Phänomenologische Soziologie [1. Aufl.] 9783839414644

Die Phänomenologie erfährt in der Soziologie gegenwärtig eine Renaissance. Insbesondere die interpretative Sozialtheorie

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Phänomenologische Soziologie [1. Aufl.]
 9783839414644

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Phänomenologie? – »Zurück zu den Sachen selbst!« (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty)
1. Bedeutungskanon
2. Kerngedanken
3. Phänomenologische Soziologie?
III. Grundlegung der Phänomenologischen Soziologie (Schütz)
1. Konstitutionsanalyse
2. Subjektive Wissenskonstitution
3. Fremdverstehen
4. Subjektiver und objektiver Sinn des Handelns
5. Lebenswelt
6. Anwendungsbeispiele: Der Fremde (1944) und Der Heimkehrer (1945)
IV. Einordnung im Feld der Soziologischen Theorien: Interpretative Ansätze
V. Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie
1. Thomas Luckmann und die Bildung von Institutionen
2. Soziologie des Alltags
3. Dimensionen der Lebenswelt
4. Interkulturelles Verstehen
VI. Wissenssoziologie als Phänomenologische Soziologie (Berger/Luckmann)
1. Institutionalisierung
2. Legitimierung
3. Internalisierung
VII. Gegenwärtige Forschungsfelder
1. Leib, nicht Körper
2. Wissen
3. Kultur
Anmerkungen
Literatur

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Peter Fischer Phänomenologische Soziologie

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Korrektorat: Annika Reith, Bielefeld Satz: Katharina Lang, Bielefeld Druck: Aalexx Buchproduktion GmbH, Großburgwedel ISBN 978-3-8376-1464-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt I.

Einleitung 5

II. Phänomenologie? – »Zurück zu den Sachen selbst!« (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty) 8 1. Bedeutungskanon 9 2. Kerngedanken 11 3. Phänomenologische Soziologie? 23 III. Grundlegung der Phänomenologischen Soziologie (Schütz) 31 1. Konstitutionsanalyse 35 2. Subjektive Wissenskonstitution 40 3. Fremdverstehen 45 4. Subjektiver und objektiver Sinn des Handelns 48 5. Lebenswelt 50 6. Anwendungsbeispiele: Der Fremde (1944) und Der Heimkehrer (1945) 59 IV. Einordnung im Feld der Soziologischen Theorien: Interpretative Ansätze 64 V. Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie 71 1. Thomas Luckmann und die Bildung von Institutionen 72 2. Soziologie des Alltags 75 3. Dimensionen der Lebenswelt 79 4. Interkulturelles Verstehen 88 VI. Wissenssoziologie als Phänomenologische Soziologie (Berger/Luckmann) 93 1. Institutionalisierung 97 2. Legitimierung 100 3. Internalisierung 101

VII. Gegenwärtige Forschungsfelder 106 1. Leib, nicht Körper 106 2. Wissen 113 3. Kultur 117 Anmerkungen 129 Literatur 132

I. Einleitung Warum Phänomenologie? Warum Phänomenologische Soziologie? Die Soziologie bietet eine Vielzahl an Perspektiven auf ihren Gegenstand, so dass die Frage gerechtfertigt ist, warum gerade diese bestimmte Perspektive eingenommen werden soll. Ein Plädoyer für die Phänomenologische Soziologie kann zunächst aus der Kritik gewonnen werden, dass sich Soziologie und hier besonders soziologische Theorie in den letzten Jahrzehnten von der sozialen Wirklichkeit, die den Menschen im Alltag betrifft, entfernt hat. Soziale Systeme, Netzwerke, Global- und Weltgesellschaft versprechen zwar evtl. einen theoretischen Erkenntnisgewinn, sind aber von der sozialen Praxis der Akteure weit entfernt. Hier, an der sozialen Praxis, dem Alltag, den Dingen und der Lebenswelt der Menschen setzt die Phänomenologische Soziologie an und bietet so eine Ergänzung zu auf Abstraktionen beruhenden Ansätzen, ohne theoretisch unterbestimmt zu sein. Wenn also eine Systemtheorie erklären kann, wie sich einzelne Bestandteile der Gesellschaft im Verlauf der Geschichte zu eigenständigen Systemen differenzieren, so kann die Phänomenologische Soziologie einen Beitrag dazu leisten, den Sinn offen zu legen, den Akteure ihrem Tun und Lassen zuschreiben. Ziel dieser Einführung ist es, die Phänomenologische Soziologie als eigenständiges Theorie- und Forschungsprogramm herauszustellen. Dies geschieht in der Annahme, dass aus dieser Perspektive einiges anders und manches vielleicht auch deutlicher als aus einem anderen Blickwinkel soziologischer Forschung gesehen werden kann. Um das Ziel zu erreichen, ist eine Vorgehensweise nötig, welche zunächst die Begriffe klärt und die beiden Disziplinen – Phänomenologie und Soziologie – »buchstabiert«. Phänomenologie und Phänomenologische Soziologie sind unterschiedliche Unternehmungen, die aber miteinander verwoben sind. Etwas über Phänomenologische Soziologie zu erfahren, setzt daher voraus, sich zunächst auch mit der Phänomenologie als ursprünglich philosophische Strömung auseinanderzusetzen (II.). Die Frage nach einer fruchtbaren Verbindung von Soziologie und Phänomenologie ist Gegenstand des Ansatzes von Alfred 5

Schütz, so dass im Anschluss an die Frage nach der Phänomenologie die durch ihn vorgenommene Grundlegung der Phänomenologischen Soziologie (III) Betrachtung findet. Dieses Kapitel zu den Grundlagen der Phänomenologischen Soziologie zeigt zunächst an sechs Kernbestandteilen der Theorie auf, wie Schütz eine Soziologie auf Husserls Phänomenologie aufbaut. Um einen Praxisbezug zu gewährleisten, werden im Anschluss an diese Darstellung zwei Anwendungsbeispiele gegeben. Ein weiterer Hinweis, was unter Phänomenologischer Soziologie zu verstehen ist, wird mit der Diskussion um das Feld der mikrosoziologischen interpretativen Ansätze (IV.) gegeben. Phänomenologische Soziologie teilt mit anderen Ansätzen einige Prämissen, unterscheidet sich aber durch manche Annahmen ebenso deutlich von diesen. Die enge Bindung an die Originaltexte und an die klassischen Autoren der Phänomenologie und Phänomenologischen Soziologie bietet den Vorteil, ein Wissen aus »erster Hand« zu erhalten. Phänomenologische Soziologie in der zweiten und dritten Generation (V.) ist ebenso an empirischer Forschung wie an grundlagentheoretischen Reflexionen interessiert. Darüber hinaus ist ein Bemühen zu erkennen, soziologische Grundbegriffe, die noch nicht oder nicht explizit im ursprünglichen Entwurf der Theorie vorhanden sind, in ein Verhältnis zu ihr zu setzen. Kennzeichen der phänomenologisch-soziologischen Theorie wie für alle anderen Theorien auch ist ihre Entwicklung durch Kritik, ihr Ausbau bzw. ihre Erweiterung. Die Vorstellung der zentralen Theorieperspektiven wird mit der Darstellung der Grundlagen der neuen Wissenssoziologie (VI.) abgeschlossen. Die von Peter Berger und Thomas Luckmann konzipierte Wissenssoziologie wird als Bestandteil der Phänomenologischen Soziologie verstanden. Sie kann als Neuinterpretation der Theorie Schütz’ mit Fokus auf das subjektive Wissen gelten, so dass fortan neben dem grundlagen- bzw. handlungstheoretischen Zweig ein wissenssoziologischer Zweig der Phänomenologischen Soziologie besteht. Neben diesen beiden Ausprägungen existiert ein dritter »radikal« empirischer Zweig: die Ethnomethodologie. Dieser von Harold Garfinkel entworfene Ansatz spitzt in mehrerer Hinsicht die Ideen von Schütz zu und zielt auf eine Offenlegung

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der Regeln, die dem alltäglichen Handeln der Akteure zugrunde liegen. Dass mit der Phänomenologischen Soziologie eine Perspektive eingenommen wird, mit der manches anders und vielleicht sogar deutlicher gesehen werden kann, hat sich nicht nur in der Kritik an makrosoziologischen Ansätzen, sondern vor allem in der empirischen Forschung zu erweisen. Abschließend wird daher ein Blick auf die gegenwärtigen Forschungsfelder der Phänomenologischen Soziologie (VII.) gerichtet, in denen vor allem Studien zu Leib, Wissen und Kultur eine hervorgehobene Stellung einnehmen.

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II. Phänomenologie? – »Zurück zu den Sachen selbst!« (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty) Der Begriff Phänomenologie, so wie er heute Verwendung findet, meint mindestens eine bestimmte philosophische »Strömung« und setzt sich von einer früheren undifferenzierten Verwendung ab. Die Verwendung des unbestimmten Begriffs Phänomenologie geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. In seinem neuen Gebrauch als deskriptive Methode einer »neuen« Philosophie findet man ihn erst im 19. Jahrhundert und der Begriff ist untrennbar mit dem Namen Edmund Husserl (1859-1939) verbunden. Seit Husserl ist der Begriff der Phänomenologie also in einer Form geprägt, die mit den früheren Verwendungen des Begriffs bei Kant, Fichte oder Hegel nur noch wenig gemein hat.1 Oftmals als Haltung oder Einstellung verstanden, entzieht sich der Begriff einer exakten Definition und geht auch über die Kennzeichnung einer bestimmten (philosophischen) Schule hinaus. Man muss nicht so weit wie Fellmann gehen und Phänomenologie als eine Denk- und Lebensform (vgl. Fellmann 2006: 11) bezeichnen, und dennoch findet sich die Phänomenologie als Methode und Verständnis nicht nur in der Philosophie, sondern auch z.B. in der Medizin, der Psychologie und eben den Sozialwissenschaften. Begrifflich eigenständig wird die Phänomenologie also erst mit Husserl; als philosophische Bewegung und Methode sprechen wir von der Phänomenologie seit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert. Husserl rückt den Begriff ursprünglich an die Stelle der Bezeichnung »deskriptive Psychologie« für sein neu entwickeltes philosophisches Programm. Wir werden im Laufe des Kapitels noch sehen, was dieses Programm beinhaltet. Um letztlich zu einer phänomenologischen Soziologie zu gelangen, scheint es unabdingbar, zunächst etwas über die Phänomenologie als Forschungsrichtung zu erfahren. Was unter Phänomenologie verstanden werden kann, wird nachfolgend auf zwei Wegen skizziert. Zum einen wird, in Anlehnung an das Center for Advanced Research in Phenomenology2, – einer Dachorganisation mit Aufgabe der Verbreitung des phänomenologischen Ansatzes – ein Kanon gebildet, der die allgemein akzeptierten Merkmale dieser 8

Philosophie zusammenfasst. Dieser Kanon hantiert allerdings mit sehr voraussetzungsvollen Begriffen aus der phänomenologischen und philosophischen Theorietradition, die nicht ohne Vorwissen zu verstehen sind. Deshalb werden, zum anderen, im Rückgriff auf die Geschichte und die Gründung der Phänomenologie, die Kerngedanken reformuliert und die Grundbegriffe, soweit für das Verständnis nötig, erklärt. Zum Abschluss des Kapitels wird kurz auf die bedeutendsten Vertreter der post-Husserl’schen Phänomenologie eingegangen.

1. Ein Bedeutungskanon Das amerikanische Forschungszentrum für Phänomenologie fasst einige weitgehend akzeptierte Aspekte des phänomenologischen Ansatzes zusammen. Phänomenologische Forschung teilt in diesem Sinne die nachstehenden positiven oder negativen Auffassungen: 1. Phänomenologen lehnen die durch spekulatives Denken begründete Annahme ab, dass es unbeobachtbare Gegenstände gibt.3 Der Phänomenologe richtet sich gegen ein spekulatives Denken und gegen große philosophische Systeme. Orientierung soll stattdessen an dem, was ihm unmittelbar anschaulich gegeben ist, erfolgen. 2. Phänomenologen stellen sich gegen die Auffassungen des Naturalismus. Naturalismus kennzeichnet eine Weltsicht, die aus der modernen Naturwissenschaft und Technologie seit der europäischen Renaissance gewachsen ist. Die Phänomenologie tritt somit in Opposition zu ursprünglich von den Naturwissenschaften vertretenen Positionen. Husserl versteht unter Naturalismus »eine Folgeerscheinung der Entdeckung der Natur, der Natur im Sinne einer Einheit des räumlichen zeitlichen Seins nach exakten Naturgesetzen« (Vetter 2004: 384). Wenn hier also von Positivismus die Rede ist, ist dieser eng verknüpft mit naturwissenschaftlicher Methode und Weltbild. Als Wissenschaftsverständnis kennt Positivismus kei9

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nen Unterschied zwischen Natur und Sozialem und daher auch keinen Unterschied in den Methoden natur- oder sozialwissenschaftlicher Forschung.4 Positiv gewendet, verstehen Phänomenologen Erkenntnis mit Hinweis auf den von Husserl eingeführten Begriff der Evidenz. Erkenntnis ist, so gewendet, Erkenntnis von Etwas in seiner eindeutigen, besonderen Art. Mit Bezug auf den im Alltag vom Subjekt vollzogenen Dreischritt von Wahrnehmung, Bewertung und Handlung wird auf den Begriff der Evidenz von Husserl verwiesen, nachdem etwas als »es selbst« wahrgenommen werden soll. Etwas als »es selbst« wahrzunehmen, bedeutet sich und das Wahrzunehmende von subjektiven und objektiven »Vorurteilen« zu befreien. Vorausgesetzt ist demnach eine Selbstgegebenheit der Dinge, eine Reinigung von Voreinstellungen und Annahmen und eine Übereinstimmung zwischen bedeutungsmäßig Gemeintem und anschaulich Gegebenem. Die Antwort auf die Frage, was man wissen, untersuchen und offenlegen kann, umfasst aus Perspektive der Phänomenologie auch ideelle Objekte und das Bewusstsein, sogar das Denken selbst. Mit dieser Auffassung widerspricht sie dem oben geschilderten Positivismus. Phänomenologen betonen, dass Untersuchungen sich auf Dinge und Objekte, so wie sie uns erscheinen, fokussieren sollen. Die Untersuchung eines jeglichen »Gegenstandes« muss im Sinne der Phänomenologie an den Dingen, so wie sie uns unvermutet begegnen, ansetzen. Normalerweise wird mit den zu untersuchenden Dingen bereits eine Meinung über sie verbunden, die es mit Hilfe einer Reflexion (über das Ding an sich und so, wie es sich »tatsächlich« gibt) zu erkennen gilt. Die Rolle der Beschreibung wird von Phänomenologen als allgemeine, a priori oder »eidetische« Beschreibung und nicht bereits als Erklärung von Gründen oder Ursachen verstanden. Die Beschreibung als wissenschaftliche Aufgabe der Phänomenologie soll also möglichst ursprünglich, allgemeingültig und »eidetisch« sein. Der Begriff Eidetik kann als phänomenologische Methode zur Gewinnung eines endgültigen und allgemeinen »Wesens« des Gegenstandes übersetzt werden. 10

Die Reduktion ist eine phänomenologische Methode, die als Ergebnis auf die reine cogitatio – das sind die Überlegungen und Gedanken, das Diesda, die Wahrnehmung (vgl. Husserl 2005: 67) – zielt. Mit Husserls Reduktion ist die Aufdeckung unbewusster Schichten des Bewusstseins sowie die Rekonstruktion formaler, das sind welterschließende Strukturen und Funktionen des Bewusstseins, verbunden (vgl. Fellmann 2006: 73). Jene Strukturen und Funktionen des Bewusstseins verleihen einer empirischen Erfahrung erst Sinn und Bedeutung. Sie offenzulegen ist ein Anspruch der Phänomenologie. Als Ziel der Reduktion wird von Husserl die Umstellung bzw. Aufhebung der »natürlichen Welteinstellung« genannt; jenem Zustand der unmittelbaren alltäglichen Lebenserfahrungen, in dem diese Erfahrung scheinbar problemlos erfolgt und nicht reflektiert ist. Wir werden diesen Zustand im Laufe des Textes noch ausführlich besprechen. Epoché geht der Reduktion voraus und meint eine methodische Einklammerung des Phänomens sowie die »Ausschaltung« von Urteilen. Die Epoché fokussiert allein auf die eigene Wahrnehmung und ist somit die Bedingung, die eine Reduktion erst ermöglicht. Bis heute hält unter Phänomenologen eine Diskussion über die von Husserl eingeführten Methoden der Epoché und Reduktion an.

2. Kerngedanken »Begriffe denkt man, Phänomene sieht man.« (Rombach 1994: 13) Ausgangspunkt der Phänomenologie ist der Mensch, der in der »natürlichen Weltanschauung« den Erfahrungen seiner Sinne ausgesetzt ist. »Natürlich« ist die Weltanschauung deshalb, weil sie den Menschen wie eine Natur umgibt und das Normale, Alltägliche und Selbstverständliche darstellt. Husserl sieht diesen Zustand vor allem von Willkür geprägt, wenn er schreibt: »Wir stehen in einem endlosen Relativismus von Erfahrungen und kommen darüber nie hinaus.« (Husserl 2005: 27) Dieser Zustand relativer Erfahrungen kann aus Sicht der Phänomenologie allein 11

schon aufgrund der Beliebigkeit nicht befriedigend sein. Hinzu kommt: Der Erkenntnisgegenstand, der uns in der alltäglichen Erfahrung erscheint, ist nicht »reell«, sondern nur als Erlebnis gegeben. Erlebnisse werden für die Phänomenologie aber erst durch Reflexion zu Erkenntnisobjekten. Die Phänomenologie setzt also an einer Kritik der »natürlichen Welteinstellung« an, die auch eine Kritik einer Geisteshaltung miteinschließt, nämlich dem »stillschweigenden Vertrauen, dass es eine äußere Wirklichkeit gäbe, von der wir selbst und andere Menschen einen Teil bilden, und dass diese Wirklichkeit völlig unabhängig von uns die Seinsweise und Wesensart besitzt, die sie nun einmal hat«. (Zahavi 2007: 21) Einfach formuliert: Die bloße Wahrnehmung kann täuschen, so dass die Phänomenologie dieser einen »universellen Zweifel«, eine philosophische Skepsis entgegensetzt. Mit den Worten von Husserl darf die Phänomenologie nur das, was das reine Schauen selbst erfasst, in Anspruch nehmen, mehr nicht (vgl. Husserl 2005: 48). Phänomenologie wahrt also die Distanz zur Lebenswelt des Subjektes, die gerade durch eben jene natürliche Welteinstellung gekennzeichnet ist. Wie ist aber dieses »reine Schauen« zu erlangen, bzw. wie ist ein Zustand zu erlangen, der nicht mehr von der natürlichen Einstellung geprägt ist? Bereits eine Reflexion über die natürlich gegebene Einstellung – Wie begegnen uns Dinge in der Lebenswelt? Wieso nehme ich etwas so und nicht anders wahr? – führt zu Problemen, die sich auf das Wesen der Erkenntnis von Gegenständen beziehen. Nicht allein die Frage, wie ich wahrnehme, beschäftigt die Phänomenologie, sondern auch die Frage, ob die Dinge, die ich wahrnehme, auch tatsächlich so sind (wie sie mir erscheinen). Die einfache Antwort von Husserl auf die letzte Frage lautet: Nein! Denn die Realität hat keine Selbständigkeit, sondern ist nur Intentionales, Bewusstes, Erscheinendes. Realität ist dem Subjekt nur, was ihm selbst intentional, selbst bewusst ist und selbst erscheint. Sie wird in der natürlichen Einstellung des Alltags naiv erfahren. »Das naive Erfahren zeigt erst seine Wahrheit […], indem es in einer ›Phänomenologie der Erlebnisse im Sinne der Gegebenheiten des inneren Bewusstseins‹ […] erfasst wird«. (Römpp 2005: 26) Damit wird deutlich: Phänomenologie im ursprünglichen Entwurf von Husserl ist voll und ganz Erkenntnisphilosophie; erst 12

Meditation5, Reduktion und Epoché versuchen, methodisch die Phänomene offenzulegen, so wie sie sind. So wie sie sind? Dies meint Phänomene als letzte, weil abstrakte und formale Wesenseinheiten, die eine eigene Sinnesregion darstellen. Cogitationes, Meinungen und Denkleistungen, sind in diesem Sinne ebenfalls erforschbar. Als Erkenntnistheorie hat die Phänomenologie Interesse an der Struktur der Bewusstseinsakte sowie an der Struktur des Erlebens, die bereits im Erkennen der Gegenstände aufzeigbar ist. Dies gilt es gleich genauer zu erklären, denn mit der Analyse des Bewusstseins glaubt Husserl einen Schritt weg von der natürlichen Einstellung gemacht zu haben. Husserls Anspruch ist hoch, das zeigt allein die Rede von den letzten Wesensheiten. Mittels eines »radikalen Neubeginns« der Philosophie (Husserl 1995: 5), oder wie an anderer Stelle formuliert: mittels einer in »radikaler Echtheit zu begründenden universellen Wissenschaft« (ebd.: 9), will er gegen die Zersetzung der Philosophie, die, so Husserl, seit Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgt und zu seiner Zeit einen Höhepunkt erreicht hat, ankämpfen6. Phänomenologie ist für Husserl die Erkenntnisphilosophie, die einer Letztbegründung des menschlichen Erkennens dienen soll. Eine notwendige theoretisch/philosophische Fundierung der Wissenschaft scheint allerdings nur möglich, wenn zuerst die Frage nach der Konstitution von Geltung im intentionalen Bewusstsein geklärt ist. Ein Anfang des Husserl’schen Programms ist gewissermaßen gemacht mit der Feststellung: Alle Erkenntnis ist Erkenntnis von Etwas (und für Jemanden)! So besteht, neben dem Blick auf die Strukturen und Mechanismen des subjektiven Bewusstseins und der Erkenntnis, die Möglichkeit einer intentionalen Analyse, die der Frage nachgeht, worauf sich die Erkenntnis bezieht. Damit lässt sich bereits die berühmte und viel zitierte Maxime »Zurück zu den Sachen selbst« (so wie sie uns erscheinen) erklären. Denn wenn Erkenntnis auf »etwas« verweist, dann ergibt sich auch die Möglichkeit, dieses Etwas zu erklären und genauer zu bestimmen. Die Sachen, die in unser Bewusstsein treten, sind nun aber nicht allein Gegenstände der natürlichen Umwelt, sondern auch kulturelle Produkte. Unsere eigenen Produkte, seien es Texte oder Bilder, treten uns oft wie selbständige Wesenheiten gegenüber (vgl. Fell13

mann 2006: 51). Damit ist allerdings nicht, wie es andere philosophische Strömungen tun, der sprachlichen Gliederung der Welt ein Primat eingeräumt. Ausgegangen wird im Gegenteil von einer vorsprachlichen Erfahrung, die unsere Lebenswelt strukturiert. Als Beispiel führt die Phänomenologie die Dinge und Gegenstände an, die in unsere Wahrnehmung treten. Der Baum dort auf der anderen Seite der Straße tritt in meine Wahrnehmung, auch wenn ich keinen Begriff von ihm habe. Es sind aber nicht nur Gegenstände, die unsere Wahrnehmung strukturieren, sondern auch andere Menschen. Die Erfahrungen in der Lebenswelt sind immer intersubjektive Erfahrungen. Gleichzeitig muss betont werden, dass die Phänomenologie kein Augenmerk auf objektives Sein bzw. auf immer gültiges objektives Wissen legt, sondern einen Fokus für das Subjektive, die subjektive Erfahrung der Welt bekundet. Denn: »Wenn man verstehen möchte, wie körperliche Gegenstände, mathematische Modelle, chemische Prozesse, soziale Verhältnisse, kulturelle Produkte als das erscheinen können, was sie sind, und zwar mit der Bedeutung, die sie haben, dann muss man zwangsläufig das Subjekt oder die Subjekte mit einbeziehen, denen sie erscheinen.« (Zahavi 2008: 18) Aus der oben skizzierten Kritik gegen die vermeintlich objektiven Tatsachen des Positivismus wird deutlich, dass die subjektive Perspektive der Phänomenologie in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Objektivität steht. Ursache hierfür ist auch die von der Husserl formulierte Diagnose eines »Verschwindens« des Subjekts. In einer technisierten, naturwissenschaftlich entzauberten und rational objektivierten Welt ist kaum noch Platz für gelungene Subjektivität. Jürgen Habermas spricht gut 80 Jahre nach Husserl noch von einer Kolonialisierung der Lebenswelt, in der die sozialen Systeme immer weiter in die Sphäre des Privaten und Alltäglichen vordringen. Blickt man auf die Programmatik der Phänomenologie seit ihrem Beginn, wird hingegen deutlich: Das Sein erhält erst Sinn durch Subjektivität. Alles Sein ist dem Subjekt unterworfen. Doch bereits Husserl wusste, dass in der modernen technisierten Welt ein empathischer Subjektivitätsanspruch kaum mehr aufrechtzuhalten ist. Dennoch kann Husserls Programm als Versuch gelesen werden, die Subjektivität wieder in die Wissenschaft und das Denken einzuholen. 14

Wir haben immer noch keine Antwort auf die Frage, wie ein Zustand zu erlangen ist, der nicht im bloßen Schauen verharrt. Wir wissen aber immerhin schon, dass Phänomenologie mehr an den Leistungen des subjektiven Bewusstseins und der Erkenntnis denn an der naiven Erfahrung der alltäglichen Lebenswelt interessiert ist. Wie also ist Phänomenologie nun aus einer subjektiven Perspektive möglich, wenn das bloße Schauen noch keine Wissenschaft ist? Husserl sagt dazu: Aussagen über Geschautes müssen ans Selbstgegebene (nämlich dem Wesen/der Natur der Dinge) orientiert sein, sie müssen in getreuer Weise zum Ausdruck bringen, was da geschaut ist (vgl. Husserl 2005: 52). Phänomenologie soll daher programmatisch auf »Naturinterpretationen« verzichten. Ihre Aussagen müssen befreit von den empirischen Ichbeziehungen und auf eine höhere, reinere Ebene gehoben werden. Dies erfolgt mittels den oben bereits erwähnten strengen Methoden der Reduktion oder Epoché. Früher oder später trifft man bei Husserl auf den schwierigen und mehrschichtigen Begriff des Transzendentalen, der z.B. auch in der Bezeichnung von Husserls letzter Schrift von 1936 als »transzendentale Phänomenologie« (Husserl 2007) verwendet wird. Einerseits ist hiermit ein Bezug auf außerhalb des Bewusstseins liegendes hergestellt. Dies umfasst eben jene transzendenten Sachverhalte oder Gegenstände. Andererseits wird mit dem Verweis auf das Transzendentale die Reflexion auf die Bedingungen zurückgeführt, unter denen Erkennen überhaupt möglich ist. Wichtig ist für uns die erste Bedeutung: Nach Husserl gehört das Transzendentale ganz evident zum Phänomen dazu. Deshalb wird den Sachen selbst ein Eigenleben zugesprochen und das Phänomen als wahrgenommenes, bzw. immer auch als geurteiltes, phantasiertes, als gemeintes und intentionales Phänomen verstanden. Die Transzendenz der Phänomene hat also Einfluss auf meine Erfahrung. Mehr noch: »Indem jemand etwas erlebt oder erfährt, ist er in sich selbst bei anderem, ist er außer sich, überschreitet er sich«. (Waldenfels 1992: 16) Das paradoxe Zitat von Bernhard Waldenfels weist darauf hin, dass die Phänomenologie keinen Dualismus von Innen und Außen kennt, bzw. dass sie die Innenwelt des Subjektes nicht von der Außenwelt trennt. Trans15

zendenz wie Intersubjektivität wird bereits im Erleben erfahren. Im Gegensatz zum Erleben steht für Husserl die Erkenntnis, auf die das Unterfangen der Phänomenologie zielt. Erkenntnis ist für ihn absolute Gegebenheit. Sie ist immer Erkenntnis des jeweiligen Inhaltes, also z.B. Erkenntnis des Naturdaseins. Sie ist fraglos in dem Sinne, dass sie absolut Gegebenes, also das Wahre zum Ausdruck bringt. Mit diesen Annahmen ist neben einem Vertrauen auf die Operationalisierungsleistungen durch Methoden auch ein Vertrauen auf die menschlichen Sinne, mindestens aber auf die geistige Rationalität verknüpft. Die Antwort auf die Frage, wie der Zustand naiven Erlebens in den Stand der Wissenschaft zu erheben ist, lautet daher: Phänomenologie als Wissenschaft aus Perspektive des Subjektes ist möglich, weil es eine Operationalisierung der Wahrnehmung durch Methoden gibt. Zwei Ansprüche lassen sich aus dem zuvor Gesagten ableiten. Zum einen das Ideal prinzipieller theoretischer Erklärbarkeit und Verstehbarkeit aller Dinge aufgrund der phänomenologischen Methoden und zum anderen die Universalität des Gegenstandes der Phänomenologie, die damit Cogitationes, also auch alle Wissenschaften erfassen kann. Der Erfolg des Husserlschen Programms lässt sich sicherlich nur zum Teil aus diesem universellen Anspruch erklären, nicht zu unterschätzen ist aber die Tatsache, dass die Phänomenologie Antwort auf drei wichtige Fragen der Philosophie dieser Zeit geben konnte, die von anderen Strömungen trotz großer Anstrengung nicht zu erhalten waren. 1. Wie lassen sich Gegebenheiten unseres Bewusstseins beschreiben? 2. Erfordern Natur und Geschichte als Erkenntnisgegenstände verschiedene wissenschaftliche Methoden? Und schließlich 3. Welches sind die letzten Ausgangspunkte, die unser Wissen fundieren und welches sind die Bedingungen der Geltung des Wissens (vgl. Srubar 1988: 27f.)? Die Phänomenologie baut schließlich Brücken zwischen den Gräben von Natur- und Geisteswissenschaften, indem sie beide Forderungen erfüllbar erscheinen lässt: Die Klärung der Sinngrundlagen menschlicher Erkenntnis sowie die Offenlegung der Grundstruktur dieser Sinngebung. Logik und Erleben, Ratio und Wahrnehmung gehören nunmehr zusammen. Diese Brücke zwischen den Wissenschaften erklärt auch die zu anfangs erwähnte Tatsache, dass sich so unterschiedliche Fächer wie die Neuro-, 16

die Rechts- und die Sozialwissenschaften für phänomenologische Forschung interessieren und diese auch selbst betreiben. Die Konstitution der Phänomenologie ist mit Husserl keineswegs abgeschlossen, sondern bedarf weiterer Entwicklungen, um als eigenständige Strömung anerkannt zu werden. Um dies an Namen festzumachen, können beispielsweise neben Max Scheler (1874-1928) und Martin Heidegger (1889-1976) die Franzosen Maurice Merleau-Ponty (1908-1961), Emmanuel Lévinas (19061995) und Paul Ricœur (1913-2005) aber auch – mit kleinen Abstrichen – Jean-Paul Sartre (1905-1980) genannt werden. Für die gegenwärtige deutsche Phänomenologie sind zuvorderst Bernhard Waldenfels (geb. 1934) und Hermann Schmitz (geb. 1928) zu nennen. Auch wenn Martin Heidegger selten als reiner Phänomenologe wahrgenommen wird, ist der einflussreichste Philosoph der Nachkriegszeit Husserl-Schüler und ein Wegbereiter der Phänomenologie in Deutschland und Frankreich. Für Husserl gilt noch: »Die Phänomenologie, das sind ich und Heidegger.« (Gadamer 1987: 188) Heidegger ist allerdings ein Wegbereiter, dessen Erbe für die sozialwissenschaftlich interessierte Phänomenologie nur von eingeschränktem Nutzen ist.7 Dennoch lohnt es, kurz auf ihn einzugehen. Für Heidegger ist das Bewusstsein im praktischen Leben immer schon bei den Dingen. Der normale Mensch ist mit den Dingen vertraut. Aus dieser Annahme entwickelt er eine Kritik an Husserl, der die Bezüge zu den Sachen wieder ins Bewusstsein einbindet und nur dort die Möglichkeit letzter Begründung sieht. Heideggers Programm ist es nun, im Gegenzug mittels Dekonstruktion zu tieferen Wesensschichten (der Dinge) zu gelangen: Dekonstruktion kann noch ganz im Sinne der Phänomenologie als Reduktion begriffen werden, so dass das Seiende auf das Verstehen von dessen Sein bezogen wird. Dekonstruktion oder Destruktion, wie es bei Heidegger selbst heißt, ist aber nicht nur auf die Lebenswelt bezogen, sondern umfasst nunmehr auch die Subjektivität und die Sprache, was ihn zu einer Begriffskritik (überkommener Begriffe) führt. Wir finden bei Heidegger ausdrücklich nicht das Ziel einer allgemeinen Fundierung der Wissenschaft, sondern die Beschränkung auf eine Phänomenologie des Da17

seins, die dessen Sinn auslegen will. Wenn Husserl seine Phänomenologie transzendental nennt, dann kann die Heideggers als hermeneutisch bezeichnet werden. Die Methode der hermeneutischen Auslegung stellt dabei Verstehen als ein Grundphänomen des menschlichen Daseins heraus. Verstehen wird schließlich bei Heidegger zu einem »Sich-auf-etwas-Verstehen« im alltäglichen Leben. Wenn auch der Zugang zu Heideggers Phänomenologie für die Soziologie sperrig ist und die Anschlussfähigkeit begrenzt, sofern man nicht nur einige Gedanken aus dem Gesamtkonzept reißen will, finden sich mindestens zwei Aspekte, die eine Weiterentwicklung der Phänomenologie kennzeichnen und auf die später von anderen Phänomenologen und Sozialwissenschaftlern immer wieder zurückgegriffen wird: Zeit und Raum. Sowohl Zeit als auch Raum werden, wie später zu zeigen ist, für eine phänomenologische Soziologie relevant. Auch wenn beide schon bei Husserl angelegt sind, treten sie erst bei Heidegger deutlich hervor. Heideggers Verzeitlichung des Seins lässt kaum mehr die Möglichkeit einer radikalen ersten Philosophie bzw. eines Neuanfangs wie noch bei Husserl zu. »Die Zeitachse verschiebt sich von der lebendigen ursprünglichen Gegenwart auf das Woraufhin einer Zukunft, auf ein Zu-sein, das im Augenblick ergriffen wird und nur im Sein-zum-Tode zu einem Ganzen wird.« (Waldenfels 1992: 51) Die Grenzverläufe zwischen Existenzphilosophie und Phänomenologie sind hier zwar verwischt, doch tritt Zeit bei Heidegger endlich als geschichtliches Phänomen auf, so dass sich aus seiner Phänomenologie die zeitgeschichtlichen Aspekte der Subjektivität herauslesen lassen. Die Betonung des Raumes lässt sich am Begriff »zunächst« aufzeigen. »Zunächst« hat neben der zeitlichen auch eine räumliche Dimension (vgl. Zahavi 2007: 51-66). Heidegger strebt eine Analyse der Räumlichkeit des Daseins an, in der eine andere Struktur offen gelegt wird als z.B. in naturwissenschaftlicher Perspektive (von Geometrie und physischem Raum). Zahavi gibt ein Beispiel für die Phänomenologie des Raumes bei Heidegger: Er betont »den Unterschied zwischen vertrautem Umgang mit Zeug und der sorgfältigen Erforschung von Dingen. Diese Unterscheidung gilt auch für den Raum, der uns somit zunächst und zumeist in unserer unthematischen Vertrautheit mit den räumli18

chen Gebrauchsgegenständen gegeben ist. Der Raum ist ein Charakteristikum der Gebrauchsgegenstände als solcher – und nicht ein leerer Behälter, der dann mit Dingen ausgefüllt werden kann. Erst wenn dieser besorgende Umgang gestört wird, bemerken wir überhaupt den bloßen Raum; erst wenn die Fahrradlampe nicht mehr liegt, wo wir sie erwarten, bemerken wir die Schublade als Behälter.« (Ebd.: 52) Mit Heideggers Phänomenologie wird deutlich, dass das Dasein immer leiblich und daher räumlich in einer Beziehung zur leiblichen Nähe zu denken ist. Zudem vollzieht sich ein Wandel vom noch bei Husserl geltenden Seienden als Inbegriff von Sachen (Gegenständen, Dingen) der Erkenntnis zum Feld des praktischen Lebens. Während die Phänomenologie mit Heidegger eine Konnotierung um Zeit und Raum erfährt, in der auch die Leiblichkeit bereits angedeutet ist, vollzieht sich beim Franzosen MerleauPonty ein voller bodily oder besser: perceptual-turn (vgl. Wiesing 2003: 114). Merleau-Ponty macht die sensomotorische Leiblichkeit gegenüber dem noch von Husserl herausgestellten Denken zum Ort der Bedeutungs- und Sinnbildung. Der Körper selbst wird so zum Ort der philosophischen Reflexion; Leiblichkeit wird auf das Primat der Wahrnehmung zurückgeführt. Auch hier werden dualistische Annahmen und Gegenüberstellungen wie Körper/Geist, Ratio/Emotion abgewiesen, so dass Wahrnehmung vor diesem Hintergrund bei Merleau-Ponty nicht als Operation des Verstandes, sondern als eine leibliche Erfahrung, als Empfindung gedeutet wird. Daraus folgt, dass eine phänomenologische Beschreibung nur aus subjektiver Perspektive von Wahrnehmung durch den Wahrnehmenden selbst erfolgen kann. Wahrnehmung gilt in dieser Auffassung als ein Phänomen suis generis und nicht allein als Interpretationsleistung des Gehirns. Wahrnehmung kann so als Präsenz- oder Gegenwartsbewusstsein verstanden werden, welches andere Arten des Bewusstseins erst ermöglicht. Es ist Gegenwartsbewusstsein, denn jedes Bewusstsein ist Bewusstsein von Etwas, was dem Subjekt im aktuellen Moment erscheint. Merleau-Ponty skizziert den Leib wie folgt: »Der eigene Leib ist in der Welt wie das Herz im Organismus: er ist es, der alles sichtbare Schauspiel unaufhörlich am Leben erhält, es innerlich ernährt

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und beseelt, mit ihm ein einziges System bildend.« (Merleau-Ponty 1965: 239) Mit der erstmals 1945 erschienenen Phänomenologie der Wahrnehmung gelingt es dem Franzosen, die Phänomenologie nachhaltig zu beeinflussen. Leiblichkeit wird in seiner Phänomenologie jedoch nicht in den Kategorien der Naturwissenschaften, wie z.B. in der Medizin, als objektiver Körper begriffen, sondern als Erfahrungsort der Welt. Die phänomenologische Deutung von Leiblichkeit zeichnet sich gerade durch nicht objektives Denken aus. Merleau-Pontys Kernaussage lautet: Ich erfahre die Welt durch meinen Leib. Dem französischen Phänomenologen zufolge ist es erst diese leibliche Erfahrung, welche die Einheit der Gegenstände vermittelt. Erfahrung als einzigartiges leibliches und räumliches Sein führt so (über die symbolische Vorstellung hinaus) zu den Dingen. Leibliche Raum- und Dingwahrnehmung sind demnach auch zwei nicht voneinander zu unterscheidende Phänomene (vgl. ebd.: 178). In der Räumlichkeit entfaltet sich der Leib selbst. Merleau-Ponty schreibt: »Ich verfüge über die Stellung der Gegenstände durch die meines Leibes und umgekehrt über dessen Stellung durch die Gegenstände.« (Ebd.: 401) Leib und Gegenstände bedingen sich gegenseitig im Raum. Die soziale Welt und mit ihr die kulturellen Artefakte verweisen aber auch darauf, dass die Gesellschaft ein erkennbares Dasein hat. Wir erkennen die Welt durch die Artefakte. Darüber hinaus ist es gerade das kulturelle Artefakt, der Kulturgegenstand also, das auf die Existenz des Anderen hinweist. Denn im kulturellen Artefakt lässt sich erkennen: Die soziale Welt übersteigt uns, da sie immer schon da ist. Sie ist transzendent und verweist auf eine historische Vorwelt; gleichzeitig existiert sie und manifestiert sich aber auch für uns. Der erste aller Kulturgegenstände, der allen anderen ihr Dasein verleiht, ist der Leib des Anderen als Träger eines Verhaltens (vgl. ebd.: 400). Dies führt zum weiter unten noch ausführlich besprochenen Problem der Fremdwahrnehmung in der Kulturund Sozialwelt. Denn: Mit der körperlichen Wahrnehmung der Welt, schließlich dem auf die sichtbare Welt geheftetem Blick, ist auch die Wahrnehmung des Anderen in bzw. durch sein Verhalten gegeben. Die Ausdrücke des Gesichts, der Augen, der Hände sind allerdings nur für den Anderen erlebbar, für mich sind sie 20

appräsentiert, also in der sozialen Welt des Hier und Jetzt mitvergegenwärtigt. Merleau-Ponty betont, dass das Vermögen, Subjekt all meiner Erfahrungen zu sein, nicht von meinem Sein-in-derWelt verschieden ist (vgl. ebd.: 412). Der Mensch ist folglich ein animal social. Der sozialen Welt gegenüber kann ich mich meiner sinnlichen Fähigkeiten bedienen, oder mich allenfalls mittels meiner denkenden Fähigkeiten zurückziehen. Doch bleiben physische und soziale Welt Anreiz meiner Reaktionen. Für MerleauPonty ist daher klar: Die Sozialwelt ist eine beständige Dimension der Existenz. Unser Bezug zu ihr ist tiefer als jede ausdrückliche Wahrnehmung und jedes Urteil (vgl. ebd.: 414). Der in Litauen geborene Emmanuel Lévinas studierte in den 1920er Jahren bei Husserl und Heidegger. Er fügt der Phänomenologie eine andere, nämlich eine jüdische Perspektive hinzu. Damit ist zunächst nicht gemeint, dass sich Religion und Philosophie miteinander vermischen, wohl aber, dass von einem anderen kulturellen Blickpunkt aus wichtige Aspekte des phänomenologischen Denkens eine andere Interpretation erhalten. Dies betrifft bei Lévinas zuvorderst die Begegnung mit dem Anderen. Diese Begegnung macht mich, so Lévinas, erst zu einem Ich; gleichzeitig insistiert er auf einer Asymmetrie zwischen dem Anderen und mir. Dabei können auch Dinge als Andere verstanden werden. Im Gegensatz zu Husserl tritt in Lévinas Phänomenologie eine ethische Konnotation deutlich zu Tage, die stark von den Erfahrungen des Krieges und des Holocaust geprägt ist. Wenn, wie Waldenfels (vgl. Waldenfels 1992: 64) betont, für Lévinas gilt, dass er trotz der Aufnahme von Aspekten aus verschiedenen philosophischen Strömungen immer der Phänomenologie zugehörig ist, so läßt sich dies für Paul Riceoeur nicht eindeutig behaupten. Paul Ricœur, von 1940 bis 1945 in deutscher Kriegsgefangenschaft, steht mit seinem Werk zwischen Hermeneutik und Phänomenologie. Es ist daher möglich, wie bei Mattern (vgl. Mattern 1996), Ricœur als hermeneutischen Philosophen zu veranschlagen und den Anteil seiner Phänomenologie nur in seinem Frühwerk zu sehen. Doch geht in dieser Auffassung verloren, dass Ricœur nicht nur Übersetzer Husserls und Gründer eines Zentrums für phänomenologische und hermeneutische Studien ist, sondern dass er auch die Verschränkung von Phänomenologie 21

und Hermeneutik stets betont. Neben Themen wie dem Bösen, dem Begehren und der Transzendenz sind vor allem Texte, Metaphern und Symbole Bestandteile des Ricœur’schen Kosmos. Eine systematische Analyse der Bedeutung, die der Phänomenologie in Paul Ricœurs Werk zukommt, steht bisher aus. Die gegenwärtige deutsche Phänomenologie ist vor allem von zwei Autoren geprägt: Bernhard Waldenfels und Hermann Schmitz. Waldenfels, der auch als Vermittler der französischen Phänomenologie gelten kann, hat ein umfangreiches phänomenologisches Werk vorgelegt, aus dem die wiederkehrende Auseinandersetzung mit leiblicher Erfahrung heraussticht (vgl. Waldenfels 2000, 2009). Hingegen treibt Schmitz die Kritik an Husserl aufgrund dessen metaphysischer Tradition, seiner psychologistischen Denkweise und seines zu hohen Anspruches voran und setzt ein Programm der »Neuen Phänomenologie« der alten Phänomenologie entgegen. Ausgangspunkt ist bei Schmitz allerdings ein vergleichbares Unbehagen wie noch bei Husserl am vergegenständlichten Denken8. Das Denken hat sich demnach zu weit von der unwillkürlichen Lebenserfahrung entfernt (vgl. Schmitz 2003: 9). Verdrängt werden hier nach Schmitz vor allem die leibliche Kommunikation, aber auch Phänomene wie spürbare Atmosphären. Die Kritik Schmitz’ richtet sich gegen eine reduktionistische Raumauffassung seitens des dominanten natürlich-naturwissenschaftlichen Leitbildes. Dem gegenüber steht das optisch-motorische Sehen eines jeden Menschen. Letztlich zielt Schmitz, wie Husserl, auf eine Neubestimmung der Subjektivität. Identität/ Verschiedenheit sowie Subjektivität stammen für Schmitz aus der primitiven Gegenwart, die man als Lebenswelt (des Alltäglichen und der Leiblichkeit) verstehen kann. Hier herrscht das Primat unwillkürlicher Lebenserfahrung. Eine besondere Erfahrung in der Welt für das Subjekt gibt es nach Schmitz jedoch erst, wenn sich diese primitive Gegenwart nach fünf Seiten entfaltet (vgl. dazu Schmitz 2003: 18): räumlich, zeitlich, real (als Sein), eindeutig (als Fall von Etwas) und subjektiv (zur Person). Damit ist das Grundprogramm der Schmitz’schen Phänomenologie beschrieben, welches diese Kategorien in einem umfangreichen Werk differenziert und ihr Verhältnis zueinander bestimmt hat.

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Das bisher Gesagte lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen: Phänomenologie beginnt mit Husserl als eigenständiges neues philosophisches Programm. Sie ist gleichzeitig Wissenschaftswie Gesellschaftskritik und betont das Subjekt als Ausgangspunkt jeglicher Erfahrung. Diese Erfahrung ist in der relativ-natürlichen Weltanschauung eines jeden Menschen eingebettet. Husserls vornehmliches Ziel ist eine Erkenntnisphilosophie, welche die natürliche Erfahrung auf Ebene der Erkenntnis hebt. Husserl glaubt, dass dies mittels strenger methodischer Verfahren möglich ist. Husserls Interesse wandelt sich allerdings in seinen letzten Schaffensjahren, so dass neben den Strukturen des Bewusstsein die Intersubjektivität und mit ihr die Offenlegung der Strukturen der relativ natürlichen Weltanschauung (als Lebenswelt) zum Gegenstand seiner Forschung werden. Nach Husserl treten Leib, Raum und Zeit als grundlegende Gegenstände der Phänomenologie verstärkt in den Blickpunkt.

3. Phänomenologische Soziologie? Bisher wurde unkritisch von einer Phänomenologischen Soziologie gesprochen. Dies vor allem, weil sich der Name zur Beschreibung dieser Strömung innerhalb der Soziologie durchgesetzt hat. Die Bezeichnung ist allerdings in mehrfacher Hinsicht unglücklich. Zum einen, weil sie die Spannungen überdeckt, die zwischen dem philosophischen und dem soziologischen Erkenntnisinteresse bestehen. Zum anderen, weil mit dem Begriff suggeriert wird, dass einer Soziologie mit der (phänomenologischen) Beschreibung ihrer Objekte Genüge getan ist. Auch die anderen häufig verwendeten Bezeichnungen als »Sozialphänomenologie« oder »phänomenologisch orientierte Soziologie« helfen nicht über die Probleme hinweg, so dass es vorab nötig ist, noch einmal auf das Verhältnis von Soziologie und Phänomenologie einzugehen. Das unterschiedliche Erkenntnisinteresse und die verschiedenen Methoden, mit denen versucht wird, die jeweilige Erkenntnis zu erlangen, werden anschaulich von Luckmann beschrieben: »Einmal wird die Menschenwelt erfahrungswissenschaftlich beschrieben und in ihren geschichtlichen Zustandekommen erklärt, 23

ein anderes Mal sucht man nach den Bewusstseinsleistungen, welche die universelle Struktur der Lebenswelt hervorbringen, eine Struktur, die als Rahmen im Vergleich verschiedener historischer Welten dient.« (Luckmann 2008:33) Die erfahrungswissenschaftliche, also soziologische Beschreibung, kann die Menschen- oder Sozialwelt nur in ihrem historischen Zustandekommen erklären, während die Phänomenologie an den universellen Strukturen menschlichen Bewusstseins interessiert ist, welche durch die Lebenswelt hervorgebracht werden und dem Wesen nach ahistorisch sind. Die Kritik (vgl. Eickelpasch/Lehmann 1983) an der Phänomenologischen Soziologie hat nun mit Bezug auf die Spannungen zwischen Soziologie und Phänomenologie u.a. darauf hingewiesen, dass mit einer Adaption des Lebenswelttheorems einige Probleme für die Soziologie verbunden sind. Die Lebenswelt, wie von Husserl eingeführt, ist nach dieser Kritik in zweifacher Hinsicht bestimmt (vgl. ebd.: 14.). Es sind jene zwei Aspekte, die bereits oben als Erkenntnisinteresse von Soziologie und Phänomenologie aufgezeigt wurden. Das Konzept der Lebenswelt ist bereits seit seiner Geburt ein Zwitter: Sie wird bestimmt zum einen als konkrete Universalität; das ist die Lebenswelt, wie sie aktuell dem Einzelnen oder einer Gruppe in der jeweiligen historischen sozialen Situation erscheint. Zum anderen wird sie bestimmt als Universum des prinzipiell Anschaubaren; dies kennzeichnet den »invarianten Boden« (Eickelpasch) der Lebenswelt. Auf der einen Seite des Lebensweltkonzepts findet sich also eine empirisch messbare, erfahrungswissenschaftlich erschließbare Historizität, Merkmal einer jeden Gesellschaft und ihrer Teile (Systeme, Klassen, Institutionen etc.), die nur als dynamisches und wandelbares Gebilde begriffen werden kann. Auf der anderen Seite wird mit Apriorität auf den Anspruch von Husserl verwiesen, die Wesensheiten und Struktur von Dingen und die unveränderbaren Grundlagen der menschlichen Erkenntnis offenzulegen. Die Kritik geht nunmehr davon aus, dass diese doppelte Fundierung der Husserl’schen Lebenswelt noch den Konzepten einer Phänomenologischen Soziologie anhängt, und dass sie dadurch unbrauchbar ist. Wichtig ist natürlich auch für Anhänger des Phänomenologischen Paradigmas: Soziologie kann keine Aussagen 24

über das Apriori der Dinge und des Sozialen machen, sondern beschränkt sich als empirisch-verstehende, interpretative Wissenschaft auf das, was sie in der jeweils historischen sozialen Realität vorfindet. Aussagen über die letzte Wesenhaftigkeit (sozialer) Dinge sind von einer Soziologie weder wünsch- noch erwartbar. Alles, was seitens der Phänomenologischen Soziologie nun über die Struktur des Denkens und der Erfahrung, über die subjektive Sinnbildung durch Bewusstseinsleistungen ausgesagt wird, fällt demnach in den Bereich der Phänomenologie und ist somit Protosoziologie. Alles, was über die empirisch messbare, intersubjektiv geteilte historisch entstandene Gesellschaft und ihre Teile ausgesagt wird, fällt in den Bereich der Soziologie. Die Phänomenologie wiederum ist im strengen Sinn keine Wissenschaft, da sie in Bezug auf Methoden und Erkenntnisinteresse nicht auf Objektivität und Vergleichbarkeit einzelner Fälle zielt. Eine Definition von Soziologie (vgl. z.B. Joas 2001) versteht diese als Wissenschaft, die sich Methoden der empirischen Beobachtung sowie einer logischen Analyse bedient. Ihr Ziel der Theoriebildung versucht sie mittels Reproduzierbarkeit der empirischen Ergebnisse bzw. mittels verifizierbaren Wissens zu erlangen. Dabei bleibt ihr Wissen immer unvollständig, da sich ihr Gegenstand, das Soziale, selbst verändert. Legt man diese Definition von Soziologie als Sozialwissenschaft zugrunde, dann wird deutlich, dass Phänomenologie dies nicht leisten kann und will. Sie bleibt Protosoziologie in dem Sinne, dass sie zwar für die Soziologie relevant ist und ihr eine philosophische und erkenntnistheoretische Fundierung zukommen lässt, aber selbst nicht Wissenschaft im Sinne einer empirischen Wirklichkeitswissenschaft ist. Der Unterschied in den Methoden und dem Erkenntnisinteresse von Phänomenologie und Soziologie lässt sich abschließend noch einmal gut an zwei Schlüsselbegriffen der jeweiligen Ansätze aufzeigen: Konstitution und Konstruktion. Konstitution kann als Vorgang bezeichnet werden, den die Phänomenologie weitgehend egologisch bestimmt und dessen Strukturprinzipien mittels einer Analyse aufgezeigt werden sollen. »Das Erfahrene wird als Resultante von intentionalen Prozessen der Sinnbildung begriffen.« (Vetter 2004: 311) Die Konstitutionsanalyse zeigt, dass es formale Strukturen (der Wahrnehmung, des Bewusstseins) gibt, ohne 25

die konkrete Erfahrung nicht möglich wäre. So »denkt« sich z.B. das Gehirn bei der Betrachtung eines Gegenstandes (z.B. eines Stuhls) automatisch die fehlende, bzw. die sinnhaft nicht erfassbare Seite dazu. Dieser Vorgang wird als Appräsentation bezeichnet. In Bezug auf die Lebenswelt erfolgt eine Konstitution der Erfahrung z.B. nach Graden der Vertrautheit, so dass Gegenstände, die im vertrauten Bereich liegen, anders als die in weniger vertrauten Zonen wahrgenommen werden. Ganz anders verhält es sich mit dem Begriff der Konstruktion. Ein Konstrukt ist etwas, was nicht direkt dinglich erfassbar ist. Die Rede von der Konstruktion geht davon aus, dass viele Tatbestände der sozialen Wirklichkeit (Stereotypen, Vorstellungen, Meinungen, aber auch Normen und gültige Anschauungen) sozial oder gesellschaftlich konstruiert sind. Das heißt, dass sie z.B. diskursiv oder im stillschweigenden Einvernehmen entstanden sind, aber auch ganz anders sein könnten. Die phänomenologische Soziologie lebt im Spannungsverhältnis zwischen der phänomenologischen Idee der allgemein gültigen, invarianten Strukturen bewusster Aktivität (des Denkens, Wissensgenerierung), also einem Apriori, und den Ansprüchen einer Wissenschaft, die mit empirisch-historischen, also mit wandelbaren sozialen Tatsachen des Alltags hantiert. Ob sie eher protosoziologischen Charakter hat und der theoretischen Fundierung einer Allgemeinen Soziologie dient, oder letztlich doch ein eigenständiges soziologisches Forschungsprogramm beschreibt, kann erst nach der Darstellung der Grundlagen der Phänomenologischen Soziologie umfassend beantwortet werden. Die Prämisse dieser Einführung ist, dass sich beide Aspekte hinter dem Namen der Phänomenologischen Soziologie verstecken, dass aber im Laufe ihrer Entwicklung eine deutliche Soziologisierung ihrer Inhalte stattgefunden hat. Wir müssen deshalb also nicht der Kritik zustimmen, dass Phänomenologische Soziologie durch ihre doppelte Fundierung unbrauchbar ist, sondern werden sehen, dass sie ein eigenständiges soziologisches Programm entfaltet. Für die weiteren Ausführungen ist es allerdings sinnvoll, die oben gestellten Fragen nach den Verknüpfungspunkten von Phänomenologie und Soziologie im Hinterkopf zu behalten. Erst im Verlauf der Argumentation des Buches wird vollends erkennbar, wie Soziologie an der Phänomenologie ansetzen kann. 26

Gewiss zeichnet sich die Phänomenologie als philosophische Strömung mit breiter Anwendung über die Grenzen der Fächer hinweg aus, doch o.g. Begriffe wie Eidetik, Reduktion und Transzendenz sind zu sehr mit einer Erkenntnisphilosophie verbunden, als dass sie für die Soziologie direkt nutzbar gemacht werden könnten. Soziologie ist keine Philosophie. Während Soziologie als empirische Erfahrungswissenschaft vornehmlich an der sozialen Wirklichkeit interessiert ist, zielt Phänomenologie auf die (Letzt-) Begründung der Erkenntnis und der Erforschung ihrer Möglichkeiten überhaupt durch methodisch kontrollierte Reflexion. Es bedarf also einer gewissen Übersetzungsleistung, da sich Soziologie und Phänomenologie grundlegend in ihren Zielen und Methoden unterscheiden. Dies hat zum später noch ausführlich diskutierten Problem geführt, nachdem allein der Begriff »Phänomenologische Soziologie« irreführend ist, da hier zwei scheinbar widersprüchliche Systeme zusammengeführt werden. Andererseits kann Soziologie die Kritik der Phänomenologie u.a. am naturwissenschaftlichen Weltbild, ebenso wie am Positivismus, der die gesellschaftlichen Verhältnisse unhinterfragt affirmiert, teilen. Sie nimmt, wenn sie sich an der Phänomenologie orientiert, eine bestimmte Haltung ein, die sie von anderen soziologischen Spielarten unterscheidet und aus der heraus sie andere Strömungen der Soziologie kritisiert. Kennzeichnend hierfür ist das Merkmal der Subjektivität, die sich erst durch die immer schon vorhandene und auch von der Phänomenologie seit Husserl betonte Intersubjektivität konstituiert. Kennzeichnend ist auch die methodisch relevante Hinwendung zu den Dingen selbst, bzw. zu den Sachen und Gegenständen, wie sie in unser Bewusstsein treten. Eine so aufgestellte Soziologie hebt die subjektive Erfahrung als Grundlage sozialer Prozesse hervor und rekurriert letztlich auf den Zusammenhang von Welt und Subjektivität. Mit Blick auf die oben skizzierten Grundaussagen der Phänomenologie gibt es für die Soziologie nunmehr folgende Anknüpfungspunkte: – – – –

Leiblichkeit, die Betonung von Sinn, der Bezug zur Lebenswelt, der Primat einer subjektiven Perspektive 27

– sowie die methodische Hinwendung zu den unmittelbar anschaulich gegebenen Dingen. Diese Aspekte sind die Bausteine der Phänomenologischen Soziologie, die in den weiteren Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden, so dass wir uns nachfolgend auf einführende Bemerkungen beschränken können. Die subjektive Perspektive, von der die Phänomenologie ausgeht, ist für die Soziologie keine Selbstverständlichkeit. So deutet z.B. die Trennung der Mikro-/Meso-/Makroebene darauf hin, dass neben dem Subjekt auch Institutionen oder die gesamte Gesellschaft als Ausgangspunkt soziologischer Forschung stehen können. Der subjektiven Perspektive Primat zuzugestehen bedeutet aber nicht, die anderen Ebenen zu ignorieren, sondern dem Subjekt die Schlüsselposition in der Konstruktion von Welt zuzusprechen. Ausgangspunkt jeglicher sozialer Wirklichkeit ist demnach das Subjekt. Erfahrung und Erleben von sozialen und gesellschaftlichen Prozessen werden erst im Subjekt möglich. Die Soziologie knüpft an der Phänomenologie also dadurch an, dass sie das Subjekt an den Anfang ihres Interesses stellt. Damit verbunden ist die Betonung der Leiblichkeit als Ort jeder sinnhaften Erfahrung. Für Husserl ist Leiberfahrung direkt mit Welterfahrung verbunden. Anders als innerhalb einer Bindestrichsoziologie und anders auch als die Modeerscheinung in den Sozialwissenschaften, in der der Körper erst in den letzten Jahrzehnten in den Blickpunkt geraten ist, gilt hier im Rückgriff auf die Phänomenologie der Leib als Medium der Erfahrung. Denn erst durch die Sinne, bzw. durch die Wahrnehmung, kann sich das Subjekt die Welt erschließen. Mit Waldenfels kann der Leib als ein Grundphänomen verstanden werden, das an der Konstitution anderer Phänomene immerzu beteiligt ist (vgl. Waldenfels 2000: 9). Die soziologische Anbindung an die Phänomenologie durch die Einnahme einer subjektiven Perspektive erfordert es daher, den Leib als nicht hintergehbares Grundphänomen der Erfahrung anzuerkennen. Sein erhält Sinn erst durch Subjektivität. Die dem Subjekt erfahrbare Welt konstituiert sich sinnhaft, d.h. die Welt ist dem Subjekt in einem Sinnzusammenhang gegeben, deren Fundament die Lebenswelt ist. Die Lebenswelt, so wie sie uns im Alltag 28

gegenüber tritt, ist für das Subjekt deshalb sinnhaft, weil sie als selbstverständlich, »natürlich« und dauerhaft akzeptiert wird. Jener soziale Sinn, dessen Struktur und Genese von einer Soziologie untersucht werden kann, entsteht durch vorhergegangene Erfahrungen, die sich aufschichten. So ist dann auch jedes Handeln mit subjektivem Sinn ausgestattet. Umgekehrt bedeutet das: Es gibt kein sinnfreies Handeln. Soziologie kann an die Phänomenologie anknüpfen, indem sie die Sinnhaftigkeit der sozialen Welt für das Subjekt betont und darüber hinaus nach den Möglichkeiten von objektivem bzw. intersubjektivem Sinn fragt. Der soziale Raum, in dem sich dieser Sinn primär konstituiert, ist die Lebenswelt, so dass mit der Übernahme der Konzepte von Subjektivität, Leiblichkeit und Sinnhaftigkeit bereits ein Verweis auf das später noch ausführlich behandelte phänomenologische Konzept der Lebenswelt gegeben ist. Der Begriff der Lebenswelt, noch von Husserl in den späten 1930er Jahren eingeführt, referiert auf die Intersubjektivität einer jeden Erfahrung im alltäglichen Miteinander, welche immer schon vorstrukturiert ist und gleichzeitig diese vorwissenschaftliche Erfahrung als grundlegende und ursprüngliche rechtfertigt. Husserl definiert die Lebenswelt wie folgt: Die Lebenswelt »ist die raumzeitliche Welt der Dinge, so wie wir sie in unserem vor- und außerwissenschaftlichen Leben erfahren und über die Erfahrenen hinaus als erfahrbar wissen.« (Husserl 1962: 141) Wie wir im Verlauf des Buches noch deutlich erkennen werden, kann sich die Soziologie an die Phänomenologie binden, indem sie die Lebenswelt der alltäglichen leiblichen Erfahrung, in der das Subjekt in einer »relativ-natürlichen« unhinterfragten Welteinstellung lebt, als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen wählt und die Strukturen, nach denen diese Lebenswelt gebildet ist, offenlegt. Mit dieser Anbindung ist ein theoretischer Mehrwert verbunden, der ebenfalls im Fortgang der Argumentation sichtbar wird. Die Rede von den unmittelbar anschaulichen Dingen, bzw. von den Dingen, so wie sie uns begegnen, lässt sich von der Soziologie als methodisches Programm wenden. Die qualitative Analyse der sozialen Welt hat vor diesem phänomenologischen Hintergrund ihre Gegenstände ernst zu nehmen und sich nicht hinter Metho29

den oder vorgefertigten Meinungen zu verstecken. Der soziologischen Analyse muss gemäß der phänomenologischen Annahme eine deskriptive Darstellung vorangehen, in der die Dinge selbst »zum Sprechen« kommen. Bevor wir die Verbindungsmöglichkeiten der Phänomenologie mit der Soziologie ausführlich betrachten, wird zunächst die Phänomenologische Soziologie ins theoretische Spektrum der Soziologie einsortiert.

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III. Grundlegung der Phänomenologischen Soziologie (Schütz) Wie bereits dargestellt wurde, geht die Begründung der Phänomenologie auf Edmund Husserl zurück; die Phänomenologische Soziologie ist wiederum direkt mit dem Namen Alfred Schütz (18991959) verbunden. Schütz, der 1938 über Paris in die Vereinigten Staaten flüchtet, führt Zeit seines Lebens9 eine Doppelrolle als Justiziar und Wissenschaftler. Dennoch ist er der Erste, der eine systematische und ausführliche Verknüpfung von Phänomenologie und Soziologie vorlegt. Deren Eckpfeiler bilden die Theorien von Husserl und Max Weber (1864-1920).10 Während des Studiums des deutschen Klassikers der Soziologie Max Weber stößt Schütz Anfang der 1920er Jahre auf die berühmte Stelle, in der Weber eine wegweisende Definition des noch jungen Faches aus handlungstheoretischer Perspektive gibt. »Soziologie […] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ›Handeln‹ soll dabei ein menschliches Verhalten [… heißen, wenn und insofern, als der Handelnde oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.« (Weber 1988: 542) Der Passus »soziales Handeln deutend verstehen« lässt erkennen, dass die oben dargestellte Strömung der Interpretativen Soziologie bis auf Weber11 zurückgeführt werden muss. Weber selbst hat sein Programm als »verstehende Soziologie« ausführlich beschrieben. Der Gegenstand der Soziologie, die Gesellschaft oder das Soziale, ist in dieser Auffassung Ergebnis von Handlungen und Entscheidungen. Ziel der Soziologie soll es sein, dieses Ergebnis zu verstehen und nach Möglichkeit zu erklären. Weber geht davon aus, dass der Handelnde die soziale Realität, in der er sich bewegt, mit Bedeutung besetzt, indem er Phänomene mit Werten verknüpft, so dass sich schließlich innerhalb dieser mit Werten gesättigten sozialen Welt ein Reich der Kultur herausschält. Handlung wird aus einer Motivation bzw. aus einem 31

gemeinten Sinn oder einem Sinnzusammenhang gedeutet, der dem Handelnden offenkundig ist. Ein Verstehen der Handlungen seitens der Wissenschaft wird durch die Bildung von Idealtypen möglich, die als empirisch kontrollierbare wertfreie Modelle verstanden werden können, die aber so nicht in der empirisch erfassbaren Realität vorzufinden sind. Ein solches Modell des Idealtyps greift aus der Realität der einzelnen Erscheinungen wesentliche Aspekte heraus und bündelt sie zu einem »Gedankengebilde«. Die jeweilige Bildung eines Idealtypus ist abhängig vom Forschungsinteresse, doch ist es mittels dieser Modulierung möglich, Handlungen aufgrund bestimmter Einstellungen, Erwartungshaltungen und Motivationen zu verstehen. Der Idealtypus ist zudem immer ein »historisches Gebilde«, z.B. ein »historisches Individuum«, weil es die wesentlichen Merkmale der historischen Entwicklung (der Gesellschaft) berücksichtigt. Es finden sich in Max Webers Werk zahlreiche Beispiele für Idealtypen, wie z.B. das modernde Beamtentum, welches durch eine Reihe von Merkmalen wie Kompetenz, Amtshierarchie etc. geprägt ist und eine tragende Rolle für die Herausbildung bürokratischer Herrschaft in der modernen Gesellschaft inne hat (vgl. Weber 1980: 551f.). Wichtig ist bei Weber die doppelte Verwendung respektive Bedeutung des Begriffes Verstehen, die ähnlich wie beim Begriff der Interpretation erfolgt. Die Soziologie Webers beinhaltet Deutungen als Handlungsschemata (der Subjekte), die an der Erfahrung orientiert sind, zudem aber auch als Begriffsschemata (Idealtypen) der soziologischen Analyse. Letztere Deutung erfolgt nicht allein durch Beobachtung, sondern auch durch den Vergleich von historischen Situationen. Für Webers interpretative Handlungstheorie lässt sich mit dem Gesagten die Annahme begründen, dass die Wirklichkeit nur durch den Vergleich mit der Konstruktion des Forschers adäquat erfasst werden kann. Eine Kausalerklärung im Bereich des Sozialen, die Antwort auf die Frage, wie etwas zu dem geworden ist, was es ist, erfolgt durch Deutungen des Sinnes von Handlungen. Bemerkenswert ist hier, dass Weber alle kulturellen Erscheinungen und Leistungen auf das soziale Handeln Einzelner zurückführt. Nachdem Alfred Schütz Ende der 1920er Jahre Husserls Werk studiert hat, erscheint ihm die Weber’sche Soziologie in einem an32

deren Bild. Die Frage nach dem subjektiven Sinn ist hier (bei Weber) nicht ausreichend, bzw. nur so weit, wie es für das Programm der Weber’schen Soziologie nötig ist, entwickelt. Mit Blick auf das obige Zitat muss nach Schütz z.B. gefragt werden, wie sich genau der subjektive Sinn konstituiert und ob allein ein Sinnbegriff ausreichend ist. Die soziale Welt – so wie von Weber entworfen – wirkt auf Schütz intersubjektiv konform, was sie in Wirklichkeit aber nicht ist. Zum einen basiert Webers Soziologie, ohne dass dadurch ihre Leistung geschmälert wird, auf dieser stillschweigend gemachten Voraussetzung (der Konformität), die philosophisch oder wissenschaftstheoretisch abgeklärt werden müsste, zum anderen wirkt der Begriff des subjektiven Sinns aus phänomenologischer Sicht unterbestimmt. Schütz zeigt die Schwierigkeiten, die sich ihm mit der Rede vom sinnhaften Handeln bieten, am Beispiel von unterschiedlichen Sinnschichten auf (vgl. Schütz 1981: 24f.), die bereits in Webers Zitat aufgehoben sind. Die erste Sinnschicht, die des sozialen Handelns wie oben von Weber verwendet, impliziert, dass es auch ein Handeln gibt, das nicht sozial, sondern z.B. auf Gegenstände gerichtet ist. Das Heben des Hutes allein ist demnach auch eine Handlung, wenn auch keine soziale. Ebenso verhält es sich mit dem Zusammenstoß zweier Radfahrer, den Schütz als Beispiel anführt. Es ist ein bloßes Ereignis, solange es nicht bewusst geschieht. Dass soziales Handeln also am Anderen, an einem Alter Ego in der Sozialwelt orientiert ist, verweist auf eine zweite Sinnschicht. Eine dritte Sinnschicht ist damit schließlich aufgetan, dass das Verhalten Anderer auch vom Subjekt erschlossen werden kann. Dieser kurze Verweis auf mehrere Sinnbegriffe bzw. Sinnschichten zeigt eine Komplexität, die Weber nicht interessiert, weil er sie für sein Programm der verstehenden Soziologie nicht benötigt. Dennoch muss er sich von Schütz die Kritik gefallen lassen, dass sein Konzept wesentlich auf einen spezifischen Typ des Handelns ausgerichtet ist, nämlich dem des rationalen. Doch auch traditionelles oder affektives Handeln ist nach Schütz nicht sinnlos. Zudem sieht Schütz bei Weber eine Gleichsetzung von Sinn mit Motiv, die er differenzieren will.

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Für Schütz wird zuvorderst die Frage nach der Konstitution von Handlungssinnzusammenhang relevant. Seine Konzeption hat die philosophische Untermauerung und Ergänzung Webers verstehender Soziologie zum Ziel. Trotz der Kritik sollte Schütz’ Theorie zugleich als Fundierung und als Weiterentwicklung Webers interpretiert werden, was schon daran zu erkennen ist, dass er sein einziges zu Lebzeiten erschienenes Buch als eine »Einleitung in die verstehende Soziologie« bezeichnet (vgl. Schütz 1981). Aufgrund des Inhalts dieses erstmals 1932 erschienenen Werkes und des Aufbaus der »Strukturen der Lebenswelt«12, die von Schütz nie abgeschlossen wurden und schließlich von Thomas Luckmann vollendet und erstmals 16 Jahre nach Schütz’ Tod (1975) veröffentlicht wurden, lassen sich verschiedene Bestandteile einer verstehenden Soziologie offenlegen, die jeweils dem Feld der Phänomenologie oder dem Feld der Soziologie zuzuordnen sind. Das Programm der verstehenden Soziologie, wie von Schütz entworfen, beinhaltet sodann folgende Bausteine, die nachstehend ausführlicher diskutiert werden sollen: – Eine in der Tradition von Husserls Phänomenologie stehende Konstitutionsanalyse, welche die formalen Strukturen der subjektiven Sinnkonstruktion offenlegen will. – Eine Theorie der »Aufschichtung« der Lebenswelt« bzw. der subjektiven Wissenskonstitution, die zu klären versucht, wie sich die Lebenswelt im Subjekt erschließt und wie sich vor diesem Hintergrund ein Wissen von der Lebenswelt konstituiert. Damit verbunden ist eine Strukturtheorie des Handelns. – Eine Theorie des Fremdverstehens, die an den oben skizzierten Entwurf von Mead anschließt. – Eine Strukturanalyse der Sozialwelt, im engeren Sinne eine Soziologie der Lebenswelt, die nach den Strukturen der Sozialwelt aus Alltagsperspektive fragt. Im weiteren Sinne beinhalte das Programm der verstehenden Soziologie auch eine Wissenssoziologie, welche die Konstruktion und Verbreitung gesellschaftlichen Wissens mit Blick auf das subjektive Wissen untersucht, und auf die in Kapitel VI. noch weiter eingegangen wird. 34

1. Konstitutionsanalyse Bei Husserl meint Konstitutionsanalyse die Analyse der Konstitution von »Etwas« im Bewusstsein. Bei Schütz wird eben diese phänomenologische Tradition als Frage nach der Konstitution sinnhafter Erlebnisse in der Sozialwelt weitergeführt. Wie konstituiert sich Sinn im Subjekt? Nach Schütz’ Auffassung geht es hierbei um die Fortführung des Husserl’schen Programms mit Ziel einer Mikrofundierung der verstehenden Soziologie. Die philosophische Tradition, die bei Schütz noch kaum von den soziologischen Problemstellungen zu trennen ist, äußert sich u.a. in der Untersuchung zur Dauer sinnhafter Erlebnisse (vgl. Schütz 1982: 62f.). Ausgehend von Bergson und Husserl trennt Schütz die verfließenden Erlebnisse reiner Dauer von den wohlgegliederten, diskontinuierlichen Bildern in einer homogenen Raumzeitwelt. Die erste Form des Erlebens kennt nur ein Leben von Moment zu Moment, vom Jetzt zum Jetzt. Erst in der zweiten Form sind die Erlebnisse getrennt und der kontinuierliche Fluss der Wahrnehmung ist unterbrochen. Es entstehen hier eindeutige Bilder und Ereignisse. Die Rede von der Raumzeitwelt deutet darauf hin, dass die Erlebnisse in eine homogene Struktur von Raum und Zeit eingegliedert sind. Diese zweite Form beschreibt bereits eine Reflexion des einsinnigen Ablaufes, eine »Rückwendung« gegen den bloßen Fluss der Dauer. Mit anderen Worten: Es ist die Erinnerung, die die Erlebnisse aus dem stetigen Wahrnehmungsfluss heraushebt. Das sich immer im Fluss befindende Erleben erfährt durch einen reflexiven Blick eine neue Sichtweise, die sich damit von anderem unterscheidet. Schütz hält deshalb fest: Nur »das Erlebte ist sinnvoll, nicht aber das Erleben.« (Schütz 1982: 69) Erleben kennzeichnet einen fließenden Prozess, das Erlebte beinhaltet bereits eine Reflexion und Eingrenzung dieses Erlebens. Das Erleben kann neben der Form auch inhaltlich aufgeschlüsselt werden. Erlebnisse enthalten neben einem thematischen Kern, also dem Ereignis, das gespeichert und später erinnert wird, auch ein thematisches Feld. Das thematische Feld mitvergegenwärtigt (appräsentiert) in gewisser Weise charakteristische thematische Elemente, in die der Kern eingebettet ist. Dies geschieht auf35

grund von subjektiven Vorerfahrungen, kulturellen Prägungen etc., so dass Erlebnisse in der natürlichen Welteinstellung immer in einem mehr oder weniger »vorgefertigten« Kontext erscheinen. Auch Handeln konstituiert sich im Bewusstsein, so dass es wichtig ist, bloßes Verhalten von Handeln zu unterscheiden. Dies geschieht bei Schütz wiederum phänomenologisch mit Verweis auf den Handlungsentwurf. Handeln ist hier wie bei Weber Voraussetzung für den Aufbau der Sozialwelt. Verhalten wird hingegen verstanden als sinngebendes Bewusstseinserlebnis spontaner Aktivität. Es ist ein körperliches Geschehen in Raum und Zeit. Verhalten als Serie von Erlebnissen gerät lediglich auf unbestimmte Weise in den Blick, und unterscheidet sich vom gestaltendem Tun oder Handeln. »Handlungen sind Erfahrungsabläufe, die nicht von sich aus, sondern von mir aus geschehen. Sie sind motiviert. Das treibende Motiv der Handlung ist die Erreichung eines Ziels.« (Schütz/Luckmann 2003: 451) Verhalten wird von Schütz als Verkörperung von Handeln verstanden, welches von Mitmenschen erfasst werden kann. Zwar lässt sich vom Verhalten anderer auf das Handeln schließen, letztlich bleibt Handeln aber eine rein subjektive Bewusstseinsleistung. Erst nach Ablauf des Handelns, ex-post, lässt sich dieses als Erlebnis von anderen unterscheiden. Die »übliche« Differenzierung von Verhalten zum Handeln durch Zuschreibung von Bewusstheit (Handeln = bewusstes Verhalten) ist für Schütz irreführend. Er betont hingegen: Handlungsziele sind bereits im Voraus bewusst. Alles Handeln vollzieht sich nach einem mehr oder weniger explizit verfassten Plan (Vgl. Schütz 1982: 77), der in der Phantasie vorentworfen wird. Dieser Entwurf erfolgt unabhängig vom tatsächlichen Handeln, denn nichts spricht dafür, dass der Handlungsentwurf überhaupt und wenn, dann auch in dieser Form umgesetzt werden muss. Es bedarf letztlich eines Entschlusses zum Handeln. Wichtig ist zudem die Trennung des Handelns von der Handlung. Denn allein die Handlung bzw. das Ziel des Handelns kann entworfen werden, während Handeln bereits einen Prozess bezeichnet. Bezogen auf die Konstitution von Sinn bedeutet dies: Der Sinn des Handelns ist in der zuvor entworfenen Handlung zu suchen. »Der reflexive Blick, der sich einem abgelaufenen, entworfenen Erlebnis zuwendet und es so als ein von allen anderen Erlebnissen in der Dauer 36

Wohlunterschiedenes heraushebt, konstituiert dieses Erlebnis als sinnhaftes.« (Schütz 1982: 95) Dieser Entwurf (der Handlung) erfolgt im modo futuri exacti, d.h., dass die Handlung prospektiv vorweggenommen wird, in Form einer anschaulichen Vorstellung (vgl. ebd.: 81). Im Handlungsentwurf ist bereits ein Motiv des Handelns aufgehoben, das von Schütz als Um-zu-oder Weil-Motiv bezeichnet wird (vgl. Schütz 1981: 115, Schütz/Luckmann 2003: 471f.). Mit den Bezeichnungen Um-Zu und Weil wird auf ein Ziel des Handelns verwiesen, das bereits im Handlungsentwurf fest steht. Ich handele um zu/Ich handele weil. Die Handlung ist vom Ziel her motiviert und auch der Handlungsablauf wird durch das Ziel strukturiert. Dadurch wird deutlich, dass der Sinn einer Handlung im Bewusstsein zu suchen ist: »Sinn ist eine im Bewusstsein gestiftete Bezugsgröße, nicht eine besondere Erfahrung oder eine der Erfahrung selbst zukommende Eigenschaft.« (Schütz/Luckmann 2003: 449) Warum ist Handeln nun aber nicht gleichzusetzen mit bewussten Verhalten? Nicht alles Handeln geschieht im vollen Bewusstsein. Die Phänomenologie hat gelernt, unterschiedliche Grade des Bewusstseins zu unterscheiden. So gibt es ein eher unbewusstes, z.B. routiniertes Handeln, wie das Grüßen durch Hutheben, dessen Bewusstseinsgrad erst noch genauer zu diskutieren wäre. Auch das Handeln wird erst im reflexiven Blick als Handlung erfasst. Daher verändert sich die zugeschriebene Sinnstruktur mit dem Verlauf der Zeit, aus der die Betrachtung der Handlung vollzogen wird, weil z.B. auch das Subjekt eine Wissensveränderung nach der Handlung erfahren hat. So ist die Frage nach dem subjektiven Sinn immer mit dem Zeitpunkt der Fragestellung verknüpft. Es ist nachzuvollziehen, dass der subjektive Sinn, der einer Handlung im Entwurf des modo futuri exacti zugesprochen wird, möglicherweise ein anderer ist als in der reflexiven Betrachtung der vollzogenen Handlung. Bzgl. der Wahlmöglichkeiten einer Handlung geht Schütz davon aus, dass diese am besten als Form von sukzessiv entworfenen und reflexiv aufeinander bezogenen Handlungsentwürfen zu verstehen sind. Die Wahlmöglichkeiten »gären« oder entwickeln sich bis zu einer Festlegung im Subjekt. Bemerkenswert ist zudem, 37

dass, sobald das Handeln vollzogen ist, dieses dem Subjekt einheitlich vom Entwurf bis zur Ausführung erscheint (vgl. Schütz 1982: 93). Dies hat u.a. dazu geführt, dass die Einheitlichkeit der Handlung auch fälschlicherweise für die Wahlmöglichkeiten des Handelns gelten soll, z.B. in Form einer Entscheidung zwischen zwei Wegen. Die sich aus vielschichtigen Wahrnehmungsströmen zusammensetzende Erfahrung entsteht für das Subjekt erst durch Synthesenbildung von einzelnen Erlebnissen. Diese Synthesen können wiederum miteinander verknüpft werden, so dass sich allmählich ein Erfahrungsvorrat herausbildet. Der Vorrat an Erfahrungen ist allerdings nicht intersubjektiv homogen, sondern von persönlichen und gesellschaftlichen Relevanzen geprägt. Ein Relevanzsystem ordnet demnach die Erfahrungen nach ihrer Bedeutung für das Subjekt. Unterschiedlichen Erfahrungen werden so auch subjektiv unterschiedliche Bedeutungen zugesprochen. Bezogen auf den (gemeinten) Sinn eines Erlebnisses stellt dieser für die Phänomenologische Soziologie also nichts anderes als eine Selbstauslegung des Erlebnisses von einem neuen Erleben her dar. Die Auslegung erfolgt in Bezug auf den Wissensvorrat und das Relevanzsystem. Betrachten wir zur Verdeutlichung des Gesagten noch einmal das Beispiel des Huthebens. Die Relevanz, die diesem Ereignis zugesprochen werden kann, dürfte anders als z.B. bei einem Unfall mit dem Fahrrad oder der Begegnung mit einer Person, die ich näher kennen lernen will, relativ niedrig sein. Dennoch benötige ich einen Erfahrungsvorrat, aus dem ich schöpfen kann, um die Geste zu dekodieren. Angenommen, ich bin bereits einmal jemanden begegnet, der mir zum Grüßen den Hut gehoben hat, und diese Geste war für mich zu diesem Zeitpunkt neu: So habe ich vielleicht im Anschluss an dieses Erlebnis erst den Sinn begriffen und kann nun beim nächsten Mal auf dieses neue Wissen zurückgreifen. Es erfolgt eine Synthesenbildung, in der der Geste ein Sinn zugesprochen wird. Die Mehrschichtigkeit, die der Bildung von Synthesen (und Synthesen von bereits geleisteten Synthesen) im Alltag eigen ist, lässt erkennen, wie hoch das Maß an Komplexität der Sinnzusammenhänge ist. Dennoch steht dem Subjekt bereits in der natürlichen Weltanschauung ein System von Ordnungen, ein Vorrat erfahrener Erlebnisse zur Verfügung. Diese Erfahrungen stammen 38

aus unterschiedlichsten Bereichen von Sinnzusammenhängen, so z.B. aus vorgegebenen gesellschaftlichen Ordnungen, Werten und Normen. Im Bezug auf unser Beispiel des Grüßens lässt sich zeigen, dass gesellschaftliche und kulturelle Normen einem Wandel unterliegen, so dass wir heute die Sitte des Huthebens anders einschätzen als noch vor 100 Jahren. Die als Erfahrung abgespeicherten Synthesen spielen eine bedeutende Rolle für die Einordnung von Erfahrungen, bzw. der Deutung von Erlebnissen. Deutung wird von Schütz bezeichnet als Rückführung von Unbekanntem auf Bekanntes (vgl. ebd.: 112). Eine neue Erfahrung ist in diesem Sinne auch der Versuch einer Rückführung (auf bekannte Erfahrungen), doch führt dieser Versuch nicht zu einem Erfolg, da keine Einordnung in ein Erfahrungsschema erfolgen kann. Dies kann wiederum an unserem Beispiel verdeutlicht werden: Ich muss erst um das Symbol und den Sinn des Symbols des Huthebens wissen, ich muss erst einmal diese Erfahrung gemacht haben, damit ich sie in ein Schema, in diesem Fall das Schema »Grüßen« und nicht das Schema »Gefahr« einordnen und schließlich darauf reagieren kann. Wie an den bisherigen Ausschnitten gezeigt, versucht die Konstitutionsanalyse, die komplizierten Vorgänge subjektiver Sinnbildung mittels einer Analyse der sozial geformten Bewusstseinsprozesse aufzuhellen. Sie ist als Bestandteil der Schütz’schen Arbeiten ganz Sozialphänomenologie und denkbar eng an Husserl gekoppelt. Wichtig ist es, zu erkennen, dass Erfahrungen wie Bewusstseinsprozesse zeitlich, räumlich und sozial strukturiert sind. Schütz arbeitet deshalb unterschiedliche Formen der Strukturierung heraus, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: – Eine zeitliche Struktur, die nach der Dauer sinnhafter Erlebnisse fragt. (In der Reflexion erscheinen Ereignisse bereits nach ihrer Dauer geordnet.) – Eine Strukturierung der Erlebnisse nach ihrem thematischen Kern und Feld. Die Dinge, die ins Bewusstsein treten, tun dies als Erlebnis/Ereignis selbst sowie als appräsentiertes Feld, in das das Ereignis eingebettet ist.

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– Eine Strukturierung des Bewusstseins nach unterschiedlichen Graden der Bewusstheit, so dass es neben mehr oder weniger bewusstem Erleben auch ein unbewusstes Erleben gibt. – Die Strukturierung der Handlung selbst erfolgt in einem Handlungsentwurf, in dem bereits ein Motiv des Handelns (um zu/ weil) aufgehoben ist. – Ein Erfahrungsvorrat, der sich im Laufe der Zeit herausbildet, hilft, Ereignisse zu deuten, so können Erfahrungen auf Bekanntes zurückgeführt werden. – Eine Einordnung der Erlebnisse nach Relevanz lässt diese schließlich mehr oder weniger wichtig erscheinen.

2. Subjektive Wissenskonstitution »Wissensvorrat ist das ›Produkt‹ der in ihm sedimentierten Erfahrungen; die Situation ist das ›Resultat‹ der vorangegangenen Situationen.« (Schütz/Luckmann 2003: 163) Mit dem Verweis auf einen Wissensvorrat, der sich aufgrund von gemachten Erfahrungen »aufschichtet«, ist bereits ein erster Hinweis auf die subjektive Wissenskonstitution gegeben. Die Frage, die die Phänomenologische Soziologie hier interessiert, ist, wie sich subjektives Wissen herausbildet und im Alltag zum Einsatz kommt. Dass sich, wie aus dem obigen Zitat zu entnehmen ist, aus dem in den Erfahrungen gemachten Wissen allmählich ein Wissensvorrat konstituiert, ist die Voraussetzung, die nachstehend konkretisiert werden soll. Der Wissensvorrat, die Summe des Wissens, über die ein Subjekt aufgrund gemachter Erfahrungen verfügt, ist weder ein homogenes Gebilde, noch ist es systematisch-theoretisch organisiert. Ferner gilt es, verschiedene Wissensformen innerhalb des Vorrats zu unterscheiden. Zum ersten Aspekt: Der Erwerb von Wissen in der alltäglichen Erfahrung ist eine subjektive »Angelegenheit«. So ist die Erfahrung, die gemacht wird, zeitlich, räumlich und durch die jeweilige Situation, in der sich das Subjekt befindet, begrenzt. Zeitlich, da es eine Inkongruenz von biologischer Zeit (des Subjektes) 40

der Weltzeit (die Welt als Dauer erfahrbar, z.B. in Form von historischen Ereignisse) und der inneren Dauer (des Ereignisses) gibt. Die biologische Zeit des Subjektes, die historische Weltzeit und die innere Dauer eines Ereignisses verlaufen je nach einer eigenen Logik. Eine räumliche Begrenzung der Situation erfolgt durch meinen Körper (und dessen Bewegungen). Jedwede Erfahrung ist eine subjektive Erfahrung, jeder Wissensvorrat ein subjektiv gefärbter, denn es ist kaum vorstellbar, dass zwei Personen dieselben Erfahrungen innerhalb derselben (durch Raum und Zeit begrenzten) Situation haben. Die Situation, genauer: das »Was-und-Wie« der individuellen Situation bestimmt also den Wissensvorrat. Mit dem Ansammeln eines Wissensvorrates ist dann eine Routinisierung von Wissen verknüpft. Routiniserung bedeutet, dass ich im Alltag auf das gespeicherte Wissen zurückgreifen kann und nicht neu über die Auslegung und das Handeln in der Situation nachdenken muss. Die Routinisierung von Wissen verweist wiederum auf die später noch ausführlich zu diskutierende und auf das Handeln bezogene Idealisierung des »Ich-kann-immerwieder«. Hiermit wird Bezug genommen auf die Annahme des handelnden Subjektes, dass (z.B. mit Hilfe des Wissensvorrates) es innerhalb einer solchen Situation immer wieder möglich ist, so (wie eben) zu handeln. Anders gewendet: Das Wissen, welches in einer Situation zur erfolgreichen (befriedigenden) Handlung geführt hat, reicht nach dieser Annahme aus, auch in künftigen vergleichbaren Situationen (immer wieder) so (erfolgreich) zu handeln. Der zweite Aspekt bezieht sich darauf, dass die Rede vom Wissensvorrat sich nur dann konkretisieren lässt, wenn verschiedene Formen des subjektiven Wissens unterschieden werden. Mit Schütz und Luckmann lassen sich drei Formen von Wissen kennzeichnen, die durch Routinisierung im Wissensvorrat herausgebildet werden: Fertigkeiten, Gebrauchswissen und Gewohnheitswissen. Fertigkeiten kennzeichnen ein routinisiertes Wissen um die gebrauchsmäßige Funktion der körperlichen Bewegung (Schütz/ Luckmann 2003: 158). Das Gebrauchswissen beruht auf diesen Fertigkeiten. Um z.B. in Schreibschrift zu schreiben oder aber auch um Fahrrad zu fahren, muss ich bestimmte körperliche Fertigkeiten kombinieren. Das Gebrauchswissen gehört aber nicht 41

mehr zum Wissen um die Funktionen des Körpers, es bezieht sich auf Gegenstände. Ein Gewohnheitswissen bietet endgültige Lösungen für Probleme, die in den Erlebnisablauf eingegliedert sind. Es funktioniert »automatisch« und kann auch als Rezeptoder Kochbuchwissen (Hauck) bezeichnet werden, weil es ungezählte Rezepte für in der Lebenswelt auftauchende Situationen bereit hält. Es funktioniert automatisch, aber nur so lange, wie fraglose Erfahrungen bzw. Auslegungen gemacht werden. Schütz betont ferner: »Gewohnheitswissen in all seinen Unterformen hat mit den Grundelementen des Wissensvorrats gemeinsam, dass es in Situationen mitvorhanden, nicht bloß von Fall zu Fall vorhanden ist.« (Ebd.: 159) Die Grundelemente des Wissensvorrates (Situationen sowie die verschiedenen Wissensformen) sind theoretisch universell und prinzipiell unveränderbar, hingegen ist der Inhalt des Wissensvorrats selbst subjektiv und in ständiger Veränderung. Bedeutend für die Konstitutionsanalyse wie für die subjektive Wissenskonstitution ist der Wissenserwerb in mehreren Erfahrungswelten. Weiter oben wurde bereits angemerkt, dass sich der Erwerb subjektiver Erfahrung weitgehend in der natürlichen Einstellung (im Alltag), bzw. in der Lebenswelt vollzieht. Der Begriff der Lebenswelt wird noch später ausführlich diskutiert, dennoch kann hier bereits angemerkt werden, dass eben dieser Begriff Lebenswelt darauf hinweist, dass noch andere »Welten« denkbar oder erfahrbar sind. Gewiss gibt es nur die eine Welt, wir können über das Leben auf anderen Welten nur spekulieren, aber bezogen auf die Lebenswelt (der natürlichen unreflektierten Einstellungen) existieren sehr wohl noch andere Welten, die nach anderen Einstellungen, Regeln und Strukturen konstituiert sind und in denen andere Gesetze gelten. Der Wissenserwerb als Sedimentierung aktueller Erfahrungen beinhaltet Erfahrungen, die auf Sinnstrukturen aus verschiedenen Wirklichkeitsbereichen zurückgehen, also z.B. ebenso aus der Lebenswelt stammen, wie z.B. aus dem Traum und der Welt der Wissenschaft und der Welt der virtuellen Medien. Die Reihenfolge, Erlebnisnähe und Erlebnisdauer der Erfahrungen bestimmt die jeweilige biographische Ausgestaltung des Wissensvorrates (vgl. ebd.: 165). Mit dem oben im Zitat aufgegriffenen Hinweis des Mitvorhandenseins von Gewohnheits42

wissen ist ein weiterer wichtiger Aspekt angesprochen. Es besteht in diesem Mitvorhandensein die Möglichkeit spontan, bzw. wenn eine Situation plötzlich auftritt, sich auf das mitvorhandene Gewohnheitswissen zu beziehen und danach zu Handeln. Wir haben zuvor gesagt, dass die Lebenswelt bzw. die natürliche Einstellung der primäre Ort der Erfahrung ist, dass es aber noch andere Welten gibt. Die Inhalte der unterschiedlichen Welten mitsamt ihren Regeln und Eigenheiten sind nicht übertragbar. Die Regeln, die im Schlaf gelten, können keine Anwendung im Alltag finden. Dennoch gibt es in der Lebenswelt Hinweise auf Transzendenzen anderer Welten. Die Hinweise auf Grenzübertretungen sind dem Subjekt meist bekannt. Es erkennt den Berg vor ihm und weiß, dass dieser schon lange vor seiner Zeit existierte. Sozialwelt wie Natur, so lässt sich alltäglich erkennen, sind zeitlich vor und nach dem Subjekt vorhanden. Neben der Mitwelt des Hier und Jetzt gibt es eine Vorwelt wie eine Nachwelt. Hinweise auf Transzendenzen erfolgen ebenfalls durch Symbole in Form einer Appräsentation, sozusagen als Mitvergegenwärtigung einer anderen, nicht zu dieser Lebenswelt gehörenden, sinnhaften Ordnung. Im Juni 1945 publiziert Alfred Schütz in der Zeitschrift Philosophy and Phenomenological Research, dem Organ der von ihm mitbegründeten International Phenomenological Society, einen Aufsatz mit dem Titel: On Multiple Realities. Der Inhalt umfasst neben einer ausführlichen Darstellung seiner phänomenologischen Fundierung der Lebenswelt eine Auseinandersetzung mit der vom Psychologen und Philosophen William James postulierten These, nach der Realität lediglich das sei, was unserem emotionalen und aktiven Leben subjektiv real erscheint. James zufolge gibt es zahlreiche Sub-Realitäten oder Sub-Universen (des Lebens) mit einer jeweilig speziellen Art der Existenz (vgl. James, zit.n. Schütz 1945a: 533). Real ist das, was uns subjektiv real erscheint, sofern es nicht mit anderen aktuellen Realitätsvorstellungen konfligiert. Im Traum erscheint uns also das Erträumte ebenso real wie im Alltag das alltägliche Erlebte. Anders als aber im Alltag handelt das Subjekt im Traum nicht, es gilt hier deshalb auch nicht das pragmatische Prinzip (first things first), welches das Handeln im Alltag organisiert.

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Schütz spricht in Anlehnung an James von geschlossenen Sinnbereichen (finite provinces of meaning) oder Sinnprovinzen. Er stellt hiermit bewusst die Sinnstiftungsleistung des Subjektes und nicht die irgendwie geartete Struktur der Elemente heraus. Ein Set von Erfahrungen bildet demnach einen solchen abgeschlossenen Sinnbereich oder eine Sinnprovinz, wenn alle Erfahrungen innerhalb des Bereiches miteinander kompatibel sind (vgl. Schütz 1945a: 552). Die Welt der Lebenswelt oder des Alltags ist in diesem Verständnis nur einer von vielen abgeschlossenen Sinnbereichen. Dennoch ist sie der Archetypus der subjektiven Realitätserfahrung, denn hier findet die primäre Welterfahrung statt. Beispiele für andere Sinnbereiche sind die bereits genannte Welt des Traumes oder der Phantasie, die Welt der Wissenschaft oder die Welt der virtuellen Realität. Jede abgeschlossene Sinnprovinz ist geprägt durch einen spezifischen kognitiven Stil, der innerhalb der jeweiligen Sinnprovinz konsistent, d.h. widerspruchsfrei ist und der nicht in andere Sinnprovinzen übertragbar ist. Der kognitive Stil, die bestimmte Art und Weise, wie die Kognition in dieser Sinnprovinz erfolgt (vgl. ebd.: 552), meint, dass der Sinnbereich gekennzeichnet ist durch z.B. eine spezifische Spannung des Bewusstseins bzw. einen unterschiedlichen Grad an Aufmerksamkeit, einer jeweils besonderen Form der Selbstwahrnehmung, einer bestimmten Form der Sozialität sowie einer spezifischen Zeitwahrnehmung. Die Zeitwahrnehmung innerhalb eines Traumes kann eine ganz andere, viel kompliziertere sein als die während des alltäglichen Wartens auf den Bus. Ebenso verhält es sich mit der Aufmerksamkeit, die im Traum eine geringere ist als im Alltag. Die Körperwahrnehmung im Traum, in dem ich z.B. auch fliegen kann, ist wiederum eine andere als die eines passiven Wartens auf den Bus. Solange das Subjekt in der jeweiligen Sinnprovinz lebt – und nur so lange – wird der jeweilige kognitive Stil als Realität anerkannt. Der Wechsel von einer Sinnprovinz in eine andere erfolgt mittels eines Sprunges (leap) oder mittels eines Schocks, da sich hier ein – oftmals sprunghafter – Übergang von einem kognitiven Stil in den anderen vollzieht. Zu denken ist beispielsweise an das Aufschrecken aus dem Schlaf oder das jähe Herausreißen aus der

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Phantasiewelt eines Buches beim unerwarteten Klingeln des Telefons.

3. Fremdverstehen Im Rückgriff in die Tradition der Phänomenologie schließt sich Schütz dem Philosophen und Soziologen Max Scheler an, der bereits deutlich machte, dass die Erfahrung eines Wir-in-der-Umwelt die Erfahrung des Ichs-von-Welt überhaupt fundiert. Kurz gesagt: Die uns umgebende Welt ist eine Sozialwelt, in der das Ich erst durch die Anderen konstituiert wird. Bereits beim späten Husserl tritt dies deutlich hervor und Merleau-Ponty sieht in seiner Antwort auf die Frage, was Phänomenologie ist (vgl. Merleau-Ponty 1965: 9), deren Leistung darin – im Gegensatz zu anderen philosophischen Schulen – den Gedanken der Fremderfahrung gerade nicht herabzusetzen. Schütz’ Interesse zielt ebenfalls auf die Sozialwelt. Wie das Ich auf die Haltungen Anderer reagiert, wurde weiter oben am Beispiel von Mead kurz aufgegriffen. Die Rede vom Fremdverstehen ist nun bedeutsam, weil soziales Handeln und Verhalten immer mit einem Verstehen und Verhalten des Anderen verbunden ist. Schütz trennt die Selbstauslegung vom Fremdverstehen: Der Selbstauslegung ist »die eigene Dauer kontinuierlich und in Vollständigkeit, dem Fremdverstehen aber die fremde Dauer in diskontinuierlichen Segmenten und niemals in Vollständigkeit, sondern nur in ›Auffassungsperspektiven‹ vorgegeben«. (Schütz 1981: 148) In diesem Zitat lässt sich ein prinzipieller Zweifel der Phänomenologie daran erkennen, dass ein Fremdverstehen vollständig möglich ist. Anders als die kontinuierliche und vollständige Selbstauslegung des Erfahrenen ist das Fremde nämlich unvollständig, nur segmentiert verfügbar und durch die eigene Perspektive gedeutet. Dennoch: Fremdverstehen ist notwendig für das eigene Handeln. Es ist möglich, weil das Du (das Alter Ego) so wie das Ich das eigene Altern erlebt. Mit diesem Hinweis auf die Gleichzeitigkeit der Dauer eigener und fremder Erfahrungen ist eine Grundlage des Fremdverstehens aufgezeigt. Zudem gleichen sich die Bewusstseinsabläufe des Ich und des Alter Egos. 45

Die Generalthesis (des Alter Ego) lautet demnach, dass das Du der gleichen Umgebung wie das Ich zugehört und dass das Du diese Umgebung genauso wie das Ich erfährt. Ferner legt auch das Alter Ego (wie das Ich) seine Erlebnisse aus und verleiht ihnen Sinn. Doch warnt Schütz davor, dass der subjektiv gemeinte Sinn für jedes Alter Ego wesentlich unzulänglich bleibt (vgl. ebd.: 140), denn die vom Ich gebildeten Sinnzusammenhänge sind eben nicht die des Alter Ego. Selbstauslegung eigener Erlebnisse ist ein immanenter Vorgang, die Interpretation fremder Erlebnisse bleibt transzendent. Die Erfahrungen, die das Subjekt in der natürlichen Welteinstellung macht, sind allerdings nicht begrenzt auf leibhaft gegebene Personen der Umwelt, so dass die Grundlage der Gleichzeitigkeit konkretisiert werden muss. Erfahrungen sind auch mit Menschen aus zeitlich und räumlich anderen Welten möglich; infolgedessen differenziert Schütz neben Umwelt in Mitwelt und Vorwelt (vgl. ebd.: 151). In der Mitwelt finden sich Menschen, die zwar zur gleichen Zeit, aber entfernt leben, in der Vorwelt wiederum diejenigen, die geschichtlich vor ihm gelebt haben. Im begrenzten Maße ist ein Fremdverstehen auch in der Vorwelt denkbar, doch zielen die Ausführungen von Schütz vornehmlich auf ein leiblich in der Umwelt erfahrbares Hier und Jetzt. Notwendig für ein Fremdverstehen ist, dass meine Erlebnisse die Erlebnisse anderer zum Gegenstand haben. »Mit Fremdverstehen bezeichnet man […] die Deutung der Bewusstseinsabläufe des Alter Ego, welche wir signitiv vermittels der äußeren Abläufe erfahren haben.« (Schütz 1981: 156) Wenn auch die Bewusstseinsabläufe des Alter Ego nur gedeutet und nicht mit letzter Bestimmtheit gewusst werden können, so kann immerhin das Handeln des Anderen in seinem Vollzug beobachtet werden. Das fremde Handeln baut sich gewissermaßen phasenweise im Vollzug vor uns auf. Das unterscheidet es vom eigenen Handeln, welches man selbst nicht beobachten kann. Erfolgt das Handeln des Alter Ego ohne Kundgabefunktion, so kann ich die Tätigkeit aufgrund der Auslegungen meines Erfahrungsvorrats interpretieren. Ein echtes Fremdverstehen liegt aber nur dann vor, wenn der Blick nicht auf die Anzeichen (die Tätigkeit) gerichtet ist, sondern auf das, wofür sie Anzeichen sind. Im Interesse dieses echten Fremdverstehens steht der Erlebnispro46

zess des Handelnden, also wiederum die Frage nach dem Warum bzw. dem (Um-Zu-, bzw. Weil-)Motiv. Mit Kenntnis um das Motiv des Alter Ego steigt also auch die Chance für ein Fremdverstehen. Ich weiß, dass Ego etwas aus diesem und jenem Grund tut, denn mir ist sein Motiv bekannt. Handeln kann aber auch mit Kundgabe von Zeichen, z.B. mittels eines Zeichensystems wie der Sprache erfolgen. Der Sinn des Zeichens kann verstanden werden im Wissen um die Zeichenbedeutung und aufgrund eines vorgegebenen Systems. Dies ist sowohl auf Seiten des Ich wie des Alter Ego möglich. Damit ein echtes Fremdverstehen entsteht, muss das Augenmerk des Subjekts auch hier über die Akte der »Selbstauslegung« (z.B. Die Körpersprache, den Sprachduktus, die Artikulation) hinausgehen. Für ein echtes Fremdverstehen ist daher nicht allein die Wortbedeutung als Anzeichen für die Bewusstseinsvorgänge, bzw. für den gemeinten Sinn, relevant. Die leitenden Fragen »was ist gemeint?« bzw. »warum jetzt (und hier)?« zielen auf die Bewusstseinserlebnisse des Gegenübers. Dem Fremdverstehen geht immer eine Selbstauslegung voraus. Denn: »Wir entwerfen also das fremde Handlungsziel als Ziel unseres eigenen Handelns und phantasieren nun den Hergang unseres an diesem Entwurf orientierten Handelns.« (Schütz, ebd.: 158) Der Handlungsentwurf eigener Handlung, der an die Stelle des fremden Entwurfes gesetzt wird, deutet darauf hin, dass Fremdverstehen nicht mit Einfühlung oder einer empathisch-psychologischen Theorie zu verwechseln ist. Wenn nicht durch Kundgabe von Zeichen, so sind es vor allem der leibliche Ausdruck und die Bewegung, durch die Bewusstseinsleistungen angezeigt werden. Schütz weiß: »In der fortdauernden und wiederholten Wahrnehmung der Anderen, ihres Ausdrucks und ihrer Handlungen, baut sich ein Zusammenhang stimmiger Appräsentationen auf, die mir – in unvermeidlicher Beschränkung – das Innen der Anderen erschließen«. (Schütz/Luckmann 2003: 641) Die Phänomenologie begreift also Fremdverstehen als Sinndeutung eines fremden Handelns mit oder ohne Kundgabe. Im Fremdverstehen erkennen wir die Generalthesis des Alter Ego, so dass wir den eigenen Handlungsentwurf dem fremden Handeln unterstellen können. Fremdverstehen stellt einen wichtigen Be-

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standteil der Sozialität des Subjektes dar, es bildet die Brücke zum objektiven Sinn.

4. Subjektiver und objektiver Sinn des Handelns »In der natürlichen Einstellung ist es jedermann selbstverständlich, dass andere Menschen die Welt ebenso erleben, ebenso erfahren und ebenso in ihr handeln wie ich. Wie kommt es dazu?« (Schütz/Luckmann 2003: 451) Eine Antwort auf die im Zitat gestellte Frage lautet: Dem Handeln wird nicht nur ein subjektiver, sondern auch ein objektiver Sinn zugesprochen. Mittels diesem ist es möglich, das Handeln des Anderen als ebenso selbstverständlich wie das eigene Handeln anzusehen. Bisher war die Rede lediglich vom subjektiven Sinn. Die Erfahrbarkeit der sozialen Welt ist aber auch notwendig mit der Erklärung eines objektiven Sinns verbunden. Wie bereits unter dem Aspekt des Fremdverstehens aufgezeigt, kann das Handeln des Anderen bzw. können die Aussagen über das Handeln der Mitmenschen nicht mit Sicherheit formuliert werden. Nicht alles Handeln ist am Verhalten Anderer abzulesen. Was abzulesen ist, sind streng genommen lediglich (treffende oder unzutreffende) Vermutungen aufgrund von Interpretationen des anderen Leibes, der Sprache und im Rückgriff auf den Wissensvorrat. Dennoch ist Handeln als subjektive Bewusstseinsleistung Voraussetzung für die Sozialwelt. Dies zeigt sich bereits daran, dass in einem jeden Handlungsentwurf ein Zusammenhang mit bzw. ein Verweis auf das Verhalten Anderer gegeben ist. Umgekehrt entscheidet erst der Andere als »praktisch gültige Instanz« (Schütz/Luckmann 2003: 451), ob etwas eine Handlung ist oder nicht. Wir erinnern uns an die Notwendigkeit den Gruß zu erwidern, damit dieser zu einer Handlung wird. Die Annäherung an den objektiven Sinn des Handelns gelingt über die Unterscheidung von Denken und Wirken. Gewiss ist der Handelnde immer durch den eigenen Körper in der Welt, aber 48

Wirken unterscheidet sich vom Denken dadurch, dass im Wirken handelnd in die Umwelt eingegriffen wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des Arbeitens, nachdem der Handelnde dann arbeitet, wenn er Bestimmtes in der Umwelt bewirken will. Ergebnis des Wirkens oder des Arbeitens sind nunmehr Zeugnisse aller Art, auf die allein sich die Problematik des objektiven Sinns stützen kann. Objektiver Sinn erschließt sich also nicht über die subjektiven Bewusstseinleistungen, sondern allein über Zeugnisse, als sichtbare Ergebnisse subjektiven Handelns. Schütz trennt daher die beiden Sinnregionen wie folgt (vgl. Schütz 1981: 187): Der subjektive Sinn referiert auf die Erlebnisse des Subjektes, wobei die Erlebnisse allein im Bewusstsein des erzeugenden Subjektes in einem Sinnzusammenhang stehen. Der objektive Sinn hingegen ist im Erzeugnis als solches (fertig abgeschlossen) sedimentiert. Objektiver Sinn steht im Sinnzusammenhang des Deutenden, während subjektiver Sinn im Sinnzusammenhang des Erzeugenden steht. Objektiver Sinn ist also immer auf Handlungsergebnisse gerichtet. Er ist nichts anderes als die Einordnung der Erlebnisse von einem Erzeugten in den Gesamtzusammenhang der Erfahrung des Deutenden (vgl. Schütz, ebd.: 190). Der objektive Sinn führt gewissermaßen zu den Dingen zurück, die die Phänomenologie besonders interessieren. Es sind also letztlich Kulturobjekte bzw. Artefakte als Erzeugnisse, an denen sich der objektive Sinn des Handelns ablesen lässt.

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5. Lebenswelt »Die vorwissenschaftliche Lebenswelt wird nicht nur als eine ›Sphäre guter Bewährungen‹ der wissenschaftlichen Welt gegenübergestellt, sondern der Rückgang auf die Lebenswelt soll den Charakter einer Begründung oder Fundierung wissenschaftlichen Wissens haben.« (Vetter 2004: 328) »Die Handlungen haben […] eine allgemeine, dem menschlichen Bewusstsein in seiner Leiblichkeit eingeprägte Grundstruktur, deren intentionale Leistungen eine Lebenswelt konstituieren.« (Luckmann 2008: 39) »Life-World; also World of everyday life. The total sphere of experiences of an individual which is circumscribed by the objects, persons, and events encountered in the pursuit of the pragmatic objectives of living. It is a ›world‹ in which a person is ›wide-awake‹, and which asserts itself as the ›paramount reality‹ of his life.« (Schütz 1970: 320) Die Soziologie der Lebenswelt ist mit Sicherheit das Kernstück der Phänomenologischen Soziologie, gelegentlich wird letztere gar mit einer Soziologie der Lebenswelt gleichgesetzt. Soweit muss man nicht gehen, doch zielen die bisher behandelten Aspekte einer phänomenologischen Soziologie auf eine Analyse der Lebenswelt. Der noch von Husserl »erfundene« Begriff der Lebenswelt hat in den letzten Jahrzehnten eine besondere Popularität erfahren, so dass sich Thomas Luckmann zu Anfang der 1990 Jahre gezwungen sieht, das mit dem Begriff verbundene sozialtheoretische Forschungsprogramm gegen den Modebegriff zu verteidigen (vgl. Luckmann 2002: 45ff.). Was ist aber nun die Lebenswelt in einem phänomenologischen und soziologischen Verständnis? 50

Bisher wurde diese mit der natürlichen unreflektierten Einstellung des Alltags weitgehend gleichgesetzt. Sie ist in diesem Sinne der Ort des durch einen Wissensvorrat subjektiv routinisierten Alltags. Handelt es sich bei der Rede von der Lebenswelt also um eine »allgemeine Soziologie des Alltags« (Grathoff 1989: 47)? Der Ort der Lebenswelt ist sicherlich der Alltag und nicht die Welt der Wissenschaft, die wiederum selbst im Alltag aufgehoben ist. Phänomenologische Untersuchungen z.B. bezüglich der Konstitution von Sinn gehen ebenso vom Alltag aus wie die Suche nach allgemeinen und invarianten Strukturen der Lebenswelt. Doch Alltag ist im strengen Sinn nicht gleichzusetzen mit der Lebenswelt und die Soziologie des Alltags beschränkt sich nicht auf die phänomenologische Sozialtheorie. »Die Lebenswelt, im Unterschied zum Alltag ein rein phänomenologischer Sachverhalt, eröffnet sich (sozusagen als ›Hintergrund‹ des Alltäglichen) über den jeweils gewählten empirischen Stil der Untersuchungen des Zusammenhanges von sinnhaft-bewusster Leiblichkeit und alltäglichem Leben.« (Ebd.: 95) Die Lebenswelt ist demnach eine phänomenologische Betrachtungsweise des Alltags, der ihr sodann als die primäre und abgeschlossene Sinnprovinz in Erscheinung tritt. Sie ist der grundlegende Ort sinnlicher Erfahrung, das Hier und Jetzt des Leibes. Dieser Ort der schlichten intersubjektiven Erfahrung ist durch Besonderheiten ausgezeichnet, die nachfolgend vorgestellt werden sollen. Die Lebenswelt wird deshalb als natürliche Einstellung bezeichnet, weil in ihr die Welt weitgehend unreflektiert in die Erfahrung des Subjektes tritt. Weitgehend unreflektiert erfolgt dies deshalb, weil das pragmatische Prinzip der Lebenswelt nur auf eine eingeschränkte Reflexion der Erfahrung fokussiert ist. Reflexion erfolgt nur dann, wenn das alltägliche Handeln auf Probleme stößt. Das Interesse des Akteurs in der Lebenswelt ist praktischer respektive pragmatischer Natur. A »pragmative motive governs our natural attitude toward the world of daily life. World in this sense, is something that we have to modify by our own actions or that modifies our actions.« (Schütz 1970: 73) Es leuchtet ein, dass es sich hier um ein ganz anderes Interesse als z.B. das in der Welt der Wissenschaft handelt. Die bisher geschilderten Aspekte der Konstitutionsanalyse, des subjektiven und objektiven Sinns, der Wissenskonstitution 51

wie auch des Fremdverstehens beziehen sich auf die Lebenswelt als Erfahrungsort. Trotz ihrer Relativitäten, die bestehen, da jeder Mensch sein Leben anders erfährt und es zwischen diesen unterschiedlichen Erfahrungen keine eindeutige Hierarchie bzw. Wertung gibt, hat die Lebenswelt eine eigene allgemeine Struktur, die es gleich näher zu bestimmen gilt. Darüber hinaus besitzt der Begriff der Lebenswelt eine kritische Seite. Seit Husserl ist mit dem Begriff die Kritik der Entfremdung der Wissenschaften von der Lebensgrundlage, eben dem Leben der Menschen selbst verbunden (vgl. Husserl 1996). In die Lebenswelt dringen immer mehr »Idealisierungen« vor allem naturwissenschaftlicher Art ein. Mit dieser Entwicklung, der Verwissenschaftlichung der Welt, geht eine Entfremdung vom Leben einher, das uns dann nunmehr technisch oder rational vorkommt. Blumenberg hat deshalb jüngst betont, dass die Lebenswelt selbst ein utopisches Potential beinhaltet (vgl. Blumenberg 2010).13 Ähnlich verfährt Waldenfels (vgl. Waldenfels 2005), der in einer Schrift zur Phänomenologie des Raumes (des Alltags und der Heimat) das Konzept der Lebenswelt auf Husserl zurückführt und es gegen seine Wirkungsgeschichte richtet. Schütz’ Theorie der Lebenswelt ist allerdings weitestgehend auf die Analyse der natürlichen Einstellung bezogen, so dass sich die ihm anschließende Phänomenologische Soziologie auf die Strukturierung der Lebenswelt begrenzt und das utopische oder kritische Potential außen vor lässt. Dennoch findet sich bei Schütz eine konsequente Ausarbeitung des Lebensweltbegriffs, auf die alle seine Teiluntersuchungen zielen. Lebenswelt wird hier zur Grundlage einer phänomenologischen Soziologie, die ihren Ursprung in der Interaktion der Wirkensbeziehung sozialer Akteure offenlegt: »Das Denken der Welt geht auf das Wirken in der Welt zurück, das nicht nur Sinn, sondern auch Sein hervorbringt und thematisiert.« (Srubar 1988: 267) Srubar sieht mit der Analyse der Wirkensbeziehungen die Ablösung Schütz’ von der transzendentalen Phänomenologie vollzogen. Der Gegenstand der Lebenswelt ist die sinnhafte, soziale, intersubjektive Kulturwelt. Wahrnehmung ist unter diesem Blickwinkel kein lebensweltliches, allerdings ein phänomenologisches Phänomen. Die Konsequenz dieser Wende ist aber, dass die Wahrnehmung unter dem Vorzeichen 52

der Genese in der Lebenswelt nur als sozial formbare denkbar ist. Mit dem Bezug auf die Lebenswelt ist also der Übergang zur Soziologie markiert, so dass nachfolgend Lebenswelt mit Blick auf das Wirken und die Wirkensbeziehungen der Subjekte analysiert werden kann. Lebenswelt erschließt sich dem Subjekt sodann räumlich, zeitlich und sozial begrenzt. Mit Schütz’ Worten ist die Lebenswelt erstens räumlich aufgeschichtet. Sie ist eine Welt in aktueller Reichweite (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 71). Der eigene Körper bildet den Ausgangspunkt der lebensweltlichen Erfahrung, gewissermaßen den Nullpunkt der Reichweite. Die Welt steht dem Körper mittelbar als Erfahrung zur Hand, doch verändern sich durch Bewegung die Schichten der Reichweite. Dennoch bleibt die Welt des Hier und Jetzt immer Welt in aktueller Reichweite, die durch die Sinne begrenzt ist. Um einen anderen, entfernten Ort aufzusuchen, muss ich mich erst dorthin bewegen. Das pragmatische Prinzip der Lebenswelt »first things first« gilt auch für den Raum. So stellt der entfernte Ort eine Welt in potentieller Reichweite dar, der für den Akteur durch Vermögen technischer und physischer Art zu erreichen ist. Dies bedeutet, dass die visuelle Wahrnehmung mit der Erwartung, dass ein entferntes Ding durch Ortsveränderung in aktuelle Reichweite gebracht werden kann, verbunden ist. Die Strukturierung des Raumes ist hier erkennbar durch den Zeitcharakter der Zukunft geprägt. Kennzeichen der Lebenswelt ist, dass sie Orte in wiederherstellbarer Reichweite besitzt. Ich-kannimmer-wieder diesen und jeden Ort, den ich zuvor besucht habe, unter bestimmten Voraussetzungen (Zeit, Aufwand etc.) erreichen. Die räumliche Gliederung der Lebenswelt besitzt eine soziale Dimension. Umgekehrt erstreckt sich über die verschiedenen Ebenen der Sozialwelt ein System räumlicher Gliederung. Die Welt in der aktuellen Reichweite überschneidet sich mit der Welt, die in der aktuellen Reichweite meiner Mitmenschen ist (vgl. ebd.: 75). Die Reichweite ist zudem ein wichtiger Indikator für eine soziale Differenzierung nach Intimität und Anonymität. Die Zone, in die ich durch direktes Handeln einwirken kann, nennt Schütz die Wirkzone. Sie ist gewissermaßen der Kern der Wirklichkeit. Schütz nimmt hier Bezug auf G.H. Mead, der diesen 53

Bereich als »manipulative Zone« bezeichnet. Der Grundtest der Realität in dieser Wirkzone ist die Erfahrung des Widerstandes (der Dinge). Schwierig wird die Rede von der Wirkzone allerdings mit den technologischen Veränderungen der Moderne, die einen qualitativen Sprung in der Reichweite ermöglichen. Man denke z.B. nur an Flugzeuge und das Internet. Es empfiehlt sich vor diesem Hintergrund, die Wirkzone theoretisch aufzugliedern. Die primäre Wirkzone bleibt so die unmittelbare Zone des Wirkens, die sekundäre Wirkzone die, die durch Technologien ausgeweitet wird und die Reichweite möglichen Wirkens beschreibt. Die Lebenswelt ist zweitens zeitlich aufgeschichtet. »Die mir auferlegte, zwangsläufige Zeitstruktur stellt mir den von meiner Endlichkeit bestimmten Lebensplan einen Tagesplan zur Seite. Dieser Tagesplan ist nur mittelbar von den endlichkeitsbedingten Planhierarchien bestimmt, hängt aber unmittelbar vom Prinzip des ›first things first‹, den Zwangsläufigkeiten des Alltags ab.« (Schütz/Luckmann 2003: 85) Was weiter oben unter dem Aspekt der »Dauer des Seins« und dann mit dem Stichpunkt der Reichweite in der Verknüpfung von Raum und zukünftigem Ort schon deutlich wurde, kann nun weiter in Bezug auf die Zeit vertieft werden. Ausgangspunkt bietet hier die Unterscheidung von Weltzeit und subjektiver Zeit (der Bewusstseinsleistung). Die Weltzeit stellt den Bereich der vorgegebenen Zeit wie Wochen, Monate, Jahre, Jahrhunderte dar. In der Lebenswelt sind Transzendenzen auf die Weltzeit gegeben. Ich erfahre die Welt als älter geworden und ebenso weiß ich um die Existenz der Welt vor meiner Geburt und nach meinem Tod. Die Struktur der lebensweltlichen Zeit baut sich nunmehr in Überschneidungen der Weltzeit und der subjektiven Zeit als Bewusstseinsleistung auf. Schütz nennt drei Aspekte, die für die lebensweltliche Zeit bedeutsam sind: 1. Fortdauer/Endlichkeit, 2. Zwangsläufigkeit/»first things first«, 3. Geschichtlichkeit/Situation. (Vgl. ebd.: 87) Die Weltzeit dauert fort, wohingegen die subjektive Zeit durch Geburt/Tod begrenzt ist. In der Lebenswelt der natürlichen Einstellung erfährt der Mensch Endlichkeit und Zwangsläufigkeit der Weltzeit als auferlegt und als Grenze, innerhalb derer sein Handeln möglich ist (vgl. ebd.). So kann ich mich nicht über die Regeln der Weltzeit hinwegsetzen. Analytisch relevant ist, dass sich 54

von dieser Weltzeit gewisse Regeln ableiten lassen, die durch das pragmatische Prinzip des »first things first« konstituiert werden. Um an einen entfernten Ort zu gelangen, muss ich so zuerst (oder womöglich gar nacheinander) einen Zug, ein Auto oder ein Flugzeug besteigen. Ich verbrauche Zeit. Kurz gefasst beschreibt die Welt in aktueller Reichweite die Zeitstruktur der Gegenwart. In ihr bzw. im Wissensvorrat sind Hinweise auf die Vergangenheit (in Form von Sedimentierungen) sowie auf die Zukunft (in Form von zukünftigen Schritten, Handlungen etc.) aufgehoben. Darüber hinaus trägt jedes aktuelle Ereignis notwendigerweise einen Vergangenheits- sowie einen Zukunftshorizont. Die Überschneidung von Weltzeit und subjektiver Zeit lässt sich abschließend noch am Beispiel der Verschränkung von Tagesablauf und Biographie aufzeigen. Der Tagesablauf ist gekennzeichnet durch die subjektive Zeit rein innerer Dauer, der Lebenslauf hingegen ist intersubjektiv ausgeformt und in der relativ natürlichen Weltanschauung festgelegt. Das heißt Kindheit, Jugend, Reife und Alter sind sozial, bzw. als gesellschaftliche Vorstellungen geprägt. Sie sind objektivierte und institutionalisierte Kategorien. Luckmann betont hier, dass diese sozialen Zeitkategorien häufig als natürlich erfasst werden. »Jedenfalls werden die Sinnartikulationen des Lebenslaufes als objektive Bezugs- und Vergleichsgrößen verinnerlicht. Sie bleiben aber in einem Spannungsverhältnis zu den Standardisierungen und Synchronisationen sozialen Handelns einerseits und der Einzigartigkeit des einen Bewusstseins des einzelnen Menschen andererseits.« (Luckmann 2002: 63) Die Lebenswelt ist drittens sozial aufgeschichtet, denn: Es ist die Wir-Beziehung »in der sich die Intersubjektivität der Lebenswelt überhaupt ausbildet und kontinuierlich bestätigt. Die Lebenswelt ist weder meine private Welt noch deine private Welt, auch nicht die meine und die deine addiert, sondern die Welt unserer gemeinsamen Erfahrung.« (Schütz/Luckmann 2003: 109) Dem Subjekt in der Lebenswelt erscheint es ebenso selbstverständlich, dass hier auch andere Menschen (Mitmenschen) leben und dass diese prinzipiell ähnliche Erfahrungen wie das Subjekt selbst machen. Zur Kategorisierung der Lebenswelt als intersubjektiven Ort bemüht die Phänomenologische Soziologie eine »Generalthese der wechselseitigen Perspektiven« (ebd.: 99). Diese Generalthese 55

beruht auf zwei Idealisierungen. 1. der Vertauschbarkeit der Standpunkte und 2. der Kongruenz der Relevanzsysteme. Am besten lässt sich die erste Idealisierung verstehen als Annahme des Subjektes, dass in der Lebenswelt andere Menschen wie ich leben. Die Rede von der Idealisierung meint in diesem Zusammenhang, 1. dass ich glaube, dass Alter Ego an meiner Stelle genau so handeln würde wie ich. Dies setzt voraus, was zuvor unter 2. beschrieben ist, nämlich, dass die Relevanzsysteme von mir und Alter Ego deckungsgleich sind. Dem ist selbstverständlich nur eingeschränkt so, doch im Sinne einer Reduktion von Komplexität funktionieren diese Idealisierungen »bis auf weiteres«. Wir werden später sehen, was es mit dem Funktionieren »bis auf weiteres« auf sich hat. Die soziale Situation in der Lebenswelt basiert weitgehend auf einer face-to-face Beziehung, also auf der zeitlich und räumlich unmittelbaren Erfahrung. Sie ist als solche bestimmt durch eine Du-Einstellung, in der eine andere Person als Person – und nicht als Ding oder ähnliches – erfahren wird. Erfolgt diese Du-Einstellung wechselseitig, kann von einer Wir-Beziehung gesprochen werden. Doch auch die Wir-Beziehung ist lediglich eine vermittelte Beziehung, wenngleich sie die am wenigsten mediatisierte ist (vgl. ebd.: 103). Alter ist notwendigerweise zur Interpretation der Sinndeutungen von Ego veranlasst. Die Wir-Beziehung kann nun genauer nach dem Wie der Beziehung analysiert werden, denn neben der wechselseitigen aufeinander bezogenen Erfahrung und der wechselseitigen Spiegelung sind die Beziehungen selbstverständlich unterschiedlich. Erlebnisnähe und Erlebnistiefe einer jeweiligen Wir-Beziehung sind einzigartig. Hinzu kommt, dass sich sich der Wissensvorrat in einer Beziehung verändert. Die Sozialwelt (der Beziehungen) lässt sich ferner nach mittelbaren und unmittelbaren Erfahrungen sowie nach Graden der Anonymität unterscheiden. Dies gilt es kurz zu erläutern. Betont wurde ja bereits, dass die face-to-face Beziehung in der Lebenswelt bestimmend ist. Diese ist wesentlich durch unmittelbare Erfahrung, also dem direkten Hier und Jetzt geprägt. Auf andere, mittelbare Erfahrungen wird gleich noch eingegangen, doch ist vorab hervorzuheben, dass die Sinnzusammenhänge, die in der Lebenswelt gemacht werden, sich relativ unabhängig vom Charakter der Unmittelbarkeit zeigen. Das bedeutet, dass eine einmal 56

gemachte unmittelbare Erfahrung ihre konstitutiven Züge auch dann behält, wenn jemand aus einer Wir-Beziehung ausscheidet. Alter weiß um seine Beziehung, Einstellung und Meinung zu Ego, auch wenn dieser nicht gegenwärtig ist. Aktuelle unmittelbare Erfahrung wird so zu erinnerter unmittelbarer Erfahrung. Diese erinnerte Erfahrung bleibt nunmehr konkret bis auf Widerruf, d.h. bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein anderes neues Wissen um die Beziehung erworben wird. Es gibt soziale Beziehungen, die sich weitgehend nur in der Unmittelbarkeit der Wir-Beziehung herstellen lassen. Zu denken ist hier an biographische oder biosoziale Beziehungen, wie sie innerhalb der Familie entstehen (vgl. ebd.: 114). Es gibt aber auch soziale Beziehungen, die nicht notwendigerweise in Wir-Beziehungen geführt sein müssen. Schütz und Luckmann geben hier das Beispiel der Herrscher-Untertanen Beziehung an. Es braucht keinen unmittelbaren Kontakt, damit z.B. der Untertan die Macht des Herrschers zu spüren bekommt. Mit der Trennung der unmittelbaren von den mittelbaren Beziehungen ist eine Strukturierung nach Graden der Anonymität direkt verbunden. Je weniger unmittelbar eine Beziehung ist, desto anonymer ist sie. Eine Abstufung der Beziehungen nach Anonymitätsgraden kann wie folgt, ausgehend von der am wenigsten anonymen Beziehung, geschehen: – aktuelle Wir-Beziehungen, – frühere Wir-Beziehungen, die jetzt bloß Beziehungen zu einem Zeitgenossen sind; als wiederherstellbare oder als nicht wiederherstellbare Beziehungen, – Beziehungen zu Mitmenschen, also z.B. zu Wir-Beziehungen meiner Freunde, – Beziehungen zu Zeitgenossen (Ihr-Beziehungen), um deren persönliche Existenz ich weiß, – Beziehungen zu Zeitgenossen, um deren Existenz ich aufgrund meines Wissens um die Sozialwelt weiß. Die ersten beiden Beziehungen wurden bereits besprochen. Bei den Beziehungen zu bloßen Mitmenschen liegt ein höherer Grad an Anonymität deshalb vor, weil das Wissen um die Person nur 57

über eine mit mir in einer Wir-Beziehung stehenden vermittelt ist. Die Beziehung zu den Zeitgenossen stellt einen besonderer Fall dar, denn diese sind nicht leiblich anwesend. Sie bilden sich als anonymer Typus durch Syntheseleistungen in der Auslegung des Wissensvorrates von der Sozialwelt. Ich muss also nicht persönlich um die Existenz eines Zeitgenossen wissen, um zu wissen, dass es ihn gibt. Das Wissen um Zeitgenossen beruht auf Vorstellungen, Zuschreibungen und Typisierungen. Zu denken ist hier zum Beispiel an den Briefträger, um den ich weiß, wei mir jeden Morgen die Post zugestellt wird, auch wenn ich nicht zu Hause bin. Schütz fasst dies so zusammen: »Während soziale Beziehungen zwischen Mitmenschen auf die Du-Einstellung fundiert sind, beruhen soziale Beziehungen zwischen Zeitgenossen auf der IhrEinstellung. Während also soziale Begegnungen in der wechselseitigen Spiegelung der unmittelbaren Erfahrung des Anderen verlaufen, bestehen soziale Beziehungen zwischen Zeitgenossen in der Erfassung des Anderen als ein[…] Typus.« (Schütz/Luckmann 2003: 129) Abschließend muss erwähnt werden, dass es Typisierungen selbstverständlich auch in der Beziehung zu Mitmenschen gibt, doch besteht in dieser Beziehungskonstellation, anders als beim Zeitgenossen, die Möglichkeit, dass Typisierungen eine Umformung in einen face-to-face Kontakt erhalten. Wie bereits aus dem Gesagten ersichtlich, zeichnet sich die Sozialwelt durch Übergänge von einer zur anderen Beziehungsform aus, so z.B. von der Wir- zur Ihr-Beziehung, als Prozess einer Anonymisierung. Mit Blick auf die bisherigen Ausführungen kann zusammenfassend festgehalten werden, dass man über den Anspruch der Phänomenologie, universale und letztgültige Strukturen der Lebenswelt offenzulegen, streiten kann (vgl. Waldenfels 2005: 19f.). Zu trennen ist aber zwischen den von Schütz aufgestellten Postulaten, die auf eine Soziologie zielen, und den ursprünglichen Ideen der Phänomenologie. Schütz’ Auslegungen bauen zwar auf Husserls Philosophie auf, zielen aber auf eine nicht transzendentale intersubjektive Lebenswelt. Damit ist der soziologisch-empirischen Forschung die Tür geöffnet, die z.B. nach den kulturellen Formungen bzw. Auslegungen lebensweltlicher Sinngebung suchen kann. Mit der Analyse der Sinnkonstitution und der räum58

lichen, zeitlichen und sozialen Aufschichtung der Lebenswelt ist kein Anspruch universaler Geltung mehr erhoben. Eine so geartete Forschung ist nicht zuletzt verbunden mit Fragen, die in Zeiten globalisierter kultureller Erfahrungen nach kultureller Einheit und Differenz gestellt werden. Wir werden diese Fragen später anhand von empirischen Beispielen diskutieren, blicken aber zuvor noch auf die Anwendungsmöglichkeiten und die Konsequenzen für die Untersuchung des Sozialen, die mit dem phänomenologisch-soziologischen Theorieapparat gegeben sind.

6. Anwendungsbeispiele: Der Fremde (1944) und Der Heimkehrer (1945) Wie ist nun diese phänomenologisch-soziologische Theorie anzuwenden, bzw. wie ist die Struktur der Lebenswelt empirisch zu vermessen? Alfred Schütz gibt selbst in einer Reihe von Aufsätzen Mitte der 1940er Jahre Antworten, in denen er wegweisende Beispiele für die Anwendung der Lebenswelttheorie gibt. Nachstehend soll daher exemplarisch auf die Studien zum Fremden (The Stranger, Schütz 1944) und dem Heimkehrer (The Homecomer, Schütz 1945) eingegangen und auf ihre Verknüpfung mit der zuvor dargestellten Theorie verwiesen werden. Ausgangspunkt des Essays The Stranger ist eine Situation, in der sich ein Fremder dem kulturellen Muster einer anderen sozialen Gruppe gegenübersieht. Dieser Fremde in seiner Beziehung zur heimischen sozialen Gruppe (in-group) wird von Schütz u.a. verglichen mit einem Anwärter auf Mitgliedschaft in einem geschlossenen Club (vgl. Schütz 1944: 499). Die kulturellen Muster des Gruppenlebens verhalten sich für ein Mitglied der Gruppe, für einen Fremden und natürlich auch für einen wissenschaftlichen Betrachter, der im gewissen Sinn mit einem Fremden verglichen werden kann, jeweils anders. Wir treffen hier auf die bekannte Beschreibung unterschiedlicher Relevanzsysteme. Für einen Beobachter bzw. Wissenschaftler zählt in der Lebenswelt Observation, Beschreibung und Klassifizierung, für einen Akteur ist hingegen

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die Erfahrung ausgerichtet auf gegenwärtiges und zukünftiges Handeln (vgl. ebd.: 500). Betrachtet man Handeln und Denken in der Lebenswelt soziologisch, dann stellt sich dieses nicht homogen, sondern inkohärent und nicht frei von Widersprüchen dar. Dies gilt ebenfalls für den Wissensvorrat. Für die in-group, jene Gruppe, die dem Fremden gegenübersteht, erscheint der Wissensvorrat allerdings ausreichend kohärent, deutlich und konsistent ausgeprägt, um jedem Mitglied der Gruppe die Chance zu geben, verstanden zu werden sowie andere Gruppenmitglieder zu verstehen. Dies ist Kennzeichen jener Einstellung, in der das Subjekt die Lebenswelt als selbstverständlich, als natürlich ansieht und in der das Handeln bis auf weiteres als Rezeptwissen funktioniert. Hiermit wird auf die Idealisierung des »Ich-kann-immer-wieder« verwiesen. Der Wissensvorrat steht der in-group als Rezeptwissen für Handlungen, aber auch als Schema der Interpretation zur Verfügung. Was Schütz im Aufsatz als »thinking as usual« bezeichnet, ist verknüpft mit der Idealisierung des »Ich-kann-immer-wieder«, unter der Annahme, dass das Sozialleben bleibt wie bisher. Das Subjekt der in-group geht davon aus, dass es auf sein angesammeltes Wissen vertrauen kann. Es glaubt, dass im Gegensatz zu einem Tiefenwissen, ein Wissen »über« ausreicht, und dass sein Rezeptwissen und seine Schemata keine Privatangelegenheit sind, sondern auch von den Mitmenschen geteilt werden. Dies alles gilt nicht für den Fremden, der nicht wie die in-group auf deren kulturelle Muster, auf deren Wissensvorrat und auch nicht auf die eben skizzierten Annahmen zurückgreifen kann. Er verweilt in den kulturellen Mustern seiner eigenen Gruppe. Dem Muster einer Gruppe also, welches er aufgrund seiner Biographie verinnerlicht hat. Ein »thinking as usual«, um die Lebenswelt zu interpretieren, kann nur scheitern, insofern sich sein Referenzschema als inadäquat für die soziale Situation erweist. Der Fremde wird sich nun des Umstandes bewusst, dass »an important element of his ›thinking as usual‹, namely his ideas of the foreign group, its cultural pattern, and its way of life, do not stand the test of vivid experience and social interaction.« (Schütz 1944: 503) Dies führt ihn zwangsweise zu der Erkenntnis, dass eine andere Form des Wissens notwendig ist, um in der neuen Situation, der neuen Gruppe und ihrer Form 60

der Auslegung der Lebenswelt erfolgreich handeln zu können. Zunächst ist er aber darauf angewiesen, die ihm vorgefundene Situation zu definieren. Es geht dem Fremden darum, den Sinn der Situation zu erschließen, den er nicht ohne weiteres zur Hand hat. Erst dann kann sich allmählich das Schema der Interpretation des Fremden verändern, bis sich eine Kompatibilität seiner Interpretation mit seinen Erfahrungen einstellt. Ist dies vollzogen, kann eine Transformation und Erweiterung des Wissensvorrats und des Relevanzsystems erfolgen. Der Fremde darf sich also, will er die Spaltung zwischen sich und der Gruppe überwinden, nicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden vagen Wissen um die neue Kultur zufrieden geben, sondern muss vielmehr neben der Frage des »was« (die in-group tut) auch die des »warum« (die in-group dieses tut) beantworten. Nur so ist die anfängliche Inkongruenz der jeweiligen Relevanzsysteme zu überbrücken und es stellt sich für ihn ein neues Verhältnis zwischen Anonymität und Typizität sozialer Handlungen ein. Er ist bis dahin darauf angewiesen, individuelle Handlungsweisen als typisch anzusehen, so dass er auf diesen eine (weil eben nur abgeleitete) Pseudo-Typizität aufbauen kann. Die kulturellen Muster der Gruppe, in die der Fremde aufgenommen werden will, bleiben für ihn ein Abenteuerfeld (vgl. ebd.: 506); eine schwer zu meisternde problematische Situation. Das Beispiel des Heimkehrers (Schütz 1945) zeigt, dass sich dessen Einstellungen von denen des Fremden unterscheiden, auch wenn er sich in einer ähnlichen Situation befindet. Der Heimkehrer erwartet, in eine vertraute Umgebung zurückzukehren, um die er vormals »intimes« Wissen besaß und in der er – so seine Annahme – sich aufgrund dieses Wissens problemlos bewegen kann. Anders als der Fremde geht der Heimkehrer davon aus, sich nur auf seine frühere Erfahrung berufen zu müssen, um sich der in-group, bzw. der home-group anschließen zu können. Aber auch er erlebt einen »Schock«. Schütz bemüht zur Veranschaulichung das Beispiel des Veteranen und das des Reisenden, die beide nach längerer Abwesenheit zurückkehren. Die Besonderheit der Situation des Heimkehrers ist mit dem Gefühl des Zuhauseseins bzw. mit der besonderen Struktur dieses Zuhauseseins verbunden: »›To feel at home‹ is an expression of the highest degree of familiarity and intimacy. Life at home follows an organized pattern of 61

routine; it has its well-determined goals and well-proved means to bring them about, consisting of a set of traditions, habits, institutions, timetables for activities of all kinds etc.« (Schütz 1945: 370) Das Zuhause der home-group ist demnach eine besondere Ausprägung der Lebenswelt. Hier, wie in der Lebenswelt allgemein, werden z.B. auch routinisierte Handlungsschemata für das Aufkommen von Neuem bereitgestellt (vgl. ebd.: 371). Im Bereich der Sozialen Beziehungen ist die Primärgruppe bestimmend, die wiederum weitgehend durch intime face-to-face Kontakte geprägt ist. Besonderes Merkmal ist die überwiegend zeitliche und räumliche Gemeinsamkeit der Akteure. Für den Bereich der zeitlichen Überschneidung gilt, dass ein jeweiliges Wahrnehmen des Anderen im inneren des Subjektes erfolgt. Dies verweist auf den besonderen Typus der Wir-Beziehung. Das Leben der Anderen in einer WirBeziehung nimmt wesentlich Anteil an der eigenen Biographie. Die vielfältigen primären Beziehungen bestimmen zu einem großen Teil die eigene persönliche Geschichte mit (vgl. ebd.: 372). Im Gegensatz zur Lebenswelt der home-group bestehen die Wir-Beziehungen des Heimkehrers vorrangig aus Erinnerungen an eine vergangene Zeit. In ihnen findet die eigene Weiterentwicklung, wie die Weiterentwicklung der Gruppe, keine Berücksichtigung. Nach Schütz erhalten die Erinnerungen daher den Charakter bloßer Typen, mit denen eine Deformierung der Struktur des Relevanzsystems einhergeht (vgl. ebd.). So bleibt eine Person beispielsweise nur noch in der Erinnerung oder in Photographien und Zeugnissen präsent. Die Idealisierung des »Und-so-weiter« und des »Ich-kann-immer-wieder« sind insofern relevant, dass sie dem, der aus der Wir-Beziehung ausscheidet, suggerieren, dass das bisher angesammelte Wissen sowie die sich daraus ergebenden Typisierungen relevant bleiben. Kurzum herrscht auf Seiten des Heimkehrers die Annahme, dass das Leben so weitergeht wie bisher (vgl. ebd.: 373). »But separating conceals the other behind a strange disguise, hard to remove.« (Ebd.) »[…] it is unfortunately an unwarranted assumption that social functions which stood the test within one system of social life will continue to do so if transplanted into another system.« (Ebd.: 375) Seitens der homegroup muss der Wandel bzw. die Veränderung, die sich in ihrer Lebenswelt vollzogen hat, nicht unbemerkt bleiben. Er stellt sich 62

ihr allerdings als kontinuierlicher und daher eher unbemerkter Wandel dar. Es ist ein Wandel des Systems als Ganzes mit seinen Mitgliedern, an dessen Ende möglicherweise andere Ziele, andere Relevanzen und Sinndeutungen als zuvor stehen. Der Heimkehrer weiß zwar um den allgemeinen Stil des kulturellen Musters der Gruppe, die er verlassen hat, doch ist er, ebenso wie die Gruppe, in die er zurückkehrt, nicht mehr derselbe. Schütz betont deshalb die Irreversibilität innerer Zeit und mit ihr der Irreversibilität der gemachten Erfahrung. Für beide, die home-group wie den Heimkehrer, ist es schwer bis unmöglich, die Erlebnisse des Anderen nachzuvollziehen. Ebenso wie für den Fremden muss für den Heimkehrer ein schwieriger Prozess der Anpassung erfolgen. Mit diesen Fallbeispielen hat Schütz selbst Anwendungsmöglichkeiten der Phänomenologischen Soziologie gegeben. Wir werden im weiteren Verlauf der Einführung, besonders aber im Abschnitt zur aktuellen Forschung, weitere Anwendungsbeispiele diskutieren. Nachstehend wird zunächst der Blick auf die weitere Entwicklung des Ansatzes gelenkt.

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IV. Einordnung im Feld der Soziologischen Theorien: Interpretative Ansätze Es ist gemeinhin üblich, die Phänomenologische Soziologie im Feld der interpretativen Theorien zu verorten. Neben der Phänomenologischen Soziologie werden hierzu der symbolische Interaktionismus, die Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (s. Kap. VI), die Ethnomethodologie sowie die Arbeiten des Sozialpsychologen George H. Mead (1863-1931) und des Soziologen Erving Goffman (1922-1982) gezählt (vgl. Abels 1998, Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1980). »Soziale Beziehungen sind interpretative Prozesse insoweit, als die Handlungen dem Handelnden einen Sinn unterstellen und das Handeln seinem Sinn nach auf andere Handelnde bezogen ist. Handeln setzt daher die interpretative Rekonstruktion der im Handeln enthaltenen Interpretationen voraus.« (Reinhold 1992: 278) Gemeinsames Merkmal dieser mikrosoziologischen Ansätze ist, dass sie in Interaktionsbeziehungen von Subjekten ein Interesse an den von diesen Subjekten vollzogenen Interpretationsleitungen haben. Sie wenden sich vor allem alltäglichen Situationen zu, die zunächst selbstverständlich und »natürlich« erscheinen. Interpretative Ansätze gehen davon aus, dass in diesen alltäglichen Wechselbeziehungen zwischen den Subjekten auch immer eine Interpretation erfolgt. So wird z.B. selbst in einer kleinen Geste wie dem Grüßen (dem Heben des Hutes) die Situation interpretiert und ihr somit ein Sinn zugesprochen. Dies geschieht auch, wenn sich der Vorgang nahezu automatisch vollzieht. Die Interpretation der Geste (des Grüßens) kann folgendes Muster haben: Ich nehme an, dass derjenige, der mich grüßt, mich kennt. Im Verhalten bzw. in der Handlung, die auf die Geste folgt, wie z.B. dem Erwidern des Grußes, wird der Sinn, der dieser Situation zugesprochen wurde, angezeigt. Es ist also erst die Reaktion, die der vorangegangenen Handlung einen Sinn gibt. Anders herum gilt: Eine Handlung oder Geste ohne Erwiderung (Reaktion) ist keine Interaktion und kann nicht als sinnhaft verstanden werden. Für die interpretativen Ansätze steht ferner fest, dass der Sinn, dem eine Handlung zugesprochen wird, sozial bzw. zu weiten Teilen gesellschaftlich konstruiert ist. Er entsteht zuvorderst aus 64

der Interaktion von Subjekten miteinander. Das meint aber auch: Der Sinn, der einer Handlung zugesprochen wird, muss zuerst erlernt, bzw. durch die jeweilige Gesellschaft (Kultur, Subkultur) vermittelt worden sein. Die Sinnzuschreibungen (einer bestimmten Handlung) unterscheiden sich deshalb nach Gesellschaft bzw. Kultur. Dennoch verschwindet für die interpretative Soziologie das handelnde Subjekt nicht hinter den gesellschaftlichen Normen. Das Subjekt ist handelnd im Alltag orientiert; es ist nicht zweckrational und besitzt die Möglichkeit, vom geraden Weg abzuweichen und nicht eindeutig in seinem Verhalten zu sein. Soziales Handeln ist wesentlich dadurch geprägt, dass Menschen eine Situation definieren und eine gemeinsame Sichtweise der Wirklichkeit aushandeln. Soziales Handeln ist dadurch gekennzeichnet, dass Subjekte Situationen einen Sinn zuschreiben. Der einer Handlung zugeschriebene Sinn gerinnt schließlich zu Symbolen, die vom Subjekt gespeichert werden und auf künftige Handlungen übertragen werden können. So kann z.B. das Symbol des Huthebens fortan als Geste des Grüßens interpretiert werden. Diese Symbole (zugeschriebener Handlungen) unterliegen allerdings einer sozialen Dynamik, so dass es immer wieder möglich ist, neue Symbole zu generieren oder alten Symbolen neue Inhalte zuzuschreiben. Mit diesen Hinweisen zur Interpretationsleistung der Subjekte ist aber nur eine Seite des interpretativen Paradigmas14 angesprochen, denn Interpretation spielt nicht nur im Alltag eine Rolle, sondern ist auch eine Methode15 innerhalb der Sozialwissenschaft. Wie oben bereits von Reinhold angesprochen, geht es auf der anderen Seite auch um die interpretative Rekonstruktion der im Handeln enthaltenen Interpretationen. Als Aufgabe der Soziologie – die Rekonstruktionsleistung kann auch alleine vom Subjekt vollzogen werden – ist hier eine interpretative Vorgehensweise in der empirischen Analyse des sozialen Handelns gemeint, die z.B. nach dem Sinn fragt, welchen das Subjekt seinem Handeln zu Grunde legt, bzw. wie für das Subjekt Sinn entsteht. Was unter dem interpretativen Paradigma genau verstanden wird, lässt sich am Beispiel des Sozialpsychologen, Philosophen und »Gründervaters« der Chicago-School George H. Mead aufzeigen, der gleichzeitig als geistiger Stifter dessen, was später 65

symbolischer Interaktionismus genannt wird, gelten kann. Auch wenn Mead in manchen seiner Aspekte eine gewisse Nähe zur Phänomenologie aufweist und er sich mit der Lebenswelt auseinandergesetzt hat (vgl. Mead 1983), ist er kein Phänomenologe; er widerspricht gar mit seinem Identitätskonzept den auf das Individuum selbst zurückgeführten Erklärungen von Husserl. Mead »beschreibt das soziale Handeln wesentlich als Übernahme von Rollen durch den Handelnden. Im Zuge dieser Rollenübernahme muss das Individuum das Rollenmuster in seinem Handeln konkretisieren und dabei einen eigenen Beitrag leisten.« (Miebach 2010: 25) Doch geht Meads Ansatz nicht in einer Rollentheorie auf; er fragt nach den subjektiven Mustern, die z.B. der Rollenübernahme zugrunde liegen. Dies macht bereits der Titel seines postum herausgegebenen Bandes gesammelter Vorlesungen »Geist, Identität und Gesellschaft« deutlich. Mead interessiert sich für die Interaktion von Alter und Ego: »Das ›Ich‹ reagiert auf die Identität, die sich durch die Übernahme der Haltungen anderer entwickelt. Indem wir diese Haltungen übernehmen, führen wir das ›ICH‹ ein und reagieren darauf als ein ›Ich‹.« (Mead 1973: 217) Ein wesentlicher Aspekt der sozialen Interaktion ist die Herausbildung von Identität. Mead unterscheidet hierzu das Ich (im Englischen: I) vom ICH (dem Englischen: me).16 Das ICH kennzeichnet die Haltungen (Werte, Meinungen, Vorstellungen, Ideen) Anderer, auf die das Ich (z.B. durch Übernahme dieser Haltungen) reagiert. Möglich ist dies, weil der Mensch im Gegensatz zu anderen Lebewesen die grundsätzliche Fähigkeit besitzt, die Haltungen Anderer einzunehmen. Das ICH ist also der Ausschlaggeber der Identität des Subjektes, die nur durch die Gesellschaft, durch gesellschaftliche Kontrolle möglich ist und durch das Wechselspiel von Ich und ICH, von Subjekt und Gesellschaft, dem Einzelnen und der Gemeinschaft entsteht. »Das ›ICH‹ verlangt nach einem bestimmten ›Ich‹, insoweit wir die Verpflichtungen erfüllen, die im Verhalten selbst auftreten, doch ist das ›Ich‹ immer ein wenig verschieden von dem, was die Situation selbst verlangt.“ (Ebd.: 221) Mead macht damit deutlich, dass das Subjekt nicht vollends in der Gesellschaft aufgeht. Das Subjekt, im Terminus von Mead: das Ich, ist zwar einem gesellschaftlichen Druck ausgeliefert, doch hat es Spielräume wie es mit diesen Haltungen umgeht. Es bleibt 66

verschieden von den gesellschaftlichen Haltungen, die an es herangetragen werden. Nimmt man diese Aussage ernst, so wird verständlich, dass auch die Möglichkeiten des Handelns ebenso offen bleiben wie das Handlungsergebnis und dass nicht etwa eine Handlung direkt aus den gesellschaftlichen Haltungen (Werten, Normen) deduziert werden kann. Der Handlungsvollzug, die Möglichkeiten, so oder so zu handeln wie auch das Ergebnis sind allerdings offen, weil die Handlung selbst prozesshaft ist. Es besteht noch im Prozess (des Handelns) die Möglichkeit, eine Handlung umzusteuern. Dennoch bleibt die Handlung sinnhaft und erscheint dem Subjekt nicht als willkürlich. Wirklichkeit entsteht in dieser Perspektive aus der konkreten Situation, in der sich der Handelnde und sein Gegenüber befinden. Die Frage, wie sich sozialer Sinn (für den Handelnden) konstituiert, beantwortet Mead, indem er die Handlung in ihrem interaktiven Kontext analysiert. Er skizziert dazu eine Dreiecksbeziehung, bestehend aus der Geste (z.B. dem Grüßen), der Reaktion (dem Erwidern des Grußes) und der Resultante der gesellschaftlichen Handlung (der Akzeptanz des Huthebens als Grüßen im öffentlichen Raum). Dieses Dreieck ist die Grundlage sozialen Sinns. Sinn konstituiert sich in diesem Dreieck durch die Reaktion auf eine Handlung, mit der immer auch ein Verweis auf eine gesellschaftliche Haltung gegeben ist. Darüber hinaus weist Sinn Teilnahme und Mittelbarkeit aus und ist bereits in der Grundstruktur gesellschaftlichen Handelns impliziert (vgl. Mead 1973: 121). Teilnahme meint, dass eine von einem anderen Individuum ausgelöste Handlung auch in ihm selbst ausgelöst werden kann. Mittelbarkeit verweist auf das Ergebnis dieser Teilnahme, nach dem der Handelnde durch sein Handeln sich selber das gleiche wie anderen aufzeigen können muss, damit diese Handlung bedeutsam ist. Meads Einfluss auf die Chicago School der Soziologie ist kaum zu überschätzen (vgl. Smith 1988). Herbert Blumer (1900-1987), Schüler von Mead, erfindet letztlich den Begriff des Symbolischen Interaktionismus, der die Idee der situativ hergestellten Wirklichkeit soziologisch wendet und der nahezu das vollständige Meadsche Programm beinhaltet. »Man kann die Kernannahmen, die Blumer aufgestellt hat, in einem Satz zusammenfassen: Nach der 67

Theorie des Symbolischen Interaktionismus handeln Individuen, indem sie sich und anderen die symbolische Bedeutung ihres Handelns anzeigen.« (Abels 1998: 58) Handlung kann auch auf Grundlage der Bedeutung von Dingen erfolgen, die diese für die Handelnden haben. So beeinflusst die Beziehung zu einem Ding die Handlungen des Subjektes. Der hier offensichtliche Bezug zur Phänomenologie (»zurück zu den Sachen«) darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Interpretative Soziologie nicht nach einem Wesenskern (der Dinge) fahndet, sondern nach deren Bedeutung, die ihnen z.B. von anderen zugesprochen wird. Symbolischer Interaktionismus heißt diese Strömung deshalb, weil für die Interaktionspartner die Bedeutung (Symbole) der Gesten annähernd gleich sein müssen, damit eine Interaktion bedeutsam ist bzw. überhaupt vollzogen werden kann (vgl. Reiger 2007: 142). Die Frage nach dem Sinn des Handelns für das Subjekt erfährt mit der Ethnomethodologie (vgl. Coulter 1990) eine Radikalisierung. In gewisser Weise kann Ethnomethodologie als Wendung der Schütz’schen Theorie einer Phänomenologischen Soziologie in ein empirisches Forschungsprogramm verstanden werden. Einige Hinweise zum Selbstverständnis der Ethnomethodologie zeigen allerdings, dass sich diese auch in ihrem Erkenntnisinteresse von der Schütz’schen Phänomenologie unterscheidet. Gesucht wird von den Vertretern dieses Ansatzes – neben dem Begründer Harold Garfinkel (1917-2011) ist vor allem Harvey Sacks (1937-1975) zu nennen – eine adäquate Beschreibung der sozialen Welt. Diese Beschreibung darf aber nicht, wie z.B. die strukturfunktionale Theorie Talcott Parsons (1902-1979), gegen den sich die Ethnomethodologie programmatisch richtet, den Akteur als bloßen Ausführenden kultureller Werte darstellen. Überhaupt kann nach Auffassung der interpretativen Ansätze eine Makrosoziologie funktionaler Systeme kaum etwas über die Wirklichkeit und den Alltag konkreter Individuen sagen. Die Soziale Ordnung, die sowohl für Parsons als auch für die Ethnomethodologie von Interesse ist, wird für letztere zuvorderst durch alltägliche kommunikative Leistungen aufrecht gehalten. Diese (kommunikative) Konstruktion der Wirklichkeit ist nie abgeschlossen. Um den kommunikativen und durch Handlungen konstruierten Alltagsrahmen aufzudecken, stellt die Ethnomethodologie eben jenen 68

Alltagsrahmen experimentell in Frage, in dem sie z.B. konsequent nach dem »warum« bzw. dem »wie« einer Handlung sucht. Wie eine Handlung vollzogen wird, steht dabei im Erkenntnisinteresse der Ethnomethodologie, so dass z.B. anhand von Experimenten aufgezeigt werden soll, nach welchen Mustern und Strukturen, eben nach welchen Methoden dies geschieht. Die Frage nach dem »warum« zielt hier eher auf ein komplexes Forschungsprogramm, das die Subjekte ihre jeweiligen Handlungen bis ins kleinste Detail begründen lässt. So soll offen gelegt werden, wie sich sozialer Sinn für die Subjekte anhand konkreter Alltagspraktiken erzeugt. Die Ethnomethodologie17 ist gelegentlich auch als »radikale Soziologie« (Eickelpasch 1983: 62ff.) bezeichnet worden, weil sie die Suche nach subjektivem Sinn (mittels Experimenten) auf die Spitze getrieben hat. Der Name Ethnomethodologie erklärt sich daraus, dass eben jene Methoden untersucht werden, welche im Alltagshandeln selbstverständlich angewandt werden. Diese kann man Ethnomethoden nennen. Es sind Methoden der Menschen im Alltag, basierend auf kommunikativer und symbolisch angezeigter sozialer Interaktion. Alles, was bisher allgemein zu den Interpretativen Theorien innerhalb der Soziologie gesagt wurde, gilt auch für die Phänomenologische Soziologie. Wie bereits dargestellt, interessiert sie sich für die Interpretationsleistungen der Subjekte, die diese im Alltag vollziehen. Von Bedeutung ist für sie ebenfalls die Frage, wie sich sozialer Sinn konstituiert. Im Kern des Interesses der Phänomenologischen Soziologie stehen der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt sowie die Analyse der Strukturen der Lebenswelt. Ein Einstieg in die phänomenologisch-soziologische Forschung ist mit der Frage nach dem subjektiven Sinn gemacht, den der Handelnde seiner Handlung unterstellt. Die Phänomenologische Soziologie teilt mit anderen Ansätzen aus dem Feld der interpretativen Ansätze ein Interesse für bestimmte Autoren. Im Profil der Phänomenologischen Soziologie sind Einflüsse der Sozialpsychologie von William James (18421910), aber auch von Charles Horton Cooley (1864-1929) deutlich erkennbar. Cooley geht ebenfalls wie James davon aus, dass der Mensch sich selbst nur durch das Spiegelbild der anderen erkennt. 69

Die Tatsache allerdings, dass sich die Phänomenologische Soziologie grundlegend mit der Frage auseinandersetzt, wie das einzelne Subjekt Sinn innerhalb der Lebenswelt für sich herstellt, wie sich ihm die Wirklichkeit als Wissen darstellt, verweist auf die Tradition der Phänomenologie und ihre Prämisse, das Subjekt als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung zu setzen.

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V. Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie Obgleich sich die Phänomenologische Soziologie nicht in einer Exegese des Werkes von Alfred Schütz erschöpft, kommt der Weiterentwicklung des Schütz’schen Programms eine große Bedeutung zu. Gerade aufgrund der singulären Stellung, die Schütz für diese Strömung innehat, ist die späte Entdeckung seines Werks bemerkenswert. Die breite Rezeption von Schütz in Deutschland setzt erst mit der Rückkehr von Thomas Luckmann aus den USA nach Frankfurt (1965) und dem Erscheinen der »Social Construction of Reality« (zusammen mit Peter Berger; vgl. Kapitel 6), der wissenssoziologischen Weiterführung des Schütz’schen Programms, ein. Luckmann kommt also in der post-Schütz’schen Phänomenologischen Soziologie eine besondere Rolle zu, so dass gleich noch ausführlich auf ihn eingegangen wird. Neben Peter Berger und Thomas Luckmann tritt in den USA in den späten 1960er Jahren eine neue Generation an Wissenschaftlern, wie z.B. George Psathas und Edward A. Tiryakian, das Erbe der Phänomenologischen Soziologie an. Die auf Schütz aufbauende Ethnomethodologie (Garfinkel) sowie die Konversationsanalyse (Sachs) bilden sich zur gleichen Zeit allmählich als eigenständige Ansätze heraus. Es bleibt in der Nachfolge von Alfred Schütz bis heute nicht aus, die Bestandteile der Phänomenologischen Soziologie zu bestimmen und deren Inhalte und Verknüpfungen offen zu legen. Martin Endreß weist im Kontext der aktuellen Diskussion um die Erforschung der Lebenswelt sieben Aspekte der Schütz’schen Theorie aus, die noch nicht abschließend geklärt sind (vgl. dazu Endreß 2005: 4f.). – die Diskussion um den Status der Phänomenologischen Methode als Protosoziologie oder als empirische soziologische Forschung, – die Diskussion der Handlungstheorie im Kontext anderer Handlungskonzepte wie z.B. dem Rational-choice-Ansatz, – die Diskussion um Vertrauen als Kategorie kooperativer Interaktion,

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– die Diskussion um die anthropologischen Fundierung der Soziologie durch die Phänomenologie, – die Diskussion um die genetischen Mechanismen der Lebenswelt, welche vor allem die Frage nach der Konstitution von Sinn hervorheben, – die Anknüpfung an die kritische Diskussion der feministischen Soziologie, – die Erweiterung der Diskussion um die Lebenswelt um Aspekte des interkulturellen Verstehens. Nachstehend sollen zumindest einige dieser aktuellen Rezeptionslinien aufgegriffen werden und zum einen mit Namen wichtiger Vertreter, zum anderen mit Ausführungen zur Weiterentwicklung bzw. Fortführung des Schütz’schen Programms verbunden werden. Nach Bemerkungen zu Thomas Luckmann und der Frage der Institutionenbildung beinhaltet das nachstehende Kapitel Hinweise zu einer Soziologie des Alltags. Alltagssoziologie stellt in den USA im gewissen Sinne eine »Transformation« der Lebenswelttheorie dar. Große Bedeutung wird in der Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie derzeit der Theorie der Lebenswelt sowie den Möglichkeiten des interkulturellen Verstehens zugesprochen. Abschließend wird daher auf die Diskussion um die Entfaltung der Lebenswelttheorie in unterschiedliche Dimensionen und die Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Verstehens eingegangen.

1. Thomas Luckmann und die Bildung von Institutionen Zu Thomas Luckmann (geb. 1927) wurde bereits angemerkt, dass er als »Co-Autor« für die postume Fertigstellung der Strukturen der Lebenswelt verantwortlich ist. Er wird deshalb üblicherweise auch als ein Vertreter und Wegbereiter des interpretativen Paradigmas innerhalb der Soziologie angesehen. Neben seinen Arbeiten zur Religionssoziologie hat Luckmann wichtige Beiträge zur Festigung der Phänomenologischen Soziologie geleistet, die hier nur unvollständig wiedergegeben werden könne.18 Luckmann stellt konsequent den protosoziologischen Charakter der Phäno72

menologischen Soziologie heraus. In seiner eng an Husserl gebundenen Interpretation hat die Phänomenologische Soziologie die Aufgabe, die allgemeine Struktur von Bewusstseinsakten und Konstitutionsprozessen offenzulegen, auf die sich eine soziologische Analyse berufen kann. Dies kann dann z.B. in einer Analyse individueller und gesellschaftlicher Wissensbestände erfolgen. Die Fortführung und Erweiterung des Schütz’schen Programms durch Luckmann lässt sich exemplarisch an der Frage nach dem Verhältnis von Handeln und Institutionenbildung aufgreifen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind die von Schütz formulierten handlungstheoretischen Annahmen. Ihnen zufolge ist 1. soziales Handeln immer am Anderen orientiert. Luckmann betont hier allerdings, dass, je nach gesellschaftlichem Weltbild, auch Dinge als Andere betrachtet werden können. 2. ist die Erwartbarkeit der Antwort sozialen Handelns Grundstruktur der Intersubjektivität. Ein von Schütz, aber auch von der Gesellschaftstheorie vernachlässigtes Problem sieht er nun in der Bestimmung des Verhältnisses von Handeln und Institutionen bzw. in der Frage, wie sich die Ausbildung von Institutionen durch Handeln vollzieht, gegeben (vgl. Luckmann 2002). Dies ist sicherlich keine protosoziologische, sondern eine zutiefst soziologische Frage, die zudem auf Webers handlungstheoretischer Annahme beruht, nach der jedes soziale Gebilde sich auf soziales Handeln zurückführen lässt. Wir können uns den Institutionen theoretisch über den Wissensvorrat nähern. In der Auslegung der Phänomenologischen Soziologie ist die Bildung eines Wissensvorrates als relevanter Aspekt zur Routinisierung von Handeln betont worden. Was immer an Typisierungen im Entwurf und Vollzug wechselseitigen gesellschaftlichen Handelns ursprünglich eingebracht wurde, wird in der kulturellen Bewährung modifiziert, verifiziert, verfestigt und bei Wiederholung gewohnheitsmäßig angewandt (vgl. Luckmann 2002: 109). Wie entstehen aber nun aus dem subjektiven Wissensvorrat Institutionen, die doch letztlich auf gemeinsame Anerkennung und Verpflichtungen zielen? Luckmanns Antwort lautet kurz gefasst: Intersubjektives »Handeln wird institutionalisiert, wenn es für die Handelnden wichtige Lebensprobleme ›löst‹, indem Handlungserwartungen und Handlungsvollzüge im Verlauf einer gemeinsamen Handlungsgeschichte in wechselseitig ver73

pflichtender Weise routinisiert werden.« (Ebd.: 112) Die Rede von der gemeinsamen Geschichte der Handelnden bezieht sich auf die Intersubjektivität, in der ein geringer Grad an Anonymität vorliegt. Institutionalisiert wird ein gesellschaftliches Handeln also dann, wenn es für die Handelnden wichtig ist. Dies bedeutet: Je wichtiger das Handeln für die einzelnen Akteure, umso gewichtiger die gemeinsame Handlungsgeschichte. Als Folge entstehen gemeinsame Regeln, Ordnungen und Abläufe, die bindend für die beteiligten Akteure sind. Unter Handeln wird von Luckmann vor allem das verstanden, was zuvor von Schütz als »Arbeit« oder »Wirken« bezeichnet wurde. Handeln zielt also bereits im Entwurf auf die gemeinsame Umwelt. Institutionen basieren in dieser Vorstellung weitgehend auf Routinisierung (von wichtigem Handeln). Sie sind ein »auf Dauer Stellen« zwecks Entlastung in der Situation, so dass nicht immer neu ein Handlungsentwurf entworfen werden muss. Institutionen sind auf gesellschaftliches Handeln zurückzuführen. Institutionalisierung beruht demnach auf der Regelmäßigkeit sozialer Beziehungen (vgl. Luckmann 1992: 137) und erfüllt die Funktion der Regelung wichtiger Lebensprozesse. Luckmann entwickelt seine Theorie der Institutionenbildung mit Bezug auf Schütz und Husserl, wobei er sich eng an die Husserlinterpretation Schütz’ hält. Einen anderen Weg zur Analyse von Institutionen kann man mit Merleau-Ponty gehen. Dieser betont, dass mit dem Begriff der Institutionen ein Mittel gegen die Schwierigkeiten mit der Bewusstseinsphilosophie gegeben ist, weil sie die Phänomenologische Soziologie hin zu einer Soziologie und weg von einer Phänomenologie führt (vgl. Bühl 2002: 304). Institutionen sind vor allem zeitliche Gebilde. Walter Bühl greift in seiner kritischen Darstellung der Phänomenologischen Soziologie Merleau-Pontys Anmerkungen auf und betont, dass eine Institutionentheorie sowohl die funktional-instrumentelle als auch die repräsentativ-persönliche Ebene berücksichtigen muss (vgl. ebd.: 308). Die funktional-instrumentelle Ebene bezieht sich auf die Gesellschaft, die auf das Individuum einwirkt; sie sieht den Menschen gewissermaßen als »Rädchen im Getriebe«. Institutionen sind in dieser Sicht Teil der Gesellschaft und vor allem zu deren Erhalt notwendig. Die repräsentativ-persönliche Ebene kennzeichnet die Welt der Symbole und betont dagegen stärker 74

die handelnden Tätigkeiten des Menschen in seiner Selbst- und Weltgestaltung. Zusammenfassend kann bis hierhin festgehalten werden: Die Diskussion des soziologischen Grundbegriffs Institution stellt eine Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie dar. Der Bezug auf die Institutionen zeigt nämlich, dass soziologisch gewendet die »Ich-Du Beziehung« bzw. die Interaktion zwischen Alter und Ego nicht realistisch ist. Sie ist es deshalb nicht, weil sie so in der sozialen Welt nicht vorzufinden ist. Immer tritt hier schon ein Drittes mit ins Spiel. Die Institution ist ein Beispiel für jenes Dritte, das sich als eigenständiger Bereich herausbildet. Gemeinsames Handeln (von Ego und Alter) findet immer vor dem Hintergrund von Institutionen statt. Aber auch ein gemeinsames Wir, entworfen von Alter und Ego, muss in der Rede von der Interaktion Berücksichtigung finden. Mit der Betonung von Institutionen in der Phänomenologischen Soziologie wird also eine Erweiterung vollzogen, welche die Ich-Du-Dyade überwindet und die Gesellschaft mit ins soziale Spiel bringt.

2. Soziologie des Alltags »Das erste und wichtigste Charakteristikum des Wartens ist die scharfe Bewusstheit von Zeitfluss und Dauer. Wartende achten auf die verrinnende Zeit und registrieren penibel, wie lange sie schon gewartet haben.« (Paris 2001: 706) Der Soziologe Rainer Paris greift mit seinem Beitrag zum Warten in origineller Weise einen Alltagsaspekt auf, der zumindest zeitweise für die Akteure große Relevanz besitzt. Mit diesem Beispiel wird deutlich, wie sich die phänomenologisch-soziologische Analyse einem Alltagsphänomen zuwenden kann. Der Autor rekonstruiert die subjektive Perspektive des Akteurs und legt die Strukturen der Wahrnehmung offen. Während sich das obige Zitat auf die Dauer bezieht, nennt Paris weitere Aspekte des Wartens, die er im Verlauf der Argumentation auf die besondere Situation des 75

Wartens auf Amtsfluren bezieht. Warten ist bestimmt durch Zielgerichtetheit/Ereignisorientierung, erzwungene Passivität, Isolation/Selbstbezogenheit sowie durch Abhängigkeit und Kontingenz. Am Beispiel des Wartens wird auch noch einmal deutlich, dass wenn Rationalität als wichtigstes Instrument wissenschaftlicher Deutung von Realität gilt, für den Alltag ein ganz anderes System der Typisierungen notwendig ist. Alltag und Wissenschaft sind verschiedene Sinnprovinzen, in denen ebenso verschiedene Regeln gelten. Die Betonung der Lebenswelt als primäre Sinnprovinz meint aber auch, dass selbst Wissenschaft in ihr eingebettet ist. Aus der bisherigen Auseinandersetzung mit der Phänomenologischen Soziologie wird deutlich, dass sich der empirisch-soziologische Anteil dieses Programms auf eine Theorie der Lebenswelt stützen muss. Mit ihr ist eine Analyse des Alltags begründbar, in der dieser in seiner historischen, politischen, ökonomischen und sozialen Struktur, also in seiner objektiven Struktur einerseits, wie andererseits in der subjektiven Struktur der Sinnzusammenhänge aufgegliedert werden kann. Doch darf nicht vergessen werden, dass Schütz und Luckmann bereits betonen, dass der Alltag nur eine Sinnprovinz unter anderen innerhalb der Lebenswelt ist. »Die Alltagswelt, auf die sich das Augenmerk der Sozialwissenschaften hauptsächlich richtet, ist ›lediglich‹ der aus pragmatischen Gründen ›ausgezeichnete‹ Wirklichkeitsbereich der Lebenswelt.« (Honer 2011: 12) Was nun unter dem Label einer Soziologie des Alltags, oder einer Everyday Life Sociology geführt wird, ist theoretisch breiter gefächert und somit unbestimmter als die Phänomenologische Soziologie, selbst wenn Aspekte von ihr mitvorhanden sind. Das obige Beispiel des Wartens ist so durchaus auf Husserl zurückzuführen, der den Aspekt der Dauer in der Wahrnehmung stark gemacht hat. In seiner weiteren soziologischen Analyse bemüht Paris hingegen den Ansatz von Erving Goffman (19221982)19, der die Interaktionsregeln von Individuen offenlegen will. Spricht man von einer Soziologie des Alltags, so muss man einen weiteren Klassiker der Soziologie, Georg Simmel (1858-1918) nennen20, der in seinen Werken zwischen Philosophie und Soziologie Alltagsphänomene wie die Geselligkeit und das Großstadtleben untersucht hat. Mit dieser knappen Aufzählung lässt sich bereits 76

erkennen, dass ganz unterschiedliche Autoren und soziologische Strömungen zur Analyse des Alltags herangezogen werden können. Unter dem Stichwort der »Everyday Life Sociology« findet vor allem in den USA eine vage Auslegung des Schütz’schen Erbes statt, die nicht unbedingt über das theoretische Programm der Phänomenologie informiert ist und sich zunächst unter Einbezug des symbolischen Interaktionismus (Blumer, Mead) konstituiert. Aber auch die auf Schütz aufbauende Ethnomethodologie von Harold Garfinkel beansprucht das Label der »Everyday Life Sociology« (vgl. Psathas 1980). Bei Garfinkel fällt noch in den Methoden die Verwandtschaft von Ethnomethodologie und Phänomenologischer Soziologie auf. Selbst das Husserlsche Moment der Reduktion findet sich noch in Garfinkels theoretischem Programm, allerdings abgewandelt in einer nunmehr ethnomethodologischen Variante. Doch während die Phänomenologische Soziologie prinzipiell mundan, an den sozialen und subjektiven Strukturen, sowie der Frage nach der Konstitution von subjektiven und objektiven (kollektiven) Sinn interessiert ist, geht es der Ethnomethodologie um die Offenlegung der Methoden, welche die Akteure im Alltag zur Herstellung der sozialen Welt benutzen. Ethnomethodologie ist eine empirische Zuspitzung der Phänomenologie auf eine Soziologie des Alltags. Sie muss daher von anderen loseren Bezeichnungen einer Soziologie des Alltags getrennt werden. Wenn auch inhaltlich unbestimmt, wird »Everyday Life Sociology« von einigen Autoren als theoretische Arena mikrosoziologischer Perspektive verstanden, die ihre Kritik vor allem an der Makrosoziologie festmacht (vgl. Adler et.al. 1987: 218). Alternativ dazu sollen in diesem Ansatz die Menschen in ihrem natürlichen Kontext untersucht werden; im Fokus des Interesses stehen die strukturierten und voluntaristischen Interaktionen des Alltagslebens. Alltagssoziologie orientiert sich in ihrer breiten Auslegung irgendwo zwischen Struktur- und Handlungsanalyse. Sztompka macht neben der Kritik an abstrakten Systemen noch den Einfluss der feministischen Soziologie sowie die postmoderne Kritik an der Soziologie und ihren Verweis auf Fragmenthaftigkeit, Zufälligkeit und Kontingenz moderner Gesellschaften als Ursprung einer Alltagssoziologie geltend (vgl. Sztompka 2008: 29). Seine Bezeich77

nung dieser als einer »dritten Soziologie« oder einer »Soziologie der Existenz« ist bemüht, doch fällt sie hinter eine empirische Analyse der Lebenswelt, wie sie bereits in der Phänomenologischen Soziologie angelegt ist, zurück. Bei genauerer Betrachtung von Sztompkas Begründung lässt sich feststellen, dass die Ansatzpunkte, die Sztompka für eine Alltagssoziologie auflistet, bereits in einer phänomenologischen Soziologie aufgehoben und dort theoretisch angemessen verwoben sind. Es gilt allerdings, den Begriff »Alltag« gegen konkret definierte Begriffe wie Lebenswelt (Schütz) oder Milieu (Scheler, Grathoff) auszuwechseln. Der Alltagsbegriff, wie von Adler oder Sztompka verwendet, leidet aufgrund seiner theoretischen Unbestimmtheit an Beliebigkeit. Mit der Bezeichnung »Everyday«- oder »Alltagssoziologie« ist somit weniger ein festes theoretisches Programm oder Paradigma denn eine Perspektive verbunden. Wie eine Vermessung des Alltags genau vonstattengehen soll, erfordert zusätzlich einen Blick auf Gegenstand und Methode, die mit dem bloßen Label »Alltag« noch nicht gegeben sind. Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass sich die Phänomenologische Soziologie und hier besonders die Analyse der Strukturen der Lebenswelt im besonderen Maß für die Analyse des Alltags eignet. Außer ihr scheint aber derzeit allein Garfinkels Ethnomethodologie ein theoretisch fundiertes Verständnis von Alltag sowie ein geschlossenes empirisches Programm zu dessen Untersuchung zu besitzen. Simmel, Goffman und einige weitere Klassiker der Soziologie haben sich zwar mit Alltagsphänomenen auseinander gesetzt, beanspruchen aber nicht das Label einer Alltagssoziologie. Die gegenwärtige Attraktivität einer wie auch immer theoretisch und methodisch noch genauer zu bestimmenden Alltagssoziologie kann jedenfalls an der Zunahme von Untersuchungen zu Themen wie Liebe, Intimität, Freundschaft, Popmusik, Shopping, aber auch dem Aufkommen neuer Forschungsfelder wie z.B. einer Soziologie der Emotionen, die ebenfalls im Alltag ansetzt, abgelesen werden.

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3. Dimensionen der Lebenswelt »Die ›Lebenswelt‹, d.h.: die Welt, die in unseren alltäglichen Handlungen und Wahrnehmungen erfahren wird, und die uns selbstverständlich ist, ist die ›intersubjektive Welt, die lange vor unserer Geburt bestanden hat und von Anderen, unseren Vorgängern, als eine geordnete Welt erlebt und gedeutet worden ist. Sie ist jetzt unserem Leben und unserer Deutung vorgegeben.‹« (Bühl 2002: 150) Phänomenologische Soziologie nach Schütz ist in weiten Teilen eine Soziologie der Lebenswelt. Wenn bei Husserl die Lebenswelt noch als gedachte Welt konzipiert ist, wird sie mit Schütz zu einer gelebten Welt. Die soziologische Interpretation löst sich so von einem philosophischen »a priori«. Wie bereits erwähnt, gibt es mehrere Faktoren, die die Lebenswelt bestimmen. Es sind zusammengefasst folgende (vgl. Bühl 2002: 125f.): – Der intersubjektive bzw. soziale Charakter – Das Merkmal des Pragmatismus, nachdem Handeln auf ein Wirken in der Welt zielt – Die Prägnanz, in der innere und äußere Dauer zusammenfließen – Die Zuhandenheit (Heidegger), dem Hier und Jetzt meines Leibes als Ausgangspunkt meiner Erfahrung und meines Handelns Vor dem Hintergrund dieser Bestimmung der Lebenswelt interessiert ihre Karriere als Modebegriff nicht. Lebenswelt wird dort ähnlich beliebig wie der Begriff des Alltags von Seiten der Alltagssoziologie verwendet. Es gibt allerdings eine Karriere des Begriffes über die Kreise der Paradigmenvertreter hinaus, die als Beispiel für die Relevanz des Ansatzes herangezogen werden kann. Zudem werden anschließend einige Facetten der Weiterentwicklung des Lebensweltansatzes innerhalb der Phänomenologischen Soziologie aufgezeigt. 79

Jürgen Habermas stützt Teile seiner Theorie des kommunikativen Handelns auf die Grundlegungen von Alfred Schütz. So bezieht er sich in seinem vielbeachteteten Versuch, die Beziehung von sozialem System und Lebenswelt (vgl. Habermas 1981,2: 177) in der Moderne aufzuzeigen, explizit auf Schütz. Es geht Habermas darum, die Systemtheorie von Parsons und Luhmann in ein Verhältnis zur Lebenswelt zu setzen und hierbei die jeweiligen internen Differenzierungsvorgänge als Entkopplung von Lebenswelt und System zu begreifen (vgl. ebd.: 229f.). Ohne näher auf das allgemeine Anliegen dieser Theorie einzugehen, lässt sich sagen, dass Habermas’ Entwurf vor allem auch deshalb bedeutsam für das Fach ist, weil er sich systematisch mit dem Bestand der soziologischen Theorie auseinandersetzt und zu einer Neu- bzw. Umbewertung der Klassiker für die Gegenwartsgesellschaft gelangt. Diese kritische Aufarbeitung des Diskurses trägt am Ende vielleicht sogar mehr als sein eigener Theorieentwurf. Wie eng Habermas sich an Schütz »entlang arbeitet« zeigt sich beispielsweise an seiner Definition der Situation: »Eine Situation ist ein durch Themen herausgehobener, durch Handlungsziele und -pläne artikulierter Ausschnitt aus lebensweltlichen Verweisungszusammenhängen, die konzentrisch angeordnet sind und mit wachsender raumzeitlicher und sozialer Entfernung zugleich anonymer und diffuser werden.« (Ebd.: 187) Wir finden hier Hinweise auf eine ganze Reihe von Grundbegriffen der Phänomenologischen Soziologie wie dem Handlungsentwurf, der Aufschichtung der Lebenswelt und deren zeitliche und räumliche Strukturierung. Habermas reformuliert ebenfalls das Prinzip der relativ natürlichen Einstellung und erkennt, dass die Lebenswelt in ihrer Selbstverständlichkeit nicht kontrovers werden kann, sondern allenfalls zerfällt (vgl. ebd.: 200). Mit der Reflexion über die Umstände der Lebenswelt wird ihr Reich schon verlassen. Für Habermas’ Diagnose der Moderne gilt aber, dass die Lebenswelt zunehmend komplexer wird. Die Gesellschaft, in der die Lebenswelttheorie von Schütz entwickelt wurde, noch deutlicher die Gesellschaft zu Husserls Zeiten, ist durch ein noch hohes Maß an »Ordnung« ausgezeichnet. Diese Ordnung betrifft nicht die Strukturen der Lebenswelt, sondern die subjektiven Sinnstiftungsprozesse und den Wissensvorrat. Der Wissensvorrat ist zu Husserls Zeit noch durch ein grö80

ßeres Maß an Tradition und Eindeutigkeit gekennzeichnet, als dies heute der Fall ist, ebenso dienten Institutionen deutlich stärker als Sinnstifter. Zu denken ist hier z.B. an Kirche, Staat, Familie oder Unternehmen. Im Gegensatz dazu schrumpft heute der Bereich des gemeinsam geteilten Wissens ebenso zusammen, wie die Institutionen kaum mehr die Sinnstiftungsleistung ausreichend erfüllen. Die von Habermas konstatierte Komplexität in der Lebenswelt ergibt sich daher aus der Überschneidung von sicheren und unsicheren Inhalten des Wissensvorrats und aus dem Problem, dass die Generierung von Sinn nahezu ausschließlich auf das Individuum verlagert wird. Es entwickelt sich so ein kaum durchschaubares Geflecht von Verbindlichkeiten und Unverbindlichkeiten. Auch für die kommunikative Handlung, der das Hauptinteresse von Habermas gilt, ist die Lebenswelt als Hintergrund stets gegenwärtig. Die Sprache, mit ihr das kommunikative Handeln, ist in die Lebenswelt eingebettet. Habermas teilt darüber hinaus die Kritik an einer transzendentalen Fundierung der Lebenswelttheorie: »Wenn wir nun die bewusstseinsphilosophischen Grundbegriffe, in denen Husserl die Lebensweltproblematik behandelt, aufgeben, können wir uns die Lebenswelt durch einen kulturell überlieferten und sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern repräsentiert denken.« (Ebd.: 189) Sprache und Kultur sind für die Lebenswelt konstitutiv, gleichzeitig konstituieren sich umgekehrt Sprache und Kultur vor dem Hintergrund der Lebenswelt. Während Schütz und seine Anhänger nun an der kulturellen Erforschung der Muster der Lebenswelt interessiert sind, legt Habermas seinen Schwerpunkt auf die Kommunikation. Aus Perspektive des kommunikativen Handelns erkennt er eine kulturalistische Verkürzung des Lebensweltbegriffs in der Phänomenologischen Soziologie. Schließlich versucht er in Konsequenz mit Durkheim, die Gesellschaft als Makrogebilde in die Lebenswelt (wieder) einzuholen, die ihm seitens der Phänomenologischen Soziologie zu sehr auf die individuelle Perspektive beschränkt ist (vgl. ebd.: 200). Aus Sicht der Phänomenologischen Soziologie mag man kritisch mit der Heraushebung der Kommunikation durch Habermas umgehen. Im Gegensatz dazu kann man Habermas zugute halten, dass er mit seinen Auseinandersetzungen der Lebenswelt einen Platz in der allgemeinen soziologischen Theorie 81

sichert, in dem er das Konzept ausgiebig diskutiert und schließlich als Grundlage seiner Handlungstheorie aufnimmt. Zudem holt Habermas den ursprünglichen von Husserl betonten kritischen Aspekt der Lebenswelt wieder in die Theorie ein, wenn er sie gegen die sozialen Systeme verteidigt. Wie wird nun mit der Lebenswelt innerhalb der Phänomenologischen Soziologie post Schütz umgegangen? Weiter oben wurde bereits gezeigt, wie u.a. von Grathoff eine theoretische Verschränkung von Milieu und Gesellschaft in der Lebenswelt vollzogen wird. Die Arbeit an der phänomenologisch-soziologischen Theorie erfolgt also auch innerhalb des Lebensweltkonzeptes selbst und pointiert einzelne Aspekte. So ist die Lebenswelt als primäre Welt der soziokulturellen Erfahrung ebenfalls ein Ort, der über Symbole vermittelt wird. Bereits die von Schütz ausgearbeitet Theorie der Lebenswelt kennt Symbole als wichtige Bestandteile im Wissensvorrat. Man kann den Menschen anthropologisch als animal symbolicum interpretieren (vgl. Dreher 2003: 144), als jenes Lebewesen, welches Symbole hervorbringt und umgekehrt die Welt via Symbole erschließt. Die Symbolisierungsleistung des Menschen beginnt bereits im Gehirn, denn es ist nicht nur die Wahrnehmung, die über Symbole erfolgt, sondern auch der kognitive Prozess des Denkens. Symbole selbst zielen auf objektiven Sinn, einem Sinn, der mit anderen geteilt wird. Sie verweisen (auch im Denken) auf Gegenstände in der Welt. Symbole stehen damit im Gegensatz zu den cogitationes (Husserl), den Gefühlen und Gedanken. Sprache ist in diesem Sinne, wie oben bereits im Bezug auf Habermas angemerkt, nur ein Symbolsystem unter anderen. In der Phänomenologische Tradition seit Husserl und Schütz haben Symbole eine besondere, nämlich auf Transzendenz hinweisende – also eine über die Lebenswelt hinausgehende – Funktion. Ausgangspunkt dieser Funktion ist die Feststellung, dass neben der Lebenswelt noch andere »Welten« bzw. eigenständige Sinnprovinzen bestehen. Es sind nun die Symbole, die eine Wahrnehmung ermöglichen, welche die Lebenswelt transzendiert, und die somit auf die andere »Welt« verweisen. Diese andere Welt kann z.B. die Wirtschaft, die Wissenschaft, oder aber die religiöse Welt mitsamt ihren Ritualen sein. Ein einfaches Beispiel für die Mög82

lichkeit der Transzendenz durch Symbole gibt Dreher (vgl. Dreher 2003: 152) mit dem Hinweis auf das Kreuz, welches in der Lebenswelt präsent ist, aber auf eine andere Welt, nämlich jene religiös-heilige Welt hindeutet. Es lässt sich sagen, dass eine symbolische Verwandtschaft zwischen unterschiedlichen Sinnprovinzen besteht. A »symbolic relationship is an appresentional relationship between entities belonging to at least two finite provinces of meaning so that the appresenting symbol is an element of the paramount reality of everyday life.« (Schütz, zit. n. Dreher, ebd.) In dieser theoretischen Auslegung der Symbole kommt ihnen die Aufgabe zu, Brücken zu andern Sinnprovinzen zu bilden und deren Ideen oder Inhalte darzustellen. Analog dazu ist das von Schütz als Kosmion21 bezeichnete und von Ilja Srubar umfangreich herausgearbeitete theoretische Moment zu verstehen. »Kosmion bezeichnet […] die symbolische Selbstinterpretation einer Gesellschaft, die sie, vor jeder Wissenschaft, aus sich heraus leistet.« (Srubar 1988: 248) Symbole sind hier ebenfalls verstanden als Verweise auf eine den Alltag transzendierende Ordnung, als »Institutionen höheren Grades« (Srubar). Die Rede vom Kosmion bringt somit eine andere Ebene als die subjektive zur Geltung. Die Gesellschaft ist ebenfalls durch Symbole im Alltag stets präsent. Dem Vorwurf Habermas’, dass die Phänomenologische Soziologie sich auf die Intersubjektivität beschränke, kann daher schon aus der phänomenologisch-soziologischen Lebenswelttheorie heraus mit dem Verweis auf die Theorie des Kosmion begegnet werden. Der Begriff Kosmion kennzeichnet die Selbstdarstellung der Gesellschaft durch Symbole als wesentlichen Bestandteil der sozialen Realität, die von jedem Einzelnen wiederum mit Sinn unterlegt wird. Zu denken ist hierbei nicht allein an staatstragende Symbole wie Flaggen, sondern auch an andere Symbole, die für die Gesellschaft Bedeutung besitzen, wie z.B. das Kopftuch oder die Freiheitsstatue, das Kreuz oder das Zeichen einer sozialen Bewegung. Gesellschaft als Kosmion im Sinne einer Selbstinterpretation durch Symbole ist wiederum selbst eine Realität, die sich transzendiert. Die symbolische Transzendenz findet somit auf zwei Ebenen in der sozialen Welt statt (vgl. Dreher 2003: 156f.): Betrachtet man die Ebene des Individuums bzw. der Begegnung von Alter und Ego, so lässt sich festhalten: Die Transzendenz der 83

Gedanken von Ego können von Alter unter Umständen erfasst werden, doch handelt es sich hier nicht um eine echte Transzendenz, da dieser Vorgang ohne symbolische Appräsentation und innerhalb der Lebenswelt stattfindet. Anders sieht es auf Ebene der Institutionen, wie z.B. der Regierung, der Politik, der Klassen und deren institutionalisierten Beziehungen aus, die kein Bestandteil der Lebenswelt sind. Allein ihre Symbole sind in der Lebenswelt aufgehoben und verweisen auf diese Institutionen. Schließlich existiert noch die Ebene der Gesellschaft, die sich selbst via Symbolen beschreibt und beispielsweise symbolisch auf ihre göttliche oder kosmische Ordnung verweist. Im Folgenden wird auf die Weiterentwicklungen der Lebenswelt als Erlebniswelt und als Instrument makrosziologisch-historischer Analyse eingegangen. Hiermit werden nochmal zwei wesentliche Aspekte aufgezeigt, die die breite Nutzung des Konzeptes zur Vermessung der gegenwärtigen sozialen Realität darlegen. Der Dortmunder Soziologe Ronald Hitzler greift in der Entwicklung seines Forschungsprogramms zu Erlebniswelten in der Gegenwartsgesellschaft auf die soziologische Lebenswelttheorie zurück. Erlebniswelten stellen gewissermaßen »Bewusstseinsenklaven« der Lebenswelt dar (vgl. Hitzler 2008: 135). Vor allem der Konsum bietet Hitzler zufolge die Möglichkeit, diese Enklaven zu betreten. Mit dem Konsum von Medien, Drogen, Büchern, Kinofilmen, Spielen oder Gottesdiensten ist verbunden, dass sie ein subjektives Erleben in Teil- und Subkulturen ermöglichen. Sie stellen kleine, das sind komplexitätsreduzierte auf bestimmte Relevanzen zielende, Lebens-Welten dar. »Unter kleinen sozialen Lebens-Welten verstehen wir: von anderen vordefinierte und in ihrer ›Zwecksetzung‹ intersubjektiv gültig gemachte Ausschnitte aus der alltäglichen Lebenswelt, die subjektiv als Zeit-Räume der Teilhabe an je besondere Sinnsysteme erfahren und im Tages- und Lebenslauf aufgesucht, durchschritten oder auch nur gestreift werden.« (Ebd.: 136) Im Vordergrund der zahlreichen Studien von Hitzler und seinen Mitarbeitern (vgl. z.B. Hitzler/Pfadenhauer 2008) steht also der Erlebnischarakter und dessen mindestens temporäre Bezug zur Gemeinschaft, so dass die Erlebniswelt gewissermaßen als spezifischer Teilbereich der Lebenswelt hervorgehoben werden kann. 84

Zur Verdeutlichung der Analyse kann hier auf das Beispiel der Erlebniswelt Spielhalle eingegangen werden. Reichertz u.a. widmen in Weiterführung des Hitzlerschen Forschungsprogramms der Erlebniswelt der Spielhallen eine wissenssoziologisch explorative Untersuchung, die in ihrem analytischen Aufbau für die Untersuchung anderer Erlebniswelten verallgemeinerbar ist. Die Erlebniswelt ist hier zwischen der kleinen Welt der Akteure und der großen Welt der Organisationen angesiedelt (vgl. Reichertz u.a.: 2010: 60) und durch face-to-face Interaktion im Hier und Jetzt gekennzeichnet. Die Analyse der Erlebniswelt vollzieht sich nunmehr auf zwei Ebenen. Zum Einen wird die vorgefundene räumliche und soziale Ordnung mitsamt ihren Besonderheiten und Gewordenheiten erfasst. Dies ist vor allem wichtig, weil es sich bei vielen Erlebniswelten um Bereiche der Lebenswelt handelt, die nur für einen geringen Personenkreis bekannt sind. Die Erfassung der Ordnung geschieht mittels phänomenologischer und bildlicher Beschreibung und durch Beobachtungs- und Erfahrungsberichte. Zum anderen gilt es, für die akkurate Vermessung der Erlebniswelt die Analyse der Sinnzuschreibungen durch die Akteure zu rekonstruieren. Nachvollzogen werden soll, wie Akteure »diese Ordnung einerseits vorfinden und sich aneignen (müssen), und wie sie diese Ordnung andererseits immer wieder neu ausdeuten und damit auch ›eigenwillig‹ erfinden (müssen).« (Ebd.: 61) Aus Sicht der Lebenswelttheorie lässt sich an diesem kurzen Beispiel erkennen, wie ein Teilaspekt der Lebenswelt in ein empirisches Forschungsprogramm umgesetzt wird, das sich der Erschließung bisher wenig berücksichtigter Gebiete der sozialen Welt verschrieben hat. Mit der Fokussierung auf die Erlebniswelt wird sicherlich einer erhöhten Bedeutung des Erlebnisaspketes in der modernen Gesellschaft22 Rechnung getragen. Gleichzeitig gelingt ihr damit aber auch eine Exploration kultureller Teilwelten, die einen wesentlichen Bestandteil der Lebenswelt darstellen. In eine ähnliche Richtung zielt das von Schnettler und Knoblauch verfolgte Programm der Ethnophänomenologie. Nicht umsonst erinnert der Name an die Ethnomethodologie im Sinne von Garfinkel, denn hier wird auf dessen Methoden zurückgegriffen, um Transzendenzerfahrungen der Subjekte einzufangen und zu analysieren. Ethnophänomenologie steht in Abgrenzung der Hus85

serl’schen Mundanphänomenologie (vgl. Schnettler 2008), die um die Offenlegung allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung bemüht ist. Im Gegensatz dazu ist die Ethnophänomenologie an den Teilsinnwelten, und hier besonders an den Transzendenzerfahrungen im Sinne einer »ekstatischen Kultur« (Knoblauch) interessiert. Als Beispiel einer solchen Erfahrung zeigen die Autoren Todesnäheerfahrungen oder Zukunftsvisionen (vgl. Schnettler 2008: 5889) auf. Das Programm zielt auf einen empirischen Tatbestand, der davon ausgeht, dass Alltagsmenschen ihre ekstatischen Erfahrungen und deren Modi reflektieren können. Während in den vorgestellten Beispielen die Lebenswelttheorie auf einen Teilaspekt fokussiert wird, greift Ilja Srubar mit Blick auf die Transformation osteuropäischer Gesellschaften die Dynamik bzw. Geschichtlikeit der Theorie sowie deren Möglichkeit einer Makroorientierung auf. Phänomenologische Soziologie spielt derzeit bei der Betrachtung des makrosoziologischen Wandels nur eine marginale Rolle. Sie wird meist ausschließlich als Sozial- bzw. Handlungstheorie und nicht als Gesellschaftstheorie wahrgenommen, die die Veränderungen der Makrostruktur beschreibt. Mit Blick auf das Potential der Schütz’schen Theorie auch in diesem Feld offenbart sich hier eine Baustelle für künftige Forschung, welche die Makroveränderungen in der Gesellschaft mit einer Lebensweltanalyse zusammenführt. Srubar gelingt es aufzuzeigen, in welche Richtung eine solche Analyse zu leiten ist. Die Dynamik der Lebenswelt findet sich Srubar zufolge in den Bereichen der Zeitlichkeit, der Leiblichkeit und der Sozialität (vgl. Srubar 2008: 512), die nun allerdings nicht nur als subjektive Strukturen vernehmbar, sondern auch als objektivierte Tatsachen institutionalisiert sind. Es geht kurzum um objektivierte ZeitRaum und Sozialstrukturen, die als Institutionen auf das Handeln des Subjektes zurückwirken. Diese Strukturen stellen sich dem Subjekt in Form von Regeln (»Man macht das so!«) dar. Erkennbar sind aufgrund der Dynamik der Lebenswelt semantische (also symbolische oder sprachliche) als auch materialisierte Veränderungen (innerhalb der Institutionen). Die Transformationsprozesse in osteuropäischen Gesellschaften rufen auf allen drei Ebenen Wandlungsprozesse hervor, die sich makrosoziologisch einholen 86

und auf die Lebenswelt übertragen lassen. Die Zeitdimension rekurriert so z.B. auf die Veränderungen, welche durch den Wechsel von der Dominanz des Staates zur Dominanz des Marktes spürbar werden. Die alltägliche Lebensführung (vgl. Srubar 2008: 521) ist durch einen Anstieg der Arbeitszeit gegenüber der Freizeit geprägt. Die Raumdimension wechselt von der Geschlossenheit des Ostblocksystems zur Offenheit des polyzentrischen Weltwirtschaftssystems (vgl. ebd.: 525) und wiederbelebt so die zuvor in Osteuropa unterdrückte Semantik des Nationalstaates. Das territoriale Prinzip, welches von der Sowjetunion ausging, wird nun durch ein westliches Prinzip ersetzt, das eine kulturell-ethnische Dimension und die Inklusion des Subjektes zufolge hat. Erkennbar ist hierbei ein Zwiespalt, der durch die Raumöffnung bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Segregation, verbunden mit dem Nationalstaatsprinzip, gekennzeichnet ist. In der sozialen Dimension sieht Srubar (vgl. ebd.: 529) die soziale Distanz durch das Marktprinzip und durch die einhergehende große soziale Ungleichheit erhöht. »Eine Ausdifferenzierung der Lebensführung durch soziale Ungleichheit, eine Anonymisierung und Versachlichung der Organisation alltäglicher Kommunikation, eine Vergrößerung sozialer Distanz zwischen sozialen Gruppierungen wird auf Ebene der Semantik durch das Professionalisierungsprinzip legitimiert.« (Ebd.: 530) Letztlich zeigen Srubars Anmerkungen zur sozialen Dynamik den Wandel der kulturellen Ausprägungen der Lebenswelt, der durch Beobachtung im Wortsinne sichtbar gemacht wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geschilderten Beispiele deutlich machen, wie sich die Lebenswelttheorie mindestens nach drei Seiten spezifizieren lässt und für die aktuelle Forschung angewandt werden kann: – als kritische Theorie, – als deskriptive Untersuchung ihrer Teilbereiche – und mit Fokus auf den Wandel der Lebenswelt in Anbindung an die makrosoziologischen Evolution von Gesellschaft. In der Tradition einer kritischen Theorie lässt sich die Lebenswelt gegenüber den Übergriffen des Systems verteidigen. Habermas 87

hat diesbezüglich von einer »Kolonialisierung der Lebenswelt« gesprochen, nach der Mechanismen der Rationalisierung und Ökonomisierung zunehmend in den Bereich der Lebenswelt eintreten. Eine ursprüngliche Differenzierung dieser Sphären (zum Beispiel in Arbeit und Freizeit) wird in diesem Vorgang zum Teil wieder aufgehoben. Mit dieser kritischen Seite der Lebenswelt wird auf Husserls empathisches Konzept zurück verwiesen, welches als Gegensatz zur verwissenschaftlichten Auffassung der Welt entwickelt wurde. Dieser Aspekt wird ausführlich von Blumenberg aufgegriffen, der nicht nur um die »Verletzlichkeit als Grundcharakter der Lebenswelt« (Blumenberg 2010: 25) weiß, sondern die Husserl’schen Annahmen zuspitzt, indem er der Lebenswelt einen utopischen Gehalt zuerkennt. Die zweite Seite, die Erlebniswelt, zeigt, dass eine empirische Untersuchung einen Teilbereich der Lebenswelt fokussieren kann. Mit Hilfe phänomenologischer und qualitativer Methoden lässt sich so etwa der Bereich der Freizeit oder aber auch der Arbeitswelt erschließen und an die Lebenswelt bzw. die Gesellschaft rückkoppeln. Dass die Dynamik ein fester Bestandteil der Lebenswelt ist und sich in Anbindung eines makrosoziologischen Wandels untersuchen lässt, zeigt die dritte Seite, indem die veränderten Handlungspraktiken der Menschen aufgrund makrostruktureller Zwänge in den Fokus der Betrachtungen gestellt werden.

4. Interkulturelles Verstehen »Das Heimischwerden in einem Hier schließt andere Zentren aus und markiert Grenzen – bewegliche, aber unaufhebbare. Die Überfülle der Gegenwart reduziert sich, indem wir in der Welt heimisch werden.« (Waldenfels 2000: 210) Die globalisierte Welt mit ihrer zwangsweisen Vervielfältigung kultureller Kontakte unterschiedlicher Länder, Nationen, Gemeinschaften, Regionen und Gruppen macht zweierlei deutlich. Zum einen, dass unsere jeweiligen kulturellen Besonderheiten auch 88

anders sein könnten. Sie sind zwar historisch gewachsen, aber dennoch sozial konstruiert. Das betrifft ebenfalls die Grenzen der jeweiligen Kulturräume und -bereiche, die häufig auch eine konstruierte Einheit darstellen. Zu denken ist hier beispielsweise an eine jeweilige Neuerfindung/Neuinterpretation der territorialen Einheit Europas aus seiner Geschichte heraus. Zum anderen wird in der globalisierten Weltgesellschaft die Frage nach dem Verstehen dann virulent, wenn unterschiedlicher kultureller Eigenarten aufeinander treffen. In den Herausforderungen, die gegenwärtig an die Aufgabe der Integration und Bildung gestellt werden, wird die Tragweite globalisierter und transnationaler Vergesellschaftung besonders deutlich. Es liegt nahe, dass das Problem des interkulturellen Verstehens von der phänomenologischen Soziologie aufgegriffen wird, da sie ein großes Interesse an Sinngebungsprozessen, auch über die rein subjektive Ebene hinaus, betont. Programmatisch zielt sie darauf, die Kultur in die Lebenswelt des Subjektes einzuholen und verzichtet dadurch auf einen essentialistischen oder gar holistischen Kulturbegriff, wie er z.B. in Zuschreibungen der »deutschen«, »amerikanischen« oder »europäischen« Kultur vorliegt. Kultur ist in der Lebenswelt so als Wissen präsent, als kollektiver, geschichtlich objektivierter, pragmatisch materialisierter Wissensvorrat (vgl. Srubar 2009: 67). Die Frage nach der Kulturdifferenz stellt sich ihr im Bezug auf die lebensweltliche Praxis des Subjekts. Das Problem des interkulturellen Verstehens betrifft weniger die Strukturen der Lebenswelt, die mehr oder minder universell gelten, als ihre kulturellen Inhalte, sprich den Wissensvorrat, die subjektive Sinnsetzungen und Relevanzen. In Anlehnung an Schütz (Schütz 1981a) kann dieses Substrat der Lebenswelt als Lebensform begriffen werden. Schütz bezeichnet die Lebensformen allgemein als die Einstellung des Ichbewusstseins zur Welt (vgl. Schütz 1981a: 110). Lebensformen beschreiben demzufolge die kulturell determinierten Ausprägungen der Lebensweltstruktur, welche eine Verbindung von Gedanken, Sprache und Handlungen darstellen (vgl. Srubar 2005: 251). Sie sind die Summe der subjektiven Handlungsroutinen, Denkmuster und Sinnzuschreibungen. Unterschiedliche Lebensformen entstehen in diesem Sinne aus 89

unterschiedlichen Erfahrungen, Handlungen und Interaktionen. Es spricht allerdings nichts dagegen, den kulturell unterschiedlichen Lebensformen dennoch gleiche Konstruktionsmechanismen zuzusprechen. Für die Konstitution von subjektivem Wissen wurde bereits weiter oben festgehalten, dass es inhaltlich keine zwei völlig gleichen Wissensvorräte geben kann. Ebenso verhält es sich mit den Lebensformen. Dennoch bestehen mehr Gemeinsamkeiten, wenn die Lebensformen innerhalb einer Kultur bzw. eins Kulturraumes angesiedelt sind. Dies zeigt sich am schlüssigsten im gemeinsamen Brauch von Symbolen und Zeichensystemen wie z.B. der Sprache. Die im Sprachgebrauch angezeigten kulturellen Zugehörigkeiten (zu Kulturen, Sub-Kulturen und Milieus) sind symbolisch konstruiert in dem Sinne, dass die Individuen auf ein Repertoire symbolisch repräsentierter Identifikationsmöglichkeiten zurückgreifen (vgl. Dreher/Stegmeier 2007: 14). Ausgehend von der Lebenswelt ist mit den Lebensformen ein Ansatz zur Untersuchung kultureller Differenz vorhanden. Das Problem des interkulturellen Verstehens kann so als komparative Lebensformforschung aufgegriffen werden. Auch der Aspekt der Fremdheit, auf das die Rede von der kulturellen Differenz hindeutet, ist in der Phänomenologischen Soziologie bereits thematisiert. »Da uns die Lebenswelt immer nur im Vollzug der sie realisierenden Praxis begegnet, begegnet sie uns auch immer in Form von mannigfaltigen Kulturformen. […] Lebenswelt als Kulturwelt [ist] immer in eine Vielfalt heterogener Wirklichkeiten gegliedert.« (Srubar 2009: 76) Fremdheit tritt als Erfahrung in der Lebenswelt in den unterschiedlichen Graden der Vertrautheit auf, nach denen die Lebenswelt strukturiert ist. Die Lebenswelt ist immer schon Heimwelt und Fremdwelt; mit anderen Worten: Die Lebenswelt ist von Fremden und Vertrauten gekennzeichnet. Die Phänomenologische Soziologie stellt sich vor dem Hintergrund der Inter- und Multikulturalität nun die Aufgabe, die kulturelle Prägung von Kommunikation, Interaktion und Kognition – die kulturelle Prägung der Lebensformen also – innerhalb der Lebenswelt aufzudecken. Dies lässt sich für die subjektive Erfahrung konkretisieren. Es wurde bereits aufgezeigt, wie sich das Verstehen des Anderen durch die Selbstinterpretation bzw. die 90

Selbstauslegung an Egos Stelle vollzieht. Auch in diesem Prozess wird auf objektivierte kulturelle Konstrukte zurückgegriffen, die das Subjekt verinnerlicht hat. Mit der Annahme der zumindest teilweisen Deckung der Relevanzsysteme zeigen sich bereits Probleme, die mit der interkulturellen Verständigung noch verschärft werden. Kulturell unterschiedlich geformte Relevanzsysteme, Wissensvorräte und Deutungsmuster sind weit davon entfernt deckungsgleich zu sein, was ein interkulturelles Verstehen merklich erschwert. Die kritische Position, die von der Phänomenologischen Soziologie hier vertreten wird, lautet auf einen Punkt gebracht: Dem Verstehen der Anderen/der Fremden sind Grenzen gesetzt. Diese Grenzen werden vor allem dann deutlich, wenn unterschiedliche Deutungsschemata in Konkurrenz zueinander stehen. Was sich hier für die subjektive Ebene sagen lässt, gilt ebenso für die Makroebene. Konkretisieren lässt sich das Problem des interkulturellen Verstehens auch mit dem, was Berger und Luckmann primäre und sekundäre Sozialisation genannt haben (vgl. Berger/Luckmann 1969: 139f.). Mit Sozialisation wird das Hineinnwachsen in die Gesellschaft, oder mit den Worten von Berger und Luckmann die Internalisation von Wirklichkeit bezeichnet. Sie stellt einen wesentlichen Schritt im Lebenslauf eines Menschen dar. Für gewöhnlich gilt dieser Vorgang an irgendeinem Punkt als weitgehend abgeschlossen. Wahlweise ist dieser Zustand mit dem Erwachsenenalter oder der Mündigkeit erreicht. In der Sprache der Phänomenologischen Soziologie ist der Prozess der Sozialisation dann erfolgreich vollzogen, wenn der Wissenssvorrat soweit angewachsen und Handlungsroutinen soweit verinnerlicht sind, dass sie einen unproblematischen Ablauf im Alltag des Subjektes in den wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen. Was passiert aber nun, wenn sich die kulturellen Rahmenbedingungen der Lebenswelt, beispielsweise durch Umzug oder Auswanderung, verändern? Wenn z.B. die Sprache wechselt, oder aber, wenn der öffentliche Nahverkehr keinen Schalter oder Automaten zum Erwerb eines Tickets kennt? Dann wird zwangsweise eine zweite Sozialisation, ein erneutes Einüben in die Gesellschaft unter den neuen kulturellen Vorzeichen nötig. Diese sekundäre

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Sozialisation erfolgt langsamer und gelingt wenig intensiver und umfangreicher als die primäre Sozialisation. Wir werden auf die Probleme des Fremdverstehens unter multikulturellen Gesichtspunkten noch einmal mit Bezug auf die aktuellen Forschungsfelder zu sprechen kommen, greifen aber zunächst die Frage nach dem Verhältnis von Phänomenologischer Soziologie und Wissenssoziologie auf.

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VI. Wissenssoziologie als Phänomenologische Soziologie (Berger/Luckmann) »Peter Berger und Thomas Luckmann schließen in ihrer gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit unmittelbar an Schütz an, und zwar so unmittelbar, dass praktisch alles, was über Schütz gesagt wurde, auch auf Berger und Luckmann zutrifft.« (Knoblauch 2005: 153) Dass die Phänomenologische Soziologie eng mit Fragen zum Wissen verbunden ist, zeigt sich bereits an ihren Kernbegriffen, wie z.B. dem des Wissensvorrats, der durch Prozesse der Typisierung, Sedimentierung und Routinisierung gebildet wird. Typisierung ist eine deskriptive Grundkategorie und bezeichnet jenen Hintergrund der Wahrnehmung, nach der Phänomene in Form von typischen Charakteren aufgefasst werden. Ein Gegenstand erscheint deshalb als vertraut, weil bereits vor der Wahrnehmung eine Vorstellung von ihm existiert. Wir wissen also, wie ein Hund typischerweise aussieht und werden eben darum einen Hund als solchen erkennen, wenn wir ihm begegnen. Eng damit verbunden ist der Prozess der Sedimentierung, in dem sich eine gemachte Erfahrung abspeichert und so in einer ähnlichen Situation wieder abgerufen werden kann. Kurz: Erfahrung erstarrt zur Erinnerung. Ergebnis dieser kognitiven Vorgänge ist folglich eine Routinisierung in der Anwendung des Wissensvorrates, sodass ein Auslegungsprozess nicht immer bei null beginnen muss. Mit Fertigkeiten, Gebrauch- und Rezeptwissen stehen dem Subjekt in der Lebenswelt verschiedene, im Wissensvorrat abgelagerte Wissensformen zur Verfügung. Auch wenn Wissen einen breiten Stellenwert einnimmt, darf man Phänomenologische Soziologie nicht mit einer Wissenssoziologie gleichsetzen. Wohl aber kann gelten, was bereits zu Anfang dieser Einführung gesagt wurde: Wissenssoziologie – in der Auslegung von Berger und Luckmann – ist ein Zweig der Phänomenologischen Soziologie. Das obige Zitat aus einem Einführungsbuch zur Wissenssoziologie von Hubert Knoblauch macht deutlich, dass sich die Autoren zur Begründung einer neuen Wis93

senssoziologie explizit und umfangreich auf die Phänomenologische Tradition um Husserl und Schütz beziehen. Neben die von Schütz formulierte grundlagentheoretische Ausrichtung tritt so eine theoretisch wie empirisch motivierte Ausrichtung, die sich explizit dem Wissen zuwendet. Dass hierbei das subjektive Wissen als Ausgangspunkt der Analyse gewählt und mit Fokus auf die subjektiven Sinnsetzungsleistungen analysiert wird, kann als weiterer Beleg für die Einbindung der Wissenssoziologie in die Phänomenologische Soziologie gelten. Bei Schütz lässt sich bereits einiges über das Verhältnis von Wissen und Gesellschaft lesen, was später für eine Wissenssoziologie von Interesse ist. Ein Thema, das Schütz beschäftigt und das er selbst als Arbeitsfeld einer empirischen Wissenssoziologie beschreibt, ist die soziale Verteilung des Wissens. Es wird später noch zu zeigen sein, dass dieses Thema auch für Berger und Luckmann relevant ist. Schütz stößt vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich bedingten Ungleichmäßigkeit der Verteilung des Alltagswissens in der modernen Gesellschaft auf eine Reihe von Problemen. Zum einen entstehen unterschiedliche Auslegungen des Allgemeinwissens, wenn sich z.B. die gesellschaftlichen Schichten der Wirtschaft und Herrschaft verfestigen. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf schichtspezifische Relevanzstrukturen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 437). Es ist ersichtlich, dass sich die Relevanzsysteme der Wirtschaft von denen der Politik unterscheiden. Hier zählt Geld, dort zählt Macht. Zum anderen ist mit diesem Verfestigungsprozess ein Orientierungs- oder Sinngebungsproblem für das Subjekt aufgeworfen: »Je mehr sich das Allgemeinwissen in verschiedene Versionen aufspaltet, umso schwieriger ist es für den Einzelnen, das Allgemeinwissen in seiner Gesamtheit – und dessen Anwendungsbereiche: den Kern der alltäglichen Wirklichkeit – zu überblicken.« (Ebd.: 438) Die Wissenssoziologie selbst besitzt eine Tradition wie zahlreiche Vorläufer, die sich mit der Frage nach der sozialen Einbettung von (subjektiven wie Gruppen-, Klassen- und kollektivem) Wissen in der Gesellschaft auseinander gesetzt haben.23 Die Kardinalthese der Wissenssoziologie lautet vereinfacht gesagt, dass Wissen immer von einem gesellschaftlichen Standpunkt abhängig ist. Die Wissenssoziologie als eigenständiges Feld der Soziologie findet 94

man allerdings erst im Werk von Max Scheler (1874-1928) und Karl Mannheim (1893-1947). Letzterer beschreibt in »Ideologie und Utopie« (Mannheim 1929) die Seinsverbundenheit des Wissens, die er auf die soziale Stellung eines Subjektes innerhalb der Gesellschaft zurückführt. Wichtig sind für Mannheim in diesem Zusammenhang soziale Gruppen und Kollektive wie z.B. Klassen, Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände etc., die in einem Interessenkonflikt zueinander stehen. Sie beeinflussen maßgeblich das Wissen und Denken des Subjektes. Prinzipiell ist für Mannheim kein Wissen von einem Ideologieverdacht ausgenommen. Das bedeutet, dass z.B. ein Wissen nur vertreten wird, weil damit ein politisches Interesse der Großgruppe verbunden ist. Mannheim entwickelt anhand dieser auf die Situation in der Weimarer Republik zugeschnittenen Tatbestände ein anspruchsvolles soziologisches Programm der Aufklärung und Vermittlung (widerstreitender Ideologien). Die Begründung der neuen Wissenssoziologie aus dem Geiste der Phänomenologischen Soziologie beginnt mit einer Kritik an der klassischen Wissenssoziologie und der Mahnung vor einer Überschätzung theoretischen Wissens für die Gesellschaft. Auch sei die bisherige Wissenssoziologie zu stark durch philosophische Strömungen beeinflusst. Die Kritik verläuft zum Teil analog zur Kritik der Phänomenologischen Soziologie an der Mainstream-Soziologie. Der Vorwurf lautet, dass – hier wie dort – der Alltag des Subjektes aus den Augen verloren wurde. Sicher gibt es bezogen auf das Wissen noch die politischen Parteien und gesellschaftlichen Großgruppen mitsamt ihren »think tanks« und Wissensexperten. Aber ebenso verfügt das Subjekt im Alltag über Wissen. Die Hinwendung zum Alltagswissen, oder wie Peter L. Berger und Thomas Luckmann es bezeichnen, zum »Allerweltswissen der Alltagswirklichkeit«, erfolgt vielleicht auch unter dem Vorzeichen abnehmender Relevanz gesellschaftlicher Großgruppen, wie Parteien oder Gewerkschaften, und zielt somit auf Individualisierung und Selbstbestimmung. Jedenfalls ist mit dem Programm der neuen Wissenssoziologie die Aufgabe einer Mikrofundierung des Wissens im Alltag des Subjektes verbunden. Es hat sich eingebürgert, den Ansatz von Berger und Luckmann als Sozialkonstruktivismus zu bezeichnen. Damit ist gemeint, dass die 95

Autoren davon ausgehen, dass Wirklichkeit durch Handeln hergestellt wird. Wirklichkeit ist in dem Sinne konstruiert und nicht eine feste unveränderbare Einheit. Diese Annahme ist verwandt mit den Auffassungen der interpretativen Ansätze und erinnert an das Diktum Max Webers, soziale Entitäten konsequent auf soziales Handeln zurückzuführen. Bei Schütz wie in der neuen Wissenssoziologie von Berger und Luckmann wird die Einheit von Sinn und Handeln betont. Das unterscheidet sie maßgeblich von anderen wissenssoziologischen Spielarten. Wissen wird in dieser Tradition pragmatisch gewendet und ist am ehesten mit Begriffen wie Performativität und Reproduktion verwandt (vgl. Endreß 2008: 90). Performativität zielt auf die praktische Ebene des Handelns, in dem Wissen erworben wird, Reproduktion deutet darauf hin, dass Wissen keine allein subjektive Angelegenheit ist. Phänomenologisch gewendet bedeutet dies: Wissen ist gesellschaftlich relevanter, objektivierter und vermittelter Sinn. Die Autoren beschreiben ihr Programm wie folgt: »Die Wissenssoziologie hat die Aufgabe, die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit zu analysieren«. (Berger/Luckmann 1969: 3) Die Wissenssoziologie in der Spielart von Berger und Luckmann soll also fragen, was jedermann von seinem alltäglichen Wissen weiß. Dieser Zugang wird damit begründet, dass sich die Beschäftigung mit Wissen auf alle gesellschaftlichen Bereiche beziehen muss und hierbei das Wissen des Einzelnen im Alltag eine herausragende Rolle spielt. Wissen wird eine besondere Bedeutung für das dialektische Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zugesprochen. Mit dieser Annahme gehen die Autoren über die Grundlegungen von Schütz hinaus. Hingegen ist die von Berger und Luckmann beschriebene Wirklichkeit der Alltagswelt, die als besondere Qualität von Wissen angesehen wird (vgl. ebd.: 17), nichts anderes als die Schütz’sche Lebenswelt mit ihrer zeitlichen, räumlichen (körperlichen) und sozialen Gliederung. In der Auffassung der Autoren bestimmt die Lebenswelt maßgeblich die gesellschaftliche Verteilung von Wissen. Das zeigt sich darin, dass ein Großteil des subjektiven Wissens sozial abgeleitet, d.h. von anderen Menschen, aus sozialen Situationen erworben ist. Wenn Wissen sozial abgeleitet wird, ist damit aber ein Hinweis gegeben, dass neben dem interagierenden subjektiven Wissen ein objektives Wissen, bzw. 96

ein objektiver Wissensvorrat existiert, aus dem sich Wissen ableiten lässt. Es ist gerade dieses Zusammenspiel, das Berger und Luckmann in ihrer neuen Wissenssoziologie interessiert. Das Verhältnis von subjektivem und objektivem Wissenssvorrat bezieht sich letztlich auf die Struktur der gesellschaftlichen Verteilung von Wissen und greift damit das o.g. Problem von Schütz wieder auf. Durch die zunehmende Komplexität des Wissensvorrates vergrößern sich die Abstände zwischen dem Wissen des Laien und des Experten. Jeder ist in diesem Spiel gleichzeitig Laie für eine große Zahl an Gebieten und Experte in nur wenigen Gebieten. Wie wird aber nun die Schütz’sche Phänomenologische Soziologie zu einer Wissenssoziologie transformiert? Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, auf die drei Kernbegriffe der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann, Institutionalisierung, Legitimierung und Internalisierung, einzugehen und anhand dieser den Transformationsprozess zu verfolgen. Während Institutionalisierung und Legitimierung auf Ebene der objektiven Wirklichkeit – sprich der Gesellschaft – anzusiedeln sind, ist Internalisierung ein Vorgang innerhalb der subjektiven Wirklichkeit.

1. Institutionalisierung In der Auseinandersetzung mit dem Prozess der Institutionalisierung kann an die obigen Ausführungen von Luckmann angeschlossen werden, der die Phänomenologische Soziologie auf diesen Aspekt fokussiert. In Schütz’ grundlagentheoretischem Ansatz finden Institutionen zwar eine, wenn auch nur untergeordnete, Berücksichtigung, dem Vorgang der Institutionalisierung wird hingegen kaum Beachtung geschenkt. Institutionalisierung erfolgt Luckmann zufolge aus der Notwendigkeit Lebensprobleme zu lösen, indem wichtige Handlungen routinisiert werden. Die Begründung, warum im menschlichen Zusammenleben Institutionen entstehen, kann aber auch auf einer tieferen bzw. anthropologischen Ebene ansetzen.24 Anthropologisch gewendet ist der Mensch durch »Weltoffenheit« geprägt, was bedeutet, dass er sich seine Umwelt selber schafft bzw. selber schaffen muss. Das 97

unterscheidet ihn von anderen Lebewesen. Der ursprünglichen Weltoffenheit tritt mit dem Leben in der Gesellschaft schließlich eine Weltgeschlossenheit hinzu, die durch die konstruierte zweite Natur (in Form von Kultur) entstanden ist. Eben diese zweite Natur besteht zum Großteil aus Institutionen. Die Integration des Subjektes in die institutionelle Ordnung – die Summe der sozialen Institutionen – erfolgt auf Grundlage von Wissen. Für eine phänomenologische Wissenssoziologie hat deshalb die Analyse des Wissens über diese Ordnung eine herausragende Bedeutung. Einen weiteren Ursprung der Institutionalisierung erkennen Berger und Luckmann in der menschlichen Eigenschaft als »Gewohnheitstier«. Die Aneignung von Gewohnheiten ist letztlich mit dem Gewinn verbunden, eine begrenzte Auswahl an Handlungsoptionen zur Verfügung zu haben. »Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handlungen reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.« (Ebd.: 58) Die Funktion einer Institution liegt also darin, dass sie durch ihre gesellschaftliche Anerkennung als permanente Lösung für ein permanentes Problem zur Verfügung steht (vgl. ebd.: 74). Die Rede von der gesellschaftlichen Funktion zeigt auch an, dass Institutionen sich wandeln oder gar verschwinden können. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn das ursprüngliche Problem, welches die Institution lösen sollte, nicht mehr besteht, oder wenn der Institution die gesellschaftliche Anerkennung versagt bleibt, selbst wenn sie noch in der Lage ist, das Problem zu lösen. Mit der Institutionalisierung gehen ferner eine Zunahme der sozialen Kontrolle und die Legitimation der Institutionen einher. Diesen Sachverhalt gilt es näher zu klären. Legitimation bedeutet zunächst die objektive Anerkennung der Institution als Lösungsinstanz für bestimmte Probleme. Dadurch lässt sich Handeln/Verhalten kontrollieren; denn wenn eine institutionalisierte Lösung für ein Problem vorhanden ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Lösung in der Regel auch verbindlich angewandt wird. Verhalten wird dadurch vorausschaubar. Von einer Institutionalisierung im strengen Sinn kann allerdings erst gesprochen werden, wenn über die Interaktion zweier Akteure hinaus ein Dritter auftaucht, an den das institutionalisierte Wissen weitergegeben 98

wird. Das Wissen bleibt dann kein »Kontrakt« zwischen zweien, sondern wird z.B. durch Tradierung zu einer objektiven Instanz, die verbindliches Handeln in bestimmten Situationen für eine Vielzahl an Menschen vorschreibt. Ein weiteres Merkmal von Institutionen ist, dass sie oft als objektive Wirklichkeiten wahrgenommen werden. Sie erscheinen als quasi »natürlich« und somit unveränderlich. Das zeigt sich beispielsweise an der allgemeinen Wahrnehmung der Institution Familie. Es erscheint uns ganz natürlich, dass es Familien gibt, dass jeder Mensch einer Familie angehörig ist. Doch sind Institutionen wie die Familie von Menschen konstruiert und historisch gewachsen. Die Geschichtlichkeit wird für das vorliegende Beispiel Familie an einem einschneidenden Wandel in den letzten Jahrzehnten (von der Großfamilie zur Kern- oder Patchworkfamilie) in der westlichen Welt deutlich. Auch der Sinn, der den Institutionen zugeschrieben wird, unterliegt einem Wandel. Phänomenologisch gewendet: Das reflektierende Bewusstsein überlagert die institutionelle Ordnung erst mit einer eigenen Logik (vgl. ebd.: 69). Folglich wird der Institution erst nachträglich Sinn zugeschrieben. Berger und Luckmann schenken dem Prozess der Objektivation, wie sie den Vorgang der Institutionalisierung auch nennen, große Aufmerksamkeit. Objektivation oder Vergegenständlichung ist verwandt mit dem in der Marx’schen Tradition geläufigen Begriff der Verdinglichung, der dort allerdings eine kritisch-moralische, hier eine theoretisch-analytische Bedeutung erfährt. Mit Objektivation ist ein Vorgang beschrieben, an dessen Ende wiederholende Handlungen zu einer Institution geronnen sind. Mehr noch: Institutionen werden zu Dingen und erscheinen gerade deshalb als natürlich. Analog zum Prozess der gesellschaftlichen Objektivation beschreiben Berger und Luckmann Verdinglichung als Modalität des menschlichen Bewusstseins, dem sich als äußerster Schritt Dinge nicht mehr als menschliche Produkte darstellen. Sie sind verselbstständigt und losgelöst von ihrer Geschichte und haben nichts mehr mit den Dingen zu tun, an denen die Phänomenologie seit Beginn Interesse bekundet.

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2. Legitimierung Institutionen verlangen Legitimation. Diese wird spätestens dann sichtbar, wenn ein Wissen um die Bedeutung der Institutionen tradiert, also z.B. an die nächste Generation weitergegeben werden soll. Tradierung fungiert zunächst als Übermittlung von Wissen, erst in zweiter Hinsicht als Übermittlung von Werten. Wenn die Objektivation abgeschlossen ist, stellt der Prozess der Legitimation in gewissem Sinne eine zweite, sekundäre Objektivation dar, in dessen Verlauf den Institutionen objektiver Sinn zugeschrieben wird. Die Institutionen sollen im Prozess der Legitimierung objektiv verfügbar und subjektiv erschließbar werden. Ziel dieses Vorganges ist das Erlangen kognitiver Gültigkeit. Wir erkennen am Vorgang der Objektivation das Bemühen von Berger und Luckmann, eine Erklärung dafür zu liefern, woher die bereits von Schütz aufgezeigten kognitiven Strukturen und subjektiven Relevanzen kommen. Berger und Luckmann kennen vier aufsteigende Stufen der Legitimation: eine sprachliche Objektivation, eine Stufe rudimentär »theoretischer« Postulate, explizite Legitimationstheorien sowie symbolische Sinnwelten. Die Verfestigung der Legitimation erfolgt mit der jeweils nächsten Stufe, wobei die sprachliche Objektivation die niedrigste Ebene darstellt. Auf dieser Ebene wird der Institution ein fester Begriff zugeordnet. Mit den rudimentär theoretischen Postulaten sind Alltagspraktiken wie z.B. Lebensweisheiten, Legenden oder Volksmärchen gemeint (vgl. ebd.: 101), die durch Erzählung die Legitimität der Institution zu sichern suchen. Explizite Legitimationstheorien kennzeichnen hingegen eine strenger geregelte bzw. formalisierte Form der Initiation von Institutionen, wie z.B. Rituale, welche nach einem feststehenden Muster oder z.B. nur von bestimmten Personen durchgeführt werden dürfen. Als höchste Stufe der sekundären Objektivation kann die Legitimierung via symbolische Sinnwelten verstanden werden. Wie bereits weiter oben für die Phänomenologische Soziologie allgemein angeführt, wird der symbolischen Sinnwelt eine besondere Bedeutung zugesprochen. So auch in der neuen Wissenssoziologie. »Die symbolische Sinnwelt ist als die Matrix aller 100

gesellschaftlich objektivierten und subjektiv verwirklichten Sinnhaftigkeit zu verstehen. Die ganze Geschichte der Gesellschaft und das ganze Leben des Einzelnen sind Ereignisse innerhalb dieser Sinnwelt«. (Ebd.: 103) Die symbolische Sinnwelt stiftet Ordnung in der Welt der persönliche Erfahrung, in dem sie z.B. nach profanen und sakralen Symbolen unterscheidet. Darüber hinaus können Erfahrungen aus den verschiedenen Wirklichkeitssphären bzw. Sinnprovinzen (Religion, Wissenschaft, Traum, Alltag etc.) in die symbolische Sinnwelt einbezogen werden. Die obige Aussage von Berger und Luckman zeigt ferner, dass die Gesellschaft als Ganzes durch eine symbolische Ordnung als sinnvoll wahrgenommen wird. Auch wenn man die symbolische Sinnwelt als selbstverständlichen Bestandteil der Lebenswelt erlebt, ist sie theoretischer Natur. Sie muss erst errichtet werden. Es bedarf einer theoretischen Anstrengung, sie als Symbolsystem mit Sinn auszustatten. Die symbolische Sinnwelt ist ein dynamisches Gebilde und es können alternative Wirklichkeitskonstruktionen (der symbolischen Sinnwelt) neben der offiziellen Wirklichkeitsbestimmung entstehen. In modernen pluralistischen Gesellschaften ist das Vorhandensein mehrerer Teilsinnwelten die Regel. Die Existenz zahlreicher Subkulturen mit eigenen Symbolen oder Symboldeutungen deutet darauf hin. Neben dem Was des Wissens interessiert die neue Wissenssoziologie immer noch das Wer des Wissens, denn symbolische Sinnwelten wie auch Institutionen werden letztlich durch Menschen legitimiert. Dies führt direkt zu Fragen nach der Internalisierung.

3. Internalisierung Die Internalisierung ist ein Vorgang, der sich auf Ebene der subjektiven Wirklichkeit abspielt. Mit Internalisierung ist ein Aneignungsprozess des Subjektes beschrieben. Diese Aneignung ist nötig, weil der Mensch nicht als Mitglied der Gesellschaft geboren wird. Er muss erst in sie hineinwachsen. Die besondere Leistung der neuen Wissenssoziologie gegenüber der Schütz’schen Grundlagentheorie besteht u.a. darin, den Internalisierungsprozess (von 101

Wissen) genau zu analysieren. Die oben beschriebenen Vorgänge der Objektivation und der Verdinglichung stehen in einem Verhältnis zueinander, in das nun auch die Internalisierung aufgenommen wird. Dieses Verhältnis lässt sich auch als ein dialektischer Prozess von Entäußerung, Vergegenständlichung und Internalisierung verstehen. Was das bedeutet, ist an einer vielzitierten Stelle der »Social Construction« abzulesen: »Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.« (Ebd.: 65) Ausgangspunkt dieses dialektischen Prozesses ist die Gesellschaft, in die ein Mensch hineingeboren wird. Niemand wird bestreiten, dass diese Gesellschaft als historisches Gebilde von Menschen geschaffen wurde. Und doch erscheint sie uns als objektive Wirklichkeit, weil sie – wie oben beschrieben – objektiviert und legitimiert wird. Gesellschaft ist in der relativ natürlichen Einstellung der Lebenswelt objektive Wirklichkeit. Es ist erst das Geschäft der Soziologie, sie nicht als objektive Tatsache, sondern als menschliches Produkt auszuweisen und zu analysieren. Der Mensch wird letztlich wiederum (als Ergebnis seiner Internalisierungsprozesse) zum gesellschaftlichen Produkt. Das Subjekt übernimmt im Prozess der Internalisierung die Welt der Anderen. Natürlich ist das kein einseitiger Vorgang, in dem das Wissen der Anderen um die Gesellschaft in das Subjekt »eingetrichtert« wird. Der Aneignungsprozess ist ein wechselseitiger Vorgang, indem auch die Identifikation des Einzelnen mit dem Anderen wechselseitig ist. Internalisierung bedeutet also, dass eine zunächst fremde Welt als eigene Wirklichkeit angesehen wird. Internalisierung oder Verinnerlichung meint, dass das vortheoretische Wissen der Lebenswelt wie selbstverständlich zu einer objektiven Gewissheit wird. Soziale Verhältnisse gerinnen zu einer zweiten Natur. Internalisierung selbst ist Ergebnis des Prozesses der Sozialisation. Dies soll nachstehend genauer erläutert werden. Bereits weiter oben wurde kurz auf die Formen der primären und sekundären Sozialisation eingegangen. Zur Erinnerung: »Die primäre Sozialisation ist die erste Phase, durch die der Mensch in seiner Kindheit zum Mitglied der Gesellschaft wird. Sekundäre Sozialisation ist jeder spätere Vorgang, der eine bereits sozialisierte Person in neue Ausschnitte der objektiven Welt ihrer Gesellschaft 102

einweist.« (Berger/Luckmann 1969: 141) Am Ende des Prozesses der primären Sozialisation steht die Übernahme von sozialen Rollen (z.B. als Student, Koch, Vater, Politiker). Die Primäre Sozialisation ist dadurch bestimmt, dass der signifikante Andere z.B. als konkreter Erziehender vorgegeben ist. Die Filterung der Welt geschieht zu großen Teilen durch diesen signifikanten Anderen. Erst die Identifikation mit dem Anderen, die sich im Sozialisationsprozess vollzieht, ermöglicht die Selbstidentifikation (vgl. ebd.: 142). Die primäre Sozialisation endet schließlich damit, dass sich die Vorstellungen des Anderen im Bewusstsein (des zu Sozialisierenden) angesiedelt und somit kognitive Gültigkeit erlangt haben. Im Ergebnis des Sozialisationsprozesses entsprechen subjektive und objektive Wirklichkeit einander, ohne sich vollständig zu decken. Dies bedeutet, dass die Deutungen der objektiven Wirklichkeit (des/der Anderen) internalisiert wurden, dabei aber immer nur ein relevanter Ausschnitt der objektiven Wirklichkeit angeeignet wurde. Wie ebenfalls oben an Schütz schon aufgezeigt wurde, ist das Wissen um die objektive Welt nicht für alle gleich. Neben die primäre Sozialisation tritt eine weitere, sekundäre Sozialisation, die sich vom engen Bezugspunkt des signifikanten Anderen gelöst hat. Die Einweisung in neue Ausschnitte der Wirklichkeit der Gesellschaft umfasst dabei ein breites Spektrum im Erwerb von »Spezialwissen«. Sei es als Ornithologe oder als Fußballfan. Der Übergang zur sekundären Sozialisation ist meist durch Rituale geprägt (vgl. ebd.: 152), was sich am deutlichsten in Initiationsriten des Erwachsenwerdens zeigt. Für gewöhnlich werden erst im Laufe der sekundären Sozialisation die institutionellen Zusammenhänge der Rollen erkannt. Damit wird deutlich, dass die sekundäre Sozialisation einen anderen Charakter als die primäre hat. Die Wirklichkeit der sekundären Sozialisation ist im Vergleich zur primären kindlichen Sozialisation »künstlich«, was bedeutet, dass sie z.B. weniger tief als diese im Bewusstsein verwurzelt ist und nicht mehr das fundamentale Wissen über die Gesellschaft vermittelt. Das Spezialwissen ist eben nicht für alle gleich wichtig. Sein Vorhandensein ist gesellschaftlich aber von Bedeutung. Am Ende einer geglückten Sozialisation wird die Frage »Wer bin ich?« in einen sozialstrukturellen Zusammenhang gestellt (vgl. 103

ebd.: 182). Das bedeutet, dass die Suche nach einer eigenständigen subjektiven Identität auch die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft miteinschließt. Umgekehrt erzeugt auch die Gesellschaftsstruktur spezifische historische Identitätstypen. Dies zeigt sich z.B. noch an der alltäglichen Rede vom typischen Deutschen oder Engländer (dem typischen Bauer, Gewerkschafter etc.). Doch muss eine Sozialisation nicht immer erfolgreich verlaufen, auch wenn sie es in den meisten Fällen tut. Misserfolge liegen z.B. dann vor, wenn gewünschte subjektive und objektive Identität am Ende des Sozialisationsprozesses auseinanderklaffen. Oder z.B. dann, wenn primäre und sekundäre Sozialisation sich als unvereinbar erweisen. Fragen wir zusammenfassend: Was trägt die neue Wissenssoziologie? Ihre Kernbegriffe Sozialisation, Institutionen und Konstruktion, sowie die Vorgänge der Institutionalisierung, Legitimierung und Internalisierung von Wissen sprechen eine deutliche phänomenologische Sprache, so dass Berger und Luckmanns Entwurf im Kern als eine Weiterentwicklung des Schütz’schen Programms verstanden werden kann. Darüber hinaus sind neben Bezügen zur Tradition des interpretativen Paradigmas und Mead, der als Ideengeber ihres Identitätskonzeptes fungiert, vor allem Einflüsse von Émile Durkheim (1858-1917) zu erkennen. Nicht nur Durkheims Betonung der gesellschaftlichen Totalität schimmert bei Berger und Luckmann durch, sondern auch seine Ideen zur Sozialisation, die er in einer Soziologie der Erziehung ausgebreitet hat (vgl. Durkheim 1984). Die neue Wissenssoziologie kann daher als Verbindung des Schütz’schen Programms mit einer wissenssoziologisch orientierten Makrosoziologie verstanden werden. Jene Skepsis, welche die Phänomenologie seit ihrem Beginn auszeichnet, ist bei Berger und Luckmann nach wie vor präsent. Die Möglichkeiten, aus den »Netzen der Lebenswelt« (Waldenfels) auszusteigen, die natürliche Einstellung zu überwinden und sich über die Zwänge der Gesellschaft hinwegzusetzen, scheint ihnen eher begrenzt. Abels resümiert daher die Thesen von Berger und Luckmann eher nüchtern: »Die Dinge sind nicht so, wie sie sind, sondern wie sie die Gesellschaft für ihre Mitglieder gedeutet hat und wie sie sie weiter deutet. Nachdem wir erst einmal in die Deutungen im Prozess der Sozialisation eingeführt worden sind, 104

sind wir an diesem kollektiven Deutungsprozess natürlich ebenfalls beteiligt, doch die Chancen und überhaupt das Bedürfnis, die Dinge selbst zu definieren und sie vielleicht ganz anders zu sehen, sind höchst begrenzt.« (Abels 1998: 89) Jene Abhängigkeit von den kollektiven Deutungsprozessen, die Macht, welche die Gesellschaft auf den Einzelnen ausübt, indem sie Wirklichkeit für ihn konstruiert, wird von Peter Berger in seiner Einladung zur Soziologie (vgl. Berger 2011) einige Jahre später noch einmal anschaulich präsentiert. Mit Blick auf die aktuellen Forschungsfelder, die im nachstehenden Kapitel besprochen werden, wird erkennbar, dass sowohl die neue Wissenssoziologie als auch die grundlagentheoretisch orientierte Phänomenologische Soziologie vielfältige Impulse für die empirische Forschung liefern. Nicht immer ist es dabei möglich, die Theoriestränge der Forschung eindeutig als Bestandteile des einen oder des anderen Ansatzes zu deklarieren.

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VII. Gegenwärtige Forschungsfelder Die Phänomenologische Soziologie besitzt nicht nur ein theoretisch fundiertes Gerüst, sondern verfügt zudem über Erklärungspotential für das Geschehen in der sozialen Praxis. Wie dargestellt, ist bereits Schütz darum bemüht, seine Theorie mit empirischer Forschung zu verknüpfen. Als Zweig der interpretativen Soziologie ist Phänomenologische Soziologie immer auch an den Sinnsetzungsleistungen der Akteure interessiert; dieses Interesse steuert die empirische Forschung. Auch in der Weiterentwicklung der Phänomenologischen Soziologie ist dieser Fokus deutlich zu erkennen. Ein Blick in die gegenwärtigen Forschungsfelder der Phänomenologischen Soziologie zeigt sowohl eine rege Tätigkeit als auch die Betonung der Themen Leib, Wissen und Kultur.

1. Leib, nicht Körper »[…] mir ist kalt, Schmerz und Müdigkeit sind in ausgezeichneter Weise leibliche Erfahrungen. Ich erfahre mich selbst in ihnen in besonderem Maße als Natur, und zwar gerade so, dass ich in der jeweiligen Auseinandersetzung mit der Art, wie ich mir selbst gegeben bin, zugleich anerkenne, dass dieses, was mir gegeben ist, mich betrifft«. (Böhme 2003: 85) Während der bodily-turn25 in den Sozial- und Kognitionswissenschaften vielleicht eher eine wissenschaftliche Mode denn einen Paradigmenwechsel darstellt, kann die Phänomenologie und mit ihr die Phänomenologische Soziologie von sich behaupten, seit ihren Anfängen auf den menschlichen Leib Bezug genommen zu haben. Wohlgemerkt auf den Leib, nicht den Körper. Aus phänomenologischer Sicht stellt die Rede vom Körper bereits eine Objektivierung dar, die auf einen Leib-Seele-Dualismus rekurriert. Die Rede vom Körper gehört aus phänomenologischer Perspektive in den Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin und beruht auf 106

der positivistischen philosophischen Tradition seit René Descartes (1596-1650), gegen die sich ja die Phänomenologie gerade stellt. »Der Mensch spaltet sich […] auf in ein denkendes Wesen und in ein Wesen, das einen Körper hat. […] So aber wird der Leib zerschnitten: Auf der einen Seite findet sich das, was an ihm geistig im Sinne des selbstbewussten Erlebens ist, auf die andere Seite tritt all das, was den Leib mit physischen Körpern verbindet.« (Waldenfels 2000: 18)26 Hingegen stellt sich für die Phänomenologie der Leib als der Nullpunkt der Erfahrung dar. Er ist der Ort, von dem aus die Welt erschlossen wird. Dieser Gedanke findet sich nahezu durchgehend im Werk von Husserl und führt ihn u.a. zu dem von ihm allerdings nicht gelösten Problem der Eigen- und Fremderfahrung. Der Leib trägt ferner Spuren der Persönlichkeit und nimmt am gesamten Leben teil. Wichtig ist hier der Bezug auf die Praxis bzw. auf den Prozess des Praxisvollzugs, der sich in der Rede vom »Einverleiben« deutlich macht. Mit dem Verweis auf den Leib, der im Gegensatz zum Körper immer belebt ist, sind selbstverständlich auch Fragen zum Fühlen und den Gefühlen verbunden, denn die Welt drängt sich dem Subjekt im Fühlen und Wollen auf. So findet sich bereits bei Max Scheler neben einer Kritik an Husserl eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Fühlen und der Schichtung emotionaler Sphären, die z.B. sinnliche Gefühle (Lust, Schmerz) von seelischen Gefühlen (Trauer, Freude) und geistigen Gefühlen (Verzweiflung) trennt. Gefühle bilden für Scheler schließlich das Medium, durch das Werte erfahren werden (vgl. Scheler 2000). Die Phänomenologische Tradition kann somit als Tradition der Auseinandersetzung mit dem Leib gelesen werden. Wichtig ist in der Betonung des Leibes, dass dieser immer als Doppelexistenz verstanden wird: Zum einen als der Dingwelt zugehörig, zum anderen als zu mir selbst gehörend. Daher gilt: »Der Leib ist Umschlagstelle, d.h. er lässt sich weder eindeutig dem Bereich des Geistes und der Kultur noch dem Bereich der Natur zuordnen, sondern beide Momente sind in ihm verschränkt.« (Waldenfels 2000: 247) Der Leib tritt uns als Ding in Erscheinung, z.B. dann, wenn wir einen anderen Menschen auf der Straße sehen. Er kann als Ding (Körperding) wie andere wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist der Leib aber auch das wahrnehmende Organ, von dem 107

aus ich z.B. den anderen Menschen auf der Straße wahrnehme. Die phänomenologische Diskussion um den Leib betreffend erkennt Bühl (vgl. Bühl 2002: 202f.), dass der Leib neben dem Nullpunkt der Erfahrung oder dem Lebensmittelpunkt noch in drei weiteren Dimensionen interpretiert wird. Er ist Spielraum meiner Tätigkeit, insofern diese zwischen Außenerfahrung und der Erfahrung meiner Selbst steht. Ferner ist der Leib ein Filter der Welt, denn durch ihn, bzw. durch die Sinne, wird die Welt erst erschlossen und ggf. durch bestimmte Leibeigenschaften gefiltert. Leib ist letztlich Ausdrucksfeld, denn jede Form der Kommunikation ist fundamental leiblich. Bezugnehmend auf das neue sozialwissenschaftliche Interesse für die Identität des Individuums, welches allerdings weitgehend auf die Cartesianische Trennung von Geist und Körper rekurriert, reformuliert Gugutzer (Gugutzer 2002) eine Theorie von Leib und personaler Identität, die auf den Phänomenologischen und anthropologischen Theorien von Helmut Plessner (1892-1985), MerleauPonty und Hermann Schmitz beruht. Ausgangspunkt personaler Identität ist die uns bekannte Annahme, dass menschliches Dasein grundsätzlich durch Leiblichkeit geprägt ist. Wir erfahren die Welt durch unseren Leib. Gugutzer spricht in Anlehnung an Merleau-Ponty von leiblicher Koexistenz (vgl. ebd.: 85), was meint, dass die Lebenswelt primär eine intersubjektive Welt ist, in der sich verschiedene Leiber begegnen. Wie bereits angemerkt, kann so die Wahrnehmung des anderen Leibes in Form eines kulturellen Symbols erfolgen. Dies ist allerdings nur aufgrund der menschlichen Fähigkeit möglich, die eigene Subjektivität auf den Anderen zu transzendieren. Diesen Tatbestand hat Plessner als exzentrische Positionalität und Hermann Schmitz als entfaltete Gegenwart (vgl. ebd.: 100) bezeichnet. Phänomenologisch gesprochen meint dies die Möglichkeit, aus sich herauszugehen und den anderen wahrzunehmen. Bemerkenswert ist an diesem Vorgang, dass der wahrnehmbare und sichtbare Leib für Zuschreibungen durch Andere prädestiniert ist. Diesen Vorgang kennen wir aus dem Alltag durch Kleidung, Moden oder körperliche Merkmale, die Grundlagen für Zuschreibungen wie z.B. Sympathie sind. Gugutzer resümiert: »Personale Identität resultiert aus dem Zusammenspiel von Selbstdistanzierung und Selbstempfinden«. (Ebd.: 101) Per108

sonale Identität entsteht grundlegend durch leibliche Intersubjektivität. Gugutzer belegt dies mit einem Verweis auf Schmitz, der betont, dass es ein leiblich affektives Betroffensein gibt, welches zur Stützung der Selbsteinschätzung bzw. des Selbstbewusstseins dient. Emotionen bringen leibliches zum Ausdruck. Wir werden rot angesichts der Scham vor dem Anderen. Diese Bedingtheit von Leib und Identität ist ein wichtiger Aspekt gegenwärtiger phänomenologisch-soziologischer Forschung und findet in einer Reihe von aktuellen Studien Betrachtung. Doch bereits in Alfred Schütz’ Grundlegung der Phänomenologischen Soziologie stößt man auf eine Auseinandersetzung mit dem Husserl’schen Problem von (leiblicher) Eigen- und Fremderfahrung, welches untrennbar mit der Frage nach Identität verbunden ist. Die privilegierte Stellung des Leibes führt Schütz schon früh zum Versuch einer Theorie des Qualitätsbewusstseins des Leibes (vgl. Schütz 1981a). Diese Betonung der Leiblichkeit zieht sich durch sein gesamtes Werk. So lesen wir bereits auf der ersten Seite der Strukturen der Lebenswelt: »Die alltägliche Lebenswelt ist die Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann, indem er in ihr durch die Vermittlung seines Leibes wirkt.« (Schütz/Luckmann 2003: 29) Es gilt nun aber, das aktuelle Forschungsprogramm der Phänomenologischen Soziologie in ihrer Fokussierung auf den Leib an Beispielen aufzuzeigen. Diese Fokussierung ist eingebettet in eine Analyse der Lebenswelt und steht gewissermaßen mit einem Bein in der phänomenologischen Tradition, mit dem anderen in der Gegenwartsgesellschaft, in der dem Körper, der Körperlichkeit und den Körperkulturen eine besondere Bedeutung zugesprochen wird.27 Anne Honer schließt mit ihrem Buch über Leiblichkeiten (vgl. Honer 2011) an die Analyse um Erlebniswelten als Teilbereiche der Lebenswelt an, wie sie u.a. von Hitzler in wissenssoziologischer Absicht (vgl. Kap. V.) durchgeführt wurden. Gemeinsames Merkmal ihrer explorativen ethnographischen Studien in soziale Subsinnwelten ist hier der Leib. Eine besondere Form der Körperkultur, die teilweise Züge einer Subkultur trägt, findet sie im Bodybuilding. Der Bodybuilder besitzt ein ideales Körper-Vorbild, welches durch identifizierendes Bildmaterial in Fach-Journalen reproduziert wird. Dieses Bild entspricht »der selbstbewussten Vita109

lität und Kraft, der Verkörperung geistiger Stärke und Disziplin in einem harmonischen, kontrollierten Körper-Ideal.« (Honer 2011: 98) Neben der Diskussion eines manipulierbaren Körpers (Körperbildes) der Bodybuilder sieht Honer hier auch einen Konflikt zwischen dem öffentlichen und dem privaten Körper. »Der individuelle Körper ist ja grundsätzlich öffentlich […]; jedoch lässt er sich durch relative oder absolute Absonderung mehr oder weniger ›privatisieren‹, also dem aktuellen face-to-face-Diskurs bestimmter anderer oder anderen schlechthin entziehen. Diese wenigstens relative Absonderung vom sozialen Blick braucht der Bodybuilder, um ›arbeiten‹ zu können. Zugleich aber arbeitet er ja auf dieses Angesehen-Werden, auf diese Diskursivität seiner Erscheinung hin.« (Ebd.: 94) Mit dem Bodybuilder gerät somit eine besondere Form der Körperkultur, eine verborgene, in besonderem Maße auf den Körper zielende Subkultur oder Teil-Lebenswelt in den Blick der Forschung. Der Bodybuilder formt seinen Körper nach einem Ideal. Diese »body-modification« ist aber nur eine Art, in der der Körper dem Akteur zum bewussten und zielgerichteteten Gegenstand wird. Wenn im »Normalzustand« dem Körper keine Beachtung geschenkt wird, so richtet sich die Aufmerksamkeit doch auf den kranken, den pathologischen Körper. Die Phänomenologie kennt spätestens seit Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung eine Auseinandersetzung mit dem pathologischen Leib. Wenn es zutrifft, dass der Leib immer nur ganzheitlich oder gar nicht erlebt wird, dann werden durch die Beschreibung der Pathologien die Funktionsweisen, Mechanismen und Fähigkeiten des Leibes eben dadurch aufgezeigt, dass der Leib nicht mehr normal funktioniert. Anschließend an diese Tradition schildert Anne Honer in einer anderen Studie, einem Prozess der Selbstauslegung, die Transformation vom Status eines »Gesunden mit einem partiellen körperlichen Defekt« in den eines »uneingeschränkt Kranken« (Honer 2011: 255). Ausgangspunkt dieser phänomenologischen Krankengeschichte ist ein Augenleiden, welches eine hochgradige Gefährdung des Körpers ins subjektive Bewusstsein ruft. Mit der Zeit, spätestens mit Aufnahme in ein Krankenhaus, wandelt sich in diesem Prozess nicht nur die Eigenwahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmung seitens des Anderen. Es tritt hier noch einmal deutlich die Trennung zwischen 110

dem Leib, den das Subjekt besitzt, und dem Körper als medizinisches Konstrukt hervor, der aber gleichzeitig für das »Funktionieren« verantwortlich ist. Bezogen auf veränderte Wahrnehmung durch eine besondere Brille schreibt die Autorin: »Damit auferlegt die Verordnung der Lochbrille dem kranken Menschen, der sein Leib ist, aber seinen Körper nicht mehr hat […], eine Reduktion seiner sinnlichen Möglichkeiten, verordnet ihm also tatsächlich quasi einen medizinisch zugerichteten, therapeutisch zurechtgestutzten Körper.« (Ebd.: 256) Im kranken Zustand bleibt allein der zugerichtete Körper übrig, die Kreatürlichkeit des Menschen. Im Transformationsvorgang vom Gesunden zum Kranken ist so auch ein Verlust der inneren Dauer zu konstatieren, den Honer im Erwachen nach der Operation beschreibt. Bezogen auf den Menschen in seiner exzentrischen Positionälität (Plessner) und der damit verbunden Möglichkeit in ein Reflexionsverhältnis zu sich selbst zu treten, benennt Honer das psychische Korrelat von Krankheit als Einschränkung gerade dieser Fähigkeit (vgl. ebd.: 258). Das Verhältnis von Körper und Leib verweist darüber hinaus auf ein Spannungsverhältnis verschiedener Regionen der Lebenswelt. Im Beispiel Honers ist dies die Spannung zwischen der Welt des medizinischen Körpers, der Ärzte und des Krankenhauses und der subjektiv primären Lebenswelt des Alltags. Ihre Untersuchung kann deshalb als Anregung verstanden werden, die phänomenologisch-soziologische Analyse von Subsinnwelten in ihrer leiblichen Betonung auszuweiten. Phänomenologische Soziologie kann, wie dargestellt, in ihrer empirischen Forschung auf das Spannungsverhältnis von Leib und Körper rekurrieren. Während dem Körper immer ein konstruiertes, manipuliertes oder verdinglichtes Moment anhängt, bezieht sich der Leib auf die ganze Existenz des Subjektes, die zeitlich, räumlich und sozial eingebettet ist. Die Beschreibung der Körperarbeit des Bodybuilders oder die Transformation des kranken Körpers zeigen dies deutlich. Bleibt eine Soziologie des Körpers häufig auf der Ebene der Repräsentation, so zielt die Soziologie des Leibes auf sozial, räumlich und zeitlich strukturierte leibliche bzw. sinnliche Erfahrung, wie sie beispielsweise auch in der Bewegung, der Zwischenleiblichkeit im Sport oder der Sexualität auffindbar ist. Neben diesen Themen offenbart sich mit der 111

Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien ein weiteres fruchtbares, jedoch bisher noch kaum systematisch bearbeitetes Forschungsfeld. Phänomenologische Soziologie nimmt hier den Vorwurf der Entfremdung durch neue Medien bzw. das Verschwinden des Menschen hinter den Technologien ernst. Konkret geht es ihr um eine Verhältnisbestimmung von Leiblichkeit und technischen Medien. Wenn für Merleau-Ponty noch das Medium als Erweiterung der Leiblichkeit gilt – er belegt dies mehrfach mit dem Beispiel des Krückstocks des Blinden, der diesem als »Sinnesorgan« dient – dann kann diese Erweiterung mit den immateriellen neuen Medien nicht mehr uneingeschränkt geltend gemacht werden. Raab betont in einem programmatischen Aufsatz zu diesem Thema, dass »sich alle technisch vermittelten Kommunikationssituationen und Kommunikationsmodalitäten von der face-to-face-Situation ableiten« (Raab 2008: 235), weil sich in dieser Situation körperlicher Kopräsenz die Interaktionspartner »neben ihrem Agieren und Reagieren auch die Arten und Weisen der Deutungen von Bewegungen, Gesten, Mimik und Berührungen, von Farben, Gerüchen und Sprache« (ebd.) aneignen. Die Frage, die hier empirisch aufgeworfen wird, ist die nach der sinnhaften Wahrnehmung der Kommunikation mittels neuer Medien, in der der Leib nicht präsent ist. Wie bereits angemerkt, ist durch die leibliche Präsenz auch mittels Appräsentation auf Befindlichkeiten und Bewusstseinsinhalte des Anderen zu schließen. All dies bleibt bei der körperlosen Kommunikation aus. Jürgen Raab ist darüber hinaus noch an der Frage interessiert, wie soziale Akteure auf die Tatsache reagieren, dass ein großer Teil sozialer Realität medial vermittelt und eben nicht mehr durch face-to-face Situationen erfahren wird. Sein Vorschlag für die Forschung bezieht sich deshalb auch auf die Analyse von Selbstbildrepräsentationen innerhalb der neuen Medien, die wiederum neue Formen des Selbst- und Fremdverstehens eröffnen (vgl. ebd.: 240).

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2. Wissen »Der Körper, den ich wahrnehme, verweist auf etwas, das ich nicht wahrnehmen kann, von dem ich aber ›weiß‹, dass es mit-gegenwärtig ist; ein Innen. In dem Wahrnehmungskern der Erfahrung ist mir der Andere von außen gegeben, aber eben nicht als ein bloßes Außen; in der vollen Erfahrung ist mir sein Innen mit-gegeben.« (Schütz/Luckmann 2003: 604) Die phänomenologische Hervorhebung des Leibes als Ausgangspunkt aller Erfahrung sowie die einhergehende Kritik am gängigen Körperkonzept verstellen nicht die Möglichkeit zu einer Fokussierung der phänomenologisch-soziologischen Betrachtung auf das Wissen. Wissen ist zunächst eine rationale Kategorie, es zielt auf kognitive Inhalte. Wie diese Inhalte sich mit der Lebenswelt verbinden lassen, wurde bereits anhand der »neuen Wissenssoziologie« und deren aktuellen Weiterentwicklung dargestellt. Im Bemühen der phänomenologischen Soziologie Leib und Seele, Kognition und Emotion nicht voneinander zu trennen, ist es nur konsequent, die Suche nach dem Wissen mit Leiblichkeit zu verknüpfen. Mit dem Konzept des embodied knowledge, dem Körperwissen bzw. leiblichen Wissen, kann schließlich eine andere Perspektive eingenommen werden als noch mit der Analyse von Wissen und Wissensstrukturen der Lebenswelt. Ausgangspunkt ist hier nicht ein rein kognitives Wissen, sondern ein »Wissen durch den Körper«. Dass es eine körperliche Dimension des Denkens bzw. Wissens gibt, ist für die Phänomenologie nicht neu, so lässt sich z.B. mit Vallega-Neu (2005) eine Traditionslinie über Scheler, Merleau-Ponty und Heidegger zeichnen. Und Schütz, der sich in der Begründung seiner Theorie auf Weber und Bergson stützt, findet bei letzterem einige Hinweise auf leibliches Wissen. Der Begründer der Lebensphilosophie, Henri Bergson (1859-1941), ein Star in der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, kennt bereits die von Schütz aufgegriffene Gliederung des Bewusstseins in verschiedene Ebenen. Neben der weiter oben schon besprochen »dureé« und dem Gedächtnis stellt auch der Körper für Bergson 113

eine solche Bewusstseinsebene dar. Gedächtnis erscheint demnach in zwei Formen, zum einen als Bewahrer der Erlebnisse und zum anderen als ein an den Organismus gebundenes Gedächtnis, welches eine angemessene Reaktion an die jeweilige aktuelle Lage ermöglicht, »indem es entsprechende Erinnerungen assoziativ selektiert und abruft. Diese zweite Form, die Bergson auch ›das Gedächtnis des Körpers‹ nennt und die sich ›pragmatisch‹ auf die Situation bezieht, weist auf die in diesem Zusammenhang wichtige Rolle der Leiblichkeit hin.« (Srubar 1988: 57) Der Körper ist als Träger der Wahrnehmung eine Bewusstseinsebene, doch darf hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Körper selbst Vorstellungen erzeugt, sondern dass er allenfalls ein Speicher von Wissen, ein »sensomotorischer Realisator« (Srubar) ist, der Erinnerungen trägt. Doch was bedeutet die Rede vom Wissen durch den Leib nun genau? Zum besseren Verständnis kann auf die weiter oben gemachte Unterscheidung zwischen Fertigkeiten, Gebrauchswissen und Rezeptwissen verwiesen werden. Diese verschiedenen Wissensformen treten im Alltag häufig als Kombination auf. Schütz gibt hierfür das Beispiel des Spielens eines Instrumentes, ohne auf den Fingersatz aufzupassen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 159). Die drei Wissensformen verweisen auf eine (wörtliche) Inkorporierung von Wissen, welches dann ohne bewusste kognitive Leistung Anwendung findet. Wir können also Flöte spielen, ohne dabei auf den Fingersatz zu achten. Wissen wird so verstanden als ein nicht allein kognitives Phänomen, das seinen Ort im Leib hat und dort sedimentiert ist. Ein weiteres Beispiel für leibliches Wissen ist das Fahrradfahren. Dessen Bewegungsabläufe sind zwar kompliziert – man versuche sie nur zu beschreiben – sie können aber dennoch leicht inkorporiert, also körperlich abgespeichert werden. Waldenfels geht einen anderen Weg, um die Leiblichkeit des Wissens offenzulegen. Ausgehend vom physiologischen Konzept des Körperschemas, welches phänomenologisch gewendet die Einheit des Leibes durch Handeln erklärt, begreift er Körperwissen als Einverleiben von Strukturen. Das Körperschema stellt mein Zur-Welt-sein sinnhaft vermittelt und durch die Positur des Körpers in der jeweiligen Situation dar. Es geht damit über eine bloße Bildvorstellung meines Körpers (»da ist meine Hand«) hinaus. 114

Ein Einverleiben von Strukturen findet dann statt, wenn z.B. die Frau mit Hut, die nicht weiß, ob sie durch die Tür kommt (vgl. Waldenfels 2000: 168), sich an ihn gewöhnt hat. Künftig wird sie nicht mehr darüber nachdenken müssen, ob sie mit diesem Hut durch die Tür passt. Waldenfels spricht hier vom Erlernen oder Neuordnen des Körperschemas, welches letztlich nur im Leib lokalisiert werden kann: »Der Leib ist geradezu der Inbegriff dessen, was ich kann, ohne dass ich es mir ausdrücklich vorstellen muss, und teilweise auch, ohne dass ich es mir ausdrücklich vorstellen kann.« (Ebd.: 169) Der Relevanz eines embodied knowledge, eines leiblichen Wissens, wird auch in der aktuellen Diskussion der amerikanischen Kultursoziologie Rechnung getragen, wenn sie sich mit den Herausforderungen der Neurowissenschaften auseinandersetzt und gleichzeitig den »bodily turn« aufgreift. Ignatow (2007) führt seine Begründung der Relevanz des inkorporierten Wissens auf eine durch die Phänomenologie und der Phänomenologischen Soziologie fundierte Argumentation zurück, ohne allerdings diese Theorieströmung explizit als Referenz zu nennen. Es ist somit anzunehmen, dass phänomenologisches Wissen mittlerweile als »Allgemeingut« in die Sozialwissenschaften eingeflossen ist. Dies betrifft die von Ignatow formulierte Kritik am homo-duplex-Modell (Ignatow 2007: 119), welches den Körper vom Geist trennt, ebenso, wie die leibliche, also perzeptuelle und emotionale Wahrnehmung von Gegenständen (vgl. ebd.: 121). Ferner verweist der Autor auf Prozesse der Appräsentation (vgl. ebd.: 122) und der Sinnstiftungsleistung durch Akteure im Alltag (vgl. ebd.:117). Ignatow geht in seiner Bilanzierung der gegenwärtigen amerikanischen Kultursoziologie, die sich mit Kognition und Emotion beschäftigt, davon aus, dass selbst im Denkvorgang der Leib präsent ist. Ferner »[…] the body not only shapes reasoning through a process of emotional association and motivation, but also through a cognitive process where the body is used as a reference for the constructions we make of the world around us.« (Ebd.: 123) Im Bemühen um die Eigenständigkeit Phänomenologischer Soziologie als Theorie- und Forschungsprogramm scheint es gerade hier sinnvoll, die empirische Forschung auf dem Feld des leiblichen Wissens auszuweiten und gleichzeitig wieder Anschluss 115

an eine phänomenologisch inspirierte Philosophie des Körpers (vgl. z.B. Böhme 2003) zu suchen. Die Betonung von Körperwissen und leiblicher Erkenntnis findet gegenwärtig vor allem in der Philosophie und Soziologie des Sports Anwendung (vgl. Hietzge 2004: 121). Das ist naheliegend, weil im Sport, ähnlich wie z.B. im Tanz, der Körper im Zentrum steht. Nachstehend soll kurz noch auf weitere eigenständige phänomenologisch-soziologisch Analysemöglichkeiten des Körperwissens eingegangen werden. So zeigen z.B. Böhle und Porschen, wie Experten in der Arbeitswelt sich auch an »eher diffusen und nicht präzise definierbaren Eigenschaften und Ausdrucksformen konkreter Gegebenheiten orientieren« (Böhle/Porschen 2011: 58). Damit ist gemeint, dass sich der fachlich versierte Arbeiter nicht nur an formalen und rationalen Arbeitsabläufen orientiert, sondern z.B. auch Geräusche und Vibrationen, die Atmosphäre des Raumes, die Stimmigkeit von Bewegung und Ablauf miteinbezieht (vgl. ebd.: 59). Dies alles ist Bestandteil eines leiblichen Empfindens, welches die Akteure über die Qualität der Außenwelt informiert. Auch hier zeigt sich, dass Wissen um Geräusche, Strukturen und Bewegungen inkorporiert ist und erst dann »sichtbar« wird, wenn es zu Problemen kommt. Die Autoren machen deutlich, dass diese »empfindend-spürende Wahrnehmung« der arbeitenden Menschen wiederum mit mentalen Prozessen verbunden ist. Denken ist so »unmittelbar ins praktische Handeln eingebunden« (ebd.: 60). Die Phänomenologische Soziologie versteht Leib als Medium und Grundlage der Genese von Wissen. Keller und Meuser betonen, dass das Wissen über den Körper und das Wissen des Körpers miteinander verschränkt sind. Dies bedeutet, dass Erfahrungsweisen des Körperlichen kulturell vermittelt sind, aber dennoch durch das leibliche Spüren hervorgerufen werden. Die Autoren erkennen im phänomenologischen Ansatz eine Nähe zu Pierre Bourdieus Habitus-Theorie, welche die leibliche Sinnerfahrung praxeologisch bestimmt (vgl. Keller/ Meuser 2011: 15f.). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich mit dem phänomenologisch-soziologischen Bezug auf das Körperwissen derzeit ein neues Forschungsfeld in Konstitution befindet, das sich daher gegenwärtig nur in seinen Umrissen abzeichnet. Für die Vertreter des phänomenologischen Paradigmas in der Soziologie 116

besteht hier die Chance, sich theoretisch wie empirisch erfolgreich zu positionieren. Theoretisch können sie Position beziehen, indem sie die Impulse der Phänomenologie des Leibes aufgreifen und handlungstheoretisch wenden. Ferner gilt es, die klassischen Ansätze von Schütz zu reformulieren, systematisch auszubauen und in Diskussion mit alternativen Interpretationen wie die von Bourdieu zu bringen. Empirisch ist es wichtig, die Bedeutung der leiblichen Erkenntnis und des inkorporierten Wissens in der Lebenswelt zu untersuchen und an Beispielen wie dem Sport, der Arbeitswelt, der geschlechtlichen sexuellen Erfahrung oder aber der Musik und dem Tanz offenzulegen. Wie wird hier von einem Körperwissen, von einer empfindend-spürenden Wahrnehmung Gebrauch gemacht?

3. Kultur Die Bezüge zur Kultur wurden im Verlauf des Buches ansatzweise aufgezeigt und sie liegen z.B. mit dem Verweis auf subjektive und objektive Sinnsetzungsleistungen in der Lebenswelt auf der Hand. Kultur wird von der Phänomenologischen Soziologie in einer bestimmten Weise verstanden, nämlich als strukturierte Zuscheibung von Bedeutung. Nachstehend sollen vor dem Hintergrund aktueller Forschung die Ausführungen zur Kultur vertieft werden. Wie fügt sich Kultur in das Programm der Phänomenologischen Soziologie ein? Die Beantwortung dieser Frage macht es notwendig, zum einen die Lebenswelt als Kulturwelt zu begreifen und zum anderen die Phänomenologische Soziologie als Kultursoziologie zu interpretieren. Begonnen wird mit einigen Hinweisen zur allgemeinen Kultursoziologie. Die Soziologie der Gegenwart, die sich mit der Kultur auseinandersetzt, agiert mit Verweis auf eine in den letzten Jahren vollzogene Transformation der Kulturtheorie (vgl. Reckwitz 2006). Sie wendet sich einem Praxis- und Alltagsbezug zu, indem Kultur nicht mehr als holistisches Modell (im Sinne eines Nationalstaates, europäischer oder westlicher Kultur etc.) verstanden wird. Die alte Idee von der Kultur als große Formation oder als hegemoniales Gebilde, welches dem Menschen Werte vorgibt, ist damit nicht 117

obsolet, doch liegt der Fokus des jüngsten Interesses eindeutig auf der bisher vernachlässigten subjektiven Perspektive. Kritik wird so z.B. an einer Soziologie der kulturellen Werte geübt, die ein soziales Handeln bzw. dessen Antrieb nicht ausreichend erklären könne (vgl. z.B. Swidler 2003). Der Ausgangspunkt der aktuellen Kultursoziologie ist die Praxis und der Alltag des Subjektes. Dies wird mit einigen Stichworten aus dem Diskurs deutlich. »Culture as a toolkit« (Swidler) verweist darauf, dass Kultur dem handelnden Subjekt ein Toolkit, also ein Werkzeug zur Verfügung stellt, mit dem es die Situationen im Alltag interpretieren und schließlich handelnd bewältigen kann. Ähnlich gelagert ist der Begriff der »culture in mind« (Shore 1990, Cerulo 2002), der in Ergänzung zu den Neurowissenschaften kulturelle Segmentierungen im Kopf ausfindig macht und wie der Habitus (Bourdieu) daher auf die kognitiven Leistungen des Akteurs, aber auch auf die Handlungs- bzw. Praxisperspektive, die aus den kognitiven Dispositionen erwächst, abzielt. Prozesshaft wird dies mit dem Begriff des »doing culture« (vgl. Hörning/Reuter 2004) dargestellt. Hierbei wird Kultur als etwas verstanden, das alltäglich neu »gemacht« wird; als etwas, was sich verändert und durch die Interaktion der Akteure entsteht. Kulturelle Praxis bezieht sich demnach auf die Anwendung von Codes oder Zeichen; sie ist durch diese konstruiert und produziert selbst immer neue Codes. Auch wenn diese Merkmale vermutlich von den meisten Vertretern der neuen Kultursoziologie akzeptiert werden, ist Kultursoziologie nach dem »cultural turn« bei Weitem kein einheitliches Feld. Sie fußt nicht auf der strikten Fortführung eines klassischen Programms oder Paradigmas, sondern betreibt bewusst Traditionsbruch und positioniert sich inhaltlich zwischen Diskursen auf der einen und Praktiken auf der anderen Seite. Wie steht die Phänomenologische Soziologie zur neuen Kultursoziologie? Es fehlt bisher an einer systematischen Auseinandersetzung, die die Tradition der Phänomenologischen Soziologie der neuen Kultursoziologie gegenüberstellt, doch ist recht schnell zu erkennen, dass einige wesentliche Aspekte der Phänomenologischen Soziologie mit den Ansätzen der neuen Kultursoziologie konform gehen. Man kann es aber auch kritisch formulieren und sagen, dass einige von der neuen Kultursoziologie als Novitäten 118

und »Paradigmenwechsel« ausgegebene Aspekte bereits von der Phänomenologischen Soziologie seit langer Zeit vertreten werden. Dies betrifft z.B. den Bezug auf eine subjektive und Alltags-Perspektive, die Betonung des subjektiven Sinnes und die Konstruktion von Wissen. Doch wo dort bewusst der Bezug zur Tradition abgeschnitten und sich auf postmoderne Denker der Kultur wie Jacques Derrida, Slavoj Zižek oder Bruno Latour bezogen wird, ist hier deutlich die Tradition des interpretativen Paradigmas, der Phänomenologie und des Sozialkonstruktivismus zu erkennen. Phänomenologische Soziologie ist der Subjektivität als Grundlegung der Erfahrung verpflichtet und trägt dieser Position auch in der Erforschung der Lebenswelt Rechnung, so dass sie sich gegen Ansätze sperrt, die z.B. Diskurse oder wie auch immer geartete soziale Formationen in den Vordergrund rücken. Damit wird klar, dass es zwischen den neuen Strömungen der »postmodernen« Kultursoziologie mindestens genau so viele Schnittpunkte wie sich nicht überschneidende Punkte gibt. Die Annahme, dass Kultur ein Forschungsfeld der Phänomenologischen Soziologie darstellt, ist dadurch begründet, dass ihr die Lebenswelt als Kulturwelt in Erscheinung tritt. Die Lebenswelt ist eine Welt, die in einer bestimmten Art und Weise begriffen und erfahren wird.28 Sucht man den Begriff der Kultur vergeblich in den Indizes phänomenologisch-soziologischer Standardwerke, so trifft doch zu, was Gurwitsch in einem Aufsatz in memorian Alfred Schütz schreibt: Die Lebenswelt ist eine Kulturwelt. Dies lässt sich im Rückgriff auf den Vorgang der Interaktion erklären. Weiter oben wurde bereits festgehalten, dass sich die Intersubjektivität der Lebenswelt durch Kommunikation vollzieht, welche dann das subjektive Relevanzsystem (mit Sinn und Relevanzsetzungen) auffüllt. Wirklichkeit entsteht in diesem Sinne als Resultat von Interaktion. Zeichen (das Heben des Hutes) und Symbole (z.B. die Schrift) können als Träger objektiven Sinns von Wirklichkeit geltend gemacht werden. Zeichen und Symbole können darüber hinaus den Status institutionalisierter Sinnsysteme erhalten und die Funktion übernehmen, den Sinn der gesamten Lebenswelt einzuklammern (vgl. Srubar 1988: 230). Gleichzeitig bildet der verfügbare Wissensvorrat (die Sprache, die Typisierungen, Regeln und Verhaltensweisen) eine in seiner Größe variable, 119

aber dennoch kulturelle Einheit. Der Wissensvorrat ist Ergebnis wandelbarer, aber dennoch objektiver Sinnsetzungsleistungen, die eine Gesellschaft historisch auszeichnen. Die Variabilität der Größe dessen, was kulturell einheitlich ist, verdeutlicht sich z.B. darin, dass es in einer Gesellschaft mehr oder minder einheitliche Regeln für das Grüßen im öffentlichen Raum (Nicken mit dem Kopf, Heben des Hutes etc.) gibt. Diese Einheitlichkeit der Grußformen wird aber von Subkulturen, Cliquen etc. gebrochen, die ja gerade aus Disktinktionsgründen eine besondere Grußform wählen. Beide Vorgänge, die sinnhafte Einklammerung der Lebenswelt sowie die Objektivierung des Wissensvorrates, weisen also die Lebenswelt als sich historisch wandelnde Kulturwelt aus. Der gesamte Wissensvorrat (inklusive dem Relevanzsystem) gibt einen Rahmen für das Verständnis alltäglicher Erfahrung, zum Verständnis des Anderen und zur Bewältigung von Situationen; er ist, wenn man so will, ein Toolkit, welches einem das kulturelle Instrumentarium zur »Bewältigung« des Alltags zur Hand gibt. Es ist kaum verwunderlich, dass diese Interpretation der Lebenswelt als Kulturwelt nicht nur von der Ethnomethodologie – Garfinkels Radikalisierung des Schütz’schen Ansatzes – sondern auch recht schnell von der empirischen Kulturanthropologie und der europäischen Ethnologie aufgegriffen wurde und zu einem wegweisenden Paradigma in der anthropologischen Alltagsweltforschung aufgestiegen ist (vgl. Greverus 1987). Während Garfinkel und in seiner Nachfolge die Ethnomethodologen an Alltagsregeln interessiert sind, greift die (europäische) Kulturanthropologie explorativ in die »fremde« Kultur des Alltags ein. Ist die Phänomenologische Soziologie nun aufgrund des zuvor Gesagten eine Kultursoziologie? Nein, denn sie ist zunächst eine soziologisch-philosophische Grundlagentheorie. Wie bereits angemerkt, gehen die Meinungen über ihren Status als »Protosoziologie« oder als »phänomenologisch inspirierte Soziologie« auseinander. Ihr Interesse deckt sich aber zum Teil mit dem einer Kultursoziologie, wenn man mit Kultursoziologie nicht eine Bindestrichsoziologie versteht29, sondern sie als besondere »Haltung« innerhalb der Allgemeinen Soziologie begreift. So gesehen ist die von Schütz formulierte Frage »what does this social world mean for the observed actor within this world and what did he mean by 120

his acting within it?« (Schütz 1970: 269) eine Frage nach der Kultur in der Lebenswelt. Besondere Bedeutung erlangt das Konzept der Lebenswelt als Kulturwelt, wenn man die Gegenwartsgesellschaft als »Weltgesellschaft« bzw. unter globalen Gesichtspunkten betrachtet, so dass nachfolgend einige Anmerkungen zu diesem Thema erfolgen. Während das Konzept der »Weltgesellschaft« derzeit soziologisch weitgehend systemtheoretisch im Sinne einer Ausweitung der Kommunikation interpretiert wird, beinhaltet es doch eine für die phänomenologische Soziologie – und nicht nur für diese – relevante Auseinandersetzung. Mit dem Begriff Weltgesellschaft offenbart sich nämlich die zunehmende Gewissheit, dass Gesellschaft und mit ihr Kultur im 21. Jahrhundert nicht mehr als »Containermodell« nationaler Einheit gedacht werden kann. Die Bezeichnung Weltgesellschaft ist also gewissermaßen die Konsequenz aus einer Vielzahl an globalen und transnationalen Vergesellschaftungsvorgängen. Besonderes Merkmal hierbei ist eine kulturelle Dynamik. Peter L. Berger hat die Vorgänge kultureller Dynamik als Challenge und Response, als Herausforderung und Antwort auf diese Herausforderung (seitens Subjekten und Kollektiven) beschrieben (vgl. Berger: 2002: 1). Mit diesem Hinweis bestätigt sich die Befürchtung, dass Kultur in der Weltgesellschaft, verstanden als objektiver Sinnhorizont mit den Stichworten Globalisierung und Lokalisierung, immer noch unzureichend beschrieben ist. So lassen sich zahlreiche ähnliche Vorgänge wie z.B. Internationalisierung (Märkte), Europäisierung (Export von Werten) oder Asiatisierung (Religion, Esoterik) anfügen. Daher gilt es, in einer soziologischen Analyse der Globalisierung ebenfalls die Akteure dieses Vorgangs zu beachten. (Wer fordert hier heraus? Wer antwortet auf die Herausforderung?) Letztlich müssen auch die besonderen Vehikel einer globalisierten Kultur analysiert werden. Hier ist an die Populärkultur, die protestantische Religion oder aber einzelne Bestandteile der Demokratie zu denken. Die bisherigen Anmerkungen zeigen, dass die Auseinandersetzung mit kultureller Globalisierung den Soziologen in ein schwierig zu kontrollierendes und unübersichtliches Feld führen, in dem eine Reihe an Interpretationen im Widerstreit steht. Berühmt geworden ist z.B. die gewagte These eines »clash of civilization«, 121

eines Kampfes der Kulturen (Huntington) also, der als herausragendes Kennzeichen der Konflikte in der globalisierten Welt gelten soll. Mit diesem Konzept ist allerdings die Gefahr gegeben, eine kulturelle Einheit überzubetonen und auch noch dort zu verorten wo eventuell gar keine Einheit vorhanden ist. Die Phänomenologische Soziologie kann sich dem Thema der Globalisierung annehmen, indem sie die Frage stellt, wie sich die Prozesse kultureller Globalisierung auf Ebene der Gesellschaft und auf Ebene sozialer Praxis vollziehen, bzw. wie sie in den Bereichen objektiver und subjektiver Sinnsetzung wirken. Bezogen auf die These eines Kulturkonfliktes lautet das von der Phänomenologischen Soziologie zu untersuchende Problem, wie weit ein Fremdverstehen (von Sinnsetzungen) in einer globalisierten Kultur möglich ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Kultur ihrer Logik und Praxis nach immer ein »monistisches« Gefüge ist, so dass selbst in der misslichen populär-politischen Rede von der »Leitkultur« analytisch ein Wahrheitsmoment aufgehoben ist. Denn: So wie dem Einzelnen seine Lebenswelt bis auf weiteres als kulturelle Einheit erscheint, suggeriert die objektive Kultur ebenfalls eine Einheit. Dem Subjekt in der Lebenswelt ist die kulturelle Sinnsetzungsleistung, die von ihm vollzogen wird, selbstverständlich, sie ist Bestandteil seiner relativ natürlichen Einstellung und wird nur im Problemfall30 hinterfragt. Ähnlich verhält es sich mit der objektiven Kultur der Gesellschaft, die nur dann sinnvoll erscheint, wenn sie als Einheit in Abgrenzung von Anderen konstruiert wird. Der Vorgang der Globalisierung führt so eher dazu, dass in verschiedenen Kulturen globalisierte Produkte (der Popkultur, der Religion etc.) als Bestandteile einer einheitlichen objektiven und lokalen Kultur begriffen werden. Deutlich wird die Interpretation der objektiven Kultur als Einheit, wenn sie mit einer Konzeption hegemonialer oder repräsentativer Kultur (Tenbruck) verknüpft wird. Mit diesem Ansatz wird betont, dass es ein kulturelles Zentrum gibt, welches allerdings von einer kulturellen Peripherie umgeben ist, mit der es im Streit um Deutungshoheit und legitime Interpretation von Symbolen steht. Kultur als relativ einheitliches subjektives wie objektives Konstrukt zu begreifen bedeutet, eine gewisse Skepsis gegenüber denjenigen zu bewahren, die von Multi- oder Interkulturalität als einem hierarchielosen, akephalen Neben- und 122

Miteinander sprechen. Wir erkennen im Modell von Zentrum und Peripherie eine Verwandtschaft mit dem Vorgang, der zuvor als subjektive Sinnsetzungsleistung beschrieben wurde. Indem Bestandteile der globalisierten Kultur in die hegemoniale regionale Kultur aufgenommen und als Eigenes interpretiert werden, bleibt deren Einheit aufrecht erhalten. Der gleiche Vorgang ist in der Auseinandersetzung des (kulturellen) Zentrums mit der Peripherie zu beobachten. Das Zentrum kann Inhalte der Peripherie aufnehmen, ohne sich als Einheit aufzulösen. Dieser Vorgang gleicht dem Um- oder Fortschreiben eines Skriptes oder aber der Aufschichtung des Wissensvorrates unter dem Vorzeichen von Relevanzen. Mit dieser Lesart von Kultur können auch Phänomene erklärt werden, wie z.B. dass McDonalds in China als chinesisches Unternehmen angesehen wird oder dass mit dem Ausschank von Bier in österreichischen McDonalds-Filialen die Verwurzelung in der Region akzeptiert wird. Populäre Kultur als Bestandteil der globalisierten Kultur hat nicht zwangsweise einen tiefen Effekt auf Normen, Werte und Verhalten der Menschen (vgl. Berger 2002: 6). »Goods, techniques, and fashion can be imported by a society without necessary leaving deep marks in the sediment of its inner cultural-meaning structures.« (Kellner/Soeffner 2002: 141) Anders verhält es sich mit der Sprache, die fundamental in den Sinnstrukturen der Kultur eingebettet ist. Kulturelle Identifikation erfolgt nach wie vor größtenteils via Sprache, also nationalkulturell. Die Phänomenologische Soziologie nimmt ihren Ausgangspunkt zur empirischen Analyse der Kultur in der Lebenswelt. Diese Lebenswelt ist empirisch in verschiedenen Kulturwelten vorzufinden. Kultur, so die Annahme der Phänomenologischen Soziologie (vgl. Srubar 2009: 67), ist zu großen Teilen in Wissensbeständen festgelegt. Sie ist als Wissen präsent. Als deren Träger können die Akteure in ihrem Alltag geltend gemacht werden. »Wissen generiert sich in Prozessen der Interaktion und Kommunikation mit Objekten und andern, d.h. pragmatisch und diskursiv.« (Ebd.) Objektive Kultur umschließt einen gemeinsam geteilten Sinnhorizont, der gleichzeitig einen gesellschaftlichen Ordnungszusammenhang zur Verfügung stellt. Der Wissensvor-

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rat, Relevanzsetzungen und bis zu einem bestimmten Grad wohl auch die Strukturen der Lebenswelt sind kulturell gefärbt. Nimmt man die von Schütz formulierten Erfahrungen des Fremden in einer anderen Kultur ernst (vgl. Kap. III.), so beschreibt dessen Feststellung zunächst eine Erfahrung der Differenz. Gewohntes und Vertrautes ist im Alltag des Fremden in einer anderen Kultur kaum mehr vorzufinden. Die Annahme des »Ich-kann-immer-wieder« in Bezug auf die Bewältigung alltäglicher Handlungsprobleme und die Unterstellung, dass der Andere den Sachverhalt (das Symbol, die Situation etc.) genauso sieht wie ich, können nicht aufrechterhalten werden. Alfred Schütz hat wie kaum ein zweiter Soziologe auf die Grenzen in der Verständnismöglichkeit von Alter und Ego hingewiesen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Phänomenologische Soziologie in seiner Nachfolge der Frage nach dem kulturellen Verstehen mit Skepsis gegenüber tritt. Die Unterstellung, dass der Andere an meiner Stelle genauso so handeln würde wie ich, geht schließlich von einer weitgehenden Deckung der Wissensvorräte von Alter und Ego aus, die in der Praxis so nicht vorhanden ist. Selbst in einem modellhaft entworfenen homogenen kulturellen Umfeld ist die Erfahrung zweier Akteure unterschiedlich. Die Unterschiede wachsen mit der Sozialisation von Alter und Ego in verschiedenen kulturellen Umfeldern. Die Soziologen Jochen Dreher und Peter Stegmaier haben sich ausführlich mit Differenz- und Fremdheitserfahrungen vor dem Hintergrund einer globalisierten Gesellschaft auseinandergesetzt. Die weiter oben betonte Skepsis gegenüber problemloser praktischer Multi- und Interkultur wird von den Autoren in einer Fokussierung auf die Grenzen des intersubjektiven Verstehens gewendet. Sie betonen die Fragilität des intersubjektiven Verständnisses, die Verschiedenheit des Anderen und die Zerbrechlichkeit kultureller Gewissheiten im Alltag: »Unser Ansatzpunkt für dieses notwendige Verstehen [des Problems kultureller Differenz] liegt in der Frage, wie es kommt, dass kulturelle Prägungen […] nicht gewechselt werden können wie Hemden, auch nicht so einfach vermischt werden können wie die Zutaten von Milchshakes. […] Gegenseitiges Verstehen ist für Akteure nie vollständig möglich, so dass wir es gewohnt sind, mit Unschärfen des Verstehens und 124

mit Missverständnissen zu rechnen.« (Dreher/Stegmeier 2007: 10) Ein erster Ansatzpunkt zur Erklärung der Starrheit kultureller Prägung haben Berger und Luckmann mit dem Konzept der primären und sekundären Sozialisation (s. Kap. VI.) aufgezeigt. In der empirischen Analyse führt das Problem kultureller Differenz zu einer Reihe von Fragen, deren Beantwortung noch lange nicht umfassend erfolgt ist. Die gegenwärtige phänomenologischsoziologische Forschung im Bereich der Kultur sucht nach Konstruktionsprinzipien des Fremden und des Anderen. Wie wird das Fremde im Gegensatz zum Eigenen her- und dargestellt? Damit verbunden ist die Möglichkeit, eine eigene Identität in Abgrenzung zum Anderen zu entwickeln. Die Operationalisierung der Frage, wie Fremdheit im Alltag in Erscheinung tritt und wie mit Fremdheit umgegangen wird, führt schließlich zum Problem der »Übersetzung« vor dem Hintergrund kultureller Differenz. Übersetzung kann hier sowohl als sprachliche Translation wie als Übersetzung von fremdem Sinn verstanden werden. Einen weiteren Ansatz, Kultur in die soziologisch-phänomenologische Forschung einzubeziehen, bietet ein Kulturvergleich ausgehend von dem Konzept der multiple realities. Hier steht nicht das einzelne Subjekt, sondern ein Kollektiv oder eine Gruppe im Fokus, die sich eine »Realität« oder besser: eine Sub-Lebenswelt teilt. Multiple Realitäten sind damit nicht als Traum-, Wissenschafts- oder Arbeitswelt in Kontrast zur Lebenswelt zu verstehen, sondern unterscheiden sich in der jeweiligen spezifischen kulturellen Ausdeutung der Lebenswelt. Sieht man sich die Schütz’sche Konzeption der Lebenswelt unter den Vorzeichen der Kultur genauer an, dann wird deutlich, dass es für alle Menschen zwar eine Lebenswelt gibt, dass deren Ausdeutung aber immer nur verschieden sein kann. Wenn sich Kultur weitgehend in Form von Wissen (als Toolkit) darstellt, zeigt sich die zuvor geschilderte Annahme in einer Vielzahl an Wissensvorräten. Die Lebenswelt als Kulturwelt ist also immer in heterogene Wirklichkeiten gegliedert. Soziologisch verwendbar wird diese Vielzahl an Realitäten bzw. Kulturwelten durch die Vorgänge der Abstraktion und Typenbildung, so dass gemeinsame kulturelle oder subkulturelle Ausdeutungen, wie z.B. die oben geschilderte »kleine Lebenswelt« der Bodybuilder, offen gelegt werden können. Trotz der kulturell unterschied125

lichen Deutung der Lebenswelt wird aber davon ausgegangen, dass die Grundstrukturen der Lebenswelt gleich sind. Martin Endreß sieht hierin einen forschungspraktischen Vorteil: »Wenn es in phänomenologischer Forschungspolitik gelingt, universale Strukturen freizulegen, könnten diese der vergleichenden Analyse verschiedener Kulturen nicht nur als struktureller Leitfaden im Sinne einer ›Matrix‹ dienen […], sondern zugleich als Orientierungspunkte interkultureller Übersetzungsprozesse.« (Endreß 2006: 111) Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass mit der Analyse der Strukturen der Lebenswelt immer auch Mechanismen der Generierung und Differenzierung von Wissen als wesentlicher Bestandteil der Kultur aufgezeigt werden. Um die Analyse von kultureller Differenz auf kollektiver Ebene zu veranschaulichen, kann abschließend noch auf ein Forschungsprojekt von Ilja Srubar, einem der gegenwärtig umtriebigsten Vertreter des phänomenologischen Paradigmas in der Soziologie, hingewiesen werden. Srubar hat zwischen 2003 und 2005 eine Untersuchung über »Interkulturelle Kommunikation in multikulturellen Unternehmen« (Srubar 2009: 169) in Tschechien, beim Automobilhersteller Skoda nach dessen Fusion mit VW, durchgeführt. »Das Ziel der Untersuchung war es, zu sehen, inwiefern Kommunikations- und Übersetzungsprozesse zum Erfolg von interkulturellen Fusionen beitragen.« (Ebd.) Die kulturelle Fremdheit, die Gegenstand des Projektes war, unterscheidet sich allerdings von der Fremdheit in der Alltagserfahrung deutlich, da im vorliegenden Fall ein Kulturkontakt bewusst inszeniert war und dadurch professionelle Übersetzer zur Verfügung standen. Die Präsenz von Übersetzern verweist auf ein erstes Problem, das zur Überwindung der Sprachdifferenz von Managern gegeben ist, und das sowohl die Umgangs- als auch die Fachsprache betrifft. Zur Zusammenarbeit mussten also zuerst Übersetzungsund Kommunikationskompetenzen erlangt werden, um schließlich eine gemeinsame Sprache im lexikalischen wie pragmatisch operativen Sinn zu etablieren (vgl. ebd.: 170). Interessant ist in diesem Zusammenhang der Sachverhalt, dass je nach Kultur eine bestimmte Umgangsform mit Kulturdifferenz aufgezeigt wurde; so stellte sich die Strategie im Umgang mit Differenz von deutscher Seite anders als von tschechischer Seite dar. Aufgrund der beson126

deren Kooperationssituation kennzeichnet Srubar die Praxis für beide Seiten als von Ambivalenz geprägt: »Einerseits wurde im alltäglichen Vergleichen die Fremdheit des anderen festgehalten und beschrieben, andererseits jedoch durch die Wahl ›entschärfender‹ Deutungen und Rahmungen abgemildert und überbrückt.« (Ebd.: 171) Die Kulturdifferenz äußert sich in dieser Untersuchung in unterschiedlichen Stilen des Konzernmanagements, die jeweils historisch-kulturell geprägt sind. Diese Unterschiede wurden von beiden Seiten erkannt, doch blieben die Akteure in ihrem Habitus gefangen und Annäherungsversuche an den anderen Stil wurden als körperliche und mentale Anstrengung erfahren (vgl. ebd.: 174). Srubar betont, dass das Ziel der Zusammenarbeit nicht ein authentisches Verstehen oder Eintauchen in die Sinnwelt der anderen Kultur sein konnte, sondern allenfalls ein heterogenes Drittes darstellte, das nicht Bestandteil der zwei Kulturwelten ist. Diese sogenannte »Dritte« bedeutete für die Akteure der Untersuchung, einen interkulturellen »working consensus« zu finden, der darin bestand, »dass er die Differenz nicht leugnet bzw. einebnet, sondern anerkennt und Sinnelemente bereithält, die die Beschreibung und Übersetzung dieser Differenzen durch Operationen der reflexiven Nostrifizierung ermöglichen«. (Ebd.: 175) Theoretisch gewendet meint dies, dass im Prozess der interkulturellen Kommunikation ein heterogenes und paradoxes Deutungsschema entstanden ist, welches es den Akteuren immerhin ermöglicht, kulturelle Fremdheit vergleichend zu rekonstruieren und zu akzeptieren (vgl. ebd.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass mit Leib, Wissen und Kultur drei Forschungsfelder der Phänomenologischen Soziologie aufgezeigt sind, die gegenwärtig verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Diese drei Bereiche sind sicher nicht alle Forschungsbereiche, die von Vertretern dieses Ansatzes verfolgt werden, aber es sind vielleicht diejenigen, die am deutlichsten die Konturen des Ansatzes tragen. Das Potential der Phänomenologischen Soziologie ist hiermit allerdings noch nicht vollends ausgereizt. Der phänomenologisch-soziologischen Theorie und der auf ihr aufbauenden empirischen Forschung sind daher zahlreiche Anhänger zu wünschen, die sich um deren Studium, Kritik und 127

Anwendung bemühen und damit die Möglichkeiten des Ansatzes ausschöpfen. Die Phänomene der sozialen Wirklichkeit sind zahlreich und warten darauf, verstanden und erklärt zu werden.

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Anmerkungen 1

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Der Begriff Phänomenologie wird erstmals von dem Philosophen Johann Heinrich Lambert im 18. Jahrhundert verwendet. Sowohl Kant als auch Fichte beziehen sich auf Lambert. Kant verwendet den Begriff in Bezug auf ästhetische Erscheinungen, Fichte wendet den Gebrauch des Begriffs von den Gegebenheiten der Sinne zum Sein des Selbstbewusstseins. Hegels Phänomenologie des Geistes hat schließlich allein das Bewusstsein als Erscheinung des Geistes zum Gegenstand. Seven Widely Accepted Features of the Phenomenological Approach. S. FN 1. Übersetzung P. F. Im Bereich der Sozialwissenschaften verweist Positivismus auf den Soziologen Auguste Comte (1798-1857) (vgl. Wagner 2001). Die Betonung der Tatsachen in dieser Denk- und Wissenschaftsform schließt metaphysische Erörterungen aus. Quelle aller Erkenntnis ist für den Positivismus das Gegebene, Tatsächliche, Sichere und Zweifellose, auf das sich die Forschung beschränken soll (vgl. Klaus/Buhr 1972: 865, Schischkoff 1965: 473). Der Begriff der Meditation wird von Husserl im Zusammenhang mit der Philosophie Descartes’ verwendet. Er bezeichnet eher unbestimmt einen Vorgang der Reflexion und des methodisch geleiteten Nachdenkens. Zu Husserls eigener Lebenswelt und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zeit vgl. Luhmann: 1997. Auch innerhalb der Philosophie ist die Kritik berühmt geworden, nach der Heideggers Denken als das auf den Begriff gebrachte Programm des »Hohen Meißner« zu verstehen ist. »Mein gesamtes phänomenologisches Arbeiten verläuft am Leitfaden des Bemühens, die Irrtümer und Verrenkungen der psychologistisch-introjektionistischen Vergegenständlichung zu korrigieren und vor allem die großen Massen wichtiger, im Alltag normaler und bekannter, aber unbedachter Lebenserfahrungen, die dabei vergessen und verstümmelt worden sind, an das Licht begreifender Besinnung zu ziehen.« (Schmitz 2003: 6) 129

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Ausführlich zu Leben und Werk von Schütz vgl. Endreß 2006, Grathoff 1989: 17-32. 10 Schütz bezieht sich zudem auf den französischen Philosophen Henri Bergson (1859-1941), der bereits 1889 eine Abhandlung über die Zeiterfahrung des Bewusstseins vorlegt (vgl. Bergson 2005). 11 Zu Max Weber vgl. einführend: Müller 2007. 12 Die Beschränkung auf diese zwei Werke erfolgt aus den systematischen Gründen einer Einführung. Die Werkausgabe von Schütz liegt mittlerweile nahezu vollständig vor: Alfred Schütz: Werkausgabe, Hgg. von Richard Grathoff, Hans-Georg Soeffner und Ilja Srubar, 2009f. 13 So glaubt Blumenberg z.B., dass »die Lebenswelt in ihrem kulturkritischen Gebrauch zu einer Wunschwelt degeneriert, die mit allen möglichen Versatzstücken der vermeintlichen Annehmlichkeit des Lebens ausgestattet werden kann«. (Vgl. Blumenberg 2010: 38) 14 Anders als beim Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn (vgl. Kuhn 2001), der den Verlauf von wissenschaftlichen Revolutionen für die »Normalwissenschaften« als Abfolge von Paradigmen begreift, bestehen innerhalb der Sozialwissenschaften mehrere Paradigmen nebeneinander. So treten z.B. Vertreter des phänomenologischen Ansatzes, der marxistischen Theorie sowie des Strukturfunktionalismus in Konkurrenz. 15 Das interpretative Paradigma spiegelt sich methodisch in qualitativen Verfahren wie z.B. der Konversations- und Narrationsanalyse, der (objektiven) Hermeneutik und der Dokumentarischen Methode wider. Vgl. zu den Methoden Kleeman/ Krähnke/Matuschek: 2009. 16 Das englische »me« weist eine deutliche Verwandtschaft zu Freuds Über-Ich auf (vgl. Mead: 1973. 254f.), auch wenn Mead Freuds Schule als »phantastische Psychologie« bezeichnet. 17 Die Verwandtschaft zum Begriff Ethnologie ist bewusst gewählt, da auch diese sich um das (Alltags-)Wissen einer fremden Kultur bemüht. 18 Vgl. umfassender dazu Luckmann 1992, Dreher 2007.

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19 Der beste Einstieg zu Goffman gelingt über: Ders.: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 2003. Zu Leben und Werk s. Raab 2008. 20 Zu Leben und Werk Simmels s. Junge 2009. 21 Schütz’ Verwendung erfolgt im Rückgriff auf den Philosophen Eric Voegelin (1901-1985), der diesen Begriff als erster benutzt. 22 Vgl. maßgeblich dazu Schulze 1993. 23 Neben Knoblauch bietet Maasen (2009) einen guten Überblick über das breite Feld der Wissenssoziologie. 24 Ideengeber hierfür ist die philosophische Anthropologie Gehlens (vgl. Gehlen 2009). 25 Mit diesem »turn« nimmt die Soziologie den Körper wieder in den Blick, z.B. als diszipliniertes Objekt in Foucaultscher Tradition, in der Körperlichkeit innerhalb sozialer Praxis, als Verkörperung personaler und kollektiver Identität. Vgl. einführend: Klein 2010: 457-475. 26 Zur ausführlichen Differenzierung zwischen Leib und Körper s. Gugutzer 2002: 59ff. 27 Für eine besondere Bedeutung des Körpers in der Gegenwartsgesellschaft spricht nicht nur die mediale Präsenz von (nackten) Körpern, sondern auch dessen Darstellung in der Öffentlichkeit. Zudem besteht derzeit offensichtlich ein Interesse für die Möglichkeit der technischer Manipulation des Körpers. 28 »Lifeworld is a world interpreted, apperceived, and apprehended in a specific way; in a word, it is a cultural world, more precisely the cultural world of a certain socio-historical group, that of our society at the present moment of its history.« (Gurwitsch 1970: 50) 29 Wie die Körper-, Sport- oder Arbeitssoziologie. 30 Zu vermuten wäre allerdings, dass sich die Problemfälle im Alltag einer globalisierten Kultur häufen.

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Stephan Moebius Kultur (2., überarbeitete Auflage) 2008, 248 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-89942-697-7

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Uwe Schmidt, Marie-Theres Moritz Familiensoziologie 2009, 158 Seiten, kart., 11,50 €, ISBN 978-3-89942-671-7

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