Politik und Transzendenz: Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin [1 ed.] 9783428525997, 9783428125999

»Politik und Transzendenz« bezeichnet zwei fundamentale Größen der westlichen Moderne, die in verschiedene Richtungen we

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Politik und Transzendenz: Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin [1 ed.]
 9783428525997, 9783428125999

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 154

Politik und Transzendenz Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin

Von

Claus Heimes

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CLAUS HEIMES

Politik und Transzendenz

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 154

Politik und Transzendenz Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin

Von

Claus Heimes

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 188 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-12599-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

APPROBATVR Berolini, die Rother Vic. Gen.

Danksagung Ich danke Prof. Dr. Friedemann Büttner, meinem Doktorvater, für seine Unterstützung; Prof. Dr. Peter J. Opitz und Prof. Dr. Tine Stein für wertvolle Hinweise und weise Ermutigung; Dr. Michael Henkel und Dr. Hans-Jörg Sigwart für fachlichen Rat; der Konrad-Adenauer-Stiftung für gewährte materielle und geistige Unterstützung; der Freien Universität Berlin für gebotene Freiräume; den Benediktinern von Maria Laach für gewährte Gastfreundschaft; meinen Eltern für Vertrauen und Unterstützung; meinen Freunden für Geduld und kluge Fragen. Berlin, im Winter 2008

Claus Heimes

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

2. Antipositivistische Staatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2.1 Staatslehre zwischen Hans Kelsen und Carl Schmitt? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

2.3 Die Existenzform der Gesellschaft als Herkunft der Normen – Carl Schmitts Politische Theologie und der Begriff des Politischen . . . . . . . . . .

28

2.4 Eric Voegelins Interpretation von Carl Schmitts politischer Einheit als Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

2.5 Staatsrecht vs. Staatslehre? Die unterschiedlichen Perspektiven Eric Voegelins und Carl Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

3. Grammatik der Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

3.1 Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

3.1.1 Kritik am Positivismus als Werterelativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

3.1.2 Okkasioneller Dezisionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

3.1.3 Das Problem einer These – die Ebenen von Sein und Sollen . . . . .

52

3.1.4 Das Politische als Wert an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

3.1.5 Katechontik und das Politische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

3.2 Eric Voegelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3.2.1 Die Suche nach Wahrheit als Ziel der Neuen Wissenschaft . . . . . .

78

3.2.2 Der Mensch als Wurzel der Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

3.2.3 Erfahrung und Offenheit, Symbolisierung und Bewußtsein – metaxy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

3.2.4 Struktur der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95 3.3 Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.3.1 Katechon, metaxy und eine Welt ohne das ,Zwischen‘ . . . . . . . . . . . 104 3.3.2 Grammatik der Ordnung als Weg und Bedingung des Kosmions . . 118 3.3.3 Politische Theologie vs. Politische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung . . . . . . 131 4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.1.1 Joachim von Fiore und die moderne Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.1.2 Thomas Hobbes und die Privatisierung des Glaubens . . . . . . . . . . . . 150 4.2 Sinnlosigkeit der Immanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

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Inhaltsverzeichnis

5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Unvereinbarkeit der Rollenverständnisse und moralische Fallstricke . . . . .

168 169 179 188

6. Abschlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

1. Einleitung Die Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Politik ist eine der zentralen Fragen jeglicher Politischen Philosophie, denen in den letzten Jahren neues und ungeahntes Interesse zuteil geworden ist. Neben der Präsenz des politischen Islam in den Diskussionen der Politikwissenschaften und der Frage nach der generellen Rolle der Religion in der Politik, die auch schon vor dem 11. September 2001 auf dem Tableau der akademischen Beschäftigung mit Religion und Politik stand, ist auch zunehmend eine Beschäftigung mit dem Christentum innerhalb der westlichen Gesellschaften in den Fokus des akademischen Diskurses geraten. Das enorme Interesse am katholischen Christentum, das sich mit dem Tod des Papstes Johannes Paul II. und der Wahl Benedikts XVI. verband, ist nur ein Hinweis für die wachsende Beachtung, die Religion findet. Dahinter stehen Überlegungen, die Jürgen Habermas und der damalige Kardinal Ratzinger in einem Gespräch im Januar 2004 in der katholischen Akademie in München in weiten Teilen umgriffen haben.1 Es spitzte sich in der Diskussion der letzten Jahre immer wieder auf die Frage zu, inwiefern die gesamte westliche Moderne eine Entwicklung darstellt, die eine unabhängige Größe neben der Religion ist. Religion ist in Teilen des westlichen Denkens eine Größe, die entweder neben der Politik steht oder gar eine von der Politik und der gesamten Bewegung des modernen westlichen Denkens unabhängige Rolle darstellt. Die Moderne wird in dieser Sichtweise als von der Religion unabhängige Neubegründung unserer Zivilisation dargestellt. Diese Denkweise zeigt sich in einer Vielzahl von Facetten, wird aber geeint von der Überzeugung, dass die religionsferne oder gar -freie Begründung unserer Gemeinwesen die Sicht sei, der die Zukunft gehöre. Wenngleich in diesem Sinne die radikalsten Überzeugungen wohl der Vergangenheit angehören dürften, bleiben die festen Überzeugungen, die Minderung des religiösen Lebens innerhalb des politischen Raums sei richtig und wichtig, Religion habe sich in das Private zurück zu ziehen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Religion ist sicherlich keine, die einer endgültigen Beantwortung unterworfen werden könnte, doch schien der mainstream insbesondere des universitären Denkens häufig der Art zu sein, dass der Religion vor dem Hintergrund (radikal-)aufklärerischen Denkens kein direkter Einfluss auf die Politik zugeschrieben wurde oder diesen zumindest in Zukunft verlieren werde. Diese Sicht dürfte heute allerdings wieder in den Hintergrund getreten sein. 1 Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg i. Br. 2005.

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1. Einleitung

Die Suche nach einem Bedingungsgefüge von Religion und Politik kann noch einen Schritt weiter gehen und sich danach ausstrecken, ob ein Nexus zwischen religiöser Erfahrung und dem menschlichen Leben in Gemeinschaft besteht und wenn ja, welcher Art dieser Nexus denn sein könnte. Welchen Wert hat eine religiöse, eine transzendente Erfahrung für das Zusammenleben? Wo überhaupt findet sich der Ort, an dem zu Einsichten, wie das Zusammenleben zu regeln sei, gekommen wird? Die Diskussion soll hier aufgegriffen werden. Fokus der folgenden Untersuchung ist also ein grundsätzlicher und einer, der der ganzen Fragestellung zu Grunde liegt: Welche Interdependenz besteht nun zwischen den beiden Größen Politik und Religion? Diese große, wenn nicht sogar gewichtigste Frage der Politischen Philosophie ist sicher eine in ihrer ganzen Breite kaum zu umfassende, wenn man von einer einzelnen Untersuchung ausgeht. Religion als Institutionenbegriff, der vor allem auf die Kirchen trifft oder Religion als Begriff soziologischer Natur, der insbesondere auf die Eigenheiten und Verhaltensweisen religiös definierter Gruppen eingehen will, soll dabei nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Es ist vielmehr die Facette der Religion, die im Titel bereits zu finden ist. Mit Religion ist hier in erster Linie Transzendenz gemeint – spielt das Jenseits, die Transzendenz bei der politischen Ordnungssuche eine Rolle, und wenn ja, welcher Art ist diese Rolle? Antworten auf diese Fragen und auf solche, die darüber hinaus weisen, sind in den umfangreichen Schriften zweier Autoren zu finden, die allgemein als bedeutende und teilweise auch als herausragende Denker des 20. Jahrhunderts identifiziert werden. Eric Voegelin und Carl Schmitt haben ihr Denken auf eben jene Bereiche des Philosophierens gerichtet, die hier angesprochen wurden. Beide haben (zumindest Teile) ihrer Werke der Frage gewidmet, welches Wechselspiel, welches Bedingungsgefüge sich zwischen Religion und Politik auftut. An einigen Stellen ihrer umfangreichen Werke trat diese Perspektive stärker zu Tage, als an anderen, doch stellt die Suche nach dem Zusammenhang zwischen den beiden Größen stets eine zumindest im Hintergrund ihrer Gedanken stehende und von dort aus bestimmende Bedeutung dar. In den Schriften der beiden lassen sich Gedankengänge finden, die bis ans Äußerste menschlicher Suche nach Wahrheit und Ordnung gehen. Die Ordnungssuche wird dabei stets auch Sinnsuche und verbindet sich in diesem Moment mit der Gottessuche. Mit der Beschränkung auf die Schriften Voegelins und Schmitts wird zugleich die Großfrage nach dem Zusammenspiel von Politik und Religion auf ein zwar immer noch weites, aber doch überschaubares Feld reduziert. Beide Autoren fußen ihre Schriften auf Überzeugungen grundsätzlichster Art, die von Fragen nach der Natur des Menschen, nach der Bedeutung der Gottessuche für das menschliche Zusammenleben, nach Gut und Böse, nach Freund und Feind ausgehen. Selbst die vermeintlich philosophiefernen Schriften aus dem Bereich der

1. Einleitung

13

Staatslehre sind in der Regel nur vor dem Hintergrund dieser tiefen Fundation verständlich. Die Entfaltung des fundamentalen Sinnzusammenhangs, der die Schriften von Voegelin und Schmitt auch an Stellen auszeichnet, an denen der Leser auf den ersten Blick nicht mehr als profane Stellungnahmen etwa rechtswissenschaftlicher Natur sieht, ist Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Diese Untersuchung zielt auf die Freilegung der je eigenen motivierenden Zentren des Denkens bei Voegelin und Schmitt. Geschehen wird dies in vergleichender Weise, die an vielen Stellen einen klareren Blick in Bedeutungszusammenhänge erlaubt, als es eine Untersuchung leisten könnte, die sich exklusiv mit einem der beiden beschäftigen würde. Die vergleichende Untersuchung erlaubt es immer wieder, Leerstellen im Werk des einen durch das Denken des anderen stimmig zu ergänzen, ohne dabei ins Erratische abzudriften. Es wird sich zum Beispiel in der Untersuchung der Rolle Joachims von Fiore in den Schriften Schmitts wenig finden. Das wenige allerdings, das Schmitt zu Joachim geschrieben hat, passt nahezu deckungsgleich auf die ausführlichere Darstellung joachitischen Denkens bei Voegelin. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Hypothesen der vorliegenden Arbeit wie folgt umreißen: Sowohl die Überzeugungen Schmitts als auch die Denkbewegungen Voegelins verweisen in ein intellektuelles und geistiges Zentrum, das nur im Zusammenhang mit einer je eigenen Transzendenzorientierung verstanden werden kann. Beide Autoren verorten die Grundlage ihres – und gleichzeitig allen ernst zu nehmenden – Ordnungsdenkens im Jenseits. Damit erteilen sie allen Versuchen, das politische Wesen des Menschen, sein Leben in Gesellschaft über die Zeiten hinweg, in innerweltlicher und enttranszendentalisierter Weise zu begründen, eine radikale Absage. Darüber hinaus wird die vorliegende Arbeit zu belegen suchen, dass die ins Jenseitige verweisenden Werke Schmitts und Voegelins eine Verwandtschaft besitzen, die über die bloße Ablehnung des innerweltlichen Ordnungsdenkens hinausgeht. In ihren Tiefendimensionen bleiben die Grundlagen verschieden, zeigen sich jedoch zu weiten Teilen äquivalent. Dass und auf welche Weise hier eine Entsprechung zu finden ist, wird das Kernkapitel 3 – Grammatik der Ordnung – zeigen müssen. Ausgehen wird diese Untersuchung aber zunächst von dem thematischen Feld, das einen Nexus am ehesten und offensichtlichsten belegt, wenngleich die Thematik eine solche ist, die lediglich einen oberflächlichen Blick auf das Denken der beiden erlaubt. Die meisten Verweise aufeinander sind in den staatsrechtlichen Schriften der beiden zu finden. Insbesondere die frühen Schriften Voegelins sind ohne die Werke Schmitts kaum zu denken und zeigen beide in einer entfernten Verwandtschaft als Antipositivisten. Die Kritik an Schmitt lässt den jungen Voegelin eigene Positionen entwickeln und erlaubt daher den ersten Zugriff für die vorliegende Arbeit, deren eigentliches Interesse dort allerdings erst beginnt und über die Grenzen des Staatsrechts hinausgreifen muss. Kapitel 2

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1. Einleitung

– Antipositivistische Staatslehre – öffnet das Feld für die dann folgende, entscheidende Untersuchung: Wenn beide ein positivistisches Bild der Staatslehre ablehnen, was ist dann der nicht-positive Kern ihres Ordnungsdenkens? Antwort darauf zu geben, ist Aufgabe des zentralen Kapitels 3. Im Kapitel Grammatik der Ordnung wird zu zeigen sein, wie das Ordnungsdenken Schmitts bzw. Voegelins, in je eigener Weise auf die Transzendenz nicht nur verweist, sondern dort sein eigentliches Fundament findet. In diesem Kapitel sind die Tiefendimensionen des Denkens der beiden Autoren frei zu legen. Gleichzeitig muss der Bogen von dieser Tiefendimension in die Welt zurück erfolgen und die Frage beantwortet werden, wie denn ein transzendenzorientiertes Ordnungsdenken keine rein geistige Fingerübung des Denkers bleibt. Wie erhält ein solches Ordnungsdenken die Kraft, in der Welt zu wirken? Welchen Anspruch auf Absolutheit hat ein solches (vom Göttlichen inspiriertes) Denken? Und wo sind dessen Grenzen? Wenngleich die letzten Fragen den Grad der Abstraktheit, den solch eine Untersuchung zwangsläufig haben muss, wieder mindert, so haben die folgenden beiden Kapitel die Aufgabe, diese Grundlagen zum einen noch konkreter in Bezug auf die westliche Geschichte zu reflektieren (Kapitel 4) und zum anderen die Thesen mit dem je eigenen Selbstverständnis der beiden Autoren zu verbinden (Kapitel 5). Ersteres wird zeigen, wie das Ordnungsdenken in der westlichen Geschichte das ins Jenseits verweisende Fundament verloren hat und über Entfremdung von der Welt und Hybris in Bezug auf die Gestaltungsmacht des Menschen in der Sinnlosigkeit der verschiedenen innerweltlichen Denkgebäude des 20. Jahrhunderts angekommen ist. Letzteres zeigt schließlich, wie Schmitt und Voegelin sich selbst als Jurist resp. Philosoph in ihrer Gegenwart sahen, welche Rollen sie sich beimaßen und wie diese zu den Katastrophen ihres Jahrhunderts in Bezug stehen. In diesem Kapitel wird ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Denkweisen deutlich. Während der eine (Schmitt) als Jurist die abstrakte Ebene des transzendenzorientierten Denkens in die konkrete Politik einbringen zu können glaubt, bestimmt der andere (Voegelin) seine Position als Philosoph, der keinen Eingriff in die Alltagsdimension der Politik nehmen darf, wenn er denn der Korrumpierung durch eben diesen Betrieb entgehen will. In der Rolle des Erziehers einer jungen Generation findet sich der Kontaktpunkt zum Politikbetrieb. Auf einen Stand der Forschung in Form eines eigenen Kapitels wird hier verzichtet, da zum einen die thematisch gegliederte Untersuchung stets in einer Konfrontation mit den in der Literatur vertretenen Thesen entwickelt wird. Zum anderen hat die Sekundärliteratur insbesondere im Falle Carl Schmitts solche Umfänge erreicht, dass auch entlegene und hier nicht erhebliche Facetten seines Werkes in solcher Fülle besprochen wurden, dass ein Überblick über die Sekundärliteratur zu Schmitt mittlerweile ein eigenes Desiderat sein dürfte.

2. Antipositivistische Staatslehre2 2.1 Staatslehre zwischen Hans Kelsen und Carl Schmitt? Die Beachtung, die die Werke Eric Voegelins in den letzten Jahren erfahren haben, hat soweit zugenommen, dass mittlerweile die Schranken des Wissenschaftsbetriebes durchbrochen wurden und es erste Anzeichen eines breiten Interesses gibt, das jenseits der bis vor einigen Jahren noch bestehenden fachlichen Grenzen liegt. Mit der Berichterstattung in Printmedien mit Massenverbreitung3 scheint Voegelin langsam zum Allgemeingut einer interessierten Öffentlichkeit zu werden, deren Teil Schmitt schon lange ist und die sich nicht auf die an der Forschung und akademischen Diskussion Beteiligten beschränkt. Daher scheint an dieser Stelle eine wie auch immer geartete Einführung in die Schriften der beiden nicht notwendig. Ihre Werke erfahren zurzeit nicht nur ein gesteigertes Interesse, sondern – auch im Falle Voegelins – eine Reihe von Wiederauflagen und zum Teil sogar Erstveröffentlichungen wie die posthum publizierte achtbändige History of Polititical Ideas4. Die Beachtung, die zunächst vor allem seine späteren Schriften New Science of Politics (1952), Order and History (1956–1987), Anamnesis (1966) u. a. erfuhren, hat sich mittlerweile auch auf seine Frühphase ausgedehnt. Bis 1938 waren die Aufsätze und Monographien zumeist in deutscher Sprache verfasst und in einem etwas anderen thematischen Umfeld angesiedelt als seine späteren Werke. Die Publikationen Henkels5 und Gebhardts6, aber auch die einer Reihe anderer Autoren7 – u. a. die 2 Dieses Kapitel beruht auf einer Vorarbeit des Autors: Claus Heimes, Antipositivistische Staatslehre – Eric Voegelin und Carl Schmitt zwischen Wissenschaft und Ideologie (Occasional Paper XLII des Eric-Voegelin-Archivs München), München 2004. 3 Claus-E. Bärsch, Die Suche nach Ordnung. Voegelins Werk „Ordnung und Geschichte“ wird Soziologen ärgern und unideologische Kulturwissenschaftler erfreuen. In: Focus 52/2002, S. 54 f. 4 Eric Voegelin, History of Political Ideas Vol. I–VIII. In: ders., Collected Works, Vol. 19–26, Columbia/London 1997–1999. 5 Michael Henkel, Staatslehre und Kritik der Moderne: Voegelins Auseinandersetzung mit Ideologie und Autoritarismus in den dreißiger Jahren. In: Politische Vierteljahresschrift 41(2000)4, S. 745–763; Michael Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938) (Occasional Paper, XXXVI, Eric-Voegelin-Archiv), München 2003. 6 Jürgen Gebhardt, Zwischen Wissenschaft und Religion. Zur intellektuellen Biographie E. Voegelins in den 30er Jahren. In: Politisches Denken, Jahrbuch 1995/1996, S. 283–304.

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2. Antipositivistische Staatslehre

Dissertationen Andreas Krasemanns8 und Hans-Jörg Sigwarts9 – machen auf diese frühen Schriften aufmerksam und widmen sich den bis 1938 erschienen Abhandlungen, ihrem intellektuellen Umfeld und den Umständen und Motiven der Entstehung. Dabei scheinen die genannten Autoren sich darin einig, dass sich die frühen Schriften Voegelins substantiell von denen, die seit 1938 erschienen sind, unterscheiden10. Henkel differenziert zwischen einem „Voegelin I“ und einem „Voegelin II“ 11 (obwohl mit der Veröffentlichung des Aufsatzes über Volksbildung, Wissenschaft und Politik das Jahr 1936 bereits als „die Zäsur“ benannt wird, in dem die eine „Werkphase“ von der anderen „abgelöst wird“ 12), während Sigwart die „frühen Schriften“ Voegelins bis 1938 von dessen späteren „Hauptwerken“ 13 unterscheidet. Ebenso wie die Werke Voegelins neue Auflagen erleben, wird das publizistische Werk Schmitts weiter ergänzt, wie der Briefwechsel mit Ernst Jünger oder auch die frühen Tagebücher der Jahre 1912 bis 1915 zeigen.14 Voegelins Abhandlungen der ersten Jahre seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind deutlich von der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Staatslehre und Staatsrechtslehre geprägt. Den in dieser Zeit stattfindenden Auseinanderset7 Sandro Chignola, „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics. Eric Voegelin between Sociology and „Rechtswissenschaft“ (1924–1938) (Occasional Paper, X, Eric-Voegelin-Archiv), München 1999; Josef Demmelbauer, Politische Theologie. Carl Schmitt als politischer Philosoph und Dichterfreund: Einige Bezüge zu Österreich. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 14(1992), S. 45–54; Giuseppe Duso, Die Krise des Staates als Rechtsform und die politische Philosophie: Eric Voegelin und Carl Schmitt, unveröffentlichtes Manuskript, vorgetragen auf dem „Zweiten Internationalen Eric-Voegelin-Symposium“ an der Ludwig-Maximilians-Universität, München 9./10. Dezember 1993; Robert Chr. van Ooyen, Totalitarismustheorie gegen Kelsen und Schmitt: Eric Voegelins ,politische Religionen‘ als Kritik an Rechtspositivismus und politischer Theologie. In: Zeitschrift für Politik 49(2002)1, S. 56–82. Siehe auch Giuseppe Duso/Sandro Chignola, Die Rezeption Voegelins in Italien. Ein neuer Weg der politischen Philosophie. In: Zeitschrift für Politik 37(1990)4, S. 394–403. 8 Andreas Krasemann, Eric Voegelins politiktheoretisches Denken in den Frühschriften, abgerufen unter http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Deri vate-1408/Krasemann.html am 9.12.2003. 9 Hans-Jörg Sigwart, Liberal Democracy and Political Theology. Remarks on Eric Voegelin’s Reception of Carl Schmitt. Paper prepared for delivery at the 2002 Annual Meeting of the American Political Science Association, Boston, August 29, September 1, 2002, abgerufen am 26.09.2002 unter: http://apsaproceedings.cup.org/Site/ abstracts/082/082004SigwartHan.htm; Hans-Jörg Sigwart, Das Politische und die Wissenschaft. Intellektuell-biographische Studien zum Frühwerk Eric Voegelins, Würzburg 2004. 10 z. B. Chignola, „Fetishism with the Norm“, S. 8. 11 Henkel, Positivismuskritik, S. 9. 12 Ebd., S. 85. 13 Sigwart, Das Politische und die Wissenschaft, S. 143. 14 Helmut Kiesel (Hrsg.), Ernst Jünger – Carl Schmitt. Briefe 1930–1983, Stuttgart 1999; Carl Schmitt, Tagebücher. Oktober 1912 bis Februar 1915 (hrsg. v. Ernst Hüsmert), Berlin 2005.

2.1 Staatslehre zwischen Hans Kelsen und Carl Schmitt?

17

zungen zwischen einer am Positivismus orientierten und einer dieser gegenüber stehenden antipositivistischen Staatstheorie widmet er seine Aufmerksamkeit und Arbeit. Einer der Protagonisten dieser Diskussion ist Hans Kelsen, Vertreter der Reinen Rechtslehre, akademischer Mentor und neben Othmar Spann einer der beiden Doktorväter Voegelins. Die Reine Rechtslehre gerät schon 1924 mit dem Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre ins Zentrum der Voegelinschen Kritik an der positivistischen Staatslehre. Zwar sind auch die folgenden Aufsätze von der Auseinandersetzung mit Kelsens Lehre geprägt, doch schließen diese Studien auch Vertreter der Antipositivisten mit ein und befassen sich unter anderem auch mit Carl Schmitt, den Voegelin als den wohl bedeutendsten Gegner der Positivisten betrachtet.15 Trotz der Gegnerschaft zum Rechtspositivismus im Allgemeinen und Kelsens Reiner Rechtslehre im Besonderen, kann man Voegelin nicht ohne weiteres zu einer wie auch immer gearteten Gruppe der Antipositivisten zählen. Die Heterogenität sowohl der einen wie auch der anderen Gruppe macht es schwer, dort klare Grenzen zu ziehen und Zuordnungen Einzelner vorzunehmen. Die genauere Benennung kann daher wohl nur am Einzelnen und dessen Thesen erfolgen. In besonderem Maße trifft dies wohl auf Eric Voegelin zu. Van Ooyen verdeutlicht dies exemplarisch an dessen Position zwischen Kelsen und Schmitt.16 Voegelin wende sich, so van Ooyen, zwar gegen die Reine Rechtslehre, da sie die Staatslehre auf eine Normwissenschaft reduzieren wolle und somit Elemente des Staates aus dieser Disziplin ausblende, die ganz essentiell zur wissenschaftlichen Betrachtung des Staates gehörten. Doch auch Schmitt bewege sich mit der Betonung der Rolle der politischen Einheit – Sigwart nennt dies die „kollektivistische Konzeption“ 17 Schmitts – auf dem Weg, fundamentale Größen aus seiner Betrachtung auszuschließen, indem er das Volk als imaginäre Einheit „vergöttlicht“.18 Nichtsdestoweniger sind Schmitts Schriften für Voegelin ein wichtiger Bezugspunkt, und nicht zuletzt seine Hochschätzung für Schmitt, den er noch in den fünfziger Jahre wiederholt als größten Politikwissenschaftler seiner Zeit auch jenseits der Grenzen Deutschlands bezeichnet19, macht deutlich, welche Bedeutung er ihm einräumt. Das Themenspektrum der Arbeiten Voegelins bis 15 Siehe Eric Voegelin, Hellmuth Plessner, Macht und menschliche Natur: Fachschriften zur Politik und staatsbürgerlichen Erziehung, Berlin 1931. Rezension. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 19(1931), S. 255–257. 16 Siehe van Ooyen, Totalitarismustheorie. 17 Sigwart, Das Politische und die Wissenschaft, S. 152. 18 Van Ooyen, Totalitarismustheorie, S. 81. 19 Siehe die Briefe an Morse (1953) und Heilman (1954). In: Eric Voegelin Papers, Box 25, Folder 36 und Box 17 Folder 9, Hoover Institution Archives, Hoover Institution, Stanford, California. Dazu auch Sigwart, Das Politische und die Wissenschaft, S. 143.

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2. Antipositivistische Staatslehre

in die dreißiger Jahre besitzt eine Vielzahl von Berührungspunkten mit Carl Schmitt, der wie Voegelin auf der Suche nach Beziehungen zwischen den Disziplinen von Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie war. Der Gegenstand der wissenschaftlichen Arbeit beider war nicht zuletzt die in diesem – damaligen und deutschen – Graubereich zwischen den Disziplinen angesiedelte Staatstheorie und -lehre. An diesem Punkt setzt auch die vorliegende Untersuchung an, die das Beziehungsgeflecht zwischen den Thesen Voegelins und Schmitts genauer zu beleuchten sucht. Ausgehend von den frühen Schriften Voegelins – hier insbesondere dem Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre von 1924 – werden die Elemente, die er für unverzichtbar für eine zu schreibende Staatslehre hielt, als Maßstab an die Werke Schmitts angelegt. Auf diese Weise sollen die inneren Zusammenhänge ihrer Thesen aufgedeckt werden. In einem weiteren Schritt soll gezeigt werden, was die beiden inhaltlich trennt. Voegelins Rezension der Verfassungslehre Carl Schmitts verdeutlicht eine erste Differenz zwischen den Thesen der beiden Autoren.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von der Reinen Rechtslehre Das geistige Klima an den deutschsprachigen Universitäten der Jahre der Weimarer Republik, die „rückblickend als Epoche der Grundlagendiskussion der Methodik“ 20 verstanden werden kann, war zutiefst geprägt von geistes- und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Staats- und Rechtswissenschaften, aber auch Philosophie, Geschichte, Soziologie und andere Fachbereiche waren in diesen Jahren verstrickt in Kontroversen über die Grundlagen ihrer Fächer. Zwar einer viel älteren geistigen Tradition entstammend, aber doch in den Jahren zwischen 1918 und 1933 einen Höhepunkt erlebend, wurde die Konfrontation zwischen positivistischen und antipositivistischen Staatsrechtlern schließlich von „zerstrittenen Gruppen“ 21 getragen. Gegenstand ihrer staatsrechtlichen Auseinandersetzung waren die Fundamente des Staates. Hans Kelsen konstruiert schon in seiner Habilitation von 191122 eine Rechtslehre, die sich auf das positive Recht beschränkt und alle anderen Elemente jenseits positiver Rechtssetzung ausschließt. So wird Kelsens Lehre zur Normwissenschaft. Diesem Anspruch entsprechend, reinigte er die Rechtslehre von meta20 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3 Staats- und Verwaltungswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S. 154. 21 Ebd., S. 155. 22 Hans Kelsen, Hauptprobleme einer Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, Tübingen 1911.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit der Reinen Rechtslehre

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physischen, ethischen, politischen und historischen Beständen, die traditionell zu ihren Elementen gehörten. Einziger Gegenstand der Rechtswissenschaft Kelsens war die positive Norm. Dieses Denken entwickelte sich zu einem geschlossenen System, das Elemente der politisch-gesellschaftlichen Realität, die ehedem zur Rechts- und zur Staatswissenschaft, ergo auch zur Staatslehre gezählt hatten, zwar nicht negierte, aber doch aus diesem Fachgebiet ausschloss und an „Politik, Geschichte, Soziologie und Ethik“ 23 verwies. Kelsen stand mit der von ihm vertretenen Lehre in einer längeren Tradition, die in Deutschland und Österreich feste Wurzeln hatte und vor dem Hintergrund eines politisch weitgehend bedeutungslosen Bürgertums des 19. Jahrhunderts zu sehen ist. Gegenstand des öffentlichen Rechts war nach 1848 das positive Recht. Der Staatsaufbau, naturrechtliche Normen und andere überpositiven Elemente des Rechts waren aus dem Unterricht angehender Juristen entfernt worden. Sie gehörten in den Bereich des Souveräns und nicht in die Lehrbücher der Rechtswissenschaftler, die sich der inneren Zusammenhänge des gegebenen Rechts anzunehmen hatten. „Als die politische Bevormundung mit dem Übergang zum Konstitutionalismus aufhörte, war die etatistische und positivistische Tradition längst gefestigt.“ 24 Der Entfernung aller Elemente jenseits des positiven Rechts aus der Staatslehre war bei Kelsen klarer und deutlicher, konsequenter und provokativer für seine Gegner, als die Lehren anderer am Positivismus orientierter Staatsrechtslehrer. 1933 formulierte Voegelin das Problem so: „Mit äußerster Konsequenz wird der Gedanke durchgeführt, dass die Staatslehre eine Rechtslehre sei, eine Lehre vom Gelten des Rechtes und von den positiven Rechtsinhalten.“ 25 Kelsen schloss überpositive Elemente nämlich nicht nur aus seiner Rechtslehre aus, er setzte diese auch mit der Staatslehre gleich und entkleidete nicht nur die Rechtswissenschaft von wesentlichen Elementen, sondern reduzierte auch den Staat auf positiv rechtliche Aspekte. So wurde der Staat zu einem nur-positivrechtlichen Gebilde. Hermann Heller nennt die Konstruktion Kelsens „eine entleerte Nomokratie“, die von „leeren Abstraktionen“ geprägt sei und Menschen, die nach „sittlichen Begründungen“ 26 des Staates suchen, nichts zu bieten habe. Diese Kritik ging so tief in die Auseinandersetzungen der Zeit ein, dass sie zum „formelhaft wiederholte[n] Vorwurf“ 27 wurde. Die Grundlagendiskussion hatte „die erkenntnistheoretischen und interpretatorischen Varianten des ,Staates‘“ 28

23 24 25 26 27 28

Stolleis, Geschichte, S. 169. Ebd., S. 166. Erich Voegelin, Rasse und Staat, Tübingen 1933, S. 6. Hermann Heller, Rechtsstaat oder Diktatur?, Tübingen 1930, S. 11. Stolleis, Geschichte, S. 169. Ebd., S. 154.

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zum Gegenstand und umfasste somit ein weiteres Feld als das der bloßen Rechtswissenschaft.29 Zu der großen – und zweifelsfrei heterogenen – Gruppe von Staatslehrern und -theoretikern im besonderen und Geistes- und Kulturwissenschaftlern im allgemeinen, die die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Positivisten, die in allen akademischen Fächern eine bedeutende Rolle spielten, ablehnte, gehörte Kelsens Schüler Voegelin. Er sah das Problem des Rechtspositivismus in dessen fehlender Anbindung an die Realität. Damit griff er in eine zentrale Diskussion der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein, in der sich die Stimmen häuften, die Staatslehre verstärkt gegenüber den anderen Geistes- und Sozialwissenschaften zu öffnen. Die Dualismen von Recht und Staat, von Sein und Sollen, von Macht und Recht wurden Gegenstand der Auseinandersetzungen, und Voegelin wandte sich gegen die Positivisten vor allem der Wiener Schule und deren „anerkanntes Haupt“ 30, Hans Kelsen. Eric Voegelins staatstheoretische Schriften setzten in den frühen zwanziger Jahren ein31 und sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Sein erster und wichtigster Bezugspunkt war die Reine Rechtslehre. Er konzentrierte sich in seinen frühen Veröffentlichungen auf die Auseinandersetzung mit Kelsens Lehre und entwickelte in kritischer Abgrenzung zu Kelsen eine eigenständige Position. Die Reine Rechtslehre blieb noch über viele Jahre eine Folie (zum letzten Mal 1936 in der Monographie Der autoritäre Staat), vor der er eigene Argumente präsentierte. Sie diente ihm vielfach als ein argumentatives Gegenüber seiner Thesen, die an ihr klarer wurden und an Kontur gewannen. Schon in seinem 23. Lebensjahr formulierte Voegelin in seinem Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre eine deutliche Kritik an Kelsens Thesen. Er kritisierte die von Kelsen vollzogene und vertretene Trennung von rechtlichem Positivismus und einer sozialwissenschaftlichen Orientierung in der Staatslehre. Die Verbindung beider Elemente innerhalb der Staatslehre herzustellen, war ein durchaus gängiges Anliegen, das Heller mit einer näheren Bestimmung der Staatslehre als „soziologische Wirklichkeitswissenschaft“ 32 umschrieb. Auf eine Deckung von Voegelins und Hellers je eigenen staatstheoretischen Konstruktionen zu schließen, verbietet sich allerdings.

29 Ausführlicher zur Grundlagendiskussion zwischen Positivisten und Antipositivisten, siehe Henkel, Positivismus und autoritärer Staat. 30 Stolleis, Geschichte, S. 164. 31 Eric Voegelin, Die gesellschaftliche Bestimmtheit soziologischer Erkenntnis. Eine soziologische Untersuchung. In: Zeitschrift für Volkswirtschaft und Sozialpolitik 2(1922)4–6, S. 331–348. 32 Nach Ilse Staff, Staatslehre in der Weimarer Republik. In: dies./Christoph Müller (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu ehren, Frankfurt a. M. 1985, S. 7–23, hier S. 8.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit der Reinen Rechtslehre

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Kelsen versucht, so Voegelin, „eine Beschreibung des Wesens des Rechts“ 33. Er tut dies durch die nähere Betrachtung des Rechtssatzes, der kein grammatikalischer Satz ist, sondern näher bestimmen soll, wann ein Rechtsakt vorliegt. Indem er also die Elemente eines Rechtsaktes bestimmt, glaubt er, den Rechtsakt identifizieren zu können. Er behandelt mit dieser Vorgehensweise im weitesten Sinne die Frage ,Was ist Recht?‘ und tut dies über den Umweg einer Beschreibung der Form des Rechts. Diese Form ist nach Kelsen der Rechtssatz, der aussagt, „dass der Staat beim Eintritt gewisser Tatbestände andere Tatbestände, die Staatshandlungen, setzen will“ 34. Auf diese Weise ist die Verbindung eines ersten Tatbestandes mit einem zweiten – der Rechtsfolge – durch die Staatshandlung hergestellt. Der Staat handelt durch Organe, also durch ein konkretes „psychophysisches Individuum“ 35 oder durch Gruppen solcher Individuen. Was deren Handlungen zu Staatshandlungen werden lässt und somit von individuellen, nichtstaatlichen Handlungen unterscheidet, ist der „hinter der Person liegende [. . .] Zurechnungsendpunkt“ 36. Dieser Zurechnungsendpunkt, der das Individuum oder die Gruppe zum Staatsorgan und seine oder ihre Handlungen zur Staatshandlung erhebt, ist selber in der Rechtsordnung zu finden. Voegelin kritisiert den in dieser Rechtslogik eingeborenen Zirkelschluss: „Der Inhalt der Rechtsordnung also soll über die Organqualität entscheiden; dass ein vorliegendes soziales Gebilde eine Rechtsordnung ist, kann ich aber erst bestimmen, wenn ich untersucht habe, ob eine Tatbestandsverknüpfung spezifisch rechtlicher Natur vorliegt; ihr Kriterium ist die Existenz von Organen, die ich aber nach Kelsen aus eben dieser Rechtsordnung, von der ich nicht gar nicht weiß, ob sie eine ist, entnehmen soll.“ 37

Für Voegelin ist damit der Versuch, das Wesen des Rechts zu bestimmen, „missglückt“.38 Kelsen baut mit dem Zurechnungsendpunkt – einem positivrechtlich formulierten Staatswillen – den Charakter und die Legitimation staatlichen Handelns auf: Das auf einen Tatbestand folgende Handeln ist dann ein Rechtsakt, wenn es durch ein staatliches Organ ausgeführt wird; das Organ ist dann staatlich, wenn es durch den in der Rechtsordnung festgesetzten Staatswillen (oder Zurechnungsendpunkt) dazu berufen wird. Daher kann auch Kelsens Lehre unter der Formel ,staatliche Legitimität durch Legalität‘ betrachtet werden. Staatliches Handeln ist für ihn alleine im positiv formulierten Recht begründet und somit ist alles nicht durch die Rechtsordnung sanktionierte Han-

33 Eric Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre. In: Zeitschrift für Öffentliches Recht 4(1924), S. 80–131, hier S. 85. 34 Ebd., S. 82. 35 Ebd., S. 84. 36 Ebd. 37 Ebd., S. 85. 38 Ebd.

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deln auch kein staatliches Handeln. Rechtsordnung und Staat geraten in eine Deckung. Voegelin betrachtet diese Konstruktion als den naturwissenschaftlichen Methoden entlehnt. Die Methodik von Kelsens Staatslehre orientiere sich an Grundsätzen, die bei der Betrachtung der „Rechtsproblematik – [und] vielleicht aller kulturwissenschaftlichen Problematik“ 39 nicht angemessen sei. Die Naturwissenschaft habe eine Methode entwickelt, die ihr Erkenntnisobjekt – die Naturgesetze und natürliche Vorgänge – stets und von ihr unbeeinflusst als Anknüpfungspunkt habe. Dieser Anknüpfungspunkt bestehe auch ohne eine entsprechende Wissenschaft und stelle die Größe dar, die zur Kontrolle eines jeden vom Menschen formuliertem Naturgesetz dienen könne. Die Naturwissenschaft habe so eine echte Erkenntnissphäre, die Rechtswissenschaft nicht, da das Recht als soziales Phänomen nicht der Erkenntnis zugänglich sei. Eine naturwissenschaftliche positivistische Methode sei zulässig, eine solche Positivität allerdings auf das Recht anzuwenden, sei „nach Tunlichkeit als irreführend zu vermeiden“ 40. In Bezug auf das Recht stellt er die Frage, „was muss zu einem Gebilde [. . .], das den Formen des Rechts genügt, hinzutreten, um von ihm behaupten zu können, es sei positives Recht und nicht das Phantasieprodukt eines beliebigen Menschen, der ja auch Sätze unter den physikalischen Kategorien aufstellen könnte, ohne dass diese Sätze Naturgesetze wären, weil kein Naturgeschehen sie erfüllt“ 41. Voegelin formuliert in diesem Aufsatz bereits eines der Motive, die sich durch seine Arbeiten der folgenden Jahre ziehen werden: Das Recht und damit der Staat hat einen Bezug zur Realität, zur gesellschaftlichen Lage. Dieser Bezug ist wesentlicher Teil des Staates, der auf der Gesellschaft aufbaut und sich als ein Teil einer Einheit darstellt: „Der Staat ist weder eine allen seinen Gliedern anhaftende Qualität, noch tritt er ihnen als etwas Einheitliches, Geschlossenes, Überindividuelles entgegen, sondern er ist etwas ,Zusammengewachsenes‘, eine leibliche und geistige Einheit.“ 42 Die Zusammenhänge zwischen dem Staat und seinen Gliedern beruhen also auf einer Gegenseitigkeit, auf einer Art Zusammengehörigkeitsgefühl, einem einheitsstiftenden Moment. Dabei ist die Einheit nicht unter den beiden Zuständen ,existent‘ oder ,nicht existent‘ zu sehen, sondern als einer Gradation unterlegen – es handelt sich bei der Einheit der Gemeinschaft um „mehr oder weniger vage Zusammenhänge“ 43. Das positive Recht ist für Voegelin die Ordnung, der eine Gruppe folgt; doch bevor diese Gruppe sich in stärkerer oder schwächerer Bindung konstituiert und 39 40 41 42 43

Ebd., S. 82. Ebd. Ebd. Ebd., S. 112. Ebd., S. 113.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit der Reinen Rechtslehre

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gemeinsam das positive Recht befolgt, muss sich die Gruppe als solche finden. Erst, wenn eine solche Ordnung existiert, also eine Gruppe sich gefunden und auf bestimmte Faktoren als gemeinschaftsgründend aufbaut, kann sie sich ein positives Recht geben. Carl Schmitt formuliert diese Konstellation in aller Deutlichkeit: „Die Norm oder Regel schafft nicht die Ordnung; sie hat vielmehr nur auf dem Boden und im Rahmen einer gegebenen Ordnung eine gewisse regulierende Funktion mit einem relativ kleinen Maß in sich selbständigen, von der Lage der Sache unabhängigen Geltens.“ 44 Auf das Verhältnis Voegelins zu Schmitt wird noch näher einzugehen sein. Die Argumente beider stoßen zumindest in diesem Aspekt in dieselbe Richtung. Anders als die Reine Rechtslehre bemühen sich Schmitt und Voegelin um eine genauere Analyse der Gemeinschaft, die bereits im vorstaatlichen Zustand existiert und somit den Staat und auch das positive Recht begründet. Das „positive Recht ist ein Zusammenhang von Normen, der sich durch seinen Inhalt [. . .] auf ein historisches, in Raum und Zeit sich abspielendes Geschehen bezieht.“ 45 Beide sehen eine gesellschaftliche Größe, die dem Erkenntnisobjekt Kelsens analytisch vorgelagert ist und trachten danach, eine ,Fundation‘ des Staates in den existenten Menschengruppen zu finden. Voegelin identifiziert gewisse „Elemente dieser Fundation [. . .]: gemeinsame Abstammung, Erziehung, Sprache, Religion, Moralanschauung, Zugehörigkeit zu einem Kulturtypus, gleicher Lebensstandard, gemeinsame Geschichte, gemeinsame wirtschaftliche Interessen, Gewalt zur Unterdrückung Widerstrebender.“ 46 Die Politik soll daher „nicht das Idealbild eines guten Staates darstellen, sondern aus der jeweiligen historischen Lage heraus, kraft der Einsicht in das Wesen allen staatlichen Seins, die konkreten Mittel zur Heilung staatlicher Übel angeben. Der Kern, der den Staat zum Staate macht und die Möglichkeit der historischen Modifikation sind die Probleme der Politik.“ 47 Die Bedeutung der vielfältigen Bindungen, die die Glieder des Staates zu einer Ordnung zusammenschließen, gerät so in das Blickfeld Voegelins, lässt ihn gegen die Positivisten argumentieren und auf die Thesen Schmitts, der ein ähnliches Anliegen vertritt, aufmerksam werden. Noch neun Jahre später – 1933 – schreibt Voegelin von der Notwendigkeit, eine Staatslehre zu entwickeln, die sich auf die nicht-positiven Elemente des Staates konzentriert und bringt den Namen Schmitts in diesem Zusammenhang erneut auf: „Die bedeutendsten Versuche, Themen der vor-positiven Sphäre wieder in die Staatslehre einzuführen, sind über Anfänge nicht hinausgediehen. [. . .] Carl Schmitt hat das Problem des ,Politischen‘ ausführlich behandelt und in seiner Verfassungslehre das Problem

44 Carl Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Berlin 1993, S. 11. 45 Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 130. 46 Ebd., S. 113. 47 Ebd., S. 114.

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der staatlichen ,Existenz‘ gestellt, ohne dass aber diese Versuche noch zu einem System gediehen wären.“ 48 Die ,Fundation‘ der einzelnen Glieder des Staates durch die oben genannten Elemente (Sprache, Religion etc.) verleiht dem Gemeinwesen eine vereinheitlichende Kraft, die eine Bevölkerung – gemeint ist hier nicht viel mehr als die Nachbarschaft, das räumliche Zusammensein – zum Volk zusammenfügt. Das Volk besitzt einen höheren Grad an ,Gemeinsamkeit‘, wird zum „Gemeinwesen“, das sich Voegelin als „Sinneinheit“ 49 darstellt. Es geht Voegelin um die Betonung der Idee (oder Ideen), die das Gemeinwesen als Grund seines Zusammenseins versteht. Das Volk versteht sich als Volk, weil es in einer ,Sinneinheit‘ lebt, also weil die Individuen einen (analytisch betrachtet relativ homogenen) Sinn darin sehen, eine Gruppe zu sein. Die Äußerung der Sinneinheit geschieht über Symbole, da sich Sinn nur als ,Idee‘ konstituieren kann, nicht als sinnlich erfahrbar. Das Symbol ist der sinnlich erfahrbare Moment der ,Idee‘, die sich als Fundament der Gruppe – des Volkes – darstellt und somit den Begriff des Staates innerhalb der Staatslehre auf völlig andere Beine stellt, als Kelsen es tut. Der Staat gliedert sich in Herrscher und Beherrschte, in Über- und Unterordnung konkreter Personen oder Gruppen von Personen. Gleichzeitig ist die Machtkonstellation wechselseitig. Die vom Volk verinnerlichte Idee findet ihren Ausdruck auch in der Formung der Institutionen und staatlichen Akteure. Für jeden historischen Moment und jede historische Konstellation gilt in der je eigenen Form, dass sich Sinneinheit und politische Form entsprechen müssen. Voegelin greift zurück auf ein Beispiel des deutschen Historikers Georg Waitz: Für die Monarchie des 19. Jahrhunderts gilt, dass nicht nur der König als Herrscher die politische Form bestimmt. Es entspricht vielmehr auch dem Geist des Volkes, im König die Figur zu sehen, die sich an der Spitze der ,Sinneinheit‘ zu finden habe. Unabhängig von der konkreten Amtsausführung eines Monarchen ist es der König, der das Volk durch die Zeit lenkt und somit die Sinneinheit repräsentiert und gleichzeitig den handelnden Arm des Volkes darstellt. Auch wenn der Monarch sich als Souverän sieht und dies vom Volke akzeptiert wird, befindet er sich doch in einer Vertretungsfunktion für das Volk, wenn auch nicht im juristischen Sinne. Er ist vielmehr Repräsentant des Volkes in dessen Eigenschaft als Sinnträger und handelt für die Sinneinheit, deren Teil er ist. Daher ist selbst in dem historischen Moment, in dem die Handlungsmacht juristisch in einer Hand versammelt ist, die Sinneinheit in der Gesamtheit seiner Glieder begründet. Dieser Repräsentations- oder Vertretungsbegriff ist ein sehr freier, erlaubt aber, die wechselseitige Bedingtheit von Herrscher und Beherrschtem klarer zu erkennen. Ein weniger freier Repräsentationsbegriff würde 48 49

Voegelin, Rasse und Staat, S. 7. Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 120.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit der Reinen Rechtslehre

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schnell darauf hinauslaufen, die Rolle des Volkes in politischen Formen ohne Volkssouveränität zu vernachlässigen und somit auch die Rolle der Sinneinheit zu unterschätzen oder gar zu übersehen. Eine Staatsformenlehre habe sich nicht mit Typen von Herrschaft zu beschäftigen – Monarchie, Republik etc. –, sondern vielmehr mit den Ideen, die der jeweiligen politischen Form zugrunde liegen und sie begründen. Voegelins Anliegen ist daher, dass die Staatsformenlehre sich nicht „mit der Ansammlung von Merkmalen zur Bildung von Typen zu befassen hat, [. . .] sondern in der Aufweisung der Ideen- und Symbolgesetzlichkeit“ 50 ihre Aufgabe sehen sollte. Für die Staatslehre bedeutet dies ebenfalls den Versuch, hinter die konkreten Formen zu schauen und den Ursprung jeden Staates in der politischen ,Idee‘ zu suchen. Voegelin formuliert dies in Anlehnung an Waitz, dessen Zeitgenossen Dahlmann u. a. so: „[Staats-]Organe [. . .] sind also Symbole, hinter denen wieder Ideen stehen. Die Symbole werden fundiert durch Elemente (der König [. . .], das Volk [. . .]) und diese Elemente bilden den Inhalt von Normen, die man Rechtsnormen nennt“ 51. Voegelin findet somit über den Umweg der Staatsformenlehre zur Klärung der Elemente einer adäquaten Staatslehre: „Die Staatsformenlehre in ihrer Wendung als Symboltheorie ist die Staatslehre katexochen, von der aus die weiteren Stufen der staats- und rechtswissenschaftlichen Probleme erst mit Aussicht auf Erfolg bearbeitet werden können.“ 52 Ideen sind für ihn der Hintergrund, vor dem Symbole in politisch wirksame Emanationen umgesetzt werden. Voegelin sieht in ihnen den im Wesen des Menschen begründeten Versuch, die Welt, die sich diesem in einer geradezu erschreckenden Unbeherrsch- und Unberechenbarkeit darstellt, zu erklären – „thereby [relieving] his life from the [disordering aspects] of existence that always spring up when the possibility of the utter senselessness of a life ending in annihilation is envisaged“ 53, wie er es in der Einleitung der Ende der dreißiger Jahre in Angriff genommenen History of Political Ideas formulieren wird54. Politische Ideen gehören für Voegelin in den Bereich, in dem sich der Mensch seine kleine Welt, sein Kosmion, aufbaut, um sich vor den Ängsten, die den Unwirtlichkeiten der 50

Ebd., S. 124. Ebd. 52 Ebd. 53 Eric Voegelin, Introduction to the „History of Political Ideas“. In: ders., Collected Works Vol. 19, S. 225–237, hier S. 226; deutsch in: Peter J. Opitz (Hrsg.), Zwischen Evokation und Kontemplation Eric Voegelins „Introduction“ zur „History of Political Ideas“ (Occasional Paper, XI, Eric-Voegelin-Archiv), München 2002. 54 Die Einleitung zur History of Political Ideas wird ohne direkten Nachweis auf den Herbst 1939 datiert; siehe Peter J. Opitz, Vom „System der Staatslehre“ zur „Philosophie der Politik und der Geschichte“: Zur Entstehungsgeschichte von Eric Voegelins Order and History. In: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 1, Die kosmologischen Reiche des Alten Orients – Mesopotamien und Ägypten, München 2002, S. 225–286, hier S. 239 f. 51

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2. Antipositivistische Staatslehre

Welt entspringen, zu schützen. Sie stellen sich Voegelin als „the attempts to rationalize the shelter function of the cosmion, the little world of order“ 55 dar. Zu politischen Ideen gehören Aspekte ganz unterschiedlicher Ebenen und Lebensbereiche: „the conception of man; the religious, metaphysical, and ethical ideas of the meaning of human life; the economic structure of society; the ethnical composition of groups; the genesis of the political organization; the elements of tradition preserved or excluded; the role of science and rational speculation; etc.“ 56

Dieser Annäherung an den Ideenbegriff liegt auch schon der 1933 veröffentlichten Studie Rasse und Staat zu Grunde, auch wenn die Differenziertheit in dieser Monographie noch nicht das Niveau der Introduction erreicht hat. In Rasse und Staat stellt Voegelin fest, dass eine klare Aussage über richtig und falsch in bezug auf Ideen (dort vor allem den Menschen im Spannungsfeld zwischen Leib, Seele und Geist) nicht zu treffen sei.57 Das in der Introduction zu den Gegenständen politischer Ideen gezählte Konzept vom Menschen (s. o. – ,the conception of man‘) war Hauptgegenstand von Rasse und Staat. In dieser früheren Abhandlung analysiert er die verschiedenen Rassenideen und wie diese Einfluss auf den Staat und somit auf die politische Ausgestaltung der Welt nehmen. Die Idee ist dabei nicht Ausdruck eines wirklich Gewussten, sondern eines Für-Wahr-Gehaltenen: „the political idea is only to a limited extent descriptive of any reality; its primary function is not a cognitive but a formative one. The political idea is not an instrument of description of a political unit but an instrument of its creation.“ 58 Die Idee ist es also, die die politische Wirklichkeit hervorruft, sie erzeugt – „the primary purpose of the political idea is to evoke a political unit, the cosmion of order, into existence.“ 59 Auch diesen Aspekt führt Voegelin bereits 1933 bei der Betrachtung des spezifischen Gegenstandes der Rasse an: „Wir wollen als sinnleer einen Begriff von Idee ausschließen, nach dem dieses Wort die selbständige Existenz von Substanzen bedeuten soll, die irgendeinem Anschauungsvermögen des Menschen zugänglich sind, ohne daß sie in der geschichtlichen zeitlichen Entfaltung Wirklichkeit hätten.“ 60 Somit können „wir mit Recht von der Leistung einer Idee für den Aufbau der Gemeinschaft sprechen“ 61. Voegelin fasst zusammen: „Der persönliche Geist des Menschen ist der Ort, an dem eine Idee als objektiv seiende ergriffen und sogleich im Akt dieses Ergreifens erzeugt, d.h. verwirklicht wird.“ 62. Damit wird 55 56 57 58 59 60 61 62

Ebd., S. 225. Ebd., S. 226. Siehe Voegelin, Rasse und Staat, S. 118. Voegelin, Introduction, S. 227 f. Ebd., S. 229. Voegelin, Rasse und Staat, S. 120. Ebd. Ebd., S. 121.

2.2 Voegelins Auseinandersetzung mit der Reinen Rechtslehre

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deutlich, „dass die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen zu suchen seien.“ 63 Die oben dargestellten Versuche, Voegelins Werke zwei verschiedenen Phasen zu zu rechnen, deren erste vor 1936 (Henkel) bzw. 1938 (Sigwart) und deren zweite danach zu finden sei, muss erneut überdacht werden. Sowohl vor 1936/38 als auch danach ist Voegelins These, die Richtigkeit einer Idee sei nicht objektiv zu treffen, ebenso deutlich formuliert, wie die, dass eine Idee die konkreten Ausformungen der Gesellschaften erzeuge und damit erst Teil der objektiven Realität werde. Opitz zeigt in seinem Aufsatz zur Entstehungsgeschichte von Order and History64, dass deren Anfänge bis in die späten zwanziger Jahre zurückreichen. Spätestens mit Rasse und Staat habe Voegelin den Menschen in den Mittelpunkt seiner Staatslehre gestellt und somit den Beginn einer „anthropologischen Wende“ 65 als Abkehr von der traditionellen deutschen Staatslehre vollzogen. Der Gottesbegriff, den Henkel als Signum der zweiten Phase anführt, scheint nicht vielmehr als eine Weiterentwicklung von Voegelins älteren Thesen zu sein. Die „fundamentale Zäsur im Gesamtwerk Voegelins“ 66 lässt sich so nur schwer konstruieren. Das verstärkte Interesse Voegelins am Göttlichen gehört zu seiner anthropologischen Perspektive und erfährt vor diesem Hintergrund einige Aufmerksamkeit. Voegelin sieht das Transzendente, das Göttliche als Ereignis innerhalb des menschlichen Geistes – unabhängig davon, ob es etwas Göttliches gibt, ist der Geist des Menschen der Ort, an dem dies wahre oder für-wahr-gehaltene seine Konkretion erfährt –, so dass trotz der angeführten Kontinuitäten eine grundlegende Verschiebung der Perspektive Voegelins erkennen zu wollen, an dieser Stelle zumindest in Zweifel gezogen werden muss, auch wenn eine Entscheidung dieser Frage hier weder von zentraler Bedeutung ist, noch ausgeführt werden kann. Der Aufbau des Staates und die Gegenstände der Staatslehre lassen sich nach Voegelin auf eine Reihe von Elementen zuspitzen: 1. Die Reine Rechtslehre ist für ihn eine Nur-Normwissenschaft und trennt eine Staatslehre von ihren Grundlagen. Das positive Recht ist nur die nähere Funktionsbestimmung einer analytisch vorgelagerten Gruppe. Als solche hat die Reine Rechtslehre ihre Verdienste auf „normlogischem Gebiet“ 67. 2. Die menschliche Gruppe formiert sich zu einer graduell engeren oder weiteren Sinneinheit um eine Idee oder eine Mehrzahl von Ideen, die sie in Sym63

Ebd., S. 2. Siehe Opitz, Vom „System der Staatslehre“ zur „Philosophie der Politik und der Geschichte“. 65 Ebd., S. 227. 66 Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat, S. 90. 67 Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 129. 64

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2. Antipositivistische Staatslehre

bolen sinnlich erfahrbar macht und wird so zum Volk. Die Idee ist keine objektiv wirkliche Substanz bevor sie von Menschen verwirklicht wird. Die Realeinheit des Staates ist also der Mensch. 3. Das Volk ist nicht nur Sinneinheit, sondern auch Sinnträger. Als solcher wird es ebenfalls symbolisiert. Durch Repräsentation im Monarchen, Parlament o. ä. findet die Sinneinheit einen Platz, historisch zu wirken, also tätig zu sein. Die konkret handelnde Größe (Monarch, Parlament o. ä.) vertritt das Volk und „das Volk erscheint als das historische Substrat der Handlung, als die Materie, an der die Sinneinheit sich zur Handlung entfaltet“ 68 4. Das positive Recht ist nicht der erste, sondern ein nachgeordneter Untersuchungsgegenstand der Staatslehre. Für Voegelin stellt sich der Aufbau des Staates so dar: Die durch eine Idee geformte Sinneinheit erzeugt Symbole, deren einzelne Elemente positiv normiert werden können. 5. „Der Staat hat nur ein konstantes Formelement: die Idee der Sinneinheit und die ist für alle Staaten gleich.“ 69

2.3 Die Existenzform der Gesellschaft als Herkunft der Normen – Carl Schmitts Politische Theologie und der Begriff des Politischen Ebenso wie Voegelins Suche nach den nicht-positivistischen Elementen des Staates ist Carl Schmitts staatstheoretischer Ansatz als Abgrenzung gegen die positivistische Staatslehre zu verstehen. Der Staatsaufbau und mit ihm die Frage nach der Bedeutung und dem Wesen des Rechts wird von Schmitt in antipositivistischer Manier analysiert. Mit einer Vielzahl von bedeutenden Essays und Monographien hat Schmitt diesem Ansatz eine ganz eigene Form verliehen, die als „den Durchschnitt juristischer Produktion klar überragend [. . .]“ 70 bezeichnet wird und neben der Überdurchschnittlichkeit auch eine Vieldeutigkeit zuließ, die in einer nahezu unüberschaubaren Masse von Sekundärliteratur Ausdruck fand. Um die geistigen Beziehungsstränge zwischen den erwähnten Schriften Voegelins und der Staatslehre Carl Schmitts herauszuarbeiten, werden im folgenden die oben formulierten staatstheoretischen Maximen als Raster an die Thesen Schmitts angelegt. Die fundamentale Kategorie einer Staatslehre, der Punkt, an dem eine solche Lehre einsetzen muss, war nach Voegelins Frühschrift von 1924 die politische Idee, auf die sich die Sinneinheit und damit das Volk als politische Größe grün68

Ebd., S. 122. Eric Voegelin, Zur Lehre von der Staatsform. In: Zeitschrift für Öffentliches Recht 4(1927), S. 57–608, hier S. 608. 70 Stolleis, Geschichte, S. 165. 69

2.3 Die Existenzform der Gesellschaft als Herkunft der Normen

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det. Erst nach der Analyse dieser Faktoren und ihres Bedingungsgefüges sei der Staat ein Untersuchungsgegenstand der Staatslehre. Kelsen hingegen baut das Recht als fundamentale Analysegröße ein und setzt auf seine Weise Staat und (positives) Recht in eins. Schmitt setzt sich – wie Voegelin – von diesem Versuch Kelsens ab, eine Staatslehre, befreit, gereinigt, von politischen, historischen und soziologischen Elementen, zu konstruieren. War für Voegelin die politische Idee die Grundkategorie der Staatslehre, so bestimmt Schmitt „das Politische“ als „den zentralen Begriff jeder Staatslehre“.71 Sein Begriff des Politischen thematisiert in der ersten Fassung 1927, dann als eigenständige Publikation 1932 „das Verhältnis und die gegenseitige Stellung der Begriffe Staatlich und Politisch auf der einen, Krieg und Feind auf der anderen Seite“ 72. Schmitt zeigt, dass der Staat selber politische Form und damit nicht ewig ist und weist gleichzeitig darauf hin, dass das Politische zunächst durch eine Konstellation, nicht durch einen Inhalt näher bestimmt werden muss: Die Freund-Feind-Konstellation. Er macht mit dieser Abhandlung einen Schritt, den auch Voegelin in seiner Sicht auf eine neu zu erarbeitende Staatslehre fordert: Die Grundstrukturen der menschlichen Gesellschaften sind unabhängig von konkreten politischen Formen in ihren Konstellationen, die als solche die Zeiten überdauern, zu betrachten. Schmitt tut dies mit seiner formalistischen Betrachtung des Politischen. Die Bedeutung, die eine Untersuchung des Verhältnisses der Begriffe Staatlich und Politisch für eine Staatslehre haben dürfte, wurde bereits im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kelsens Reiner Rechtslehre deutlich, in der Staat und Recht synonym gedacht werden. Für Schmitt ist nicht das Recht, sondern vielmehr das Politische der zentrale Begriff. Mit seiner Betrachtung negiert er die Grundlage einer positivistischen Konstellation und stellt bereits im ersten Satz seiner Abhandlung fest: „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“ 73. Schmitt gibt der Staatslehre damit ein Fundament, das dem der Positivisten analytisch weit vorgelagert ist. Der Staat sei „seinem Wortsinn und seiner geschichtlichen Erscheinung nach ein besonders gearteter Zustand eines Volkes“ 74, keineswegs aber der ultimative, sondern lediglich ein kontingenter, nicht notwendiger Zustand. Um das spezifisch Politische zu erkennen, sucht Schmitt nach „spezifisch politischen Kategorien“, die er in Anlehnung an die Kategorien der verschiedenen „relativ selbständigen Sachgebiete menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen“ erarbeitet. Findet er im Morali71 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1996 [19322], S. 45. 72 Ebd., S. 9. 73 Ebd., S. 20. 74 Ebd.

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2. Antipositivistische Staatslehre

schen die „letzten Unterscheidungen Gut und Böse [. . .]; im Ästhetischen Schön und Hässlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich“, so ist die „spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, [. . .] die Unterscheidung von Freund und Feind.“ 75 Damit wird auch deutlich, dass das Politische zunächst selbst keinen Inhalt hat, wohl aber eine Konstellation darstellt. Das Politische ist für Schmitt grundsätzlich keine konkrete Materie, kein Gegenstand, sondern eine Unterscheidung, die den Sinn hat, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen“. Der Feind ist „eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind“.76 Die inhaltliche Auffüllung dieses Fremdartigen, das konkrete Andere ist eine Bestimmung, die später, im tatsächlichen Fall zu bestimmen wäre. Schmitt sucht hier allerdings zunächst nur das Wesen des Politischen näher zu bestimmen, und dieses Wesen des Politischen ist die mehr oder weniger intensive Konfrontations- oder Kooperationskonstellation menschlicher Gruppen zueinander. Im Rückblick auf die Thesen Voegelins, scheint es nahe liegend, Schmitts Begriffsbestimmung des Politischen und Voegelins ,Sinneinheiten‘ in Bezug zu setzen. Voegelin sieht das um politische Ideen gruppierte Volk sich als Sinneinheit vereinigen und vermeidet eine nähere inhaltliche Bestimmung des Begriffs ,Sinneinheit‘, um eine generelle, von der konkreten politischen Form unabhängige Struktur zu bestimmen. Zweifelsohne ist für Schmitt der „polemische Sinn“ aller „politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte“ 77 das Entscheidende, doch wird bei seinen Ausführungen noch etwas anderes deutlich. Sehen wir nämlich von Schmitts „konkrete[r] Gegensätzlichkeit“ 78 ab und schauen eher auf die Konstituierung der Gruppen als auf deren potentiell feindliche Konstellation zueinander, so darf nicht übersehen werden, dass Schmitt von „der eigenen Art Existenz“ spricht, dass es ihm „um die eigene, seinsmäßige Art von Leben“ 79 geht, wenn er von der Gruppe spricht, die sich ihrer Feinde erwehre. Es sind fundamentale Kategorien, die Schmitt ins Feld führt, wenn er von der Konstitution einer Gruppe – meist als Volk – spricht. ,Existenz‘ und ,seinsmäßige Art von Leben‘ verweisen auf nicht weiter differenzierbare bzw. rückführbare Größen. Die von Schmitt „gegebene Definition des Politischen“ 80 bezieht sich auf die ,Art von Leben‘, die für den Träger der besonderen Art von Existenz von solch großer Bedeutung ist, dass sein Leben der Preis dafür ist, 75 76 77 78 79 80

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,

S. 26. S. 27. S. 31. S. 27. S. 33.

2.3 Die Existenzform der Gesellschaft als Herkunft der Normen

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diese besondere Art von Existenz zu verteidigen. In diesem Ernstfall – Krieg oder Bürgerkrieg – zeige sich, ob die menschliche Gruppe – etwa das Volk – tatsächlich eine politische Einheit ist. Erst der Kampf, erst die Bereitschaft zum Ernstfall und zum Krieg beweise die Existenz einer politischen Einheit: „Der Krieg, die Todesbereitschaft kämpfender Menschen, die auf der Seite des Feindes stehen, alles das hat keinen normativen, sondern nur einen existentiellen Sinn, und zwar in der Realität einer Situation des wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind, nicht in irgendwelchen Idealen, Programmen oder Normativitäten. Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, dass Menschen sich gegenseitig dafür töten. Wenn eine solche physische Vernichtung menschlichen Lebens nicht aus der seinsmäßigen Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form geschieht, so läßt sie sich eben nicht rechtfertigen. Auch mit ethischen und juristischen Normen kann man keinen Krieg begründen. Gibt es wirklich Feinde in der seinsmäßigen Bedeutung, wie es hier gemeint ist, so ist es sinnvoll, aber nur politisch sinnvoll, sie nötigenfalls physisch abzuwehren und mit ihnen zu kämpfen.“ 81

Schmitts Konzentrierung auf eine ontische Größe ist hier ähnlich zu verstehen wie der Versuch Voegelins, eine Staatslehre auf eine Sinneinheit auszurichten. Die Existenzform (Schmitt) oder die Sinneinheit (Voegelin) sind Größen, die auf abstrakter Ebene nicht weiter in ihre Bestandteile, ihre Herkünfte und Elemente aufzugliedern sind. Einer näheren Betrachtung, was die historisch existenten Formen angeht, steht aber weder für den einen noch für den anderen etwas im Wege. Die konkreten Ausformungen der Sinneinheiten, respektive Existenzformen, also die historischen Erscheinungen, sind auch Untersuchungsobjekte vor allem Schmitts. Unter anderem in seiner Politischen Theologie hatte Schmitt schon einige Jahre zuvor diesen Gegenstand untersucht und dabei die politischen Theorien aufgegriffen, die eine politische Ausformung einer tiefer liegenden Geisteshaltung seien. Diese Geisteshaltung kann man hier als letzte analysierbare Ausformung der ,Existenzform‘ der politischen Einheit betrachten. Woher diese jedoch kommt, wie sie sich zusammensetzt und worauf sie sich bezieht, entzieht sich der Untersuchung. Voegelin verweist auf diese Argumentation in seinem unveröffentlichten Manuskript Herrschaftslehre und Rechtslehre, das auf 1931/32 datiert ist: Schmitt habe das „Letzte, was ueber diese Einheit gesagt werden kann [. . .] ungemein treffend formuliert: ,Sie existiert oder sie existiert nicht‘.“ 82 Eben dies gilt für die ,Sinneinheit‘. Schmitt leistet schon mit seiner Politischen Theologie von 1922 einen Beitrag, der sich in das ungeschriebene Programm der Antipositivisten einfügt und 81

Ebd., S. 50. Eric Voegelin, Herrschaftslehre und Rechtslehre. In: Eric Voegelin Papers Box 53, Folder 5, S. 107. 82

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2. Antipositivistische Staatslehre

macht deutlich, dass das positive Recht weder geeignet sei, den Staatsaufbau zu klären, noch eine Begründung für das Zusammenspiel der verschiedenen Glieder des Volkes zu liefern und daher als einziger Gegenstand der Kelsenschen Staatslehre vollkommen ungeeignet sei, mehr als eine Normlogik zu sein. Seine „kleine Schrift“ 83 von der Politischen Theologie, die mit Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität unterschrieben ist, greift die positivistische Lehre Kelsens und anderer scharf an. Am Beispiel der Souveränität macht Schmitt deutlich, wie sehr sich beispielsweise Kelsen dem wahren Problem entzieht. Die von diesem vorgelegte „eingehendste Behandlung“ dieses Themas, „die aus den letzten Jahren vorliegt, versucht allerdings eine einfachere Lösung, indem sie eine Disjunktion: Soziologie – Jurisprudenz, aufstellt und mit einem simplistischen Entweder–Oder etwas rein Soziologisches und etwas rein Juristisches gewinnt.“ 84 Einem solchen Gegensatz will Schmitt widersprechen und zeigt zunächst die Mängel von Kelsens Konstruktion, um sich schließlich im dritten der vier Kapitel dem über-positivistischen Teil der Rechts- und Staatslehre zuzuwenden. Im Rückgriff auf Leibniz macht Schmitt dort geltend, dass die Jurisprudenz zwei Facetten habe, die eine Gegensätzlichkeit zur Soziologie unmöglich mache und in dieser Ausprägung eine Verwandtschaft mit der Theologie besitze. „Beide besitzen ein duplex principium, die ratio (daher gibt es eine natürliche Theologie und eine natürliche Jurisprudenz) und die scriptura, das heißt, ein Buch mit positiven Offenbarungen und Anordnungen.“ 85 Schmitt sieht also in der Staatslehre – wie in der Theologie – ein Element, das dem Menschen vorgegeben ist und ein solches, das er selber positiv setze. So wie dem Theologen und Philosophen Gott durch die Schau der Natur und durch die Offenbarung sichtbar werden kann, ist auch der Jurist Schmitt seiner zwei Quellen sicher: Soziologie, Geschichte und Politik auf der einen, positives Recht auf der anderen. Diese Unterscheidung wird noch an Bedeutung gewinnen, wenn im Kapitel 5 der vorliegenden Untersuchung das Selbstverständnis des Juristen Schmitt näher betrachtet wird. Die Verbindung mit der Theologie ist vielfältig; es geht Schmitt um die „prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre“, die „säkularisierte theologische Begriffe“ seien. Neben der historischen Abkunft der staatsrechtlichen Begriffe aus der Theologie seien sie „auch in ihrer systematischen Struktur“ von dieser abhängig. Eine für die Staatslehre notwendige „soziologische Betrachtung“ 86 müsse eben jene systematische Verwandtschaft aufmerksam analysieren. Hier zeigt sich der deutliche Wille Schmitts, der Staatslehre eine soziologische, 83 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 1996 [19332], S. 7. 84 Ebd., S. 26. 85 Ebd., S. 44. 86 Ebd., S. 43.

2.3 Die Existenzform der Gesellschaft als Herkunft der Normen

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also über-positivistische Größe beizufügen. Juristische Begriffe benötigen, so der Autor, eine Soziologie, sollen sie im „positivistischen Zeitalter“ ein ernsthaftes und tragfähiges Gegenkonzept sein. Schmitts Versuch, eine solche antipositivistische Staatslehre aufzubauen, geschieht, wie es bei ihm häufig der Fall ist, in der Bearbeitung historischer Beispiele. Anhand der katholischen Gegenrevolutionäre Bonald, de Maistre und Donosos Cortes zeichnet Schmitt kein Bild der historischen Zufälligkeit, sondern macht an Beispielen deutlich, was in seinen Augen zur Signatur der Moderne gehört. Schmitts Begriff der politischen Theologie verweist auf die Herkunft der staatsrechtlichen Kategorien aus der Theologie, aber auch – in ihrem systematischen Gehalt – aus der Metaphysik, der Geschichtsphilosophie, der Ökonomie o. ä. Sei zu einem bestimmten Zeitpunkt die Theologie das Wichtigste, so werden juristische Begriffe in Anlehnung an die Theologie verwandt. Sei jedoch die Theologie nicht mehr das grundsätzliche Bezugssystem, sondern das Aufklärerisch-Moralische, eine Geschichtsphilosophie, das ökonomische Denken oder die Metaphysik, so seien eben dies die Theologien der anderen Zeit. Theologie steht in diesem Fall nicht nur für die herkömmliche Theologie, die im Mittelalter noch uneingeschränkte Grundlage für die Politik und die Rechtsprechung war. Schmitt benutzt den Begriff Theologie quasi als Metapher für alle größeren Gedankensysteme, die gesellschaftlich prägend wirken. Mit politische Theologie ist sowohl eine Theorie als auch ein Gegenstand der Staatstheorie benannt. Insofern die Politische Theologie eine Theorie ist, benennt sie den Versuch, eine Strukturanalogie zwischen politischer Form, Ideologie und metaphysischem Bild aufzufinden; insofern sie Gegenstand ist, benennt sie eine Ideologie (wobei diese Größe kaum ohne die anderen beiden gedacht werden kann). Schmitt baut seine staatstheoretische Politische Theologie auf, indem er an historischen Fällen Strukturanalogien aufzeigt; gleichzeitig benennt er die historischen Beispiele als Politische Theologie – ob dies nun die Metaphysik Kants, der Positivismus von Comte oder der Marx’sche Sozialismus sei. All diese Gedankengebäude entwickeln eigene juristische Formen, die analog zu ihrer Geisteshaltung geprägt sind. „So ist für ihn Karl Kautsky der Theologe des Erfurter Programms der SPD, Benjamin Constant ,ein Kirchenvater der gesamten liberalen Geistigkeit‘, Bakunin, der Anarchist, gar der ,Theologe des Anti-Theologischen‘, die Juristen sind die ,Theologen der bestehenden Ordnung‘ und die Religion der Bourgeoisie ist die ,Rede- und Preßfreiheit‘.“ 87 Die Analogie wirkt von der Theologie (oder Metaphysik oder Positivismus etc.) auf die politischen Formen, die im Staatsrecht formuliert sind. „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struk87 Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888–1936, (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Band 83) Paderborn u. a. 1998, S. 212.

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2. Antipositivistische Staatslehre

tur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.“ 88 Der Positivismus ist hier ebenfalls Teil der Kategorie vom metaphysischen Bild. Schmitt verzichtet an dieser Stelle bewusst auf den Begriff vom Staat, da er den Staat nur für eine von vielen politischen Organisationsformen hält. Trotzdem gilt auch für den Staat, dass dieser als solcher und seine primären Strukturen nur vor dem Hintergrund eines metaphysischen Bildes verstanden werden können. Auf diese Weise wird die Befindlichkeit, die innere kulturell-metaphysische Struktur (Verfassung) einer Gemeinschaft zur Vorlage für die juristische Formgebung (Verfassungsgesetz). So ist also das Rechtssystem auf einem breiteren, fundamentaleren Hintergrund zu sehen. Was Schmitt ideengeschichtlich für die Souveränität herausarbeitet, hat den Anspruch, den generellen Zusammenhang zwischen Idee – metaphysisches Bild – und politischer Form, aufzudecken. Die klare Herausarbeitung einer „Soziologie juristischer Begriffe“ setze daher auch „eine konsequente und radikale Ideologie“ 89 voraus. Wenn eine existierende Ideologie nicht konsequent und radikal ihre Begriffe aufbaut, zueinander in Bezug setzt und somit eine in sich stimmige Gesamtheit erzeugt, kann eine Soziologie juristischer Begriffe kaum erfolgreich sein, da sie kein klar umrissenes Gegenstandsfeld habe. Eine in die politische Realität überführte Ideologie muss ein klares Bild von sich selbst und ihren Grundsätzen besitzen, wenn sie denn als Abbild einer Idee erkennbar sein soll und nur als solche kann sie Gegenstand der Politischen Theologie sein. Gerät eine konkrete politische Form in eine Situation, in der die zugrundeliegende Idee nicht mehr ersichtlich ist, in der Eklektizismus oder Willkür zum politischen Chaos führen, so wird der Blick auf die Idee erschwert, da es sie so nicht mehr gibt. Die Frage von Idee und ihrer Verwirklichung drängt sich in diesem Zusammenhang auf, auf die später noch einzugehen sein wird. Eine gesellschaftliche Ordnung, die einer positiven Rechtsetzung als Grundlage dienen muss (s. o.), ist allerdings stets auf einer wie auch immer gearteten Idee aufgebaut. Eine Staatslehre, die sich an dieser Struktur orientiert, wird unvermeidlich dazu gelangen, sich der Ideen, die sich als Blaupause der politischen Form und Organisation darstellen, anzunehmen. So finden sich Schmitts Thesen mit den von Voegelin formulierten notwendigen Bestandteilen einer Staatslehre in enger Verwandtschaft – zumindest an den hier dargestellten Punkten. Die Staatslehre, die Voegelin vorschwebt, setzt ebenso wie die Darlegungen Schmitts die politische Idee (oder politische Theologie – Voegelin benutzt in anderem Zusammenhang den Begriff Ziviltheologie90) in den Mittelpunkt. Für beide gilt – zumindest bis in die 30er Jahre –, 88

Schmitt, Politische Theologie, S. 50 f. Ebd., S. 47. 90 Siehe Eric Voegelin, Die Neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung, München 2004, S. 99 ff. 89

2.4 Voegelins Interpretation von Schmitts politischer Einheit als Ideologie

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dass nicht die von einem unabhängigen Punkt als solche festgestellte Wahrheit der konkreten politischen Idee ausschlaggebend ist, sondern lediglich das Fürwahr-halten einer solchen Idee Voraussetzung für eine Sinneinheit respektive Existenzform ist. Die genauere Bestimmung der Existenzform, das Selbstverständnis der Gemeinschaft und ihre Sicht auf die Welt, bestimmen die Formulierung dessen, was innerhalb des Staates richtig und wichtig ist. Schmitt und Voegelin entwickeln diese Vorstellung als ein über konkrete politische Ideen hinweg gültiges und somit historisch konstantes Muster des menschlichen Sozialverhaltens. Erst von der grundlegenden Idee einer Gemeinschaft kann man die anderen Formen der Gemeinschaft verstehen.

2.4 Eric Voegelins Interpretation von Carl Schmitts politischer Einheit als Ideologie Es ist deutlich geworden, dass sowohl Voegelin als auch Schmitt politische ,Ideen‘ als die fundamentale Größe einer Staatslehre betrachten. Erst auf einer Idee können sich politische Einheit, Ordnung und Form aufbauen, die dann auch positives Recht als genauere Ausgestaltung entwickeln kann. Die konkrete Gestalt und die spezifischen Grundlagen einer bestimmten politischen Idee sind in der Analyse der beiden zunächst nicht zentral. Für beide ist die Feststellung unabdingbar, dass eine Staatslehre zunächst die Erkenntnis benötigt, dass eine politische Idee welcher Art auch immer vorhanden ist. Von der zunächst inhaltsleeren Größe politische Idee können weitere Schritte innerhalb einer Staatslehre folgen, doch sind solche Schritte analytisch nachgelagerte Elemente. Die 1931 erschienene Rezension Voegelins von Schmitts Verfassungslehre setzt sich mit diesem Thema intensiv auseinander. Schmitt gerät dabei in die Kritik Voegelins, der bei allem Lob für das überaus reiche Werk Schmitts, „das so sehr von seinem embarras de richesse bedrängt“ 91 sei, an diesem Punkt ansetzt: Schmitt baue seine Verfassungslehre selbst auf einem ideologischen Konstrukt auf und vermöge es daher nicht, in den fundamentalen Bereich einer Staatslehre vorzudringen, in den Realaufbau des Staates, der sich erst jenseits der historisch-konkreten Form in einer Theorie vom Staat genauer bestimmen lasse. Schmitt sei in den Kategorien seiner Zeit gefangen und scheitere daher an der Aufgabe, eine Fundation der Staatslehre jenseits der konkreten politischen Formen und Ideen zu leisten. Zwar stehe die Weimarer Verfassung im Fokus von Schmitts umfangreicher Untersuchung, doch entwickle er auch abstraktere staatstheoretische Grundla91 Eric(h) Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatlichen Prinzipien. In: Zeitschrift für Öffentliches Recht 11(1931), S. 89–109, hier S. 89.

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2. Antipositivistische Staatslehre

gen, so dass Voegelin feststellt, dass die Verfassungslehre „als Unternehmen im Horizont einer allgemeinen Staatslehre“ 92 gedacht sei, wenngleich „die Grundlagenfragen nie selbst Hauptthema werden“ 93. Nichtsdestoweniger stehen auch die fundamentalen Fragen, die bereits Gegenstand dieser Untersuchung waren, in der Verfassungslehre zur Diskussion. Für Schmitt sei nämlich die Verfassung „die Gesamtentscheidung, in der das Ganze einer politischen Einheit sich hinsichtlich seiner besonderen Existenzform bestimmt.“ 94 Wie bereits oben angedeutet zeichnet sich eine Verfassung also zunächst nicht durch die positivrechtlichen Normen aus, sondern durch die Entlehnung ihrer Maximen aus der besonderen Art der Existenzform – oder, wie Voegelin es benennen würde, durch die genauere Bestimmung der besonderen Natur der Sinneinheit. Akteur dieser genaueren Bestimmung ist für Schmitt die politische Einheit. Genau dieser Punkt wird für Voegelin – obwohl er „sich für das Verfassungsverständnis zum geistesgeschichtlich und verfassungsgeschichtlich fundierten sozialempirischen Denkansatz C. Schmitts“ 95 bekennt – zum weitreichenden Kritikpunkt, der auch zentral für das weitere Schaffen Voegelins sein wird. Insofern die Verfassung eine ,Gesamtentscheidung der politischen Einheit‘, also ein Ausdruck des Willens dieser Einheit ist, sei der „in einer politischen Existenz vorfindliche politische Wille [. . .] die letzte Einheit, hinter die Schmitt in seinen prinzipiellen Bemerkungen nicht zurückgeht; er schneidet damit in seinem System das weitere Vordringen in den Realaufbau ab.“ 96 Voegelin kritisiert, dass die Schmittsche Verfassungslehre sich weitgehend auf die „Kategorien von Einheit, Wille, Gewalt, Träger usw., die ohne nähere Begründung als das selbstverständliche Greifwerkzeug, mit dem die Staatslehre nun einmal zu arbeiten habe“ 97 beschränke. Auch wenn „der Wille, zum Element des staatsaufbauenden Menschen durchzudringen, fühlbar bleibt“ 98, verfange sich Schmitt in der Vorstellung, die politische Einheit sei eine Grundkategorie der Staatslehre; eben dies sei aber Teil der politischen Ideenwelt, der kontemporären Sinneinheit. Voegelin formuliert dagegen in diesen Jahren immer wieder, „dass der Mensch der Schöpfer des Staates ist“ und dass somit „ein System der Staatlehre aus der Wesenslehre des Menschen zu entwickeln“ 99 sei. Vor allem in seinen späteren Werken wird Voegelin in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Religion und des Geistes anführen. 92

Ebd. Ebd., S. 90. 94 Ebd. 95 Günther Winkler, Geleitwort. In: Erich Voegelin, Der autoritäre Staat, ein Versuch über das österreichische Staatsproblem, Wien/New York 1997, S. V–XXXII, hier S. XIII. 96 Voegelin, Verfassungslehre von Carl Schmitt, S. 97. 97 Ebd., S. 99. 98 Ebd. 99 Voegelin, Rasse und Staat, S. 7. 93

2.4 Voegelins Interpretation von Schmitts politischer Einheit als Ideologie

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Schmitts Verfassungslehre sei ein Versuch, die Probleme der Verfassung im Besonderen und der Staatslehre im Allgemeinen mit einem „traditionsgebundenen Begriffsapparat“ 100 zu besprechen. Dieser Mangel speise sich aus der grundsätzlichen Haltung des Wissenschaftlers Schmitt, der es nicht vermöge, aus der Gedankenwelt der herrschenden politischen Ideen, der konkreten Sinneinheit, die zu seiner Zeitgenossenschaft gehöre, auszubrechen. Er „nähert sich den Staatsproblemen nicht als Beobachter von außen her, sondern steht selbst im Staat als Schöpfer politischer Ideen. Seine wissenschaftlichen Urteile sind nicht Aussagen eines objekttranszendenten Erkenntnissubjektes über seinen Gegenstand, sondern Sinndurchleuchtungen von einem Punkt innerhalb der politischen Realität. Schmitt steht in der Welt der verfassungspolitischen Ideen des 19. Jahrhunderts, genau so, wie der Hauptgegenstand seiner Untersuchung, die Weimarer Verfassung, in ihr steht. Er nimmt die Verfassung, wie sie vorliegt, und schreitet den Raum der Ideen ab, von dem er wie sie umfasst wird. Er verlässt diesen Raum nie, sondern arbeitet immanent dessen idealtypisches Gewölbe heraus.“ 101

Trotz verbaler Bemühungen, die Kritik an Schmitt zu beschränken, seine Leistungen innerhalb des Denksystems zu loben und ihm aus dessen „Haltung als Beobachter innerhalb der politischen Realität“ 102 keinen Vorwurf zu machen, bleibt seine Kritik fundamental. Schmitt gelänge es schließlich nicht, „sich über seine Stellung in der Realität des Staates klar zu werden und seine Arbeit selbst als Aufbau eines politischen Ideensystems zum Zwecke der interpretativen Durchleuchtung der Weimarer Verfassung zu sehen. Durch das ganze Buch wird der Ton festgehalten, es sei die Ideenwelt, die doch selbst Politik ist, zugleich Aussage über die Staatsrealität; als seien die immanent politischen Begriffe zugleich wissenschaftlich transzendente.“ 103 Acht Jahre später, in der Introduction zu seiner History of Political Ideas, arbeitet Voegelin dieses Problem ohne den direkten Bezug zu Schmitt weiter heraus. Er beschreibt dort den elementaren Unterschied zwischen den Begriffen politische Theorie und politische Idee, die häufig synonym verwendet würden, was zur Folge habe, dass es selbst einigen der besten theoretischen Köpfe nicht möglich war, klar von kontemporären politischen Ideen zu abstrahieren. „The theorist reaches, in those cases, a certain degree of detachment and is able to take a larger view of the political process than his fellow citizens who are engrossed in the daily struggle, but the basic evocative ideas of his own cosmion prove to be the limit that he cannot transgress.“ 104 Zu diesen Theoretikern dürfte Voegelin Schmitt gezählt haben.

100 101 102 103 104

Voegelin, Verfassungslehre von Carl Schmitt, S. 107. Ebd. Ebd., S. 108. Ebd. Voegelin, Introduction, S. 232.

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2. Antipositivistische Staatslehre

2.5 Staatsrecht vs. Staatslehre? Die unterschiedlichen Perspektiven Eric Voegelins und Carl Schmitts Die Fragen, die hier im Zusammenhang mit Schmitts Begriff des Politischen und Politische Theologie erörtert wurden und die Schmitt in großer Nähe zu den staatstheoretischen Vorstellungen Voegelins zeigen, stehen nun dem Eindruck der Kritik Voegelins an der Verfassungslehre entgegen, so dass der erste Eindruck ein widersprüchlicher sein könnte. Ein Blick auf das Selbstverständnis Schmitts weist allerdings in eine andere Richtung. Der Zusammenhang zwischen den grundsätzlichen Formulierungen der beiden erstgenannten Schriften Schmitts und der in scheinbarem Widerspruch dazu stehenden Verfassungslehre, erfährt eine Erhellung, wenn das Selbstverständnis Schmitts näher betrachtet wird. Allerdings kann dies hier nur in einer thesenhaften Darstellung erfolgen und als Anregung für weitere Arbeiten dienen. Einiges deutet darauf hin, dass Schmitt nicht die Intention hatte, am Aufbau einer nach Voegelins Maximen gestalteten Staatslehre mitzuwirken. Es ging Schmitt wohl vielmehr um die Lage, um die konkrete historische Situation, in der er sich befindet und deren Probleme er reflektiert. So wie er in Die politische Theorie des Mythus 1923 formuliert, dass seine dort angestellten Betrachtungen „konsequent auf die ideelle Grundlage politischer und staatsphilosophischer Tendenzen [ge]richtet [sind], um die geistesgeschichtliche Situation des heutigen Parlamentarismus und die Kraft der parlamentarischen Idee zu erkennen“ 105, sind Schmitts Publikationen auf kontemporäre Problemlagen ausgerichtet und teilweise auch nach ihnen benannt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), Die konkrete Verfassungslage der Gegenwart (1931), Unsere geistige Gesamtlage und unsere juristische Aufgabe (1934), Die geschichtliche Lage der deutschen Rechtswissenschaft (1936) oder auch Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44). Dabei erreicht Schmitt häufig eine Stufe der Abstraktion, die dies vergessen lassen. Er zeigt sich immer wieder im Stande, in seine Zeit- und Situationsanalysen fundamentale Einsichten zu verweben, die allerdings zumeist als Bezugsrahmen für das konkrete Problem, das im Zentrum des Interesses steht, konstruiert werden. Auch Voegelin vermerkt im Falle der Verfassungslehre, dass der „unmittelbare historische Anlass für das Buch und der zentrale Gegenstand auf den seine Untersuchungen abzielen, [. . .] die Weimarer Reichsverfassung“ 106 sei. Diese Ausrichtung hat bedeutende Auswirkungen auf das weitere Verhältnis Schmitts zu seinen 105 Carl Schmitt, Die politische Theorie des Mythus. In: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, Berlin 1988, S. 9–18, hier S. 9. 106 Voegelin, Verfassungslehre von Carl Schmitt, S. 89.

2.5 Staatsrecht vs. Staatslehre?

39

grundsätzlichen Einsichten, die im Zusammenhang mit den oben besprochenen Thesen aus Der Begriff des Politischen und Politische Theologie dargelegt wurden. Während Voegelin darauf drängt, in einer noch nicht geschriebenen Staatslehre kontingente, bestimmten Sinneinheiten geschuldete staatstheoretische Ausprägungen von solchen Phänomenen zu unterscheiden, die über die Grenzen dieser Sinneinheiten hinweg in einer ,Wesenslehre vom Menschen‘ (s. o.) zu behandeln wären, begibt sich Schmitt mit seinen Analysen in die Mitte solcher Sinneinheiten – Existenzformen –, um innerhalb dieses Horizonts das dort anzutreffende Ideengefüge zu formen, von Missverständnissen zu reinigen und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Gewissermaßen als Nebenprodukt dieser Tätigkeiten entstanden die grundlegenden Einsichten, die ihn für Voegelin in den 20er und 30er Jahren interessant machten. Hier ist die oben dargelegte Unterscheidung Voegelins zwischen politischer Theorie und politischer Idee von Bedeutung, deren Relevanz Schmitt nicht weiter interessiert zu haben scheint. Voegelin benennt zudem ein Problem, das ihm bei der Konzeption einer politischen Ideengeschichte begegnete. Die politischen Ideen seien nämlich zunächst nur in der Subjektivität einzelner Menschen vorhanden und werden erst durch die Verwirklichung dieser Ideen zu objektiver Realität. Die Ideen und die Verwirklichung der Ideen verschwimmen so im Auge des wissenschaftlichen Betrachters. „They [the ideas, C. H.] are so closely worked into the pattern of political history that a separation of ideas from the reality that they help to create may not be possible at all.“ 107 Schmitt wiederum gibt in seiner Politischen Theologie an, dass die genauere Analyse einer politischen Gedankenwelt – also in seinem Sprachgebrauch einer bestimmten Politischen Theologie – davon abhänge, dass sie ,konsequent und radikal‘ (s. o.) sei. In gewisser Weise ist es Schmitt selbst, der die politische Gedankenwelt seiner eigenen Zeit ,konsequent und radikal‘ entwickeln möchte. Sein Anliegen scheint es zumindest teilweise zu sein, die inneren Widersprüche und Inkonsequenzen offen zu legen, die seinen Zeitgenossen vermeintlich beim Aufbau und der Darstellung der kontemporären politischen Gedankenwelt vor allem auf staatsrechtlichem Gebiet unterlaufen. Denn eines scheint er sich gewiss zu sein: Der tatsächliche Charakter einer politischen Lage kann erst dann verstanden werden, wenn er zugespitzt auf seine eigentliche ideelle Herkunft herauspräpariert wird. Das heißt, dass er das Problem, das Voegelin in der Introduction formuliert hat, durchaus ernstnimmt und den Versuch wagt, eine konkrete politische Verwirklichung einer Idee auf diese Idee (oder auf die Vielzahl ihrer Ideen) selbst zurückzuführen und so die konkrete politische Lage zurück verfolgt bis zu deren eigentlichem Kraftfeld – der Ideenwelt. Die Zusammenhänge zwischen Ideenwelt und politischer Ausformung müssen nach Ansicht Carl Schmitts stimmig sein, also analoge Ausprä107

Voegelin, Introduction, S. 233.

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2. Antipositivistische Staatslehre

gungen haben, um auch tatsächlich als politische Ausformung und nicht als irrige Überzeugung gelten zu können, die ohne geistiges Kraftfeld in der Realität nicht überlebensfähig sind. Voegelins Der autoritäre Staat. Ein Versuch über das österreichische Staatsproblem ist selbst von einem Bemühen geprägt, dass dem Schmitts nahe kommt. Auf eine umfangreiche Darstellung kann hier angesichts der an zahlreichen Stellen erfolgten intensiven Besprechung verzichtet werden.108 Er entwirft zwar ein grundsätzliches Bild der Staatslehre, tut dies aber vor allem, um eine abstrakte Folie für die Darstellung seines eigentlichen Gegenstandes – das ,österreichische Staatsproblem‘, das sich im Jahr 1934 abspielte – zur Verfügung zu haben. Diese Publikation stellt die letzte größere Arbeit Voegelins zu einem staatsrechtlichen Problem dar. Eine der Kernbotschaften seiner Monographie ist seine Unterstützung für den autoritären Staat, der sich für ihn als das kleinere Übel zwischen einem Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland und einer Machtübernahme durch die kollektivistisch orientierten Sozialisten darstellt. Diese Position Voegelins ist der historischen Situation geschuldet, wenngleich er einen theoretischen Rahmen in den Hintergrund dieser Ausführungen stellt. Ebenso wie Schmitts Verfassungslehre ein Teil der politischen Auseinandersetzung ist, müsste auch Voegelins Monographie von 1936 in diese Kategorie eingeordnet werden. Dabei bleibt der Vorwurf, Schmitt mache nicht deutlich, dass er auf dem Boden der politischen Ideenwelt des 19./20. Jahrhunderts argumentiere, lediglich peripher. Für Schmitt selbst gilt diese Argumentation nicht, und er macht auch kein Geheimnis um seine Orientierung an der Sache, die sich historisch vor ihm entfaltet. Der Frage, ob man die grundsätzlichen Probleme, die sich in der Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Anspruch und der Verhaftung an einen konkreten staatsrechtlichen Problemfall – und damit an die politische Auseinandersetzung – auftun, als Motive dafür betrachten kann, dass Voegelin auf eine Fortführung seiner Arbeit an staatsrechtlichen Problemen verzichtet hat, soll hier nicht nachgegangen werden. Die Konzentration auf andere Themen und nicht zuletzt seine Emigration dürften ebenfalls gewichtige Motive gewesen sein. Es ist allerdings bezeichnend, dass die Schrift, die in ihrer inneren Anlage den Schriften Schmitts am nächsten ist, auch die letzte dieser Art war, bevor er sich ideengeschichtlichen und anthropologischen Themen zuwandte, um sich schließlich weiter in Richtung Bewusstseinsphilosophie zu bewegen. Das Problem, das Voegelin in Bezug auf Schmitts Verfassungslehre 1931 formulierte, wurde schließlich für ihn selbst zum Problem, als er sich konkreter staatsrechtlicher Probleme annahm.

108 Siehe bspw. Winkler, Geleitwort; Henkel, Positivismuskritik, S. 67–79; die Dissertationen von Sigwart und Krasemann.

3. Grammatik der Ordnung Die Diskussionen innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften sind spätestens seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch eine besondere Frontstellung der Positivisten und ihrer Gegner geprägt. Die Bedeutung dieser akademischen Auseinandersetzung, die vor allem in Diskussionen um die Grundlagen und Methoden der einzelnen Disziplinen aufbrannte, wurde im ersten Kapitel anhand der Diskussion innerhalb der Staatstheorie, und dort besonders in der konfrontativen Stellung Kelsens zu Schmitt und Voegelin dargestellt. Insbesondere die akademischen Schulen, die sich an der neukantianischen Lehre orientierten – Kelsens Reine Rechtslehre ist hier eines der prominentesten Beispiele – wurden in ihrer bis dahin recht unangetasteten Stellung als wissenschaftlicher common sense massiv herausgefordert und in Frage gestellt. Die besonderen methodischen Prinzipien des Neukantianismus, die die Ebenen von Sein und Sollen, von Wissen und Wollen einer strikten Trennung zuführten, waren Ausgangspunkt und Gegenstand der Kritik. Voegelin und Schmitt erweisen sich als prominente und profunde Gegner des Rechtspositivismus. Ihre Mittel dazu beziehen sie aus einem ideenfundierten Bild des Politischen, das sie der positivistischen Rechtslehre entgegensetzen. Vor diesem Hintergrund erhält eine antipositivistische Lehre den Anspruch, der ,leeren Nomokratie‘ (Heller) des Positivismus einen nicht nur formalistischen Rechtsbegriff entgegen zu setzen. Schmitt und Voegelin entwerfen eine Staatstheorie, in der die kulturellen Werte der politischen Einheit als Grundlage für das positive Gesetzeswerk dienen. Recht besitzt in ihren Augen Elemente, die sich außerhalb verfasster Texte finden lassen. Die kulturellen Werte, aus denen sich Recht formt, bündeln sich im Haushalt der politischen Ideen und formieren so die besondere Art von Existenz, die Sinneinheit eines Volkes, das erst dadurch zum Volk wird. Der Grund, zusammen zu sein, sich als eine politische Einheit zu verstehen, wird von beiden in den von den Menschen geteilten politischen Ideen gesehen. Dieser Versuch, einer ,leeren Nomokratie‘ Inhalt zu geben, dem kalten, formalen positiven Recht eine in der besonderen Art der Existenz, deren Träger das Volk ist, begründeten Rechtsbegriff zu verleihen, bedarf einer Wertedimension, die sich der Beliebigkeit entzieht. Schmitt und Voegelin integrieren gesellschaftliche Werte, die Ausdruck politischer Ideen sind und diese gleichzeitig selber begründen, in die Rechtslehre und die Staatstheorie. Als Frage bleibt allerdings – und dies ist im zweiten Kapitel bereits angedeutet –, welche Art von Werten dort versammelt ist. Die bisherigen Elemente der Staatslehre von Voe-

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3. Grammatik der Ordnung

gelin und Schmitt verweisen lediglich auf formelle Facetten: Es geht um politische Ideen. Doch die materielle Auffüllung des Ideenbegriffs, die Frage nach den konkreten Ideen, kurz, die seit der griechischen Antike gestellte erste Frage der Politischen Philosophie nach dem Guten und Gerechten, blieb bisher unbeantwortet. Welches sind die konkreten politischen Ideen, welches die Werte, die Schmitt und Voegelin in die Staatstheorie integrieren wollen? Und, bevor diese Frage gestellt werden kann – gibt es überhaupt Werte, die dort einen Platz finden sollen? Mit anderen Worten: Vermögen Schmitt und Voegelin den von ihnen kritisierten kalten formalistischen Mechanismus des (Rechts-)Positivismus lediglich mit einer anderen Art des Formalismus’ zu begegnen? Um einer Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen, bedarf es allerdings eines Schrittes über sie hinaus. Da Schmitt und Voegelin sich den zu ihrer Zeit üblichen politischen Kategorien von Sozialismus, Konservatismus, Liberalismus o. ä. weitestgehend entziehen, um einen Standpunkt jenseits dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Sinngebäude zu beziehen, wird erst auf dem Umweg über eine nähere Betrachtung des Ordnungsverständnisses der beiden eine genauere Bestimmung ihrer eigenen Werteverbundenheit zu leisten möglich sein. Voegelin selbst sah es als eine Notwendigkeit an, das „motivating center“ 109 eines Autors zu durchdringen, wenn eine Interpretation Sinn haben soll: Eine Untersuchung „must not attach itself to particular doctrines“ 110. Dabei gerät neben der Identifizierung des Ideenhaushalts eine größere Dimension in den Blickwinkel der Untersuchung, der zugleich Licht auf den Kern der wissenschaftlichen Lehren der beiden Autoren wirft. Die vergleichende Untersuchung, die hier zu leisten ist, bedient sich dieser hermeneutischen Vorgehensweise, um die Nervenbahnen des Ordnungsdenkens beider Autoren freizulegen. Es geht also darum, die je eigene Grammatik der Ordnung zu identifizieren – „die artikulierte Organisierung von Wahrnehmung, Reflexion und Erfahrung [. . .], die Nervenstrukturen des Bewusstseins, wenn es mit sich selbst und mit anderen kommuniziert.“ 111 Nur so wird ein Vergleich der beiden hier vorliegenden Lehren über eine bloße Besichtigung fragmentarisch dargestellter Thesen hinaus in angemessener Tiefe durchzuführen sein. Heinrich Meier formulierte diese Hermeneutik für sich und seine Interpretation der Lehre Carl Schmitts als Politische Theologie so: „Mit ihr soll der Zusammenhang eines Denkens bestimmt werden, in dessen Zentrum der Offenba109 Eric Voegelin, Religion and the Rise of Modernity (History of Politics V). In: Collected Works Vol. 23, Columbia and London 1998, S. 182. Siehe zur Idee des ,motivierenden Zentrums‘ auch Peter J. Opitz, Rückkehr zur Realität Grundzüge der politischen Philosophie Eric Voegelins. In: ders./Gregor Sebba (Hrsg.), The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Festschrift für Eric Voegelin zum Achtzigsten, Stuttgart 1981, S. 21–73, S. 21. 110 Ebd. 111 George Steiner, Grammatik der Schöpfung, München/Wien 2001, S. 11.

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rungsglauben steht: eine Position, die nicht anders zu begreifen ist als dadurch, dass wir sie bis zu dem Punkt – auf ihn hin und von ihm ausgehend – denken, an dem sie ihrem eigenen Anspruch oder Geständnis zufolge dem Denken Einhalt gebietet.“ 112 In eben dieses Zentrum, an dem geoffenbarte Wahrheiten zu finden sind, vorzudringen, ist die Aufgabe dieses Kapitels und es wird sich zeigen, dass sich Schmitt und Voegelin in einer gewissen wenn auch nicht totalen Entsprechung an Geoffenbartem orientierten und es zu einer zentralen Quelle ihrer je eigenen Politischen Wissenschaft gemacht haben. Zudem ist dieser Schritt für den Aufbau der gesamten Untersuchung unerlässlich. Wenn im anschließenden Kapitel 4 die Sicht auf und Beurteilung von historischem Ordnungsdenken der Moderne in seinem dynamischen Veränderungsdrang nachgezeichnet werden soll, kann auf einen Bezugsrahmen nicht verzichtet werden. Eine solche Betrachtung bliebe ohne diesen Bezugsrahmen Stückwerk, da die jeweiligen Interpretationen nicht in ihrer Bedeutungsfülle darzustellen wären. Die Ordnungsbegriffe, die in Kapitel 4 in ihrem historischen Kontext betrachtet werden sollen, blieben bloßes Vokabular, wenn sie nicht in den Bezugsrahmen, den eine solche Grammatik anbietet, eingefügt werden können. Gleichzeitig werfen diese Interpretationen Licht zurück auf die jeweilige Grammatik der Ordnung. Da sowohl bei Schmitt als auch bei Voegelin eine solche Grammatik zu finden ist, wie im folgenden Kapitel zu belegen sein wird, wäre es ein Versäumnis, auf dieses analytische Werkzeug zu verzichten.

3.1 Carl Schmitt 3.1.1 Kritik am Positivismus als Werterelativismus Der Rechtspositivismus in seiner besonderen Form der Reinen Rechtslehre ist von Carl Schmitt stets als einer seiner Hauptgegner im intellektuellen Gefecht angesehen worden. Der „den herkömmlichen Positivismus souverän missachtende“ 113 Jurist belegt ihn mit ätzendem Spott, wenn er in seiner Verfassungslehre über den positivistischen Geltungsgrund des Rechts schreibt: „etwas gilt, wenn es gilt und weil es gilt. Das ist ,Positivismus‘.“ 114 Seine Kritik an der Reinen Rechtslehre als Versuch, das Recht mit dem Staat zu identifizieren und damit alle soziologischen Elemente aus der Rechtswissenschaft auszuschließen und anderen Disziplinen zuzuordnen, findet eine Erweiterung in der Kritik des 112 Heinrich Meier, Epilog. Eine theologische oder eine philosophische Politik der Freundschaft? In: ders., Leo Strauss und Carl Schmitt und der „Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart/Weimar 19982, S. 153–190, hier S. 160. 113 Kurt Sontheimer, Der Macht näher als dem Recht. Zum Tode Carl Schmitts. In: Die Zeit 17(1985), S. 7. 114 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München/Leipzig 1928, S. 9.

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3. Grammatik der Ordnung

Rechtspositivismus als seinsfremdes Machtinstrument, das jedem Herren diene und so in seiner Unbestimmtheit sowohl von der Empirie als auch von der Suche nach dem Guten und Gerechten unabhängig bezeichnet werden kann. Der Begriff Empirie bezeichnet an dieser Stelle die Anbindung des positiven Rechts an ein vorhandenes Rechtsempfinden der von diesem positiven Recht betroffenen Menschen, wohingegen die Suche nach dem Guten und Gerechten eine diesem vorgelagerte Größe ist, aus dem sich das Rechtsempfinden speist. Diese Suche wird von Schmitt in aller Regel als formalistische Größe verwendet, ohne dass er selber den Versuch unternimmt, das konkret Gute und Gerechte zu bestimmen. Schmitt entwirft in seiner 1914 erstmals publizierten Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen ein Bild vom Staat als Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit. Das Recht ist für Schmitt ein dem Bereich der realen Welt völlig entzogenes Ganzes, das erst durch den Staat als Akteur in die Welt der Tatsachen eintaucht und dort wirksam werden kann. Gleichzeitig ist das Recht dem Staate vorgeordnet: „Der Staat, der etwas anderes sein soll als der als selbständiges Wesen gedachte Effekt eines Zusammenwirkens einzelner Menschen, ein Schnittpunkt von Ursachen und Wirkungen, mehr als eine sinnlose Macht, wird in den Rhythmus von Wertungen hineingezogen, zum Gliede einer Welt, die nicht auf ihm ruht, sondern in der er eine Bedeutung zuerteilt bekommt, die er nicht bestimmt, sondern durch die er bestimmt wird. Er verdankt seine Würde einer Gesetzlichkeit, die nicht von ihm sich herleitet, der gegenüber vielmehr seine Autorität derivativ bleibt. Das heißt, da eine solche Gesetzlichkeit nur im Recht gefunden werden kann, dass das Recht nicht aus dem Staat, sondern der Staat aus dem Recht zu definieren, der Staat nicht Schöpfer des Rechts, sondern das Recht Schöpfer des Staates ist: das Recht geht dem Staat voraus.“ 115

Der Staat ist somit das Scharnier zwischen dem transzendenten Recht und dem immanenten Sein und bezieht seinen Wert aus dem Recht. Er ist es auch, der den Einzelnen auf eine Rechtsidee verpflichtet. Die Rechtsidee erhält hier eine der politischen Idee analoge Bedeutung, wie sie im ersten Kapitel dargestellt wurde und in der bekannten Formel „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“ 116 Niederschlag findet. Individuum, Recht und Staat leben aus der Rechtsidee, der politischen Idee heraus und die Verhältnisse und Konstellationen, die sich zwischen diesen drei Größen ergeben, sind durch die Rechtsidee begründet. Auch diese Konstellation erfährt bei Schmitt zunächst keine Spezifizierung. Seine rechtsphilosophische Untersuchung verzichtet auf die genauere Benennung der Rechtsidee, so wie die Formulierung seines idealistischen Begriffs des Politischen ohne konkrete Form auskommt. 115 Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Hellerau 1917, S. 46. 116 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 20.

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Dieses Verhältnis von Staat, Recht und Individuum dient gleichzeitig als Grundlage einer Kritik an der positivistischen Rechtslehre, die über das hinausgeht, was Gegenstand des ersten Kapitels war. Der Staat ist für den Positivisten, wie gesehen, identisch mit dem Recht so wie die Rechtshandlung für diesen identisch mit der Staatshandlung ist. Die von Schmitt als Kraftquelle benannte politische Idee, die in seiner frühen Schrift, die verfasst wurde, als er noch stärker auf die Rechts- als auf die Staatswissenschaft fokussiert war, als Rechtsidee benannt wurde, hat im Positivismus keinen Platz. Der sich ausschließlich in der Normlogik bewegende Positivist negiert die Bedeutung aller außerhalb dieser Normlogik stehender Elemente und verweigert somit auch der politischen Rechtsidee rechtswissenschaftliche Relevanz. Damit wird in Schmitts Augen jede Rechtshandlung von einer seinsmäßigen Größe abgeschnitten und das frei schwebende positive Recht, das nur noch von seiner Geltung getragen wird, gerät in eine Position der Beliebigkeit. Das Recht ist bei Schmitt noch abstrakte Größe aus der Welt der Ideen, die nicht sinnlich erfahrbar ist und somit auch keine seinsmäßige Qualität besitzt. Der Staat bezieht seine Berechtigung und seine Kraft aus der Welt der Idee – konkret: von der Rechtsidee – und konkretisiert diese Ideen gleichzeitig in der Welt. Die vom Positivisten angenommene Identität von Staat und Recht negiert die transzendente ideenweltliche Herkunft des Rechts und verortet die Quelle des Rechts vielmehr im Staat selber. Damit ist der Zirkel geschlossen, der in Schmitts Formulierung zur Rechtsgeltung durch seine Geltung ad absurdum geführt wird. Da der Staat das Recht, das zu verwirklichen er die Aufgabe hat, gewissermaßen selber gebiert, hat er auch nicht mehr die Funktion des Mittlers zwischen Idee und Welt, sondern schließt sich gegen beide ab. Weder Staat noch Recht haben damit bezug zur Idee, noch besitzen sie in der Welt die Kraft, eine Rechtsidee umzusetzen (auch wenn der Anspruch dazu bleibt), weil es diese Idee nicht gibt. Der Staat der Positivisten ist somit für Schmitt eine Luftblase, „eine Hohlform, unfähig zur politischen Einheit jenseits bloßer Machtzusammenballung“ 117, die in sich selbst gilt, aber keinen Kontakt nach außen besitzt. Damit ist ein Problem größerer Tragweite berührt: Die Rechtstheorie des Positivisten öffnet sich gegenüber weltanschaulicher Beliebigkeit. Wenn das Rechtssystem keine Anbindung an eine Rechtsidee mehr besitzt, so wird es an die Mechanismen der Rechtserzeugung angebunden. Aus diesem Verfahren – Legitimität durch Legalität – soll das Recht seine Geltungskraft beziehen. Ein Verfahren jedoch ist offen für jeden Inhalt und, konsequent zu Ende gedacht, besitzt auch keine Werte, keine Verbindlichkeit, keinen Halt mehr: „Der spätere Positivismus kennt überhaupt keinen Ursprung und keine Heimat mehr. Er

117 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Auf dem Weg zum Klassiker. Carl Schmitt in der Diskussion: Politische Theologie als Fluchtpunkt seines Werks. In: FAZ, 11. Juli 1997, S. 35.

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kannte nur entweder Ursachen oder hypothetische Grundnormen.“ 118 Diese aus dem Jahr 1944 stammende Kritik am Rechtspositivismus ist dennoch mit Blick auf Schmitts eigene rechtsphilosophische Abhandlungen ambivalent: Welches sind die Werte, die seinen rechtswissenschaftlichen Entwurf leiten? Wenn Schmitt die Rechtswissenschaft als „Hüterin des nicht nur gesetzten Rechts“ 119 bestimmt wissen will, dann stellt sich die Frage, woraus sich dieses Recht speist und vor welchem Wertehorizont sich dieses nichtpositive Recht entwickeln lässt.

3.1.2 Okkasioneller Dezisionismus Das Werk von Carl Schmitt ist – zumindest dies ist ein Allgemeingut der Schmittforschung – schillernd, vielsagend, teilweise widersprüchlich und vor allem hermetisch. Die verschiedenen Ebenen auf denen Carl Schmitt seine Texte ansiedelt, verwirren auch den aufmerksamen Leser leicht und erlauben nur selten unstrittige Interpretationen. Das spezifisch Hermetische ist Grund für die Vieldeutigkeit und damit auch für die Vielfalt an Interpretationen in der Literatur, die sich mit seinen Thesen beschäftigt. Zu den am meisten diskutierten Fragen gehört die nach der Werteverbundenheit Schmitts und deren potentiellem Niederschlag in seinem Werk. Die Einordnungen, die seine Person und sein Werk im Laufe der Jahre erfahren haben, sind so zahlreich, dass mit der Darstellung all der Zuschreibungen, Identifizierungen, tendenziösen Verortungen und geistigen Abkünften ganze Bände gefüllt sind. Schmitts in Frage stehende Werteverbundenheit wird mit den verschiedensten Einordnungen verbunden. Er ist der eifernde Katholik, der machtversessene Opportunist, Antisemit, wilhelminischer Staatsrechtler, der letzte Rechtspositivist, Nationalsozialist, der Hobbes des 20. Jahrhunderts, Nihilist, Funktionalist, Vater der Grundgesetzväter, Konservativer Revolutionär, Etatist, Expressionist und Hegelianer. Die Reihe ließe sich beliebig lang fortsetzen. Ein Verdikt hält sich nun allerdings hartnäckig seit Jahrzehnten und markiert eine der Hauptdiskussionslinien in der Schmittforschung. Karl Löwith nannte ihn schon 1935 den Vertreter eines „okkasionellen Dezisionismus“ 120 und formulierte unter diesem Titel seine Kritik an Schmitts Wertebegriff, den er als Werterelativismus versteht. In der Tat liegt es nicht fern, Schmitts Werke unter dem Blickwinkel eines potentiellen Formalismus, der ohne inhaltliche Maximen auskommt, zu betrachten. Insbesondere zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft haben Gegner unterschiedlichster Couleur – von Angehörigen der 118 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44). In: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 19853, S. 386–429, hier: S. 411. 119 Ebd. 120 Karl Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von C. Schmitt. In: ders., Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart 1960, S. 93–126.

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NSDAP und der SS bis hin zu ehemaligen Weggefährten wie dem in die Schweiz exilierten Waldemar Gurian – dem schnell Karriere machenden Schmitt ein Höchstmaß an politischer Beliebigkeit und Opportunismus vorgeworfen. Wie im ersten Kapitel herausgearbeitet, ist Schmitts idealistische Sicht des Politischen tatsächlich von der formellen Existenz einer politischen Idee abhängig. Seine Staatstheorie ist um die formelle Existenz einer Idee aufgebaut, bleibt aber der Frage nach dem konkret Richtigen und Guten die Antwort schuldig. Löwiths These nun stellt die Lage, die jeweilige Situation in den Mittelpunkt des Politikverständnisses Schmitts. Bei diesem sei nämlich aufgrund des fehlenden Bezugrahmens einer konkreten politischen Idee die Okkasion, die Gelegenheit, in der man sich gerade befinde, der Bezugsrahmen. Keine übergeordnete Orientierung, keine Verschreibung an Ideale oder Utopien, sondern alleine die Situation, die sich vor Schmitt auftut, wird von Löwith als Bezugsrahmen für seine Entscheidung betrachtet. Der Begriff ,okkasioneller Dezisionismus‘ ist daher ein prägnanter und eine die Sache zuspitzende Formulierung, die nicht zuletzt durch ihre sprachliche Einprägsamkeit seit nunmehr siebzig Jahren Teil der Schmittforschung ist. Löwiths Ansatzpunkt sind drei Werke Schmitts: Der Begriff des Politischen, Politische Romantik, und Politische Theologie. Den Begriff ,Okkasionalismus‘ führt Schmitt in seiner Politischen Romantik 1919 in die Diskussion ein, der ,Dezisionismus‘ wird von Schmitt in der Politischen Theologie 1922 näher beleuchtet und im Zusammenhang u. a. mit Thomas Hobbes und dem spanischen Gegenrevolutionär Donoso Cortes ausgeführt. Schmitt benutzt allerdings diese Begriffe nicht, um eine eigene Lehre eines okkasionellen Dezisionismus zu formulieren, vielmehr ist dies eine Wendung, die Löwith erst aus dem Werk Schmitts extrahiert und kritisch gegen ihn richtet. Carl Schmitt sehe im Romantiker einen Menschentypus, der sich in die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts verorten lasse. Der Romantiker befinde sich in einer historischen Übergangssituation zwischen zwei grundsätzlich verschieden ausgerichteten Jahrhunderten. Im 18. Jahrhundert sei die Politik im Wesentlichen durch ihre Orientierung am Moralischen geprägt. Das Moralische sei das Zentralgebiet des Politischen, von dem aus die politischen Probleme dieser Zeit gelöst werden sollten. Charakteristisch für die Bedeutung eines Zentralgebietes sei der Glaube, dass sich mehr oder weniger alle grundsätzlichen Probleme der Gesellschaft lösen würden, wenn man die Probleme des Zentralgebietes lösen könnte. „Ist ein Gebiet einmal zum Zentralgebiet geworden, so werden die Probleme der anderen Gebiete von dort aus gelöst und gelten nur noch als Probleme zweiten Ranges, deren Lösung sich von selber ergibt, wenn nur die Probleme des Zentralgebiets gelöst sind.“ 121 Schmitt sieht das 18. Jahrhundert als Teil eines mehrere Jahrhunderte dauernden Prozesses, den er das Zeitalter der 121

Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 85.

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Neutralisierungen und Entpolitisierungen nennt. Dieser habe mit den konfessionellen Bürgerkriegen eingesetzt, an dessen Ende die Neutralisierung des Religiösen gestanden habe. Das 17. Jahrhundert sei danach vom Metaphysischen geprägt, das 18. vom Moralischen und schließlich das 19. Jahrhundert vom Ökonomischen. Die Romantik liege also zwischen der zeitlichen Abfolge der Zentralgebiete von Moral und Ökonomie. In dieser Umbruchssituation sei es geradezu charakteristisch, dass die Romantiker keinen Bezugsrahmen für ihr Handeln gehabt haben. „Was nach Schmitts Analyse den Romantiker allgemein kennzeichnet ist, dass für ihn alles zum Zentrum des geistigen Lebens werden kann, weil seine eigene Existenz ohne Mittelpunkt ist. Zentral ist für den echten Romantiker immer nur sein geistreiches und ironisches, aber im Grunde haltloses Ich.“ 122 Hintergrund dieser egozentrischen Haltung sei, so Schmitt, die bürgerliche Herkunft der Romantik. Der vereinzelte und haltlose Bürger, der als emanzipiertes Individuum in der liberalen Welt als letzte Instanz nur noch sich selber sieht, kann so „die ganze Welt zum bloßen Anlass [. . .] für die produktive Betätigung seines ironischen, intriganten“ 123 Ichs nehmen. Diese Struktur des romantischen Denkens gilt für Schmitt auf allen Gebieten und setzt sich bis ins Politische fort. Problematisch sei nach Schmitt die okkasionalistische Haltung des Romantikers weil er keinen Bezugsrahmen seiner politischen Entscheidungen außer sich selber kenne und so einen subjektiven Okkasionalismus pflege. Die Gefahr, die Schmitt beschreibt, liegt in der Instabilität der Egozentrik des Bürgers. Für ihn sei es nur ein kleiner „Schritt bis zum genauen Gegenteil einer extremen öffentlichen Bindung, sei es an der Gemeinschaft der katholischen Kirche oder an die der nationalen Politik, die dann zu einer Art religiöser Angelegenheit wird.“ 124 Löwith folgt Schmitt, wenn er schreibt, dass der romantische Begriff der occasio jede Bindung an eine Norm verneine und münzt dieses Verdikt sogleich gegen Schmitt: „ebenso wie Schmitts Begriff von der Dezision!“ 125 Der Begriff der Dezision gehört für Schmitt zum Politischen. Das Politische ist – wie gesehen – für ihn eine Konstellation von Assoziationen und Dissoziationen, die in Konflikt oder Kooperation um ein zu Entscheidendes kämpfen. Diese Gruppen von Menschen befinden sich in der Auseinandersetzung um die Gestaltung der gesellschaftlichen Realität und sind immer auf die Entscheidung, etwas in die Realität umzusetzen, ausgerichtet. Es gibt für Schmitt daher keine Politik ohne Entscheidung. Politik ist ein Kampf um die richtige Entscheidung 122

Löwith, Okkasioneller Dezisionismus, S. 96. Ebd. 124 Ebd. Schmitt nimmt kritisch Bezug auf die große Welle von Übertritten zum Katholizismus unter den Romantikern, die in ihm allerdings etwas suchten, dass der Katholizismus nicht zu bieten habe. 125 Ebd. 123

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und die Richtigkeit dieser Entscheidung bestimme sich nicht nach einer absoluten Substanz oder einem dem Menschen zugänglichen Wissen, sondern nach der für wahr gehaltenen politischen Idee, die im Hintergrund aller politischen Aktion stehe. Der Romantiker kann aber aufgrund der Abwesenheit eines FürWahr-Gehaltenen keinen Bezugsrahmen außer sich selbst haben; vor allem kann er keinen Bezugsrahmen im politischen Sinne haben, weil er im Innersten auf sich fixiert ist – sich nicht auf eine wie auch immer geartete Gruppierung, Sozietät, soziale Entität beziehen kann. Deshalb ist das Subjekt der politischen Entscheidung in der Romantik unbesetzt. Der Romantiker pflegt „das ,ewige Gespräch‘, die gelegentlich anregende Rede ohne bestimmten Anfang und Ziel.“ 126 Somit sei der Romantiker niemals politisch und die Politische Romantik sei stets pseudopolitisch. Die Figur des Entscheiders ist zwar unter den Romantikern, nicht aber in ihrer Gegenwart unbesetzt, sondern nur vakant. „Weil aber doch zu jeder Zeit entschiedene Menschen den Gang der menschlichen Dinge bestimmen, bedeutet dies für die substanzlose Unentschiedenheit der Romantik, dass sie wider ihren Willen im Dienste von fremden Entscheidungen steht.“ 127 So existiert neben dem „romantischen Möglichkeitssinn“ 128 immer auch der Dezisionist, der Einfluss nehmen will und dem Anspruch auf Weltgestaltung entschiedene Taten folgen lässt. Der Romantiker bleibt schwärmend im Hintergrund der Politik und muss sich vom fremden Entscheider politisch führen lassen, weil er selber keinen Anteil an der Auseinandersetzung um das Gute und Richtige haben will und kann. Die politische Sphäre hört nicht auf zu existieren, nur weil der politische Romantiker ihr gerne entfliehen möchte. Schmitt verortet die Romantik zwar zeitlich in den Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, weist aber darauf hin, dass die Romantik eine geistige Quelle auch für seine Gegenwart darstelle; eine Gegenwart, die – mehr noch als das geistige Umfeld der Romantiker – ohne geistige Quellen auskomme: „Wir erleben heute den Bankrott der idées général“.129 Löwith bleibt kritisch, wenn er fragt, worin denn nun Schmitts Norm bestünde, an der dieser sich selber orientieren könne. Er habe schließlich in seiner kurzen Schrift über Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen dargelegt, dass das Zentralgebiet der Ökonomie mit dem aufkommenden 20 Jahrhundert zugunsten der Technik neutralisiert worden sei. Die Technik wiederum sei für Schmitt entgegen der Hoffnung der westlichen Gesellschaften kein Gebiet, auf dem Politik gemacht werden könne. Die Technik könne kein Zentralgebiet sein, da sie jedem, der sie zu benutzen wisse, dienen würde. Sie kann, nach Schmitt, keine Gruppierungen in 126

Ebd. Ebd., S. 97. 128 Reinhard Mehring, Der Ruf nach dem Menschen. Friedrich Balke dekonstruiert Carl Schmitts personalistische Sehnsüchte. In: FAZ, 20. Aug. 1996, S. 29. 129 Carl Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken. In: Deutsches Reich 4(1934), S. 225–229, hier S. 225, Hervorhebung im Original. 127

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eine Konflikt- oder Kooperationskonstellation bringen und sei damit politikunfähig. Nun sieht Löwith Schmitt exakt an dem Punkt, an dem dieser die Romantiker gesehen hatte: zwischen zwei Epochen der Orientierung an Zentralgebieten, unfähig, sich an eine Norm, an einen Bezugsrahmen zu binden um von diesem Standpunkt aus politische Entscheidungen zu fällen. Schmitt bleibe ein Gefangener seines eigenen Okkasionalismus’, da auch ihm – wie dem Romantiker – nichts zur Verfügung stehe, was er sich als Bezugsrahmen wählen könnte. Der Romantiker versuche, der Politik zu fliehen, indem er sich im ,ewigen Gespräch‘ ergehe. Schmitt hingegen stelle sich der Politik, ohne allerdings zu wissen zu welchem Zweck. Da, wo der Romantiker also alles zum Anlass nehme, produktiv zu sein, seine Gedenken und Schwärmereien einsetzen zu lassen und sich weigert, eine Entscheidung zu treffen, dort setzt Schmitt keinen Bezugsrahmen, sondern die Entscheidung. Der einzige Schritt, der Schmitt also von den Romantikern unterscheide, sei sein Entschluss zum okkasionellen Dezisionismus, zur rein situativen Entscheidung. Der Wille zur Entscheidung hebe Schmitt von der Romantik ab, die Grundlosigkeit des Denkens eine ihn hingegen mit dem Gegenstand seiner Kritik: den Politischen Romantikern. Diese situative Orientierung füge sich, so Löwith, in Schmitts Zeit, die vor dem ,geistigen Nichts‘ (Max Weber) stehe und keine Antwort darauf wisse. Die Kritik, die Schmitt an den Romantikern übt, sie könnten aufgrund ihres fehlenden Bezugsrahmens leicht von der egozentrischen Orientierung in eine extreme öffentliche Bindung hinüberfallen, wendet Löwith ebenfalls gegen ihn. Schmitt sei in seiner „Antiromantik“ 130 dem Staat verfallen und könne dadurch von seinem eigenen Bild des Romantikers kaum unterschieden werden. In der Tat ist Löwiths Aufsatz zu einer Zeit entstanden und unter fremdem Namen publiziert worden, als Schmitt sich an der nationalsozialistischen Politik als preußischer Staatsrat und als Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Juristenbundes eng an das Regime gebunden hatte. Löwith steht also unter dem starken Eindruck des kollaborierenden Schmitt und projiziert diesen Eindruck auf Schmitts gesamtes publizistisches Werk. Schmitts Lehre von der Souveränität fügt sich in dieses Bild Löwiths. Für Schmitt ist ,souverän, wer über den Ausnahmezustand entscheidet‘. Der Souverän – ob ein Einzelner oder eine Gruppe – entscheidet, wann der Ausnahmezustand vorliegt und was zu tun sei. Der Souverän entscheidet kraft seiner Autorität und nicht kraft einer Zustimmung oder kraft der Wahl eines besten Mittels. Es geht bei der Entscheidung des Souveräns nur um seine Stellung als solcher und um die damit verbundene Autorität. Mit Thomas Hobbes stellt Schmitt fest: autoritas, non veritas facit legem. Die souveräne Entscheidung ist also das Beispiel im Werk Schmitts, an dem Löwith den okkasionellen Dezisionismus festmachen kann. „Was Schmitt vertritt, ist eine Politik der souveränen Entschei130

Löwith, Okkasioneller Dezisionismus, S. 96, FN 18.

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dung, für die sich aber der Inhalt nur aus der zufälligen occasio der jeweils gegebenen politischen Situation ergibt und gerade nicht ,aus der Kraft des integren Wissens‘ um das ursprünglich Richtige und Gerechte, wie in Platons Begriff vom Wesen der Politik, woraus eine Ordnung der menschlichen Dinge entsteht.“ 131 Die Grundentscheidung einer politischen Einheit, welche politische Form sie sich geben will, ist die Entscheidung des Souveräns, der unabhängig von einer substantiellen Wahrheit, von einem dem Menschen zugänglichen Wissen, kraft seiner Möglichkeit zu entscheiden, entscheidet. „Dieser nihilistische Grund einer durch nichts mehr gebundenen Entscheidung“ 132 wird von Löwith in bezug zum formalistischen Idealismus Schmitts gestellt. Schon dessen Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen sei von dieser freischwebenden Entschiedenheit geprägt. Schmitt gebe die verschiedenen Zentralgebiete vom 16. bis zum 20. Jahrhundert an, ohne auf das Richtige und Gerechte zurückzugreifen. Formalistisch stellt sich für Löwith auch die von Schmitt in den Mittelpunkt des Politischen gestellte ,Art des Seins‘ dar: „Was heißt hier aber fremde und eigene ,Art des Seins‘ bzw. überhaupt ,seinsmäßig‘, wenn doch das politische Sein gerade keine besondere Art des Seins unter andern betrifft, sondern die Bewahrung des eigenen und die Verneinung des fremden Seins als solchen und im ganzen, die politische ,Existenz‘?“ 133 Auch Schmitts Identifizierung des Krieges als den Moment der höchsten Politik, den Moment, an dem klar wird, ob die eigene Art des Seins eines Volkes so stark ist, dass die Menschen bereit sind, die Verteidigung auch mit dem Leben zu bezahlen, wird von Löwith unter diesem Diktum behandelt. Zwar schreibe Schmitt, dass sein Begriff des Politischen weder eine bellizistische oder militaristische noch eine imperialistische oder pazifistische Haltung zum Ausdruck bringe, doch Löwith sieht in seiner Sicht auf den Krieg als äußerste politische Zuspitzung die grundsätzliche Orientierung seines gesamten Politikbegriffs am Kriege als „antipazifistisch, und infolge dieser polemischen Negation zweifellos in sich selbst bellizistisch.“ 134 So werde auch der Krieg Teil von Schmitts Nihilismus, der seinen Formalismus auszeichne: „Diese radikale Gleichgültigkeit gegen jeden politischen Inhalt der rein formalen Entscheidung, die zur Folge hat, dass alle Inhalte einander gleich-gültig sind, kennzeichnet Schmitts existenzialpolitischen Grundbegriff vom Krieg als dem Höhepunkt der großen Politik.“ 135

131 132 133 134 135

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S.

100. 103. 104. 106. 108.

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3.1.3 Das Problem einer These – die Ebenen von Sein und Sollen Löwiths Analyse des formalistischen Charakters von Schmitts Begriff des Politischen gehört zu den am weitesten verbreiteten Urteilen über den deutschen Staatsrechtler. Der Spiegel sah in Schmitt den Mann, der „die Rechtswissenschaft in das Laster bedingungsloser Rechtfertigung verwandelt“ 136 hatte und knüpfte somit an die These von der ,Gleichgültigkeit gegen jeden politischen Inhalt‘ an. Spinner sah in ihm den Vertreter einer „diskussionsabschneidenden Dezisionen“ 137 zugeneigten Intellektuellenfeindlichkeit. Die Liste der Verfechter eines ,inhaltsleeren‘ Schmitt ließe sich nahezu beliebig erweitern. Trotz dieser Kritik am gewissen- weil inhaltslosen Schmitt, der sich – so ein häufiges Urteil – wegen seiner wertfreien Staatstheorie auch der NS-Bewegung anschließen konnte, bestehen begründete Einwände gegen Löwiths Befund und damit auch gegen die Kritik, die in die gleiche Richtung auf Carl Schmitts Werk schaut. Die beiden oben dargestellten Betrachtungen – zum einen die Kritik Schmitts am Werterelativismus der Positivisten, zum anderen die Kritik am Werterelativismus von Schmitt selbst – stehen sich in einer seltsamen Einmütigkeit gegenüber. Die Diagnose, die Schmitt dem Rechtspositivismus ausstellt, wendet Löwith nahezu gleichlautend gegen diesen selber. Dabei haben beide eine je andere Ebene im Sinn. Schmitts Analyse zielt auf die Frage, welche Elemente die kontemporäre Rechtslehre – nicht seine eigene! – als Untersuchungsobjekte heranzieht. Löwith hingegen fragt nach dem Sollen in Schmitts Lehre. So werden die Ebenen vertauscht und Schmitt gerät in die Kritik auf einem Felde, das zu bestellen er nicht den Anspruch hat. Im ersten Kapitel wurde bereits deutlich, dass es zu den Interessen Schmitts gehört, staatstheoretische Konstanten zu benennen, die über die Zeit hinaus Gültigkeit beanspruchen können. Anders als bei Voegelin ist dies sicher nicht sein Hauptinteresse, sondern fällt gewissermaßen am Rande seiner Arbeit an. Die These, dass politische Gruppen sich um Ideen und Staaten sich um Rechtsideen gruppieren, in ihnen ihr Kraftfeld und ihren analytischen Kern besitzen, ist zunächst einmal dem Anspruch geschuldet, Dauerhaftes, Konstantes aus der Geschichte zu extrahieren. Die Ergebnisse dieses Anspruches können nichts anderes sein, als Größen, die eben nicht konkret sind, sondern formal bleiben, weil sie ja gerade verschiedene historische Ordnungsideen in einen größeren Bezugsrahmen stellen wollen; sie müssen also notwendigerweise vom Konkreten abstrahieren. Sie müssen diese Formalität besitzen, inhaltsleer auf Strukturen verweisen und Konstellationen unabhängig von Konkretem benennen. Wie 136

Ohne Namen, Nachruf Carl Schmitt. In: Der Spiegel 16(1985), S. 269. Helmut F. Spinner, Der ganze Rationalismus einer Welt von Gegensätzen. Fallstudien zur Doppelvernunft, Frankfurt a. M. 1994, S. 19. 137

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anders wäre eine Antwort auf die abstrakte Frage nach dem Politischen, nach dem Verhältnis Staat-Recht oder auch Staat-Politik möglich? Eben dies ist es zudem, was Schmitt für Voegelin interessant macht. Die perspektivisch verfehlte Kritik Löwiths dürfte sich daher auch in Voegelins Urteil über seine Gegenwart fügen, diese habe (noch) nicht das Vokabular, um eine Staatslehre jenseits immanenter, den politischen Ideen der Zeit geschuldeter Einsichten zu entwickeln. Die von Voegelin hoch geschätzten Elemente der Analysen Schmitts sind es, die dem Auge des Kritikers Löwith negativ auffallen. Eine zweite Ebene gesellt sich dazu: Schmitt entwickelt eine Sicht auf das Sein, die sich analytisch klar von der Ebene eines Sollens unterscheiden lässt. Es gibt in Schmitts weiterem Werk zweifelsohne eine Orientierung am Sollen, an konkreten Problemen, an der politischen Lage und ihrer tagespolitischen Konsequenz und manchem stellt sich diese Seite als die Bedeutendere dar. Zumindest für den Juristen dürfte dies die spannendere sein, doch erschließt sich dem Betrachter nur schwerlich das Fundament des Schmittschen Denkens, wenn er sich auf diesen Aspekt des Werkes fixiert. Das Problem Löwiths, ist die Verkennung dieser zwei Ebenen. In seinem Aufsatz wird deutlich, dass er nur von einem Sollen ausgeht. Die Kritik Schmitts an seiner Zeit, die zunächst einmal der Feststellung einer Lage bedarf, wird von Löwith gleich in die Ebene des Sollens eingeordnet. Darauf wird hier später noch zurückzukommen sein. Doch wenn Schmitt das liberale Bürgertum als Klasse definiert, die zur Politik nicht fähig ist und an die romantischen ,ewigen Gespräche‘ anknüpft, so tut er dies, weil er glaubt, es beobachten zu können. Löwiths Kritik vom okkasionellen Dezisionismus behauptet nun, Schmitts Staatstheorie sei eine solche unter dem Postulat der inhaltsleeren Entscheidung. Tatsächlich ist es jedoch so, dass es um die Beschreibung eines wirklich bestehenden Zustandes geht und Schmitt den Träger der leeren Entscheidung, den Bürger kritisiert. Löwith verwechselt die Schmittsche Grammatik der Ordnung also mit der Interpretation einer konkreten Ordnung. In Schmitts Interpretation hat der Ausnahmezustand „für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie“.138 An dieser Stelle bezieht er sich auf die Theologie, die christliche Gottesschau, wenn auch die Politische Theologie, wie gesehen, eine nicht nur an der Theologie orientierte Geschichtsphilosophie ist. Es handelt sich bei dem Begriff Theologie an dieser Stelle nur um eine Metapher, die das ausdrücken soll, was als übergeordnete Orientierung, Bezugsrahmen oder Norm benannt wurde. In der geschichtlichen Epoche des demokratischen Liberalismus spielt die christliche Theologie keine Rolle mehr. Daher ist die Analogie Wunder-Ausnahmezustand aus dem Begriffsschatz der liberalen Jurisprudenz gestrichen. Das Wunder steht in der christlichen Tradition für den Eingriff auf die Dinge der Welt von außerhalb. Ebenso 138

Schmitt, Politische Theologie, S. 43.

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3. Grammatik der Ordnung

wäre dann der Ausnahmezustand zu verstehen als der in der immanenten Rechtswelt nicht vorgesehene Fall, der doch eintritt. Nun ist mit dem Wunder der Ausnahmezustand zwar aus dem geistigen Horizont der liberal-bürgerlichen Demokratie verschwunden, nicht aber aus der Wirklichkeit. Der Raum, den der Ausnahmezustand in der Jurisprudenz einnahm, ist – analog zum Subjekt der Entscheidung in der Romantik – lediglich vakant, nicht beseitigt. So, wie die Romantiker der Entscheidung fliehen wollten und das ,ewige Gespräch‘ suchten, während andere die Entscheidung trafen und somit die politische Schwäche der Romantik aufdeckten, so verhält es sich in Schmitts Augen auch mit der bürgerlichen Welt des 20. Jahrhunderts und der Entscheidung im Ausnahmezustand. Dass der Bürger diese Möglichkeit nicht ernsthaft in betracht zieht, bedeutet für Schmitt nicht, dass es den Ausnahmezustand nicht geben wird. Die Entscheidung im Ausnahmezustand wird allerdings ohne inhaltliche Entschiedenheit getroffen. Der inhaltslose, isolierte und an der Technik orientierte Bürger rechnet nicht mit dem Ausnahmezustand und betrachtet ihn fatalerweise gar nicht als Möglichkeit. So erweist er sich im Moment des tatsächlich auftretenden Ausnahmezustands als unfähig, auf ihn anders zu reagieren als mit einer inhaltsleeren Entscheidung – der Entscheidung aus der Situation heraus. Es kommt eine aus dem Nichts geschaffene Entscheidung zustande. Die Schriften von Rathenau, Weber und anderen sind es, die Schmitt als Visitenkarte einer an Inhalten leeren Gegenwart identifiziert. Webers Entzauberungstheorie ist für Schmitt zunächst schlicht vorhanden und Ausdruck einer allgemeinen Gestimmtheit. Schmitt selbst aber lebt nicht in einer entzauberten Welt. Er fragt trotzdem, wie eine Gegenwart, die inhaltsleer auf die Bühne des Politischen gedrängt wird, reagiert und antwortet darauf, dass diese Gegenwart nichts anderes hat als den okkasionellen Dezisionismus. Er zieht mit der Analyse seiner Gegenwart die Konsequenzen aus seinen eigenen theoretischen Betrachtungen: „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.“ 139 Da für Schmitt gilt, dass die „Metaphysik [. . .] etwas Unvermeidliches“ 140 ist, hat er den Anspruch, die metaphysische Formel seiner Gegenwart zu finden. Das Bürgertum kultiviert für ihn eine Metaphysik der inhaltslosen Technizität, des liberalen Individualismus. Die Orientierung des Bürgers an der Norm, am positiven Recht ist eine inhaltslose, weil die Norm nur Norm ist, sonst nichts. Wenn Schmitt kritisierend zitiert wird141, seine Auffassung von der Dezision sei, „normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren“ 142, dann wird sein Normbe139 140 141 142

Ebd., S. 50 f. Carl Schmitt, Politische Romantik, Berlin 1998, S. 23. Siehe beispielsweise Spinner, Der ganze Rationalismus, S. 35. Schmitt, Politische Theologie, S. 38.

3.1 Carl Schmitt

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griff missverstanden. Schmitt beschreibt die Norm (das positive Gesetz) an sich als bezugsfrei, „erst von einem Zurechnungspunkt aus bestimmt sich, was eine Norm und was normative Richtigkeit ist.“ 143 Mit anderen Worten: Schmitt beschreibt die Entscheidung nur mit Blick auf das positive Recht als ,aus dem Nichts geboren‘ – in einem Rechtsgefüge, das sich auf die Norm beschränke, bleibt die Entscheidung inhaltsleer. Die Norm ist nur dann substantiell, wenn eine Rechtsidee hinter ihr steht. Doch solch eine Idee fehle seiner Gegenwart. Fällt die Entscheidung mit Blick auf den hinter dem positiven Gesetz zu findenden Wertehaushalt – dem Zurechnungspunkt – so ist dort kein Nichts. Für seine Zeit der bürgerlichen Individualität, die im Rechtspositivismus eine juristische Form findet, ist dort allerdings nur Norm und daher auch die leere Entscheidung. Das, was Löwith als okkasionellen Dezisionismus an Schmitts Lehre kritisiert, ist Schmitts konsequente Durchdeklinierung der Politischen Theologie seiner Gegenwart, die er, anders als Löwith es unterstellt, eben nicht gutheißt, sondern zunächst konstatiert und schließlich kritisiert. Die Kritik am Positivismus macht deutlich, dass er das Fehlen eines Wertebezugs als Mangel deutet. Schmitt leidet unter den Zuständen seiner kontemporären Welt aber seine Diagnose ist für den Kritiker schon zu einer Norm von Schmitt selbst geworden. Löwith vermag es nicht, der strikten Trennung von Problemanalyse und Rezeptur, die Schmitt mehr oder weniger versteckt durch sein gesamtes Werk beibehält, zu folgen und diese Ebenen sauber auseinander zu halten. Dies mag verständlich sein angesichts von Schmitts Verstrickung in den frühen Nationalsozialismus, die zum Subtext von Löwiths Kritik gehört. An der Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten lassen sich die moralischen Fallstricke von Schmitts Stil, der zwischen Beobachtung und Therapierezeptur schwankt, erkennen. Sein Schwanken findet zumindest in dieser Zeit „zwischen erhellenden Problemanalysen und falschen praktischen Folgerungen“ 144 statt. Vor diesem Hintergrund ist eine strikte Trennung von Problemanalyse und Rezeptur nur schwer zu leisten, zumal Schmitts Verstrickung in den Nationalsozialismus Schatten auf seine Problemanalyse werfen musste. Die politische Tragfähigkeit seiner Analysen steht in einem Moment auf dem Prüfstand, in dem Löwith an der politischen Tragfähigkeit von Schmitts konkretem Handeln mehr als zweifeln musste. Wird aber Löwiths Kritik selber weiter auf den Prüfstand gestellt, so ist es ratsam, Schmitts Verstrickung in den Nationalsozialismus nicht in das Zentrum der Betrachtung zu stellen. Seine Perspektive und sein Leiden an der Gegenwart gehört zu seiner Überzeugung, dass jede Zeit entsprechend ihrer Geisteshaltung eine politische und juristische Form gebiert. Er sieht in seiner Gegenwart eine defizitäre Geisteshaltung, die defizitäre politische Formen entwickelt und dazu 143 144

Ebd. Mehring, Der Ruf nach dem Menschen, S. 29.

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3. Grammatik der Ordnung

auch noch den connex zwischen den Größen politische Idee – politische Form kaum erkennt. Daher sieht er es als Aufgabe, zunächst diesen connex zu formulieren (u. a. in seiner Politische Theologie), um die Grundlage dafür zu schaffen, dass die Gesellschaft erkennen kann, woran sie krankt. Wie könnte er davon ausgehen, dass eine nicht defizitäre politische Form möglich wäre, wenn schon der Geist, der Ideenhaushalt seiner Zeit ins Schwanken gekommen ist? Für Schmitt ist die Realität – hier die geistige Haltung der Bevölkerung – Träger des Rechts: „Die Norm kann kein Wollen, keinen Zweck tragen; Träger eines Zweckes kann nur eine Realität sein, die vielleicht ihre Aufgabe in der ,Verwirklichung‘ des Rechtes sieht, aber gerade deswegen vom Rechte, soweit vom Zweck die Rede ist, begrifflich streng zu trennen ist. Die Frage nach dem Zweck ist nicht die Frage nach dem Wesen des Rechts, sondern die nach dem Subjekt des im Recht zu findenden Ethos.“ 145 Das Ethos ist das gewordene Sein des Subjektes, also die geschichtlich gewordene besondere Art zu sein. Einzig die Existenzform der Gesellschaft kann die ,Frage nach dem Zweck‘ näher bestimmen. Die Geisteshaltung ist auch in der von ihm konstatierten Krise der Staatlichkeit der entscheidende Faktor. So ist in seinen Augen jede rechtswissenschaftliche Konstruktion Makulatur, wenn sie die Geisteshaltung derer nicht berücksichtigt, die Träger dieses Rechts sind (,Subjekt des im Recht zu findenden Ethos‘). Der Fehlschlag von Löwiths Kritik kann daher als ein Problem der argumentativen Ebenen benannt werden: Während Schmitt sich in der Argumentationslogik noch im Bereich des Befundes aufhält, wähnt Löwith ihn bereits in der Formulierung eines Sollens oder gar eines Zieles – Schmitt beobachtet den Werterelativismus einer entzauberten Welt, Löwith zeiht ihn der Apologie dessen. Seit Löwith wurde diese Deutung „in ungezählten Aufsätzen und Dissertationen variiert und in kruderen Versionen immer aufs neue wiederholt.“ 146 Diese Argumentation öffnet den Blick auf drei Dinge: 1. Die Frage nach der Werteverbundenheit Schmitts ist noch nicht gelöst und muss auf einer anderen Ebene gestellt werden, als Löwith dies versucht. Dieser Frage wird im Folgenden weiter verfolgt. 2. Die Entzauberung der Welt hinterlässt einen Mangel, der im Werterelativismus seinen Ausdruck findet. Daher deutet Schmitt seine Zeit als bisherigen Kulminationspunkt des Verfalls, nicht als den des Fortschritts (Kap. 4). 3. Schmitts Analyse ist auf ein Sein gerichtet, kennt aber ein Sollen, einen Moment jenseits zeitunabhängiger Strukturen. Diese für Schmitt typische Dialektik von Sein und Sollen, von Diagnose und Therapie, ist ein entscheidender Schlüssel für sein Werk (Kap. 5). 145 146

Schmitt, Der Wert des Staates, S. 34. Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 149.

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3.1.4 Das Politische als Wert an sich Schmitt zeichnet im 1963 verfassten Vorwort zur Neuauflage seines Begriff des Politischen seine Sicht auf die Analyse von 1932 nach und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Veränderungen, die die Welt seit dem erfahren hat. Das Politische hatte in der Epoche der Staatlichkeit, die in seinen Augen an ein Ende gekommen sei,147 einen konflikthegenden Charakter. Dadurch, dass Staaten sich gegenüberstehen und in sich eine loyale Bevölkerung wissen, ist der Feind, der politisch möglich ist, im Wesentlichen der äußere Feind. Es stehen sich in diesem Falle zwei klar voneinander abgrenzbare Größen gegenüber: ein Staat dem anderen. In dieser Konstellation geht es nicht um persönliche Feindschaft, um tiefe Verachtung des anderen, sondern um politische Gegnerschaft, in der eine private, wirtschaftliche oder auch moralische Wertschätzung des Gegners durchaus möglich bleibt. Der politische Gegner ist nicht der persönliche Feind. Dies trage dazu bei, dass man auch nur politisch gegen diesen Anderen sei. Er kann ökonomisch sinnvoll und moralisch gut sein. Dies hegt den Konflikt, da der Gegner nicht in seiner gesamten Existenz abgelehnt und bekämpft, sondern lediglich als politischer Feind angesehen werde. Nun sei allerdings diese Gegensätzlichkeit an ein historisches Ende gekommen. Feindschaft habe sich gerade in Partisanenkriegen als total erwiesen, auch der Kalte Krieg zeige Züge der totalen Feindschaft, er „spottet aller klassischen Unterscheidung von Krieg und Frieden und Neutralität, von Politik und Wirtschaft, Militär und Zivil, Kombattanten und Nicht-Kombattanten – nur nicht der Unterscheidung von Freund und Feind, deren Folgerichtigkeit seinen Ursprung und sein Wesen ausmacht.“ 148 Schmitt trennt in seinem Vorwort von 1963 also die zeitlichen Phänomene, die der Entstehungszeit des Begriff des Politischen geschuldet sind, von solchen Elementen seiner dort angestellten Politikdefinition, die er für gültig unabhängig von der Entstehungszeit hält: Das Politische hat in der Epoche der Staatlichkeit (die 1932 auf ihr Ende zusteuert) im Kriegsfalle einen hegenden Charakter. In der nachstaatlichen Epoche (in der sich Schmitt 1963 wähnt), hat der hegende Charakter des Politischen seine Wirksamkeit verloren. Der politische Feind ist im Kalten Krieg potentiell zum totalen Feind geworden. Gültigkeit allerdings beansprucht Schmitt für die analytisch vorgelagerte Betrachtung vom Wesen des Politischen als Intensitätsgrad von Assoziationen und Dissoziationen. Die FreundFeind-Unterscheidung sei auch im Kalten Krieg die Basis der historischen Konfliktsituation. Das Politische ist – Schmitt bestätigt es für sich 1963 – unabhängig von der konkreten Gegensätzlichkeit, die sich in der Auseinandersetzung um die richtige 147 148

Siehe Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 10. Ebd., S. 18.

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3. Grammatik der Ordnung

Ausgestaltung der Welt durch den Menschen zeigt, als Intensitätsgrad definiert. Die Frage, die sich stellt: Wie kommt Schmitt dazu, dieser Definition einen zeitlosen, geradezu ewigen Charakter zuzusprechen? In der Antwort auf diese Frage versteckt sich schließlich, wie zu sehen sein wird, auch die Beantwortung der Frage nach der Werteverbundenheit Schmitts, die im Hintergrund dieses Kapitels eigentliches Interesse bleibt. Schmitts Begriff des Politischen setzt voraus, dass es sich unter Menschen immer nur um Annäherung an das Ziel von Freiheit und Frieden handeln kann. In der politischen Sphäre geht es um die Ausgestaltung der Welt durch den Menschen und um den Kampf um die richtige Formgebung. Die Definition des Politischen als Intensitätsgrad von Konflikt und Kooperation stellt bereits klar, dass Politik nur dort existiert, wo um die Bildung von Gruppen, Interessengemeinschaften, Parteien, kurz, um wie auch immer geartete soziale Entitäten gerungen wird. Ohne Ringen und Konflikt, ohne Auseinandersetzung und Streit gibt es keine Politik; es geht um „Gegensatz und Antagonismus“ 149, so dass von Politik nur dann gesprochen werden könne, wenn die „reale Möglichkeit des Kampfes“ 150 mitgedacht werde. Die Auseinandersetzung und der Kampf stehen als zentrale Elemente in Schmitts Begriffsbildung des Politischen. Die physische Tötung des Feindes, die bewaffnete Auseinandersetzung im inneren einer politischen Einheit – Bürgerkrieg – oder der bewaffnete Kampf gegen den äußeren Feind – Krieg – muss als potentiell möglicher Fall immer mitgedacht werden: „Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten.“ 151 Der Feind „ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ,unbeteiligten‘ und daher ,unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ 152 Schmitt macht deutlich, dass es ihm um eine Einsicht in das Wesen des Politischen geht und nicht um eine verdeckte Auseinandersetzung: „Ob man es für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, dass die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, dass es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier

149 150 151 152

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S.

30. 32. 33. 27.

3.1 Carl Schmitt

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nicht in Betracht. Hier handelt es sich um die seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung.“ 153

Im (Bürger-)Krieg zeigt sich für Schmitt „die äußerste Konsequenz der politischen Gruppierung von Freund und Feind. Von dieser extremen Möglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung.“ 154 Ähnlich wie Heideggers ,Leben zum Tode‘ kommt dem Tod bei Schmitt eine zentrale Bedeutung bei der Analyse des politischen Lebens zu. Von der Möglichkeit des Todes her erfährt das menschliche Leben Sinn, ist erst dadurch wirkliches Leben. Dabei ist nicht der Tod als heroischer Moment des Endes und der möglichen Aufopferung für eine Gemeinschaft gemeint. Die Annahme, Schmitt würde den Tod heroisieren, läuft gerade in die falsche Richtung. Schmitt sieht, dass Menschen sich gegenseitig für politische Ziele umbringen. Daraus zieht er den Schluss, dass Menschen es für Wert halten, für bestimmte Dinge zu sterben. Die Bedeutung des Todes für Schmitts Begriff des Politischen ist daher eine Bedeutung, die sich aus Schmitts Beobachtung speist. „Der Krieg ist durchaus nicht Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik, wohl aber ist er die als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt.“ 155 Hörten die Menschen auf, für ihre Überzeugungen auch zum Tode bereit zu sein, so müsse die gesamte Definition neu überdacht werden: „Der Krieg als das extremste politische Mittel offenbart die jeder politischen Vorstellung zugrunde liegende Möglichkeit dieser Unterscheidung von Freund und Feind und ist deshalb nur so lange sinnvoll, als diese Unterscheidung in der Menschheit real vorhanden oder wenigstens real möglich ist.“ 156 Zumindest als Möglichkeit zeichnet er eine solche Welt nach: „Eine Welt, in der die Möglichkeit eines solchen Kampfes restlos beseitigt und verschwunden ist, ein endgültig pazifizierter Erdball, wäre eine Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik.“ 157 Es geht um die Art des menschlichen Lebens, wie es sich Schmitt real darstellt – es ist das menschliche „Verhalten, in der klaren Erkenntnis der eigenen, dadurch bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden.“ 158 Solange der Mensch also durch die eigene Definition und nähere Bestimmung seiner selbst seine Sicht auf das Gute und Gerechte findet und damit eine ganze Welt erst erschafft, kann er auch denjenigen als Feind erkennen, der diese selbstgewählte Art von Sein negiert und diese selbstgeschaffene Welt bedroht. Die Konsequenz, die das Ende eines solchen Verhal153 154 155 156 157 158

Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 28 f. S. 35. S. 36, Hervorhebung durch C. H. S. 35. S. 37.

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3. Grammatik der Ordnung

tens nach sich zöge, liegt für Schmitt auf der Hand: „Hat es [das Volk, C. H.] nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung [von Freund und Feind, C. H.], so hört es auf, politisch zu existieren.“ 159 Leo Strauss weist in seiner Besprechung von Schmitts Werk 1928 auf die Parallelität von Schmitts Lehre und der griechischen Philosophie hin, die zumindest in der Frage nach dem politischen Wesen des Menschen bestünde. Das Ende der Politik, also das Ende der Freund-Feindunterscheidung habe eine Denaturierung des Menschen zur Folge. „Die Verständigung um jeden Preis ist nur möglich als Verständigung auf Kosten des Sinns des menschlichen Lebens; denn sie ist nur möglich, wenn der Mensch darauf verzichtet, die Frage nach dem Richtigen zu stellen; und verzichtet der Mensch auf diese Frage, so verzichtet er darauf, ein Mensch zu sein. Stellt er aber die Frage nach dem Richtigen im Ernst, so entbrennt angesichts ,der unentwirrbaren Problematik‘ dieser Frage der Streit, der Streit auf Leben und Tod: im Ernst der Frage nach dem Richtigen hat das Politische – die Freund-Feind-Gruppierung der Menschheit – seinen Rechtsgrund.“ 160

Daraus lässt sich die seltsam anmutende aber folgerichtige Konsequenz ziehen, „dass gerade die auf beiden Seiten vorhandene Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt“ 161. Für Strauss und Schmitt ist das „Politische also nicht nur möglich, sondern auch wirklich; und nicht nur wirklich, sondern auch notwendig. Es ist notwendig, weil es mit der menschlichen Natur gegeben ist.“ 162 Hier zeigt sich der Hintergrund der Konzentration auf den Kampf und die Freund-Feindgruppierungen: eine politische Anthropologie. Der Mensch und sein Verhalten seien daher auch Gegenstand aller „Staatstheorien und politischen Ideen“ 163. „Entscheidend ist die problematische oder die unproblematische Auffassung vom Menschen als Voraussetzung jeder weiteren politischen Erwägung, die Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein ,gefährliches‘ oder ungefährliches, ein riskantes oder ein harmlos nicht-riskantes Wesen ist.“ 164 Die Frage nach der Natur des Menschen ist demnach die Frage, an der sich für Schmitt alles entscheidet. Er führt die verschiedenen Anthropologien, die Anarchismus, Autoritarismus, Liberalismus und Sozialismus als Grundlage ihrer politischen Theorie besitzen, an, um deren weitreichende Bedeutung zu belegen. Es hänge vom Menschenbild ab, ob ein starker Staat als Gegengewicht zum nicht vertrau159

Ebd., S. 50. Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. In: Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 121. Zitat „der unentwirrbaren Problematik“ ist bei Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 90 zu finden. 161 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 65. 162 Strauss, Anmerkungen, S. 112. 163 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 59. 164 Ebd. 160

3.1 Carl Schmitt

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enswürdigen Menschen benötigt werde, wie man dies für eine autoritäre Staatstheorie annehmen könne, oder ob der Staat der Unterdrückungsapparat für einen von Natur aus guten Menschen sei. Letzteres führe den Anarchismus zur Verdammung staatlicher Institutionen und verleite den Anarchisten, davon zu träumen, dass der Mensch der Unterdrückung und der Hierarchie, der Ungerechtigkeit und der Unfreiheit mit dem Ende des Staates entfliehen könne.165 Schmitts eigenes anthropologisches Bild ist von der katholischen Erbsündelehre geprägt. Gemäß dem tridentinischen Dogma der römischen Kirche geht er davon aus, dass der Mensch weder von Natur aus böse, noch von Natur aus gut sei.166 Er geht vielmehr von der Gefangenheit des Menschen in einer offenen Position aus. Der Mensch ist zu vielem fähig, nichts ist ihm in diesem Zusammenhang vorbestimmt. Gerade die Unentschiedenheit, die Unauflösbarkeit dieser nicht zu beherrschenden moralischen Grundfrage wird für Schmitt zum zentralen Aspekt seiner politischen Anthropologie. Er stellt sein wissenschaftliches Werk in eine Tradition, die „von einer Verwundung, Schwächung oder Trübung der menschlichen Natur“ 167 ausgeht. Schmitt wiederholt seine politische Anthropologie an zahlreichen Stellen. Nicht nur im Essay Römischer Katholizismus und politische Form168 von 1923 auch in Politische Theologie169 von 1922, im Begriff des Politischen170 von 1927 wird klar, dass Schmitt von einer Offenheit ausgeht, von einer zum Bösen fähigen Natur des Menschen. Trotzdem ist eine Reihe von Autoren immer wieder dazu übergegangen, nicht von einer Trübung der menschlichen Güte zu schreiben, wenn es um Schmitts Anthropologie geht. Ruth Groh sieht Schmitt im Einklang mit Thomas Hobbes als Vertreter einer „negativen Anthropologie“ 171, in dessen Zentrum bei Schmitt die „radikale Sündhaftigkeit des Menschen“ 172 stehe. Bernd Wacker schreibt zustimmend über Hugo Balls Interpretation (von 1924) zu „Schmitts antitridentinische[r] Beanspruchung der Erbsündelehre“ und unterstellt diesem eine „im Grunde“ häretische „Beanspruchung des Dogmas“ 173. Susanne Heil macht hingegen deutlich, dass Schmitt das tridentinische Dogma in seine Politische Theo165 166 167

Siehe Ebd., S. 59 ff. Siehe Ebd., S. 60. Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, München 1984,

S. 13. 168

Ebd., S. 13. Siehe Schmitt, Politische Theologie, S. 61. 170 Siehe Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 54 ff. 171 Ruth Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, Frankfurt a. M. 1998, S. 25. 172 Ebd. 173 Bernd Wacker, Die Zweideutigkeit der katholischen Verschärfung – Carl Schmitt und Hugo Ball. In: ders. (Hrsg.), Die eigentlich katholische Verschärfung . . . Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994, S. 123–145, S. 137. 169

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3. Grammatik der Ordnung

logie überträgt, „indem er behauptet, jede echte politische Theorie denke die Natur des Menschen als böse und gefährlich“. Mit seinen näheren Bestimmungen hebe er „am tridentinischen Dogma des Katholizismus gerade dessen versöhnende, die natürliche Güte des Menschen nicht ausschließende Qualität hervor.“ 174 Schmitts Ausführungen zum ,Bösen‘ im Menschen macht diese Betonung der Offenheit in der Tat kaum missverständlich. Der Mensch könne nicht einfach als böse vorausgesetzt werden. Er sei vielmehr ein „keineswegs unproblematisches, [ein, C. H.] ,gefährliches‘ und dynamisches Wesen“ 175. Eben diese Differenzierung zwischen ,böse‘ und ,gefährlich‘, sowie ,gut‘ und ,ungefährlich‘ wird Schmitt durch Leo Strauss bescheinigt: „Die These von der Gefährlichkeit des Menschen ist demnach die letzte Voraussetzung der Position des Politischen.“ 176 Diese anthropologische Überzeugung einigt für Schmitt daher alle „echten politischen Theorien“ 177. Es geht Schmitt also lediglich um den zum Bösen fähigen Menschen, der das Böse als Preis der Freiheit in sich trägt.178 Theorien, die einen politischen Anspruch haben und von der Güte des Menschen ausgehen, ziehen konsequent den Schluss, dass eine pazifizierte Erde möglich sei. Der offene, dynamische und gefährliche Mensch findet seine logische Fortsetzung in der Einsicht in die unabänderliche Freund-Feindunterscheidung. Ist der Mensch aber ,nur gut‘, so fällt der zwangsläufige Charakter dieser Unterscheidung weg. Damit sind sie in den Augen von Schmitt aber nicht mehr politisch. Sie sind für Schmitt – wie die politische Romantik (s. o.) – ,pseudopolitisch‘. Damit gewinnen sie auf anderer Ebene allerdings wieder politischen Charakter. Indem Menschen sie für richtig halten, werden ihre Ansichten in die Realität getragen. Anhänger solcher Ideen nehmen an der Gestaltung der Welt teil und formen sie nach den pseudo-politischen Grundsätzen an sich unpolitischer Ideen. Sie leugnen die Zwangsläufigkeit, mit der politische Ideen einem Streit um ihre Richtigkeit unterliegen und setzen stattdessen eine Idee in die Welt, deren Richtigkeit sie als unzweifelhaft ansehen. Eine Auseinandersetzung um diese Richtigkeit nehmen sie zumindest für die Zukunft als potentiell nicht mehr nötig an. In Ahnlehnung an den Slogan vom ,Krieg, der die Kriege beendet‘, könnte man diese Auffassung als ,Idee, die den Streit um die Ideen beendet‘ benennen. Damit nehmen sie selber Teil an der politischen Auseinandersetzung (den sie in gewisser Weise als beendet ansehen, wenn denn nur jeder dies einsähe) und somit an der Politik. Für Schmitt war der bürgerliche Libera174 Susanne Heil, „Gefährliche Begegnungen“. Walter Benjamin und Carl Schmitt, Stuttgart/Weimar 1996, S. 52. 175 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 61. 176 Strauss, Anmerkungen, S. 113. 177 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 61. 178 In diesem Sinne siehe auch Rüdiger Safranski, Das Böse oder Das Drama der Freiheit, Frankfurt a. M. 20014, etwa S. 13.

3.1 Carl Schmitt

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lismus beispielsweise „niemals in einem politischen Sinne radikal. Doch versteht es sich von selbst, dass seine Negationen des Staates und des Politischen, seine Neutralisierungen, Entpolitisierungen und Freiheitserklärungen ebenfalls einen bestimmten politischen Sinn haben und sich in einer bestimmten Situation polemisch gegen einen bestimmten Staat und seine politische Macht richten. Nur sind sie eigentlich keine Staatstheorie und keine politische Idee.“ 179 Auch der moralische Anspruch, der sich etwa hinter dem Schlagwort ,Krieg dem Kriege‘ oder hinter der bereits benannten Vorstellung vom ,Krieg, der den Krieg beendet‘ verbirgt, sind typische Ausformungen und irreführende Rhetorik. Unter dem Deckmantel der Befreiung von Gewalt und Kampf wird ein Kampf geführt und Gewalt verübt. Auch Theorien, die sich im Schmittschen Sinne als unpolitisch erweisen, nehmen an der Politik teil. Daher ist die Gegensätzlichkeit von Schmitts Begriff des Politischen einerseits und dem von ihm als verfälschend identifizierenden kontemporären Gebrauch des Wortes politisch andererseits eine Differenz mit Berührungspunkten. Das Pseudo-Politische findet seinen Weg in die Sphäre der echten Politik, weil es unter falschem Anspruch Teil an der Gestaltung der Realität hat. „Kreditsperre, Rohstoffsperre, Zerstörung der fremden Währung“ werden als „,friedliche‘ Mittel“ deklariert, Kriege werden in „Exekutionen, Sanktionen, Strafexpeditionen, Pazifizierungen, Schutz der Verträge, internationale Polizei, Maßnahmen zur Sicherung des Friedens“ 180 umbenannt. Die Sache bleibt, was sie ist: Krieg, Gewalt und machtgestützte Einflussnahme. Das Vokabular vermag dies jedoch zumindest teilweise zu überdecken. Solche Versuche, sich der Einsicht der als böse belegten Politik zu verweigern, haben ihre eigene Perfidität und Gewalttätigkeit entwickelt, sie wenden sich gegen die eigentliche Politik mit politischen Mitteln aber mit antipolitischer Sprache. Dies führt jedoch nur „zu neuen Freund-Feindgruppierungen und vermag der Konsequenz des Politischen nicht zu entrinnen.“ 181 Der Liberalismus habe sich zu einer politischen Kraft entwickelt, die gerade dadurch, dass sie keine eigene politische Idee habe, sondern lediglich „eine liberale Kritik der Politik“ 182 ermögliche, politische Dynamik entwickle. Die pseudo-politischen Theorien und Weltansichten besitzen eine faktische Macht, die unter dem Deckmantel einer Rhetorik verborgen ist, die sich der Einsicht in die Natur des Menschen verweigert und somit zu einem idealen Humus für Utopien und Weltflucht werden. Gleichzeitig gefährden sie den Menschen, da sie mit dem Anspruch auftreten, ihre unpolitischen Theorien in die Realität zu überführen. Dies käme einer Vergewaltigung des Menschen gleich, der sich einer Theorie anzupassen habe, anstatt dass die Theorie zu erfassen versucht, wie 179 180 181 182

Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 61. Ebd., S. 77. Ebd., S. 78. Ebd., S. 69.

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3. Grammatik der Ordnung

die Realität beschaffen ist. Schmitt stellt sich damit gegen eine Vorstellung, die zumal die westliche Kultur als der politischen Struktur der menschlichen Konfliktformen entwachsen betrachtet. Die westliche Zivilisation zeigt sich nach dieser Vorstellung als so weit fortgeschritten, dass sie die konfrontative Stellung der verschiedenen Gesellschaften und Kulturen überwunden zu haben glaubt. Der Mensch habe es dank seiner eigenen Vorstellung-, Willens- und Schaffenskraft geschafft, solch einer konfliktträchtigen Prägung zu entkommen. Die westliche Kultur habe sich in ihrem kontemporären Status so weit entwickelt, dass man von einer menschlichen Kultur der Konfrontation nicht mehr ausgehen müsse; gar im Gegenteil, alles daran zu setzen habe, Kampf und Krieg nur noch als Zustände in der Vergangenheitsform zu beschreiben. Dieser Auffassung, so Heinrich Meier, stelle Strauss seine und Schmitts Haltung entgegen: „Kultur ist immer Kultur der Natur.“ Mag die Kultur als sorgfältige Pflege der Natur, mag sie als harter und listiger Kampf wider die Natur verstanden werden, „in jedem Fall ist ,Kultur‘ Kultur der Natur. ,Kultur‘ ist so sehr Kultur der Natur, dass sie nur dann als souveräne Schöpfung des Geistes verstanden werden kann, wenn die Natur, die kultiviert wird, als Gegensatz des Geistes vorausgesetzt und vergessen worden ist.“ 183 Das Wort vom ,vergessen‘ drückt die ablehnende Haltung aus, die Strauss – und hinter ihm Schmitt – gegenüber einer ,zivilisierten‘, sich selbst pazifizierenden Menschheit hegen. Die Kultur, die sich für Strauss und Schmitt nur vor dem Hintergrund der Natur des Menschen denken lässt, kann sich nicht so weit von seinen Ursprüngen abtrennen, dass sie zur rein menschengemachten Kultur wird. So ist die Frage nach dem Kriege keine Frage nach der Fähigkeit des Menschen, sich zu zivilisieren und pazifizieren, sie zielt vielmehr auf die Natur des Menschen. Die Natur jedoch, anders als die scheinbar beliebig mögliche Um- und Ausformung der menschlichen Kultur, verweist auf das raue Wesen des gefährlichen Menschen, der stets nach Sinn und Wahrheit sucht. Strauss sieht also in Anbindung an die griechische Philosophie eine Gefahr im Bild eines vom Politischen entkleideten Menschen, der auch in Schmitts Augen als „denaturiert“ 184 beschrieben werden muss. Wie alle anderen Theorien Schmitts, so ist auch der Begriff des Politischen mit seiner Nähe zur katholischen Erbsündelehre eine polemische Theorie, die sich gegen eine ganze Reihe von Ideen und Haltungen, von Menschen und Gruppierungen wendet. Einer der Gegner, die Schmitt immer dabei im Auge hatte, war der Liberalismus. „He is anti-liberal because [. . .] it can only insist on a legal formalism which is useless in the exceptional case.“ 185 Die „Unfähigkeit oder Unwilligkeit“, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden,

183

Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, A10 (S. 105 f.). Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 68. 185 Paul Hirst, Carl Schmitt’s Decisionism. In: Chantal Mouffe (Hrsg.), The Challenge of Carl Schmitt, London/New York 1999, S. 7–17, hier S. 14. 184

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erscheint für Schmitt „überall in der politischen Geschichte [. . .] als Symptom des politischen Endes“ 186. Der Verlust des Politischen ist daher eine Gefahr für die ganze Existenz eines Volkes, einer Nation, einer politischen Kultur. Dadurch, dass ein Volk nicht mehr politisch ist, „verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.“ 187 Es ist Schmitts Anliegen, gegen das Ende, für den „Primat des Politischen“ 188 zu schreiben und zu kämpfen. Denn das Ende des Politischen würde gleichzeitig das Ende des politischen Subjekts, der wie auch immer gearteten Gruppe sein. Nicht eine Kategorie würde verschwinden, sondern eine ganze politische Kultur stünde vor ihrem Abschied von der Weltbühne. Wenn ein Volk es nicht mehr schafft, gemeinsam eine genauere Bestimmung dessen zu finden, was für sie zum Guten und Gerechten gehört, wenn die Menschen also die spezifisch politische Frage nicht mehr stellen, dann können sie ihre eigene Welt auch nicht mehr gestalten, in eine Form bringen. „Wer keinen Feind mehr kennt als den Tod [. . .], ist dem Tode näher als dem Leben“ 189. Das Leben muss sich im Kampf gegen das andere Leben zeigen. Die Angst des Bürgers vor dem Tode und die Ignoranz gegenüber dem, der den Tod bringt – der politische Feind –, beruft Schmitt zu dem apodiktischen Urteil „Geist kämpft gegen Geist, Leben gegen Leben“ 190, das er dem Bourgeois entgegensetzt, der keinen Feind mehr kennt, keinen Kampf um den Geist, um das Gute und Gerechte mehr führen will. Und ähnlich wie Schmitt dies für den Romantiker feststellt, der nicht selber zum politischen Entscheidungsträger werden will und deshalb zum Spielball von nichtromantischen, zur Entscheidung bereiten Menschen wird, wird ein Volk, dass sich nicht mehr zu einem bestimmten Guten-und-Gerechten entscheiden kann und damit die Möglichkeit des politischen Kampfes erst eröffnen würde, zum Objekt von anderen zur Entscheidung Bereiten. Dies ist der Hintergrund, vor dem der letzte Satz des Begriff des Politischen erst verständlich wird: „ab integro nascitur ordo“ – „aus der Kraft des integeren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge“.191 Die politische Entscheidung kann nur dann getroffen werden, wenn hinter ihr ein Wissen um das Gute und Gerechte steht. Auch wenn dieses Wissen objektiv betrachtet nur ein Für-Wahr-Gehaltenes ist, speist sich aus diesem integeren, diesem reinen Wissen, Kraft, die zunächst zur Politik befähigt, dann aber auch zur Stärke in der politischen Auseinandersetzung wird. Nach der Durchsicht der Politischen Theologie Schmitts und der Betrachtung von Voegelins Ordnungsdenken, wird noch einmal auf die ordnungsstiftende 186

Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 67. Ebd., S. 54. 188 Klaus von Beyme, Theorien der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne, Frankfurt a. M. 1992, S. 93. 189 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 95. 190 Ebd. 191 Ebd. 187

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Kraft des ,integeren Wissens‘ zurückzukommen sein, um in einem Vergleich mit Voegelins Ordnungsphilosophie zu einer näheren Beurteilung zu kommen. Dann wird auch eine genauere Bestimmung der Substanz dieser Ordnung getroffen werden können, die sich dann weniger als ein nur Für-Wahr-Gehaltenes darstellen wird. Dieser Blick hinein in die Tiefe der Schmittschen Perspektive auf die Sinn- und Ordnungsstiftung, kann erst nach einer genaueren Betrachtung der theologischen Motivlage, die sich in Schmitts Werk verbirgt, geleistet werden. Es wurde deutlich, dass Schmitts Intention eine Art Rettung des Politischen ist. Ohne Fähigkeit zur Entscheidung ist für ihn ein politisches System, ja ein politisches Subjekt gefährdet. Diese Kritik macht er in Bezug auf Deutschland insbesondere mit seiner Kommentierung des Rechtssystems deutlich. Exemplarisch kann man seine Stellungnahmen zur Position des Reichspräsidenten der Weimarer Republik nennen, dem er die Rolle eines Hüters der Verfassung zuschreibt. Schmitt sieht ein nahezu handlungsunfähiges politisches System Ende der Zwanziger Jahre in Deutschland und schreibt als Kommentator der Weimarer Reichsverfassung (WRV) dem Reichspräsidenten Kompetenzen zu, die ihn zu einem kommissarischen Diktator machen. Um die Verfassung des deutschen Volkes vor den Gefahren aus dem Inneren und dem Äußeren zu retten, soll der Reichspräsident selber zum Exekutivorgan werden und per Notverordnung regieren. Da innerhalb des zerrütteten parlamentarischen Systems kaum noch eine politische Entscheidung möglich war, war es in Schmitts Augen der Reichspräsident, der die Ordnung in Deutschland aufrecht erhalten konnte und sollte. Dies war als eine vorübergehende und kommissarische Diktatur angelegt. Das heißt, sie sollte zeitlich begrenzt sein und nur an statt der gelähmten Parlamente und Regierungen fungieren. Mit dieser Aufrechterhaltung der Ordnung bezweckte Schmitt die Garantierung der Verfassung, die als Grundentscheidung zu einer bestimmten politischen Form dem Verfassungsgesetz (der WRV) vorgelagert ist. An dieser Stelle auf die konkrete staatsrechtliche Problematik der Weimarer Republik einzugehen, dient allerdings nicht dem weiteren Interesse der Untersuchung. Die juristischen Details des von Schmitt entworfenen staatsrechtlichen Bildes vom Hüter der Verfassung192 sind in einer geistesgeschichtlichen Abhandlung wie der vorliegenden ohne vorrangige Bedeutung. Für die Frage nach dem Hintergrund von Schmitts Kampf für das Politische ist hier vielmehr eine zweite Facette von Ausschlag: Die theologisch-apokalyptische Sicht Schmitts auf eine potentielle Welt ohne Politik.

192 Carl Schmitt, Hüter der Verfassung, Berlin 1985 [1931]. Siehe auch den thematisch verwandten Aufsatz: Carl Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung [1929]. In: Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1985, hier S. 63–109.

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3.1.5 Katechontik und das Politische Die Lehre vom Katechon dürfte in der langen Reihe von Theorien und Thesen, von Bewertungen und Gedanken Carl Schmitts eine der schillerndsten und innerhalb seiner Gegenwart sicher auch eine der exotischsten sein193, war der Katechon doch keineswegs ein Sinnbild, das zum Allgemeingut des Diskurses insbesondere im Staatsrecht gehörte. Schmitt selber sah die Figur auch nicht mehr als wesentlich für die Theologie, der Disziplin, in der sie aufgrund ihrer Thematik am ehesten einen Platz haben sollte: „Die Theologen von heute wissen es nicht mehr und wollen es im Grunde auch nicht wissen.“ 194 Es wird teilweise gar davon ausgegangen, dass die „Katechon-Problematik“ seit ca. 1000 Jahren „mündlich tradiert worden sei“ 195, ein Vorgang, der zur Mystifizierung geradezu einlädt. Auch die Schmitt-Exegese ließ die Figur des Katechons weitgehend unberücksichtigt. Wohl mit der Ausnahme von Hofmann, der in seiner bis heute mehrfach wieder aufgelegten Dissertation von 1960 Legitimität gegen Legalität auch den Katechon oberflächlich erwähnt, die Bedeutung dieser Figur aber nicht weiter verfolgt,196 gehörte der Katechon nicht zum Interesse derer, die sich mit Carl Schmitt auseinander setzten. Berthold macht auf der einen Seite eine gewisse Ignoranz der Schmitt-Forschung dafür verantwortlich, wenn er bemängelt, dass Schmitts Katholizität „nur deshalb so oft aus dem Blick geraten [konnte; C. H.], weil viele meinten, diesen Punkt mit einem souveränen Ignoramus übergehen zu können oder ihn doch nicht überschätzen zu sollen.“ 197 Andererseits zeigen sich für ihn die Fundamente der Lehre Schmitts in größerer Klarheit erst in den 1991 erschienenen Aufzeichnungen Schmitts der Jahre 1947 bis 1951. Dort zeige sich, dass sich „hinter dem brillanten und viel bewunderten Juristen Carl Schmitt ein in das 20. Jahrhundert verlaufener Großinquisitor und Kreuzzügler verbirgt, dessen Obsessionen ihre Quelle in der apokryphen Lehre des heiligen Apostels Paulus haben.“ 198 Nach der Veröffentlichung der Tagebücher ist eine Reihe von Ab193 Berthold nennt sie „rührend exotisch“, Lutz Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf? – Zur Selbstglossierung Carl Schmitts. In: Leviathan (1993) 2, S. 285–299, hier S. 299. 194 Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951 (hrsg. von Eberhard Freiherr von Medem), Berlin 1991, hier 19.12.1947. 195 Walter Seitter, Katechontiken im 20. Jahrhundert nach Christus. In: Katechonten. Den Untergang aufhalten (Tumult. Schriften zur Verkehrswissenschaft, Bd. 25), Berlin 2001, S. 104–126, hier S. 106. 196 Siehe Hoffmann, Legitimität gegen Legalität, S. 220. 197 Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf?, S. 286, Hervorhebung dort. 198 Ebd., S. 298. Die Figur des Großinquisitors stammt aus Dostojewksij, Die Brüder Karamasov, auf die Schmitt auch anspielt: etwa Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 54; auch: ders., Glossarium, 23.5.1949. Zu Dostojewksij: siehe genanntes Werk, auch das gesondert publizierte Kapitel aus demselben: ders., Der Großinquisitor, Stuttgart 2002.

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handlungen zu diesem Thema erschienen.199 Die weitgehende Nichtberücksichtigung bis in die 1990er Jahre hinein scheint zunächst verständlich, fällt doch der Begriff ,Katechon‘ nur sehr selten in den Werken Schmitts. Von einer ausformulierten Lehre kann gar keine rede sein. Gerade die wenigen Passagen jedoch, in denen der ,Aufhalter‘ Erwähnung findet und auch die Ausarbeitungen insbesondere von Heinrich Meier200, zeigen, wie eminent wichtig diese Gedanken für die Gesamtinterpretation des Werkes von Carl Schmitt sein dürften. Dabei sind die Nennungen von Schmitt selber nicht nur gering an Zahl, sondern auch in verschiedenen Bedeutungsfacetten zu finden. Um ein Verständnis für die Dimension der Katechonfigur zu bekommen, scheint es unerlässlich auch von Schmitt unabhängige Schriften über diese Figur zu sichten, zumal der Katechon kein „Schmitt-Begriff“ 201 ist. Mit der Lehre vom Katechon gewinnt Schmitts Werk an christlich-apokalyptischem Charakter. Er öffnet mit dieser Figur das Feld der innerweltlichen Politik zum Transzendenten, bindet sie ein in einen großen Rahmen christlicher Geschichtsphilosophie und schließt somit die Politik an einen Erlösungsprozess christlichen Entwurfs an. Bei der Frage nach dem Bezugsrahmen seines Denkens, der Ordnungsgrammatik Schmitts, muss die Suche nach einem Archimedischen Punkt ihren Platz finden. Formuliertes Erkenntnisinteresse war es, Schmitts eigenen Wertehaushalt genauer zu betrachten, um den nicht mehr hintergehbaren Punkt zu entdecken, aus dem Schmitt Berechtigung und Kraft für seine Theorien schöpft. Warum kämpft er für das Politische? Warum hat er Angst vor einer Welt ohne es? Eine Antwort darauf kann sicher nicht in der Formulierung von Schmitts potentiellen menschlichen Defiziten (wie es die These eines puren Opportunismus’ Schmitts durchaus täte) gefunden werden, zumal dieser Untersuchungsgegenstand wohl eher in der Psychologie beheimatet sein dürfte.202 Dem folgenden Abschnitt liegt die These zugrunde, dass es 199 Siehe z. B. Günter Meuter, Zum Begriff der Transzendenz bei Carl Schmitt. In: Der Staat, 1991, S. 483–512; ders., Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994; Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf?; Felix Großheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, Berlin 1996; auch verschiedene Artikel im Sammelband von Bernd Wacker (Hrsg.), „Die eigentlich katholische Verschärfung . . .“; siehe weiterhin zahlreiche Artikel in der Zeitschrift: Katechonten. Den Untergang aufhalten (Tumult. Schriften zur Verkehrswissenschaft, Bd. 25), Berlin 2001. 200 Siehe dazu bspw. die beiden in der Neuauflage von Meiers Carl Schmitt und Leo Strauss erschienenen Ausätze Heinrich Meiers, Der Philosoph als Feind. Zu Carl Schmitts ,Glossarium‘ (S. 141–152) und Epilog (S. 153–190). Siehe ebenfalls insbesondere das letzte Kapitel in Meier, Die Lehre Carl Schmitts, Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar 1994, S. 187 ff. 201 Walter Seitter, Katechontiken im 20. Jahrhundert, S. 104. 202 In der Tat versucht Nicolaus Sombart eine solche Untersuchung des Gesamtwerkes Schmitts, den er persönlich sehr gut kannte, in dem er sich weitgehend an einem freudianischen Bezugsrahmen orientiert: Nicolaus Sombart, Die deutschen Männer

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einen solch nicht hintergehbaren Punkt in Schmitts Werken gibt und dass dieser feste Anker des Schmittschen Denkens eben in dessen Interpretation des Katholizismus im Allgemeinen und der Figur des Katechons im Besonderen zu finden ist. Das geschichtsphilosophische Fundament, seine Eschatologie findet sich in der „Theorie vom Katechon“ 203. Der Zurechnungspunkt, den Schmitt für unverzichtbar in Recht und Politik hält, findet sich in dieser christlichen Figur. Die Figur des Katechons wird im Neuen Testament im 2. Tessalonicherbrief des Paulus erwähnt. Dort wird allerdings lediglich seine Rolle, nicht aber seine Identität genannt – wer der Katechon ist, wird nicht weiter erwähnt, Paulus setzt ihn der Gemeinde als bekannt voraus: „Lasst Euch durch niemand und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt. Erinnert ihr Euch nicht, dass ich euch dies schon gesagt habe, als ich bei Euch war? Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält, damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird. Denn die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss der erst beseitigt werden, der sie bis jetzt noch zurückhält. Dann wird der gesetzwidrige Mensch allen sichtbar werden. Jesus, der Herr, wird ihn durch den Hauch seines Mundes töten und durch seine Ankunft und Erscheinung vernichten. Der Gesetzwidrige aber wird, wenn er kommt, die Kraft des Satans haben. Er wird mit großer Macht auftreten und trügerische Zeichen und Wunder tun. Er wird alle, die verlorengehen, betrügen und zur Ungerechtigkeit führen; sie gehen verloren, weil sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die sie gerettet werden sollten. Darum lässt Gott sie der Macht des Irrtums verfallen, so dass sie der Lüge glauben; denn alle müssen gerichtet werden, die nicht der Wahrheit geglaubt, sondern die Ungerechtigkeit geliebt haben.“ (2. Tessalonicher, 2, 3–12, Einheitsübersetzung)

Die von den frühchristlichen Gemeinden unmittelbar erwartete Parusie und der damit verbundene Jüngste Tag und die endgültige Erlösung wurde dort von Paulus mit einer Bedingung verknüpft: Zunächst muss der Antichrist auf der Erde herrschen und daher derjenige, der ihn bis jetzt aufhält, beseitigt werden. Wenn dies geschehen ist, ,wird der gesetzwidrige Mensch allen sichtbar werden‘. Der Antichrist ist also bereits da und beteiligt sich am Kampf in der Welt. Der Ausgang des Kampfes ist keineswegs offen, wohl aber ist der Zeitpunkt, an dem der Antichrist sein Ziel erreicht haben wird, zwar festgesetzt (s. o.), dem Menschen aber doch unbekannt, weil die Festsetzung des Zeitpunktes dem Menschen nicht einsichtig sei. „Widersacher Gottes sind am Werk, und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München 1991. Zum persönlichen Verhältnis siehe auch Sombarts Autobiographie: Jugend in Berlin. 1933–1943. Ein Bericht, Frankfurt a. M. 1998, hier insbesondere S. 249–276: Spaziergänge mit Carl Schmitt. 203 Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995, S. 826.

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wenn auch nicht immer offensichtlich. Noch gibt es Kräfte, die das Offenbarwerden der Front aufhalten. Unsere Zeit [die Zeit zwischen der Geburt Jesu und der Gegenwart; C. H.] ist eine Zwischen-Zeit, die von dem erwarteten Offenbarwerden lebt.“ 204 Am Aufhalter, oder Katechon, hängt also die Erlösung, indem er den Sieg des Antichristen aufhält, der unablässig sein Werk auf Erden tut. Der Katechon besitzt damit den doppelten Charakter, zum einen den Antichristen aufzuhalten, zum anderen aber damit auch die Parusie hinauszuzögern. Auf der linearen christlichen Zeitachse zwischen Schöpfung und Jüngstem Gericht garantiert er die Potentialität der Zwischenzeit. In ihr ist Welt, Kampf um Gut und Böse, Möglichkeit und Freiheit des Menschen. Der Katechon hält die Welt in der Schwebe, denn er „ist nichts anderes als die Zeit des Aufschubs, des suspendierten Vorgangs, der sich in der Zukunft abzeichnet.“ 205 Solange der Katechon noch da ist, führt das Leben des Menschen weiter in die Zukunft, sein Leid wird verlängert und das Heil läßt auf sich warten, der Kampf des Menschen in der Welt zwischen Erkenntnis und Verblendung, zwischen Gut und Böse, das ernste Spiel in der Freiheit, die erst das Böse ermöglicht, erlebt seine Fortschreibung: Er ist also die Kraft, die den ,Anomos‘ (Cacciari), das Nichts, eben den Antichristen bewahrt, indem er die Welt bewahrt und zugleich damit auch die Gefährdung der Welt durch das Nichts, das Zersetzende weiter garantiert. „Der Katechon, das ist der Mangel, der Hunger, Not und Ohnmacht“ 206, so Schmitt. Der „Katechon bewahrt-bekämpft“ 207 den Antichristen, so dass der Kampf um das Gute und Gerechte weiter geht. „Eine Ambivalenz drängt sich auf, die der Doppelkodierung des Endes entspricht: Offenbarwerden des Bösen und Gottes.“ 208 Diese Geschichtsauslegung ist für Carl Schmitt „die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden“, er glaubt „an den Katechon“.209 Die Frage, was der Katechon ist, scheint nach der Sichtung der Aufhalterfunktion klarer. Wer der Katechon aber ist, bleibt verborgen. Es geht in den Schriften Schmitts um einen Begriff mit changierendem Sinngehalt. „Es gibt zeitweise, vorübergehende, splitterhaft fragmentarische Inhaber dieser Aufgabe.“ 210 Ebenso wie jede Zeit ihre eigenen Werte und Befürchtungen, Gefahren und Rettungsanker in ihrer eigenen Gegenwart sucht, ist der Antichrist zu jeder Zeit etwas anderes, da er der große Zersetzer ist und stets etwas anderes 204 Helmut Kohlenberger, Wandel des Katechon, In: Katechonten. Den Untergang aufhalten, S. 87–91, hier S. 87. 205 Massimo Cacciari, Ambivalenz des Katechon. In: Katechonten. Den Untergang aufhalten, S. 73–86, hier S. 74. 206 Schmitt, Glossarium, 25.9.1949. 207 Cacciari, Ambivalenz des Katechon, S. 74. 208 Kohlenberger, Wandel des Katechon, S. 87. 209 Schmitt, Glossarium, 19.12.1947. 210 Ebd.

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da ist, was zersetzt werden kann. Die Selbstbehauptung des Menschen in der Welt findet stets andere Formen und Ausdrücke, so dass auch stets andere Gefahren und andere Mittel der Zersetzung den Katechon konfrontieren. So wie also der Antichrist auch ein Formprinzip ist – nämlich das des Nichts, der Negation Gottes, es ist die „Zerstörung im Sinne der Aufhebung jeder Grenze, die Form gibt“ 211 –, ist auch der Katechon ein Formprinzip: das des Aufhalters, des Garanten für die Fortführung des weltlichen Kampfes in der Nichtentschiedenheit zwischen Gut und Böse. Katechonten sind, insofern sie Akteur sind, ,Inhaber dieser Aufgabe‘ des Katechontischen (s. o.). Bei Schmitt verschwimmen die Bedeutungsgehalte von Katechon, der zum einen Formprinzip, zum anderen konkreter Akteur ist. Die Akteure haben katechontische Kräfte, sind nicht Katechon an sich. Doch macht er gleichzeitig deutlich, dass er den Katechon für den Garanten der Fortführung der Geschichte hält – Kampf ums Dasein kann nur sein, wenn der Katechon ist.212 Der Christ muss in seiner Welt dem Antichristen einen gehegten Platz einrichten und diesen sowohl bekämpfen, wie auch dulden. „Der Katechon setzt sich dafür ein, den Abtrünnigen in begrenzten Räumen einzubehalten – doch dieser, der wie Gott über allem sein will, kann das nicht ertragen. Der Kampf zwischen diesen beiden Prinzipien findet wirklich statt.“ 213 Der Antichrist verspricht das Licht, die Erleuchtung und behauptet Gott zu sein, daher lockt er den Menschen zur vermeintlich richtigen Erkenntnis. Doch ist dies das Verlocken des Verderbens, dem der Mensch sich leichtfertig hingibt und sich so vom Bösen einfangen lässt. Es geht um die Versuchung, die Erleuchtung in der Welt anzustreben und sich so weit vom Bösen in seinen Bann ziehen zu lassen, dass man an seine eigene Erleuchtung glaubt. Der Mensch muss also gegen den Antichristen kämpfen – und zwar in dem sicheren Wissen, diesen nie besiegen zu können. Glaubt er es trotzdem, so hat er in diesem Moment gegen ihn verloren. Ist er so weit gekommen (vielmehr: hat es so weit kommen lassen), dann ist der Kampf um das Gute und Gerechte beendet. Der Antichrist ist so sehr „zu fürchten“, weil „er Christus nachzuahmen weiß, und sich ihm so ähnlich macht, dass er allen die Seele ablistet“.214 Es wird nun deutlicher, dass der Kampf um das Politische von Schmitt mit dem Ende der Zeiten zusammen gedacht wird. Wenn die Überzeugung erleuchtet zu sein, einsetzt, gibt es keinen Grund mehr, in der Welt um Gut und Gerecht zu kämpfen, ergo wird das Politische aus der Welt ausgeschieden. Dieser 211

Cacciari, Ambivalenz des Katechon, S. 75. Für eine detailliertere Beschreibung und Auflistung der bei Schmitt zu findenden Träger des Katechontischen siehe die Dissertation von Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre von Katechon, insbesondere S. 59–102. 213 Cacciari, Ambivalenz des Katechon, S. 75. 214 Carl Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes, Berlin 1991, S. 61. 212

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Moment ist zugleich auch die Aufhebung der Zeit der Potentialität zwischen Schöpfung und Parusie, er ist Ende der Freiheit, der Möglichkeiten. Jenseits dieses Momentes ist alles eindeutig, alles endgültig klar, nicht mehr veränderbar, die Potenz ist nicht mehr. Diese streitenden Prinzipien haben ihren Platz in der zeitgenössischen Philosophie nicht verloren, auch wenn sie unabhängig vom Katechonbegriff verwendet werden. Giorgio Agamben etwa nähert sich der Identität des Bösen entsprechend den oben gemachten Ausführungen: „Das Böse besteht einzig in der Entscheidung, [. . .] die Potenz, also den eigentlichsten Modus der menschlichen Existenz, als ein Verschulden zu betrachten, das es um jeden Preis zu unterdrücken gilt.“ 215 Der Blick zurück auf die Ausführungen im Abschnitt Das Politische als Wert an sich zeigt die enge Verbundenheit vom Kampf um das Politische und der Aufgabe des Katechons, die Welt im ernsten Spiel der Nichtentschiedenheit zu halten. Das Politische stellt sich als ein Formprinzip dar. Schmitt konstatiert, dass das Politische aus dem stets in anderer Form auftretenden Kampf um das Gute und Gerechte besteht. Die Abwesenheit dieser Auseinandersetzung wäre daher im Wissen um das Richtige zu finden. Schmitt kämpft zunächst nicht für ein konkret Gutes und Gerechtes, sondern dafür, dass man diese Kategorien in der Sphäre des Politischen in den Mittelpunkt stellt. Die Verlockung, sich im Besitz der Erkenntnis zu wähnen, was wirklich und letztgültig richtig sei, muss hier auf die Verlockung, die mit der Chiffre Antichrist belegt wurde, bezogen werden. Schmitts Bekämpfung des Kommunismus und dessen sozialistischer Spielarten sind Ausdruck einer apokalyptischen Dimension in seinem Denken. In seinen Schriften findet dieser Kampf zumeist auf der Ebene des Kampfes um das Politische statt. Schmitt identifiziert im kommunistischen Sinngebäude ein eindeutiges Wissen um das Richtige und eine naturgesetzlich definierte Abfolge von Geschichtlichkeit im ,wissenschaftlichen Sozialismus‘. Folgerichtig ist der dringendste Kampf der gegen die Ideologen des Kommunismus/Marxismus. „Der Marxismus insbesondere ist in einem so intensiven Grade Geschichtsphilosophie, daß jede Berührung mit ihm zu einer geschichtsphilosophischen Auseinandersetzung wird. Die planenden und denkenden Eliten konstruieren sich selbst und die von ihnen gelenkten Massen mit Hilfe geschichtsphilosophischer Sinngebungen. Jede Massenpropaganda sucht ihre Evidenz in dem Nachweis, daß sie auf der Seite der kommenden Dinge liegt. Aller Glaube der Massen ist nur der Glaube, richtig zu liegen, während der Gegner falsch liegt, weil Zeit und Zukunft und Entwicklung gegen ihn arbeiten.“ 216

Was wäre eher Gegner des Katechons als die Ideologie, die von einem Ende des Zwischen ausgeht, das der Katechon garantieren soll? Die Idee eines endkommunistischen Zustandes, in dem die Frage nach Gut und Gerecht nicht 215

Giorgio Agamben, Die kommende Gemeinschaft, Berlin 2003, S. 45. Carl Schmitt, Donoso Cortes in gesamteuropäischer Interpretation. Vier Aufsätze, Köln 1950, S. 12. 216

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mehr gestellt wird, weil sie endgültig beantwortet ist, ist in diesem Sinne auch das Ende der (vom Katechon geprägten) Zeit. Schmitts Kampf um das Politische, das der wissenschaftliche Sozialismus als redundant in die Zukunft projiziert, ist also auch als Kampf um die Geschichte und in apokalyptischer Dimension als Kampf gegen den Antichristen zu verstehen. Der Liberalismus ist in diesem Sinne ein schwacher Gegner, der nur deshalb gefährlich wird, weil er als zunehmende Sinnentleerung der westlichen Gesellschaften den Kampfplatz räumt. Am Kampf um das Politische nimmt der Liberalismus nicht teil, weil er nicht mehr politisch sein will. Die ihn lähmende Neutralität macht demnach den Platz frei für den kampfbereiten Marxisten. So wie der Liberale fern jeder Überlegung, was Gut und Gerecht sei, bleibt, so siegesgewiß sei der Marxist, der sich auf eine bestimmte Form von Gut und Gerecht absolut und ohne kompromissfähig zu sein, festgelegt hat. Dazwischen sieht sich Schmitt mit seinem Willen, zwar für politische Überzeugungen zu kämpfen, doch nicht mit dem totalen Anspruch des Marxismus einer Überzeugung streng zu gehorchen. Der geschichtliche Prozess muss offengehalten werden. Der Marxismus schicke sich angesichts des hilflosen Liberalismus an, seine geschichtsbeendende Vision umzusetzen. Schmitt „is anti-liberal because he claims that liberalism cannot cope with the reality of the political“ 217. Seine Gegenwart ist stark gefährdet, weil das herrschende System – der Liberalismus – das Politische unbesetzt zurückgelassen hat, ja, zum „tückischen Entwaffner“ 218 der politischen Sphäre geworden sei. Wer oder was, soll diesen vakanten Platz aber davor bewahren, vom Kommunismus eingenommen zu werden? Sowohl Schmitts Antiliberalismus als auch sein Antikommunismus sind aus der Quelle gespeist, die sich auf die apokalyptische Konstellation des Kampfes gegen den Antichristen beziehen. Dieser Kampf-gegen des Katechons findet eine strukturelle Entsprechung in Schmitts Konzeption des Politischen, wenn er schreibt, dass „alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte einen polemischen Sinn“ 219 haben; „sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine [. . .] Freund-Feindgruppierung ist, und werden zu leeren und gespenstischen Abstraktionen, wenn diese Situation entfällt.“ 220 Schmitt zeichnet auf der ersten Ebene eine Struktur nach, die er allerdings unter konkreten Beispielen versteckt. Der Versuch, über die Zeit hinweg gültige Konstellationen und Entsprechungen zu finden, lässt ihn unabhängig von zeitbedingten Formen eine Theorie denken, nur aber versteckt formulieren. Auf einer zweiten Ebene macht er somit klar, dass diese theoretischen Erörterungen an die jeweilige Zeit angebunden werden 217 218 219 220

Hirst, Carl Schmitt’s Decisionism, S. 14. Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf?, S. 296. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 31, Hervorhebung dort. Ebd.

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können und müssen. Wenn er sich auch recht leicht tut, Liberalismus und Kommunismus als Gefahren für das Politische zu identifizieren, tut er sich allerdings schwerer, wenn er vom Formprinzip Katechon auf die zweite Ebene übergeht und den Träger katechontischer Kraft sucht: „Man kann doch nicht Churchill oder John Foster Dulles dafür halten“ 221, schreibt er auf der Suche nach einem konkreten Halter katechontischer Kraft. Nötig ist die Suche allerdings, da es in der „Epoche der letzten 1948 Jahre“ 222 stets Träger dieser Kraft gegeben haben muss. Andernfalls wäre die Geschichte bereits längst zu Ende. Die Konstellation des Polemischen sowohl in der Konzeption des Politischen als auch in der Lehre vom Katechon sind Ausdruck von Schmitts zurückhaltender, skeptischer Sicht auf die menschliche Unfähigkeit zur Selbstbestimmung. Ein autonomes, sein eigenes Schicksal bestimmendes Wesen kann in einer solchen Sicht nicht die Konsequenz sein. Schmitt zeigt, dass es stets um das Abwehren von Gefahren in seiner apokalyptischen Sicht auf das Politische geht. Der Mensch Schmittscher Konzeption kämpft die Schlachten, die ihm vom Gegner aufgezwungen werden, so dass die geschichtliche Wirklichkeit im Wesentlichen durch den Gegner geprägt ist und nicht durch das eigene Streben nach Errettung. So wird Schmitt zum Gestalter unter den Umständen und nicht zum Gestalter der Umstände. Es ist ein Kampf, der im äußersten Moment auch zur Situation des absolut Letzten, des eschatologischen Augenblicks wird. Insofern der Mensch gegen das Böse kämpft, besitzt er eine katechontische Funktion und hält sich und die Welt im Moment des Schwebens, der Offenheit und der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, zwischen göttlicher Ordnung und dem Nichts des Antichristen. Daher ist der Kampf-gegen Schmitts auch ein bestimmter, klar umrissener und mit Verve ausgeführter, weil er den Gegner zu erkennen glaubt, doch der Kampf-für bleibt bei Schmitt wesentlich unbesetzt. Dies entspringt der oben dargelegten Logik des Politischen vor dem Hintergrund des Katechontisch-Apokalyptischen einer Notwendigkeit, die Schmitt nicht übergehen kann und doch in einem historischen Moment übergeht. Die von ihm propagierte Abwehr des Antichristen ist – umgesetzt in eine philosophische Sprache – die Abwehr des Bestimmten, des Festgelegten und des Definierten. Ein Vertreter des Katechontischen muss wesensnotwendig die Antwort auf das Wofür? schuldig bleiben. Er kann sich nur bedingt einem Wofür? verschreiben, weil er gefasst sein muss, dass dieses Wofür? bald nicht mehr stark genug ist, sich dem Gegner in den Weg zu stellen. Nur auf der Ebene des Apokalyptischen lässt sich eine Größe ausmachen, für die Schmitt unbedingt eintritt. Der Aufhalter ist es, an dem Schmitt sich stets orientiert. Für ihn kämpft er gegen jeden Feind, den er ausmacht. Schmitts Verwicklung und Kollaboration mit dem NS-Regime war der 221 222

Schmitt, Glossarium, 19.12.1947. Ebd.

3.1 Carl Schmitt

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Moment des großen und fatalen Irrtums von Schmitts katechontisch geprägtem Politikverständnis. Vorübergehend sah Schmitt „in Hitler den Katechonten“ und auch wenn er „sich darin [. . .] von Rom und seinen katholischen Hirten in Deutschland ermuntert fühlen“ 223 durfte, wird der historische Irrtum Schmitts nicht weniger verhängnisvoll. Schmitts Selbstverortung und -erklärung zu seiner Rolle in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gehören sicher zu den umstrittensten und meistdiskutierten Sujets der Schmittforschung. Daher kann an dieser Stelle nur auf die Veröffentlichungen zu den vielfältigen Verstrickungen und Akten der Kollaboration hingewiesen werden.224 In Bezug auf seine Lehre vom Katechon lässt sich hier aber noch ein Motiv zumindest andeuten und zur Diskussion stellen. Mehring fasst Schmitts Selbstzeugnis nahezu umfassend zusammen, verfehlt allerdings einen Aspekt, der sich aus dessen Katechontik ergibt: „Zusammengefasst lautet Schmitts Selbsterklärung seines ,Falls‘ in Ex Captivitate Salus demnach etwa folgendermaßen: Ich bin ein Wissenschaftler, politisch ein Besiegter, der in der Bürgerkriegslage am Ende des europäischen Völkerrechts mit christlichem Glauben an einen ,heilsgeschichtlichen Halt‘ die Frage nach dem Schicksal Europas in der ,katechontischen‘ Absicht auf eine Verzögerung des Endes gestellt hat, und dabei gegen die anarchisch-adamitische Sehnsucht für die abendländische Zivilisation, Geschichte und Autorität optierte.“ 225

Seine freilich an anderer Stelle, nämlich im Glossarium getätigte Selbstidentifizierung als „Beschleuniger wider Willen“ 226 dürfte wohl als Selbstbezichtigung zu verstehen sein, als Einsicht in seinen Abfall von der Rolle als Verteidiger des Katechons. Für Schmitt „hatte die Geschichte eschatologischen Sinn, und deshalb kam es ihm darauf an, das Rechte zu bekennen, sich zum Rechten zu entscheiden und schließlich auch das Rechte zu tun.“ 227 Wenn es ihm also nach 1933 um die Abwehr der kommunistischen Gefahr ging, so verkannte er die Ebenbürtigkeit des Nationalsozialismus in bezug auf die Kraft des Bösen. Schmitts Willen zum Aufhalten des Antichristen erweist sich wohl als entscheidende Motivation, den Nationalsozialismus nach 1933 fördernd zu begleiten. 1943 schreibt er – und zeigt zwischen den Zeilen seine zu diesem Zeitpunkt resignative Sicht auf den Nationalsozialismus – über die Bedeutung und

223

Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf?, S. 296. Siehe exemplarisch Koenen, Der Fall Carl Schmitt; Rafael Gross, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt a. M. 2000; Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001. 225 Reinhard Mehring, Vergangenheitsbewältigung bei Carl Schmitt. In: Wolfgang Bialas/Manfred Gangl (Hrsg.), Intellektuelle im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2000, S. 120–134, hier S. 130. 226 Schmitt, Glossarium, 10.10.1947. 227 Berthold, Wer hält zur Zeit den Satan auf?, S. 298. 224

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3. Grammatik der Ordnung

die Rolle der Rechtswissenschaftler in seinem Aufsatz Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft: „wir erfüllen eine Aufgabe, die keine andere Form oder Methode menschlicher Betätigung uns abnehmen kann. Wir können uns die wechselnden Machthaber und Regime nicht aussuchen, aber wir wahren in der wechselnden Situation die Grundlage eines rationalen Mensch-Seins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann. Zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende, auf gegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung der Person; Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen; Sinn für Reziprozität und für das Minimum eines geordneten Verfahrens, einen due process of law, ohne den es kein Recht gibt. Darin, dass wir diesen unzerstörbaren Kern allen Rechts gegenüber allen zersetzenden Setzungen wahren, liegt die Würde, die in unsere Hand gegeben ist.“ 228

Wenn er in diesem Aufsatz noch von einer vorsichtigen Fortentwicklung des Rechts schreibt, durch das Zersetzendes verhindert wird, so hat er einige Jahre später im Glossarium erkannt, dass er an diesem Anspruch gescheitert ist. Das Recht, das aus der Tiefe der Geschichte kommt, lag in seinen Händen und er ist an der Verantwortung gegenüber der Geschichte gescheitert, so dass er nicht zum bewussten Aufhalter, sondern zum ,Beschleuniger wider Willen‘ wurde. Die nähere Betrachtung von Savigny und Hegel unterstreichen diese Einordnung: „Savigny und Hegel hielten eine Entwicklung auf, die zu einer ,Entleerung‘ des Rechts führt, zu seiner Instrumentalisierung und Funktionalisierung. Das Endergebnis dieser Entwicklung wird die völlige Beliebigkeit von Inhalt und Form des Rechts sein. Einzig der verfolgte Zweck wird den Maßstab abgeben, und das Recht wird sich in Verordnungen und Anordnungen auflösen.“ 229 An eben diesem von Schmitt auf Hegel und Savigny projiziertem Wirken ist er selber gescheitert und er erkennt es, wenn er sich als Beschleuniger interpretiert, denn beide, Savigny und Hegel waren zwar in einer anderen Epoche aber doch prinzipiell anders als er im Nationalsozialismus „echte Aufhalter, Katechonten im konkreten Sinne des Wortes, Aufhalter der freiwilligen und der unfreiwilligen Beschleuniger auf dem Weg zur restlosen Funktionalisierung.“ 230 Schmitt hat sich – ohne sich dessen zunächst bewusst zu sein – auf die Seite derer geschlagen, die nicht aufhalten, sondern beschleunigen, eben weil sie die Geschichte dem Bösen anheimgeben. Dies sei zwar ,wider Willen‘ geschehen, doch die Einsicht, die Schmitt an dieser Stelle zeigt, dürfte ihm selber nicht leicht gefallen sein, ist sie doch ein Eingeständnis in das Versagen bei dem wichtigsten und fundamentalsten seiner Kämpfe.

228 Schmitt, Lage der europäischen Rechtswissenschaften, S. 423; Hervorhebungen durch C. H. 229 Großheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, S. 75. 230 Schmitt, Lage der europäischen Rechtswissenschaften, S. 428.

3.2 Eric Voegelin

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3.2 Eric Voegelin Anders als Schmitt stand Voegelin nie im Verdacht, einen Werterelativismus zu vertreten. Und doch ist die Frage nach dem motivierenden Zentrum Voegelins, nach dem Punkt, der einem Werterelativismus oder gar einer wie auch immer begründeten wissenschaftlichen Neutralität gegenübersteht, nur mit einer intensiveren Auseinandersetzung der Thesen Voegelins zu beantworten. Grund dafür dürfte in seinem Anspruch, eine Neue Wissenschaft der Politik zu begründen, den er 1952 programmatisch formulierte, zu finden sein. Er stellt sich mit seinem Aufbruch, die Politische Wissenschaft zu verändern, außerhalb des akademischen mainstream, wenngleich seine Lehre niemals zur Esoterik gerinnt, wie man annehmen könnte. Er konfrontiert seine Zeitgenossen allerdings mit einem Gegenentwurf der Politikwissenschaft in Form einer Ordnungswissenschaft vor platonisch-aristotelischem Hintergrund. Diesem Konzept Voegelins zu folgen, seine Entwicklungslinien und Sinnzusammenhänge nachzuzeichnen, wird Aufgabe des folgenden Abschnitts sein. Mit welchem Wertehaushalt Voegelin die von ihm kritisierten Positivisten konfrontiert, steht dabei im Hintergrund der Ausführungen. Es ist Voegelins ganz eigene – wenn auch freilich im Laufe der Zeit sich erst aufbauende, entwickelnde und teilweise verändernde – Grammatik der Ordnung, die im Zentrum des Interesses der anschließenden Betrachtungen steht. Die Nervenbahnen des Denkens sind bloßzulegen, um dem Autor möglichst weit in seine eigene Grammatik zu folgen. Nur dort, auf diesem weit zu beschreitendem Weg, den Voegelin angelegt hat, kann für den Betrachter ein Verständnis bereitliegen, das sich in der Schau einzelner Details nicht entfalten kann. Anders als im vorangegangenem Abschnitt, der die Grammatik der Ordnung Schmitts zum Gegenstand hatte, wird der nun folgende Abschnitt über die Thesen Eric Voegelins teilweise in einer werkshistorischen Vorgehensweise erfolgen. Auch hier interessieren zunächst nicht Details, Momente der Inspiration oder die Identifikation von Tagen des intellektuellen Durchbruchs, sondern die großen Linien. Dies ist bei Voegelin eher möglich als bei seinem Gegenüber Schmitt. Denn wo bei diesem noch das Hermetische im Werk eine genealogische Betrachtung seiner Thesen kaum möglich machte, so kann bei Voegelin eben diese von hohem analytischen Wert sein. Insbesondere Opitz macht immer wieder deutlich, dass der werkshistorische Ansatz von besonderem Nutzen ist.231 Dieser Nutzen hat seinen Ursprung in der Denkweise Voegelins, der sich selbst als dynamischen, stets fortschreitenden Denker sah und seine Schriften stets als den Ausgangspunkt zur eigenen Weiterentwicklung betrachtete – sei dies nun 231 Opitz, Erste Spurensicherungen: Zur Genesis und Gestalt von Eric Voegelins „History of Political Ideas“. In: Politisches Denken, Jahrbuch 1993, S. 135–156; ders., The New Science of Politics – Versuch einer geistigen und werksgeschichtlichen Ortsbestimmung. In: Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 203–263.

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3. Grammatik der Ordnung

im negativen, abgrenzenden Sinne, weil er glaubte einen falschen Weg gegangen zu sein, oder im positiven Sinne einer Vorarbeit für weiterführende Studien zum entsprechenden Thema. Voegelin war ein Denker in Bewegung, ohne sich jedoch gleichzeitig in einem Vielerlei thematisch zu verlieren.

3.2.1 Die Suche nach Wahrheit als Ziel der Neuen Wissenschaft Voegelins Aufbruch zu einer Neuen Wissenschaft der Politik muss direkt im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit den Werken Max Webers gesucht werden. Nicht nur „erweist sich Max Weber als derjenige Denker des 20. Jahrhunderts, mit dem sich Voegelin am intensivsten auseinandergesetzt hat.“ 232 Auch zeigt die Einordnung von Voegelins Werken in den Zusammenhang der Politischen Wissenschaft im 20. Jahrhundert wie Opitz es vorgenommen hat, eine Ambivalenz, Nähe und Distanz zu Weber. Die Wertschätzung von Webers Werk über Jahrzehnte hinweg bezeuge Voegelins „ungebrochene Hochachtung vor einem Mann, an dessen Werk er sein eigenes Denken geschult und der für ihn in den formativen Jahren seiner geistigen Entwicklung einer der wichtigsten Gesprächspartner gewesen war und zugleich die Überzeugung, den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Erneuerung der politischen Wissenschaft über Weber hinaus gemacht zu haben.“ 233 Die ersten Erwähnungen Max Webers lassen sich schon früh in Voegelins Schriften finden. Im Jahr 1925 widmet er ihm einen ganzen Aufsatz, der von großer Sympathie und tiefem Respekt getragen ist. Diese Haltung erfährt im Laufe der Jahre dann allerdings eine Wendung ins Kritische, bleibt dabei gleichwohl auch in der inhaltlich massiven Kritik in der New Science 1952 immer noch vom Respekt vor der Leistung Webers getragen. „Mit Max Webers Werk war der Positivismus zu seinem inneren Abschluss gekommen, und die Richtung begann sich abzuzeichnen, in der eine Erneuerung der politischen Wissenschaft sich bewegen würde.“ 234 Webers Orientierung am und seine Herkunft aus dem Positivismus machen ihn und seine Thesen denn auch interessant für Voegelin. Es waren vor allem Webers Versuche, der ,objektiven‘ Wissenschaft seiner Zeitgenossen zu entfliehen, die Voegelin beschäftigten. Weber polemisierte gegen die ideologisch geschulten Wissenschaftler, die ihre je eigene Wahrheit in die Vorlesungen und Seminare trugen und identifizierte diese „als staatlich besoldete und privilegierte kleine Propheten in ihren Hörsälen“.235 Er selber 232 Peter J. Opitz, Max Weber und Eric Voegelin. In: Eric Voegelin, Die Größe Max Webers (Reihe: Periagoge, hrsg. v. Peter J. Opitz), München 1995, S. 105–133, hier: S. 107. 233 Opitz, Max Weber und Eric Voegelin, S. 122. 234 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 38. 235 Weber, Max, Wissenschaft als Beruf, Stuttgart 1995, S. 40.

3.2 Eric Voegelin

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suchte nach einem festen Punkt, von dem aus die Suche nach dem Guten und Gerechten auch in der Wissenschaft einen angemessenen Platz finde. Die Versuche seiner Zeitgenossen, die verschiedenen Ideologien in immer wieder neu aufgelegten immanenten und selbstreferentiellen Argumentationen zu rechtfertigen, identifizierte er dagegen als „Kathederprophetien“ 236. Eine darüber hinaus gehende Wissenschaft jedoch verstrickte sich schnell in eine fatale ,Wertfreiheit‘, die sich bemühte, objektive Argumente zu finden und sich mit den kritischen Methoden einer politischen Geschichte und einer politischen Wissenschaft zu nähern. Doch all diese Versuche, an denen Weber maßgeblich beteiligt war, konnten in Voegelins Augen nicht verhindern, dass die „historischen und politischen Wissenschaften in den Sumpf des Relativismus“ 237 absanken, wenngleich dieser „an der Grenze zum Neuen“ 238 gestanden habe. Zwar erinnere sein Geschichtsbild immer noch „an die Aufklärungsidee vom unendlichen Fortschritt zur Rationalität [. . .], unterscheidet sich jedoch insoferne als das Fortschreiten zur Rationalität nicht optimistisch im Geiste der Aufklärung als ein Annähern an das Endreich der Vernunft verstanden wird, sondern als eine Notwendigkeit, eine Ananke der Geschichte, die schwer auf dem Menschen lastet.“ Für Weber stehe „zu befürchten, dass die seelische Spannung zum Zusammenbruch des Menschen führen wird. Die Realitäten der Industriegesellschaft [. . .] werden zu einem Tunnel immanenten Geschehens, aus dem niemand entkommen kann.“ 239 Ebenso wie die entzauberte und den Kriterien der Zweckrationalität unterliegende Welt an sich sinnlos werde, werde auch die Wissenschaft sinnlos im immanenten Ablauf der Zeit. Bei Weber werde die „Illusionslosigkeit der Welt [. . .] unerbittlich ernst genommen.“ 240 An diesem Punkt begann Voegelin seine Erneuerungsversuche der Wissenschaft, die durch die „zerstörende Wirkung des Positivismus“ 241 am Boden lag. Er betrachtete diesen Versuch als eine „Genesung“ 242 von eben jener Zerstörung. Dabei war er zunächst einige Jahre auf der Suche nach den richtigen Kategorien, nach dem notwendigen Vokabular für diese Erneuerung der Wissenschaft. Der erste größere Versuch zu einer systematischen Erneuerung geschah erst 1952 in seiner New Science of Politics, doch auch die früheren Arbeiten sind von eben dieser Suche geprägt. Das Bemühen, sich eine abstrakte, eine den politischen Ideenbewegungen transzendente Position zu erarbeiten, wird in allen 236 237 238 239 240 241 242

Ebd., S. 41. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 30. Voegelin, Die Größe Max Webers, S. 93. Ebd. Ebd., S. 94. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 21. Ebd.

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3. Grammatik der Ordnung

Texten Voegelins der Jahre vor 1952 deutlich. Nicht zuletzt Carl Schmitt gerät in die Perspektive der Kritik Voegelins, weil dieser die „Standpunkte des politisch schöpferischen Denkens und des außerhalb stehenden Beobachters [. . .] immer verwechselt.“ 243 Gleichzeitig schränkt er allerdings die Kritik an Schmitt ein, indem er auf die „Unzulänglichkeit der Terminologie, an der unsere Staatslehre [. . .] noch leidet“ 244 verweist. Das zentrale Interesse Voegelins in diesen Jahren ist also darin zu sehen, den Unterschied zwischen dem ,politisch schöpferischen Denken‘ und der ,außerhalb stehenden‘ Beobachterposition zunächst deutlich zu machen und dann der transzendenten Position des Beobachters Mittel an die Hand zu geben, mit denen klare Analysen betrieben werden können. Es geht darum, den immanenten Raum der Ideenwelten zu verlassen, da sich von dort aus weder ein fester Punkt, an dem die Analyse sich orientieren kann, gewinnen lasse, noch Kriterien, die es der Wissenschaft erlaubt, von richtig und falsch, von wahr und unwahr sowie von gut und schlecht zu sprechen. In dieser Perspektive klingt ein weiterer Antriebsmotor des Voegelin’schen Vorhabens an. Angesichts der Totalitarismen seiner Gegenwart gibt sich Voegelin nicht damit zufrieden, kritische Bemerkungen über Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus zu tätigen. Er beansprucht für die Politische Wissenschaft, Aussagen über diese Ideologien zu treffen, die mit Einordnungen in Kategorien wie den oben angeführten gegen die bis dahin üblichen Methoden verstoßen. Für Voegelin ist Wissenschaft „die Suche nach der Wahrheit“ 245 und die totalitären Systeme können sich, so Voegelins spontane Haltung, nicht an der Wahrheit orientieren. Nicht zuletzt die Opferzahlen dieser Bewegungen waren für ihn zunächst Anlass genug, eine solche Einordnung zu treffen. Voegelin will zeigen, „dass es sich um Irrlehren handelt, die das Resultat einer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kulminierenden Krise sind.“ 246 Der Erarbeitung des dazu notwendigen Bezugsrahmens gilt sein gesamtes weiteres Leben als Wissenschaftler. Das Auftreten der Totalitarismen „hatte zwar nicht das Problem gelöst, dass es verschiedene Wahrheiten gab, die miteinander rivalisierten und sich doch nicht gegenseitig ausschlossen; es hatte jedoch unmissverständlich demonstriert, dass es Unwahrheiten gab, die mörderische Folgen hatten, wenn man nicht rechtzeitig verhinderte, dass sie sozialdominant wurden. Eine Sozialwissenschaft, die von sich behauptet, über keine Kriterien zu verfügen, um Wahrheit und Unwahrheit voneinander zu unterscheiden, erklärte damit selbst ihren geistigen Bankrott.“ 247

243 244 245 246 247

Voegelin, Die Verfassungslehre Carl Schmitts, S. 108. Ebd., S. 102. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 22. Michael Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, Hamburg 1998, S. 75. Opitz, Rückkehr zur Realität, S. 25 f.

3.2 Eric Voegelin

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Mit dem Wissen um diese Motive „erschließt sich die innere Logik seines Werks und wird sichtbar, dass seine Arbeiten, die von Studien über das alte Ägypten bis zu Auseinandersetzungen über den utopischen Aktivismus unserer Zeit reichen, und die archäologische Probleme ebenso einbeziehen wie Abhandlungen über literaturkritische, institutionelle und rechtsphilosophische Fragestellungen, nicht von bloßem akademischen Interesse motiviert sind oder jener antiquarischen Neugierde, von der schon Nietzsche schreibt.“ 248 Den Strukturen des so motivierten Ordnungsdenkens zu folgen, Voegelins Ordnungsgrammatik nachzuzeichnen, treten die folgenden Abschnitte an

3.2.2 Der Mensch als Wurzel der Ordnung Der Blick zurück auf die Thesen Voegelins, wie sie im zweiten Kapitel dargelegt wurden, zeigt, dass der Staat „nur ein konstantes Formelement“ für Voegelin hat. Dieses Formelement war für ihn „die Idee der Sinneinheit“.249 Nun ist dies wohl ein nicht hintergehbarer Punkt, soweit es sich um die Staatslehre im engeren Sinne handelt. Dies wird nicht zuletzt durch Voegelins bereits erwähnte Kommentierung von Schmitts ,Existenzform‘ eines Volkes im ersten Kapitel unterstrichen, die, ebenso wie die ,Sinneinheit‘ als Entsprechung in Voegelins Theorie, „existiert oder [. . .] nicht“ 250 – also in einem strengen Sinne eine Nichthintergehbarkeit darstellt. Die Sinneinheit ist als solche nicht hintergehbar, auf sie kann nicht zugunsten von etwas anderem verzichtet werden. Wohl aber ist es möglich, die Sinneinheiten näher zu betrachten. Da zu jedem langfristig stabilen Gemeinwesen eine Sinneinheit gehört, ist es also auch möglich, über ihre Beschaffenheit nachzudenken. Die Qualität der Sinneinheit ist es denn auch, die über all die positivistischen Staatsbetrachtungen von Rechts- und Machtorganisation hinausweist und zum Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung wird: „Das Leben des Menschen in politischer Gemeinschaft kann nicht als ein profaner Bezirk abgegrenzt werden [. . .]. Die Gemeinschaft ist auch ein Bereich religiöser Ordnung, und die Erkenntnis eines politischen Zustandes ist in einem entscheidenden Punkt unvollständig, wenn sie nicht die religiösen Kräfte der Gemeinschaft und die Symbole, in denen sie Ausdruck finden, mitumfasst, oder sie zwar umfasst, aber nicht als solche erkennt, sondern in a-religiöse Kategorien übersetzt. In der politischen Gemeinschaft lebt der Mensch mit allen Zügen seines Wesens von den leiblichen bis zu den geistigen und religiösen.“ 251

248

Ebd., S. 21 f. Voegelin, Zur Lehre von der Staatsform, S. 608. 250 Voegelin, Herrschaftslehre, S. 107. 251 Eric Voegelin, Die Politischen Religionen [1938] (Reihe: Periagoge, hrsg. v. Peter J. Opitz), München 1996, S. 63. 249

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3. Grammatik der Ordnung

Die Sinneinheit gilt Voegelin als Ausdruck einer religiösen Sicht auf die Realität, da sich Sinn nicht in einem ,profanen Bezirk‘ finden lässt. Dieser Sinn ist stets religiös aufgeladen, besitzt also einen Bezug zum Bereich des Metaphysischen und kann daher auch nur mit Blick auf die Metaphysik einer Zeit beurteilt werden. Mit Carl Schmitt gilt hier auch für Voegelin: „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.“ 252 Diese metaphysischen Konzepte müssen einen Platz in der Politischen Wissenschaft finden, da die politischen Strukturen von Macht und Herrschaft, von Institutionen und Regelwerk ihre Abkunft im umfassenden Sinn, den die Gemeinschaft für sich findet und ständig neu formuliert, besitzt. Eine Politische Wissenschaft ohne die Bezugnahme auf die metaphysischen Überzeugungen der politischen Gemeinschaft bliebe so Stückwerk. Als Untersuchungsgegenstand bieten sich die Symbole an, die als Ausdruck der religiösen Kräfte in der politischen Gemeinschaft zu finden sind. Mit diesen Symbolen erbaut der Mensch das Kosmion, seine Welt, und macht die geistigen und religiösen Züge sinnlich erfahrbar. Die Symbole sind es, die dem Menschen die kalte Erde in eine behütete Welt verwandeln und ihm dort einen Raum der Erleichterung von leiblichen und geistigen Nöten nach Kräften erbauen. So erlaubt der in die Welt umgesetzte Sinn der politischen Gemeinschaft Heimat, wie auch immer dies in der konkreten Sinneinheit aussieht. Nun ist es aber nicht nur möglich, die Symbole als solche zu erkennen, sie können auch näher beurteilt werden: „Das Kosmion wird erhellt durch eine hochentwickelte Symbolik, in verschiedenen Graden von Kompaktheit und Differenzierung – vom Ritus über den Mythos zur Theorie –; und die Symbole lassen seinen Sinn aufleuchten, indem sie eine innere Struktur, die Relationen zwischen seinen Gliedern und Gruppen von Gliedern sowie auch seine Existenz als Ganzes für das Mysterium der menschlichen Existenz transparent machen.“ 253 Die Selbstartikulation der Gesellschaften in ihrer Symbolhaftigkeit ist es, die die Wissenschaft näher betrachten muss, „weil die äußere Existenz einer politischen Gesellschaft zu ihrer ontischen Struktur gehört.“ 254 Diese Vorgehensweise, die Voegelin in seiner New Science darlegt und anwendet, ist der entscheidende Schritt, mit dem er glaubt, die ernüchternden Betrachtungen Webers überwinden zu können. Die Neue Wissenschaft von der Politik, die mit diesem Schritt ermöglicht wird, ist dabei eine ganz alte. Voegelin besinnt sich auf die platonisch-aristotelische politike episteme und wendet deren Leitsätze auf eine Wissenschaft an, die, anders als zur Zeit der griechischen Antike, über eine ungeheuere Materialfülle verfügt und so neben den 2500 Jahre westlicher 252 253 254

Schmitt, Politische Theologie, S. 50 f. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 43. Ebd., S. 48.

3.2 Eric Voegelin

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Kultur seit der klassischen Philosophie auch Sinngebäude anderer Kulturen in die Betrachtungen mit einschließen kann. Voegelins Versuch, den Begriff der Theorie zu überdenken und, an Aristoteles angelehnt, gegen die moderne Lesart zu differenzieren, gehört zu diesem bedeutenden Schritt in seinem Denken. „Theorie ist nicht ein beliebiges Meinen über die menschliche Existenz in Gesellschaft; sie ist vielmehr ein Versuch, den Sinn der Existenz durch die Auslegung einer bestimmten Klasse von Erfahrungen zu gewinnen. Ihr Argument ist nicht willkürlich, sondern leitet seine Gültigkeit von dem Aggregat von Erfahrungen her, auf dass sie sich ständig zur empirischen Kontrolle beziehen muss. Aristoteles war der erste Denker, der dies als Bedingung des Theoretisierens über den Menschen erkannte.“ 255 Nun wird deutlich, dass die Symbole, die als Untersuchungsgegenstand der Politischen Wissenschaft dienen, Erfahrungen hypostasieren. Diese Erfahrungen können selbst nicht zum Untersuchungsgegenstand werden, da sie nur in ihrer Form als Symbol überliefert werden können. Es gibt keine andere Möglichkeit, Erfahrung im beschriebenen Sinn zu übermitteln als durch das Medium des Symbols. Das Symbol hypostasiert jede Art der hier relevanten Erfahrung. „Der Theoretiker muss [. . .] die Fähigkeit besitzen, die Erfahrungen, die in der Theorie expliziert werden, im Geiste nachzuerleben“ 256. Dieser Neuentwurf des Begriffes Theorie stellt sich gegen das moderne Wissenschaftskonzept, indem er als Weg, nicht als mehr oder weniger geschlossenes Denksystem, das sich intersubjektiv vermittelbarer Kriterien bedient, dargestellt wird. „Die Theorie hat kein Argument gegen einen Menschen, der sich in der Tat außerstande fühlt, oder zumindest behauptet, er fühle sich außerstande, die Erfahrung nachzuerleben. Historisch wird daher die Entdeckung theoretischer Wahrheit in der sozialen Umwelt keineswegs sicher Zustimmung finden.“ 257 Die aus diesem Theoriebegriff gewonnene Politische Philosophie ist daher zu einem wesentlichen Teil ein Nach-Denken von etwas bereits Gedachtem, das erst nach einem wahrhaftigen und gutwilligen Nacherlebenwollen im günstigen Fall zu einem Weiter-Denken führen kann. In diesem Sinne ist die Politische Wissenschaft darauf angewiesen, die Selbstartikulationen der politischen Gemeinschaften als Symbole, als Hypostasierungen ihrer Erfahrungen ernst zu nehmen. Für Voegelin ist dies eine selbstverständliche Konsequenz, die von ihm schon vor seiner sogenannten „aristotelischen Wende“ in der Politischen Wissenschaft vermisst wurde, ohne dass er dies hätte formulieren können. In einer autobiographischen Erklärung beschreibt er gegen Ende seines Lebens (1984), wie sehr er schon in seinen jungen Jahren davon irritiert war, dass beispielsweise die mittelalterliche christ255 256 257

Ebd., S. 77 f. Ebd., S. 78. Ebd., S. 78 f.

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3. Grammatik der Ordnung

liche Ordnungskonzeption von der Politischen Wissenschaft nicht ernst genommen wurde, weil sie auf Religion und Theologie und somit angeblich auf Irrationalität beruhte.258 Sein Rekurs auf die politike episteme erlaubt ihm hingegen auch solche Ordnungsvorstellungen in sein philosophisches Ordnungsdenken einzugliedern. Auch wenn als Untersuchungsgegenstand der Politischen Wissenschaft die Symbole als Selbstartikulation der politischen Gemeinschaften gelten müssen, so liegt das Erkenntnisinteresse doch hinter der Symbolik in den dort hypostasierten Erfahrungen. Diese Erfahrungen sind quasi Erlebnisse der Sinnfindung bei der Suche nach der Wahrheit menschlicher Existenz. Solche Epiphanien sind Momente, in denen der Mensch Ordnung in mitten von Unordnung erfährt. Diese Ordnung auf der Welt festzuhalten, gehört zur Bewältigung der durch das ursprüngliche Chaos hervorgerufenen Ängste des Menschen. „Sie schützt den Menschen auch vor seiner existentiellen Angst vor der Sinnlosigkeit.“ 259 Der Anspruch der Theorie, die Erfahrungen nachzuleben, drückt dieses Bemühen, über den Untersuchungsgegenstand hinaus auf die Erfahrungen zu reichen, aus. Wenn politische Ordnung einen direkten Bezug zu religiösen Erfahrungen, zu Transzendenzerfahrungen aufweist, dann stellt sich die Frage, ob die Erfahrungen adäquat in den politischen Symbolen hypostasiert werden. Das heißt, dass die Erfahrungen differenziert oder weniger differenziert ausgelegt, in Symbole umgesetzt werden. Da aber jede Gesellschaft zu jeder Zeit in der einen Realität lebt und die Symbolisierungen der politischen Gesellschaften sich alle auf Erfahrungen in der gleichen Realität beziehen, sind lediglich die symbolischen Ausformungen verschieden, nicht jedoch die hinter ihnen stehende Realität. Das heißt, dass stets andere Ordnungen geboren werden, weil die Erfahrungen stets anders symbolisiert, in andere politische Ideen umgesetzt werden. „Die Geschichte – als eine Abfolge dieser Ordnungen – ist mithin verstehbar als ein Kampf um die wahre Ordnung.“260 Wobei wissenschaftlich gesehen klar ist, dass eine endgültige wahre Ordnung nicht gefunden werden kann, auch wenn die konkreten Gesellschaften dies durchaus annehmen können. Das wissenschaftliche Urteil, das über eine konkrete politische Gemeinschaft gefällt werden kann, orientiert sich daher an dem höchsten Differenzierungsgrad, der bereits einmal erreicht wurde. Fällt eine Gesellschaft hinter diesen Differenzierungsgrad zurück, wird eine bereits gemachte Erfahrung geleugnet und negiert, wird sie bewusst oder unbewusst verfälscht, so kann laut Voegelin von einem 258 Siehe Eric Voegelin, Autobiographical Statement. In: ders., Collected Works 33, S. 432–456, hier: S. 442. 259 Dietmar Herz, Die platonische Philosophie als Schöpferin politische Ordnung. Die Platon-Interpretation von Eric Voegelin. In: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 343–389, hier: S. 348. 260 Ebd., S. 349.

3.2 Eric Voegelin

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Verfall gesprochen werden. Seine Interpretation der Moderne als Geschichte des Verfalls macht dies deutlich. Darauf wird allerdings erst später zurück zu kommen sein. „Die in der Geschichte aufeinanderfolgenden einzelnen politischen Ordnungen und ihre Symbole sind [. . .] Fort- oder Rückschritte bei der Suche des Menschen nach einer adäquaten Symbolisierung des Sinns, also bei der Suche nach der Wahrheit der menschlichen Existenz.“ 261 Dieser Konkurrenz der Ordnungen eine Bewertung der Ordnungen beizufügen, schickt Voegelin sich an. Er tut dies in der gewollten und bewussten Fortschreibung und Überwindung der Leistungen Max Webers. Es ist nun deutlich, wie sehr Voegelin von den Themen, die ihn noch in den zwanziger Jahren beschäftigten, abrückt. Freilich geschieht dies nicht in einem Bruch mit den alten Interessen und Zielen seines Denkens. Er entwickelt sein Denken vielmehr weiter und sieht sein Werk auch als ständiges Fortschreiben seines Denkprozesses, so dass er stets auf dem Alten aufbaut. Die oben nachgezeichneten Überlegungen Voegelins öffnen diesen Denkprozess weiter in die Bewusstseinsphilosophie. Dieser Schritt, den Voegelin vor allem seit seiner Zeit in München in den sechziger Jahren einschlägt, setzt aber auch nur seine Überlegungen zur Ordnungsstruktur der Geschichte fort. Da er die Wurzeln des Staates im Menschen gefunden hat, muss er sich also mit diesem näher auseinandersetzen. Schon 1933 formuliert er die Bedeutung einer „Wesenslehre vom Menschen“ 262, da dieser „der Schöpfer des Staates“ 263 sei. Die Sinneinheiten der politischen Gemeinschaften sind es, die sich aus der Erfahrung des Menschen in einer intersubjektiv nicht vermittelbaren Weise ergeben. Als Anschauungsmaterial wählt Voegelin eine Fülle solcher in der Geschichte manifestierten und in Symbolen hypostasierten Ordnungserfahrungen. Das Ziel, die verschiedenen so entstandenen politischen Ideen als History of Political Ideas zu verstehen und zu publizieren, verwirft er jedoch. Sein Versuch, in der Geschichte der Ordnung die Ordnung der Geschichte zu entschlüsseln, dürfte als ein Grund für seine Abkehr vom Konzept der History betrachtet werden. Die Geschichte der Ordnung zeigt sich in den verschiedensten Formen, nicht nur in dem, was als politische Idee bezeichnet wird, sondern auch in Mythos, Philosophie und Theologie. Die History of Political Ideas war mit dieser Entwicklung seines Denkens also hinfällig, denn nun ging es Voegelin vielmehr um eine Geschichte der (Ordnungs-)Erfahrungen264 (in all ihren Erfahrungsklassen und -modi).

261 262 263 264

Ebd. Voegelin, Rasse und Staat, S. 7. Ebd. Siehe etwa Voegelin, Autobiographical Statement, S. 442.

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3. Grammatik der Ordnung

An dieser Stelle ist es ratsam, zunächst näher auf den Erfahrungsbegriff und damit auf den die Erfahrung machenden Menschen einzugehen. Voegelin entwickelt eine Lehre von der Natur des Menschen, eben weil das Subjekt des philosophischen Ordnungsdenkens der Mensch ist. Damit wird das Feld der Bewusstseinsphilosophie betreten.

3.2.3 Erfahrung und Offenheit, Symbolisierung und Bewußtsein – metaxy Der zur Diskussion stehende Erfahrungsbegriffs Voegelins erstreckt sich nur auf einen Teil dessen, was umgangssprachlich den Bedeutungsgehalt des Begriffs ,Erfahrung‘ ausmacht. Voegelins Interesse gilt nicht in erster Linie der Erfahrung, die den Menschen dazu befähigt, handwerkliche Fertigkeiten zu vervollkommnen. Diese Erfahrungen aus dem Bereich der Dinge, der techne, die in Voegelins Augen zum wesentlichen Erkenntnisgegenstand der von ihm als zu überwinden geltenden positivistischen Perspektive gehört, habe nicht zuletzt im Bereich der Sozialwissenschaft dazu beigetragen, dass sie zu einer sogenannten Sozialtechnik verkommen sei. Die Realität, die sich vor dem Menschen erstreckt, teilt Voegelin auf in zwei Bereiche. Die Welt, in der Erfahrung in den Bereich der techne fällt, bezeichnet er als existente Realität oder auch als Ding-Realität. Jenseits dieser Welt allerdings befindet sich die nicht-existente oder Es-Realität. In der Sphäre der EsRealität stellt sich echte Ordnungserfahrung ein. Sie ist der Bereich, in dem der Mensch am Grund partizipiert und die ihn dazu befähigt, in Nachahmung der göttlichen Schöpfung in der Welt selber schöpferisch tätig zu sein. Dem göttlichen Kosmos fügt der Mensch sein Kosmion ein, so wie Gott aus dem Chaos den Kosmos schuf, kreiert der Mensch dort Ordnung, wo Unordnung herrscht. Die Erfahrung, die der Mensch in der Es-Realität macht, befähigt ihn zur Ordnung. Seine Teilhabe an dieser Realität ist Voraussetzung für Ordnung. Die Teilhabe kann in verschiedenen modi erfolgen. Der hervorragendste modus ist der der klassisch inspirierten Ordnungsphilosophie. Es ist die Ordnungsphilosophie, die gleichzeitig die Voraussetzung für Ordnung schafft und Untersuchungsmethode der Ordnungen darstellt. Voegelin ist davon überzeugt, dass „Gott, Mensch, Welt und Gesellschaft eine ursprüngliche Gemeinschaft des Seins bilden.“ 265 Der Mensch erfährt diese Teilhabe mit seinem ganzen Wesen, er erlebt diese Teilhabe und bemüht sich instinktiv um die Erhellung seiner Existenz innerhalb dieser ursprünglichen Gemeinschaft. Seine Erfahrungswelt teilt sich dabei in einen ihm bekannten und einen ihm unbekannten Teil auf. Die Ausdehnung des bekannten Teils gehört zu 265 Udo Kessler, Die Wiederentdeckung der Transzendenz. Ordnung und Gesellschaft im Denken Eric Voegelins, Würzburg 1995, hier: S. 16.

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dem Menschen eigentümlichen Streben nach Erkenntnis. Daher versucht er, Symbole zu entwickeln, „die das Unbekannte durch Analogien mit dem bereits Bekannten“ 266 verstehbar machen. Die menschliche Existenz wird dabei als Kosmion wahrgenommen, als kleiner Teil eines großen Ganzen. Diese Beziehung zwischen Kosmos und Kosmion ist eine Beziehung zwischen Gott und Mensch und das Leben des Menschen in Gesellschaft ist ohne diese Beziehung nicht denkbar. „Eine Herrschaft zu errichten, ist der Versuch, eine Welt zu erschaffen. Wenn der Mensch das Kosmion politischer Ordnung erschafft, wiederholt er analog die göttliche Schöpfung des Kosmos.“ 267 George Steiner hat in seinen Arbeiten zur Kunst- und vor allem Literaturgeschichte herausgearbeitet, wie sehr die menschliche Schaffenskraft von seiner Vorstellung einer göttlichen Schöpfung abhängig sei. Er geht davon aus, „dass jede logisch stimmige Auffassung dessen, was Sprache ist und wie Sprache funktioniert, dass jede logisch stimmige Erklärung des Vermögens menschlicher Sprache, Sinn und Gefühl zu vermitteln, letztlich auf der Annahme einer Gegenwart Gottes beruhen muss.“ 268 Er stellt die These auf, dass „die Erfahrung von Sinn auf die notwendige Möglichkeit dieser ,realen Gegenwart‘ schließen läßt.“ 269 Diese Überzeugung von der Notwendigkeit eines Gottesbezugs für das menschliche Nachahmen von Schöpfung erlaubt, den Sinn menschlichen Handelns zur Transzendenz hin zu öffnen. Steiner öffnet diesen Horizont vor allem für die schönen Künste, während Voegelin diesen unaufhebbaren Nexus für die Politik und das Leben des Menschen in Gemeinschaft erarbeitet. Beide gehen davon aus, dass überall, wo die Erfahrung „von Sinn gemacht wird“, es sich letzten Endes „um einen zweifellosen und rational nicht erschließbaren Sinn, der von realer Gegenwart, von der Gegenwart des Logos-Gottes zeugt“ 270, handelt. Auch Steiner erkennt die Gefahr, die Voegelin in der Ablösung des politisch-philosophischen Denkens von der Transzendenz sieht. Er fragt: „welche Bedeutung verbindet sich mit der Vorstellung der Erschaffung expressiver und exekutiver Formen, die wir ,Kunst‘ und, so glaube ich, ,Philosophie‘ nennen, wenn die theologische Möglichkeit [der Schöpfung; C. H.] im umfassenderen Sinne in den Mülleimer geworfen wird [. . .]?“ 271 Der Nexus zwischen einem wie auch immer gearteten göttlichen Kosmos und dem vom Menschen in der 266

Ebd., S. 26. Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte Bd. 1, Die Kosmologischen Reiche des alten Orients – Mesopotamien und Ägypten, hrsg. v. Peter J. Opitz, München 2002, S. 55. 268 Steiner, Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? München/Wien 1990, S. 13. 269 Ebd., S. 14 270 Botho Strauss, Der Aufstand gegen die sekundäre Welt. Bemerkungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit. In: Steiner, Von realer Gegenwart, S. 303–320, hier: S. 307. 271 Steiner, Grammatik der Schöpfung, S. 22. 267

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Welt geschaffenen Kosmion ist nicht nur ein Zusammenhang des Möglichen, sondern eine Bedingung für die Errichtung menschlicher Ordnung. Da die Befähigung des Menschen zur Kunst also davon abhängig ist, dass er eine Schöpfungsvorstellung hat, spricht das menschliche Nachahmen der großen Schöpfung in der Kunst in einer ,Grammatik der Schöpfung‘ – eine andere gibt es nicht oder ist zumindest nicht absehbar. Die künstlerische Schöpfung besitzt die gleiche Grammatik wie die vom Künstler erkannte Schöpfung Gottes. Aus jedem Kunstwerk spricht die reale Gegenwart. Analog dazu gibt es für Voegelin einen durch die hypostasierenden Symbole vermittelten Bezug zwischen der Erfahrung durch Partizipation am ordnungsstiftenden Sein und der vom Menschen eingerichteten politischen Ordnung. Aus der mehr oder weniger differenzierten menschlichen Ordnung spricht die reale Gegenwart Gottes. Hier liegt die Bedeutung des Ausdruckes ,Grammatik der Ordnung‘. Nur die Ordnung, die in Gott gefunden ist, befähigt den Menschen Ordnung auf der Erde zu stiften – eine andere Ordnungssprache steht ihm nicht zur Verfügung. Jede andere Ordnungssprache basierte auf einer Grammatik der Unordnung. Die entscheidende Entwicklung Voegelins vollzog sich in den ersten Jahren der Immigration bis zur Veröffentlichung seiner New Science of Politics (1952). Sein Fokus verschiebt sich ein wenig und die religiösen Erfahrungen treten zwar nicht in den Hintergrund, werden allerdings in einen größeren Bezugsrahmen gestellt, den er vor dem Hintergrund einer platonisch-aristotelischen Philosophie aufbaut. Es sind immer noch die „Grund- und Grenzerfahrungen des Menschen“, aus denen sich das Bild konstituiert, „das dieser sich von der Welt wie von seiner eigenen Stellung in ihr macht und in Einzelsymbolen wie auch in umfassenden Symbolsystemen zum Ausdruck bringt.“ 272 Die Notwendigkeit der Gottesbezüglichkeit eines politischen Ordnungsdenkens, wie es im Verweis auf George Steiner bereits angedeutet wurde, findet sich in der platonischen Ausrichtung von Voegelins Thesen wieder. Dieser „,platonische Sinn‘ soll und kann – normativ formuliert – also nur heißen, dass eine Gesellschaft so strukturiert sein muss, dass sie in ihren grundlegenden Ordnungs- und Organisationsprinzipien die Offenheit des Menschen zur Transzendenz ermöglicht“ 273. Diese Offenheit des Menschen, also der religiöse Glaube, beruht für Voegelin auf echter Erfahrung. „Das Heilserlebnis ist ein Faktum der Geschichte; ,Glaube‘ [. . .] ist ein Erlebnis, das es faktisch gibt.“ 274

272 Peter J. Opitz, The New Science of Politics – Versuch einer geistigen und werksgeschichtlichen Ortsbestimmung. In: Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 203–263, hier: S. 241. 273 Ebd., S. 247. 274 Voegelin in einem Brief an Karl Löwith vom 9. Januar 1950, zitiert nach Opitz, The New Science of Politics, S. 220.

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Eine intersubjektive Vermittelbarkeit des Heilserlebnisses anzunehmen, dürfte sich als illusorisch erweisen. Voegelins Wissenschaft auf solchen Prinzipien zu vermuten, wäre wohl auch eine fundamentale Verkennung. Bereits seine ersten Schriften erweisen sich als Absatzbewegung von diesem im Positivismus zu verortenden Kriterium der Wissenschaftlichkeit. Die einzige Möglichkeit, Voegelin näher zu kommen, ist daher nicht die positivistische Auseinandersetzung mit seinen Inhalten, sondern das Folgen bis in den innersten Kreis seiner Gedanken. Zu diesem Zwecke ist es daher zunächst notwendig, näher auf die Natur dieser im platonischen Sinne interpretierten Offenheit des Menschen zur Transzendenz einzugehen. Die Offenheit des Menschen zur Transzendenz ermöglicht ihm Erfahrungen zu machen, die ihm Teile der umfassenden Realität näher bringen, die er sodann schöpferisch in die Ding-Realität umzusetzen sucht. Dieser Umsetzungsschritt geschieht durch Symbole, die so die Erfahrungen in der Welt verankern und sie für andere Menschen zugänglich machen. Die Erfahrungen selber sind zunächst von intersubjektiv nicht vermittelbarer Natur vom Einzelnen gemacht und bedürfen der adäquaten Symbolisierung. Dies ist der Schritt, den das erfahrende Individuum tun muss, damit seine Erfahrungen nicht in seiner Psyche alleine und ohne Auswirkung für die Welt bleiben. Die politische Gemeinschaft bedarf zudem dieser Symbolisierung, um kein frei in der Luft schwebendes Kosmion zu erbauen. Die Erfahrung muss die Grundlage für jede schöpferische Gestaltung der Welt sein, weil diese sonst in Chaos und Unordnung abdriftet. Es gibt keine andere Ordnungsgrundlage als die im metaleptischen Raum (also durch Partizipation an der Es-Realität) gemachten Ordnungserfahrungen. Das menschliche Wissen um das Sein und die Realität drücken sich laut Voegelin im wesentlichen in zwei Haupterfahrungen aus: in der griechischen Philosophie und in den christlich-jüdischen Offenbarungserfahrungen. Die Gemeinschaft des Seins im Geviert von Gott, Mensch, Welt und Gesellschaft findet dort ihre wesentlichen Differenzierungssprünge. In der klassischen Philosophie erfährt sich der Mensch als Fragender in Richtung Transzendenz und im Offenbarungsglauben erfährt sich der Mensch als Hörender, Gott gibt ihm Antwort auf sein suchendes Fragen; der christliche Offenbarungsglaube kennt also beide modi – Frage und Antwort. Das bekannteste Beispiel für eine künstlerische Umsetzung dieser doppelten Annäherung hat Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle verewigt. Dort ist im Zentrum des Geschehnisses eine Interaktion zwischen Gott und dem Menschen abgebildet. Gott streckt den Finger nach dem Menschen aus, der seinerseits den Finger zum Schöpfer hinüberreicht. Die Bewegung von zwei Seiten und das miteinander in Berührung kommen durch die doppelte Bewegung findet dort seine wohl bekannteste bildliche Form unter der Betitelung Die Erschaffung Adams. Dieser Aspekt der doppelten Bewegung ist von großer Bedeutung. In Anlehnung an die biblische Szene mit dem brennenden Dornbusch unterstreicht auch Helmut Winterholler die „große Bedeutung“,

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3. Grammatik der Ordnung

die diese Szene für Voegelins Analyse hatte: „Die Erfahrung der Gegenwart des Göttlichen setzt die Wechselseitigkeit (mutual presence) voraus: ,Moses, Moses!‘ ,Hier bin ich.‘“ 275 Diese Bewegungen vom Menschen in die Transzendenz und von der Transzendenz zum Menschen finden in einer Realität statt, die sich als konstant erweist. Die Existenz der Welt in ihren fundamentalen Aspekten ist stets die gleiche. „Die Realität, die sogenannte Primitive erfahren, ist keine andere als die, die der Mensch in der Moderne erfährt.“ 276 Dabei stellt die primitivste Deutung der Spannung des Menschen in der Welt eine kompakte Interpretation dar, die aber stets weiter differenziert wird und somit zu einer ausgearbeiteten, detaillierteren und anspruchsvolleren Existenzdeutung werden kann. Die verschiedenen Deutungen der einen Seinsverfassung bleiben sich in all ihrer Vielfalt aber treu, sie beziehen sich ja stets auf dieselbe Realität. Daher besitzen sie eine Äquivalenz, eine Entsprechung, in ihrem je verschiedenen Gehalt zum göttlichen Seinsgrund. Es gilt also, „dass es Unterschiede zwischen den einzelnen Symbolen gibt, und wir wissen sehr wohl, dass das Gleichbleibende, das es rechtfertigt, von ,Äquivalenzen‘ zu sprechen, nicht in den Symbolen selbst liegt, sondern in den Erfahrungen, die diesen Symbolen zugrunde liegen.“ 277 Die Symbolisierung dient nicht nur zur einmaligen Errichtung der Ordnungsstrukturen in der Welt, ihr kommt zusätzlich die Aufgabe zu, den Philosophen zum Nacherleben zu ermuntern. Das heißt, dass die Symbole in einem einmal errichteten Symbolfeld fähig sein müssen, ein Erfahren zu evozieren, ein nocheinmal-erleben eines später lebenden Menschen auszulösen. Diese Potenz zur Evokation ist jedoch immer in Gefahr. Sie droht zu verblassen. Geschieht dies, drohen mit dem Symbol die Erfahrungen verdrängt zu werden. Ein Nacherleben ist sodann nicht mehr möglich. Wenn beispielsweise hinter der christlichen Vorstellung des Doppelwesens Jesu Christi als Mensch und Gott die Erfahrung steht, dass sich der Mensch grundsätzlich durch seine Zwitterhaftigkeit von Menschlichkeit und Göttlichkeit auszeichnet und diese Vorstellung dogmatisiert wird, besteht die Gefahr, dass das Symbol vom ,Gottmenschen‘ nicht mehr als hypostasierte Erfahrung aus dem metaleptischen Raum wahrgenommen wird. Wenn das Dogma keine Erfahrung (im Sinne eines Nacherlebens) mehr evoziert, dann bleibt es missverstanden als originäre Wahrheit, die niemand mehr

275 Helmut Winterholler, Moses und das Volk Israel. Zum Offenbarungsverständnis Eric Voegelins (Occasional Paper XVI des Eric-Voegelin-Archivs München), München 2000, S. 15. 276 Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen [1973], (Reihe: Periagoge, hrsg. v. Peter J. Opitz) München 1994, S. 131. 277 Eric Voegelin, Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte [1970]. In. ders., Ordnung, Bewußtsein, Geschichte. Späte Schriften – eine Auswahl (hrsg. v. Opitz, Peter J.), Stuttgart 1988, S. 99–126, hier: S. 99.

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glauben mag. Das Dogma scheint dann eine Aussage über die Welt der Dinge treffen zu wollen, wobei es doch tatsächlich eine Erfahrung aus dem Bereich der Es-Realität hypostasiert. Hinter der Aussage, dass das Dogma der Göttlichkeit Jesu medizinisch nicht möglich sei (man denke etwa an die Auferstehung o. ä.), gegen jede Erfahrung spreche (das Laufen auf dem Wasser scheint heutzutage doch eher der Versuch, den Zuhörer mit Märchengeschichten zu überzeugen) und auch wider die Rationalität sei (wie soll er Wasser in Wein verwandeln?), steht eine verständliche Abwehrhaltung. Die Wunder und Wohltaten, die Jesus in der Bibel zugeschrieben werden, scheinen nach Maßstäben der Gegenwart nicht möglich. Der Versuch, den historischen Jesus (als Mensch) in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen und seine Göttlichkeit aus dem Zentrum des Interesses zu verdrängen, ist ein Ausdruck dieser Entwicklung. Doch beruht diese Abwehrhaltung auf „the false premise that doctrinal truth is not derivative but original.“ 278 Vielen einstmals nachvollziehbaren und lebendigen Symbolen wurde durch Dogmatisierung ein solches Schicksal zu teil. Im Hintergrund dieses Schicksals steht der Verlust einer ganzen Dimension – der der Es-Realität, der Transzendenz, der Dimension Gottes. Das Bewusstsein „ist ein Prozess, der in der Struktur des Menschen als animalisches, vegetatives und anorganisches Sein fundiert ist. Diese Struktur ist die ontische Voraussetzung für sein Transzendieren in die Außenwelt.“ 279 In dieser Gesamtheit präsentiert sich der Mensch „in der ,Fundamentalerfahrung‘ des Bewusstseins als eine Epitome des Kosmos, als ein Mikrokosmos.“ 280 Dieser umfassende Charakter des Bewusstseins spiegelt sich in seiner Relation zur Realität: „Das Bewusstsein gehört allen drei Typen der Realität an: Es ist selbst Realität, ein Teil der umfassenden Realität, und ein Modus der Partizipation am Realitätsprozess.“ 281 Mit anderen Worten: Partizipierend orientiert sich das Bewusstsein an der übergeordneten prozesshaften Realität, das Sein, und erfährt durch diese Ausrichtung von seiner Wirklichkeit und von seiner Beschaffenheit. Gleichzeitig ist das Bewusstsein selber Teil der Realität und verändert sie somit durch seinen Erfahrungsprozess kontinuierlich. Dies hat zur Folge, dass sich eine Subjekt-Objekt-Beziehung nicht herstellen lässt. Das Bewusstsein ist durch seine Teilhabe an dem, was es durch seine Erfahrung näher erkennt, sowohl Subjekt als auch Objekt. Es handelt sich für Voegelin somit um nicht bis zu ihrem Grund durchschaubare „intime Wechselwirkungen im Prozess“.282 Hinzu kommt, dass die „Erfahrung von Realität [. . .] immer nur perspektivischen, kei278 Eric Voegelin, Immortality: Experience and Symbol. In: ders., Collected Works, Bd. 12, S. 65. 279 Regina Braach, Eric Voegelins Politische Anthropologie, Würzburg 2003, S. 115. 280 Eric Voegelin, Anamnesis: Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966, S. 52. 281 Braach, Eric Voegelins Politische Anthropologie, S. 119. 282 Voegelin, Anamnesis, S. 52.

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nen totalen Charakter“ 283 hat, da das Bewusstsein „immer das Bewusstsein eines konkreten Menschen“ 284 ist. Der Modus des partizipierenden Bewusstseins ist der der Meditation, die für Voegelin der „Ursprung philosophischen Ordnungswissens“ 285 darstellt. Die erste Frage, die sich sofort aufdrängt, verdeutlicht gleichzeitig auch die größte Schwierigkeit, die Voegelins gesamtes Ordnungsdenken innerhalb der kontemporären Wissenschaft erfährt: Woher weiß man, dass das, was man über Ordnung denkt, der Wahrheit entspricht, bzw., „dass das, was man gerade zur Verfügung hat, nicht die Wahrheit ist“ 286? Die Meditation Voegelins beginnt bei der Untersuchung von Unordnungsproblemen, die sich dem Menschen präsentieren. Es wurde schon angedeutet, dass sich Voegelins biographische Motivation, sich dem philosophischen Ordnungsdenken zu widmen, in der Konfrontation mit den Totalitarismen seiner Zeit finden lässt. Diese Motivation findet hier eine systematische Entsprechung. Die Auseinandersetzung mit Unordnungsphänomenen ist für ihn daher schon der Ausgangspunkt des meditativen Ordnungsdenkens: „Wir befinden uns also von Anfang an in einer existentiellen Spannung, die darin besteht, dass Unwahrheitsphänomene, Unordnungsphänomene in der Umgebung beobachtet werden und man aufgrund solcher Beobachtungen versucht, eine Ordnung zu finden, von der man im voraus weiß, so etwas gibt es, aber es muss erst gefunden werden.“ 287 Die Spannung, die der Mensch in sich wahrnimmt und die ihn zur Suche nach Ordnung in der Auseinandersetzung mit der sich ihm darstellenden Unordnung treibt, wurde von der klassischen Philosophie differenziert: dort finden sich „Begriffe wie die zetesis, das Suchen, die kinesis, das Bewegtwerden zum Suchen, und den nous, das Medium der Seele, in dem sich dieses abspielt.“ 288 Die Suche muss sich stets im eigentlichen Sinne der Liebe zur Weisheit ereignen, und darf sich nie im Besitz der Weisheit wähnen oder diesen Besitz anstreben. Eben diesen Akt der Hybris begangen zu haben, bezichtigt er dabei allerdings eine Vielzahl von modernen Denkern. Hegel beispielsweise habe in seiner Phänomenologie des Geistes versucht, die Liebe zur Weisheit abzuschaffen „um sie durch Wahrheit zu ersetzen. [. . .] Die Fehlkonstruktion besteht darin, dass man die Spannung selber aufheben und in einen aufgelösten Besitz von Weisheit verwandeln möchte.“ 289

283

Braach, Eric Voegelins Politische Anthropologie, S. 120. Ebd., S. 109. 285 Eric Voegelin, Der meditative Ursprung philosophischen Ordnungswissens [1980]. In: ders., Ordnung, Bewußtsein, Geschichte, S. 165–179. 286 Ebd., S. 130. 287 Ebd. 288 Ebd. 289 Ebd. 284

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Der Mensch, der am metaxy Teil hat und sich diesem Bereich gegenüber als offen und auf ihn gerichtet zeigt, lebt in der Wahrheit. Insofern er nämlich Teil hat am metaleptischen Raum, erfährt er Wahrheit göttlicher Natur und kann von demjenigen abgegrenzt werden, der in der Revolte gegen die Transzendenz ganz in der Immanenz verharrt und sich so von jeder Ordnungserfahrung abgeschlossen hat. Dieses ,Leben in Wahrheit‘ darf nun nicht so missverstanden werden, dass auf der Seite dessen, der im metaleptischen Raum am Göttlichen partizipiert, das Absolute, Richtige und Gerechte zu Hause ist. Er ist nicht im Besitz der Wahrheit, hat aber Teil an ihr und findet sich wieder in einem Prozess der Bewusstseinsdifferenzierung auf den unterschiedlichen Differenzierungsstufen. So wie es Äquivalenzen zwischen im Mythos ausgedrückten Symbolen und solchen christlicher Herkunft gibt (man denke etwa an den teilweise entsprechenden Sinngehalten des Mythos’ von der Büchse der Pandora und dem der Erbsünde als je eigene Antwort auf die Frage danach, wie das Böse in die Welt gekommen ist), ist auch der einzelne Mensch, der in Wahrheit lebt, graduell mehr oder weniger Teilhaber an der Wahrheit. Eines ist dabei allerdings wesentlich: Derjenige, der nicht in der Wahrheit lebt, kann keinen Anteil haben am Differenzierungsprozess des Bewusstseins. Es ist ihm auch nicht möglich, originäre Ordnungserfahrungen zu machen und er kann damit auch keine Ordnung in die Welt bringen. Er kann zweifelsohne von einer Substanz zehren, die sich in Symbolen in der Welt finden und somit am Aufbau des Kosmions teilnehmen, doch die originäre Ordnungserfahrung ist ihm verschlossen. Nur die zweite Ebene der Errichtung von innerweltlicher Ordnung ist ihm zugänglich. Durch sein Abgeschnittensein von den primären Ordnungserfahrungen ist er eine Gefahr, da er geneigt ist, Spekulationen innerweltlich-zeitlicher Art als originäre Ordnungserfahrung zu präsentieren und sie womöglich selber dafür zu halten. Er lebt in Unwahrheit und ist letzten Endes eine Gefahr für die Gesellschaft. Später wird sich zeigen, dass Voegelin Geschichte zu weiten Teilen als den Prozess der Auseinandersetzungen zwischen denen, die in der Wahrheit stehen und solchen, die in der Unwahrheit stehen, begreift. Die Grundstruktur des meditativen Philosophierens ist eine nicht auflösbare Spannung des zum Suchen bewegten Menschen, der Teil hat am göttlichen Grund, ohne dass es ihm möglich ist, diesen Grund klar zu erkennen, Identität mit dem Grund zu erlangen. Mit Hilfe seiner Vernunft (nous) drängt der Mensch zum fragenden Suchen und zum suchenden Fragen. „Was Partizipation ist, kann nur meditativ erfahren werden. [. . .] In der existentiellen Spannung wird eine spezifische Konsubstantialität zwischen Mensch und Gott, ein bestimmter Bereich des Bewusstseins differenziert: sowohl eine Gemeinsamkeit in der Art einer Überschneidung, eine Identitätsbeziehung des Menschen und Gott, als auch Distanz, Nicht-Identität [. . .]. In der meditativen Erfahrung, in der existentiellen Spannung, bewegt sich der Mensch zwischen den Polen, ist er irgendwo zwischen dem weltlichen und etwas Überweltlichem. Er ist weder ganz Mensch noch ganz Gott, sondern dazwischen.“ 290

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3. Grammatik der Ordnung

Dieses Zwischen wird als metaxy bezeichnet. „Die Erfahrung von der menschlichen Existenz in dieser Spannung zwischen (metaxy) den Polen ist, seit der Antike konstant, ein wesentlicher Teil der Struktur des Bewusstseins.“ 291 Der Mensch ist es, der mit seinem Bewusstsein auf die Suche nach Ordnung geht, seine Vernunft läßt ihn erkennen, dass er sich in einem Spannungsfeld zwischen Menschlichem und Göttlichem aufhält und dort die beiden Pole erfährt. Dieses metaxy ist der Ort der Spannung. Sie „besteht zwischen Bewegtwerden von der göttlichen Seite her und Suchen von der menschlichen Seite her.“ 292 Die Spannung darf nicht auf einen ihrer Pole reduziert werden, wie Hegel dies tut, sondern muss als solche erhalten bleiben, der Charakter des Zwischen, des Nicht-Entschiedenen darf nicht verloren gehen. Mit der näheren Betrachtung des metaxy glaubt Voegelin auch einen Schritt in Richtung einer umfassenden Definition des Begriffs der Realität gemacht zu haben: „Die Realität ist nicht die menschliche Realität, nicht die göttliche Realität, sondern das, was ,zwischen‘ diesen Realitäten passiert, ohne dass dieses ,Zwischen‘ wieder selbständig fragmentarisiert oder hypostasiert werden dürfte. Es geht also nicht um eine Psychologie des Subjekts, nicht um eine Aktivität Gottes allein, sondern immer nur um eine Responsio, die Bewegung und Gegenbewegung.“ 293 Ausgang der Überlegung dieses Abschnittes war der Erfahrungsbegriff und die offene Frage nach der Natur und der Geartetheit der Erfahrung. Voegelin macht in einem Rekurs auf die klassische Philosophie deutlich, dass die Erfahrung durch die Partizipation an der Es-Realität ermöglicht wird. In diesem Bereich, in den der Mensch durch die Frage nach dem Sinn und dem Gefühl des Gezogenseins gerät, erfährt er eine Spannung, die von ihm als Menschen ausgeht und gleichzeitig die Existenz einer Transzendenz feststellt. Zwischen diesen Polen bewegt sich die erfahrene Spannung. Der Bereich dieser Spannung ist das metaxy. Ist der Mensch sich des metaxys bewusst, erkennt er seine Stellung zwischen dem Reich der Tiere und der göttlichen Sphäre; dort erlebt er ein Mehr als das Tier und ein Weniger als Gott; er erkennt sich zugleich in seiner Sehnsucht nach dem Grund und der Verwachsenheit mit den weltlichen Dingen. Diese besondere Art des Menschseins in der Offenheit einer Zwischenposition zwischen den Egophanien und den Theophanien ermöglicht Geschichte, wenn Geschichte als der bewusste Prozess der Selbstverortung des Menschen im Kosmos verstanden wird. Im metaxy geschieht Realität, nur dort kann existentielle Ordnung erfahren werden. Eben diese Erfahrung ist es, die der Mensch in Symbole umsetzt und so zur Grundlage seiner eigenen kleinen Schöpfung, der Kreierung seines Kosmions macht. Die Umsetzung der Erfahrungen in Symbole er290 291 292 293

Braach, Eric Voegelins Politische Anthropologie, S. 125. Ebd., S. 128. Voegelin, Der meditative Ursprung philosophischen Ordnungswissens, S. 133. Ebd., S. 134.

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wirkt eine sinnliche Erfahrbarkeit und besitzt deshalb Schaffenskraft. Gleichzeitig bietet diese hypostasierte Ordnungserfahrung den Menschen eine Sinnerfahrung. Die Partizipation an der umfassenden Realität, am Sein, erlaubt dem Menschen also echte Ordnungserfahrungen zu machen, ohne die die menschliche Ordnung nicht möglich wäre. Daher ist die Meditation Ursprung philosophischen Ordnungswissens (Voegelin, s. o.) und gleichzeitig wird die Philosophie Schöpferin (Herz, s. o.). Was nun die Struktur der Geschichte angeht, so verweist Voegelin auf die Ordnungskraft, die aus dem metaxy kommt. Sein Ordnungsdenken, dem man die Suche nach einer Substanz als movens unterstellen könnte, ist ganz auf den suchenden Menschen und den antwortenden Gott ausgerichtet. Substanz wäre dabei etwas, dem der Mensch sich nähern kann, indem er sich öffnet und zum metaxy hinordnet. Diese Substanz ist allerdings einem Prozess unterworfen, da der Mensch Teil einer Realität ist, die er dadurch, dass er sie zu begreifen sucht, gleich mit verändert. Insofern würde der Begriff der Substanz verwirren, wenn nicht gar verfälschen. Geschichte ist daher nicht als Annäherung an eine Substanz, an eine Wahrheit zu verstehen, sie hat vielmehr einen prozesshaften Charakter. Die ständige Orientierung auf das metaxy ermöglicht dem Menschen seine Ordnungs- und Unordnungserfahrungen, die er in Konfrontation mit der – notwendig nicht perfekten – Welt macht, stets aufs Neue einzuordnen. Die Transzendenzerfahrung im metaxy – ob „der Mensch auf die göttliche Präsenz antwortet“ oder „die göttliche Präsenz die Antwort des Menschen evoziert“ 294 – gibt den Maßstab richtiger Ordnung, dort leitet sich von „der richtigen Ordnung der Seele“ 295 die richtige Ordnung der Welt ab.

3.2.4 Struktur der Geschichte Die philosophische Suche nach der Realität und die im metaxy gemachten Ordnungserfahrungen sind zu jedem Moment der Geschichte anhand ihrer Hypostasierungen erkennbar und lassen sich daher auch in einem Rahmen, wie Voegelin ihn in Order and History darstellt, nachzeichnen. In seiner unerhörten Materialfülle stellt dieses Werk nicht nur einen riesigen Fundus an historischen Ordnungserfahrungen und Symbolisierungsversuchen dar. Voegelin vermag es auch, vor dem Hintergrund dieser Hypostasierungen seinem eigentlichen Erkenntnisinteresse näher zu kommen: Die Ordnung der Geschichte. Der Mensch erlebt sich in der metaleptischen Suche in seiner eigentlichsten Qualität. Die Stellung, der er sich durch seine Erfahrungen im metaxy bewusst

294 Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, Das Ökumenische Zeitalter – Weltherrschaft und Philosophie (hrsg. v. Peter J. Opitz), München 2004, S. 103. 295 Voegelin, Anamnesis, S. 269.

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3. Grammatik der Ordnung

wird, ist die des ,Zwischens‘ zwischen Ding- und Es-Realität. Er ist sowohl menschlich als auch göttlich. Die metaleptische Suche ist ein Prozess über die Zeiten hinweg und indem der Mensch dies wahrnimmt, versteht er, dass die Geschichte der Prozess dieser Bewusstseinsdifferenzierungen ist. Wenn hier von der metaleptischen Suche gesprochen wird, dann muss im Hintergrund stets präsent sein, dass sie nicht alleine eine im Individuum stattfindende geistige Bewegung darstellt. Es ist vielmehr die Ordnungserfahrung, die dort stattfindet, und die Voraussetzung – gewissermaßen die Vorarbeit – für den Aufbau des Kosmions darstellt. Die Erfahrungen im metaxy evozieren Ordnung in der Welt und sind daher die Quelle für die Dimension des Menschen in Gesellschaft. Die Geschichte ist „keine leere Zeitdimension [. . .], in der Dinge zufällig geschehen“.296 Man mag annehmen, dass Dinge in der Welt passieren und dies dann Geschichte genannt wird. Voegelin hingegen negiert die Möglichkeit, eine Ordnung in der Welt zu errichten, ohne den Hintergrund der Erfahrungen im metaxy. Deshalb schreibt er nicht, dass Geschichte die Abfolge von menschlichen Ordnungen ist. Dies wäre in seinem Sinne eine Analyse, die die erste Ebene überspringt oder übersieht, dass vor der Ordnung in der Welt die Ordnungserfahrung im metaxy wirklich wird. Daher ist Geschichte originär der Differenzierungsprozess im Bewusstsein, aus dem dann erst in einem zweiten Moment die menschlichen Ordnungen ausfließen. Innerhalb dieses historischen Prozesses der Differenzierung erfährt der Mensch auch von der Qualität des Menschseins. Das heißt, es bedarf einiger Differenzierungsschritte, um zu erkennen, dass es im Menschen etwas gibt, dass als menschheitsstiftendes Momentum bezeichnet werden kann. Es gab durchaus Zeiten, in denen so etwas wie eine menschliche Identität nicht existierte. Es gibt unzählige menschliche Stämme und Völker, deren Selbstbezeichnung nichts anderes heißt als ,Mensch‘ – das heißt ja, dass die angrenzenden Stämme zu dieser Einheit nicht gezählt werden. Dieser Einheitsgedanke kann nur aufkommen, wenn das Bewusstsein von etwas Einigendem jenseits von biologischen Aspekten zwischen allen Individuen der menschlichen Rasse existiert. Dies aber ist nicht selbstverständlich. Erst aus „der menschlichen Universalität des begehrenden und suchenden Partizipierens am Grund“ 297 – der Erfahrung des Göttlichen im metaleptischen Raum – entwickelt sich das Bewusstsein vom Menschsein. Im metaleptischen Raum erfährt der Mensch nicht nur seine Doppelnatur von menschlich und göttlich, sondern er wird sich im Differenzierungsprozess bewusst, dass hier die Zeit – das Menschliche – mit dem Ewigen – dem Göttlichen – in Berührung kommt. Dies wird in gewissem Sinne als Aufhebung der Zeit verstanden, der Atem der Ewigkeit umweht den Menschen. Er erkennt also 296 297

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, S. 103. Voegelin, Anamnesis, S. 299.

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eine Struktur jenseits der Ding-Realität und nimmt seine eigene Teilhabe daran wahr. „Das Bewußtsein von der existentiellen Spannung zum Grund, d.h. das Ordnungszentrum des Menschen, ragt ontisch über alle immanent-zeitlichen Prozesse der Geschichte hinaus.“ 298 Indem er sich als Teil des Überzeitlichen erfährt, erlebt er seine eigene Unsterblichkeit. Das bedeutet für den Menschen, dass er die Gestaltung der menschlichen Ordnung an seiner Erfahrung von den letzten Dingen orientiert und somit die Dimension des Zeitlosen in die Welt holt und geschichtlich manifestiert. Insofern also die Geschichte ein Prozess ist, in dem der Mensch der Struktur, die sich jenseits des zeitlich-weltlichen erstreckt, habhaft wird und sich als einer ihrer Teile erfährt, gewinnt die Struktur der Geschichte eine eschatologische Qualität. Der Griff des Menschen über seine Zeit hinaus macht ihn nicht nur unsterblich, indem er erfährt, dass er selber Teil am Göttlichen hat, es macht auch die Geschichte zu einem nicht nur rein menschlichen Vorgang. So wie der Mensch sich in das Jenseits hineinragend erfährt, erkennt er das Hineinragen Gottes in die Welt. Geschichte ist damit ein menschlich-göttlicher Prozess. Und so wie die Existenz des Menschen durch sein zetetisches Fragen und die Erfahrung von einer Antwort Gottes erst seine eigentliche Qualität als ,Zwischenwesen‘ erhält, erhält die Geschichte als Bereich, indem der Mensch „auf eine Bewegung der göttlichen Präsenz“ 299 antwortet, den Charakter des ,Zwischen‘. „Die historische Dimension des Menschseins ist weder Weltzeit noch Ewigkeit, sondern die fließende Präsenz im metaxy.“ 300 Diese ,fließende Präsenz‘ stellt den prozesshaften Charakter der Bewusstseinsdifferenzierung dar. Der mepaleptische Raum ist der Ort, an dem die Transzendenz in den Menschen und damit auf die Welt fließt. George Steiners oben angesprochener Begriff von der ,realen Gegenwart‘ weist auf eben diese Dimension des Göttlichen, die sich im ,Zwischen‘ zur Präsenz bringt. Jenseits eines ,Zwischens‘ im Sinne der ständigen Aussetzung gegenüber der Spannung, kann es daher keine Geschichte geben: „There is no beyond in time to the struggle in time; or if we want to express the same thought in an older language, the civitas Dei and the civitas terrena are intermingled in history throughout its course from the beginning of mankind to its end. The history of mankind, thus, is an open society – Bergson’s, not Popper’s – comprehending both truth and untruth in tension.“ 301 Voegelin selber hat diese „Erkenntnisse über die Struktur der Geschichte, die allgemeingültig sind“ in fünf wesentlichen Entwicklungspunkten deutlich gemacht:

298 299 300 301

Ebd., S. 345. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, S. 178. Ebd. Voegelin, Immortality, S. 72 f.

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3. Grammatik der Ordnung

„(1) Durch die Differenzierungen des Bewusstseins wird die Geschichte als Prozeß sichtbar, in dem sich diese Differenzierungen ereignen. (2) Da diese Differenzierungen die Einsicht des Menschen in die Beschaffenheit seines Menschseins voranbringen, wird die Geschichte als eine Dimension des Menschseins sichtbar, die, jenseits der persönlichen Existenz des Menschen, in der Gesellschaft liegt. (3) Da die differenzierenden Ereignisse als unsterblich machende Bewegungen erlebt werden, entdeckt man, dass die Geschichte ein Prozeß ist, in dem die Realität durchsichtig für die über ihre eigene Struktur hinausgehende Bewegung wird; die Struktur der Geschichte ist eschatologischer Art. (4) Da diese Ereignisse als Bewegungen der menschlichen Antwort auf eine Bewegung der göttlichen Präsenz erlebt werden, ist die Geschichte kein bloß menschlicher, sondern ein göttlich-menschlicher Prozeß. Obwohl historische Ereignisse in der Außenwelt begründet sind und über Kalenderdaten verfügen, haben sie auch Anteil an der außerzeitlichen göttlichen Dauer. Die historische Dimension des Menschseins ist weder Weltzeit noch Ewigkeit, sondern die fließende Präsenz im metaxy. (5) Die Menschheit, deren Menschsein sich in der fließenden Präsenz entfaltet, ist eine universale Menschheit. Die Universalität der Menschheit wird konstituiert durch die göttliche Präsenz im metaxy.“ 302 Nicht nur hat das „Sein von Geschichte [. . .] selbst den Charakter des Zwischen.“ 303, es ist zudem direkt mit der Natur des Menschen verbunden, mit seiner eigentlichsten Qualität – der Existenz im metaxy. „Es gibt keine andere Geschichte als die im metaxy konstituierte Geschichte des sich differenzierenden Bewusstseins, wie es die Analyse des noetischen Feldes gezeigt hat“.304 In Anlehnung an Platons Ausspruch, dass die Gesellschaft der großgeschriebene Mensch ist, stellt Voegelin fest: „Both society and history are man written large. [. . .] the tensions man experiences in his personal existence are the same he recognizes as structuring“ 305 Gesellschaft und Geschichte. Historisch irrelevante Ereignisse finden ebenfalls statt, sie „gründen sich auf die biophysische Existenz des Menschen in der Gesellschaft auf Erden, in der Zeit der Außenwelt; historisch werden“ Ereignisse erst „durch die Erfahrung des Partizipierens an der Bewegung göttlicher Präsenz.“ 306 Soll also an so etwas wie eine Geschichte der Menschheit gedacht werden, dann werden die Ereignisse natürlich selektiert. Alles andere würde darauf hinauslaufen, einen Ka302 303 304 305 306

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, S. 178. Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, S. 162. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, S. 104. Voegelin, Immortality, S. 66. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 9, S. 178.

3.2 Eric Voegelin

99

talog von Ereignissen zusammenzustellen. Aber das Schreiben einer Geschichte der Menschheit bedarf stets einer Überlegung, was wichtig ist und ist damit notwendig selektiv. Wichtig im existentiellen Sinne können nach Voegelin nur solche Ereignisse sein, die aus dem metaleptischen Raum stammen, weil nur sie uns Orientierung in der Suche nach dem Grund geben. Die Suche nach dem Sinn und die Suche nach dem Grund gehören unbedingt zusammen, weil jede Ordnungsstiftung in den menschlichen Gesellschaften immer auch der Versuch ist, Sinn in die Welt zu holen und somit dem Menschen seine unsichere Welt weniger beängstigend zu machen. Daher ist Geschichte immer nur Ordnungsgeschichte und Ordnungsgeschichte immer nur Geschichte, die im metaxy konstituiert ist. Der Titel seines Hauptwerkes Ordnung und Geschichte ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. In der Geschichte finden sich die menschlichen Ordnungen in ihrer ganzen Vielfalt. Doch haben sich die Beziehungen zwischen Geschichte und Ordnung als viel komplexer herausgestellt, als es eine leere Zeitdimension, in der Dinge zufällig geschehen, wäre. Die Geschichte ist schließlich eine „Präsenz von ewigem Sein in zeithaftem Fließen. [. . .] Wenn wir das Ereignis der Philosophie als fließende Präsenz verstehen, dann ist die Verwirklichung ewigen Seins in der Zeit weder ein Ereignis in der Vergangenheit oder Zukunft der Weltzeit, noch der ein-für-allemal gegebene Zustand eines seienden Dinges [. . .], sondern, auf die Weltzeit bezogen, die permanente Gegenwart der Spannung zum ewigen Sein.“ 307 Geschichte wird das philosophische Ereignis im metaleptischen Raum aus zwei Gründen. Zum ersten, weil es sich um eine Spannung handelt, „die persönlich durchlebt werden muss und sich darum in einer Fülle von Erfahrungsmodi präsentiert“ 308. Es gibt keine andere Erfahrung als die im Bewusstsein des Menschen gemachte, die für die Geschichte bedeutsam ist. Daher gilt für Voegelin: „The structure of history is the same as the structure of personal existence.“ 309 Es darf hier noch einmal daran erinnert werden, dass Erfahrungen immer von Individuen gemacht werden. Die in Symbole hypostasierte Erfahrung ist für andere Menschen noch nicht die authentische Erfahrung. Das Symbol jedoch evoziert im günstigen Fall das Nacherleben-Können durch den anderen. Die Rolle des Einzelnen in diesem Zusammenhang ist es, die die Vielfalt der Erfahrungsmodi begründet. Man könnte daher sagen, dass es sich bei Geschichte um die Karrieren der verschiedenen Erfahrungsmodi handelt. Wenn oben gesagt wurde, dass Voegelin anstrebt, der Konkurrenz der Ordnungen eine Bewertung der Ordnungen beizufügen, so erweist sich der zweite Punkt, der den philosophischen Akt der metaleptischen Suche zur Geschichte macht, als wesentlich: Das Feld der Erfahrungen ist keine „un307 308 309

Voegelin, Anamnesis, S. 272. Ebd. Voegelin, Immortality, S. 78.

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3. Grammatik der Ordnung

geordnete Mannigfaltigkeit, sondern zeigt verstehbare Ordnungszüge, insofern als zwischen den modal verschiedenen Erfahrungen [. . .] sich [. . .] Spannungsrelationen herstellen, die dem Feld Richtung und [. . .] Härte der Nichtumkehrbarkeit verleihen.“ 310 Zum einen ist es also der einzelne Mensch, der die Erfahrungen, die in der Geschichte von Bedeutung sind, immer wieder aufs Neue macht und machen muss, und zum anderen entwickeln sich Spannungsrelationen, die von den Menschen als solche in ihrer fundamentalen Bedeutung einsichtig werden. Diese Bedeutsamkeit der einmal erkannten Spannungsrelationen aufzuheben oder zu negieren, bedarf es eines erheblichen Kraftaufwands, weil sie einen Differenzierungsschwund darstellen, der zunächst nicht einsichtig ist. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der zunehmenden Negation der Transzendenz könnte als Beispiel für solch einen verstehbaren Ordnungszug der Realität dienen, der nur schwer wieder ins Vergessen rutschen konnte. Diese Moderne ist im wesentlichen von einem „loss of personal and social order through loss of contact with nonexistent reality“ 311 gekennzeichnet. Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis ein Teil der westlichen Gesellschaften sich nicht mehr an der Transzendenz orientierte, sondern sie statt dessen gar negierte. Ein Schritt, der enormen Aufwandes bedurfte. Das Ergebnis ist die katastrophale Lage für die Philosophie und die Philosophen im 20. Jahrhundert – die wirklichen Philosophen, wie sie sich in Voegelins Augen darstellen, sind „in search of a reality [nämlich nach der einzigen möglichen; C. H.] no longer alive in the surrounding images, and they [. . .] want to recover the meaning of symbols from their misuse in everyday debate.“ 312 Trotz der enormen Tiefe der Differenzierung, die Voegelin bis ans Ende seines Lebens voran getrieben hat, bleiben auch ihm einige Rätsel: „Dass aber die fließende Präsenz durch ihre Modi der Erfahrung, durch die Spannungen zwischen ihnen, durch epochal repräsentative, sowie durch richtungsweisende und richtende Ereignisse überhaupt ein Feld derart konstituiert, dass es in der Weltzeit zu einem verstehbaren Prozess der Geschichte, zu einer Art Biographie der fließenden Präsenz, wird: dieser Seinsverhalt ist ebenso wenig verstehbar wie die Verstehbarkeit der Welt durch die Naturwissenschaften – er muss als das Mysterium der Geschichte angesprochen werden.“ 313

Voegelins Analysen zur Bewusstseinsphilosophie entwickeln also schrittweise einen Menschen, der in Gott seine Ordnungserfahrungen macht und als solcher in einer offenen Situation im Sinne einer Unentschiedenheit und einer nie enden könnenden Suche steht. Dieser fundamentalste Aspekt seines Seins kann laut Voegelin auch auf die großgeschriebenen Menschen Gesellschaft und Geschichte gewendet werden. In diesem Sinne sind Mensch, Gesellschaft und Ge310 311 312 313

Voegelin, Anamnesis, S. 273. Voegelin, Immortality, S. 56. Ebd., S. 64. Voegelin, Anamnesis, S. 273.

3.3 Politische Theologie

101

schichte offen. Sie sind alle in einer Zwischenexistenz, insofern sie in einer Spannung, die in der Zeit nicht beendet werden kann, befindlich sind. Der Mensch steht im metaxy und erfährt so seine eigentlichste Qualität. Die Geschichte ist der Prozess, in dem sich der Kampf zwischen denen, die in der Wahrheit – im metaleptischen Raum nämlich – stehen und solchen, die sich in der Wahrheit wähnen – und ganz in der technischen Vernunft, im dogmabezogenen Glauben oder in noch minderen Existenzformen stehen – abspielt. Die Wahrheit des metaleptischen Raumes ist wesensnotwendig keine absolute Wahrheit, sondern eben jene Wahrheit, die auch den Symbolen zukommt: Sie ist einer Gradation von kompakt bis differenziert unterworfen; die verschiedenen Ausformungen dieser Wahrheit verhalten sich aber äquivalent zueinander. Die Wahrheit, die außerhalb des metaxy gefunden worden zu sein behauptet wird, verwirft und negiert hingegen die Spannung als menschliche Natur. Die Moderne kennt bevorzugt die Egophanie als Quelle der Wahrheit. Das heißt, dass das metaleptische Spannungsfeld (zwischen Mensch und Gott im metaxy) weitgehend auf einen Pol reduziert wird – den Menschen: „Our present age [. . .] must be characterized as an age in which deficient existence, as well as its symbolic expression, is socially predominant. But social predominance of one pole does not abolish the other one and together with it the tension.“ 314 Auf diesen grundsätzlichsten aller Missstände hinzuweisen, glaubt Voegelin sich als Politischer Philosoph berufen, wenn er die Aufgabe der Politischen Philosophie als „Therapie der Ordnung“ 315 bezeichnet.

3.3 Politische Theologie Das vorliegende Kapitel fand seinen Ausgang in den Analysen und Ergebnissen des ersten Abschnittes, in dem sich die Betrachtungen der verschiedenen Ausführungen von Carl Schmitt und Eric Voegelin zur Staatslehre zu einem durchaus entsprechenden Bild fügten. Schmitt und Voegelin zeigten sich beide als leidenschaftliche Gegner eines staatsrechtlichen Positivismus, dem sie einen gewissen Relativismus unterstellten. Dieser Relativismus wurde von den beiden als Quelle einer inhaltlichen Beliebigkeit interpretiert, die sie scharf ablehnten. Doch es blieb die Frage offen, an welchem Inhalt, Wert, oder auch an welchem Archimedischen Punkt Schmitt und Voegelin ihr eigenes Werk orientieren. Der Vorwurf der Beliebigkeit ist ein schnell und leicht hervorgebrachter und im Zuge der Betrachtungen dieses Kapitels wurde deutlich, dass es gerade Schmitt war, der mit seinen Thesen eine nahezu parallele Kritik erfuhr. Der Vorwurf, er betreibe einen okkasionellen Dezisionismus, zielte, wie zu sehen war, in die 314

Voegelin, Immortality, S. 73. Eric Voegelin, Wissenschaft, Politik und Gnosis. In: ders., Der Gottesmord. Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis (Reihe: Periagoge, hrsg. v. Peter J. Opitz), München 1999, S. 57–104, hier S. 67. 315

102

3. Grammatik der Ordnung

gleiche Richtung wie Schmitts eigene Position gegen den staatsrechtlichen Positivismus. Gleichzeitig wurde deutlich, dass sich weder die Positionen Schmitts noch die Voegelins in ein politisches Spektrum, das sich etwa von marxistisch-kommunistisch über liberal bis hin zu faschistisch in einem klassischen Schema von links nach rechts erstreckt, verorten lassen. Die Kriterien, die bei der Analyse der politisch-philosophischen Haltungen der beiden zu Tage traten, waren dem politischen Spektrum, wie es für die Moderne spätestens seit der Französischen Revolution Gültigkeit beanspruchte, merkwürdig fremd. Diese geringe Kongruenz mit den politischen Maßstäben einer Zeit, die im wesentlichen Kritik der beiden erfährt, scheint aber folgerichtig, wenn wir die Motivlage von Schmitt und Voegelin, wie sie sich gegen Ende der Betrachtungen dargestellt hat, in die Beurteilung einbeziehen. Der mit diesem Kapitel anvisierte jeweilige Kern des Denkens, das Zentrum der politischen und philosophischen, vielleicht gar theologischen Argumentation Voegelins und Schmitts, erwies sich als ein Punkt, der jenseits des Koordinatensystems der Moderne zu stehen jedenfalls den Anspruch hat. Die hier verfolgten Gedankengänge Schmitts und Voegelins erwiesen sich als wesentlich und ganz bewusst antimodern. Sowohl die Orientierung an einem mit der Figur des Katechons theologischmystisch aufgeladenen Politikverständnis, als auch die Bestimmung der Meditation mit seinem göttlich-transzendentalen Hintergrund als Kern der Ordnung und gleichzeitig auch der Ordnungsphilosophie, weist über die Inhalte einer aufklärerisch inspirierten Moderne hinaus. Der Wille, jenseits von zeitgebundenen politischen Formen, Strukturen und Elemente des menschlichen Lebens in Gemeinschaft zu identifizieren, war der Ausgangspunkt beider. Während Schmitt diese Suche nach Konstanten jedoch weitgehend im Hintergrund seiner Werke durchscheinen ließ und sich sehr stark auf konkrete politische Fragen seiner Gegenwart konzentrierte, war Voegelins Lebenswerk von dem Bemühen geprägt, stets tiefer in die Wahrheit einzudringen, die sich zeitübergreifend in den Selbstinterpretationen der menschlichen Gesellschaften finden ließen. Dabei war er spätestens nach seinem Buch Der autoritäre Staat im Jahr 1936 von den Versuchen abgerückt, konkrete Fragestellungen aus dem politischen Alltag zu besprechen. Dies begründet zunächst ein Problem der Vorgehensweise einer vergleichenden Studie, wie es die vorliegende zu haben den Anspruch besitzt. Doch ist dies nicht viel mehr als das Problem, die esoterisch-exoterische Manier von Schmitts Stil zu entschlüsseln und somit hinter seinen staatsrechtlichen Abhandlungen auch die Denkbewegungen zu identifizieren, die eine christliche Prägung katholischer Art demonstrieren. All dies verschwieg Schmitt gerne „oder drückte es in dunklen Anspielungen aus.“ 316 Auch wenn diese esoterisch-exote316

Martin Meyer, Das Ende der Geschichte?, München/Wien 1993, S. 164.

3.3 Politische Theologie

103

rische Struktur seiner Schriften nicht Allgemeingut der Schmitt-Exegese ist317, so sind doch bereits eine ganze Reihe von Aufsätzen, Abhandlungen und Monographien zu dem Thema verfasst worden und unterstreichen die Bedeutung des theologischen Denkens bei Carl Schmitt. Die Entschlossenheit Schmitts, der Politik einen eschatologischen Charakter, ja, teilweise gar ein apokalyptisches Element zuzusprechen, steigert sich mit den Jahren insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bei Voegelin läßt sich nicht von einer entsprechenden Bedeutung der Theologie sprechen. Die Entschlossenheit und Bestimmtheit, mit der Schmitt katholisches Formbewusstsein und christliche Apokalyptik in seinen Thesen vereint, findet bei Voegelin keine Entsprechung. Nichtsdestoweniger ist aber auch bei der Nachzeichnung der Gedanken Voegelins deutlich geworden, dass es dabei keineswegs um Argumentationslinien geht, die man ohne weiteres als selbstevident bezeichnen könnte. Seine Identifizierung des metaxy als zentralem Ort der Ordnungserfahrung des Menschen und als Punkt, an dem der Mensch am Göttlichen teil hat, sind dem Leser zunächst nicht einsichtiger als die Thesen Schmitts zur Katechontik. Beide Autoren erweisen sich an diesem Punkt als Exoten im Wissenschaftsbetrieb. Es geht bei beiden um nicht weniger als um die Grundlegung eines wissenschaftlichen Gesamtwerkes auf Elemente, die in ihrer Gegenwart weitgehend nicht als Grundlage akzeptiert werden. Man kann es zuspitzen: Mit der Erhebung von Offenbarung zum erkenntnisleitenden Motiv wissenschaftlicher Arbeit stellen sie sich außerhalb eines Diskussionszusammenhangs weiter Teile ihrer kontemporären akademischen Umwelt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, zwei Punkte näher zu betrachten. Zum ersten hat eine Abgleichung der Untersuchungsergebnisse zu folgen. Die Formprinzipien ,Katechon‘ und ,metaxy‘, die als je eigene Form eines ,Zwischens‘ identifiziert wurden, sollen daher ebenso einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, wie der Aufbau einer Grammatik der Ordnung, die zwei Stoßrichtungen besitzt. (1.) wird in ihr von einem Weg, nicht von einem System ausgegangen, wenn über politische Zusammenhänge nachgedacht wird. Die Grammatik der Ordnung erweist sich weder als geschlossenes System noch als vollkommen offen, weil sie gewisse Strukturen vorgibt, die vom politischen Alltagsbetrieb inhaltlich aufgefüllt werden. (2.) orientiert sich die Grammatik der Ordnung an der Ordnung des Kosmos, oder, um mit Voegelin zu sprechen, der Mensch imitiert Gott, er ahmt mit seinem Kosmion den großen Kos317 Gegen eine solche Interpretation wenden sich neben dem schon zum Klassiker avancierten Werk von Hasso Hoffmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Berlin 19943; auch Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958; oder auch Ernst Topitsch, Die Wissenschaftsauffassung von Carl Schmitt. In: ders., Im Irrgarten der Zeitgeschichte. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 2003, S. 44–92. Für Letzteren ist Schmitt „Der zuinnerst Haltlose“, ebd., S. 81.

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3. Grammatik der Ordnung

mos nach. Ordnung entspringt nach diesem Gedanken nur einer Grammatik, deren Strukturen von Gott vorgegeben sind. Zum zweiten bedarf die Betonung des Theologischen und des Transzendenten einer Besprechung, die im Rahmen eines jahrhundertealten Diskurses steht: Politische Theologie versus Politische Philosophie. Die Frage nach der Rolle der Transzendenz für die menschliche Gesellschaft und nach der Bedeutung Gottes für die politische Sphäre und die Wissenschaft von der Politik ist wohl eine der großen Fragen der Moderne und die Diskussion ist weder abgeschlossen noch erscheint sie abschließbar. Aber doch soll vor dem hier erschlossenen Hintergrund der Thesen Voegelins und Schmitts ein erneuter, wenngleich bescheidener Blick auf diese Großbaustelle menschlichen Denkens geworfen werden.

3.3.1 Katechon, metaxy und eine Welt ohne das ,Zwischen‘ Katechon und metaxy sind als Formen identifiziert worden, die in jeweils eigener Art auf einen nicht finalen Zustand, auf ein Spannungsgefüge verweisen, das in der Geschichte als Ordnungsstruktur gegenwärtig ist. Doch so sehr der Begriff des ,Zwischens‘ hier eine Entsprechung der Ordnungstheorien ersichtlich macht, so wenig sind die Hintergründe, vor denen sie ihre Geltung bei Schmitt respektive Voegelin erhalten, analog. Es steht die Schmittsche Interpretation christlicher Apokalyptik, die sich geschichtsmächtig in der Figur des Katechons manifestiert, der Politischen Philosophie in Voegelins Ausprägung entgegen. Und doch bleiben die beiden Versionen des ,Zwischen‘ in ihrem Charakter als Formprinzip aufeinander beziehbar. Katechon und metaxy erstrecken sich als Ordnungsbegriffe in das Feld der Geschichte. So wie für den Christen Schmitt Geschichte nur mit dem Katechon vorstellbar ist, so gibt es für Voegelin außerhalb des metaxy keine Geschichte. Der Katechon ist das Gegenprinzip zum Antichristen, der als Formprinzip eben als das Nichtform-Prinzip beschrieben werden kann. Es ist die katechontische Kraft, die sich dem Anomos entgegenstellt und so Ordnung in der Geschichte garantiert. Der Katechon ist quasi die statthalterische Kraft Christi im Kampf gegen den Antichristen. Die Ordnung, die deshalb durch Gott in die Welt kommt, weil sich jede Ordnung für Schmitt an der Offenbarung orientieren muss, befindet sich in der niemals endenden Gefahr in ihr Gegenteil, in Unordnung und Chaos zu fallen. Das Böse ist in diesem Sinne immer das Ausbleiben des Guten und das von der Erbsünde markierte Böse ist der den Menschen ewig versuchende Drang, Gut und Böse identifizieren zu können und somit das Böse ein für alle Mal vom Angesicht der Erde zu tilgen. Diese doppelte Beschränkung des Menschen – der an ihm kraftvoll zerrende Anomos und dessen gleichzeitige Unüberwindbarkeit – begrenzt den Raum des Katechons. Die in der Welt tätigen Kräfte sind in diesem Raum in spannungsvoller Weise gefangen. Jeder

3.3 Politische Theologie

105

menschliche Versuch, diesen Raum zu verlassen, endet mit dem Sieg des Antichristen. Die Überzeugung, dass dieser Raum einer Verblendung des Menschen geschuldet ist, erst durch diese in die Welt gerät und ergo auch durch eine kulturelle Anstrengung des Menschen weg-gedacht werden kann, ist für Schmitt bereits die Niederlage gegen den trickreichen Antichristen. Vielleicht ist daher der Ruf Nietzsches vom Tod Gottes weniger gefährlich als der angenommene Tod des Antichristen. Denn er ist es, der in der Welt des Menschen stets am Werke ist und seine Abwehr ist die eigentliche Kraftanstrengung. Der Sieg des Antichristen ist das Ergebnis eines kampfunwilligen Menschen, er siegt quasi von alleine. Der Anomos ist das Ergebnis der fehlenden Bereitschaft des Menschen, Ordnung zu stiften. Wird der Nomos vergessen, verdrängt oder vernichtet, so ist dies schon hinreichend, um dem Anomos den Sieg zu sichern. Ordnung ist im Sinne von Schmitt nur auf dem Boden der offenbarten christlichen Wahrheit möglich. Die „Inkarnation des Gottessohnes“, von der Schmitt als seinem „unokkupierbaren Zentrum“ schreibt, und bei dem es sich in erster Linie um ein „historisches Ereignis“ 318 handelte, ist denn auch der Ausgangspunkt der Ordnungssuche. Der Gottessohn wird als (überzeitlich betrachteter) erster Mensch, als kompletter und totaler Mensch der Bezugspunkt des Menschseins. In ihm wurden der doppelte Charakter des Menschen augenscheinlich und die Fähigkeit des Menschen, nach Gott zu streben, ihm zugleich und aufs Neue als Auftrag mitgegeben. Insofern war Jesus als Christus die Orientierung gegen den Antichristen. Der Gottessohn als Gegenspieler des Anomos wurde somit zum Leitbild des Menschen. Der Mensch ist zum Göttlichen fähig, doch wesensnotwendig nicht mit ihm identisch und daher auch gefangen in einer offenen Situation. Wenn Schmitt den Menschen im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit politischen Theorien als böses, im Sinne eines gefährlichen, offenen Wesens identifiziert, wird der Zusammenhang zum ersten Menschen Jesus deutlich. Insofern dieser nämlich der absolute Mensch ist, der sozusagen die Idealform darstellt, weißt er die Richtung, die der Mensch in seiner eigenen Ordnungssuche nehmen soll. Insofern er aber für den Menschen unerreichbar ist, bleibt dieser in dem ewigen hin und her zwischen Ordnung und Unordnung, Gott und Antichrist, Kosmos und Chaos gefangen. Dort ausbrechen zu wollen, darf er sich nicht gestatten. Dieser Erlösungsakt kann dem Menschen erst nach dem Tode zuteil werden. Das metaxy nun ist eine andere Art, den Menschen in seinem Nicht-Festgelegtsein zu beschreiben. Das metaxy ist der Raum, in dem Mensch und Gott sich begegnen. So wie Jesus in die Welt als Christus eintaucht, um dem Menschen seine Richtung zu geben, so erfährt der Mensch im metaleptischen Raum seine Orientierung. Das ,Fließen der Präsenz‘, das Voegelin als den ständigen 318 Schmitt, Glossarium, 13.12.1949, deutsch von Heinrich Meier. In: ders., Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 148 f.

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3. Grammatik der Ordnung

Einfall des Transzendenten in die Welt beschreibt, ist in dieser Eigenschaft eine andere Chiffre sowohl für die Überzeitlichkeit Jesu als ersten Mensch als auch für die Präsenz des Heiligen Geistes, der als ,Blitz der Ewigkeit in die Zeit‘ stets die Teilhabe an der Transzendenz ermöglicht. Indem die Offenbarung der Gottessohnschaft ohne Ansicht der Zeit Gültigkeit behält und damit auch die mit ihr verbundene Ausrichtung des Menschen auf die Göttlichkeit in der Zeit stets präsent gehalten wird, besitzt dieses zentrale historische Ereignis für Schmitt den gleichen Wert wie das metaxy für Voegelin. Nur in dieser Orientierung auf das Spannungsfeld des zur Transzendenz begabten Menschen kann Raum sein, in dem echte Ordnung erfahren wird. Katechon und metaxy eröffnen dem Menschen echte Ordnungserfahrung, die auch nur dort gemacht werden kann. Zudem ist dieser Raum nicht von der Zeit abhängig, sondern vielmehr jenseits der Zeit. Das ,Fließen der Präsenz‘ besitzt die gleiche Bedeutung wie die Identifizierung Jesu als ersten Menschen und der Verweis Jesu auf den Heiligen Geist, der sich dem Menschen in der Zeit mitteilt. Alle Versuche, aus diesem ordnungsstiftenden Zusammenhang auszubrechen, sind von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Dieses Scheitern drückt sich nicht dadurch aus, dass die Umsetzung solcher Ordnungssuche in die Organisation der Gesellschaften unmöglich wäre. Eben dies ist möglich aber gleichzeitig gefährlich. Jenseits der aus dem metaleptischen Raum bezogenen, an der Offenbarung Christi ausgerichteten Ordnungserfahrung, ist nur Anomos, immanentistische Versuchung, politische Religion, egophane Revolte, Hybris, Antichrist und Abfall von Gott – aber eben immer nur graduell. Gut und Böse sind die ungleichen Schwestern, von denen auf der Erde keine alleine leben kann. Die Kräfte, die am metaxy zerren, es bedrängen und zu verbergen trachten, entsprechen den als Anomos oder Antichrist bezeichneten Kräften. Daher kann auch in Entsprechung zum metaleptischen Raum vom katechontischen Raum als dem Raum der Geschichte gesprochen werden. Beide sind von analogen Kräften eingegrenzt und bestimmt. Die Betrachtung dieser widerstreitenden Kräfte als Formprinzipien, ermöglicht es der Analyse, der Bedeutung der beiden ganz eigenen sprachlichen Symbolformen von Schmitt respektive Voegelin näher zu kommen. Gleichzeitig kann hier kein Sprachfeld herangezogen werden, das gänzlich ohne die Begriffe der beiden Autoren auskommt und auf neutralem Grund Schmitts und Voegelins Lehren vergleichend zu betrachten erlaubt. Daher verbleibt nur, auf die analogen Zusammenhänge der Symbolfelder, die sich um die Symbole Katechon und metaxy eröffnen, hinzuweisen. Auch hier gilt erneut, dass der Leser nachfolgen muss, um den Bedeutungsgehalten näher zu kommen. Das Politische als Intensitätsgrad von Assoziation und Dissoziation, wie Schmitt es beschreibt, ist als analogon des katechontischen Raumes zu betrachten. Insofern nämlich in der Geschichte der Kampf zwischen Antichrist und Katechon niemals enden kann und überhaupt erst den geschichtlichen Raum öff-

3.3 Politische Theologie

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net, kann es kein Ende der politischen Auseinandersetzung geben. Das Politische hat in diesem Sinne also katechontische Kraft und stellt für Schmitt gar das Formprinzip des Katechons in größter Reinheit dar. Hier liegt Schmitts Kampf für das Politische begründet. Die Offenheit des Kampfes zwischen den ordnungsstiftenden Mächten und den anomischen Kräften, kann nicht einfach in der unbestimmten Sphäre mystischer Begriffe wie Katechon und Antichrist gehalten werden. Für den Christen Schmitt muss sich dieser Kampf in der Geschichte manifestieren, er muss irgendwo in der Welt ausgetragen werden. Dieser Ort in der Welt ist die Sphäre des Politischen. Wenn im katechontischen Denken der ewige Kampf bis zum Jüngsten Tag dauert, so muss dieser Kampf auch irgendwie in der Welt ausgetragen werden. Es handelt sich nicht um einen Kampf hinter den Kulissen, sondern um das Erste und Wichtigste allen menschlichen Daseins, um den geschichtlichen Kampf, der sich als immerwährender politischer Kampf zeigt. Die Abkunft des Wortes Politik von der griechischen polis scheint aus dieser Perspektive nicht bedeutender und einleuchtender als vom griechischen polemos. Die Stadt ist der Schauplatz, der Streit ist das Geschehen – Gegnerschaft auf Erden, das ist Politik, wie Schmitt sie zu verstehen scheint. ,Frieden auf Erden‘, jene göttliche und fortgesetzte liturgische Formulierung ist keine Verheißung, sondern nur Orientierung für das Diesseits. Die Ankunft der Menschen an diesem Punkt bleibt immer jenseits der Erreichbarkeit, genau wie es Jesus für die einzelnen Christen war. Wenn Voegelin die klassischen Analogien von der Gesellschaft und der Geschichte als den großgeschriebenen Menschen erwähnt, so leuchten diese in der Ferne hinter der persönlichen Orientierung des Menschen an Jesus im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Orientierung am ,Frieden auf Erden‘ für das Christentum auf. Beides bleibt unerreichbar aber so wie der Einzelne Jesus nachstreben soll, so ist es auch die Aufgabe der Gesellschaften, den Frieden anzustreben. Hier sind die Voegelinschen Analogien in Teilen ihres Bedeutungsgehalts ins Christliche übersetzt. Die Orientierungspunkte Jesus und die befriedete Erde sind ebenso fern, wie Referenzpunkte des Menschlichen und der polis für die klassische Philosophie. Die Ideenlehre Platons zeigt sich hier in ihrer nicht realisierbaren Facette. Die wunschhaft angestrebten Zustände müssen wesensnotwendig unerfüllt bleiben. In der Liturgie heißt es heute noch von Gott ,Frieden auf Erden wünsche ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch‘. Gottes Frieden kann erreicht werden (,gebe ich Euch‘), der Friede auf Erden bleibt aber selbst in diesem hoffnungsfrohesten Teil der Liturgie, in der Vorbereitung auf die Eucharistie, doch nur ein Wunsch. Schmitts Orientierung an der Gegnerschaft scheint nur auf den ersten Blick der dargestellten christlichen Orientierung am Frieden zu widersprechen. Denn in einer Zeit, in der Schmitt überall um sich herum Kämpfer für den endgültigen Frieden auf Erden sieht, wo perfekte Menschen ins himmlische Diesseits des Endkommunismus gezeichnet werden, mangelt es nicht an Friedensverkündern, sondern an denen, die solchen Verheißungen ihren

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3. Grammatik der Ordnung

häretischen Charakter vor Augen halten. Die christliche Orientierung am Frieden ist nur dann authentisch, wenn sie die Möglichkeit des Kampfes wenigstens in ihrer Potentialität nicht negiert. Der Mensch kann eben nur nach dem Frieden ausgreifen, ihn aber auf Erden nie erreichen. Diejenigen, die dies jedoch verheißen, zeigen sich so von ihrer finstersten und in Schmitts Augen gefährlichsten Seite. Auch der Antichrist zeigt sich dem Menschen als täuschend echter Gott, er verheißt dem Menschen göttliche Fähigkeiten und verspricht ihm Erlösung auf Erden – nichts anderes sieht Schmitt im Kommunismus. Eben weil diejenigen, die den ewigen Frieden in die geschichtliche Zukunft projizieren, so großen Widerhall in der philosophischen und politischen Gegenwart Schmitts erfahren – und in dieser Prophezeiung der befriedeten Welt stand der Liberalismus dem Kommunismus zeitweise in nichts nach – fühlte er sich berufen, die Möglichkeit des Krieges und des Kampfes zu betonen und aus mancherlei Perspektive über zu betonen. Die Hegung und Begrenzung des Krieges fand seinen Ausdruck aber ebenfalls im Begriff des Politischen. Schmitt unterstrich die Bedeutung des Politischen als Raum der Feindschaft in klar abgesteckten Grenzen. Mit seinem Begriff des Politischen wehrte er sich gegen Tendenzen zum totalen Krieg, der den Menschen in all seinen Facetten umgreifen will. Nach seinem Verständnis vom Politischen musste sich der Krieg auf die umkämpfte Sache begrenzen, weil es eben nicht um Moral oder ähnliches ging. Der Feind war in seinen Augen Feind wegen Territorium, Ressourcen, Infrastruktur oder konfessioneller Gegnerschaft, nicht aber weil der Feind ein Unmensch war. Das Politische in Schmitts Wendung führt zu einem umhegten Raum des Krieges und zeigt sich so in einer gemäßigten, im Prinzip am Frieden orientierten Größe, die den Krieg aber nicht negieren kann und will. Voegelins Interpretation der Spannung von Krieg und Frieden zeigt sich in exemplarischer Weise in einer Einordnung der Bergpredigt. Der Zwiespalt von Friedensorientierung und Bereitschaft zum Kriege, der im christlichen Leben zutage tritt, findet auch für Voegelin seine Begründung in der Unmöglichkeit eines Friedens auf Erden. Zwar finde sich in der Bergpredigt „die Substanz der christlichen Lehre.“ Und „würde man sie und ihre Anleitung aus dem Christentum entfernen, würde man das Kraftzentrum, welches das Christentum zu einer wirksamen historischen Realität macht, zerstören.“ Doch zugleich betont er die Gefahr, die den Christen im Falle des Versuches einer totalen Durchsetzung der Lehre aus der Bergpredigt droht. „Da die Bergpredigt in Reinform unerträglich ist, lässt die Kirche nur soviel von ihrer Substanz einfließen, wie die Menschen auf Erden in sich aufnehmen können; die strenge Realität Jesu mit einem minimalen Substanzverlust auf die Ebene menschlicher Bedürfnisse zu übertragen, das ist eine der Funktionen der Kirche.“ 319 Ausdruck findet diese Unmöglich319 Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, Platon (hrsg. v. Peter J. Opitz), München 2002, S. 270.

3.3 Politische Theologie

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keit im „paulinischen Kompromiss der Kirche mit der schwachen Natur des Menschen“.320 Auch Voegelin besteht darauf, dass es sich bei der Orientierung am Frieden im Christentum lediglich um eine Annäherung an diesen von Jesus Christus formulierten und personifizierten Idealpunkt handelt. Auf der Erde verhindert die Natur des Menschen alles, was über eine Annäherung an die Essenzen der Bergpredigt hinausgeht. Auch in der Sprache der Philosophie sucht Voegelin eine Annäherung an die Spannung, die sich aus der Friedensorientierung und der Unmöglichkeit des totalen Friedens ergibt. So identifiziert er das metaxy ja als Ort der Ordnungserfahrung, stellt aber gleichzeitig fest, dass das Erreichen des Punktes, an dem die metaleptische Erfahrung möglich wird, ein schwieriges Unterfangen darstellt. Es sind die Philosophen, die sich dort hin begeben und denen vertraut werden muss. Die Sehnsucht nach Frieden bleibt immer im Hintergrund, die möglichst große Annäherung jedoch geschieht eben durch Kampf. Dieser Kampf der Politischen Philosophie ist immer auch ein Kampf um die Bedingungen des philosophischen Lebensstils und um das Gehörtwerden des Philosophen: „Philosophie ist keine Lehre von der rechten Ordnung, sondern das Licht der Weisheit, das auf den Kampf fällt; und die Hilfe besteht nicht in einem Stück Information über die Wahrheit, sondern in dem mühseligen Bemühen, die Kräfte des Bösen aufzuspüren und ihre Natur zu bestimmen. Denn wenn die Seele die Gestalt des Feindes erst einmal erkannt hat und dem zufolge weiß, dass ihr Weg in die entgegengesetzte Richtung führen muss, ist die Schlacht schon halb gewonnen.“ 321 Dieser notwendigen Orientierung am Feind ist sich Schmitt stets bewusst und er lässt sich davon leiten. Seine ihm ganz eigene Hermetik, sein teilweise esoterischer Stil läßt sich vor diesem Hintergrund besser verstehen: Er bemüht sich, vom eigenen Feind unerkannt zu bleiben, weil er so die Gefahr für sich minimiert: „Gib Deinen Feinden keine Möglichkeit, Dich zu begreifen.“ 322 Hier ist Politik in seinem apokalyptischen Charakter ausformuliert. Schmitt kämpft den bedeutendsten Kampf, den der Mensch führen kann. Der politische Feind ist keiner, der nur die Welt anders gestalten will, als Schmitt dies will. Der Feind will vor dem Hintergrund seines Charakters als Antichrist in die Geschichte eingreifen: „Im Feind glaubt Schmitt das Werkzeug der Providenz zu erkennen.“ 323 Schmitt setzt sich dem entgegen und versagt (wie oben schon angedeutet) im entscheidenden Moment, als er in Hitler den Katechon wähnt. „Ab integro nascitur ordo“ 324 muss Schmitts politisch-apokalyptische Maxime lauten. Die Wahrheit ist offenbart und der Kampf um sie ist der Kampf um Ordnung, die einzig in Gott gefunden werden kann. Schmitts Politische 320 321 322 323 324

Ebd. Ebd., S. 86. Schmitt, Glossarium, 15.12.1948. Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 79. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 95.

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3. Grammatik der Ordnung

Theologie erfährt so die ganze Schwere ihrer existentiellen Bedeutung. „Die Politik bedarf der Theologie am Ende nicht zur Verwirklichung eines Zweckes, sondern zur Begründung ihrer Notwendigkeit. Der Glaube ist die uneinnehmbare Bastion des Politischen.“ 325 Im apokalyptischen Kampf zwischen Antichrist und Katechon wird die Bedeutung des Politischen ins Absolute verlängert. Der Mensch schickt sich in Schmitts Augen an, das Politische zu zerstören, den Kampf des Menschen auf Erden beenden zu wollen. Mit dem Kommunismus ist ein System begründet worden, in dem Menschen ihre Hoffnung auf innerweltliche Erlösung ganz zum Ausdruck bringen. Für Schmitt ist dies nichts anderes als die erneut begangene Erbsünde. Die Geschichte soll mit dem kommunistischen Endreich an ihr Ende gekommen sein, weil der Kampf zwischen den apokalyptischen Kräften entschieden wird. Das Formprinzip, das Schmitt hinter dem Kommunismus sieht, ist der Antichrist. Nur er kann dem Menschen vorgaukeln, sich auf Erden noch dem offenen Zustand des Menschseins entziehen zu können – nur die Erbsünde mit ihrer Beschreibung der menschlichen Hybris ist als Vergleich heranzuziehen. Der Liberalismus hat all dem nichts entgegenzusetzen. Er ist das Sinnbild eines menschlichen Defätismus größten Stils: die Feigheit vor dem Größten aller Kämpfe und der Abfall von Gott. Der Liberalismus gibt das Feld der apokalyptisch-politischen Kräfte frei und zieht sich zurück in die Welt der Unterhaltung, vor der Schmitt graut. So kämpft der Antichrist mit der Verheißung der menschlichen Selbsterlösung auf seiner Seite. Doch der Kommunismus ist für Schmitt nur ein anders gefärbter Liberalismus. Denn auch an seinem Ende steht nur noch die reine Unterhaltung. Dort werden keine anspruchsvollen moralischen Unterscheidungen mehr getroffen, weil die Geschichte an ihr Ende gekommen sein wird. Der Endkommunismus und sein Reich der Freiheit kennen keine moralischen Entscheidungen mehr, denn sonst wäre die Geschichte nicht entschieden. Moral entscheidet zwischen Gut und Böse, doch das Böse scheint in all seiner Gefährlichkeit ausgelöscht, wenn die Kommunisten an ihr Ziel gelangt sind. Und eben dort verliert der Mensch seine Qualität: Die Fähigkeit zur anspruchsvollen moralischen Entscheidung in der Gewissheit der Endlichkeit dieser Entscheidung. Der Kampf um Gut und Böse auf Erden ist nur als Kampf innerhalb des apokalyptischen Kampfes zu verstehen. In der Geschichte kann aber zugleich nur dann zur endgültigen Entscheidung vorgestoßen werden, wenn damit das Ende der Geschichte kommt. Das Offenhalten der Geschichte ist dem Gott herbeisehnenden Menschen schwer zu vermitteln, weil damit auch die Parusie verzögert wird. Diese Frage war gerade im Urchristentum von höchster Bedeutung. Erst mit Augustinus fand sich ein Abschluss der Gegenbewegung zur ständigen Naherwartung der Parusie. Der Glaube an den unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Tag lähmt das Leben, die Naherwartung hinderte das 325

Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 64.

3.3 Politische Theologie

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Christentum am engagierten Tun in der Welt. Daher musste der Wille, auf Erden tätig als Christ zu leben, erst theologisch begründet und zum Glaubensgegenstand werden. Schmitt ficht diesen Kampf der Hinauszögerung, weil der Gegner eben der totale Gegner ist: der Antichrist. Hier zeigt sich die unentrinnbare Paradoxie dieser Konstruktion. Für Schmitt ist das Menschsein auf Erden im Wesentlichen ein an Jesus Christus orientiertes Sein und insofern er ein ernsthafter Christ ist, will er den apokalyptischen Kampf verlängern. Gottgefälliges Leben ist in dieser Wendung dasjenige, das die Existenz des Antichristen verlängert, indem es katechontisch wirkt. Denn die Zerstörung des Antichristen wäre ja in der Konsequenz der Katechontik sein Sieg. Insofern der Mensch im katechontischen Raum sein Leben führt, ist der Kampf zwischen Gut und Böse ein Unterfangen, an dem der Mensch ernsthaft Anteil nehmen muss, um auch ,anspruchsvoll‘ entscheiden zu können. Doch insofern der Mensch in der Geschichte in seiner ganzen Befangenheit und Imperfektion steht, bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen Kampf anzunehmen, ohne dass er ganz weiß, worum es in diesem Kampf eigentlich geht und in der vollen Gewissheit, dass auch die anspruchsvolle Entscheidung nur eine vorübergehende ist. Denn eines kann sich der Mensch sicher sein: Gut und Böse wird er nie erkennen, nur um es ringen können. So wird dieses Gegenbild zur Welt der Unterhaltung nicht das Finden der endgültigen Wahrheit, sondern das auf der Erde nicht enden wollende aber ernste Spiel des Menschen. In Voegelins Platonexegesen lassen sich Gedanken finden, die in diesem Zusammenhang ebenfalls von größerem Interesse sind. Er referiert Platons Mythos von Gott als einem Puppenspieler aus den Nomoi und schreibt Schmitts Ablehnung, ja, Ekel vor der Welt der puren Unterhaltung fort. Platon zeichnet die menschliche Seele in den nomoi nicht mehr mit dem Höhlengleichnis nach. Der Aufstieg des Menschen aus der Höhle zur Anschauung der Idee ist nun weiter differenziert und unterstreicht den Spannungscharakter der Psyche. Gott als Puppenspieler bewegt den Menschen an einer goldenen Schnur. Mit dieser Schnur zieht er den Menschen in die richtige, die edle und gute Richtung. Gleichzeitig jedoch ziehen und zerren andere Schnüre am Menschen, die nicht von Gott bedient werden. Diese Schnüre sind aus „Eisen und weniger wertvollen Stoffen gefertigt. Der Zug der goldenen Schnur ist sanft und mild; um wirksam zu werden, bedarf er der Unterstützung durch den Menschen. Der Zug der anderen Schnüre ist hart und heftig, und der Mensch muss ihm entgegenhalten, sonst wird er von ihm losgerissen werden.“ 326 „Ihre Züge ziehen uns in entgegengesetzte Richtungen, und hierin liegt die Trennung von Laster und Tugend begründet.“ 327 Die Differenzierung gegenüber dem Höhlengleichnis besteht im Wesentlichen in der nun stärker betonten Spannung, die im Höhlengleichnis in 326 327

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 276. Ebd.

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3. Grammatik der Ordnung

einem Entweder-Oder aufgehoben war: entweder der Mensch steigt aus der Höhle auf oder nicht. Nun zeigt sich der Mensch in einem unaufhörlichen Gezogen- und Gezerrtwerden an den Schnüren der Tugenden und der Laster. Die Tugenden, das was ihn auf die Göttlichkeit hin ordnet, sind zudem sanft und die Laster begehren den Menschen mit starker Kraft. Ihnen nachzugeben, zeigt sich als einfacher, als dem sanften Ziehen Gottes zu folgen. Mit anderen Worten: Das Böse fällt dem Menschen leichter als das Gute. An dieser Stelle kommt das ernste Spiel zu seiner Bedeutung. Der Mensch findet sich in diesem platonischen Symbolfeld in einem Spiel als Spielzeug wieder, das durch seine Rolle als dasjenige, das zwischen Tugend und Laster mitentscheiden kann, auch zum tätigen Teil des Spiels wird. „Der Mensch, der die Wahrheit dieses logos [von der im Symbol des Puppenspiels ausgedrückten Spannung des Menschen; C. H.] verstanden hat, wird das Spiel der Selbstbeherrschung und der Selbstüberwindung verstehen und im Gehorsam auf den Zug der goldenen Schnur leben“.328 Voegelin beschreibt sowohl die Zeitgenossen Platons als auch seine eigenen als dieser Wahrheit nicht (mehr) bewusst. Zwar müsse sich der Mensch von der goldenen Schnur leiten lassen, die „im Volk verbreiteten Gefühle wiesen aber eher in die entgegengesetzte Richtung“.329 Die Orientierung des Menschen an der goldenen Schnur zeige sich für das klassische Griechenland in den Spielen „von Opfer, Gesang und Tanz“ 330, zeitungebunden also in den kulturellen Spielen, in denen der Unernst auf die tiefe Wahrheit trifft. Kunst hat immer diesen Doppelcharakter von Bedeutungsfülle und spielerischer Ausgestaltung. Voegelin greift zurück auf Jan Huizingas Homo ludens, dem er 1948 eine Rezension widmet. In Huizingas Buch zeigt sich das Spiel „as an element that becomes the vehicle of cultural growth in law and politics, in science and philosophy, in poetry and art.“ 331 Im Spiel erlebt sich der Mensch entgrenzt, denn mit dem Spiel „erkennt man, ob man will oder nicht, den Geist. Denn das Spiel ist nicht Stoff, worin auch immer sein Wesen bestehen mag. Schon in der Tierwelt durchbricht es die Schranken des physisch Existenten. Von einer determiniert gedachten Welt reiner Kraftwirkungen betrachtet, ist es im vollsten Sinne des Wortes ein Superabundans, etwas Überflüssiges. Erst durch das Einströmen des Geistes, der die absolute Determinierbarkeit aufhebt, wird das Vorhandensein des Spiels möglich, denkbar und begreiflich. Das Dasein des Spiels bestätigt immer wieder, und zwar im höchsten Sinne, den überlogischen Charakter unserer Situation im Kosmos. [. . .] 328

Ebd. Ebd., S. 276 f. 330 Ebd., S. 277. 331 Eric Voegelin, Homo Ludens: Versuch einer Bestimmung des Spielelements der Kultur, by Jan Huizinga. In: ders., Selected book reviews, Collected Works 13, Columbia 2001, S. 160–168, hier S. 160 f. 329

3.3 Politische Theologie

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Wir spielen und wissen, dass wir spielen, also sind wir mehr als bloß vernünftige Wesen, denn das Spiel ist unvernünftig.“ 332

So wird das Spiel, je ernster es wird und je stärker es sich von der goldenen Schnur leiten läßt, zum Erfahrungsmoment des Geistes und zum Ort, an dem sich metaleptische Erfahrung einstellen kann: „Der Ernst des Spiels [. . .] steigert sich zur Heiligkeit des Spiels, wenn der Inhalt des Spiels eine religiöse Erfahrung ist.“ 333 Zugleich ist das ernste Spiel aber nicht nur zur Evokation metaleptischer Erfahrung geeignet, sondern auch didaktisches Mittel, um die Menschen auf das metaxy hin zu orientieren. Denn Kunst und Philosophie, Poesie und nicht zuletzt Liturgie sind in ihrem spielerischen Element auf die Natur des Menschen zugeschnitten, sie reizen ihn, insofern „the conduct of man is determined on the one hand by his desires, on the other hand by his insight into what is right and wrong.“ 334 So wird er angezogen vom spielerischen Element, das ihn zugleich zur Sinnsuche einlädt. Das ernste Spiel kultureller Fertigkeiten zieht den neugierigen Menschen in die Bedeutungssuche und vermittelt Sinn metaleptischen Ursprungs. Wenn also zuvor von einem Nacherleben der hypostasierten metaleptischen Erfahrungen die Rede war, die der Philosoph anzustellen hat, wenn er echte Ordnungserfahrung sammeln will, so erweist sich nun das ernste Spiel als ein Weg, die metaleptische Erfahrung sozialwirksam in das Volk zu verlängern und so eine ganze polis, eine ganze Gesellschaft an der Ordnungserfahrung teilhaben zu lassen. Dabei ist die Aktualisierung der hochkomplexen Ordnungserfahrung, die beispielsweise in der katholischen Liturgie ausgedrückt wird, im Teilnehmer am Gottesdienst einer Gradation von Kompaktheit und Differenzierung unterworfen. Das ernste Spiel ermöglicht dem Menschen teilzuhaben, garantiert diese Teilhabe jedoch nicht. Erneut kann hier die Analogie von der Gesellschaft als großgeschriebenem Menschen gezogen werden. Nicht nur ein komplexer Sinnzusammenhang, der auf der Stufe der Kultur von einer Vielzahl von Menschen gestaltet, geteilt und tradiert wird, unterliegt der Gradation, innerhalb dieser Gesellschaft findet sich eine Differenzierungsstufung einer wie auch immer gearteten kollektiven Identität oder kulturellen Einheit im Individuum. Die Bewegungen sind auch im Blick auf das ernste Spiel parallel: Die metaleptische/noetische Erfahrung im Einzelnen setzt eine Orientierung auf das metaxy und das von eben dieser Erfahrung getragene ernste Spiel setzt eine Offenheit der Masse voraus. Zur metaleptischen Erfahrung bedarf es eines besonderen Talents, einer besonderen Gabe. Nicht jeder ist fähig, am metaxy teilzuhaben. Daher ist für eine Gesellschaft die Teilhabe am ernsten Spiel so bedeutend. Dort kann auch der Unbegabte seinen – wenngleich bescheidenen – Anteil an der Ordnungserfahrung haben.

332 333 334

Huizinga zitiert nach Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 305. Ebd., S. 305 f. Voegelin, Homo Ludens, S. 162.

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3. Grammatik der Ordnung

Voegelins Interpretation des common sense macht dies klarer. Verstanden als Teil des ernsten Spiels ist common sense „ein zivilisatorischer Habitus, der noetische Erfahrung voraussetzt, ohne dass der Mensch dieses Habitus selbst ein differenziertes Wissen von der Noese hätte. Der zivilisierte homo politicus braucht nicht Philosoph zu sein, aber er muss Common Sense haben.“ 335 Hier deutet sich die Grundlage für eine Elitetheorie an, die Voegelin aber selbst nie ausgearbeitet hat. Mehr als ein Hinweis auf diese thematische Öffnung kann jedoch auch hier nicht erfolgen, da eine tiefer gehende Erörterung dieses Aspektes der weiteren Analyse nicht dienlich wäre. Gefahr für eine Gesellschaft im Hinblick auf das ernste Spiel besteht gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird die „meditativ-philosophische Realitätserfahrung nur von wenigen Individuen gemacht“ 336, so dass dieser Typus Mensch in einer Gesellschaft zunächst einmal vorhanden sein muss. Zum anderen muss dieser Typus Mensch Gehör für seine Wahrheiten finden. Das ernste Spiel, all die differenzierten Ausdrucksformen des kulturellen Lebens besitzt das Potential, diese Wahrheiten zu vermitteln. Die eigentliche Berechtigung von Literatur und Musik, Poesie und der bildenden Kunst liegt in dieser Orientierung auf die Bedeutung tiefster Natur. Dies ist der Hintergrund der bereits erwähnten Wendung George Steiners von der ,realen Gegenwart‘. Kulturelle Ausdrucksformen von Wert sind Ausdrücke, die letzten Endes auf die Transzendenz verweisen. Von der grundlegendsten Bedeutung der Sprache bis hin zur Aktionskunst, von christlicher Erbauungsliteratur bis hin zu Platons philosophischen Dialogen ist kulturelle Arbeit, wenn sie denn von Belang ist, Arbeit an Bedeutung, Sinnsuche und -stiftung. Das ernste Spiel legt Zeugnis ab von den letzten Dingen. Der Dekonstruktivismus macht als gegenteilige Überzeugung die ganze Bedeutungsfülle dieser Kulturtheorie deutlich. Steiner unterstreicht die Bedeutung des Bruches, den der Dekonstruktivimus für die westliche Welt darstellt. Die Dekonstruktivisten sind – mit Blick zurück auf Voegelin – die ersten, die selbstbewusst und bestimmt die Bedeutung des ernsten Spiels negieren. Sie beseitigen nicht nur das ernste Spiel, dies ist bereits vielfach und zuvor geschehen, doch jeweils ohne das Bewusstsein dessen. Der Dekonstruktivismus redet von der Terminierung des Sinns im ernsten Spiel, der Sinn ist formuliertes Angriffsziel. Gleichzeitig ist es aber die Welt des ernsten Spiels, die dekonstruiert wird. Die Fixierung auf die kulturellen Artikulationen, die Bedeutung transportieren, ist total. „Die Dekonstruktion tanzt vor der alten Bundeslade. Dieser Tanz ist spielerisch [. . .] und zugleich [. . .] erfüllt von Traurigkeit. Denn die Tänzer wissen, dass die Lade leer ist.“ 337 Die Metapher von der Bundeslade steht bei Steiner zunächst für die Sprache, doch läßt sich dies konsequent aus335 336 337

Voegelin, Anamnesis, S. 353. Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, S. 147. Steiner, Von realer Gegenwart, S. 165.

3.3 Politische Theologie

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dehnen – und Steiner tut dies – auf die gesamte kulturelle Artikulation der westlichen Welt, insofern die westliche „Theologie und deren bedeutendere Fußnoten wie Metaphysik, Epistemologie und Ästhetik [. . .] ,logozentrisch‘“ 338 sind. Das Gegenteil des von Steiner hier näher vorgestellten Fundaments der Dekonstruktion (wobei hier die Berechtigung der Kritik Steiners nicht gewichtet werden kann) stellt Voegelin mit seinen Ausführungen zum ernsten Spiel vor. Das Spiel wird erst durch die ,reale Gegenwart‘ Gottes in eben diesem Spiel zum ernsten Spiel. Die Masse von Menschen muss bereit sein, das ernste Spiel als solches wahrzunehmen. Welchen Differenzierungsgrad das Nachvollziehen dann erreicht, ist zunächst zweitrangig, alleine die Offenheit der Masse muss vorhanden sein. Diese Bereitschaft der Masse, sich auf die noetischen Erfahrungen hin zu öffnen, stellt sich für Voegelin aber sowohl für seine eigene als auch für die Zeit Platons als mangelhaft und Ausgangspunkt kulturellen Verfalls dar: „Der kulturelle Niedergang Athens fand (wie der unsere) seinen widerlichsten Ausdruck in der [. . .] ,Theatrokratie‘ (heutzutage nennt man sie ,Kommerzialisierung‘), also darin, dass einem der Geschmack des Pöbels als Maßstab aufgenötigt wird, nach dem sich Erfolg und Scheitern auf der öffentlichen Bühne bemessen.“ 339 Kulturelle Not herrscht in diesem Sinne dann, wenn nicht die im ernsten Spiel artikulierte metaleptische Erfahrung als höchstes Kulturgut und als Orientierungspunkt der Massen dient, sondern an dessen Stelle die Bedeutungslosigkeit quasi-kultureller Äußerungen tritt, die aus der Unfähigkeit der Masse herrührt und an die erste Stelle kultureller Bedeutung tritt. Die Gefahr besteht also für Voegelin darin, dass der Mensch sich vom ernsten Spiel nur noch unterhalten lässt, dass er die Ernsthaftigkeit ignoriert, schließlich gar leugnet und so dem Spiel nachgibt, also dem reinen Spiel, der bloßen Unterhaltung weit jenseits noetisch-metaleptischer Erfahrung. Der Blick zurück auf die Begründung für Schmitts ,Ekel‘ vor einer Welt der puren Unterhaltung zeigte, dass es in ihr an der anspruchsvollen moralischen Entscheidung mangelt, die die Voraussetzung für jegliche politische Ordnung darstellt. Die Entscheidung zwischen Gut und Böse läßt sich, wenn sie denn anspruchsvoll sein soll, nur aus dem christlichen Wissen um Gott und den daraus folgenden Gewissheiten ableiten. Aus „der Kraft des integeren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge.“ 340 Dieses Wissen ist für Schmitt das offenbarte Wissen des Christentums, das Wissen von und um Jesus Christus, das Bewusstsein, das sich im katechontischen Bemühen des Menschen niederschlägt, so wie es bei Voegelin aus der noetisch-metaleptischen Erfahrung stammt. Weil die Frage des Politischen diejenige von Freund und Feind ist und 338 339 340

Ebd. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Band 6, S. 308. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 95.

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3. Grammatik der Ordnung

die Grundorientierung auf das Gute und Gerechte zielt, verschränkt sich das Moralische mit dem Politischen.341 „Die Lehre von der Erbsünde hat den Gegensatz von Gut und Böse, Gott und Satan, Gehorsam und Ungehorsam zum Gegenstand. In eins damit aber stellt sie den Menschen selbst vor ein letztes Entweder-Oder. Die Entscheidung, das bedingungslose Credo oder Non-Credo, das sie verlangt, wird so zum Paradigma der ,anspruchsvollen moralischen Entscheidung‘ schlechthin.“ 342 Die Abwesenheit des Wissens von und um Jesus Christus zeitigt für Schmitt die gleiche Konsequenz, wie die sich für Voegelin in den Begriffen ,Theatrokratie‘ und ,Kommerzialisierung‘ versinnbildlichende Abwesenheit meditiativ-philosophischer Realitätserfahrung: Eine Welt der puren Unterhaltung. In der Neuauflage seines Begriff des Politischen aus dem Jahr 1963 weist Schmitt darauf hin, dass er auf Anregung von Leo Strauß auf den Begriff der Unterhaltung in diesem Zusammenhang zugunsten des Begriffes Spiel verzichten würde. Allerdings verwendet er diesen in einem Sinne, der dem von Voegelins ,ernstem Spiel‘ nahe kommt: „Heute würde ich Spiel sagen, um den Gegenbegriff zu Ernst (den Leo Strauß richtig erkannt hat) mit mehr Prägnanz zum Ausdruck zu bringen.“ 343 Die Bedeutungsgehalte von Voegelins ernstem Spiel und der Welt der puren Unterhaltung (des Spiels) bei Schmitt entsprechen einander wie der Gegenstand und dessen Schatten. Der Feind übernimmt dabei für Schmitt eine zentrale Rolle auf dem Feld des Politischen, weil er „für Schmitt der Garant des Lebensernstes“ 344 ist. Ohne den Feindbegriff verliert der Mensch in diesem Sinne seinen Kontakt zu Jesus Christus und dem katechontischen Streben des Christentums und die Welt des Spiels trennt sich von der Welt des Ernstes. Die Welt beträte damit die Hölle ihrer eigenen Banalität. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass sowohl Schmitt als auch Voegelin eine große Nähe zur Kunst – vor allem Literatur und Poesie – hatten. Diese diente ihnen nicht nur als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen sondern stellte selber einen wesentlichen Teil ihrer Analysen dar. Voegelins Vorlesung Hitler und die Deutschen (1964) wird vor dem Hintergrund literarischer und poetischer Werke entfaltet. Cervantes, Doderer, Musil, Krauss, Thomas Mann, Goethe und eine Reihe weiterer Schriftsteller und Dichter sind in 341 In diesem Sinne auch Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, S. 121 f. Dort zeigt Strauss, wie Schmitt den Begriff der Moral ganz unterschiedlich besetzt. Die Polemik, die Schmitt gegen die moralisierenden Zeitgenossen richtet, bezieht sich auf die „humanitär-pazifistische Moral“ (Strauss, ebd., S. 122). Der positiv besetzte Moralbegriff, der hier angesprochen wird, ist von Schmitts christlich geprägten Vorstellungen des Guten und Gerechten geprägt, der aufgrund der Natur des Menschen nie zu einer abschließenden Entscheidung kommt, aber doch als ernste moralische Entscheidung die Grundlage jeder Ordnung darstellt. 342 Meier, Vier Kapitel zur Lehre Carl Schmitts, S. 30. 343 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 120. 344 Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 80.

3.3 Politische Theologie

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ihrer Bedeutung für seine Ausführungen kaum zu überschätzen. Die Literatur ist für Voegelin ein Orientierungspunkt, an dem ihm auch wichtige Begriffe begegnen, die er in seine späteren Werke an zentraler Stelle einbaut und auf die er im Anschluss nicht mehr verzichten will. Begriffe wie ,Apperzeptionsverweigerung‘ 345 oder die Idee der ,zweiten Realität‘ 346 stammen aus der von Voegelin beachteten Literatur. Schmitt hat gar eine Reihe von kleineren Veröffentlichungen literarischen Werken gewidmet. Sowohl vor der Phase seiner Konzentration auf seine Karriere als Staatsrechtler in der Weimarer Zeit als auch danach schrieb er Abhandlungen zur Literatur; schon in jungen Jahren entstand ein ausführlicher Kommentar zu Theodor Däublers monumentalem Epos Nordlicht (Theodor Däublers „Nordlicht“, 1916). Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Literatur im Zentrum seiner Denkbewegungen. So veröffentlichte er beispielsweise eine eigenständige Abhandlung zu Shakespeares Hamlet: Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel (1956). Zu den Figuren, die in Schmitts Briefen347, im Glossarium, aber auch in anderen Schriften immer wieder auftauchten gehören Ernst Jüngers Oberförster aus Die Marmorklippen, der für Schmitt „zu unseren neuen Mythen-Bildern gehört“ 348, Dostojewskijs Großinquisitor aus Die Brüder Karamasov oder auch Melvilles Benito Cereno. In der unmittelbaren Nachkriegszeit denkt Schmitt gar über eine Fortsetzung von Melvilles Novelle nach, die er mit Elementen von Kafkas Roman Der Prozeß kombinieren will.349 Es ist das ernste Spiel, wie Voegelin es beschreibt und hochschätzt, das auch Schmitt antreibt, in der Literatur Untersuchungsgegenstände für seine Analysen philosophisch/theologischer Art zu suchen. Anders als bei Voegelin aber werden weder die Motivlage noch die Wertschätzung für die Literatur von Schmitt expliziert. Die Nennungen und Zitierungen literarischer Werke und Figuren geschehen ohne weitere Kommentierung. Nichtsdestoweniger ist die Rolle, die die Kunst in der Denkbewegung Schmitts spielt, deutlich: „In der Dichtung, die diesen Namen verdient, erlangt die chaotisch wirkende und schwer deutbare Welt ein erkennbares Gesicht und wird zugleich auf ihren von Gott getragenen Sinn bezogen; Dichtung ist – wie die ständig fortzuschreibende Mythologie – ein eigenständiges Medium der Erkenntnis, der Kritik und der Sinnstiftung. Aus dieser Überzeugung resultierte Schmitts ungewöhnliches Interesse an Literatur“ 350. 345 Siehe bspw. Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 119, auch ders., Hitler and the Germans (Collected Works Bd. 31), S. 255. 346 Siehe bspw. Voegelin, Hitler and the Germans, zahlreiche Nennungen auf S. 102, 108, 184, 239, 252–56 stets im Zusammenhang mit Doderer und Musil. 347 Siehe bspw. den Briefwechsel zwischen Schmitt und Jünger, hrsg. von Kiesel. 348 Schmitt, Glossarium, 5.2.1948. 349 Ebd., 30.11.1947. 350 Helmut Kiesel, Nachwort. In: ders. (Hrsg.), Ernst Jünger – Carl Schmitt. Briefe 1930–1983, Stuttgart 1999, S. 851–881, hier S. 877 f.

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3. Grammatik der Ordnung

Für Schmitt und Voegelin ist die Kunst im Allgemeinen und die Literatur im Besonderen Ort, an dem sich Gott in seiner Wahrheit entfalten kann und sich dem Menschen präsentiert. Der Schriftsteller ist, wenn er tatsächlich große Kunst zuwege bringt, geprägt vom suchenden Fragen und vom fragenden Suchen, vom Ringen mit Gott. Nicht, dass er eine ihm klar einsichtige Wahrheit Gottes in der Art eines Erlebnisberichts aus der Welt der Dinge niederschreibt, doch im idealen Falle erlauben seine tiefen Gedanken ebenso tiefe Einblicke in die Welten, an denen der Mensch teilhaben kann – und dies bis zum Äußersten. Die in der Kunst symbolisierten metaleptischen Erfahrungen finden willige und bewusste Exegeten in Schmitt und Voegelin, weil sie um die ,reale Gegenwart‘ Gottes im Wort wissen. Der potentielle Verlust der ,realen Gegenwart‘ im logos begründet die Furcht vor der Welt der puren Unterhaltung, vor der Kommerzialisierung und der von Voegelin zitierten ,Theatrokratie‘.

3.3.2 Grammatik der Ordnung als Weg und Bedingung des Kosmions Das Denken der beiden hier im Fokus stehenden Autoren hat sich in den vorangegangenen Kapiteln als alternativ zu den modernen Sinn- und Gedankengebäude dargestellt. Die Lehren von Schmitt und Voegelin bezogen aus der Moderne eher ihre Gegenpositionen, vor denen sie eigene Vorstellungen aufbauen können, als dass sie sich mit ihnen in eine Traditionslinie stellen wollten. Das Spezifische des Denkens von Voegelin und Schmitt liegt in diesem Zusammenhang daher eher in einer besonderen Nicht-Modernität, vielleicht sogar in einer Anti-Modernität. Dabei ist deutlich geworden, dass die oben dargestellten Zusammenhänge nicht in ein Denksystem münden. Die spezifische Differenz zu den modernen Ideologien liegt in eben diesem Faktor. Sowohl Schmitt als auch Voegelin lassen weltliche Ordnungsstrukturen sich in der Nichtweltlichkeit gründen. Die Transzendenz als Ursprung der ganz konkreten Ordnungsakte der menschlichen Gesellschaften ist in der Geschichte der modernen Ideologien nicht präsent, ja sie schließen jede Göttlichkeit aus ihrem Ordnungsdenken geradezu aus. Gott ist nicht in der Ordnung, sondern jenseits der Ordnung. Daher kann man weder Voegelins noch Schmitts Ordnungsdenken als ein Denksystem neben die anderen stellen. Sie sind im modernen Sinne keine Politische Theorie, keine Ideologie und kein Ordnungssystem, sondern in ihrer eigenen Vorstellung Ordnungsvoraussetzung. Die Transzendenz als einzige Möglichkeit, Ordnung in der Welt zu verankern, stellt sich als radikaler Widerspruch gegen die herrschenden Ordnungsversuche der Moderne dar. Der Jesuit Hans Urs von Balthasar, von dem Voegelin stark beeinflusst wurde, stellte dieses Verhältnis von Ideologie und christlichem Ordnungsdenken in eben diesem Verhältnis zueinander dar:

3.3 Politische Theologie

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„Vollkommen unerträglich wäre die Vorstellung, durch den ,Fortschritt des Dogmas‘ werde das Feld der noch unerforschten göttlichen Wahrheit immer enger, der Spielraum, der dem Glaubensdenken noch bleibt, immer beschränkter, als bestehe der Fortschritt darin, nach der Festlegung der wichtigsten Umrisse eine immer detailliertere Kleinarbeit leisten zu müssen, bis schließlich – etwa kurz vor dem Jüngsten Gericht? – das fertige Gebäude der ,aufgearbeiteten‘, nach allen Seiten hin ,dogmatisierten‘ Lehre dasteht. Man darf sagen, dass das genaue Gegenteil dieses trostlosen Bildes der Wahrheit entspricht.“ 351

Die Unvereinbarkeit dieser Absage an eine ständig zunehmende Erkenntnis göttlicher Wahrheit muss auch für die Lehren von Schmitt und Voegelin gelten. Aus der göttlichen Ordnungsquelle leitet sich in diesem Sinne vor allem für Voegelin kein Anspruch für die Unbedingtheit weltlicher Ordnungsakte ab. Die hier besprochenen Ordnungsvorstellungen sind daher als Ordnungsquellen und -herkünfte zu verstehen. Die Ordnungseinsichten aus diesen Quellen in konkrete Ordnungsstrukturen umzusetzen, schließt die Bedingtheit des erkennenden Menschen mit ein, ist insofern wesensnotwendig relativierend. Eine konkrete politische Entscheidung ist nicht total, nur weil eine Transzendenzerfahrung hinter ihr steht. Die Rolle des Göttlichen besteht daher in einer hinter der politischen Entscheidung stehenden Ermöglichung einer Exegese der politischen Möglichkeitsdimension. Sie ermöglicht weltliche Ordnung, schafft sie aber noch nicht. Die Umsetzung in die Entscheidung ist schließlich Werk des Menschen und damit fehlbar. Hier liegt der Grund für die Gegnerschaft Voegelins und Schmitts gegen die innerweltlichen Sinnsysteme, die beispielsweise dem Kommunismus inhärent sind. Die deutlichen Worte Voegelins gegen innerweltliche Sinnsysteme verdeutlichen dessen Einschätzung solcher geschlossener Denkbewegungen: „Wenn jemand also ein System konstruiert, dann wird er notwendigerweise die Realität verfälschen.“ 352 „Systematisierung [ist für Voegelin; C. H.] Ausdruck eines Zustandes der Entfremdung“ 353. So wenig wie das Ordnungsdenken der beiden ein geschlossenes System ist, so wenig dient es als Hintergrund eines postmodernen anything goes. Es gibt keine völlig offene Position des Menschen, bei der es einzig darauf ankäme, die Erkenntnis eines Teilaspekts an den nächsten zu knüpfen. In der Postmoderne gilt unabhängig von ihren vielen Facetten und Schattierungen bei einer Vielzahl verschiedener Autoren „jedes Mal der gleiche [Grundbefund; C. H.]: Ganzheit ist obsolet und Pluralität obligat geworden, und das zeigt sich von der soziologischen und politischen Analyse bis zur philosophischen Programmatik.“ 354 Dies ist die Voraussetzung für die postmoderne Eliminierung eines Archimedischen 351 Hans Urs von Balthasar, Theologie der Geschichte. Ein Grundriss, Einsiedel 1962, S. 80. 352 Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 97. 353 Ebd., S. 96. 354 Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 31991, S. 197 f.

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3. Grammatik der Ordnung

Punktes im Denken – und sei dieser Punkt in der für den Menschen so schwer erreichbaren Transzendenz. Die Postmoderne sucht nach Sinnfragmenten, wenn sie es denn überhaupt tut. Die Welt Voegelins und Schmitts hat einen Boden und Grund, sie folgt nicht einer völligen – dem Menschen bewussten oder unbewussten – Schaffenskraft und -freiheit des Menschen. Gerade weil ihr Ordnungsdenken zwischen System und völliger Offenheit steht, wurde sich in dieser Untersuchung schon vielfach des Begriffes einer Grammatik der Ordnung bedient. Es geht darum, dass Strukturen einsichtig sind, die ein Beziehungsgeflecht von Bedeutungen und Symbolfelder gewissermaßen begründen. Es darf nicht übersehen werden, dass sowohl Schmitt als auch Voegelin von echten Erfahrungen ausgehen, die jegliche Ordnung evozieren. Und diese Erfahrungen speisen sich aus einem nichtweltlichen Bereich, von dem aber Verbindungen zum Menschen bestehen. Die menschlichen Artikulationsformen der politischen Ordnung stammen aus diesem Bereich oder sie sind keine Ordnungsevokationen. Die Strukturen der möglichen weltlichen Ordnung sind aus den Ordnungen des Kosmos abgeleitet. Mit anderen Worten: Für Schmitt und Voegelin ist nur göttlich fundierte Ordnung echte Ordnung – und diese Ordnung trotz aller menschlichen Imperfektion auf die Welt zu holen, ist die einzige Möglichkeit, Politik sinnvoll zu gestalten. Wenn sich die westliche Politik des 20. Jahrhunderts weit entfernt von solch einem Ordnungsdenken zeigt, dann muss davon ausgegangen werden, dass sie von ehemaligen Ordnungserfahrungen zehrt und so immer mehr in die Richtung der Unordnung driftet. Nicoletti erkennt diesen Aspekt in Schmitts Denken und beschreibt ihn (gleichwohl polemisierend gegen Schmitt gerichtet): „Schmitt leistet sich die geradezu unglaubliche Behauptung, alles, was es an wahrem Respekt vor dem Geistigen auf der Erde noch gebe, sei das Erbe des mittelalterlichen Christentums, von dem wir noch wie Lehrlinge, die die Portokasse unterschlagen haben, ein paar Jahrhunderte in dulci jubilo leben, um dann zu erkennen, wie eine entchristliche Welt in Wirklichkeit über Kunst und Wissenschaft denke.“ 355 Eine solche Welt malt sich Schmitt auch in seiner letzten größeren Veröffentlichung Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie (1970) aus, wenn er die Entchristlichung einer anthropozentrischen Fortschritts- und Autonomiegläubigkeit in die Zukunft projiziert: „Der Prozeß-Progreß produziert nicht nur sich selbst und den Neuen Menschen, sondern auch die Bedingungen der Möglichkeit seiner eigenen NeuheitsErneuerungen; das bedeutet das Gegenteil einer Schöpfung aus dem Nichts, nämlich die Schöpfung des Nichts als der Bedingung der Möglichkeit der Selbst-Schöpfung einer stets Neuen Weltlichkeit.“ 356 Dieser lange Lauf zum 355 Michele Nicoletti, Die Ursprünge von Carl Schmitts „Politischer Theologie“. In: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 109–128, hier: S. 123.

3.3 Politische Theologie

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Nichts, dieser langsame Auflösungsprozess politischer Ordnung, der der Moderne des Westens ihren ganz eigenen Charakter verleiht, wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein. Die langsame Verschiebung von Ordnungssymbolen, die sich noch auf Göttlichkeit beziehen, in die Richtung der innerweltlichen Abschließung gegen jede Transzendenz liegt beispielsweise in einer Dreiteilung der Geschichte vor, wie sie aus dem christlichen Glauben erwächst, wo es eine Zeit vor der Offenbarung durch den Gottessohn gibt, eine Zeit danach, in der die Menschen die Parusie erwarten und mit dem Antichristen kämpfen (das ist Geschichte im Sinne Schmitts), um schließlich im dritten Zeitalter das Ende der Welt zu erleben. Diese drei Stadien werden bis hin zu Comtes Drei-Stadien-Gesetz oder auch Marx’ Vorstellungen von der Entwicklung vom Urkommunismus über die verschiedenen Ausprägungen der Feudalherrschaft bis zum Endkommunismus säkularisiert und entfernen sich von ihrem eigentlichen Ursprung göttlichen Charakters. Hier zeigt sich, wie die Moderne von Symbolen und Bildern zehrt, die einst als direkt von Gott abkömmig betrachtet wurden, deren Sinn dann aber auf die Welt der Dinge, das Diesseits reduziert wurden. Es handelt sich daher um eine Realitätsreduktion im Sinne Voegelins. Diese Vorstellung, dass der Mensch in den westlichen Gesellschaften von seinen alten Ordnungserfahrungen zehrt, begründet auch die Interpretation, die Geschichte der westlichen Moderne sei eine Geschichte des Verfalls, zu der im Anschluss noch zu kommen sein wird. Die Wurzeln aller Ordnung zurückzugewinnen und gegen die verkümmerten Formen modernen Ordnungsdenkens zu kämpfen, ist ein Kampf, den insbesondere Voegelin zu kämpfen antritt, da wohl auch für ihn das Steiner’sche Diktum gelten kann, dass die Quelle des Ordnungswissens „bei Strafe des Untergangs des Humanen zurückgewonnen werden muss.“ 357 Wenn die politische Moderne nun als die Epoche der weltimmanenten Denksysteme bestimmt wird, dann gehört ein Archimedischer Punkt zu jedem ihrer Denksysteme. Die Postmoderne ist nach dem oben kurz aufgeführten Verständnis die Auflösung der Systeme ins Plurale unter gleichzeitigem und notwenigem Verlust eines Archimedischen Punktes. Im Vergleich dazu befindet sich die Grammatik der Ordnung mithin in einer Art Zwischenposition. Sie kann auf der anderen Seite keineswegs als geschlossenes System dargestellt werden, da sie ins (teilweise) Unbekannte, nämlich ins Jenseits hinein offen ist, bleibt aber gleichzeitig im Besitz eines Archimedischen Punktes, eben jener Transzendenz. Dies ist letzten Endes ein Modell, das weder von Voegelin noch von Schmitt neu entwickelt wurde. Und auch bei Gegnern dieses Konzepts wird die positive Rolle, die die Transzendenz hier als Regulator der weltlichen Politik spielt, gesehen: „Klassisch bewahrte der Umstand, dass die Bögen des Endlichen erst 356 Carl Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie [1970], Berlin 1996, S. 97. 357 Steiner, Von realer Gegenwart, S. 322.

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3. Grammatik der Ordnung

transzendent sich schließen, vor der Verabsolutierung des Bestehenden wie vor der absoluten Zurichtung der Wirklichkeit. (Vielleicht liegt in dieser prohibitiven Funktion der beste, vielleicht der ganze Sinn von Transzendenz.)“ 358 Vor diesem gleichwohl skeptischen, weil aus der unbeteiligten Betrachterposition geschriebenen Hintergrund, zeigen sich Voegelins und Schmitts specifica vor allem in der Bedeutung, die sie der religiösen Erfahrung zumessen, die hier im funktionalistischen Denken von Welsch kaum noch eine Rolle zu spielen scheint. Geht man allerdings von der Tatsächlichkeit einer religiösen Erfahrbarkeit aus, so spricht diese für sich und eine wie auch immer formulierte Wertschätzung der Transzendenzorientierung auf der Grundlage der Wertschätzung der gezeitigten Effekte für die Welt tritt in den Hintergrund. Zudem ist eine Transzendenzorientierung, die sich nicht auf die Erfahrung gründet, sondern auf die regulative Funktion für die politischen Umstände beschränkt, eine wohl sehr schwache und instabile Basis. Wenn Transzendenz eine rein innerweltliche Funktion besitzt, verliert sie im Prinzip ihren eigentlichen Charakter und reiht sich neben andere innerweltliche Argumentationslinien ohne feste Bezugsgröße. Weil die Sphäre der Göttlichkeit den Archimedischen Punkt darstellt und der Mensch als Wesen des Mangels und der Fehlerhaftigkeit die Aufgabe besitzt, das Kosmion nach kosmischem Vorbild zu erbauen, ist seine Bedingtheit Ausgangspunkt für die Relativierung politischer Ordnungsstrukturen. Die Grammatik der Ordnung kann – sowohl im Sinne Voegelins als auch im Sinne Schmitts – keine bestimmte Ordnung als unbedingt legitimieren, gleichwohl vermag sie es, bestimmte Ordnungen total zu delegitimieren. Jede politische Ordnungsvorstellung, die die Transzendenz als Ordnungsquelle leugnet, negiert und verdrängt, wäre einer solchen Delegitimierung anheim gestellt. Hier wird erneut deutlich, was bereits im Zusammenhang mit der Herkunft des Wortes Politik in Erinnerung gerufen wurde. Es wurde gezeigt, dass beide Autoren den Begriff ,Politik‘ auch von polemos ableiten, weil in ihr im wesentlichen Gegnerschaft ausgetragen wird. Zugleich ist die Erkenntnisfähigkeit des Ordnungsdenkens von Schmitt und von Voegelin auf ein feindliches Gegenüber angelegt, im tiefsten Sinne ist es das Böse, das abgewehrt wird; denn gerade in der Abwesenheit des Bösen zeigt sich das Gute. (Bei Schmitt ist die Lage allerdings verstrickter, da er diesen Punkt, der sich auch bei ihm extrahieren läßt, selbst überspringt und in seiner Kollaboration mit dem Nationalsozialismus in gewisser Weise gegen seine eigenen Grundlagen verstößt. Dazu an anderer Stelle jedoch mehr.) Soll die Metapher von der Grammatik der Ordnung weitergeführt werden, so kann durchaus gesagt werden, dass Ordnungserfahrungen in der Form der Grammatik der Ordnung einer Ordnungssprache die Strukturen vorgibt, diese aber noch ein Vokabular braucht, dass aus der Zeitlichkeit, der Menschlichkeit, 358

Welsch, Unsere postmoderne Moderne, S. 200.

3.3 Politische Theologie

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dem saeculum hinzugefügt wird. Abgeschnitten von der Transzendenz gibt es keine Grammatik der Ordnung. In einer solchen Welt driften die Gesellschaften in die Unordnung, weil ihnen diese Grammatik verloren gegangen ist. Zurück bleibt vielleicht noch ein Ordnungsvokabular, doch wird dies mit zunehmender Auszehrung in einer Grammatik der Unordnung – dem Chaos – strukturiert. Voegelin beschreibt diesen Zusammenhang zwischen Ordnung und Anteilnahme am Göttlichen in Autobiographische Reflexionen in der späteren Phase (1973) seines Lebens: „Hinwendung zu und Abwendung vom göttlichen Grund werden zu den grundlegenden Kategorien in der Beschreibung der Zustände von Ordnung und Unordnung der menschlichen Existenz.“ 359

3.3.3 Politische Theologie vs. Politische Philosophie Es hat sich gezeigt, dass Schmitt und Voegelin ihr gesamtes Ordnungsdenken auf offenbartes Wissen aufbauen. Die innersten Fundamente ihres Denkens beziehen sich auf göttliche Elemente, die der Mensch gesammelt und als Ordnungsquelle verstanden hat. So wird das Ordnungsdenken ganz elementar transzendent. Zu Beginn der hier vorliegenden Studie wurde Schmitts Politische Theologie näher betrachtet und festgestellt, dass sie zwei Facetten besitzt. Zum einen wurde als Politische Theologie im Prinzip jede politische Theorie bezeichnet. Sozialismus und Liberalismus haben in diesem Sinne ihre je eigene Theologie mit Glaubensgrundsätzen, Theologen und Exegeten. Die Formulierung Webers von den ,Kathederprophetien‘ findet so eine andere Wendung durch Schmitt. Zum anderen war die Auslegungsmethode Schmitts als ,Politische Theologie‘ bezeichnet worden. Insofern sie solch eine Methode ist, benennt sie den Versuch, eine Strukturanalogie zwischen politischer Form, Ideologie und metaphysischem Bild aufzufinden. Nach den nun angestellten weitergehenden Analysen kann man den zwei Wendungen der Politischen Theologie von Carl Schmitt eine dritte hinzufügen: Schmitts gesamtes Werk und Schaffen kann als Politische Theologie bezeichnet werden, da die Grundlage seines Denkens eben in der Offenbarung zu finden ist. Von dieser Grundlage sind alle anderen Gedanken Schmitts ableitbar, ohne diese Grundlage ist Schmitts Ordnungsdenken nicht einsichtig. Eric Voegelins Ordnungsdenken findet in dieser Fundamentierung der Denkbewegungen Schmitts eine Entsprechung. Anders als Schmitt, der sich in esoterischem Stil nicht zu erkennen geben will, betreibt Voegelin seine Argumentation exoterisch. Doch auch bei ihm bleibt die Grundlage des Denkens einer intersubjektiven Vermittelbarkeit entzogen. Die Nähe zu Gott entscheidet auch in dieser Denkart über die Fähigkeit, Ordnung zu errichten. Nicht ohne Grund

359

Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 122.

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3. Grammatik der Ordnung

wurde Voegelins Werk immer wieder in die Nähe der Theologie gerückt.360 Dabei ist der Horizont Voegelins in gewisser Weise weiter als der Schmitts. Während bei letzterem eine ganz eigene Auslegung katholisch-christlichen Denkens die Grundlage seines Glaubens ausmacht, ist es bei Voegelin kein spezifisch christlicher Kanon. Er betont stets die Orientierung an Offenbarung, nicht aber eine Selbstbeschränkung auf die christlicher Provenienz. Zwar schätzt er das Christentum neben der klassischen Philosophie als höchste Differenzierungsstufe menschlicher Auseinandersetzung mit der Transzendenz, doch bemüht er sich gleichzeitig über diese Symbolfelder hinaus auf die religiöse Erfahrungen zu schauen, die unabhängig von diesen Großgebäuden ihren Wert besitzen. Gleichwohl ist die Selbsteinordnung Voegelins deutlich: Er sieht sich als Vertreter der Politischen Philosophie. Es ist durchaus üblich, als Teil der Politischen Philosophie auch die religiösen Erfahrungen, Artikulationen und Institutionen mit in die Analysen einzubeziehen. Diese jedoch nicht nur als Untersuchungsgegenstand ohne weitere Bewertung als Grundlage der Analysen in die Argumentation einzubeziehen, lässt Voegelin und Schmitt jenseits des mainstreams verorten. Bei ihnen wird Religion vom Untersuchungsgegenstand zum Maßstab der Analysen. Der Verzicht auf eine jenseitige Quelle für das politisch-philosophische Denken hat gewichtige Motive. Zum einen liegt in der theologischen Komponente eine Quelle der Unüberprüfbarkeit, zumindest dort, wo sie auf unmittelbare Glaubenselemente verweist, die intersubjektiv nicht vermittelbar sind. Zum anderen – und hier liegt die ungemeine Gefahr einer Politischen Theologie – bezieht sie sich auf ein Absolutum und steht damit einem Kompromiss potentiell im Weg. Das Absolutum dient daher dem Überzeugten als Motiv für ein Beharren auf seiner Position und dort, wo ein Entweder-Oder die einzig mögliche Entscheidung sein kann, liegt der Konflikt nahe. Das Absolute neigt nicht zum Ausgleich, sondern zum Konflikt. Die historischen Erfahrungen legen diese Gefahr nahe, auch wenn die Gegenwart aus einer größeren Distanz beispielsweise auf die europäischen Konfessionskriege blickt als Hobbes oder Bodin dies tun konnten und so im Lichte des großen zeitlichen Abstandes einiges anders gewichtet wird. Auch eine auf jedwede Jenseitigkeit verzichtende Philosophie schaut auf die Umstände, in denen der Mensch sein Gemeinwesen organisiert. Teil dieser Strukturen ist zu fast jeder Zeit bei nahezu allen Gesellschaften die Orientie360 Siehe bspw. Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, S. 127 ff.; Hans-Christof Kraus, Eric Voegelin redivivus? Politische Wissenschaft als Politische Theologie. In: Michael Ley, Julius H. Schoeps (Hrsg.), Der Nationalsozialismus als politische Religion, Bodenheim b. Mainz 1997, S. 74–88. Zuerst in: Criticón 146, April/Mai/Juni 1995, S. 105–109, oder auch Ronald D. Srigley, Eric Voegelin’s platonic theology. Philosophy of Consciousness and Symbolization in a New Perspective, Lewiston u. a. 1991.

3.3 Politische Theologie

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rung an eine wie auch immer verstandene Göttlichkeit gewesen. Diese Orientierung steht als ein Element neben anderen im weiten Feld der Politischen Philosophie: „Die zentralen Fragen der Politischen Philosophie, die Fragen nach der besten politischen Ordnung, nach dem rechten Leben, nach der gerechten Herrschaft, nach dem notwendigen Gewicht von Autorität, Wissen und Gewalt, lassen sich nur in Verbindung mit jenen anderen Fragen nach der Natur des Menschen, nach seinem Platz zwischen Tier und Gott, nach den Fähigkeiten des menschlichen Geistes, den Vermögen der menschlichen Seele und den Bedürfnissen des menschlichen Körpers angemessen stellen. Gegenstand der Politischen Philosophie sind mithin die menschlichen Dinge im umfassenden Sinne, und die Frage der Politischen Philosophie gehen alle zurück auf eine Frage, die sich dem Menschen als Menschen stellt: auf die Frage nach dem Richtigen.“ 361

Diese Frage nach dem Richtigen kann laut Meier in zwei Modi geschehen – als Politische Philosophie oder Politische Theologie. „Während die Politische Theologie rückhaltlos auf die Antwort des Glaubens baut und in der Wahrheit der Offenbarung, an deren Auslegung und Anwendung sie sich versucht, ihre Sicherheit zu finden hofft, stellt die Politische Philosophie die Frage nach dem Richtigen [. . .] ganz und gar auf den Boden ,menschlicher Weisheit‘“.362 Diese Unterscheidung scheint zunächst schlüssig und kaum hintergehbar. Doch kann mit Voegelin und Schmitt hier ein Veto eingelegt werden, das die definitive Unterscheidung zwischen den beiden genannten Modi in einem schwächeren Licht zeigt. Die Suche nach dem Richtigen war auch bei Meier in einer ihrer Facetten die Frage nach der Stellung des Menschen zwischen Tier und Gott. Diese Frage verweist auf eine Vielzahl von Aspekten, die das menschliche Leben bestimmen. Dazu gehören die Fragen nach Einsichts- und Erkenntnisfähigkeit, nach der Rolle von Trieben und Leidenschaften, nach der eigenen Überhöhung ins Göttliche oder der Aberkennung menschlicher Natur bei anderen. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Wenn zum Menschen also eine wie auch immer näher umrissene Stellung zwischen Göttlichkeit und Animalischem, zwischen Fähigkeit zur Abstraktion und Transzendierung auf der einen und dem Verfall an die Welt der Leidenschaften und Triebe auf der anderen Seite gehört, dann stellt sich die Frage, inwiefern Göttlichkeit oder Transzendenz zum eigentlichsten Charakter des Menschen gehören. Wenn es eine wie auch immer näher zu benennende Stellung des Menschen zu Gott gibt, dann stellt sich die entscheidende Frage dieses Abschnitts: Ist der Boden menschlicher Weisheit tragfähig, wenn die menschliche Fähigkeit zur Gottesschau ignoriert wird? Nun kann sicher gesagt werden, dass jede religiös-transzendente Regung ein Selbstbetrug des Menschen ist. Dann wäre diese Diskussion an einem schnellen Ende. Offenbarung ist in diesem Sinne nicht beweisbar. Doch wenn die Unterscheidung, die Meier an361 362

Heinrich Meier, Warum Politische Philosophie?, Stuttgart 2000, S. 16. Ebd., S. 23 f.

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3. Grammatik der Ordnung

stellt, ernst genommen werden soll, dann muss diskutiert werden, inwiefern der Mensch sich seiner Weisheit bedient, wenn er seine nobelste Seite zum Schweigen verdammt, während er philosophiert. Voegelin legt Wert darauf, dass Glaube „ein Erlebnis [ist; C. H.], das es faktisch gibt“ 363. Und wenn Schmitt von der Menschwerdung Gottes, der intensivsten christlichen Transzendenzerfahrung, spricht, dann spricht er in erster Linie von einem „historischen Ereignis“ 364. Die Idee, Erfahrungen bestimmten Typs aus der philosophischen Arbeit auszuschließen, mutet seltsam an und ist zugleich so grundlegend für die Gegenwart. Wenn Offenbarung als Erfahrungstyp identifiziert wird, dann bleibt die Frage, warum sie nicht mit in die philosophische Analyse einbezogen werden soll. Für Schmitt und Voegelin ist, wie gesehen, der Frage mit ganz eindeutigen Antworten zu begegnen. Politische Ordnung hat ihre Quellen im Transzendenten und der Versuch, Ordnung unter Ausschaltung der transzendenten Erkenntnisdimension errichten zu wollten, muss scheitern. Ein Argument, das für die Nicht-Berücksichtigung der Offenbarungserfahrungen spräche, wurde bereits angesprochen. Die ins Transzendente verweisende Grundlage der Politischen Theologie ist aus sich heraus ab einem bestimmten Punkt nicht kompromissfähig. Gott ist in diesem Sinne nicht verhandelbar. Es sprechen also sowohl innere Logik wie auch historische Erfahrung dafür, dass eine ins Transzendente verweisende Begründung politischer Ordnung tendenziell zur Ausschaltung des Fragenden und Zweifelnden neigt. Das heißt, dass der Verzicht auf eine Politische Theologie seinen Grund darin hätte, dass sie stets in Richtung der Elimination dessen neigt, der sich ihr nicht unterwirft. Derjenige stünde in einer nicht weiter diskutierbaren Position der Feindschaft. Aus diesem Grunde also auf eine Politische Theologie zu verzichten, hieße, aufgrund der Gefahr, die ihr entstamme, also aus rein praktischen Erwägungen, auf eine Erfahrungsklasse zu verzichten. Doch wenn ein wie auch immer geartetes Element des Transzendenten zur Realität gehört, an der der Mensch Anteil hat, dann ist der Wille, diese Realität verstehend zu umgreifen, immer Motiv, auch die Gottesschau in die philosophierende Realitätsbetrachtung zu integrieren. Folgt man also Voegelin und Schmitt, dann müsste die Formulierung Meiers, dass die Philosophie in „der Politischen Theologie [. . .] auf eine anspruchsvolle Alternative“ 365 treffe, abgewandelt werden. Demnach würde die Philosophie in der Politischen Theologie eine anspruchsvollere Alternative treffen. Gleichwohl muss hier noch einmal festgehalten werden, dass Voegelin seine Thesen stets der Philosophie zuordnete 363 Voegelin in einem Brief an Karl Löwith vom 9.1.1950, zitiert nach Opitz, Nachwort zur Neuen Wissenschaft, S. 220. 364 Schmitt, Glossarium, 13.12.1949, deutsch in Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 149. 365 Meier, Warum Politische Philosophie?, S. 25.

3.3 Politische Theologie

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und für ihn eine Philosophie die Gottesfrage zu stellen habe. Den Begriff Politische Theologie hat er sich nie zu eigen gemacht. Nichtsdestoweniger ist die von Meier intendierte Bedeutung dieses Begriffs sicher auch auf die Thesen Voegelins anzuwenden, da er als Politischer Theologie all jene Denkbewegungen identifiziert, die als Grundlage ein Element des Jenseitigen besitzen und sich nicht ganz auf dem ,Boden menschlicher Weisheit‘ bewegen. Wenn Schmitt und Voegelin in dem Punkte gefolgt wird, dass Ordnung tatsächlich aus Offenbarung und metaleptischer Erfahrung gespeist wird, dann scheint sich eine rein diesseitige Politische Philosophie zu erübrigen. Auch das Problem der Unhintergehbarkeit einer Politischen Theologie ist nicht so starr, wie es scheinen mag. Es wurde bereits in der Betrachtung des Begriffes Grammatik der Ordnung angesprochen, dass sich weder bei Schmitt noch bei Voegelin ein geschlossenes Denksystem entwickelt hat. Da beide sich an der Transzendenz (in ihren je eigenen Facetten) orientieren, und diese Dimension als nicht klar fassbar begreifen, ist auch die Umsetzung, die Übersetzung der in der transzendenten Dimension gemachten Erfahrungen stets Menschenwerk und damit dem menschlichen Fehlen unterworfen. Diese klare Erkenntnis des NichtGottseins aber des nach Gott greifenden und von Gott ergriffenen menschlichen Wesens bedingt die Relativierung aller Ordnungsbemühungen des Menschen. Das heißt, dass – und dies gilt im besonderen Maße für Voegelin – eine Politische Theologie nicht wesenspezifisch absolut sein muss. In einem Brief an Leo Strauss vom 22. April 1951 beschreibt Voegelin das Problem, das ihn in diesem Zusammenhang beschäftigt: „Das Problem der Offenbarung scheint mir daher unabtrennbar zu sein vom Problem des Erkennens der Offenbarung als solcher und in weiterer Konsequenz vom Problem der Interpretation. Offenbarte Wahrheit gibt es nur, insoferne sie menschlich rezipiert und kommunikabel ist. – Der Gegensatz von menschlichem Wissen und Offenbarungswissen kann daher nicht ohne Qualifikationen aufgestellt werden. Alles Wissen, auch das Offenbarungswissen ist menschlich, insoferne es Wissen konkreter Menschen ist. Aber manches Wissen wird von den Menschen, die es ,befällt‘ als aus göttlicher Quelle entstammend verstanden.“ 366

Mit anderen Worten: Insofern Offenbarung immer vom fehlbaren und fehlenden Menschen interpretiert wird, muss eine Philosophie, die die Gottesschau mit einschließt, sich nicht nur der Interpretation, sondern auch der Zähmung jedes Gotteswortes widmen, wenn es in die Welt gerät. Das Bewusstsein davon, dass die Auslegung der Offenbarungen und metaleptischen Erfahrungen in vom Menschen gemachten Symbolen geschieht, ist schon der erste Schritt zu einer Hegung des Konfliktes, die in den konfessionellen Bürgerkriegen der Frühen 366 Eric Voegelin, Brief an Leo Strauss, 22. April 1951. In: Eric Voegelin, Alfred Schütz, Leo Strauss, Aaron Gurwitsch, Briefwechsel über ,Die Neue Wissenschaft der Politik‘ (hrsg. v. Peter J. Opitz), Freiburg i. Br./München 1993, S. 34 f.

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3. Grammatik der Ordnung

Neuzeit noch nicht möglich schien. Unter diesem Blickwinkel ist nun nicht die Fundierung des Denkens in Gott das grundsätzliche Problem, sondern vielmehr die Frage, auf welche Weise die politische Herrschaft auf Gott ausgerichtet ist. Nicht dass die Herrschaft in Gott begründet ist, sondern wie dies geschieht, müsste dann Thema der Politischen Philosophie sein – „Offenbarung ist also menschlich diskutabel“ 367. Heinrich Meiers Annahme von der „unaufhebbare[n] Differenz“ 368 zwischen Politischer Theologie und Philosophie dürfte gerade in den Schriften Voegelins einen energischen Widerspruch finden. Dass dieser Aspekt bei Voegelin und Schmitt durchaus verschieden eingeordnet ist, wird Thema eines späteren Abschnitts sein müssen. Eine Politische Theologie, wie sie von Voegelin und Schmitt entworfen wurde, dient nicht der theologischen Legitimierung einer politischen Herrschaft, wohl aber der Delegitimierung. Die Formen, die eine politische Herrschaft annehmen kann, sind auch in Schmitts und Voegelins Perspektive unendlich vielfältig, doch gleichzeitig gibt es unendlich viele Formen politischer Herrschaft, die keine Legitimation haben können, weil sie keine Ordnungsquelle besitzen. Kommunismus und Anarchismus sind keine Ordnungsalternativen, sie sind unbedingt abzulehnen, eben weil sie allen strukturellen Grundlagen widersprechen, die sich aus den jeweiligen Politischen Theologien ableiten lassen. Gleichzeitig ist aber weder ein Ständestaat noch eine Monarchie britischer Art oder ähnliches zwangsläufige Folge der Ordnungsgrammatik. Die Politische Theologie in der Wendung Schmitts und Voegelins legt lediglich die Grammatik für die Ordnungssprache vor. Daher ist diese Art der Politischen Theologie auch nicht mit der der konfessionellen Bürgerkriege, die noch konkrete Herrschaftsformen unbedingt legitimierte, in eins zu setzen. Ganz entsprechend der Konstruktion des hier vorgeschlagenen Begriffes der Grammatik der Ordnung, ist die Offenbarung nicht Legitimation einer bestimmten politischen Herrschaftsform. „Der philosophische Wert der Offenbarung scheint mir [. . .] in der Ausscheidung von Scheinproblemen zu liegen.“ 369 Zu diesen Scheinproblemen, die verschwinden würden, wenn eine Exegese offenbarter Wahrheiten innerhalb der Politischen Philosophie geleistet würde, gehören für Voegelin „Materialismus und Idealismus“ 370, da diese sich der Ordnung des Seins und der von Voegelin identifizierten Grundstruktur der Realität verweigern – das „Geviert von Gott, Mensch, Welt und Gesellschaft, zentriert um 367

Ebd., S. 34. Heinrich Meier, Was ist politische Theologie? Einführende Bemerkungen zu einem umstrittenen Begriff. In: Jan Assmann, Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, Bonn 1992, S. 7–19, hier S. 17. 369 Voegelin, Schütz, Strauss, Gurwitsch, Briefwechsel, S. 39. 370 Ebd., S. 38. 368

3.3 Politische Theologie

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eine Mitte, die Voegelin ,being‘ (Sein) nennt“ 371, deren jedes Element zugleich „Anteil an einer gemeinsamen Substanz“ 372 hat. Jeder philosophische Ansatz, der nicht von einer solchen Konsubstantialität ausgeht, ist dadurch in den Augen Voegelins delegitimiert. Es bleibt vor diesem Hintergrund die Frage, die als zentrale Frage dieses Abschnitts formuliert wurde: Ist der Boden menschlicher Weisheit tragfähig, wenn die nobelste menschliche Fähigkeit, nämlich die zur Gottesschau, ignoriert wird? Diese Frage ist von der Politischen Philosophie zu beantworten und kann nicht aus Methodegründen ausgespart werden. Es reicht nicht, die durchaus richtige Tatsache festzustellen, dass Glaube nicht überprüfbar bzw. intersubjektiv nachvollziehbar ist. Voegelin lehnt den Gedanken einer intersubjektiven Vermittelbarkeit sogar ab. Gilbert Weiss weist darauf hin, dass sich solch ein Konzept „erst mit der cartesianisch-phänomenologischen Isolierung eines monadischen Bewusstseins entsteht. Er [Voegelin; C. H.] setzt dem Konzept der Intersubjektivität, das für ihn auf falschen, eben monadischen Vorannahmen beruht, die ,primordiale Seinsverbundenheit‘, die Konsubstantialität von Mensch, Welt und Gott entgegen, die der Differenzierung von Ich und Du vorausgeht.“ 373 Die Gegnerschaft der Moderne zu solchen Mitteln, wie sie für Schmitt und Voegelin selbstverständlich sind, bedürfen auch im Selbstverständnis eines positivistischen Konzeptes eine wohldurchdachte Begründung – auch wenn es in diesem Zusammenhang dem Positivismus wohl um nicht mehr gehen kann, als Offenbarung als Wissensquelle abzulehnen. Auch eine Ablehnung muss wohlbegründet sein. Die Feststellung, dass die religiöse Dimension mit ihren Methoden nicht greifbar sei, dürfte sich als nicht hinreichender Grund erweisen. Auch die fortschrittsgläubige Auffassung von einer wie auch immer gearteten Überwindung der Religion scheint nicht viel mehr zu sein als eine Kapitulation vor der wohl komplexesten Dimension unserer Realität. Eine Antwort auf die oben gestellte zentrale Frage kann gleichwohl an dieser Stelle nicht geleistet werden. Dazu wäre eine umfassendere Betrachtung der modernen Geistesgeschichte von Nöten, die auch jenseits der Thesen Schmitts und Voegelins stärker auf diese Frage zugeschnitten werden müsste. Auch dann wäre eine Antwort wohl nur ein Gesprächsangebot. Gleichwohl wird deutlich, dass Schmitt und Voegelin sich nicht von der von vielen wohl als selbstverständlich geltenden ,unaufhebbaren Differenz‘ leiten lassen. Somit stellt sich aus ihren Denkbewegungen und Werken die Frage nach der Berechtigung der strikten Trennung der beiden von Meier formulierten Dimensionen. 371 Jan Assmann, Zur Einführung. In: Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 1, S. 17–23, hier S. 17. 372 Ebd., S. 18. 373 Gilbert Weiss, Theorie, Relevanz und Wahrheit. Zum Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Alfred Schütz (1938–1959) (Occasional Paper VI des Eric-Voegelin-Archivs München), München 20022, S. 67.

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3. Grammatik der Ordnung

Letzten Endes geht es um die Sinne des Menschen, mit denen dieser versucht, die Realität zu verstehen. Auch die Offenbarungen und metaleptischen Erfahrungen finden im Menschen statt, zumindest deren Umsetzung in eine für die Welt greifbaren Symbolsprache. „Die Verwirklichung der Offenbarung ist an das Handeln des Menschen gebunden.“ 374 Wenn der Mensch schon nicht der erste Handelnde ist – denn dies ist in dem Sinne Gott –, so ist er doch die Fläche, auf der Gott sichtbar wird, wenn der Mensch es denn zulässt. Gleichwohl kann nicht übersehen werden, dass es einen Unterschied zwischen „Gottes Ruf selber und der menschlichen Formulierung dieses Rufs“ 375 gibt. Eben hier zeigt sich eine große Diskrepanz zwischen der Unermesslichkeit der Anteilhabe an Gott und der in diesem Bereich möglichen Erfahrungen auf der einen und der so zweifelhaften Artikulation derselben durch den Menschen auf der anderen Seite. Ein Thema solcher Tragweite auszusparen, kann jedoch nicht im Erkenntnisinteresse einer Politischen Philosophie sein.

374

Winterholler, Moses und das Volk Israel, S. 33. Leo Strauss, Brief an EV, 4. Juni 1951. In: Voegelin, Schütz, Strauss, Gurwitsch, Briefwechsel, S. 47. 375

4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung 376 Das Zentrum des Denkens, das bei Voegelin und Schmitt gleichermaßen ein ins Jenseits verweisendes war, ein exklusiv die Transzendenz betreffendes Ordnungsdenken, ist ihrer Gegenwart weitgehend fremd. Die Offenbarung als Quelle des Wissens zu verstehen und darauf komplexe Ordnungsvorstellungen aufzubauen, ist heute nicht der allgemein gängige Weg, den die Politikwissenschaft und ihre Akteure einschlagen. Gleichwohl war die Bedeutung der Offenbarung über lange Zeit hinweg der wichtigste Wissensquell für die Menschen der westlichen Zivilisation und ist es in nahezu jeder nichtwestlichen Gesellschaft bis heute. Wenn Voegelin und Schmitt nun angeben, dass Ordnungserfahrung nur in der Nähe zu Gott in der Transzendenz möglich ist, so ist zwangsläufig eine Gegenwart, die sich der Integration der transzendenten Dimension in ihren Wissenschafts- und Politikbetrieb verschließt, eine solche, die sich in gewissem Sinne selbst amputiert und so nur Bruchstücke der Ordnung in der Welt errichten kann – im wesentlichen im Modus des Zehrens von Ordnungskonstrukten der Vergangenheit. Eine Gesellschaft, in der das philosophisch-politische Argument im stählernen Gehäuse der Immanenz bleibt und insofern das menschliche Ich und eine ganz diesseitige Gruppenidentität in ständig neuen Variationen beschwört, ist aus der Perspektive der beiden hier zu betrachtenden Autoren eine in höchstem Maße defizitäre Gesellschaft. Vor dem Hintergrund einer europäischen Geschichte, die ohne das von der klassischen Philosophie inspirierte christliche Ordnungsdenken nicht vorstellbar ist, gehen Schmitt und Voegelin von einer Umbesetzung religiöser Bestände in weltliche Paradigmen und Denkmuster in der Moderne aus. Die Moderne ist nicht nur der zeitliche Schauplatz dieses Prozesses, sie wird durch diese Umbesetzung konstituiert – die Signatur der Moderne ist in diesem Sinne die (sich prozesshaft manifestierende und sich selbst verstärkende) Immanentisierung. Dieser Prozess wird im folgenden Kapitel an einigen Beispielen nachgezeichnet. Das Paradigma von den immanentisierten religiösen Beständen erlaubt es zudem, den eigentlichen Charakter moderner Ideologien zu encodieren. 376 Passagenweise orientiert sich das folgende Kapitel an einer Vorarbeit der hier vorliegenden Untersuchung: Claus Heimes, Die religiösen Grundlagen der Moderne. Die Bedeutung der Religion für die politische Verfasstheit bei Eric Voegelin und Carl Schmitt. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Berlin 2002.

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne Die historische Entwicklung, die im äußersten Möglichkeits- und Machbarkeitswahn totalitärer Ideologien des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus in einer als vollkommen angenommenen Sinnlosigkeit der Welt bei bestimmten philosophischen Strömungen im Umfeld der Postmoderne mündete, besitzt eine weit zurückreichende Geschichte der langsamen aber stetigen Aushöhlung des Denkens in hochdifferenzierten Ordnungszusammenhängen, die die Transzendenz voraussetzt. Bevor ein näherer Blick auf die von Voegelin und Schmitt identifizierte Entwicklung dieser Ablösung von Gott getan werden soll, ist zu betonen, dass es sich zunächst um – nach Überzeugung beider – die Beschreibung eines Prozesses geht, in dem theologische Ordnungsvorstellungen und -begriffe in weltliche Bedeutungsfelder umbesetzt werden. Dieser Prozess der Umbesetzung ist ein komplexer und reicht weit zurück. Eine Reihe von Autoren hat sich mit diesem Phänomen beschäftigt und es beschrieben. Dabei sind die Perspektiven ebenso von Vielfalt geprägt wie die Bewertungen dieser Entwicklung. Eines eint sie jedoch dabei: Das Paradigma von der Umbesetzung theologischer in säkulare Begriffsfelder und Bedeutungszusammenhänge. Neben Norman Cohns The Pursuit of the Millenium (1957)377, Karl Löwiths Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1949)378, Jakob Talmons The Origins of Totalitarian Democracy (1952)379, und Jacob Taubes’ Abendländische Eschatologie (1947)380 steht Eric Voegelins New Science of Politics (1952) in dieser Reihe. Ähnlich wie bereits im thematischen Umfeld des vorangegangenen Kapitels ist bei Voegelin eine ungeheuere Materialfülle zu diesem Thema vorhanden. Nicht nur in der Neuen Wissenschaft wird die Immanentisierung religiöser Bestände beschrieben. Sowohl die posthum veröffentlichte History of Political Ideas als auch sein Hauptwerk Order and History sind mit ihren acht resp. fünf Bänden ein riesiger Fundus für das hier zu besprechende Thema. Daneben kann auch aus zahlreichen anderen Veröffentlichungen Gewinn gezogen werden. Bei Schmitt zeigt sich das gleiche Problem, das bereits im Kapitel Grammatik der Ordnung ein Problem darstellte. Schmitt behandelt auch diesen Aspekt im Hintergrund. Esoterischer Stil und Fokussierung auf staatsrechtliche Themen erschweren den Zugang zu dieser Facette seines Denkens, verwehren ihn jedoch nicht. Die Fülle an Sekundärliteratur ist Ausdruck der Bedeutung, die dieses Thema für die beiden hatte. 377 Deutsch: Norman Cohn, Das neue irdische Paradies. Revolutionärer Millenarismus und mystischer Anarchismus im mittelalterlichen Europa, Reinbek bei Hamburg 1988. 378 Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1953. 379 Jacob Leib Talmon, The origins of totalitarian democracy, London 1952. 380 Jacob Taubes, Abendländische Eschatologie, München 1991.

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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In der Systematik der hier vorliegenden Untersuchung ist dieses Kapitel Ausdruck des Bemühens, dem Kapitel Grammatik der Ordnung, in dem das je eigene Denken entwickelt und auf das motivierende Zentrum verwiesen wurde, eine konkretere, und so im unmittelbarsten Sinne geistesgeschichtliche Dimension beizufügen. Der Grammatik wird in diesem Kapitel ein Vokabular beigefügt (eben das Vokabular, das den Prozess der Immanentisierung erfährt), so dass der Blick auf die Ordnungssprachen der westlichen Moderne freigelegt werden kann. Wie sehen die Strukturen und Nervenbahnen des Ordnungsdenkens aus (Grammatik) und was geschieht auf diesen Strukturen und Nervenbahnen (Vokabular)? Wie degeneriert eine Ordnungssprache, wenn sie ihrer Grammatik nicht mehr traut und sie dem Vergessen anheimfallen lässt (Immanentisierung)? Von der Ordnungssprache lassen sich Rückschlüsse auf die Grammatik ziehen, die sich immer weiter von der oben dargestellten entfernt, um letzten Endes in die Unordnung abzufallen. Das scharfe Urteil Schmitts und Voegelins über die Degenerierung, die in den modernen Ideologien und den immer stärker spürbaren Sinnlosigkeiten der immanenten Banalität zum Ausdruck kommt, besitzt seinen Hintergrund, seine Legitimität und seine ganze Tiefe in den Zentren ihrer Denkbewegungen und den daraus ableitbaren Strukturen und Nervenbahnen der Ordnung. Das Feld, das in diesem Kapitel in den Blickpunkt gerät, ist derweil unerschöpflich, mannigfaltig und geradezu prädestiniert für eine Ausuferung. Daher ist es unbedingt notwendig, eine thematische Beschränkung vorzunehmen, die die wichtigsten Aspekte aus den Werken Schmitts und Voegelins umfasst. Die Moderne in ihrer Facette als Immanentisierungsprozess soll also hier vor dem Hintergrund der Thesen der beiden Autoren in die Kontinuität (häretisch-) christlicher Glaubensinhalte von den spätmittelalterlichen Franziskanerspiritualen (fußend auf Joachim von Fiore) über puritanische Heilserwartungen und Selbsterlösungsansätze (deren Konsequenzen von Thomas Hobbes ausgearbeitet werden) bis in die innerweltlichen Erlösungsideologien der Moderne von den Aufklärern über Comte zu Marx und zum intellektuell mageren ideologischen Beitrag des Nationalsozialismus (die neuzeitlichen Fortschrittsdystopien und Machbarkeitsphantasmen) nachgezeichnet werden. Gnosis, Fortschrittsspekulationen und Verabsolutierung des Menschen sind Aspekte eben dieses großen, umfassenden Prozesses. Den politischen Phänomenen des 19. und 20. Jahrhunderts hier einen eigenen Abschnitt zu widmen, scheint aber gerade wegen der Anwesenheit dieser Präsenz in nahezu jedem Abschnitt der gesamten vorliegenden Arbeit überflüssig. Es sind die Ideologien und modernen Phänomene des politisch-philosophischen Raumes auch gerade deshalb Thema jeden Abschnitts, weil sie die Anknüpfungs- und Ausgangspunkte Schmitts und Voegelins sind und sie die von ihnen eingenommenen Perspektiven an der Geringschätzung für eben jene Phänomene ausgerichtet haben.

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

Im Fokus stehen Prozesse, die ihren Beginn, ihre Initialzündung bei Joachim haben. Zwei Formprinzipien sind hier von Bedeutung. Zum einen wird in einer langen und langsamen Entwicklung die vertikale Beziehung zwischen Himmel und Erde in eine horizontale Beziehung verschoben, formuliert u. a. von Octavio Paz: Der „Himmel verwandelt sich in Geschichte, Zukunft, Fortschritt [. . .]. Die Geschichte ist [. . .] auf die Zukunft gerichtetes Handeln, Kolonisierung des Kommenden.“ 381 Zum anderen zieht sich das Individuum derweil immer weiter in seine Subjektivität wie in eine subjektivierte „Isolierzelle“ zurück „und diese Subjektivität wird darum nicht weniger subjektiv und die in ihr gemachten Erfahrungen darum nicht weniger singulär, weil sie ins Endlose multipliziert erscheinen. Eine gemeinsame Welt verschwindet“ 382. Der Verlust der von Voegelin als Grundtatsache der Realität beschriebenen Konsubstantialität von Mensch und Gott klingt in diesem Satz an und macht die ganze Ernüchterung des Menschseins unter den Bedingungen dieser ,Isolierzelle‘ klar. Mit dem Verlust der Konsubstantialität geht eine Entfremdung des Menschen in der Welt einher, während zugleich der Versuch, die menschliche Herrschaft über Welt, Geschichte und Zukunft immer weiter auszudehnen, beginnt – die fehlgeleitete libido dominandi des Menschen (Voegelin) steigert ihr Wüten auf Erden: „Der Neue Mensch ist aggressiv im Sinne des unaufhörlichen Fortschritts.“ 383 Ein Ausdruck dessen ist die Integration des Himmels in die immanente Realität. Vor diesem Hintergrund nun einen zwingenden Fortschrittsprozess ins Negative zu konstruieren, wäre allerdings grundfalsch. Es ist weder im Sinne der beiden zu untersuchenden Autoren, noch liegt es in der Intention der hier vorliegenden Untersuchung, eine wie auch immer genauer differenzierte Teleologie der Immanentisierung oder des Verfalls anzunehmen. Die hier angesprochene Immanentisierung, soll als eine Facette der Entwicklung, die allgemein als europäische Moderne bezeichnet wird, dargestellt werden. Durch ihre Gegensätzlichkeit zu den Grundlagen Voegelins und Schmitts, die im vorigen Kapitel dargestellt wurden, gewinnt die Immanentisierung zwar an Bedeutung und Brisanz, wird aber nicht zum Telos, zu einer notwendigen Entwicklung der Geschichte in Schmitts oder Voegelins Sichtweise. Gleichwohl ist dieser Aspekt der historischen Entwicklung einer, der die Gegenwart stark prägt und dabei andere Aspekte neben sich nicht ausschließt. Sowohl Entfremdung des Menschen von der Welt als auch die Ausdehnung der Machbarkeits- und Möglichkeitsdimension sind Formprinzipien, die in ihrer Essenz zum Menschsein gehören. Es geht 381 Octavio Paz, Verbindungen – Trennungen; zitiert nach Giacomo Marramao, Die Säkularisierung der westlichen Welt, Frankfurt a. M./Leipzig 1996, S. 11. 382 Hannah Ahrendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, München/Zürich 2002, S. 73. 383 Schmitt, Politische Theologie II, S. 97.

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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stets darum, wie sehr diese im Menschen angelegten Facetten zum Ausdruck kommen – die Fremdheit des Menschen in der Welt ist ein konstantes Merkmal (sie ist „a mood of existence that is rooted in the very structure itself.“ 384), doch wie kommt es dazu, dass er sich in seiner ,Geworfenheit‘ (Heidegger und der Existenzialismus) in der ,Isolierzelle‘ (Arendt) seiner Existenz wiederfindet? Auch der Versuch, die Welt der Dinge zu kontrollieren, zu beherrschen, zu steuern und zu planen, dürfte ein Urantrieb des Menschen sein, doch wie kommt es dazu, dass Menschen ihre Zukunft mit einem geschichtlichen Telos verknüpfen, wodurch in der politischen Sphäre „die geforderte Opferbereitschaft tragische Züge“ 385 annimmt? Diese beiden Kräfte bewegen die Menschen immer und können nicht in einen linearen wie auch immer näher zu beschreibenden Prozess eingebunden werden, so dass festgehalten werden kann, dass es sich bei der Entwicklung der Moderne – auch im Sinne der beiden Autoren – lediglich um eine historische Evidenz, nicht aber um etwas Zwangsläufiges handelt. Eine historische Naturgesetzlichkeit soll und kann nicht konstruiert werden. Die Bedeutung, die Voegelin und Schmitt der Orientierung an der Transzendenz zuschreiben, wird in dieser Facette der Moderne am deutlichsten negiert, und so fügt sich die Untersuchung zur Immanentisierung des Ordnungsdenkens in der westlichen Kultur in die Systematik der vorliegenden Abhandlung. Vor dem Hintergrund der politisch-theologischen Systematik Voegelins und Schmitts ist die Selbstbeschränkung des modernen Ordnungsdenkens auf die Immanenz der wohl interessanteste Charakterzug einer Gegenwart, zu der sich beide in Opposition wissen. Welche Facette modernen Ordnungsdenken könnte in diesem Zusammenhang von größerer Bedeutung sein? Die nähere Betrachtung der Gegenposition, also einer Perspektive, die nicht von der Umbesetzung (häretisch-)christlicher Bestände in säkulare, sondern von einer Neusetzung der Begriffe durch die Moderne ausgeht, gehört ebenfalls zu der vorzunehmenden Analyse dieses Themenkomplexes. Die prominenteste aber bei weitem nicht einzige Stimme ist die Hans Blumenbergs, der mit Schmitt und Voegelin einen indirekten Dialog geführt hat, der durch die Thesen der Politischen Theologie (1922) von Schmitt ausgelöst wurde, sich über Jahrzehnte hinzog, und deren argumentative Hochphase in die beinahe fünf Jahrzehnte später erschienen Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie (1970) mündete. Schmitt reagierte mit diesem Aufsatz auf eines der Hauptwerke Blumenbergs – Legitimität der Neuzeit (erstmals 1966) – in dem sich dieser direkt auf Schmitt und Voegelin und deren Thesen zum Prozess der Modernisierung bezieht. Im Abschnitt über die moderne Gnosis wird auf Blumenbergs Thesen zurückzukommen sein. 384

Voegelin, Immortality, S. 83. Stephan Lahrem/Olaf Weißbach, Grenzen des Politischen: philosophische Grundlagen für ein neues politisches Denken, Stuttgart 2000, S. 267. 385

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

Eine solche Untersuchung ist darauf angewiesen, die entscheidenden Schritte der historischen Abkehr vom auf das Jenseits verweisenden Ordnungsdenken genauer zu beleuchten. Daher werden in diesem Abschnitt ausgewählte Denkbewegungen zum einen nach Bedeutung zum anderen nach Gewichtung durch Schmitt und Voegelin selektiert und entlang der hier relevanten Bezugspunkte eingeordnet. Grundlage für diese Beobachtung sind weiterhin in erster Linie aber nicht ausschließlich die Schriften der beiden. Als bedeutendste Evolutionsschritte immanentistischen Denkens gehören die Schriften Joachim von Fiores und Thomas Hobbes’ zu den Wegmarken des hier interessierenden Prozesses. An diesen auch von Schmitt und Voegelin als herausgehoben identifizierten Themenkomplexe werden sich die folgenden Abschnitte orientieren.

4.1.1 Joachim von Fiore und die moderne Gnosis Ebenso wie für das vorangegangene Kapitel gilt auch für den hier zu besprechenden Themenkomplex ein Urteil Mehrings über Schmitts Stil, die Zugänglichkeit seiner Thesen und die besondere Problematik einer Beschäftigung mit dem Theologen und Philosophen Carl Schmitt: „Geistesgeschichtlich läßt sich Schmitts Denken nur aus solchen Fragen verstehen, die der Staatsrechtler jedoch mehr zurückhält als entfaltet und an den Rand seines Werkes schreibt.“ 386 Daher wird sich der folgende Abschnitt im Wesentlichen an den Überlegungen Voegelins orientieren müssen, um sie schließlich mit entsprechenden einzelnen Bemerkungen, Verweisen und Gedanken Schmitts in Bezug zu setzen. Die Spurensuche nach einem Beginn der Immanentisierung der westlichen Kultur war für Voegelin verbunden mit dem Nachdenken über die Berechtigung der weitgehend üblichen Epochenunterteilung von Mittelalter und Neuzeit, die im 16. Jahrhundert ihre Wasserscheide besaß und in Renaissance, Reformation und Entdeckung Amerikas durch die christliche Seefahrt ihre entscheidenden Merkmale besaß. Voegelin widerspricht dem Versuch, in eben dieser Zeit und eben diesen Umbrüchen die eigentlichen Signaturen der Moderne zu verorten. Daher hält er auch die Epochenunterscheidung für unzulässig, da sie nicht den Kern der Dinge träfe. Voegelin sieht in der Negierung der christlichen Unterscheidung von heiliger und profaner Geschichte den wesentlichen Schritt, der das Fundament für die entfremdeten und der Hybris verfallenen westlichen Gesellschaften darstellt. Durch den „shift in the center of interpretation the dualism of sacred and profane history disappeared. Profane history is profane only so long as sacred history is accepted as the absolute frame of reference; when this position is abandoned, the two histories merge on the level of secularised history. By secularisation we intend to signify the attitude whereby history, including Christian religious phenomena, is conceived as 386

Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 1992, S. 50.

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an intramundane chain of human events, while, at the same time, there is retained the Christian belief in a universal, meaningful order of human history.“ 387

Der Umbesetzungscharakter dieser historischen Entwicklung wird in Voegelins Äußerung unterstrichen. Die Reduzierung der Realität auf das Immanente beendet noch nicht die vom Menschen angenommene Sinnhaftigkeit der Geschichte. Dieser Sinnbestand ist christlichen Charakters und die Abschneidung von der Transzendenz hinterlässt diese Sinnhaftigkeit in der Welt und in der weltlichen Geschichte. Einer der ersten, die diesen Schritt für die christliche Welt vollzogen haben, war Joachim von Fiore, der eben diese Immanentisierung für die Geschichte vollzog und somit allen Elementen der Sinnhaftigkeit eine neue, rein weltliche Projektionsfläche anbot. Nach der Auferstehung Christi, der Offenbarung von der Wiederkehr des Herren und dem Gottesreich auf Erden, lebten die urchristlichen Gemeinden in der ständigen Erwartung der Parusie. Die Wiederkehr des Herren blieb allerdings aus und setzte die ersten Christen in eine existentielle Spannung zwischen der eschatologischen Erwartung der Parusie, als dem letzten Ding, dem Endschicksal des Menschen und der Welt und dem Existenzkampf im weltlichen Dasein, der gegen die Unterdrückung der frühen christlichen Gemeinden existentiell war. Auf der einen Seite harrte man ohne Interesse am Diesseits des Endes der Welt, auf der anderen Seite ereignete sich dieses Ende nicht und die weltliche Existenz wurde von nichtchristlicher Seite bedroht. Die urchristlichen Gemeinden stellten sich schließlich diesem weltlichen Kampf und institutionalisierten ihre geistige Gemeinschaft in der Kirche, die als Offenbarung Christi in der Geschichte erbaut wurde. Die Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Kommens des tausendjährigen Reich Gottes auf Erden trug derweil fortwährend zur innerlichen Spannung bei. So war der brennende Wunsch der Christen nach Befreiung von der Welt zunächst gemildert, doch immer noch existent. Die Weltflucht, die aus dem mittelalterlichen Mönchtum bekannt ist, war in den ersten Jahrhunderten wesentlich präsenter in der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen. Erst Augustinus vermochte (im 5. Jahrhundert) diese Spannung theologisch zu lösen, indem er „den Buchstabenglauben an das tausendjährige Reich als ,lächerliche Mär‘“ 388 abtut. Seine „gewalttätige Interpretation“ 389 stellte die Herrschaft der Kirche als Herrschaft Christi dar. Dies bleibe so, bis der jüngste Tag sich ereigne. Die Erwartung eines weltlichen Gottesreiches und die Parusie des Herren wurde damit aus der christlichen Theologie entfernt, nicht jedoch zerstört. Das weltliche Gottesreich existierte als häretische Erwartung stets neben der herrschenden, dominan387 Eric Voegelin, History of Political Ideas, Bd. VI. In: ders., Collected Works, Bd. 24, S. 36 f. 388 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 121. 389 Ebd.

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ten und offiziellen augustinischen Interpretation390. Augustinus tat die revolutionäre Erwartung einer Wiederkunft, die die Struktur der Geschichte auf der Erde verändern würde, als lächerlich ab. Damit blieb die Kirche „als der Blitz der Ewigkeit in der Zeit.“ 391 Das augustinische Weltbild dominierte das Christentum über viele Jahrhunderte. Die Selbstinterpretation der europäischen Zeit des frühen Mittelalters als saeculum senescens (,vergreisendes Zeitalter‘, Augustinus), als Zeit, die in Agonie und Leid, Stillstand und Armut, Chaos und Dunkelheit verharrt, änderte sich erst mit dem hohen Mittelalter, als sich die Gesellschaften dynamisch verändernd erlebten. Mit der Selbstsicht vom vergreisenden Zeitalter wurde gebrochen. Joachim von Fiore (ca. 1130–1202) „brach mit der augustinischen Auffassung von einer christlichen Gesellschaft, als er das Symbol der Trinität auf den Ablauf der Geschichte anwandte.“ 392 Er ordnete den drei Personen der Trinität jeweils einen Geschichtsabschnitt zu. Das erste Zeitalter war das des Vaters, das Erscheinen Christi läutete das zweite Zeitalter, das des Sohnes, ein, das zu Joachims Lebzeiten noch anhielt. Er kalkulierte, dass um das Jahr 1260 das Zeitalter des Heiligen Geistes beginnen würde und mit ihm die letzte Steigerungsform spiritualer Erfüllung erreicht werde. Seine Geschichtstheologie umfasste zudem eine ganze Reihe von Symbolen, die „bis zum heutigen Tag die Selbstinterpretation der modernen politischen Gesellschaft beherrschen.“ 393 Mit Joachim gewann die Vorstellung einer dynamischen, sich in ihren Grundfesten verändernden Welt innerhalb des Christentums enorm an Gewicht. Voegelin zählt einige dieser Symbole in der Neuen Wissenschaft auf und deutet kursorisch auf den substantiellen Fortbestand bis in ihre modernen Varianten. So nennt er das Symbol der drei aufeinander folgenden Zeitalter, deren letztes einen Abschluss darstelle. Die Verarbeitung dieses Symbols lasse sich bis zu den Fortschrittstheorien von Turgot, Comte, Hegel und Marx nachzeichnen. Die jeweiligen Zeitalter läßt Joachim mit Führern und Propheten beginnen, deren moderne Übertragung in den homines spirituales und den homines novi des Spätmittelalters und der Reformation schließlich in den Übermenschenvorstellungen Condorcets, Comtes und in Marx’ sozialistischem Menschen zu finden sei. Voegelin macht auf ein drittes joachitisches Symbol aufmerksam – die Bruderschaft autonomer Personen. So ist bei Joachim das letzte, das dritte Zeitalter des Heiligen Geistes das Zeitalter der Mönche, als einer Bruderschaft, die keine kirchliche Hierarchie mehr kennt und sie auch nicht benötigt. Der Mensch 390 Siehe dazu bspw. Cohn, Das neue irdische Paradies, insbesondere die Kapitel XI–XIII, S. 219–310. 391 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 121. 392 Ebd., S. 122. 393 Ebd., S. 123.

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lebt in diesem Zeitalter als im Geiste vollendet ohne Bedarf nach institutioneller Autorität. Jede Hierarchie findet ihr Ende. Die Linien, die diese Vorstellung bis in Voegelins Gegenwart zieht, finden in den Grundsätzen mittelalterlicher Sekten von den Albigensern bis zu den Wiedertäufern und solchen der Renaissance, in puritanischen Gesellschaftsvorstellungen und schließlich in Marx’ „Mystizismus vom Reich der Freiheit und vom Absterben des Staates“ 394 ihre Wiederkehr. Auch die Symbolik des Nationalsozialismus wird von Voegelin auf die hier angesprochenen Ursprünge zurückgeführt. Verglichen mit den detaillierten und differenzierten (wenngleich fatalen) Theorien von Comte oder Marx, erweist sich die nationalsozialistische Weltanschauung jedoch als „flach und engstirnig“ 395. Die Verwandtschaft von Marxismus und frühen häretischen Bewegungen wurde auch von kommunistischen Denkern angemerkt, wenn auch kaum näher ausgeführt. Achatz von Müller verweist auf Literatur aus diesem Spektrum und insbesondere auf Karl Kautsky: „Die marxistisch inspirierte Forschung schenkte dem Thema stets besondere Beachtung, Häresien galten sogar den Vätern des ,revisionistischen Sozialismus‘ als mit Sympathie zu betrachtender ,Widerstand von unten‘, der damit zugleich eine Art konstantes Merkmal vorsozialistischer Formationswidersprüche darstellte. Darüber hinaus erschienen ihnen ein großer Teil der Häresien [. . .] als ,Vorläufer‘ des modernen Sozialismus, und als solche wurden sie bekanntlich in der noch immer lesenswerten Studie Kautskys behandelt. Waldenser, Apostelbrüder, Begharden, Lollarden, Taboriten, böhmische Brüder und Wiedertäufer [. . .] sie alle versteht Kautsky als ,Helden, die in den vergangenen Jahrhunderten um die Vernichtung jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung gerungen‘ haben.“ 396

Die Abkünfte moderner Sozialutopien von traditionellen Erlösungsbewegungen sind also nicht nur ein Konstrukt Schmitts oder Voegelins, sondern finden Widerhall in den unterschiedlichsten Forschungsrichtungen. Die joachitische Verschiebung des Heils aus der civitas dei in die Dimension menschlicher Handlung und Erfahrung scheint daher ein erster Schritt zu sein, die Wirklichkeit von der Transzendenz zu reinigen, ohne jedoch die ehemals in der jenseitigen Dimension angesiedelten Erlösungs- und Heilsvorstellungen mit aufzugeben. Diese Übertragung von Erlösung und Heil in die Geschichte ist ein kaum zu unterschätzender Schritt der modernen Denkbewegung. Ihrem Gegenstand nach ist die joachitische Geschichtstheologie demnach eine Spekulation über den Sinn der Geschichte. Sie dokumentiert den Glauben an die dynamische Perfektionierung des Menschen mit einem Abschluss in der geistigen Vollendung des dritten Zeitalters. Im Gegensatz zur traditionellen augustinischen Geschichtsinterpretation befindet sich das Eschaton, das Endschicksal 394

Ebd., S. 124. Ebd., S. 125. 396 Achatz von Müller, Chiliasmus und Sozialgeschichte. Zur Forschung nach Cohn. In: Cohn, Das neue irdische Paradies, S. 385–403, hier S. 387 f. 395

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des Menschen, bereits in gewisser Weise in der Welt, im dritten Zeitalter. Die augustinische Trennung von Profangeschichte – den Geschehnissen, die sich in der Welt abspielen, in denen Reiche entstehen und untergehen – und Heilsgeschichte – die ihren Höhepunkt im Erscheinen Christi und der Etablierung der heiligen Kirche gefunden hat und in der einmal das Jüngste Gericht, die eschatologische Erfüllung stattfinden wird – findet ein Ende. Die Profangeschichte erhält eine eschatologische Ausrichtung. Das Jenseits mit seiner Erlösung erfährt bei Joachim bereits die Abwertung, denn das letzte irdische Zeitalter bietet dem Menschen bereits die Überwindung eines großen Teiles irdischen Leids. Gleichwohl „ging der Zusammenhang mit dem Christentum nicht verloren. Das neue Zeitalter des Joachim brachte eine Steigerung der Erfüllung innerhalb der Geschichte, aber diese Steigerung wurde nicht durch einen weltimmanenten Ausbruch hervorgerufen, sondern durch einen transzendenten Einbruch des Geistes. Der Gedanke einer radikal immanenten Erfüllung wuchs nur sehr allmählich in einem langwierigen Prozess“ 397. Der Übergang vom dritten Zeitalter in das Jenseits ist bei Joachim nur noch graduell, bei seinen modernen Adepten verschwindet dieser Übergang völlig und das Jenseits verschwindet aus den Vorstellungen menschlicher Existenz. Die Erlösung ist weltlich erreichbar, das christliche Eschaton ist durch historisches Handeln, durch weltliche Tat greifbar. Bei Joachim bereits findet die Geschichte einen Sinn, einen eidos, und eine Zielrichtung, ein telos. Das ist der erste große Fehlschritt, der der joachitischen Geschichtstheologie anhängt, und den auch deren spätere Interpreten nicht mehr aufgeben werden. In Abwehr dieser Geisteshaltungen formuliert Voegelin: „die Geschichte hat keinen Eidos, weil der Ablauf der Geschichte sich in die unbekannte Zukunft erstreckt.“ 398 Die Geschichte und ihre eschatologische Ausrichtung auf ein diesseitiges Ende wurden bereits im vorigen Kapitel angesprochen und dort als Ende der Politik und somit auch der menschlichen Freiheit identifiziert. Diese Ausrichtung ist eine menschliche Spekulation, keine existentielle Wahrheit. Die christlichen Symbole der übernatürlichen Bestimmung bleiben in ihren immanentisierten Varianten erhalten. Sie verlieren dabei aber ihren Bezug zur Realität. Mit Joachim ist die vertikale Beziehung von Erde und Himmel bereits in ein horizontales Verhältnis gerutscht. Von diesem Punkt aus ist die Frage nach dem Wesen dieser Facette der Moderne zu einem großen Teil nur noch die Frage nach der Intensität der prometheischen Revolte. Auch Schmitt sieht in Joachim einen wesentlichen Ideengeber für die folgenden Jahrhunderte. In der trinitarischen Geschichtstheologie Joachims liegt der Anstoß der „verallgemeinernden ,Gesetze‘ der Menschheitsgeschichte“.399 Die 397

Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 130. Ebd., S. 131. 399 Carl Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen [1929]. In: ders., Der Begriff des Politischen, S. 79–95, hier: S. 88. 398

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Einmaligkeit der Geschichte und ihre für den Menschen nicht zu durchschauende Struktur, Abfolge, ihre keine dem Menschen einsichtigen Naturgesetze der Geschichte, abgesehen von bestimmten Formprinzipien, lassen Schmitt zu einem Urteil kommen, das im direkten Widerspruch zur Gesetzlichkeit hochstilisierten Geschichtssicht Joachims steht: „Die Einmaligkeit der geschichtlichen Wahrheit ist das uralte Arcanum der Ontologie.“ 400 Aus eben dieser Absage an Geschichtsgesetzlichkeiten lassen sich die einzigen Konstanten, die es in Schmitts Geschichtsauffassung gibt, ableiten. Das unbedingte Offenhalten der Geschichte für eben diese Einmaligkeit allen Geschehens bestimmt Schmitts Geschichtsdenken und veranlasst ihn, sich gegen alle die zu stellen, die der Einmaligkeit abschwören und einen Endzustand anstreben. Neben dem Anlaß für die Abwendung vom augustinischen Bild des vergreisenden Zeitalters (Aufblühen der Kultur, Erstarkung des menschlichen Selbstbewusstseins und der Machbarkeitsdimensionen etc.) stellt Voegelin auch tiefer liegende Gründe für das Aufkommen der joachitischen Idee, die nicht nur vom Franziskanerorden angenommen wurden, vor. Das Christentum betrachtet Voegelin als eine Religion, dessen eigentliches Wesen die „Ungewissheit“ sei.401 Das Band, das den Menschen mit seinem Sinn, mit Gott und dem Jenseits verbinde, sei alleine der Glauben, der zudem nicht auf die Welt, sondern auf die Nicht-Welt, aufs Jenseits verweist. Dieses „Band ist schwach [. . .] und kann leicht reißen.“ 402 Andere Religionen, die die Anwesenheit der Götter in jedem Aspekt der Welt sehen, in Feuer und Wasser, in Natur und Mensch403 sind den Ungewissheiten des Christentums nicht ausgesetzt. Zudem sind die Versprechungen des Christentums für das menschliche Leben auf Erden nicht gerade tröstend. Während das Tröstende für den Christen gerade jenseits der Welt liegt, werben die Sinngebäude, die die Erlösung in die Geschichte integriert haben, mit einem sehr verlockenden Gut. Daher erfordert der christliche Glaube auch eine gewisse individuelle Stärke von jedem Gläubigen. Das 12. Jahrhundert, die Zeit Joachims, erfährt eine Christianisierung wie kaum eine Zeit zuvor. Das heißt, dass auch die Schwachen in den europäischen Gesellschaften zu Christen geworden sind. „Die Gefahr, dass ein Zusammenbruch des Glaubens sozial relevant wird, vergrößert sich nun in dem Maße, als das Christentum im Raum der Welt Erfolg hat. [. . .] Je mehr Menschen in den Bannkreis des Christentums gezogen werden, desto größer wird die Zahl derer sein, die nicht die Kraft zu 400 Carl Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: „Der gordische Knoten“. In: Armin Mohler (Hrsg.), Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1955, S. 135–167, S. 148. 401 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 133. 402 Ebd. 403 Voegelin spricht hier von „intrakosmischen Göttern“. In: Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 135.

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dem heroischen Abenteuer der Seele, das Christentum heißt, besitzen“ 404. Die Suche nach dem Sinn wird außerhalb des Christentums – zunächst meist in konkurrierenden Häresien – wesentlich einfacher, schneller und direkter befriedigt. Zu den Zeiten der größten Verbreitung des Christentums und der gleichzeitig aufkommenden Verbreitung von Erziehung und Bildung sowie dem erleichterten Zugang zu kulturellem Wissen bieten sich Alternativen an. Diese Alternativen bestehen nicht in einer Rückbesinnung auf klassische antike Kulturbestände, weil diese „als lebendige Kultur einer Gesellschaft verschwunden“ 405 war. Die Abkehr vom Christentum und der Versuch, die menschliche Kenntnis der Transzendenz fester in den Griff zu bekommen, boten sich in der Gnosis an, „die das Christentum von seinen ersten Anfängen an begleitet hat.“ 406 Die Gnosis als spiritualistisch-religiöse Lehre stammt aus den vorchristlichen Jahrhunderten. Sie besitzt – anders als das Christentum mit seiner Bibel – keinen einheitlich akzeptierten Kanon, wohl aber gemeinsame Glaubensinhalte, gemeinsame Formprinzipien des Glaubens, die in vielen Schriften festgehalten wurden, deren Entdeckung im 20. Jahrhundert die Grundzüge des gnostischen Glaubens für die moderne Wissenschaft zugänglich gemacht hat.407 Die Elemente der klassischen Gnosis hier nachzuzeichnen, würde den Rahmen dieser Arbeit sicher sprengen. Eine Betrachtung dessen wäre wohl nur sinnvoll, wenn die akademische Diskussion um Angemessenheit von Voegelins Vokabular nachgezeichnet werden sollte. In dieser Arbeit geht es allerdings nicht darum, den Rückgriff auf den Begriff Gnosis für die Interpretation der westlichen Moderne zu besprechen oder zu bewerten.408 Die existentiellen Unterschiede zwischen der antiken Gnosis und dem, was Voegelin als moderne Gnosis bezeichnet, bestehen zweifelsohne: „Während erstere mit Hilfe ihres Erlösungswissens der als Fremde erfahrenen Welt zu entfliehen suchte und insofern ein starkes eskapistisches Moment besaß, strebt die moderne Gnosis – nicht zuletzt eine Folge des inzwischen von ihr selbst beförderten Immanentisierungsprozesses – die radikale Veränderung der als ungerecht erfahrenen Welt an, sei es in der Form revolutionärer Gewalt, sei es in Form zivilisatorischer Umgestaltung in Richtung auf eine Welt ohne Mangel, ohne Gewalt und ohne Leid.“ 409

404

Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 134. Ebd. 406 Ebd., S. 135. 407 So glaubt Quispel von der Entdeckung einer „Weltreligion“ sprechen zu können, als um 1930 manichäische Handschriften, die gnostische Predigten, Dogmen und Psalmbücher umfassten, in Ägypten gefunden wurden. Siehe Gilles Quispel, Gnosis als Weltreligion, Zürich 1951. 408 Zu dieser Diskussion siehe exemplarisch die Artikel von Sebba und Opitz in der Festschrift für Voegelin zu dessen achtzigstem Geburtstag. Gregor Sebba, History, Modernity and Gnosticism. In: Opitz/ders. (Hrsg.), The Philosophy of Order, S. 190– 241; ebd.: Opitz, Rückkehr zur Realität, S. 21–73. 405

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Die vorliegende Untersuchung will in diesem Abschnitt nicht die Angemessenheit des Begriffes prüfen, sondern vielmehr nachzeichnen, was Voegelin als historischen Prozess begreift, in dem die Gnosis (oder wie immer man es auch benennen will) ein Kontinuum darstellt und so alte Strukturen umbesetzt und in die Gegenwart trägt. Voegelin selbst zählt sechs Charakteristika auf, „die in ihrer Gesamtheit das Wesen gnostischer Haltung umschrieben“ 410: „I. Vor allem ist festzuhalten, dass der Gnostiker mit seiner Situation unzufrieden ist. [. . .] II. [. . .] das zweite Merkmal [. . .]: der Glaube, dass die Übelstände der Situation darauf zurückzuführen sei, dass die Welt wesensmäßig schlecht organisiert ist. Denn es wäre ja auch die Annahme möglich, dass die Seinsordnung, so wie sie uns Menschen vorgegeben ist (wo immer ihr Ursprung zu suchen ist), gut sei und dass wir Menschen unzulänglich sind. Wenn in der Situation etwas nicht so gut ist, wie es sein sollte, dann ist der Grund in der Schlechtigkeit der Welt zu suchen. III. Das dritte Charakteristikum ist der Glaube, dass Erlösung vom Übel der Welt möglich sei. IV. Als viertes Merkmal folgt der Glaube, dass die Seinsordnung in einem historischen Prozess geändert werden müsse. Aus der schlechten Welt muss historisch eine gute Welt werden. [. . .] V. Mit diesem fünften Punkt erreichen wir das gnostische Merkmal im engeren Sinne, mit dem Glauben, dass eine Änderung der Seinsordnung, die Erlösungscharakter hat, im menschlichen Handlungsbereich liege, dass sie dem Menschen durch sein eigenes Handeln möglich sei. VI. Wenn es aber möglich ist, die uns vorgegebene Seinsordnung in ihrer Struktur so zu verändern, dass wir mit ihr als einer vollendeten zufrieden sein können, dann wird es zur Aufgabe der Gnostiker, das Rezept der Änderung zu erforschen. Das Wissen, die Gnosis, von der Methode der Änderung des Seins ist sein eigentliches Anliegen. Als sechstes Merkmal der gnostischen Haltung erkennen wir daher die Konstruktion der Rezepte zur Selbst- und Welterlösung sowie die Bereitwilligkeit des Gnostikers, als Prophet aufzutreten, der sein Erlösungswissen der Menschheit verkündet.“ In unterschiedlichen Graden besitzen all die Geschichtstheologien und -philosophien, die in der joachitischen Tradition stehen, diese gnostischen Wesens-

409 Peter J. Opitz, Die Gnosis-These. In: Eric Voegelin, Der Gottesmord. Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis (Reihe: Periagoge, hrsg. v. Peter J. Opitz), München 1999, S. 7–35, hier: S. 28 f. 410 Eric Voegelin, Religionsersatz. Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit [1960]. In: ders., Gottesmord, S. 105–128, hier: S. 107, folgendes längeres Zitat, S. 107 f.

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züge. Insofern als sie die Realität nicht so akzeptieren, wie sie sich existentiell und unveränderlich darstellt, bedeutet die Gnosis in jeder ihrer Gestalten, ob noch eng mit den christlichen Glaubensinhalten verbunden oder schon so weit von ihnen entfernt, dass die christlichen Ursprünge kaum augenfällig sind, dann „einen Verlust an Rationalität“, wenn „unter Rationalität das Akzeptieren der Realitätsverfassung in ihrer ganzen Tiefenstruktur bis in die Transzendenz des göttlichen Seinsgrundes verstanden wird und wenn sich der Grad dieser Rationalität aus einem möglichst differenzierten Wissen um diese Struktur ergibt.“ 411 Joachim hat der Gnosis ein wirkmächtiges christliches Gewand gegeben und so „das Aggregat der Symbole“ 412 geschaffen, das bis zum heutigen Tag die Geschichtsinterpretation und somit die politischen Theorien bestimmt. Sein Versuch, der innerweltlichen Geschichte einen Sinn zu geben, den die augustinische Konzeption nicht anzubieten vermochte, löste sich zunehmend vom Christentum. „Diese Umgestaltung vollzieht sich so allmählich, dass es schwer wäre, zu entscheiden, ob die Phänomene der Gegenwart als christlich zu klassifizieren sind, weil sie einsichtig aus christlichen Häresien des Mittelalters erwachsen, oder ob die Phänomene des Mittelalters antichristlich zu klassifizieren sind, weil sie einsichtig der Ursprung des modernen Antichristentums sind.“ 413 Die beiden zu Beginn dieses Kapitels benannten Faktoren des modernen Prozesses der Immanentisierung – Entfremdung und überbordende libido dominandi des Menschen – lassen sich wie gesehen auch in Voegelins berühmter (insgesamt wohl die bekannteste These Voegelins überhaupt) Gnosis-These wiederfinden. Opitz fasst zusammen, wie die beiden bereits angesprochenen Momente der Moderne in der von Voegelin formulierten Gnosis-These zusammenkommen. Das Gefühl der Fremdheit in der Welt wird zusammen mit der übersteigerten Machbarkeitsdimension zum kraftvollen Motor einer revolutionären Haltung, die als bedeutende Kraft stets Teil der modernen Gesellschaften ist und diese immer wieder in neue Umstürze verwickeln kann. Der gnostische Mensch wird als jemand verstanden, der – gerade weil er sich am falschen Ort wähnt, weil er sich als fremd in der Welt versteht – zum Flüchtling werden möchte. Da, wo die klassische Gnosis noch die Flucht in eine Jenseitigkeit angestrebt hat, immanentisiert der moderne Gnostiker diesen Fluchtpunkt, wobei seine Hybris eine große Rolle spielt. Welcher Anspruch, eine Welt zu verändern ist größer als der, es zu können? Und welcher Antriebsmotor kann bezwingender sein, als die feste Überzeugung, die Mittel zur Veränderung in der Hand zu haben? Unbedingter Wille, die Fremde, als die sich diese Welt darstellt, zu verlassen, gekoppelt mit der Hybris, die in der totalen Ausweitung der Machbarkeits- und Möglichkeitsphantasien zu finden ist, führten in Voegelins Augen zu 411 412 413

Opitz, Die Gnosis-These, S. 15. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 123, siehe auch S. 191. Ebd., S. 137.

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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den Katastrophen des 20. Jahrhunderts und zu einem fundamentalen Verkennen der Wahrheiten, die sich dem Menschen als unverfügbar präsentieren. Sowohl die antike als auch die moderne Gnosis glaubt sich in einer umfassenden Realität, in der die Welt, in der der Mensch lebt, vom Bösen geprägt ist und die andere, die anzustrebende Welt diejenige ist, in der das restlos Gute wartet. In christlicher Wendung: Der Erlösergott ist ein anderer als der Schöpfergott. Das Werk des letzteren ist das Zu-Überwindende. In den beiden getrennten Gottheiten stehen sich nicht zuletzt Gut und Böse gegenüber. In dieser Unterscheidung liegt ein wichtiger Wesenszug des Manichäismus, den das kirchliche Christentum stets aufs Schärfste abgelehnt, wenn nicht gar verfolgt hat. Der Gnostiker ist versucht, die Schöpfung, das, was sich ihm als Welt präsentiert, als schlecht, als böse, zumindest aber als zu überwinden anzusehen. Voegelin kennt diese „Interpretation des weltschöpfenden Gottes des Alten Testaments als des bösen Demiurgen, der die göttliche Substanz des guten Gottes, die dieser durch seinen Boten Christus retten will, gefangenhält“ 414. Die Erlösung ist in der antiken Gnosis nicht immanentisiert und so vollkommen in die Hand des Menschen gelegt gewesen, wie es in der modernen Gnosis der Fall ist. Gleichwohl liegen dort die großen Orientierungspunkte des Gnostikers, ob antik oder modern. Schöpfung und Erlösung – das ist ohne weiteres zunächst selbstevident – sind nicht nur gnostische, sondern unmittelbar auch christliche topoi. Der Christ trennt Schöpfung nicht von Erlösung, wenngleich es immer wieder schwer fällt, den Schöpfergott als denjenigen anzusehen, der den Menschen in Liebe erschaffen hat. „Die Zähigkeit und Schwer-Widerlegbarkeit des gnostischen Dualismus beruht weniger auf der Evidenz alter mythischer und metaphorischer Bilder von Licht und Finsternis; sie besteht vielmehr darin, dass ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Schöpfergott für die von ihm geschaffene Welt nicht mit einem Erlösergott identisch sein kann.“ 415 Wenn der Mensch im Wesentlichen als Leidender in der Welt steht und auch das Leid, das um ihn herum geschieht, wahrnimmt, fällt es ihm schwer, die Schöpfung als unumstößlich gut anzusehen. Gerade die Christen des Mittelalters, die mit Leid, Krankheit und Tod wesentlich direkter konfrontiert waren als der Mensch des westlichen 21. Jahrhunderts, waren vor diese Frage gestellt. Doch auch heute ist die Dringlichkeit der Frage nach der Güte der Schöpfung und der Güte des Schöpfergottes präsent und – z. B. angesichts großer Naturkatastrophen – nicht selten. Die Theodizeefrage hat ihre Wurzeln in der nicht ganz greifbaren Identität von Schöpfer- und Erlösergott. Dennoch ist das offizielle Christentum immer bemüht, all seine Interpretationen dieser Spannung im Rahmen der Identität zu halten. 414 415

Voegelin in einem Brief an A. Schütz vom 10. Jan. 1953, Briefwechsel, S. 125. Schmitt, Politische Theologie II, S. 93.

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

„Augustinus verlagert die Schwierigkeit aus der Gottheit in die Freiheit des Menschen, also in ein Geschöpf, das kraft seiner ihm verliehenen Freiheit die nichterlösungsbedürftige Welt Gottes überhaupt erst erlösungsbedürftig macht. Das Geschöpf, das dazu imstande ist, der Mensch, bewährt seine Freiheit nicht durch Taten, sondern durch Untaten. Die Lehre von der Trinität umhüllt die Identität von Schöpfergott und Erlösergott in der Einheit von Vater und Sohn, die beide nicht absolut identisch, aber dennoch ,Eins‘ sind, wobei ein Dualismus von zwei Naturen, Gott-Mensch, in der zweiten Person zur Einheit wird.“ 416

Der Ausbruch aus dieser Identität ist der Schritt zur Gnosis und wurde über Jahrhunderte als häretisch diskriminiert. Gleichwohl ist dieser Streit ein wohl kaum endgültig zu entscheidender, da es stets um Abwägungen, Betonungen und Schwerpunktsetzung geht. Die Einheit ist nicht selbstevident, sie mag für manche schwerer zu verstehen sein als das sich doch vielleicht leichter erschließbare Gut-und-Böse-Schema der unterschiedlichen Naturen von Schöpfer- und Erlösergott. Die Theodiezeefrage, die vielleicht dauerhafteste Diskussion, die ihre Grundlage in eben diesem Zwiespalt findet, kennt auch seit Jahrhunderten den Exkurs zur Vernunft. Für den Menschen als irritierend stellte sich nicht die Anwesenheit des Schlechten, Bösen, des Leids und des Unglücks dar. „Was uns verwirrt, ist der Umstand, dass wir auch Glück und Tugend sehen.“ 417 Die Diskussion um diese Irritation ist wohl so alt wie der Gottesglaube selbst. Die frühe Neuzeit zeigt sich tief beeindruckt von diesen Fragen. Den Aufklärer Bayle (1647– 1706) zog es in eben die Richtung, die als gnostisch beschrieben wurde: „Die Vorstellung einer Welt, die von guten und bösen, in ständigem Streit miteinander liegenden Mächten beherrscht wird, bewahrt den Glauben an Gottes Barmherzigkeit. Weit davon entfernt der Urheber von Sünde und Elend zu sein, versucht Gott vielmehr, es zu verhindern.“ 418 Es ist also der Erlösergott, der um das Wohl des Menschen willen mit den Übeln des Gegebenen, der Schöpfung kämpft. Gleichwohl ist dies eine Antwort der Vernunft, einer Vernunft, der Widersprüchlichkeit schwer erträglich ist und die auf der Absage der augustinisch umrissenen Freiheitsfähigkeit des Menschen fußt. Die bei Augustinus noch beschränkte Freiheitsfähigkeit des Menschen wird bei den Aufklärern mehr und mehr zu einem Formprinzip, das über Gott steht. Der Manichäismus relativiert Gott in eben jenem Maße, indem der Mensch nicht versteht, wie der eine Gott zugleich Schöpfer der leidbringenden Welt und liebender Erlöser sein kann. So ist der Manichäismus der „Struktur nach [. . .] die vollkommenste Form der dua416

Ebd. Susan Neiman, Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie, Frankfurt a. M. 2004, S. 50. 418 Ebd. 417

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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listischen Gnosis.“ 419 Weil der Mensch es nicht versteht, wird Gott auf das Maß zurückgestuft, dass dem Menschen scheinbar einsichtig ist. Daher kann man Susan Neiman beipflichten, wenn sie ihre Analyse des Konfliktes zwischen Leibniz und Bayle aufs äußerste zuspitzt. Sie konstatiert in diesem Zusammenhang die sich auf den ersten Blick widersprechenden Erfahrungen des Menschen von der gleichzeitigen Anwesenheit von Gut und Böse: „Die Antwort der Vernunft auf die Erfahrung ist der Ruf nach Manichäismus. Die Antwort des Glaubens ist die Bejahung des Christentums.“ 420 Doch unter dem Druck des vielleicht eher einleuchtenden vernunftgestützten Erklärungsansatzes geraten die Argumente des Christen Leibniz in Bedrängnis. Gegen Versuche, Gott atheistisch weg zu definieren, wird dieser sogar von selbsterklärten Anwälten des Glaubens, auf ein menschliches Maß reduziert. Leibniz behauptet, Gott habe die Schöpfung nicht besser machen können und es sei in der Zukunft eine vernünftige Erklärung dafür zu erwarten; die Erklärungsfähigkeit des Menschen werde bis zu diesem Punkte der Einsicht wachsen. Aber: „Jeder Anwalt hat seinen Preis. Während er Gott verteidigt, nimmt Leibniz ihm etwas von seiner Macht. Genauer gesagt, um unser Bedürfnis zu befriedigen, den Schöpfer in uns sinnvoll erscheinenden Begriffen zu verstehen, ging Leibniz so weit, uns einen nach unserem Bild geschaffenen Gott zu präsentieren.“ 421 Der Widerspruch zwischen dem, was der Mensch an Gutem und Schlechtem erfährt und der gleichzeitigen angeblichen Allgütigkeit Gottes sollte von Leibniz zurückverlagert werden an einem Punkt vor Gott. Dieser „habe zwar die Materie, nicht aber die Form geschaffen. Die Wahrheit von allem [. . .] ist in den zeitlosen Formen enthalten, die ähnlich funktionieren, wie man nach einer anfänglichen Lektüre Platons annehmen sollte. Bevor Gott entschied, welche von allen möglichen Welten er realisieren sollte, betrachtete er alle Formen, berechnete, welche am besten zusammenpassten und wählte die beste aller möglichen Kombinationen. Die Formen sind nichts anderes als die Gesetze der Vernunft. Sich einen Gott vorzustellen, der frei von ihnen sein will, heißt, sich einen wahnsinnigen Gott zu denken. Indem er aber Gott gegen den Voluntarismus verteidigt, tut Leibniz genau das, was immer dem Rationalismus vorgeworfen wird: Er stellt die Vernunft über Gott. [. . .] Ist die Vernunft mächtiger als Gott, [. . .] wundert es nicht, dass Gott überflüssig zu sein scheint.“ 422

Diese Diskussion des 17./18. Jahrhunderts hat bis heute kein Ende gefunden. Schmitt macht auf eine Stelle in Blumenbergs Legitimität der Neuzeit aufmerksam, an der dieser ebenfalls einen auf das Maß der Vernunft reduzierten Gott konstruiert. Blumenberg versucht, Gott und Vernunft in Bezug zu setzen und konstruiert dabei einen Vernunftbegriff, der das Erkenntnispotential der 419 420 421 422

Wilhelm Geerlings, Augustinus, Freiburg/Br. o. J., S. 19. Neiman, Das Böse denken, S. 51. Ebd., S. 59. Ebd., S. 60.

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Vernunft zum einen neben aber zum anderen – und dies scheint wie eine Neuauflage der Diskussion aus der Frühen Neuzeit – über Gott stellt, weil auch Er sich der Vernunft nicht entziehen kann. Das Prinzip der (rein menschlichen) Vernunft erhält somit den ersten Rang. „Die Erkenntnis bedarf keiner Rechtfertigung, sie rechtfertigt sich selbst; sie verdankt sich nicht Gott, hat nichts mehr von Erleuchtung und gnädigem Teilhabenlassen, sondern ruht in ihrer eigenen Evidenz, der sich Gott und Mensch nicht entziehen könnten.“ 423 Scharf wendet sich Schmitt von dieser These Blumenbergs ab: „Der Autismus ist der Argumentation immanent. Ihre Immanenz, die sich polemisch gegen eine theologische Transzendenz richtet, ist nichts anderes als Selbst-Ermächtigung.“ 424 Gott ist in diesem Sinne – wie im Manichäismus – vollkommener Untertan der Vernunft, er ist unter die Erkenntnisfähigkeit des Menschen degradiert worden. Das heißt, dass Gott eine für den Wirkkreis des Menschen vernachlässigenswerte Größe geworden ist. Die „Wissbegierde des Menschen“ 425 – und damit auch der Wille zum Neuen, das aus den Quellen der menschlichen Vernunft geschöpft wurde – ist in diesem Denken „im Grunde rechtfertigungsunbedürftig“.426 Der Schritt zur Eliminierung Gottes ist von hier aus ein kleiner und der Einsturz der Mauern, die sich um die Machbarkeits- und Möglichkeitsdimension des Menschen fügen, sie umhegen und relativieren, liegt nicht fern. Die Orientierung an der Vernunft, die Blumenberg über die Gottesschau stellt, ist somit auch die Grundlage für seine These von der Neuzeit als vollkommen eigenständiger Epoche, die nicht von säkularisierten Begriffen der Theologie geprägt ist. Die Neuzeit, die durch die Bruchkante der Entgöttlichung von ihren Traditionen abgeschnitten ist, sie auch gar nicht mehr benötigt, da der Mensch in die Rolle des Neuerers, des Schöpfers getreten zu sein scheint, steht im Denken Schmitts für die Revolution. Die Revolution ist für diesen das absolut Neue, das Neue ohne Vergangenheit – „Revolution, im Unterschied zu Reformation, Reform, Revision und Evolution, ist eine feindliche Auseinandersetzung. Der Herr einer zu ändernden, d.h. verfehlten Welt [. . .] und der Befreier, der Bewirker einer veränderten, neuen Welt können nicht gut Freunde sein.“ 427 Das Vokabular aus Voegelins Gnosis-These kehrt zurück. Es geht auch Schmitt um den Gegensatz zwischen der verfehlten Welt und dem Befreier von ihr. Diese Blumenbergsche Konstruktion der durch die Bruchkante der Entgöttlichung auf völlig eigenen Füssen stehenden Welt der menschlichen Vernunft, verspottet Schmitt mit der leicht veränderten Schreibweise der von seinem Gegenüber besprochenen ,Neuzeit‘: Die „restlose Liquidierung“ theolo-

423 424 425 426 427

Zitiert nach Schmitt, Politische Theologie II, S. 88. Ebd., S. 88 f. Ebd., S. 88. Blumenberg, zitiert nach ebd. Ebd., S. 94.

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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gischer Abkünfte „gehört zur Weltlichkeit der enttheologisierten Neu-Zeit“ 428. Dabei steht die ,Neu-Zeit‘ in Schmitts kurzem Nachwort zur Politischen Theologie II, das sich mit den Thesen Blumenbergs beschäftigt, in einer Reihe mit dem ,Neuen Menschen‘, der ,Neuen Weltlichkeit‘ und den ,unaufhörlichen NeuSetzungen‘.429 Die Groß- respektive Getrenntschreibung unterstreicht das Abstruse, das Schmitt in diesen Erneuerungen aus dem Nichts sieht. Schmitt misstraut der „Umbesetzung aus der alten politischen Theologie in eine der Prätention nach total neue, reine Weltlichkeit und humane Menschlichkeit“ 430 nicht nur, für ihn bedeutet dies potentiell „das Gegenteil einer Schöpfung aus dem Nichts, nämlich die Schöpfung des Nichts als der Bedingung der Möglichkeit der Selbst-Schöpfung einer stets Neuen Weltlichkeit“ 431. Wenn der Bogen nun zurück zu Voegelins Gnosis-These geschlagen werden soll, so können Schmitts Ausführungen in dieselbe Richtung gedeutet werden. Die Gnosis, die Voegelin in der Moderne als zerstörerisches Element sieht, bezieht ihre Gefährlichkeit aus dem innerweltlichen Heilsversprechen, das aber lediglich eine Illusion darstellt, da es eine immanentisierte christliche Vorstellung ist und ein Heil in diesem Sinne keinen Platz in der Welt hat. Es ist eine Selbsttäuschung größten Ausmaßes. Da es also keine Einlösung dieses Heilsversprechens geben kann, ist die Konsequenz die gleiche, wie die, die Schmitt zieht, nämlich die ,stets Neue Weltlichkeit‘. Die Absurdität der nur-Weltlichkeit erlebt sich immer wieder in Neuauflage und ist die ,Schöpfung des Nichts‘, weil in ihr nichts anderes entstehen kann als das Nichts. Sinn ist dort nur als immanente Schwundstufe des heroischen Abenteuers von echtem Transzendenzbezug möglich. Sinn ist in dieser Sichtweise nur als vom Menschen konstruierter Sinn zu erkennen und deshalb wesentlich redundanter Un-Sinn. Gnostisch konstruierter Sinn ist in seiner Reinform nur in der prometheischen Revolte möglich, zumal in seiner von Voegelin identifizierten modernen Wendung. Im vorangegangenen Kapitel Grammatik der Ordnung wurde das Ordnungsdenken von Schmitt und Voegelin dargestellt, die in ihrem innersten Zentrum nichts anderes kennen, als den Transzendenzbezug. Indem rein menschliche Vernunft in einem langen historischen Prozess die Geschichte (Joachim), Gott (Bayles Manichäismus) und schließlich die komplette Realität (Blumenberg) immanentisierte, wurde die (nach Schmitt und Voegelin) einzig wahre Ordnungsquelle – Gott – verdrängt; und ist die einzige Ordnungsquelle erst einmal verdrängt, so gerät das Heil in die Position der menschlichen Verfügbarkeit. Die menschliche Vernunft komplett von der Transzendenzdimension zu säubern, begleitet diesen Prozess. Die Machbarkeits- und Möglichkeitsdimension menschlichen Handelns 428 429 430 431

Ebd., S. 85. Alle Begriffe in ebd., S. 97. Ebd., S. 96. Ebd., S. 97.

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verliert ihre Grenzen und wird in den Momenten größter Perversion allmächtig. Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts wären insofern die reinsten und radikalsten Formen der Diktatur der Gottlosen, weil sie das Schicksal des Menschen bis in die entlegendsten Regionen der Realität in die eigene Hand nehmen wollten. Die Zukunft einer Welt ohne Leid und Ausbeutung lockte, weil das telos der Geschichte einsichtig schien. Doch wo „ein geschichtliches Telos zum Maßstab gegenwärtiger Politik wird, nimmt die geforderte Opferbereitschaft tragische Züge an.“ 432 In Voegelins Gnosis-These und Schmitts Besprechung der Thesen Hans Blumenbergs lassen sich wie gesehen gemeinsame Formelemente finden. Die Orientierung auf die Transzendenz, die wirkliches Ordnungsdenken erst ermöglicht, findet in diesen Selbstsetzungen des Menschen ihr Gegenüber und gleichzeitig ihre Negation. Diese Selbstermächtigung des modernen (Blumenberg spricht vom neuzeitlichen) Menschen, ordnen beide in den gleichen Zusammenhang ein. Es sind die Symbole, die Joachim von Fiore entwickelt, die sich bis in die Gegenwart Schmitts und Voegelins ziehen und dort ihre wahre Gefährlichkeit erst zeigen. Die Häresien des Hohen Mittelalters sind in diesem Sinne für beide die Quellen der Unordnungserfahrungen ihrer Gegenwart. Zur Verdeutlichung und Unterstreichung sollen zwei weitere entscheidende Denkbewegungen der Neuzeit nachgezeichnet werden, die vor einem joachitischen Hintergrund zum Prozess der Immanentisierung beigetragen haben. Es geht zunächst um Thomas Hobbes und schließlich um das Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts.

4.1.2 Thomas Hobbes und die Privatisierung des Glaubens Die Bedeutung, die Hobbes im Denken Voegelins und Schmitts spielte, ist kaum zu überschätzen. Voegelin setzt ihn in eine Reihe mit Joachim und unterstreicht zudem die zentrale Rolle, die er für das politische Klima der westlichen Zivilisation des 20. Jahrhunderts spielt: „Joachim von Flora hatte ein Aggregat von Symbolen geschaffen, das die Selbstinterpretation moderner politischer Bewegungen im ganzen beherrschte. Thomas Hobbes schuf ein vergleichbares Aggregat, das die Komponente radikaler Immanenz in der modernen Politik zum Ausdruck brachte.“ 433 Diese Bedeutung, die Hobbes Thesen erhielten, können nur vor dem Hintergrund der historischen Situation, in der dieser sich befand, eingeordnet werden. Es war die Zeit der konfessionellen Religionskriege, der kämpferischen und ge-

432 433

Lahrem/Weißbach, Grenzen des Politischen, S. 267. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 191 f.

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walttätigen Auseinandersetzungen zwischen Presbytern, Puritanern u. a., in der Hobbes seine Schriften verfasste. Die geistigen Bestände, die die mittelalterlichen Gesellschaften noch als weitgehend homogenen Block erlebten, brachen mit der Reformation und den so aufkommenden konfessionellen Konflikten auseinander. Waren vorreformatorische Auseinandersetzungen um Glaubensbestände immer noch unter dem Dach der einen Kirche, der einen Lehrmeinung vereint und wurden gewisse Lehren als häretisch diskriminiert und konnten so keine durchschlagende Wirkmächtigkeit entwickeln, so änderte sich dies mit dem 16. Jahrhundert fundamental. Die Offenbarungsinterpretationen großer gesellschaftlicher Gruppierungen waren nicht mehr miteinander vereinbar und führten die jeweiligen Anhänger in die feindliche Auseinandersetzung. Mit den geistigen Beständen der Konfessionen drifteten nun auch die Vorstellungen von der politischen Form der Gemeinwesen auseinander. Jede Konfession fand ein anderes analogon ihrer geistigen Bestände für die Ausgestaltung ihres Gemeinwesens. Der Charakter des Universalistischen, des alleine und für alle Gültigen, blieb jedoch jeder Konfession zunächst zu eigen. Der Schritt zum Krieg war demnach folgerichtig. Jede Seite kämpfte im Namen des Absoluten um die Umsetzung ihrer transzendenten Wahrheit, ohne die Möglichkeit des Kompromisses. Der konfessionelle Bürgerkrieg war nur in einer seiner Facetten der Kampf um die richtige Konfession. Die wesentliche Facette war die Konsequenz, die die jeweilige Konfession für die Gestaltung des politischen Gemeinwesens zog, an dem alle gleichermaßen Teil hatten, ohne jedoch zu einem gemeinsamen politischen Ordnungsrahmen finden zu können. Doch wie war der konfessionelle Bürgerkrieg aufzulösen? Wie war der Konflikt einzudämmen, wenn absolute Ansprüche gegeneinander stehen und aufgrund des Offenbarungscharakters dieser Ansprüche keine Verhandlungen mit dem Ziel eines Kompromisses möglich schienen? Thomas Hobbes verfolgte diese Fragen mit seinen staatsphilosophischen Werken, in erster Linie mit seinem Hauptwerk Leviathan. Schmitt fühlte sich mit Hobbes auf das Engste verbunden. Nicht nur wurde Schmitt als der deutsche „Hobbes des 20. Jahrhunderts“ 434 bezeichnet, für Schmitt selbst war Hobbes „der echte Lehrer einer großen Erfahrung“ 435 und „mein Freund“ 436. Doch wo lag das inhaltliche Interesse an diesem mit ihm so eng Verbundenen? Hobbes hatte es vermocht, mit seinem Leviathan etwas völlig Neues in der Staatsphilosophie zu beschwören, etwas zuvor kaum vorstellbares – einen weltlichen Staat. 434

Helmut Schelsky, Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981, S. 5. Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols [1938], Köln 1982, S. 132. 436 Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950, S. 67. 435

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

„Unter dem Eindruck der Unsicherheit und der Unordnung, die die Glaubensspaltung gebiert, stellt Hobbes die Frage nach der weltlichen Instanz, die inappellabel zu entscheiden vermag. Die blutigen Wirren vor Augen, die das Jahrhundert der konfessionellen Bürgerkriege über weite Teile Europas gebracht hat, erkennt er im staatlichen Souverän die einzige Macht, die in den Stand gesetzt werden kann, Frieden zu schaffen und Sicherheit zu gewährleisten.“ 437

Der Ausweg, den Hobbes aus den widerstrebenden Wahrheitsansprüchen der verschiedenen Konfessionen findet, drückt sich in der Verweltlichung des Staates aus. Für den Staat vor Hobbes war die Religion noch bestimmende Voraussetzung, Staat und Religion konnten nur zusammen gedacht werden, weil der Staat nach dem Gemeinwohl, das religiös zu begründen war, zu streben hatte. Das Gemeinwohl, nach dem alle Gesellschaft strebte, war aber nicht mehr Gemeinwohl, sondern vielmehr das je eigene Wohl der einzelnen Konfessionen. Die Lösung: Der Staat musste sich von seiner religiösen Bestimmung trennen. Das Theologische wurde neutralisiert.438 In den Mittelpunkt von Hobbes Staatsphilosophie rückte das summum malum, der gewaltsame Tod des Menschen. Im Naturzustand, dem vorstaatlichen Zustand, in dem sich der Mensch seiner Natur entsprechend befindet, ist der Kampf aller gegen alle. Gewalt und Tod sind allgegenwärtig – die Parallele zu Hobbes’ Erfahrungen im Bürgerkrieg sind offensichtlich – und die Beendigung des Kampfes aller gegen alle erfährt durch Hobbes die Aufwertung zum eigentlichen Staatssinn. Nicht mehr das gottgefällige Leben im Streben nach dem Gemeinwohl (über das sich ja offensichtlich erbittert streiten läßt) steht im Mittelpunkt des Staates. Es ist vielmehr die Verhinderung von irdischer Gewalt, die Hobbes in den Mittelpunkt als Staatsziel platziert. Gott wird aus dem Staat in die Privatheit verbannt, er wird entpolitisiert. Die staatliche Sphäre ist die öffentliche Sphäre, in der der Kampf um transzendente Wahrheit keine Rolle mehr spielen soll. Hobbes entdeckt den Staat als ein von Menschen geschaffene[s] magnum artificium“ 439, das Recht und Wahrheit „nur in sich selbst“ 440 findet und Gott nicht mehr zu brauchen scheint; dessen Existenz im wesentlichen sogar davon abhängt, dass Gott nicht mehr gebraucht wird. Jede öffentlich relevante Wahrheit ist die Wahrheit des Staates, alles andere wird ins Private abgedrängt. Der Leviathan tritt an die Stelle Gottes, er wird oberster Sinngeber als der Aufhalter des Krieges aller gegen alle. Das Leviathan-Bild, das Hobbes malt, „stellt den friedens- und sicherheitsbringenden Gott dar.“ 441 Seine Wahrheiten sind nicht mehr absolute Wahrheiten transzendenter Natur, sie sind Wahrheiten des Selbstzweckes; dieser Selbstzweck lautet 437

Meier, Vier Kapitel zur Lehre Carl Schmitts, S. 192. Siehe Schmitt, Zeitalter, S. 88 f. 439 Schmitt, Leviathan, S. 70. 440 Ebd. 441 Carl Schmitt, Der Staat als Mechanismus bei Descartes und Hobbes. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 30(1936/37), S. 622–632, S. 625. 438

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staatliche Ordnung und steht um Gegensatz zum von Hobbes konstruierten Naturzustand. Schmitt schätzt die juristisch-analytische Kraft Hobbes’, die „ungeheuere Schlagkraft“ 442 des Bildes vom Leviathan. Doch wesentlich ist an dieser Stelle vielmehr die Kritik Schmitts an ,seinem Freund‘. Zwar lobt er Hobbes wie kaum einen zweiten Denker443, gleichzeitig wird die Lehre des Philosophen Hobbes allerdings von ihm ins Visier genommen, vor allem deren „politische Folgen und historischen Auswirkungen“, die der Engländer „nicht übersah“ 444, nicht abschätzen konnte. Kern der Kritik Schmitts wird die beseelte Staatsmaschine, die Hobbes mit Rückgriff auf die cartesianische Vorstellung „vom Menschen als einem Mechanismus mit einer Seele“ 445 konstruiert. Der Vertrag aller mit allen, der den Naturzustand beendet, erhebt den Leviathan zur souveränen Person. Doch das „entscheidende Element der gedanklichen Konstruktion liegt darin, dass dieser Vertrag nicht, wie nach mittelalterlichen Vorstellungen, ein vorhandenes, von Gott geschaffenes Gemeinwesen und eine präexistente, natürliche Ordnung betrifft, sondern dass der Staat als Ordnung und Gemeinwesen das Ergebnis menschlichen Verstandes und menschlicher Schöpfungskraft ist und durch den Vertrag überhaupt erst entsteht.“ 446

Im Zusammenhang damit entsteht der göttliche Charakter des Staates, denn der Vertrag ist „nur ein anarchistischer Sozial-, kein Staatsvertrag. Was über diesen Sozialvertrag hinaus weiter entsteht, der alleinige Garant des Friedens, die souverän-repräsentative Person, kommt nicht durch, sondern nur anlässlich des Konsenses zustande. Die souverän-repräsentative Person ist unverhältnismäßig mehr, als die summierte Kraft aller beteiligten Einzelwillen bewirken könnte.“ 447

Die Angst vor dem Rückfall in den Naturzustand „beschwört den neuen Gott“ 448, sie schafft ihn nicht. Der beschworene Gott – Leviathan – behält die

442

Ebd. Heinrich Meier zeigt, wie die Hochschätzung Schmitts für Hobbes zwischen 1927 und 1933 abkühlt, ohne jedoch völlig zu erlöschen. So verändert Schmitt in den drei verschiedenen Fassungen seines Begriff des Politischen einige Passagen, die Hobbes zunächst als „den weitaus größten und vielleicht einzig wahrhaft systematischen politischen Denker“, dann als „einen großen und wahrhaft systematischen politischen Denker“ und schließlich als „großen und wahrhaft systematischen Denker“ darstellen. Gerade Hobbes’ Vorstellungen vom Politischen stimmen nicht immer mit denen Schmitts überein. Nachdem er dies erkannt hatte, modifiziert Schmitt auch seine Lobeshymnen auf den Engländer. Zitate aus: Meier, Leo Strauss und Carl Schmitt, S. 43. 444 Meier, Vier Kapitel zur Lehre Carl Schmitts, S. 191. 445 Schmitt, Der Staat als Mechanismus, S. 624. 446 Schmitt, Leviathan, S. 51. 447 Ebd., S. 52. 448 Ebd., S. 52. 443

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Überlegenheit der Transzendenz, weil er eben nicht von den Menschen geschaffen zu sein scheint und es doch ist. Sein Credo ist die menschliche Existenz und die über die Existenz hinausgehende Bestimmung des Menschen gerät in die Gefahr, vergessen zu werden. Die Aufgabe des Göttlichen in der Staatsphilosophie und ihr nur dürftiges Substitut des „Menschenwerk“ 449 „erweist sich als ein Leitmotiv“ 450, das sich durch die gesamte Schmittsche Betrachtung der Staatsphilosophie Hobbes’ zieht. So hält er „den Schritt, den das 17. Jahrhundert von der überlieferten christlichen Theologie zum System einer ,natürlichen‘ Wissenschaft getan hat“ für „die stärkste und folgenreichste aller geistigen Wendungen der europäischen Geschichte“ 451. Der im 17. Jahrhundert eingeschlagene Weg hat die Richtung bestimmt, „die alle weitere Entwicklung nehmen musste.“ 452 Hobbes ist in diesem Sinne für Schmitt der Wegbereiter der von ihm so verhassten technisch-ökonomischen Welt seiner Gegenwart. „Mit der Vorstellung des Staates als eines Kunstproduktes menschlicher Berechnung ist der entscheidende Schritt getan. Alles weitere [. . .] bedarf keines neuen metaphysischen Entschlusses.“ 453 Der metaphysische Entschluss ist ein Schritt weg von der Metaphysik, von der Jenseitigkeit und dem Gottesglauben; er ist eine Vernachlässigung dieser Dimension, die schließlich fatale Folgen zeitigen wird. „Mit diesem Staat ist nicht nur eine wesentliche geistesgeschichtliche oder soziologische Voraussetzung für das folgende technisch-industrielle Zeitalter geschaffen, er selbst ist bereits ein typisches, sogar ein prototypisches Werk der neuen, technischen Zeit.“ 454 Die Metaphysik nach Hobbes scheint Schmitt vielmehr nur noch eine Privatsache. Diese Privatheit des Glaubens entspricht der Vorstellung, dass der Bürger des Hobbesschen Leviathan denken und glauben darf, was er will, während seine öffentlichen Bekenntnisse jedoch dem Staatsglauben entsprechen müssen. Dieser Unterschied von Innen und Außen, von privat und öffentlich verlangt vom Bürger Lippenbekenntnisse. „Die Unterscheidung von privat und öffentlich, Glaube und Bekenntnis, fides und confessio, faith und confession, sind damit in einer Weise eingeführt, dass sich daraus im Laufe des folgenden Jahrhunderts bis zum liberalen Rechts- und Verfassungsstaat alles weitere folgerichtig ergeben hat.“ 455 Dadurch verliert der Staat aber gleichzeitig eine ganze Dimension, die sich durch nichts ersetzen lässt. Das Urteil, dass Schmitt über diese Staatskonstruktion spricht, ist mit Blick auf die Folgen – Positivismus, Liberalismus und Technisierung des Denkens – formuliert. „Der Leviathan ist als magnus homo, als gottähnliche souveräne Person 449 450 451 452 453 454 455

Ebd., S. 51. Meier, Vier Kapitel zur Lehre Carl Schmitts, S. 164. Schmitt, Zeitalter, S. 88. Ebd. Schmitt, Leviathan, S. 59. Ebd., S. 53. Ebd., S. 85.

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des Staates, im 18. Jahrhundert von innen heraus zerstört worden. Die Unterscheidung von Innen und Außen wurde für den sterblichen Gott die Krankheit zum Tode.“ 456 Auf die Frage, warum es denn den Zwangsapparat Staat gibt, kann nur geantwortet werden, dass er die große Verhinderungsmaschine von Gewalttätigkeiten der Individuen untereinander darstellt. Das summum bonum wird vom summum malum ersetzt und hinterlässt so einen Staat, der auf negativen menschlichen Fähigkeiten aufbaut. „Der staatliche Absolutismus ist demnach der Unterdrücker eines im Kern, nämlich in den Individuen, ununterdrückbaren Chaos.“ 457 Das ununterdrückbare Chaos ist Fundament des Menschseins in dem Sinne, dass der Mensch ein stets offenes Wesen bleibt und die Suche nach Sinn und Wahrheit ein niemals abschließbarer Prozess ist. Eben weil er niemals abschließbar ist, beinhaltet die Suche immer auch die Konfrontation mit anderen Sinnsuchenden und Sinnstiftungskonzepten. Diese Auseinandersetzung findet zum einen im Individuum selbst statt, das mit sich ringt; zum anderen ist diese Auseinandersetzung Teil des öffentlichen Raumes, in dem Sinnsuche ihre soziale Dimension zeigt. Diese Unbestimmtheit, die ein Ringen um Sinn und Wahrheit konstitutiv besitzt, macht das Chaotische aus, das für Schmitt ,ununterdrückbar‘ ist. Indem nun der absolutistische Staat sein öffentliches Bekenntnis einfordert, gleichzeitig aber nichts mehr ist als ein Träger prinzipiell austauschbarer Wahrheiten und seine Berechtigung im Schutz des Lebens seiner Einzelglieder liegt, verkommt die Sinnsuche zu sich gegenüberstehenden Wahrheiten, die nur noch behauptet werden können. „Jeder behauptet natürlich, das Recht und die Wahrheit auf seiner Seite zu haben.“ 458 Der öffentliche Raum wird in dem Sinne sinnlos, weil der Sinn in der Sicherheit liegt. Es bleibt nicht dabei, dass die Sinnsuche privat wird, sie wird vielmehr in einem langsamen Aushöhlungsprozess eliminiert. Vielleicht ist es gar möglich, die Thesen Hobbes als solche zu identifizieren, die sich anschicken, den augustinischen Religionsbegriff zu verwischen und damit – gewollt oder ungewollt – den vor-augustinischen Religionsbegriff Varros wieder einzusetzen. „Varro hat eine dreifache Theologie postuliert: die theologia civilis, den Staatskult, dem alle verpflichtet sind – sein Ort ist der Marktplatz, auf dem die Priester Opfer darbringen –, die theologia mythica, die Erzählungen von den Göttern – ihr Ort ist das Theater –, sowie die theologia naturalis – ihr Ort ist die Wandelhalle, in der die Philosophen ihre Meinung über Gott und die Götter diskutieren.“ 459

Theologie – verstanden als das Reden über und von Gott oder, genauer, das Reden von und über Gottes Reden – ist im vorangegangenen Kapitel bereits als 456 457 458 459

Ebd., S. 99. Ebd., S. 34. Ebd., S. 69. Geerlings, Augustinus, S. 74.

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wesentlicher Charakterzug der Kunst (,des Theaters‘) identifiziert worden. Die reale Gegenwart Gottes in Literatur und Gesang, in bildender Kunst und im Theater macht diesen Bereich des menschlichen Lebens eben auch zu einer Beschäftigung mit Gott – Varros theologia mythica. Augustinus beschäftigen jedoch die beiden anderen Varro’schen Theologien. „Dem Staatskult sind des Gemeinwohls wegen alle verpflichtet, über die theologia mythica mag man denken, was man will, und die theologia naturalis ist etwas, was wenige Spezialisten angeht. Aber Varro lässt keinen Zweifel, dass in der theologia naturalis die eigentlichen Aussagen über die Götter gemacht werden. Augustins Kritik an diesem Theologie- und Religionsverständnis des Varro läuft darauf hinaus, dass die theologia civilis (der offizielle christliche Kult) identisch ist mit der theologia naturalis (der theologischen Wissenschaft). Klaffen im heidnischen Kult innere Überzeugung und äußeres Tun auseinander, so verlangt der christliche Kult die Übereinstimmung von äußerlichem Tun und innerlicher Überzeugung. Dies ist die eigentliche Leistung des ersten Hauptteils von De civitate dei: die Gewinnung eines neuen Religionsbegriffes.“ 460

Die Trennung, die Hobbes anstrebte, machte den Schritt Augustinus’ in diesem Punkt rückgängig. Die Verpflichtung zum öffentlichen Bekenntnis steht neben der Freiheit des privaten Glaubens, wenngleich die Freiheit zur Zeit Varros kaum mit der der Hobbes’schen Konstruktion vergleichbar sein dürfte. Aber doch wird der Übereinstimmung von äußerlichem Tun und innerlicher Überzeugung die Bedeutung quasi entzogen. Die Folgen dessen richten sich auf die grundsätzlichsten Bestände der christlichen Kultur; die Frage nach der sozialen Seite der Religion wird in den vorpolitischen Raum verwiesen, wo der Glaube das Gnadenbrot des säkularisierten Staates erhält. Mag die Religion im günstigsten Falle noch gepflegt und geliebt werden wie das Pferd auf der Weide, so ist es doch unnütz und wird weder geritten noch gebraucht, bis es schließlich stirbt. Wenn Hobbes es dem Menschen ermöglichte, seinen eigenen Staatszweck zu formulieren, ihn unabhängig von Gott zu machen, so war der Schritt, auch über die Zukunft entscheiden zu wollen, nur noch ein kleiner. Holt Joachim das Heil in die Geschichte, ohne sich von der Gottesvorstellung zu trennen und dem Menschen die Macht in die Hand zu geben, das Heil selber herzustellen, so wird es mit Hobbes für den Menschen möglich und machbar. Der Mensch machte sich seine eigenen Gesetze, seine eigenen Naturgesetze des Historischen. Die Geburtsstunde der Geschichtsphilosophien, der Spekulationen um die Zukunft, und die Illusion um deren Unterwerfung unter den menschlichen Willen, wird unter dem Mantel der Philosophie und der Wissenschaftlichkeit (man denke an den ,wissenschaftlichen Sozialismus, der die „geschichtliche Entwicklung in ihrem gesetzmäßigen Verlauf“ 461 erkennt und die Mittel zur Verwirk460

Ebd. Konrad Lotter, Reinhard Meiners, Elmar Treptow (Hrsg.), Marx-Engels-Begriffslexikon, München 1984, S. 378. 461

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lichung der Utopie angibt) vom Leviathan eingeläutet. Hobbes baut sozusagen eine Bühne, auf der der menschliche Übermut sich dann in einem mehrhundertjährigen Schauspiel der zunehmenden Gottesentfremdung austoben konnte. Die psychologischen Aspekte des Hobbesschen Denkens werden von Voegelin einer genaueren Betrachtung unterzogen. Die Rolle der libido dominandi, die die Puritaner ergriffen hat, wird von Voegelin vor die Analyse von Hobbes’ Gedanken gestellt, weil Hobbes’ „Demaskierung der libido dominandi hinter dem Vorwand religiösen Eifers und reformierenden Idealismus [. . .] heute noch so gültig wie zur Zeit, als er sie niederschrieb“ 462 ist. Die Beurteilung der Thesen Hobbes und deren Einordnung in die größeren Zusammenhänge erfordert also – was Voegelins Thesen angeht – einen kurzen Blick auf das, was Voegelin die „gnostische Revolution – der Fall des Puritanismus“ 463 nennt. Um die degenerierenden Bewegungen der Puritaner näher zu beleuchten, versucht Voegelin relativ konkret den Typus des gnostischen Revolutionärs zu fassen; wie er sich zur Masse der Menschen verhält, wie zur gesellschaftlichen Hierarchie und schließlich abstrakter, wie er sich zu Fragen des Heils und der Heiligkeit stellt. Am Anfang des wirksamen Machtstrebens des Gnostikers steht die ständig wiederholte Kritik an den schlechten Zuständen, die er stets in Zusammenhang mit der Obrigkeit bringt. Durch seine Radikalität erzeugt er eine gewisse Exklusivität für sich und die Menschen um ihn herum sprechen ihm ein hohes Maß an „Integrität, Eifer und Heiligkeit“ zu, „denn nur Menschen, die ausnehmend gut sind, könnten sich durch das Böse so tief verletzt fühlen.“ 464 Durch die Projektion jeglichen Missstandes auf die Obrigkeit wird der Unmut der Bevölkerung auf diese gelenkt, selbst wenn es sich schlicht um einen Fehler handelt, der menschlicher Schwäche entspringt. Alle Probleme werden ins Prinzipielle, ins Unendliche gesteigert und die Schuld an diesen mit höchster Bedeutung aufgeladenen Übelständen dem gesellschaftlichen System zugeordnet. Die Abstraktheit und Neuartigkeit dieser Argumentation steigert die Ansicht der breiten Masse, dass die Sicht auf die Zusammenhänge, die sie so nicht erkannt hatten, „ein Beweis für die [. . .] Klugheit“ 465 des Revolutionärs sein müsse. Das System wird so zum totalen Feind, weil es eben die Existenz all der Übel und Missstände garantiert. Nachdem das Angriffsziel identifiziert wurde, wird das dahinter liegende ,End‘-Ziel konstruiert – „eine neue Regierungsform“ 466 als heilsbringende welt-

462 463 464 465 466

Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 187. Ebd., S. 143. Ebd., S. 145. Ebd. Ebd.

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liche Instanz. Weitere unverzichtbare Eckpunkte einer solchen gnostischen Revolution seien eine Heilige Schrift467, die zum einen die assoziativ erzeugbaren Wahrheiten des Puritaners untermauert und zum anderen diese assoziativen Denkbewegungen in einen Zustand der Exklusivität befördert, weil sie scheinbar nur den Auserwählten einsichtig seien. Die Konstruiertheit dieser Wahrheiten geben zum einen dem Außenstehenden das Gefühl des Befremdens, zum anderen aber dem gnostisch Gläubigen das Gefühl der Erwähltheit. Das Gefühl, dass der Selbstadelung folgt, dürfte den Grad an Überzeugung nur noch stärken. So entsteht eine verschworene Gemeinschaft, deren Kommunikation nach außen abnimmt, nach innen jedoch erstarkt. „Ist ein soziales Milieu dieser Art erst einmal organisiert, dann wird es schwer, wenn nicht unmöglich sein, es durch Überredung wieder aufzubrechen.“ 468 Im Fall der Puritaner zitiert Voegelin die Berichte von Richard Hooker, einem Zeitzeugen der puritanischen Revolution. Das gewissermaßen autistische Verhalten zeige sich im Falle der Diskussion mit Außenstehenden. Hooker berichtet Ende des 16. Jahrhunderts von der immer gleichen Reaktion der Puritaner in solchen Fällen. Sie antworteten auf jeden Zweifel stets mit den Worten des Johannes „Wir sind von Gott; wer Gott kennt, hört uns. [. . .] Zeigt man ihnen überzeugend, dass sie Unsinn reden, so wird man die Antwort zu hören bekommen: ,Auch der Apostel Christi wurde für wahnsinnig gehalten.‘“ 469 Die Antworten lassen sich fortsetzen. Voegelin konstatiert: „Kurz, ihre Haltung ist psychologisch unangreifbar und durch Vernunftgründe nicht zu erschüttern.“ 470 Die Puritaner benutzen zwar die Bibel als eine Art heilige Schrift, doch widerspreche ihre Auslegung allen wesentlichen christlichen Überzeugungen der vorangegangenen 1500 Jahre. Der Antriebsmotor der Puritaner war nicht das Wort Gottes, „sondern eine Sache, cause, völlig anderen Ursprungs“.471 Der ständige Verweis auf die Bibel war in der Anfangsphase der gnostischen Revolution als Tarnung nötig, „denn weder konnte damals eine offensichtlich antichristliche Bewegung in der Gesellschaft auf Erfolg hoffen, noch hatte der Gnostizismus sich schon so weit vom Christentum entfernt, dass seine Träger sich der Richtung, in der sie sich bewegten, bewusst geworden wären.“ 472 Gleich467 Voegelin nennt diese Schrift in Ermangelung eines etablierten terminus technicus einen koran. Als den ersten bewusst geschaffenen „gnostischen Koran“ könne man das Werk Calvins bezeichnen. Siehe Ebd., S. 148, Zitat dort. Vorläufer des ,Korans‘ Calvins waren für Voegelin die Werke des Scotus Eriugena, des Dionysius Areopagita und des Joachim von Fiore. Nachfolgende gnostische ,Korane‘ wurden von Diderot und d’Alembert, Comte und Marx verfasst. Letzterem ordnet Voegelin die Werke Lenins und Stalins als „patristische Literatur“ zu. Siehe Ebd. 468 Ebd., S. 146 f. 469 Ebd., S. 147. 470 Ebd. 471 Ebd., S. 148. 472 Ebd.

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wohl war der qualitative Sprung der Puritaner bereits erkennbar, da sich zwei Sinn- und Sprachfelder nun unversöhnlich gegenüberstanden; so unversöhnlich, weil sie in diesen Feldern die Gemeinsamkeiten verloren hatten und so praktisch nicht mehr dem jeweils anderen kommunikabel waren. Gleichwohl kann eine Auseinandersetzung mit gnostischen Schriften die Gemeinschaft der Überzeugten klein halten, wenn die Widersprüche klar genug zu Tage treten oder auch die Gemeinschaft schwach oder die gegnerische Gemeinschaft stark ist. Die Gründe für eine Schwächung der gnostischen Position können vielfältig sein. Aber auch die Erstarkung solcher Positionen findet statt und hat seine Gründe. Einer dieser Gründe ist im Aufbau starker Tabus zu suchen. Wer sich dieser unter dem Tabu befindlichen Instrumente der Argumentation bedient, „wird gesellschaftlich boykottiert, und unter Umständen auch politisch in Verruf geraten. Die Verbotserklärung über die Instrumente der Kritik wurde tatsächlich mit großer Wirkkraft von den gnostischen Bewegungen immer da angewandt, wo sie ein gewisses Maß politischen Erfolges erzielten.“ 473 Im Falle des Puritanismus wurden weite Teile der westlichen Geisteskultur ausgeschaltet, weil er im Gegensatz zur klassischen Philosophie und zur scholastischen Theologie stand. „Tatsächlich war die Zerstörung so tiefgehend, dass die westliche Gesellschaft sich nie völlig von dem Schlag erholt hat.“ 474 Die in gewissem Sinne autistische Position der Puritaner, die eine prinzipielle Unfähigkeit zur Argumentation mit fremden Positionen zur Folge hat, ist „nicht etwa Wahrheitssuche“, sondern „politische Aktion“ 475. Zweifelsohne bleiben die Argumente im biblischen Umfeld. Doch sind sie keineswegs christlicher Provenienz, sondern eine assoziative Benutzung der Bibel als Zitationsquelle, deren Ziel keineswegs die Gottesschau im Sinne der Teilhabe an der Transzendenz ist. „Die biblische Tarnung kann nicht verschleiern, dass hier Gott in den Menschen hineingezogen wird.“ 476 Der puritanische Gnostiker will „hier und jetzt in der Geschichte das Werk Gottes tun“ 477. Dabei geht man davon aus, „dass die neue, verklärte Welt die Übel der alten Welt nicht kennt.“ 478 Wie diese Welt in ihren Einzelheiten aussehen wird, ist nicht in jedem Fall gnostischer Verirrung detailliert ausgeführt. Im Falle des Puritanismus können allerdings bestimmte Quellen herangezogen werden, die einen Einblick in diese zukünftige Welt gestatten. Voegelin bedient sich der sogenannten Queries, die 1649 verfasst wurden. Das joachitische Symbol der Bruderschaft autonomer Personen findet dort eine zeitgenössische Ausgestaltung: „Die Herrschaft des 473 474 475 476 477 478

Ebd., S. 150. Ebd. Ebd., S. 153. Ebd., S. 156. Ebd. Ebd.

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Geistes wird alle weltliche Herrschaft abschaffen einschließlich der Christlichen Amtspersonen Englands.“ 479 Die alte politische Führungsschicht muss ausgeschaltet werden, die Gottlosen, die im Parlament sitzen, können ganz prinzipiell und ohne Möglichkeit zum ausgleichenden Kompromiss nur im Weg sein, wenn „wir neue Himmel und eine neue Erde erwarten [. . .]. Das einzig richtige Vorgehen ist jenes, das ,die endgültige Unterdrückung der Feinde der Gotthörigen‘ bewirkt.“ 480 Es stehen Licht gegen Schatten, Erlösung gegen Verdammung und Wahrheit gegen Lüge kompromisslos nebeneinander. „Wenn die Führer der alten Ordnung nicht freundlich lächelnd den Rückzug antreten, werden sie als Feinde der Gotthörigen beseitigt oder, nach heutigem [1952; C. H.] Sprachgebrauch, liquidiert werden.“ 481 Diese neuen Wahrheitsansprüche waren der auslösende Moment der Bürgerkriege, die weite Teile Europas über ein Jahrhundert prägten. Die Zerstörung, die mit diesen Kriegen einherging, stellte die Frage nach den Bedingungen öffentlicher Ordnung neu. Das Problem „verlangte dringend nach theoretischer Neubehandlung, und diese Aufgabe fand in Thomas Hobbes einen Denker, der ihr gewachsen war.“ 482 Die soziale Wirkkraft dieses Entweder-Oder-Schemas war groß und die Dominanz historisch zumindest für den europäischen Raum neu. Der Puritanismus ist dabei nur ein Beispiel unter vielen, die Voegelin in den Prozess der Immanentisierung einreiht; er ist aber doch ein entscheidendes, weil Thomas Hobbes unter dem Eindruck dieser Bewegung das „Aggregat, das die Komponente radikaler Immanenz in der modernen Politik zum Ausdruck brachte“ 483, entwickelte. Die genauere Betrachtung der Thesen Hobbes’ wurde oben im Zusammenhang mit der Sichtweise von Carl Schmitt geleistet und soll daher nun nicht wiederholt werden. Die Sichtweise Voegelins steht daher hier im Mittelpunkt, die sich in der Ausrichtung und den Grundlagen zwar anders als die Schmitts zeigen wird, aber schließlich doch einen entsprechenden Kern besitzt. Die gnostisch geprägten Puritaner hatten mit ihrem Versuch, die existierende Ordnung zugunsten einer nicht nur göttlich inspirierten Ordnung zu ersetzen, sondern dies durch von Gott ausgewählten (deutlich in der Selbstgewissheit dieser Auserwähltheit) und mit ganz unmittelbaren göttlichen Wahrheiten ausgestatteten Menschen zu erreichen. Es steht eine Wahrheit gegen die andere und der ehemals noch übliche Weg eines evolutionären geschichtlichen Prozesses (Evolution ist hier nicht im Sinne eines stetigen Fortschritts zum Guten ge-

479 480 481 482 483

Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,

S. 158. S. 159. S. 161. S. 191 f.

4.1 Entfremdung und Hybris – der Weg der Moderne

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meint, sondern im Gegensatz zur Revolution) ist zugunsten eines EntwederOder, einer prinzipiellen und qualitativen Wegscheide, einer definitiven und nicht zum Kompromiss taugenden Entscheidung terminiert. Dieses Phänomen akzentuiert die Möglichkeiten des Menschen, die in seiner Sphäre beheimateten Potentiale zur Gestaltung der Welt, in einer neuen Dimension. Die mittelalterlichen Vorstellungen, die das Christentum beherrschten, waren zwar von Auseinandersetzungen und Konflikten, von Blutvergießen und gewaltsamen Feldzügen gegen Ketzerbewegungen geprägt, doch hat die Reformation Kräften zu sozial wirksamer Dominanz verholfen, die ehedem noch als häretisch diskriminiert wurden. Diese Stellung der Häresien ist grundsätzlich neu und hat dabei einen neuen Typus Mensch an entscheidende Positionen gesellschaftlicher Entscheidungsinstanzen gebracht, die nicht zu unterschätzen sind. Dies erkannt zu haben, zeichnet Hobbes aus. Die Unvereinbarkeit der verschiedenen Wahrheitsansprüche neu zu bewerten und somit den nächsten Schritt über die gnostischen Bewegungen des Puritanismus hinaus gemacht zu haben, war die Leistung des Autors des Leviathan. „Im Gegensatz zu den Gnostikern, die eine Gesellschaft nicht für existenzwürdig hielten, wenn ihre Ordnung nicht einen bestimmten Wahrheitstypus repräsentierte, erklärte Hobbes nachdrücklich, dass jede Ordnung gut sei, wenn sie nur die Existenz der Gesellschaft gewährleiste. Um diesem Gedanken Gültigkeit zu verleihen, musste er seine neue Idee vom Menschen schaffen. Die menschliche Natur müsste in der bloßen Existenz ihre Erfüllung finden. Hobbes stellte der gnostischen Immanentisierung des Eschaton, welche die Existenz gefährde, eine radikale Immanenz der Existenz entgegen, die das Eschaton leugnete.“ 484

So hatte Hobbes das erreicht, was bei Schmitt als Entpolitisierung eines Zentralgebietes benannt wird. Indem der öffentliche Sinn der religiösen Wahrheit negiert wurde und ein technisch-praktisch orientierter Staatsapparat aufgebaut wurde, in dem irgendeine Wahrheit eingesetzt wurde, neben der private Kulte und Konfessionen erlaubt waren, solange sie eben privat blieben, verschwand die letzte Ausrichtung auf die Transzendenz. Da aber für Voegelin die Politik den ganzen Menschen „mit allen Zügen seines Wesens von den leiblichen bis zu den geistigen und religiösen“ 485 erfasst, können weder Staat noch Politik diese Aspekte ausscheiden. Die Begierde des Gnostikers, die Welt qualitativ völlig zu verändern, zeigt sich in seiner Radikalität und Unbeirrbarkeit und ist Ausdruck seiner überbordenden libido dominandi. Diese Herrschsucht, die sich aus den menschlichen Sphären erheben wollte, um in pervertierter Weise in die Sphären Gottes einzudringen, hatte Hobbes klar erkannt. Dies erkannt zu haben,

484 485

Ebd., S. 186 f. Voegelin, Politische Religionen, S. 63.

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

„wurde jedoch teuer erkauft. Hobbes diagnostizierte richtig das korrumpierende Element der Leidenschaft in der Religiosität der puritanischen Gnostiker. Aber er interpretierte nicht die Leidenschaft als Quelle der Korruption im Leben des Geistes, sondern das Leben des Geistes als das Extrem der existentiellen Leidenschaft. Er konnte daher die Natur des Menschen nicht von ihrer maximalen Differenzierung durch die Erfahrung der Transzendenz her interpretieren, und vor allem konnte er nicht die Leidenschaft und besonders die Grundleidenschaft der superbia als die stets gegenwärtige Gefahr des Abfalls von der wahren Natur erkennen.“ 486

Mit anderen Worten: Die Entdifferenzierung, die den puritanischen Geist bestimmt hat, ist ein Schritt, der von der Höhe klassisch-philosophischer und mittelalterlich-christlicher Einsicht abfällt und eine Deformierung darstellt. Diese Deformierung hat Hobbes inhaltlich erkannt, aber ihren wirklichen Charakter – den deformierten Charakter – nicht gesehen. Er hat die pervertierende libido dominandi des gnostischen Revolutionärs seiner Zeit zur unveränderlichen menschlichen Natur erklärt, er hat den „Abfall des Menschen von seinem Wesen und von Gott [. . .], zum Wesensmerkmal des Menschen gemacht.“ 487 Erst der Naturzustand des Gnostikers aber kann als Kampf aller gegen aller beschrieben werden. Der nicht deformierte Mensch hat hingegen die Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Der Konzeption von Hobbes „gemäß ist die Natur des Menschen in seinen Leidenschaften zu suchen, während die Gegenstände, auf die sich die Leidenschaften richten, kein legitimer Gegenstand der Untersuchung sind. Das ist die fundamentale Gegenposition zur klassischen und christlichen Ethik.“ 488 Konsequenz aus dieser Haltung ist die Ausscheidung der Inhalte, der Gegenstände der Leidenschaft. Die auf diese Weise inhaltsleeren Aspirationen richten sich auf die Macht an sich. Hobbes setzt daher „an die erste Stelle als allgemeine Neigung der Menschen ein beständiges, ruheloses Begehren von Macht über Macht [. . .], das erst im Tode endet.“ 489 Der Positivismus ist also sowohl bei Schmitt wie auch bei Voegelin eine Folgerung aus dem Denken des Hobbes. Das mit Inhalt gefüllte Streben nach dem Gemeinwohl wird gegen die prinzipiell substanzlose Wehrhaftigkeit gegen das Gemeinübel (summum malum) ersetzt. Die Parteien im konfessionellen Bürgerkrieg glaubten noch, göttliche Inspirationen zu haben, die eine starke Legitimationsbasis für die Unbedingtheit des Kampfes für die eigene Sache darstellte. Diese Inspirationen quasi zu entmachten, musste Hobbes ein enorm tragfähiges Konstrukt gegen die inspirativ begründeten Wahrheitsansprüche setzen. Mit dem Verlust der Transzendenz als Ordnungsquelle, „kann die Inspiration nur durch eine Leidenschaft ausgetrieben werden, die noch stärker ist als der Stolz, ein Paraklet zu 486

Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 187. Eric Voegelin, Religionsersatz. Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit [1960]. In: ders., Der Gottesmord, S. 105–128, hier: S. 120. 488 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 187. 489 Hobbes, zitiert nach ebd., S. 188. 487

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sein, und das ist die Furcht vor dem Tode. Der Tod ist das größte Übel. Wenn das Leben nicht durch die Ausrichtung der Seele auf ein summum bonum geordnet werden kann, muss Ordnung sich auf die Furcht vor dem summum malum gründen.“ 490 Die Abwehrhaltung gegen den Tod, der sich in Hobbes’ Konstruktion als summum malum darstellt, kann nun allerdings nicht gleichgesetzt werden mit der Haltung Voegelins und Schmitts, dem polemos in der Sphäre des Politischen eine Berechtigung einzuräumen. Es wurde oben dargelegt, dass beide neben der aus der polis abgeleiteten Bedeutung der Politik auch den Aspekt der Gegnerschaft als unverzichtbar für eine genauere Umreißung des Begriffes des Politischen betrachten. Es wurde gezeigt, dass die polis der Ort war, in dem sich der Streit – polemos – abspielte. Das eine ist nur mit dem anderen denkbar. Der Leser könnte verleitet sein, nun die Abwehr des Todes bei Hobbes mit der an der Gegnerschaft orientierten Politikauffassung Schmitts und Voegelins gleichzusetzen. Dies würde allerdings einen schweren Kategorienfehler aufdecken. Bei Hobbes ist es die Konstruktion eines riesigen menschengemachten Gewaltverhinderungsapparates, der in einer wie auch immer genauer ausgestalteten Konkretion hauptsächlich eins können muss: Gewalt verhindern. Schmitt und Voegelin verweisen jedoch auf die Gegnerschaft als einer Inspirationsquelle für die Suche nach dem wirklich Anzustrebenden, welches sich als weit komplexer und umfangreicher als der Tod an sich darstellt. Voegelin schreibt vom „immer heller werdenden Licht der Weisheit“, das der Seele den Weg weist. Es ist das Licht, „das auf den Kampf fällt“, der „in dem mühseligen Bemühen, die Kräfte des Bösen aufzuspüren und ihre Natur zu bestimmen“ 491 besteht, das als positive, vielleicht sogar unverzichtbare Qualität die Auseinandersetzung mit dem Bösen so wichtig macht. Bei Hobbes gibt es keine Suche nach der Weisheit, sondern eine Abwehrreaktion gegen Gewalt. Schmitt und Voegelin gewinnen aus der Kampfsituation gegen das Böse auch gleichzeitig eine positive, wirklich bestehende Einsicht in die Natur des Guten. Kurz: besteht Hobbes’ Vorstellung vom Kampf alleine in der Abwehr der Gewalt, so schreiben Schmitt und Voegelin diesem Kampf eine weitere Dimension zu: die Erkenntnis des Bösen befähigt zur Teilhabe an der Weisheit. Schmitt und Voegelin sehen in der Figur Thomas Hobbes zwei Facetten, die sich nur bei erster Betrachtung widersprechen. Zum einen ist er eine wirklich große Gestalt, ein echter Lehrmeister und genialer Analytiker der historischen Situation seiner Zeit. Zum anderen ist er der „geistige Vater des modernen juristischen Positivismus“ 492 und der Schöpfer eines Aggregats an politischen Sym490

Ebd., S. 189. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 86. 492 Carl Schmitt, Die vollendete Reformation. In: ders., Leviathan, S. 137–178, hier: S. 157. 491

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

bolen, „das die Komponente radikaler Immanenz in der modernen Politik zum Ausdruck brachte.“ 493 Auf der einen Seite steht die Anerkennung, auf der anderen Seite die Ahnherrenschaft von modernen Phänomenen, die verurteilt werden. Nun ist die Beurteilung und Einordnung der Lehren von Thomas Hobbes durch Schmitt und Voegelin zum einen kein moralischer Akt, sondern der Versuch, geistesgeschichtliche Bewegungen zu analysieren und zum anderen Hobbes nicht als Begründer, sondern als prominentestes und vielleicht genialstes Sprachrohr einer allgemeinen Bewegung vorzustellen. Schmitt schreibt davon, dass Hobbes den modernen Leviathan „begriffen“ 494 habe. Dies deutet darauf, dass es tatsächlich lediglich etwas zu diagnostizierendes gibt, das Hobbes mit seinem Bild vom Leviathan entwickelt hat. In der Tat nimmt Schmitt Hobbes davor in Schutz, „als der Prophet des Leviathan“ 495 zu gelten. Dieser sei „schon deshalb verrufen und verfemt, weil die meisten viel zu primitiv [seien; C. H.], um einen Diagnostiker von einem Propheten zu unterscheiden.“ 496 Er ist für Schmitt nicht der Konstrukteur einer Neuheit, sondern derjenige, der die Gegenwart auf den Punkt bringt, der die Strömungen und Verhältnisse erkennt und lediglich formuliert. Hobbes hat sowohl den „modernen Leviathan, der in vier Gestalten erscheint, die vierfache Kombination von Gott und Tier und Mensch und Maschine“ als „auch den Umgang mit ihm begriffen“ 497. Zwar fehlt Hobbes eine transzendente Stellung (nicht im Sinne von göttlicher Transzendenz, sondern von außerhalb der zeitgeistabhängigen Logik), von der aus er auf die Geschehnisse seiner Zeit blicken kann, aber aus der immanenten Stellung heraus, die er tatsächlich einnimmt, ist er ein Beobachter mit höchsten Fähigkeiten. Wohl auch für Voegelin stellt sich Hobbes nicht als der große Schöpfer eines Denkens dar, sondern im Wesentlichen als diagnostizierender Beobachter seiner Gegenwart. Der Leviathan ist aus dieser Perspektive auch für Voegelin die angemessene Reaktion auf die Lageanalyse, wenngleich er sich verstärkt den Ursachen der von Hobbes vorgefundenen Lage zuwendet. In der Logik des Zeitalters der konfessionellen Bürgerkriege ist dieser bedeutend und besitzen seine Analysen eine Kraft, die die folgenden Jahrhunderte prägen; aus der Perspektive, die Schmitt und Voegelin einnehmen, wird ihm aber zugleich die unheilvolle Wirkung zugeschrieben werden müssen, den Prozess der Immanentisierung, der als grundsätzlichstes Problem im Hintergrund steht, wohl eher beschleunigt zu haben. Hobbes ist „bereits Aufklärer und Agnostiker“,498 wenngleich sein „Aufklärertum [. . .] noch nicht überheblich ist.“ 499 Sein Werk steht 493 494 495 496 497 498 499

Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 192. Schmitt, Ex Captivitate Salus, S. 66. Ebd., S. 73. Ebd. Ebd., S. 66. Ebd., S. 67. Ebd., S. 68.

4.2 Sinnlosigkeit der Immanenz

165

als eine der wichtigsten Stationen eines Prozesses des Verfalls in der Bewegung der Moderne, die nach Immanenz strebt. Neben Joachim von Fiore gilt er sowohl Voegelin als auch Schmitt als wohl bedeutendste einzelne Figur in diesem Zusammenhang und sei dies nur als Indikator, als Sprachrohr seiner Gegenwart.

4.2 Sinnlosigkeit der Immanenz Schmitt und Voegelin teilen eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber Vorstellungen von voraussehbaren historischen Entwicklungen, gegen Naturgesetzlichkeiten der Geschichte und gegen Fortschrittsprozesse hin zum immer besseren. Gleichzeitig zeichnen beide ein Bild von der Moderne, das nicht nur als ein langer Prozess der Immanentisierung, sondern eben auch als Verfallsgeschichte gedeutet werden kann. Die Abschließung des Ordnungsdenkens in eine innerweltliche Logik, die sich rein diesseitig und menschenbezogen darstellt, ist vor diesem Hintergrund eine Entwicklung von überaus großer Langsamkeit. Teilweise stellt sich der Gang der Enttranszendentalisierung als so zart und zögernd dar, dass Zeugen dieses Prozesses die Bewegungen der Geschichte nicht wahrnehmen können. Das große Bild, das die Jahrhunderte umfasst, ist für beide in seiner Deutlichkeit jedoch kaum zu übersehen. Es wurde oben der Versuch angestellt, mit Joachim von Fiore und Thomas Hobbes die wohl bedeutendsten Wegmarken des Immanentisierungsprozesses vorzustellen. Die Interpretationen Schmitts und Voegelins zeigen das Denken dieser beiden Figuren vor dem Hintergrund ihres eigenen Ordnungsdenkens, das im vorhergehenden Kapitel nachgezeichnet wurde, in gewissem Sinne zugleich als Lautsprecher und Beschleuniger des langsamen Schwundes originären Ordnungsdenkens. Höhepunkt dieser Verfallsgeschichte sind politische Phänomene des 19. und 20. Jahrhunderts, die in Form des Kommunismus, Nationalsozialismus und liberalem Materialismus die Welt und das Denken vollkommen von jeder Metaphysik, von Jenseitigkeit und Transzendenz gelöst und damit zugleich die Gesellschaften in Unordnung gerissen haben. Will man eine Schilderung des Prozesses in der gröbst möglichen Perspektive anstellen, so kann man aus einer von Voegelin herangezogenen platonischen Perspektive auf die Moderne schauen. Er referiert Platon: „Der Mensch findet zwei immerwährende Modelle (paradeigmata) vor, denen er sich annähern kann: die Modelle göttlicher Glückseligkeit oder gottloser Unglückseligkeit.“ 500 Vor diesem Hintergrund kann die Entwicklung der westlichen Zivilisation in drei Schritten gedacht werden, ohne damit in einer Art negativem Drei-Stadiengesetz ein politisches Symbol der Moderne lediglich zu variieren. Auf das echte Ordnungsdenken, das sich im ,Zwischen‘ von Welt und Transzendenz ereignet, 500

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 180.

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4. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Immanentisierung

folgt die Ordnungs- und Sinnsuche in ganz innerweltlichen Sphären, bis schließlich die Sinnlosigkeit der nur-Immanenz offensichtlich wird und die totale Sinnlosigkeit aus postmoderner Perspektive formuliert, Sinn und Ordnung generell negiert werden. Das bereits zitierte Bild George Steiners von einer Postmoderne, die traurig um die Bundeslade tanzt, weil sie sich bewusst ist, dass sie leer vor ihnen steht, kann nur verstanden werden, wenn dabei bedacht wird, dass es die Tänzer selber waren, die die Gesetzestafeln, die in der Lade waren, in einem radikalen Furor zerbrochen und weggeschmissen haben. Auch Schmitt schreibt an verschiedenen Stellen – teilweise in ätzender Aggressivität – von den kommenden Sinnlosigkeiten, die sich als nur allzu verständliche Konsequenz des Menschen bemächtigen, wenn dieser erst festgestellt hat, dass sein Drang zur Immanenz ihn in „verzweifelter Diesseitigkeit“ 501 zurück lässt. Schmitt sieht überall die modernen Fälle der „Ich-Verpanzerung“, der Abschottung von der Welt in „Selbstverpanzerung“ 502. Das Ich, auf das Schmitt hier anspielt, ist dasjenige, das sich in cartesianischer Tradition entwickelte. Im cogito steckt schon ein erster Funke der Immanentisierung, weil das Ich hier den Anfang setzt und den Ausgangspunkt darstellt. Die Präsenz der Konsubstantialität und des Geschaffenseins tritt zurück, vergilbt und verschwindet später ganz. Das Ich, das erst durch sich ergo sum denken kann, hat sowohl Entfremdung vom imago dei als auch die eigene Erhöhung durch den autopoietischen Moment, der im ergo ausgedrückt ist, bereits durchlebt. Das ergo ist der Punkt, der das cogito kausal mit dem sum verbindet und somit eine Existenzberechtigung, den Daseinsgrund in das Ich des Individuums verlagert. Daher ist dieses Ich auch der erklärte Feind Schmitts. Er zitiert Donoso Cortés in diesem Sinne zustimmend: „Le Moi est satanique par sa nature et insociable par son caractère. Dans l’enfer il n’y a pas d’autre pronom que moi.“ 503 Eine andere Facette der Entfremdung von der Welt betont Voegelin in Anspielung auf Heimito von Doderer und Alfred Paris Gütersloh. Er versucht, die Frage zu beantworten, was geschehen kann, wenn die geistige Auseinandersetzung mit der Realität von ihren Erfahrungs- und Ordnungsquellen in der Transzendenz abgeschnitten werden. Das Urteil ist weder in seiner Deutlichkeit noch in seiner Entschiedenheit unmissverständlich: „Wenn die erste Realität, die Ausdruck von geistiger Substanz ist, wegen des Fehlens einer solchen sich nicht entfalten kann, wird an ihrer Stelle eine artifizielle Realität entwickelt, das heißt eine Realität, die zwar Realitätsförmlichkeit hat, aber nicht substantiell vom Geist getragen wird. Wir geraten in den Bereich des geistförmlichen Nicht- oder Anti-Geistes, der auf der Ebene der Politik durch die ideologischen Massenbewegungen repräsentiert wird.“ Doderer, auf den Voegelin sich hier in 501 502 503

Schmitt, Ex Captivitate Salus, S. 44. Ebd., S. 88. Schmitt, Glossarium, 29.9.1947.

4.2 Sinnlosigkeit der Immanenz

167

erster Linie bezieht, hat „den Ursprung der zweiten Realität in der Verweigerung der Apperzeption diagnostiziert. [. . .] Wenn die Verweigerung des Apperzipierens radikal wird, führt sie zu den Phänomenen totaler Welt- und damit Selbstvernichtung“ 504. Von diesem Punkt aus, scheint Sinn und Bedeutung im Individuellen und ein echtes Ordnungsdenken im Darüberhinausgehenden nur noch im Modus des Zehrens von ehemaligen Beständen möglich zu sein. Sowohl Schmitt als auch Voegelin verorten die Entfremdung zuallererst im Drang des modernen Menschen, sich in sich abzuschließen, sich aus sich selbst zu kreieren. Die Folgen sind in beiden Interpretationen unweigerlich die Leere des Nichts, die Zerstörung der Ordnung aus dem fehlgeleiteten Wunsch, Ordnung aus sich selbst heraus zu schaffen, die vorgegebenen Ordnungsstrukturen – die Grammatik der Ordnung, die der Mensch nicht beliebig verändern kann – zu ersetzen durch vermeintliche Ordnungsquellen im Reinmenschlichen.

504 Eric Voegelin, Universität und Öffentlichkeit. Zur Pneumopathologie der deutschen Gesellschaft. In: Wort und Wahrheit 21(1966)2, S. 497–518, hier: S. 506.

5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft In den letzten beiden Kapiteln wurde der Versuch angestellt, in das innere Zentrum des Denkens der beiden Autoren vorzudringen und aus diesem Zentrum heraus die Analyse der wichtigsten Entwicklungsstränge der Moderne nachzuzeichnen. Es hat sich gezeigt, dass die Ordnungsquellen im Transzendenzbezug der Menschen zu finden sind. Außerhalb dieser Gottesschau scheint eine wirkliche Ordnungssuche, wenn sie denn reale Erfahrungen im ,Zwischen‘ meint, nicht möglich zu sein. Die Schritte, die sich in der westlichen Moderne in Richtung einer Transzendenznegierung ereigneten und damit auch einen Verlust an Ordnungskraft darstellen, wie er schwerwiegender kaum sein kann, wurden kursorisch nachgezeichnet und verweisen bei beiden Autoren auf im wesentlichen parallele Punkte. Nach der Erarbeitung von Maßstäben, die geradezu erzwingt, in der Moderne eine defizitäre kulturelle Entwicklung zu sehen, bleibt die Frage, wie auf diese Situation des geistigen Verfalls zu reagieren sei. Wie kann man vor dem Hintergrund transzendentalen Ordnungsdenkens in einer Welt immanenten Denkens handeln? Welche Aufgabe hat derjenige, der sich in einer solchen Situation wiederfindet? Und – an dieser Stelle wichtiger – in welcher Rolle sahen sich Schmitt und Voegelin angesichts einer weitgehend parallelen Diagnose gegenüber der Moderne? Die Fragestellung verweist auf hochkomplexe Aspekte der Wissenschaftstheorie. Wie kann der Wissenschaftler seine Erkenntnisse über die Grenzen des Seminars in die Öffentlichkeit tragen und dort in seinem Sinne zur Genesung des Gemeinwesens beitragen? Es steht also die Frage vom Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis im Raum. Aus welchen Perspektiven und mit welchen Argumenten Schmitt und Voegelin sich dieser im Wissenschaftsbetrieb stets anwesenden Frage stellen, soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. Auffallend war bei der Analyse, die in den letzten Kapiteln angestellt wurde, nicht nur eine große Deckungsgleichheit in der Sache – die Transzendenz als Ordnungsquelle –, sondern auch der große Unterschied in der Form der Darstellung ihres Ordnungsdenkens. Während der eine auf Hunderten von Seiten Ordnungsphänomene aus mehreren Jahrtausenden akribisch nachzeichnet und die Motivlage seiner Studien in philosophisch-anamnetischer Breite darlegt, bleibt der andere in seinen geistesgeschichtlichen Ausführungen hermetisch, esoterisch und schreibt in diesem Sinne nur für Eingeweihte. Einen größeren Unter-

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen

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schied kann es in der Form der Darstellung kaum geben. Diese Diskrepanz in der Art der Vermittlung von Einsichten dürfte – so wird hier zunächst angenommen – einen tieferliegenden Grund besitzen und verweist auf das Selbstverständnis der Autoren, auf ihr Wissenschaftsverständnis, schließlich auf ihre je eigene Art, dort den Zusammenhang von Theorie und Praxis für ihr eigenes Tun genauer zu definieren. Um diesen erheblichen Unterschied in der Darstellung genauer zu betrachten und Gründe für diesen diametralen Gegensatz zu finden, wird die Analyse das Selbstverständnis des Philosophen mit dem des Rechtswissenschaftlers konfrontieren müssen. Diese beiden Figuren – der Philosoph und der Rechtswissenschaftler – dies bleibt hier noch zu betonen, sind jeweils diejenigen Voegelinscher bzw. Schmittscher Prägung. Der Philosoph ist also in diesem Sinne jemand, der seine Ordnungserfahrungen in der Transzendenz macht und dennoch kein Politischer Theologe ist; und der Rechtswissenschaftler ist nicht der angelsächsischer oder rechtspositivistischer Prägung, sondern derjenige, den Schmitt in seinen Schriften umreißt. Wenn vom Verhältnis von Theorie und Praxis die Rede im Zusammenhang mit Carl Schmitt die Rede ist, so ist es nahezu unmöglich, dessen Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime auszusparen. Gleichwohl ist die hier vorliegende Arbeit demgegenüber nicht adäquat angelegt. So verbleibt einzig die Möglichkeit, die Einsichten dieser Analyse auf diese Frage hin zu öffnen und auf sie zu verweisen. Und in der Tat ist es möglich, zumindest einige Akzente hinsichtlich der notwendigen Systematik einer solchen Untersuchung beizutragen, ohne gleichzeitig einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können. Das Verständnis, das Schmitt von der Rechtswissenschaft hat, erlaubt dem Leser einen Blick auf den Zusammenhang von Theorie und Praxis und insbesondere von theoretischem Ordnungsdenken, das Gegenstand der oben gemachten Ausführungen war, und dem Selbstverständnis des Juristen. Auf eine fundierte Analyse darüber hinaus muss im Falle Schmitts ebenso verzichtet werden wie im Falle seines hier relevanten Gegenübers Eric Voegelin.

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen Platon hat in „das Zentrum der Politeia [. . .] das ,Höhlengleichnis‘ mit seinem Aufstieg zur Schau des agathon“ 505 gesetzt. In diesem Mythos von der Höhle und dem Aufstieg des Menschen wird die Rolle des Philosophen näher dargestellt. Platon spricht vom „Aufstieg der Seele aus dem Tag, die [sic] eigentlich Nacht ist [. . .], zum wahren [. . .] Tag, und er benutzt den Begriff beinahe wie einen Fachbegriff für die Definition der ,wahren Philosophie‘.“ 506

505 506

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 82. Ebd., S. 82.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

Die Menschen sitzen in der Höhle gefesselt mit dem Gesicht zu einer Wand, während hinter ihnen ein Feuer brennt. Zwischen ihnen und dem Feuer „ist eine niedrige Mauer, hinter der Personen vorbeigehen, die Kessel, Statuen und Tierfiguren hochhalten, so dass sie über die Mauer ragen.“ 507 Diese Schatten sind es, die die Menschen nun für die Realität, für die Wirklichkeit halten. Die Höhle läuft hinter den Menschen nach oben einer Öffnung zu, die sie jedoch nicht sehen können und auch nicht wahrnehmen. Dann „wird einer der Gefangenen von seinen Fesseln befreit und gezwungen, plötzlich aufzustehen, sich umzudrehen, loszugehen und seine Augen zum Licht zu erheben. Die Erfahrung ist schmerzvoll. Der Feuerschein wird ihn blenden. Und zunächst wird er dazu neigen, die Schatten für die wahre Realität und die realen Objekte für Verzerrungen zu halten.“ Dann wird der Mensch weiter gezerrt, nach oben, zum Ausgang der Höhle. Er muss nun die Welt anschauen und „in das Licht blicken.“ Er gewöhnt sich langsam an die Helle und das Licht, schaut umher und wird der Situation gewahr. Er erkennt die Figuren und schließlich auch, „dass die Sonne der Gebieter der sichtbaren Welt und, in gewissem Sinne, der oberste Schöpfer der Dinge ist, die er in seinem Gefängnis sah.“ Die Rückkehr in die Höhle, an die Wand und vor das Feuer neben die anderen Gefesselten ist ihm zuwider, doch muss er sie gehen; so wie er hinauf gezerrt wurde, so wird er hinabgezwungen. Unten jedoch hatten sie „die Gewohnheit, denjenigen die Ehre zu erweisen, die die Reihenfolge der Schatten am genauesten beobachteten und die, auf Grundlage dieser Beobachtungen, erraten konnten, welche als nächste erscheinen würden.“ Nachdem er die Höhle verlassen hatte und wieder zurückkehren musste, findet er an diesem Spiel keinen Gefallen mehr, es „fällt ihm schwer, sich wieder an die Finsternis zu gewöhnen.“ Er wird dort vor seinen Kameraden ein schlechtes Bild abgeben, da er am Schattenspiel nicht mehr interessiert teilnimmt. „Sie verspotten ihn, weil er beim Aufstieg sein Sehvermögen verloren habe; da erscheint es ihnen besser, gar nicht erst hinaufzusteigen, wenn man in einer solchen Verfassung wieder zurückkehrt. Und wenn er versucht, andere von ihren Ketten zu befreien, legen sie Hand an den Übeltäter und bringen ihn um.“ 508 Die Nähe zum oben nachgezeichneten Voegelinschen Ordnungsdenken ist, so scheint es, sehr groß. „Es ist eine Allegorie für die Erziehung des Philosophen und auch für sein Schicksal in der korrupten Gesellschaft, mit einer abschließenden Anspielung auf Sokrates’ Tod.“ 509 Wenn der Philosoph sich also in einer so prekären Situation befindet, sich tatsächlich der verwirrten und schließlich aggressiv auf der Verwirrung behar507 508 509

Ebd., S. 144, folgende Zitate ebd. Ebd., S. 144 f. Ebd., S. 145.

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen

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renden Masse erwehren muss, wird sein Handeln in der Welt zum einen stark eingeschränkt sein und zum anderen wird er sich genau überlegen müssen, wie er sich in diesem stark eingeschränkten Handlungsraum einrichtet, wie er lebt, wie er die äußeren Umstände so beeinflussen kann, dass ihm ein philosophisches Leben ermöglicht wird und schließlich, ob und wie er die Weisheit und Erkenntnis, die die Früchte seiner besonderen Existenz darstellen, in die Welt tragen kann. Schließlich stellt sich die Frage wie der Philosoph seine Weisheit weitergeben kann und so eine erzieherische Rolle innerhalb eines Gemeinwesens übernehmen kann, deren Wahrheit er negiert. Die Gefahr, die der Rolle des Erziehers innewohnt, wird geradezu paradigmatisch in den Anklagen gegen Sokrates zum Ausdruck gebracht. Die Rolle eines ,Verführers der Jugend‘ ist wohl vollkommen unabhängig von der Zeit und der genaueren Disposition einer Gesellschaft ein stets kontingentes Motiv einer potentiellen Anklage. Voegelin selbst zweifelt nicht daran, dass das platonische Höhlengleichnis in seinem Kern zeitlos ist und somit – in aller Abhängigkeit von zeitgebundenen besonderen Ausprägungen – auch auf seine Zeit und schließlich auf ihn selbst bezogen werden kann. Das Problem des Zusammenhangs von Theorie und Praxis ist grundsätzlichster Natur. Die Frage, warum Politiker nicht einfach Fachleuten aus Ökonomie, Politikwissenschaft und anderen akademischen Spezialisten folgen, wenn es um die Lösung konkreter Problemlagen geht, scheint dabei so überflüssig wie unausrottbar. Die Übertragung wissenschaftlicher Ergebnisse, die in den Laboratorien der Geistes- und Kulturwissenschaftler erzeugt wurden, in eine politische Praxis, deren enorme Vielfalt an Rahmenbedingungen jedes dieser Laboratorien sprengt, ist gerade deshalb nicht möglich, weil es eben keine Laboratorien dieser Art geben kann. Philosophie ist keine Wissenschaft, die sich all jener Methoden bedienen kann, wie sie der Physik oder Chemie zur Verfügung stehen. Nun ist dies eine Binsenweisheit, deren Erwähnung zunächst überflüssig anmuten könnte. Doch liegt in genau diesem Punkt die Schwierigkeit von Theorie und Praxis, wenn es um Politische Philosophie geht. Schon Sokrates und nach und mit ihm Platon widmeten diesem Problem eine Reihe von Überlegungen und Platons Gedanken zum ,Philosophenkönig‘ verweisen auf den Zusammenhang, der hier zur Diskussion steht. Der rein ideelle Charakter dieser platonischen Idee, die ohne Aussicht auf eine geschichtliche Realisierung in der Welt des Geistes verbleibt, ist wohl in der Verschiedenheit der Dimensionen, die auf den jeweiligen Seiten zu finden sind, begründet. Während der König sich mit dem Reich der Kontingenz, mit dem Zufälligen und Unerwarteten zu beschäftigen hat, ist das Reich der Notwendigkeiten das Gebiet des Philosophen. Der Voegelin-Schüler Peter WeberSchäfer hat sich anlässlich der Festschrift zu Ehren des achtzigsten Geburtstags von Eric Voegelin mit diesem Thema intensiver beschäftigt. Er hält eben diese Dimension für die ausschlaggebende im hier besprochenen Zusammenhang. Für

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

ihn sind die „Realitätsfaktoren, die eine Übertragung der guten Polis des Sokrates in die gesellschaftliche Wirklichkeit Athens verhindern, [. . .] nicht akzidenteller Natur, sondern mit der gleichen Notwendigkeit vorhanden wie diejenigen Faktoren der Wissenschaftstheorie, die einen unmittelbaren Schluss vom Notwendigen auf das Kontingente unmöglich machen.“ 510 Im Abschnitt über Politische Theologie wurde bereits erwähnt, dass die Einsichten, die aus einem ins Transzendente verweisenden Ordnungsdenken stammen, keinen Anspruch auf Unbedingtheit in der Welt darstellen können. Aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Menschen, der aus seiner Orientierung auf Gott die Grundlagen seiner Ordnungsvorstellungen für die menschlichen Gemeinschaften zieht, muss der Absolutheitsanspruch dieser Wahrheiten erlöschen. Es war also von einer Pflicht zur Relativierung der konkreten Folgerungen, die sich aus der Gottesschau ergeben haben, die Rede. Weber-Schäfer beleuchtet diesen Aspekt aus einer leicht anderen Perspektive. Die direkte Umsetzung der philosophischen Weisheiten in politische Praxis ist gerade deshalb nicht zu leisten, weil der Mensch diese unermesslich große Welt gar nicht übersieht. Mit anderen Worten: Die Weisheiten des Philosophen sind in der Lage, Notwendigkeiten zu formulieren, die aber bei weitem nicht hinreichend sind, politische Praxis in der Form eines Philosophenkönigtums zu begründen. „Die Transformation der Normen einer im Bereich des Notwendigen angesiedelten philosophischen Wissenschaft in Verhaltensregeln für die Technik des politischen Handelns im kontingenten Bereich des Veränderlichen ist aus der Natur der Wissenschaft heraus unmöglich, und das Modell der zweitbesten Gesellschaft lässt sich nicht deduktiv durch Berücksichtigung und Integration allfälliger Störfaktoren aus dem Paradigma der besten Gesellschaft ableiten. Eine derartige Interpretation verdrängt die Tatsache, dass es nicht um eine Klage darüber geht, dass die sokratische Polis im Athen des vierten Jahrhunderts unrealisierbar ist, sondern darum, dass sie immer und unter allen denkbaren Umständen unrealisierbar ist, ja, dass sie, wäre sie einmal gegründet worden, vom ersten Augenblick ihrer Gründung an, dem Untergang geweiht wäre.“ 511

Eine solche Vorstellung, die Weber-Schäfer hier als wesentlich nicht realisierbar benennt, verweist auf die Darstellung, die oben im Zusammenhang mit dem Antichristen und dem Katechon aus Schmitts Perspektive angestellt worden waren. Dort wurde festgehalten, dass die Überzeugung, einen Weisheits- oder Erleuchtungsgrad erlangt zu haben, der es ermöglicht, eine ideale, eine nur-gute Welt zu erbauen, der Schritt ist, der in die Arme des Antichristen führt. Und ebenso muss nun also aus philosophischer Sicht konstatiert werden, dass die Theorie nur als Grundlage, als Humus einer wohl geordneten polis existieren kann. Auf diesem Humus kann eine Einsicht in die Notwendigkeiten erwach510 Peter Weber-Schäfer, Politik und die Kunst der Überzeugung. In: Opitz/Sebba (Hrsg.), Philosophy of Order, S. 345–358, hier S. 347. 511 Ebd., S. 348.

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen

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sen, eine Nähe zu den theoretischen Einsichten des Philosophen. Eine solche Form der Einsicht ist in diesem Moment eine Art der Legitimitation, wie immer sie artikuliert werden mag. Denn anscheinend „kann sich politisches Handeln, das ja immer Handeln im kontingenten Bereich darstellen muss [. . .] nicht durch Berufung auf die Wahrheit, sondern nur durch die Konsensfähigkeit einer ,wahren Meinung‘ legitimieren.“ 512 Legimitation ist hier auch unabhängig von einer eventuell existierenden Volkssouveränität zu verstehen. Auch die christlichen Gesellschaften des europäischen Mittelalters hatten ihre legitimen politischen Formen. Die Bevölkerung mochte unzufrieden sein mit der Herrschaftsführung des Fürsten, mit den Forderungen, die aus dem Klerus kamen, doch ein grundsätzlicher Zweifel an der Legitimation wird eine große Ausnahme gewesen sein. Die Vorstellung unter einem anderen Fürsten zu leben war sicher nicht ungewöhnlich; ohne einen Fürsten jedoch zu leben war wohl eher eine ungewöhnliche Vorstellung. Trotz der Schwierigkeit, unter Berufung auf die Wahrheit zu regieren, bleibt die Wahrheit, nach der der Philosoph seine Hände ausstreckt, ein wesentliches Element der theoretischen Orientierung einer praktischen Politik. „Keine Meinung, sei ihr Wahrheitsgehalt auch noch so hoch, kann ohne Rekurs auf eine höhere, das heißt: dem Konsens vorausgehende, Instanz Kriterien zur Feststellung ihrer eigenen Wahrheit entwickeln. Normen können aus anderen Normen abgeleitet werden, aber niemals aus Sachverhalten und Tatbeständen. Die Methode der strengen Wissenschaft, der episteme im klassischen Sinne des Wissens um das Notwendige und Unveränderliche, ist der deduktive Beweis der Analytik; die einzige zur Verfügung stehende Argumentationsgrundlage der Technik und Kunstfertigkeit, also des Handelns und Herstellens im kontingenten Bereich, ist der topische Beweis der Plausibilität, der keine letzte, sondern immer nur eine für die Alltagspraxis hinreichende Gewissheit verschaffen kann. Aus dem Allgemeinen als letzter Grundlage der Gewissheit kann nur dann mit normativer Kraft auf das Besondere als Handlungsregel für den Einzelfall geschlossen werden, wenn der Einzelfall bereits vorher als bekannt in die Formulierung der allgemeinen Norm eingegangen ist.“ 513

Insofern die Politische Philosophie das Wissen um das Notwendige und Unveränderliche zum Gegenstand hat, ist sie das Zuchtbecken, aus dem der gesunde junge Fisch in das Reich der politischen Praxis schwimmen muss. Und insofern sie nur Grundlage einer praktischen Arbeit sein kann, ist sie auch eine pädagogische Institution einer gesunden Gesellschaft. „Das Wissenschaftsmodell der philosophischen Politikwissenschaft, wie wir sie seit Platon und Aristoteles kennen, stellt ein pädagogisches Paradigma dar, dessen Intention die Erziehung desjenigen Menschen ist, der den Verhaltenshabitus politischer Tugend als Bürger soweit aktualisiert hat, dass sein politisches Handeln von diesem Habitus bestimmt ist, ohne dass er selbst sein Handeln im Einzelfalle jeweils aus 512 513

Ebd., S. 349. Ebd.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

ersten Normen ableiten müsste. Die Aufgabe des Wissenschaftlers, so will es scheinen, müsste also in der Erziehung des guten Bürgers, nicht in der wissenschaftlichen Beratung von Politikern liegen.“ 514

Wenn also von einer praktischen Relevanz einer Politischen Philosophie die Rede sein kann, dann nur in der Form der geistigen Erziehung sowie in der Ablehnung der Politikberatung, der Kommentierung von alltagspolitischen Vorhaben, selbst in gewisser Weise auch der Distanz zu Beratung in Grundsatzfragen, die nicht bis zu der hier dargelegten Tiefe reichen. Dort, wo sich die Philosophie auf die Politik einlassen kann, geht es um die Frage, wie eine Symbolordnung und in ihr Institutionen geschaffen werden kann, die das Leben des Geistes, die Erziehung zum wirklichen Philosophieren ermöglicht. Es gibt aber keine „logisch abgesicherte Möglichkeit, die im philosophischen Paradigma gewonnenen Erkenntnisse in Normen umzusetzen, die dem Politiker als Handlungsanweisungen für die kontingenten Sachverhalte seines Aufgabenbereichs dienen könnten. Es geht nicht mehr darum, dass die Philosophen wenig Aussicht haben, zu Königen gewählt zu werden, es vielleicht auch gar nicht wollen, sondern die Frage, was der Philosoph eigentlich tun kann, falls er die Macht erringt, wird unbeantwortbar. Die Kluft zwischen Wissenschaft als der Lebensform des Philosophen und Politik als Lebensform der Gesellschaft scheint unüberbrückbar zu werden.“ 515

Die Gefahr lauert für den Philosophen allerdings an beiden Polen seines Daseins – der Nähe auf der einen und der Distanz zur Welt auf der anderen Seite: Denn würde der Philosoph sich „in das allgemeine Handgemenge des ideologischen Streites werfen, täte er dies auf Kosten seiner philosophischen Sache. Um gehört zu werden, müsste er Parteigänger werden und als solcher auf das Richtmaß der Rationalität weitgehend verzichten. Bewahrt er hingegen genügend spirituelle Stärke und philosophisches Bewußtsein, um sich jenseits der Unordnung der Zeit zu stellen, so bleibt er sozial unwirksam bis zu dem Punkt, nicht einmal mehr verstanden zu werden.“ 516

An eben dieser strengen Scheidung lässt sich Voegelins Selbstverständnis verorten. Die Situationen, in denen er sich findet, sind zudem aber nicht nur getragen von der Frage nach dem Modus des Distanzwahrens gegenüber der Politik und dem Bemühen des Pädagogen, das Bewusstsein der Menschen zu schulen. Voegelin sieht sich konfrontiert mit einer Gesellschaft, die nicht nur den Bedarf nach geistiger Führung hat – dies ist in jeder erdenklichen Gesellschaft der Fall. Voegelins Gegenwart befindet sich vielmehr in der radikalen Abwehrhaltung gegen jegliches echte Ordnungsdenken. Unter Geist versteht Voegelin „die Of-

514

Ebd., S. 353. Ebd., S. 352 f. 516 Jürgen Gebhardt, Erfahrung und Wirklichkeit – Anmerkungen zur Politischen Wissenschaft des spirituellen Realismus. In: Opitz/Sebba (Hrsg.), Philosophy of Order, S. 332–344, hier S. 333. 515

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen

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fenheit des Menschen zum göttlichen Grund seiner Existenz; unter Entfremdung vom Geist die Verschließung und die Revolte gegen den Grund.“ 517 Insofern er sich in einer Zeit der innerweltlichen Verschließung der Seele weiß, kann es nicht seine alleinige Aufgabe sein, die ,Offenheit des Menschen‘ zu fördern und zu ermuntern, er muss seiner Gegenwart zunächst verständlich machen, in welcher Situation sie sich befinden. Diejenigen, die sich in der Revolte befinden, wissen gar nicht um ihren Zustand. Gegen diesen Zustand kann sich Voegelin nur ein Mittel denken: Die Revolution gegen eben jene Geistverlassenheit: „Ohne die Revolution des Geistes kommen wir nicht aus der Not der Gegenwart heraus, die Sie in Unruhe versetzt.“ 518 Deutlich wird diese Haltung nicht zuletzt durch seine Gedanken zur so genannten Vergangenheitsbewältigung, mit der er sich in seiner Münchner Zeit auseinandersetzt. Die Auseinandersetzung mit der Epoche des Nationalsozialismus erfährt ihren eigentlichen Wert weder in der historischen Entzifferung der Geschehnisse bis hin zum Fehlverhalten des Individuums, noch darin, dass man in der Nachkriegszeit überall wieder Nazis und Verbrecher gegen die Menschlichkeit wittert. „Er zweifelte generell an der Möglichkeit, den Ursachen des Versagens der Demokratie in Deutschland durch historische und soziologische Analysen der Vorgänge näherzukommen – also die nationalsozialistische Vergangenheit durch ,Zeitgeschichte‘ zu bewältigen.“ 519 Eine Gegenwart, die sich mit einer Vergangenheit auseinandersetzt, die sie ,bewältigen‘ will, lebt in Voegelins Augen „in an unmastered present“ 520. Die Probleme der Gegenwartsbewältigung liegen dabei aber nicht in der Besprechung und oberflächlichen Tilgung vergangenen Übels. Voegelins Gegenwart ist vielmehr immer noch in der Geistesverlassenheit gefangen, die die tiefliegende Ursache der nationalsozialistischen Verwirrung darstellte. Und eben weil sie sich der ,realen Gegenwart‘ (Steiner) genau so wenig stellt, wie es der Nationalsozialismus tat, bleibt eine wie auch immer geartete Vergangenheitsbewältigung frommer und zugleich verirrter Wunsch der Gegenwart. Platon hatte sich in paradigmatischer Weise mit den Sophisten auseinandergesetzt und dabei seine Gegenwart gemeistert und er „highlighted what that present, in the sense of his presence under God, meant. All science of politics begins with this.“521 Die Abwesenheit der transzendentalen Ordnungsdimension macht Voegelin am Beispiel des Nationalsozialismus und dem Umgang mit ihm in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in seiner ganzen Bedeutung deutlich. „Die Geschichte einer geistverlassenen Epoche kann 517

Voegelin, Universität und Öffentlichkeit, S. 500 f. Ebd., S. 498. 519 Hans Maier, EV und die deutsche Politikwissenschaft. In: ders./Peter J. Opitz, EV – Wanderer zwischen den Kontinenten (Occasional Paper XIV des Eric VoegelinArchivs München), München 2000, S. 37–63, hier: S. 55. 520 Voegelin, Hitler and the Germans, S. 70. 521 Ebd., S. 72. 518

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

kritisch nur geschrieben werden, indem man die Ereignisse unter das Urteil des Geistes stellt. Das Miterleben durch Geist und Intellekt, dessen Ausfallen die Ereignisse verursacht hat, muss von denen nachgeholt werden, die heute [1966; C. H.] in der Kontinuität der Geistverlassenheit stehen und unter ihrer Bürde leiden.“ 522 Voegelin wird noch deutlicher in seiner Beschreibung: „Und wenn der Geist als kritische Instanz aus der Betrachtung der Ereignisse ausgeschaltet wird, dann ist Objektivität der Beschreibung schuldhaftes Sympathisieren mit dem Zustand der Geistverlassenheit und Mitschuld an ihren Folgen.“ 523 Mit anderen Worten: Wer sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt, seine Ursachen erkennen will und eine Wiederholung der Ereignisse verhindern will, der darf nicht nur auf die Schrecken hinweisen, dem darf es nicht genügen, ein anderes Modell dagegen zu errichten, wenn es eben den entscheidenden Punkt nicht berücksichtigt: Der Nationalsozialismus – so wie die anderen Massenbewegungen der westlichen Moderne – ist zu aller erst eine Folge der Entfremdung und der Feindschaft gegen den Geist und die Transzendenz. Was Voegelin für Deutschland in einem besonderen Maße sieht, gilt in seinen Augen allerdings zu unterschiedlichen Graden für die gesamte menschliche Geschichte: „This kind of mastering, is a general human problem, not something of the modern era, not something for Germany only, but for everyman: to place the immanent present within the immanent process under the judgement of the presence [under God; C. H.].“ 524 Vor diesem Hintergrund sieht Voegelin seine Aufgabe als Lehrer der Politischen Philosophie keineswegs mit Resignation. Seinen Zugang und seine Einstellung als euphorisch oder auch nur optimistisch zu bezeichnen, würde der Realität allerdings auch nicht gerecht werden. In seiner Aufgabe als Hochschullehrer sieht er durchaus Ansätze und Bewegungen, die ihn bedingt positiv stimmen, eine von ihm eingeforderte ,Revolution des Geistes‘ schrittweise umzusetzen. 1971 berichtet er in einem Brief an Hedda Herwig von seinen Eindrücken an der Münchner Universität: „Die Erziehung junger Menschen war der wichtigste und erfreulichste Teil meiner Tätigkeit in München. Aus der Münchner Erfahrung weiß ich, dass die jungen Leute ansprechbar sind; dass sie Rat und Hilfe in der intellektuellen Konfusion der Zeit suchen und annehmen; dass sie bereit sind schwer zu arbeiten, um das geistige Rüstzeug zu erwerben, dass sie befähigt, dem Druck des ideologischen Irrenhauses, in dem sie alle aufwachsen, Widerstand zu leisten, sobald sie verstanden haben, dass diese Arbeit nötig ist, um die Freiheit und Ordnung ihrer Existenz als Menschen zu gewinnen. Der Erfolg war im besonderen an denen zu bemerken, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet hatte. Sie litten nicht mehr unter theoretischer Hilflosigkeit gegenüber dem aggressiven Ideologieunfug. Ich konnte sie im 522 523 524

Voegelin, Universität und Öffentlichkeit, S. 498. Ebd., S. 499. Voegelin, Hitler and the Germans, S. 71.

5.1 Eric Voegelin und die Rolle des Politischen Philosophen

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Umgang mit Studenten aller ideologischen und temperamentmäßigen Schattierungen beobachten und feststellen, dass sie sachlich Rede und Antwort stehen konnten. Sie verfielen weder dem Stupor der Ideologieerregung, noch machten sie opportunistische Konzessionen, noch waren sie gezwungen dümmliche Allerweltsweisheiten von sich zu geben, weil sie nichts besseres gelernt hatten. Sie konnten Widerstand leisten und selbst zu Helfern werden. Nur diese, ihrer Sache intellektuell sichere, geistige Haltung, die jahrelange Erfahrung erfordert, ein Traeining, das von Platon und Aristoteles bis zu Jaspers und Bergson als die Umkehr, als die Revolution des Bewusstseins verstanden worden ist, kann uns heute helfen.“ 525

Der elenktisch-protreptische Charakter der Aufgabe des Lehrers gegenüber seinen Schülern erweitert sich zu einer Einflussnahme auf die gesamte Gesellschaft. Denn da, wo der Lehrer im kleinen, in den Räumen seines Seminars, die geistige Umkehr der Studenten provoziert und so weit treibt, dass diese sich auf den Weg machen, der auf die Umkehr (periagoge) folgt, so kann sich der Wirkkreis auch ausdehnen. Gebhardt weist in einem Aufsatz von 1981 auf diese Dimension hin, wenn er von den Symbolordnungen schreibt, die eine Zeit sich selbst gibt und schlägt gleichzeitig den Bogen zu dem Punkt, an dem der Philosoph in der Welt der Institutionen den Punkt des Anknüpfens seiner Einsichten an die Praxis finden kann: „Schaffung einer der geistigen Situation angemessenen Symbolordnung, heißt den Logos der gemeinsamen Welt der Wachenden derart zu repräsentieren, dass sich die vielen Schlafenden in ihm erwachend wiedererkennen und wiederfinden, von der privaten Obsession ablassen. Dieses Wiedererkennen und Wiederfinden verlangt nicht, die Gesellschaft in eine Philosophenakademie zu verwandeln, sondern umgekehrt, die paradigmatische Ordnungserfahrung in solcher Gestalt in den öffentlichen Institutionen der politischen Welt zu inkorporieren, dass sie selbstevidente Maxime der gesellschaftlich-politischen Existenz auch der Vielen zu sein vermag.“ 526

Hans Meier berichtet als Zeitzeuge von Voegelins Münchner Zeit, die er als zweiter Professor neben diesem am Institut für Politische Wissenschaft erlebte. Die prononciert kritische Attitüde, die Voegelin nach Maiers Schilderungen an den Tag legte, fügt sich in das Bild eines radikalen Gegners der kontemporären Wissenschaft, die sich in ihrer Innerweltlichkeit in immer wieder neu aufgelegten Selbstreflektionen zu ergehen schien. Die Opposition zu seiner Zunft und einer Reihe seiner Kollegen entspricht auch in ihrer Deutlichkeit den theoretischen Überlegungen, die oben angestellt respektive nachgezeichnet wurden. Schon in seiner Antrittsvorlesung machte Voegelin unmissverständlich klar, wie er sich zu positionieren gedachte. Er skizzierte „das Bild einer neuen Wissenschaft der Politik, die zugleich die älteste war und auf aristotelischen Fundamenten stand; er unterwarf die moderne Wissenschaftsentwicklung seit Descartes und Hobbes einer schonungslosen Kritik; er verurteilte den Ver525 Eric Voegelin, Brief an Hedda Herwig vom 13.12.1971, zitiert nach Maier, Eric Voegelin und die deutsche Politikwissenschaft, S. 61 f. 526 Gebhardt, Erfahrung und Wirklichkeit, S. 338.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

rat der Intellektuellen, den Eskapismus der Wissenschaft vor ihren Ordnungsaufgaben in der Gesellschaft; und er gab der Wissenschafts- und Politikkritik ein neues Stichwort mit der herausfordernden These, moderne Bewegungen wie Marxismus, Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus seien ,gnostische Massenbewegungen‘ aus der wilden Wurzel eines versehrten, krankgewordenen Christentums.“ 527

Voegelins Positionierung war für viele nur in einer Hinsicht klar, nämlich wogegen dieser sich wendete. Das neue Verständnis von Wissenschaft, das Voegelin vertrat, war hingegen weniger klar, und viele von denen, die sich Voegelins Thesen ausgesetzt und durch sie kritisiert sahen, begriffen erst allmählich, wohin dessen Denkbewegungen führten. Er hatte nach Maiers Darstellung „ein so forderndes Auftreten, eine so dezidierte Art, seinen Standpunkt zu vertreten, dass seine Wortmeldungen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit oft verwunderte und empörte Reaktionen auslösten.“ 528 „Wenn er bei den Tagungen der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft flüchtig auftauchte, wusste man fast immer, was bevorstand: ein intellektuelles Feuerwerk von fast einschüchternder Brillanz und eine Provokation der ,Andersgläubigen‘ voller Verve und Aggressivität, meist nahe dem Skandal.“ 529 Zweifelsfrei dürften die Hintergründe solch eines persönlichen Auftretens nicht zuletzt in einer charakterlichen Disposition Voegelins zu finden sein. Gleichzeitig aber unterstreicht diese persönliche Bereitschaft zur substantiellen Auseinandersetzung, dass er ein ganz ernstes Anliegen hatte. Er hielt die zeitgenössische Wissenschaft tatsächlich für verblendet und irregeleitet. Wertungen solcher Art waren nicht nur Metaphern, sondern drücken das tiefe und ernste Anliegen Voegelins aus, seine Gegenwart in gewissem Sinne zu therapieren, eben weil sie einer Therapie unbedingt bedarf. Die Hoffnung galt – wie gesehen – seinen Studenten. In ihnen wollte er die Fähigkeit zur Offenheit gegenüber ,dem Grund der Existenz‘ wachrufen und sie ermuntern, sich gegen eine gleichsam feindliche Welt zu behaupten. Auf diese Funktion war so auch seine Lehrerschaft beschränkt. Er war sich dieser Beschränktheit durchaus bewusst: „Das Sehvermögen [. . .], das einen Menschen befähigt, das agathon zu sehen, muss in der Seele existieren, so wie ein Mensch Augen haben muss, um zu sehen [. . .]. Der Erzieher kann nicht mehr tun, als dieses Sehvermögen, wenn es in der Seele eines Menschen existiert, von dem Reich des Werdens auf das Sein und den hellsten Seinsbereich umzulenken.“ 530 Eingedenk der engen Grenzen, in denen sich die Möglichkeiten seines Wirkens bewegen mussten, blieb Raum, darüber hinaus zu weisen und festzustellen, dass man von historischen Momenten weiß, „as in the case of Plato, that the theorist 527 528 529 530

Maier, Eric Voegelin und die deutsche Politikwissenschaft, S. 40. Ebd., S. 49. Ebd., S. 40 f. Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 145.

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen

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did not tell all he knew, and we may safely assume that the most important results of political theory never have, and never will, become known except to the more or less happy few.“ 531 Ob dieser Gedanke nur der Beschreibung eines arcanum dient, oder darüber hinaus gar auf eine Neigung zur Selbstmystifizierung verweist, darf hier unkommentiert bleiben. Prozesse, die Voegelin Anlass gaben, positiv in die Zukunft zu schauen, waren „zweifellos im Gang – aber der Gang gleicht einem schneckenhaften Schleichen.“ 532 Der Anteil des Einzelnen daran ist recht gering und obwohl weder sein Anspruch, eine neue Wissenschaft der Politik zu begründen, noch sein oben dargestelltes persönliches Auftreten Anlass dazu gibt, von einer überbordenden Bescheidenheit sprechen zu können, zeigt Voegelin sich doch zurückhaltend, wenn es inhaltlich um die Encadrierung seiner Möglichkeiten geht. Ausdruck findet diese Zurückhaltung in einem Vortrag, den er 1966 an der Münchner Universität im Rahmen einer Vortragsreihe über die deutsche Universität im Dritten Reich hielt: „Da der Kern des Übels ein pneumopathischer Zustand des Bewusstseins ist, würden die ersten Schritte zur Heilung des Bewusstmachens des Übels und seine öffentliche Diskussion zu sein haben. Dem Bewusstmachen des Übels durch seine Diagnose will dieser Vortrag dienen. Mehr kann der Einzelne nicht tun.“ 533 Er schließt seinen Vortrag mit drei Versen aus Hesekiel 33 (7–9): Was aber dich angeht, Sohn des Menschen, so habe ich dich bestellt / zum Wächter für das Haus Israel: / Wenn du ein Wort hörst von meinem Mund, dann sollst du sie warnen von mir. / Wenn ich zum Frevler sage: Du Frevler, sterben sollst du, sollst sterben – / Und du sprichst nicht, den Frevler zu warnen von seinem Weg – / Dann wird der Frevler sterben für sein Unrecht – / Aber sein Blut werde ich fordern von deiner Hand. / Wenn du aber den Frevler gewarnt hast, zu wenden von seinem Weg – / Und er wendet sich nicht von seinem Weg – / Dann soll er sterben für sein Unrecht – / Du aber hast deine Seele gerettet.

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen Die Frage nach dem Zusammenspiel von Theorie und Praxis bei Carl Schmitt ist zu aller erst eine Frage nach dem Verhältnis von politisch-theologischem Ordnungsdenken und Rechtswissenschaft respektive der Rolle des Rechtswissenschaftlers. Während das Ordnungsdenken transzendenter Orientierung eine im Wesentlichen abstrakte Denkbewegung ist, stellt sich die Rechtswissenschaft,

531 Eric Voegelin, Introduction to History of Political Ideas, earliest known holograph prepared in spring 1940. In: Collected Works 19, Appendix A, S. 225–237, hier S. 233. 532 Voegelin, Universität und Öffentlichkeit, S. 518. 533 Ebd.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

wie Schmitt sie versteht, ganz anders dar. Er versteht sich selbst als wissenschaftlich tätiger Jurist: „Ich bin Theoretiker, reiner Wissenschaftler und nichts als Gelehrter [. . .] Der Gegenstand meiner wissenschaftlichen Betrachtung und Beobachtung ist das konkrete, lebendige Recht des Volkes, dem ich angehöre. Die Art von Recht und Gesetz, mit der ich zu tun habe, ist im höchsten geistigen Sinne immer gegenwärtig und gehört so unmittelbar zum Leben jedes Volkes, wie seine Sprache, sein Glaube, sein konkretes politisches Schicksal.“ 534

Diese Aussage Schmitts verweist auf eine konkrete Gegensätzlichkeit, die in der Rechtswissenschaft aufgehoben ist. Gewissermaßen sind es zwei Pole, zwischen denen Schmitt die Rechtswissenschaft sieht und die beide eine Gefahr für die Existenz der rechtswissenschaftlichen Fakultät darstellen. Auf der einen Seite wird sie von der Theologie und der Metaphysik begrenzt, auf der anderen Seite kommt sie mit der ,nur-Normwissenschaft‘ in Berührung: „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft ist nämlich, wenn wir sie in ihren großen, die Jahrhunderte umfassenden Horizonten sehen, immer durch zwei Gegensätze bestimmt gewesen, den der Rechtswissenschaft zur Theologie, Metaphysik und Philosophie auf der einen und zu einer bloß technischen Normenkunde auf der anderen Seite.“ 535 Die beiden Pole sind gewissermaßen zwei Gräben, die das Feld der Rechtswissenschaft umgeben und in die der Jurist sich nicht hineinfallen lassen darf, will er denn das Spezifische erhalten. Über eine Reihe von Jahrhunderten hinweg war es die metaphysische Welt, von der die Rechtswissenschaft sich im 12./13. Jahrhunderte löste und emanzipierte, die als Bedrohung der Eigenständigkeit auf sie einwirkte. In Schmitts Gegenwart ist die Rechtswissenschaft – und hier schließt sich mit Blick auf Kapitel II ein Kreis – vielmehr vom Rechtspositivismus in der gegenwärtigen Version einer puren juristizierenden Sozialtechnik bedroht. Der Kampf gegen Apologeten des „Positivismus der bloßen Setzung von Setzungen, der bloßen Sollensregel“ 536 ist der im 20. Jahrhundert vorrangige. In Referenz an Savigny zeigt Schmitt die Position der Rechtswissenschaft zwischen diesen beiden sie gefährdenden Polen. „Im Kampf mit der Theologie und in Absetzung von den theologischen Fakultäten hat sich die europäische Rechtslehre seit dem 12. Jahrhundert als selbständige Rechtswissenschaft entwickelt. Gegen diese Seite verteidigt Savigny die Rechtswissenschaft, indem er die im philosophischen Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts säkularisierte Theologie, wie auch das System der Philosophie Hegels als eine Gefahr für die innere Autonomie der Rechtswissenschaft erkennt. Zugleich aber hat er auf der anderen Seite den Positivismus [. . .], als einen wissenschaftsfeindlichen Faktor bekämpft, und die Gefahr des Gesetzespositivismus der napoleonischen Kodi534 Schmitt in einem Rundfunkinterview, aufgenommen am 30. Januar 1933. Zitiert nach Paul Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin 1993, S. 253. 535 Schmitt, Lage der europäischen Rechtswissenschaft, S. 420. 536 Ebd., S. 421.

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen

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fikation erkannt. Beiden hält er den ,Positivismus der historischen Quelle‘ entgegen, um die Rechtswissenschaft sowohl vor bloßer Philosophie wie auch vor ,bloßem Handwerk‘ zu retten. In der Selbstauslieferung an Theologie und Philosophie würde die Rechtswissenschaft aufhören, in spezifischer Weise eine eigene, autonome Wissenschaft zu sein; sie würde in anderen Fakultäten aufgehen und das Ergebnis eines halben Jahrtausend preisgeben. Sie wäre dann nicht mehr ,positiv‘ in einem geschichtlichen, ihre Eigenart bestimmenden Sinn dieses vieldeutigen, auch von Savigny gern gebrauchten Wortes. In der Unterwerfung unter die bloße Legalität eines nur gesetzten Sollens würde sie ihre Würde als Wissenschaft überhaupt verlieren und zu dem nicht einmal mehr besonders nützlichen Instrument eines technischen Prothesen-Betriebes herabsinken, der die Erde als tabula rasa einer raum- und rechtlosen Planung behandelt. [. . .] Sie würde nicht mehr an eine Universität gehören, vorausgesetzt, dass diese Institution den Sinn bewahrt, der ihr als einer konkreten Ordnung europäischen Geistesleben geschichtlich zukommt.“ 537

Schmitt macht deutlich, dass die Rechtswissenschaft sich in einem schwebenden Zustand befindet, der den inneren Kern des Selbstverständnisses der Juristerei berührt. Zwischen pulsierenden Größen bewegt sie sich als eigenständiges Denken, das aus beiden Größen ihre Erkenntnisse und Mittel zieht, aber weder zu der einen noch zu der anderen gehört. Der Versuch, diese Position der Juristen klarer zu umreißen, muss daher in einer Perspektive münden, die sie zwischen der typologischen, abstrakten und Notwendigkeiten formulierenden Größe Metaphysik und der individuellen, konkreten und aus Kontingentem bestehenden Welt von Gesellschaft und Politik verortet. Schmitt sieht sich mit zwei Dingen konfrontiert, die jenseits seines Ordnungsdenkens Teil der kontingenten Welt sind: Verfassung und Verfassungsgesetz. Der Rechtswissenschaftler hat einige Gegenstände, mit denen er arbeiten muss. Das sind zum einen nichtpositive Elemente des Rechts wie Geschichte und Soziologie eines Volkes. Zum anderen ist dort das positive Recht, das der Rechtswissenschaftler in Form der Gesetzestexte in der Hand hält, das von der Legislative zum Recht gemacht wurde und das nun der Einfügung in den Rechtszusammenhang durch die Feder des Juristen harrt. Hinter all diesen Gegenständen mag der Rechtswissenschaftler ein Ordnungsdenken wie das Carl Schmitts pflegen oder nicht. Es steht zunächst in keinem direkten Kausal- oder Bedingungsverhältnis zur Verfassung und zum Verfassungsgesetz. So gehört der Jurist in die Sphäre der politischen Realität, nicht in das Reich des Theoretikers im Sinne Voegelins (Schmitt sagt – wie oben angeführt – von sich selbst, er sei ,Theoretiker‘). Der Rechtswissenschaftler lebt in Kontakt mit den Rechtsgefügen seiner Gegenwart, in Teilen tradiert durch die Geschichte und in anderen aufgestellt in der Gegenwart. Das Jetzt ist der Raum, in dem der Rechtswissenschaftler sich stellt und das Jetzt ist zu verstehen durch das Gestern sowie durch den Willen und die Zwänge des Heute. Das Ordnungsdenken, von dem Schmitt 537

Ebd., S. 420 f.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

im Hintergrund nie losgelassen wird, hat weder das Gestern noch das Heute zum Gegenstand, sondern ist ein überzeitliches, insofern es sich auf dem ,Blitz der Ewigkeit in die Zeit‘ gründet. Das transzendental-theologische Denkfundament seiner Politischen Theologie ist ein Bezugsrahmen mit Ewigkeitsanspruch. Die Materie jedoch, die der Rechtswissenschaftler Schmitt in seinen Händen hält, ist Ausgeburt der Zeit, des saeculum. So scheint sich hier ein Graben aufzutun, der zwei unvereinbare Dimensionen von einander scheidet und so auch das Subjekt dieses Denkens durchaus in eine fundamentale Uneindeutigkeit zwingt. In seinen Thesen und Werken überwiegen die Signale, die der Jurist ausgibt, doch die Zeichen, die der Leser leicht als esoterisches Störfeuer deuten kann, sind Produkt der Beschäftigung Schmitts mit dieser anderen Dimension, die er in die Welt der Politik hineinziehen will. Ein großer Teil der Missverständnisse, an denen die Schmitt-Exegese wohl nicht arm ist, dürfte vor diesem Hintergrund klarer werden. Schmitt verteidigt die Eigenständigkeit der Rechtswissenschaften, weil er eine besondere Würde, vor allem aber eine besondere Aufgabe der Juristen sieht. „Nach beiden Seiten hin bleiben wir Wissenschaft und Jurisprudenz. Das ist die Wirklichkeit unserer geistigen Existenz, die wir uns nicht von außen durch methodologische, psychologische oder allgemein philosophische Kategorien zerreden lassen. Denn wir erfüllen eine Aufgabe, die keine andere Form oder Methode menschlicher Betätigung uns abnehmen kann. Wir können uns die wechselnden Machthaber und Regime nicht nach unserem Geschmack aussuchen, aber wir wahren in der wechselnden Situation die Grundlage eines rationalen Mensch-Seins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann. Zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende, auf gegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung der Person; Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen; Sinn für Reziprozität und für das Minimum eines geordneten Verfahrens, einen due process of law, ohne den es kein Recht gibt. Darin, dass wir diesen unzerstörbaren Kern allen Rechts gegenüber allen zersetzenden Setzungen wahren, liegt die Würde, die in unsere Hand gegeben ist, heute in Europa mehr als zu irgendeiner anderen Zeit und in irgendeinem anderen Teil der Erde.“ 538

Dass diese Zeilen gegen Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland geschrieben wurden, wird auch den geneigten Leser aufhorchen lassen. Dass sich mit Schmitt hier ein Jurist aller ersten Ranges auftut, er und seine Zunft wahrten den ,unzerstörbaren Kern allen Rechts gegenüber allen zersetzenden Setzungen‘ (s. o.), ist wohl überaus erschreckend, weil es 1942 geschrieben ist. Doch darf über dies Erschrecken nicht der Kern der Sache verdeckt werden. Schmitt sieht die spezifische Aufgabe des Juristen tatsächlich darin, die Funktionsweisen und das Rechtsgeschehen innerhalb des Staates 538 Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, S. 422 f. (Nachtrag von 1957/58).

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen

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(schließlich auch international im Völkerrecht) mit einer besonderen Dimension zu umkleiden und den Staat dadurch einzuhegen. Dass die juristische Zunft in einem entscheidenden historischen Moment dieser Rolle nicht genügte, in Teilen gar katastrophal versagte, negiert diese spezifische Aufgabe des Juristen nur dann, wenn eine Position beschrieben werden kann, von der aus der Jurist vor der Gefahr des Versagens vor der Geschichte qua Rollendefinition gefeit wäre. Diese Position ist nicht ersichtlich. Die Selbstsicht Schmitts als Jurist sollte daher auf jeden Fall ernst genommen werden. Der Blick auf die spezifische Aufgabe muss allerdings noch geschärft werden, da sie bis jetzt noch als abstractum im Raume steht. Insofern unter Ethos das ,gewordene Sein‘ verstanden wird, wird mit ,Ethik‘ der besondere Umgang mit dem gewordenen Sein benannt. Dabei steht dieses ,gewordene Sein‘ als Gesamthaltung der moralischen Grundsätze inhaltlich ohne nähere Bestimmung. Jeder Mensch kann ein Ethos für sich in Anspruch nehmen, ohne die Bedeutung des Wortes zu verwischen. Wenn also von Ethik die Rede ist, so bedarf es einer zusätzlichen Qualifizierung, um inhaltlich etwas Genaueres zu benennen. So heißt es denn auch christliche, bürgerliche, sozialistische oder humanistische Ethik, wenn eine inhaltliche Bestimmung angestrebt ist. Diese Ethik ist immer getragen von etwas nicht oder nicht nur Koinzidentem oder Okkasionellem und ist daher ,geworden‘. So wie die römische Liturgie vor dem Zweiten Vaticanum immer als gewachsene, nicht als gemachte Liturgie verstanden wurde, obschon es natürlich Menschen waren, die ihre Formen festlegten und sich dann daran orientierend der Ausführung der Liturgie widmeten, so ist auch das Recht in Schmitts Augen mit einer besonderen Würde verliehen, weil es eben den Ethos der europäischen Kultur durch die Jahrhunderte trägt und in seiner Gesamtheit mehr als die Summe der einzelnen Bestandteile und der jeweiligen Zeitströmungen darstellt. Diese Gegenüberstellung von ,gewachsen‘ (oder ,geworden‘) auf der einen und ,gemacht‘ auf der anderen Seite verweist darüber hinaus auf die in einem anderen Kapitel angesprochene Auseinandersetzung mit Hans Blumenberg. Schmitt hatte sein Essay Politische Theologie in der These gipfeln lassen, dass alle juristischen Begriffe säkularisierte theologische Begriffe seien. In Abgrenzung zu einer auch von Blumenberg vertretenen These, ist das Recht (und die Philosophie) nichts vollkommen Neues, vom Menschen Geschaffenes, sondern besitzt auch seine systematische Herkunft aus älteren Paradigmen. Ein völlig neu geschaffenes Recht, ein vom Menschen aus dem Nichts geschaffenes Recht, verliert in dieser Blumenbergschen Wendung nicht nur seine Würde, sondern eine ganz besondere Qualität, die ihm durch die lange Prüfung der Jahrhunderte zukommt. Wenn Carl Schmitt nun für die Rechtswissenschaft in Anspruch nimmt, sie wahre ,die Grundlage eines rationalen Mensch-Seins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann‘ und angibt, ,zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende, auf gegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

der Person; Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen; Sinn für Reziprozität und für das Minimum eines geordneten Verfahrens, einen due process of law, ohne den es kein Recht gibt‘ (s. o.), so kann dieser Anspruch auf die kurzen Überlegungen zum Begriff der Ethik bezogen werden. Insofern nämlich Politik und Gesellschaft und mit ihnen das Staatsgefüge einer unaufhörlichen Dynamik unterworfen sind, bedürfen sie eines Agenten, der innerhalb des Staates institutionell verankert ist und gewisse Prinzipien wahrt, damit sie in der Dynamik des Täglichen nicht untergehen. Dem Veränderungswillen der Moderne setzt Schmitt die Rechtswissenschaft als Aufhalter entgegen. Und insofern die Rechtswissenschaft die Aufgabe hat, innerhalb des Staates die oben genannten Prinzipien zu wahren und zu pflegen, ist sie eine Trägerin der europäischen Ethik, des ,europäischen Geistes‘ innerhalb des staatlichen Institutionengefüges. Hier läßt sich die Anbindung vom oben analysierten Ordnungsdenken an die Rechtswissenschaft finden. Für Schmitt ist die Rechtswissenschaft „das erstgeborene Kind des modernen europäischen Geistes, des neuzeitlichen ,occidentalen Rationalismus‘. Erst später sind die modernen Naturwissenschaften ihr gefolgt. Die ersten Bahnbrecher dieses Rationalismus waren die Legisten, große Revolutionäre, die denn auch das Schicksal der echten Revolutionäre erfahren haben. Im 12. und 13. Jahrhundert ist in einer Wiedergeburt des römischen Rechts in den Städten Nord- und Mittelitaliens die ,Glosse‘ zum Corpus juris entstanden, in chaotischen Zeiten, die keineswegs dem Sekuritätsideal des 19. Jahrhunderts entsprachen, die aber gerade dadurch den Menschen die Unentbehrlichkeit einer aus wissenschaftlichen Quellen sich nährenden Rechtswissenschaft zum Bewußtsein brachten.“ 539

Ein Staat, der der Rechtswissenschaft diesen Raum nicht mehr zur Verfügung stellt, oder innerhalb dessen sich die Rechtswissenschaft selbst auf einen Pol zurückzieht, droht vollkommen zu entgrenzen. Es ist an anderer Stelle bereits angeklungen, dass das Recht – weise und behutsam ausgelegt – katechontische Funktionen besitzt. Aufhalterisch wirkt es deshalb, weil es in der Sphäre des Staates das Kontingente, Alltägliche der Politik mit der Dimension des Zeitlosen verbindet und somit die dynamischen Kräfte zügelt. Das katechontische Denken im Besonderen und das christlich-katholische Denken im Allgemeinen ist der große Bezugsrahmen einer Ethik, die Schmitt durch seine besondere Auslegungen als Rechtswissenschaftler in die Sphäre des Politischen tragen will. Die Existenz der kontingenten Welt, mit der er konfrontiert ist, begründet bereits deren eigene Relevanz für Schmitts Denken. Hier wird ein Aspekt des Existentialismus offensichtlich, doch eben nicht mehr, weil die pure Existenz durch den Rechtswissenschaftler Schmitt mit dem europäischen Geist transzendenter Herkunft konfrontiert wird – und dies idealer Weise innerhalb des staatlichen Institutionengefüges. 539

Ebd., S. 420.

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen

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Die Präsenz der beiden Sphären in Schmitts Sichtweise der Rechtswissenschaft ist nicht nur theoretisch bedeutsam. Noack macht auf die biographischen Aspekte dieses Verhältnisses von Theorie und Praxis aufmerksam: „Was Schmitts Position vor 1933 von der anderer Intellektueller unterschied, war seine Verflechtung mit dem Berliner politischen Milieu, zuerst auf einer eher gesellschaftlichen, seit 1931 zunehmend auch auf einer funktional-politischen Basis. Diese erstreckte sich auf Parteien, politische Zirkel und die Publizistik. Diese Verflechtung hat er in die frühen Jahre des Dritten Reiches mit hineingenommen.“ 540 Diese Verflechtungen hatten – dies ist bekannt – dramatische Folgen. Da die Rechtswissenschaft zum einen dem europäischen Geist und den damit verbundenen Prinzipien verbunden ist (es bleiben unendlich viele Möglichkeiten, diese Dimension auszulegen und zu interpretieren – Schmitt interpretiert diesen Geist katechontisch), zum anderen aber in die Sphäre des Politischen hineinragt, ist sie anfällig für die Korruption des Geistes. Die beiden Pole sind historisch pulsierende Größen und gefährden die Gewichtung der Elemente innerhalb des Rechts. Wie weit kann eine Rechtswissenschaft den europäischen Geist wahren, wenn die politischen Akteure sich weit jenseits den entsprechenden Prinzipien bewegen? Wird die Rechtswissenschaft nicht zum Komplizen dessen, der die Entgrenzung vertritt und vorantreibt, wenn er weiter innerhalb des zunehmend entgrenzten Staates tätig ist? Was, wenn sie in Anbiederung an die Machthaber selber Teil des Entgrenzungsprozess wird? Sicher kann es durchaus berechtigt sein, Einhalt gebieten zu wollen, zu zügeln und die Dynamik des (tages-)politischen Geschehens mit den Grundsätzen der europäischen Zivilisation zu konfrontieren. Aber doch scheint es, dass die Rechtswissenschaft dann am Ende sein dürfte, wenn sie sich selbst den Raum, dies zu tun, genommen hat oder wenn ihr dieser genommen wurde. Der Anspruch, Hitler zu zügeln, kann sowohl als naiv als auch der Hybris entsprungen betrachtet werden. Für Schmitt schien dieser Anspruch aber zumindest in einem kürzeren Zeitraum durchaus zu gelten. 1947 gab er in einer Befragung in Nürnberg eben dies zu Protokoll: „,Ich war von 1933 bis 1936 Leiter der Fachgruppe. Ich fühlte mich damals überlegen. Ich wollte dem Wort Nationalsozialismus von mir einen Sinn geben.‘ Frage: ,Hitler hatte einen Nationalsozialismus und Sie hatten einen Nationalsozialismus?‘ Schmitt: ,Ich fühlte mich ihm überlegen.‘ Frage: ,Sie fühlten sich Adolf Hitler überlegen?‘ Schmitt: ,Geistig unendlich. Er war mir so uninteressant, dass ich gar nicht darüber sprechen will.‘ Frage: ,Wann haben Sie dem Teufel abgeschworen?‘ Schmitt: ,1936.‘ Frage: ,Schämen Sie sich, dass Sie damals [1933] derartige Dinge geschrieben haben?‘ Schmitt: ,Heute selbstverständlich. Ich finde es nicht richtig, in dieser Blamage, die wir da erlitten haben, noch herumzuwühlen.‘ Frage: ,Ich will nicht herumwühlen.‘ Schmitt: ,Es ist schauerlich, sicherlich. Es gibt kein Wort darüber zu reden.‘“ 541 540

Noack, Carl Schmitt, S. 210.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

Wie Schmitts Entsagung zu bewerten ist, soll hier offen bleiben, dazu müssten weitere Betrachtungen herangezogen werden. Wichtig an dieser Stelle ist für die vorliegende Untersuchung Schmitts eigene Interpretation, seine juristische Uraufgabe zu erfüllen. Diese von ihm selbst formulierte Kernaufgabe bestand in der Tradierung des ,europäischen Geistes‘ durch die Rechtswissenschaft. Sein Versagen passt in diesem Sinne zu der ambivalent einzuschätzenden Rolle des juristischen Akteurs – wie viel Einfluss kann er haben und wann muss er sich abwenden von den staatlichen Akteuren, weil seine eigentliche Rolle nicht mehr tragbar ist, er vielmehr ein Regime legitimiert, das sich bereits weit in die Entgrenzungen bewegt hat? Die moralische Aufgabe eines jeden Juristen dürfte es wohl dabei sein, den Moment zu erkennen, an dem er nicht mehr als das Feigenblatt der Entgrenzung ist, an dem die Wahrung der Prinzipien des europäischen Geistes pervertiert werden oder gar bereits sind. Auch eine geistesgeschichtliche Untersuchung wie die vorliegende, kann sich dem Blick auf das innere Verhältnis von Ordnungsdenken und rechtswissenschaftlichem Selbstverständnis nicht entziehen. Gleichwohl können hier die juristischen Texte Schmitts weder in noch pars pro toto nachgezeichnet und ausgelegt werden. Es verbleibt eine theoretische Eingrenzung des Zusammenspiels von Ordnungsdenken und Rechtswissenschaft, die auf die Fragen des Verhältnisses von Theorie und Praxis begrenzt ist. Die Existenz der Rechtswissenschaft zwischen den beiden Polen Metaphysik und Normwissenschaft positivistischer Prägung beinhaltet beide Aspekte, ohne mit dem einen oder anderen je identisch werden zu können. Der nur-Normwissenschaftler wäre in diesem Sinne haltlos gegenüber allem, was das Koinzidente überschreitet. Die Abhängigkeit vom politischen Umstand wäre größer kaum vorzustellen. Schließlich wäre – in abstracto – ein positives Gesetz so schnell geschaffen wie beseitigt – und zwar ohne Einfluss des Juristen. Auf der anderen Seite steht der Metaphysiker, Theologe oder Philosoph, der – in abstracto – ein solcher ist, der am politischen Leben nicht teilnimmt, der keinen Platz im Staat hat, der vielleicht hier und da angehört wird, doch dabei auf das Wohlwollen der Machthaber angewiesen wäre. „Der wissenschaftliche Jurist ist kein Theologe und kein Philosoph, er ist aber auch keine bloße Funktion eines irgendwie ,gesetzten‘ Sollens und seiner Setzung von Setzungen.“ 542 Die von Schmitt immer wieder angestellte Fokussierung auf die ,Lage‘ ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Sie ist nicht Ausdruck einer Haltlosigkeit543, sondern Folge der Notwendigkeit, die politische Lage, das konkrete, kontingent 541

Zitiert nach ebd., S. 209. Schmitt, S. 422. 543 Als haltlos sieht in z. B. Ernst Topitsch: „Der zuinnerst Haltlose suchte in seiner fatalen Lage einen Halt oder zumindest etwas, das er sich als einen solchen suggerieren konnte.“ In: Die Wissenschaftsauffassung Carl Schmitts, S. 81. 542

5.2 Carl Schmitt und die Figur des Juristen

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in der politischen Sphäre auftretende Geschehen vor dem Hintergrund der anderen Dimension zu bewerten. Seine Betrachtung der Lage vollzieht sich stets durch die Frage, wie eine gegenwärtige Situation in einen großen Bezugsrahmen einzuordnen ist. Die Orientierung an der Lage und die darauf geleistete Antwort ist wohl auch das, was ihn an Thomas Hobbes so fasziniert. Die Lage, die sich diesem darbot, war die des Bürgerkriegs, seine Antwort die des Leviathan. Die Geschichte präsentiert dem Menschen eine Situation, eine Lage, auf die der Mensch zu reagieren hat: „Jede geschichtliche Handlung und Tat eines Menschen ist die Antwort auf eine Frage, die von der Geschichte erhoben wird. Eine geschichtliche Situation ist unverständlich, solange sie nicht als ein von Menschen vernommener Anruf und zugleich als Antwort des Menschen auf diesen Ruf verstanden wird. Jedes menschliche Wort ist eine Antwort. Jede Antwort erhält ihren Sinn durch die Frage, auf die sie antwortet und bleibt sinnlos für jeden, der die Frage nicht kennt. Der Sinn der Frage wiederum liegt in der konkreten Situation, in der sie sich erhebt.“ 544

Vor eben diesem Hintergrund scheint es gerechtfertigt zu sein, Schmitt als Gestalter unter den Umständen, nicht aber als Gestalter der Umstände zu bezeichnen. Schmitts Sicht auf die Fragen, die die Geschichte an den Menschen stellt, nimmt dabei eine geschichtsphilosophische Dimension an, die in der Überzeugung mündet, dass erst die Antworten des Menschen eigentlich die Geschichte begründen: „Die Frage selbst ist ein geschichtliches Ereignis, aus dem durch die konkrete Antwort vom Menschen weitere geschichtliche Dispositionen erwachsen. Indem die Menschen die Frage und den Ruf der Geschichte vernehmen und durch ihr Verhalten und ihre Taten zu beantworten suchen, wagen sie sich in die große Probe der Geschichtsmächtigkeit hinein und werde sie geprägt durch ein Gericht. Mit einem Wort: sie treten aus dem Naturzustand in den Stand der Geschichtlichkeit ein.“ 545

Die institutionelle Rolle der Rechtswissenschaft garantiert im Falle des funktionierenden, des nicht pervertierten Staates eine Vermittlung zwischen den beiden Dimensionen im Innersten des Staates. In der juristischen Sphäre werden abstractum und concretio zusammengeführt; hat das konkrete Leben ebenso Einfluss wie die metaphysische Welt. Das in-der-Welt-sein des Menschen gewinnt eine ganz eigene Dimension und zeigt dessen besondere Stellung auf Erden. Der Rechtswissenschaftler hat in seiner spezifischen Situation eine besondere Stellung für den Eintritt in die Geschichtlichkeit. Die beiden gegenstrebigen Prinzipien, Zeit und Ewigkeit, die für Schmitt in der Figur des Juristen zusammenkommen, will er auch auf sich angewendet wissen. Insofern die Rechtswissenschaft zügelt und aufhält, ist sie eine epimetheische Kraft, die sich gegen die Promethiden der politischen Moderne der westlichen Welt stellt. Schmitts eigene Rolle ist für ihn klar: „Mein Wesen mag wohl nicht ganz 544 545

Schmitt, Die geschichtliche Struktur, S. 151. Ebd., S. 152.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

durchsichtig sein; aber mein Fall läßt sich benennen mit Hilfe eines Namens, den ein großer Dichter [Konrad Weiß; C. H.] gefunden hat. Es ist der schlechte, unwürdige und doch authentische Fall eines christlichen Epimetheus.“ 546 Und weil die juristische Sphäre in eine übergeordnete politische Sphäre eingeordnet ist, kommen auch innerhalb des Staates Ewigkeit und Zeit zusammen.

5.3 Unvereinbarkeit der Rollenverständnisse und moralische Fallstricke Die Rollenverständnisse des Juristen Schmitt und des Philosophen Voegelin stehen sich diametral gegenüber. Da wo der eine sich von der Sphäre des Konkreten, des Kontingenten in Politik und Gesellschaft fernhält, will der andere ganz bewusst Einfluss nehmen. Die Sphären, die gegeneinander gestellt werden, sind allerdings in gleicher Weise von beiden umrissen und werden in ihrem Verhältnis wohl auf parallele Weise gedeutet. Die Rolle des Philosophen ist für Schmitt wohl eine ähnliche wie für Voegelin, nur befindet sich Schmitt nicht in diesem Kosmos der Philosophen. Gleichwohl hat er insofern Anteil an diesem Kosmos, als er als Rechtswissenschaftler in ihn hineinragt und aus ihm herausgreift. Die Sphäre des Juristen hat Anteil an der Philosophie, ohne deren Existenzform anzunehmen; die rechtswissenschaftliche Sphäre vereint beide Elemente in sich. Die Gefahr, die eine solche Verstrickung mit sich bringt, sieht Voegelin nur all zu deutlich. Eine Vermengung der beiden Sphären – wie es in Schmitts rechtswissenschaftlichem Verständnis der Fall ist – zeitigt erhebliche Konsequenzen, weil sie eigentlich einander fremde Sphären sind. Voegelin bringt das Problem mit Rekurs auf Platon auf eine letzte Zuspitzung, die um Willen ihrer Eindringlichkeit, hier ungekürzt zitiert werden soll. „Zunächst charakterisiert Platon den Politiker. Immer ist er in Eile und steht unter Druck. Gerichtsverfahren führt er mit Blick auf die Uhr, um seine Redezeit nicht zu überschreiten; er muss sich mit einem Gegner und dessen Einwänden auseinandersetzen, und wenn er seinen Fall vorträgt, so ist er an eine strenge Verfahrensordnung gebunden. Er spielt die Rolle eines Knechts, der mit seinem Mitknecht vor dem Sitz des Herren streitet; der Streitpunkt ist ihm niemals gleichgültig, steht doch seine Existenz auf dem Spiel. Diese Hetzjagd hat ihn scharfsinnig und gewitzt werden lassen, er schmeichelt in Worten und Taten, und seine Seele ist kleinlich und ungerade. Von frühester Jugend an hat diese Knechtschaft sein inneres Wachstum und seine innere Freiheit verbogen; Ängste und Sorgen haben ihn verkrüppelt und verdorben; und sie haben es ihm zu Gewohnheit gemacht, zu betrügen und zu vergelten. Hierdurch ist er zu einem kranken Mann herangewachsen, der sich für einen Ausbund an Weisheit hält. 546

Schmitt, Ex Captivitate Salus, S. 12.

5.3 Unvereinbarkeit der Rollenverständnisse und moralische Fallstricke

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Sodann charakterisiert Platon den Philosophen. Von früher Jugend an hat er nie den Weg in die Agora, den Gerichtshof oder eine politische Versammlung gefunden; weder beteiligt er sich an der Gesetzgebung noch an den gesellschaftlichen Aktivitäten, mit deren Hilfe man sich in Vereinen, beim gemeinsamen Mittagessen oder Zeitvertreib mit Wein, Weib und Gesang Ämter erwirbt; nie hat er die letzten Neuigkeiten gehört, die so schrecklich wichtig sind, noch ist er in der chronique scandaleuse bewandert. Dabei ist seine Haltung keine Pose, mit der man sich einen Namen macht. Er weiß tatsächlich nicht, was vor sich geht, ,denn nur sein Körper wohnt in der Polis‘, während sein Geist Himmel und Erde durchstreift und die Dinge, die über und unter ihm sind, erforscht, sich aber nie zu den Dingen in Reichweite herablassen würde [. . .]. Zur Verdeutlichung erinnert Sokrates, der Sprecher, an die Anekdote über Thales, der, als er zu den Sternen hochblickte, zur großen Erheiterung seiner thrakischen Magd in einen Brunnen fiel. So ist der Philosoph, der kaum weiß, ob sein Nachbar ein Mensch oder ein Tier ist, während er die Natur des Menschen erforscht.“ 547

Schließlich lässt Platon/Voegelin die beiden Typen aufeinander treffen: „Da ist zunächst einmal der Philosoph in der Gesellschaft von Geschäftsleuten. In einer solchen Gesellschaft macht sich der Philosoph nicht nur zum Gespött der thrakischen Mägde, sondern des Pöbels [. . .] im allgemeinen, denn aufgrund seiner Unerfahrenheit stolpert er in Brunnen und allerlei Schwierigkeiten. Er wirkt bis zur Schwachsinnigkeit unbeholfen und verlegen. Würden Männer von Rang gelobt, so wird er sich vor Lachen biegen und wie ein Narr aussehen. Wenn sie den Herrscher der Menschen lobpreisen, wird er so tun, als lobe man einen Schafhirten – mit dem Unterschied, dass die Menschenherde, aus der die Schäfer ihren Reichtum melken, von Natur aus boshafter ist als Schafe oder Rinder. Wenn sie die Großgrundbesitzer lobpreisen, dünkt ihm das gering, ist er doch daran gewohnt, in den Dimensionen des ganzen Universums zu denken. Und wenn sie Männer mit vornehmer Abstammung lobpreisen, denkt er an die unendliche Reihe von Vorfahren, die dem edlen Vorfahren vorangingen und nicht ganz so vornehm waren. Das gemeine Volk wird den Philosophen verlachen und ihm misstrauen, denn es scheint ihm, er verachte sie und sei unwissend. Diese Situation ändert sich jedoch, wenn der Philosoph die Szene beherrscht. Wenn er den Staatsmann dazu bringen kann, hinter seinen fadenscheinigen Argumenten hervorzukommen und die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit seiner eigenen Seele zu untersuchen, und wenn er dazu bewegt werden kann, von den Gemeinplätzen über das Glück der einfachen Leute und Könige zu einer ernsthaften Betrachtung von Politik zu kommen, dann ist der Staatsmann bestürzt und unbeholfen; er wird anfangen zu stottern und sich lächerlich zu machen – und nicht vor seinen thrakischen Mägden, sondern vor den Menschen, die keine Knechte sind.“ 548

Der Philosoph, der sich auf die Welt der Politik einlässt, geht ein großes, vielleicht ein zu großes Risiko ein. Die beiden Rollen, die Voegelin im Nachklang zu Platon beschreibt, sind für ihn nicht nur reine Abstraktionen. Voegelins eigenes wissenschaftliches Leben orientierte sich an der Darstellung des Philoso547 548

Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. 6, S. 178. Ebd., S. 179.

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5. Theorie und Praxis – Philosophie und Rechtswissenschaft

phen bei Platon. Dieser Philosoph ist immer auch politischer Denker, weil es ihm um die Bedingungen des menschlichen Lebens geht, zu dem als Kernelement das Leben in Gemeinschaft gehört. Der Mensch kann sich dieser Dimension nicht entziehen. Und so ist der Philosoph als politischer Denker in einer steten Gefahr, weil er sich in der Regel gegen die herrschende Meinung stellt. Es ist geradezu ein Grundelement des noetischen Denkens, des Philosophierens im metaleptischen Raum, dass es diese Gegensätzlichkeit gibt: „Wo immer die Noese sich regt, steht sie in einem Spannungsverhältnis zum Selbstverständnis der Gesellschaft. [. . .] Vom Kult der Polis her wird der Philosoph zum Atheisten; von der Offenbarungstheologie her zum Haeretiker; von der revolutionären Ideologie her zum Reaktionär, der eine rivalisierende Ideologie vertritt.“ 549 Der politische Denker, der Teil am metaleptischen Raum hat, ist aber auch noch in einer anderen Weise gefährdet. Die Gegensätzlichkeit zum kontemporären Zeitgeist endet auch in einer Gefahr, den Weg der geistigen Korruption zu gehen. Paradigmatisch für alle politischen Denker seitdem beschreibt Voegelin die Folgen, die die Zusammenarbeit des Aegidius Romanus mit den politischen Mächten im 14. Jahrhundert hatte: „his success reveals the price the thinker has to pay for public status in the new order of power politics: he had to sacrifice the spiritual and intellectual independence.“ 550 Die Anteilnahme Schmitts und Voegelins an der transzendenten Dimension war Hauptgegenstand der hier vorliegenden Untersuchung. Es wurde gezeigt, wie eng das Ordnungsdenken des Philosophen Voegelin mit dem des Rechtswissenschaftlers Schmitt verbunden ist und wie eng die je eigenen Deutungsmuster neben einander liegen. Und doch bleibt unübersehbar der Unterschied zwischen dem Denken der beiden bestehen. Insofern Schmitt Jurist war und sein wollte, blieb sein Ordnungsdenken meist im Hintergrund seiner Betrachtungen. Die hier vorliegende Arbeit ist eine Analyse der Werke Voegelins und Schmitts in den Händen eines Nicht-Juristen und verweist in ihrem Kern auf Elemente des nichtjuristischen Denkens. Gleichzeitig bietet sie Platz für eine Untersuchung des Rollenverständnisses des Juristen, ja, bliebe ohne den Abgleich der unterschiedlichen Perspektiven von Jurist und Philosoph in ihrem Anspruch eine vergleichende geistesgeschichtliche Arbeit zu sein, wohl unvollständig. Denn das Entscheidende an diesem Selbstverständnis ist wohl die gleichgroße Entschiedenheit auf der einen Seite zur Teilhabe und auf der anderen Seite zur Distanzwahrung an den politischen Geschäften. Dieser Unterschied verweist auf die große biographische Fehlleistung Schmitts seit 1933. Was bei allen Einschränkungen der hier möglichen Untersuchung gegenüber der nationalsozialistischen Verstrickung Schmitts allerdings erwähnt zu werden 549 Eric Voegelin, Was ist politische Realität. In: Anamnesis, S. 283–354, hier: S. 285. 550 Eric Voegelin, History of Political Ideas III. In: Collected Works 21, S. 67.

5.3 Unvereinbarkeit der Rollenverständnisse und moralische Fallstricke

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verdient, ist zum einen die in der Rolle des Rechtswissenschaftlers angelegte Gefahr, mit der Teilhabe an den politischen Geschäften auch an der Untat und der Schuld, die der politische Betrieb in dieser Zeit auf sich geladen hat, teilzuhaben. Gleichzeitig ist es aber nicht nur der Jurist gewesen, der als Spielball des staatlichen Treibens qua Rollenverständnis versagt hat. Schmitt dürfte sich sicherlich auch durch ein Forcieren der staatlichen Entgrenzung während der Jahre 1933–1945 in einer schwerwiegenden Weise verstrickt haben. Wenn in der vorliegenden Untersuchung also von einer Parallelität des Ordnungsdenkens von Schmitt und Voegelin ausgegangen wird, so darf nicht verkannt werden, dass es eben nicht alleine das andere selbst gewählte Rollenverständnis war, das den einen zum Kollaborateur und den anderen zum Emigranten machte. Im Zusammenhang mit Schmitts Katechontik wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Schmitt in einem entscheidenden und fatalen Moment in Hitler eine katechontische Kraft gesehen hat. Vor dem Hintergrund seines eigenen Ordnungsdenkens hat Schmitt sich 1933 von der historischen Bewegung blenden lassen – und vielleicht blenden lassen wollen. Neben einer facettenreichen Motivlage von Opportunismus, (Selbst-)Täuschung, Machthunger, Naivität, Karrierismus und einer Reihe anderer Aspekte entsprang das movens seines Handelns wohl auch und zu einem nicht geringen Teil seinem politisch-theologischen Ordnungsdenken. Die Tatsache, dass er sich in einem entscheidenden Moment getäuscht hat, berührt das Ordnungsdenken zunächst nicht. Es scheint vor dem Hintergrund der oben angestellten Analysen und Überlegungen eine Mischung aus dem Wunsch nach Teilhabe, sowie Gestaltungsdrang und moralisch mehr als fragwürdiger Anpassung zu sein, die Schmitt auf die juristischen Bühnen des Dritten Reiches trieben. Diese letzten Betrachtungen dürfen allerdings als nicht mehr interpretiert werden, als was sie eigentlich sind: Überlegungen, die über das eigentliche Thema der hier vorliegenden Arbeit hinausgehen. Eines darf hier aber betont werden. Das transzendentale Ordnungsdenken Schmitts darf nicht vor dem Hintergrund der zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur interpretiert werden. Es ist vielmehr notwenig zu fragen, wie vor dem Hintergrund des Ordnungsdenkens eine solche politische Verirrung möglich war. Die Zeit, in der Schmitt lebte, war eine Gegenwart, an der er litt, die er aber trotzdem als gegeben ansah. Sein juristisches Selbstverständnis ließ ihn in die Auseinandersetzungen der Zeit eingreifen und verstrickte ihn somit in die Zeit. Die christliche Haltung des ,tout ce qui arrive est adorable‘, die Schmitt am 2. September 1947 im Glossarium für sich formulierte, entspricht dem Willen, als Rechtswissenschaftler der Willkürlichkeit der atemlosen Entgrenzung etwas entgegen zu setzen, weil er weiß, dass diese Atemlosigkeit – mal stärker, mal schwächer – zum Wesen der menschlichen Geschichte gehört. Dieser Anspruch wird nicht durch das Scheitern an ihm ad absurdum geführt.

6. Abschlussbetrachtung Politik und Transzendenz sind die beiden schon im Titel der vorliegenden Arbeit in die Diskussion gebrachten Größen einer Geisteswelt, die wie von nur wenigen anderen von Carl Schmitt und Eric Voegelin be- und überdacht, interpretiert und beschrieben worden sind. Die angestellten Untersuchungen haben ein weites und höchst abstraktes Feld beschritten und das Bedeutungsgefüge, das sich zwischen diesen beiden Begriffen in den Werken Voegelins und Schmitts auftut, analysiert. Aufgrund der vergleichenden Systematik der Arbeit ist es bereits innerhalb der einzelnen Kapitel zu einem Abgleich der beiden verschiedenen und an manchen Stellen doch so ähnlichen Denkbewegungen gekommen. Die thematisch gegliederte Arbeit wurde im Kernkapitel 3 derart aufgebaut, dass den jeweiligen Gedankengänge Schmitts und Voegelins bis in die Tiefe des Ordnungsdenkens getrennt nachgespürt wurde, um dann in einem dritten Schritt den Vergleich anzustellen. Auch innerhalb der anderen Kapitel wurden die Ergebnisse der getrennten Betrachtungen stets auseinander bezogen, so dass an dieser Stelle die Aufgabe, Ergebnisse zusammenzutragen, weitgehend in der Wiederholung münden würde. Gleichwohl soll an dieser Stelle als Abschluss ein Blick auf die zusammengetragenen Ergebnisse aus gewisser Distanz geworfen werden, um zum einen verschiedene Aspekte noch einmal zu gewichten und zum anderen auf die Fragestellungen und Hypothesen der Einleitung zu beziehen. Dabei ist wohl schon in den analytischen Kapiteln deutlich geworden, dass es sich bei den Untersuchungsgegenständen durchaus um offene Bedeutungsfelder handelt, die eine klare Abschließung der Diskussion in Argument und Gegenargument nicht immer erlaubt. Der von beiden Autoren angestellte Verweis auf die Transzendenz ist ab einem gewissen Punkt intersubjektiv nicht mehr vermittelbar. Daher konnte die Betrachtung insbesondere dieser Facetten des Voegelinschen und Schmittschen Ordnungsdenkens nur in Form einer Encadrierung stattfinden und dadurch eine gewisse – für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit vielleicht ungewöhnliche – Offenheit an ihrem Ende nicht vermeiden. Das ins Transzendente verweisende Ordnungsdenken hat die beiden hier besprochenen Autoren geeint. Dies ist das erste und wohl wesentliche Ergebnis der vorliegenden Untersuchung. Es wurde festgestellt, dass die Begriffe metaxy und Katechon beide sowohl zentral für ihr je eigenes Ordnungsdenken sind, als auch einen parallelen Bedeutungsgehalt haben. Sie beziehen sich beide auf das Zentrum des Ordnungsdenkens, auf dessen Quellen, und bezeichnen dabei einen Raum, in dem der Mensch Anteil am ,göttlichen Grund der Existenz‘ (Voegelin)

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hat. Für beide ergibt sich daraus, dass die Teilhabe an diesem mit dem Begriff des ,Zwischens‘ belegten Raum die einzig echte Ordnungsquelle ist und jede Ordnungssuche, die ihre innersten Quellen in weltlichen Dimensionen zu besitzen den Anspruch hat, im Prinzip nur noch von alten Strukturen zehren kann, die ihrerseits aus der echten Ordnungssuche herrühren. Diese Einsichten waren Ergebnis von Kapitel 3, das den Anspruch hatte, in das innerste Zentrum des Denkens von Voegelin und Schmitt vorzustoßen. Dass dieser Vorstoß nur ein Versuch sein und nur bis zu einem gewissen Punkt in Richtung des Zentrums vordringen kann, versteht sich wohl ohne weitere Erläuterungen. Das Zentrum solch komplexer, vielschichtiger und teilweise auch vor dem direkten Blick des Lesers versteckten Denkbewegungen (gerade im Falle von Schmitts), kann dabei sicher nur umrissen werden. Neben der Beschreibung des parallelen Denkens in diesem Falle blieb aber ebenfalls ein wesentlicher Unterschied diesen topos betreffend zu konstatieren. Voegelins Ordnungsdenken ist das einer Differenzierungsgradation unterworfene Denken eines platonisch-aristotelisch geschulten Philosophen, der jegliche Art der Transzendenzorientierung auf den ihr eigenen Grad an Kompaktheit oder Differenzierung untersucht. Es werden große Bedeutungsfelder – das Böse und das Gute im Menschen und in der Welt; die Güte und/oder Bösartigkeit Gottes in dessen einen, trinitarischen oder polymorphen Qualität; die Vorstellungen von Sterblichkeit und Immortalität; die auf Gruppen beschränkten oder universellen Gottheitsvorstellungen u. v. a. m. – innerhalb einer Vielzahl von religiösen Kulturen und Epochen von ihm beobachtet und deren Gewichtung innerhalb dieser Kulturen nachgezeichnet. Voegelins Einsichten in die grundsätzliche Beschaffenheit dieser Ordnungen führen ihn dazu, in der klassischen Philosophie Platons und Aristoteles’ sowie im christlichen Ordnungsdenken spätantiker und mittelalterlicher Prägung die höchstdifferenzierten Formen artikuliert zu sehen.551 Carl Schmitt setzt dem ein komplett anderes Bild entgegen. Er kennt in diesem Sinne kein Differenzierungsmodell Voegelinscher Art. Für ihn ist es das „événement historique“ der Menschwerdung Gottes, das als sein „centre inoccupable“ 552 unveränderlich sein Denken bestimmt. Als solcher ist ihm die Nähe zu Voegelin dadurch gewiss, dass dieser den Differenzierungsgrad des Christentums hoch schätzt. Es wurde gezeigt, wie ähnlich sich Schmitts Katechontik und Voegelins metaxy-Interpretationen sind. Doch die Katholizität Schmitts, die durchaus als eine private Mythologie verstanden werden kann und nicht immer dem folgt, was als Lehrmeinung die Prüfungen des Vatikan übersteht, hinterlässt 551 Es steht allerdings immer noch der wissenschaftliche Versuch aus, dem Bild vom Christentum, das Voegelin pflegte, Konturen zu geben. Es bleibt wohl eines der anspruchsvollsten Desiderate, derer, die sich mit seinem Denken beschäftigen. 552 Schmitt, Glossarium, 13.12.1949, S. 283.

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ihn etwas hilflos gegenüber den Thesen Voegelins, der im Vergleich zu Schmitts Position eine transzendente Warte eingenommen hat – seit Ende der 50er Jahre fällt ihm „zu Voegelin nichts mehr ein.“ 553 Die Ergebnisse der je eigenen motivierenden Zentren – und das darf hier noch einmal betont werden – können durch den gemeinsamen Begriff des ,Zwischens‘ als verwandt gekennzeichnet werden. Diese Gemeinsamkeit ist der Orientierungspunkt des dann folgenden Kapitels, das sich des Weges annimmt, den das westliche Denken genommen hat. Dieser Weg führte in eine Gegenwart, in der das Ordnungsdenken transzendentalen Charakters als nicht mehr relevant wahrgenommen wird und somit eine fundamentale Gegnerschaft der beiden Autoren zu ihrer Zeit begründet. Gegenstand des Interesses ist dabei die Sicht Voegelins und Schmitts auf zwei wesentliche Schritte im Prozess einer Immanentisierung des Ordnungsdenkens, die zugleich zu den bedeutenden Elementen der Signatur der Moderne zu zählen sind. Diese beiden Schritte sind, wenngleich von herausgehobener Bedeutung, doch nur zwei Exempel und in diesem Sinne als Schlaglichter aus den Jahrhunderten der angesprochenen Entwicklung herausgegriffen. Joachim von Fiore und Thomas Hobbes werden dabei von beiden, Schmitt und Voegelin, als geistige Figuren beschrieben, deren Gedanken eine kaum zu überschätzende historische Reichweite besitzen und bis in die Denkfiguren zeitgenössischer politischer Strömungen hineinragen. Die Sinnlosigkeit, die von gewissen Strömungen der Postmoderne formuliert wird, ist bereits in den Interpretationen der beiden Autoren gegenwärtig und kann als negativer Höhepunkt der langsamen Entfernung von der Transzendenz gedeutet werden. Schließlich wurde der Blick der Analyse im letzten Kapitel auf das je eigene Rollenverständnis geworfen. Hier zeigen sich weniger Gemeinsamkeiten als vielmehr völlig unterschiedliche Auffassungen von der je eigenen Rolle des Philosophen (Voegelin) und des Juristen (Schmitt). Das von beiden umrissene Tätigkeitsfeld ist bestimmt von der Gegensätzlichkeit zweier Dimensionen. Politik und Philosophie, saeculum und Ewigkeit, Kontingenz und Notwendigkeit, Tat und Suche, Prometheus und Epimetheus sind jeweils Gegensatzpaare aus den beiden angesprochenen Dimensionen. Insofern der Philosoph, Theologe oder Metaphysiker in einem an der Transzendenz orientierten Ordnungsdenken dem ,Blitz der Ewigkeit in der Zeit‘ nachspürt, im Bereich des ,Zwischens‘ seine ordnungskonstituierenden Erfahrungen macht, vermag er es, Notwendigkeiten für die politische Ordnung zu artikulieren. Dabei wahrt er eine Distanz zur Welt des notwendig Ungenügenden, der durch die Sphäre der Politik in seinem eigentlichen Wesen ein Reich der Kontingenz ist. Es stehen sich in diesem Sinne eine reine, weil wahrheitssuchende Tätigkeit des Philosophen der Welt

553 Carl Schmitt, Brief an Armin Mohler vom 18. Mai 1961. In: Mohler (Hrsg.), Carl Schmitt – Briefwechsel, S. 306.

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von Not und Schuld in Form der Politik gegenüber. Die Identifizierung dieser beiden Dimensionen eint Schmitt und Voegelin noch, doch die je eigene Verortung im Spannungsfeld zwischen ihnen trennt sie schließlich. Es trennt sie die Antwort auf die Frage, ob sich der Denker aus der Welt der Politik fernhalten kann, nur beschreiben, nicht aber eingreifen sollte. Voegelin sieht nur eine Möglichkeit, Anteil an beiden Dimensionen zu haben: als akademischer Lehrer. Die Aufgabe seiner stets gewahrten Distanz zur politischen Sphäre wäre in seinen Augen mit der Korruption des Geistes zu bezahlen. Der Philosoph kann nach dieser Interpretation kaum eine Teilhabe an beiden Dimensionen wagen, ohne einen hohen Preis dafür in Kauf zu nehmen. Daher kann er nur die eine Rolle für sich annehmen. Die Aufgabe des Lehrers beinhaltet die Beeinflussung junger Menschen in dem Sinne, dass diese ein anderes Denken in die Welt tragen als dasjenige, das sich auf eine innerweltliche Ordnungssuche beschränkt. Die Transzendenzorientierung soll als eine Art common sense in den Menschen geweckt werden, auf dass die Immanenz der kontemporären politisch-theoretischen Diskurse als mangelhaft abgelehnt werde. Mehr glaubt Voegelin nicht tun zu können. Die Gegensätzlichkeit der beiden Dimensionen wird von Schmitt ebenfalls angenommen und in ihrer Relevanz ähnlich eingeordnet wie von Voegelin. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass er die Rechtswissenschaft in der Pflicht sieht, in der juristischen Sphäre beide Dimensionen zusammenzubringen. Insofern die Rechtswissenschaft einen Platz im Staatsgefüge besitzt, ist es mit der staatlichen auch die politische Dimension, in die der Jurist durch sein Wirken hineinreicht und der Atemlosigkeit und Veränderungsdynamik des Kontingenten, des Prometheischen die andere Dimension zur Seite stellt. Er ist der Wahrer des europäischen Geistes und der daraus ableitbaren Prinzipien, die er als Denkstrukturen des nicht-alltäglichen in den Alltag bringt und dort versucht ist, das Bewusstsein für die Grammatik der Ordnung zu wecken, respektive wach zu halten. Der Jurist muss in Schmitts Augen die beiden Dimensionen verbinden (und zwar innerhalb des politischen Raumes) und damit eine Aufhalterfunktion wahrnehmen, weil die kinetische Energie der Politik, die ihr in der Moderne zur zweiten Natur geworden ist, ein Korrektiv braucht, das sein Fundament nicht in der jeweiligen Situation finden kann, sondern jenseits der puren Lage eine Grundlage besitzen muss. Das in der Katechontik mündende Ordnungsdenken, das oben beschrieben wurde, ist die Dimension, die Schmitt in die Welt der Politik holen will. Dabei ist er gezwungen, die politischen Lagen, die sich ihm präsentieren, vor dem Hintergrund seines Ordnungsdenkens zu gewichten und zu besprechen. Die Korruption des Geistes, die Voegelin als geradezu zwingende Folge der Vermischung der beiden Dimensionen beschrieben hat, kann durchaus als konsequente Einschätzung betrachtet werden. Die Kollaboration Schmitts mit dem nationalsozialistischen Regime kann als Beleg dazu herangezogen werden.

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,Politik und Transzendenz‘ umreißt indes das Feld, aus dessen Mitte heraus Schmitt und Voegelin ihre Gegenwart angreifen und den Grundlagen der politischen Ordnung und dem politischen Denken der westlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts die Substanzhaftigkeit absprechen. Gleichzeitig ist es diese der Moderne durchaus fremde Haltung, die zum einen die Schriften der beiden so sonderbar fremd für einige dastehen lassen und zum anderen die tiefe Faszination, die nicht zuletzt in der nicht abreißen wollenden Beschäftigung mit ihnen deutlich wird, begründet. Die Zentren ihres Denkens sind bei aller Unterschiedlichkeit im Detail, in der Ausrichtung und Perspektive doch eng beieinander. Die Distanz, die zwischen ihrem Denken auf den ersten Blick existiert, ist indes, wie hier zu belegen versucht wurde, keine grundsätzliche Distanz im Kern, sondern eine Folge nachgelagerter Elemente. Es ist gleichwohl nicht nur Form und Stil, die den Eindruck der Differenz begründen, auch die Frage nach dem Ort des Denkers in der Welt findet unterschiedliche Antworten. Schmitts Vorstellung von geschichtlichem Leben orientiert sich an Tat und Teilnahme. Seine Interpretation des Wesens der Rechtswissenschaften und des Tätigkeitsfeldes des Juristen ist getragen von der Überzeugung, dass der Mensch Antworten auf Anrufe der Geschichte geben kann und muss. Veranlasst durch die sich ihm konkret präsentierende Lage und orientiert an seinem Ordnungsdenken handelt Schmitt konkret in der Zeit, was Voegelin mit Verweis auf seine Existenzform als Philosoph verweigert. „Der Glaube schafft nicht die bessere Welt, aber er weckt und festigt die sittlichen Kräfte, die Dämme gegen die Flut des Bösen bauen; er weckt und stärkt die Freiheit des Guten gegen die Versuchung, unsere Freiheit zum Bösen zu missbrauchen.“ 554

554 Joseph Kardinal Ratzinger, Die Verantwortung der Christen für die Freiheit. In: ders., Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg/Br. 2005, S. 138–142, hier S. 142.

Literaturverzeichnis Publikationen von Carl Schmitt und Eric Voegelin sind in der gleichen Form wie alle anderen verzeichnet. Alleine wird bei ihnen das Datum der Erstveröffentlichung in eckigen Klammern angegeben, falls es aus den anderen Angaben nicht ersichtlich wird. Bei mehr als einem Werk eines Autors werden die Publikationen nach dem Alter der benutzten Ausgaben sortiert. Die Publikationen aus den Collected Works sind bei Eric Voegelin an das Ende gestellt. Adam, Armin: Die Zeit der Entscheidung. Carl Schmitt und die Politische Apokalyptik. In: Tholen, Georg Christoph/Scholl, Michael O. (Hrsg.), Zeit-Zeichen. Aufschübe und Interferenzen zwischen Endzeit und Echtzeit, Weinheim 1990, S. 97– 107. – Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912– 1933, Weinheim 1992. Agamben, Giorgio: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Freiburg i. Br./Berlin 2001. – Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2002. – Die kommende Gemeinschaft, Berlin 2003. Arendt, Hannah: A Reply. In: Review of Politics, 15 (1953) 1, S. 76–85. – Vita activa oder vom tätigen Leben, München/Zürich 2002. Assmann, Jan: Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, Bonn 1992. – Der Sonderweg des christlichen Abendlandes. Eric Voegelin stiftet Feindschaft zwischen Geist und Ordnung und bestreitet der Neuzeit ihre Legitimität. In: FAZ, 3. Juni 1994, S. 10. – Zur Einführung. In: Voegelin, Eric, Ordnung und Geschichte, Bd. 1, S. 17–23. Bärsch, Claus E.: Die Suche nach Ordnung. Voegelins Werk „Ordnung und Geschichte“ wird Soziologen ärgern und unideologische Kulturwissenschaftler erfreuen. In: Focus 52/2002, S. 54 f. Balke, Friedrich: Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitt, München 1996. Ball, Hugo: Carl Schmitts Politische Theologie. In: Hochland 21 (1924) 2, S. 263– 286. Balthasar, Hans Urs von: Apokalypse der deutschen Seele, 3 Bd., Salzburg 1937/ 1939. – Theologie der Geschichte. Ein Grundriss, Einsiedel 1962. Baruzzi, Arno: Eric Voegelin: Politische Wissenschaft und Geschichtsphilosophie. In: Philosophische Rundschau 31 (1984), S. 217–236.

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Sachwortverzeichnis Anarchismus 60 f., 128, 132 Christentum 11, 107–109, 111, 124, 138, 140–145, 158, 161, 193 Gott 32, 69, 71, 86–90, 93–95, 100 f., 104–111, 115–119, 121, 123, 125–132, 134, 141, 146–149, 152 f., 155 f., 158–160, 162, 164, 172 Faschismus 80, 178 Feind 12, 29–31, 57–60, 64 f., 68, 74, 108 f., 115 f., 157, 166 Freund 12, 29 f., 57–60, 62–64, 73, 115, 151, 153 Glaube 47, 72, 88, 110, 126, 129, 141, 143, 154, 156, 180, 196 Gnosis 101, 133, 135 f., 142–150 Ideologie 15, 33–35, 72, 118, 123, 190 Immanenz 93, 131, 135, 148, 150, 160 f., 164–166, 195 Katechon 67–81, 103–110, 172, 192 Kirche 48, 61, 108, 137 f., 140, 151 Kommunismus 72–74, 80, 108, 110, 119, 129, 165, 178 Macht 17, 20, 43 f., 63, 69, 82, 147, 152, 156, 162, 174 Manichäismus 145–149 Marxismus 72 f., 139, 178 Metaphysik 33, 54, 82, 115, 154, 165, 180 f., 186 Metaxy 87, 93–99, 101, 103–106, 109, 113, 192 f.

Methode 22, 76, 123, 143, 173, 182 Moderne 11, 15, 33, 43, 65, 85, 90, 100–102, 104, 118 f., 121 f., 129, 131–136, 140, 142, 144, 149, 165, 168, 176, 184, 187, 194–196 Ordnung 12–15, 22 f., 25, 33–35, 41– 43, 51, 53, 65 f., 74, 77, 81, 84–88, 90, 92–99, 101–106, 109, 111, 113, 115 f., 119–123, 125–129, 131–133, 149, 153, 160 f., 163, 165–167, 169, 176, 178, 191, 189, 194–196 Ordnungsdenken 14, 43, 65, 84, 92, 95, 118–120,123, 131, 135 f., 149 f., 165, 167, 169 f., 172, 174, 179, 181, 184, 186, 190–192 Philosoph 14, 16, 68, 101, 113 f., 169– 171, 173 f., 177, 186, 189 f., 194–196 Philosophie 10 f., 16, 18, 25, 28, 42, 60, 64, 72, 83–85, 87–89, 92, 94 f., 99– 101, 103 f., 107, 109, 113, 123–131, 146, 156, 159, 168–171, 173 f., 176, 180 f., 183, 189, 193 f. Positivismus 17, 19 f., 33 f., 41–43, 45, 55, 79 f., 89, 101 f., 129, 154, 162 f., 180 f. Rechtswissenschaft 16, 18–20, 22, 38, 43, 46, 52, 76, 168 f., 179–187, 195 Soziologie 18 f., 32–34, 181 Staatslehre 13–25, 27–29, 31–41, 53, 80 f., 101, 151 Theologie 16, 28, 31–34, 38 f., 42, 45, 47, 53–56, 61, 65, 67 f., 82, 84 f., 101, 103 f., 110, 115, 119–121, 123–

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Sachwortverzeichnis

129, 134 f., 137, 145, 148 f., 154–156, 159, 172, 180–183 Theorie 33, 35, 37–39, 60, 62–64, 69, 73, 81–84, 91, 118, 123, 168 f., 171 f., 179, 185 f. Transzendenz 12, 14, 68, 86–91, 93 f., 97, 100, 104, 106, 114, 118, 120–125, 128, 131 f., 135, 137, 139, 142, 144,

148, 150, 154, 159, 161 f., 164–166, 168 f., 176, 192, 194, 196

Wahrheit 12, 35, 51, 64, 69, 78, 80, 83– 85, 90, 92 f., 95, 101 f., 105, 109, 111 f., 118 f., 125, 127, 129, 140 f., 147, 151 f., 167, 171, 173