., 22.2.1988, S. 2226, hier S. 22. 341 Dazu auch Interview mit Heinrich Lummer im DLF v. 10.3.1988, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 11.3.1988. 342 Ein Durchschlag ging an den Vorsitzenden des mittlerweile neugegründeten Bundesfachausschusses Deutschlandpolitik der CDU, Hennig (vgl. zu den Details weiter unten im Abschnitt "Überarbeitung des Programmentwurfs durch eine neugegründete Kommission"). Lintner konnte sich dabei der Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden sicher sein, der ebenfalls Verbesserung im Kommissionsentwurf angemahnt hatte. Vgl.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Die "nationalstaatliche Option für die Wiedervereinigung darf nicht fallengelassen werden und muß gleichberechtigt neben der europäischen Option stehen". - Keine Relativierung des Bekenntnisses des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen dadurch, "daß den europäischen Nachbarvölkem gewissermaßen ein Vetorecht" bei dem Ziel der Herstellung der deutschen Einheit eingeräumt werde. - Der Terminus der Wiedervereinigung, der auch vom Bundesverfassungsgericht gebraucht wurde, solle als "zentraler Begriff' in den Entwurf Eingang finden. - Betonung der Rechtslage Deutschlands "mit Bezug auf die Grenzen vom 31.12.1937 muß deutlich zum Ausdruck gebracht werden". Eine Formulierung "ohne ausdrücklichen Bezug auch auf die deutschen Ostgebiete erscheint unzulänglich" . - Weiterhin wurde der ausdrückliche Verweis auf das Londoner-Protokoll von 1944 sowie die Berliner-Erklärung von 1945 im Entwurfspapier der Kommission ebenso vermißt wie die nachhaltige Bezeichnung und Betonung des Harmel-Berichts als "weiterhin unverzichtbare Grundlage unserer Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik" . An anderer Stelle im Brief hatte Lintner seine Position zur Einheit Deutschlands unter der Prämisse einer Zustimmung der Nachbarn in Ost und West ebenfalls deutlich formuliert und das Kommissionspapier in diesem Punkt kritisiert. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion markierte seinen Standpunkt deutlich: "Es muß z. B. unmißverständlich klargestellt werden, daß mit der Formulierung 'Das Ziel der Einheit ist von den Deutschen nur mit Einverständnis ihrer Nachbarn in West und Ost zu erreichen' keine Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts einhergeht und fIlr das deutsche Volk keinen Verzicht auf eine nationalstaatliehe Option bedeutet. Das Selbstbestimmungsrecht ist das natürliche Recht eines jeden Volkes. Es bedarf nicht erst der Zustimmung anderer Völker oder Staaten.,,344

Die Positionen vieler Kritiker brachte in seiner Stellungnahme zum Kommissionsentwurf der Berliner Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten, "CDUlDeutschlandpolitik. Dregger wünscht bessere Formulierungen", in: DpaPressemeldung, dpa 235, bas 287 4, pi 208, 8.3.1988. 343 Nachfolgende Ausfllhrungen und wörtliche Wiedergaben nach: "Fraktion mahnt zu Änderung des CDU-Papiers", in: Die Welt, 10.3.1988; ergänzend Interview mit Eduard Lintner im DLF v. 17.3.1988, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.3.1988. 344 CSU-Landesgruppe: Nachrichten aus der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Nr. 47, 1988; dazu auch Lintners Ausfllhrungen zum Entwurfspapier im Bayernkurier. Eduard Lintner: Papier mit Mängeln, in: Bayernkurier, 27.2.1988.

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Rupert Scholz, auf den Punkt. Er wies auf die seiner Ansicht nach in dem Diskussionspapier mangelhafte Unterscheidung zwischen der normativen Ebene der Deutschlandpolitik und den damit einhergehenden unverrückbaren Grundpositionen auf der einen Seite sowie den Erfordernissen einer operativen Deutschlandpolitik auf der anderen Seite hin. 345 Er unterschied subtil: "Wenn Deutschlandpolitik sich [... ] heute vor allem angesichts der Gegebenheiten als operative Politik zur Milderung der Teilungsfolgen verstehen muß, so darf dies nicht zum auch normativ ausschließlichen Auftrag der Deutschlandpolitik werden. Deutschlandpolitik darf sich nicht in ihr Gegenteil verkehren, indem sie ihre eigentlichen normativen Positionen - Wiedervereinigung, Aufrechterhaltung der nationalen Option, Auftrag auch zur staatlichen Wiedervereinigung der Deutschen - aufgibt. In dem bisherigen Kommissionspapier liegen die Probleme vor allem darin, daß nicht hinreichend zwischen normativem und operativem Teil unterschieden wird.,,346

Am Beispiel des im Kommissionspapier proklamierten Einverständnisses der Nachbarn bei der Herstellung der deutschen Einheit verdeutlichte er seine Gedankengänge: "Dies ist politisch wie normativ falsch. Ein normatives Mitbestimmungsrecht der Nachbarn gibt es nicht. Operativ aber mag man davon sprechen, daß es für unsere Deutschlandpolitik nützlich ist, wenn sich alle unsere Nachbarn mit für das Ziel der Wiedervereinigung einsetzen. Dies ist aber eine operative Komponente, keine normative".347

Auch am Untertitel des Kommissionspapiers "Christlich-demokratische Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik" sowie seinem inhaltlichen Aufbau störte sich Scholz. Er forderte nicht nur eine größere Transparenz des Zusammenhangs zwischen Deutschland- und Sicherheitspolitik,348 sondern verlangte zudem: "Über die Zusammenhänge von Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik, insbesondere über den Stellenwert der deutschen Frage im Gesamtpapier, muß auf dem Parteitag meines Erachtens noch diskutiert werden. Er muß darüber entscheiden, weil diese Zusammenhänge implizite Prioritätensetzungen bedeuten können, das heißt, weil damit eine Aussage darüber gemacht wird, was als politisches Ziel für die CDU Vorrang hat. ,,349

345 Vgl. die Ausführungen von Scholz in: Karl Feldmeyer: "Über Prioritäten muß noch diskutiert werden", in: FAZ, 24.3.1988; dazu auch Hermann Rudolph: Ein Streit auf unsicherem Boden, in: SZ, 9.4.1988. 346 Scholz zitiert nach: Karl Feldmeyer: "Über Prioritäten muß noch diskutiert werden", in: FAZ: 24.3.1988. 347 Ebd. 348 Er forderte in diesem Zusammenhang ein Festhalten am Harmel-Bericht als dem zentralen Nato-Dokument im CDU-Programmpapier, vgl. ebd. 349 Scholz zitiert nach: Ebd. Eine ähnliche Diskussion gab es innerhalb der CDU bereits während der Erarbeitung des Grundsatzprogramms von 1978. Damals hatte ein Bundesparteitag den Entwurf, den eine Kommission unter Vorsitz Richard von Weiz-

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Auch Kohls "erster und Konrad Adenauers letzter Deutschlandminister,,350 und Mitglied des Deutschen Bundestages, Rainer Barzel, teilte dem Bundeskanzler telephonisch über Teltschik die Bitte mit, "diesen Antrag nicht weiter zu verfolgen.,,351 Zudem telegraphierte er "an Herrn Dregger, unseren Fraktionsvorsitzenden, der Antrag sei wegen Abkehr von der Verfassung unannehmbar.,,352 Sein "Entsetzen"353 über den programmatischen Antrag der CDU, "in dem von Wiedervereinigung354 nicht mehr die Rede ist,,355, legte er dem Kanzler in einer aus 11 Punkten bestehenden Anlage 356 zum Brief vom 20.2.1988 dar. Ausgehend von der These, daß "weder Notwendigkeit noch Anlaß [bestehtld. Verf.], unsere Deutschlandpolitik neu zu formulieren"m, setzte er sich kritisch mit dem Kommissionsentwurf auseinander. 358

Beschwichtigung und Rechtfertigung durch Dregger, Kohl und Geißler vor der Unionsfraktion

Dregger und Kohl mußten in der Fraktionssitzung am 23. Februar 1988 die Unionsabgeordneten beruhigen. Der Vorsitzende der Unionsfraktion versuchte zu vermitteln, indem er zunächst denjenigen Recht gab, die an dem Entwurfspapier "einiges für korrekturbedürftig,,359 hielten. Dabei war es für ihn selbstverständlich, daß in der weiteren Diskussionsphase und an möglichen

säckers erarbeitet hatte, präzisiert. In dem schließlich beschlossenen Grundsatzprogramm wurden Aussagen zur Deutschlandpolitik vor die Kapitel zur Europa-, Sicherheits- und Ostpolitik gerückt. So wurde die Übewindung der deutschen Teilung schließlich als erstes von mehreren Hauptzielen der Deutschland- und Außenpolitik genannt. Damals hatte man sich schließlich darauf verständigt, das entsprechende Kapitel folgendermaßen einzuleiten: "Freiheit und Einheit für das gesamte deutsche Volk zu erringen, ist Aufgabe der deutschen Politik." Zu den CDU-Programmen vgl. Peter Hintze (Hrsg.): Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben, Bonn 1995. 350 So Rainer Barzel in einem Brief an Herrn Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vom 20.2.1988, abgedruckt in: Rainer Barzel: So nicht! Für eine bessere Politik in Deutschland, Düsseldorf/Wien 1994, S. 63 f. 351 Ebd. 352 Ebd. 353 Ebd. 354 Allerdings war in keinem der Grundsatzprogramme der CDU der Begriff der Wiedervereinigung bisher enthalten gewesen. 355 Barzel: So nicht! Für eine bessere Politik in Deutschland, S. 63 f. 356 Abgedruckt ebd., S. 65-70. 357 Ebd., S. 65. 358 Seine deutschlandpolitische Kritik zielte dabei auf die Ziffern 12, 39, 40, 42, 45, 47,51,56,57 des Kommissionsentwurfes; im einzelnen vgl. ebd. S. 65-70. 359 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion (Hrsg.): Pressedienst, 23.2.1988.

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Korrekturarbeiten auch Mitglieder der Arbeitsgruppen der Unionsfraktion teilnehmen sollten. 36o Dies war eine Einbindung, die bisher nicht stattgefunden hatte. In diesem Zusammenhang betonte er, daß das vorliegende Papier zunächst ausschließlich die Meinung der Kommission und noch nicht die der CDU wiedergebe. 361 Außerdem führte er, zum einen explizit an die Kritiker des Entwurfspapieres in der Unionsfraktion gerichtet und zum anderen aber auch implizit auf die Kritik an der Pariser Wilms-Rede gemünzt, aus: "Ich erkläre in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler: Wir geben in der Deutschlandpolitik keine einzige Position auf. Kein Nachbar erhält ein Vetorecht im Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung; das hat auch der Verfasser des Kommissionsentwurfs nicht gemeint und nicht gewollt. Die Überwindung der deutschen Teilung wird nicht als Aufgabe an die Geschichte abgegeben, sie bleibt eine ständiße aktuelle Aufgabe. Alles, was wir in der Deutschlandpolitik tun, dient diesem Ziel." 2

Kohl relativierte in derselben Sitzung die Bedeutung des Papieres ebenfalls und sicherte den Abgeordneten eine Mitwirkung bei der weiteren Formulierung des Papiers zu: "Hier wird nichts 'eingesegnet'. Und ich muß Ihnen ganz offen sagen: Ich denke nicht daran, das ist keine Abkehr, mich mit einem Kommissionspapier zu identifizieren, das erst noch beraten wird. [... ] Dies ist ein Papier, das jetzt entstanden ist in der Kommission; da gibt es diesen oder jenen Punkt. Sie werden in dem Entwurf des Vorstandsbeschlusses zum Parteitag mit Sicherheit eine Handschrift wiederfinden, die Sie erstens kennen, und zweitens, wo Sie unterschreiben können.,,363

Seine Relativierungen bezogen sich allerdings nur auf den Hinweis, daß es sich bei dem Papier um einen diskussionswürdigen Entwurf handele, nicht aber auf inhaltliche Aspekte. Hier hielt sich der Bundeskanzler und Parteivorsitzende bedeckt. 364 Geißler verteidigte im Gegenzug den Entwurf der von ihm geleiteten Kommission und wies im Gegensatz zu Kohls Ausführungen in der Fraktion sehr wohl auf die Einbindung des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers hin. Er habe "in mehrstündigen Gesprächen mit dem Bundeskanzler Seite für Sei-

360 Ebd. 361 Vgl. ebd. 362 Dregger zitiert nach: Ebd. 363 Kohl in der Fraktionssitzung vom 23.2.1988, zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 403. Da sich die Wogen nur langsam glätteten, mußte Kohl in der Fraktionssitzung vom 12. April nochmals die Abgeordneten beruhigen: Er versicherte ihnen, daß der Leitantrag für den Bundesparteitag "all unseren Ansprüchen und unserer Tradition entspricht. Wir setzen hier die Linie der Politik seit der Zeit Konrad Adenauers fort - wobei ich [... ] den Gegensatz, hier europäische Integration, dort Einheit der Nation nicht so empfinde." Kohl zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 407. 364 Vgl. dazu Korte: Deutschlandpolitik, S. 403 f.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

te,,365 den Entwurf durchgearbeitet. 366 Über den Entwurf und die gewählten Formulierungen habe zudem in der Programmkommission Einigkeit geherrscht. Auf die Verwendung des Begriffes der Wiedervereinigung367 beispielsweise sei bewußt verzichtet worden. 368 Man erachtete die Formulierung des Grundgesetzes "die nationale und staatliche Einheit zu wahren" für adäquater. 369 Bewußt wollte man mit dem Begriff der Wiedervereinigung einhergehende Assoziationen, "daß etwas Vergangenes restauriert werden SOll,,370, vermeiden. An anderer Stelle wies auch der deutschlandpolitische Referent der CDUParteizentrale, Wolf-Rüdiger Baumann, darauf hin, daß zum einen nichts in dem Papier stehe, was nicht längst Bestandteil der CDU-Politik sei, und zum anderen, daß man sich dabei auf Aussagen beziehe, die der Bundeskanzler zumindest in ähnlicher Form in der Vergangenheit gemacht habe. 371 Darin lag 365 Geißler zitiert nach: "Kohls deutschlandpolitische Handschrift", in: Der Spiegel, Nr. 12,21.3.1988, S. 16. 366 Vgl. auch Heiner Geißler im Gespräch, S. 232; Korte weist darauf hin, daß sich Kohl nach einer Vorprüfung des Entwurfs durch sein Redenschreiberteam, das zum deutschlandpolitischen Teil nichts beanstandete, nur oberflächlich mit dem Antrag beschäftigt hatte. Vgl. Korte: Deutschlandpolitik, S. 401. Welche der Versionen der Wirklichkeit entspricht, ist letztlich sekundär. Festzuhalten bleibt, daß Kohl die kritischen Formulierungen kannte. Da er aber vor der Veröffentlichung des Papieres nicht intervenierte, liegt der Schluß nahe, daß Kohl die deutschlandpolitische Wirkung des Antragspapieres schlichtweg falsch einschätzte bzw. unterschätzte. Ähnlich Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 367 Es ist Jäger in diesem Zusammenhang zuzustimmen, wenn er feststellt, daß es in der gesamten Debatte um den Begriff der Wiedervereinigung "nicht um die Alternative 'Apologie' der deutschen Teilung oder Festhalten am Ziel der staatlichen Wiedervereinigung, sondern um die Frage, wie realistisch das Ziel der staatlichen Wiedervereinigung sein könnte", ging. Jäger: Deutschlandpolitik der CDU/CSUIFDP-Koalition, S. 1596. Zur Gegenposition Hacker: Deutsche Irrtümer, S. 188. Zur Diskussion auch Roos: Das Wiedervereinigungskonzept des Grundgesetzes, S. 177 f. 368 Damit befanden sich Geißler und die Programmkommission zudem auf sicherem Terrain. In keinem Grundsatzprogramm in der Geschichte der CDU hatte diese Formulierung bis dato Verwendung gefunden. 369 Zum Hintergrund Heiner Geißler im Gespräch, S. 232; vgl. auch den Brief von Dr. Heiner Geißler, MdB, an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages v. 10.11.1993 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 370 Heiner Geißler im Gespräch, S. 232. 371 Vgl. Hans Krump: Im Deutschland-Disput streiten drei Parteien, in: Die Welt, 19.3.1988; auch Heiner Geißler im Gespräch, S. 230. Während Kohl selbst zu diesen Aussagen bezeichnenderweise immer geschwiegen hatte, erhielt er von anderer Seite offensive Schützenhilfe. So hatte der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Herbert Czaja, sich gegen eine derartige "Einvernahme" des Kanzlers gewehrt und darauf hingewiesen, daß Kohl beispielsweise das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen während des Honecker-Besuchs deutlicher formuliert habe, als dies nun im Kommissionspapier der Fall sei. Vgl. Hans Krump: Im Deutschland-Disput streiten drei Parteien, in: Die Welt, 19.3.1988.

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aber gerade auch ein Teil der Crux des Antragspapiers. In der Tat waren die Übereinstimmungen zwischen dem Entwurf der Parteitagskommission und bisherigen programmatischen Aussagen der CDU sowie Äußerungen und Reden des Bundeskanzlers hoch. 372 Die Diskussionen um den Entwurf beruhten damit zu einem guten Teil auf einem Wahmehmungsproblem, das "auf Mißverständnissen, auf fehlender genauer Lektüre oder auch auf Ahnungslosigkeit bezüglich vorhergehender Grundsatzpapiere beruhte",373 und hatte zum zweiten ein ausgeprägtes psychologisches Moment. Dieses lag darin, daß die Kommission in ihrem Entwurfspapier nunmehr das an Regierungspolitik und -reden programmatisch faßte, was viele CDU-Anhänger in den zurückliegenden Jahren als einen von einer - wie sie glaubten - festgefügten programmatischen Basis abgeleiteten deutschlandpolitischen Pragmatismus374 hingenommen hatten. Geißler und die von ihm geleitete Programmkommission "Außen-, Sicherheits, Europa- und Deutschlandpolitik" zur Vorbereitung des Wiesbadener Parteitags hatten sich vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die deutschlandpolitischen Aspekte des zu erstellenden Entwurfpapiers in einer schwierigen Situation befunden. Schwierig deshalb, weil es weniger darum ging - wie allerdings offiziell verkündet -, Perspektiven für die neunziger Jahre zu entwikkeIn als vielmehr die Partei auch programmatisch auf den von der Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren beschrittenen deutschlandpolitischen Weg zu führen. 375 Denn: "In der Deutschlandpolitik war die Regierung gegenüber der CDU zum Vorreiter geworden.,,376 Dieser Problem lage war sich Bundeskanzler Kohl - zumindest im nachhinein - bewußt. Er führte in diesem Zusammenhang aus: "Es gab einen Unterschied. Das eine waren Reden und das andere war ein Parteidokument. Und das war auch das Ärgernis. [... ) es ist ein großer Unterschied, ob Sie eine Sache in der Diskussion sagen oder in einer Rede vortragen, oder ob Sie 800 Delegierte auffordern, die Hand zu heben und darüber abzustimmen."m

372 Im Detail nachgewiesen bei Korte: Deutschlandpolitik, S. 401 ff. Vgl. auch "Kohls deutschlandpolitische Handschrift, in: Der Spiegel, Nr. 12, 21.3.1988, S. 16. 373 Korte: Deutschlandpolitik, S. 402; ergänzend Hermann Rudolph: Ein Streit auf unsicherem Boden, in: SZ, 9.4.1988. 374 Ein deutschlandpolitischer Pragmatismus, der der CDU in der FAZ den überzogenen Vorwurf der Käuflichkeit einbrachte. Vgl. "Deutschland aus dem Sinn", in: FAZ, 16.2.1988; zum Pragmatismus der CDU auch Martin Winter: Ein ostpolitisches Godesberg auf Raten, in: FR, 19.2.1988. 375 Dazu Heiner Geißler im Gespräch, S. 229, 231. 376 Heiner Geißler im Gespräch, S. 230. 371 Kohl zitiert nach: Korte: Deutschlandpolitik, S. 404. Diese Differenzierung zwischen Regierungsrede einerseits und Parteidokument andererseits erklärt auch die in ihrer Heftigkeit unterschiedlichen Reaktionen auf die Pariser-Rede von Wilms und das Entwurfspapier der Kommission zur Vorbereitung des Parteitags.

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Besonders deutlich wurde dieses psychologische Moment während des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland 1987, der, wie Geißler anmerkte, "große Auswirkungen auf die Seelenlage vieler eDU-Anhänger hatte [... ] Die Zeremonien, die Fahne und die Hymne der DDR im Hof des Kanzleramtes waren abends im Fernsehen zu sehen und zu hören. Viele unserer Parteimitglieder [... ] konnten dies kaum aushalten. [... ] Viele Leute habe das Ganze nur deswegen ertragen, weil diese Fernsehbilder zwar vor ihren Augen auftauchten, aber dann auch wieder verschwanden. [... ] Das psychologische Problem bestand darin, daß viele das, was sie im Fernsehen erlebt hatten, nicht auch noch schriftlich als Parteitagsbeschluß haben wollten.'.J78

Daß man dennoch in der Programmkommission diese Situation und Stimmung innerhalb der CDU unterschätzte, zeigten nicht zuletzt Stellungnahmen des Kommissionsmitgliedes und Leiters der Abteilung 2 im Bundeskanzleramt, Teltschik. Er bewertete das Papier zunächst grundsätzlich als Ausdruck einer politischen Linie der Regierung, durch eine enge sicherheitspolitische und wirtschaftliche Verknüpfung der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich und dem weiteren Ausbau der europäischen Integration einer Auflösung der Westbindung und einem deutschen Sonderweg entgegenzuwirken. 379 Weiter führte er aus, daß die Kommission ihren Entwurf unter der Berücksichtigung von Regierungserklärungen, Berichten zur Lage der Nation und anderen amtlichen Dokumenten erstellt habe. Zentrale Inhalte des Deutschlandvertrages und der Ostverträge seien ebenso wie Urteile des Bundesverfassungsgerichts "peinlich genau beachtet worden".38o Gleichzeitig hob Teltschik hervor, daß in dem Entwurf klargestellt werde, daß die CDU Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenrechten Vorrang vor einer territorialen Einheit der beiden deutschen Staaten einräume. Entsprechend komme es darauf an, für die Ostdeutschen die Menschenrechte und Freiheit zu erreichen. Vor diesem Hintergrund könne dann auf der Basis von Selbstbestimmung die territoriale Einheit angestrebt werden. 381 Insgesamt kam er zur Bewertung: "Das Papier enthält nichts sensationelles Neues.,,382 So bewertete es auch Karl Lamers, einer der Mitautoren und der einzige aus der Kommission, der - nachdem Kritik laut geworden war, - neben Geißler auch weiterhin das Papier nach außen verteidigte. In einer Replik auf die kritische Stellungnahme des Hamburger Professors Seiffert zum

378 Heiner Geißler im Gespräch, S. 230 f. 379 Vgl. "Die eDU versichert: Kein Abrücken vom Ziel der Wiedervereinigung", in: FAl, 16.2.1988. 380 Teltschik zitiert nach: Ebd. 381 Vgl. ebd. 382 TeItschik zitiert nach: Ebd.

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Kommissionsentwurr 83 erläuterte er dezidiert Inhalt und Formulierungen des Papiers der CDU-Programmkommission. 384 Er relativierte - wie auch schon Geißler und Teltschik zuvor - den Neuigkeitswert des Entwurfs. "Der Entwurf ist eine sich in den Kernaussagen auf Worte des Bundeskanzlers stützende Beschreibung der Politik. Er bleibt nicht dahinter zurück, er geht nicht darüber hinaus. Er will auch keine 'neue Phase der DeutschlandJ:!olitik' einleiten, wie Seiffert mutmaßt, sondern die derzeitige konsequent fortsetzen.,,385

Überarbeitung des Programmentwurfs durch eine neugegründete Kommission CDU, Unions fraktion und Bundesregierung hatten sich im Vorfeld des Bundesparteitags in eine komplexe Situation manövriert. Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Kohl konnte das vorliegende Entwurfspapier inhaltlich nicht substantiell kritisieren, da in ihm bisherige Regierungspolitik in programmatische Formen gegossen worden war. Zugleich mußte er das deutliche Protestpotential in der Fraktion besänftigen, ohne dabei jedoch die CDU und die in ihrem Auftrag arbeitende Kommission zur Vorbereitung des Parteitags allzu offensichtlich zu desavouieren. Zumal die übrigen Aussagen des von der Kommission erarbeiteten Papiers zur Außen-, Sicherheits- und Europapolitik keine nennenswerten Kontroversen ausgelöst hatten. 386 Vor diesem Hintergrund arrangierte der Parteivorsitzende in einer Sitzung des Bundesvorstandes im Februar 1987 die Aufteilung des schon bestehenden Bundesfachausschusses Außen- und Deutschlandpolitik387 in den Bundesfachausschuß Außenpolitik und in den Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik. Der letztgenannte Ausschuß konstituierte sich unter der Federfiihrung von CDU-Generalsekretär Geißler am 3. März 1988. Mit der Einrichtung dieses Bundesfachausschusses wurde nicht nur ein neues Gremium zur deutschlandpolitischen Konfliktbereinigung geschaffen, sondern durch die Parteifiihrung die Bedeutung unterstrichen, die man in der CDU der Deutschlandpolitk auch künftig beimessen wollte. 388 Der 383 Vgl. Wolfgang Seiffert: CDU-Orientierung für morgen. Sie wollen die Einheit nicht, in: Rheinischer Merkur/Christ und Welt, 8.4.1988. 384 Vgl. zu den Details Karl Lamers: Die Nation muß erfahrbar bleiben, in: Rheinischer Merkur/Christ und Welt, 15.4.1988. 385 Ebd. Hier wird der oben bereits anklingende Befund deutlich: Die Kommission hatte ganz offensichtlich den Versuch unternommen, Regierungspolitik programmatisch durch einen Parteibeschluß nachträglich und für künftige Schritte abzusichern. 386 Vgl. dazu auch "Geißler dringt auf neues militärpolitisches Konzept der Nato", in: FAZ, 19.2.1988. 387 Der Vorsitz lag bei Volker Rühe, seine Vertreter waren Werner Weidenfeld und Elmar Brok. 388 Vgl. auch die Pressemitteilung der CDU v. 3.3.1988 zur Konstituierung des Bundesfachausschusses.

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Bundesfachausschuß übernahm eine Beraterfunktion rür den Bundesvorstand. 389 Als Vorsitzender des 32 Personen umfassenden Ausschusses wurde mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium, Hennig, einer der heftigsten Kritiker des Kommissionspapiers eingebunden. Zu Stellvertretern wurden der Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer - er war auch Mitglied der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der Unionsfraktion - sowie Jürgen Quensell, Mitglied des Bundesvorstandes der Jungen Union, gewählt. 390 Dem Ausschuß gehörte mit dem Berliner Senator Rupert Scholz zudem ein weiterer Hauptkritiker des Papiers an. Diesem neuen Fachausschuß wurde die Überarbeitung des kritisierten Papiers der Parteitagskommission übertragen. 391 Diese wurde während der konstituierenden Sitzung am 3. März - hier gab es bereits über 30 Wortmeldungen zum Diskussionspapier392 - und weiteren Treffen am 21. und 28. März vorgenommen. 393 Für das Treffen am 21. März legte Hennig dem Bundesfachausschuß eine von ihm überarbeitete Version des Ursprungspapiers vor. 394 In diesem Entwurf wurde das deutschlandpolitische Kapitel mit einem Zitat Adenauers eingeleitet. 395 Diesem Zitat schloß sich ein expliziter Verweis auf den Deutschlandvertrag von 1954 und den Harmel-Bericht von 1967 an. Dieser Hinweis wurde im Verlauf der Arbeit des Bundesfachausschusses nicht weiter berücksichtigt. Ebenfalls nicht weiter verfolgt wurde der Vorschlag Hennigs, die vom Parlamentarischen Rat mit der Präambel des Grundgesetzes verfolgte Intention in

389 Zu den Aufgaben des neuen Bundesfachausschusses vgl. die Ausführungen von Hennig in: Pressemitteilung der CDU v. 22.3.1988. 390 Zum Geschäftsführer des Ausschusses wurde Dr. Wolf-Rüdiger Baumann, der für die Deutschlandpolitik zuständige Referent in der CDU-Parteizentrale, benannt. Damit war zugleich sichergestellt, daß Geißler, der dem Bundesfachausschuß nicht angehörte, über die Entwicklungen dort informiert blieb. 391 Zur Arbeit des Fachausschusses Deutschlandpolitik vgl. auch "Korrigierter Geißler", in: FAZ, 23.3.1988. 392 Vgl. Pressemitteilung der CDU v. 22.3.1988. 393 Korte führt an, daß auch hier wieder Mitarbeiter aus der Regierungszentrale involviert waren. Sie hatten den konkreten Auftrag, dafür Sorge zu tragen, daß die vorgebrachte Kritik am ersten Entwurf eingearbeitet wurde. Korte: Deutschlandpolitik, S. 407. 394 Vgl. "Vorschlag Dr. Hennig für den Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik der CDU", 21.3.1988 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 395 "Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit war und ist das vordringlichste Ziel unserer Politik [... ] Auf uns allein gestellt, würden wir nichts erreichen, mit dem Westen vereinigt, würden wir [... ] unsere Freiheit behalten und die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit im Lauf der Zeit verwirklichen" Vgl. ebd.

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den Entwurf aufzunehmen, nach der die "Einheit und Freiheit Deutschlands" in freier Selbstbestimmung zu vollenden sei. 396 Hennig schlug zudem die Einfügung einer Passage vor, die einen Ausgleich zwischen Selbstbestimmungsrecht der Deutschen und der Mitwirkung der Nachbarn bei der Herstellung der Einheit bilden sollte. Folgendermaßen sollte formuliert werden: "Wir bemühen uns um das Einverständnis und die Unterstützung unserer Nachbarn in West und Ost für unser Ziel, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.,,397 Im Verlauf der Arbeit wurde diese Formulierung weiter abgeschwächt. U. a. wurde aus Einverständnis Verständnis. Gleichzeitig wurde auf die Einbettung der Lösung der deutschen Frage in einen europäischen Rahmen verwiesen. 398 Damit war den Interessen sowohl der konservativen Kreise als auch denen der "realpolitischen Europäer" innerhalb der CDU und der Unionsfraktion Rechnung getragen. Die von Lintner, Lummer u. a. geforderten Hinweise auf das Londoner Protokoll von 1944, die Berliner Erklärung und das Potsdamer Abkommen hatte Hennig zwar in seinem Überarbeitungsvorschlag berücksichtigt. Sie fanden aber letztlich ebensowenig Eingang in den Leitantrag für den Bundesparteitag wie der nachfolgende Formulierungsvorschlag Hennigs: "Der Bundesvorstand und der Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik der CDU sowie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sollten auch in Zukunft immer wieder konkrete mögliche Schritte aktiver Deutschlandpolitik erarbeiten und vorschlagen, damit jede vernünftige Chance zur Überwindung der Teilung Deutschlands genutzt wird.,,399 Während der Arbeit des Bundesfachausschusses konnten sich vor allem die Vertriebenenpolitiker mit ausführlichen Passagen im Entwurfspapier durchsetzen. 4OO Außerdem wurde die von Hennig zunächst modifizierte Passage zur Aufnahme von Kontakten zwischen Volkskammer und Deutschem Bundestag in Gänze gestrichen. Insgesamt hatte der Leiter des Bundesfachausschusses Deutschlandpolitik, Hennig, eine Überarbeitung des ursprünglichen Papieres vorgelegt, die sein Bemühen zeigte, zum einen die Interessen der Bundesregierung und die politische Linie seines Ministeriums (BMB) zu berücksichtigen und zum anderen die 396 Es wurde vielmehr Bezug auf eine andere Stelle der Präambel genommen. Vgl. Endfassung "Unsere Verantwortung in der Welt", in: CDU-Dokumentation, Nr. 19, 1988. 397 "Vorschlag Dr. Hennig f1ir den Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik der CDU", 21.3.1988, S. 2 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 398 Zur Endfassung vgl. "Unsere Verantwortung in der Welt", in: CDUDokumentation, Nr. 19, 1988, S. 5. 399 "Vorschlag Dr. Hennig f1ir den Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik der CDU", 21.3.1988, S. 4 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 400 Vgl. "Unsere Verantwortung in der Welt", in: CDU-Dokumentation, Nr. 19, 1988, S. 6 f. 19 Gros

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in der öffentlichen Diskussion benannten Kritikpunkte einzubauen. Allerdings war er bei letzterem eher zurückhaltend vorgegangen. Wesentliche Änderungen (Streichungen und Ergänzungen) wurden erst im Arbeitsprozeß des Bundesfachausschusses vorgenommen. Dies hatte rur Hennig als die in diesem Fall personifizierte Schnittstelle zwischen Regierung, Unionsfraktion und CDUParteiorganisation wiederum den Vorteil, daß er gegenüber der Regierung jeder Zeit auf das von den Mitgliedern des Bundesfachausschusses ausgehende Änderungspotential verweisen konnte, diesen wiederum aber durch seine Kooperation Kompromiß- und Konsensbereitschaft auch der Regierung signalisierte. Ausgehend von diesem überarbeiteten Papier Hennigs wurden die Mitglieder des Bundesfachausschusses vom Vorsitzenden des Gremiums aufgefordert, bis zur Sitzung am 28. März zu diesen Änderungsvorschlägen Stellung zu beziehen beziehungsweise weitere Vorschläge einzubringen. Diese sollten dann zusammengefaßt und dem Bundesvorstand präsentiert werden. 401 Die Ergebnisse dieser Arbeit legte der Bundesfachausschuß schließlich dem Präsidium der CDU während einer Sitzung in der zweiten April-Woche als neuen Leitantragsentwurf vor. Dieser wurde während der CDU-Präsidiumssitzung, zu der Kohl seinen damaligen Chef-Redenschreiber (Norbert Prill) sowie Teltschik aus dem Kanzleramt mitgebracht hatte,402 nochmals leicht modifiziert. Der ursprüngliche Entwurf war damit insgesamt an folgenden zentralen Stellen geändert worden: 403 - Im Titel erfolgte eine im Vergleich zur ursprünglichen Fassung deutliche Akzentuierung der Deutschlandpolitik, indem man dieses Thema an die erste Stelle in der Aufzählung der Politikfelder setzte. Der neue Titel lautete nunmehr: "Unsere Verantwortung in der Welt. Christlich-demokratische Perspektiven zur Deutschland-, Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik. ,,404 - War das Kapitel zur Deutschlandpolitik ursprünglich noch überschrieben mit "Mehr Begegnungen und Zusammenarbeit in Deutschland dienen der Freiheit und der Einheit", so wurde diese Formulierung geändert in: "In freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollenden." Damit wurde

401 Zum Prozedere "Geißlers Deutschland-Thesen vor Änderung, in: FAZ, 23.3.1988. 402 Darauf verweist Korte: Deutschlandpolitik, S. 407. 403 Dazu auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 407 f.; ergänzend "CDU legt Streit um Deutschlandpolitik bei", in: SZ, 19.4.1988; die Endfassung ist u. a. abgedruckt in: CDU-Dokumentation, Nr. 19, 1988. 404 Im Gegensatz zur ursprünglichen Version "Christlich-demokratische Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik" war auch die Entwicklungspolitik noch hinzugekommen.

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das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen auch gliederungstechnisch hervorgehoben. - Einem Vorschlag des Vorsitzenden des Bundesfachausschusses, Hennig, folgend,405 wurde die von verschiedenen Seiten erfolgte Mahnung - so auch vom Vorsitzenden der Unionsfraktion, Dregger, - nach der Aufnahme des Begriffs der Wiedervereinigung durch die Einbindung eines Adenauer-Zitats an prominenter Stelle des Parteidokuments realisiert. 406 - Aus der Formulierung "Die Einheit der deutschen Nation besteht fort" wurde "Deutschland besteht fort". Diese zunächst marginal erscheinende Änderung hatte ein tiefere inhaltliche Bedeutung. Sie zielte nicht nur auf die Einheit der Nation, sondern hatte auch eine unausgesprochene geographische Bedeutung und stellte damit eine verklausulierte Kompromißformel an die Adresse der Vertriebenen und Schlesier dar. - Es wurde explizit Bezug auf die Präambel des Grundgesetzes genommen. "Kern der Deutschlandpolitik der CDU bleibt [... ] 'die nationale und staatliche Einheit zu wahren' (Präambel des Grundgesetzes)." - Herausgenommen aus dem ursprünglichen Antrag wurde die Formulierung "das Ziel der Einheit ist von den Deutschen nur mit Einverständnis ihrer Nachbarn in West und Ost zu erreichen." Statt dessen wurde auf Vorschlag Geißlers nachfolgender Passus aufgenommen: "Wir brauchen rur die Verwirklichung des Rechts unseres Volkes auf Selbstbestimmung das Verständnis und die Unterstützung unserer Nachbarn und Freunde, worur im Rahmen einer aktiven Deutschlandpolitik stets geworben werden muß. Beides werden wir erreichen, wenn die Lösung der deutschen Frage in einen europäischen Rahmen eingebettet ist." Damit wurden normativen Forderungen in der CDU genauso entsprochen wie der faktischen politischen Lage in Europa. Gleichzeitig wurde die Frage der Prioritäten und Kausalitäten (europäische Einigung als Voraussetzung rur deutsche Einheit oder umgekehrt) mit Hilfe einer Komprornißformel offengelassen. - Die Autlistung der Grundlagen der Deutschlandpolitik der CDU wurde ergänzt um die Briefe zur deutschen Einheit und die Gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages von 1972. Aufgenommen wurde auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1987, das Stellung bezog zum Gebietsbestand des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937.

405 Vgl. auch Hacker: Deutsche Irrtümer, S. 188. 406 Mit der expliziten Aufnahme des Begriffes der Wiedervereinigung ging man auch

über das Grundsatzprogramm von 1978 hinaus. Dort wurde in Absatz 121 lediglich von "Überwindung der Teilung Deutschlands" gesprochen. Abdruck des Grundsatzprogramms in: Hintze (Hrsg.): Die CDU-Parteiprogramme, S. 160.

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- Der künftige operative deutschlandpolitische Spielraum der Regierung wurde durch folgenden Zusatz vorab programmatisch legitimiert: "Die CDU wird auch in Zukunft eine aktive Deutschlandpolitik verfolgen, deren Fundament der Einsatz rur das Selbstbestimmungsrecht und die Menschenrechte ist, um jede vernünftige Chance zur Überwindung der Teilung Deutschlands zu nutzen." Der letzte Halbsatz stellte damit eine Erweiterung des ersten Kommissionsentwurfes dar. - Ersatzlos gestrichen wurde die Formulierung aus dem früheren Diskussionspapier: "Die Lösung der deutschen Frage ist gegenwärtig nicht zu erreichen." - Neu aufgenommen wurden Forderungen rur die Verbesserung deutscher Minderheiten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Außerdem wurde die Verbundenheit mit den Deutschen betont, "die durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat in Mittel- und Ostdeutschland sowie im übrigen kommunistischen Machtbereich haben verlassen müssen." Damit wurden auch an dieser Stelle die Wünsche der "Vertriebenen-Pressure-groups" innerhalb der CDU verstärkt berücksichtigt. - Die ehemals getrennten Kapitel "Die zwischenmenschlichen Begegnungen ausweiten" und "Die Zusammenarbeit auf allen Ebenen ausbauen" wurden in dem prägnanter überschriebenen Kapitel "Den Zusammenhalt mit den Menschen in der DDR vertiefen" zusammengefaßt und inhaltlich gestrafft. Gestrichen wurden dabei u. a. die Ausfiihrungen zu Aufnahmen von Kontakten zwischen DDR-Volkskammer und dem Deutschen Bundestag, wie sie im ersten Kommissionsentwurf noch enthalten waren. Damit wurde einer Mehrheitsmeinung unter den Abgeordneten der Unionsfraktion entsprochen, die einer Kontaktaufnahme zwischen einer freigewählten Volksvertretung wie dem Deutschen Bundestag und dem Pseudo-Parlament der DDR skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden.407 Auf dieser Basis wurde dem CDU-Vorstand während seiner zweitägigen Klausurtagung am 17. und 18. April in Königswinter ein überarbeiteter und vom Präsidium der CDU bereits genehmigter Entwurf als Grundlage rur den Leitantrag zum Wiesbadener Parteitag vorgelegt. Der Antrag wurde

407 So z. B. auch der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Seiters. Vgl. Seiters im Gespräch mit dem Autor am I3 .3.1996; ergänzend Interview mit Eduard Lintner im DLF v. 17.3.1988, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 17.3.1988; Peter Heinacher: Die Beziehungen zur DDR Zug um Zug ausbauen. Gespräch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Ottfried Hennig, in: Handelsblatt, 21. I .1988; zum Hintergrund auch Hupka: Unruhiges Gewissen, S. 406.

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"einstimmig" angenommen und als Leitantrag filr den Bundesparteitag vom 13. bis 15. Juni verabschiedet. 408 Auf dem Parteitag selbst kam es zu keiner intensiven Diskussion der deutschlandpolitischen Passagen des Leitantrages mehr. Die Kontroversen hatten sich in weitgehende Harmonie aufgelöst. 409 Einwände und Forderungen des Delegierten Mayer-Vorfelder nach einer Konkretisierung des Harmel-Berichts und einer expliziten Bezugnahme auf den Gebietsstand des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31.12.1937 wurden vom Vorsitzenden des Bundesfachausschusses, Hennig, ebenso zurückgewiesen wie Vorschläge und Einwände der Delegierten Jäger, Schwarz u. a. 4 \O Der Leitantrag wurde vom Bundesparteitag in der vom Bundesvorstand vorgelegten Form schließlich angenommen und verabschiedet. 411

Zusammenfassung und Bewertung

- Die erste Phase der Erarbeitung eines Entwurfes zu außen-, sicherheits-, europa- und deutschlandpolitischen Perspektiven der CDU rur die neunziger Jahre wurde von einer vom Präsidium der CDU eingesetzten Programmkommission gestaltet. Ihr gehörten vorrangig filhrende Parteipolitiker, Mitglieder und Mitarbeiter der Bundesregierung und der CDU-Parteizentrale sowie wenige, zudem deutschlandpolitisch nur begrenzt profilierte Abgeordnete der Unionsfraktion an. Auf die Struktur bestehender Parteigremien (Bundesfachausschuß Außenpolitik und Deutschlandpolitik) wurde nicht zurückgegriffen. Deutschlandpolitischer Sachverstand der Unionsfraktion (Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen) oder von Interessenverbänden innerhalb der Union (Vertriebenenverbände etc.) blieb unberücksichtigt. Die Führung der Unionsfraktion war lediglich über einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden (Rühe) eingebunden. Die Phase der Problemdefinition war damit von einem Gremium bestimmt, das sich in erster Linie an der Schnittstelle von Parteifilhrung und Regierung ausgebildet hatte. Initiierungs- und Formulierungsprozeß des Programm entwurfs waren durch einen ausgewählten und eingegrenzten Personenkreis monopolisiert. - Ein zentraler Akteur im Hintergrund des gesamten Programmformulierungsprozesses war stets die Regierungszentrale um den Bundeskanzler. Kohl hatte 408 Zum Hintergrund "CDU legt Streit um Deutschlandpolitik bei", in: SZ, 19.4.1988; "Kohl mit geänderten Papieren zufrieden. Deutschlandpolitik sauberer formuliert", in: Die Welt, 18.4.1988. 409 Dazu auch Hermann Rudolph: Ein Streit auf unsicherem Boden, in: SZ, 9.4.1988. 410 Vgl. dazu CDU (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag 1988, S. 134-143. 411 Dazu ebd., S. 143.

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durch seine Deutschlandpolitik in den Vorjahren das Terrain und die Route der innerdeutschen Beziehungen abgesteckt und damit politische Führungsarbeit geleistet. Die Partei sollte hier nun programmatisch nachziehen. Entsprechend wurden mit Schäuble und Wilrns zunächst hochrangige deutschlandpolitische Regierungsakteure in die Programmarbeit eingebunden. Mit dem Beamten Teltschik war ein Mitarbeiter der Regierungszentrale und Vertrauter Kohls in den parteilichen Formulierungsprozeß einbezogen. Nicht die Partei formulierte das Programm der Regierung, sondern diese gab den Parteigremien die Rahmendaten der Agenda vor. Deutlich wurde dies nicht zuletzt an der Pariser Rede der innerdeutschen Ministerin. Die Inhalte waren weitgehend deckungsgleich mit denen des nur wenige Tage später vorgelegten Kommissionsentwurfs. Die Rede war ein letzter, allerdings, wie sich im nachhinein erwies, nicht funktionierender Akzeptanzindikator vor der Veröffentlichung des Kommissionspapieres. - Nach der Veröffentlichung der ersten Arbeitsergebnisse im Februar wurden in einer zweiten Phase Vertreter der Unionsfraktion zu bestimmenden Akteuren. Sie prägten mit ihren kritischen Beiträgen das Meinungs- und Diskussionsklima. Sowohl Parteiführungs- wie Regierungsmitglieder waren in der nun folgenden deutschlandpolitischen Debatte kaum präsent. Dezidierte Stellungnahmen von Mitgliedern der ersten Programmkommission zur Verteidigung ihres Papieres erfolgten, mit Ausnahme von Geißler und Lamers, nicht. - Die deutschlandpolitische Programm- und Zielbildung erfolgte schließlich durch den Verweis des Programmentwurfs in einer vom Präsidium der CDU neugebildeten und beauftragten Kommission (Bundesfachausschuß Deutschlandpolitik). Hierin waren nunmehr Deutschlandpolitiker der Unionsfraktion, vor allem aber auch die Kritiker des ersten Entwurfs, eingebunden. Es wirkte somit in dieser Phase ein Konfliktregelungsmechanismus, der auf der Einbeziehung von Akteuren aus Fraktion, Parte iführung und Regierungsapparat beruhte. Zur zentralen Schnittstelle wurde der Leiter des Bundesfachausschusses, Hennig. In seiner Eigenschaft als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Mitglied der Unionsfraktion, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen und als dem Vorstand der CDU unmittelbar verantwortlicher Leiter des neuen Bundesfachausschusses waren in seiner Person bereits zu Konsens und Ausgleich verpflichtende Funktionen angelegt. 412 Die Arbeitsergebnisse des Bundesfachausschusses wurden dem Präsidium der CDU vorgelegt. Dort kam es unter der Federführung des Parteivorsitzenden und der Mitwirkung von Regierungsmitarbeitern

412 Wie eng dabei sein Verhandlungsspielraum und wie groß gleichzeitig seine Bemühungen um Ausgleich waren, zeigt beispielsweise seine Verteidigung des Leitantrages gegen nationalkonservative Forderungen während des Parteitages; vgl. CDU (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag, S. 134-143.

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zu einer weiteren Überarbeitung des Entwurfs, der anschließend ohne weitere Kontroversen vom Vorstand der CDU angenommen und schließlich dem Bundesparteitag als Leitantrag vorgelegt wurde. - Präsidium und Vorstand spielten im Prozeß der Politikgestaltung in diesem Fallbeispiel insofern eine Rolle, als sie für die Einsetzung sowohl der Parteitagskommission als auch des Bundesfachausschusses zuständig waren. Der erste Kommissionsentwurf wurde in diesen Gremien nicht diskutiert, sondern nach Fertigstellung über die Parteizentrale unmittelbar der Öffentlichkeit präsentiert. Die letztendlich gültige Fassung wurde im Frühjahr im Präsidium beraten und anschließend vom Vorstand verabschiedet. Wenngleich dies dem gewohnten Verfahren entsprach, so handelte es sich in diesem Falle doch um mehr als eine formelle Zustimmung. Durch eine möglichst einstimmige Billigung des Programmentwurfs und Annahmeempfehlung an den Parteitag sollten nach außen Konsens und Geschlossenheit in diesem zunächst umstrittenen Programmvorhaben dokumentiert werden. - Nach der Veröffentlichung des Kommissionspapiers im Februar 1988 fiel der Unionsfraktion eine wichtige Initiativ- und Korrekturfunktion zu. Ihren deutschlandpolitischen Akteuren gelang es, eigene Programminitiativen zu starten und auf die Diskussionsagenda zu setzen. Massive Interventionen von ihrer Seite führten zu deutlichen Rückschnitten des von der Gruppe um Geißler vorgelegten Entwurfs. Ein Vergleich zwischen den unmittelbar nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfspapiers präsentierten Kritikpunkten der Deutschlandpolitiker der Fraktion (z. B. Lintner-Brief) und der Endfassung der "Christlich-demokratischen Perspektiven zur Deutschland-, Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik" verdeutlicht das Durchsetzungspotential. Die Deutschlandpolitiker konnten damit bisherige Eckwerte der normativen Basis der Deutschlandpolitik der CDU und der Unionsfraktion als Rahmendaten für die Regierungspolitik sichern. Die Deutschlandpolitiker der CDU/CSU-Fraktion verhinderten damit, daß die Grundausrichtungen der operativen Regierungspolitik selbst zum dominierenden Inhalt des Parteiprogramms wurden. Dies erkannte auch Kohl an und bestätigte 1988 ihre Positionen in verschiedenen Formulierungen des Berichts zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. 413 - Das Machtdreieck unterlag im Vorfeld des Parteitages einem Prozeß latenter Neutarierungen. Sein Gravitationskern lag aber immer beim Parteivorsitzenden und Bundeskanzler. In dieser Doppelfunktion versuchte Kohl im Hintergrund und abseits der Öffentlichkeit zu integrieren, zu moderieren, wenn nötig zu beschwichtigen und an entscheidender und abschließender Stelle der 413 Der Bericht ist abgedruckt in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. III/6, S. 464-478; zur Interpretation vgl. auch Korte: Deutschlandpolitik, S. 409-414; Fröhlich: Sprache als Instrument, S. 201-204.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Programmfonnulierung zu fUhren. Angesichts der Erfahrungen vom Februar achtete er in der Folgezeit einerseits auf eine konsensuale programmatische Ausrichtung der deutschlandpolitischen Parteiprogrammatik und andererseits darauf, die Konstanz und Kontinuität seiner deutschlandpolitischen beziehungsweise regierungspolitischen Ausrichtung zu gewährleisten. Nach den um das erste Kommissionspapier entbrannten Diskussionen wurde der zweite Entwurf des Leitantrages zur Chefsache und vor weiteren Veröffentlichungen von Kohl selbst beziehungsweise engen Mitarbeitern intensiv geprüft.

III. Umweltpolitik

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III. Umweltpolitik l. Die Einführung des Katalysatorautos 1983/84Regierungsinterne Positionssuche sowie Einflußnahme seitens Unionsfraktion und eDU-Ministerpräsidenten

Die politische Themenagenda, vor deren Bewältigung die im Oktober 1982 ins Amt gekommene Bundesregierung stand, war umfangreich. Die Herausforderungen ergaben sich aber nicht nur aus der ungünstigen Situation, in der sich die westdeutsche Volkswirtschaft seinerzeit befand. Es hatte sich zudem mit der Umweltpolitik ein neues Themenfeld deutlich herauskristallisiert. Ein Indiz für die Bedeutung dieses Politikfeldes war nicht zuletzt in dem Wahlerfolg der Grünen I und in ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag zu sehen. Angesichts sterbender Wälder, Wasserverunreinigung, neuer Krankheitsprofile war in der Bevölkerung die ökologische Sensibilität angewachsen, das Umweltbewußtsein schärfte sich. Exemplarisch sollen am Fallbeispiel "Einführung des Katalysatorautos" - die Mechanismen der Vorbereitung einer entsprechenden Gesetzesinitiative durch die Bundesregierung, - die Einflußmöglichkeiten der Unionsfraktion auf den gouvernementalen Positionsfindungsprozeß sowie - die von den CDU-Ministerpräsidenten auf den Politikgestaltungsprozeß ausgehenden Druckpotentiale im Machtdreieck untersucht werden. Wie erfolgte die Interessenkoordination in einem Politikbereich, für dessen erfolgreiche Gestaltung die Zustimmung der Unionsfraktion im Bundestag und der CDU-Länder im Bundesrat notwendig war? Antworten auf diese Fragen sollen in den anschließenden vier Abschnitten gegeben werden: - Initiative aus der Fraktion und Agendasetting durch die Bundesregierung; - Ressortstreit um ein geeignetes Finanzierungskonzept; - Unterstützung und Widerstand von Unionsfraktion, CDU-Ministerpräsidenten und Parteigremien; - Konfliktschlichtung und Positionsbildung der Akteure.

I Zur Entwicklung dieser Partei und ihrer Wähler vgl. Wilhelm P. Bürklin: Grüne Politik. Ideologische Zyklen, Wähler und Parteiensystem, Opladen 1984.

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Initiative aus der Fraktion und Agendasetting durch die Bundesregierung

Intensiv hatte die Bundesregierung im ersten Regierungsjahr vor allem Maßnahmen im Bereich der Luftreinhaltung ergriffen. 2 Bundesinnenminister Zimmermann - in seinem Ministerium waren bis zur Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zentrale umweltpolitische Zuständigkeitsbereiche der Bundesregierung angesiedelt - hatte unmittelbar nach dem Regierungswechsel die Ausarbeitung und Umsetzung einer Großfeuerungsanlagen-Verordnung in Angriff genommen. Die Verordnung vom 22. Juni 1983, die am 1. Juli 1983 in Kraft trat, sah vor, daß alle neu zu genehmigenden Großfeuerungsanlagen ab 100 Megawatt mit einer Rauchgasentschweflungsanlage auszustatten waren. Kleinere Anlagenbetreiber wurden verpflichtet, nur schwefelarme Brennstoffe zu verwenden. Für Altanlagen wurden Übergangsfristen zur Umrüstung oder Stillegung vorgesehen. Gleichzeitig war eine Novellierung der Immissionswerte der Technischen Anleitung (TA) Luft vorgenommen worden. Die neuen Vorschriften waren zum 1. März 1983 in Kraft getreten. 3 Parallel wurde seit Anfang 1983 neben den genannten Maßnahmen zur Verringerung von Schadstoffen in der Luft zudem die Verringerung von Stickoxidausstößen durch Autos zum Politik inhalt. Noch vor der Bundestagswahl 1983 versuchte der für umweltpolitische Fragen in der Unionsfraktion zuständige Abgeordnete Paul Laufs, auch die Fraktionsposition in die allmählich anhebende Debatte um dieses Thema einzubringen. Er richtete an die Adresse der Bundesregierung die Forderung: "Es sind [... ] von der Bundesregierung verstärkte Bemühungen um die allgemeine Einführung von bleifreiem Benzin zu fordern, das die Voraussetzung von ausreichenden Standzeiten und gleichbleibender hoher Abgasreinigung dieser katalytischer Anlagen4 ist. Auch in den EG-Ländern sollten - wie in den USA und Japan - einheitliche Benzinqualitäten ohne Blei angestrebt werden. Damit würde ein entscheidender Durchbruch zur Verbesserung der Luft in Städten und Autos auf stark befahrenen Straßen bei zumutbaren Kosten für den Kraftfahrzeugbesitzer gelingen."s

2 Einen Überblick aus Regierungssicht bietet earl-Dieter Spranger: Umweltbedrohung und Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung, Erfolge, Probleme, Aufgaben, in: Eichholz Brief, H. 1, 1984, S. 29-38. 3 Vgl. zu den Details: Zimmermann: Kabinettstücke, S. 218-226; "Initiativen und Perspektiven der Umweltpolitik. Bilanz des Bundesministers des Innern", in: Bulletin, Nr. 3, 4.1.1984, S. 23. 4 Laufs bezog sich hier auf einen Testversuch der baden-württembergischen Landesregierung zur katalytischen Abgasreinigung. 5 Paul Laufs: Autoabgase - ein vordringliches umweltpolitische Problem, in: DUD, Nr. 16,24.1.1983. Auch danach versuchte er seine Forderungen immer wieder zu forcieren. Vgl. u. a. Paul Laufs: Erfordernisse für die Einführung bleifreien Benzins. Schnelle Festlegung der Details vorrangig, in: DUD, Nr. 144, 1.8.1983.

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Dieser umweltpolitische Aspekt war nach der gewonnenen Bundestagswahl vom Frühjahr auch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen und fand Eingang in die Koalitionsvereinbarung von 1983. Wesentlich präziser als später in Kohls Regierungserklärung wurde hier in einem Einzelbereich die künftige Regierungslinie festgezurrt: "Ein besonderer Schwerpunkt im Umweltschutz wird auf Maßnahmen gegen das Waldsterben gelegt. Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen von Kraftfahrzeugen sind möglichst international wenn nötig aber auch filr die Bundesrepublik Deutschland allein - einzufilhren.,,6 Dieser Vorgabe entsprechend beschloß die Bundesregierung in der Kabinettsitzung am 21. Juli 1983 schließlich, die gesetzlichen Grundlagen zur Einfilhrung bleifreien Benzins ab 1. Januar 1986 zu schaffen und Schadstoffgrenzwerte filr Autoabgase vorzuschreiben, die der Katalysatortechnologie entsprechen sollten.? Bereits im Mai 1983 hatte die Bundesregierung in einem EGMemorandum die EG-weite Verfilgbarkeit von bleifreiem Benzin als Voraussetzung filr die Einfilhrung der katalytischen Abgasreinigung bei Autos gefordert. 8 Die Bundesregierung wurde in ihrer Absicht, bleifreies Benzin zum 1. Januar 1986 einzufilhren, von der Unionsfraktion unterstützt. In der ersten Fraktionssitzung nach der Sommerpause in Berlin am 13. September 1983 betonte Dregger filr die Fraktion die Unterstützung dieser Grundsatzentscheidung der Bundesregierung. Gleichzeitig hatte die Fraktion in dieser Sitzung einem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der FDP zugestimmt. Dieser wurde am 15. September im Bundestag eingebracht. In ihm wurde die Bundesregierung ersucht, bis Mitte 1984 ein Gesamtkonzept zur stufenweisen Verminderung von umweltbelastenden Emissionen vorzulegen. 9 In einer weiteren Kabinettsitzung am Mittwoch, den 26. Oktober 1983, zum gleichen Thema traf die Bundesregierung zusätzliche Entscheidungen zur Umsetzung ihres Beschlusses vom Juli und formulierte ein erstes Teilkonzept zur Emissionsverminderung im 6 Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, abgedruckt in: CDU-Dokumentation 12, 24.3.1984, in: UiD, Nr. 12,24.3.1983. 7 Vgl. einordnend "CDU/CSU-Bundestagsfraktion beriet im Reichstag über Umweltschutz", in: Tagesspiegel, 14.9.1983; "Gesamtkonzept zum Umweltschutz gefordert", in: Handelsblatt, 14.9.1983. 8 Dieses Memorandum fand, was die Einführung von bleifreiem Benzin anging, die Unterstützung von Dänemark, England und den Niederlanden. Vgl. Eberhard Westheide: Zur Einführung bleifreien Benzins und zur Herabsetzung der Schadstoffe in Kraftfahrzeugabgasen. Die Initiativen der Bundesregierung, in: Eichholz Brief, Nr. 1, 1984, S. 61-68, hier S. 64; zu weiteren Initiativen Zimmermanns während der deutschen EGPräsidentschaft (1.1.-30.6.1983) vgl. auch AdG, 1983, S. 26733. Zum weiteren Verlauf der Umweltpolitik in diesem Bereich überblicksartig AdG, 1984, S. 28168. 9 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Erklärung der Bundesregierung zum Thema "Unsere Verantwortung für die Umwelt", abgedruckt in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. Drucksache 10/383, 14.9.1983.

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D. Politikfelder und Fallbeispie\e

Kraftfahrzeugsektor. 10 Es wurde beschlossen, die in den USA geltenden Abgas grenzwerte und die dort angewandten Testverfahren zur Ennittlung von Schadstoffgrenzwerten auch filr die Bundesrepublik zu übernehmen. 11 Ziel der Bundesregierung sollte es dabei sein, eine einvernehmliche Lösung der Abgasproblematik mit den EG-Staaten zu finden. 12 Mit diesem Kabinettbeschluß war zugleich der bis dahin von Bundesverkehrsminister Dollinger und Bundesinnenminister Zimmennann gefilhrte Disput über die Alltagstauglichkeit von Katalysatoren zur Autoabgasreinigung beendet. Unverhohlen hatte man nämlich bis dato im Verkehrsministerium die Einfilhrung von Katalysatoren nach amerikanischem und japanischem Beispiel als ökologisch und ökonomisch ineffizient abgelehnt. 13 Auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Waldsterben und Autoabgasen wollte man dort nicht erkennen. 14 Nach dem Kabinettbeschluß wurden die Ministerialbürokratien des Innen- und Finanzministeriums mit der Ausarbeitung der rechtlichen Details zur Einfilhrung des schadstoffannen Autos sowie bleifreien Benzins l5 betraut. 16

Ressortstreit um ein geeignetes Finanzierungskonzept

Zwar hatte man sich innerhalb der Bundesregierung per Kabinettbeschluß am 21. Juli 1983 und ergänzend in der Kabinettsitzung vom 26. Oktober 1983 hinsichtlich der Vereinbarung zur Regelung von Kraftfahrzeug-Abgasemissionen auf die Förderung abgasarmer Autos, das obligatorische Angebot bleifreien Benzins zum 1. Januar 1986 und die Übernahme der amerikanischen Vgl. hierzu AdG, 1983, S. 27103. Vgl. E. Nitschke: Bonn übernimmt Abgas-Grenzwerte aus den USA, in: Die Welt, 27.10.1983; auch "Initiativen und Perspektiven der Umwe\tpolitik. Bilanz des Bundesministers des Innern", in: Bulletin, Nr. 3, 4.1.1984, S. 21; aus der Sicht des Bundesinnenministers: Zimmermann: Kabinettstücke, S. 225-237. 12 Zur EG-Problematik vgl. Hillenbrand: Europa öko-logisch, S. 160-179. 13 Die Argumentationsweisen im Bundesverkehrsministerium ähnelten denen der deutschen Automobilhersteller. Vgl. dazu Zimmermann: Kabinettstücke, S. 226- 230. 14 Vgl. zu den Hintergründen auch Jürn G. Praetorius: Tauziehen um die Katalysatoren. Dollinger bremst Umweltschutz, in: Stuttgarter Nachrichten, 7.10.1983. 15 Zimmermann hatte zunächst einen hausinternen Kampf mit der Ministerialbürokratie um die Attribute "schadstoffarm" und "bleifrei" zu bestehen. Die "SemantikPingler", so Zimmermann, hätten lieber vom "umwelfreundlichen" Auto und "unverbleitern" Benzin gesprochen. Vgl. Zimmermann: Kabinettstücke, S. 226, S. 229. 16 Außerdem hatten Autohersteller und Mineralölindustrie bis Anfang Dezember ihre Vorstellungen zu Katalysatortechnik und bleifreiem Benzin im Innenministerium präsentiert. Auf der Basis der dabei vorgelegten Konzepte fand am Dienstag, den 10. Januar 1984, eine Gesprächsrunde zwischen den Führungen des Verbandes der Automobilindustrie und des Mineralölwirtschaftsverbandes sowie des Bundesinnenministeriums statt. Vgl. dazu dpa-Pressemeldung, dpa 320 bas 358 3 pi 363, 10.1.1984; "Starthilfen flir Katalysator-Autos", in: FAZ, 12.1.1984; Zimmermann: Kabinettstücke, S. 226 f. 10

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III. Umweltpolitik

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Schadstoffgrenzen für Abgase verständigt. Zirnmennann hatte in diesem Zusammenhang während der Bundestagsdebatte vom 27. Oktober von einer "Jahrhundertentscheidung" gesprochen. 17 Ungeklärt war aber, welche Anreizsysteme geschaffen werden sollten, um eine schnelle und hohe Akzeptanz des Katalysators und seines Einbaus in Autos zu erreichen. 18 Bereits einen Tag vor der Kabinettsentscheidung vom 26. Oktober 1983 hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Hansjörg Häfele (CDU), seine "persönliche" Meinung zu diesem Thema ventiliert: Häfele stellte sich eine Lösung vor, nach der ab 1986 alle Neuwagen, die rur die Verwendung von bleifreiem Benzin ausgerüstet seien, drei bis vier Jahre nach einem ennäßigten und danach wieder nach dem alten Kraftfahrzeugsteuersatz besteuert werden sollten. Gleichzeitig sollte nach den Vorstellungen des Parlamentarischen Staatssekretärs der Steuersatz rur herkömmliche Fahrzeuge deutlich (30 bis 50 Prozent) erhöht werden. Angestrebt wurde von ihm eine aufkommensneutrale Änderung der Kraftfahrzeugsteuer. Eine Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin und die Verteuerung von herkömmlichem Kraftstoff schloß er aus, da dies nach seiner Einschätzung hohe Steuerausfälle rur die Bundeskasse bedeutet hätte. 19 Gleichzeitig war seiner Einschätzung nach die ökologische Lenkungsfunktion eines solchen Modells - aufgrund möglichen Mißbrauchs begrenzt?O Häfele hatte seine Überlegungen zwar nicht als offizielle Position des Bundesfinanzministeriums präsentiert, gleichwohl entsprachen aber seine Ausruhrungen exakt den dortigen Sichtweisen. Dies wurde spätestens im Januar 1984 deutlich, als im Bundesfinanzministerium die Pläne des Bundesinnenministers 17 Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 1O. Wahlperiode. 31. Sitzung. 27.10.1983, S. 2025; Zimmermann bestätigte hier wie später in der Bundestagsdebatte vom 8.6.1984 nochmals die umweltpolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung im Hinblick auf die Entgiftung von Autoabgasen. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 75. Sitzung. 8.6.1984, S. 5458. 18 Die Schaffung eines Anreizsystems erschien notwendig, weil, vereinfacht ausgedrückt, die Bundesregierung aufgrund der EG-Mitgliedschaft der Bundesrepublik die ausschließliche Zulassung von abgasentgifteten Autos nicht verbindlich vorschreiben konnte. Eine verbindliche Einführung wäre nur mit Zustimmung aller EG-Staaten möglich gewesen. Auch Artikel 36 des EWG-Vertrages erschien der Bundesregierung als Basis für einen Katalysatoralleingang nicht ausreichend. So blieb als Ausweg nur, durch entsprechende Voraussetzungen die freiwillige Entscheidung der Verbraucher für Katalysatorautos zu fördern. Zu den politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines deutschen Alleingangs vgl. auch "Als Depp", in: Der Spiegel, Nr. 30, 23.7.1984, S. 17 f. 19 Während entsprechend Art. 106, Abs. 2, Ziff. 3 GG das Aufkommen der Kraftfahrzeugsteuer den Länder zusteht, ist der Bund nach Art. 106, Abs. 1, Ziff 2 GG alleiniger Empflinger des Mineralölsteueraufkommens. V gl. dazu auch Theodor Maunz u. a. (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar. Bd. 4, München 1991, S. 105/29, Rdnr. 49. 20 Zu den Positionen Häfeles vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 227, bas 299 4 pi 259, 25.10.1983.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

deutliche Ablehnung fanden. Im Zuge seines Treffens mit den Spitzenfunktionären des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie und des Mineralölverbandes am 10. Januar hatte dieser nämlich erneut seine Überlegungen zur Förderung von Katalysator-Autos vorgestellt. 21 Demnach sollten Anreize zur Anschaffung eines mit bleifreiem Benzin betriebenen Kraftfahrzeugs durch ein steuerliches Mischsystem geschaffen werden, das die Reduzierung von Mineralöl-, Mehrwert- und Kraftfahrzeugssteuer beinhalten sollte. 22 Er strebte nicht nur eine Förderung des Katalysators an, sondern bewußt auch die Verbilligung des neuen bleifreien Sprits. 23 Nachdem die baden-württembergische Landesregierung unter Führung von Ministerpräsident Späth im Januar 1984 im Bundesrat eine eigene Gesetzesinitiative eingebracht hatte, die steuerliche Vergünstigungen für umweltfreundliche Autos und eine höhere Besteuerung für Altfahrzeuge vorsah,24 hatte sich nicht nur erstmals ein CDU-Ministerpräsident und Landesvorsitzender an der Finanzierungsdebatte beteiligt, sondern er reklamierte zusätzlich eine umweltpolitische Schrittmacherrolle für sich. 25 Zugleich forderte er die Bundesregierung auf, an der Entscheidung, die Abgase für Fahrzeuge 1986 drastisch zu senken, festzuhalten. 26 Insgesamt lagen damit im Januar 1984 offiziell zwei Finanzierungskonzepte mit unterschiedlichen Akzentuierungen zur Förderung abgasarmer Autos vor. Im einzelnen waren dies damit - der bereits skizzierte Vorschlag Zimmermanns, dem ein steuerliches Mischsystem zugrunde lag sowie - Späths Initiative einer zeitlich differenzierten Steuerentlastung umweltfreundlicher Autos. 21 Bereits am 27.4.1983 war es zu einem ersten Treffen Zimmermanns mit den Vertretern der Mineralölwirtschaft und der Automobilindustrie im Bundesinnenministerium gekommen, bei dem der Minister die Einftihrung von bleifreiem Benzin als Voraussetzung ftir den Einsatz von Abgaskatalysatoren gefordert hatte. Vgl. Eberhard Westheide: Zur Einftihrung bleifreien Benzins und zur Herabsetzung der Schadstoffe in Kraftfahrzeugabgasen. Die Initiativen der Bundesregierung, in: Eichholz Brief, Nr. 1, 1984, S. 61-68, hier S. 64. 22 Vgl. "Starthilfen ftir Katalysator-Autos, in: FAZ, 12.1.1984. 23 Es sollte nicht der Fehler wiederholt werden, den die Amerikaner machten, als sie bleifreies Benzin teurer anboten als herkömmliches. Damit wurde zunächst die Umstellung auf umweltfreundliche Autos verschleppt. 24 Ergänzend auch Späths Ausftihrungen im Bundesrat am 3.2.1984. Vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 531. Sitzung. 3.2.1984, S. 23-27. 25 Zur Initiative Späths erstmals "Stuttgart will Steuerbefreiung ftir umweltfreundliche Autos"; in: SZ, 22.12.1983; Details in: Xing-Hu Kuo: Späth will "Schrittmacher" sein, in: Die Welt, 24.1.1983. 26 Vgl. Xing-Hu Kuo: Späth will "Schrittmacher" sein, in: Die Welt, 24.1.1984. Das baden-württembergische Wirtschafts- und Verkehrsministerium hatte bereits am 9. Januar 1984 per Erlaß eine unbürokratische Zulassung abgasarmer Autos in dem südwestdeutschen Bundesland sichergestellt.

III. Umweltpolitik

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Im Bundesfinanzministerium stand man dem Ansatz Zimmermanns kritisch,27 dem Späths jedoch aufgeschlossen gegenüber?8 Hier verfolgte man nämlich die von Häfele bereits im Oktober skizzierte Linie, d. h. temporäre Steuerbefreiung rur abgasarme Neuwagen und erhöhte Besteuerung rur herkömmliche Fahrzeuge. Allerdings wollte man im Gegensatz zu Späth, der bereits rur 1984 eine Befreiung anstrebte, abgasarme Autos erst ab 1986 von Steuerzahlungen befreien. Unterstützung erhielt Zimmermann dagegen rur sein Konzept aus der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. So erklärte der umweltpolitische Sprecher Laufs am 8. Februar 1984 im Namen der CDU/CSUFraktion: "Wir beabsichtigen, sowohl die Kfz-Steuer als auch die Mineralölsteuer, aber eventuell auch andere Steuerarten hierzu einzubeziehen.,,29 Er vertrat, wie schon Wochen zuvor der Bundesinnenminister, die Position, daß "es rur uns keine Tabus, auch nicht in der überkommenen Steuersystematik geben,,30 darf. Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt weder innerhalb der Bundesregierung noch innerhalb der CDU eine einheitliche Linie zur Förderung der Katalysatortechnik rur Autos. Denn auch die Ministerpräsidenten der CDU waren keineswegs einer Meinung. So plädierte beispielsweise stellvertretend rur die rheinland-pfälzische Regierung der dortige Umweltrninister, Rudi Geil, darur, die Mineralölsteuer rur bleifreies Benzin zu verringern. Trotz den unübersehbar unterschiedlichen Positionen innerhalb der Bundesregierung hatte man dort keineswegs die Absicht, sich bei der Regelung der Modalitäten zur Einfiihrung abgasarmer Autos unter zeitlichen Druck setzen zu lassen. Entsprechend hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Spranger, in der Bundesratssitzung vom 3. Februar 1984 angekündigt, daß die Bundesregierung erst im Frühjahr über ein Gesamtkonzept

27 Dadurch, daß Zimmermann auch Änderungen der Mehrwert- und Mineralölsteuer in seine Überlegungen miteinbezog, wären auch die Einnahmen des Bundes betroffen gewesen. Eine Neugestaltung des Kraftfahrzeugsteuersystems wäre jedoch ausschließlich zu Lasten der Ländereinnahmen gegangen. Angesichts der nach wie vor angespannten Haushaltslage des Bundes war es in den Überlegungen des Finanzministeriums nämlich ein wichtiger Kalkulationsfaktor, ob von potentiellen Veränderungen im Steuersystem die Bundes- oder Länderkassen betroffen sein würden. 28 Auch in der Chef-Etage des Bundesinnenministeriums stand man, obwohl dort ein anderer Ansatz verfolgt wurde, Späths Vorschlag grundsätzlich offen gegenüber. Spranger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hatte den Vorschlag Späths als zumindest "Schritt in die richtige Richtung" bewertet. Vgl. "Bundesregierung lehnt 'Waldpfennig' ab", in: SZ, 4.2.1984. 29 Laufs zitiert nach: Dpa-PressemeIdung, dpa 168, bas 2454, pI 278, 8.2.1984. 30 Laufs zitiert nach: Dpa-Pressemeldung, dpa 168, bas 245 4, pI 278, 8.2.1984. Zudem hatte er sich gegen Forderungen der Grünen und der SPD ausgesprochen, zur Bekämpfung des Waldsterbens ein Tempolimit für Kraftfahrzeuge einzuführen. Vgl. ebd; ergänzend "Diskussion um Tempolimit ein 'Scheingefecht''', in: Die Welt, 9.2.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

filr finanzielle Anreize zum Kauf umweltfreundlicher Fahrzeuge entscheiden werde. 31 Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion hatte in der Umweltdebatte am 9. Februar dennoch die eigene Regierung zusätzlich unter Zeitdruck gesetzt und die Erwartungshaltung der Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion zusammengefaßt, aber gleichzeitig auch signalisiert, der Bundesregierung weiterhin Federführung und Vorschlagsinitiativen in diesem Politikfeld zu überlassen: "Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie bald Vorschläge für eine differenzierte steuerliche Behandlung abgasentgifteter und herkömmlicher Autos vorlegt, damit weder beim Erwerb noch beim Betrieb umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge zusätzliche Kosten entstehen. Keine Steuer darf bei der Ausgestaltung tabu sein. [... ] Wir wünschen auch, daß die Bundesregierung die Frage verstärkter Ab~askontrollen entschlossen aufgreift. Der jährliche Test muß bald zur Regel werden.,,3

Von diesen Forderungen abgesehen, blieb die Haltung der Fraktion weiterhin passiv. Eigene Modelle und Konzepte wurden nicht entwickelt. Im März 1984 allerdings wurde der von Spranger im Februar umrissene Zeitplan bereits revidiert. Horst Waffenschmidt, ebenfalls Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, gab bekannt, daß die Vorbereitungen filr ein Konzept erst bis zur Sommerpause abgeschlossen sein sollten. 33 Für die Verschiebung des Zeitplans waren im wesentlichen drei Gründe verantwortlich: - Die Verhandlungen zwischen Zimmermann und den Vertretern der Automobil industrie gestalteten sich schwierig. Diese hielt die Einfilhrung des umweltfreundlichen Autos auf Katalysatorbasis bis zum 1. Januar 1986 tUr technisch nicht realisierbar. 34 Die Kooperation der Automobilindustrie war aber notwendig, wollte die Bundesregierung ihre Umweltpläne im Kraftfahrzeugsektor realisieren. Massiv wurde sie dabei in ihrer grundsätzlichen Position zur Einfillrrung von Katalysatorfahrzeugen gegenüber den Autoproduzenten von der Unionsfraktion öffentlich unterstützt. So erklärte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Laufs, am 21. März 1984: "Die pessimistische, ablehnende Haltung des Verbandes der Automobilindustrie gegen das Konzept des Bundesinnenministers zur raschen und drastischen Reduzierung der Kfz-Schadstoffemissionen ist unverständlich und schädlich. [... ] Es ist der Wille der Bundesregierung, daß ab 1986 nur noch Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet neu

31 Vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 531. Sitzung. 3.2.1984, S.31-33. 32 Laufs zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 53. Sitzung. 9.2.1984, S. 3786. 33 Vgl. Gebhard Hillmer: Waffenschmid: Katalysatorauto kommt doch, in: WeserKurier, 24.3.1984. 34 Vgl. "Katalysator-Konzept ist nicht durchzuhalten", in: FAZ, 21.3.1984.

III. UmweItpolitik

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zugelassen werden, die der in den USA vorgeschriebenen Norm der Abgaswerte entsprechen. Die Bundesrepublik Deutschland wird beim umweltfreundlichen Auto in Europa die Pilotfunktion übernehmen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat zuletzt in der Umweltdebatte des Deutschen Bundestages am 9. Febr. d. JS. 35 unmißverständlich klar gemacht, daß sie hinter dieser Luftreinhaltungspolitik des Bundesinnenministers steht. ,,36

Ohne im Detail darauf einzugehen, hatte sich Laufs damit nochmals deutlich hinter Zimmermann und dessen Konzept - und nicht hinter Stoltenbergs Ansatz - gestellt. - Bonn wollte die Vorschläge der EG-Kommission, die dazu vom Europäischen Rat in Stuttgart 1983 beauftragt worden war, zur Einführung bleifreien Benzins und zur Defmition der Abgasgrenzwerte vor der eigenen Entscheidungsfindung abwarten. Die Brilsseler Vorschläge sollten im April präsentiert werden. - Innerhalb der Bundesregierung - die Eckpunkte wurden nach wie vor vom Bundesfinanzministerium (Stoltenberg) und Bundesinnenministerium (Zimmermann) gebildet - bestand noch immer Uneinigkeit über die Modalitäten der finanziellen Förderung von Katalysatorfahrzeugen und der Behandlung von herkömmlichen Fahrzeugen. Auf ein gemeinsames Kompromißkonzept hatte man sich im ersten Quartal des Jahres nicht verständigen können. Ein Ende des Diskussionsprozesses war nicht absehbar. Der letztgenannte Aspekt ist für die Untersuchung von hervorgehobenem Interesse. Zur Vorbereitung der Entscheidung der Bundesregierung über ein Gesamtkonzept zur Einführung der Katalysatorfahrzeuge wurden seit Februar 1984 "Chefgespräche" zwischen Finanz- und Innenministerium auf höchster Ebene durchgeführt. Zunächst hatten sie eine bilaterale Ausrichtung und fanden zwischen Stoltenberg und Zimmermann statt. Ein erstes, zweistündiges Treffen zwischen beiden fand am 7. Februar 1984 statt. Dabei gelang eine Annäherung zwischen beiden Akteuren hinsichtlich folgender Aspekte: 37 - Betreiber abgasarmer Fahrzeuge sollten nicht schlechter gestellt werden als die Fahrer von abgasintensiven Altfahrzeugen. - Das zu findende Anreizsystem zur Förderung abgasarmer Autos sollte kostenneutral für den Staat gestaltet werden. 35 Vgl. Beitrag von Laufs in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 53. Sitzung. 9.2.1984, S. 3785-3787. 36 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu den Bedenken des Verbandes der Automobilindustrie gegen die Einführung umweltfreundlicherer Autos erklärt der innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs (CDU), 21.3.1984. 37 Zum nachfolgenden vgl. "Zimmermann und Stoltenberg sprechen über abgasfreie Autos", in: SZ, 8.2.1984. 20 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Zimmennann rückte zwar noch nicht von seinem Vorschlag eines steuerlichen Mischsystems aus Mineral-, Mehrwert- und Kraftfahrzeugsteuer ab. Er machte aber nun deutlich, daß vor allem bei der Anschaffung eines Katalysatorfahrzeugs eine finanzielle Erleichterung rur den Käufer spürbar werden müsse. Wenn dies auch noch nicht bedeutete, daß er auf das vom Bundesfinanzministerium präferierte Modell umschwenkte, nach dem Anreize über eine entsprechende Reduzierung der Kraftfahrzeugsteuer geschaffen werden sollten,38 so war doch eine Positionsveränderung erkennbar. In der ersten Aprilwoche 1984 kam es zu einem weiteren Treffen von Stoltenberg und Zimmennann. In dieser Gesprächsrunde brachte der Innenminister eine Konkretisierung seines Konzepts zur Förderung des Kaufs von Katalysatorautos ein. Nach seinen Vorstellungen sollte die Anschaffung von Katalysatorfahrzeugen durch eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf den Kaufpreis gefördert werden. Sein Gesamtpaket sah damit neben der Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin um drei Pfennige und der Reduzierung der Kraftfahrzeugsteuer rur Katalysatorautos auch die Halbierung der Mehrwertsteuer rur schadstoffarme Neuwagen vor. Die Reduzierung der Mehrwertsteuer als eine Art staatlicher Subvention zur Förderung von Katalysatorautos war dabei der zentrale Aspekt in seinem Model1. 39 Zimmennann konnte sich der Unterstützung der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag, insbesondere aber der Unionsfraktion sicher sein. Die zuständigen Sprecher der Fraktionen veröffentlichten nämlich am 5. April einen umweltpolitischen Forderungesund Maßnahmenkatalog. Dieser beinhaltete unter anderem folgende Aspekte: ,,1. CDU/CSU und FDP werden noch vor der Sommerpause eine gemeinsame Initiative zur Schaffung spürbarer wirtschaftlicher Anreize for den Kauf und Betrieb abgasarmer Autos vorlegen. Durch steuerliche Vorteile muß der Entschluß zum Kauf eines umweltschonenden Autos noch in diesem Jahr so erleichtert werden, daß umweltfreundliches Verhalten wirtschaftlich nicht bestraft wird. In der Überlegung sind dabei insbesondere Änderungen der Mehrwertsteuer, Kfz-Steuer, Mineralölsteuer und Einkommensteuer. [... ] Um das von Bundeskanzler Helmut Kohl bereits im Mai 1983 verkündete Ziel zu erreichen, daß umweltfeindliches Verhalten sich nicht loh-

38 Was aus Stoltenbergs Sicht den klaren Vorteil hatte, daß die Bundeskasse nicht belastet würde, und er den begonnenen Konsolidierungsprozeß der Staatsfinanzen fortsetzen konnte. 39 Vgl. zu dieser Akzentuierung in Zimmermanns Konzept dpa-Pressemeldung, dpa 148, bas 196 3, pi 320, 4.4.1984. Zimmermann hatte sich allerdings damit, daß er sein neues Modell zunächst unkoordiniert öffentlich präsentierte, den Unmut Stoltenbergs zugezogen. Dieser sah in Zimmermanns Aktion einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung. Der Bundesfinanzminister war der Ansicht, daß Vorschläge und Maßnahmen, die den Bundeshaushalt in derart massiver Weise betrafen, zuvor mit ihm und dem Bundeskanzler abzustimmen seien. Stoltenberg schrieb Zimmermann deshalb einen Brief, in dem er nachdrücklich auf diese Verfahrensweise aufmerksam machte. Vgl. dazu Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997.

III. Umweltpolitik

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nen darf,40 werden wir nicht hinnehmen, daß einzelne Vorschläge von vornherein abgelehnt werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie entsprechend ihren vom BMI initiierten Beschlüssen zur Kfz-Abgasentgiftung hieran aktiv mitwirkt. 2. CDU/CSU und FDP halten die Einfohrung jährlicher umfassender Abgaskontrollen aller Fahrzeuge für unentbehrlich und erwarten dazu so rasch wie möglich konkrete Vorschläge der Bundesregierung.,,41

Mit diesem Positionspapier wurde allerdings nicht nur Zimmermann der Rücken gestärkt, sondern auch Stoltenberg kritisiert. Denn der Verweis darauf, daß einzelne Vorschläge zur finanziellen Förderung abgasarmer Autos nicht von vornherein abgelehnt werden sollten, war an seine Adresse gerichtet. Im Bundesfinanzministerium nämlich wurde die Einbeziehung der Mehrwert- und Mineralölsteuer in ein Gesamtkonzept kategorisch abgelehnt. Gleichzeitig hatten die Vertreter der Fraktionen den Zeitrahmen für eine Entscheidung zur Katalysatorförderung auf die Zeit bis zur Sommerpause begrenzt. Zu einem Zeitpunkt als die Gespräche zwischen Stoltenberg und Zimmermann stockten,42 versuchten die Umweltpolitiker beider Regierungsfraktionen in einer gemeinsamen Aktion diese durch ihren Forderungskatalog zu beeinflussen und zu forcieren. Die Regierung war damit unter Druck gesetzt. Erstmals wurde aus den Koalitionfraktionen heraus angekündigt, ein eigenes Konzept für steuerliche Hilfen zur Förderung des Kaufs abgasarmer Autos vorzulegen. 43 Mit der Lohn- und Einkommensteuer als Hebel zur Förderung von Katalysatorautos wurde eine neue Option zur Diskussion gestellt. Mit der Forderung nach regelmäßigen Abgasuntersuchungen war zudem ein weiterer eigenständiger Aspekt in die Gesamtdebatte eingebracht worden. Zu einer personell umfassenderen Koordinationsrunde auf ministerieller Ebene kam es am 13. Juni 1984. An der Sitzung im Bundesfinanzministerium nahmen neben StoItenberg und Zimmermann auch Bundesverkehrsminister Werner Dollinger sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Otto Schlecht, teil. 44 Vertreter der Führung der Unionsfraktion nahmen daran ebensowenig teil wie der Bundeskanzler und Parteivorsitzende der CDU, Kohl.

40 Es wurde damit Bezug auf Kohls Regierungserklärung vom 4.5.1983 genommen. 41 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: "Nach ihren heutigen Gesprächen erklärten die umweItpolitischen Sprecher der Fraktionen von CDU/CSU und FDP, Dr. Paul Laufs (CDU), Paul Gerlach (CSU), Bernd Schmidbauer (CSU) und Gerhart R. Baum (FDP)", 5.4.1984 (Hervorhebungen im Original). 42 Zu den strittigen Punkten vgl. zusammenfassend auch "Zimmermann: Die Belastung der Luft mit Schadstoffen wächst nicht mehr", in: Stuttgarter Zeitung, 5.4.1984. 43 Dieses wurde aber nicht in die Debatte im Jahr 1984 eingebracht. 44 Vgl. zur personellen Zusammensetzung dpa-Pressemeldung, dpa 229, br 103, bas 2844, pI 333, 14.6.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Konsens herrschte in dieser Runde darüber, daß fiir abgasanne und mit bleifreiem Benzin betriebene Autos die Kraftfahrzeugsteuer zeitlich befristet erlassen werden sollte. 45 Herkömmliche Personenkraftwagen sollten dagegen höher besteuert werden. Angestrebt wurde damit eine fiir den Staatshaushalt aufkommensneutrale Steuerverteilung. Vor diesem Hintergrund und der Schaffung zusätzlicher steuerlicher Anreize verständigte man sich zudem in der Besprechung darauf, die Mineralölsteuer fiir bleifreies Benzin um einen Pfennig zu verringern, die fiir verbleites im Gegenzug aber um zwei Pfennige zu erhöhen. Strittig blieb dagegen die von Zimmermann angestrebte direkte Kauthilfe fiir abgasanne Fahrzeuge. Unisono lehnten Stoltenberg, Dollinger und Schlecht eine derartige Subvention aus der Staatskasse ab. Aber auch Zimmermanns Position schien in diesem Punkt unverrückbar. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums kommentierte: "Zimmermann wird in dieser Frage hart bleiben.,,46 Der Bundesinnenminister wolle auf einer Entscheidung des Kabinetts bestehen. Stoltenberg, Dollinger47 und Schlecht sahen dagegen in der Verlängerung der Steuerbefreiung fiir abgasanne Autos um zwei Jahre - gestaffelt nach Hubraumklassen war jetzt eine maximale Steuerbefreiung von sieben anstatt zuvor fünf Jahren angesetzt48 - einen ausreichenden Anreiz fiir den Erwerb umweltfreundlicher Autos. Nicht einigen konnte man sich in dieser Runde zudem über die Höhe der Besteuerung von nicht abgas gereinigten Fahrzeugen. Auch die Beratungen im Dreierkreis Kohl, Stoltenberg, Zimmermann am 3. Juli unmittelbar vor der Kabinettsitzung brachten keine wesentlichen Fortschritte. 49 Zwar hatte man sich bei diesem Treffen darauf verständigt, abgasarme Autos zum 1. Januar 1986 auf freiwilliger Basis einzufiihren und sie gleichzeitig von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien sowie die Mineralölsteuer fiir bleifreies Benzin zu reduzieren, aber man hatte bereits in diesem Gespräch vereinbart, die Entscheidung über mögliche weitere Förderkonzepte zur An-

45 Dazu und zum nachfolgenden dpa-Pressemeldung, dpa 229, br 103, bas 284 4, pI 333, 14.6.1984. 46 Zitiert nach dpa-Pressemeldung, dpa 229, br 103, bas 284 4, pI 333, 14.6.1984. 47 Allerdings schwenkte er, nachdem sich die CSU-Landesgruppe während einer Tagung in Kloster Banz für die Position Zimmermanns ausgesprochen hatte, auch auf die Linie des Bundesinnenministers ein. Vgl. "CSU hinter Zimmermanns Forderung", in: Die Welt, 4.7.1984. 48 Damit war man der Forderung des baden-württembergischen CDU-Vorsitzenden entgegengekommen, der im Mai eine volle Steuerbefreiung für abgasgereinigte Personenwagen für eine Dauer von acht Jahren gefordert hatte. Vgl. "Späth drängt auf Steuerbefreiung", in: Stuttgarter Zeitung, 9.5.1984. 49 Vgl. dazu "CSU hinter Zimmermanns Forderung", in: Die Welt, 4.7.1984. Andeutungen zu einem derartigen Gespräch auch in den Hinweisen, die Schäuble in einem Interview gab. Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble, gab dem Rias für die Sendereihe "Studio Bonn berichtet" folgendes Interview, 1.9.1984.

III. Umweltpolitik

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schaffung abgasanner Autos (z. B. über reduzierte Mehrwertsteuer) auf den September zu verschieben. Die bestehenden Differenzen im Regierungslager konnten somit bis zur letzten Kabinettsitzung vor der parlamentarischen Sommerpause am 3. Juli 1984 - sie fand eher untypisch für Bonns politischen Wochenablauf dienstags abends stattSO - nicht mehr ausgeräumt werden. Immerhin gelang es Kohl aber, mit dem kurzfristig anberaumten Dreiergespräch und im persönlichen Gespräch mit den Kontrahenten zu verhindern, daß Zimmermann sein Ankündigung wahr machen und im Kabinett eine "namentliche" Abstimmung über sein Finanzierungskonzept beantragen würde. sl Die bestehenden Differenzen wurden dann in der Kabinettsitzung ausgeblendet. Man beschränkte sich auf die Betonung der Punkte, in denen Konsens herrschte. Dieses hier deutlich werdende Bild war typisch für Kohls Kabinettspraxis. s2 Nur in seltenen Ausnahmeflillen gelangten strittige Punkte in die Kabinettsitzungen. Wie im vorliegenden Fallbeispiel wurden Divergenzen in der Regel im Vorfeld ausgeräumt. S3 Es gelangte nichts auf den Kabinettstisch, was nicht vorher genau ausgearbeitet und konfliktbereinigt worden war. In den Kabinettsitzungen im Untersuchungszeitraum wurde Politik nur in Ausnahmeflillen in Diskussionen und nach Grundsatzdebatten entschieden, meist wurden Vorlagen abgesegnet. s4 So wurde in der Sitzung vom Bundeskabinett nochmals die Entschlossenheit bekräftigt, "daß mit der Einführung bleifreien Benzins ab 1. Januar 1986

50 Diese ungewöhnliche Tenninierung hing dwnit zuswnmen, daß der Tagesordnungspunkt im Anschluß an die Haushaltsberatungen der Bundesregierung, die an diesem Tag ganztägig anstanden, behandelt wurde. 51 Zu diesem Vorhaben Zimmennanns vgl. "CSU hinter Zimmennanns Forderung", in: Die Welt, 4.7.1984. 52 Zum fonnalen Ablauf der Kabinettsitzung vgl. auch Busse: Bundeskanzlerwnt und Bundesregierung, S. 72-78; auch Schmidt-Preuß: Das Bundeskabinett, S. 199-219. In diesem speziellen Fall wäre hinzugekommen, daß Stoltenberg wohl mit Sicherheit sein ihm laut Geschäftsordnung der Bundesregierung zustehendes, aufschiebendes Veto gegen Zimmennanns Finanzierungskonzept eingelegt hätte. Dwnit wäre es unweigerlich zu einer weiteren Kabinettsitzung und einer zweiten Abstimmung über die Finanzierung der Förderung abgasanner Autos gekommen. Derartige Zuspitzungen versuchte Kohl aber möglichst zu venneiden. 53 Eine Beobachtung, die sich auch in mehr oder minder starker Ausprägung für Kohls Vorgänger machen läßt. So vennied es beispielsweise Kiesinger möglichst, grundlegende Entscheidungen im Kabinett durch Abstimmungen oder gar Kwnpfabstimmungen herbeizuführen. Entscheidungen wurden in seiner Amtszeit oftmals in kleinen Kreisen vorbereitet und koordiniert und gelangten erst danach ins Kabinett. V gl. dazu auch Laufer: Der Parlwnentarische Staatssekretär, S. 71. Für Adenauers Kanzlerschaft läßt sich Vergleichbares feststellen, vgl. dazu Domes: Bundesregierung und Mehrheitsfraktion, insbes. S. 162 ff. 54 V gl. dazu Korte: Deutschlandpolitik, S. 48 ff., sowie Seiters im Gespräch mit dem Autor wn 13.3.1996; ebenso der Praxisbericht vom ehemaligen Kabinettsmitglied Graf Lwnbsdorff, in: Stefan Reker: Bundeskanzler Kohls Klüngel-Klub, in: Focus, Nr. 44, 31.10.1994; ergänzend "Regieren ohne viel zu diskutieren", in: SZ, 26.5.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

gleichzeitig die Schadstoffe im Kfz-Abgas unter Ausschöpfung der derzeit verfügbaren wirksamsten Technologie vermindert werden.,,55 Während es kein Problem war, im Kabinett der Forderung der Unionsfraktion nach einer Abgassonderuntersuchung für im Verkehr befindliche Fahrzeuge zu entsprechen,56 hieß es zur Förderung der Anschaffung von Katalysatorfahrzeugen in Punkt eins des Kabinettsbeschlusses: "Das umweltfreundliche Auto und das bleifreie Benzin sollen durch eine Änderung des Kfz-Steuergesetzes und des Mineralölsteuergesetzes gefördert werden. Über die zusätzliche Gewährung eines Anreizes für den Kauf umweltfreundlicher Autos wird das Kabinett Anfang September entscheiden. ,,57

Die Verschiebung der endgültigen Entscheidung wurde zu einem Teil der Problemlösungsstrategie. 58 Dies war vor allem aus zwei Gründen notwendig: Zum einen bestand nach wie vor keine Übereinstimmung zwischen Stoltenberg und Zimmermann, zum anderen sollte eine bisher noch fehlende Koordination mit den Bundesländern - zumindest den CDU/CSU-geführten, die zu diesem Zeitpunkt im Bundesrat über eine klare Mehrheit verfügten - herbeigeführt werden, da sie die Empflinger des Aufkommens der Kraftfahrzeugsteuer waren und ihre Zustimmung im Bundesrat für die Realisierung des Vorhabens not55 "Einführung bleifreien Benzins und des umweltfreundlichen Autos. Beschluß des Bundeskabinetts vom 3. Juli 1984", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 83, S. 743. Damit wurde nicht mehr die obligatorische Einführung abgasarmer Autos zum 1. Janaur 1986 verfolgt. Weiterhin war in diesem Kabinettsbeschluß keine Festlegung auf die Katalysatortechnik erfolgt. Man hatte sich - nicht zuletzt aufgrund von Vorbehalten im Bundesverkehrsministerium - auf die Kompromißformel "verfügbare wirksamste Technologie" geeinigt. 56 Vgl. "Einführung bleifreien Benzins und des umweltfreundlichen Autos. Beschluß des Bundeskabinetts vom 3. Juli 1984", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 83, 6.7.1984, S. 744. Weiterhin umfaßte der Kabinettsbeschluß folgende Punkte: Aufnahme der Definition und Anforderungen an das umweltfreundliche Auto in die StVZO; Benzinqualitätsangabeverordnung; Sicherstellung eines ausreichenden Angebots von bleifreiem Benzin an den Autobahntankstellen; flankierende Maßnahmen für die mittelständichen Tankstellen. Vgl. ebd, S. 743 f. Um den Beschluß der Bundesregierung auch öffentlichkeitswirksam bekannt zu machen, hatte der CDU-Abgeordnete Bemd Schmidbauer zusätzlich eine entsprechende Anfrage an das Bundesverkehrsministerium gestellt. Diese wurde dann selbstverständlich positiv beantwortet, indem der Sprecher des Verkehrsministeriums, Dieter Schulte, darauf verwies, daß eine entsprechende Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung bereits ausgearbeitet sei und die Änderungsverordnung dem Bundesrat nach der Sommerpause zugeleitet werde. Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 115, bas 1424, pI 160,6.7.1984. 57 "Einführung bleifreien Benzins und des umweltfreundlichen Autos. Beschluß des Bundeskabinetts vom 3. Juli 1984", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 83,6.7.1984, S. 743. 58 Hinzu kam, daß die Bundesregierung zu dieser Zeit mit dem wesentlich drängenderen Problem der Genehmigung des Kraftwerks Buschhaus beschäftigt war. Ein Themenfeld, das die Bundesregierung im Juli/August intensiv beschäftigte. Vgl. u. a. Almut Hauenschildt: Bonn holt Abgeordnete aus dem Urlaub zurück, in: Neue Ruhr Zeitung, 26.7.1984.

III. Umweltpolitik

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wendig war. 59 Mit der Verschiebung einer Entscheidung konnte Bundeskanzler Kohl eine Abstimmung im Kabinett vermeiden. Dies bot zum damaligen Zeitpunkt folgende Vorteile: Er selbst mußte sich nicht eindeutig festlegen. 6o Gleichzeitig verhinderte Kohl durch die Verschiebung eine wahrscheinliche Abstimmungsniederlage Stoltenbergs im Kabinett. 61 Eine derartige Desavouierung seines Finanzministers hätte sich der Bundeskanzler zum damaligen Zeitpunkt keineswegs leisten können. Zugleich mußte er aber auch Zimmermann das Gefuhl der Unterstützung geben. Denn der Innenminister hatte sich 1983 vehement fiir die Katalysatortechnik und die Vorbereitung einer verbindlichen Regelung, nach der ab dem 1. Januar 1986 nur noch abgasarme Autos zugelassen werden sollten, eingesetzt. Von letzterem war er mittlerweile schon abgeruckt. 62 Ein Scheitern des Vorhabens an Stoltenbergs Veto als Finanzminister hätte ihn zumindest an den Rand eines Rücktritts gebracht. Vor diesem Hintergrund verständigte man sich auf folgende Verfahrensweise: "Zu den finanziellen Anreizen und steuerlichen Maßnahmen soll in Verhandlungen mit den Ländern geprüft werden, ob ein weiterer Anreiz über die Kfz-Steuer möglich ist, ggf. auch durch eine stärkere Belastung neu beschaffter, nicht umweltfreundlicher Kfz. Sollte die nähere Prüfung ergeben, daß steuerliche Lösungen allein nicht den gewünschten Kaufanreiz bringen, ist zu erwägen, ob offene Subventionen in einer Übergangszeit ein geeignetes Instrument sein können. Hierüber soll nach Gesprächen mit der EG-Kommission und den Ländern Anfang September eine abschließende Entscheidung der Bundesregierung herbeigeführt werden.,,63

59 Aber auch eine Subvention von Katalysatorfahrzeugen über eine reduzierte Mehrwertsteuer wäre nur mit Zustimmung der Bundesländer möglich gewesen. 60 Kohl schwieg in der Öffentlichkeit nach wie vor zu der Gesamtthematik. Sein Standpunkt war unklar. Einerseits glaubte man, Sympathien des Bundeskanzlers für Zimmermanns Konzept zu erkennen (Broichhausen), andererseits benennen politische Beobachter (Bergdoll) erst den 12.9.1984 als Datum, an dem Kohl auf Zimmermanns Linie einschwenkte. Vgl. Klaus Broichhausen: Das umweltfreundliche Auto auf politischem Schlingerkurs, in: FAZ, 10.7.1984; Udo Bergdoll: Des Ministers verfahrene Kiste, in: SZ, 14.9.1984. 61 Zu den Mehrheitsverhältnissen in der Frage der steuerlichen Erleichterungen fIlr die Anschaffung von Katalysatorautos vgl. Klaus Broichhausen: Das umweltfreundliche Auto auf politischem Schlingerkurs, in: FAZ, 10.7.1984. 62 Angesichts der Widerstände in der EG hatte sich in der Bundesregierung die Position durchgesetzt, daß der Kauf abgasarmer Autos in der Bundesrepublik Deutschland vorerst nicht verpflichtend vorgeschrieben werden konnte. Zimmermann hatte später seine Datumsvorgabe als strategische, maximale Vorgabe bezeichnet. Bewußt war er so seine Erklärung - mit einer maximalen Forderung in die Verhandlungen gegangen, um so wenigstens dadurch, daß er sich Verhandlungsspielraum bewahrte, Teilerfolge erzielen zu können. Vgl. Zimmermanns Ausführungen in: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 540. Sitzung. 14.9.1984, S. 341-343, hier S. 341. 63 "Einführung bleifreien Benzins und des umweltfreundlichen Autos. Beschluß des Bundeskabinetts vom 3. Juli 1984", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 8,6.7.1983, S. 744.

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Die Verschiebung der endgültigen Kabinettsentscheidung beinhaltete allerdings auch einen nicht zu unterschätzenden Risikofaktor: Durch die ungelöste Frage der Förderung abgasarmer Autos bestand die Gefahr, daß das Thema zum öffentlichen Streitfall während der anstehenden Sommerpause würde, sozusagen "ein technischer Verbrennungsvor~ang als politischer Dauerbrenner,,64 im obligatorischen Bonner Sommertheater. 5 Wenngleich es auch einstweilen keine Gewinner und Verlierer im Förderstreit gab und eine abschließende Entscheidung ausgeblieben war, so hatten doch Zimmermann und Stoltenberg ihre Positionen mit unterschiedlichem Erfolg verteidigt. Zimmermanns Konzept, nach dem beim Neukauf eines umweltfreundlichen Fahrzeugs für eine Übergangszeit zwischen 1986 und 1989 ein staatlicher Kaufanreiz gewährt werden sollte, war, wenn nicht angenommen, so doch zumindest auch nicht abgelehnt worden. Die von ihm vorgeschlagene Kauthilfe sollte durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer für verbleites Benzin und eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Neufahrzeuge ohne Katalysatortechnik fmanziert werden. 66 In einer Pressekonferenz nach der Kabinettsitzung unterstrich Zimmermann seine Position nochmals öffentlich: 67 "Nach meiner Auffassung wird die breite Umstellung auf das umweltfreundliche Auto wirksam nur erreicht durch die von mir geforderten Kaufanreize.,,68 Nachdem es aus europapolitischen Gründen nicht möglich schien, ab 1986 in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich abgasarme Autos zuzulassen, sah er in der Gewährung von Kaufanreizen ein zentrales Instrument zur Erhöhung der Akzeptanz und freiwilligen Anschaffung.abgasarmer Fahrzeuge. Der Bundesinnenminister wertete die Kabinettsitzung insgesamt als einen wichtigen "Etappensieg des umweltfreundlichen Autos".69 Stoltenberg hatte zwar - im Verbund mit Wirt64 Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984. 65 In der Tat wurde angesichts der ab Mitte Juli geführten Diskussionen (vgl. weiter unten) sowohl in der Koalition als auch der Bundesregierung bedauert, in der ersten Juliwoche keine abschließende Entscheidung über die Starthilfen für Katalysatorautos getroffen zu haben. Vgl. dazu Stimmen aus Regierung und Regierungsfraktionen, wiedergegeben in: "Katalysatorauto: Starthilfen weiter umstritten", in: FAZ, 2.8.1984. 66 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 115, bas 148 3, pI 432, 4.7.1984. 67 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Zimmermann und Stoltenberg wurden für die Öffentlichkeit auch darin deutlich wahrnehmbar, daß es nach der Kabinettsitzung nicht eine Pressekonferenz gab, sondern Bundesinnenminister und Bundesfinanzminister getrennte Pressekonferenzen abhielten. Zu den Pressekonferenzen vgl. dpaPressemeldung, dpa 219, bas 2763 pI 345, 4.7.1984; zu den atmosphärischen Störungen zwischen Zimmermann und Stoltenberg vgl. auch "Als Depp", in: Der Spiegel, Nr. 30, 23.7.1984, S. 17 f. 68 Zitiert nach dpa-Pressemeldung, dpa 219, bas 276 3, pI 345, 4.7.1984; ergänzend "Zimmermann für Kaufhilfe", in: Welt am Sonntag, 15.7.1984. 69 Zitiert nach dpa-Presseme\dung, dpa 219, bas 276 3, pI 345, 4.7.1984. Die offensive Haltung, mit der Zimmermann nach der Kabinettsitzung seine Position vertrat,

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schaftsminister Bangemann - in der Kabinettsitzung aufs heftigste interveniert und ordnungspolitische Argumente gegen Zimmermanns Konzeption angefUhrt. Damit hatte er zunächst eine Vertagung der Entscheidung erreicht. Er mußte aber hinnehmen, daß er vom Kabinett federfllhrend damit beauftragt wurde, zu prüfen, inwieweit Subventionen zumindest filr eine Übergangszeit ein geeignetes Instrument zur Schaffung von Kaufanreizen filr Katalysatorautos sein könnten. 7o Ein diffiziler Auftrag - mußte er jetzt doch den Vorschlag seines Kontrahenten auf Realisierungsmöglichkeiten prüfen. Zudem hatte Zimmermann mittwochs, also einen Tag nach der Kabinettsitzung, Unterstützung aus der Unionsfraktion erhalten. Deren Fachsprecher Laufs bezog eindeutige Position filr Zimmermann und dessen Beihilfekonzept. 71 Er filhrte aus: "Außerdem werden durch Bemessung der Mineralölsteuer die Voraussetzungen für ein gleiches Preisniveau von unverbleitem Benzin gegenüber dem herkömmlichen Kraftstoff geschaffen. Über die Gewährung von Prämien beim Kauf von mit Katalysatoren ausgerüsteten Kraftfahrzeugen soll nach der Sommerpause entschieden werden. Ich halte einen derartigen Kaufanreiz weiterhin für notwendig, um die rasche Umstellung unseres Fahrzeugsparks zu gewährleisten.,,72

Zugleich definierte er aber auch unmißverständlich die Erwartungshaltung an die weitere Vorgehensweise der Bundesregierung aufEG-Ebene: "Im übrigen darf die Bundesregierung aber in Brüssel nicht locker lassen und sich mit den dort ausgearbeiteten, unbefriedigenden Zeitplänen abfinden. Weitere und beharrliche Anstrengungen sind nötig, um die Mitgliedsstaaten doch noch zu Sofortrnaßnahmen bei der Abgasentgiftung zu bewegen." 73

weist darauf hin, daß er im Kabinett das Gefühl erhalten hatte, von einer Mehrheit und auch vom Kanzler unterstützt zu werden. 70 Zu Details der Kabinettsitzung vgl. "Entscheidung über Katalysator-Autos verschoben", in: FAZ, 5.7.1984; RudolfEickeler: Der umstrittene Kaufrabatt hat im Bundeskabinett noch keine Mehrheit gefunden, in: Handelsblatt, 6.7.1984. Die Klärung der mit der Einführung der Katalysatortechnik für Autos zusammenhängenden fiskalischen Fragen übernahm der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Hansjörg Häfele. Vgl. Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984. 71 Zimmermann hatte mehrmals explizit den Begriff Subvention abgelehnt. Er argumentierte insbesondere, daß durch die Erhöhung der Mineralölsteuer für verbleites Benzin eine Umlage finanziert werde, die dem abgasentgifteten Auto zugute käme. De facto und unbeachtet der Wortdrechselereien bedeutete dies sehr wohl eine Subvention. Zu Zimmermanns Argumentation vgl. Klaus Broichhausen: Das umweltfreundliche Auto auf politischem Schlingerkurs, in: FAZ, 10.7.1984. 72 Laufs zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu den gestrigen Beschlüssen des Bundeskabinetts über die Förderung von schadstoffarmen Kraftfahrzeugen erklärt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs, 4.7.1984. 73 Laufs zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu den gestrigen Beschlüssen des Bundeskabinetts über die Förderung von schadstoffarmen Kraftfahr-

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Damit gab es nach der Kabinettsitzung vom 3. Juli innerhalb der Bundesregierung nach wie vor zwei grundsätzliche Argumentationslinien, die von Zimmermann und Stoltenberg74 repräsentiert wurden. Dieses Faktum und die dargestellten Hintergründe sprechen fiir die Annahme, daß Kohl in dieser Kabinettsitzung keine Richtlinienkompetenz zur EinfUhrung der Katalysatortechnik ausgeübt hatte. 75

Unterstützung und Widerstand von Unionsfraktion. CDU-Ministerpräsidenten und Parteigremien

Nach der Kabinettsentscheidung der Bundesregierung verkomplizierte sich aber hinsichtlich der Katalysatorfrage die Meinungslage in der Union deutlich. Die Bundesländer hatten das Thema nun auch verstärkt für sich entdeckt und versuchten, über eine entsprechende Beschlußfassung im Bundesrat zu forcieren, daß ab 1986 nur noch abgasarme Autos zugelassen werden sollten. Erst am Morgen unmittelbar vor der letzten Sitzung des Bundesrates vor der Sommerpause am 13. Juli 1984 hatten sich die Ministerpräsidenten und Vertreter der CDU/CSU-geführten Bundesländer in einer Vorbesprechung darauf geeinigt, von ihrem ursprünglichen Vorhaben abzurücken und keinen Beschluß über eine gemeinsame Entschließung76 zur gesetzlich verbindlichen Einführung von

zeugen erklärt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs, 4.7.1984. 74 Auf Stoltenbergs Seite stand auch Bangemann, der sich aus ebenfalls ordnungspolitischen Gründen gegen Kaufsubventionen flir Katalysatorfahrzeuge wandte, sich zugleich aus europapolitischen Gründen gegen einen nationalen Alleingang der Bundesrepublik Deutschland bei der Einführung von Katalysatorfahrzeugen aussprach und auf die Position der EG-Kommission hinwies, nach der finanzielle Beihilfen flir den Kauf abgasverminderter Autos notikationspflichtig seien. Seine Positionen hatte er auch in einem Brief an Bundeskanzler Kohl vom 23.7.1984 nochmals nachdrücklich dargelegt. Zimmermann trat nach dem Bekanntwerden des Briefes ostentativ dafür ein, daß die freiwillige Anschaffung eines Katalysatorautos durch Kaufhilfen unterstützt werden sollte. Vgl. dazu Manfred Schell: Bangemann schildert Kohl Bedenken, in: Die Welt, 31.7.1984; "Katalysatorauto: Starthilfen weiter umstritten", in: FAZ, 2.8.1984; vgl. auch Erklärung Bangemanns, in: "Bangemann gegen einen Alleingang", in: Welt am Sonntag, 15.7.1984. 75 Ackermann verweist darauf, daß Kohl u. a. bei der Einflihrung des Katalysators von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht habe. Vgl. Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 283. Gegen Ackermanns Aussage spricht allerdings auch der Zusammenhang, in dem Kohl auf seine Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler verweist. Vgl. die Darstellung Kohls in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag. 13.-15. Juni 1988 in Wiesbaden, Bonn 0.1., S. 104-106. 76 Anträge zur Entschließung waren u. a. von den unionsregierten Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen gestellt worden. Vgl. dpaPresserneldung, dpa 160, bas 201 3 pI 509, 13.7.1984.

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Katalysatorautos zum 1. Januar 1986 zu fassen,?? sondern diese zunächst auf eine Sondersitzung am 14. September zu vertagen. 78 Wenn damit auch der Eklat zwischen den Ministerpräsidenten des Unionslagers und der Bundesregierung aufs erste vermieden worden war, so wurden doch in den nachfolgenden Wochen die unterschiedlichen Standpunkte im Unionslager zur Einführung und Förderung abgasentgifteter Autos überdeutlich. Bei der nun in der Öffentlichkeit ausgetragenen Diskussion griff der Bundeskanzler selbst nicht ein. 79 Folgende Positionen, die sich teilweise untereinander überschnitten, hatten sich herauskristallisiert: - Gegensatz Zimmermann-Stoltenberg: Die bereits dargestellten unterschiedlichen Auffassungen Zimmermanns und Stoltenbergs blieben auch während der Sommerpause bestehen. - Stimmen in der Fraktion: Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Waigel, trat für ein generelles Verbot der Zulassung nicht abgasbereinigter Neuwagen sowohl inländischer als auch ausländischer Hersteller in der Bundesrepublik Deutschland zum 1. Oktober 1986 und für einen europäischen Alleingang ein. 80 Er nahm damit nicht nur die ursprüngliche Position Zimmermanns ein,81 der bis Anfang 1984 ebenfalls für eine kompromißlose Vorreiterrolle der Bundesrepublik auf europäischer Ebene eingetreten war, sondern machte sich gleichzeitig zum Sprachrohr des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, der einen ähnlich

77 Gerade diese Ausschließlichkeit wollte die Bundesregierung aber verhindern, um nicht in Konflikt mit dem EG-Recht zu kommen. 78 Katalytische Wirkung auf die Bereitschaft der Länder, die Entscheidung zu vertagen, hatte die Zusage Zimmermanns, die nicht mit dem Bundeskanzler abgestimmt war, daß die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung die September-Sitzung des Bundesrates zum Thema abwarten würde. Vgl. Zimmermann, in: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 540. Sitzung. 14.9.1984, S. 341. Zu Details und Hintergründen vgl. auch Manfred Schell: Abgasarme Autos: Länder drängen, in: Die Welt, 14.7.1984; "Alle Bundesländer setzen sich für Katalysator-Autos ein", in: FAZ, 14.7.1984. 79 Als die Diskussion begann, war Kohl zu einem Staatsbesuch in Mexiko. Aber auch danach griff er nicht ein. Erste Reaktionen des Bundeskanzlers drangen erst Ende August in die Öffentlichkeit. Vgl. ergänzend "Als Depp", in: Der Spiegel, Nr. 30, 23.7.1984, S. 18. 80 Zur Position Waigels vgl. "Waigel für Verbot ab Oktober 1986", in: Welt am Sonntag, 15.7.1984. 81 Auf Zimmermanns Bestreben hin hatte das Kabinett am 21. Juli 1983 einen Beschluß gefaßt, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, ab I. Januar 1986 die Zulassung abgasarmer Autos verbindlich vorzuschreiben. Vgl. dazu "Zum Schutz der Natur - zum Wohle der Menschen", in: Deutsches Monatsblatt, Nr. 12, Dezember 1984. Zum Positionswechsel Zimmermanns vgl. "Abgasarme Autos: Länder drängen", in: FAZ, 14.7.1984; Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984.

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lautenden Antrag im Bundesrat hatte einbringen lassen. Zudem forderte Waigel eine finanzielle Förderung fUr die Anschaffung abgasarmer Autos. Ohne explizit fUr einen deutschen Alleingang zu plädieren, unterstützten auch die innen- und umweltpolitischen Sprecher der Unionsfraktion beziehungsweise CSU-Landesgruppe, Paul Laufs und Hermann Fellner, den Ansatz einer staatlichen finanziellen Förderung von Katalysatorautos. Für sie war sowohl das Modell einer differenzierten Mehrwertsteuer als auch das direkter Kaufprämien fUr Katalysatorautos akzeptabel. 82 - Unterstützungsvotum des CDU-Bundesfachausschusses Umwelt: Der in dieser Debatte bis dato in Wortmeldungen kaum vernehmbare Bundesfachausschuß Umwelt forderte durch seinen Vorsitzenden, den Berliner Kultursenator Volker Hasserner, die Bundesregierung auf, an ihren Beschlußfassungen zur EinfUhrung abgasarmer Autos zum 1. Januar 1986 festzuhalten. 83 - Divergierende Positionen der CDU-Landesvorsitzenden und -Ministerpräsidenten: Der baden-württembergische Ministerpräsident Späth forderte grundsätzlich er wurde darin vom rheinland-ptalzischen Ministerpräsidenten und CDUVorsitzenden Vogel unterstützt - eine ZwangseinfUhrung der Katalysatortechnik fUr Neuwagen zum 1. Januar 1986. Gleichzeitig war er im Sinne einer Kompromißlösung aber bereit, den deutschen und europäischen Automobilbauern in Frankreich, Italien und Großbritannien eine dreijährige Übergangsfrist fUr die Umstellung auf die Katalysatorpflicht einzuräumen. 84 Sein schleswig-holsteinischer Kollege, der CDU-Ministerpräsident BarscheI, trat dagegen unumwunden fUr einen sofortigen deutschen Alleingang auf europäischer Ebene bei der EinfUhrung des Katalysatorautos ein. 85 Der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht wiederum neigte der mittlerweile von Zimmermann eingenommenen Position zu und sprach sich gegen einen deutschen Alleingang auf europäischer Ebene aus. 86 Allerdings war er - ebenso wie Bar82 Damit wurde weiterhin nachhaltig die Position Zimmermanns unterstützt. Details bei Eberhard Nitschke: Ministerzwist um Umwelt-Auto, in: Die Welt, 24.8.1984; "Union: Kaufanreize für abgasarme Autos", in: SZ, 24.8.1984. 83 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 177, bas 2656, pi 101, 17.8.1984. 84 Zu Vogels und Späths Positionen vgl. Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984; "Alle Bundesländer setzen sich für Katalysator-Autos ein", 14.7.1984. 8S Barschel wurde dabei massiv von der CDU-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag unterstützt. Der Standpunkt Barscheis ist wiedergegeben in: "Barschel möchte 'so schnell wie möglich abgasarme Autos auf den Straßen sehen''', in: Flensburger Tageblatt,27.7.1984. 86 Zur Position Albrechts vgl. Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984. Albrecht mußte bei seinem Vorgehen auch die Verbindung zwischen dem Land Niedersachsen und dem dort mit seinem Stammsitz beheimateten größten deutschen Automobilproduzenten, VW, berücksichti-

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schel - gegen direkte Kaufhilfen zur Förderung des Absatzes von Katalysatorfahrzeugen. Steuerliche Begünstigungen abgasarmer Autos - in Form einer verringerten oder zeitweiligen Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer sollten dagegen möglich sein. Eine ähnliche Position vertrat der westflilische CDUVorsitzende Biedenkopf. Er sprach sich ebenfalls gegen die direkte Subventionierung des Kaufs abgasarmer Autos durch die Staatskasse aus und forderte statt dessen eine höhere Kraftfahrzeugsteuer für Autos mit hohen Schadstoffemissionen. Gleichzeitig forderte er die Bundesregierung auf, mit der Einführung abgasarmer Autos eine europäische Schrittmacherrolle zu übernehmen.

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Insgesamt hatten sich damit zwei miteinander verwobene Konfliktlinien herausgebildet. Zum einen existierte im Kabinett der Konflikt zwischen Zimmermann und Stoltenberg über die Modalitäten der Katalysatorförderung. 88 Die Unionsfraktion, aber auch der Bundesfachausschuß Umweltpolitik der CDU unterstützten Zimmermanns Vorstellungen, den Kauf von abgasarmen Autos durch Beihilfen zu subventionieren. Die Vertreter der CDU-gefiihrten Bundesländer lehnten dies - ebenso wie Stoltenberg - aus ordnungspolitischen Gründen mehrheitlich ab. Zum anderen lagen unterschiedliche Auffassungen über die Frage einer europäischen Koordination der Katalysatortechnik und die Frage der gesetzlich verbindlichen Vorschreibung der Zulassung abgasarmer Autos zwischen den CDU-Ministerpräsidenten und den Mitgliedern der Bundesregierung vor. Während die Bundesregierung mittlerweile einhellig einen Alleingang ablehnte, sahen die Vertreter der CDU-gefiihrten Bundesländer hierin eine zumindest diskussionswürdige politische Handlungsoption.

gen. Im Gegensatz zu beispielsweise BMW oder Mercedes-Benz, die durch ihre Überseeexporte über einschlägiges Katalysator-know-how verfügten und schon länger zweigleisig produzierten, bedeutete die katalytische Abgasentgiftung für VW neue Forschungsleistungen. Inbesondere auch deshalb, weil die Abgasentgiftung für hubraumschwächere Autos, wie sie damals von VW hauptsächlich verkauft wurden, technisch schwieriger war als die katalytische Abgassäuberung leistungsstarker Pkw von Mercedes-Benz oder BMW. Bei einer Regelung, die ab 1986 ausschließlich die Zulassung von abgasarmen Autos in Deutschland vorgeschrieben hätte, waren für den Massenhersteller VW zudem europäische Wettbewerbsnachteile zu befürchten, hätten die Wolfsburger Automobilbauer doch zweigleisig in hoher Stückzahl Autos mit und ohne Katalysatoren fertigen müssen. 87 Auf dem Landesparteitag der CDU Westfalen-Lippe richtete er an die Adresse der Bundesregierung: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß man den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft mit Aussicht auf Erfolg uminterpretieren und damit umfunktionieren kann zu einem Kartell gegen den Fortschritt." Zitiert nach dpa-Pressemeldung, dpa 054, bas 086 4, pI 159, 19.8.1984; dort auch weitere Belege zur Position Biedenkopfs im Katalysatorstreit. 88 Beide waren sich allerdings einig, daß ein nationaler Alleingang Deutschlands dabei nicht in Frage kam.

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Konfliktschlichtung und Positionsbildung der Akteure In der Öffentlichkeit entstand angesichts der dargestellten Interessenvielfalt der Eindruck des Chaos. Die in den Reihen der CDU zelebrierte umweltpolitische Kakophonie verdeckte jegliche Konzeption. Ein "Machtwort" und Führungskraft des Kanzlers wurden eingefordert. 89 Die Bundesregierung und Kohl gerieten zunehmend unter Druck - vor allem aus den eigenen Reihen. 90 So hatte z. B. der innen- und umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion öffentlich Anfang September die Erwartungshaltung der Unionsabgeordneten an die eigene Regierung artikuliert: "Wir erwarten noch in diesem Monat die abschließenden Beschlüsse, mit denen die Einführung schadstoffarmer Autos in unserem Land ab 1986 gefOrdert wird.,,9l Im Akteursdreieck von Partei, Fraktion und Regierung entstand Handlungsbedarf. Abseits der öffentlichen Debatten wurden Konfliktschlichtungsversuche durch Kontaktaufnahme und Informationsaustausch zwischen den involvierten Akteuren untemommen. 92 So hatte Bundesinnenminister Zimmermann die Regierungschefs der Bundesländer in brieflicher Form zum Gedankenaustausch über die Einführung abgasarmer Autos aufgefordert. Der Chef des Bundeskanzleramts, Schreckenberger, forderte aus den Staatskanzleien ebenfalls die Standpunkte der Länderregierungen hinsichtlich der Modalitäten zur Förderung der Zulassung von Katalysatorautos ein. 93 In verschiedenen Gremien wurden Kompromißlösungen gesucht. In der ersten Präsidiumssitzung der CDU nach der Bonner Sommerpause am 27. August 1988 konnte in den umstrittenen Punkten noch kein Kompromiß zwischen den verschiedenen Auffassungen der Akteure 89 Vgl. Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984; auch Udo Bergdoll: Des Ministers verfahrene Kiste, in: SZ, 14.9.1984. 90 Die Bundesregierung war vor allem den Erwartungshaltungen von Umweltverbänden, Koalitionsparteien und unionsgeflihrten Bundesländern ausgesetzt. Überblicksartig Karl Broichhausen: Politischer Fehlstart des Katalysator-Autos, in: FAZ, 8.9.1984. 91 Laufs zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu den andauernden Versuchen interessierter Kreise, die Einflihrung schadstoffarmer Autos aufzuhalten, erklärt der innen- und umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs, 4.9.1984. 92 Dies läßt auch darauf schließen, daß der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler, Kohl, mittlerweile von seiner ursprünglichen Bewertung abgerückt war, nach der die von seinen Ministern entfachte Diskussion als "lebhafte Sachdiskussion" zu interpretieren sei. Offensichtlich hatte er nunmehr beschlossen, die öffentlichen Auseinandersetzungen aus dem Hintergrund zu beenden. Zur Bewertung Kohls vgl. auch "Als Depp", in: Der Spiegel, Nr. 30, 23.7.1984, S. 18. 93 Zu den Aktivitäten des Bundesministeriums des Innem und des Bundeskanzleramtes vgl. Hans Peter Schütz: Vollgas oder Fehlzündung, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.8.1984. Das Bundeskanzleramt hatte bisher keine wahrnehmbare Koordinationsleistung übernommen. Wie schon im Streit um das Buschhaus-Kraftwerk drohte auch hier ein Koordinationsdefizit. Vgl. Filmer/Schwan: Helmut Kohl, S. 194 f.

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gefunden werden. Allerdings waren auch die Fronten klar: Es wurde deutlich, daß das Konzept des Bundesinnenministers in der Sondersitzung des Bundesrates zum Katalysatorauto am 14. September keine Unterstützung finden würde. Von mehreren Ministerpräsidenten wurde eine Kaufhilfe für abgasanne Autos abgelehnt. Zustimmung fand dagegen Stoltenbergs Ansatz der steuerlichen Förderung der Katalysatortechnik. 94 Im CDU-Präsidium konnten die verhärteten Fronten nicht aufgebrochen und keine Kompromißlösungen ausgearbeitet werden. Das CDU-Führungsgremium war in dieser Phase nur insofern von Bedeutung, als die CDU-Ministerpräsidenten Kohl und den teilnehmenden Regierungsmitgliedern nachdrücklich - die allerdings bereits bekannte Position - verdeutlichten, daß eine Politik der Katalysatorsubvention am Widerstand der unionsgeführten Länder im Bundesrat scheitern würde. Wie schon zuvor spielte auch im weiteren Verlauf bis zur endgültigen Entscheidung über die Einführung der Katalysatortechnik das CDU-Präsidium damit im Politikgestaltungsprozeß keine entscheidende Rolle. 95 Es wurde auf die Funktion einer Infonnationsbörse ohne Entscheidungsrang begrenzt. So nutzte Kohl auch die folgende Präsidiumssitzung vom 17. September 1984 - also zwei Wochen später - lediglich dazu, die Präsidiumsmitglieder darüber zu infonnieren, daß das Kabinett am nunmehr folgenden Mittwoch (19. September) endgültig die Eckwerte zur Einführung des abgasarmen Autos beschließen werde. 96 Insgesamt wurde auf drei Ebenen versucht, eine einheitliche Position zur Einführung von Katalysatorautos in der Union zu fmden. Neben bilateralen Gesprächen, so z. B. zwischen Späth und Kohl,97 sowie trilateralen Gesprächen beispielsweise zwischen Zimmennann, Späth und Strauß98 erfolgten eigenständige Koordinierungen zwischen den Ministerpräsidenten der CDU ebens099 wie Versuche zur Konsensfindung auf der Ebene der Vorsitzenden der Bonner

94 Zur CDU-Präsidiumssitzung vgl. "CDU-Länder gegen subventionierte Katalysatoren", in: FAZ, 29.8.1984. 95 Herles warf in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob das Partei gremium überhaupt "die richtige Instanz für die Koordinierung der Regierungspolitik im Bund und in den Ländern" sei. Vgl. Helmut Herles: Kein Plenum zwar, aber ein Forum für den Schatzkanzler und andere, in: FAZ, 15.9.1984. 96 Der Nachrichtenwert dieser Information war freilich begrenzt, stand doch dieses "Entscheidungsdatum" seit der Kabinettsitzung vom 3.7.1984 fest. Zur Mitteilung Kohls vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 220 bas 293 3, pi 545, 17.9.1984. 97 Vgl. "Kompromiß über die Einführung des Katalysators gescheitert", in: FAZ, 30.8.1984. 98 Vgl. Manfred Schell: Abgasarme Autos: Steuererlaß?, in: Die Welt, 13.9.1984. 99 Zum Abstimmungsprozeß zwischen den Unionsländern vgl. z. B. "Noch keine Einigung in der Union", in: Handelsblatt, 10.9.1984; Klaus Broichhausen: Die Union mit dem Katalysator-Auto aufSchlingerkurs, in: FAZ, 11.9.1984; "Bayern lehnt Bonner Alleingang ab", in: SZ, 12.9.1984; "Vogel: Bleifreies Benzin subventionieren und Kraftfahrzeugsteuer abstufen", in: FAZ, 12.9.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Regierungsparteien und -fraktionen. Eine zentrale Rolle nahm dabei ab Anfang September der Bundeskanzler selbst ein. Er hatte - ohne sich dabei zunächst auf eine Position festzulegen - die Frage und die Modalitäten der Einführung abgasarmer Autos zur Chefsache erklärt. 100 Bevor es jedoch zu einem ersten Gespräch auf der Ebene der Koalitionstuhrung kam, behandelte auch die Unionsfraktion am 12. September 1984 die Frage der Abgasregelung auf ihrer ersten Sitzung nach der parlamentarischen Sommerpause in Berlin. Ohne im Detail auf die nach wie vor offenen Punkte in der Katalysatordiskussion einzugehen, nutzte Kohl die Fraktionssitzung, um die "großartigen Leistungen" Zimmermanns im Bereich des Umweltschutzes herauszustellen. lol Dies konnte zunächst als Vertrauensbeweis des Kanzlers tur seinen Innenminister und als Aufforderung an die Fraktion, dessen zwischenzeitlich vorgelegtes Kompromißkonzept zu unterstützen, interpretiert werden. l02 Die besondere Bedeutung dieser Belobigung des Innenministers und die damit verbundene politische Absicht Kohls wurde auch in der Zusammenfassung der umweltpolitischen Ergebnisse der Fraktionssitzung durch den Fraktionsvorsitzenden Dregger deutlich. Dieser hatte auf einer Pressekonferenz zum Abschluß der Fraktionssitzung erklärt,103 daß der Vorschlag der EG-Kommission, abgasarme Autos erst ab 1995 verbindlich vorzuschreiben, nicht akzeptabel sei, und die Unionsfraktion eine Regelung anstrebe, die deutlich früher in Kraft trete. Wenn es nach der CDU/CSU-Fraktion gehe, so Dregger, sollten ab dem 1. Januar 1986 ausschließlich abgasarme Autos zugelassen werden. 104 100 Vgl. z. B. "Kohl kümmert sich selbst um Katalysator", in: FAZ, 1.9.1984. Dadurch, daß sich Kohl nunmehr selbst einschaltete, wollte er wohl auch eine ähnliche Pleite wie in der Debatte um das Kohlekraftwerk Buschhaus verhindern. Vgl. zu Buschhaus auch Filmer/Schwan: Helmut Kohl, S. 194 f. 101 Er erhielt dafür den Beifall der Unionsabgeordneten. Vgl. Manfred Schell: Abgasarme Autos: Steuererlaß?, in: Die Welt, 13.9.1984. 102 Konkret sah Zimmennanns neues Modell vor, die Anschaffung eine abgasarmen Autos über 10 Jahre zu fördern. In den ersten fünf Jahren sollte eine Steuerbefreiung gewährt werden und für die zweiten fünf Jahre dem Käufer ein entsprechender Betrag durch das Finanzamt ausgezahlt werden. De facto wäre für diesen Zeitraum die Kraftfahrzeugsteuer damit aus der Staatskasse vorfinanziert worden. Der Unterschied zu Zimmennanns ursprünglichen Vorstellungen lag vor allem darin, daß nunmehr das Finanzamt direkt an den Käufer erstatten sollte und nicht direkte Kaufhilfen an die Hersteller mit der Auflage ausgezahlt werden sollten, sie an die Konsumenten weiterzugeben. Zum Kompromißvorschlag Zimmennanns vgl. Manfred Schell: Abgasarme Autos: Steuererlaß?, in: Die Welt, 13.9.1987. 103 Zur Pressekonferenz vgl. Klaus Dreher: Koalitionsgespräche über abgasarme Autos, in: SZ, 12.9.1984. 104 Ähnlich hatte sich auch Schäuble in einem Interview mit dem RIAS Berlin am 1.9.1984 geäußert. Diese Fonnulierungen zeigten, daß die Unionsfraktion nicht der bestimmende Akteur in der Diskussion war, sondern die Beschlußfassung anderen Orts getroffen wurde. Im Kabinett überwog - auch angesichts der Widerstände in der EG eine Neigung, Katalysatorautos auf einer freiwillgen Basis ab 1986 einzuführen und erst

III. Umweltpolitik

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Wichtig vor dem Hintergrund von Kohls Bemerkung über Zimmermann war aber Dreggers Aussage, er sei dafilr, "durch steuerliche Anreize bleifreies Benzin zu begünstigen, die Kfz-Steuer rur abgasarme Autos stark herabzusetzen oder gar am Anfang entfallen zu lassen und sie filr Wagen ohne Katalysator erheblich zu erhöhen."lOs Als "noch offen,,106 bezeichnete er die Frage der Direktsubvention von Katalysatorfahrzeugen. Die Tatsache, daß Dregger nicht mehr wie filhrende Umweltpolitiker aus der Fraktion in den Wochen zuvor offensiv filr eine Kautbeihilfe eintrat, kann als Indiz rur einen sich andeutenden Richtungswechsel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ein Einschwenken auf die von Zimmermann zwischenzeitlich vor. gelegte Kompromißformel gedeutet werden, nach der abgasarme Autos filr einen befristeten Zeitraum von der Kraftfahrzeugsteuer befreit und den Käufern ein Teil der Kraftfahrzeugsteuer erstattet werden sollte. 108 Die Umweltpolitiker der Fraktion schwiegen und intervenierten nicht gegen den mit Dreggers Statement eingeläuteten sukzessiven Kurswechsel. Für sie war die Kompromißformel Zimmermanns akzeptabel, da dieses Modell de facto eine befristete Steuerbefreiung fiir filnf Jahre und durch die vorgesehene Steuerauszahlung einen unmittelbaren Kaufanreiz enthalten würde, der die Anschaffung eines abgasarmen Neuwagens attraktiver gestalten würde. 109 I~

ab 1989 verbindlich vorzuschreiben. Vgl. dazu auch Udo Berdoll: Des Ministers verfahrene Kiste, in: SZ, 14.9.1984; CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble, gab dem RIAS für die Sendereihe "Studio Bonn berichtet" folgendes Interview, 1.9.1984. 105 Dregger zitiert nach: Klaus Dreher: Koalitionsgespräch über abgasarme Autos, in: SZ,12.9.1984. 106 Ebd. 107 Auf Positionsverschiebungen und Kompromißbereitschaft in der Unionsfraktion weist auch die Aussage des ersten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Waigel hin, nach der es in der Frage der Direktsubventionen für Katalysatorautos keine Differenzen zwischen den Unionsparteien gebe. Vgl. Klaus Dreher: Koalitionsgespräch über abgasarme Autos, in: SZ, 12.9.1984. Auch der 1. Parlamentarische Geschäftsführer, Schäuble, hatte in einem Interview einen Konflikt zwischen Zimmermann und Stoltenberg bestritten. Gleichwohl hatte er unterschiedliche Auffassungen in der Katalysatorfrage bestätigt, sie aber mit den unterschiedlichen Zwängen des jeweiligen Ministeramtes begründet. Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Der Parlamentarische Geschäftsfuhrer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble, gab dem RIAS für die Sendereihe "Studio Bonn berichtet" folgendes Interview, 1.9.1984. 108 Damit hatte sich Zimmermann insofern Stoltenberg angenähert, als er nunmehr ein Anreizsystem akzeptierte, das ausschließlich auf der Basis von Begünstigungen im Bereich der Mineralölsteuer und Kraftfahrzeugsteuer gestaltet wurde. 109 Allerdings bedeutete dieses Modell in der Summe nichts anderes als eine Befreiung von der Kraftfahzeugsteuer auf 10 Jahre. Attraktiv war das Modell v. a. für Erstbesitzer der Autos. 21 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispie\e

Mittwochs, einen Tag nach der Fraktionssitzung fand in der Regierungszentrale ein erstes Koalitionsgespräch unter der Leitung des Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden zur Vorbereitung der rur den 19. September angekündigten Kabinettsentscheidung in der Katalysatorfrage statt. lIO Von seiten der Unionsparteien nahmen an der über vierstündigen Beratung Stoltenberg, Zimmermann, Waigel und Dregger teil. 111 Mehrheitlich tendierte man in dieser Runde gegen das ordnungspolitische ll2 und fmanzpolitische 1l3 Votum Stoltenbergs zu dem von Zimmermann initiierten Kompromißvorschlag, nachdem ein Teil der Kraftfahrzeugsteuer kapitalisiert werden sollte. 114 Am darauffolgenden Tag gab der Vorsitzende der Unionsfraktion und nicht der Bundeskanzler und Parteivorsitzende der CDU die ersten Ergebnisse dieser Runde in unverbindlichen Formulierungen im Bundestag bekannt: " Die Lösung könnte vielleicht darin bestehen, daß wir, wie wir es wollen, bereits am 1. Januar 1986 mit der obligatorischen Einführung der Schadstoffbegrenzung bei den Kraftfahrzeugen beginnen, die nach ihrer Größe und nach ihrem Hubraum es auch heute schon können. Es gibt auch heute BMW- und Daimler-Benz-Fahrzeuge, die nach Amerika exportiert werden [... ] Wir würden also bei denen mit der obligatorischen Einführung am 1. Januar 1986 beginnen und dann möglichst schnell die anderen einbeziehen, nach meiner Vorstellung bis spätestens 1989. [... ] Ob und wann das auch immer gelingt, wir möchten noch vor der obligatorischen Einführung, die viel früher stattfinden muß, als das bisher in der Kommission in Brüssel gedacht war wir haben noch Chancen, daß wir es hinkriegen, die freiwillige Einführung im nationalen Rahmen, ebenfalls möglichtst frühzeitig, durch Differenzierung bei der Mineralölsteuer zu fördern, um zu erreichen, daß das bleifreie Benzin zumindest nicht teurer ist als das andere, wie es in Amerika heute der Fall ist, sondern vielleicht sogar billiger. Wir möchten das vor allem durch eine Differenzierung bei der Kraftfahrzeugsteuer erreichen, indem das umwelfreundliche Auto auf eine längere Frist davon befreit wird, während die anderen, wenn sie 1986 in Betrieb gehen, eben eine drastische Mehrbelastung an Kraftfahrzeugsteuer erfahren müssen.'.! 15

Dregger hatte es damit im Unionslager übernommen, die Reaktionen auf mögliche Kompromißformeln auszuloten und eventuelle Kritik vom Kanzler 110 Vgl. z. B. "Bonn: Kein nationaler Alleingang beim abgasarmen Auto geplant", in: SZ,14.9.1984. 111 Angaben nach Udo Bergdoll: Des Ministers verfahrene Kiste, in: SZ, 14.9.1984. 112 Zu Stoltenbergs Abneigung gegen Subventionen ergänzend K. Rüdiger Durth: Und weiter warten die Wälder, in: Christ und Welt/Rheinischer Merkur, 14.9.1984. 113 Stoltenberg befürchtete, bei dem von Zimmermann als Komprorniß vorgeschlagenen Modell der Vorabgewährung von Steuererleichterungen mögliche Steuerausfälle der Länder aus der Bundeskasse vorfinanzieren zu müssen. Zu dieser Begründung Stoltenbergs vgl. "Meinungsverschiedenheiten über die Zwei-Liter-Wagen", in: FAZ, 17.9.1984. 114 Zu den Ergebnissen dieser Runde vgl. detailliert Peter Jentsch: Abgasarme Autos schon von 1986 an, in: Die Welt, 14.9.1984. 115 Dregger zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 82. Sitzung. 13.9.1984, S. 5952.

III. Umweltpolitik

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abzuhalten. Obgleich Dregger die Inhalte seiner Rede als explizite Forderung an den Bundeskanzler richtete,116 war es doch eine Stellvertreterrede fiir den Bundeskanzler. Denn er präsentierte die Ergebnisse, die man nur einen Tag zuvor gemeinsam erarbeitet hatte. Nachdem die unionsgefiihrten Länder - mit Ausnahme Baden-Württembergs - in der Sitzung des Bundesrates am 14. September einer Entschließung zugestimmt hatten,117 in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, Sorge dafiir zu tragen, daß Abgasreinigungstechniken 118 nach amerikanischem Vorbild bis spätestens Ende 1988 vorgeschrieben werden sollten, und sie zugleich der Bundesregierung die Bestimmung der Modalitäten der Kaufanreize fiir Katalysatorautos überlassen hatten, lag die Verantwortung der abschließenden Beschlußfassung formal beim Bundeskabinett. Mit dem Beschluß des Bundesrates zur stufenweisen Einführung des Katalysatorautos, der auf der Mehrheit der CDU/CSU-Länder beruhte, war allerdings die Richtung der Entscheidung auch für das Kabinett vorgegeben. 119 Da aber innerhalb des Unionslagers - in diesem Fall Stoltenberg auf der einen und Zimmermann sowie die Unionsfraktion auf der anderen Seite - noch immer divergierende Vorstellungen über die Kaufanreize fiir abgasarme Autos bestanden und Zimmermann angekündigt hatte, daß im Kabinett damit zwei Alternativen zur Debatte stehen würden,120 wurde ein weiteres Koalitionsgespräch zur Vorabklärung notwendig. Denn derartige Abstimmungen über Alternativen versuchte Kohl, wie bereits auch an anderen Stellen dieser Arbeit gezeigt, nach Möglichkeit im Kabinett zu vermeiden. Entsprechend wurde in einer Runde unter Kohls Leitung - fiir die Unionsparteien nahmen Stoltenberg, Zimmermann, Dregger und Waigel teil - eine Einigung dergestalt erzielt, daß die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin gesenkt werden und mit Katalysatoren ausgerüstete Fahrzeuge je nach Hubraumklasse zwischen vier und zehn Jahren von der Kraftfahrzeugsteuer befreit werden sollten. In der Frage der Vorabauszahlung der Steuer an die Käufer abgasarmer Autos entsprechend dem Kompromißvorschlag Zimmermanns konnte kein Einvernehmen hergestellt werden. Stoltenberg war in seiner Position hart geblieben. 116 117

84.

Zum Wortlaut vgl. ebd. Zum Wortlaut der Entschließung vgl.: Deutscher Bundesrat: Drucksache 34112/

Eine explizite Festlegung auf die Katalysatortechnik war nicht erfolgt. Diesen Eindruck vermittelte auch der Bundesinnenminister in seiner Rede im Bundesrat. Seine Erklärung, die Bundesregierung sei mit dem von der Mehrheit des Bundesrates vorgelegten Textes einverstanden, ohne daß er dazu nochmals Rücksprache mit dem Bundeskanzler gehalten habe, mag als Indiz dafür gelten, daß es vorab eine Koordination der Unionsministerpräsidenten mit Kohl gegeben hatte. Zur Erklärung Zimmermanns vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 540. Sitzung. 14.9.1984, S. 341. 120 So Zimmermann in: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 540. Sitzung. 14.9.1984, S. 342. 118

119

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Man erzielte deshalb nach vierstündigen Verhandlungen die Übereinkunft, daß in der Frage weiterer finanzieller Anreize zur Anschaffung abgasarmer Autos sich die Bundesländer verständigen sollten. Außerdem hatte man sich darauf geeinigt, daß die Neuzulassung abgasarmer Autos ab 1. Januar 1989 in der Bundesrepublik obligatorisch sein sollte. Gleichzeitig wurde in der Koalitionsrunde vereinbart, daß Stoltenberg und Zimmermann am folgenden Tag nach dem nunmehr nur noch formal vorzunehmenden Kabinettsbeschluß diesen der Öffentlichkeit gemeinsam präsentieren sollten. 121 Mit dem gemeinsamen Auftritt der bei den Kontrahenten sollte nach der Entscheidungsfindung die Einheit der Regierung demonstriert werden. Unmittelbar nachdem die Koalitionsspitzen die umweltpolitischen Vereinbarungen getroffen hatten, wurden die Inhalte der Unionsfraktion präsentiert. Hier wurden die Entscheidungen einerseits begrüßt. 122 Dregger sprach in seinen Erläuterungen gar von einem "Durchbruch für den Umweltschutz"l23. Andererseits wurde aus den Reihen der Abgeordneten heftig der Prozeß der Entscheidungsfindung und die dabei demonstrierte Wankelmütigkeit kritisiert. 124 Am 19. September 1984 faßte die Bundesregierung in einem, nun nur noch formalen Akt, den Beschluß zur Einführung abgasarmer Autos in der Bundesrepublik. Unter anderem hieß es darin: ,,1. Der Bundesminister der Finanzen wird beauftragt, einen Gesetzentwurf auf der Grundlage des verbesserten Kraftfahrzeugssteuermodelles l25 [ ... ] auszuarbeiten. Da die Kraftfahrzeugsteuer in der Ertragshoheit der Länder liegt, sollen sie um Stellungnahme bis 20. Oktober 1984 gebeten werden auch zu der Frage, ob sie eine andere Ausgestaltung des Kaufanreizes [... ] wünschen. Finanzielle Ausgleichszahlungen des Bundes an die Länder sind in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen. [... ] 3. Das System der steuerlichen Anreize soll für alle Pkw zum 1. Januar 1989 [... ] abgelöst werden durch eine obligatorische Re~e1ung, die die Einhaltung der USSchadstoffgrenzwerte verbindlich vorschreibt." 26

121 Zum Ablauf der Koalitionsrunde und den dabei getroffenen Vereinbarungen vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 230 bas 290 2, pI 503, 18.9.1984. 122 Zur positiven Resonanz vgl. Paul Laufs: Einführung schadstoffarmer Autos ist eine mutige Entscheidung, in: DUD, 19.9.1984, S. 2. 123 Dregger zitiert nach: "Katalysator rur neue Autos soll erst von 1989 an vorgeschrieben werden, in: SZ, 19.9.1984. 124 Zur Kritik vgl. "Die Koalition einig: Katalysatoren von 1989 an. Steuervorteile schon im kommenden Jahr", in: FAZ, 19.9.1984. 125 Zum parlamentarischen Prozeß der Umsetzung vgl. Überblick in: Deutscher BundestagJBundesrat (Hrsg.): Stand der Gesetzgebung des Bundes. Verkündete Gesetze und nicht Gesetz gewordene Entwürfe. 10. Wahlperiode. 1983-1987, Baden-Baden 1987, S. 249 f. 126 "Maßnahmen zur Einruhrung von umweltfreundlichen Autos. Beschluß des Bundeskabinetts vom 19. September 1984", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 107,21.9.1984, S. 949.

III. Umweltpolitik

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Kohl mußte bei der Beschlußfassung im Kabinett nicht explizit auf das Instrument der Richtlinienkompetenz zurückgreifen. Er hatte dadurch, daß er das Gesamtthema zur Chefsache erklärte, in den vorhergehenden Koalitionsgesprächen implizit mit der Autorität des Bundeskanzlers auf eine Kompromißfindung hingewirkt. Zusammerifassung und Bewertung

- Die Streitschlichtung und Kompromißfindung im Vorfeld der Kabinettsitzung vom Juli war zunächst den betroffenen Ressortleitern überlassen. Als hier keine Kompromißfindung erfolgte, wurde das Themenfeld zum Gegenstand von Beratungen Kohls mit den Kontrahenten. Kohls Ziel war es dabei, zu verhindern, daß die umstrittenen Aspekte der Katalysatoreinführung im Kabinett per Mehrheitsvotum entschieden wurden. Er strebte eine konsensuale und einstimmige Entscheidung an, die den betroffenen Akteuren Gelegenheit bot, ihre jeweilige Position in Form tragflihiger Kompromisse zu wahren. Um den Eindruck politischer Geschlossenheit auch in der Öffentlichkeit zu demonstrieren, verpflichtete Kohl die Kontrahenten Stoltenberg und Zimmermann im Sinne dieser Gesamtstrategie zur gemeinsamen Präsentation der Ergebnisse der Kabinettsentscheidung vom Herbst. - Als fur die Bundesregierung die Gefahr eines Imageschadens - ähnlich der Buschhaus-Debatte - durch die Diskussionen um die Einführung der Katalysatortechnik für Personenkraftwagen entstand, schaltete sich Kohl in den Politikgestaltungssprozeß ein und forcierte ihn hinter den Kulissen und abseits der öffentlichen Wahrnehmung, indem er das Themenfeld zur Chefsache machte. Ab September nahm er in seinen Funktionen als Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzender deutlich erkennbar auf den Politikgestaltungsprozeß Einfluß und versuchte, durch konsensual ausgerichtete Vermittlungsstrategien zwischen den verschiedenen Lagern eine gemeinsame Position zu erreichen. - Als ein Grundmuster zur Herbeiführung von politischen Lösungen wurde eine Strategie der zeitlichen und akteursspezifischen Problemverlagerung sichtbar. Als im Sommer 1984 zwischen den Positionen des Bundesfinanz- und des Innenministers keine Einigung herbeizuführen war, wurde die Entscheidungsfindung in diesem umstrittenen Aspekt ausgeklammert und eine Beschlußfassung für einen späteren Zeitpunkt angekündigt. Als man im Herbst, ebenfalls unmittelbar vor der in der Öffentlichkeit als entscheidend angekündigten Kabinettsitzung, in Teilaspekten der zur Beschlußfassung anstehenden Fragen keine Einigung erzielen konnte, wurden diese ebenfalls ausgeklammert und einer anderen Akteursebene (Bundesländer) zur Beratung überwiesen. Damit war es gelungen, im Kabinett jeweils konsensual über die verbliebenen Themenaspekte der Kabinettsvorlagen zu entscheiden, ohne die Verabschiedung des Gesamtvorhabens zu gefährden ..

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

- Der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende vennied zunächst eine persönliche inhaltliche Festlegung auf eine der kontrovers diskutierten Modellvarianten. Dies erleichterte ihm schließlich auch, die Rolle des Vennittlers und Streitschlichters zu übernehmen. Allerdings signalisierte er in einem entscheidenden Moment durch seine Ausfilhrungen vor der Fraktion und seine Hervorhebung der Leistungen des Bundesinnenministers Präferenzen. Diese wurden vom Fraktionsvorsitzenden aufgegriffen, der die Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion auf ein von Zimmennann vorgeschlagenes Kompromißmodeli vorbereitete. Er übernahm es nach einer Sitzung der Koalitionsrunde, die Akzeptanz der dabei getroffenen Übereinkünfte im Bundestag und der eigenen Fraktion auszuloten und sie der Regierung offiziell als Option vorzuschlagen. - Das Kabinett vollzog lediglich anderen Ortes bereits getroffene Entscheidungen nach und gab ihnen damit den Status einer "Kabinettsentscheidung" , die de facto eine "Kabinettszustimmung" zu bereits zuvor in der Koalitionsrunde zwischen den Partei- und Fraktionsfilhrern vereinbarten Sachverhalten war. Die Unionsfraktion wurde unmittelbar nach der abschließenden Übereinkunft der Koalitionsrunde im September von der Fraktionsfilhrung über die Ergebnisse und das daraus abzuleitende Votum des Kabinetts infonniert. Mit der Entscheidung der Koalitionsrunde, in der mit Dregger und Waigel die fonnal filhrenden Fraktionsvertreter teilgenommen hatten, und der Mitteilung der Ergebnisse an die Fraktion war die Beschlußfassung des Kabinetts zusätzlich präjudiziert und die Möglichkeit zur Abweichung auf nahezu Null reduziert. - Die starke Position des Bundesfmanzministers im Machtdreieck wurde deutlich. Durch die subtil angedeutete, aber nie explizit angewendete Widerspruchsmöglichkeit, die ihm die Geschäftsordnung der Bundesregierung einräumte, und durch Beharrungsvennögen - dabei kam ihm unter machtpolitischen Gesichtspunkten entgegen, daß sein Finanzierungskonzept durch die CDU-Bundesländer weitgehend gestützt wurde - konnte er sein an der Finanzlage des Bundes ausgerichtetes Förderkonzept im wesentlichen durchsetzen. - Die CDU/CSU-Fraktion als Gesamtgremium spielte im Politikgestaltungsprozeß des untersuchten Themenfeldes lediglich eine nachgeordnete Rolle. Bedeutsamer war dagegen die Rolle von einzelnen Fraktionsvertretern, wie den Umweltpolitikern oder dem Fraktionsvorsitzenden. Aus den Reihen der erstgenannten wurde das Themenfeld mit auf die Arbeitsagenda der Regierung gesetzt. Sie forcierten durch öffentliche Stellungnahmen, durch die Entwicklung eigener Positionen und die Einforderung von Entscheidungen bis zu bestimmten Zeitpunkten den Politikgestaltungsprozeß und erhöhten damit den politischen Druck auf die Regierung. Allerdings waren sie an der Ausarbeitung der Details zu Einfilhrung abgasarmer Autos nicht beteiligt. Hier dominierten die Bundesministerien des Innern und der Finanzen. Gleichzeitig wurden die Fraktionsvertreter dennoch durch eindeutige Positionen zur Berufungsinstanz filr Zimmennann in seinen Verhandlungen mit Stoltenberg und

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zu einem ihn stützenden Machtfaktor. Dregger war als Fraktionsvorsitzender insofern von Bedeutung, als er die Fraktion auf die vom Bundeskanzler vorgegebene Linie führte beziehungsweise es stellvertretend für den Regierungschef übernahm, die Akzeptanz von Kompromißpositionen in der CDU/CSUBundestagsfraktion auszutesten. - Das CDU-Präsidium übernahm im analysierten Fallbeispiel die Funktion einer "Kontakt- und Informationsbörse". In ihm hatten die untersuchungsrelevanten Akteure der vertikalen und horizontalen Ebenen des politischen Systems die Möglichkeit zu Austausch und Diskussion der unterschiedlichen Positionen. Dabei ließ sich für das Präsidium ein politikgestaltender Einfluß auf die Entscheidung hinsichtlich der Einführung abgasarmer Autos in diesem Fallbeispiel nur begrenzt erkennen. Positionsvorklärungen und -abstimmungen, die über den bloßen Meinungsaustausch hinausgingen, wurden in erster Linie bilateral, so z. B. zwischen dem Bundeskanzler und einzelnen CDU-Ministerpräsidenten, vorgenommen.

2. Staatszielbestimmung Umweltschutz 1983-1987 Positionsvorgaben durch Parteiführung und Regierung Die Diskussion um die Aufnahme des Staatszieles "Umweltschutz" in das Grundgesetz wurde durch die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt vom 24. November 1980 neu belebt. 127 Er hatte damals vor dem Bundestag angekündigt: "Das Grundgesetz hat sich bewährt. Über seine tragenden Elemente besteht weiter Übereinstimmung im Volk. Die Bundesregierung wird aber prüfen, ob in das Grundgesetz detailliertere Staatszielvorstellungen oder Gesetzgebungsaufträge aufgenommen werden müssen.,,128 Der lustizminister der sozial-liberalen Koalitionsregierung, Jürgen Schmude, präzisierte diese Ankündigung in seiner Regierungserklärung vom 19. März 1981 und führte als ein Beispiel für neu aufzunehmende Staatszielbestimmungen u. a. den Schutz der Umwelt an. 129 Im Herbst 1981 setzten Schmude und der damalige Bundesinnenminister Gerhard Baum eine Sachverständigenkommission ein,130 die in 127 Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Anregungen rur eine entsprechende Grundgesetzänderung gegeben. Erstmals hatte die FDP in ihren Freiburger Thesen von 197 I entsprechende Forderungen erhoben. 128 Schmidt zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 9. Wahlperiode. 5. Sitzung. 24. I 1.1980, S. 25-41, hier S. 39. 129 Zu Details und weiteren möglichen Staatszielbestimmungen vgl. Schmude in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 9. Wahlperiode. 26. Sitzung. 19.3.1981, S. 1207-1215, hier S. 1208 f. 130 Ihr gehörten die Professoren Peter Badura (München), Erhard Denninger (Frankfurt), Jörg P. Müller (Bem), Thomas Oppermann (Tübingen), Thilo Ramm (Hagen), Eckhard Rehbinder (Frankfurt), Walter Schmidt (Frankfurt) an.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

ihrem am 6. September 1983 vorgelegten Schlußbericht mehrheitlich!3! u. a. vorschlug, die Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes neuzufassen und dort den Schutz der Umwelt zu verankern. !32 Wie reagierten die Akteure des Machtdreiecks auf dieses, von außerhalb des Akteursdreiecks vorgenommene Agendasetting? Wie wurde eine gemeinsame Position zwischen den Akteuren herbeigefilhrt? Welche Konflikte traten dabei auf, und wie wurden diese beigelegt? Auf diese Fragen werden in den nachfolgenden Abschnitten Antworten gegeben: - Positionsbestimmung durch den Parteivorsitzenden; - Konflikt Unionsfraktion - CDU-Ministerpräsidenten; - Konfliktschlichtung im Parteipräsidium; - Neuakzentuierung in der Staatszielfrage durch Bundeskanzler und Umweltminister.

Positionsbestimmung durch den Parteivorsitzenden

Die unmittelbaren Reaktionen in CDU, Unionsfraktion und Bundesregierung auf das Gutachten der noch von der sozial-liberalen Regierungskoalition eingesetzten Sachverständigenkommission waren in ihrer Tendenz ablehnend.!33 Zudem wurde zunächst aus den Reihen von CDU, Fraktion und Bundesregierung das Thema in öffentlichen Stellungnahmen zur Umweltpolitik weitgehend ausgespart. Obgleich während der Tagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Berliner Reichstag am 9. September 1983 umweltpolitische Fragen im Mittelpunkt standen, war die Frage der Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz kein expliziter Tagungsordnungspunkt. 134 Auch Bundesinnenminister Zimmermann sparte in seiner Regierungserklärung zum Thema Umwelt am 15. September 1983 - im übrigen ebenso wie der nach ihm zum Thema redende stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Miltner diesen Themenaspekt in der Bundestagsdebatte aus. Zimmermann beschränkte sich darauf, zu betonen, daß "der Schutz der Umwelt [... ] nach der Sicherung 131 Eine Minderheit hatte sich daflir ausgesprochen, einen neuen Artikel 37 a in das Grundgesetz einzufligen. 132 Vgl. dazu Der Bundesminister des InnernlDer Bundesminister der Justiz: StaatszielbestimmungeniGesetzgebungsauftr~ge. Bericht der Sachverständigenkommission, Bonn 1983; im zusammenfassenden Uberblick auch Ada Brandes: Arbeit, Umweltschutz und Kultur als Staatsziele, in: Stuttgarter Zeitung, 6.9.1983. \33 Vgl. dazu "Union gegen Vorschläge zur Grundgesetz-Erweiterung", in: FAZ, 8.9.1983; "Bedenken in der Union gegen Erweiterung des Grundgesetzes", in: SZ, 8.9.1983. 134 Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressedienst, 9.9.1983.

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des Friedens die wichtigste Aufgabe unserer Zeit" sei, und verwies ergänzend auf die Regierungserklärungen des Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1982 und 4. Mai 1983. 135 Diese Auslassung konnte als Indiz dafür gewertet werden, daß man in der Bundesregierung, Unionsfraktion und CDU in der Frage der Staatszielbestimmung Umweltschutz noch keine einheitliche Position gefunden hatte. Gleichzeitig hatte aber hinter den Bonner Kulissen die Suche nach einer für die CDU und die Unionsfraktion verbindlichen Linie in der Staatszielfrage bereits eingesetzt. Noch während der interne Abstimmungsprozeß lief, wurde diese jedoch von Kohl vorgegeben: Auf Bundesebene, so Kohl, könne keine Grundgesetzänderung durchgeführt werden, die ausschließlich das Ziel Umweltschutz berücksichtige. Eine Vielzahl anderer Änderungswünsche sei bei einer Grundgesetzüberarbeitung zu erwarten, ein langwieriger verfassungsrechtlicher Beratungsprozeß werde damit unweigerlich in Gang gesetzt - so teilte der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende seine Position dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß mit. 136 Was aber waren abseits dieser formalen Argumentation die Hintergründe von Kohls Position? Drei Aspekte scheinen naheliegend: - Zum einen hatte Kohl erkannt, daß eine Änderung des Grundgesetzes, die sich ausschließlich auf umweltpolitische Aspekte bezog, nicht realistisch war - schon allein deshalb, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig war und damit die SPD-Fraktion in die Beratungen miteinbezogen werden mußte. Unweigerlich würden Junktims und Forderungen nach verfassungsrechtlicher Berücksichtigung anderer gesellschaftlicher Fragen - z. B. Recht auf Arbeit - entstehen. Diese waren wiederum in der CDU nicht durchsetzbar. - Hinzu kam zum zweiten, daß die Koalition mit einem ehrgeizigen innen- und wirtschaftspolitischem (Reform)programm angetreten war. Dies ließ zum einen wenig Raum rur komplexe Verfassungsdebatten zu, zum anderen sollte das rur die Reformen notwendige Arbeitsklima in der Koalition nicht durch die Diskussion um mögliche Verfassungsreformen belastet werden. Indem der Bundeskanzler auf den grundsätzlichen Beratungsprozeß verwies, der durch die Öffnung der verfassungsrechtlichen Büchse der Pandora entstehen konnte, hatte er es gleichzeitig geschickt vermieden, sich grundsätzlich für oder gegen

135 Der SPD-Abgeordnete Hauff ging dagegen auf das Themenfeld "Umweltschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz" ein und machte die bemrwortende Position der SPD-Bundestagsfraktion deutlich. Zu den Beiträgen Zimmermanns, Miltners und Hauffs vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 22. Sitzung. 15.9.1983, S. 1429-1447. 136 Vgl. Peter Schmalz: Umwelt: Strauß mit Kohl einig, in: Die Welt, 22.12.1983.

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ein Staatsziel Umweltpolitik aussprechen und sich womöglich auf Formulierungsalternativen festlegen zu müssen. 137 - Zum dritten schloß der CDU-Parteivorsitzende mit seinem Verweis auf die Bundesebene nicht aus, daß auf Länderebene entsprechende Vorgaben in die jeweilige Landesverfassung aufgenommen werden konnten. l38 Während der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler im Dezember 1983 eine - ohne sich dabei allerdings defmitiv festzulegen - eher ablehnende Position gegenüber der Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz eingenommen hatte, war die von der Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgegebene Linie in dieser Frage zunächst nuancierter. Dies wurde Mitte März 1984 deutlich, als der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Miltner, auf einen Vorstoß von Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) reagierte, der u. a. während einer Parteiveranstaltung in Nürnberg am 10. März eine Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz gefordert und damit die Debatte erneut forciert hatte. 139 Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte er die grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen mit den anderen Bundestagsfraktionen über die Absicherung des Umweltschutzes im Grundgesetz. 14o Zugleich defmierte er aber auch die Rahmenbedingungen für derartige Gespräche: "Allerdings müssen vorher die mit der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz verbundenen Fragen geklärt werden. Entscheidend ist, was konkret an Maßnahmen und Gesetzen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen getan wird. [00'] Offensichtlich soll in das Grundgesetz kein neues Grundrecht aufgenommen werden, sondern lediglich eine sogenannte Staatszielbestimmung, die das staatliche Handeln auf die Erhaltung der Umwelt verpflichten soll. Im Grundgesetz wurden bisher zu Recht Staatszielbestimmungen mit Programmcharakter vermieden, auch um die Verfassung nicht unnötig mit Selbstverständlichkeiten zu überfrachten. Statt dessen schützt das Grundgesetz die Rechte und die Interessen der Bürger mit einem wohl ausgewogenen Netz von Grundrechten, die gegenüber dem Staate einklagbare Rechtsansprüche zur Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen garantieren. Eine Änderung des Grundgesetzes durch Aufnahme einer Staatszielbestimmung für den Umweltschutz kann deshalb nur dann sinnvoll sein, wenn damit

I37 Deutlicher war da schon das CDU-Präsidiumsmitglied und der rheinland-pflilzische Ministerpräsident Vogel geworden, der deutlich vor der Aufnahme von umweltpolitischen Leerformeln in das Grundgesetz warnte. Vgl. Peter Schmalz: Umwelt: Strauß mit Kohl einig, in: Die Welt, 22.12.1983. 138 Entsprechende Bestrebungen gab es zu diesem Zeitpunkt in Bayern. Im Freistaat wurde am 5.4.1984 der Umweltschutz in der Verfassung verankert. Bayern war damit das erste Bundesland mit einer derartigen Regelung in der Landesverfassung. Auch in Rheinland-Pfalz prüfte das lustizministerium seit Ende 1983 eine entsprechende Reform. Vgl. Peter Schmalz: Umwelt: Strauß mit Kohl einig, in: Die Welt, 22.12.1983. 139 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 097, bas 1205, pi 147, 10.3.1984. 140 Vgl. Karl Miltner: Umweltschutz im Grundgesetz? - Zu Überlegungen von BundesjustizministerEngelhard, in: DUD, Nr. 50,12.3.1984.

III. Umweltpolitik

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tatsächlich und materiell eine Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt erreicht wird, wenn sie also hilft, die Situation der Menschen konkret zu verbessern.,,141

Diplomatisch geschickt machte Miltner mit diesem Gesprächsangebot zum einen die Vorbehalte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen eine Grundgesetzreform deutlich und verknüpfte sie zum anderen zugleich mit den Bedingungen, unter denen eine Grundgesetzänderung rur die parlamentarische Vertretung der Unionsparteien überhaupt nur in Frage kommen konnte. Unmißverständlich formulierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende: "Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, man wolle die drängenden Umweltprobleme durch eine Verfassungsänderung lösen, weil dies billiger sei als Gesetze und Verordnungen zur Verbesserung der Umwelt." 142 Die Verhandlungslage war somit aus Sicht der Unionsfraktion umrissen; die Verhandlungsspielräume waren definiert. Es war ein Komprorniß, den Miltner formuliert hatte. Wenn auch zwischen den Zeilen die stellvertretend für weite Teile der Unionsfraktion formulierte Haltung in der Frage der Grundgesetzänderung deutlich geworden war, so trug die von ihm signalisierte konditionierte Gesprächsbereitschaft auch der vor allem unter CSU-Politikem in der Unionsfraktion entstandenen Neigung Rechnung, intensiver über die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz nachzudenken. 143 Die von Miltner repräsentierte Position bildete zudem keineswegs einen Gegensatz zur im Dezember 1983 deutlich gewordenen Haltung Kohls. Es waren die Argumente, die sich unterschieden. Die Grundpositionen sowohl des Bundeskanzlers als auch weiter Teile der Unionsfraktion 144 waren in ihrer Tendenz zur Ablehnung einer Grundgesetzreform und damit einer Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung identisch. Dies wurde auch nach den zwei Sitzungen der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport am 27. März und 3. April 1984, in denen man über die Verankerung von Staatszielen im Grundgesetz 141 Karl Miltner: Umweltschutz im Grundgesetz? - Zu Überlegungen von Bundesjustizminister Engelhard, in: DUO, Nr. 50,12.3.1984. 142 Karl Miltner: Umweltschutz im Grundgesetz? - Zu Überlegungen von Bundesjustizminister Engelhard, in: DUO, Nr. 50, 12.3.1984. 143 Einen entscheidenden Hintergrund bildete dabei der zeitgleich ablaufende Prozeß der Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in die bayerische Verfassung. Vor allem der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Spranger, aber auch der Bundesinnenminister selbst zählten zu den Befürwortern einer Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz. Unterstützung erhielten sie von den Umweltministern der Bundesländer, die sich während eines Treffens im März 1984 ebenfalls für die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz als Staatsziel ausgesprochen hatten. Vgl. Norbert Iserlohe: Bei Umweltschutz durch das Grundgesetz auch Nachteile, in: Bonner Rundschau, 3.4.1984; "Bonn soll Umwelt durch Grundgesetz schützen", in: FR, 17.3.1984; "Das Ruhekissen", in: Der Spiegel, Nr. 28, 9.7.1984, S. 58 f. 144 In diesem Fall wurde sie vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Miltner im Namen der Fraktion repräsentiert.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

intern debattiert hatte, deutlich. Spranger, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, konnte in diesen Sitzungen die Mitglieder der Arbeitsgruppe nicht von der Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung überzeugen. Die vor allem von den Abgeordneten Laufs und Biens vertretene Ablehnung einer Verfassungsänderung setzte sich als Mehrheitsmeinung in der zuständigen Arbeitsgruppe durch. Entsprechend erklärten der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Laufs, und der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Gerlach, als Arbeitsergebnis unisono, daß "eine Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel im Grundgesetz nicht rur notwendig und auch nicht rur richtig,,145 erachtet werde. Auf drei Ebenen begründeten sie ihre Position:

Vollständigkeit des Grundgesetzes "Die Verfassung weist, was den Umweltschutz angeht, kein Lücke auf. [... ] Die Kompetenznormen des Grundgesetzes haben Bund und Länder rur die einzelnen Bereiche des Umweltschutzes hinreichende Handlungsmöglichkeiten gegeben.,,146

Keine Verantwortungsdelegation von der Politik zu den Gerichten "Mit einer Grundgesetzänderung wird weder dem Waldsterben noch der Gewässerverunreinigung Einhalt geboten. [... ] Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, effektiven Umweltschutz zu betreiben. Die Politiker und Regierung in Bund und Ländern dürfen ihre Verantwortung für unsere Umwelt nicht auf die Gerichte abschieben.,,147

145 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Nach der heutigen eingehenden Erörterung in der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport über die Verankerung von Staatszielen im Grundgesetz erklären der innenpolitische Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs, MdB (CDU), und der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Paul Gerlach, MdB (CSU), 3.4.1984; vgl. auch Norbert Iserlohe: Bei Umweltschutz durch das Grundgesetz auch Nachteile, in: Bonner Rundschau, 3.4.1984; "Die Union will das Grundgesetz doch nicht ändern", in: FAZ, 4.4.1984; "Union beharrt: Umweltschutz nicht im Grundgesetz verankern", in: FAZ, 27.4.1984. 146 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Nach der heutigen eingehenden Erörterung in der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport über die Verankerung von Staatszielen im Grundgesetz erklären der innenpolitische Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs, MdB (CDU), und der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Paul Gerlach, MdB (CSU), 3.4.1984. 147 Ebd.

III. Umweltpolitik

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Historische Erfahrung "Die Weimarer Verfassung war mit politischen Zielen und staatlichen Aufgaben überladen. Das hat ihrer Geltungskraft geschadet und sie unglaubwürdig gemacht. Deshalb haben sich die Väter des Grundgesetzes bewußt auf unmittelbar geltende, einklagbare Grundrechte und die Strukturprinzipien unseres Staates beschränkt.,,148 Allerdings war dies nur das Votum der zuständigen Arbeitsgruppe in der CDU/CSU-Fraktion, nicht aber das der Gesamtfraktion. Dieses stand nach wie vor noch aus. Das machte auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Miltner deutlich, als er darauf hinwies, daß eine Zustimmung der Unionsfraktion zu einer Grundgesetzänderung durchaus möglich sei 149 - jedoch nur, "wenn damit konkret der Umweltschutz gefördert wird. Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der Übernahme des Umweltschutzes in unsere Verfassung noch keineswegs geklärt. Deshalb ist eine sogenannte Prüfung und Abwägung notwendig, ob wir einen Eingriff in die Systematik des Grundgesetzes vornehmen sollen." 150 Offen zeigte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende dagegen flir die Aufnahme eines entsprechenden Staatszieles in die Landesverfassungen, denn "diese sind zum Teil ganz anders strukturiert, so daß die dargestellten Probleme sich dort ganz anders darstellen.,,151 Um die Meinungsbildung in der Frage des ökologischen Staatszieles aber voranzutreiben, wurde vom Fraktionsvorstand beschlossen, eine öffentliche Expertenanhörung zum Thema durchzuflihren. 152 Mit den Ergebnissen der Anhörung und den Stellungnahmen der Sachverständigen 153 flihlte sich die Mehrzahl der Rechts- und Innenpolitiker in ihrer "Zurückhaltung und Skepsis,,154

148 Ebd. 149 Miltner bezog sich damit auf einen Vorschlag zur Änderung des Grungesetzes, den die hessische Landesregierung angekündigt hatte und im Bundesrat einbringen wollte. Vgl. zum hessischen Vorhaben auch dpa-Pressemeldung, dpa 137, bas 1844 pI 103, 16.5.1984. 150 "Die Problematik der Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz. Öffentliche Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion," in: DUD, 21.5.1984. 151 Ebd. 152 Vgl. Ankündigung von Miltner v. 21.5.1984, in: "Die Problematik der Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz. Öffentliche Anhörung der CDU/CSUBundestagsfraktion", in: DUD, 21.5.1984. 153 Dazu zählten die Professoren Peter Badura, Ernst Benda, Michael Kloepfer, Walter Leisner, Rupert Scholz und Horst Sendler. 154 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu der heute durchgeführten Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu der Frage "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz" erklären der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Karl Miltner (CDU), sowie der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Fritz Wittmann (CSU), und der innenpolitische Sprecher, Dr. Paul Laufs (CDU), 28.5.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

hinsichtlich der Aufnahme der Staatszielbestimmung Umweltschutz in das Grundgesetz bestätigt. lss Wenn sie bezüglich der Tagungsergebnisse auch erklärten: "Über diese Frage lS6 muß endgültig noch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion entscheiden. Ihrem Votum soll nicht vorgegriffen werden. Die Erkenntnisse des Hearings sind aber eine gute und sachlich fundierte Grundlage rur die Behandlung in der Fraktion."IS7 So war doch die überwiegend ablehnende Position ruhrender Fraktionsvertreter nachhaltig durch das Expertenvotum gestärkt worden. Die damit bestätigte Mehrheitsposition in der CDU/CSU-Fraktion hatte sich im übrigen zuvor bereits auch an anderer Stelle in der CDU widergespiegelt. So hatte man zur programmatischen Vorbereitung des Stuttgarter Parteitags ISS der CDU im Bundesvorstand beschlossen, daß verschärfte umweltpolitische Vorgaben des Staates und die Fixierung eindeutiger gesetzlicher Rahmenbedingungen die Voraussetzungen sein sollten, um die Bundesrepublik Deutschland zu einem umweltfreundlichen Industriestaat zu machen. ls9 Vor diesem Hintergrund war in einem vom Bundesvorstand der CDU vorgelegten Entwurf zu den Stuttgarter Leitsätzen der Umweltschutz zu einem wirtschaftspolitischen Ziel erklärt worden, das mit denen im Stabilitätsgesetz von 1967 festgelegten Kriterien - hoher Beschäftigungsstand, Stabilität des Preisniveaus, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum - gleichwertig sein sollte. 160 Das "magische Viereck" sollte zum Fünfeck erweitert werden. Auf eine Proklamierung des Umweltschutzes als Staatsziel hatte man dagegen bewußt verzichtet. 161 Dadurch, daß ökologische Aspekte und der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen zum Kalkulationsfaktor ökonomischer Kostenrechnungen gemacht wurden, glaubte man, einen höheren umweltpolitischen Wir-

155 Vgl. ebd., ergänzend Manfred Schell: Benda: Umweltschutz nicht ins Grundgesetz, in: Die Welt, 30.5.1984. 156 Gemeint war die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz. 157 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu der heute durchgeführten Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu der Frage "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz" erklären der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Karl Miltner (CDU), sowie der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Fritz Wittmann (CSU), und der innenpolitische Sprecher, Dr. Paul Laufs (CDU), 28.5.1984. 158 Er fand vom 9.-11.5.1984 statt. 159 Vgl. auch "Für die CDU ist die Zertifikationslösung noch nicht zu den Akten gelegt", in: Handelsblatt, 30.4.1984. 160 Zu den Stuttgarter Leitsätzen vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag 1984,2. Tag, S. 341-370. 161 Ergänzend dazu auch Bemhard Worms: Aktive Umweltpolitik statt Manipulation am Grundgesetz. Elf gute Gründe, in: DUO, Nr. 12, 17.1.1985, S. 3 f.

III. Umweltpolitik

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kungsgrad zu erhalten als durch die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in das Grundgesetz. Der Meinungsbildungsprozeß zur Frage der Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz lief zu diesem Zeitpunkt innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und im Wechselspiel mit der FDP-Koalition - sowie den Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag - ab. Regierungsmitglieder bezogen in der Öffentlichkeit keine Positionen. Bundeskanzler Kohl griff nach der Stellungnahme vorn Dezember ebenfalls nicht mehr sichtbar in die Debatte ein. Eine Koordination der Debatte aus dem Kanzleramt war nicht erkennbar. Das öffentliche Nicht-Handeln der Regierung in dieser Phase hatte allerdings System. Es lag zum einen darin begründet, daß die Beamten in den relevanten Ressorts - v. a. der Bundesministerien des Innern und der Justiz - noch immer nicht die Prüfung des Berichts der Sachverständigenkommission vorn September 1983 beendet hatten. Die Ergebnisse sollten abgewartet werden, bevor eine abschließende und offizielle Regierungslinie in dieser Frage erarbeitet werden sollte. Vor allem in der Regierungszentrale zog man es deshalb vor, sich bis zur Beendigung der Prüfungsarbeit nicht eindeutig festzulegen. Zum anderen wollte man vor allem im Bundeskanzleramt abwarten, welche Position sich abschließend innerhalb der Unions fraktion herausbilden und wie der inhaltliche Konsens mit dem Koalitionspartner FDP - hier berurwortete man eine Grundgesetzänderung deutlich - in interfraktionellen Verhandlungen gestaltet werden würde. Ohne eine geschlossene Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war die rur eine Grundgesetzänderung notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag ohnehin nicht erreichbar. Erst nach Abschluß der Vorklärungsarbeiten auf Bearnten- und Fraktionsebene sollte das Thema Staatszielbestimmung regierungsintern weiter diskutiert werden, keinesfalls aber in einer Phase, in der die Gefahr bestand, mögliche Positionsstreitigkeiten aus den Koalitionsfraktionen ins Kabinett zu verlagern. Symptomatisch rur die Zurückhaltung der Regierung und die Vorklärung der Realisierungschancen einer Grundgesetzänderung durch die Fraktionen war die Umweltdebatte im Deutschen Bundestag arn 8. Juni 1984. 162 Die Redner der Union - BIens, Laufs, Fellner und Seesing legten in der Umweltdebatte dezidiert die Gründe rur eine Ablehnung der Grundgesetzreform dar. Die Vertreter des Koalitionspartners FDP signalisierten dagegen Zustimmung zu einer Verfassungsänderung. Die Leiter der fachlich betroffenen Ressorts, Zimmermann und Engelhard, griffen in die Debatte um ein Staatsziel Umweltschutz jedoch nicht ein (Zimmermann) beziehungsweise

162 Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 75. Sitzung. 8.6.1984, S. 5462-5495.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

waren erst gar nicht anwesend (Engelhard).163 Auch die jeweiligen Parlamentarischen Staatssekretäre bezogen in der Debatte keine Stellung zum Thema.

Konflikt Unionsfraktion - CDU-Ministerpräsidenten

Das bis zu diesem Zeitpunkt - trotz erkennbarer Sympathien fiir eine Grundgesetzänderung im CSU-dominierten Bundesinnenministerium 164 - relativ geschlossene Lager von CDU-Führung, Unionsfraktion und CDU/CSU-Vertretern innerhalb der Bundesregierung wurde durch den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, BarscheI, aufgebrochen. Für alle Beteiligten überraschend hatte er in der parallel zur Bundestagsdebatte am 8. Juni 1984 stattfindenden Sitzung des Bundesrates zur Umweltthematik für die Aufnahme eines Umweltartikels in das Grundgesetz plädiert und eine entsprechende Gesetzesinitiative seiner Landesregierung im Bundesrat angekündigt. 165 Zusammen mit den SPD-regierten Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen war Barschel damit eine partei übergreifende Allianz eingegangen. 166 Zwar versuchte der rheinland-pflilzische Ministerpräsident, Bernhard Vogel, eine Initiative des Bundesrates zur Verfassungsänderung dadurch zu bremsen, daß er sich zwar bereit zeigte, einer Verfassungsüberprüfung zuzustimmen,167 gleichzeitig aber anregte, daß die Bundesländer vor einer eigenen Initiative zunächst den Meinungsbildungsprozeß von Bundesregierung und Bundestag abwarten sollten. Gleichzeitig nahm er die Ländervertreter dadurch in die Pflicht, daß er darauf verwies, daß die Aufnahme von Umweltschutzbestimmungen in die Länderverfassungen eine vielleicht deutlichere umweltpolitische Signalwirkung haben könnte als eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes. 168 Aber 163 Dies kritisierte der SPD-Abgeordnete Bachmaier. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 75. Sitzung. 8.6.1984, S. 5463. 164 Vgl. oben. 165 Vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 536. Sitzung. 8.6.1984, S. 210-212; ergänzend zur Position Barscheis: Martin S. Lambeck: Interview mit dem Regierungschef von Schleswig-Holstein. Warum Barschel den Plan Börners unterstützt, in: Hamburger Abendblatt, 10.6.1984; Uwe Barschet: Leben in Freiheit und im Frieden mit der Natur, in: Die Welt, 1.8.1984. 166 Vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 536. Sitzung. 8.6.1984, S. 205-214; auch Sepp Bindner: Rau: Umweltschutz in NRW-Verfassung, in: Neue RuhrZeitung, 9.6.1984. 167 Zugleich verwies er aber auch darauf: "Eine neue Norm wird kein einziges konkretes Umweltproblem lösen. Wir müssen uns davor hüten, durch eine Verankerung des Umweltschutzes in der Verfassung übersteigerte Erwartungen zu wecken und nachfolgende Enttäuschungen schon vorzubereiten." Vogel zitiert nach: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 536. Sitzung. 8.6.1984, S. 210. 168 Vgl. Vogel in: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 536. Sitzung. 8.6.1984, S. 210.

III. Umweltpolitik

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auch der Vennittlungsversuch Vogels konnte Barschel nicht dazu bewegen, von seiner Initiative abzusehen. Die Phalanx der CDU war mit seinem Vorstoß durchbrochen. Eine neue Konstellation war entstanden: Während die Mehrheit der Unionsfraktion ebenso wie das Umfeld Kohls in der Bundesregierung einer Grundgesetzänderung skeptisch gegenüberstand, wurde sie nunmehr zunehmend von den CDU-Ministerpräsidenten eingefordert. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht schloß sich im Juli ebenso wie wenig später im August der baden-württembergische Ministerpräsident Späth der von Barschel vorgezeichneten Linie an. 169 Die Führung der CDU/CSU-Fraktion blieb jedoch unbeirrt bei ihrer ablehnenden Haltung. Neben sachlichen Argumenten wurden als Berufungsinstanz die Partei vorsitzenden von CDU und CSU und ihre Vereinbarung vom Dezember 1983 angefUhrt. Ohne daß Bundeskanzler Kohl selbst in die Debatte eingriff, wurde seine Position gegen eine Änderung des Grundgesetzes als Argument vom Parlamentarischen GeschäftsfUhrer der Unionsfraktion, Bötsch, eingebracht: "Als der Bundeskanzler und der bayerische Ministerpräsident - auch als Vorsitzende von CDU und CSU - erörterten, ob eine Regelung des Umweltschutzes im Grundgesetz und in den Länderverfassungen geboten sei, waren sie einig in der Auffassung, daß in detaillierten Programmverfassungen nach dem Muster der Weimarer Reichsverfassung der Schutz der Umwelt als Programmpunkt [... ] nicht fehlen dürfe, insbesondere dort, wo der Naturschutz erwähnt ist, weil daraus geschlossen werden könnte, die Regelung sei im Verhältnis zu dem umfassenderen Begriff des Umweltschutzes auf den überschaubaren Kreis des herkömmlichen Naturschutzes begrenzt. Mit der zusammenfassenden Feststellung, für ihn komme eine Änderung des Grundgesetzes nicht in Frage, hat Bundeskanzler Kohl der Tatsache Rechnung getragen, daß sich das Grundgesetz - insoweit unter bewußter Abkehr von der Weimarer Reichsverfassung - neben der Regelung der staatlichen Organisation auf die Normierung klar umgrenzter subjektiver Rechte beschränkt hat, an die Exekutive, Gesetzgebung und Rechtsprechung strikt und nachprüfbar gebunden sind. [... ] Die Anhörung der gewichtigsten Experten auf verfassungsrechtIichem und verfassungspolitischem Gebiet, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranstaltet hat, bestätigte die richtungsweisende Aussage der bei den Parteivorsitzenden in vollem Umfang. [... ] Nach derzeitigem Kenntnisstand kann und muß es bei der Fragestellung des Bundeskanzlers verbleiben, daß eine Änderung des Grundgesetzes nicht in Frage kommt."I70

Mit dem Ausbruch der CDU-Ministerpräsidenten war die christlich-demokratische Position in der Frage der Staatszielbestimmung gespalten. Die Konfliktlinie verlief zwischen Unionsfraktion und CDU-regierten Bundesländern. Der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende teilte dabei, ohne öffentlich in dieser 169 Vgl. "Albrecht für Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz", in: SZ, 16.7.1984; dpa-Pressemeldung, dpa 167, bas 211 4, pi 333, 16.8.1984. Im Herbst schwenkte zudem auch der Regierende Berliner Bürgermeister Diepgen auf diese Position ein. Vgl. u. a. dpa-Pressemeldung, dpa 121, bas 164 4, pi 79, 25.11.1984. 170 Wolfgang Bötsch: Umweltpolitik und Verfassungsrecht. Das Grundgesetz ist keine Waffe in der tagespolitischen Auseinandersetzung, in: DUD, Nr. 144, 30.7.1984, S.3 f. 22 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Frage Stellung zu beziehen, den von der CDU/CSU-Fraktion mehrheitlich eingenommenen Standpunkt. Die unterschiedlichen Positionen von Ministerpräsidenten der CDU und CDU/CSU-Fraktion schwächten die Position der CDU in zweierlei Hinsicht. Zum einen konnte der Koalitionspartner FDP darauf verweisen, daß es innerhalb der Union durchaus Zustimmung auch filr ihre Befilrwortung der Grundgesetzänderung gab. Zum anderen kamen die Vertreter der Bundesregierung mehrmals in die mißliche Lage, in parlamentarischen Beratungsgremien darauf verweisen zu müssen, daß in der Frage der Aufnahme der Staatszielbestimmung in das Grundgesetz bisher keine regierungseinheitliche Stellungnahme möglich sei. 171

Konfliktschlichtung im Parteipräsidium

Angesichts dieser Gesamtlage zeichnete sich innerhalb der CDU zunehmend ein sachlicher Klärungs- und Koordinationsbedarf ab. Eine CDU-inteme einheitliche Position mußte angesichts der geschilderten Situation möglichst bald gefunden werden. Aufgrund der beteiligten Akteure bot sich das CDU-Präsidium als Konfliktschlichtungsinstanz an. Entsprechend beschloß das CDUPräsidium schließlich in seiner Sitzung am 4. September 1984,172 eine Kommission einzusetzen, die den Auftrag hatte, "ausfilhrlich alle rechtlichen und politischen Aspekte einer möglichen Grundgesetzänderung zum Zwecke der Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel zu prüfen und Entscheidungshilfen filr das Präsidium zu erarbeiten.,,173 Geleitet wurde diese Kommission vom stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Bemhard Worms. 174 Unter seinem Vorsitz trafen sich Rechts-, Innen- und Umweltpolitiker der CDU darunter auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident BarscheI, der die

171 So u. a. in der Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 14.11.1984. Vgl. dazu dpa-Pressemeldung, dpa 271, bas 358 4, pi 149, 14.11.1984. 172 Obgleich im Lagebericht Kohls die wirtschaftspolitische Leistungsbilanz der Regierung im Mittelpunkt stand, wurde anschließend auch ausführlich über Umweltfragen diskutiert. Vgl. zur Sitzung "Worms soll den Umweltschutz herausstellen", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.9.1984. 173 Bernhard Worms: Aktive Umweltpolitik statt Manipulation am Grundgesetz. Elf gute Gründe, in: DUD, Nr. 12, 17.1.85, S. 3 f. Zur Einsetzung der Kommission durch das CDU-Präsidium vgl. auch "Worms soll den Umweltschutz herausstellen", in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.9.1984; "CDU-Kommission berät Staatsziel Umweltschutz", in: Kieler Nachrichten, 22.9.1984. Die Initiative zur Einrichtung der Kommission ging ebenso wie der Vorschlag zur Leitung der Kommission durch Bernhard Worms - von Kohl aus. Vgl. Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997. 174 Zur Beziehung Kohl-Worms auch "Ein Netz von Abhängigkeiten", in: Der Spiegel, Nr. 37, 11.9.1989, S. 18-20, hier S. 20. Worms zählte, ebenso wie Kohl, zu den Staatszielskeptikern. Vgl. dazu "Worms skeptisch zu Umweltschutzplan", in: Bonner Rundschau, 17.8.1984.

III. Umweltpolitik

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CDU-Initiative im Bundesrat gestartet hatte - zur Beratung erstmals am 4. Oktober 1984 in Bonn. 175 Zeitgleich versuchte der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Landesvorsitzende der CDU in Schleswig-Holstein, Stoltenberg, allzu offensive Umweltstaatszielforderungen des schleswig-holsteinischen CDU-Landesverbandes zu bremsen und damit mäßigenden Einfluß auf die Bonner Initiativen von Barschel zu nehmen. 176 Anfang Dezember präsentierte Worms die Ergebnisse der von ihm geleiteten Kommission dem CDU-Präsidium. 177 Hier folgte man nahezu einstimmig seinem Vorschlag, das Grundgesetz nicht zu ändern. 178 Wenige Tage nach dem Votum des Präsidiums trug Worms die Kommissionsergebnisse auch der Fraktion vor,179 die sich ebenfalls - von einer Gegenstimme abgesehen 180 - geschlossen dafür aussprach, "praktische Umweltpolitik zu betreiben, ohne die Systematik des Grundgesetzes zu verändern.,,181 Ohne daß konkret über die Auf\75 Bei dieser Kommission unter dem Vorsitz von Bernhard Worms handelte es sich um ein informelles Beratungsgremium. Im Gegensatz zu anderen Parteikommissionen der CDU auf Bundesebene ist sie nicht im Bericht der Bundesgeschäftsstelle der CDU für 1985 verzeichnet. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 33. Bundesparteitag. 19.-22.3.1985. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Essen, Bonn o. 1. Der Kommission gehörten circa 10 Personen an. So u. a. AIfred Dregger, Erwin Teufel, Uwe Barschei, Gottfried Milde, Walter Wallmann, Paul Laufs, Karl Miltner, Wissenschaftler, Mitarbeiter der Bonner CDU-Parteizentrale. Vgl. Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997; Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. \76 Auf einen Kompromißvorschlag des von Stoltenberg geführten Landesvorstandes hin hatten sich die Delegierten auf einem Landesparteitag zwar allgemein dafür ausgesprochen, daß die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Grundlagen "als Auftrag an die Politik" im Grundgesetz verankert werden solle. Eine Gruppe um Barschel hatte schließlich aber darauf verzichtet, eine konkrete Forderung nach der Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung im Grundgesetz dem Parteitag zur Abstimmung zu empfehlen. Zu den Hintergründen "Umweltschutz als Staatsziel", in: FAZ, 12.11.1984. 177 Eine Zusammenstellung der zentralen Arbeitsergebnisse findet sich bei Bernhard Worms: Aktive Umweltpolitik statt Manipulation am Grundgesetz. Elf gute Gründe, in: DUD, Nr. 12, 17.1.1985, S. 3 f. \78 Vgl. ebd. \79 Was insofern ungewöhnlich war, als er kein Mitglied der Fraktion war und hier nur in seinen Funktionen als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender bzw. nordrheinwestfli.lischer CDU-Landtagsfraktionsvorsitzender sprechen konnte. \80 Vgl. "Länder, Union und FDP über Kreuz bei Staatszielbestimmung Umweltschutz", in: FAZ, 29.12.1984. \8\ CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu der heutigen Entscheidung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, praktische Umweltpolitik zu betreiben, ohne die Systematik des Grundgesetzes zu verändern (z. B. Staatsziel Umweltschutz), erklären der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Karl Miltner (CDU), der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Fritz Wittmann (CSU), und der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs (CDU), 11.12.1984.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

nahme eines Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz in der Fraktion abgestimmt worden war und dieses damit auch nicht unmittelbar abgelehnt werden konnte, hatte die Unionsfraktion sich mit ihrem Votum doch gegen eine Änderung des Grundgesetzes ausgesprochen. 182 Geschickt hatte die Fraktion ihre ablehnende Position in eine vom Fraktionsvorstand unter der Federruhrung von Laufs vorbereitete Entschließung gekleidet, die Stellenwert und Bedeutung des Umweltschutzes rur christlich-demokratische Politik demonstrieren sollte. Mit der Entschließung "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Aufgabe christlich demokratischer Politik für die heutige und die kommenden Generationen unseres Volkes,,183 vom 11. Dezember 1984 sollte, wie es in einem Brief von Laufs an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hieß, "unser Grundgesetz in seiner geltenden Fassung als ausgezeichnete Grundlage für eine Politik praktischen Umweltschutzes bestätigt,,184 werden. Entsprechend hieß es dann auch in den zentralen Passagen der Entschließung der Unionsfraktion: "Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Volkes eines der bedeutendsten politischen Ziele. [... ] Sie ist entschlossen, unsere Umwelt vor Zerstörung unvertretbarer Belastung und schädlichen Eingriffen zu bewahren. [... ] Das Grundgesetz gibt in seiner geltenden Fassung Staat und Gesellschaft alle Möglichkeiten zu einem wirksamen Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. [... ] Das Grundgesetz hat aus gutem Grund und im Hinblick auf die Erfahrungen in der Weimarer Republik mit wenigen Ausnahmen von Staatszielbestimmungen abgesehen. Diese Konzeption hat sich bewährt. Sie soHte nicht durch Verfassungsbestimmungen mit Programmcharakter geändert werden. [... ] Umweltschutz ist eine klassische Aufgabe politischer Abwägung und Entscheidung. Diese Aufgabe muß von den Parlamenten durch wirksame Gesetze zum Schutz der Umwelt, von den Regierungen durch eine vorausschauende Umweltpolitik und von den Verwaltungen durch ein betont umweltfreundliches Handeln gelöst werden. Der politische Abwägungsprozeß darf nicht von den gewählten Parlamenten auf die Gerichte abgeschoben werden. Notwendig ist eine Politik praktischer Maßnahmen gegen die weitere Belastung der Umwelt sowie zur Behebung der sichtbar werdenden Schäden. Die Aufnahme von Umweltstaatszielen und Umweltgrundrechten in das Grundgesetz bewirkt keinen praktischen Umweltschutz, weshalb die CDU/CSU-

182 Dieses Votum hatte sich bereits in der Stellungnahme des CDU-Abgeordneten Langner in einer Stellungsnahme angedeutet, die an dem Tag der Abstimmung veröffentlicht worden war. Vgl. Manfred Langner: Verfassung und Umweltschutz. Das Grundgesetz setzt Regelungsbedürfnisse bereits voraus, in: DUD, Nr. 238,11.12.1984, S.8. 183 Wortlaut der Entschließung im Anhang eines Schreibens des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, Dr. Paul Laufs, an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 14.12.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 184 Schreiben des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, Dr. Paul Laufs, an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 14.12.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand).

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Bundestagsfraktion auch gegen die Aufnahme einer Staatszielbestimmung in das Grundgesetz ist." 185

Die Fraktion bestätigte mit dieser Entschließung zudem im wesentlichen die vom Stuttgarter Parteitag verabschiedeten Leitsätze in ihren umweltpolitischen Aussagen. Beide Gremien, Präsidium und CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatten mit ihren Voten im Dezember 1984 damit die Linie des Bundeskanzlers aus dem Vorjahr bestätigt und den Standpunkt der CDU als Partei und den der Unionsfraktion in der Staatszieldebatte klargemacht. Obgleich der schleswig-holsteinische Ministerpräsident das Abstimmungsergebnis der Fraktion kritisierte und die Absage an einen besonderen Umweltartikel für einen politischen Fehler hielt,186 hatte das Doppelvotum von Präsidium und Fraktion eine disziplinierende Wirkung auf das weitere politische Agieren der CDU-Ministerpräsidenten hinsichtlich der Aufnahme des Staatszieles Umwelt in das Grundgesetz. 187 Im Bundesrat zirkulierten die Anträge Hessens und SchleswigHolsteins zunächst in den einschlägigen Ausschüssen der Länderkammer. 188 Eine Abstimmung wurde dann angesichts der ablehnenden Haltung der Unionsfraktion im Bundestag und einer - aufgrund des Präsidiumsbeschlusses der CDU - mehrheitlich zurückgenommenen Position der CDU-Ministerpräsidenten immer wieder vertagt. 189 Mit dieser Verzögerungs- und Verschiebungstaktik gelang es den CDU-Regierungen mehrheitlich zugleich, ihr Gesicht zu wahren. Zum einen entsprach man stillschweigend dem Beschluß des CDU185 Entschließung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 11.12.1984, abgedruckt im Anhang des Briefs des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, Dr. Paul Laufs, an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 14.12.1984 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 186 Vgl. dpa-Pressemeldung, "Umwelt. Barschel hält Absage an Umweltschutzartikel für politisch falsch", 12.12.1984; auch "Länder, Union und FDP über Kreuz bei 'Staatszielbestimmung Umweltschutz"', in: FAZ, 29.12.1984. Das Abstimmungsergebnis des CDU-Präsidiums dagegen hatte er nicht kritisiert. 187 Hinzu kam, daß der innen- und umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Laufs, während eines Treffens im Rahmen des "innenpolitischen Kränzchens" - eine informelle, unregelmäßige Zusammenkunft vor allem von CDU und CSU-Innenpolitikern aus Bund und Ländern auf Einladung des Bundesinnenministers - den Vertretern der CDU/ CSU-regierten Länder verdeutlicht hatte, daß mit der Unionsfraktion eine Grundgesetzänderung nicht realisierbar sei. So Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. 188 Vgl. dazu auch Friedrich Karl Fromme: Eine "Staatszielbestimmung" namens Umweltschutz - Förderung der Richtermacht? , in: FAZ, 7.6.1985. 189 Vgl. z. B. dpa-Pressemeldung, dpa 136, bas 1673, pi 328, 20.2.1987; "Verfassungsrang für Umweltschutz gefordert", in: FAZ, 21.2.1987; "Hessen pocht aufVerfassungsrang für Umweltschutz", in: SZ, 21.122.2.1987. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse wäre es abstimmungstechnisch für die unionsregierten Länder in diesen Jahren im Bundesrat jederzeit möglich gewesen, mehrheitlich über einen Verfassungsänderungsentwurf zu beschließen, diesen als Antrag im Bundestag einzubringen und damit das Verfahren für eine Grundgesetzänderung zu eröffnen.

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Präsidiums, indem man eine Initiative des Bundesrates zur Grundgesetzänderung nicht ohne weiteres mittrug. Zum anderen konnte man dadurch, daß man die Verhandlungen im Bundesrat formal fortruhrte, aber auch den Vorwurf der Destruktion und möglicherweise unbequeme (öffentliche) Nachfragen der SPD verhindern, warum das zunächst unterstützte Vorhaben einer Grundgesetzänderung nun nicht mehr mitgetragen werde. Keinesfalls sollte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, daß die CDU-Ministerpräsidenten die Relevanz umweltpolitischer Herausforderungen ignorierten. Die Gefahr, bei einer direkten Ablehnung als Umweltfeind darzustehen, war zu groß. Die Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnten, entsprechend dem Dezember-Votum der Gesamtfraktion, bei den abschließenden Beratungen den von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Gesetzesentwurf zur Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz in den zuständigen Gremien des Innen- und Rechtsausschusses des Bundestages ab. 190 Bei der Abstimmung im Bundestag am 16. Januar 1986 fanden aufgrund der Ablehnung durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weder der Entwurf der Grünen noch der der SPD-Fraktion die notwendige grundgesetzändernde Mehrheit. 191

Neuakzentuierung in der Staatszielfrage durch Bundeskanzler und Umweltminister

Erst im Dezember 1986 zeichnete sich eine allmähliche Trendwende hinsichtlich der Staatszielfrage innerhalb der CDU ab. Während sich der CDUAbgeordnete und Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Reinhard Göhner, am 8. Dezember 1986 nach wie vor gegen die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz aussprach l92 und damit zunächst noch immer die Mehrheitsmeinung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion repräsentierte, deuteten die offensiven Stellungnahmen von Bundesumweltminister Wallmann auf einen Positionswechsel im Regierungslager hin: 193 Zwar war er der Ansicht, daß durch eine einschlägige Änderung des Grundgesetzes per se noch keine 190 Die FDP-Vertreter, hier forderte man nach wie vor das Staatsziel Umweltschutz, verließen bei den Abstimmungen - man wollte aus Koalitionsgründen vermeiden, mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen - jeweils den Raum. Vgl. zu den Details dpaPressemeldung, dpa 102, bas 143 4, pI 205, 2.10.1985; dpa-Pressemeldung, dpa 192, bas 238 4, pI 257, 23.10.1985; "Koalition will Umweltschutz nicht im Grundgesetz verankern", in: FAZ, 24.10.1985. 191 Vgl. "SPD und Gründe wollen Umweltschutz als Staatsziel", in: FAZ, 17.1.1986. 192 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 249, bas 300 6, pI 191,8.12.1986. 193 Zur nachfolgend skizzierten Position Wallmanns vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 197, bas 240 3, pI 463, 16.12.1986; Wallmann wurde dabei von seinem Staatssekretär Christean Wagner unterstützt, der innerhalb des BMU die Staatszielfrage forcierte. So Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997.

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umweltpolitischen Verbesserungen erreicht werden würden, doch bestehe immerhin die Möglichkeit, daß die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in die Verfassung einen bewußtseinsbildenden Faktor darstellen könne - so seine Position. Wenn Wallmann auch die Grundgesetzerweiterung nicht euphorisch unterstützte, so signalisierte er der FDP zumindest seine Bereitschaft, nach einem Wahlsieg bei der im Januar 1987 anstehenden Bundestagswahl auch über die Möglichkeiten einer Verankerung des Staatszieles Umweltschutz im Grundgesetz zu sprechen. 194 Ohne Stellung zur Frage einer Verfassungsänderung zu beziehen, appellierte aber auch der Bundeskanzler in seiner Neujahrsansprache an die Bevölkerung, sich der Gefahren der Umweltverschmutzung bewußt zu werden: "Im zu Ende gehenden Jahr wurde uns wiederholt sehr drastisch vor Augen geführt, daß Umweltverschmutzung nicht an Grenzen haltmacht. [... ] Ich möchte auch an jeden einzelnen appellieren, seiner ureigensten Verantwortung gerecht zu werden: Umweltschutz beginnt zu Hause und bei den sehr eigenen Lebensgewohnheiten.'''95

Beide, Wallmann und Kohl, trugen mit ihren Äußerungen beziehungsweise Ansprachen der Bedeutung des Umweltthemas im anstehenden Wahlkampf Rechnung. 196 Der sich abzeichnende Positionswechsel in der Staatszielfrage hatte damit nicht zuletzt auch eine machtsichemde Dimension. 197 Anfang Januar 1987 legten zudem Geißler und Wallmann ein Papier vor, in dem sie ankündigten, daß sich die CDU rur eine Grundgesetzänderung und die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz einsetzen werde. 198 Dieser Vorstoß war nicht 194 Sein Nachfolger Töpfer übernahm im April 1987 diese Argumentation im wesentlichen. Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 188, bas 226 4, pi 124, 12.4.1987. 195 Ansprache des Bundeskanzlers zum Jahreswechsel 1987/87, in: Bulletin, Nr. 1, 2.1.1987, S.1 f. 196 Die CDU versuchte die Bedeutung des Umweltschutzes auch mit einem Programm zu unterstreichen, das zum Auftakt des Wahlkampfes von Wallmann und Geißler vorgelegt und erläutert worden war und die umweltpolitischen Arbeitsschwerpunkte der CDU für die 11. Legislaturperiode skizzierte. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle: Umweltpolitik der CDU in der 11. Legislaturperiode: Neue Phase ftlr Umwelt- und Naturschutz, 6.1.1987 (0. 0.); ergänzend Paul Laufs: SPD versucht umweltpolitische Kompetenz vorzugaukeln. Undurchdachte und unrealistische Forderungen, in: DUD, Nr. 4, 7.1.987, S. 2. Vgl. zur Relevanz des Umweltthemas im Wahlkampf auch Manfred Berger u. a.: Sieg ohne Glanz, S. 689-734. 197 Zwei Motive scheinen insgesamt zur Erklärung des Positionswechsels naheliegend: 1. Kohl wollte die Koalitionsverhandlungen und damit die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl nicht durch eine Verweigerung der CDU in dieser Frage belasten. 2. Die Grünen sollten mit ihren eigenen Mitteln geschlagen werden, d. h. man wollte ihnen auf ihren ureigenen Themenfeldern durch eigene Initiativen entgegentreten. Die machtpolitische Dimension der Umweltpolitik in Kohls Überlegungen bestätigte auch Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. 198 Vgl. dazu "UmweltlCDU. CDU-Konzept für 'nationale Umwelt-Offensive' Wallmann strebt Verbot von Schadstoffen an, in der Grundgesetzfrage 'offen"', in: Dpa-Pressemeldung, 6.1.1987.

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mit den Umweltpolitikern der Unionsfraktion abgesprochen. Allerdings konnten auch telephonische Proteste des umweltpolitischen Sprechers der Fraktion, Laufs, beim CDU-Generalsekretär an dieser politischen Neuakzentuierung nichts ändern. Die künftige Position der CDU wurde damit bereits vor der Bundestagswahl neujustiert, ohne daß die Unionsfraktion darauf Einfluß nehmen konnte. 199 Die in der öffentlichen Wahrnehmung gewachsene Bedeutung der Umweltpolitik berücksichtigte man auch in den nach der Bundestagswahl zur Regierungsbildung aufgenommenen Koalitionsgesprächen. Ziel der Verhandlungen sollte es aus Sicht der CDU sein, filr die Regierung im allgemeinen und die CDU im besonderen die politische Initiative im Umweltbereich zu erlangen?OO Entsprechend umfangreich war der Maßnahmenkatalog, der zur Beratung und Verhandlung anstand?OI In einer der "Kanzlerrunde" zuarbeitenden Expertengruppe wurde unter der Federfilhrung von Umweltminister Wallmann und dem FDP-Innenpolitiker Baum ein Umweltkatalog zusammengestellt,202 der auch die Verankerung des Staatszieles Umweltschutz im Grundgesetz als politisches Ziel filr die neue Legislaturperiode vorsah. Erst nach langwierigen Verhandlungen, in denen vor allem die FDP auf der Verfassungsänderung beharrte, konnte dieses Ziel in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen werden. 203 In der zwischen den Regierungspartnern getroffenen Vereinbarung war schließlich nachzulesen: "Die Bundestagsfraktionen der Koalition werden im Einvernehmen mit den Bundesländern einen Vorschlag erarbeiten mit dem Ziel, den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. ,,204 Diese Vereinbarung stieß zunächst auf partiellen Widerstand in der Unionsfraktion. In der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 10. März mußte Wallmann

Dazu Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. Ergänzend auch die Stellungnahme von Jürgen Todenhöfer: Die Union muß die Führung übernehmen, in: Bunte, Nr. 15, 2.4.1987, S. 242; auch Diethart Goos: Bürokratie bremst die Umweltschützer, in: Die Welt, 13.2.1987. 201 Vgl. auch Diethart Goos: Bürokratie bremst die Umweltschützer, in: Die Welt, 13.2.1987; ders.: Umweltvereinbarungen der Koalition nehmen alle in die Pflicht, in: Die Welt, 28.2.1987. 202 Für die Unionsfraktion gehörten dieser Arbeitsgruppe zudem die Umweltexperten Paul Laufs und Hermann Fellner an (fIlr die FDP nahm zusätzlich Torsten Wolfgramm teil). Vgl. Diethart Goos: Bürokratie bremst die Umweltschützer, in: Die Welt, 13.2.1987. 203 Vgl. "Unglaubwürdig", in: Frankfurter Rundschau, 7.2.1987; "Die Koalition kommt zügig voran. Streitpunkte werden zurückgestellt", in: Die Welt, 13.2.1987; Udo Bergdoll: Das Störende an einer schönen Aussicht, in: SZ, 13.2.1987; Diethard Goos: Der schwierige Weg der Umwelt ins Grundgesetz, in: Die Welt, 4.7.1987. 204 Abgedruckt in: Brief des Parlamentarischen Geschäftsfllhrers der CDU/CSUBundestagsfraktion, Rudolf Seiters, an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 9.3.1987, Anlage 14 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 199

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auf Nachfrage der Abgeordneten Lowack und Abelein die Vereinbarung begründen?OS Der Umweltminister filhrte zur Rechtfertigung an, daß die Verankerung des Staatszieles Umweltschutz im Grundgesetz von der Bevölkerung als ein Kriterium rur die Ernsthafti~keit gewertet werde, mit der die Bundesregierung Umweltpolitik betreibe. 26 Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende selbst äußerte sich in der Fraktionssitzung nicht zum Thema Staatsziel, sondern überließ die Erläuterungen Wallmann. 207 Unterstützung erhielt Wallmann vom umweltpolitischen Sprecher der Fraktion. Laufs hatte - wenn auch widerstrebend - die durch die Koalitionsvereinbarung entstandene Faktenlage anerkannt und war bereit, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und sich rur eine substantielle Grundgesetzänderung in der Umweltfrage einzusetzen?08 Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Umweltbereich spiegelten sich deutlich in der Regierungserklärung Kohls vom 18. März 1987 wider. Kohl nahm erstmals öffentlich eindeutig zur Frage der Staatszielbestimmung Umweltschutz Stellung und stellte das in den Koalitionsverhandlungen vereinbarte Ziel im Bundestag vor: "Die Schöpfung bewahren heißt auch: die Umwelt schützen und für die Generation unserer Kinder und Enkel erhalten. Uns allen ist der Schatz der Natur nur auf Zeit anvertraut. Wir sind verpflichtet, sorgsam mit ihm umzugehen, ihn zu schonen und zu pflegen. Das ist auch eine Staatsaufgabe. Deshalb wollen wir den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufnehmen.,,209

In seiner Regierungserklärung vom 27. April 1989 bestätigte Kohl seine Position nochmals und erhob die Verankerung des Umweltschutzes in der Verfassung zu einem Schwerpunkt weiterer Regierungspolitik. Zugleich nahm er nun auch explizit die Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsparteien bei diesem Vorhaben in die Pflicht: "Im Blick auf das nächste Jahrzehnt werden wir die bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch anstehenden Aufgaben konzentriert und konsequent angehen. Ich nen-

205 Zu Lowack vgl. "Kohl erwartet 'große Chancen' für die Deutschland-Politik", in: FAZ, 11.3.1987; zu Abelein vgl. "Für Kohl um Kopf und Kragen", in: Der Spiegel, Nr. 12, 16.3.1987, S. 19-23, hier S. 21. 206 Vgl. "Kohl erwartet 'große Chancen' für die Deutschland-Politik, in: FAZ, 11.3.1987. 207 Kohl hatte sich auch im Wahlkampf nicht zu diesem Themenfeld geäußert. Gleichwohl hatte Wallmann in dieser Frage immer volle Rückendeckung Kohls. So bestätigend Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997. 208 Bedenken meldeten zu diesem Zeitpunkt vor allem die Wirtschaftsfachleute der Fraktion gegen eine Staatzielaufnahme an. Sie befürchteten eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Standort Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. 209 Kohl zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 62.

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ne einige Schwerpunkte. Konsequenter Umweltschutz gehört zu einer wertorientierten Politik. Wer für den umfassenden Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Würde eintritt, dem kann die uns anvertraute Schöpfung nicht gleichgültig sein. Wir wollen den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung aufnehmen. Ich hoffe, daß die Gespräche der Fraktionsvorsitzenden21O darüber zu einem Erfolg führen.,,211

Der Verweis des Bundeskanzlers auf die Gespräche der Fraktionsvorsitzenden beinhaltete eine dreidimensionale Strategie: - Der Bundeskanzler machte deutlich, daß die Bundesregierung die Verankerung des Staatszieles Umweltschutz im Grundgesetz mittragen werde, es aber nicht im Ermessen der Bundesregierung liege, ob die Verfassungsänderung verwirklicht würde. - Er delegierte damit die Verantwortung für die Realisierung der Grundgesetzergänzung in den parlamentarischen Raum. - Damit übte er nicht zuletzt auch Druck auf die eigene Fraktion und speziell Dregger aus, kooperativ an einer entsprechenden Regelung mitzuwirken. Die Bereitschaft der CDU/CSU-Fraktion, aber auch der unionsgeführten Bundesländer, konstruktiv an einer einschlägigen Verfassungsänderung mitzuarbeiten, war sprunghaft angestiegen, nachdem der Bundeskanzler und CDUVorsitzende in seiner Regierungserklärung vorn 18. März 1987 die Notwendigkeit zur Aufnahme einer Staatszielbestimmung Umweltschutz in die Verfassung deutlich gemacht hatte. Mit seiner wegweisenden Vorgabe hatte er nicht nur nachdrücklich die Position des Umweltrninisters gestärkt, sondern auch den Koalitionspartner FDP in seiner Haltung unterstützt. Zugleich war damit aber auch der Beschluß des CDU-Präsidiums vorn Herbst 1985 hinfällig. Der Positionswandel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeichnete sich deutlich wahrnehmbar nicht zuletzt während der ersten Lesung eines erneut von der SPD am 2. April 1987 eingebrachten Gesetzesentwurfs zur Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in die Verfassung ab. Nicht nur Wallmann bestätigte seine bereits im Dezember 1986 angekündigte und danach verfolgte Politik der Grundgesetzergänzung, indern er nochmals seine Position deutlich machte: "Koalition und Bundesregierung sind fest entschlossen, in dieser Legislaturperiode den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. [... ] Umweltschutz ist ein zentrales Anliegen, eine zentrale Aufgabe allen staatlichen Handeins. 210 Am Tag vor der Regierungserklärung hatte man in der Runde der Fraktionsv~rsit­ zenden - für die CDU nahmen Dregger und Laufs teil - zur Staatszielfrage keine Ubereinstimmung finden können und sich ergebnislos vertagt. Vgl. dazu und zur weiteren Entwicklung der Gespräche Volker Bästlein: Kein Umwelt-Arktikel im Grundgesetz, in: Bonner Rundschau, 27.4.1989; "Umweltschutz im Grundgesetz noch nicht formuliert", in: Die Welt, 26.6.1989; dpa-Pressemeldung, dpa 735, bas 1484, pi 233, 23.8.1989. 211 Kohl in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 140. Sitzung. 27.4.1989, S. 10294.

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Parlament und Regierung müssen diesem Ziel bei ihren Entscheidungen verpflichtet bleiben. Ich hoffe daher, daß es eine breite Übereinstimmung gibt, den Umweltschutz in Form der Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen.,,212

Auch die Redner der CDU/CSU-Fraktion, Biens und Eylmann - sie hatten bis dato einer Grundgesetzergänzung immer skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden - deuteten einen Rückzug von ihrem bisherigen Standpunkt an. 213 Trotz der sich damit abzeichnenden Kompromißbereitschaft war aber auch deutlich geworden, daß noch längst nicht alle Bedenken in der Unionsfraktion hinsichtlich des Staatszieles Umweltschutz ausgeräumt waren. Allerdings war der Handlungsspielraum der Fraktion nunmehr gering. Zum einen war die politische Zielvorgabe durch die Koalitionsvereinbarung fixiert und von Kohl nachdrücklich bestätigt worden, zum anderen hatte sich der Bundesumweltminister - im Bewußtsein, dabei vom Kanzler unterstützt zu werden - eindeutig festgelegt und seine politische Zielsetzung eindeutig formuliert. Sollte er nicht desavouiert werden, blieb der Unions fraktion keine Alternative, als ihn dabei zu unterstützen. So bestätigte dann auch der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Laufs, nachdem der neue Umweltminister Klaus Töpfer am 22. Mai 1987 in einer Sitzung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Schwerpunkte seines Legislaturprogrammes vorgestellt hatte: "Mit seinen umweltpolitischen Vorhaben in den nächsten 4 Jahren hat der Bundesumweltminister eine Neuorientierung im Umweltschutz eingeleitet. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen soll als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. [... ] Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die Bundesregierung unterstützen, das anspruchsvollste Programm f1ir den Umweltschutz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen.,,214

Kooperations- und Einigungsdruck auf die Staatszielskeptiker in der Fraktion entstand aber auch aus drei weiteren Gründen: - Mit der Mehrheit der CDU-geführten Länder wurde in der Sitzung des Bundestages am 10. Juli 1987 beschlossen, einen Antrag zur Verfassungsergänzung im Bundestag einzubringen. 215 Artikel 20 a sollte neu in das Grundgesetz mit folgendem Wortlaut eingefügt werden: 212 Wall mann zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 8. Sitzung. 2.4.1987, S. 384. 213 Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 8. Sitzung. 2.4.1987, S. 381 ff. 214 Laufs zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu dem Bericht von Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer über die Schwerpunkte der Umwe\tpolitik in der 11. Legislaturperiode vor dem Bundestagsausschuß f1ir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erklärt der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, Dr. Paul Laufs (CDU), 20.5.1987. 215 Im Gegensatz zur Abstimmung über eine Grundgesetzänderung, f1ir die wie im Bundestag auch eine Zwei drittel-Mehrheit notwendig war, reichte eine einfache Mehr-

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,,(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates.

(2) Bund und Länder regeln das Nähere in Gesetzen unter Abwägung mit anderen Rechtsgütern und Staatsaufgaben.,,216

- Damit hatte man sich, ungeachtet unterschiedlicher Positionen in der Länderkammer, mehrheitlich auf den Vorschlag Schleswig-Holsteins geeinigt?l7 Diese Vorlage fand auch in ihren wesentlichen Elementen die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion, wie die Bundestagsdebatte am 18. September 1987 zeigte. 2l8 . Auch innerhalb der Partei wurde das Staatsziel Umweltschutz zum Programm. Der Vorsitzende des Bundesfachausschusses Umwelt der CDU erklärte Anfang 1988: "Damit die natürlichen Lebensgrundlagen auch als unmittelbares Verfassungsgut wirksam geschützt werden können, setzt sich die CDU dafür ein, den Umweltschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz zu verankern. Zu begrüßen ist, daß mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf des Bundesrates inzwischen über die Parteigrenzen hinweg Einvernehmen bezüglich des Standortes der Staatszielbestimmung 'Umweltschutz' besteht: Die vorgesehene Verankerung im Grundgesetz in Form eines Artikels 20 a [ ... ] macht allen Staatsgewalten den hohen Rang des Umweltschutzes deutlich. [... ] Die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz soll eine umweltpolitische Impulswirkung auslösen. Allen gesellschaftlichen Gruppen muß die Verantwortung, die sie für die Erhaltung einer lebenswerten und gesunden Umwelt haben, noch stärker bewußt werden. Dieses Ziel ist nur dann zu erreichen, wenn weiter um die beste Formulierung der Staatszielbestimmung 'Umweltschutz' gerungen wird.,,219

heit aus, um einen entsprechenden Antrag der Länderkammer im Bundestag einzubringen. Vgl. zu Debatte und Abstimmung Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 579. Sitzung. 10.7.1987, S. 205-214. 216 Vgl. Deutscher Bundesrat: Drucksache 307/84. 217 Bayern hatte ein Junktim zwischen Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz und einer Bestandsgarantie der Ländereigenständigkeiten in Fragen der Europapolitik hergestellt. Der niedersächsischen Regierung ging der in der Kompromißformel enthaltene Gesetzesvorbehalt zu weit. Auch die SPD-regierten Länder waren gegen ihn, allerdings ging er ihnen nicht weit genug. Zu den Hintergründen die Beiträge in: Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 579. Sitzung. 10.7.1987, S. 205-214; ergänzend Diehtart Goos: Der schwierige Weg der Umwelt ins Grundgesetz, in: Die Welt, 4.7.1987; Gerda Strack: Bundesrat für Schutz der Umwelt als Staatsziel, in: FR, 11.7.1987. 218 Zusammenfassend "Hürden auf dem Weg ins Grundgesetz", in: SZ, 18.9.1987. 219 Kurt Dieter Grill: Wirksamer Umweltschutz durch Staatszielbestimmung im Grundgesetz. Umweltschutz nicht nur an Interessen des Menschen messen, in: DUD, Nr. 35, 22.1.1988, S. 7; ergänzend Bundesfachausschuß Umweltpolitik: Unsere besondere Sorge gilt dem Naturschutz und der Landschaftspflege, in: UiD, Nr. 4, 4.2.1988, S. 13 f.

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Unter der Federftlhrung von Bundesumweltminister Töpfer wurde außerdem eine Verankerung der Forderung nach einem Staatsziel Umweltschutz im Parteiprogramm forciert und durchgesetzt. 220 - Zudem war auch im Kabinett der von der Bundesratsmehrheit vorgelegte Verfassungsänderungsantrag als "wichtige Diskussionsgrundlage,,221 begrüßt worden. Wenngleich diese Formulierung ebenso wie der Hinweis von Regierungssprecher Ost, daß konkrete Formulierungen noch eingehend diskutiert werden müßten, auf Meinungsunterschiede im Kabinett hinwies,222 so war nach außen doch klar geworden: Die Verankerung des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz sollte möglichst in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden. Allerdings hatten sich die Kabinettsmitglieder in der Sitzung vom 30. September auch darur entschieden, vor der weiteren Meinungsbildung zunächst die Ergebnisse einer von Rechts- und Umweltausschuß des Deutschen Bundestages gemeinsam durchgeruhrten Expertenanhörung am 14. Oktober 1987 abzuwarten. 223 Dies entsprach der Strategie Kohls, Meinungsdifferenzen im Kabinett durch eine Vertagung von Entscheidungen zu entschärfen. Insgesamt gesehen wurde ab Frühjahr 1987 nicht mehr die Grundsatzfrage der Aufnahme eines Staatszieles Umweltschutz diskutiert, sondern es war jetzt eine programmatische Auseinandersetzung um Worte. Im Machtdreieck war die Position bestimmt. In der Grundrichtung herrschte Übereinstimmung zwischen Partei, Fraktion und Regierung (hier vor allem in Hinblick auf die CDUMinister). Lösungskompromisse mußten nun vorrangig zwischen den Parteien und den Bundestagsfraktionen ausgearbeitet werden, war doch eine Zweidrittelmehrheit rur die Grundgesetzänderung im Bundestag und anschließend im Bundesrat notwendig. Dieser Kompromißfindungsprozeß soll aber in dieser Studie nicht weiter analysiert werden. Er fand seinen Abschluß schließlich in einer nach der Realisierung der staatsrechtlichen Einigung Deutschlands vor· · desGrun dgesetzes. 224 genommenen ReVlslon

220 Dazu CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag, S. 153214; S. 429-453, insbes. S. 430. 221 Regierungssprecher Friedhelm Ost zitiert nach: dpa-Pressemeldung, dpa 269, bas 3373, pI 380, 30.9.1987. 222 Vor allem Bundesjustizminister Engelhard zeigte sich mit dem Entwurf des Bundesrats unzufrieden. Dies hatte er bereits in der Sitzung der Länderkammer am 10.7.1987 deutlich gemacht. Vgl. Deutscher Bundesrat: Stenographische Berichte. 579. Sitzung. 10.7.1987, S. 213 f. 223 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 269, bas 337 3, pI 380, 30.9.1987. 224 Detailliert dazu Peter Fischer: Reform statt Revolution. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, München 1995.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Zusammenfassung und Bewertung

- Die Staatszielfrage machte das politische Gewicht der CDU-Ministerpräsidenten und ihre Politikgestaltungskompetenz deutlich, über das sie mit dem Verfassungsorgan Bundesrat verfügten. Sie ließen sich nicht - wie z. B. die Unions fraktion - in eine Unterstützerfunktion für die Regierung drängen, sondern verfolgten offensiv eigenständige Positionen. Einfluß konnte auf die CDU-Ministerpräsidenten seitens Unionsfraktion und Bundesregierung in erster Linie über die CDU-Führungsgremien, im vorliegenden Fall vor allem das Präsidium, genommen werden. Hier zeigte sich die besondere Bedeutung dieses Gremiums und der politische Nutzwert, den seine Instrumentalisierung für den Bundeskanzler hatte. Durch die mehrheitliche Billigung der von der Worms-Kommission dem Präsidium vorgelegten Ergebnisse konnten die CDU-Ministerpräsidenten diszipliniert werden und waren durch ihre innerparteiliche Zustimmung auf die vom Parteivorsitzenden gewünschte Linie verpflichtet. - Gleichzeitig wurde aber in diesem Fallbeispiel auch die Funktion des CDUPräsidiums als Konfliktschlichtungsinstanz deutlich. Von ihm aus wurde die Beilegung der Mitte 1984 aufgetretenen Positionsdivergenzen zwischen Unionsfraktion einerseits und einigen CDU-Ministerpräsidenten andererseits organisiert. In einer vom Präsidium eingesetzten Expertenkommission, die auch Befürworter und Skeptiker und damit die Mitglieder bei der Lager umfaßte, wurde eine Positionsleitlinie erarbeitet, die die Zustimmung von CDUPräsidium und Unionsfraktion erhielt. Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat wurde danach die Staatszielfrage von Vertretern der CDU nicht weiter forciert. Durch die Einsetzung einer Expertenkommission, der neben Politikern auch Wissenschaftler angehörten, und das von ihnen dem Präsidium vorgeschlagene Votum konnte zudem dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß die Ablehnung einer Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz ausschließlich auf einer politischen Entscheidung des Parteivorsitzenden beruhte. Durch das "neutrale" Gutachten der Kommission und das darin zum Ausdruck kommende Expertenvotum wurde sein Vorgabe gestützt und auf eine solide Argumentationsbasis gestellt. - Führende CDU-Mitglieder der Bundesregierung beeinflußten mit ihrer jeweiligen Haltung in der Staatszielfrage maßgeblich die Positionsbildungsprozesse im Machtdreieck. War es zunächst Kohl, der das Diktum der Ablehnung, dem sich auch das gegenüber der Staatszielfrage positiv eingestellte Bundesinnenministerium beugen mußte, vorgegeben hatte, so war es ab 1986/87 der Bundesumweltminister - zuerst Wallmann, dann in seiner Nachfolge Töpfer-, der mit der Unterstützung des Bundeskanzlers die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz forcierte. Der Umschwung in der Position der Regierung - er kam deutlich in der Koalitionsvereinbarung von 1987 und

III. Umweltpolitik

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in Kohls Regierungserklärung zu Beginn der neuen Legislaturperiode zum Ausdruck - trug einem gestiegenen Umweltbewußtsein in der Bevölkerung Rechnung und hatte somit auch eine machtsichernde Funktion tUr die Bundesregierung. Durch die Aufnahme des Programmpunktes Staatsziel Umweltschutz in die Arbeitsagenda der Bundesregierung sollte die umweltpolitische Kompetenz der Regierungskoalition unter Beweis gestellt werden. - CDU/CSU-Bundestagsfraktion und CDU-Parteiorganisation vollzogen in ihrer jeweiligen Position in der Staatszielfrage programmatisch die Regierungsagenda nach. Sie waren nicht programmatische Trendsetter, sondern übernahmen die Rolle des Agendarezeptors. Die Bundestagsfraktion wurde dabei zum parlamentarischen Unterstützer der jeweils gültigen Position des Bundeskanzlers und der CDU in der Staatszielfrage.

3. Die Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die Ministerberufung 1986 - Entscheidungen im Bundeskanzleramt Die Explosion eines Kernkraftwerkreaktors im ukrainischen Tschernobyl am 26. April 1986 hatte in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur Auswirkungen auf die Inhalte der Umweltpolitik, sondern auch Konsequenzen tUr die umweltpolitischen Organisationsstrukturen und Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde gegründet und in ihm die zuvor in verschiedenen Ministerien angesiedelten umweltpolitischen Zuständigkeiten gebündelt. Wie unter hohem politischen Druck - Verunsicherung der Bevölkerung, von den Oppositionsparteien angezweifelte politische Lösungskompetenz der Regierung, anstehende Landtagswahlen225 - im Machtdreieck auf diese politische Herausforderung und Ausnahmesituation reagiert wurde, steht im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Dabei interessiert nicht das unmittelbare Krisenmanagement der Bundesregierung,226 sondern der Blick ist vielmehr auf die dem Gründungsprozeß des Bundesministeriums und der Auswahl des Ressortleiters zugrundeliegenden Entscheidungs- und Verfahrens strukturen sowie die Absicherung dieser Entscheidungen im Machtdreieck gerichtet. Die Analyse folgt dabei nachstehender Gliederung: 225 Zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar nach der Explosion des Kernreaktors vgl. auch Schütz: Die Umweltpolitik der Regierung Kohl, S. 227 f. 226 Dieses wurde in Abwesenheit Kohls, der zum Zeitpunkt des Kernreaktorunfalls auf Staatsbesuch in Indien war, und weil der eigentlich zuständige Innenminister zunächst nicht auf die neue Situation reagierte, im Bundeskanzleramt von Schäuble organisiert. In telephonischem Kontakt mit Kohl stimmten Schäuble und der Leiter der Abteilung 5, Ministerialdirektor Ackermann, das unmittelbare Krisenmanagement ab. Vgl. dazu auch Ackermann: Mit feinem Gehör, S. 246 f.

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D. Politikfe1der und Fallbeispiele

- Gründungsinitiativen und Ministerauswahl im Bundeskanzleramt; - Mechanismen der Entscheidungsabsicherung und Bekanntgabe der Beschlüsse.

Gründungsinitiativen und Ministerauswahl im Bundeskanzleramt Die Idee der Schaffung eines Bundesumweltministeriums war nicht neu. 227 Auch vor dem Reaktorunfall in der Ukraine hatte es innerhalb der Union immer wieder Stimmen gegeben,228 die für die Konzentration der über verschiedene Ministerien zerstreuten Umweltschutzkompetenzen plädiert hatten?29 Dieses Ministerium sollte über entsprechende politische Durchschlagkraft und notwendige Kompetenzen verfügen. Im Mai 1986 wurde angesichts der konkreten Gefahrensituation, der Verunsicherung der Bevölkerung und des entstandenen Vertrauensverlustes in die umweltpolitische Kompetenz des Innenministeriums230 nunmehr seitens der CDU sowohl intern als auch für die Öffentlichkeit unmittelbar wahrnehmbar intensiver über die Gründung eines eigenständigen Umweltministeriums nachgedacht. In der Sondersitzung des Deutschen Bundestages zum Reaktorunglück in Tschernobyl am 14. Mai 1986 hatte der Vorsitzende der Unions fraktion in einer Rede, ohne explizit seine Formulierungen auf die Begrifflichkeit "Ministerium" zuzuspitzen, gefordert: "Wir müssen unser Melde- und Warnsystem, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, das Zusammenwirken von Politik und Wissenschaft überprüfen. Wenn die Kernenergie schon die nationale Verantwortung übersteigt, dann können innerhalb unseres Landes für Fragen des Schutzes vor Gefahren nicht die Bundesländer in erster Linie zuständig sein, dann muß die Hauptverantwortung hierfür beim Bund liegen. [... ] Wir brauchen eine nationale politische Instanz, die in enger Verbindung mit unseren besten Wissenschaftlern das Recht haben muß, Anordnungen zu treffen

227 Bereits während der sozial-liberalen Koalition hatte es dazu Anläufe gegeben, die aber an den Ressortegoismen der betroffenen Ministerien gescheitert waren. Vgl. z. B. Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 228 So hatte angeblich auch Kohl bereits seit 1982/83 ein Umweltministerium im Zuge eines größeren Neuzuschnitts der Ressortverteilungen geplant. Vgl. dazu Robert Leicht: Flucht nach Vom, in: Die Zeit, 6.6.1986; ergänzend Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 229 Zu den unionsinternen und öffentlichen Diskussionen um die Notwendigkeit eines Umweltministeriums auf Bundesebene auch MerteslMüller: Der Aufbau des Bundesumweltministeriums, S. 461 f. 230 Zur Gesamtsituation vgl. Schütz: Die Umweltpolitik der Regierung Kohl, S. 227 f.; zum Vertrauensverlust auch Weidner: Reagieren statt Agieren, S. 16 f.; der CDU-Generalsekretär sah angesichts dieser Entwicklung die ökologische Glaubwürdigkeit der CDU gefährdet, vgl. Heiner Geißler im Gespräch, S. 281.

III. Umweltpolitik

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und Aussagen zu machen, die dann auch fllr die Länder und Gemeinden verbindlich sind.,,231

Dregger hatte mit seinem Redebeitrag zugleich die bisherigen Defizite der Umweltpolitik der Regierung vor dem Hintergrund der Reaktorkatastrophe implizit deutlich gemacht und, ohne ihn persönlich zu benennen, Innenminister Zimmermann als den ressortrnäßig verantwortlichen Minister kritisiert: 232 Mangelnde Koordination,233 unzureichende Fachkompetenz, unzulängliches Durchsetzungspotential - so ließen sich die Defizite und Kritik Dreggers zusammenfassen. 234 Dregger brachte damit eine Mehrheitsmeinung in der Unionsfraktion zum Ausdruck, wie sie in der Fraktionssitzung am Tag zuvor be. Z'Immermann wesent I'IC h unvermitte . Iter entgegengeschl agen war. 235 relts Bundeskanzler Kohl formulierte seine Rede in derselben Sitzung des Bundestages zwar weniger kritisch und gab auch keine Anzeichen für einen institutionellen Neuzuschnitt der umweltpolitischen Kompetenzen innerhalb der Bundesregierung. Dennoch wurde deutlich, daß er nach seiner Rückkehr aus Asien und der Teilnahme am Weltwirtschaftsgipfel in Toki0 236 das umweltpolitische Tschernobyl-Krisenmanagement in der Bundesrepublik Deutschland zur Chef-

231 Dregger zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 215. Sitzung. 14.5.1986, S. 16534-16539, hier S. 16536. Dregger hatte damit die fraktionsinternen Forderungen nach einem Umweltministerium aufgegriffen und vorsichtig lanciert. Die fraktionsinternen Diskussionen um ein Umweltministerium noch vor der Initiative Kohls bestätigte Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. 232 Zugleich hatte er aber expressis verbis auch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die damit gesetzten Akzente lobend hervorgehoben. Neben der Kritik zwischen den Zeilen hatte es Dregger in seiner Loyalität zum Bundeskanzler übernommen, diesen gegen die Angriffe der Opposition zu verteidigen. Vgl. Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 215. Sitzung. 14.5.1986, S. 16534-16539. 233 Zimmermann hatte in der Fraktionssitzung vom 13.5. nach dem Vorwurf der mangelnden Koordination freimütig zugegeben, daß Koordination seine Sache nicht sei. Dazu Heiner Geißler im Gespräch, S. 281; Eghard MörbitzJGerda Strack: Wallmanns schneller Einstieg in den Aufstieg, in: FR, 4.6.1986; auch Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner fllr Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986. Laufs relativierte im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997 die Kritik der Fraktion an Zimmermann. An eine offene Kontroverse konnte er sich nicht mehr erinnern. 234 In dieselbe Richtung zielte auch Geißlers Kritik an Zimmermann, die folgendermaßen wiedergegeben wurde: "Er habe zu wenig Gefllhl fllr die Strahlen ängste der Menschen gezeigt, die Bevölkerung nur schlecht informiert, nur ungenügend gehandelt. Kurz, Zimmermann müsse die Zuständigkeit fllr Umwelt und Reaktorsicherheit genommen werden." Vgl. "Wall mann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24,9.6.1986, S. 19. Zur Gegenposition des Bundesinnenministers vgl. die retrospektive Betrachtung in: Zimmermann: Kabinettstücke, S. 246 f. 235 Vgl. Eghard MörbitzJGerda Strack: Wallmanns schneller Einstieg in den Aufstieg, in: FR, 4.6.1986. 236 Er fand vom 4.-6.5.1986 statt. 23

Gros

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sache erklärt hatte. Beruhigung durch Initiative war seine Devise. Entsprechend stellte er seinen Initiativkatalog der Öffentlichkeit vor: 237 - Einforderung von Infonnationen durch Gorbatschow und Plazierung des Themas Reaktorsicherheit auf der Tagesordnung des Ost-West-Dialogs; - Antrag auf Sondersitzung des Gouverneuersrats der Internationalen Atomenergiebehörde; - Anregung zu einer internationalen Konferenz über Sicherheitsvorkehrungen bei Kernreaktoren; - schnelle und unbürokratische Hilfe filr von den Folgewirkungen des Reaktorunfalls Betroffene; - Beauftragung der Strahlenschutzkommission zur Ausarbeitung von Leitlinien filr den Fall erhöhter Strahlenbelastungen, die ihre Ursache jenseits der Grenze der Bundesrepublik Deutschland haben. Ziel sollte eine bessere Koordination des Vorgehens von Bund, Ländern und Gemeinden sein. Wenn Kohl auch auf die institutionelle Forderung Dreggers offiziell nicht reagiert hatte, so war es durchaus ein Thema, das hinter den Politikkulissen in der Regierungszentrale erörtert wurde. Zwischen drei Akteuren aus Bundeskanzleramt und Parteifilhrung der CDU wurde die Gründung eines Umweltministeriums am 20. Mai zum intern intensiv diskutierten Thema. An diesem Dienstag nach Pfmgsten suchte der CDU-Generalsekretär und oberste Wahlkampfmanager der CDU filr die rund acht Monate später anstehende Bundestagswahl, Geißler, Kohl am späten Nachmittag im Bundeskanzleramt auf. 238 Die sich anschließende Unterredung fand in der Runde Kohl, Geißler, Schäuble statt. 239 Ob Geißler bereits mit der Forderung ins Kanzleramt kam, der "Kampagne der linken Angstmacher,,24o durch die Einrichtung eines Umweltministeriums, das mit entsprechend umfangreichen politischen Kompetenzen ausgestattet sein sollte, auf Bundesebene entgegenzutreten und gleichzeitig noch ein letztes Signal, das die umweltpolitische Handlungsfiihigkeit der Union demonstrieren sollte, im unmittelbar anstehenden niedersächsischen Landtagswahlkampf41 zu setzen/42 oder ob es Kohl beziehungsweise Schäuble waren,

237 Vgl. Kohl in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 10. Wahlperiode. 251. Sitzung. 14.5.1986, S. 16522-16528, hier S. 16526. 238 Vgl. Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner für Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986. 239 Darauf deuten die Angaben von Neumaier hin. Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 240 Geißler zitiert nach Klaus Dreher: Aus dem Schwächeanfall Nutzen ziehen, in: SZ, 4.6.1986. 241 Die Wahlen fanden am 15.6.1986 statt.

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die die Gründung eines entsprechenden Ministeriums noch 1986 als Idee einbrachten, konnte für die vorliegende Untersuchung nicht abschließend geklärt werden. Klar ist jedoch, daß in dieser kleinen Runde im Bundeskanzleramt der Startschuß zur Ressorteinrichtung fiel. Eindeutig lassen sich zudem die Motivund Interessenlagen, die zu dieser Entscheidung führten, lokalisieren. Sie waren bei den drei genannten Akteuren weitgehend deckungsgleich und umfaßten folgende fünf Aspekte:

Meinungsführerschaft sollte beim Bundeskanzler verbleiben Erste Forderungen von Dregger in der Fraktionssitzung vom 13. Mai und der Bundestagsdebatte am 14. Mai sowie das Eintreten Bangemanns am 19. Mai für die Gründung eines Umweltministeriums zeigten,243 daß schnell gehandelt werden mußte, wenn das Thema noch vom Bundeskanzler besetzt werden und er damit einen Imagegewinn erzielen sollte. Zögern konnte bedeuten, daß Kohl von außen - durch Fraktion, Partei, Koalitionspartner, Öffentlichkeit zunehmend unter Gründungsdruck geriet. Damit wäre die Originalität einer Kabinettsänderung aufgrund einer Kanzlerinitiative verpufft.

Mit der Initiative konnte Kritik an Kohl in Fraktion und Partei vorgebeugt und die Position des Kanzlers gestärkt werden Mit dem Vorstoß zur Gründung eines Ministeriums, das für umweltpolitische Belange zuständig sein sollte, konnte sowohl der Fraktion als auch der Partei - aber auch der Öffentlichkeit - ein handelnder und führungs starker Kanzler präsentiert werden. Kohl hatte damit die Chance, die entstandene umweltpolitische Krisensituation durch demonstrierte Führungsstärke zu entschärfen,244 die von seinen Kritikern auch als solche wahrgenommen wurde und 242 Diese Version findet sich bei Klaus Dreher: Aus dem Schwächeanfall Nutzen ziehen, in: SZ, 4.6.1986; ebenso "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 17-22. 243 Zuvor hatte am 19.5.1986 auch Bangemann - ohne daß dies mit Bundeskanzler Kohl in dieser Form abgestimmt gewesen wäre - während einer Pressekonferenz für den Fall eines Wahlsiegs der Koalitionsparteien für die 11. Wahlperiode die Gründung eines Bundesumweltministeriums angekündigt. Vgl. zur Ankündigung Bangemanns "Wallmann wird Umweltminister", in: SZ, 4.6.1986. 244 In den Koalitionsparteien und der Unionsfraktion erreichte Kohl durchaus dieses Ziel. Die Wahrnehmung und Bewertung in der Berichterstattung war dagegen uneinheitlich. Vgl. Hans Jörg Sottorf: Die lähmende Angst der CDU ist einer neuen Zuversicht gewichen, in: Handelsblatt, 5.6.1986; Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986; Günter Müchler: Helmut Kohl handelt, in: Bonner Rundschau, 4.6.1986; Heinz-Peter Finke: Kohls neuer Spielraum, in: Stutt-

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über das für ihn venneintlich typische "Aussitzen,,245 deutlich hinausging. Dies war nicht zuletzt deshalb notwendig, weil im Hinblick auf die für Januar 1987 anstehenden Bundestagswahlen vor allem in der Unionsfraktion schon seit einiger Zeit über die Ablösung Kohls und einen möglichen Nachfolger Stoltenberg spekuliert wurde. 246 Nach der Berufung Schäubles zum Kanzleramtsminister würde ein weiteres CDU-geführtes Ministerium und seine Besetzung mit einem Vertrauensmann Kohls durch die Verschiebung der Koalitionsarithmetik zudem eine weitere Stärkung des Bundeskanzlers im Kabinett bedeuten?47 Zugleich schaffte Kohl damit Fakten, die eine optimale Ausgangsbasis für Koalitionsverhandlungen und den künftigen Ressortproporz nach der Bundestagswahl 1987 bildeten.

Gelegenheit zur Begrenzung der Kompetenzen eines unbequemen Kabinettsmitglieds und zur Neustrukturierung der Regierung Weder Kohl noch sein engeres Umfeld hatten die Kritik Zimmennanns am Führungsstil des Bundeskanzler im Mai 1985 vergessen. Der damalige Vorwurf der mangelnden Führungsstärke durch den Bundesinnenminister hatte Kohl innerlich stark berührt?48 Geißler hatte dem Kanzler damals geraten, Zimmennann aus dem Kabinett zu entlassen. 249 Aus koalitionstechnischen Gründen war dies seiner Zeit aber nicht möglich gewesen?SO Zwar konnte Kohl Zimmennann auch jetzt nicht einfach entlassen. Strategisch geschickter war es garter Nachrichten, 5.6.1986; Robert Leicht: Flucht nach vom, in: Die Zeit, 6.6.1986; Hans Peter Schütz: Die deutlichen Spuren einer Sturzgeburt, in: Stuttgarter Nachrichten, 6.6.1986. 245 Dazu Fritz Ullrich Fack: Der Schachzug des Kanzlers, in: F AZ, 4.6.1986. 246 Zu Hintergründen und Stimmungslage vor allem in der Unionsfraktion vgl. HansJosef Joest: Generalprobe, in: Capital, Nr. 6, 1986, S. 20-22; Hans Jörg Sottorf: Die lähmende Angst der CDU ist einer neuen Zuversicht gewichen, in: Handelsblatt, 5.6.1986; auch Pruys: Helmut Kohl, S. 315-317. 247 Nach der Gründung des Umweltministeriums verfugte die CDU über zehn Ressorts (CSU: fünf, FDP: drei). Zu Beginn der Legislaturperiode waren es noch acht gewesen. 248 Zu den Details vgl. "Scharfe Kritik der CSU an Regierung", in: SZ, 20.5.1985; "Submisset erinnert", in: Der Spiegel, Nr. 23, 3.6.1985, S. 21-23; Klaus Dreher: Belebende Nackenschläge, in: SZ, 13.6.1985; Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner für Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986. 249 Zu den Hintergründen Klaus Dreher: Belebende Nackenschläge, in: SZ, 13.6.1985; "Jede Art von Demontage hat Auswirkungen", in: Der Spiegel, Nr. 25, 17.6.1985, S. 19-22. 250 Strauß hatte damals prophylaktisch gedroht, alle CSU-Minister aus der Bundesregierung zurückzuziehen, sollte Kohl einen Minister entlassen, "aus Gründen die wir nicht billigen". Zur Position des CSU-Vorsitzenden vgl. "Strauß: Aus heutiger Sicht bleibt Kohl Kanzlerkandidat der Union für 1987", in: Handelsblatt, 11.6.1985.

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da schon, ihm Ressortzuständigkeiten mit der Begründung zu entziehen, die verschiedenen umweltpolitischen Teilzuständigkeiten der Ressorts sollten nunmehr zwecks besserer Koordination und höherer politischer Durchschlagskraft in einem Ministerium gebündelt werden. Da zudem auch Kiechle und Süssmuth Ressortbereiche abgeben mußten, wurde nach außen dem Eindruck entgegengewirkt, daß allein Zimmermann von der Regierungsänderung betroffen sei. Kohl konnte sich in seinem Vorgehen auch bestärkt fühlen durch die in der Fraktionssitzung vom 13. Mai 1986 von Abgeordneten geäußerte Kritik an Zimmermann. 251 Indem Kohl durch eine Ressortumstrukturierung Zimmermann von seinen umweltpolitischen Aufgaben entband, konnte er sich zugleich eines Kritikmagneten entledigen, der den Bundeskanzler und die gesamte Regierung schon länger in Mitleidenschaft gezogen hatte. Zimmermann war schließlich bereits vor dem Kemreaktorunfall in Tschernobyl in die öffentliche wie parteiinterne Kritik aufgrund seiner umweltpolitischen Maßnahmen und gescheitertem Vorhaben geraten. 252

Unmittelbar vor der Wahl in Niedersachsen wurde ein umweltpolitisches Datum gesetzt Die niedersächsische Landtagswahl drohte vom Thema "Tschernobyl" überlagert zu werden. Die letzte Wahl auf Länderebene mit CDU-Beteiligung vor der Bundestagswahl konnte auch als Richtungswahl für die Bundestagswahl begriffen werden. Kohl, Schäuble und vor allem Geißler wollten keinesfalls hinnehmen, daß die CDU für die Havarie in der Ukraine und die durch den politischen Gegner in der Bundesrepublik Deutschland geschürte Panik verantwortlich gemacht wurde. 253 Mit der Gründung eines Umweltministeriums und einer Bekanntgabe dieser Entscheidung ein bis zwei Wochen vor dem Wahlsonntag am 15. Juni 1986 sollte dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht ein Wahlkampfschlager zugeliefert und ein deutliches umweltpo·· h es S'Igna I gesetzt werden. 254 IItlSC

251 Vgl. Eghard MörbitziGerda Strack: Wallmanns schneller Einstieg in den Aufstieg, in: FR, 4.6.1986. 252 Zur Kritik vgl. Klaus Dreher: Aus dem Schwächeanfall Nutzen ziehen, in: SZ, 4.6.1986; "Wallmann wird Umweltminister", in: SZ, 4.6.1986; Eghard MörbitziGerda Strack: Wallmanns schneller Einstieg in den Aufstieg, in: FR: 4.6.1986; Thomas Löffelholz: Tribut an die Umwelt, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 253 Dazu die Position Geißlers, wiedergegeben in: Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 254 Vgl. auch Heiner Geißler im Gespräch, S. 281. Die niedersächsische Landtagswahl war, wie auch nachfolgend weiter verdeutlicht wird, damit ein wichtiges, aber nicht das ausschließliche Motiv in einem Gesamtmosaik. Zu den Bewertungen der Entscheidung und ihrem Einfluß auf die niedersächsischen Landtagswahlen vgl. die unter-

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Umweltpolitik kristallisierte sich zunehmend als Wahlkampfthema fiir 1987 heraus Das Thema "Umweltschutz" hatte in der laufenden Legislaturperiode ständig an Bedeutung in der öffentlichen Meinung gewonnen. 255 Gleichzeitig nahm der Prozentsatz derjenigen in der Bevölkerung, die der Auffassung waren, die Regierung habe "etwas bzw. viel" auf dem Gebiet der Umweltpolitik getan, sukzessive ab. Die der CDU zugeschriebene umweltpolitische Kompetenz war rückläufig. Das Vertrauen in die Politik der Bundesregierung ging deutlich zurück. 256 Mit der Gründung eines Umweltministeriums sollte versucht werden, diesem Trend entgegenzusteuem und das umweltpolitische Profil zu schärfen. 257 Entsprechend formulierte Kohl vor der Bundespressekonferenz am 3. Juni 1986 auch die Zielsetzungen des neuen Bundesministeriums: "Aufgabe des Ministeriums wird es sein, mit Verständnis fiir die Ängste und Sorgen unserer Bürger die Arbeit rasch aufzunehmen und sich um bestmögliche Lösungen zu bemühen.,,258 Das Ministerium sollte Beweis und Ausdruck fiir die Bedeutung sein, die die Bundesregierung bereit war, der Umweltpolitik zuzumes259 sen.

schiedlichen Nuancierungen bei Heinrich Pehle: Das Bundesumweltministerium. Neue Chancen für den Umweltschutz, in: Verwaltungsarchiv, Nr. 2, 1988, s. 185; Reinhold Roth: Die niedersächsische Landtagswahl vom 15.6.1986. Normalität des Wählerverhaltens, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 1, 1987, S. 5-16; Wolfgang G. Gibowskil Max Kaase: Die Ausgangslage für die Bundestagswahl am 25. Januar 1987, in: HansDieter KlingemanniMax Kaase (Hrsg.): Wahlen und politischer Prozeß: Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1983, Opladen 1986, S. 523 f. 255 Vgl. Umfrageergebnisse und Zahlenreihen in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Die Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 - Eine erste Analyse, St. Augustin 1987, S. 26. Umfassend zu Bedeutung der Ökologie für den Bundestagswahlkampf 1987 auch Manfred Küchler: Ökologie statt Ökonomie: Wählerpräferenzen im Wandel, in: Max KaaselHans-Dieter Klingemann (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl1987, Opladen 1990, S. 419-444. 256 Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Die Bundestagswahl vom 25. Januar 1987, S. 28, S. 31. 257 Allerdings zeigen Umfragedaten z. B. aus dem Oktober 1986 und Januar 1987, daß dieses Ziel nicht erreicht worden war. Die umweltpolitische Kompetenz der CDU hatte in den Augen der Bevölkerung weiter abgenommen. Vgl. ebd., S. 28, 31. 258 Kohl zitiert nach: Bulletin, Nr. 63, 5.6.1986, S. 530. In den "Tagesthemen" an demselben Tag verdeutlichte Kohl nochmals: "Ich bin überzeugt, daß die Zusammenfassung verschiedener Entscheidungsträger in Sachen Umweltschutz in ein Ministerium helfen wird, die Entscheidungsprozesse zu verkürzen. Ich erwarte von dem neuen Ressort überzeugende Lösungsvorschläge für die aktuellen Probleme und die notwendigen Antworten für zukünftige Entwicklungen." Vgl. Helmut Kohl, Gespräch in Tagesthemen, abgedruckt in: Bundespresseamt: Kommentarübersicht, 4.6.1986. 259 Entsprechend wurde auch die Dramaturgie der Amtseinführung des Umweltministers danach bis in die letzten Einzelheiten mediengerecht geplant. Öffentlichkeitswirksam und um die künftige Bedeutung dieses Ministeriums zu unterstreichen, wurde

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Der 20. Mai markierte den Auftakt rur den konkreten Planungs-, Abstimmungs- und Entscheidungsprozeß zur Einrichtung eines Bundesministeriums rur Umwelt und die damit einhergehenden ministeriellen Personalüberlegungen. Geißler hatte mit Klaus Töpfer, dem rheinland-pfälzischen Umweltminister, zunächst einen ausgewiesenen und anerkannten Experten260 als möglichen Ministerkandidaten vorgeschlagen. 261 Allerdings hatte Kohl eigene Vorstellungen. 262 Nach seiner Ansicht beschränkte sich die Bekanntheit Töpfers auf die Grenzen von Rheinland-Pfalz. Er dagegen wollte einen Politiker von bundesweiter Bekanntheit. Populär sollte er sein und ein unverbrauchtes Images besitzen?63 Er hatte den Alternativvorschlag auch bereits parat: Walter Wallmann, der Oberbürgermeister von Frankfurt und hessische CDU-Landesvorsitzende sollte es sein?64 Aus Kohls Sicht sprachen vielerlei Grunde fiir seinen alten Duzfreund Wallmann: Beide kannten sich aus gemeinsamen Bonner Oppositionszeiten und waren sich freundschaftlich verbunden?65 Wallmann war in den siebziger Jahren unter dem Fraktionsvorsitzenden Kohl Parlamentarischer der neue Minister in der ersten Reihe der Regierungsbänke im Deutschen Bundestag plaziert. Schwarz-Schilling mußte daftir seinen Platz räumen. Er rückte in die zweite Reihe. Zur Amtseinftihrung vgl. ergänzend Helmut Herles: Bald wird Wall mann den grünen Chefstift ftihren, in: FAZ, 7.6.1986. Der Zeitpunkt war zudem günstig gewählt, da der Kanzlerkandidat der SPD, Rau, nach Kohls Wahrnehmung zunehmend in ein ftir ihn ungünstiges Licht im Zusammenhang mit dem Hochtemperatur-Reaktor in Hamm rückte. Kohls Ressortinitiative konnte vor diesem Hintergrund als bewußter umweltpolitischer Kontrapunkt gedeutet werden. Zu Kohls Strategieüberlegung vgl. "Der Kanzler holt Wallman ins Kabinett", in: FAZ, 4.6.1986. 260 Töpfer war nicht nur rheinland-pfalzischer Umweltminister, sondern auch stellvertretender Vorsitzender des CDU-Bundesfachausschusses Umweltpolitik. 261 Vgl. "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 19; ebenso Udo Bergdoll: Das Störende an einer schönen Aussicht, in: SZ, 13.2.1987. 262 Dies läßt vermuten, daß Kohl bereits vor Geißlers Initiative über entsprechende Pläne nachgedacht hatte. Als Indiz ftir dieses These kann auch angeftihrt werden, daß Kohl bei der Bekanntgabe der Gründung des neuen Ministeriums erklärte: "Ich ziehe einen Teil der organisatorischen Veränderungen, die ich ftir den Neubeginn der kommenden Legislaturperiode erwäge, aus aktuellem Anlaß vor." Zitiert nach: Günter Müchler: Der Kanzler hielt seinen Plan bis zuletzt geheim, in: Bonner Rundschau, 4.6.1986. Inwieweit diese Äußerung Kohls allerdings strategischen Wert besaß und angesichts politischer Druckpotentiale (Landtagswahl in Niedersachsen) der kurzfristig erfolgten Gründung des Umweltministeriums den Deckmantel einer langfristigen Planung umlegen sollte, konnte im Rahmen der Studie nicht geklärt werden. 263 Töpfer hatte 1986 den Nachteil, als rheinland-pfälzischer Umweltminister mit in das Informations- und Koordinationschaos zwischen Bund und Länder verstrickt zu sein. Vgl. zu Kohls Vorstellungen auch "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 19. 264 Folgt man den Angaben Geißlers, dann war es allerdings auch der Generalsekretär, der Wallmann vorschlug. Vgl. Heiner Geißler im Gespräch, S. 281. 265 Auf die besondere Qualität der Beziehung von Kohl und Wall mann wies auch Vogel im Gespräch mit dem Autor am 22.7.1997 hin.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Geschäftsfilhrer gewesen. 266 Er zählte seitdem zu Kohls engerem Ratgeberkreis. Kohl hatte Wallmann schon seit längerem auch in Bonn wieder intensiv gefördert. Unter Protektion des Bundesvorsitzenden267 war er 1985 - filr einen Kommunalpolitiker eher untypisch - ins Präsidium der CDU aufgerückt. 268 Außerdem war Wallmanns Wechsel in den Bundestag nach der 87er Bundestagswahl ohnehin schon seit längerem beschlossene Sache gewesen?69 Mit Wallmanns Ernennung zum Bundesminister würde sein kommunalpolitischer Ausund Bonner Wiedereinstieg lediglich um ein halbes Jahr vorgezogen. Wichtig war aber auch - insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Gründung eines Umweltministeriums zu Lasten des CSU-gefilhrten Innenministeriums gehen würde -, daß sich Wallmann und der CSU-Vorsitzende Strauß gut verstanden. 270 Wallmann entsprach insgesamt dem Bild des Umweltministers, das Kohl angesichts der umweltpolitischen Situation entworfen hatte. Er mußte kein Ökologiefachmann sein, sondern die Fähigkeit besitzen, die vorhandenen Stimmungs lagen in der Bevölkerung zu erkennen, aufzunehmen und zu mode• 271 neren. 266 Er war zudem - nachdem die CSU-Landesgruppe am 19.11.1976 die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU gekündigt hatte - zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion für die 8. Wahlperiode gewählt worden. Allerdings übte er dieses Amt, wie der gesamte am 1. und 7.12. 1976 gewählte CDU-Fraktionsvorstand, nicht aus, weil die Verhandlungskommissionen von CDU und CSU am 12.12.1976 beschlossen hatten, die Fraktionsgemeinschaft doch fortzusetzen. 267 Kohl hatte bereits an dem Tag, an dem Richard von Weizsäcker aufgrund seiner Wahl zum Bundespräsidenten aus dem Präsidium der CDU ausgeschieden war (23.5.1984), in der CDU-Führungsspitze ventiliert, daß er entschlossen sei, Walter Wall mann zum neuen stellvertretenden Parteivorsitzenden und damit ins Präsidium wählen zu lassen. Hinweise bei Klaus Dreher: Aus dem Schwächeanfall Nutzen ziehen, in: SZ, 4.6.1986. Zuvor bereits wollte Kohl Wallmann ins Präsidium wählen lassen. Dies war aber an der Kandidatur von Weizsäckers gescheitert, die Kohl 1983 nicht verhindern konnte. Vgl. dazu Friedbert Pflüger: Richard von Weizsäcker. Ein Porträt aus der Nähe, München 1993, S. 84 f. 268 Er hatte sich damit bei der Wahl der sieben stellvertretenden Vorsitzenden der CDU gegen Kurt Biedenkopf durchgesetzt. Dazu die Ergebnisse der Wahl in: CDUBundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 33. Bundesparteitag. 20./22. März 1985. Essen, Bonn o. J., S. 109. 269 Wall mann sollte damit eine bessere Ausgangsbasis für den hessischen Landtagswahlkampf geboten werden. Er wurde zudem schon länger für ministeriabel gehalten. Zu den verschiedenen gerüchteweise in Bonn seinerzeit umherschwirrenden Ministermodellen vgl. Heinz-Joachim Melder: Kohls Not-Operation traf vor allem Zimmermann, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.6.1986. 270 Zum Verhältnis Wallmann-Strauß vgl. auch "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 19. 271 Das Fachwissen - z. B. in bezug auf Kernreaktoren - war bei Wallmann und seinem Staatssekretär Wagner - zunächst sehr gering. So hatte beispielsweise Laufs, einer der fllhrenden Umweltpolitiker der Fraktion, noch am Tag der Amtseinführung Wallmanns diesem im Palais Schaumburg die Grundelemente der Funktionsweise eines Kernreaktors erläutert. Vgl. dazu Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997.

111. Umweltpolitik

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Mechanismen der Entscheidungsabsicherung und Bekanntgabe der Beschlüsse

Die zwischen Kohl, Geißler und Schäuble am 20. Mai 1986 getroffenen Vereinbarungen unterlagen zunächst höchster Geheimhaltung. Stillschweigen war vereinbart worden. Weder Fraktions- noch Parteiführung - auch nicht die der Koalitionspartner - waren zunächst eingeweiht. Nur auf zwei Ebenen wurde zunächst vorsichtig sondiert: Kohl besprach mit Wallmann seine Pläne. 272 Wenig später versuchte er den CSU-Vorsitzenden Strauß von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen und zu überzeugen. 273 In einem kurzfristig anberaumten Treffen in Memmingen274 einigten sich die beiden Parteifilhrer am 1. Juni 1986 auf die Gründung des Umweltministeriums275 , die Berufung Wallmanns und die damit einhergehenden Kompetenzbeschneidungen Zimmennanns.z76 Das

272 Wallmann hatte nach kurzer Bedenkzeit dann auch zugesagt, das Ministeramt zu übernehmen. Vgl. Heinz-Joachim Melder: Kohls Not-Operation traf vor allem Zimmermann, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.6.1986. 273 Dies gestaltete sich aufgrund der Reisetätigkeiten des bayerischen Ministerpräsidenten allerdings mehr als schwierig. Kaum von seiner Albanien-Reise über Pfingsten zurückgekehrt, reiste er nach Finnland und zum Polarkreis - u. a. zu BMW-Testfahrtenweiter. Nur unter Mühen war es dem Kanzleramt gelungen, Strauß in der Woche nach Pfingsten in Helsinki telephonisch zu erreichen. Kohl teilte dem CSU-Vorsitzenden seine Pläne mit. Strauß wollte sich noch nicht definitiv äußern, war aber bereit, über die Angelegenheit nachzudenken. Zu den Hintergründen Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986. 274 Strauß eröffnete dort ein Turnerbundfest. Kohl hatte sich vom Bundesgrenzschutz zur zweistündigen Besprechung mit dem bayerischen CSU-Vorsitzenden einfliegen lassen. 275 Die vollständige und korrekte Bezeichnung des neuen Ressorts lautete Ministerium rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wird im folgenden der Begriff Umweltministerium verwendet, ist immer das neu gegründete Ministerium gemeint. 276 Der bayerische Ministerpräsident verfolgte dabei durchaus eigenständige Interessen. Zum einen war ihm rasch klar, daß auch er von gestrafften umweltpolitischen Kompetenzen und einem wieder steigenden Vertrauenspotential der Bevölkerung in umweltpolitische Maßnahmen angesichts der bevorstehenden bayerischen Landtagswahlen (12.10.1986) nur profitieren konnte. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich Strauß durch die Gründung des Bundesumweltministeriums und die von ihm dabei gezeigte Kooperation eine politische Entlastung angesichts der Demonstrationen gegen den Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf erhoffte. Zum dritten war auch bei Strauß wegen der von Zimmermann mitunter an den Tag gelegten politischen Eigenwilligkeiten seit einiger Zeit Unmut entstanden. Inwieweit sich bei der Zustimmung von Strauß auch noch Auswirkungen zeigten, die von Zimmermanns Rolle bei der Verhinderung von sofortigen Neuwahlen im Herbst 1982 herrührten, mag dahin gestellt bleiben. Außerdem war der Handlungsspielraum des CSU-Vorsitzenden eingeschränkt: Wie konnte er Kohl ein Umweltministerium auf Bundesebene verweigern, da es in Bayern doch schon längst (seit 1970) ein derartiges gab? Zu den Motiven von Strauß ergänzend Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner rur Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986; Heinz-Joachim Melder: Kohls Not-Operation traf vor allem Zimmermann, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.6.1986;

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Vorgehen des Bundeskanzlers war dabei strategisch ausgerichtet. Schritt rur Schritt versuchte er, sein Vorhaben durch die sukzessive Integration machtrelevanter Personen durchzusetzen. Die Bedeutung der Einbindung von Strauß durch Kohl wird vor allem dann sichtbar, wenn man die folgenden zwei Aspekte berücksichtigt: - Zimmermann gehörte der CSU an. Wollte Kohl nunmehr dessen Kompetenzen beschneiden, mußte er dies mit dem Münchner CSU-Potentaten abstimmen. Außerdem verhinderte er dadurch, daß er Strauß das Geruhl gab, an der Entscheidung beteiligt zu sein, die Gefahr möglicher späterer Proteste des Bayern. Bei potentiellen Widerständen aus der CSU konnte er fortan immer auch auf die Zustimmung von Strauß verweisen. - Der Bundeskanzler verabredete zudem mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, daß dieser Zimmermann vom Verlust an Ressortkompetenzen als erster informieren sollte. 277 Damit erhielt der CSU-Minister die Veränderungen im Kabinett zunächst von seinem Parteivorsitzenden und nicht vom Bundeskanzler mitgeteilt. 278 Kohl konnte auf die disziplinierende Wirkung dieser Maßnahme gegenüber Zimmermann und der CSU vertrauen. Nicht er, sondern Strauß mußte mögliche Proteste als erster abwehren. Indem er mit zwei zentralen Akteuren - Wallmann als designierten Umweltminister und Strauß als bayerischen Koalitionsanker - die Lage erfolgreich vorsondierte, hatte Kohl zugleich Fakten geschaffen, auf deren Basis er nun die nächsten Schritte tun und seine Entscheidung weiteren Kreisen in der Regierungskoalition zugänglich machen konnte. Unmittelbar angeboten hätte sich dazu die am frühen Vormittag des 2. Juni 1986, also einen Tag nach dem Gespräch des CDU-Vorsitzenden mit Strauß, stattfmdende Sitzung des CDU-Präsidiums in Hannover. 279 Neben Wahlkampffragen hatte diese Sitzung auch einen umweltpolitischen Tagesordnungspunkt. Im Mittelpunkt stand dabei eine Diskussion um Vor- und Nachteile des Ausstiegs aus der Atomenergie. Vor allem Bundesfinanzminister Stoltenberg und der baden-württembergische Mini-

Peter Schmalz: CSU: Ein Erfolg Wallmanns hilft auch uns in Bayern, in: Die Welt, 5.6.1986; Klaus Dreher: Belebende Nackenschläge, in: SZ, 13.6.1985. 277 Strauß deutete dann auch in einem Telephonat noch am Abend des gleichen Tages Zimmermann die Ressortveränderungen an und legte ihm die Details am folgenden Tag am Rande der Vorstandssitzung der CSU dar. Vgl. "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 19 f. 278 Eine ähnliche Strategie, die auf die Ruhigstellung der CSU dadurch zielte, daß Strauß den Informationsprimat erhielt, hatte Kohl bereits 1983 bei der Bekanntgabe der Verhandlungsergebnisse zum Milliardenkredit mit der DDR angewendet. Vgl. dazu Korte: Deutschlandpolitik, S. 161-184. 279 Dieser Tagungsort stand im Zusammenhang mit der unmittelbar anstehenden niedersächsischen Landtagswahl.

III. Umweltpolitik

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sterpräsident Späth lieferten sich heftige Wortgefechte. 280 Kohl griff nicht in die Diskussion ein, auch nicht um bei dieser Gelegenheit seine Entscheidung zur Gründung eines Umweltministeriums mitzuteilen. 281 Er fiel - ebenso wie Geißler - in dieser Sitzung mehr dadurch auf, daß er ungewöhnlich oft den Tagungsraum verließ, um dringende längere Telephonate zu fiihren. 282 Und diejenigen Teilnehmer der Präsidiumssitzung, die bereits eingeweiht waren Geißler, Wallmann, Stoltenberg283 , Schäuble - bewahrten Stillschweigen. Das Präsidium spielte als ein Führungsgremium der CDU damit im Entscheidungsfindungsprozeß hinsichtlich der Gründung des Umweltministeriums und der Auswahl eines geeigneten Ministerkandidaten keine Rolle. Kohl hatte sich ausschließlich mit wenigen Einzelakteuren, die diesem Gremium angehörten, im voraus bilateral abgestimmt. Am Montagabend284 informierte Kohl dann auch die von den Umstrukturierungen betroffenen Kabinettsmitglieder: Süssmuth, Kiechle und Zimmermann. 285 In einem "ganz vernünftigen Gespräch,,286 teilte der Bundeskanzler dem Innenminister seine Entscheidung mit. Zimmermann zählte, obgleich er unmittelbar von den Veränderungen betroffen war, zu denjenigen, die Kohl über seine Entscheidung sehr spät,287 fast als letzte informierte. 288 Die Führung der Unionsfraktion, Dregger und Waigel/89

280 Vgl. "Wallmann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 18. 281 Bestätigend Worms im Gespräch mit dem Autor am 2.7.1997. 282 Vgl. Günter Müchler: Der Kanzler hielt seinen Plan bis zuletzt geheim, in: Bonner Rundschau, 4.6.1986. Es ist zu vermuten, daß Kohl die Zeit nutzte, um mit führenden Koalitionspolitikern (Bangemann, Mischnick, Dregger, Waigel) Termine für Treffen im Laufe des Montags koordinieren zu lassen. 283 Stoltenberg war von Kohl mittlerweile informiert worden, weil er als Finanzminister die entsprechenden HaushaItsplanungen vornehmen mußte. Stoltenberg begrüßte den Schritt Kohls. Vgl. Eduard Neumaier: Mit Kohls Coup hat keiner gerechnet, in: Stuttgarter Zeitung, 4.6.1986; Stoltenberg im Gespräch mit dem Autor am 14.7.1997. 284 Dazu Heinz-Joachim Melder: Kohls Not-Operation traf vor allem Zimmermann, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.6.1986. 285 Ihre Ministerien mußten Abteilungen, Unterabteilungen bzw. Referate an das neue UmweItministerium abgeben. Da zugleich auch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zum Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit umgebildet wurde, war auch Norbert B1üm in die Gespräche miteinbezogen. 286 Kohl zitiert nach: Ekkehard Kohrs: Ein Überraschungscoup mit Auffrischungseffekt, in: Bonner General-Anzeiger, 4.6.1986. 287 Ein Phänomen, das auch bei der Ablösung Windelens 1987 beobachtet werden konnte. Er war ebenfalls von Kohl erst sehr spät informiert worden. Vgl. auch Kapitel D.IIA. 288 Zimmermann wiederum hatte es offensichtlich danach nicht für notwendig befunden, den für Umweltpolitik zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär Spranger umgehend über die Veränderungen zu informieren. Dieser hatte nach eigener Aussage erst unmittelbar vor der Sondersitzung der CSU-Landesgruppe am folgenden Tag von der Umstrukturierung in der Geschäftsverteilung der Bundesregierung gehört. Vgl.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

wurde am späten Montagabend vom Regierungschef während eines extra anberaumten Termins im Bundeskanzleramt über die Ressortneugründung und die damit einhergehenden Veränderungen in der Bundesregierung unterrichtet. 290 Auch wenn Dregger filr sich in Anspruch nahm, an den Ressort- und Personalüberlegungen Kohls beteiligt gewesen zu sein/91 und auch die wesentlichen Impulse rur sich reklamierte ("Es sind meine Vorschläge" 292), so zeigten die Recherchen rur diese Studie doch, daß er und auch andere Vertreter des Fraktionsvorstandes nicht zum engen Kreis derjenigen zählten, die in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß und damit in den Politikgestaltungsprozeß zur Gründung des Umweltressorts zwischen dem 20. Mai und 1. Juni 1986 eingebunden waren. Dennoch waren sie nunmehr wichtig, um die Unionsfraktion auf die politischen Veränderungen in der Fraktionssitzung am 3. Juni einzustimmen. Obwohl sich der Kreis derjenigen, die mittlerweile über die Regierungsänderung informiert worden waren, stark erweitert hatte, funktionierte im ansonsten eher mitteilsamen Bonn die Geheimhaltung bis zum Vormittag des 3. Juni. Zur Mehrheit der Abgeordneten war bisher von Kohls Plänen noch nichts durchgedrungen. Lediglich Friedhelm Ost, der Regierungssprecher Kohls, hatte in einem unbedachten Moment während eines Abendessens mit einem Unionsabgeordneten die Kabinettsänderung beiläufig erwähnt. Ost bemerkte seine Fauxpas aber noch rechtzeitig: Der Abgeordnete wurde danach bis auf weiteres zum Schweigen verpflichtet. 293 Ziel war es, die Kabinettsänderung nicht vorab bekannt werden zu lassen und damit Kohl die Möglichkeit zu erhalten, diese der Öffentlichkeit selbst zu präsentieren,z94 Heinz-Joachim Melder: Kohls Not-Operation traf vor allem Zimmermann, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 4.6.1986. 289 Zumindest für Waigel waren die dabei erhaltenen Information zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr neu, hatte er sie doch am Vormittag schon am Rande der CSU-Vorstandssitzung von Strauß erfahren. 290 Die Vorsitzenden von FDP-Parteiorganisation, Bangemann, und FDPBundestagsfraktion, Mischnick, hatte der Bundeskanzler bereits sonntags bzw. am Montagnachmittag über seine Entscheidung informiert. Angaben nach Günter Müchler: Der Kanzler hielt seinen Plan bis zuletzt geheim, in: Bonner Rundschau, 4.6.1986. 291 Vgl. Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner für Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986. 292 Dregger zitiert nach: Günter Bannas: Selbst aus der CSU sprang keiner für Zimmermann in die Bresche, in: FAZ, 4.6.1986. Dregger bezog sich damit eindeutig auf seine Bundestagsrede vom 13.5.1986, in der er verklausuliert eine entsprechende Umweltinstitution gefordert hatte. 293 Hintergründe bei Rudolf Strauch: Tschernobyl warf Wall manns Zeitplan um, in: Hannoversche Allgemeine, 4.6.1986. 294 Dies tat der Bundeskanzler dann auch am 3.6.1986 unmittelbar nach der Sitzung der Unionsfraktion vor der Bundespressekonferenz. Zum Wortlaut seiner Erklärung vgl. "Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Erklärung des

III. Umweltpolitik

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Die Abgeordneten der Gesamtfraktion wurden erst am 3. Juni 1986, an dem Tag, an dem Kohl seinen Neuzuschnitt des Kabinetts und der Ressorts offiziell bekannt geben wollte, informiert. Eine Stunde vor der nachmittäglichen Fraktionssitzung trat die CSU-Landesgruppe in einer Sondersitzung um 14.00 Uhr zusammen. Der Landesgruppenchef und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Waigel, informierte seine Kollegen in nüchterner Wortwahf95 über die Zimmermann betreffende Ressortveränderung: "Der Bundeskanzler wird in der Fraktionssitzung eine Änderung der Organisationsstruktur des Kabinetts bekanntgeben, von der die CSU betroffen ist und über die ich Sie selbstverständlich vor der Fraktionssitzung unterrichten will. Der Bundeskanzler beabsichtigt, den Umweltschutz und Kernenergiefragen aus den Ressorts Innen-, Landwirtschaft, Gesundheit und Forschung auszugliedern und in einem eigenständigen Ministerium zusammenzufassen. [... ] Die Festlegung der Organisationsstruktur innerhalb des Kabinetts obliegt nach Verfassung und Geschäftsordnung dem Bundeskanzler. Der Bundeskanzler hat sein Vorhaben am Wochenende mit den Vorsitzenden von CSU und FDP erörtert. [... ] Wir nehmen diese Neuorganisation zur Kenntnis. Wir wünschen dem neuen Minister viel Erfolg. Wir danken Fritz Zimmennann, auf dessen Leistung Walter Wallmann weiterarbeiten kann, und wir sprechen Fritz Zimmennann unseren Dank und unsere ungeteilte persönliche und politische Solidarität aus. ,,296

In der Landesgruppe war man sich sehr wohl darüber klar, daß die Ressortveränderungen vor allem zu Lasten der CSU gingen. Waigel akzeptierte sie mit dem Verweis auf die Organisationsprärogative des Bundeskanzlers und damit, daß er auf die Vorabsprache Kohls mit Strauß hinwies. Damit hatte er aber den Abgeordneten zugleich unterschwellig verdeutlicht: Von Fraktionsseite war niemand in die Planungen zur Veränderung der Ressortstrukturen einbezogen worden. Die Gespräche waren isoliert auf der Ebene der Parteifiihrer gelaufen. Gleichzeitig war mit dem Verweis auf die bayerische CSU-Autorität Strauß fiir die Abgeordneten jedoch auch klar: Für Proteste der CSU-Abgeordneten in der Fraktion blieb kein Raum mehr. Entsprechend nahm man die Entscheidung zur Kenntnis. In der Sitzung der Unionsfraktion am Nachmittag übernahm es Kohl dann selbst, seine zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neue Entscheidung zu präsentieren. Die Fraktionssitzung hatte nämlich bereits um 15.00 Uhr begonnen;

Bundeskanzlers vor der Bundespressekonferenz in Bonn", abgedruckt in: Bulletin, Nr. 63, 5.6.1986, S. 529 f. 295 Berücksichtigt man, daß Zimmennann in Bonn als Waigels Mentor galt, wird ersichtlich, daß der Landesgruppenchef wenig begeistert war, nunmehr dessen Degradierung verkünden zu müssen. 296 Waigel zitiert nach: Pressestelle der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag: Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Dr. Theo Waigel, flihrte in der heutigen Sitzung der CSU-Landesgruppe u. a. folgendes aus, 3.6.1986.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Kohl selbst kam erst um 16.00 Uhr. 297 Zwar hatte Dregger die Ressortveränderungen von sich aus nicht angesprochen, aber die Zeit hatte dennoch ausgereicht, den aktuellen Sachstand von der bereits informierten CSU-Landesgruppe in die Gesamtfraktion zu tragen. Außerdem war der designierte Minister Wallmann schon vor Kohl anwesend. Der Bundeskanzler verkündete in der Sache nur noch Bekanntes. Wichtig war dann auch vielmehr die Art und Weise, wie er der Unionsfraktion die Veränderungen begründete, nämlich als sachliche Notwendigkeit. 298 Gleichzeitig lobte er die umweltpolitischen Leistungen Zimmermanns überdeutlich. 299 Keineswegs sollte in der Unions fraktion der Eindruck entstehen, als wolle er Zimmermann noch nachträglich für seine Kritik im Vorjahr abstrafen. Zimmermann wurde von Kohl aus seiner umweltpolitischen Verantwortung entlassen, indem er dessen Erfolge darstellte und somit für ein positives Verabschiedungsklima in der Fraktion sorgte. Gleichzeitig wollte Kohl damit aber auch verhindern, daß der Eindruck entstand, Zimmermann sei wegen Unfähigkeit entbunden worden. 3°O Dies hätte nicht zuletzt die Frage aufgeworfen, warum er den Innenminister nicht gleich ganz aus dem Kabinett entlassen hatte. Der demonstrative Beifall,301 den Kohl im Anschluß bekam, bestätigte ihn nicht nur hinsichtlich seiner Entscheidung, sondern auch in der Art, wie er sie präsentiert hatte. Kritischer Widerstand dagegen, daß die Fraktion nicht in den Politikgestaltungsprozeß im Vorfeld der Entscheidung zur Ressortgründung miteinbezogen worden war, regte sich nicht. Offenbar war man erleichtert, daß die Regierungskoalition in einer kritischen Phase durch diese Maßnahme Handlungsfähigkeit beweisen konnte. Nach Kohl sprach Dregger und unterstützte den Bundeskanzler, ohne dabei allerdings zu vergessen, auch auf seinen vermeintlichen Anteil an der Entscheidungsfindung hinzuweisen: "Umweltschutz und Reaktorsicherheit haben existentielle Bedeutung für unser Volk und unser Land gewonnen und, seit Tschernobyl, unter Umständen auch wahlentscheidende Bedeutung. Die Zusammenfassung der Kompetenzen - ich habe von einer nationalen Autorität gesprochen, die notwendig sei, in der Debatte im Bundestag und auch in der letzten Fraktionssitzung - und eine Neuordnung der Zuständigkeiten

297 Zum Zeitablauf vgl. Rudolf Strauch: Tschernobyl warf Wall manns Zeitplan um, in: Hannoversche Allgemeine, 4.6.1986. 298 Vgl. ergänzend auch Kohls Erklärung vor der Bundespressekonferenz in Bonn am 3.6.1986, abgedruckt in: Bulletin, Nr. 63, 5.6.1986, S. 529 f. 299 Vgl. dazu Ekkehard Kohrs: Ein Überraschungscoup mit Auffrischungseffekt, in: Bonner General-Anzeiger, 4.6.1986. Zu Zimmermanns umweltpolitischer Leistungsbilanz vgl. Manfred Schell: Zimmermanns Verdienst, in: Die Welt, 5.6.1986. 300 Gleichwohl interpretierte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion in diese Richtung die Ressortveränderungen. Vgl. "Wallmann wird Umweltminister", in: SZ, 4.6.1986. 301 Vgl. "Wallmann wird Bonns erster Umweltminister", in: Handelsblatt, 4.6.1986.

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zwischen Bund und Ländern ist als Konsequenz aus den Erfahrungen nach Tschernobyl unabweislich. Ich sage daher, daß diese Entscheidung des Bundeskanzlers richtig ist, notwendig ist und in diesem Zeitpunkt auch erfolgen mußte. Ich denke, daß die Fraktion dem zustimmt. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Entscheidung getroffen haben. ,,302

Kohl und Dregger waren damit arbeitsteilig vorgegangen. Kohl hatte die Ressortänderung aus Sicht des Bundeskanzlers erläutert und die Erfolge Zimmermanns dargestellt. Der Fraktionsvorsitzende unterstützte anschließend den Bundeskanzler und gab die Sprachregelung rur die Fraktion vor. Dregger bestätigte im Namen der Fraktion die Richtigkeit der Entscheidung Kohls. Während er nur am Rande auf die Erfolge Zimmermanns einging und ihm darur im Namen der Fraktion dankte, verwendete er aber gleichzeitig deutlich mehr Zeit darauf, den designierten Umweltminister und seinen politischen Werdegang zu skizzieren. 303 Durch diese Art der Präsentation wurde die Entscheidung von Kohl und Dregger nach allen Seiten in der Fraktion abgesichert. Die Zielrichtung der Berichte von Fraktionsvorsitzendem und Bundeskanzler vor der Unionsfraktion wurde damit deutlich. Sie lag hier vor allem darin, die Gesamtfraktion zu informieren, politische Handlungen und die Notwendigkeit von Entscheidungen zu begründen, rur sie zu werben und die Abgeordneten auf eine politische Linie einzuschwören und somit als Unterstützergemeinschaft zusammenzuschweißen. 304 Das Kabinett wurde von Bundeskanzler Kohl offiziell in der Sitzung am 5. Juni über die Neubildung des Bundesministeriums rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheie 05 und die Absicht, Walter Wallmann mit der Leitung zu beauftragen,306 in Kenntnis gesetzt. 307 Hierbei handelte es sich allerdings nur

302 Dregger zitiert nach: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu der Entscheidung des Bundeskanzlers, den Oberbürgermeister von Frankfurt, Dr. Walter Wall mann, zum neuen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu berufen, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, heute vor der Fraktion, 3.6.1984. 303 Vgl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Zu der Entscheidung des Bundeskanzlers, den Oberbürgermeister von Frankfurt, Dr. Walter Wallmann, zum neuen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu berufen, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, heute vor der Fraktion, 3.6.1984. 304 Zur Funktion der Reden von Fraktionsvorsitzendem und Bundeskanzler vor der Fraktion auch umfassend Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 131 f. 305 Zu den Details der Neubildung des Ministeriums und den Ressortveränderungen vgl. "Organisationserlaß des Bundeskanzlers. Bekanntmachung durch den Chef des Bundeskanzlers", in: Bulletin, Nr. 66, 11.6.1986, S. 560. 306 Wallmann erhielt seine Ernennungsurkunde vom Bundespräsidenten am 7.6.1986. An demselben Tag fand auch die Vereidigung als Bundesminister vor dem Deutschen Bundestag statt. Ausführlich Helmut Herles: Bald wird Wallmann den grünen Chefstift führen, in: FAZ, 7.6.1986.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

noch um einen fonnalen Vorgang. Zum einen waren die Fakten ohnehin allen Kabinettsmitgliedern bekannt, zum anderen war ihre Zustimmung gemäß § 9 der Geschäftsordnung der Bundesregierung auch nicht notwendig, denn "der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister wird in den Grundzügen durch den Bundeskanzler festgelegt.,,308 Kohl handelte kraft seiner Kompetenz als Bundeskanzler. Das Kanzlerprinzip kam hier, aber auch in der Vorgeschichte des Entscheidungsprozesses zur Gründung des Ministeriums deutlich zum Tragen. 309 Die Kabinettsmitglieder nahmen die Bildung des neuen Bundesministeriums zustimmend zur Kenntnis. 310 Im Vorfeld waren sie - abgesehen von Schäuble und später Stoltenberg sowie Bangemann - nicht in den Entscheidungsprozeß involviert.

Zusammenfassung und Bewertung

- Die Entscheidung über die Gründung des Bundesministeriums rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die Berufung seines ersten Ministers fiel im Bundeskanzleramt. In einem kleinen Akteurskreis mit Schäuble und Geißler beriet und stimmte sich Kohl ab. Danach wurden zur machtpolitischen Absicherung der Entscheidung Schritt rur Schritt weitere Akteure, wie der CSU-Vorsitzende Strauß, Bundesfmanzminister Stoltenberg sowie der FDP-Vorsitzende Bangemann, eingeweiht. Die Koordination mit Strauß war notwendig, weil von den Änderungen in erster Linie ein CSU-Ressort betroffen war. Hinzu kam - daher auch die Koordination mit Bangemann - daß die Neuschaffung eines CDU-geruhrten Ministeriums den Koalitionsproporz veränderte. Die Einweihung Stoltenbergs war rur die finanziellen Vorbereitungen der Ressortgründung unumgänglich. - Das CDU-Präsidium spielte im Politikgestaltungsprozeß zur Gründung des Umweltrninisteriums keine Rolle. Selbst als die Entscheidung zur Gründung des Ministeriums und die Auswahl seines künftigen Ministers feststand, nutzte Kohl eine Sitzung des Parteipräsidiums nicht dazu, dieses über sein Vorhaben zu infonnieren. Die CDU-Parteiruhrung erfuhr die Gründung des

307 Zu Kabinettsitzung und der Reaktion der Kabinettsmitglieder vgl. ergänzend "Kohl will Personalstreit vermeiden", in: SZ, 6.6.1986; "Wall mann kann nur Propaganda machen", in: Der Spiegel, Nr. 24, 9.6.1986, S. 21. 308 § 9 Geschäftsordnung Bundesregierung. Eine Zustimmung der Bundesregierung als Kollegialorgan wäre nur bei Ressortüberschneidungen und sich daraus ergebender Meinungsverschiedenheiten notwendig geworden. Derartige Überschneidungen zu verhindern, war aber eines der mit der NeugTÜndung des Umweltministeriums verfolgten Ziele. 309 Ebenso NicJauß: Kanzlerdemokratie (1988), S. 258. 310 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 153, bas 2213, pi 77, 5.6.1986.

III. Umweltpolitik

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Bundesministeriums erst, nachdem Kohl seine Entscheidung offiziell in Fraktion und Medien bekanntgegeben hatte. - Ähnliches galt für die Unionsfraktion. Zwar hatte der Vorsitzende der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion Anfang Mai die Einrichtung einer übergeordneten umwelpolitischen Instanz gefordert. In den Beschlußfassungsprozeß zur Realisierung dieser Forderung waren aber weder er noch andere Mitglieder der Unionsfraktion - abgesehen von Geißler und Schäuble - involviert. Eine frühzeitige Einbindung der Unionsfraktion beziehungsweise ihrer Spitzenvertreter war aber auch nicht notwendig, weil sich Kohl angesichts der politischen Gesamtlage des Erfolgs und der Zustimmung der Abgeordneten zu seiner Entscheidung sicher sein konnte. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde vom Bundeskanzler persönlich über Details informiert, nachdem er seine Entscheidung getroffen und mit den Partei vorsitzenden der Koalitionsparteien sowie dem Bundesfmanzminister abgesichert hatte. - Die Ministerauswahl behielt sich der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende selbst vor. Parteiftlhrung und Vertreter der Unionsfraktion hatten hierauf keinen Einfluß. Auch Geißler konnte sich mit seinem Personalvorschlag nicht durchsetzen. Kohls Entscheidung war strategisch ausgerichtet - Wallmanns Loyalitätsbindung ihm gegenüber, dessen positive Beziehung zu Strauß - und erfolgte im Rückgriff auf sein eigenes Netzwerk. Kohl sicherte in einer entscheidenden politischen Situation seine inhaltliche Entscheidung durch eine gezielte Personalwahl ab. - Kohl nutzte die ihm mit der Gründung des Umweltministeriums gebotene Gelegenheit zur politischen Stabilisierung seiner Position, der der Regierung und auch der der CDU. Umweltpolitik und die Gründung des Umweltministeriums dienten der Machtsicherung und wurden entsprechend instrumentalisiert. Kohl zeigte nach innen Führungsstärke. Ebenso wichtig aber war die Außenwirkung seiner Entscheidung vor dem Hintergrund der niedersächsischen Landtagswahl. Mit der Neueinrichtung des Umweltressorts bewies er seine Handlungsfiihigkeit und die der Regierung, versuchte verlorene umweltpolitische Kompetenz zurückzugewinnen. Sein Ziel war es aber nicht nur, Akzente im Hinblick auf die in Niedersachsen anstehende Landtagswahl zu setzen, sondern auch in bezug auf die Bundestagswahl. Kohl konnte dabei weitgehend im Alleingang handeln, weil - Dreggers Forderung von Anfang Mai als Unterstützung einer entsprechenden Maßnahme gewertet werden konnte, - der Koalitionspartner FDP bereits angekündigt hatte, in der nächsten Legislaturperiode die Gründung eines entsprechenden Ressorts zu fordern, - vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden keine nennenswerten Proteste zu erwarten waren, - die Entscheidung in einer Phase ökologischer Verunsicherung der Bevölkerung die Unterstützung der Öffentlichkeit finden würde. 24 Gros

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4. Erarbeitung des Umweltprogramms Unsere Verantwortungfür die Schöpfung 1988/89 - Programmvorgaben durch die Regierungspolitik Wer sich in den achtziger Jahren im Parteiprogramm der CDU über umweltpolitische Grundsätze der christlich-demokratischen Partei informieren wollte, mußte feststellen, daß sich hier kaum Antworten auf ökologischen Fragen der Zeit fanden.3\l Der CDU fehlten dezidierte, in einem Programm gebündelte umweltpolitische Aussagen. Erst 1988 beziehungsweise 1989 wurde es innerhalb der CDU in Angriff genommen, diese programmatische Lücke zu schließen. Vor dem Hintergrund des Untersuchungs ansatzes dieser Arbeit stellen sich dabei folgende Fragen: Inwieweit wurde die Programm arbeit der CDUParteiorganisation durch Regierungs- oder Fraktionsakteure vorstrukturiert oder beeinflußt? Wurden durch das CDU-Programm neue Vorgaben für die Arbeit von Regierung und Unionsfraktion gemacht oder wurde in erster Linie im Umweltprogramm die bisherige Regierungspolitik bestätigt? Diesen Fragen soll anschließend in vier Unterkapiteln nachgegangen werden: - Das Scheitern einer ersten Initiative Töpfers. - Erneuter Auftrag des Parteivorsitzenden zur Erarbeitung eines Umweltprogramms. - Umweltpolitische Analogien von Regierungs- und Parteiprogramm. - Korrekturen durch Parteivorstand und Antragskommission und Annahme des Programms durch den Parteitag.

Das Scheitern einer ersten Initiative Töpfers

Der für 1988 in Wiesbaden geplante Parteitag der CDU sollte sich nahtlos in den auf den vorhergehenden Parteitagen angelegten Prozeß der Fortschreibung des CDU-Programms einreihen. 312 Drei Programm schwerpunkte waren für den "Parteitag der intensiven Diskussion" in der hessischen Landeshauptstadt geplane \3

311 Knappe Aussagen fanden sich lediglich in den Stuttgarter Leitsätzen von 1984. Vgl. dazu Hintze (Hrsg.): Die CDU-Parteiprogramme, S. 219 f. 312 So war auf dem Stuttgarter Parteitag 1984 der Leitantrag "Deutschlands Zukunft als moderne und humane Industrienation" beschlossen worden. In Essen standen 1985 die Leitsätze zum Thema "Die neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau" im Mittelpunkt. In dem Zukunftsmanifest, das 1986 in Mainz verabschiedet worden war, entwikkelte die CDU "das Bild einer fortschrittlichen und menschlichen Gesellschaft von morgen".

III. Umweltpolitik

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- Diskussion von Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik;314 - Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der CDU;31s - Beschäftigung mit Fragen der Werteordnung der Gesellschaft und des Staates. Zum letztgenannten Punkt wurde nach dem Bonner Parteitag 1987 vom CDU-Vorstand eine Kommission eingesetzt, die den Auftrag hatte, die Grundlagen für einen Leitantrag unter dem Titel "Das Christliche Menschenbild als Grundlage unserer Politik" zu erarbeiten. Die Kommission sollte in ihrem Entwurf wichtige gesellschaftliche Probleme aufgreifen, "die von einer besonderen moralischen und grundsätzlichen Bedeutung sind,,316. In drei Klausurtagungen am 16. Dezember 1987, am 22.123. Januar sowie am 9. Februar 1988 hatten die Mitglieder der Kommission 317 ein weitgestecktes Programm erarbeitet, das neben einer Auseinandersetzung mit Fragen des Schutzes von ungeborenem Leben, der Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie, Anforderungen an die Soziale Marktwirtschaft, Konsequenzen der demographischen Entwicklung auch ein umfangreiches Kapitel zu Fragen der Umwelt- und Energiepolitik beinhaltete. 318 Diese Passagen waren aus Entwürfen zusammengestellt worden, die die Umweltpolitiker Töpfer,319 Laufs und Riesenhuber im Auftrag Geißlers getrennt ausgearbeitet hatten. 32o Die Arbeit bei der Zusammensetzung dieser

3J3 Vgl. Ankündigung des Parteivorsitzenden Helmut Kohl vor den Delegierten des Bonner Parteitags 1987, abgedruckt in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 35. Bundesparteitag. 9. November 1987. Bonn o. J., S. 145. 314 Zu den deutschlandpolitischen Aspekten dieser Diskussion vgl. Kapitel D.II.4. 315 Vgl. dazu die Debatte "Die CDU als modeme Volkspartei" während des 36. Bundesparteitags der CDU, abgedruckt in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag. 13.-15. Juni 1988. Wiesbaden, Bonn 0.1., S. 359-424. 316 CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 36. Bundesparteitag. 12.-15. Juni 1988. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs, Bonn o. 1., S. 10. 317 Ihr gehörten an: Heiner Geißler (Vorsitzender), Peter Radunski (Stellvertr.), Wilhelm Staudacher (Geschäftsf.), Wolfgang Bergsdorf, Christoph Böhr, Gerhard Braum, Heinz Eyrich, Ulf Fink, Pauf Hoffacker, Barbara John, Paul Laufs, Ursula Lehr, AIbrecht Martin, Paul Mikat, Anton Pfeifer, Elmar Pieroth, Johannes Reiter, Heinz Riesenhuber, Ingrid Roitzsch, Helga Stödter, Rita Süssmuth, Erwin Teufel, Klaus Töpfer, Roswitha Verhülsdonk, Bemhard Vogel, Karlheinz Weimar, Johanna Grfn. v. Westphalen. Angaben nach CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 36. Bundesparteitag. Bericht der Bundesgeschäftsstelle, S. 9. 318 Dieses Kapitel ist im Wortlaut abgedruckt in: "Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen", in: FR, 27.2.1988. 319 Zu den Inhalten des Töpfer-Papiers vgl. Caroline Möhring: Auf das Wirtschaftswunder ein Umweltwunder, in: FAZ, 16.3.1988. 320 Angaben nach Caroline Möhring: Auf das Wirtschaftswunder ein Umweltwunder, in: FAZ, 16.3.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Parallelentwürfe war in der Kommission von Dissens begleitet. Besonders umstritten war dabei der Standpunkt von Bundesumweltminister Töpfer gewesen, den er dann allerdings im Entwurfspapier durchsetzen konnte. Er hatte die Gründung einer Großforschungseinrichtung zur "Erforschung und Anforderung neuer, regenerativer Energieträger und zur Energieeinsparung,,321 vorgeschlagen. Nach seinen Vorstellungen sollte diese Forschungseinrichtung ,,[ ... ] eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit immer weniger fossilen Energieträgern erfinden.,,322 Als Geißler am 19. Februar 1988 das Diskussionspapier "Das Christliche Menschenbild als Grundlage unserer Politik" der Öffentlichkeit präsentierte, fehlte jedoch das umwelt- und energiepolitische Kapitel. 323 Auf Nachfragen von Journalisten, denen der Gesamtentwurf informell zugespielt worden war, sprach Jürgen Merschmeier, der Pressesprecher der CDU in Bonn, von einem "herumvagabundierenden Papier", das ihm nicht bekannt sei und zu dem er eine Stellungnahme ablehne. 324 Was war passiert? Unmittelbar vor Geißlers Pressekonferenz hatte der Bundesvorsitzende der CDU und Bundeskanzler, Kohl, sein "Veto" eingelegt und veranIaßt, daß die umwelt- und energiepolitischen Passagen aus dem Komissionsentwurf herausgenommen wurden. 325 Die Begründungen für diese Maßnahme waren unterschiedlich. Während Geißler das Vorgehen mit noch beste-

32\ Zitiert nach: "Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen", in: FR, 27.2.1988. 322 Zitiert nach: "Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen", in: FR, 27.2.1988. Gleichwohl wurde in diesem Papier kein bedingungsloser Ausstieg aus der Kernenergie gefordert. An anderer Stelle kam sehr wohl auch die Notwendigkeit eines zumindest temporären Rückgriffs auf Kernenergie zum Ausdruck. Allerdings war Töpfer sich darüber im klaren, daß Kernenergie keine abschließende Energieform sein konnte. Für ihn war der Rückgriff auf Kernergie nur dann akzeptabel, wenn es gleichzeitig ein Bemühen um die Entwicklung energetischer Alternativen zur Kernenergie gab. So Töpfer im Gespräch mit dem Autor am 11.9.1997. Wesentlich prononcierter als Töpfer hatte der hessische Umweltminister Weimar, der ebenfalls Mitglied der Programmkommission war, öffentlich über einen Ausstieg aus der Kernenergie nachgedacht. Er griff damit einen auch von der Meinungsforschung in der Bevölkerung festgestellten Trend auf. Vgl. zu Weimars Position und den demoskopischen Befunden "Jeder dritte FDP-Wähler liebäugelt mit der SPD", in: Der Spiegel, Nr. 9, 29.2.1988, S. 36-47, hier S. 43-47. 323 Vgl. "CDU: Keine Verschärfung des Paragraphen 218", in: SZ, 20./21.2.1988; "Ungeborenes und geborenes menschliches Leben sind gleichwertig", in: FAZ, 20.2.1988. 324 Zu Merschmeiers Auskunft vgl. "Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen", in: FR, 27.2.1988. 325 Diese Entscheidung hatte Kohl nicht mit Präsidium und Vorstand der CDU abgestimmt. Es war einer jener Alleingänge, die ihm noch in der Präsidiums- und Vor-

III. Umweltpolitik

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hendem "Diskussions- und Ausarbeitungsbedarf,326 erklärte, hieß es an anderer Stelle, die Passagen seien "aus Platzgründen,,327 gestrichen worden. Diese kryptischen und widersprüchlichen Erklärungen ließen auf gewichtige Hintergründe schließen. Damit stellt sich die Frage nach den Beweggründen rur Kohls Vorgehen und der Ausklammerung der energie- und unweltpolitischen Passagen aus der weiteren Programmarbeit. Folgende Motivkette kann bei der Erklärung hilfreich sein: - Wenngleich die Kommission sich in dem umwelt- und energiepolitischen Kapitel nicht rur einen sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen hatte, war doch eine neue Akzentuierung erfolgt. In einer bisher in der Union in diesem Maße noch nicht dokumentierten Deutlichkeit wurde sowohl der Ausstieg aus der Kernenergie als auch die Abwendung von nicht regenerativen Rohstoffen als politisches Ziel angesprochen. Dies war eine Position, die allerdings nicht Konsens in der Union war. 328 Sie entsprach in ihrer Intention zudem keineswegs Kohls Regierungslinie. Zwar hatte auch er in seiner Regierungserklärung 1987 bekannt: "Mit besonderem Nachdruck werden wir die Erforschung und Förderung von langfristigen Energiealternativen vorantreiben,329 vor allem bei erneuerbaren Energien [... ]"330 Gleichzeitig hatte er aber in der Regierungsansprache deutlich formuliert: "Für ihre [gemeint: Kernenergie/d. Verf.] Nutzung sprechen gute Gründe: Sie belastet unsere Umwelt weniger als Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen. Sie schont natürliche Ressourcen wie Öl, Erdgas und Kohle, auf die die Länder der Dritten Welt besonders angewiesen sind. Sie bietet wirtschaftliche Vorteile und sie gewährleistet eine sichere Versorgung. [... ] Wir bleiben auf die Nutzung der Kernenergie angewiesen, solange es keine mindestens ebenso sichere, umweltschonende und wirtschaftliche Alternative gibt. ,,331 Für ihn be-

standssitzung am 1.2.1988 vorgeworfen worden waren. Vgl. "CDU/CSU: Die Lust am Untergang", in: Der Spiegel, Nr. 6, 8.2.1988, S. 18-20. 326 Geißler zitiert nach: "Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen", in: FR, 27.2.1988. 327 So belegt bei Caroline Möhring: Auf das Wirtschaftswunder ein Umweltwunder, in: FAZ, 16.3.1988. 328 Vgl. auch Hans Jörg Sottorf: Harte Programmarbeit, in: Handelsblatt, 7.4.1988. Zu den Lagern in der Union vgl. Carl-Christian Kaiser: Eher Stolperstein als Meilenstein, in: Die Zeit, 10.6.1988. 329 So stand es auch in der Koalitionsvereinbarung. V gl. Rudolf Seiters an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Vereinbarung aus den Koalitionsverhandlungen, 6.3.1987 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 330 Kohl zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 51-73, hier S. 59. 331 Kohl zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 59.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

stand in der Bundesrepublik ein innerer Zusammenhang zwischen der Nutzung von Kernenergie und Kohle: "Die Kernenergie erlaubt uns wirtschaftlich die Verwirklichung des Jahrhundertvertrags mit seiner Kohleabnahmegarantie. [... ] Wir wollen und werden auf die Kohle als einzige nennenswerte nationale Energiereserve nicht verzichten. Sie wird und muß auch in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Nachdem der Hüttenvertrag bereits bis zum Jahr 2000 verlängert ist, wird die Bundesregierung zügig die Verhandlungen mit allen Beteiligten über die Anschlußregelung für den Jahrhundertvertrag aufnehmen, der in seinem Kern unverzichtbar ist.,,332 Auch im Kabinett hatte Kohl im Februar 1988, nur wenige Tage vor der geplanten Veröffentlichung des CDU-Entwurfspapieres, seine Position nochmals verdeutlicht. In seinem Auftrag legte Wolfgang Schäuble in der Kabinettsitzung vom 11. Februar 1988 ein Papier, das nicht mit dem Umweltminister abgestimmt worden war, zum Beschluß vor. Damit sollte die geltende Nuklearpolitik bestätigt werden. 333 Kohl unterstützte in der Sitzung das Papier. Seiner Ansicht nach war es dringend notwendig, die Regierungsposition in dieser Frage nach außen mit einer Stimme darzustellen. 334 Nach Widerständen gegen das Schäuble-Papier vor allem von Genseher, der darauf verwiesen hatte, daß dieses im Gegensatz zu öffentlichen Bekundungen von Umweltminister Töpfer stehe, hatte Kohl zunächst die Debatte abgebrochen und ein Redaktionsteam mit der Neuformulierung des Entwurfs beauftrage 35 Seine Vorgabe: "Keine Infragestellung der Kernenergie, aber Zeigen von Sensibilität. ,,336 Vor diesem Hintergrund sollte die vom Bundeskanzler vorgegebene Regierungslinie nicht durch ein Parteipapier konterkariert werden. - Eine tendenzielle Absage der CDU an die Kernenergie beziehungsweise die Möglichkeit zur Interpretation einschlägiger programmatischer Texte paßte politisch nicht in eine Zeit, in der vor allem die CSU vehement für die weitere Förderung der Kernenergie eintrat und unter hohem politischem Einsatz den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf verteidigte. 337 Auch 332 Kohl zitiert nach: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 59. 333 Vgl. "Voller Verständnis", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 102-104, hier S. 102. 334 Zum Hintergrund: Der Generalsekretär der FDP hatte öffentlich Zweifel am Ewigkeitswert der Kernenergie angemeldet. Ähnliche Stimmen gab es auch in der CDU und im Umfeld von Töpfer. Vgl. "Voller Verständnis", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 102-104. 335 Vgl. "Voller Verständnis", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 103. 336 Kohl zitiert nach: "Voller Verständnis", in: Der Spiegel, Nr. 7, 15.2.1988, S. 103. 331 Vor allem Strauß hatte sich für sie stark gemacht. Vgl. Heiner Geißler im Gespräch, S. 280. Sowohl die bayerische Staatsregierung als auch die Bundesregierung hatten nach der ablehnenden Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes über den Bebauungsplan der Wiederaufbereitungsanlage in der letzten Januarwoche

III. Umweltpolitik

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Kohl hatte das Bauprojekt in der Oberpfalz in seiner Regierungserklärung unterstützt. 338 Der Bundeskanzler mußte bei allen umwelt- und energiepolitischen Überlegungen immer auch die Stabilität der Koalitionsregierung im Visier behalten. Durch die Ausklammerung des Themenbereichs der Umwelt- und Energiepolitik sollte zugleich verhindert werden, daß das unter den CDU-Mitgliedern wachsende Potential der Kernenergiegegner ein zusätzliches Forum erhielt. 339 - Die Veröffentlichung des außen- und deutschlandpolitischen Programmpapiers am Vortag (18. Februar) hatte bereits für große Unruhe innerhalb der christlich-demokratischen Partei gesorgt. 340 Dadurch, daß die umwelt- und energiepolitischen Leitlinien nicht veröffentlicht wurden, sollte in einem angespannten politischen Klima verhindert werden, daß innerhalb der CDU, aber auch in der Regierungskoalition, zusätzliche Konfliktlinien aufbrachen. Die deutschlandpolitischen Kontroversen zeigten deutlich, daß es besser war, derartige Grundsatzfragen nicht zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen zu machen. Strategisch geschickter war es, zunächst intern Konsensformeln anzustreben. Hinzu kam, daß der Entwurf zum Leitantrag "Das Christliche Menschenbild als Grundlage unserer Politik" an anderer Stelle - so z. B. im Bereich der Sozialpolitik341 und der Frage des Schwangerschaftsabbruchs342 noch hinreichend Zündstoff für parteiinterne Diskussionen bot. 343 Beides waren Themen, auf die angesichts der Titelvorgabe des Leitantrags inhaltlich nicht verzichtet werden konnte und die diskutiert werden mußten. Wenn aber die Programmdiskussion nicht durch kontroverse Themen überfrachtet werden sollte, war es noch am einfachsten, zunächst die Umwelt- und Energiepolitik auszuklammern. Das Vorgehen Kohls war umstritten. Innerhalb der Partei fanden sich durchaus kritische Gegenworte, war man doch der Ansicht, daß das Themenfeld

1988 an dem Vorhaben in Wackersdorf festgehalten. Vgl. "Bruch im Keller", in: Der Spiegel, Nr. 5, 1.2.1988, S. 106 f. 338 Vgl. Kohl in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 59. 339 Vor allem Geißler bewegte die Frage, wie diese Mitglieder in die weitere Politik der CDU eingebunden werden konnten. Vgl. dazu auch Laufs im Gespräch mit dem Autor am 10.9.1997. 340 Vgl. Kapitel D.lI.4. 341 Ergänzend "Wir wollen jetzt das Geld ausgeben", in: Der Spiegel, Nr. 5, 1.2.1988, S. 35-43. 342 Ergänzend auch "Zweideutiges Grinsen", in: Der Spiegel, Nr. 8, 22.2.1988, S.22-26. 343 Vgl. detailliert Carl-Christian Kaiser: Eher Stolperstein als Meilenstein, in: Die Zeit, 10.6.1988; ergänzend Hans Jörg Sottorf: Harte Programmarbeit, in: Handelsblatt, 7.4.1988.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Umweltpolitik sehr wohl ein wichtiger Bestandteil des Leitantrags sei. Die Ausklammerung wurde als Herabsetzung des Themas empfunden. 344 CDUGeneralsekretär Geißler wies später bei seiner Einftlhrungsrede zum Antrag während des Parteitags in Wiesbaden auf diese Kontroversen hin und präsentierte eine Kompromißformel: "Im Vorfeld dieses Parteitages hat es ja eine Diskussion darüber gegeben, ob wir den Umweltschutz nicht doch in dem Leitantrag behandeln sollten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der Antragskommission berücksichtigt das', indem vorgeschlagen wird, der Bundesparteitag möge beschließen, daß der Umweltschutz Bestandteil dieses Leitantrages - Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes - wird, allerdings dann verabschiedet vom Bundesparteiausschuß345 , was nach meiner Auffassung keine Herabsetzung der Bedeutung des Themas ist. ,,346

Diesem Eindruck hatte er bereits an anderer Stelle seiner Rede entgegenzuwirken versucht, als er den Delegierten zurief: "Unser Umweltminister Klaus Töpfer braucht ftlr die Zukunft auch unsere uneingeschränkte Unterstützung.,,347 Das Themenfeld Umweltpolitik war freilich zunächst vertagt und von der Programm agenda der CDU abgesetzt. Töpfers Programminitiative hatte nicht gezündet.

Erneuter Auftrag des Parteivorsitzenden zur Erarbeitung eines Umweltprogramms

Die auf dem Parteitag beschlossene Verabschiedung der umwelt- und energiepolitischen Teilkapitel durch den Bundesparteiausschuß fand allerdings 1988 nicht mehr statt. Während der zwei Sitzungen des Parteigremiums blieben diese Politikfelder als Diskussionsgegenstände ausgeklammert. Entsprechend staute sich der Unmut bei den CDU-Umweltpolitikem. 348 Erst in der Präsidiumssitzung am 17. Januar 1989 beschloß die CDU-Führung, das Themenfeld nicht in einer Sitzung des Bundesparteiausschusses - dem sogenannten Kleinen

344 Entsprechend hatte die Ausklammerung u. a. während einer zweitägigen Zusammenkunft des CDU-Vorstandes am 17. und 18. April in Königswinter zu Interventionen von CDA-Vertretern geführt. Vgl. "CDU legt Streit um Deutschlandpolitik bei", in: SZ, 19.4.1988. 345 Ein Komprorniß, den die "Umweltpolitiker" Kohl während der Klausurtagung des CDU-Vorstandes am 17./18. April abgerungen hatte. Vgl. "CDU legt Streit um Deutschlandpolitik bei", in: SZ, 19.4.1988. 346 Geißler zitiert nach: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 36. Bundesparteitag 1988, S. 172. Sein letzter Hinweis wurde durch Zuruf aus den Reihen der Delegierten mit einem "Doch" kommentiert. Vgl. ebd. 347 Geißler zitiert nach: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll 36. Bundesparteitag 1988, S. 171. 348 V gl. Ulrich Reitz: Union will ihr Image verbessern, in: Die Welt, 17.1.1989.

III. Umweltpolitik

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Parteitag - zu behandeln, sondern zum Diskussionsgegenstand des rur September anstehenden Bundesparteitags in Bremen zu machen. Der CDU-Vorsitzende Kohl hatte die Entscheidung forciert und vorab bereits Töpfer in seinen Plan eingeweiht. 349 Der Umweltminister seinerseits hatte die Entscheidung begrüßt und sich darüber "sehr gefreut" 350. Daß die Umweltpolitik nunmehr als Leitthema des nächsten Parteitags und nicht nur im Bundeshauptausschuß behandelt werden sollte, stellte rur ihn eine "qualitative Verbesserung [dar/d. Verf.], die die Zeitverzögerung mehr als ausgleicht.,,351 Töpfer und Kohl waren sich allerdings auch der wahlstrategischen Bedeutung des Themas bewußt. Dies im zweifachen Sinne. Zum einen war Töpfer der designierte Spitzenkandidat der CDU rur die Landtagswahl im Saarland und sollte dort gegen Oskar Lafontaine verlorenes CDU-Terrain zurückgewinnen. Eine Profilierung über die Umweltpolitik konnte dabei durchaus hilfreich sein. Zum anderen standen rur 1990 neben der Wahl im Saarland auch Urnengänge in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie im Bund an. 352 Die Umweltpolitik sollte öffentlichkeitswirksam und als Wahlkampfschlager präsentiert werden. Sie sollte - neben anderen Politikfeldern - dazu dienen, Erfolge der Regierung Kohl in den zurückliegenden Jahren darzustellen. Ideal als Einstiegsforum hielt man darur in der CDU-Führung einen Parteitag. 353 Hinzu kam, daß die FDP von ihren Koalitionspartnern schon länger ein stärkeres umweltpolitisches Engagement forderte. 354 Töpfer wurde in der Koalition vorgeworfen, zu viel anzukündigen und zu wenig umzusetzen. 355 Die Union drohte damit koalitions intern unter umweltpolitischen Handlungsdruck zu geraten, dem es durch eine ökologische Offensive entgegenzutreten galt.

349 Zu den Hintergründen Ulrich Reitz: Union will ihr Image verbessern, in: Die Welt, 17.1.1989. 350 Töpfer zitiert nach: Ulrich Reitz: Union will ihr Image verbessern, in: Die Welt, 17.1.1989. 351 Töpfer zitiert nach: Ulrich Reitz: Union will ihr Image verbessern, in: Die Welt, 17.1.1989. 352 Im Saarland fand die Landtagswahl am 28.1.1990 statt. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurde am 13.5.1990 gewählt. 353 Zu den Strategieüberlegungen vgl. Ulrich Reitz: Union will ihr Image verbessern, in: Die WeIt, 17.1.1989. Allerdings waren derartige Überlegungen ab dem Herbst 1989 und der Öffnung der innerdeutschen Grenze überholt. Das konnte man freilich zu Beginn des Jahres nicht voraussehen. Die Deutschlandpolitik wurde zum alles überlagernden Themenfeld im Wahlkampfjahr 1990. Vgl. Gros: Entscheidung ohne Alternativen?, S.97-183. 354 Vgl. exemplarisch Andreas Fritzenkötter: FDP fordert mehr Tempo in der UmweItpolitik, in: Rheinische Post, 14.2.1989. 355 Selbstkritisch hatte Töpfer in der Kabinettsitzung am 15.2.1989 dazu auch eingeräumt: Die Bundesregierung habe sich mit ihrer Umweltpolitik "noch immer nicht genügend weit von der Reparaturarbeit und vom Reagieren auf Krisen entfernt". Töpfer

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

In seiner Sitzung am 13. Februar 1989 setzte der Bundesvorstand der CDU zur Erarbeitung eines Diskussionsentwurfs zur Umwelt- und Energiepolitik die Kommission "Umwelt und Energie" unter der Leitung von Umweltminister Töpfer ein. 356 Die Kommission setzte sich zusammen aus Wissenschaftlern und Politikern. Unter letzteren waren die führenden Umweltpolitiker der Union, so Bundesminister Heinz Riesenhuber, der Stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Paul Laufs, der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, Bernd Schmidbauer, der Vorsitzende des Bundesfachausschusses Umweltpolitik, Kurt-Dieter Grill, sowie sein Vorgänger, Volker Hassem er, der Vorsitzende des Umweltausschusses im Deutschen Bundesta~, Reinhard Göhner, und der hessische Umweltminister Karlheinz Weimar. 3 7 Dieser Kommission gehörten damit u. a. die führenden fachlichen Vertreter von CDU-Parteiorganisation, Unionsfraktion und Bundesregierung an. In vier Arbeitssitzungen erarbeitete die Kommission ein Diskussionspapier, das nach zwei Überarbeitungsrunden 358 unter Vorsitz des CDU-Generalsekretärs dem CDU-Bundesvorstand als Grundlage für die Verabschiedung eines Leitantrages an den Bundesparteitag in Bremen vorgelegt wurde. 359 Erstmals beschäftigte sich der Vorstand der CDU mit dem Entwurfspapier360 während einer zweitägigen Klausurtagung am 16. und 17. April 1989. Ohne grundlegende Kontroversen wurde beschlossen, die "Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte" an die Kreisverbände zur Diskussion durch die Mitglieder zu überweisen. zitiert nach: "Naturschutzabgabe soll Ausgleich finanzieren", in: Die Welt, 16.2.1989 (dort auch zur Kritik an Töpfer). 356 Auch auf Regierungsebene wurde die umweltpolitische Arbeit forciert. Die Kabinettsitzung zwei Tage später am 15.2.1989 war thematisch auf den Umweltschutz ausgerichtet. In einer Grundsatzdebatte wurde nicht nur Bilanz gezogen, sondern auch das künftige Aufgabenspektrum definiert. Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Umweltpolitik der Bundesregierung (Zwischenbilanz), Bonn 1989 (Pressemitteilung). 357 Darüber hinaus gehörten der Kommission an: Fritz Holzwarth (Geschäftsf.), Christoph Böhr, Birgit Breuel, Ralf-Dieter Brunowsky, Berthold BudelI, Klaus Dürkop, Ludwig Gerstein, Helmut Klages, Johannes Reiter, Christa Thoben, Erwin Vetter, AIfred Voß, Lutz Wicke, Carl-Jochen Winter. Angaben nach CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 37. Bundesparteitag. 10.-13. September 1989. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs, Bonn o. 1., S. 10. 358 Die erste fand vor der Sitzung des Bundesvorstandes am 16.4.1989, die zweite nach dieser Sitzung zur Vorbereitung der Vorstandssitzung vom 2.6.1989 statt. 359 Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): 37. Bundesparteitag. Bericht der Bundesgeschäftsstelle, S. 10. 360 Vgl. "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energie bedingten Umweltaspekte, in: UiD, Nr. 15, 11.5.1989. Zusammenfassend auch Wolfgang Koch: CDU wirbt flir ein neues Verständnis von Wirtschaft und Natur, in: Stuttgarter Zeitung, 17.4.1989; "Die CDU plädiert für 'ganzheitliches Denken' in der Umweltpolitik", in: FAZ, 17.4.1989.

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Umweltpolitische Analogien zwischen Regierungs- und Parteiprogramm Unter der Federführung von Umweltminister Töpfer war ein Diskussionspapier entstanden, in das zunächst die umweltpolitischen Positionen der von Kohl getUhrten Regierung, Töpfers, der Unions fraktion und des Bundesfachausschusses Umweltpolitik Eingang gefunden hatten. 361 Die Gliederung des Kommissionsentwurfes deutete die urnweltpolitischen Facetten des Programmentwurfs an. Der Spannungsbogen reichte über allgemeine AustUhrungen im Kapitel "Unsere Verantwortung tUr die Schöpfung" über die Gliederungspunkte "Lebensraurn Natur", "Umweltschutz als Bürgerpflicht", "Statt Reparatur, Vorsorge durch eine ökologisch verpflichtete Soziale Marktwirtschaft,,362, "Schutz und Erhaltung einer lebenswerten Umwelt: Globale Herausforderung tUr Umweltpartnerschaft", "Umweltpolitik in Europa" , "Energieversorgung und Umwelt", "Verantwortliche Nutzung der Kernenergie", "Verkehr und Kommunikation - Umweltverträgliche Erweiterung unserer Lebensräume" bis hin zum Abschnitt "Herausgeforderte Chemiepolitik: Von der Entstehung bis zur Entsorgung". 363 Nicht nur inhaltlich, sondern auch in zentralen Formulierungen spiegelten sich im Parteipapier die von Bundeskanzler Kohl in der Regierungspolitik vordefinierten urnweltpolitischen Leitlinien deutlich wider. 364 Zentrale Formulierungen von Kohls Regierungserklärung aus dem Jahr 1987 wurden in den Entwurf der Kommission übernommen - so der Titel der Regierungserklärung von 1987 und der Leitgedanke des Regierungsarbeitsprograrnms der laufenden Legislaturperiode: "Die Schöpfung bewahren - die Zukunft gewinnen. Grundsätze

361 Vgl. dazu die Inhalte nachstehender Papiere: "Mehr Umweltvorsorge durch Umwelthaftungsrecht. Leitsätze des Bundesfachausschusses 'Umwelt' der CDU", 16.8.1988; "Beschluß des Bundesfachausschusses 'Umweltpolitik' der CDU: 'Umweltschutz muß Chefsache werden'. Leitsätze für eine umweltorientierte Unternehmensführung", 4.1.1989; CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Langfristige Perspektiven marktwirtschaftlicher Umweltpolitik, 6.3.1989; "Umwelt: CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt Tropenwald-Papier vor", in: IPS-Hintergrunddienst, 11.3.1989; "Schutz der tropischen Regenwälder. Diskussionspapier der Unterarbeitsgruppe Tropischer Regenwald der Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion", abgedruckt in: UiD, 20.4.1989; ferner "Töpfer will umweltfreundliche Kraftfahrzeugsteuer", in: FAZ, 23.2.1989; "Den Restschmutz ohne Steuer lenken", in: Die Welt, 7.3.1989; "Union bedenkt umweltpolitische Maßnahmen", in: FAZ, 8.3.1989. 362 Dies entsprach Töpfers Kritik an der Umweltpolitik der Bundesregierung. Vgl. "Naturschutzabgabe soll Ausgleich finanzieren", in: Die Welt, 16.2.1989. 363 Vgl. "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: UiD, Nr. 15, 11.5.1989. 364 Zum detaillierten Vergleich die Regierungserklärung Kohls vom 18.3.1987 in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 51-73.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

und Leitgedanken - Auftrag zur Verantwortung und Gestaltung.,,365 Im Kommissionsentwurf von 1989 hieß es einleitend: "Die Schöpfung bewahren - die Zukunft gewinnen. Dies ist Auftrag und Ziel unserer Politik.,,366 Im Zuge redaktioneller Glättungen wurde später für die Präsentation auf dem Parteitag auch der Programmentwurf mit "Unsere Verantwortung für die Schöpfung" überschrieben. 367 Töpfer erläuterte auf einer Pressekonferenz am 23. August 1989 sein Verständnis des Mottos: "Unsere Verantwortung für die Schöpfung bedeutet, daß wir verpflichtet sind, die Natur auch um ihrer selbst willen und nicht nur als Lebensgrundlage des Menschen zu schützen.,,368 Problematische Aussagen wie noch in dem Papier von 1988 konnten in dem nunmehr erarbeiteten Antrag weitgehend vermieden werden. Töpfer konnte im Gegensatz zu anderen Vorschlägen, wie z. B. der schadstoffbezogenen Kraftfahrzeugsteuer369 - seine Position, nach der eine Zukunft ohne Kernenergie gefunden werden müsse,370 in der 1988 noch vertretenen Ausprägung nicht durchsetzen. 371 Die CDU sollte auch weiterhin an der Kernenergie festhalten so ließ sich die gültige Position zusammenfassen. In dieser Aussage war das

365 Der Leitbegriff der "Schöpfung" der Regierungserklärung von 1987 ging auf einen Vorschlag des Politikwissenschaftlers Werner Weidenfeld zurück. Er hatte ihn in die Vorbesprechung zum Entwurf der Regierungserklärung eingebracht. So Korte: Deutschlandpolitik, S. 313; vgl. auch Kohl in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 140. Sitzung. 27.4.1989, S. 10291-10304, hier S. 10294. 366 Vgl. "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: UiD, Nr. 15, 11.5.1989, S. 2. 367 Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag. 11.-13. September 1989. Bremen, Bonn 0.1., S. 153 bzw. Anhang 11, S. 429. 368 Töpfer zitiert nach: K. Rüdiger Durth: CDU-Basis will Umweltschutz als Staatsziel, in: Bonner Rundschau, 24.8.1987. In diesem Sinne begründete er auch die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz. Darin lag gleichzeitig der Dissens mit der Schwesterpartei CSU und der FDP. Hier zog man den Rahmen enger und hob lediglich auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ab. Kohl selbst hatte sich in seiner Regierungserklärung vom 27.4. nicht festgelegt und geschickt formuliert: "Konsequenter Umweltschutz gehört zu einer wertorientierten Politik. Wer für den umfassenden Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Würde eintritt, dem kann die uns anvertraute Schöpfung nicht gleichgültig sein." Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 140. Sitzung. 27.4.1989, S. 10294. Zu den unterschiedlichen Nuancierungen in den Parteien vgl. Ulrich Reitz: Zeitplan für Umweltschutz im Grundgesetz gefährdet, in: Die Welt, 25.8.1989. 369 Vgl. "Töpfer will umweltfreundliche Kraftfahrzeugsteuer", in: FAZ, 23.2.1989. 370 Vgl. Volker Bästlein: CDU verlangt ökologischen Marshallplan, in: Bonner Rundschau, 18.4.1989. 371 Allerdings hatte das Kapitel zur Kernenergie auch den höchsten Diskussionsbedarf in der Programmkommission erzeugt. Erst unmittelbar vor der Vorstandsklausur am 16.4. hatte man sich auf die Formulierungen einigen können. Vgl. "CDU plant Anreize im Umweltschutz", in: Die Welt, 17.4.1989.

III. Umweltpolitik

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Antragspapier nunmehr eindeutig. 372 Auch eine Absage an fossile Energieträger, wie man sie noch aus dem 1988 entstandenen Papier interpretieren konnte, war jetzt nicht mehr erkennbar. 373 Um die Ernsthaftigkeit der umweltpolitischen Programm arbeit zu unterstreichen, hatte der CDU-Vorstand unter Kohls Vorsitz gleichzeitig seine ökologische Erwartungshaltung374 an die von Kohl gefilhrte Bundesregierung und die Unionsfraktion deutlich gemacht und auf der Basis des Kommissionsentwurfs einen ökologischen Forderungskatalog aufgestellt. Sowohl Bundesregierung als auch Unionsfraktion wurden vom CDU-Vorstand aufgefordert: ,,-[ .... ] zum 1.10.1991 den geregelten Drei-Wege-Katalysator bei Neuzulassungen nach Möglichkeit in der gesamten Europäischen Gemeinschaft, auf jeden Fall aber in der Bundesrepublik Deutschland verpflichtend einzuführen; - die steuerliche Förderung des Drei-Wege-Katalysators für Kraftfahrzeuge unter 1,4 Liter Hubraum der Regelung für Fahrzeuge über 2,0 Liter Hubraum gleichzustellen. - Die Nachrüstung von Altfahrzeugen mit Katalysatoren muß weiter gefördert werden und zwar durch einen einmaligen Förderungsbetrag, der die bisherige mehrstufige Förderung zusammenfaßt. - Die KFZ-Steuer soll künftig bei allen Fahrzeugen nicht am Hubraum, sondern am Schadstoffausstoß orientiert sein. - Bei Diesel-PKW sollen bei Neuzulassungen die amerikanischen Grenzwerte verpflichtend werden. - Für das umweltfreundliche Auto mit Drei-Wege-Katalysator soll eine umfassende Informationsaktion der Bundesregierung durchgeführt werden. - Weltweiter Umweltpartnerschaft bedarf es beim Schutz und der Erhaltung der tropischen Regenwälder, denn diese sind für das Weltklima unersetzbar. Der CDUBundesvorstand fordert die Bundesregierung auf, die vom Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Toronto eingeleitete Politik 'Schuldenerlaß für Natur' auf dem EG-Gipfel in Madrid und dem Weltwirtschaftsgipfel in Paris fortzusetzen.,,375

372 Vgl. "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: UiD, Nr. 15,11.5.1989, S. 24-26. 373 Vgl. ebd. Auch Töpfer hatte sich in der Folge für den Energieträger Kohle ausgesprochen. Als designierter CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 28.1.1990 im bergbauorientierten Saarland hatte er allerdings auch keine Alternative. Vgl. u. a. "Ein total falscher Ansatz", in: Der Spiegel, Nr. 37, 11.9.1989, S. 34-45. 374 In dieser Klausurtagung wurden zudem auch für andere Politikbereiche Arbeitsempfehlungen an Regierung und Unionsfraktion ausgearbeitet. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Pressemitteilung, Bonn 17.4.1989. 375 CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Pressemitteilung, Bonn 17.4.1989.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Diese Aufforderungen des Bundesvorstandes an Regierung und Unionsfraktion hatten eine doppelte Funktion. Zum einen dienten sie der umweltpolitischen Profilierung der CDU als Partei. 376 Der umweltpolitische Parteiinput der CDU in die Regierungsarbeit sollte in der Öffentlichkeit deutlich werden. Der Partei selbst sollte aber auch das Gefühl vermittelt werden, daß ihre Initiativen in der Regierung berücksichtigt würden. Zum anderen hatte der Forderungskatalog jedoch auch den Zweck, die umweltpolitische Arbeit, insbesondere aber die Position des Bundeskanzlers und des von der CDU gestellten Umweltministers, öffentlich abzusichern und zu unterstützen. Wie der Parteivorsitzende Kohl bereits am 17. April nach der Vorstandsklausur angekündigt hatte,377 übernahm er die Anregungen des von ihm präsidierten Bundesvorstandes in seine Regierungserklärung am 27. April. 378 Sie wurden in den Gesamtkontext seiner Rede als Aufgabenkatalog für die weitere Regierungsarbeit in der aktuellen Legislaturperiode eingekleidet. 379 Eine paradoxe Situation war damit entstanden. Das von der Parteibasis während des im Herbst 1989 stattfmdenden Parteitags erst noch anzunehmende Umweltprogramm, das in einigen umweltpolitischen Passagen seinerseits wiederum auf der Regierungserklärung Kohls vom 18. März 1987 beruhte/so war in Teilen - bereits am 27. April zum Regierungsprogramm erklärt worden. Sollte die Regierung nicht unterminiert werden, war ab diesem Datum nur noch begrenzt Kritik an den Leitsätzen "zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte" aus den Reihen der CDU möglich. Insgesamt kann festgestellt werden, daß die CDU-Führung versuchte, ihr Partei programm an das Arbeitsprogramm der Regierung anzugleichen. Über weite Teile folgte man ihm, nur an wenigen Stellen war das Parteipapier innovativ und ging über bisherige Regierungspositionen hinaus. Geißlers Erläuterungen entsprachen vor diesem Hintergrund allenfalls Wunschdenken, aber keinesfalls der Realität, wenn er ausführte: "Ziel des Beschlusses zur Umweltund Energiepolitik ist es, die in der Regierung unter Beweis gestellte Umwelt-

376 Zum Profilierungsziel auch "CDU plant Anreize im Umweltschutz", in: Die Welt, 17.4.1989. 377 Vgl. dpa-Pressemeldung, dpa 746, bas 2913, pi 268, 17.4.1989; "Umfangreiches Umweltpaket und ein Aufschub der Wehrdienstverlängerung", in: Handelsblatt, 18.4.1989. 378 Dies war Teil einer Strategie Kohls, neue Akzente in der Politik zu setzen. Vgl. Ackermann: Mit feinem Gehör, 288 f. 379 Vgl. Regierungserklärung in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 140. Sitzung. 27.4.1989, S. \0291-10304. 380 Vgl. Regierungserklärung in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 4. Sitzung. 18.3.1987, S. 58 f, S. 62 f.

III. Umweltpolitik

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politik programmatisch fortzuentwickeln und die umwelt- und energiepolitischen Weichen für die Regierungspolitik der 90er Jahre zu stellen.,,381

Korrekturen durch Parteivorstand und Antragskommission und Annahme des Programms durch den Parteitag

Endgültig beschlossen wurde der umwelt- und energiepolitische Leitantrag an den Bundesparteitag der CDU in Bremen durch den Bundesvorstand in der Sitzung vom 2. Juni 1989.382 Nach mehrstündiger Diskussion wurde der Leitantrag ohne größere substantielle Veränderungen gegenüber dem Entwurf vom April verabschiedet. 383 Die Änderungen bezogen sich vor allem auf stilistische, redaktionelle Korrekturen. Einige Absätze wurden gestrichen, Überschriften neuformuliert. Zu den markanteren Änderungen zählte, daß man im Leitantrag davon abrückte, eine dem Marshallplan vergleichbare "Kraftanstrengung,,384 für die "erforderliche ökologische Sanierung auch bei unseren östlichen Nachbarn,,385 zu fordern. 386 Offensichtlich war man sich in der CDU der Kosten bewußt geworden, die die Realisierung dieser Forderung möglicherweise nach sich ziehen würde, und hatte deshalb wieder Abstand von ihr genommen. Umstritten war in der Sitzung vor allem die Frage von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen. 387 Im Gegensatz zum Entwurf der von Töpfer geleiteten Kommission wurde der Aspekt des Tempolimits in der vom Vorstand nunmehr beschlossenen Fassung ausgeklammert. Damit hatte sich der wirtschafts freundliche Flügel im Vorstand gegen die "Geschwindigkeitsbe381 Geißler zitiert nach: K. Rüdiger Durth: CDU-Basis will Umweltschutz als Staatsziel, in: Bonner Rundschau, 24.8.1989. 382 Vgl. "Leitantrag des Bundesvorstandes an den 37. Bundesparteitag der CDU vom 11. bis 13. September 1989 in Bremen zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", 7.6.1989 (Dokument aus privatem Aktenbestand). Eine Übersicht über zentrale Aussagen bietet auch "Ausstieg aus Kernenergie gefährdet das Weltklima" , in: Handelsblatt, 8.6.1989. 383 Vgl. "CDU-Vorstand verabschiedet Leitsätze zur Umwelt-Politik", in: FAZ, 3.6.1989; "CDU verabschiedet Umwelt-Leitsätze", in: Die Welt, 3.6.1989. 384 Vgl. "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: UiD, Nr. 15,11.5.1989, S. 19. 385 Ebd. 386 Dies zeigt ein Vergleich der Papiere: "CDU-Dokumentation: Diskussionsentwurf: Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: UiD, Nr. 15, 11.5.1989; "Leitantrag des Bundesvorstandes an den 37. Bundesparteitag der CDU vom 11. bis 13. September 1989 in Bremen zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", 7.6.1989 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 387 Vgl. Andreas Fritzenkötter: Tempo-Limit heißes Eisen in CDU, Rheinische Post, 8.6.1989; ders.: Ein Wagnis, in: Rheinische Post, 8.6.1989.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

grenzer" um Töpfer und Schmidbauer durchgesetzt. 388 Gleichzeitig hatte man mit dem AbrUcken von Tempolimits auf den Koalitionspartner CSU und den von ihr gestellten Bundesverkehrsminister Zimmermann und seine vehement vorgetragene Forderung der freien Fahrt ftlr freie Bürger Rücksicht genommen. 389 Bei der Abfassung des umweltpolitischen Leitantrags wurde genau darauf geachtet, möglichst keine Punkte aufzunehmen, die die konsensuale Regierungslinie konterkarieren und rur Reibungspunkte in der Koalition vor allem zwischen den Unionsparteien sorgen würden?90 Man berücksichtigte aber auch die Proteste innerhalb der Union, die deutlich vernehmbar waren, als der umweltpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Schmidbauer, nach den Pfingstfeiertagen öffentlich kurzfristig über Geschwindigkeitsbegrenzungen und Tempo 130 nachdachte. 391 Umweltminister Töpfer machte in diesem Punkt aus seiner Niederlage auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU-Generalsekretär Geißler zur Vorstellung des Leitantrages am 7. Juni 1989 in Bonn392 keinen Hehl und bekannte zu den in der CDU mehrheitlich abgelehnten, von ihm aber präferierten Geschwindigkeitsbeschränkungen vielsagend: "Dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen innerhalb der CDU.,,393 Um Fehldeutungen des Leitantrages an einem anderen Brennpunkt, nämlich der Frage des künftigen Umgangs mit der Kernenergie, vorzubeugen, lieferte Geißler zu den Programm formulierungen zugleich seine Interpretation mit: Zur Kernenergie gebe es rur "lange, lange Zeit" keine Alternative. 394 In der Zeit zwischen der Verabschiedung des Leitantrages durch den Bundesvorstand und der Abstimmung darüber auf dem Parteitag in Bremen hatten Vgl. Holger Wuchold: Zurückgepfiffen, in: Frankfurter Neue Presse, 8.6.1989. Zur Rücksichtnahme auf die CSU vgl. auch Andreas Fritzenkötter: Ein Wagnis, in: Rheinische Post, 8.6.1989; Norbert Bicher: Katalog von großen Worten, in: Westfälische Rundschau, 8.6.1989. 390 Damit begrenzte sich freilich auch der programmatische Wert des Leitantrages. 391 Vgl. "Grips statt chips", in: Der Spiegel, Nr. 22, 29.5.1989, S. 105 f. 392 Zu den Inhalten der Pressekonferenz sowie den Zielen und Grundsätzen des Leitantrages nach Interpretation Geißlers und Töpfers vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Pressemitteilung, Bonn 7.6.1989. 393 Töpfer zitiert nach: Andreas Fritzenkötter: Tempo-Limit heißes Eisen in CDU, in: Rheinische Post, 8.6.1989. 394 Zur Position Geißlers vgl. Andreas Fritzenkötter: Tempo-Limit heißes Eisen in der CDU, in: Rheinische Post, 8.6.1989. Zusätzlich zu der bereits im Antrag vorgenommenen Relativierung der Formulierung "Kernenergie als Übergangstechnologie" schwächte der CDU-Generalsekretär diese damit nochmals ab. Im Leitantrag wurde - in Analogie zu Kohls Regierungserkärung vom 18.3.1987 - auch auf die Notwendigkeit eines Energiemixes von Kernenergie und Kohle hingewiesen. Vgl. "Leitantrag des Bundesvorstandes an den 37. Bundesparteitag der CDU vom 11. bis 13. September 1989 in Bremen zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umwe1taspekte", 7.6.1989, S. 22, S. 25 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 388

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III. Umweltpolitik

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die Landes- und Kreisgliederungen sowie die Vereinigungen der CDU die Möglichkeit, Zusatzanträge zu stellen. 395 Auf dieser Basis modifizierte die vom CDU-Bundesvorstand eingesetzte Antragskommission 396 zum Parteitag in ihrer Sitzung am 23. August 1989 die Leitsätze nochmals. Einige der Änderungen, die der Bundesvorstand der CDU in seiner Sitzung Anfang Juni vorgenommen hatte, sollten wieder rückgängig gemacht werden. 397 Das brachten die 652 Anträge der Parteibasis deutlich zum Ausdruck. Die Antragskommission revidierte entsprechend einige der vom Bundesvorstand im Juni 1989 vorgenommen Änderungen und verschärfte den Leitantrag in seinen Aussagen wieder. Töpfers Position wurde damit im Vorfeld des Parteitags gestärkt. Die vielfiiltigen Anträge stützten seinen Ansatz der "ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft".398 So wurde der Antrag zur Einfiihrung eines "Wasserpfennigs" nach baden-württembergischen Vorbild ebenso aufgegriffen wie die von den Sozialausschüssen der CDU beantragte Verpflichtung der Union zu einem "ökologischen Marshallplan,,399, mit dem Länder der Dritten Welt und in Osteuropa bei umweltpolitischen Maßnahmen unterstützt werden sollten. 40o

395 Vgl. zu den Verfahrensregeln §§ 5 (Antragsfrist und Antragsversand) u. 6 (Antragsrechte) der Geschäftsordnung der CDU. 396 Sie wurde von Heiner Geißler geleitet. Töpfer gehörte ihr ebenso an wie der für Umweltpolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Laufs, und Kanzleramtsminister Schäuble. Zu weiteren Mitgliedern vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag, S. 404. 397 Vgl. "Umwelt soll zentrales Thema auf CDU-Parteitag bleiben", in: Die Welt, 24.8.1989; "CDU verschärft Umwelt-Leitantrag", in: FAZ, 24.8.1989. 398 Die Formulierung wurde von Töpfer geprägt. Der Ansatz war zunächst keineswegs unumstritten und hatte innerparteiliche Kritik, so z. B. von den Sozialpolitikern provoziert. Töpfer wurde in seinem Ansatz u. a. von Kurt Biedenkopf und Christa Thoben unterstützt. So Töpfer im Gespräch mit dem Autor am 11.9.1997. Vgl. zum Ansatz der "ökologischen und sozialen Marktwirtschaft" auch Töpfers Ausführungen vor dem Bundesparteitag, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag, S. 161 f.; vgl. auch Ulrich Reitz: Töpfer plant Ökologie durch Marktwirtschaft, in: Die Welt, 16.8.1989; "Töpfer für marktwirtschaftliehe Umweltpolitik", in: FAZ, 16.8.1989; Charima Reinhardt: Die gar mühsame Suche nach dem kleinen Unterschied, in: FR, 17.8.1989; K. Rüdiger Durth: CDU-Basis will Umweltschutz als Staatsziel, Bonner Rundschau, 24.8.1989. 399 Daß diese Formulierung wieder aufgegriffen wurde, war eine Bestätigung für die von Töpfer geleitete Programmkommission. Im ursprünglichen Entwurf war sie unter Punkt 39 enthalten, dann aber bei der Überarbeitung durch den Bundesvorstand im Juni gestrichen worden. Vgl. "Diskussionsentwurf Leitsätze zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekte", in: CDU-Dokumentation Nr. 15, 1989, 11.5.1989, S. 19; "Leitantrag des Bundesvorstandes an den 37. Bundesparteitag der CDU vom 11. bis 13. September 1989 in Bremen zur Umweltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der energiebedingten Umweltaspekt" , 7.6.1989 (Dokument aus privatem Aktenbestand). 400 Zu den Anträgen vgl. "Umwelt soll zentrales Thema aufCDU-Parteitag bleiben", in: Die Welt, 24.8.1989; "CDU verschärft Umwelt-Leitantrag", in: FAZ, 24.8.1989; 25 Gros

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

Der von der Jungen Union getragene Antrag, im Programm ein Vetorecht in ökologischen Belangen fiir den Umweltminister im Kabinett zu fordem,40I zielte nachhaltig in eine von Töpfer ebenfalls seit längerem vertretene Richtung. Die Antragskommission milderte diese Forderung allerdings dahingehend ab, daß in künftigen Gesetzesentwürfen auch Informationen über die umweltpolitischen Auswirkungen enthalten sein sollten. 402 Damit wurde zwar kein Veto fiir den Umweltminister gefordert, aber immerhin eine Berücksichtigung umweltpolitischer Belange bei der Gesetzgebungsarbeit, was de facto eine frühzeitige Einbeziehung des Umweltministeriums in Gesetzesvorhaben bedeuten würde. Dagegen konnte sich Töpfer in der Antragskommission mit seinem Vorschlag durchsetzen, eine Novellierung des Naturschutzgesetzes zu beschleunigen und eine Naturschutzabgabe einzufiihren. 403 Töpfers Anregungen hatten einen konkreten politischen Hintergrund. Seit einiger Zeit wurde innerhalb der Bundesregierung die Novellierung des Naturschutzgesetzes diskutiert. Dazu hatte der Bundesumweltminister dem Kabinett auch bereits einen Entwurf zugeleitet. 404 Dieser war u. a. deshalb noch nicht verabschiedet worden, weil zwischen den Koalitionsparteien unterschiedliche Auffassungen darüber bestanden, wie die darin vorgesehenen Naturschutzmaßnahmen fmanziert werden sollten. Finanzminister Waigel weigerte sich, die dafUr benötigten Mittel zwischen 150 und 200 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt zu fmanzieren. 405 Töpfer versuchte, die ihm und seinen Vorschlägen entgegengebrachte Sympathie der CDU-Basis in programmatische Vorgaben umzumünzen und damit zum einen seine Stellung im Kabinett zu stärken und zum anderen den umweltpolitischen Reformdruck auf die Bonner Koalition zu erhöhen. Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende bezog in dieser Phase keine Stellung, war aber durch Schäuble, der der Antragskommission angehörte, über die Schritte Töpfers wohl informiert.

Michael Brandt: CDU-Parteitag berät über Wasserpfennig, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24.8.1989. 401 Vgl. "Enge Grenzen", in: FR, 24.8.1989. 402 Vgl. "CDU: 'Wasserpfennig' bundesweit einführen", in: SZ, 24.8.1989. 403 Gleichwohl hatte er sich damit für den Fall, daß dieser Antrag auf dem Parteitag scheitern würde, einen politischen Fluchtweg offengelassen, indem er verdeutlichte, daß die CDU aber auch damit zufrieden wäre, wenn eine andere Finanzierungsmöglichkeit gefunden würde und damit die Novellierung des Naturschutzgesetzes abgeschlossen werden könne. Vgl. "Umwelt soll zentrales Thema auf CDU-Parteitag bleiben", in: Die Welt, 24.8.1989. 404 Vgl. "Töpfer schlägt Naturschutzabgabe vor", in: FAZ, 15.2.1989; "Weitere Steuervergünstigungen für die Umrüstung von Fahrzeugen", in: FAZ, 16.2.1989. 405 Zum Hintergrund "Töpfer pocht bei Waigel auf Naturschutz-Novelle", in: Die Welt, 1.9.1989.

III. Umweltpolitik

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Der Parteitag selbst, dessen zentrales Thema ursprünglich die Umweltpolitik sein sollte, wurde schließlich von Personalfragen überlagert. 406 Geißlers Absetzung als Generalsekretär, Späths Ausscheiden aus dem CDU-Präsidium und die gescheiterte Absetzung Kohls bestimmten die Schlagzeilen. 407 Die umweltpolitischen Aspekte des Parteitags rückten in den Hintergrund. 40B Dennoch bemühte sich Töpfer, nicht zuletzt gestärkt durch ein hervorragendes Ergebnis bei den Wahlen zum Bundesvorstand der CDU,409 dem Umweltthema Gewicht zu verleihen. Mit seiner Einfiihrungsrede zum Antragspapier stimmte er die Delegierten ein, stellte bisherige umweltpolitische Erfolge der Regierung dar und markierte die Schwerpunkte des Entwurfs des Parteiprogramms. 410 Unterstützung erhielt er dabei vom Parteivorsitzenden und Bundeskanzler nicht. Dieser war während Töpfers Rede und auch während der meisten Zeit der nachfolgenden Aussprache - ebenso wie der neugewählte Generalsekretär Rühe - nicht anwesend. 411 Trotz seines Einsatzes konnte Töpfer es nicht verhindern, daß die Delegierten des CDU-Parteitages die von ihm propagierte Naturschutzabgabe ablehnten.4\2 Sie beschränkten sich darauf, eine Überprüfung zu fordern, "inwieweit die Inanspruchnahme von Natur durch eine Abgabepflicht reduziert und abgabepflichtig gemacht werden kann.,,413 Dies bedeutete de facto zunächst eine Schwächung der Stellung des Bundesumweltministers im dazu geführten koalitionsinternen Positionsstreit, da er kein direktes Votum der Delegierten für

406 Hintergründe in Maser: Helmut Kohl, S. 283-296; ergänzend "Laßt's lieber bleiben", in: Der Spiegel, Nr. 35, 28.8.1989, S. 14-21; "Blwnierte Frondeure", in: Der Spiegel, Nr. 36,4.9.1989, S. 24 f.; "Ein Netz von Abhängigkeiten", in: Der Spiegel, Nr. 37,11.9.1989, S. 18-20; "Siegen oder untergehen", in: Der Spiegel, Nr. 43,18.9.1989, S.26-28. 407 Da halfen auch alle gegenteilige Bemühungen und Beteuerungen, die im Vorfeld des Parteitags gemacht wurden, nichts. So hatte z. B. Geißler in einer Pressekonferenz wn 23.8.1989 betont, er werde sich dafür einsetzen, daß Kohls Entscheidung, ihn abzulösen, den Parteitag nicht thematisch überlagere. Vgl. "Umwelt soll zentrales Thema auf CDU-Parteitag bleiben", in: Die Welt, 24.8.1989. 408 Auch der durch die Öffnung der ungarischen Grenze in Gang gesetzte Fluchtprozeß aus der DDR lenkte vom Umweltthema des Parteitages ab. 409 Von den gewählten ,,20 weiteren Mitgliedern des Bundesvorstandes" erhielt er mit 678 Stimmen vor Wolfgang Schäuble und Eberhard Diepgen das beste Ergebnis. Vgl. zu den Wahlergebnissen CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag, S. 408. 410 Im Detail vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag, S. 153-167. 411 Vgl. "CDU-Parteitag lehnt Naturschutzabgabe ab", in: FAZ, 13.9.1989. 412 Zu der Debatte während des Parteitages vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Protokoll. 37. Bundesparteitag 1989, S. 168-239; zuswnmenfassend "CDU-Parteitag lehnt Naturschutzabgabe ab", in: FAZ, 13.9.1989; Stefan Kornelius: CDU verabschiedet Konzept zur Umweltpolitik, in: SZ, 13.9.1989. 413 "CDU-Dokumentation: Unsere Verantwortung fllr die Schöpfung", abgedruckt, in: UiD, Nr. 29, 21.9.1989, S. 20.

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

seine Vorstellungen erhalten hatte. Weniger problematisch war dagegen, daß die Delegierten des Parteitags den Antrag der Jungen Union auf ein Vetorecht des Umweltministers bei Gesetzesvorhaben ablehnten. Die dazu von der Antragskommission vorgeschlagene Kompromißformel wurde allerdings bestätigt: "Die CDU setzt sich dafUr ein, daß jeder Gesetzesentwurf Informationen über die Auswirkungen auf Natur und Umwelt enthält.,,414 Diese nicht realisierten Programmvorhaben trübten jedoch die Bilanz Töpfers nur am Rande. Für ihn war der Parteitag trotzdem ein Erfolg, wie er selbst betonte: "lch habe allen Anlaß, die umweltpolitische Debatte des Bundesparteitags als einen wirklichen Markstein fUr eine Weiterentwicklung der umweltpolitischen Strategie der Union anzusehen. Der Leitantrag ist ein nachhaltiger Startschuß fUr eine ökologische Soziale Marktwirtschaft, die ein Markenzeichen dieser Regierung werden muß.,,415 Töpfer hatte insofern mit seiner Bewertung recht, als er zum einen ihm wichtige Anliegen hatte im Programm festschreiben lassen,416 und sich zum zweiten aus dem Programmpapier nunmehr umweltpolitische Handlungsaufträge fUr die Regierung ableiten ließen. Der Bundesumweltminister hatte damit eine von ihm wesentlich mitgestaltete Basis, auf die er sich bei künftigen Positionsstreitereien würde berufen können. Zu den zentralen Handlungsaufträgen, die im Umweltministerium unmittelbar nach dem Parteitag aus dem Programm abgeleitet wurden, zählten u. a.: 417 - Aufnahme des Schutzes der natürlichen Grundlagen als Staatsziel in das Grundgesetz; - Verabschiedung des Naturschutzgesetzes in der laufenden Legislaturperiode; - Vorlage eines Konzepts fUr eine Naturschutzabgabe. Gleichwohl sagte die Fixierung im Parteiprogramm noch nichts über die Realisierung der Vorhaben aus. Die Abwesenheit Kohls während der Programmdiskussion auf dem Parteitag ließ Rückschlüsse auf den Stellenwert der Umweltpolitik, der ihr vom Parteivorsitzenden und Bundeskanzler beigemessen wurde, zu. Eine medienwirksame Profilierung des Programms war angestrebt 414 "CDU-Dokumentation: Unsere Verantwortung für die Schöpfung", abgedruckt in: UiD, Nr. 29,21.9.1989, S. 21. 415 Töpfer zitiert nach: BMU (Hrsg.): Starker Rückenwind für die Umweltpolitik der Bundesregierung - Entscheidung der CDU für eine ökologische Marktwirtschaft, Bonn 15.9.1989 (Pressemitteilung). 416 U. a. Verbindung von Umweltschutz und Marktwirtschaft, Beschluß des Wasserpfennigs, Importbeschränkungen für tropische Hölzer. Vgl. zu Details "UmweItminister wirbt fllr 'ökologischen Europaplan''', in: Handelsblatt, 13.9.1989; "CDUParteitag lehnt Naturschutzabgabe ab", in: FAZ, 13.9.1989. 417 Eine umfassende Aufstellung findet sich in: BMU (Hrsg.): Starker Rückenwind fllr die Umweltpolitik der Bundesregierung - Entscheidung der CDU fllr eine ökologische Marktwirtschaft, Bonn 15.9.1989 (Pressemitteilung).

III. Umweltpolitik

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und erreicht worden. Über die Umsetzung der Details in der Regierungskoalition mußte aber erst noch diskutiert werden, mit ihm und den Koalitionsparteien. Die Bedeutung des CDU-Umweltprogramms wurde zudem dadurch begrenzt, daß hier im wesentlichen von der Partei Positionen nachvollzogen wurden, die der Bundeskanzler beziehungsweise die Bundesregierung zu früheren Zeitpunkten bereits eingenommen hatten. Damit stellte das neue Parteiprogramm eine nachträgliche parteipolitische Legitimierung der Regierungsarbeit im Bereich der Umweltpolitik dar.

Zusammenfassung und Bewertung

- Die umweltpolitische Programmatik der CDU wurde vom Bundeskanzler und Bundesumweltminister maßgeblich beeinflußt. Während der Vorsitz und die inhaltliche umweltpolitische Federführung der jeweiligen Parteikommission beim Bundesumweltminister lag, nahm der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende subtil und abseits der Öffentlichkeit Einfluß auf die Rahmendaten der Programmarbeit. Er bestimmte die Themen und den Zeitpunkt, zu denen sie bearbeitet wurden. Dabei waren vor allem folgende Aspekte wichtig: - Welche Erfolge ließen sich mit dem Thema "Umweltschutz" in der Öffentlichkeit erzielen? Wie war das Themenfeld machtpolitisch instrumentalisierbar? - Inwieweit boten die Programmarbeiten koalitionspolitischen Sprengstoff? Diesen galt es aus Kohls Bundeskanzlersicht jeweils zu entschärfen. Kohl konnte nicht nur als Parteikanzler agieren, sondern mußte auch als Koalitionskanzler handeln. Um den Koalitionsfrieden zu wahren, konnte er parteiprogrammatische Initiativen nur insoweit zulassen, als die von ihnen ausgehenden Initiativwirkungen nicht den sorgsam austarierten umweltpolitischen Koalitionskonsens gefährdeten. - Dem CDU-Bundesvorstand fiel formal eine initiierende Politikgestaltungsfunktion in dem Sinne zu, daß er es war, der die zuständigen Programmkommissionen einsetzte. De facto war es aber der Parteivorsitzende, der die Aufnahme der parteipolitischen Programmarbeit beschlossen hatte. - In die Programm arbeit waren neben den führenden Umweltpolitikern der Bundesregierung - Töpfer und Riesenhuber - auch die Umweltspezialisten aus Unionsfraktion und Parteigremien eingebunden. Sowohl Positionen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch des CDU-Bundesfachausschusses "Umwelt" wurden während der Arbeiten zum Programm "Unsere Verantwortung für die Schöpfung" berücksichtigt. - Im wesentlichen aber vollzog die Programmkommission in ihrer Arbeit das bestehende Regierungsprogramm nach und verschaffte ihm damit eine nach-

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D. Politikfelder und Fallbeispiele

lTägliche Legitimierung durch die CDU-Parteiprogrammatik. Daß das Regierungsprogramm als Vorlage des Parteiprogramms diente, wurde nicht zuletzt darin überdeutlich, dalj man dieses mit dem Motto der Regierungserklärung Kohls von 1987 überschrieben hatte: "Unsere Verantwortung für die Schöpfung". Nur in wenigen Details wurde programmatisch über die bisherige Umweltpolitik der Regierung hinausgegangen und damit eine Führungsfunktion übernommen. - Wenngleich das erarbeitete umweltpolitische Parteiprogramm letztlich nur an wenigen Stellen über die Regierungsprogrammatik hinausging, versuchte dennoch Umweltminister Töpfer zunächst durchaus, die parteipolitischprogrammatische Fixierung umweltpolitischer Aussagen zur Stärkung seiner Position im Kabinett zu nutzen. Sie sollten ihm - neben Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung - als eine zusätzliche Berufungsbasis dienen.

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse In mehreren Schritten wurde in der vorliegenden Studie versucht, exemplarisch an den Politikfeldern Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik im Zeitraum zwischen 1982 und 1989 Grundelemente von Politikgestaltungsprozessen im Machtdreieck von CDU-Parteifilhrung, Unionsfraktion und Bundesregierung darzustellen und zu bewerten. Dabei wurde die Ausgangsprämisse, daß die Akteursbeziehung CDU-Parteifilhrung, Unionsfraktion und Bundesregierung einen Machtfaktor im Führungszentrum des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland bildet, im Verlauf der Untersuchung nachhaltig bestätigt. Eine Vielzahl von Abstimmungs- und Koordinationsmaßnahmen zwischen Mitgliedern der CDU-Parteifilhrung, der Unionsfraktion und den CDU-Vertretern in der Bundesregierung als Vorbereitung weitergehenderer Beschlußfassungen im politischen Führungszentrum beziehungsweise der Koalitionsregierung konnten beobachtet werden. Die innerhalb des Machtdreiecks von CDU-Parteifilhrung, Unionsfraktion sowie Bundesregierung ablaufenden Politikgestaltungsprozesse wurden dabei mit Blick auf folgende Fragen analysiert: - Wo und von wem wird im Machtdreieck die Politikeingrenzung vorgenommen und entschieden, welche Initiativen, Vorschläge und Entwürfe in den Prozeß der Politikgestaltung Eingang fmden und dort weiter verfolgt werden? Welchen Einfluß können die Akteure im Machtdreieck auf die Programmund Zielbildung in der Phase der Beschlußfassung nehmen? - Wie sind die Strukturen der Konfliktregelung und Konsensbildung im Machtdreieck ausgestaltet? - Läßt sich im Machtdreieck ein politikgestalterischer Gravitationskern erkennen? Unter Berücksichtigung dieses dreidimensionalen Fragenhorizonts werden im nachfolgenden die zentralen Untersuchungsergebnisse systematisch in folgenden Unterkapiteln zusammengefaßt: - Einfluß der Akteure auf Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck; - Konfliktregelungs- und Konsensfmdungsmechanismen im Machtdreieck; - Gravitationskern des Machtdreiecks. Ihren Abschluß fmdet die Studie schließlich in sieben übergeordneten, aus der Analysearbeit dieser Studie abgeleiteten Thesen zur Politikgestaltung im Machtdreieck.

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse Einfluß der Akteure aufPolitikgestaltungsprozesse im Machtdreieck

Ausgehend von der im Untersuchungsrahmen vorgenommenen Differenzierung von Politikgestaltung nach den Phasen Politikeingrenzung (Problemwahrnehmung, Agendasetting) sowie Beschlußfassung (Programm- und Zielbildung) können hinsichtlich der Einbeziehung der Akteure des Machtdreiecks in Politikgestaltungsprozesse folgende Untersuchungsergebnisse festgehalten werden:

Phase der Politikeingrenzung Eine wichtige Agendasettingfunktion, dies zeigten die Fallstudien, fiel den Koalitionsgesprächen und den Koalitionsvereinbarungen zu. Die Themenfelder, die sich hier widerspiegelten und formuliert wurden, bestimmten die politische Agenda in der folgenden Legislaturperiode und steckten einen, allerdings inhaltlich zunächst nur vage defmierten Arbeitsrahmen ab. Entsprechend fiel vor allem denjenigen Akteuren aus dem Machtdreieck eine zentrale Filterfunktion politischer Initiativen und Themen zu, die an der Aushandlung der Koalitionsvereinbarungen beteiligt waren. Die Filterfunktion umfaßte die Auswahl und Defmition der gouvernementalen und parlamentarischen Arbeitsschwerpunkte der folgenden Legislaturperiode. Die CDU-Verhandlungslinie wurde dabei innerhalb des Machtdreiecks von der CDU-Führung und hier wiederum vom CDU-Präsidium maßgeblich vorbestimmt. Die im Vergleich zum CDU-Vorstand wesentlich geringere Größe und seine personelle Zusammensetzung prädestinierten das CDU-Präsidium fur diese Aufgabe. In diesem Gremium waren u. a. mit dem Bundeskanzler, dem Bundesfmanzminister sowie ab 1985 mit dem Minister fur besondere Aufgaben zentrale CDU-Regierungsakteure ebenso vertreten wie der Vorsitzende der Unionsfraktion und die CDU-Ministerpräsidenten, die im Bundesrat in den achtziger Jahren über eine strategische Mehrheit verfugten und daraus resultierend einen eigenständigen Machtfaktor innerhalb des CDU-Präsidiums darstellten. Die Vorbereitung der Koalitionsverhandlungen und ihre Durchfuhrung wurde innerhalb des Machtdreiecks von den Regierungsmitgliedern im CDUPräsidium dominiert. Obgleich mit dem Fraktionsvorsitzenden ein Vertreter der Unionsfraktion Mitglied des CDU-Präsidiums war, so war doch gleichzeitig der Einfluß der Unions fraktion auf das politische Agendasetting begrenzt. Dies wurde z. B. deutlich, als 1987 mit der Aufnahme des Staatszieles Umweltpolitik in die Koalitionsvereinbarung ein Politikbereich auf die Arbeitsagenda der Legislaturperiode gesetzt wurde, der zunächst keineswegs die ungeteilte Zustimmung der Unionsfraktion fand. Beobachtbar war dieser begrenzte Einfluß auf die Inhalte der Koalitionsvereinbarung auch, als mit der Deutschlandpolitik 1987 ein Themenbereich nicht zum Gegenstand des Koalitionspa-

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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pieres wurde, obwohl dies aus der Fraktion erwartet worden war. Allerdings zeigte sich gerade in diesem Politikfeld auch das Beharrungsvermögen der Fraktion. So gelang es, eine Bestätigung deutschlandpolitischer Positionen der Unionsfraktion in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu erreichen. Eine ähnlich differenzierte Beobachtung ließ sich im Bereich der Finanzpolitik machen. Zwar war auch hier der Einfluß der Fraktion auf die Ausarbeitung der Koalitionsverhandlungen als gering anzusehen. Dennoch wurden die finanzpolitischen Experten der Unions fraktion danach in einer vorparlamentarischen Phase bereits frühzeitig in die Konzeptionierung von Gesetzesentwürfen einbezogen. Eine intensive Information der Unionsfraktion als kollektiver Akteur über Vorhaben des Bundesfmanzministeriums erfolgte jedoch in der Regel erst, nachdem Konzepte und Gesetzesentwürfe in Parteiführung und Koalitionsrunde beschlossen worden waren und auf die unmittelbare Einbringung in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß vorbereitet wurden. Das politische Initiativpotential der Unionsfraktion und damit ihr Anteil am Agendasetting im Machtdreieck war im Untersuchungszeitraum nur schwach ausgeprägt und allenfalls schemenhaft erkennbar. Dies zeigte übereinstimmend die Analyse der verschiedenen Fallbeispiele in den drei Politikfeldern. Es gelang der CDU/CSU-Fraktion kaum, nachhaltig Themen auf der politischen Agenda zu plazieren - als Beispiel können die gescheiterten deutschlandpolitischen Initiativen 1984/85 gelten - und diese in ihrer Umsetzung zu forcieren. Erfolgreich konnte aus den Reihen der Fraktion nur dann Agendasetting betrieben werden, wenn die dabei angeregten Themenbereiche auch eine von Bundesregierung und Parteiführung als handlungsrelevant erkannte Dimension besaßen. War dies der Fall, wurde der jeweilige Themenbereich allerdings in der Regel bereits in einer frühen Phase, oftmals zu einem noch vor einer breiten öffentlichen Wahrnehmung liegenden Zeitpunkt, von Regierungsakteuren besetzt. Sie übernahmen die Federführung, dominierten die Prozesse der Meinungsbildung und gestalteten den weiteren Prozeß der Politikeingrenzung. Allerdings scheint dies auch symptomatisch für das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Die Bundesregierung ist es, die im politischen Rampenlicht steht. Ihr Erfog oder Mißerfolg ist es vorrangig, der die Wählergunst beeinflußt und über Wahlsieg und -niederlage der Regierungsparteien und damit auch zu einem wesentlichen Teil über das Schicksal der Abgeordneten der Regierungsfraktionen entscheidet. Vor diesem Hintergrund werden ihr von der Unionsfraktion die erfolgversprechendeh politischen Initiativen überlassen, die Unions fraktion tritt hinter der Bundesregierung zurück. Insgesamt kann festgehalten werden, daß die Phase der Politikeingrenzung von einer engen Interdependenz zwischen CDU-Führung und CDU-Repräsentanten der Bundesregierung im Machtdreieck bestimmt wurde. Sie filterten aus der Vielzahl politischer Themen die AufgabensteIlungen, die auf die politische Tagesordnung gelangen sollten, und strukturierten damit die Agenda der Legis-

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

laturperiode und des parlamentarischen Arbeitskalenders vor. Parteifiihrung und CDU-Ressortleiter entschieden in einem Prozeß - parteipolitischer, - koalitionspolitischer, - öffentlichkeitswirksamer und öffentlichkeitsorientierter Kosten-lNutzenabwägungen über die in die Politikgestaltungsprozesse aufzunehmenden Initiativen und Anregungen. Die drei genannten Dimensionen hatten mit dem Ziel des Regierungserhalts einen gemeinsamen machtpolitischen Nenner und bildeten Grunddeterminanten der Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck. Sachpolitische Aspekte traten dagegen in den Hintergrund. Wie eng die Interdependenzen und Wechselwirkungen im Bereich des Agendasettings zwischen Parteifiihrung und Bundesregierung waren, zeigte sich deutlich in den Politikfeldern Deutschland- und Umweltpolitik: Hier kam es zu einer nachträglichen Anpassung der Parteiprogrammatik in deutschlandund umweltpolitischen Fragen an das Regierungsprogramm beziehungsweise an von der Regierung geschaffene politische Fakten. In Form einer nachvollziehenden beziehungsweise nachholenden Programmarbeit wurde in beiden Politikfeldern versucht, die Regierungspolitik nachträglich durch Anpassungen im Partei programm zu stützen und damit zusätzlich zu legitimieren. Symptomatisch war dabei, daß in beiden Fällen zentrale Parteikommissionen von Akteuren aus dem gouvernementalen Akteursbereich (Hennig, Töpfer) geleitet wurden und die Programm arbeit - insbesondere nach der dargestellten deutschlandpolitischen Panne und den Verwicklungen um den Begriff der Wiedervereinigung - unter aufmerksamer Beobachtung der Regierungszentrale, insbesondere des Bundeskanzlers stand. Von dort wurde sowohl der Zeitpunkt der Aufnahme der Programmarbeit als auch deren Inhalte gesteuert.

Phase der Beschlußfassung Ein im Vergleich zur Rolle im Agendasettingsprozeß differenzierteres Bild ließ sich hinsichtlich der Unionsfraktion in bezug auf die im Machtdreieck ablaufenden Programm- und Zielbildungsprozesse erkennen. In allen drei untersuchten Politikfeldern konnte insgesamt gesehen ein differenzierter Einfluß der Unionsfraktion auf die Beschlußfassung in den jeweiligen Sachfragen aufgezeigt werden. Auch wenn vordergründig die Politik der Bundesregierung von der Fraktion weitgehend mitgetragen wurde, geschah dies keineswegs immer in einer womöglich in der Öffentlichkeit als solcher erscheinenden weitgehenden Einvernehmlichkeit. So wurden in der Unionsfraktion normative/ programmatische Veränderungen und Versuche der Neutarierung im Bereich der Deutschlandpolitik sowohl auf der Ebene der CDU-Programmatik als auch auf der der Regierungsagenda aufmerksam registriert und entsprechend gegen sie durchaus mit Erfolg - interveniert. Allerdings beschränkte sich der Einfluß der

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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Unionsfraktion ausschließlich auf nonnative Aspekte. Die operativen Elemente der deutschlandpolitischen Politikgestaltung lagen außerhalb ihrer Einflußsphäre und wurden von der Bundesregierung beziehungsweise dem Bundeskanzleramt autonom organisiert. Dennoch wurden in diesem Politikfeld mit der Korrektur- und Verhinderungsfunktion zwei Funktionen der Unionsfraktion im Interaktionsgeflecht mit CDU-Parteiführung und Bundesregierung exemplarisch deutlich. Beide Funktionen zielten darauf, Entwicklungen - im Fall der Deutschlandpolitik programmatische Neuakzentuierungen - entsprechend den Positionen der Fraktion zu korrigieren und Veränderungen bisheriger Grundlagen zu verhinden. Ähnliches ließ sich auch z. B. in den finanzpolitischen Fallbeispielen beobachten, wenn aus den Reihen der Fraktion frühzeitig die Ablehnung bestimmter Regierungsvorhaben (z. B. Erhöhung der Verbrauchssteuern) signalisiert wurde. Im Bereich der Finanzpolitik - dies läßt sich in ähnlicher Fonn auch für den Bereich der Umweltpolitik konstatieren - machte die Unionsfraktion ihre Interessenlagen in der Phase der Programmfonnulierung durchaus deutlich und konnte im Sinne der bereits erwähnten Korrekturfunktion durch ihre mitunter frühzeitige Einbeziehung an der Erstellung von Gesetzesvorlagen Detailveränderungen der Regierungsvorlagen erreichen. Insgesamt läßt sich festhalten, daß der Einfluß der Unionsfraktion im Machtdreieck umso höher war, je frühzeitiger sie in Politikgestaltungsprozesse involviert wurde. Ihre Möglichkeiten zum Einbringen eigener Positionen und ihr Veränderungspotential im Hinblick auf Regierungsvorlagen war in vorparlamentarischen Phasen und den damit einhergehenden infonnellen Gesprächen wesentlich höher als in Phasen, in denen Regierungsvorlagen etc. im Parlament fonnell behandelt wurden. Hier war der Aktionsspielraum der Unionsfraktion eingeengt. Die Fraktion wurde gegenüber der Regierung in eine Unterstützungsfunktion gedrängt, die es ihr nicht mehr ennöglichte, Vorlagen der Regierung nachdrücklich zu korrigieren oder gar zu verhindern, wollte sie die von ihr getragene Regierung nicht desavouieren. Die Fraktion übernahm in diesen Situationen, angeführt von Mitgliedern des Fraktionsvorstandes, eine parlamentarische und öffentliche Mentorenrolle für die Regierung. Eine besondere Problematik ergab sich vor allem im Verhältnis von Bundesregierung und Unionsfraktion verschiedentlich (Spitzensteuersatz, Flugbenzin) aus dem Status einer Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und dem darin für die Abgeordneten der christlich-demokratischen und christlichsozialen Schwesterparteien latent angelegten Spannungsfeld zwischen Parteien-, Fraktions- und Regierungsloyalität. Trat dieses Spannungsfeld in konkreten Einzelsituationen offen zu Tage, war nicht nur die Fraktionsführung als zwischen den einzelnen Gruppen innerhalb der Fraktion und als zwischen Regierung und Gesamtfraktion vennittelnde Instanz gefragt. Auch Mitglieder der Bundesregierung (Bundeskanzler, Minister für besondere Aufgaben im Bun-

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

deskanzleramt, Ressortminister) traten vor die Fraktion und verdeutlichten den Abgeordneten nicht nur die sachpolitischen Dimensionen einer Unterstützung von z. B. umstrittenen Regierungsvorlagen, sondern auch die machtpolitische Notwendigkeit dieser Unterstützung beziehungsweise die Konsequenzen einer Verweigerung. Sie versuchten damit (in der Regel erfolgreich) die Loyalitätskonflikte zugunsten des Systemerhalts, d. h. des Erhalts der Regierungsfahigkeit der Koalition, aufzulösen. Die parlamentarische Unterstützung der Unions fraktion gegenüber der Bundesregierung wurde mobilisiert. Diese Unterstützungsfunktion war auch offensichtlich, wenn nach Absprache von Fraktionsführung und zuständigem Ministerium aus den Reihen der Unionsfraktion zwecks Beschleunigung des parlamentarischen Verfahrens parallel zur Bundesregierung eine Gesetzesinitiative in den parlamentarischen Beratungsprozeß eingebracht wurde, die im zuständigen Ressort formuliert, von Parteiführung, Koalitionsrunde und Kabinett gebilligt, aber der Mehrzahl der Abgeordneten kaum oder überhaupt noch nicht zur Kenntnis gebracht worden war. Die enge Verwebung vor allem von Unionsfraktion beziehungsweise Fraktionsführung und Bundesregierung wurde zudem dann deutlich, wenn es Fraktionsmitglieder - vorzugsweise aus der Fraktionsführung und/oder dem Vertrautenkreis des Bundeskanzlers - im Parlament übernahmen, durch Stellvertreterreden die Akzeptanz von Regierungspositionen auf ihre Mehrheitsfahigkeit hin zu testen oder durch Redebeiträge Kritik vom Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden abzulenken und ihm gleichzeitig die Möglichkeit zu versöhnlichen, die eigenen Reihen schließenden Plenarbeiträgen zu geben. Es wurde zudem noch eine weitere Ausprägung der Unterstützungsfunktion im Verhältnis von Unionsfraktion und Bundesregierung deutlich: So konnte durchaus die Fraktion bei Ressortstreitigkeiten zwischen Ministern durch die Veröffentlichung von Stellungnahmen oder die Abgabe öffentlicher Voten zum Entscheidungskatalysator werden und durch ihre Unterstützung beziehungsweise Ablehnung von Positionen die Beschlußfassung innerhalb der Regierung nachhaltig beeinflussen. Während sich für die Phase der Politikeingrenzung eine wichtige Funktion des CDU-Präsidiums für das politische Agendasetting im Machtdreieck konstatieren ließ, begrenzte sich die Funktion in der Phase der Programm- und Ziel bildung auf den unmittelbaren Parteibereich. Bezüglich der Programmarbeit der CDU als Parteiorganisation waren Präsidium - und in abgemildertem Maße der Bundesvorstand - zentrale Akteure, die die inhaltlichen Grundausrichtungen der Programmformulierung vorstrukturierten. Der Einfluß des CDU-Präsidiums als kollektiver Akteur auf die parlamentarischen Politikgestaltungsprozesse wie auf die operativen Politikbereiche (Deutschlandpolitik, Gründung des Umweltministeriums) war dagegen kaum vorhanden. Seine Rolle begrenzte sich hier vornehmlich auf die des Koordinationsgremiums, in dem in den jeweiligen Situationen durch Interessenkoordination ein Ausgleich

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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in erster Linie zwischen CDU-Ministerpräsidenten und Unionsfraktion versucht wurde. Es waren vor allem individuelle Akteure, die in ihrer Doppelrolle als Mitglieder von Parteifiihrung und Bundesregierung - so Kohl, Schäuble, Stoltenberg und Wallmann - in die Politikgestaltungsprozesse eingriffen und diese je nach Lage forcierten, bremsten oder in ihrer Richtung korrigierten.

Korifliktregelungs- und Konsensfindungsmechanismen im Machtdreieck

Wenngleich Konfliktregelungs- und Konsensfindungsmechanismen im Akteursdreieck situations- und akteursorientierte Grundmuster erkennen ließen, waren sie in ihren Abläufen keineswegs standardisiert. Konfliktregelung und Konsensfindung erfolgten auf unterschiedlichen formellen wie informellen Ebenen. Neben Aussprachen zwischen Mitgliedern aus Regierung und Unions fraktion während der Fraktionsversammlung oder der Interessenabstimmung in CDU-Präsidium und Vorstand trat begleitend oftmals eine informelle Koordination. Dazu zählten Gespräche zwischen Regierungsmitgliedern und fachpolitischen Sprechern der Unionsfraktion, bilaterale Abstimmungen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und der Fraktionsfiihrung, Sondierungsgespräche des Bundeskanzlers oder von Ressortministern mit den CDU-Ministerpräsidenten. Aus diesen formellen und informellen Koordinationen bildete sich im Akteursdreieck ein Konfliktregelungs- und Konsensfmdungsnetz, dessen Ziel es war, eine möglichst hohe Geschlossenheit von CDU-Führung, Unions fraktion und CDU-Repräsentanten in der Bundesregierung in den jeweils zur Regelung anstehenden Problemfeldern und Sachfragen zu erreichen. Ziel war es dabei zum einen, den machtpolitischen Einfluß des Machtdreiecks im Führungszentrum zu erhalten und damit zum anderen zugleich die Regierungskoalition zu stabilisieren. Neben den bereits genannten Aspekten ließen sich zwei Grundprinzipien der Konfliktregelungs- und Konsensfindungsmechanismen in den Fallstudien nahezu durchgängig beobachten: - In die Konfliktregelung und Konsensfmdung wurden in der Regel nur die unmittelbar betroffenen Akteure einbezogen. Dies hatte einen zweifachen Vorteil: Durch die begrenzte Akteurszahl blieb zum einen ein Mindestmaß an Vertraulichkeit der Gespräche gewahrt, zum zweiten wurde die Kompromißfmdung nicht durch die Berücksichtigung der Interessenlagen von Akteuren erschwert, die fiir den Gesamtentscheidungsprozeß nicht von unmittelbarer Bedeutung waren. So wurden Streitfragen zwischen Unionsfraktion und Bundesregierung in der Regel direkt und ohne Zwischenschaltung z. B. des CDU-Präsidiums gelöst. Dies konnte entweder in bilateralen Gesprächen zwischen Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzendem, durch gemeinsame Sondierungsrunden von Mitgliedern der Bundesregierung und der

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

CDU/CSU-Fraktion oder durch Reden des Bundeskanzlers, des Ministers für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt sowie von Ressortleitern vor der Unionsfraktion und durch ihre Bereitschaft, sich dort der Diskussion zu stellen, geschehen. Das Präsidium der CDU übernahm vor allem dann die Funktion einer wichtigen ClearingsteIle im Akteursdreieck, die über den bloßen Austausch von Interessen und Positionen hinausging, wenn Dissens in Sachfragen auftrat, die die föderalistische Struktur des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland betrafen und damit eine intensive Abstimmung zwischen Bundesregierung, Unionsfraktion und CDU-Länderregierungen notwendig machten. Dies konnte in den Fallstudien zur Finanzpolitik und in Teilbereichen der Umweltpolitik (Staatszielfrage) nachgewiesen werden. Aufgrund seiner Zusammensetzung und der Einbindung von zentralen CDU-Akteuren aus Bundesregierung (Bundeskanzler, Finanzminister, Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt), Parteiorganisation (Generalsekretär), aus Unionsfraktion (Fraktionsvorsitzender) und CDU-regierten Bundesländern (Ministerpräsidenten) war das Präsidium für die Ausarbeitung von politischen Leitlinien und Kompromißformeln prädestiniert, die die Voraussetzung für eine übereinstimmende Politik von Bundesregierung, Mehrheitsfraktion im Deutschen Bundestag und Mehrheit im Bundesrat bildeten. Konflikte zwischen CDU-Bundesministern wurden dagegen in der Regel bilateral beziehungsweise unter Moderation von Bundeskanzler Kohl geregelt und nur dann zum Gegenstand der Tagesordnung im Präsidium, wenn sie in ihrer inhaltlichen beziehungsweise sachpolitischen Wirkung weitere Akteurskreise, wie zum Beispiel die CDU-Ministerpräsidenten, betrafen. - Ein wichtiger Konflikt- und Konsensfmdungsmechanismus, der sich vor allem hinsichtlich der ClearingsteIle CDU-Präsidium beobachten ließ, war der Verzicht auf formale Abstimmungen am Ende eines Diskussionsprozesses. Dieser - durchaus über einen längeren Zeitraum von mehreren Tagen oder Wochen andauernde - Prozeß der Erörterung und Diskussion von kontroversen politischen Sachfragen oder auch von Inhalten der Koalitionsvereinbarungen zwischen den Akteuren des CDU-Präsidiums fand seinen Abschluß in der Regel durch eine resümierende Stellungnahme des Bundesvorsitzenden, in der die zuvor deutlich gewordene Mehrheitsmeinung unter Berücksichtigung auch der Gegenargumente zusammengefaßt und als künftige politische Handlungsleitlinie ausgegeben wurde. Drei polit-strategisch bedeutsame Aspekte lassen sich in dieser Verfahrensweise erkennen: - Zum einen wurde durch dieses Verfahren den involvierten Akteuren der Eindruck vermittelt, daß ihre Argumente von Gewicht waren, das Gehör des CDU-Bundesvorsitzenden und Bundeskanzlers gefunden hatten und in den jeweiligen Meinungsbildungsprozeß einbezogen wurden.

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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- Zum zweiten verblieb durch den Verzicht auf eine formale Abstimmung auch denjenigen, die nicht die Mehrheitsmeinung unterstützten, genug Interpretationsspielraum, je nach Notwendigkeit und Bedarf in der Öffentlichkeit ihren Beitrag und Anteil an der gefundenen Lösungsformel zu unterstreichen. Insgesamt unterblieb mit diesem Verfahren eine schwarz-weiß Kategorisierung von Verlierern und Gewinnern in der Auseinandersetzung um politische Sachfragen. Mit dieser Vorgehensweise konnte zugleich der Eindruck der Geschlossenheit der Akteure des Machtdreiecks nach außen gestärkt werden. - Zum dritten erhöhte sich durch nicht eindeutig fixierte Ergebnisse der Verhandlungspielraum der Unterhändler in Koalitionsgesprächen und -verhandlungen. Dies war insbesondere vor dem Hintergrund von Kohls Moderatorenrolle in Koalitiongesprächen, bei der er die Interessen der CDU, des Machtdreiecks und die der Regierungskoalition als Ganzes im Auge behalten mußte, von Bedeutung.

Gravitationskern des Machtdreiecks

Die Analyse der Politikfelder zeigte rur den Untersuchungszeitraum deutlich einen Gravitationskern im Machtdreieck von Parteifiihrung, Unionsfraktion und Bundesregierung, der von der Person des Bundeskanzlers und CDU-Parteivorsitzenden gebildet wurde. Um diesen Gravitationskern gruppierten sich die Akteure im Machtdreieck CDU-Führungsgremien, Unions fraktion und CDURepräsentanten in der Bundesregierung. Von ihm ging stabilisierende Wirkung auf das Machtdreieck aus. Kohl versuchte durch - Sondierung von Stimmungen und Positionen, - Koordination von unterschiedlichen Interessen und Moderation von Kompromissen, - Ausübung von Zeitdruck, - unterschwellig angedeutete, aber nie konkret formulierte Rücktrittsdrohungen, - Ausschluß von Störenfrieden aus Verhandlungssituationen, - Vorgabe von inhaltlichen Eckdaten, - persönliche Überzeugungsarbeit und Werbung für Konzepte oder politische Lösungsvorschläge die jeweiligen Politikgestaltungsprozesse voranzutreiben und gegebenenfalls in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Dazu zählte auch, daß Kohl kontroverse Sachfragen zur Chefsache erklärte, wenn die Gefahr bestand, daß sie eine image- oder gar machtgeflihrdende Dimension für die von ihm geführte Regierung oder seine eigene Stellung annahmen. Er forcierte dann persönlich, entweder durch Vorbereitung auf informellen Ebenen oder durch Auftritte vor der Unionsfraktion eine abschließende Entscheidungsfmdung und Beschlußfassung. Nur in wenigen Situationen fungierte dabei der Gravitationskern des

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

Machtdreiecks auch als Entscheidungszentrum. Kohl traf nur in seltenen Fällen "einsame Entscheidungen". Wenn Kohl auch oftmals auf die Einbeziehung der kollektiven Akteure des Machtdreiecks bei seiner Entscheidungsfmdung verzichtete, so traf er seine Entscheidungen in der Regel aber erst nach einem Beratungs- und Abstimmungsprozeß, in den - je nach Situation unterschiedliche individuelle Akteure des Machtdreiecks oder Mitarbeiter aus seinem engeren Umfeld (z. B. Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt oder zu einem frühen Zeitpunkt in den achtziger Jahren der CDU-Generalsekretär) einbezogen waren. Zu diesen Entscheidungen zählten in erster Linie Personalentscheidungen oder in einer schwierigen politischen Situation die Gründung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Durch die Personalunion von Bundeskanzler und CDU-Bundesvorsitzendem verfügte Helmut Kohl über zwei zentrale Ämter im Akteursdreieck, die zum einen eine Austarierung der Binnenstrukturen des Machtdreiecks und zum anderen die Koordination des Machtdreiecks mit anderen Akteursgruppen im Führungszentrum des Regierungssystems ermöglichten. Hinzu kam Kohls Einfluß auf die Unionsfraktion, der nicht nur aus seinem Abgeordnetenmandat und seiner Stellung als Bundeskanzler, sondern insbesondere aus seiner Zeit als Oppositionsführer und ehemaliger Fraktionsvorsitzender resultierte. Ihm gelang es, bis in die späten achtziger Jahre diese relativ hohe Loyalitätsbindung der Abgeordneten ihm gegenüber zu erhalten. Ein wesentlicher Faktor war dabei seine diskrete, aber stets vorhandene Einflußnahme auf die Besetzung von Ämtern in der Fraktionsführung und sein in der Fraktion aufgebautes Informationsnetz. Selbst in Phasen, in denen das Verhältnis von Regierung und Unionsfraktion Spannungen unterlag - so z. B. 1988 -, wurden diese nicht primär ihm, sondern vorrangig der Fraktionsführung um Dregger angelastet. Die Fallstudien zeigten, daß Kohl sich jeder Zeit seiner Doppelrolle als Bundeskanzler und Parteivorsitzender und seiner Stellung in der Unionsfraktion bewußt war. Er instrumentalisierte diese Personalunion, indem er je nach Bedarf verstärkt als Partei- oder Koalitionskanzler agierte. Im Bewußtsein, latent unter kritischer Beobachtung der konservativen Deutschlandpolitiker in der Unionsfraktion zu stehen, achtete Kohl im Bereich der Deutschlandpolitik auf die Konstanz der programmatischen/normativen Grundlagen. In diesem Politikfeld war Kohl in erster Linie Parteikanzler, der auf die Wahrung der Unionsinteressen bedacht war, gleichzeitig aber durch die Anbindung der Deutschlandpolitik an das Kanzleramt Freiheiten in der operativen Politikgestaltung hatte, die wiederum die Erwartungshaltung des liberalen Koalitionspartners befriedigte. Im Bereich der Finanzpolitik dagegen war Kohl verstärkt Koalitionskanzler. In diesem Politikfeld mußte der starken Stellung vor allem der FDP Rechnung getragen werden, deren starke Position dabei nicht zuletzt aus einer Zersplitterung des Unionslagers in finanzpolitischen Fragen resultierte. Handelte Kohl verstärkt als Koalitionskanzler, konnte dies zugleich immer auch als Ausdruck

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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seiner unangefochtenen Stellung innerhalb der CDU begriffen werden. Im Bereich der Umweltpolitik und der nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl entstandenen Bedeutung dieses Politikfeldes waren die Funktionen von Partei- und Koalitionskanzler weitgehend deckungsgleich. Dies lag vorrangig daran, daß sowohl innerhalb des Machtdreiecks als auch in der Koalitionsregierung die strategische und machtpolitische Dimension dieses Politikfeldes und der daraus resultierende Handlungsbedarf erkannt worden war und es damit zu einer weitgehenden Kohärenz von Interessen des Machtdreiecks und der Gesamtkoalition kam. Die Personalunion von Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzendem erforderte insgesamt gesehen nicht nur einen ständigen Balanceakte zwischen den im Machtdreieck formulierten Positionen und denen der Koalitionspartner, sondern sie bot Kohl zugleich ein gehöriges Maß an Handlungsspielraum, der wiederum politikgestaltende Wirkung haben konnte. Dieser Handlungsspielraum ergab sich daraus, daß Kohl als Parteivorsitzender Entscheidungen in der CDU-Führung oder vor der Unionsfraktion blockieren oder forcieren konnte, indem er auf seine Verpflichtungen als Bundeskanzler und Chef einer Koalitionsregierung und die daraus resultierende Berücksichtigung der Interessen der Koalitionspartner verwies und damit unterschwellig an den im Machtdreieck vorhandenen Systemerhaltungstrieb, d. h. den Erhalt der Regierungsfahigkeit, appellierte. 1 Mit der Personalunion von Bundeskanzler und Parteivorsitzendem und in Kohls konsequenter Nutzung der sich daraus ergebenden Möglichkeiten wurde zudem die formale verfassungsrechtliche und organisatorische Trennung von Partei, Fraktion und Regierung überwunden. Kohl operierte - allenfalls kam ihm hierin noch der Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt gleich - an der Schnittstelle dieser drei Akteursgruppen und beeinflußte damit maßgeblich die Politikgestaltungsprozesse in dem von ihnen gebildeten Dreieck.

Abschließende Thesen zur Politikgestaltung im Machtdreieck

Mit Blick auf das untersuchte Machtdreieck und den dabei ablaufenden Politikgestaltungsprozessen lassen sich nachfolgende, übergeordnete sieben Thesen ableiten. Sie verdeutlichen zusätzlich zu den dargestellten Ergebnissen die unterschiedlichen Aspekte und Ebenen, die es bei einer umfassenden Betrachtung und adäquaten Beurteilung von Politikgestaltungsstrukturen zu berückI Wenngleich dies nicht expliziter Gegenstand dieser Untersuchung war, wurde jedoch auch an verschiedenen Stellen der Studie deutlich, daß dieser Mechanismus auch in Koalitionsgesprächen in die umgekehrte Richtung funktionierte, indem Kohl dort Entscheidungen durch den Verweis auf den Druck aus seiner Partei blockieren oder forcieren konnte.

26 Gros

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

sichtigen gilt, und charakterisieren zugleich einen Ausschnitt des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Damit stellen sie einen Beitrag zur Fortschreibung der politics-Forschung dar. Gleichwohl gilt es, die Ergebnisse in weiteren Untersuchungen in zweifacher Weise zu überprüfen und damit ihren Gebrauchswert zur Theoriebildung in diesem politikwissenschaftlichen Forschungsbereich abzusichern: Zum einen ist die Aussagekraft der Ergebnisse dieser Studie durch die Analyse weiterer Politikfelder und Fallbeispiele im Untersuchungszeitraum zu verifizieren. Zum zweiten ist der Grad ihrer Allgemeingültigkeit auch vor dem Hintergrund der nach 1989 im Machtdreieck von CDU-ParteifUhrung, Unionsfraktion und Bundesregierung erfolgten Neuausrichtungen zu testen. - Das Machtdreieck ist grundsätzlich auf Stabilität und Machterhalt angelegt. Dies begrenzt per se das politische Krisen-Eskalationsniveau im Machtdreieck und erhöht die Kompromißbereitschaft der Akteure. - Zur Stabilität des Machtdreiecks tragen personelle Verschränkungen zwischen den einzelnen Akteursgruppen wesentlich bei. Sie dienen nicht nur dem Informationsfluß innerhalb des Machtdreiecks, sondern haben auch disziplinierende Wirkung auf Einzelakteure. Durch Personalunionen und Mehrfachmitgliedschaften werden die individuellen Akteure mit den Interessenlagen der kollektiven Akteure aus unterschiedlichen Blickwinkeln konfrontiert. Dies fördert Kompromißfmdungsprozesse in umstrittenen Sachfragen. - Die Einbeziehung eines individuellen Akteurs im Machtdreieck hängt weniger von den verfassungsrechtlichen oder satzungsmäßigen Voraussetzungen und Möglichkeiten seines Amtes als vielmehr von persönlichen/individuellen Merkmalen des jeweiligen Amtsinhabers ab. Hierzu zählen: Amts- und Politikverständnis; Verankerung in Fraktion und Partei; Einbindung in informelle Gesprächs- und Verhandlungsrunden; Zugang zu Informationen; Durchsetzungskraft und politischer Wille zur Politikgestaltung. Die Einbeziehung von Akteuren in die Politikgestaltungsprozesse im Machtdreieck ist darüber hinaus streng nutzenorientiert und zweckoptimiert. Im Vordergrund stehen immer die Fragen danach, wer wie zur Beschlußfmdung beitragen beziehungsweise diese durch Störpotentiale im Machtdreieck behindern kann. Akteure, fUr die weder der eine noch der andere Aspekt zutrifft, bleiben von Politikgestaltungsprozessen weitgehend ausgeklammert, auch wenn sie im GesamtgefUge der CDU formal wichtige Funktionen einnehmen, wie z. B. die CDU-OppositionsfUhrer in Landtagen oder die Vorsitzenden von Parteigliederungen. - Das Machtdreieck ist von einem Netz persönlicher Loyalitäten und gegenseitiger Abhängigkeiten durchzogen. In die ParteifUhrung der CDU gelangt in der Regel niemand, der nicht die Zustimmung des Bundesvorsitzenden

E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

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fmdet. Die Fraktionsleitung ist mit Personen besetzt beziehungsweise durchsetzt, die - vor allem in Krisensituationen - ftlr die Interessen des Bundeskanzlers eintreten, die Akzeptanz von Positionen in der Fraktion vorsondieren, Stimmungslagen eruieren und die Ergebnisse dem Bundeskanzler zutragen sowie maßgeblich dazu beitragen, ftlr ihn Unterstützung in der Unionsfraktion zu mobilisieren. Ein wichtiger Stabilitätsanker vor allem in der Beziehung Bundeskanzler - Unionsfraktion ist der Fraktionsvorsitzende. Unabhängig davon, ob ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzendem vorliegt, sind ein hohes Maß gegenseitiger Loyalität und der Ausschluß von Rivalitäten zum möglichst reibungslosen Ablauf von Politikgestaltungssprozessen auf der Ebene BundesregierungUnionsfraktion notwendig. Dazu zählen: Der Bundeskanzler läßt dem Fraktionsvorsitzenden Handlungsspielräume im Umgang mit der Fraktion und der Vertretung ihrer Interessen; der Fraktionsvorsitzende entwickelt im Gegenzug keine offensiven Kanzlerambitionen. Beide stützen sich wechselseitig in Krisensituationen und bilden damit einen Stabilitätsanker im Machtdreieck. - Das Kabinett ist als kollektiver Akteur im Machtdreieck von nachgeordneter Bedeutung. Seine Beschlußfassungskompetenz beschränkt sich weitgehend darauf, anderen Ortes getroffene Entscheidungen nachzuvollziehen und ihnen offiziellen Charakter zu verleihen. Von hervorgehobener Bedeutung im Machtdreieck sind dagegen individuelle Regierungsakteure. Sie beeinflussen Meinungsbildungsprozesse im Machtdreieck wesentlich und strukturieren Beschlußfassungen vor. Allerdings steht ihr Einflußpotential in unmittelbarer Wechselwirkung mit ihrer machtpolitischen Stellung und Akzeptanz in Unionsfraktion und Partei. Je höher die Verankerung in Fraktion und Partei ist, um so größer ist ihr Einflußpotential in beiden Akteursgruppen, umso größer ist aber auch ihr Durchsetzungpotential innerhalb der Bundesregierung. - Die Analyse der Politikgestaltungsstrukturen im Machtdreieck zeigt, daß Konflikte von Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung auch bei einer Mehrheit der CDU-Ministerpräsidenten in der Länderkammer latent vorhanden sind und ausgetragen werden. Es kann keineswegs von einer automatischen Interessenkohärenz vor allem von Unionsfraktion und CDU-Vertretern im Bundesrat gesprochen werden. Die CDU-Ministerpräsidenten verftlgen in Fragen, die die Länderebene betreffen, de facto über eine Vetofunktion. Allerdings werden diese Konflikte weniger öffentlich wahrnehmbar geregelt, als vielmehr durch informelle Konfliktregelungsmechanismen innerhalb des Machtdreiecks und damit abseits institutioneller Regelungsmechanismen (Vermittlungsausschuß) beigelegt. - Wenn sich auch, wie dargestellt, bestimmte Interaktionsfiguren im Machtdreieck erkennen lassen, so ist jedoch kein allgemeingültiges, universelles Ablaufmuster oder Phasenmodell zur Erklärung von Politikgestaltungspro-

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E. Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

zessen rur das Machtdreieck ableitbar. Gleichwohl kann konstatiert werden, daß Mechanismen und Strukturen der Politikgestaltung in erster Linie von - situativen (Grad des politischen Handlungsbedarfs), - akteursspezifischen (Anzahl und Ebenen der involvierten Akteure) und - politikfeldbezogenen (operative Politik, Programmarbeit, Gesetzgebungsprozeß) Faktoren und Merkmalen determiniert werden. Mit dem Blick unter die Oberfläche vertrauter Vorstellungen und Kenntnisse formeller, institutioneller Verantwortlichkeiten wurden in dieser Studie strukturelle und prozessurale Tiefendimensionen eines zentralen Teilbereiches des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland freigelegt. Damit wurde ein Ausschnitt bundesdeutscher Verfassungswirklichkeit auf empirischer Basis analytisch aufgearbeitet.

F. Anhang I. Bibliographien, Materialien, Quellen Buchstab, Günter (Bearb.): Adenauer: "Es muß alles neu gemacht werden." Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953, Stuttgart 1986. - Adenauer: "Wir haben wirklich etwas geschaffen." Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957, Düsseldorf 1990. - Adenauer: " ... um den Frieden zu gewinnen". Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961, Düsseldorf 1993.

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32. Bundesparteitag. 8.-11. Mai 1984. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Stuttgart, Bonn o. 1.

- Tagesprotokoll. 32. Bundesparteitag. 9.-11. Mai 1984. Stuttgart, Bonn 0.1. - 33. Bundesparteitag. 19.-22. März 1985. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Essen, Bonn o. 1. - Protokoll. 33. Bundesparteitag. 20.-22. März 1985. Essen, Bonn o. J. - 34. Bundesparteitag 6.-8. Oktober 1986. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Mainz, Bonn o. 1. - Protokoll. 34. Bundesparteitag. 7./8. Oktober 1986. Mainz, Bonn o. 1. - Umweltpolitik der CDU in der 11. Legislaturperiode: Neue Phase für Umwelt- und Naturschutz, o. O. 6.1.1987. - 35. Bundesparteitag. 9. November 1987. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Bonn, Bonn o. J.

406

F. Anhang

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10.-13. September 1989. Bericht der Bundesgeschäftsstelle. Anlage zum Bericht des Generalsekretärs. Bremen, Bonn o. J.

- Protokoll. 37. Bundesparteitag. 11.-13. September 1989. Bremen, Bonn o. J.

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sehen - Konstanten und Wandlungen. Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung 1945149-1990, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Bd. V/3: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-Baden 1995, S. 2798-2962. Weidner, Helmut: Reagieren statt Agieren: Entwicklungslinien staatlicher Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Ökologie, Nr. 23, 1991, S. 14-22. Westheide, Eberhard: Zur Einführung bleifreien Benzins und zur Herabsetzung der Schadstoffe in Kraftfahrzeugabgasen. Die Initiativen der Bundesregierung, in: Eichholz Brief, Nr. 1, 1984, S. 61-68. Wewer, Göttrik: Richtlinienkompetenz und Koalitionsregierung: Wo wird die Politik definiert?, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 145-150. Wildenmann, Rudolf: Partei und Fraktion. Ein Beitrag zur Analyse der politischen Willensbildung und des Parteiensystems in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Meisenheim am Glan 1955. WindhojJ-Heritier, Adrienne: "Policy" und "Politics" - Wege und Irrwege einer politikwissenschaftlichen Policy-Theorie, in: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 24, 1983, S. 347-360.

- Policy-Analyse: Eine Einführung, Frankfurt a. M./New York 1987. Winter, Thomas von: Die Christdemokraten als Analyseobjekt oder: Wie modem ist die CDU-Forschung?, in: Oskar NiedermayerlRichard Stöss (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993, S. 57-80. Zimmer, Matthias: Nationales Interesse und Staatsräson. Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl 1982-1989, Paderborn u. a. 1992.

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426

F. Anhang

III. Verzeichnis der Hintergrund- und Zeitzeugengespräche 1 - Dr. Warn/ried Dettling (Leiter Hauptabteilung Politik im Konrad-Adenauer-Haus bis 1983; Ministerialdirektor im Bundesministerium filr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1983-1991), 29.1.1996 in München (Expertenkolloquium). - Dr. Stephan Eisel (Redenschreiber im Bundeskanzleramt 1983-1987; stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros ab 1987), 20.1.1995 in Mainz (Expertenkolloquium). - Hermann Hofmann (Journalist), 19.7.1996 in München. - Wolfgang Kramer (Referent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), 13.8.1996 und 2.7.1997 in Bonn. - Dr. Paul Laufs (innen- bzw. umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion 1983-1988; stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ab 1988), 10.9.1997 in Bonn. - Rudolf Seiters (Parlamentarischer Geschäftsfilhrer der CDU/CSU-Bundestagsfrakti on 1982-1984; 1. Parlamentarischer Geschäftsfilhrer der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion 1984-1989; Bundesminister filr besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ab 1989), 13.3.1996 in Bonn. - Dr. Gerhard Stoltenberg (Bundesminister der Finanzen 1982-1989; stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU), 14.7.1997 in Bonn. - Prof Dr. Klaus Töpfer (Bundesminister rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ab 1987), 11.9.1997 in Bonn. - Dr. Bernhard Vogel (rheinland-pfälzischer Ministerpräsident bis 1988; Mitglied des CDU-Präsidiums und CDU-Bundesvorstandes), 22.7.1997 in Erfurt. - Dr. Bernhard Worms (Mitglied des CDU-Präsidiums und CDU-Bundesvorstandes), 2.7.1997 in Bonn.

I Angegeben sind jeweils die Ämter und Funktionen der Akteure im Untersuchungszeitraum.

IV. Zusammenstellung "Mitglieder CDV-Bundesvorstand"

IV. Zusammenstellung: ,,20 weitere Mitglieder des CDU-Bundesvorstandes"l 31. Bundesparteitag (25./26.5. 1983)

Breuel, Birgit

Biedenkopf, Kurt

Diepgen, Eberhard

Breuel, Birgit

Fink, VIf

Diepgen, Eberhard

Hasselmann, Wilfried

Hasselmannn, Wilfried

Hellwig, Renate

Herzog, Roman

Pieroth, Elmar

Koch, Gottfried

Scherer, Werner

Pieroth, Elmar

Schwarz-Schilling, Christi an

Ritz, Burkhard

Teufel, Erwin

Scherer, Werner

Thoben, Christa

Schwarz-Schilling, Christian

Verhülsdonk Roswitha

Teufel, Erwin

Vogel, Bernhard

Vogel, Bernhard

Waffenschmidt, Horst

Vogel, Friedrich

Wex, Helga

Waffenschmidt, Horst

Windelen Heinrich

Wallmann, Walter

Wissmann, Matthias

Wex, Helga

Wörner, Manfred

Windelen, Heinrich

ZeiteI, Gehard

Wissmann, Matthias Wörner, Manfred

35. Bundesparteitag (9.11.1987)

ZeiteI, Gerhard

Biedenkopf, Kurt Böhr, Christoph

33. Bundesparteitag (20.-22.3.1985)

Breuel, Birgit

Biedenkopf, Kurt

Diepgen, Eberhard

Böhr, Christoph

Fink, VIf

I

Quellen: CDV-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Bundesparteitag 1983 ff.

427

428

F. Anhang

Hasselmann, Wilfried

Breuel, Birgit

Hellwig, Renate

Diepgen, Eberhard

Jacoby, Peter

Fischer, Leni

Pieroth, Elmar

Hasselmann, Wilfried

Schäfer, Barbara

Hellwig, Renate

Schwarz-Schilling, Christian

Laurien, Hanna-Renate

Schwerin, Alexander Graf von

Pieroth, Elmar

Teufel, Erwin

Schäfer, Barbara

Thoben, Christa

Schäuble, Wolfgang

Verhülsdonk, Roswitha

Schwarz-Schilling, Christian

Vogel, Bemhard

Schwerin, Alexander Graf von

Waffenschmidt, Horst

Teufel, Erwin

Wissmann, Matthias

Töpfer, Klaus

Worms, Bemhard

Verhülsdonk, Roswitha

Wömer, Manfred

Vogel, Bemhard Waffenschmid, Horst

37. Bundesparteitag (11.-13.9.1989)

Wissmann, Matthias

Biedenkopf, Kurt

Worms, Bemhard

Böhr, Christoph

V. Sachregister

429

v. Sachregister Atomenergie 363

- für Verkehr 307

Außenpolitik 86, 271, 287,371

- für Wirtschaft 122

Auswärtiges Amt 257 Automobilindustrie 304

Bundesministerium - der Finanzen 107 ff., 111 ff., 148, 162,164,179,300 ff. - der Justiz 335

Babygeld 122

- der Verteidigung 90

Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 58, 220, 225 ff., 235 f., 244,263,286,295

- des Innern 26, 108,300 ff., 332 ff., 335 ff., 351

Berliner Erklärung 280, 289

- für Bildung und Wissenschaft 90

Bleifreies Benzin 299 ff.

- für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 26

Briefe zur deutschen Einheit 226, 237, 245,263,291

- für innerdeutsche Beziehungen 56, 107 f., 206, 245, 252 ff.

BundeshaushaItsplan 100

- für Jugend, Familie und Gesundheit 26

Bundeskanzler 65, 72, 84, 86 f., 90, 97 ff., 104, 114ff., 139 ff., 171, 176, 178 ff., 219, 228, 230 ff., 273 ff., 297 ff., 328 ff., 354 ff., 373 ff., 392 ff. Bundeskanzleramt 67, 86, 94, 97 ff., 139, 145,200,204,208,219,225,230 ff., 252 ff., 273 ff. 335, 351 ff. Bundesminister - des Innern 90, 298 ff., 352 ff., 367 - der Finanzen 55, 106, 111 ff., 139 ff., 162 ff., 178 ff., 363, 369, 392, 398

- für Post- und Fernmeldewesen 90 - für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 26, 61, 108 f., 298, 351 ff., 396, 400 - für Wirtschaft 307 Bundesparteitag 65 - 29. (Mannheim) 71 - 31. (Köln) 71 - 32. (Stuttgart) 132, 137,213,334, 341

- der Justiz 330

- 33. (Essen) 71

- für Arbeit 139, 141, 146, 160

- 35. (Bonn) 71, 170,271 f.,371

- für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes 45, 66 f., 72, 84, 100 ff., 139 ff., 176, 189, 219, 252, 273 ff., 392 ff.

- 36. (Wiesbaden) 69,201,271 f., 285, 292,371

- für innerdeutsche Beziehungen 276 ff. - für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 328, 342 ff., 351 ff., 372 ff.

- 37. (Bremen) 69, 71, 73, 383 ff. Bundespräsident 78,97,227 Bundesrat 83, 129, 133, 135,297,310 ff., 341 f., 392 ff. Bundesregierung 13, 15 ff., 20, 26, 31 ff., 42,44,50 f., 53, 55, 57 f., 61, 67, 69,

430

F. Anhang

78, 80, 83 f., 87, 93, 95 ff., 164 ff., 181 ff., 202 ff., 229 ff., 273 ff., 298 ff., 328 ff., 352 ff., 391 ff. - Geschäftsordnung 102, 105, 365, 368 Bundesverfassungsgericht 63, 75, 78, 99, 226,244,286,291 Buschhaus 325

CDA 65, 142, 147,275 CDU 13, 15, 17, 20, 24, 27, 33 ff., 56 f., 65 ff., 81 f., 89, 109, 113 138 ff., 178 ff., 209 ff., 225 253 ff., 272 ff., 328 ff., 351 370 ff., 391 ff.

54, ff., ff., ff.,

- Bundesfachausschuß Umwelt 316 f. , 348,378 ff. - Bundesgeschäftsstelle 29 - Bundesvorstand, 16, 34, 64 ff., 125 ff., 162 ff., 273 ff., 371 ff., 392 ff. - Generalsekretär 64 f., 83, 122, 130, 139, 144, 211, 228, 272 ff., 344, 354 ff., 379 ff., 398, 400 - Kommission Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik, 272 ff. - Kommission Umwelt und Energie 378 ff. - Landesvorsitzende 122, 316 - Ministerpräsidenten 16, 72, 111 , 122 ff., 130, 134 f., 142, 146 f., 156, 159, 167, 170, 172 f., 186 f., 297 ff., 328 ff., 397 ff. - Präsidium 16, 26, 34, 36, 64 ff., 125ff., 139 ff., 170 ff, 198,211, 271 ff., 319 f., 328 ff., 360, 363, 387, 392 ff. - Statut 64

- Umweltprogramm Unsere Verantwortungfor die Schöpfung 370 ff. - Vorsitzender 64 ff., 125 ff., 141, 152, 156, 160, 164 ff., 182, 196, 202, 209 ff., 232, 251 ff., 297 ff., 328 ff., 351 ff., 370 ff., 396 ff. CDU/CSU-Bundestagsfraktion 13, 15 ff., 20, 26, 29, 33, 37, 39 ff., 46 f., 65, 75 ff., 104, 109, 111 ff., 139 ff., 162 ff., 178 ff., 202 ff., 225 ff., 255 ff., 271 ff., 297 ff., 328 ff., 356 ff., 391 ff. - Arbeitsgruppe Außenpolitik 245 - Arbeitsgruppe der Vertriebenen 245 - Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen 94 f., 202 ff., 216 ff., 241, 245, 273 ff. - Arbeitsgruppe Finanzen 94 ff., 115 - Arbeitsgruppe Haushalt 94 f., 115 - Arbeitsgruppe Inneres, Umwelt und Sport 95 f., 332 ff. - Arbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 94 ff. - Arbeitsordnung 76,88,216 - Fraktionsvorsitzender 82, 84 ff., 147, 150, 183, 197 f., 204 ff., 220, 223, 234, 327, 353 ff., 398 - Landesgruppen 42, 81, 88 f., 165 - Parlamentarischer Geschäftsführer 77, 84 ff., 90, 96, 104 f., 112, 139, 199 Chef des Bundeskanzleramtes (s. Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes) CSU 15, 17,47,56,81 f., 89, 109, 127, 138, 143 f., 147, 149, 153 ff., 168, 180, 182, 184 ff., 193, 200, 253 ff., 361 ff., 395 - Landesgruppe 84, 90, 146, 157,244, 316, 332, 365 f.

V. Sachregister DDR 56, 203, 217 f., 221 ff., 226, 240, 244, 258, 278 ff. - Staatsbürgerschaft 210, 226 Deutsche Einheit 27,277,281,291 Deutsche Frage 24, 231, 235, 242, 256, 275,289,291,292 Deutscher Bundestag 37, 40, 53, 65, 78 f., 84, 93, 221, 225, 240, 244, 250, 292, 297,327

Flugbenzinsteuer 178 ff., 395 Föderalismus 61 Fraktionsgemeinschaft 75, 84, 88, 200, 395 Fraktionszwang 42, 76 Friedensvertragsvorbehalt 235 Gemeinsame Entschließung

- Ältestenrat 86

- 1972 225, 291

- Geschäftsordnung 75, 77 ff.

- 1984225

Deutschlandpolitik 13, 17, 22, 27, 32 f., 52,55 ff., 71, 86, 103,202 ff., 225 ff., 252 ff., 271 ff., 391 ff. Deutschlandvertrag 286, 288 Die Grünen 56, 297 Drei-Stufen-Plan 126

431

- 1985225 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien 102 Genscheristen 246 Geraer Forderungen 263 German Historical Institute 58 Grenzfrage (polnische) 227 ff.

EG 113, 121,298 ff., 381 Energiepolitik 372 ff. Enquete-Kommission 56, 78 Europapolitik 287 EVP-Fraktion 65 f., 72

Grenzregime 267 Große Koalition 47, 96 Großfeuerungsanlagen-Verordnung 298 Grundgesetz 62, 75 f., 97 ff., 263, 288, 291,327 ff. Grundlagenvertrag 24, 242 f., 245, 263

Familienlastenausgleich 111, 113 f., 126 FDP 15, 17, 56, 109, 118, 124, 127, 137 f., 143 f., 151, 153, 155 f., 160 f, 168, 180, 182, 190, 218, 222, 226 ff., 238 ff., 253 ff., 299, 336, 344, 366, 369 - Bundestagsfraktion 15, 39, 46, 104, 118, 126, 161,221 Finanzpolitik 13, 17, 22 f., 32 f., 52 ff., 71, 110 ff., 138 ff., 162 ff., 178 ff., 391 ff. Finanzreform 1984 110

"armel-Bericht 280, 288, 293 Honecker-Besuch 169, 202 ff., 223, 267, 286 Hüttenvertrag 374 Jahrhundertvertrag 374 Junge Union 65, 227 ff., 388 Kabinettsprinzip 99

432

F. Anhang

Kanzlerdemokratie 44 f.

Mehrwertsteuer 131, 306 ff.

Kanzlerprinzip 98, 368

Mindestumtausch 202 f.

Kanzlerrunde 344

Mineralölsteuer 301 ff.

Katalysatorauto 297 ff., 381 f.

Mineralölverband 302

Kernenergie 353 ff., 372 ff.

Moskauer Erklärung 237,244

Kindergeld 122

Moskauer Vertrag 244,263

Koalition der Mitte, 23 Koalitionsdemokratie 44

Naturschutzabgabe 386, 388 f.

Koalitionsrunde 50,53, 112 ff., 119, 122, 124 ff., 169, 172 ff., 180, 182, 198 f., 326, 393,396

Naturschutzgesetz 386 f., 389

Koalitionsvereinbarung 122, 135, 148 f., 154 f., 158 ff., 162 ff., 299, 345, 347, 351, 392 ff. Koalitionsverhandlungen 48, 138 ff., 157 ff., 163 ff., 252 ff., 299, 345, 392 ff. Kollegialprinzip 99 Konrad-Adenauer-Haus 274 Konrad-Adenauer-Stiftung 35

Nuklearpolitik 374 Obleuterunde 88 Oder-Neiße-Linie 236, 244 Ostgebiete 229, 280 Ostpolitik, 248, 286 Ostverträge 237, 243, 246 Ost-West-Dialog 354

Konstruktives Mißtrauensvotum 89 Koordinationsdemokratie 44 f. Kraftfahrzeugsteuer 301 ff., 381 f. Kreuther Beschluß 82 KSZE 221, 223 Kulturabkommen 202

Londoner Protokoll 280, 289

Parteiengesetz 62, 64 Pershing lA-Raketen 169 policy-cycle 18 policy-Forschung 17 f. Politikgestaltung 13 f., 17,28,31,32 f., 36, 40, 46, 52, 69, 87, 119, 129, 136, 162, 176, 178, 197, 261, 295, 297, 319, 325 ff., 365, 367, 390 ff. Potsdamer Abkommen 289

Machtdreieck 13 f., 16 ff., 24, 27, 30, 33, 46,49,57,69, 71, 80, 87, 124, 131, 135, 139, 158, 161, 162, 178 f., 271, 295,297,326,328,350,352,391 ff.

Reaktorsicherheit 354, 367

Magisches Viereck 335

Richtlinienkompetenz 98 f.

Regierungswechsel 90 Ressortprinzip 98 f.

Marshallplan 383, 386 Mauer (Berlin) 27

Schießbefehl 217

V. Sachregister Schlesien 228 ff. Schlesische Landsmannschaft 228 ff., 291 SED 27, 56, 205, 221 - Regime 217

433

Umweltpolitik 13, 17, 22, 25, 32, 52, 60 f., 71, 297 ff., 327 ff., 351 ff., 371 ff., 391 ff. Unionsfraktion (s. tagsfraktion)

CDU/CSU-Bundes-

Selbstbestimmungsrecht 229,280,291 f. Selbstschußanlage 202 Seniorenunion 65 Sicherheitspolitik 86, 271, 287, 371 Sozial-liberale Koalition 23, 327 SPD 203, 225 ff., 238 ff., 347 - Bundestagsfraktion 39, 48, 223, 225 ff., 241, 329 Spitzensteuersatz 138 ff., 169,395 Staatssekretär 104, 106 ff.

Verband der deutschen Automobilindustrie 302 Verbrauchssteuern 123 ff., 177,395 Vermittlungsausschuß 86, Vertriebene 229,232,291 f. Vertriebenenpolitik 86 Vier Mächte 235 - Abkommen 263 Volkskammer 222,226,292

- Parlamentarischer 97, 104, 106 ff. Staatszie\ Umweltschutz 327 ff., 389, 392, Stabilitätsgesetz 334 Strahlenschutzkommission 354 Steuerprogression 121 Steuerreform 52, III ff., 138, 163 ff., 178 ff.

Waldsterben 299 ff. Warschauer-Pakt 265 Warschauer Vertrag 227,229 ff., 263 Wasserpfennig 386 Weltwirtschaftsgipfel 188,354 Westbindung 265

Steuerreformgesetz 1990 162 ff.

Westgrenze (s. Grenzfrage)

Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen 56

Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf 375

Stuttgarter Charta 236

Wiedervereinigungsgebot 58, 226

Tempolimit 384

Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter 210 217 '

Tschernobyl 351 ff., 400