Phraseologie: Hauptprobleme der deutschen Phraseologie auf der Basis sowjetischer Forschungsergebnisse 3484102764, 9783484102767

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Phraseologie: Hauptprobleme der deutschen Phraseologie auf der Basis sowjetischer Forschungsergebnisse
 3484102764, 9783484102767

Table of contents :
Einleitung
1 Die Phraseologie als Lehre von den festen Wortverbindungen
1.1 Zu den verwendeten Begriffen
1.2 "Idians" in der amerikanischen Linguistik
1.3 Zur Forschungslage in der Sowjetunion: Phraseologie im engen und weiten Sinne
1.4 Ueberblick über die festen Wortverbindungen des Deutschen
1.4.1 Die phraseologischen Ganzheiten
1.4.2 Die phraseologischen Verbindungen
1.4.3 Die phraseologisierten Bildungen
1.4.4 Die Modellbildungen
1.4.5 Die Streckformen des Verbums
1.4.6 Die lexikalischen Ganzheiten
1.4.7 Die festen Phrasen
1.4.8 Zusammenfassung
1.5 Zwei weitere Konzeptionen der Phraseologie
1.5.1 Die "Umgebung”
Exkurs: Zur Ermittlung der Anwendung phraseologischer Einheiten
1.5.2 Die "Phraseologisation": L.I. ROJZENZON
1.6 Die Reproduzierbarkeit
2 Die Alternative: Phraseologie als Lehre von der Verbindbarkeit von Wörtern
3 Die Festigkeit
4 Die phraseologische Bedeutung
5 Die Sprichwörter
6 Ausblick
Literaturverzeichnis
Register

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Linguistische Arbeiten

47

Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Jiirg Häusermarin

PHRASEOLOGIE Hauptprobleme der deutschen Phraseologie auf der Basis sowjetischer Forschungsergebnisse

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Hausermann, Jiirg Phraseologie : Hauptprobleme d. dt. Phraseologie auf d. Basis sowjet. Forschungsergebnisse. - 1. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1977. (Linguistische Arbeiten ; 47) ISBN 3-484-10276-4

ISBN 3-484-10276-4 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet,, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

^^

1

Die Phraseologie als Lehre van den festen Wortverbindungen

1

1.1

Zu den verwendeten Begriffen

1

1.2

"Idians" in der amerikanischen Linguistik

3

1.3

Zur Farschungslage in der Sowjetunion: Phraseologie im engen und weiten Sinne

6

1.4

Ueberblick über die festen Wortverbindungen des Deutschen

18

1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.4.6 1.4.7 1.4.8 1.5

Die phraseologischen Ganzheiten Die phraseologischen Verbindungen Die phraseologisierten Bildungen Die Modellbildungen Die Streckformen des Verbims Die lexikalischen Ganzheiten Die festen Phrasen Zusammenfassung Zwei weitere Konzeptionen der Phraseologie

19 22 27 30 34 37 40 43 44

1.5.1

Die "Ungebung" bei M.T. TOGIEV Exkurs: Zur Ermittlung der Anwendung phraseologischer Einheiten Die "Phraseologisation": L.I. ROJZENZON

1.5.2 1.6

Die Reproduzierbarkeit

2

Die Alternative: Phraseologie als Lehre von der Verbind-

44 48 45 52

barkeit von Wörtern

60

3

Die Festigkeit

67

4

Die phraseologische Bedeutung

87

5

Die Sprichwörter

113

6

Ausblick

118

Literaturverzeichnis

121

Register

131

EDOETIUNG

Die ersten eingehenden sprachwissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Gebiet der festen Wartverbindungen staunen von Charles BAUX (BAUX 1909; 1919: 67 85). Seine Ausführungen zu den "locutions phraséoLogiques" fanden jedoch lange keinen besonderen Niderhall. In der westlichen Forschung wurde man erst im Rahmen neuerer strukturalistischer Arbeiten und der generativen Granfiatile wieder auf das Problem festgeprägter Wendungen aufmerksam. (Vgl. HOCKETT 1958, COSERIU 1973, CHAFE 1968, 1970, HEINREICH 1969, KATZ/POSTAL 1963, 1964, FRASER 1970.) Unterdessen wird es auch im Bahnen der Stratifikaticnsgramnatik angegangen (MAKKAI 1972). Wenn schliesslich eine Monographie der "Idicmatik des Deutschen" erscheint (BÜRGER 1973) und wenn ein Kapitel im "Lexikon der germanistischen Linguistik" der "Idicmatik" gewidmet ist (HELLER 1973), wird das wachsenden Interesse an diesen Fragen deutlich. Eine kontinuierliche Forschungsrichtung, die sich als " P h r a s e o l o g i e " bezeichnet und auf BALLY aufbaut, hat sich nun aber seit den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts in der sowjetischen Linguistik entwickelt. (Zu den frühesten Arbeiten können diejenigen A.V. KUNINs gezählt werden. Vgl. NOÏIN 1972.) Ihren grossen Aufschwung nahm diese Disziplin, als 1946 und 1947 die ersten phraseologischen Arbeiten V.V. VINOGRADCWs erschienen waren. Die bis heute publizierten drei Folgen einer Bibliographie zur Phraseologie umfassen rund 7000 Nurmern (ROJZENZON/FEKI£R 1965, RCJZ£NZCN/BU§UJ 1970, KQPYIfHKO 1974). Leider sind die Ergebnisse der sowjetischen Forschung im Ausland nahezu unbekannt geblieben. (KLAFFENBACH 1968 kann sich - als ein Bericht über die aktuelle Forschung - nur auf 8 Arbeiten stützen. ) Die meisten Publikationen sind schwer zugänglich.1 (Vgl. auch BURGER 1973: 61.) Dies ist bedauerlich, weil von der 1

Es ist keine Seltenheit, wenn wichtige Arbeiten (z.B. die Monographien ABCHANGEL 'SJCIJ 1964, ROJZENZON 1973) in Auflagen von 500 Exemplaren erscheinen .

Vili Phraseologie fruchtbare Beiträge zur Diskussien der generativen und strukturalistischen Granmatik, zu Problemen der Sozio- und Pragmalinguistik, zur Textlinguistik ausgehen können. Ein Stipendimi des Kulturabkommens zwischen der Schweiz und der Sowjetunion hat mir 1973/74 einen Studienaufenthalt in Moskau ermöglicht. Ich erhielt so Zugang zu einer Fülle phraseologischer Fachliteratur, was mir erlauben wird, im Rahmen dieser Arbeit Ergebnisse der sowjetischen Phraseologie zu referieren. Es kann aber nicht bei einer kritischen Darstellung der Forschungslage bleiben, sondern ich will zu zeigen versuchst, in welcher Richtung die Theorie weitergeführt werden könnte, ich werde mich dabei allerdings auf die wichtigsten Gesetzmässigkeiten konzentrieren. Die Beurteilung der bisherigen Theorien wird beeinflusst sein von meiner Absicht, die Besonderheiten phraseologischer Einheiten und ihrer Rolle im sprachlichen System zu charakterisieren. Die den sowjetischen Arbeiten zugrundeliegende Philologie wird es nicht erlauben, eingehende Vergleiche mit westlichen generativen Theorien einzustellen. Dennoch scheint mir, dass die allgemeinen Beobachtungen an der Phraseologie in jeder Granratik nutzbringend angewendet werden können. Diese Arbeit ist auf Anregimg von Herrn Professor Dr. Harald Burger, Zürich, entstanden. Ich habe von Anfang an seine wertvolle Hilfe in Anspruch nehmen dürfen und möchte ihm an dieser Stelle von Herzen danken. In Moskau hat mich Frau Professor Dr. I.I. ÌernySeva bei der Einarbeitung in die grundlegenden Theorien und in die Fragen der aktuellen Forschung mit grossem Verständnis betreut. Auch ihr gilt mein herzlichster Dank. Es ist nicht ihr Fehler, sollte meine Darstellung einseitig werden. - Unbedingt erwähnen möchte ich auch die fruchtbaren Gespräche mit den Phraseologen Prof. Dr. Jul'ja Jul'evna Avaliani, Dr. Adile Memedovna Qnirova, Prof. Dr. Leonid Ivanovic Fojzenzon, Samarkand, und Prof. Dr. Mamed Tagi ogly Tagiev, Baku. Sie alle haben mir bei der Klärung wichtiger Probleme sehr geholfen. - Für die Begutachtung der Arbeit und wertvolle Verbesserungsvorschläge bin ich Herrn Professor Dr. D. Kastovsky, Wuppertal, zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Was den Aufbau des Buches betrifft, soll auf einen Ueberblick über den allgemeinen Forschungsstand in den USA und in der Sowjetunion eine Bestandesaufnalme der festen Verbindungen des Deutschen folgen. Der Begriff der Phraseologie

IX soll damit abgegrenzt werden, wobei sich gleichzeitig ein Einblick in die Richtungen der sowjetischen Forschung ergeben wird. Selbstverständlich kennen dabei nicht nur germanistische Beiträge, sondern solche zu den verschiedensten Sprachen zu Wort. Drei weitere Kapitel werden den wichtigsten Themen gewictaet sein, die sich meiner Meinung nach in der Phraseologie aufdrängen. Dabei lege ich den Schwerpunkt auf den Vergleich mit andern sprachlichen Erscheinungen ähnlicher Ordnung. So soll denn auch das letzte Kapitel zusamnenfassend zeigen, welche Stellung und welche Bedeutung die Phraseologie innerhalb der Sprache einninntt. Leider muss ich - einer verständlichen Wiedergabe zuliebe - für gewisse Dinge (vor allem für den Begriff der sprachlichen Einheit) zunächst Erklärungen geben, die in späteren Kapiteln wieder relativiert werden mUssen. Un wertvolle Erkenntnisse der Forschung mit einbeziehen zu können, absehen sie für unsere Zwecke manchmal nur beschränkt verwendet werden dürfen, werde ich oft von Spezialfällen auagehen - so, als ob sie allgemeine Gültigkeit hätten. Vielfach wird sich erst später zeigen, dass es sich im Thesen handelt, die in unserer Konzeption modifiziert werden Rüssen. Doch es scheint mir auch hier "eine gute Politik, so konservativ wie möglich zu sein und unter dem Zwang 2 sonst unerklärbarer Beobachtungen Erweiterungen vorzunehmen". Die angeführten Beispiele sind, wenn es sich im die Zusanmenfassung germanistischer, raianistischer oder anglistischer Untersuchungen handelt, meist direkt überrennen. Russische Ausdrücke habe ich, wenn es möglich war, durch passende deutsche ersetzt. Gewöhnlich habe ich darauf verzichtet, bei allgemein gebräuchlichen Wendungen die Bedeutung anzugeben. (Dies angesichts der zahlreichen phraseologischen Wörterbücher, die es für die deutsche Sprache gibt. Vgl. z.B. die in der Bibliographie erwähnten Titel.) Viele Beispiele, Zusammenfassungen von Theorien, die später nicht mehr benutzt werden, sowie ausführlichere Darstellungen finden sich eingerückt und können daran erkannt werden. Termini der referierten Theorien stehen

2

Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze, München, DTV, 1973, S. 136

χ in Anführungszeichen ("..."). Einfache Anführungszeichen dienen der Bedeutungsangabe. Ein Register von Namen und Begriffen am Schluss soll die Benützung des Buches erleichtern. Es enthält auch die russischen Formen der verwendeten Termini.

1 1

DIE

PHRASEOLOGIE

ALS

IfHPE

VCN

DEN

FESTÖJ

WORTVERBINDUNGEN

1.1. Zu dei verwendeten Begriffen Der sprachwissenschaftliche Porschungszweig der P h r a s e o l o g i e befasst sich mit festen Verbindungen von Wörtern. Es ist im Rahnen dieser Arbeit nicht nötig, sich auf eine der bekannten Definitionen des Wartbegriffs festzulegen oder eine eigene zu versuchen.1 Die folgenden Ausführungen sollen aber dem Leser verständlich machen, was ich unter Wart, bzw. Lexem verstehe und wie ich Wort und Morphem voneinander unterscheide. Das Hort wird in dieser Arbeit im Rahmen einer Hierarchie sprachlicher Elemente gesehen, die vom Morphem Ober das Wort zur Wortverbindung geht: Jedes Morphem besteht aus Phonemen (Lauten: Bündeln distinktiver Merkmale), jedes Wort aus Morphemen, jede Wortverbindung aus Wörtern. Die Elemente der Morphem-, der Wort- und der Wortverbindungsebene sind also Kombinationen von Elementen der nächsttieferen Ebene. Unter Umständen kann ein Element (z.B. das Wort Haus) auch nur aus e i n e m Element der nächsttieferen Ebene bestehen .

Elemente wie Haue, Tür, Haustür, leben, auf, unter, der, zehn, einige, imm groes, ach etc. betrachte ich als Wörter. Auch ein Kaipositun sei als e i n

Wort verstanden. Seine Komponenten hin-

gegen seien Morphsme genannt. Also auch Äaws-und -tilr sind im obigen Beispiel Hauetilr Morpheme. Andere Beispiele für Morpheme, wie sie im Rahmen dieser Arbeit verstanden werden, sind: leb-, -en, Hirn-, -schaft, -s etc. Die Verhältnisse auf der Ebene des Wortes (die Probleme, die sich aus den Verbindungen von Morphemen ergeben) werden innerhalb der Wortbildungslehre behandelt. Wir werden uns mit der nächsthöheren Stufe befassen, mit derjenigen der Wortverbindungen. I

Vgl. hierzu aber BLOOMFIELD, 1933; 1967: 187, HOCKETT 1958; 1967: 166169, ULLMANN 1951; 1967: 40 - 60

2 Wortverbindungen sind nach den Regeln der Syntax gebildete "Satzglieder" (im Sinne von GLINZ), bzw. solche Teile eines Satzes, die sich bei der Konstituentenanalyse ergeben (immediate constituents). Hier ist nun ein wichtiger Begriff einzuführen: Derjenige der

E i n h e i t .

Einheit werde ich jeweils ein festes, im Bestand der Sprache allgemein akzeptiertes Element der entsprechenden Q36n6 nennen. Bei Nbrtcm und NoiphEnei sind die Einheiten die Regel. Obwohl jeder Sprecher zur Bildung neuer Morpheme, neuer Wörter; fähig ist, macht er davon sehr selten Gebrauch. Er benutzt solche, die in seinem Sprachschatz vorhanden sind, die er gelernt hat. Neubildungen, bzw. Uebernahmen, wie z.B. die Wörter

Badar, Habasch, sind keine Einheiten,

solange sie nicht von denjenigen Sprechern der Sprache überncrmen werden, deren Gebrauch nan zur Ermittlung dessen benutzt, was die deutsche "Sprache" genannt wird. (Gerade bei der Behandlung phraseologischer Einheiten wird deutlich werden, welche Probleme die Annahme

e i n e r

Gemeinsprache für eine

Systemlinguistik zur Folge haben kann).

Mein sollte also auf jeder Ebene zwischen individuell gebildeten Elementen und vorgefertigten Einheiten unterscheiden. In der vorliegenden Arbeit soll dies ein der Ebene der Wortverbindungen gezeigt werden: Einheiten dieser Ebene nenne ich

F r a s m e η,

individuelle Wortverbindungen, solche also, die der Sprecher

aufgrund der syntaktischen Regeln seiner Sprache produziert,

f r e i e

Wort-

v e r b i n d u n g e n .

In der Fachliteratur wird von "festen Wortkomplexen" (ROJZENZON 1973), von "phraseologischen Einheiten"

(VINOGRADOV, CERNYSEVA, KUNIN und

andere), "phraseologischen Wendungen" (SANSKIJ 1969), "Phraseologismen" (TAGIEV 1969, 2ERNY5EVA 1975 und andere) gesprochen, ohne dass mit demselben Begriff immer dasselbe gemeint wäre. Gewisse Forscher schliessen einen Teil der "festen Wortverbindungen" (der Frasmen) von der "Phraseologie" aus. Sie nennen sie "hichtphraseologische Einheiten", obschon sie sie noch als Objekt ihres rorsenungszweiges ansehen (so CERNYSEVA 1970, KUNIN 1970 und andere. Vgl. unten Kapitel 1.3..). Am beliebtesten ist der Terminus "phraseologische Einheit". Je nach Theorie steht er aber für ganz verschiedene Objekte. Zudem besteht die Schwierigkeit, dass das Russische zwei Wörter für Einheit kennt - edinstvo und edinica, die beide von der phraseologischen Terminologie beansprucht werden, was bei einer UeberSetzung ins Deutsche immer Verwirrung stiften muss. Ich habe es deshalb vermieden, von "phraseologischen Einheiten" zu sprechen, obschon ich damit z.B. von £ERNY5EVA 1975 oder KLAPPENBACH 1968 abweiche. Was meine Bezeichnung "Frasmus" betrifft, so soll sie für irgendein Objekt aus den Einheiten der Wortverbindungsebene gelten, während

3 alle andern Termini - den verschiedenen linguistischen Richtungen entsprechend - enger gefasst sein können.

Es liegt mir daran zu betonen, class individuelle und aberramene Bildungen auf jeder Ebene vorkamen. Die Wortverbindungsebene bietet sich aber deshalb für eine genauere Untersuchung an, weil da die freie Bildung, wenn nicht die Regel, 90 doch mindestens ebenso Üblich wie die uebernatme fester Einheiten ist. Eine analoge Unterscheidung wie die zwischen freien Hartverbindungen und Fraanen kann man auf einer nächsttieferen Ebene vornehmen. Wie gesagt, handelt es sich dort in der Mehrzahl un (feste) Einheiten. Diese nome ich L e x e m e . Sie stehen im Gegensatz zun f r e i g e b i l d e t e n W o r t . Für dsn Ueberbegriff (wie er für Fraanus und freie Wortverbindung derjenige der Wortverbindung ist) verwende ich den allgemeinen Terminus W o r t . Mit meinem Lexenbegriff nähere ich mich dem Sprachgehrauch der sowjetischen Linguistik an. Es sei darauf hingewiesen, dass westeuropäische Sprachwissenschaftler unter 2 "Lexem" bisweilen etwas anderes verstehen. Mit L e x i k bezeichne ich die Menge aller Lexeme und aller Regeln, die sich auf sie beziehen. Analog heisst die Menge aller Fraamen und aller ihrer Be" geln P h r a s e o l o g i e . Ftmso heisst auch der Wissenschaftszweig, der sich damit befasst. Hier hat es keinen Sinn, eindeutigere Termini einzuführen, beide Bedeutungen des Wortes haben sich schon zu sehr eingebürgert. Es ist aber darauf aufmerksam zu machen, dass das Objekt der Phraseologieforschung von manchen Linguisten weiter gefasst wird als das Gebiet der Sprache, das sie "Phraseologie" nennen. Näheres hierzu unten im Abschnitt 1.3.

1.2.

"Idioms" in der amerikanischen Linguistik

Diese Arbeit moss davon ausgehen, dass die Probleme der Phraseologie dem Leser nicht sehr vertraut sind, da - wie in der Einleitung vermerkt - im Westen noch wenig Publikationen zu dem Hiemenkreis vorliegen. Ich werde deshalh zuerst die leicht zugänglichen Beiträge der amerikanischen Linguistik in Erinnerung 2

Vgl. z.B.: COSERIU 1967, S. 294: "Jede in der Sprache als einfaches Wort gegebene Einheit ist inhaltlich ein Lexem").

4

rufen, die in Europa ein gewisses Echo gefunden haben. Die Ergebnisse der amexikanischen und sowjetischen Forschung auf dem Gebiete der Phraseologie haben sich gegenseitig wenig befruchtet. Dies liegt zun Teil an den verschiedenen Ansätzen, die amerikanischer TG und russischem Strukturalianis zugrundeliegen, dann aber auch am mangelnden Austausch von Fachliteratur. - Ich werde nicht versuchen, die verschiedenen Modelle auf einen Nenner zu bringen. Wenn ich mit meiner Darstellung aber dazu beitragen kann, westlichen Linguisten einige beschwerliche Schritte abzunehmen, die die dreissigjährige sowjetische Forschung hinter sich hat, so hat sich die Arbeit gelohnt. Allen phraseologischen Theorien in den USA und in Europa ist gemeinsam, dass sie ihr Ftorschungsobjekt als "Einheiten" anschreiben, "deren volle Bedeutimg keine karçositicnelle Funktion der Bedeutungen der elementaren grammatischen Teile" ist. - J.J. KATZ und P.M. POSTAL versuchen, diese "Idicme" in ihre transformationelle Granrnatik einzuornden (KATZ/POSTAL 1963). Die uns interessierenden "phrasal idioms" stehen in einem separaten Teil des Lexikons. Dies aus der Erkenntnis, dass es zu vielen Frasmen horonyme freie Wortverbindungen gibt. Eine Konstituente eines Satzes (z.B. die Verbalphrase sticht in ein Wespennest) kann nun zwei ganz verschiedenen semantischen Operationen unterworfen werden. Handelt es sich um die wörtliche, nicht idicmatische Bedeutung, so interpretieren die den einzelnen Formativen zugehörigen semantischen Informationen die Tiefenstruktur anhand des in KATZ/PODOR 1963 ausgearbeiteten Modells. Handelt es sich aber um das idiomatische Hcmonym sticht in ein Wespennest, so dient die im zweiten Teil des Lexikons festgelegte Bedeutung zur Interpretation der gesamten Verbalphrase.

In U. WEINREICHs Nodell untersucht eine besondere Regel (Idianvergleichsregel) die terminale Kette eines p-markers mit Hilfe einer von Lexikon getrennten Idiomliste (WEINREICH 1969). Uebereinstirrmung mit einem dort vorhandenen Idicme intrag (" Ambiguität") erlaubt es, die semantischen Merkmale der Formative durch die ganzheitliche Bedeutung des Idicms zu ersetzen.

3

Wenn WEINREICH 1966 von AMOSOVA, TELIJA von WEINREICH ausgeht, so sind das Ausnahmen.

5 Β. FRASER geht von der Hypothese aus, dass eine idiomatische Wendung wie put cm some weight genau dieselbe syntaktische Tiefenstruktur hat wie ihre homonyme freie Wortverbindung (FRASER 1970). Im Lexikoneintrag sind, ähnlich wie bei KATZ/POSTAL» anstelle nur einzelner katplexer Symbole auch ganze Ketten, Fraanen, möglich. Interessant ist FRASERs Klassifizierung der Idicme nach ihrer "frozenness": Je nachdem, wieviele der bekannten syntaktischen Transformationen möglich sind, ist eine Einheit mehr oder weniger idiomatisch (erhöht oder erniedrigt sich die Stufe der "frozenness"). W.L. CHAFE ninmt die Idicme zun Anläse, der Chcmskyschen Graramatik seine Konzeption einer generativen Seiantik gegenüberzustellen (CHAFE 1968; 1970). Für einen Ausdruck wie rotea Saar (in dem die Bedeutung der Kcnpcnerrte von gemeinsamen Auftreten mit Haar abhängt), wird die entsprechende semantische Einheit in einem "postsematischen Prozess" in eine andere, "postsematische", Einheit überführt. Auf diese erst bezieht sich dann die phonetische Repräsentation. Ausführlich dargestellt werden die Konzepte von CHAFE, FRASER, KATZ/POSTAL und HEINREICH bei BURGER 1973, HELLER 1973, LIPKA 1974. Hier muss vor edlem darauf hingewiesen werden, worin sich amerikanische und sowjetische Idiomatik-, bzw. Phraseologieforschung unterscheiden. Während sich in der sowjetischen Literatur eine differenziertere Betrachtung durchzusetzen scheint, ist es in der westlichen Linguistik noch üblich, sich Idicme als feste Wortverbindungen zu denken . Wohl wurden transformationelle und andere Defekte an Fraanen 4 untersuaht. Aber man ging von einem Kcrpetenz/Performanz-Verständnis aus, das, wie sich in den folgenden Kapteln zeigen wird, zu rigoros ist. Dies sei anhand eines Beispieles erklärt, das den Paradefall eines Fraaius darstellt: den Teufel an die Wand malen (rein Unglück o.ä. heraufbeschwören'). Die Behandlung dieser Einheit ist einfach, solange sie nur in dieser Lautform als erlaubt gilt. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn auch analoge Bildungen auftauchen, in denen das Objekt Teufel ersetzt ist, während daneben aber auch die ursprüngliche Form des Frasnus verwendet wird. Z.B. tritt in einer

4

Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei BURGER 1973: 3. 77 -93.

6 Fernsehsendung die Bildung auf: die Karikatur dee Unternehmers, der jedem sozialen ist, an die Wand malen. Man k a n n

Forsahritt

abhold

sich des Problems entledigen, indem man solche Erscheinungen

der Perfozmanz zuordnet. Es ist aber nicht überzeugend, wenn man sieht, wie häufig derartige und andere Abwandlungen von Frasmen aller Art sind. (Vgl. hierzu das Kapitel über die Festigkeit.) Es ist gar nicht von vornherein anzunehmen, dass die meisten Idi are dem Sprecher als starre Verbindungen im Bewusstsein sind. In der sowjetischen Linguistik zeigen sich nun Ansätze zu phraseologischen Theorien, die auch solche Beobachtungen erklären lassen. Indessen sind auch diese Bemühungen noch in ihren Anfängen. Und in den folgenden Kapiteln werden viele Modelle zur Sprache kennen, die die Dynamik der Frasmen zu wenig erfassen. Andere jedoch erlauben eine differenziertere Behandlung des Materials, wie sie sich bei Beobachtung des tatsächlichen Sprachgebrauchs aufdrängt. 1.3.

Zur Forschungslage in der Sowjetunion: Phraseologie im engen und weiten Sinne

Zusammen mit dem Grossteil der sowjetischen Linguisten verstehen wir die Phraseologie als die Lehre von den festen Vfortverbindungen. (Vgl. dagegen unten Kapitel 2.) Es wurde aber bereits erwähnt, dass das Objekt der Phraseologie in vielen dieser Theorien nicht edle festen Wortverbindungen einer Sprache umfasst. Als feste Wortverbindungen, also Frasmen, des Deutschen können so verschiedene Erscheinungen wie die folgenden gelten: in die Röhre gucken • sich ins Zeug legen das kalte Buffet die grosse Koalition über den Löffel halbieren jm. läuft die Galle über der schwarze Kaffee das grosse Los in Rückstand geraten Zeugnis ablegen das Rote Kreuz

7 durch dick und dünn über und über durch und durch mit Glanz und Gloria von Scheitel bis Sohle von Kopf bis Fuss etc. Hie diese verschiedenen Beispiele in Typen gegliedert werden können, wird unter 1.4 gezeigt werden. Bier soll nur zum Ausdruck kamen, dass verschiedene Forscher nicht alle diese Bildungen zur Phraseologie zahlen, sondern den Begriff der Phraseologie enger fassen - je nachdem, welches Merkmal von Frasmen sie als das wichtigste betrachten. Oft werden Fraanen in "phraseologische" und "nicfrtçhraaeologlsche" aufgeteilt (von TBGIEV, AMDSCWA, &FNY2EVA, KUJIN etc. etc.). Unter anstanden weiden dann "nichtphraseologische" Einheiten gar nicht naher behandelt (ζ. B. von TÄGIEV 1966). Man unterscheidet grob Vertreter der Phraseologie im engen und im weiten Sinne. (Vgl. z.B. ΤΚΓ.Τ.ΤΆ 1972: 463.) Dabei sind für die Phraseologie im engen Sinne nur jene Wortverbindungen "phraseologisch", deren Bedeutung nicht dem entspricht, was den allgemeinen Regeln der Sprache ganäss erwartet würde: Frasmen, bei denen es nicht möglich ist, "die Bedeutung des ganzen kcnplizierten Lautkaiplexe s aus den Bedeutungen der ihn bildenden Teile zu erschllessen" (SMIFNICKU

1956: 34).

Typische Beispiele solcher Frasmen sind: ein heieee Eisen in die Röhre gucken Über kurz oder lang v . etc. X.I. 2ERNYSEVA stellt ihre Definition der "Phraseologie" (im engen Sinne ) auf einen ganzen Kriterienkomplex ab (ÒBRNYSEVA 1970: 28): (1) "Syntaktische Struktur: Es handelt sich um nichtprädikative Verbindungen, um prädikative Verbindungen oder um Sätze. (2) Art der Bildung: Frasmen können in Serien oder nach Modellen gebildet sein - andererseits auch singulär, ohne dass analog geformte Wortketten existieren. (3) Art der Bedeutung: Bisweilen kann von einem "semantischen Handel" gesprochen werden (der synchronisch zu verstehen ist), der "mit der Struktur der Einheit zusammenwirkt". (¿ERNySeva 1970: 28). Zur "Phraseologie" (im engeh Sinne) zählt nun CERNÏSEVA nur solche "stehenden Wortketten", solche Frasmen, deren Bedeutungen durch

8 vollständigen oder auch teilweisen singulären semantischen Handel entstanden sind. Es werden sämtliche syntaktische Strukturen zugelassen. - Dieses Verständnis von "Phraseologie" wird wichtig bei der Erklärung der unter (c) besprochenen Trennung "phraseologischer Verbindungen" von "phraseologisierten Bildungen". Einheiten wie der blinde Passagier bestehen nach CERNY&EVA aus einem Lexem mit normaler Bedeutung nebst einem mit singulär übertragener Bedeutung. Blinder Passagier ist noch eine "phraseologische Einheit" im oben beschriebenen Sinne. Die übertragene Komponente in blinder Hass hingegen hat auch noch in andern Fällen ihre besondere Bedeutung ('masslos, unüberlegt'): blinder Zorn, blinde Wut, blinde Liebe. Es sind "nichtphraseologische Einheiten". Zwischen diesen beiden Typen hindurch zieht sich also die Grenze der "Phraseologie" in CERNYSEVAS Theorie. Aehnlich ist der Bereich der Phraseologie, den N.N. AMOSOVA untersuchte, (AMOSOVA 1963), wenn auch mit scheinbar andern Kriterien. (Vgl. unten S. 24 ff) Nach M.T. TAGIEV stehen die Einheiten der "Phraseologie" jeweils in einer Umgebung, die nicht mit derjenigen übereinstimmt, die die homonyme freie Wortverbinäung hat (TAGIEV 1966). Auch damit lässt sich die gleiche Menge von Frasmen abgrenzen, nämlich jene mit "singulärem Bedeutungswandel". Einer Trennung in "phraseologische" und "nichtphraseologische" feste Einheiten mass nun aber die Tatsache entgegengehalten werden, dass jede Wortverbindung irgendeine Spezialisierung in der Anwendung erfährt, sobald sie "fest" wird. Oder umgekehrt formuliert: Nur wenn eine Verbindung von Wörtern eine ganz bestimnte Aufgabe erhalten soll, wird sie in der Sprache zu einer festen Einheit. In diesem Sinne ist die Bedeutung jedes Fraanus "übertragen" - oder besser: spezialisiert. Sehr oft jedoch verwechselt man die Begriffe "übertragen" und "bildhaft" . - Den Frasmen in die Röhre gucken, das schwarze Schaf, den Bock zum Gärtner machen liegt allen ein Bild zugrunde. Bei der Nennung der folgenden aber kann man sich nichts Konkretes vorstellen: Zum Vorschein konnten, aus den Stegreif, grober Unfug. Diese Beispiele würden denn auch von den meisten Forschern ganz unterschiedlich aufgefasst. Singulare Bedeutungsübertragung weisen aber auch sie auf. Nur fehlt ein Bild, und es ist schwierig, sich eine kontrastierende homonyme freie Wortverbindung zu denken. Wenn die Bedeutungsübertragung aber im üblichen Sinne missverstanden wird, werden auch Termini und Namen,

die aus mehreren Lexemen bestehen, aus der

Phraseologie verbannt, obwohl durchaus nicht behauptet werden kann, nah

9 in dèr nahe Osten habe noch seine primäre lexikalische Bedeutung. Das Konzept der "Phraseologie im engen Sinne" wirft also viele Fragen auf. Andrerseits ist dadurch das Vorgehen mancher anderer Forscher noch

nicht ge-

rechtfertigt, die alle festen Wortverbindungen als gleichwertig (und als gleich fest!) betrachten. Eine solche Phraseologietheorie im weiten Sinne kann zun Schluss führen, alle Fraonen verhielten sich in der Rede gleich, nänlich wie Lexeme. Diese Armahne hat sich allerdings als zu einfach erwiesen. Für V.V. VINDOGRADOV (VINOGRADOV 1946, vgl. auch R0JZENZON 1973) war das Kriterium des Phraseologischen die "Reproduzierbarleeit" der Frasmen als fester Einheiten.N.M. SANSKIJ übernimmt diese Ansicht: Die "phraseologische Wendung" ist für ihn eine "fertig reproduzierbare Spracheinheit aus zwei oder mehr Hauptkomponenten mit Wortcharakter . sie ist fixiert in Bedeutung, Bestand' und Struktur". (äANSKIJ 1969, S. 27)SANSKIJ nennt als weitere charakteristische Eigenschaft des Frasmus, dass immer mindestens zwei Hauptakzente vorliegen. (Dazu muss erklärt werden, dass das Russische auf einzelnen Lexemen keine Nebenakzente kennt; auch längere Wörter werden nur auf einer Silbe betont, z.B.: ocharakterisovàt, poljubopi/tsvovat ', Sùvstvovat 'sja etc.). Scheinbar widerlegt V.L. ARCHANGEL'SKIJ diese These (ARCHANGEL* SKIJ 1964b: 106). Er führt Beispiele an wie: i nikakich ne na Sûtku

('basta') ('im Ernst')

Diese "Frasmen" sind unbestritten aus mehreren Wörtern gebildet worden. Präpositionen, Partikel, Konjunktionen wie i, ne, na sind aber innerhalb von Wortverbindungen nie betont, so dass diesen Einheiten nur je ein Akzent bleibt. - Dennoch muss ARCHANGEL'SKIJsArgument die Definition SANSKIJS nicht unbedingt entkräften. Denn man könnte gerade dieser Akzentverhältnisse wegen derartige Einheiten (die mit den deutschen unter anderem, im Ernst etc. verglichen werden könnte·)) zu den L e x e m e n zählen. Sie kommen ja in der Rede nie in anderer Form als in der eingeführten vor ihre Komponenten zeigen ihren Wortcharakter gar nicht mehr. Dennoch leistet ¿ANSKIJs Frasmusdefinition als ganze zu wenig in der Abgrenzung zu irgendwelchen andern "fertig reproduzierbaren Einheiten". Auch Sprichwörter wie Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein zählt er auf dieser Grundlage zur Phraseologie. Auch die semantischen Unterschiede zu den freien Wortverbindungen kommen so nicht zum Ausdruck. Eine gute Konzeption einer "Phraseologie im weiten Sinne" stammt von V.L. ARCHANGEL'SKIJ. ( ARCHANGEL'SKIJ 1968, S. 193-194). Die. "festen Wortkombinationen" des Russischen werden da in "Phraseme"-

10 und in "feste Phrasen" - satzgliedwertige und satzwertige Frasmen unterteilt. Beide zerfallen in "analytisch unzeichenhafte" (a) und "synthetisch zeichenhafte" (b) Kombinationen. Die Gruppe (a) der " P h r a s e m e " wird eingeteilt in "nicht serienhafte, feste" ( Typ blinder Passagier: die Bedeutung ist analytisch, lässt sich durch die Komponenten erklären. "Fest" heisst, dass das Lexem blind sich in dieser Welse nicht mehr mit cinder η Lexemen verbinden lässt.) und "serienhaft-verinderliehe" Xblinder Hass, blinde Liebe etc., also Fälle, in denen ein Lexem seine besondere Bedeutung in Verbindung mit einer ganzen Serie anderer Lexeme erhält). Gruppe (b) umfasst einerseits "nichtbildhafte" - im russischen Sprachgebrauch "nominative" - Frasmen. Diese können allgemeinsprachliche phraseologische Benennungen sein, wie der elektrische Stuhl, oder fachsprachliche Termini, Eigennahmen des Typs die weisse Bachstelze. Die "bildhaft-expressiven" Vertreter andrerseits können "freien Hortverbindungen homonym" (ins Gras beissen) oder "nicht homonym" sein (wenn sie archaische.Elemente enthalten, wie z.B.: aus dem Stegreif). Auch bei den " f e s t e n P h r a s e n " können in einer Gruppe (a)"nichtserienhafte" und "serienhafte" Kombinationen unterschieden werden. - Die ersten sind prädikative Einheiten des Typs Die Zeit drängt, die zweite solche mit veränderlichem Subjekt (es kann aus einer ganzen semantischen Klasse ausgewählt werden, vgl.-. Die Angst/Furcht/Panik erfasst jn.). - Die "bildhaft-expressiven" Beispiele der Gruppe (b) sind "kommunikativ-prädikativ" und können wiederum "freien Sätzen homonym" (Der Ofen ist aus) oder "nicht homonym" sein (mit einer archaischen Form: Suchet, so werdet ihr finden). Den andern Teil der Gruppe (b) bilden "interjektivexpressive" Einheiten wie: Sieh mal einer an! Hand in Hand mit den» Streit über "enge" und "weite" Phraseologie geht Diskussion zur

"Ά. Ä q u i v a l e n z

von

F r a s m u s

und

die

Wort".

Zwar kann nan nicht behaupten, dass alle Vertreter der Phraseologie im weiten Sinne die Einheiten der Phraseologie und der Lexik als einander in jeder Beziehung ebenbürtig betrachteten. Eine solche Ansicht ist jedoch in jedem Falle der Ausgangspunkt: Fraanen und Lexeme sind Einheiten der Sprache (Frasmen können ja Lexeme im Satz ersetzen und umgekehrt). Den einzigen Unterschied bildet die gegliederte äussere Form des Frastnus. Wer nun aber den Phraseologiebegriff enger fasst, stösst auf die Notwendigkeit, die beiden Klassen von Einheiten nicht nur strukturell, sondern auch semantisch voneinander zu unterscheiden. Es ist wichtig zu wissen, dass die sowjetische Phraseologiefor-

11 schung aus der Lexikologie entstanden ist. Sehr viele Abhandlungen werden auch heute noch nur mit der Absicht geschrieben zu beweisen, dass die Phraseologie ein selbständiger Wissenschaftszweig sein muss. Es ist deshalb verständlich, dass der Lexikologe SANSKIJ als einzigen Unterschied zwischen Lexem und Frasmus die Tatsache anerkennt, dass der Frasmus aus mehreren wortartigen Komponenten besteht. Er überträgt denn auch die von VINOGRADOV für die Lexik entwickelten distributiven Kategoerien der Bedeutung (die "freie", die "phraseologisch gebundene" und die "syntaktisch gebundene") auf die Phraseologie (VINOGRADOV 1953, SAMSKXJ 1969: 47). - " F r e i " nennt er die Bedeutung eines Frasmus wie die flelssigen Lieschen. Denn dessen Bindungen zu andern Lexemen sind nicht "thematisch-logisch". Man kann die Einheit mit denselben Lexemen verbinden wie irgendeinen einfachen Blumennamen : mit begiesBen, kräftig etc. Andere Frasmen hingegen (keinen Pfifferling, aus Leibeskräften) lassen sich nur mit einem ganz bestimmten Lexem oder einer semantisch einheitlichen Reihe von Lexemen verbinden, wenn sie ihre spezielle Bedeutung ('nichts', 'sehr stark') realisieren sollen-. Dies ist die " p h r a s e o l o g i s c h g e b u n d e n e " Bedeutung. - Frasmen, die ihre Sonderbedeutung nur erhalten, trenn sie in Sätzen als Prädikativ auftreten, haben " s y n t a k t i s c h b e d i n g t e " Bedeutung: für den alten Fritzen ('vergeblich'^ aus dem Häuschen etc. Wie gesagt, ist eine solche Konzeption der "pnr»geologischen Bedeutung nur möglich, wenn man die "Einheit" des Frasmus überbetont, und zudem nach eigenem Gutdünken aus den Wortketten gewisse Bestandteile als "fest" heraustrennt und andere als notwendige Ergänzung von ihnen loslöst. (Für den alten Fritzen tritt immer zusammen mit dem Lexem .sein auf. Warum kann man da die Bedeutung nicht "phraseologisch gebunden" nennen. Oder warum sollte man den Frasmus nicht in der Form für den alten Fritzen sein aufführen, so dass die Bedeutung dann "frei" würde?) - in diesem Zusammenhang sei darauf hinaewiesen, dass von einem Frasmus zwar gesagt werden kann, mit welchen andern Einheiten er sich verbinden l&sst, dass das Gegenteil «User, nämlich die Aussage, welche Verbindungen unmöglich sind, meistens nicht in der Macht des Linguisten steht. (Vgl. unten S.48f) Die Frage der Aequivalenz von FRasnus und Wort ist erst in jüngster Zeit interessant geworden. Die ersten Jahrzehnte phraseologischer Forschung standen ganz im Zeichen von V.V. VINOGRADOVs Artikeln: Frasmen und Lexeme wurden als Einheiten der Sprache aufgefasst. Als einziger Unterschied galt die äussere Struktur. Die Bedeutung beider Arten von Einheiten wurde als kaqpakt, g a n z h e i t l i c h

beschrieten. Als man aber genauere Untersuchungen zur

phraseologischen Semantik anzustellen begann, konnte man weitere Unterschiede postulieren. (Deshalb ist deis im folgenden Gesagte zun Teil eine Vorwegnähme des 3. Kapitels.) Für eine Aequivalenz von Phraseologie und Lexik (zumindest auf gewissen Gebieten) setzt sich E.N. TQLIKINA ein

(TQLIKINA 1970: 213 - 221). Sie trennt

12 zuerst unter allen sprachlichen Zeichen die "denotativen" von den "konnotativen". Das " d e n o t a t i v e " Zeichen entsteht aufgrund der "Materialisierung des Resultats eines Abstraktionsprozesses", auf die eine Einteilung in Begriffe folgt. Die Bedeutung ist dann ein Kcrrplex von Verhältnissen der sprachlichen Zeichen zu ihren Begriffen und zu den Zeichen benachbarter Begriffe. Beispiele "denotativer" Zeichen sind sanit die Lexeme: Buch Fink Tanz Bein . etc. Aber es fallen auch feste Verbindungen darunter wie: das nördliche Eismeer die gesammelten Werke Der bildhafte Gebrauch sprachlicher Einheiten entsteht anders: Durch eine Transformation von Zeichen und ihren kombinatorischen Strukturen, die bereits auf dem beschriebenen Wege geschaffen sind. Dieser Bildung " k o n n o t a t i V e r " Zeichen liegt das Bedürfnis zugrunde, mit der Sprache andere Inhalte auszudrücken - solche, die kein Sachgebiet abstrahieren, sondern das Verhältnis des Sprechers zu ihnen darstellen. So kcmmen "emotionale", "affektive", "wertende", "modale" und andere Manente zum Ausdruck. Es handelt sich um sekundäre, subjektive Funktionen. Sie kennzeichnen die Bedeutung von Lexemen wie: Kreuz i'Bürde') Mist ('Unsinn') und von Fraanen wie: ins Gras beissen über die Stränge hauen Den subjektiven Inhalt bekennen diese Einheiten im Prozess der Bede als "pragmatisches Element der Bedeutung". Das Resultat kann allgemein akzeptiert werden und sich zur Norm erhärten. - Und in dieser Beziehung unterscheiden sich Lexeme und Frcismen nicht. A.M. ËMIROVA beschreibt diese Vorgänge noch näher: Entsprechend dem Gesetz der ungekehrten Proportionalität von Extension und Intension wird der Anwendungs-

13 bereich der phraseologischen Einheit durch Extension des in ihr enthaltenen Begriffs grösser (EMIICVA 1972: 60 - 61). Dies kann auf verschiedene Heise vor sich gehen: (1) M e t a p h o r i s c h e U e b e r t r a g u n g : ruht in den meisten Fallen auf einem Vergleich:

Sie be-

gegen den Strom schwimmen die zweite Geige spielen (2) H y p e r b o l i s c h e M e t a p h e r : Ein "Element des Vergleichs" wird in ein "Element der Verstärkung" transformiert. Es entsteht eine Litotes: bis zur Bewusstlosigkeit dass die Funken stieben Das Bild wird dabei nicht linear verwendet, sondern auf eine Seite hin zugespitzt. (3) S y n e k d o c h e : Die Uebertragung beruht auf der Beziehung eines Teils zum Ganzen: vor js. Nase das tägliche Brot (4) U a b e r s a h n e i d u n g e n verschiedener Typen der Uebertragung machen die Bedeutung besonders komplex. Z.B. Ueberschneidung der metaphorischen und der hyperbolischen Uebertragung ih: jm. den Kopf verdrehen. Oder Synekdoche und metaphorische Uebertragung in: mit eiserner Faust (5) S e k u n d ä r e M e t a p h o r i s a t i o n : Einheiten mit bereits übertragener Bedeutung lassen oft nochmals eine Umdeutung zu. Vgl. hierzu ¿ERNYSEVAS deutsches Beispiel jn. über die Klinge springen lassen. Die Bedeutung entwickelte sich von ursprünglich 'jn. töten" zu "jn. wirtschaftlich vernichten' (CEPNYSEVA 1973: 10). ÉMIROVAs Arbeit ist eine Heiterentwicklung von ROJZENZONs Darstellung der "eigentlich linguistische Phraseologisation" (vgl. unten s. 49 ff). Gleichzeitig bildet sie einen möglichen Ausgangspunkt zum Verständnis einer "phraseologischen Bedeutung". Denn eventuell werden von der Phraseologie andere Arten der Bedeutungsübertragung bevorzugt als von der Lexik. Davon muss man auch ausgehen, will man einen Unter-

14

schied zwischen Frasmus und Lexem formulieren.

EMIRCVA ist der Meinung, da ss die von ihr entwickelte Interpretation der phraseologischen Bedeutung auch auf übertragene lexikalische Einheiten anwendbar ist - zimLndest qualitativ. Einen Schritt von der "ganzheitlichen" Bedeutung weg bedeutet jedoch die Entdeckung von " K e r n w ö r t e r n " , auf die auch ÉMXRCVA hinweist. Sie können "mit den syntaktisch zentralen Wörtern zusammenfallen (oder auch nicht zusomenfallen) " (àttRCVA 1972: 58). Ein solches "Kernwort" wäre überspannen in der Einheit den Boaen überspannen.

Es ninmt einen

grossen Teil der Gesarrrtbedeutung des Fraanus in sich auf (vgl. die Tatsache, dass auch die Verwendung des Adjektivs überspannt

in der Bedeutuno 'Ubertrieben,

extrem' möglich 1st). Im Gegensatz dazu können sich gewisse Lexeme im Frasnus " semantisch neutralisieren". so dass sie nur noch "Indikatoren bestürmter Themen" werden, d.h. nur noch der Gesamtbedeutung eine bestimnte Nuance geben. (Vgl. die Rolle des Mjektives grün

in Kontn an meine grüne Seite!

das Attribut ist der Satz möglich; Kam an meine

Auch ohne

Seite'.)

Die Gegner einer Aequivalenz von Fraotus und Lexen machen meistens den Fehler, sich zu sehr auf Vergleiche "phraseologischer Einheiten" mit einzelnen Lexanen einzulassen. Die Aufgabe würde ihren leichter fallen, wenn sie den Frasmus gleichzeitig von der freien Wortverbindung abgrenzten. L.I. ROJZENZON formuliert die Stellung des Frasmus in der Sprache so: "Es ergibt sich ein paradoxes Bild: Die phraseologischen Einheiten sind funktional den Sätzen äquivalent, und dadurch gehören sie der Ebene der Rede an. Aber auf der andern Seite sind sie kraft ihrer Festigkeit und Reproduzierbarkeit als kommunikatives Ganzes ein unverrückbarer Teil der Ebene der Sprache" (ROJZENZON 1973: 81). Diese Dialektik sollte im Auge behalten werden; nur wenn von diesem "paradoxen Bild" ausgegangen wird, kann das Besondere an der Phraseologie erfasst werden. ROJZENZON selbst nimmt sich diese Möglichkeit leider sogleich wieder, indem er die Erklärung gibt, dass Widersprüchlichkeit ein universales Merkmal aller gesellschaftlicher Erscheinungen ist.

Viele Phraseologen versuchen sich von der Lexikologie zu lösen und operieren dennoch durchweg mit lexikologischen Begriffen. Als eine überzeugende Arbeit von der Richtung der eigenständigen Phraseologie darf diejenige A.D. RAJCHSIEJNS gelten. In seiner Theorie (RA3CHÖTE3N 1974) zeichnen sich Fraanen durch "reguläre Gebräuchlichkeit" ("Usualität") urd durch "irreguläre sprachliche Organisation" aus. Letztere zeigt sich einmal als "Idicmatizität" ("Fehlen des regulären Verhältnisses von Form und Inhalt"), gleichzeitig aber auch

15 ¿ils "Festigkeit" ("Fällen der regulären paradicpnatischen und syntajiMtlfldicn Veränderbarkeit"). "Idixmatizität", die Tatsache, dass die Gesamtbedeutunq des Frasrous nicht auf die Bedeutungen seiner Kcnçcnenten zurückgeführt werden kann, setzt voraus, dass in der entsprechenden Verbindung gewisse Veränderungen nicht möglich sind. Wenn RMCHSIKJN also die Semantik der festen Phrasen (Frasmen mit der Struktur eines Satzes) des Deutschen untersucht, kann er sich an objektiv erfassbare Kriteiien halten. "Im paradigmatischen Bereich 1st der reguläre deutsche Satz in direi relativ unabhängigen Aspekten veränderbar, und zwar im lexikalischen (L-Aspekt), im strukturell-syntaktischen (S-Aspekt) und in kcffleunikativ-grammatischeh (K-Aspekt). Oer L - A s p e k t setzt sich aus Lexemen zusammen, die hauptsächlich einzelne Elemente der objektiven Situation bezeichnen. Der S - A s p e k t besteht aus strukturell-syntaktischen Positionen und Relationen zwischen ihnen, die ein StrukturgefOge des Satzes bilden und eine sehr allgemeine Klasse von objektiven Situationen bezeichnen, z.B.: Ν V Ν 'Täter' + 'zielgerichtete Handlung* + Zielpunkt der Handlung'. Der K - A s p e k t setzt sich aus kommunikativ-grammatischen Merkmalen zusanmen, die die Aussage inhaltlich auf den Redeakt und den Sprechenden beziehen und ihr dadurch einen objektiv-subjektiven Charakter verleihen, zum Κ - Aspekt gehören dementsprechend die syntaktischen Bedeutungen der kommunikativen Abgeschlossenheit, der Redeabsicht (Aussage, Frage, Aufforderung), der Bejahung,bzw. Verneinung, der Zeit, der Modalität sowie die entsprechenden Auedrucksmittel (vor allem Intonation, Wortfolge, Negationspartikeln, verbale Zeit- und Modusformen u.a.m.)" (RAJCHSTEJN 1973: 218). -1 Beispiele für Veränderungen im "L-Aspekt" sind (nach RAJCBSTEJN 1974): Die Die Die Die

Schüler pflanzen Bäume. Jugendlichen pflanzen Säume. Jugendlichen giessen Bäume. Jugendlichen giessen Blumen.

im "S-Aspekt": Die Das die Die

Schüler pflanzen Bäurne. Pflanzen der Bäume durch die Schüler. Bäume pflanzenden Schüler Bäume werden von den Schülern gepflanzt.

im "K-Aspekt": Die Schüler pflanzen Bäume. Pflanzen die Schüler Bäume? Schüler, pflanzt Bäume.' Die Schüler pflanzen keine Bäume. Die Schüler haben Bäume gepflanzt.

16 RAJCHSTEJN untersucht nun Sätze auf verschiedene Arten der Defekte. "Fest" kann eine "Phrase" in Bezug auf einen der drei Aspekte, auf eine Kombination von zweien oder auf alle drei Aspekte sein. Dabei müssen immer mindestens zwei Aspekte gleichzeitig stabil sein, wenn eine "Phrase" zu den "festen prädikativen Einheiten" des Deutschen gezählt werden soll. - Dies ergibt drei Hauptgruppen: " E i g e n t l i c h f e s t g e p r ä g t e S ä t z e " sind "allseitig stabil": Da liegt der Hund begraben. Fertig ist die Laube. Wie sag ich's meinem Kinde? Hand aufs HerzJ Neue Besen kehren gut. Wer die Wahl hat, hat die Qual. In den " f e s t g e p r ä g t e n p r ä d i k a t i v e n s t r u k t i o n e n " ist der "K-Aspekt" variabel:

Kon-

Das Blatt wendet sich. Das Blatt hätte sich gewendet. ... wird sich das Blatt wenden etc. jm. läuft die Galle über der Knoten reisst (bei jm.) jn. sticht der Hafer. In den " f e s t g e p r ä g t e n lich variiert der "L-Aspekt".

S a t z s c h e m a s "

schliess-

(Pron/N und N/Adj/Inf) Der und ein Seemann? Du und Pferde füttern? (N/Adj/Pron ist ) Auftrag ist Auftrag. Verloren ist verloren. Dumm ist dumm. Weil "Festigkeit" und "Idiomatizität" gleichzeitig auftreten, unterscheidet RAJCHSTEJN parallel zu der "LKS"-, "LS"- und "KS"- "Festigkeit" eine "LKS"-, eine "LS"- und eine "KS"-"Idiomatizität. RAJCHSTEINS Beobachtungen zu "Festigkeit" und " Idianatizität" wären von geringer Bedeutung, wenn sie sich nur auf die verschiedenen "Aspekte" bezögen, d.h. wenn sie nur "absolute" "Festigkeit" bzw. "Idiomatizität" beträfen. Seine weiteren Ueberlegungen zeigen nun aber, dass es sich oft nicht um feste Einheiten im Sinne von Lexemen handelt, weil "Festigkeit" und " Idianatiz ität" leicht gestört werden können.

17 Bei der Phrase

Der Funke springt Über handelt es sich eindeutig un ein

Objekt aus der Phraseologie. Dennoch ist z.B. die Forderung nach "singulärer" Bedeutungsübertragung nicht erfüllt, gibt es doch Varianten: Der Funke glimmt Der Funke springt ina Pulverfase. Jeder Frasnus besteht aus Lexemen und ist deshalb gewissen Deformationen unterworfen, denen Einzellexeme viel weniger unterliegen (absehen sie ihrerseits aus Morphemen aufgebaut sind). Es sei hier eine Tabelle von "Festigkeits"- und damit auch von "Idiomatizitäts"- Typen wiedergegeben, die neben dem "Aspekt" auch das "Mass" und vor allem den "Teil" der Irregularität der "Phrasen" angibt (nach RAJCHSTEJN 1974: 30). Die " A s p e k t " - Festigkeit kann sich auf die ganze Phrase beziehen oder auch einen " T e i l " ausnehmen: Dies sind dann Phrasen mit einer Leerstelle ("nicht perfekte Teilfestigkeit"). Dazu kommt eine Aussage Ober das (relative) quantitative " M a s s " der Festigkeit. Nur "präferentiell" fest sind Phrasen wie Tu mir den Gefallen. Sie werden oft in der entsprechenden Form verwendet, aber mehr ist Ober sie nicht zu sagen. Sie können nicht als feste Einheiten formuliert werden, weil alle Veränderungen zugelassen sind und nur eine Form einfach vorgezogen wird. "Selektiv" feste Phrasen lassen Veränderungen zu, wenn auch nur ganz bestimmte. Ueberhaupt nicht veränderbar sind in Bezug auf das "Mass" der Festigkeit "absolute" Phrasen. Das Gesagte bezieht sich, wie erwähnt, ebenso auf die "Idiomatizität", zu deren Ermittlung dieselben formalen Kriterien verwendet werden.

MASS +

TEIL +

perabso- fekt lut nicht perfekt

selektiv

prâferentiell

perfekt nicht perfekt

ASPEKT allseitig

lexikalischstrukturell

Hat sich was.

Der Schornstein raucht.

Hol jn. der Teufel.

jm. schwillt der Keum.

Bedaure.

Der Funke glimmt/ springt ins Pulverfass/springt über.



Tu mir den Gefallen.

js. Stern geht auf/sinkt. Der Vergleich hinkt.

kommunikativstrukturell (N und N3 Der und Angst?





(N sein nicht mehr zu Infi Du bist nicht mehr zu retten.

18 Es gibt auch Untersuchungen, die statistisch festzustellen trachten, worin sich Freíanos und Lexem gleichen, und worin sie sich unterscheiden (z.B. in VOPHOSY III). Arbeiten wie diejenige RAJCHSteuNS aber werden der seltsamen "Einheit", die der Frasnus darstellt, eher gerecht. Auf diesen Begriff der "Einheit", und damit auf den Unterschied Fraatus/Lexem zielen auch die Ueberlegungen zur "Reproduzierbarkeit" (unten, Abschnitt 1.6). Sie werden nur ermöglicht durch die Wechselwirkung ven Festigkeit und Variabilität, wie sie RWCHSTEJN untersucht hat. Es ist jene Eigenschaft, die in der Phraseologie eine wichtige Bolle spielt, während sie auf der Ebene der Lexeme praktisch zu vernachlässigen ist. 1.4.

Ueberblick über die festen Wortverbindungen des Deutschen

Im folgenden sollen die Frasnen der deutschen Sprache vorgestellt werden. Dies diene gleichzeitig dazu, einige wichtige phraseologische Theorien zu besprechen. Die meisten können anhand ihrer FrasmenklOssifikation erläutert werden. Die Gruppen, die die verschiedenen Forscher bilden, gleichen sich oft ihrem Bestand nach - wenn auch die zur Trennung verwendeten Kriterien sich unterscheiden. - In diesem Unterkapitel gehe ich deshalb folgendermassen vor: Ich werde die einzelnen Typen separat besprechen, und zwar im wesentlichen der Klassifikation I. I. CEFNYSEVAS folgend ((ÜERNYSEVA 1970, 1976). In allen Fällen, bei denen andere Forscher zu gleichen Klassen gelangen, werde ich dies erwähnen und zeigen, wie sie vorgehen. - Nicht cil le phraseologischen Konzepte können indessen in diesem Raster behandelt werden. Zwei weitere wichtige Beiträge zur Forschung kamen daher unten unter 1.5. zu Wort. Schon hier sei auch auf Kapitel 2 hingewiesen, dessen Thema das alternative Verständnis der Phraseologie als Lehre von der Verbindharkeit von Lexemen zum Thema sein wird. Die Einteilung, der ich hier nun folge, kann man " s t r u k t u r s e m a n t i s c h " nennen (nach KUNIN 1970, äsPNYäEVA 1970 und andern) . Sie klassifiziert die Frasmen nach Unterscheiden in der Bedeutung und im syntaktischen Aufbau. - Da es unser Ziel ist, Klarheit Uber die w e s e n t lichsten

Besonderheiten der Phraseologie zu erhellten, vrerden wir ver-

schiedene Ansichten kritisieren müssen, obschon sie bei der Behandlung von Teilprobienen ihre Gültigkeit haben.

19 Das "Strukturelle" (Syntaktische) em der struktur-semantischen Methode wird z.B. meist eine sekundäre Stellung einnehmen. Es ist aber auch nur deshalb in der Forschung beachtet worden, weil man allen subjektiven semantischen Praktiken entgehen wollte. (Darunter fällt v.a. die Untersuchung der "Motiviertheit" phraseologischer Objekte - vgl. unten S. 21f.) Zentral bleibt aber die Semantik. Von verschiedenen Einteilungen nach der "Struktur"werden wir denn von vornherein Abstand nehmen. Dann nämlich, wenn es sich um Merkmale handelt, die mit keinen andersartigen Eigenschaften korrelieren.

Unser Verständnis von der Phraseologie wird mit der Zahl vorgestellter fronder Ansichten wachsen. Wir werden uns imex wieder gewisse nützliche Erkenntnisse zu eigen machen. Wir verden aber audi bei der Kritik an andern Theorien neue Erkenntnisse gewinnen. - Auch warn wir die Bedeutung und die Festigkeit in der Phraseologie sowie die Frage der Sprichwärter untersuchen, wird sich unsere Vorstellung van Frasnus Iraner mehr verändern. Wir werden al lmjthl ich van Begriff der starren "Einheit" abkamen zugunsten einer flexibleren, die den Möglichkeiten der Phraseologie eher gerecht wird. Dieses Vorgeben hat den Nachteil, dass sich meine Konzeption der Phraseologie erst an Schluss des Buches ergeben wird, und dass sie nur aufgrund der in den einzelnen Kapiteln entwickelten Gedanken verständlich sein wird. Andrerseits ist dies die einzige Darstellungsweise, die sich anbietet, wenn die Hauptzüge der bisherigen Forschung referiert werden und gleichzeitig mögliche Wege, sie weiterzuführen, aufgezeigt werden sollen. 1.4.1. Die phraseologischen Ganzheiten

Beispiele: jm. den Kopf waschen keinen Finger krümmen etwas auf dem Kerbholz haben jm. einen Bitren aufbinden ine Gras beieeen ins Fettnäpfohen treten der Gang nach Kanossa kalter Kaffee die Funken stieben mit Pauken und Trompeten Alle diese Frasmen bilden ein "untrennbares semantisches Ganzes" (¿BHNYäEVA 1970: 39). Natürlich kann man einzelne Komponenten (Lexeme) unterscheiden. Keiner von ihnen kann man aber eindeutig eine Bedeutung zuordnen. Die Gesamt-

20 bedeutung eines solchen Ausdruckes ist " ü b e r t r a g e n "

(ÍEFNYSEVA 1970:

8). Sie entspricht nLcht der Sume der Bedeutungen seiner Komponenten (SMIRNICKU 1956: 34, TAGIEV 1969: 128 u.a.). I.I. CeSNySeVA nennt Frasnen dieser Art " p h r a s e o l o g i s c h e

G a n z h e i t e n "

.5

Als nach Kanossa gehen noch eine freie Wortverbindung war, konnte diese im gleichen Sinne verwendet werden wie z.B. nach Jyväskylä gehen, nach

Mänttä

gehen, nach Keuruu gehen. Dann aber erhielt sie bekanntlich die Bedeutung 'sich unterwerfen'. Sie hatte nun neben ihrer wörtlichen noch eine "übertragene" Verwendung. Man kann sich eine solche Entwicklung gut vorstellen, indem man sich die Verbindung zunächst mit dem Einschiebsel quasi angewendet denkt: Rolfj der gute, ist quasi nach Kanossa gegangen.

Nun müssen wir aber die Uebertragung der Bedeutung nicht unbedingt historisch erklären können. Der Ausdruck vom Regen in die Traufe kernten, z.B., war wohl nicht ursprünglich in seiner direkten Bedeutung gebräuchlich. Er wird schon cils bndhafte Einheit geschaffen worden sein. Vielleicht wurde er von einem einzelnen Sprecher (Autor) geprägt (nach G K M 1 ist er seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlich). Andere übernahmen ihn, und schliesslich wurde er allgemein bekannt. Dennoch nennen wir auch diesen Frasnus "übertragen". Somit definieren wir diesen Begriff rein statisch und

strukturell: Zu einer "übertragenen"

Wbrtverbindung gibt es iitmer eine gleich lautende (homonyme) freie, mit wörtlicher oder "litteraler" Bedeutung (vgl BURGER 1973: 29). In dieser treten die gleichen Kanponenten auf. Da lässt sich aber die Gesamtbedeutung aus ihnen "analytisch" ermitteln. Man vergleiche die folgenden Beispiele: die Flinte ins Korn werfen sein Mäntelohen nach dem Wind hängen über seinen eigenen Schatten springen Wir sind uns gewohnt, diese Wortverbindunrren

in ihrer "übertragenen" Bedeutung

zu verstehen. Wir können aber auch wirklich an ein Gewehr denken, das ins Getreide geworfen wird, an ein Kleidungsstück, das in der Luft flattert, an eine Szene aus einem Märchen. - Gewöhnlich weist man jedoch die übertragene Bedeutung 5

Der Terminus stammt von V.V. VINOGRADOV. Vgl. unten S. 21. - Die gebräuchlichsten russischen Formen der linguistischen Termini finden sich im Register.

21

dadurch nach, dass die Lexeme In andern angebungen auftreten als den üblichen. (So macht es zum Beispiel TAGIEV 1966. Vgl. unten S.44ff). Dies leuchtet vor allem dann ein, wenn es um übertragene Einzellexeme geht: Diesen Mist mueet du nicht nochmals schreiben, die β ü s s e η Erinnerungen cm Sachere Tochter Die letzte Szene des 'Würgers von Boston' ist gestorben . Die "phraseologischen Ganzheiten" stellen den Paradefall fester Wortverbindungen dar. In allen Theorien nehmen sie den Mittelpunkt ein, - werden sie nun als von gesamthaft "übertragener" Bedeutung

(2EFNY5EVA,

KÜNINl

spezieller

Distribution (TñGIEV) oder analytisch nicht erschliessbarer Bedeutung (BURGER, TELIJA etc.) erklärt. Ursprünglich wurde diese Gruppe unterteilt. Man kannte Wendungen mit " m o t i v i e r t e r " und solche mit " u n m o t i v i e r t e r " Bedeutung. Diese Betrachtungsweise geht auf V.V. VINOGRADOV zurück (Vgl. VINOGRADOV 1947). Seine Klassifikation ist noch heute ein Eckpfeiler im Lehrplan sowjetischer-Hochschulen. In VINOGRADOVs Sinn arbeitet noch vor allen N.M. SANSKIJ (SANSKIJ 1969, 1972). - "Unmotivierte" Bedeutung haben in solchen Theorien die Frasmen. an jm. einen Narren gefressen hßben ins Fettnäpfchen treten Knall und Fall Nehmen wir zum Beispiel den Frasmus an jm. einen Narren gefressen haben. Die Bedeutung ist etwa: 'eine grosse Vorliebe für jn. haben'. Sie lässt sich in keinen Zusammenhang bringen mit irgendeiner der Bedeutungen von Warr und fressen. Trotzdem kann man sagen: für:

Old Wabble hat an dem Komantschen einen Narren gefressen. Old trabble hat den Komantschen gern.

Frasmen dieser Art heissen nach VINOGRADOV " p ' h r a s e o l o g i s c h e Z u s a m m e n b i l d u n g e n " . - Bei den " p h r a s e o l o g i s c h e n G a n z h e i t e n " (im ursprünglichen Sinne - bei der Gruppe, die VINOGRADOV so benannte) ist das zugrundeliegende Bild mit der Bedeutung des Ausdrucks verknüpft. Diese Frasmen haben eine "dumpfe Andeutung von Motiviertheit und semantischer Teilbarkeit" (VINOGRADOV 1946: 341), z.B.: aus einer Mücke einen Elefanten machen das fünfte Rad am Magen nach js. Pfeife tanzen Es besteht "eine Beziehung, die mit der Erkenntnis der Verhältnis-

22

ses von der Bedeutung des Ganzen zu seinen Bestandteilen verbunden ist". (VINOGRADOV 1947: 342) Dass das Kriterium der "Motiviertheit" zur Trennung zweier Frasmusgruppen subjektiv ist und deshalb wenig zu einer klaren Theorie beitragen kann, leuchtet ein. Jeder Sprecher, bzw. jeder Linguist, hat wieder andere Assoziationen bei ein und demselben Frasmus. Keine konkreten Hilfsmittel lassen entscheiden, wo die Unmotiviertheit aufhört, und wo die Motiviertheit anfängt. Es war deshalb richtig, aus den beiden Klassen eine einzige zu machen, wie dies z.B. N.N. AMOSOVA und I.I. SERNYSEVA taten (als "Idiome": AMOSOVA 1963, oder "phraseologische Ganzheiten": CERNYBEVA 1970). Andererseits darf nicht übersehen werden, dass in manchen Fällen der Sprecher einen Frasmus als motiviert erkennt (Dieter hat aus dieser Mücke einen Elefanten gemacht, und was für einen grossen) - was sich darin zeigen kann, dass er mit Elementen der Einheit spielt. Da aber auch dies individuell verschieden ist, spricht man ^ besser als von. "Motiviertheit" von " M o t i v i e r b a r k e i t " .

Die zentrale Stellung der "phraseologischen Ganzheiten" In der Forschung 1st nicht von jeder Seite her gerechtfertigt, wohl stellen sie den extrensten Fall übertragener Wortkomplexe dar. Aber in der Gesamtheit aller festen Wbrtverbindungen sind sie in der Minderzahl. Quantitative Untersuchungen zeigen auch, dass in der Alitagskcnnunikaticn wohl viele Fraanen vorkamen, davon aber 7 "phraseologische Ganzheiten" relativ selten.

1.4.2. Die phraseologischen Verbindungen Beispiele: das der das das der

französische Bett schwarze Kaffee goldene Buch gelbe Fieber blinde Passagier

I.I. CEFNYSEVA nennt Fraanen dieses Typs "semantisch

t e i l b a r "

(CEFN-

Y§EVA 1970: 46). Eine Konponente tritt ininer in der erwarteten Bedeutung auf (Kaffee, Bett, Buch, Fieber, Passagier). Was dem Komplex seine Besonderheit gibt, ist deshalb das Ädjektiv (französisch, schwarz, golden, gelb, blind).

6 7

Ich übernehme einen Terminus von R. JAUN (persönliche Mitteilung). Entsprechende Untersuchungen werden an der Universität Zürich im Rahmen des Projektes "Phraseologie" des Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt.

23 Es ist übertragen verwendet. Und zwar ist die Bedeutungsübertragung " s i n g u l a r " (CefnySeva 1970: 28). Das entsprechende Lexem könnt ausserhalb dieser Verbindung nirgends mehr in derselben Bedeutung vor. Nur aus diesem Grunde zählt man diese Beispiele, die " p h r a s e o l o g i s c h e n bindungen"

Ver-

, zur Phraseologie.

£ERNY5EVAS Begriff der "singularen" BedeutungsQbertragung bezog sich auch schon auf die "phraseologischen Ganzheiten". Er let damit verknüpft, dass diese Einheiten ein "untrennbares semantisches Ganzes" bilden.

Im Deutschen finden wir relativ wenige "phraseologische Verbindungen". Häufiger wird die spezielle Bedeutung eines Wortes lexikalisiert. Das heisst, sie tritt auch in Kombinationen mit weiteren Lexemen auf. - So ist es möglich, dass die Wendung der kalte Krieg zunächst eine "phraseologische Verbindung" war (wahrscheinlich als UeberSetzung des englischen cold war). Heutzutage kamt kalt aber noch in anderem Zusamnenhang vor und behält die gleiche Bedeutung: die kalte Progression der kalte Preisauf achlag die kalte Inflation Diese Bedeutung von kalt kann etwa mit 'versteckt' wiedergegeben werden.(Vgl. auch den Gebrauch in auf kaltem Weg. ) Dass auch eine Germanistin wie I.I. CERNYSEVA Ausdrücke dieser Art in einer separaten Gruppe zusamnenfasst (CERNYSEVA 1970: 46 ff.), erklärt sich aus der Tradition: Im Russischen gibt es Wörter, die nur in gebundener Form vorkommen, und deshalb auch nur eine, eben gebundene, Bedeutung haben. Diese ist aber genau bestimmbar, und es besteht deshalb kein zwingender Grund, die entsprechenden Verbindungen in der Phraseologie zu untersuchen. Vgl.: zakljatyj vrag ('Erzfeind') zakadyünyj drug ( 'Busenfreund' ) Die einzige deutsche Entsprechung, die mir bekannt ist, wäre das transitive Verb blecken, das nur in der "phraseologischen Verbindung" die Zähne blecken ('die Zähne zeigen') vorkommt. - VINOGRADOV war es, der für solche Fälle die Gruppe der "phraseologischen Verbindungen" einführte (VINOGRADOV 1946: 362). Er sah in ihnen Frasmen, die eindeutig motiviert sind, weil sie ja ein Lexem mit freier (neben mindestens einem mit gebundener) Bedeutung enthalten. VINOGRADQVs Massnahme scheint mir aber nicht notwendig. Die Bedeutung kann ohne

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weiteres mit den entsprechenden Selektionsrestriktionen im Lexikon eingetragen werden. Es ist gar nicht nötig, die Phraseologie zu bemühen (vgl. BURGER 1973: 20). N.N. AM3SCVA untersucht die "phraseologischen Verbindungen" der englischen Sprache auf eine etwas andere Art (AHOSCWA 1963). Sie benutzt eine von ihr entwickelte " K o n t e x t o l o g i e " . Fraanen " P h r a s e m e

Darin nennt sie diese Gruppe von

". Z.B.:

French window wide awake Artesian well Von der "Kontextologie" her gesehen handelt es sich jeweils un ein Lexem (French, wide, Artesian), dessen spezielle Bedeutung sich erst realisiert, wenn es zusamnen mit einen bestürmten andern Lexem ( window, awake, well) auftritt. "Phraseologie" ist für AMOSOVA die Lehre von jenen Wortverbindungen, die einen "festen Kontext" bilden: Isoliert betrachtet, bildet jedes Wort ein "System von freien, sozial erhärteten semantischen Kräften, und erst kontextuelle oder situative Hinweise aktualisieren eine seiner Bedeutungen". (AMOSOVA 1963: 27. Vgl. den heute üblichen Begriff der Monosemierung polysemer Einheiten. Z.B.: SCHIPPAN 1972: 97-103.) Ein " K o n t e x t " enthält einmal ein Lexem, das in dieser Weise "semantisch realisert" werden muss. Dann gehört dazu noch ein "hinweisendes Minimum". Dies ist meistens ein anderes Lexem (es kann sich aber auch um einen ganzen Satz oder Text, bzw. um eine Situation handeln) mit der nötigen Information, um jenes zu verstehen. Map vergleiche die folgenden Sätze: (a) Beim letzten Polospiel ist es Vreneli arg ergangen. (b) Sie war arg froh, dass sie im Sattel blieb. Für arg (das "semantisch zu realisierende" Lexem) ist in Satz (a) das Verb ergehen "hinweisendes Minimum". Die Bedeutung von kann in diesem Kontext ungefähr 'übel' sein. Anders in Satz (b). Da bedeutet arg etwa das Gleiche wie sehr." Dies dank dem "hinweisenden Minimum" froh. Dieselben Bedeutungen des Lexems arg können aber auch in andern Verbindungen festgestellt werden. Sie werden nicht nur nur auf eine Art realisiert. Vgl.: (a) Brigitte hat es arg (b) Jarkko und Laura waren arg

getrieben. unglücklich.

Der Kontext ist also nicht durch eine einzige Form festgelegt, sondern durch eine semantische Klasse. AMOSOVA nennt ihn den " ν e r ä η -

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d e r l i c h e n "

Kontext.

Andrerseits gibt es Lexeme, die zusammen mit nur einem "hinweisenden Minimum" eine spezielle Bedeutung haben, die sonst nirgends auftritt. Ein Beispiel bildet das Adjektiv blind, wenn es einen Kontext mit dem Substantiv Passagier eingeht. Sinzig in der Verbindung blinder Passagier hat blind die Bedeutung 'unerlaubterweise mitfahrend', 'verborgen' o.ä.. Es handelt sich um einen " f e s t e n Kontext". Nur die "festen Kontexte?bilden die "Phraseologie", wie AMOSOVA sie versteht. Den "kontextologischen" Idealfall bilden run eben die "phraseologischen Verbindungen" oder "Phraseme": Semantisch zu realisierende Komponente und "hinweisendes Minimum" sind genau abgrenzbar: das höhere / Ziel die jüdische / Hast der hohe / Norden Problematisch wird das "kontextologische" Verfahren bei den "phraseologischen Ganzheiten" (AMOSOVA nennt sie " I d i o m e " ) . Die Phraseme" enthielten noch eine Komponente, die Bestandteil eines veränderlichen Kontextes war. Bei blinder Passagier ist dies das Lexem Passagier: Der blinde Passagier ist

entwischt.

In diesem Satz bildet ist entwischt das hinweisende Minimum für Passagier (dies, wenn man den ganzen Satz analysieren will - also auch die veränderlichen Kontexte), Passagier aber das hinweisende Minimum für blind. - Im "Idiom" nun kann nicht mehr ein hinweisendes Minimum von einem semantisch zu realisierenden Teil getrennt werden. Nach AMOSOVA stellen die beiden Teile eine "Identität" dar. Es ist allerdings auch folgende Formulierung möglich: Im "Idiom" gibt es die beiden Merkmale (semantisch zu realisierendes Element und hinweisendes Minimum), die zur Definition der "Phraseologie" dienen, gar nicht. Dies ist das Handicap der "kontextologischen" Methode. Sie verunmöglicht das objektive Arbeiten gerade in den vielen Fällen, in denen "Idiome" freien Kombinationen von Lexemen lautlich gleichen. Hier muss ein Hinweis ausserhalb des Kontextes gesucht werden. Vgl.: the grey mare (dies ist AMOSOVAs eigenes Beispiel) das schwarze Schaf ins Wasser fallen etc. AMOSOVA stellt zwar fest, dass Zehntausende von Seiten englischer Literatur untersucht wurden und sich dabei nur zwei oder drei veränderliche Wortverbindungen fanden, die mit gleichlautenden "Idiomen" hätten verwechselt werden können (AMOSOVA 1963: 80). Die Schwäche der "Kontextologie" ist damit aber nicht eliminiert.

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ÄMOSCVAs Erklärung der "phraseologischen Verbindungen" relativiert den Begriff der "freien" Wortbedeutung, den andere Phraseologen für normale Lexeme verwenden (Vgl. audi VINOGRADOV 1953) : "Dass in einem Wart auch nur zwei Bedeutungen zusammen enthalten sein können, verwandelt jede der beiden automatisch in eine unfreie, kcntextuell gebundene". (AM3SCVA 1963: 32) Es nuss hier aber betont werden, dass es nicht gelingen wird, feste Grenzen zu ziehen - ob nun von "Phrasemen" oder "phraseologischen Ganzheiten", ob von "festem Kontext" oder von "singulärer Bedeutungstibertragung" gesprochen verde. Keine der beiden Methoden erlaubt es, eine Kombination wie taube Nuss eindeutig zu klassifizieren. Viele Sprecher gebrauchen das Adjektiv taub tin der Bedeutung 'leer') nur in diesem Kontext. Andere aber kennen daneben noch die Kombination taube Aehre.Ist nun für die einen taube

HUBS

eine "phraseo-

logische Verbindung", für die andern aber nicht? Soll nan statistischen Erhebungen die Entscheidung überlassen? Solche Probleme sind übrigens nicht nur idiolektal, sondern oft auch soziound dialektal bedingt. (Anschauungsmaterial hierzu bietet GRCBER-GLUECK 1974.) Man geht ihnen aus dem Weg, wenn man bedenkt, dass auch eine "singulare" Bedeutung eines Lexems eine Bedeutung ist, die im Lexiken eingetragen sein kann. Denn dass die Zahl der möglichen Verbindungen, die ein Lexem eingehen kann, in jedem Fall beschränkt ist, versteht sich. Nur bei "phraseologischen Ganzheiten" ist eine separate Eintragung der Komponenten nicht möglich. - Die singulare Uebertragung ist nur ein Spezialfall der lexikalischen Bedeutung. Solange sie sich nicht auf einen ganzen Lexemkorplex bezieht, wirft sie keine besonderen Probleme auf. Trotz all diesen Ueberlegungen gibt es einen Grund, "phraseologische Verbindungen" dennoch zur Phraseologie zu zählen. Das ist ihre Erstarrtheit. Wenn in einem der beschriebenen Fälle syntaktische (transformtionelle) Restriktionen, bzw. semantische Isolation nachgewiesen werden kann, ist der Beweis erbracht , dass die Wortverbindung cils Einheit verwendet wird; man darf sie zu den Frasmen rechnen. Die Komponenten haben ihre syntaktische Selbständigkeit zun Teil eingebüsst.

27 Und das ist meistens der Fall. Vgl. z.B.: * der schwarze, süsse Kaffee * der blinde, fröhliche Passagier Vgl. weiter z.B. BUSGER 1973: 75 -92. Es ist allerdings zu erwähnen, dass die Beurteilung der Akzeptahilität solcher Formen von Sprecher zu Sprecher variiert. Auf dieses Problem Küssen wir im Kapitel zur Festigkeit zurückkönnen. Es ist bezeichnend, dass unter den "phraseologischen Verbindungen" imimmer nur nominale Bildungen untersucht werden, deren attributiver Teil "übertragene Bedeutung" aufweist (so schon bei VINOGRADOV 1946, bei SANSKIJ 1 9 6 9 , AMOSOVA 1 9 6 9 , PERNYSEVA 1 9 7 0 etc.). Es kommt aber auch der umgekehrte Fall vor: die weisse Mauss ('Polizeifahrzeug') das schwarze Gold ('Erdöl') der deutsche Michel ('"Durchschnitts-"Deutscher') Auch dies wären Einheiten, die in ein "hinweisendes Minimum" und eine "semantisch zu realisierende Komponente" einteilbar wären. Die Verbindungen scheinen aber viel kompakter, da nicht das benennende Nomen, sondern das es näher beschreibende Adjektiv "litterale" Bedeutung hat. - Dies lässt erwägen, ob nicht die Einheit als Ganzes betrachtet werden soll. Die "phraseologischen Verbindungen" könnten dann gleich behandelt werden wie die "phraseologischen Ganzheiten". (Man denke auch daran, wie problematisch die Aussage ist, Passagier in blinder Passagier habe litterale Bedeutung!) Angesichts der Tatsache, dass die Einheiten fest sind, ist das M a s s der Bedeutungsübertragung nicht mehr wichtig. Die Diskussion darüber gleicht der Diskussion über die "Motiviertheit" der Frasmen. Hingewiesen sei hier auch noch auf die verbalen "phraseologischen Verbindungen". Auch "Verben" wie durchdrehen, aufdrängen, einsehen sind Frasmen und werfen die gleichen Probleme auf (vgl. unten S. 58).

1.4.3. Die phraseologisierten Bildungen Beispiele: der echmarze Markt der schwarze Rubel der schwarze Kurs etc.

28 das blinde Fenster das blinde Knopfloch die blinde Tür , etc. der kalte Krieg die kalte Progression die kalte Aufuertung^^ weisse Weihnacht weisse Os tern weisse Ρfinge ten ^ Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es fast nie möglich ist festzustellen, ob eine Einheit wirklich eine "phraseologische Verbindung" ist, ob das entsprechende Lexem wirklich nur einmal in der "übertragenen" Bedeutung verkannt. Dennoch pflegt man gerade hier eine Grenze zu ziehen - diejenige zwischen den "phraseologischen Verbindungen " und den g i s i e r t e n

" p h r a s e o l o -

B i l d u n g e Η".® I.I. ÖEFNYSEVA rechnet letztere sogar

bereits zu den "nichtphraseologischen Einheiten", N.N. AM3SOVA bezeichnet sie als Einheiten "am Rand der Phraseologie", ohne kenntlich zu machen, ob sie sie diesseits

oder jenseits der Grenze ansiedelt. "Phraseologisierte Bildungen"

sind ganze Serien von Kombinationen, die ein "übertragenes" Lexem eingeht (ÍEPNY&VA 1970: 63f) .

Innerhalb des "kontextologischen" Konzeptes erscheinen die "phraseologisierten Bildungen" als "Einheiten des h a l b f e s t e n Kontextes" ("P h r a s e o l o i d e"). Das "hinweisende Minimum" ist dabei weder "klassisch veränderlich" noch wirklich fest (denn dann wäre nur ein bestimmtes Lexem nötig, um die "gebundene Bedeutung" zu erzielen). Aber die Auswahl ist im Gebrauch eingeschränkt, die Bedeutung "usuell gebunden" (AMOSOVA 1963: 70). Vgl. AMOSOVAs Beispiele (AMOSOVA 1963: 71): Dutch comfort Dutch consolation violent . , ^ violent violent

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means , death measures

(1 vergeblicher Trost•) ('Gewalt

Der Terminus stammt von L.I. ROJZENZON.

» Cesarean operation ,. Cesarean section

,.„ . . ('Kaiserschnitt')

AMOSOVA betont, dass Serien von S^honymen sowohl bei den "Phraseoloiden" als auch bei den "Phrasemen" auftreten können. Wird dabei der "semantisch zu realisierende" Teil variiert, so handelt es sich um verschiedene "Phraseme". Z.B.: wide awake broad awake Jedesmal ist eine einmalige, singulare, Bedeutung des entsprechenden Adjektivs im Spiel. Und dass sich beide in der Anwendung decken, ist Zufall. Wenn aber das "Schlüsselwort" variiert wird, z.B. int Canterbury tale. Canterbury story, so muss von "Phraseoloiden" gesprochen «erden (AMOSOVA 1963: 71). Es liegt bereits eine Art Modell vor, auch wenn dieses nur auf zwei Fälle beschränkt ist. Dies soll den Uebergang von Einheiten des "festen" zu Einheiten des "veränderlichen Kontextes" (und umgekehrt) zeigen. In der traditionellen, auf VINOGRADOV fussenden Phraseologie werden die "phraseologischen Verbindungen" und die "phraseologisierten Bildungen" nicht voneinander getrennt. VINOGRADOV z.B. lässt auch "phraseologisierte Bildungen" als Beispiele seiner "phraseologischen Verbindungen" zu. SANSKIJ hingegen reinigt seine Listen von solchen Serien, ohne sich jedoch darüber auszusprechen (VINOGRADOV 1947, S. 363 ff, SANSKIJ 1969 § 18).

Zur Gruppe der "phraseologisierten Bildungen" sind ähnliche Vorbehalte zu machen wie zu den "phraseologischen Verbindungen": Eine Wortverbindung ist erst dann phraseologisch, wenn sie erstarrt ist. Jedes Glied einer Serie muss denn auch dahingehend untersucht werden. Eine Wortverbindung wie das blinde Knopfloch wird von Sprecher nicht auf gleiche Weise als Einheit enpfunden wie z.B. das heieee Eisen. In jedem konkreten Fall stellt sich also erneut die Frage, ob überhaupt von einen Frasnus gesprochen -werden soll oder nicht. Sprechen objektive Kriterien dafür, so spielt die Bedeutungsübertragung der einzelnen Komponenten eine sekundäre Rolle. Der Ausdruck der kalte Krieg ist der gebräuchlichste aus der entsprechenden Serie. Es bereitet keine Schwierigkeit, diese Hortverbindung a^s Einheit zu akzeptieren. Weniger häufig benutzt man die Bildung die kalte Aufwertung. Hier sind auch Umschreibungen üblich.

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(die Aufwertung des Frankens infolge Abwertung des Dollars). Auf dem Plakat einer rechtsstehenden Partei steht gar die Formulierung: Gegen die kalte Einwanderung.' ( ' Plafonierung von Gastarbeitern'). Es kann zweifellos argumentiert werden, es komme noch die gleiche Bedeutung von kalt vor wie in kalte Aufwertung. Es ist aber ebenso klar, dass die Verbindung erst in einem Soziolekt gebräuchlich, "phraseologisch" ist. FOr den Grossteil der Sprecher ist sie neu, individuell. Dass sie verstanden wird, ist aber gewährleistet durch den Vergleich mit bekannteren Hortverbindungen wie kalter Krieg. Eine Phraseologietheorie sollte derartige Erscheinungen erklären können. (Vgl. unten die Kapitel über die Bedeutung und über die Festigkeit. ) E i n Merkmal von Frasmen i s t die "Singularität" des Auftretens in einer bestimmtèn Gesamtbedeutung. Wenn diese nicht vorliegt, kann es sich aber dennoch um einen Frasmue handeln.

1.4.4. Die Modellilildungai Beispiele: von Kopf bis Fusa von Anfang bis Ende von Grünwald bis Limaetc. Zug um Zug Glas um Glas Fiasche um Flasche . etc. ein Mann von Format ein Mann von Ausdauer eine Frau von grosser Tapferkeit

In den bisher vorgestellten Gruppen wurde die Besonderheit der Bedeutung durch riac gemeinsame Auftreten bestürmter Lexeme signalisiert. Nun gibt es aber auch Ausdrücke, die nicht mehr nach ihrem Bestand, sondern nur noch nach einen s y n t a k t i s c h e n

S c h e m a , innerhalb eines gewissen lexikalischen Rahmens,

fixiert sind. Die Leerstellen können weitgehend frei mit Lexemen aufgefüllt werden. Der gesamte Ausdruck erhält aber zudem eine festgelegte "semantische Nuance" (ÍEFNySeVA 1970: 64 ff). Allerdings kann hier nicht übersehen »erden, dass diese kaum abgrenzbar ist von der "semantischen Nuance", die analog konstruierten individuellen syntaktischen Konstruktionen innewohnt.

31 Oie "Macteilbildung" (Ν Pfäp von Ν), wie & F N Y S E V A sie versteht, läset fol» gende konkrete Bildungen zu:

eine Dame von Format eine Dame von Welt ein Mam von ungeheurer Lebenskraft (vgl. C E F N Y S E V Ä 1970t 65) Dabei charakterisiert die zweite Komponente die erste näher - im Gegensatz zu andern Beispielen, etwa: eine Seele von Mensch, wo die Wahl der Raqponenberi noch freier ist. Vgl. E. Strittmatters Schaffungen (nach C E F N Y S Ë V A 1970 : 66) : ein Bierfaee von einem Kerl eine LOuenzähnblüte von Wort I.I. CERNYSEVA fasst den Begriff der " m o d e l l i e r t e n B i l d u n g " weiter als ich in dieser Darstellung. Bs gehören auch noch die Streckformen des Verbums dazu, die im nächsten Abschnitt besprochen werden, weil sie nicht nach einem ebenso scharfen Modell gebildet sind. Ich habe dennoch darauf verzichtet, für die hier als "Hodellbildungen" vorgestellten FTasmen CEHNY3EVAS von AMO SOVA übernommenen umständlichen Begriff "typisierte granmatischstilistische Konstruktionen" (die wie die "analytischen Konstruktionen" eine Untergruppe der "modellierten Bildungen" darstellen) zu verwenden.

Sobald nan Wartverbindungen ihrer syntaktischen struktur nach klassifiziert, besteht die Gefahr, dass man die sanantisehen Verhältnisse zu wenig genau beleuchtet. Deshalb müssen wir, un zu entscheiden, ab es sich im Ftasmen handelt oder nicht, auch diesmal jede Verbindung einzeln untersuchen. In der sowjetischen Literatur wird leider nicht darauf hingewiesen, dass in den "Modellbildungen" meistens nur gewisse syntaktische Regeln f e s t sind, denen die (individuell gestaltete) Verbindung gehorcht. Andrerseits ist es sehr leicht möglich, dass çinige solche Bildungen dennoch Fraanen werden: von Kopf bis Fuse Tag für Tag ein Mann von Format Dies sind gebräuchliche Wartverbindungen, die, im Gegensatz zu andern Model Ibi ldungen, nicht jedesmal neu produziert werden. Der Unterschied ist ähnlich wie der von den Olympischen Spielen (Erasmus) zu den olympischen Wett-

kämpfen, der olympischen Eskalation, dem olympischen Schwümistadion (fr

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Wortverbindungen). - Es gibt die Frasmen: von von von von

Tag zu Tag Ort zu Ort Mann zu Mann Pontius zu Pilatue

Der Schluss liegt nahe, sie alle aufgrund ihrer syntaktischen Aehnlichkeit in ein und dieselbe Serie zu versetzen. Semantisch aber verheilten sie sich unterschiedlich. Noch weniger passen Wortverbindungen wie von Marx zu Lenin in diese Reihe.

von Mann zu Mann bezieht sich nicht auf irgendein Gespräch zwischen Männern, sondern zeigt gleichzeitig etwas über dessen Inhalt an. Der Ausdruck bezieht sich auch immer nur auf eine Situation mit zwei Leuten. Im Gegensatz dazu heisst von Ort zu Ort 'an viele Orte'. Es wird auf eine stete Forbewegung Bezug genommen. Dagegen kann von Tag zu Tag auf eine ständige Entwicklung angewendet werden, von Ort zu Ort nicht: Agnes wird von Tag zu Tag dicker. * Jean-Pierre wird von Ort zu Ort magerer. Es besteht aber wieder die Gefahr, Oeberlegungen über die Motivierbarkeit der Frasmen anzustellen, anstatt sie einmal als Einheit anzunehmen und dann eben jeden für sich, nicht in Kontrast zu andern, zu untersuchen. Man kann sich vorstellen, dass diese Frasmen aus individuellen Bildungen entstanden sind. Der umgekehrte Fall, dass die Modellbildungen Ableitungen von Frasmen sind, ist aber ebenso wahrscheinlich. (Einen ähnlichen Standpunkt niimtt auch L.I. RQJZENZON ein, wenn er die "sekundäre Phraseologisation" untersucht. Sie wird weiter unten zur Sprache können.) In einer Darstellung der Synchronie ist es nicht wichtig, welche der beiden Erklärungen verwendet wird.

Die folgende Serie können wir beispielsweise als Ableitungen des Frasmus von Tag zu Tag postulieren: von Woche zu Woche von Jahr zu Jahr von Minute zu Minute Als Ableitungen des Frasmus

von Mann zu Mann:

von Kind zu Kind von Schüler zu Schüler von Papagei zu Papagei

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Als Ableitung des Frasmus

VOJI Ort zu Ort:

von Gefängnis zu Gefängnis von Schlaraffenland zu Schlaraffenland von Grashalm zu Grashalm Ausführliche Untersuchungen zur S e m a n t i k der "Modellbildungen" fehlen leider, Am eingehendsten kommt diese struktursemantische Gruppe bei I.I. SERNYSEVA zur Sprache (CERNYSEVA 1970: 64 - 69). In ihrer Theorie gehfiren sie selbstverständlich zu den "nichtphraseologischen Einheiten" (weil sie eben nicht "singultir" gebildet sind). Trotzdem - und wahrscheinlich wegen der skizzierten Tendenz, dass aus "Modellbildungen" "phraseologische Ganzheiten" werden können - finden sich bei ihr noch unter den "phraseologischen Ganzheiten" alle " k o m p . a r a t i v e n P h r a s e ol o g i s m e n " (die "stehenden Vergleiche") und die " P a a r formeln": stumm wie ein Fisch schifeigen wie das Grab die Art und Heise Tag und Nacht Wie wir wissen, fordert SEKÜYSEVA für "phraseologische Ganzheiten" vollständige Bedeutungsübertragung. Bei den hier erwähnten Gruppen ist diese wieder nicht 1 inner leicht zu ermitteln. - Hohl existieren Paarformeln wie Krethi und Plethi, die die Bedingung der Uebertragung ganz erfüllen. Bei andern aber (Tag und Nacht, Art und Weise) ist die Sache nicht so klar. In "komparativen Phraseologismen" schliesslich ist e i n Glied grundsätzlich nie übertragen verwendet ( f r e c h wie Oskar)? Gerade bei einer Bestandesaufnähme, wie sie Im vorliegenden Kapitel gegeben werden soll, kann ein Vorgehen nach Strukturtypen nützlich sein. Die äussere Struktur stellt aber keinen zuverlässigen Hinweis auf die Innern Eigenschaften einer Wortverbindung dar, sie lässt nicht darauf schliessen, ob sie phraseologisch ist oder nicht. Oeshalb kann sie stets nur In zweiter Linie bei der Identifikation beigezogen werden..

9

Für eine eingehende Untersuchung von Paarformeln vgl.MALKIEL 1959.

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1.4.5. Die Streckformen des Verbums Beispiele: zur Kermtnie nehmen Zeugnis ablegen zum Vorschein bringen ein Verbrechen begehen Geltung verschaffen Bei " S t r e c k f o r m e n "

(oder "Funktionsverbgefügen", vgl. : HERRLITZ

1973, BÜRGER 1973: 39, CEPNYSEVA 1970: 69) 1st der lexikalische Bestand durchsichtig: Ein zugrundeliegendes Verb wird substantivisch gebraucht. Als eine Art "Hilfsverb" wirkt irgendeine zweite, verbale Komponente. Hier ist es aber nicht mehr möglich, ein Modell zu formulieren. Eine Voraussage, wie das Verb, wie die verknüpfende Präposition Im einzelnen Fall lauten nuss, ist aussichtslos. Inner wieder wird - auch in der hiesigen Literatur - darauf hingewiesen, dass die Streckformen sich in ihrer Semantik von den entsprechenden Verben unterscheiden (vgl. BURŒR 1973: 40 ff). (Dies abgesehen von zahlreichen stilistischen Beiträgen, z.B.: HEINERS 1961.) Sie machen es möglich, die verschiedenen Aktionsarten einer Tätigkeit auszudrucken. Vgl. dazu CERNYSEVÄS Beispiele: in Besitz (einer Sache) sein in den Besitz (einer Sache) kommen etwas in Besitz nehmen etwas in seinen Besitz bringen jn. in Haft halten jn. in Haft bringen jn. in Haft setzen

Nun sind Vergleiche mit den entsprechenden einfachen Verben zwar aufschlussreich in der Frage nach Aktionsart und Aspekt. Wichtiger für uns ist es zu erfahren, welche Stellung die Streckformen innerhalb aller andern Frasnen einnehmen, ob es überhaupt immer Fraanen sind. I.A. MEL'ÖUK betrachtet die Phraseologie von der "Verbindbarkeit" der Wörter her. Davon wird weiter unten die Rede sein. Hier soll diese Richtung dennoch

35 schon zu Wart kennen. Denn eine der Arbeiten MEL'&Ks stellt die Streckformen den "idiomatischen" Verbindungen gegenüber. " I d i o m a t i z i t ä t " heisst dabei ein "einheitliches, genauer 'gebundenes' (unerwartetes, unvorhergesehenes marañales) Erfassen einer Verbindung von Wörtern, die seihst über voll definierte Bedeutungen verfügen würden" (MEL'ÖUK 1968) .Itagekehrt verhält es sich nun mit den itartverbindisigen, die MEL'ÖUK als " P a r a m e t e r v e r b i n d u n g e n " zusaranenfasst. Nicht die Bedeutung ist "gebunden", sondern die "Ausstattung": Unerwartet sind in der Verbindung nur die verwendeten Lexeme. Es käne eine ganze Reihe von Synonymen in Frage, aber nur einem wird gewöhnlich der Vörzug gegeben. Wendet man z.B. den Parameter "CALIS" auf das Nomen Verbrechen an (d.h. will man die Bedeutung des Verursachens widergeben), so kennen nur die Verben begeben, verüben In Betracht, während machen, verrichten unüblich sind. Leider kann MEL'ÖJK auf diese Weise nur einen kleinen Teil der Streckfarmen erfassen. Zudem vernachlässigt er die Tatsache, dass eine Bedeutungsanomalie des gesamten Ausdrucks vorliegen kann. Spezialisierungen in der Bedeutung sind in solchen Fällen schwieriger zu ermittlen als anderswo. Es können meistens keine hononymen freien Wortverbindungen gebildet werden. Von "Bedeutungsübertragung" zu sprechen, wird in diesem Falle problematisch. Dennoch wirkt es befremdend, wenn Einheiten wie mm Vorschein können zu dai "nichtphraseologischen Elnhéiten" gezählt werden. So werden von I.I. SERNYSEVA sämtliche Streckformen in ihre Gruppe der "analytischen Konstruktionen" einbezogen. Das heisst, sie hält sie für Einheiten, die aus Lexemen in ihrer Grundbedeutung gebildet werden. Einzig dass die Verbindungen "typenhaft" sind, macht sie der Untersuchung in der Phraseologie wert. Russisten wie TAGIEV oder SANSKIJ, Anglisten wie AMOSOVA (TAGIEV 1966, SANSKIJ 1969, AMOSOVA" 1963) , befassen sich mit dem Problem gar nicht näher - obwohl zumindest in der englischen Sprache Streckformen von grosser Bedeutung sind (HOFFMANN 1972, KLEIN 1968, LIVE 1973, RENSKY 1964, TRNKA 1969).

In der deutschen Sprachwissenschaft sind, wie erwähnt, die Streckformen immer wieder Gegenstand ausführlicher Betrachtungen gewesen. H. BUBGER unterscheidet zunächst Streckformen "im weiteren Sinne" und "im engeren Sinne" (BURGER 1973: 39 ff). Bei den letzteren wird das «minale Element "weitgehend

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in der Bedeutung realisiert, die es in freiem Gebrauch hat. Es hat Funktion und Bedeutung eines Verbal-Abstrakturns, wie in sonstigen Kontexten ... Eine von freien Gehrauch deutlich geschiedene Bedeutung hingegen weist fast inner das V e r b

auf". (BURGER 1973: 41) Beispiele dieser Art sind: einen Antrag stellen in Freiheit setzen Handel treiben

Streckformen "im weiteren Sinne" sind z.B.: zum Vorsahein können sein Augenmerk auf etwas richten zu einem Ende bringen Das einzige Gemeinsame bei Streckformen " im weiteren" und im "engeren Sinne" ist ihre Struktur. BURGER zählt denn auch diejenigen im weiteren Sinne (die das singulare Vorkommen eines Lexems einschliessen) zur "Idiomatik" (zu den "phraseologischen Ganzheiten"). Es ist auch tatsächlich nicht zu entscheiden, wo die Grenze zu ziehen wäre zwischen Einheiten wie zum Vorschein kommen und "phraseologischen Ganzheiten" des Typs: Schindluder treiben ins Fettnäpfchen treten in den Dalles kommen Dem einzigen Unterschied, dass man die letzteren mit einiger Mühe noch als "bildhaft" erklären könnte, darf keine zu grosse Bedeutung beigemessen werden. - Bei den Streckformen "im engeren Sinne" hingegen kann, wenn nicht ein Modell, so doch "die Tendenz zu produktiven Mustern" (BURGER 1973: 41) beobachtet werden. Inmer wieder muss aber daran erinnert werden, dass das jeweilige Verb nicht voraussagbar ist. In der Praxis vrerden kaum je individuelle Streckformen als "Modellbildungen" produziert. Ueblich scheint eine Entwicklung aus verbalen "phraseologischen Ganzheiten" zu sein. Dies erklärt auch die mangelnde Voraussagbarkeit des "Hilfsverbums". Und es erklärt ebenfalls, dass einige Konstruktionen der Form (Abstraktum + Vertun) als fester empfunden werden, andere als freier.

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So gibt es den Frasmus Gedanken nachhängen. Ein üblicher Satz ist: Bagheera hängt ihren Gedanken nach. Bagheera hängt schwarzen Gedanken nach. Es sind auch bereits Erweiterungen möglich. Zum Beispiel kann ein zweites, von Gedanken abhängiges Glied eingeführt werden: Bagheera hängt dea Gedanken nach, dass morgen alles anders sein könnte. Der Heg zur Verwendung als Streckform von denken ist frei.

1.4.6. Die. lexikalischen Ganzheiten Beispiele: der indirekte Freistoss die kleine Anzeige das.elektrische Klavier die grosse Pause das rote Blutkörperchen

Die Gruppe der " l e x i k a l i s c h e n

G a n z h e i t e n " wird sehr

weit gefasstl Die hier verwendete Bezeichnung stammt von I.I. CEBNYSEVA (CERNYSEVA 1970: 62). Sie bezieht sich auf phraseologische Τ e r m i ni. Deren Summe der Komponentenbedeutungen ergibt die Gesamtbedeutung, struktursemantische Modelle liegen keine vor. Es sind wiederum "nichtphraseologische Einheiten".

Es soll hier versucht werden, nur dann Wartverbindungen von den "phraseologischen Ganzheiten" abzutrennen, wenn ihnen eine wesentliche phraseologische Eigenschaft fehlt. - "Lexikalische Ganzheiten" nun sind vor allem ncmlnale Frasmen, die zur Bezeichnung irgendeines genau definierten Objekts dienen. Und zwar ist aus ihren Komponenten leicht ersichtlich, was sie benennen (ih MEL'ÄJKs Terminologie: Weder "Ausstattung" noch "Bedeutung" sind unerwartet). Ich möchte diese Beziehung aber lieber wieder Motivierbarkeit nennen, als van Fehlen einer Bedeutungsübertragung zu sprechen. Denn die Bedeutung dieser Fraanen ist durch die Aufgabe der Bezeichnung spezialisiert: Eine grosse Pause ist nicht einfach eine länger dauernde Pause, die irgendjemand einlegt. Sie bezieht sich auf eine bestirnte Ungebung (z.B. Schule). Und sie steht in Opposition zu andern Pausen die nicht unbedingt kürzer sein müssen). Aus der Erkenntnis dieser "naninativen Funktion" (£EENY5EVA 1970: 62, ARCHANGEL"SKU 1968)

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rnOsste nun eben der Schluss auf eine enge Verwandtschaft mit den "phraseologischen Ganzhelten" gezogen werden. N.M. SANSKIJ schafft im Rahmen von VINOGRADOVs Theorie Platz für eine zusätzliche Gruppe, für die " p h r a s e o l o g i s c h e n A u s d r ü c k e " (ÄANSKIJ 1969: 85): Frasmen, die er nicht nur für "semantisch teilbar" hält, sondern deren Wortkomponenten angeblich auch alle in ihrer "freien" Bedeutung auftreten. Darin sieht er zwei Untergruppen: die satzwertigen (Sprichwörter und "feste Phrasen") und die satzgliedwertigen (eben die "lexikalischen Ganzheiten"): die Höhere Technische Lehranstalt die gesanmtelten Werke aber auch weniger durchsichtige adverbielle Wendungen und Konjunktionen wie: von Tag zu Tag in Falle, dass N.N. AMOSOVA sprach von " E i n h e i t e n des beständig e n K o n t e x t e s " . Sie umfassten die " n i c h t bildh a f t e n S c h a b l o n e n " . (AMOSOVA 1963, S. 103 - 120). Auch AMOSOVA vertrat die Ansicht, dass diese "Schablonen" reproduziert würden, ohne dass sie eine semantische Besonderheit aufwiesen. Wie eine solche Gruppe innerhalb einer kontextologischen Klassifikation ihre Daseinsberechtigung erfährt, wird allerdings nicht klar. Im Normalfall indessen werden die "lexikalischen Ganzheiten", wie erwähnt, als "feste Wörtverbindungen mit nicht übertragener Bedeutung" vorgestellt - so in KUNIN 1970: 219 - 269 . Als Paradebeispiel für "lexikalische Ganzheiten" gelten oft Ausdrücke wie die folgenden (vgl. KLAFFENBACH 1968: 225, CefNySEVA 1970: 62) : die Deuteohe Demokratische Republik die Nationale Front das Deutsahe Rote Kreuz Gemeinsam haben diese Frasmen eiraial, dass sie sehr gerne zu Lexemen verwandelt werden, nämlich in ihren Abkürzungen (DRK, DDR età.) (ÖKFNySeVA 1970: 63). Dies genügt aber noch nicht, un einen Unterschied zu den "phraseologischen Ganzheiten" zu bilden. Oeber die Bedeutungsübertragung ist so noch nichts ausgesagt. Diskussionen darüber, wie sehr die einzelnen

Komponenten von z.B.

39 die Deutsche Demokratische Republik mit dem von ihnen bezeichneten Stück Wirklichkeit übereinstimnen, interessieren uns dabei nicht. Für uns ausschlaggebend ist (genau wie beim Typ das französische Bett), dass das Nomen Republik zwar in eine Richtung" c(er Bezeichnung weist, dass es sich allein aber noch auf viele Staaten beziehen kann. Eine Einschränkung auf einen bestimmten Fall ist dann möglich, wenn die entsprechenden Adjektive hinzugefügt werden. Es ist aber müssig zu streiten, ob z.B. demokratisch in dieser Verbindung auch 'demokratisch' bedeutet. Die ganze Einheit ist der Name eines Staates, und diese Funktion kann eben nicht auf die Komponenten verteilt werden.

Anstatt von Einheiten ahne " Bedeutungsübertragung " sprechen wir also besser von solchen mit äusserst leicht motivierbarer Bedeutung. Das Merkmal der Erstarrtheit bleibt auch hier. Die Abtrennung einer Gruppe "lexikalischer Ganzheiten" von den "phraseologischen Ganzheiten" kann daher nicht unserem Zweck dienen, die Besonderheiten der Phraseologie hervorzuheben. Natürlich soll damit nichts gegen den Versuch gesagt sein, im Einzelfall die Art der semantischen Unbildung dennoch zu untersuchen. Bei solchen Tests, kann klargestellt werden, dass die einen Frasmen über eine gewisse "Bildhaftigkeit" verfügen, während andere ihre besondere Bedeutung durch eine spezielle Funktion erhalten. Klassifikation wird sanit nicht wertlos. Aber sie darf nicht zur Erklärung des "Phraseologischen" verwendet werden. Und es wird jeder, der eine Klassifizierung vorninrcnt, berücksichtigen müssen, dass es sich un ein dynamisches System handelt. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass keine feste Grenze zwischen "phraseologischen Verbindungen", "phraseologisierten Bildungen" und "phraseologischen Ganzheiten" zu ziehen ist. Was heute noch "lexikalische Ganzheit" war, kann morgen schon "phraseologische Ganzheit" (nach der Theorie der Bedeutungsübertragung) sein. Und vor allem: Einheiten, die für den einen Sprecher motiviert sind, behandelt der andere längst als untotiviert. - Auch der Uebergang von den "lexikalischen Ganzheiten" zu den "freien Wortverbindungen" ist fliessend. Es kann nicht gelingen, ihn mit formalen Kriterien genau abzugrenzen. Dies deshalb, weil die Sprache kein totes Material ist. Unsere Aufgabe wird deshalb inner sein, einer statischen Phraseologietheorie aus dem Weg zu gehen.

40 In späteren Kapiteln werden wir auf diese Fragen zurückkommen müssen. - Ich verzichte hier darauf, auch zu zeigen, dass Fälle v e r b a l e r "lexikalischer Ganzheiten" gefunden werden könnten. Vgl. folgende Beispiele aus der Sprache der Hausfrau, des Chemikers: heiss einfüllen unter Rückfluss kochen heiss filtrieren - Uebrigens sind auch Frasmen mit scheinbar "vollständiger Bedeutungsübertragung oft gar nicht "singular", und könnten als "phraseologische Verbindungen", als "lexikalische Ganzheiten" gelten: mit jm. auf guten Fuss stehen muss verglichen werden mit: mit.jm. auf vertrautem Fuss stehen mit jm. auf gespanntem Fuss stehen mit jm. auf Du und Du stehen mit jm. gut stehen mit jm. auf gutem Fuss sein

etc.

Dies ist ein Problem, das im Rahmen der Festigkeit behandelt werden muss. Manche Linguisten wenden sich dagegen, "zusammengesetzte Termini" zur Phraseologie (im weiten Sinne) zu zählen. Als Grund wird bisweilen angeführt, dass sie der Bildhaftigkeit entbehren und deshalb (!) vom Sprecher jedesmal neu produziert werden - auch dass sie als "nicht übertragene" Einheiten den Komposita gleichgesetzt werden könnten (es bestehe nur äussere Aehnlichkeit mit den Einheiten der Phraseologie. Gerade solche "Aeusserlichkeiten" waren aber der Grund, dass sich überhaupt eine Disziplni der Phraseologie bildete.) Der Status der "lexikalischen Ganzheiten" wurde oben bereits deutlich genug umrissen, so dass es nicht nötig ist, auf diese Argumentation einzugehen. (Eine kritische Darstellung findet sich bei ROJZENZON 1973: 142 - 157.)

1.4.7. Die festen Phrasen Beispiele: jm. geht ein Licht auf es geht bergab mit jm. jn. sticht der Hafer Der Schornstein raucht js. Thron wackelt. Die f e s t e n

P h r a s e n

unterscheiden sich semantisch nicht von den

41 "phraseologischen Ganzhelten". Wenn sie hier dennoch separat behandelt werden, dann nur im auf die bisherige Forschung einzugehen, in der diese Abtrennung üblich war. (Vgl. &ANSKU 1969, und mit ihm alle bekannteren Theorien.) Dies obschon "ganzheitliche Bedeutung" und "Bedeutungsübertragung" sich gleich verhalten wie bei satzgliedwertigen Frasmen. Der einzige Unterschied besteht darin , dass es sich hier Iraner un mehrere "Satzglieder" handelt, dass Subjekt und Prädikat gleichzeitig enthalten sind. Dies war der Grund, solche Redensarten den Sprichwörtern gleichzusetzen.

Beidemale konnte es sich ja um Einheiten in Satzform handeln. Uebersehen wurde, dass die Redensarten mindestens eine variable Stelle besitzen und sich so lückenlos in einen Text einfügen lassen, während die Sprichwärter eigene Texte darstellen. - SANSKIJ Z.B. unterscheidet in seiner 2. Gruppe " p h r a s e o l o g i s c h e r A u s d r ü c k e " nicht zwischen den beiden Typen. Sie umfasst seiner Ansicht nach, wie die erste, Frasmen, die in "freier" Bedeutung auftreten. Strukturell entsprechen sie eben dem Satz, weitere Besonderheiten werden nicht vermerkt. (Es werden aber auch Beispiele genannt, in denen übertragene Bedeutung nicht verleugnet werden kann. Z. B.: suzdeny nam blagie porgvy - 'Das Schicksal ist uns hold.') (SANSKIJ 1969: 85) - &FNYSEVA schreibt sowohl Sprichwörtern wie auch "festen Phrasen" gleichermassen übertragene Bedeutung zu (CERNY§EVA 1970. Sie nennt sie wie SANSKIJ "phraseologische Ausdrücke") - Es ist aber nötig, Sprichwörter ganz für sich zu behandeln. Hier wollen wir nur zeigen, dass "feste Phrasen" "phraseologische Ganzheiten" (wenn auch mit besonderer Struktur) sind.

Es existieren einige neuere Arbeiten, die sich grundsatzlicher mit dem Problem befassen. - So verzichtet z.B. G.L. PERMJAKDV darauf, Sprichwörter und "feste Phrasen" in einer Klasse zu behandeln (PERMJAKDV 1970: 8 ff). Er begründet dies so: Das Sprichwort erhält seine endgültige Ausstattung (seinen Sinn) nur im Text. Dieser verleiht ilm quasi ein semantisches Element, das ihn ursprünglich fehlt. Auf Satzebene ist die Bedeutung der "festen Phrase" bereits vorbestimmt. Sie verhält sich nicht viel anders als ein Lexem. Wenn "feste Phrasen" und Sprichwörter in eine Gruppe zusammengefasst werden, beruht dies auf einer rein strukturellen Gemeinsamkeit. Und auch dabei zeichnet sich die "feste Phrase" durch ein wichtiges Merkmal - die variable Stelle - aus. Semantisch dann verhalten sich die beiden Gruppen völlig unterschiedlich - was so weit führt, dass Sprichwörter besser nicht mehr als Frasmen angesehen werden. - Dies zeigt auch die folgende Zusammenstellung nach der Arbeit von S.E. ISABEKOV:

42

(ISABEKOV 1973: 28-30)

feste Phrase:

Sprichwort: +

Zitatcharakter :

-

ganzheitlicher Sinn aufgrund von 2 bis 3 Idiomatizitätsfaktoren (vgl. RAJCHÄTEJN)

+

Emotionalitât:

+

-

Variable Stelle:

-

+

Ein Beispiel für die Aehnlichkeit einer Redensart mit einer "phraseologischen Ganzheit" sei: (a) Fix (b) Lupo

setzt F ο χ i ein Licht auf. geht ein Licht auf.

In (a) ist nur ein festes Satz-Glied enthalten, (jm. ein Licht aufsetzen), während es in (b) ein fester Satz ist (jm. geht ein Licht auf). Dennoch sind beides Frästen. Auch (b) ist von Sprichwort abzugrenzen, da die Einheit inner noch eine Leerstelle aufweist, indem sie gefüllt wird (Lupo), wird die Eingliederung in den konkreten Kontext gewährleistet. Wenn aber ein Sprichwort vervrendet wird, ergibt sich ein Unterbruch. Die Verbindung von seinem Sinn zu dem es umgebenden Text muss mittels Reflexion vollzogen werden. Es wäre also z.B.: Durch Schaden wird man klug. ein Sprichwort. Als variables Glied gelten natürlich auch die (veränderlichen) Verben in:

Der Schornstein raucht / rauchte etc. Der Ofen ist aus / war aus etc. Der Stein kommt ins Rollen /kam ins Rollen etc. Es ist ein Bezug zur Umgebung gewährleistet. In dieselbe Kategorie gehören Einheiten, die nicht unbedingt in andere Zeiten gesetzt werden können. Auch sonst kann man ihren An-

43

schluss an den Text, der sie umgibt, nicht durch variable Stellen erklSren. Sie beginnen aber mit einer Partikel wie da, so etc.: Da liegt der Base io Pfeffer! Da liegt der Mund begraben! So ist das Leben! Selbst wenn als aktueller Anschluss nur eine (notwendige) Handbewegung dient, reicht dies aus, um die Wortverbindung phraseologisch zu machen. - Nicht phraseologisch sind folgende Arten von Sätzen, die - obwohl thematisch ahnlich - aus den oben erklarten Gründen als Sprichwörter behandelt werden müssen: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Kinder und Marren sagen die Mehrheit. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Abwandlungen wie ja. eine Grube graben aus Mer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein können zu Frasmen werden. Damit ist aber das Sprichwort, von dem ausgegangen wird, noch keineswegs eine "phraseologische" Einheit.

1.4.8. Zusammenfassung Die Besprechung der Frasmen des Deutschen nach Typen hat uns die Möglichkeit gegeben, einerseits mit dem Cbjekt der Phraseologiefarschung Fühlung zu nehmen, andererseits auch Einblick in einige wichtige Iheorien zu gewinnen. Sie alle haben eines gemeinsam, nämlich dass sie die Fraanen (seien es nun "phraseologische" oder "nichtphraseologische Einheiten") cils feste Verbindungen sehen. Innerhalb dieser gibt es solche, deren Semantik aufgrund der Komponenten bis zu einem gewissen Grad erschliessbar ist, dann aber auch solche, für die dies nicht zutrifft. - Unter den "phraseologischen Ganzheiten" sind viele aufgrund des in ihnen enthaltenen Bildes - wenigstens für die einen Sprecher - verständlich, bei den "phraseologischen Verbindungen" und den "phraseologisierten Bildungen" lässt eine der Komponenten jeweils ahnen, welches die ungefähre Bedeutung ist (Beispiel: der

blinde Passagier·,

es muss sich un eine Art Mit-

fahrer handeln). Dasselbe gilt für die "lexikalischen Ganzheiten". Streckformen des Verbums werden vor allem deshalb zusaimengefasst, weil ihre Bedeutung abstrakt ist. Auch sie kann von der Form her erraten cider - bei einer so produktiven Gruppe wie den Streckformen im engeren Sinne, wo man sich fragen mass, ob es sich in jedem Fall noch im eine vorgefertigte Einheit handelt, nicht eher um eine individuelle Bildung (Beispiel: logieschlüssen ermittelt werden.

in Unruhe geraten)

- aufgrund von Ana-

44

Wer mit den Möglichkeiten der deutschen Sprache vertraut ist, weiss also, dass unter allen Frasnusklassen viele Einheiten zu finden sind, deren Beziehung zwischen äusserer und innerer Form interpretierbar, vergleichbar mit andern bekannten Erscheinungen ist (Beispiel aus den "phraseologischen Ganzheiten": mit jm. auf gutem Fuss stehen).

Es leuchtet nicht ein, weshalb solche Verhält-

nisse nur in den einen Fällen als subjektive "Motiviertheit" abgetan werden. Wir betrachten deshalb die Erstarrtheit- die Tatsache, dass alle Frasmen Einheiten der Sprache sind, zusammen mit der inmer damit verbundenen Spezialisierung der Bedeutung-vorerst als ihr wichtigstes gemeinsames Merkmal. Eine Einteilung aufgrund der syntaktischen Struktur drängt sich nicht auf, da es sich immer tin Wortverbindungen, also Satzglieder handelt. Mehr als Klassifikationen aufgrund der Motivierbarkeit wird uns in den weiteren Kapiteln interessieren, wie sich Frasmen im konkreten Gebrauch verändern können, und wie wir, von solchen Beobachtungen her schliessend, die Grundvorstellung von der festen Einheit modifizieren müssen. 1.5

Zwei weitere Konzeptionen der Phraseologie

1.5.1

Die "Hingebung" bei M.T. TAGIEV

Bei der "Ungebungs" - Analyse, wie sie M.T. TAGIEV vorschlägt (TAGIEV 1966), dient als Ausgangspunkt die Beobachtung, dass feste Wortverbindungen nicht, wie eigentlich erwartet, auf Satzebene, sondern auf Wortebene betrachtet warden müssen. Nur da lassen sie ihre speziellen Eigenschaften erkennen. (Es sind Einheiten, die den Lexemen also in gewissen Punkten äquivalent sind .) Doch sie unterscheiden sich von den auf dieser Ebene normalen Einheiten: Anstatt aus Morphemen werden sie aus ganzen Lexemen gebildet. Und sie lassen sich in viel beschränkterem Rahmen mit weiteren Lexemen (oder Wortverbindungen) kombinieren. Sie haben also besondere syntaktische und semantische Merkmale. Für TAGIEV ist nur die " U m g e b u n g " einer Einheit ein zuverlässiger Indikator ihrer Bedeutung. Deshalb klassifiziert er sein Material nicht mehr aufgrund der Verhältnisse innerhalb des Frasmus (der Bedeutungsübertragung oder des "festen Kontextes"), sondern mit Hilfe seiner äussern Beziehungen. Diese Methode ist keine Weiterführung derjenigen von AMOSOVA. Indem TAGIEV die Distribution ganzer Einheiten behandelt und ihre innern

45

Verhältnisse nicht berücksichtigt, stellt er sich in die Tradition der VINOGRADOVschen Bedeutungslehre (VINOGRADOV 1953).

"Phraseologisnen", wie TAGIEV sie versteht, fordern eine Ungebung, die sich von derjenigen unterscheidet, die ihre Kcnponenten in freien Gebrauch haben. Vgl.: (a) D e r Kater (b) Tante Ruth

hat ein dickes Fell. hat ein dickee Fell.

Die Wortverbindung ein dickee Fell haben kann direkte oder übertragene Bedeutung haben (kann "frei" oder "phraseologisch" sein). Je nach dem 1st die Ungebung (In (a) ) der Kater oder (in (b) ) Tante Ruth. Die Ungebung lässt erschliessen, ob die wörtliche oder die phraseologische Bedeutung Im Spiel ist. Der erste Fall fordert eine Ungebung der Eigenschaft (+tierisch), der zweite: (-»menschlich) . Semit wäre ein dickee Fell haben in Satz (a) wörtlich, in Satz (b) phraseologisch gebraucht. Es fällt sofort auf, dass zur D e f i n i t i o n

der Phraseologie eine

derartige Analyse nicht ausreicht. Man kann sich den Satz (a) gut phraseologisch und den Satz (b) nichtphraseologisch vorstellen, je nach dem weiteren Kontext. Alles, was eine Phraseologie der "Ungebung" leisten kann, sind sekundäre Einteilungen, nachdem schon durch andere Kriterien erarbeitet worden ist, was "Phraseologie" ist. TAGIEV hält"denn auch nur die festen Wortverbindungen mit " ü b e r t r a g e n e r " Bedeutung für "phraseologisch" (TAGIEV 1969: 128). Aehnliche Ansichten sind im vorangehenden Abschnitt behandelt worden. Für TAGIEV ergibt sich so auch eine Phraseologie im engen Sinne. "Lexikalische Ganzheiten" und ähnliche Frasmen untersucht er nicht. - Unsere weitere Aufmerksamkeit soll nur TAGIEVs K l a s s i f i k a t i o n "phraseologischer Einheiten" gelten.

TAGIEV untersucht anhand seiner distributionellen Analyse die "verbale Phraseologie" des Russischen. Diese umfasst all jene Frasmen, die in irgendeiner Form ein Verb enthalten. - Zuerst lässt sich da unterscheiden zwischen "Phraseologismen mit e i n s t e l l i g e r , mit und mit d r e i s t e l l i g e r

zweistelliger

Ungebung". Je nachdem erfordern diese

ein, zwei oder drei Satzglieder als Ergänzung. - Als Beispiel sei hier die Gruppe der "Phraseologisnen mit zweistelliger Ungebung" herausgegriffen. Es geht un jene Einheiten, die normalerweise ein Subjekt und eine weitere Ergän-

46

zung verlangen. Z.B. in der Unterabteilung " g l e i c h a r t i g e

zwei-

stellige Ungebung": U r s und geworfen. Mit L i v i a

P a u l habe

haben ein i a h

Auge auf

M a r i a

noch ein Hühnchen zu

rupfen.

Die "Gleichartigkeit" besteht bei diesen Einheiten darin, dass beide Teile der "Ungebung" aus derselben Wartart gebildet werden kämen. Frasnen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, gehören in die Kategorie der " v e r s c h i e denartigen

zweistelligen Ungebung":

T o b i hat sieh in den Kopf gesetzt, F l a s c h e zu l e e r e n . Das

D i n e r

nahm eine

d i e

m a k a b r e

Wendung.

Ferner kann ein und dieselbe Stelle von verschiedenartigen Ergänzungen besetzt werden. Dann ist die Rede vrai " v a r i a t i v e r Die Die

Göre Göre

tanzt tanzt

zweistelliger Ungebung":

auf E d i s Hase herum. E d i auf der Nase herum.

Schliesslich gibt es den Sonderfall der " p a r a l l e l e n , gen

abhängi-

zweistelligen Ungebung". Sie unterscheidet sich von der "variativen"

darin, dass sie das Subjekt bereits enthält. Keine der zwsi Ergänzungen ist der andern untergeordnet: In K a t h a r i n a s Adern fliesst r u s s i s c h e s Blut. In G r o s s m u t t e r s Adern fliesst das Blut I w a n s d e s S c h r e c k l i c h e n .

TAG3EV lässt es nicht bei dieser einfachen Klassifikation bewenden. Die einzelnen Gruppen werden noch weiter aufgeteilt - hauptsächlich nach den Wortarten, die die "Ungebung" bilden. Die Methode der "Ungebung" erlaubt eine genaue Taxoncmie der Phraseologie und leistet für lexikographische ("phraseographische") Zwecke nützliche Dienste. (Unter TAGIEVs Leitung entsteht das grosse aserbajdschanisch-russische Vförterbuch.) Auf der andern Seite übergeht sie die wichtige Frage der semantischen Verhältnisse der Einheiten. Was in einem gewissen Grade ermittelt werden kann, sind

47 Kontraste zu den entsprechenden freien Wdrtverbindungen. Es lässt sich untersuchen, wie viel beschränkter die Ungebung des Frasnus jeweils ist. Folgerungen über Bedeutungsspezialisierungen sind erlaubt. Aber, wie wir bereits gesehen haben, erreicht diese Praxis sehr rasch ihre Grenzen. Zudem ist es fast nicht möglich, Aussagen über die Valenzen1 °einer Einheit zu machen, ohne dass nan aussersprachliche Faktaren beizieht. Schwierig wird dann auch hier das Arbeiten, wenn man es mit Fraanen zu tun hat, deren Bedeutungsspezialisierung nicht gut zu überprüfen ist, z.B. mit Streckformen der Art eine

. •• Vendung

nehmen. - Vbs für Ergänzungen sind hier unvorgesehen, "phraseologisch"? Weder für das Nomen Wendung noch für das Verb nehnen kann ein Anwendungsbereich vernünftig abgegrenzt werden. Gezwungenermassen wird dann die Klassifikation auf die Aufzählung von Wartarten, Kasus und Modi beschränkt. Zwar verläset man sich damit auf die greifbarsten, aber auch auf die auaeageacto&äisteti Kriterien. Es entsteht eine Einteilung, die die spezifischen phraseologischen Merkmale der Wartverbinduxigen nicht mehr erkennen kässt. Eine Phraseologie der "Ungebung" könnte vielleicht überzeugender betrieben werden, wenn ausser den obligatorischen Valenzen auch fakultative als Unterscheidung anerkml dienten. Dies würde der Tatsache Rechnung tragen, dass erst aus der weiteren Umgebung klar wird, ob es sich um eine phraseologische oder eine freie Wortverbindung handelt. So würde in eine solche Theorie immer eine Angabe über das Vorwissen des Sprechers, über die Situation etc. gehören. - Möglich wäre auch eine Kombination mit der Methode von KOPYLENKQ/POPOVA, die wir tinten kennenlernen werden. Eine solche Richtung müsste ohnehin eingeschlagen werden, sobald man auch die nominalen Frasmen anhand der "Umgebung" erfassen wollte.

Es sei vermerkt, dass es der Methode der "Ungebung" gelingt, sich des Sprichwortproblems zu entledigen, cime ihren Prinzipien untreu zu werden. Die "phraseologische Einheit" gilt als Verbindung mit einer eigenen strukturellen Distribution. Damit sind ganze Sätze von vornherein ausgeschlossen. Das Sprichwort hat als "funktionale Einheit der Rede" (TAGIEV 1969: 128) ganz einfach keine "Unrjebung" im Sinne von TAGIEVs Definition. 10

Zur Auffassung der Valenz als Eigenschaft, die an jedem Typ sprachlicher Einheiten untersucht werden kann, vgl. ZASORINA/BERKOV 1961.

48 Exkurs: Zur Ermittlung der Anwendung phraseologischer Einheiten Wir sind darauf zu sprechen gekommen, dass Schwierigkeiten entstehen, wenn entschieden werden soll, ob eine Art der "Umgebung" für einen Frasmus noch zugelassen ist oder nicht. - Tatsächlich ist es bei phraseologischem Material noch schwieriger als auf andern Gebieten der Sprache, eindeutige Grenzen zwischen akzeptablen und nicht mehr zugelassenen Anwendungen zu ziehen. - In den folgenden Sätzen tritt immer der Frasmus ein dickes Fell haben auf. Welche Sätze sind noch "akzeptabel", welche nicht mehr? Onkel Arthur und Tante Esther haben ein dickes Fell. Der Kater Karlo hat ein dickes Fell. Unsere Hauskatze hat ein dickes Fell. Elefanten haben gewöhnlich ein dickes Fell. Müllers malträtieren ihren Fernseher nach Noten, aber der hat ein dickes Fell. Die Bratwurst hat ein dickes Fell. Die Grande Armée hatte ein dickes Fell. Der Computer hat ein dickes Fell. Wenn argumentiert wird, man könne nicht sagen: der Computer hat ein dickes Fell, muss die Begründung lauten, eine Maschine verfüge nicht über menschliche Gefühle. Manche Sprecher akzeptieren aber einen solchen Satz - wohl deshalb, weil viele andere auf belebte Nomina anwendbare Einheiten mit dem Lexem Computer zusammen gebraucht werden (streikt, gibt den Geist auf etc.).Ob der Frasmus ein dickes Fell haben auf Nomina wie Computer, Fernseher, Kamera, Zimmerpflanze, Familie gleich angewendet werden kann, oder nicht, ist eine Entscheidung, die von Individuum zu Individuum verschieden beurteilt wird. Solange wir die Phraseologie einer "Gemein-" Sprache untersuchen wollen, dürfen wir unsere Kriterien nicht mit solchen Begründungen erarbeiten. Wenn in der Rede eine ungewöhnliche Kombination auftritt, kann man sie als individuelle M e t a p h e r erklären, d.h., f o r m a l als Uebernahme aus einer Spezialsprache oder aus einem Idiolekt in die Gemeinsprache. (Bei den Brüdern Grimmt kommt eine Bratwurst vor, die heftig bittet. Im Text dieses Märchens ist das Nomen Bratwurt anders subkategorisiert als in der normalen Sprache. - Eine Wiederholung dieser Kombination in anderem Zusammenhang würde aber als "Metapher" gedeutet.) - In der Phraseologie haben wir es jedoch zu einem grossen Teil mit Einheiten zu tun, die durch Metaphorisierung erst entstanden sind. Ihr Anwendungsbereich ist dadurch natürlicherweise weiter als der von wörtlich verwendeten Einheiten. Da also sehr viele Anwendungen erlaubt sind, wird die Zahl jener, die als metaphorisch (im erklärten Sinne) bezeichnet werden müssten, automatisch kleiner: es besteht eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass unübliche Kombinationen gebildet werden. Deshalb hat es sich für diese Arbeit als nützlich erweisen, überhaupt ohne einen Begriff der "Metapher der Metapher" vorzugehen. (Im Gegensatz ζ. B. zu ÈMIROVA 1972: 61.) Eine genaue Umschreibung der Anwendungen eines Frasmus kann- wenigstens mit den hier verwendeten Mitteln - gar

49

nicht erreicht werden. Es scheint am vernünftigsten, a l l e oben angeführten Beispiele _ für ein dickes Fell haben als "akzeptabel" zu betrachten. Im übrigen sei hier auf die Darstellung zur "weiten Bedeutung" in der Phraseologie im Kapitel 4.4. verwiesen.

1.5.2

Die "Phraseologisati.cn": L.I. HCJZEMZCN

" P h r a s e o l o g i s a t i o n " nennt L.I. ROOZQIZGN den Prozess, der wirkt, wenn "freie Wörtkcnplexe" in feste umgebildet werden (ROJZHNZCN 1961, 1973: 82 - 101). Dieser Begriff erlaubt eine Klassifikation, die neben die bisher referierten gestellt werden kann. Denn wir künnen die verschiedenen Prozesse der Entstehung von Fraanen auch synchrcnisch interpretieren, wie wir ja schon früher den Begriff des Bedeutungswandels auf ähnliche Heise verwendet haben. Alle diese Konzepte der Phraseologie dienen ja in erster Linie dazu, hcmonyme freie und feste Wortverbindungen sowie Fraanen und Texane miteinander zu vergleichen. Der normale Typ der "Phraseologisation" ist der

"eigentlich

l i n g u i s t i s c h e " : "Bei der Unbildung freier Wortkomplexe in feste wirkt mindestens e i n e

semasiologische Eigenschaft der Sprache (verschie-

dene Arten der Undeutung, Erweiterung oder Verengung der Semantik der Wortelemente des Ausdrucks etc.)". (ROJZENZCN 1973: 91) Es ist inner eine rein sprachliche Erklärung möglich. Vgl.: seine fünf Sinne beieomen haben die Zähne zeigen ein offenes Haus haben Die Bedeutung des Fraanus ein offenes Haus haben ('jederzeit Gäste empfangen') ist eine Verengung der wörtlichen Bedeutung der homonymen freien Wörtverbindung. - Seine fünf Sinne beisammen haben ('zuverlässig, zurechnungsfähig sein') hat eine, in Bezug auf die wörtliche, erweiterte Bedeutung. Die Semantik von die Zähne zeigen beruht auf einer Undeutung. Aufgrund

"logisch-syntaktischer"

Faktoren entstehen

"feste Wortkomplexe" wie: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Der dünnste Bauer hat die grössten Kartoffeln. Wenn es dem Esel gut geht, geht er aufs Eis tanzen. Nach ROJZENZONs Auffassung liegen solchen Sprichwörtern anstelle von

"serian -

50 Biologischen Prozessen" bestimmte "logische Figuren" zugrunde. Ini ersten Beispiel etwa die Figur "auf eine böse Absicht folgt die Strafe". Man merkt sogleich, dass es sich hier nicht um eine Methode handelt, die nur die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten innerhalb der Phraseologie, wie wir sie verstehen, darstellen will. ROJZENZONs Phraseologie im weiten Sinne untersucht "feste Wortkomplexe", und damit alles, was aus mehreren Lexemen besteht und "reproduziert", auswendig hergesagt wird. (Den Begriff der "Reproduzierbarkeit" werden wir später einschränken.) Die obigen Beispiele des "logisch-syntaktischen" Typs waren sämtlich Sprichwörter. Dies ist verständlich, denn zu einer "logischen Figur" gehört gewöhnlich eine Aussage. Ein Beispiel ROJZENZONs, sapóinik bez sapog ('Der Schuster hat keine Stiefel', im Sinne von: ' Der Hersteller einer Ware gebraucht die Ware selbst nicht'. Vgl. ROJZENZON 1973: 92) kann, da im russischen Prädikat die Kopula ohnehin fehlt, auch rein nominal gebraucht werden, etwa: Wir haben gestern abend einen typischen Schuster ohne Stiefel kennengelernt.- Die Einheit dann immer noch in dieselbe Gruppe einzugliedern wie das vollständige Sprichwort, scheint jedoch nicht vorteilhaft. Wenn sie wirklich zum satzgliedwertigen Frasmus geworden ist, enthält sie nicht mehr eine "logische Figur" derselben Grössenordnung wie das Sprichwort, sondern kann als Teil einer neuen, vom Sprecher selbst zu schaffenden, verwendet werden. In der " e x t r a l i n g u i s t i s c h e n

Phraseologisation" werden

verschiedene dichterische Kleinformen in Wendungen "kondensiert". Es kann sich im Anspielungen auf Anekdoten, Märchen, historische Fakten und Aehnliches handein. Der Frasmus kann sogar selbst Teil des betreffenden Werkes sein: loh bin satt, ich mag kein Blatt. Mein Name ist Hase. ein Land, in dem die Sonne nie untergeht Ohne Beweisführung verknüpft ROJZENZON die jeweilige Bedeutung mit dam Inhalt der ursprünglich zugehörigen Texte. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, wie die Einheiten in der Sprache funktionieren. Ob wirklich jedesnal, wenn jemand sagt: mein Name ist Hase, auf die damit verbundene Anekdote eingespielt wird, ist möglicherweise eine Frage stilistischer, psychologischer, pragmatischer Forschungen. So darf denn die Theorie, die von der "Phraseologisation" spricht, nicht als semantische missverstanden werden. Sie deckt in erster Linie auf, welche verschiedene Situationen zum Gebrauch von Fraanen und andern festen Kcnplexen geeignet sind. Das einemal ist nur das Bedürfnis nach sprachlichem

51 Ausdruck auschlaggebend. Ein andermal werden allgemein übliche Denkprozesse nachvollzogen. Schliesslich kann die Anspielung auf anderes, Bekannte^ wichtiger sein als es der Inhalt des Gesagten unmittelbar 1st. Alle diese Möglichkeiten können auch mit einzelnen Lexemen, mit selbstproduzierten Sätzen verwirklicht werden. Dabei überlagern sich aber meistens die Typen (v.a. der "eigentlich-linguistische" und der "logisch-syntaktische") . E i n h e i t e n solche, die nur jeweils e i n e n

dieser Art (und

Typ anfassen) gibt es nur in der "Phraseo-

logie" , wie ROJZŒCN sie versteht. Aus diesem Gtund 1st für Ihn auch das Merkmal phraseologischer Einheiten am wichtigsten, das er "Reproduzlerfaarkelt" nennt. Das Konzept der "Phraseologisaticn" kann den Zielen, die wir in der vorliegenden Arbeit gesteckt haben, nicht gerecht werden. Hingegen könnte eine Linguistik, die das sprachliche Zeichen auch auf seinen Handlungskcntext hin untersucht, Probleme "fester Wbrtkanplexe" mit Hilfe von ROOZEHZCNs Ansatz angehen. Wenig erfahren wir von ihm über die semantischen Besonderheiten. Auf sie weist nur eine Einteilung im Raimen der "eigentlich linguistischen Phraseologisaticn" . Es wird gezeigt, dass sie in mehrere Arten zerfällt. Diese können als Ausgangspunkt zur Analyse des Begriffs der " p h r a s e o l o g i s c h e n Bedeutung" dienen. Und in diesem Zusanmenhang werden wir auch auf die "Phraseologisaticn" zurückkönnen. ROJENZON macht darauf aufmerksam, dass auch eine " t e i l w e i s e Phraseologisation" existiert. Diese lässt " p h r a s e o l o g i s i e r t e B i l d u n g e n " entstehen. Sie "weisen einerseits gewisse Züge der festen Wortkomplexe auf. Aber andererseits haben sie ihre prinzipiellen syntaktischen Eigenschaften noch nicht ganz verloren". (ROJZENZON 1973: 85) Als Beispiele nennt ROJZENZON Ausrufe, die eine frei zu besetzende Leerstelle vorschreiben. Z.B. nichts als Scherereien. So können "phraseologisierte Bildungen" ganze Serien bilden: nichts als grüne Pfirsiche nichts als weisse Bohnen nichts als blaue Beeren

52 Zudem können sie " s e k u n d ä r e r P h r a s e o l o g i e at i ο η " unterliegen: wenn sich aus den Komplexen einer Reihe ein besonderer Fall erhärtet. Z.B.: Aus der Serie im Zuge des Fortschritts im Zuge der Modernisierung des Abfuhrwesens im Zuge der allgemeinen Teuerung die selbständige feste Einheit: im Zuge der Zeit. Dies ist die Tendenz, die zum unterschiedlichen Charakter von "Mode libi Idungen" führt, die zu einer einzigen Serie zu gehören scheinen. Vgl. das Beispiel von Mann zu Mann unter Kapitel 1.4.4.

1.6.

Die Reproduzierbarkeit

Es vrar die Rede von den Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertretern einer Phraseologie im engen Sinne und einer Phraseologie im weiten Sinne gesprochen. Diese können vergröbernd auf eine Frage reduziert werden: Ist das wichtigste Merkmal "phraseologischer Einheiten" Bedeutungswandel oder die Tatsache, dass sie als vorgefertigte Einheiten

"reproduziert" werden? Die verwendeten Be-

griffe sind meist ganz einfach zu verstehen: die "übertragene Bedeutung" als Bildhaftigkeit (vrelche bei den "phraseologischen Ganzheiten" am stärksten ist), die "Reproduzierbarkeit" als Festigkeit analog zu der des Lexems (die gemeinsame Erstarrung mehrerer Wörter - wodurch auch Sprichwörter und Zitate noch "phraseologisch" wären). - Dieses Kapitel soll vor allem zeigen, dass der Begriff der Reproduzierbarkeit in der phraseologischen Theorie eine zentrale Stelle einnehmen kann - wenn er nicht gleichgesetzt wird mit einem statischen Begriff der Erstarrtheit.

Gleich zu Beginn muss geklärt werden, dass es sich bei der "Reproduzierbarkeit" nicht um eine psychologische Grösse handelt, wenn das auch oft den Anschein hat (z.B. im Sprachgebrauch ROJZENZONs oder VINOGRADOVs). Sie soll nur eine Tatsache beschreiben, die darauf basiert, dass ein Stück Sprache zur Einheit geworden ist, in einer bestimmten Form von den Sprechern akzeptiert wird. Auf Wortebene stellt sie keine besonderen Probleme. Auf Satzebene aber kommt ihr grosse Bedeutung zu. Denn da scheint es ja, als ob die frei gebildeten Wortverbindungen die Regel seien. Einheiten der Phraseologie verfügen aus diesem Grunde über eine zusätzliche Eigenschaft,

53 die bei den Lexemen fast nicht zum Ausdruck kommt. Nur diese Eigenschaft, die im folgenden besprochen werden soll, wollen wir nReproduzierbarkeit" nennen.

Wie wir gesehen haben, leimt es sich nicht, lange zu erörtern, ob die Uebertragung der Bedeutung primär sei oder die Tatsache der Festigkeit. Iraner, wenn mehrere Wörter in Kombination gebraucht werden, könnt nur eine von den vielen Anwendunganöglichkeiten zum Zug, und wenn die Verbindung zu einer Einheit erstarrt, so bleibt die Tatsache, dass sie mit den von ihr eingeschlossenen Lexemen spezialisiert wirkt. Ein Beispiel: Wenn einer etwas tut, was ich als ordnungswidrig empfinde, so kann ich es als Unfug bezeichnen. Ist es ein relativ starkes Stück, so nenne ich es groben Unfug. Ich könnte aber ebensogut grosser, unerhörter Unfug sagen. Etwas anderes ist es, wenn mehr Sprecher den Ausdruck grober Unfug aufnehmen und anfangen, ihn selbst zu verwenden. Er tritt unter günstigen Bedingungen schliesslich häufiger auf als sonst eine Steigerung des Lexems Unfug. Damit wird also aus einer ganzen Skala ein Element herausgehoben. Seine Position in der Skala, die bisher durch die es dort umgebenden Elemente bestimmt war (seine Ausdruckskraft^ wird weniger wichtig. Weil der Ausdruck in einer Häufigkeit vorkommt, deren Grössenordnung derjenigen der Häufigkeit eines Einzelwortes entspricht, lässt er sich in keine Skala mehr einfügen. Durch die Erstarrung hat sich die Bedeutung der Verbindung verändert. Es kann sein, dass die Spezialisierung noch vergrössert wird, indem ein offizielles (spezialsprachliches) Schriftstück die Anwendung umschreibt (vgl. z.B.: DSTGB § 360, Z.ll). Die beiden "Bedeutungen", die so entstehen, können nebeneinander existieren, ohne sich zu beeinflussen. Die eine gehört dann einfach einer Fachsprache an. B e i d e aber sind spezialisiert. - Unter Umständen geht auch der fachsprachliche Terminus wieder in die Umgangssprache ein. Dies wäre z.B. der Fall bei übler Nachrede.In keinem der Beispiele darf aber behauptet werden, die Komponenten der Verbindungen träten in ihrer eicrenen Bedeutung auf. Immer, wenn es sich um eine feste Einheit handelt, ist eine allgemeine Gesamtbedeutung entstanden. Im Vergleich mit einer individuellen homonymen Bildung wird die phraseologische in jedem Fall "übertragen", oder besser eben spezialisierty angewendet. Der Grund dafür ist, dass es sich um eine Einheit der Sprache handelt. Einige weitere Beispiele: Die schwarze Zunge ist das Symptom einer Krankheit (nigrities linguae). Der Satz: Der Patient hat eine schwarze Zunge kann auf zwei Arten aufgefasst werden: (1) der Betreffende leidet eui dieser Krankheit. (2) Er hat - z.B. durch den Genuss von Lakritzen - eine Zunge, die schwarz geworden ist. Beidemale handelt es sich tatsächlich um eine "schwarze Zunge". Trotz-

54 dem ist Bedeutung (1) im Vergleich zu Bedeutung (2) "übertragen", spezialisiert (einen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen zu machen, hat im Rahmen der Phraseologie keinen Sinn). Es ist nur eine Frage der Motivierbarkeit, wenn darüber diskutiert wird, ob die Lexeme dabei in ihrer "ursprünglichen" Bedeutung auftreten oder nicht. Der Indirekte Freistoss ist ein 'Freistosswie auch der Elfmeter. Der Sprecher weiss dies, wenn er die Ausdrücke anwendet. Er wird sie auch prinzipiell in gleicher Heise verwenden. Man fasst sie deshalb am besten beide als Ganzheiten auf. Der Unterschied, von dem wir nur ausgehen kennen, bezieht sich auf die Zahl der Lexeme die sie enthalten (2 bzw. 1, gemäss unserer Definition unter 1.1.). Dass im einen Beispiel die Komponente Freistoss enthalten ist und im andern nicht, dass das eine sich selbst erklärt, ist wieder ein Problem, das durch die Motivierbarkeit aufgeworfen wird. Es ist unbestritten, dass die gesantaelten Werke eines Dichters vom Herausgeber zusammengetragen, "gesammelt" wurden. Die Bezeichnung sagt nichts darüber aus, welche und wieviele Werke in den Bänden vereinigt sind. Dennoch kann der Käufer in der Buchhandlung ungefähr abschätzen, was er in den Bänden hält. Denn er kennt eine ganze Reihe von Termini, die etwas über den Inhalt von Büchern aussagen : gesammelte Werke ausgewählte Prosa sämtliche Werke etc. In dieser Reihe gibt es nicht nur Ausdrücke mit der Komponente Werke. Der Begriff der "phraseologisierten Bildung" nützt in dieser Beziehung wenig. Der Nahe Osten ist für Mitteleuropäer näher als der Ferne Osten. Er hat seine Bezeichnung also durchaus zu recht. Dennoch kann nicht von einer direkten, wörtlichen Bedeutung gesprochen werden. Denn auch für Sprecher im Nahen Osten selbst bleibt die Bezeichnung, die wir für das Gebiet brauchen, aufrechterhalten. Und auch der Bewohner des Fernen Ostens fasst jene andern Länder, die für ihn sogar im Westen liegen, als Naher Osten zusammen. (Vgl. z.B. den Gebrauch von dal 'nyj vostok, srednij vostok, bliSnij vostok unter den Russischsprechenden innerhalb der UdSSR.) - Dass es sich hier um Eigennamen handelt, ändert nichts an ihrer Zugehörigkeit zur Phraseologie. Denn diese untersucht ja nicht primär, ob Einheiten sich auf einzelne Referenten oder ganze Klassen beziehen, sondern wie diese Einheiten beschaffen sind. Wenn der Zusammenhang zwischen "Reproduzierbarkeit" und Bedeutungsspezialisierung in keiner der bisherigen Arbeiten untersucht wird, hängt dies mit den Schwierigkeiten zusammen, dass beide Begriffe selten definiert werden und subjektiven Urteilen unterworfen sind. Am problematischsten aber ist die Tat-

55 sache, dass der Frasnas a priori als "Einheit" akzeptiert und andern Einheiten, vor ¿dient dem Lexem, gegenübergestellt wird. Auch wir sind von dieser Vorstellung ausgegangen. Es ist nun aber an der Zeit, sie zu revidieren, weil es zuviele Merkmale gibt, die phraseologische und lexikalische "Einheit" trennen. "Reproduzierbarkeit" ist im Sprachgebrauch der sowjetischen Linguistik gewöhnlich das Gegenteil der "Veränderlichkeit", der Eigenschaft freier Hortverbindungen. Sowohl ins Pettnäpfchen treten als auch ins Zintoer treten sind Wortverbindungen. Die erste ist aber als Frasmus eine sprachliche Einheit, die zweite wird in der Rede produziert. Es ist eine individuelle oder eben "veränderliche" Bildung des Sprechers. Diese Unterscheidung macht mehr Schwierigkeiten, als es zunächst der Anschein hat. Wir haben bereits gesehen, dass die Grenze zwischen den "festen" und den "freien" Wortverbindungen fliessend ist. An der "Hodellbildung" eine Löwenzahnblüte von Hort, z.B., ist das einzige "Reproduzierte" das zugrundeliegende syntaktische Schema. Wenn man die Ansicht.vertritt, es handle sich um eine Einheit der Sprache, dann aufgrund gewisser Gemeinsamkeiten (z.B. mit: ein Engel von einem Mädchen). Für diese Arbeit hat es sich allerdings als zweckmässig erwiesen, nur dann von Frasmen zu sprechen, wenn auch die verwendeten Lexeme zusammen gehören im Sinne der Erstarrtheit (oben S. 26 ). Eine genaue Grenze lässt sich jedoch auch so nicht ziehen."Modellbildungen" wie: zur Schule gehen zum Film gehen zur Grenzpolizei gehen (?ERNY2EVA 1970: 68) weisen tatsächlich Lexeme auf, die ihnen ein festes Gerüst (inklusive einer semantischen Spezialisierung) verleihen. Es lässt sich aber nicht entscheiden, ob eine Reihe der folgenden Art nicht auch zum Bestand der "Modellbildungen" gehört: nach Zürich gehen nach Zweisimmen gehen nach Ziegelbrücke gehen Denn der Anwendungsbereich ist auch hier beschränkt. Das Verb gehen drückt nur in definierten Kontexten eine beiliebige Art des Reisens aus. Was den " B e r e i c h " der Phraseologie betrifft, der heute noch ein umstrittenes Thema der sowjetischen Sprachwissenschaft darstellt, weist M.A. MACHMUDOVA auf den Umstand hin, dass immer wieder "neue" Typen von festen Wortverbindungen entdeckt werden, deren Zugehörigkeit zur Phraseologie erst noch bewiesen werden müsse.

56 (MACHMUDOVA 1972: 267) L.I. ROJZENZON untersucht z.B. "scherzhafte Ausdrücke" wie: (1.Sprecher:) Warum? (2.Sprecher:)Warum ist die Banane krumm? (ROJZENZON 1971) Ju.Ju. AVALIANI vertritt die Ansicht, dass auch "feste Formeln des alltäglichen sprachlichen Umgangs" (Grussformeln, Flüche usw.) zu den "phraseologischen Einheiten" zu zählen seien (AVALIANI 1971 b). Sie zeigt aber auch, dass das Besondere an deren Inhalt durch eine Reihe aussersprachlicher Faktoren bestimmt wird (durch nationale Traditionen, Gesten etc.). Am besten werden sie deshalb wohl von den übrigen Frasmen (wenn sie nicht einfache Lexeme sind) als " p r a g m a t i s c h e I d i o m e " abgegrenzt (BURGER 1973: 58 ff). Wir haben in der Bestandesaufnähme sieben verschiedene Fraarustypen mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinandergestellt. Wir kamen zum Schluss, dass wir - auf der Suche nach dem typisch "Phraseologischen" - auf derartige starre Einteilungen verzichten können. Dennoch erhielten wir dadurch einen Ueberblick über cilles, was als Phraseologie gelten darf. Nun wollen wir dies von der Lexik, der Gesamtheit der Lexeme, zu unterscheiden versuchen. Das einzige, was die Frasmen mit den Lexemen gemeinsam haben, ist, dass sie in den syntaktischen Gefügen irriter dieselbe Stelle einnehmen, je nachdem, welcher " W o r t a r t "

sie angehören. Weil Frasmen dieselbe Verteilung eingehen wie

Lexeme, können wir auch von "phraseologischen Wortarten" sprechen (vgl. die in der sowjetischen Linguistik bekannte lexikalisch-syntaktische Klassifikation. ) (CEFNYSeva 1975: 217) Natürlich können Frasmen nicht einfach durch ein synonymes Lexem ersetzt werden, ohne dass eine Nuance der Bedeutung verloren ginge. Vgl. : den starken Mann markieren vs. prahlen durch die Maschen gehen vs. entwischen den Mantel nach dem Winde hängen vs. sich anpassen Ohne weiteres kann aber die Stelle im Satz, die ein Frasmus innehat, immer auch von einem Lexem einer bestimmten Wortart eingenommen werden. Dabei spielen die einzelnen Komponenten der Frasmen eine unterschiedliche Rolle (genauso wie die Komponenten der Verbal-, Adverbialphrasen etc.sich zu Verben, Adverben etc. verhalten). Die entsprechende Wortart braucht nicht vorzukommen. - Hier sei erläutert, was ito folgenden unter "nominalen", "verbalen''', "adverbiellen" Frasmen. etc., bzw. unter "phraseologischen Nomina",

57 "Verben", "Adverbien" etc. verstanden sein wird. (1) N o m i n a l e Frasmen können für Nomina eintreten und enthalten als "Kernwort" ein Substantiv:

Otto

hßt seine Jacke auf eine kleine Anzeige hin gekauft. Otto hat seine Jacke auf ein Inserat hin gekauft. (2) V e r b a l e Frasmen können für ein Verb eintreten und haben als'Kernwort* ein Verb: Lotti hat Rosmarie schön auf den Arm genommen. Lotti hat Rosaarie schön gefoppt. Dieses Buch gebe ich Regine zu eigen. Dieses Buch widme ich Regine. (3) P r ä p o s i t i o n a l e

Frasmen:

Das Glück hat Dorothea in Gestalt eines Viehhirten getroffen Das Glück hat Dorothea wegen eines Viehhirten getroffen. und so weiter.

Präpositionale, adjektivische und adverbielle Frasmen weisen einen wichtigen gemeinsamen Zug auf: Sie sind unveränderlich, d.h. sie erlauben keinerlei Umstellungen in ihrem Bestand, flektiert werden sie höchstens im letzten Glied, niemals aber durch Veränderung innerer Komponenten.^ Damit könnt bei ihnen in der Rede eine grundsätzliche Eigenschaft des Erasmus gar nicht zun Ausdruck: nämlich dass er aus mehreren Lexemen besteht. Diese Einheiten haben al so nicht nur dieselben distributionellen Eigenschaften wie die entsprechenden Wortarten. Sie können sogar - in guter Annäherung - selbst als Lexeme bezeichnet werden. Nominale und verbale, wie auch proncminale (vgl. z.B. dieses und jenes, das zu diesem und jenem werden kann) hingegen sind, ihrer strukturellen Zusammensetzung wegen, den Gesetzen der Inversion und der Flexion innerer Glieder unterworfen. Sie sind also wirklich noch Verbindungen von Lexemen. Alle andern sind so kompakt wie 'die Lexeme selbst. Ihre Glieder können im Raimen unserer Definition als Morpheme angesprochen werden. Das einzige Problem, das der Lexikologie jene scheinbaren Fraanen aufgeben, ist das der Schreibweise. Schriebe man z.B. bisaufemark, 11

maamanmeenn

"in einem

Diesen Punkt werden wir später etwas weniger streng fassen müssen.

58

Wort", so wäre auch diese Frage gelöst. (Duden verlangt z.B. auch:

zuzeiten,

unterderhand.)

Ungekehrt ist es bei den verbalen Frasnen. Viele vcm ihnen gelten als Einzellexeme, sind aber in Wirklichkeit Wortverbindungen. Dass sie ungetrennt geschrieben werden, ändert nichts an dieser Tatsache. Ein verbaler Frasmus ist z.B. massiv werden (massivwerden).. Die Komponenten lösen sich in der Rede häufig voneinander: Markus ist massiv geworden. Herd' mir nur nicht massiv. Und diese Umstellungen zwingen uns, da es sich ja um eine Einheit handelt, von einem Frasmus zu sprechen. Deshalb sind aber auch "Verben" wie die folgenden in Wirklichkeit phraseologisch: untergehen anzünden einstreichen

etc.

Im Gegensatz dazu sind Einheiten wie Haustür, Schwarzmarkt etc. nicht zur Phraseologie zu rechnen. Wohl kommen ihre Komponenten als Lexeme auch vor. Aber ihre Gesamtbedeutung realisieren sie nur als ganzes Kompositum, das nie so wie z.B. auf-gehen getrennt wird: Die Rechnung geht auf aber: *Marktschwarz.

In der eigentlichen Phraseologie haben wir es also mit verbalen und nominalen scwie pronominalen Einheiten zu tun. Dies haben wir aufgrund distributionaler Merkmale und der Forderung nach W o r t -Verbindungen herausgefunden. Damit ist das Objekt der Untersuchung - vorläufig - stark eingeschränkt. Mehr bedeutet diese Zweiteilung vorerst aber nicht. Wir sind durch nichts berechtigt, weitere unterschiede zwischen den phraseologischen Nomina und Verben zu sehen, als zwischen ihren lexikalischen Pendants. Sie zeigen sämtliche "akzidentellen" Eigenschaften, die wir auch den Lexemen zuordnen können, wenn wir es für nötig erachten. Auf unserer Suche nach den Wortarten haben wir aber automatisch ein wichtiges Kriterium für die Phraseologie angewendet. Wir haben gefordert, dass es sich um echte Verbindungen von Wörtern - um solche Einheiten, in denen die Worteigenschaften noch nicht verblasst sind. Andernfalls hat es, wie ge-

59

sagt, keinen Sinn, von Frasmen zu sprechen. Diese wichtige Tatsache muss nun auch im Wort "reproduzierbar" enthalten sein, wenn wir es auf die Phraseologie beziehen. Reproduzierbarkeit

1st die Eigenschaft, die zwischen

Satz- und Wortebene verbindet. Reproduzierbar dürfen nur jene Einheiten genannt werden, deren "lexikalische" Funktion Im Widerspruch steht zu Ihrer äussern Form als Wartketten, auf die die gewöhnlichen syntaktischen Regeln angewendet werden müssen. L.I. ROJZENZON nennt "reproduzierbar""solche Einheiten der Sprache, die in den einen Fällen in der Rede als fertige Einheiten reproduziert werden können (d.h. in der Konmunikation als ganzheitliche Einheiten auftreten), während in andern Fällen dieselben Einheiten in der Rede aus andern Einheiten konstruiert werden, die einer niedrigeren Ebene der Sprache angehören". (ROJZENZON 1972: 20) Man kann es so formulieren: Die Einheiten der Phraseologie gehören zwei Ebenen gleichzeitig an. Wenn sie angewendet werden, stehen sie funktionsmässig auf der Ebene der Lexeme. Strukturell aber geben sie sich wie die freien Hortverbindungen. Es ist dieses Wirken auf zwei Ebenen, das wir "Reproduzierbarkeit" nennen müssen, und die Besonderheiten der Phraseologie haben darin ihren Ursprung.

Auf der Ebene der Wortverbindungen gibt es Verbindungen, die Einheiten der Sprache sind, und solche, die frei gebildet werden. Beide Arten setzen sich aus dem gleichen Material zusammen - aus Lexemen. Die Einheiten aus dieser Ebene zeichnen sich zunächst einmal alle durch Ihre Festigkeit aus, wir können aber viele, weil sie so starr sind wie Lexeme, als Texane betrachten. Bei einem Teil von ihnen haben wir aber Reproduzierbarkeit entdeckt, und diesen Teil, die echten festen Wortverbindungen, nennen wir Frasmen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich der Sprecher oft nicht bewusst ist, ob er eine E i n h e i t benutzt oder nicht, dass die Grenzen der Phraseologie in der Rede also verwischt sind (und deshalb auch in der Sprache nicht scharf gezogen werden können). Daher sind für die Frasmen Veränderungen häufig, die man von Einheiten nicht erwartet. Diesen andersartigen Begriff der Einheit, den wir aufgrund solcher Beobachtungen formulieren müssen, werden wir näher kennenlernen, wenn wir uns eingehender mit der "Festigkeit" der Form und den Besonderheiten der Bedeutung von Fraanen befassen. Alle jene charakteristischen Züge werden durch die Reproduzierbarkeit verursacht.

60

DIE ALTEFNATIVE: VCN WCEKTERN

2

PHRASEOLOGIE ALS I£HRE VCN DER VERBINDBARKEIT

Bevor wir die durch die Eigenschaft der Reproduzierbarkeit verursachten Fragen angehen, sei ein Kapitel jener Forschungsrichtung gewidmet, die Frasmen im Rahmen einer umfassenderen semantischen Theorie untersucht. Eine Reihe vcn Linguisten betreibt nämlich die Phraseologie als Lehre von der allgemeinen Verknüpfbarkeit von Lexemen, von den Beschränkungen, die einem dabei auferlegt sind - und die Frasnen sind dabei nur extreme Vertreter ihres Forschungsobjekts. Diese Richtung vertritt z.B. I.A. MEL'ÖJK (MEL'&K 1960. Vgl. auch LIPKA 1974: 275). Er unterscheidet zwischen "Festigkeit" und "Idicmatizität" - zwei Eigenschaften, die mehrere Lexeme zu Verbindungen vereinigen können. Irgendein Lexem kann in verschiedenen Kontexten auftreten. Wenn es aber in einer bestürmten Verbindung von Lexemen häufiger vorkamt als anderswo, so spricht MEL'&K von einem Fall der " F e s t i g k e i t " . - Wenn eine Verbindung von Lexemen übersetzt werden nuss (das kann auch heissen, dass sie durch eine synonyme Verbindung derselben Sprache ausgewechselt wird), ist es möglich, dass ein (oder mehrere) Element A (bzw. A + Schwierigkeiten bereitet: A (bzw. Α +

Β

Β

bzw.

A+B+C

etc.)

bzw. A+B+C etc.) muss durch ein Ele-

ment ersetzt werden, das nur in diesem Kontext die Stelle von A (bzw. A+B bzw. A+B+C

etc.) einnehmen kann. In diesem Fall handelt es sich nach MEL'ÍUK um

" I d i o m a t i z i t ä t " . - Jede in der Sprache auftretende Gruppe von Wörtern kann auf diese beiden Eigenschaften hin untersucht werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: (1) " F e s t u n d i d i o m a t i s c h " zugleich ist nur ein kleiner Teil aller Wortverbindungen: diejenigen, welche Wörter enthalten, die sonst nie vorkommen: jn. ins Bockshorn jagen Krethi und Plethi aus dem Stegreif

61 (2) " F e s t", a b e r " n i c h t i d i o m a t i s c h " sind Kombinationen des Typs die Zähne blecken .Das Lexem blecken kommt nur im Zusammenhang mit Zähne vor. Deshalb ist die Verbindung "fest". "Idiomatisch" kann sie nicht sein, weil dem Lexem eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben ist (im Gegensatz zu Bockshorn, Stegreif, deren Bedeutung fOr sich nicht klar ist). (3) N i c h t " f e s t " , a b e r " i d i o m a t i s c h " sind entsprechend den genannten Definitionen, Wendungen wie: mit Pauken und Trompeten unter vier Augen gegen den Strom schwimmen Es sind "phraseologische Ganzheiten". (4) N i c h t " f e s t " und n i c h t " i d i o m a t i s c h " bleiben oft gebrauchte Ausdrücke mit Wörtern, die in ihrer "gewöhnlichen Bedeutung" auftreten: die komplementäre Distribution die gesammelten Werke der indirekte Freistoss. Es handelt sich um die "lexikalischen Ganzheiten".

In diesem Zusamoenhang sei. auch an MEL'ÖJKs Behandlung der "Parameterverbin-1dungen" erinnert (vgl. oben 1.4.5.).

Diese Konzeption wurde im Zusannenhang mit einer maschinellen Erfassung linguistischer Daten aufgestellt. Vielleicht geht sie deshalb von Spezialfall aus, dass ein Lexem nur in einen einzigen Kontext vorkennt. Es sei eingestanden, dass eine "Festigkeit", wie sie hier definiert ist, graduell gemessen werden kann. Aber bereits die "Idicmatizität" ist es nicht mehr. - 1st z.B. eine synonyme Substitution von geearrmelt

in dem Ausdruck Súmele

geecamelte

Werke

möglich? Welches Wort in über alle

Massen ist nicht übersetzbar? "Micmatizi-

tät" beruht im Idealfall auf der Erstarrtheit, d.h. beide Eigenschaften kamen dank dem Vorhandensein eines "singulären" Lexems zustande. Wie kann da eine Verbindung "idiomatisch" sein, aber nicht "fest"? Der Ausdruck den Pantoffel

schwingen

kann auf zwei Arten verstanden werden:

(1) wörtlich: 'den Pantoffel in einer krunrnlinigen Bewegung schwenken, (2) übertragen: 'den Ehemann beherrschen'. Eine "Phraseologie", die die Verbindbarkeit von Lexemen untersucht, kann deshalb sagen, das Lexem Pantoffel

lasse

62

sich mit Behringen auf zweierlei Heise korrbinieren. - Das Kriterium für die eine oder anderetöglichekeitkann nicht in dem Wort selbst gesucht werden. Denn die Ausdrücke sind hemonym. Es muss der weitere Kontext zu Rate gezogen werden: Er lässt schliessen, dass jedesmal verschiedene Seme im Spiel sind. Aber wirklich Seme eines Texans? Wie sich die Bedeutung von Pantoffel

in

(2) verändert hat, kann man ja nicht mehr sagen. Denn es liegt e i n e

Ge-

samtbedeutung vor. So kann man zwar inner Bedinungen formulieren, unter denen zwei WCrter in Kcntoinaticn eine unerwartete Bedeutung erhalten. Wenn sich aber eine unteilbare Ganzheit der Bedeutung ergibt, ist es sinnlos, bei der Erklärung von den Eigenschaften der einzelnen Wörter auszugehen. Objekt der Phraseologie sind aber unter anderem viele Verbindungen des 2. Typs. Und da kann eine Untersuchung der Verknüpfbarkeit von Lexemen keine Brücke mehr schlagen zwischen dem "Freien", oder auch "Halbfreien", und dem "Phraseologischen". Einen andern Versuch unternehmen M.M. KCPYIfNKD und Z.D. POPOTA (KOPYLENKO/ PCPCVA: 40 ff). Ihr Ausgangspunkt ist eine " S e m e m t y p o l o g i e " . " S e m e m " steht dabei für die Inhaltsseite eines Wortes, während für die lautliche Seite der Begriff " L e x e m " verwendet wird. (Es ist dies also eine speziellere Verwendung von "Lexem" als die unsere.) Es gibt fünf verschiedene "Sementtypen" - zwei "denotative" (Dl, D2) und drei " ¡connotative" (Kl, K2, K3). Das " d e n o t a t i v e "

"Semem" gibt unmittelbar eine aus-

sersprachliche Gegebenheit wieder. "Wenn man ein solches Semem einem Menschen erklären müsste, der es nicht kennt, müsste man ihm den Gegenstand zeigen oder aufzeichnen". (KDPYLENKO/POPOVA 1972: 40) KOPYLENKO und POPOVA bauen auf dieser Vermischung von Bedeutung und Wirklichkeit eine semantische Hierarchie auf, die nicht zu überzeugen vermag, weil ihre Definitionen ("denotativ" =primäre Bezeichnung, "konnotativ" =Bezeichung für etwas, das schone eine primäre Bezeichnung besitzt) der Willkür der Interpretation unterliegen. Ich referiere diese Theorie dennoch, weil das semantische Konzept an der Methode prinzipiell nichts ändert.

Geht es um die direkte ("nominative") Bedeutung, so handelt es sich um ein "Dl-Semem". Z.B.: Arn löschen

('menschliche Extremität') ('ein Feuer etc. vernichten')

63

akademisch

('zur Akademie gehörig')

Sekundäre "denotative Sánente" - "D2" - bezeichnen ihr Denotat Uber einai Vergleich mit einem andern. Ein entsprechendes Wort kann aber nicht durch ein anderes ersetzt werden, das dann in "Ol" - Bedeutung auftreten würde. Es g i l t also z.B. nicht als s t i l l a t i adíes Synonym zu einem andern Wart. Vgl. :

Am löschen akademisch

( 'Arm eines Flusses etc. ' ) ('dèn Durst etc. vertreiben') (in: akademische Viertelstunde)

KQPYIüNRO und PCPCVA sind der Auffassung, daés "ausserhalb des Kôntextes" (d.h. losgelöst, so wie der Linguist ein Wort gewöhnlich bespricht) a l l e Wörter, die für "Dl" und "D2" in Frage kamen, ihr "Dl-Setaem" realisieren. Es sei dies das "Semen", das unmittelbar mit dem "Lexem" verbunden seil Wir können diede Aussage nicht überprüfen - eben weil kein Kontext vorhanden i s t , der uns das erlaubte. " K o n n o t a t i v e

Sememe" treten erst "in phraseologischen Kontexten"

auf, und zwar in Wörtern, die eine Sache bezeichnen, für die es in der Sprache bereits "denotative" Zeichen gibt. (Zun üblichen Verständnis von "Denotation" und "Konnotaticn" vgl. hingegen LEBCH, Kapitel 1 und 2). Manchmal i s t das "konnotative Semem" mit dem "denotativen Semem" desselben Wortes "logisch verbunden", seine Bedeutung motiviert. Dann gehört es in die Gruppe "Kl". Z.B. t heiliger Zorn tierischer Ernst "Konnotative Sememe" ohne irgendeine logisch motivierte Verbindung mit dem "denotativen Semem" desselben Wortes gehören in die Gruppe "K2": auf die lange das gelbe

Bank Fieber

schieben

Ebenfalls als "konnotativ" gelten "Sememe" von Wörtern, die nur über Bedeutung verfügen. Gemeint sind die bekannten Bespiele: aus, dem S t e g r e i f jn. ins Bockshorn

jagen ("K3")

e i n e

64

Auf diese Art ergibt sich ein kontinuierliches Spektrum von der ganz "konnotativen" Wortverbindung bis zum vollständig übertragenen Frasnus - eine Vervollkcrannung der Analyse der "Motiviertheit", wie wir sie von VINOGRADOV her kennen.

Hier sollen Beispiele aus der Klassifikation von Verbindungen mit zwei Komponenten folgen. Sie stammen von KOPYLENKO und POPOVA selbst (KOPYLENKO/POPOVA 1972: 42 ff): Dl Dl

pisat' pis'mo die Wahrheit sagen in der letzten Zeit my name une jeune f i l l e

(russ.)

(engl. ) (franz.)

Dl D2

v o l ' η y j perevod a b g e d r o s c h e n e Redensarten auf A b s c h l a g zahlen

D2 D2

avtorskj acte nul la lettre

list de mer

Dl Kl

d e l à t ' uspechi eine Prüfung a b l e g e n in Abrede s t e l l e n A b s c h a u m der Gesellschaft Krieg aus dem D u n k e l w e i c h e Farben

D2K1

v y d e r X a t ' Charakter den Abschied bekommen in Akkord s t e h e n

Kl Kl

brat' na vor einem se croire have no

Dl K2

vo vse t j a S k i e gut a b s c h n e i d e n

D2 Κ2

a t t i ö e s k a j a

poruki Abgrund stehen un aigle ballast

sol '

65 na Sirokuju η o g u to fill one's bonnet Kl K2

vzjat' na ρ u i k u einen Affen haben jm. den Wind abgewinnen

Κ2 Κ2

antik s gvozdikoj ungebrannte Asche Abstand nehmen

Dl IG

pojman a polySnym sit bodkin ad acta legén

D2 K3

O S e r t j a golovu nach Bethlehem gehen Màrquis d' Atgencour

Kl K3

sbit ' abspenstig ad patres

K2 Κ3

tó&it· 1 j a s y anno Tobak das Pävenire

K3 K3

spantalyku machen gehen

spielén

baS na baS gog i magog hem and haw

Phraseologie ist in dieser Betrachtungsweise nicht mehr eine Menge sprachlicher Einheiten. Der Begriff hat sich vollständig verändert. Bei KCPYLÏNKD und PCPOVA wird "Phraseologie" beschrieben, indem man zeigt, vas sich abspielt, sobald zwei oder mehrere Wörter zusamnen auftreten. Eine Lehre von der Verbindbarkeit der Lexeme ist nur dann sinnvoll, wenn es sich \m Verbindungen mit relativ selbständigen Komponenten handelt. Untersucht man Verbindungen wie auf ein Couvert schreiben

und vergleicht man sie mit

andern, z.B. in ein Buch schreiben, auf Papier schreiben, werden Aussagen über

66 Verbindungen möglich, die das Lesean schreiben eingeht. Beispiele wie in den Schornstein schreiben, werden auf diese Weise aber nicht erfasst. Es nützt nichts, van "K3-Senati" des Wortes schreiben zu sprechen, wenn keine Verbindung zu seinen andern Vervendungsarten (zu den "D - Sememen") besteht. "Phraseologie" Im Sinne von KDPYL£NKD und PCPCVA oder MEL'CuK ist in der Lehre von den festen WurLvexhüidungen schon Iraner beigezogen worden (vgl. die "phraseologischen Verbindungen", die "phraseologisierten Bildungen" etc.). Dass damit zwei verschiedene Standpunkte in einer Theorie vermischt werden kennten, wäre nicht nachteilig, wenn man sich zu Beginn die entsprechenden Voraussetzungen in der Theorie geschaffen hätte. Weiter unten werden wir von einer Vorstellung ausgehen, die gleichzeitig das Verknüpfen von Lexemen und das Wldergeben starrer Mbrtverbindungen einbezieht.

67 3

DIE raSTIGKEIT

Die Einheiten der Phraseologie entstehen, wie sehen mehrfach betejit, in einem Bereich der Sprache, in den individuelle Bildung als die Regel gilt. WbitVerbindungen stellt sich der Linguist im Normal fall nicht als Einheiten, sondern als flüchtig vor. Die grosse Gruppe der Frasmen wirierspricht diesem Bild. Aus diesem anstand haben wir den Begriff der Reproduzlerbarkelt gewannen. " F e s t i g k e i t " nun bezieht sich auf jene Eigenschaft der Phraseologie, die wir bisher vernachlässigt haben, weil wir von einem kenpakten "Einheits"-Begrlff ausgegangen sind. - Die Sprache erlaubt in vielen Fällen mehr oder weniger grosse Aenderungen in Form, Bestand und Bedeutung von Einheiten. Bei Lexemen sind diese minim. Auf jeden Fall hat es sich bisher als tauglich erwiesen, die Lexeme einer Sprache als unveränderbare Bausteine zu betrachten. In der Phraseologie - dies wird auch das vorliegende Kapitel zeigen ist die "Festigkeit" keine absolute Grösse. Ein Fraanus ist mehr oder weniger " v a r i a b e l " . Man vergleiche irgendwelche wahllos aus Wörterbüchern herausgegriffene Beispiele: Viele von ihnen kennen eine gewisse Zahl von Varianten:

seinen Mann stellen / stehen sein Mäntelahen / seinen Mantel nach dem Winde hängen / dreh das Abendmahl / Gift auf etwas nehmen durah die Lappen / durah die Latten gehen g Wenn man von Festigkeit spricht, meint man die Art und die Zahl von Varianten, zwischen denen sich der Sprecher zu entscheiden hat. Deshalb der reziproke Begriff der Variabilität.

Völlig "fest" in diesem Sinne ist der Ausdruck jm. stehen die Haare

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zu Berge.Weniger fest bzw. "variabler" ist ein Frasmus wie: seinen Mann stehen / stellen. Ueber ein hohes Mass an Variabilität (wenig Festigkeit) verfügt schliesslich die Redensart jm. geht ein Licht auf in Bezug auf die Komponente Licht. Es tritt eine fast unbeschränkte Zahl von Abwandlungen auf : ja. geht ein Lichtchen auf. ja. geht eine Stallaterne auf. jm. geht ein ganzes Elektrizitätswerk auf. ja. geht ein ganzer Christbaum auf

Dabei haben wir jetzt noch nicht zwischen den verschiedenen Arten der Variabilität unterschieden, was später nötig sein wird.

Abgesehen davon, dass auf irgendeine Weise das Mass an Festigkeit geprüft werden sollte, besteht ein Bedürfnis zu erfahren, ob verschiedene Typen von Festigkeit den gleichen Stellenwert haben. Was bedeutet es, dass es "lexikalische", "morphologische" und andere Varianten gibt? Zunächst sei aber noch auf einige spezielle Ansichten über die "Festigkeit" eingegangen. Bekanntlich ist für MEL'iJUK eine Verbindung nur dann "fest", wenn gewisse Komponenten häufiger in ihr anzutreffen sind als ausserhalb, also die Typen an die Kandare nehmen, die Zähne blecken. V.P. ÍUKDV definiert die Festigkeit als "Mass, Stufe der semantischen Geschlossenheit, der Unzerteilbarkeit der Komponenten" (2uK0V 1967: 6). Aehnlich wie RAJCHSTEJN sieht er sie verknüpft mit der " I d i om a t i z i t ä t " . "Mit andern Worten: die Festigkeit ist das Mass der Idiomatizität". (äUKOV 1967: 6) 2uKOV verzichtet sogar darauf, das, was er "Idiomatizität" nennt, überhaupt von der Festigkeit zu unterscheiden. Letztlich sind für ihn auf diese Weise die "unmotivierten" Frasmen (in VINOGRADOVs Sinn) fester als die "motivierten". Frasmen mit "ganzheitlicher, unmotivierter Bedeutung", also z.B.: jm. einen Baren aufbinden jn. ins Bockshorn jagen ins Gras beissen sind festere Einheiten als: über einç Sache Gras wachsen lassen das fünfte Rad am Wagen die zweite Geige spielen. Es ist richtig, eine Verbindung zwischen Festigkeit und Idiomatizität herzustellen, aber daeu benötigen wir eine einwandfreie Definition

69 dieses letzteren Begriffs. - RAJCHSTEJNS Lösung ist in dieser Beziehung überzeugender. - Er definiert ja "Idiomatizität" als "ein irreguläres Verhältnis zwischen Ausdrucks- und Inhaltsstruktur der sprachlichen Kette, das*sich darin zeigt, dass diese irreguläre Elemente enthält. Sie werden nicht durch bestimmte Komponenten oder formale Merkmale ausgedrückt, sondern durch deren Gesamtheit". (RAJCHSTEJN 1974: 31) Er zeigt überdies, dass verschiedene Typen von "Idiomatismen" für verschiedene Frasmusartén notwendig sind ("LKS-", "KS-" und "LS-" Idiomatizität). Leider gelingt es ihm aber nicht, die beiden Begriffe "Idiomatizität" und "Festigkeit" völlig getrennt zu definieren, weil er für sie nur e i n Merkmall verwendet. Dass die beiden Grössen korrelieren, wurde nur bezüglich der "Aspekte" postuliert. Hörin die "präferentielle Idiomatizität" eines Satzes wie Tu mir den Gefallen besteht (vgl. oben S. 17), wird nicht klar. Hier interessiert uns aber nur, was RAJCHSTEJN zur Festigkeit allein sagt. Wichtig ist seine Einteilung in Typen - und dabei vor allem die Berücksichtigung des "Masses" der Festigkeit. Denn die Tatsache, dass verschiedene Frasmen in verschiedenen Aspekten keine Veränderung zulassen, unterscheidet sie lediglich von den homonymen freien Hortverbindungen. Sie bestätigt nur, dass es sich um Einheiten der Sprache handelt. - Has den " T e i l " der Festigkeit betrifft, haben wir schon früher gefordert, dass ein Frasmus, um sich von Sprichwörtern und andern Fügungen zu unterscheiden, mindestens eine Leerstelle aufweisen muss. Aufschlüsse über das Wesen der Phraseologie geben uns nicht solche statistische Definitionen oder Angaben über die Valenz. Erst wenn das " M a s s " der Festigkeit betrachtet wird, wird eine Untersuchung dessen möglich, wie stark sich die "Festigkeit" ändern kann (und nicht nur, ob sie vorhanden ist). Wenn wir "Einheiten" haben wie ja. geht ein Licht auf, und wenn wir gleichzeitig sehen, dass es unzählige Abwandlungen davon gibt, beginnt.die "Festigkeit" für uns interessant zu werden. Denn wir merken, dass wir uns in einem Gebiet bewegen, in dem "Einheitliches" relativ selten ist. Es kann zu einer Reihe von Varianten kommen, wobei eine Komponente in einem Glied dieser Reihe semantisch "autonom" wird. Nach RAJCHSTEJNS Beobachtungen führt diçs zur semantischen "Autonomie" aller entsprechenden Komponenten iii der Reihe. Alle entsprechenden Phrasen sind schliesslich in gleichem Masse semantisch teilbar (RAJCHSTEJN 1974: 65). Dies sind interessantere Feststellungen als jene, ob "Aspekte" oder "Teile" von Phrasen "fest" seien. Semantisch "nicht autonom" und "absolut fest" wäre nach RAJCHSTEJN die Redensart jn. sticht der Hafer. Hier ein Beispiel mit "semantisch indirekt autonomer" Komponente: ja. fällt ein Stein vom Herzen ja. fällt ein Steinbruch vom Herzen ja. fällt ein schwerer Stein vom Herzen Es ist dies ein Frasmus, in dem die Möglichkeit "des intensivieren-

70 den Austausches und der Erweiterung" besteht. - Analog ist in der folgenden Reihe die verbale Komponente "indirekt autonom" (sie erlaubt "LS-", "L-" und "S-" Variationen). Aus diesem Grunde wird die gleichbleibende nominale Komponente "semantisch autonom": die Saat geht auf die Saat wird gelegt die Saat, die jd. gelegt hat, geht auf

In den folgenden Beispielen sind die nominale und die verbale Komponente gleichermassen autonom (beiderseits sind "L-", "S-" und "LS-" Variationen möglich, die unterschiedlichen strukturellen und semantischen Beschränkungen gehorchen): das Gewitter zieht herauf das Gewitter entlädt sich etwas entlädt sich über ja. der Vogel geht ins Garn der Vogel geht auf den Leim jd. geht auf den Leim RAJCHSTEJN nennt keine Merkmale, die voraussagen liessen, welche Frasmer. in welche Gruppe gehören.O ies zeigt nicht einen Mangel im Konzept auf; denn solche formale Kriterien sind wohl nicht zu finden. Es dürfen aber einige Schlüsse gezogen werden, die von RAJCHSTEJN unbeachtet bleiben. Der wichtigste davon ist , dass detaillierte Klassifikationen den Besonderheiten des phraseologischen Systems nicht gerecht werden. Es fällt z.B. auf, dass in der zweiten der obigen Beispielgruppen der Erasmus die Frucht geht auf fehlt. Somit würde die entsprechende Reihe in die vierte Gruppe gehören. Auch andere Erweiterungen, die RAJCH§TEJN nicht berücksichtigt, sind üblich (er dachte an den Stein, der ihm vom Herzen gefallen war, als ...). Schliesslich wird es fraglich, ob eine solche Idealisierung in Gruppen überhaupt einen Bezug zur Realität hat, An dieser Stelle sei noch auf eine ganz andere "Festigkeits"Theorie verwiesen. - N.Z. KOTELOVA prüft wie MEL'ÎUK die Verbindbarkeit von "Lexemen" (KOTELOVA 1968). In diesem Rahmen zählt sie die Verbindungen, die Kernwörter wie Stegreif, Bockshorn, Traufe eingehen. So kann statistisch bewiesen werden, dass im Deutschen die folgenden Wörter öfter zusammen mit bestimmten andern (gebunden) als frei auftreten: Fettnäpfchen Stegreif Bockshorn Vorschein Regen + Traufe Mores Panier

71 Vgl. die Einheiten: ins Fettnäpfchen treten aus dem Stegreif jn. ins Bockshorn jagen zum Vorschein kennen jn. Mores 2ehren etwas auf sein Panier schreiben "Festigkeit" ist in diesem Sinne eine bevorzugte Verbindbaxkeit. Was aber überhaupt nicht registriert wird, ist die der Festigkeit reziproke Variabilität. Eine solche Theorie eignet sich auch nicht, eventuelle Aenderungen in der Bedeutung, dié nit der Variantenbildung verknüpft sein können, zu beschreiben. In diesen Zusammenhang gehört auch das Thema der " G r u p p e n f e s t i g k e i t " . Mit diesem Begriff erklärt A.M. ËMIBOVA (1967) Bildungen wie: ein grosser Jäger vor dem Herrn ein grosser Fischer vor den Herrn ein grosser Taucher vor dem Herrn Auch die "Gruppenfestigkeit" bezieht sich auf die Vorhersagbarkeit von Lexemen in Verbindungen. Auf die "Modellbildungen" beschränkt, kann sie aber durchaus verwendet werden: Zu einer invarianten Wortverbindung, die sich durch "Gruppenfestigkeit" auszeichnet, passt als variables Glied irgendein Vertreter einer semantisch charakterisierten Gruppe von Wörtern. Aehnliche Erklärungen solcher Bildungen haben wir bereits besprochen. Hier wollen wir nur zeigen, dass der Begriff seine Grenzen dort erreicht, wo er fQr Wendungen gebraucht wird wie jd. ist weiss wie ein Handtuch. M.I. ¿EREMISINA fällt auf, dass hier immer nur ein Nomen mit der Eigenschaft "+ menschlich" zum Einsatz gelangt. (¿EREMISINA 1968) Es handelt sich aber kaum mehr um eine Erscheinung dey "Festigkeit". Vielmehr werden auf diese Weise ganze Einheiten subkategorisiert. Denn "fest" ist ja in erster Linie der Rumpf des Frasmus. Die dazugehörige semantische Gruppe ist nur von ihm abhängig, gehört aber in solchen Fällen nicht mehr zu ihm. Dies wird in derartigen Theorien leider nicht erwähnt. Es kommt im Gegenteil zu Untersuchungen wie derjenigen A.K. PANFILOVs. Er findet heraus, dass es in der Sprache praktisch keine "freien" Wortverbindungen gibt: Alle Wörter sind in ihrer Verbindbarkeit irgendwie beschränkt. Sogar Verben wie essen und trinken können nicht mit allen Substantiven verbunden werden. (PANFILOV 1968) Solche Betrachtungen zur "Selektionsbeschränkung" bzw. "semantischen Kongruenz" können aber nicht mehr dazu dienen, das phraseologische System zu erklären. So ist nicht sehr viel gewonnen, wenn PANFILOV die " p h r a s e o l o g i s c h e n N e s t e r " ^ untersucht. So nennt er die Gruppen möglicher Verbindungen mit einem Kernwort. Je beschränkter das Wort in seiner Anwendung, desto

72

kleiner die Gruppe. Ein "Nest" ist z.B.:

die Schweizerische die Schweizerischen die Schweizerische

Eidgenossenschaft Bundesbahnen Nationalbank etc.

Und zwar weil schweizerisch in jeder der Verbindungen die gleiche Bedeutungsnuance aufweist ('offiziell, staatlich') - im Gegensatz zu den nichtphraseologischen Bezeichnungen:

die schweizerischen Berge die schweizerische Post der schweizerische tiein

Dies sind keine allgemein gebrauchten Termini. Sie sind in ihrer Anwendung weniger stark eingeengt. Dies stellen wir allerdings nicht mittels der Gruppenfestigkeit fest, die nur äussere Beziehungen untersucht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es weitere "Nester" gibt, die um dasselbe Adjektiv gebildet werden, seine Bedeutung aber wieder anders einschränken: der schweizerische die schweizerische die schweizerische

Kompromiss Eigenart tteltoffenheit ...

etc.

(Das Adjektiv bezieht sich diesmal auf das Volk der Schweizer.)

Die Arbeit, die am gründlichsten versucht, den ganzen schillernden Begriff der "Festigkeit" zu analysieren, ist diejenige A.V. KUNINs. - KUNIN (1970) geht van Unterschied "Festigkeit"/"Reproduzierbarkeit" aus und betont, dass "Festigkeit" eine differenzierbare Grösse darstellt. Sie kann dazu dienen, sämtliche Merkmale eines Fraamis auszudrücken. Man kann sie auf verschiedene Niveaus der Sprache beziehen und in Stärkegrade einteilen. Dies erlaubt uns, die "phraseologischen" nicht rur von den "veränderlichen", semdern gleichzeitig auch von den "nichtphraseologischen" Wörtverbindungen zu trennen. KUNIN unterscheidet fünf "Aspekte der Festigkeit auf phraseologischer Ebene": 1. Die "Festigkeit im G e b r a u c h "

der Einheiten: Sie drückt aus, dass

73

es sich un Einheiten der Sprache

und nicht un individuelle Bildungen handelt.

Deshalb ist dies eine starre Grösse, sie genügt KUNINs eigener Forderung nach nach Differenzierbarkeit nicht. Innerhalb seiner weiteren Untersuchungen spielt sie denn auch keine besondere Rolle mehr. 2. Die " s t r u k t u r s e m a n t i s c h e

Festigkeit": Die "phraseolo-

gische Einheit" hat eine stabile, nicht typenhafte Bedeutung. Es gibt innerhalb der "Phraseologie" keine struktursemantischen Madelle.

Dies passt zur gängigen Definition der "Phraseologie im engen Sinne". Die Bedeutung muss "singulär übertragen" sein. Zudem sind "Modellbildungen" nicht zugelassen.In KUNINs Arbeit heisst also "struktursemantische Festigkeit": keine andere Einheit hat eine ähnlich gebaute Semantik. - KUNIN operiert so mit zwei verschiedenen "Festigkeits"-Begriffen gleichzeitig, einerseits mit demjenigen, welcher der Variierbarkeit gegenübersteht, andrerseits mit demjenigen, dessen Gegensatz mehrfaches Auftreten ist. Die Forderung nach Stabilität auf dem Gebiet der Bedeutung rührt von der Vorstellung 'der "Einheit" her, die durch die Lexikologie geprägt wurde. Sie erschwert den Zugang zu wichtigen Erscheinungen, auf die wir später (Kapitel 4) zu sprechen kamen werden. Mancher Frasmus verfügt über so viele "Bedeutungen", dass nicht mehr unbedingt von Stabilität die Rede sein kann. Man vergleiche die 3 Anwendungen von dass die Funken fliegen/stieben, die das Wörterbuch von BINOVIC/GRISIN angibt, mit den dazugehörigen Paraphrasen. Der Gedanke liegt nahe, dass viele weitere Bedeutungen, die dazwischen liegen und mit andern Beispielen belegt werden müssten, möglich sind: 1. 'mit voller Kraft* etc.: Wenn er das Examen bestehen will, dann muss er freilich arbeiten, dass die Funken fliegenf 2. 'mit frischem Mut' etc.: Er sprengte davon, dass die Funken stoben.

1.

Diese Beispiele stammen ursprünglich aus FRIEDRICH 1966.

74 3. 'in zähem Kampf' etc.: Die beiden Gegner gerieten so hart aneinander, dass die Funken flogen.2.

3. Die " m o r p h o l o g i s c h e F e s t i g k e i t " : Eine oder mehrere Kenpanenten des Kraams verfügen Uber ein eingeschränktes Paradigma, bzw. Uber ein Nullparadigma. Vgl. K£N3Ns englisches Beispiel: chase the wild gooee *chase the wild geeee2

Es ist wichtig, hier auch einige deutsche Beispiele anzugeben, denn die morphologischen Varianten, bzw. Invarianten, sind immer die ersten, die bei phraseologischem Material ins Auge stechen. Andrerseits sind sie die am wenigsten interessanten Faktoren. Vgl. die "eingeschränkten Pardigmen" bei:

¿Las Knie beugen die Knie beugen *ein Knie beugen Bitume auareieeen können *einen Baum auereieeen können

jm. geht ein Licht auf *jm. gehen Lichter auf Alle diese Fälle haben direkt mit der "Idiomatizität" zu tun. Das heisst, sie sind durch das "Bild", das ihnen zugrundliegt, erklärbar. Interessant werden sie erst, wenn dieses "Bild" erneuert werden kann (vgl. Kapitel 4).

4. Die " s y n t a k t i s c h e Festigkeit": Die Wörter sind fest angeordnetInversion ist nur unter speziellen Bedingungen möglich. "Die syntaktische Festigkeit zeigt sich in der stabilen Anordnung der Wörter einer phraseologischen Einheit, deren normative Veränderungen nur im Rahmen bestimmter Abhängigkeiten der Komponenten und einiger Typen stilistischer Inversion möglich sind". (KUNIN 1970: 74 - 137) - Unbedingt nötig ist Inversion (im Englischen), wenn ein verbaler Frasmus passiv gebraucht wird. Als stilistische Inversion gilt' z.B. die Verwandlung eines verbalen Frasmus in einen

Ein Stern (*) soll hier anzeigen, dass die phraseologische Bedeutung nicht zum Ausdruck kommt.

75 Relativsatz - wobei die entstehenden Paraphrasen nicht mehr unbedingt phraseologisch sind (Bsp. b, c): (a)

bear one's cross: this is the cross I have learned to bear

(b)

cast one's bread upon the waters: the ¿read he had cast upon the waters

(c)

sew one's wild oaks: the wild oaks he had sown

lb Deutschen sind Onstellungen natürlich häufiger die Folge syntaktischer segeln als In Englischen, das KENIN untersucht. Dennoch ist aofûrt ersichtlich, dass die "syntaktische" wie die "morphologische" Festigkeit eine Nebenerscheinung der "struktursemantischen" bzw. des Gebrauchs der Fraanen als Einheit sind. Es ist letztlich das Mass der "ganzheitlichen Bedeutung", die den Ausschlag für die Unregelmässigkeiten gibt. Wir haben im ersten Kapitel gesehen, dass besser nicht von "Phraseologie" gesprochen wlxd, wenn die einzelnen Lexeme auf syntaktischer Ebene nicht eine gewisse Autonomie bewahrt haben. 5. Die " F e s t i g k e i t d e r B e d e u t u n g u n d d e s l e x i k a l i s c h e n B e s t a n d e s " : Nochmals geht es un die Bedeutung: Sie ist mit den Kanpcnenten des Fraeius eng verknüpft. (Dies ist wiederun eine andere Formulierung der T a t s a c h e , dass es sich un Einheiten der Sprache handelt, sagt aber nichts Uber die Natur dieser Einheiten aus.) Es sind aber gewisse lexikalische Veränderungen möglich, ohne dass die Bedeutung gestört würde. Man vergleiche die bekannten Varianten: ja. geht ein Licht auf jm. geht ein Kronleuchter auf ja. geht ein ganzes Lichtmeer auf . etc. Andrerseits gibt es Frasmen, in denen keine lexikalischen Varianten zugelassen sind: sich ins eigene Fleisch schneiden den roten Hahn aufs Dach setzen Ja. das Fell über die Ohren ziehen Wichtig scheint mir dabei, dass es sich durchaus nicht um Parade-

76

beispiele"der "Festigkeit" im Sinne MEL'CuKs handelt. Formale Anzeichen dafür, ob ein Frasmus lexikalische Veränderungen zulässt oder nicht, scheinen überhaupt nicht da zu sein. Auch ist ps sehr gut möglich, dass gerade die hier genannten Beispiele in gewissen Gegenden anders lauten. Zudem sind i n d i v i d u e l l e Abweichungen immer möglich: sich in den eigenen Finger schneiden den roten Hahn auf die Bude setzen ja. das Fell über die Elefantenohren ziehen

Dies ist dea: interessanteste Aspekt der "Festigkeit". Leider aber fehlt bei KONIN eine Wertung oder eine semantische Interpretation der verschiedenen Festigkeitstypen. Was diese letzte Art angeht, irüssté unbedingt betont werden, dass auch gewisse lexikalische Veränderungen zugelassen sind, die dem ganzen Ausdruck eine neue Bedeutungsnuance geben. (Vgl. unten S. 78 ) KUNIN fordert indessen, dass alle fünf Typen der Festigkeit zusanmen (und die Typen 3, 4, 5 in genügender Stärke) auftreten, um die Festigkeit

auf

phraseologischer

"minimale E b e n e "zu

bilden. Es ergibt sich so eine besondere Art des Verständnisses von "Phraseologie im engen Sinne": Eine "phraseologische Einheit" ist danach eine Wortverbindung mit "übertragener Bedeutung" und einer Festigkeit, die "nicht niedriger ist als minimal auf phraseologischer Ebene". (KUNIN 1964: 33)

Es lässt sich eine ganze Skala bilden, die von den Frasmen, die gerade noch "phraseologisch fest" sind, bis zu den "Phraseologisnen mit der höchsten Stufe der Festigkeit" reicht. - Auf der niedrigsten Festigkeitsstufe ersten Grades steht z.B.: to cast/shed/throw/turn light/a light/ on/upon something

Hier sind noch sechs Typen der Variabilität möglich (morphologische Variationen, stilistische Inversion etc.). Mit steigender Gruppenzahl nehmen diese aber ab, bis auf der höchsten Stufe der Festigkeit überhaupt keine Variabilität mehr vorkommt: at emotional loggerheads aar. the leopard, change his spots?

77 -KLJNINs Festigkeitstheorie wurde hier so ausführlich wiedergegeben, well sie sich mit allen wichtigen Problemen auseinandersetzt, die als Fragen der "Festigkeit" behandelt werden können. Die Hierarchie, die KUNIN aufstellt, erinnert an FRASERs Untersuchung zur " frozennese

" (FRÄSER 1970). Wir ver-

missen aber Hinweise darauf, welchen der KUNINschen Festigkeitstypen die entscheidendë Rolle zukommt und welche nur auf Besonderheiten des Bestandes der Fraanen und auf ihrer Erstarrtheit beruhen. (Vgl. BURGER 1973: 67-71.) Dass die Einheit at emotional loggerheads keine morphologischen Veränderungen zulässt, ist kein Minder. Sie wird ja nur adverbiell gehraucht. So ist es auch klar, dass die Wortanordnung nicht gestört wird ("syntaktische" Festigkeit). Aus diesem Grunde habe ich im letzten Kapitel vorgeschlagen, solche Einheiten ganz im Bahnen der Lexik zu behandeln. - Die "Festigkeit im Gebrauch" ist ebenfalls eine auf dieser Ebene unjiroblematische Grösse. Interessant sind einzig noch die "struktur-seraantische" Festigkeit und die "Festigkeit des lexikalischen Bestandes". Uder die erstere können wir dann entscheiden, warn wir wissen, ab die Bedeutung eine so starre Grösse ist, wie KUNIN sie postuliert. So bleibt für uns als wichtigste "Festigkeit" bei einer solchen Einheit, wie auch bei Einheiten der niedrigeren Festigkeitsstufen, diejenige des "lexikalischen Bestandes"

(uns interessiert z.B. an dem vorliegenden Frasnus seine Beziehung

zu der Form at loggerheads, die wie in Wörterbüchern finden). Es ist für unsere Zwecke von wenig Belang, dass die "mittlere Stufe der Festigkeit" eine Gruppe kennt, die "keine morphologischen Veränderungen, sondern nur einen Austausch des Proncmens one zulässt"

(KUNIN 1970:119X z.B.: one's

better half, one's best bet, one's old Dutch). Es ist das gleiche Problem wie die oben erwähnte "Gruppenfestigkeit". - Auch "phraseologische Einheiten mit konstanter Abhängigkeit der Komponenten, die morphologischen Veränderungen unterworfen sind" (KUNIN 1970: 121), zeigen nichts anderes, als dass sie sich auf syntaktischer Ebene wie jede Verbindung von Wörtern verhalten (z.B.: Black Maria, cry wolf, white elefant, when the dust settles). Im folgenden werden wir uns nur noch mit jenem Begriff der Festigkeit, bzw. Variabilität, beschäftigen, der sich auf lexikalische und andere lungen

Abwand-

bezieht, mit der Tatsache, dass Frasmen gewisse Variationen zu-

78 lassen, andere derselben Klasse aber nicht. (Etnas an die grosse Glocke hängen/ etwas an die ganz grosse Glocke hängen, aber: *etuas an die riesige Glocke hängen. (vgl. £efny5eva 1974: 166). Wir werden aber nicht ins Detail gehen, sondern uns darauf beschränken, die Erscheinungen in die allgemeinen Gesetzmässigkeiten der Phraseologie einzuordnen. Auch T.I. KEVAI£NKO hält das Verhalten der Frasmen in dieser Beziehung für einen wichtigen Unterschied zur Lexik. In Ergänzung zu KUNIN stellt er fest, dass gewisse Texfw äussere ("phonetische und grommatiteliIsche") Aenderungen zulassen, ohne dass sie eich in der inneren Struktur ändern(KCWAIflWO 1972: 131). In phraseologischen Varlanten jedoch können zu den formalen auch innere Veränderungen hinzu. Es können neue Bedeutungsnuanoen entstehen. Wenn der Erasmus etwas an die grosse Glocke hängen angeformt wird zu etwas an die gana grosse Glocke hängen, so wird das zugrundeliegende Bild neu belebt: "Die Variation der Phraseol ogi arm beruht auf ihrer semantischen Doppelseitigkeit und dient zur Belebung - oder im engegengesetzten Fall zur Verdunkelung- des ursprünglichen Bildes" (KOVAI£NKO 1972: 131). Die phraseologischen Varianten, die KOVAI£NKO untersucht, sind also "individuelle Unformmgen des Phraseologiaius als Mittel zur Erhöhung der Bildhaftigkeit." (KCVAIiNKO 1972: 131) Es entstehen folgende Typen: (1) V a r i a n t e n , B i l d

d i e

d a s

u r s p r ü n g l i c h e

e r n e u e r n :

a) Lexikalische Varianten:

Hände schütteln P f ö t c h e n

schütteln

b) Morphem-Varianten:

jm. kein Haar krüntnen jm. kein H ä r c h e n

krümmen.

(Diese Morphem-Varianten sind natürlich von den oben vorgestellten "morphologischen Varianten" KUNINs, die sich auf die Möglichkeit gewisser syntaktischer Bildungen bezogen, zu unterscheiden und den lexikalischen gleichzusetzen.) c) Syntaktische Varianten:

jm. auf der Nase herumtanzen auf j s. Nase herumtanzen Vgl. die Bemerkungen oben zu KUNINs syntaktischer Festigkeit.)

79 (2) V a r i a n t e n , die das Bild verschleiern. auf Ellipsen:

u r s p r ü n g l i c h e Varianten dieser Art beruhe^

a) Weglassen einer verbalen Komponente: Der Pelikan sitzt ganz schön in der Tinte. Wir haben den Pelikan ganz schön in der Tinte angetroffen. b) Weglassen eines "attributiven Gliedes": jm. langedrehen Nase drehen jm. eine eine Nase Veränderungen dieser Art kommen im nächsten Kapitel, im Zusammenhang mit der Semantik, zur Sprache. Wir werden dann sehen, welche Rolle einzelne Komponenten für die Gesamtbedeutung der Ausdrücke spielen können. Vorläufig konzentrieren wir uns auf die zusätzlichen Möglichkeiten der lexikalischen Variierung, die KOVALENKO hier aufzeigt. Nachdem wir gesehen haben, welche "phraseologische Festigkeit" für uns in Betracht katmt, müssen wir untersuchen, wie sich die verschiedenen Frästen in Bezug auf diese Eigenschaft verhalten und ob es einzelne Gruppen gibt, die in der Festigkeit gemeinsame Züge aufweisen. KOVALENKQs Arbeit zeigt, dass gewisse semantische Faktoren mit der Variabilität in "phraseologischen Ganzheiten" korrelieren. Uns interessieren aber Aussagen über alle Gebiete der Phraseologie. Dabei genügen Arbeiten, wie sie hier vorliegen, nicht. Denn sie trennen die Begriffe der "Festigkeit" und der "Reproduzierbarkeit" nicht. Sie betrachten die sprachliche Ganzheit des Frasmus als Axicm, und dies ist, wie wir des öfteren gesehen haben, nicht richtig.

Wenn wir jetzt "lexikalische Varianten" betrachten, drängen sich von vorn herein drei Gruppen auf. Die eine umfasst Varianten, die der Synonymbildung dienen (Typ a). Andere machen aus einem Frasmus verschiedene semantisch in Opposition stehende Wendungen (Typ b: einen kurzen Atem haben vs. einen lange Atem haben¿ im Gegensatz zu etwa: feuchte Augen bekommen vs. nasse Augen bekommen) . Die dritte Gruppe (Typ c) umfasst Varianten, die durch Zusätze bzw. Auslassungen Zustandekommen (den Wald vor (lauter) Bäumen nicht sehen). (Zusätze u n d

Auslassungen deshalb, weil ja nicht gesagt werden kann, ob

80 der vollständigere oder der kürzere der Originellfraanus ist.) Eine Untersuchung an einen^ grösseren Korpus3 zeigt sehr bald, dass nicht nur die verbalen Frästen (wie sie bis jetzt als Beispiele dienten), sondern auch die nominalen in allen Gruppen variieren. - Vgl.: (a) etwas auf die leichte Achsel / Schulter nehmen auf die schiefe / abschüssige Bahn geraten / kormen jm. den Atem versetzen / nehmen / benehmen ein hartes / schweres Brot ein dicker / schwerer Brocken (b) Hand und Fuss haben / verleihen / geben etc. kleine / grösse / schöne / scharfe / Augen machen etwas in Arbeit geben / nehmen / haben das kleine Schuiarze / das lange Schwarze (c) einen Affen (sitzen) haben seine (fünf) Sinne beisammen haben ein neues Blatt der (Veit-) Geschichte Es ist auch leicht, aus jeder der am Anfang vorgestellten "struktursemantischen" Gruppen variantenbildende ebenso wie "absolut feste" Vertreter zu finden: " P h r a s e o l o g i s c h e G a n z h e i t e n " : (a)

auf den Busch klopfen legen

(b)

kommt n i c h t v o r , w e i l d e r F r a s m u s s o f o r t s e i n e " s i n g u l a r e " B e d e u t u n g s ü b e r t r a g u n g , bzw. U n m o t i v i e r t h e i t v e r l ö r e .

(c)

einen Affen

/ schlagen,

(sitzen/geladen)

n i c h t v a r i a b e l : ins Bockshorn

3

Z u s a m m e n b i l d u n g e n /

den alten Adam abstreifen

haben, jagen,

eine

... Ader

in die Binsen

anhand der Buchstaben A - D in BINOVlC/GRlSlN

1975

haben gehen

/

81 "

S t r e c k f o r m e n " : (a) in Erinnerung rufen / bringen (b) in Erinnerung rufen / bleiben (c) (den) Kontakt aufnehmen * ; nicht variabel: in Brscheinung treten

" L e x i k a l i s c h e

G a n z h e i t e n " :

(a) die schwarzen Blattern / Pocken (b) die roten / weissen Blutkörperchen (c) die (etosse) (Sozialistische) Oktoberrevolution nicht variabel: der tympunische Ring "

R e d e n s a r t e n " : (a) ja. geht ein Licht / Lichtchen etc. auf (b) js. Stern geht auf / sinkt (c) ja versagen die Beine (den Dienst) nicht variabel: jm. brennt der Boden unter den Füseert

Weggelassen habe ich die Gruppen, zu deren Definition eine Art Von Variantenbildung gehört ("Modellbildungen", "phraseologisierte Bil-1· düngen"), und jene der "phraseologischen Verbindungen", die bei Variantenbildung zu "phraseologisierten Bildungen" werden.

Ich erlaube mir zu verallgemeinern : Wie man die Phraseologie auch inner systematisiert, es werden In jeder Gruppe Varianten gebildet. Vorhersagbar ist also die Festigkeit nicht. Sie kann iimer nur anhand von Beobachtungen an konkretem Material festgestellt werden.

Es fällt sofort auf, däss nicht jedem Sprecher alle Varlanten, die er z.B. im Wörterbuch findet, geläufig sind. (Auch meine Beispiele sind vielleicht beim Leser auf Kritik gestossen - dies würde die Kegel bestätigen.) Manche mag er für individuelle Bildungen halten, abschon sie in Wirklichkeit einer grossen Zahl von Sprechern geläufig sind. In der linguistischen Praxis ist es bisweilen üblich, nur diejenigen Varianten zu akzeptieren, die man selbst kennt. Man spricht so neben den "normalen" von den "stilistischen" Varianten

(VIR-

JASOVA 1971). Es ist aber kaum möglich, eine genaue Grenze zwischen ihnen zu ziehen.

(Vgl. auch die Bemerkung zur phraseologischen "Norm", unten S. 111.)

Wenn die Linguistik von " f e s t e n "

Wörtverbindungen spricht

- das

heisst in diesem Falle von solchen, die keine Varianten zulassen -.dann be-

82 zieht sie sich eigentlich auf I d e a l f ä l l e , die einen sehr kleinen Teil des Materials aufmachen. Man körnte sich vorstellen, dass jeder Frasnus «»irmai "absolut fest" war. Die normale Britwicklung ist aber diejenige zur Analytik, auch wenn gewisse Fraenen stabil bleiben sollten. Es wäre nun im Einzelfall theoretisch möglich, loner zu messen, wie fest ein Fraanis gerade ist. In der Praxis gibt es dabei Schwierigkeit«!, die danit zusannenhängen, dass der Frastus auf Satzebene steht, auf der Individuelle Bildung die Hegel ist. Die wirklichen Verhältnisse werden wohl nur dann getroffen, wenn keinerlei Klassifikationen angestrebt werden, sondern nur von einer T e n d e n z

zur Va ciantenbildung

(oder zum Zerfall) phraseologischer Einheiten gesprochen wird. Wenn ein Frasnus in kleinere, semantisch selbständige Einheiten zerfällt, kännen zwei Richtungen eingeschlagen werden. Die eine geht über die Bildung von Varianten, die zun ursprünglichen Frasnus in Opposition stehen, die andere über die Eïttwicklung synonymer (d.h. zumindest bedeutungsähnlicher) Einheiten. Hierzu gehört auch die Waglassung von Komponenten (vgl.: mir ist aufgegangen, daee ...). Wenn auch das Terqpo der Entwicklung unterschiedlich ist - das Resultat ist beidemale das gleiches Was früher Wörter ohne eigene Bedeutung, einfache Komponenten des Frasnus waren, sind selbständige Lexeme geworden. Sie haben im laufe der Zeit dank der Wechselwirkung mit dem Erasmus eine zusätzliche (bzw. erste eigene) Bedeutung erhalten. A.D.

RMCHSTEJN

weist darauf hin, dass "dieser Prozess, der mit der Er-

scheinung der phraseologischen Derivation (A.V. KLININ, I.I.

CEFNYSEVÄ,

S.N.

DENISENKO) zusamnenhängt, sich inner auf die semantische Autonomie stutzt, welche die entsprechenden Kcnponenten s c h o n genden

festen

Komplexen

in

den

haben"

zugrundelie(RFTJCHSLEUN

1974:

48). Dies entspricht der Ansicht, es gebe semantisch teilbare und unteilbare Konplexe, von denen die ersten für die "phraseologische Derivation" (für die Wortbildung auf der Basis von Frasmen) in Frage kennen, die zweiten aber nicht. Doch auch

RAJCHSTEJN

hat keine Möglichkeit der Voraussage dessen, ob ein Frasnus

zur einen Gruppe oder zur andern gehört, solange die Variantenbildung noch nicht eingesetzt hat. Denn diejenigen Freisten, die traditionell als teilbar oder unteilbar gelten, verheilten sich ganz unterschiedlich. (Es kann also nicht gesagt werden, die "phraseologischen Ganzheiten" eigneten sich für die Variantenbildung weniger ¿ils die "lexikalischen Ganzheiten!") Hier muss denn unsere

83 Kritik einsetzen. "Semantische Teilbarkeit" ist durch "Variantenbildung" definiert; ein Frasais ist dann "semantisch teilbar", wenn er Varianten

zulässt

und ungekehrt. Zusätzliche formale Kriterien existieren dabei nicht. Es miss deshalb von jedem Fraatus, der heute noch unteilbar ist, erwartet werden, dass er morgen zu zerfallen anfängt. Natürlich ist es falsch zu glauben, mit diesen einfachen Grundsätzen sei die ganze Qrtwicklung erklärt. Vfas wir jetzt dargestellt haben, war ein Bild, das h i l f t , sich die eigentttaliche phraseologische "Festigkeit" vorzustellen. In der Praxis ist natürlich nicht zu entscheiden, ob man einen Fraanis vor sich hat, der im Zerfallen begriffen 1st, oder einen, der sich erst bildet. Zudem gibt es, wie gesagt, lnmer wieder Muí [.Verbindungen, die In den einen oder dem andern Zustand stehen bleiben. Das will helasen: Wenn wir als Spitze der Entwicklung die "ganzheitliche ttjeiUayaife Bedeutung" nahen, Kuaau Freemen vor, die nie dieses Ziel erreichen. Ungekehrt gibt es solche, die bei Ihren Zerfall nie ganz "analytische" Bedeutung erhalten: solche, in denen zwei oder drei Raiponenten

IJIIIHI

erstarrt bleiben.

Es geht hier nicht damn, irgendein Schema der "Phraseologlsatlcn" oder der "phraseologischen Derivation" aufzustellen. Es genügt eines festzuhalten: In der Sprache gibt es Tendenzen zur Bildung fester Vtartverblndungen und Tendenzen zur Auflösung derselben. Den Grund dazu bildet die beschriebene Doppelnatur des Fraaius (die Reproduzierbarkeit),