Phänomenologie der Wahrnehmung

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Phänomenologie der Wahrnehmung

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MAURICE MERLEAU-PONTY PHÄNOMENOLOGIE DER WAHRNEHMUNG

PHÄNOMENOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN

h e r a u s g e g e b e n

v o n

C.F.GRAUMANN U N D J.LINSCHOTEN f

BAND 7

1966 WALTER

DE

G R U Y T E R fic C O . / B E R L I N

V O Ä M A L S G. J. G O S C H B N ’ S C H B V B H L A C S H A N Q L U N C i - J, G U T T E N T AC , VEJtLAGSB U C H H A N D I V M O - C Ü O R G H E T M H R - K A R L ] . T R ( l B N E E - V E I T 4 COWP*

PHÄNOMENOLOGIE DER WAHRNEHMUNG von

MAURICE MERLEAU-PONTY

Aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von

RUDOLF BOEHM

1966 WALTER

DE

G R U Y T E R & CO./ B E R L I N

VORMALS G. J.GÜSCHÊN'SCïtt VLmACSllANßHJWt - j. GLFTTENTAÖ. YERLACSBV CHHANDLUMC - GEORG REIMER - KAftL J.TRÜBNËR - VEIT* COMP,

Mit 9 Abbildungen, Das Originalwerk erschien unter dem Titel Phénoménologie de la Perception in der R eihe Bibliothèque des Idées Im Verlag Gallimard, P ans, erstmals 1945 und teitdem in mehreren unveränderten Neuauflagen. Die Seiten­ zahlen der Original Veröffentlichung finden sidi in Klam m em v n oberen Innenrand der Seiten der vorliegenden Ubersetzungn

PhotomechaniAcher Nachdruck 1974

Ajduv-Nr. 3499653

© 1965 by Walter dir Groylei & Ca., vom ul; G. J. G ixiKa'tdie Vciligthindluiig ■ J* Cuttd iljj, VcilifibiuUunilluDg 1C w fg Rviihtt - Karl J. Trübflef - Velt&CoHip»i IBtrlLniKl

PridtEd in GenDisy All« Redite Vorbehalten* Ohne ausdrücklich« G«nahmiguiig des Verlag« Lit es auch nlAt gestattet. dicxi Biiti oder Toller dantu auf phatoniKhuiiduDi W tft (fbstilwpi#, MllcToltopie, X e n o iä p ie ) t u vervieLfälti£jGU
Gewiß sortieren anomale Kinder“ Farben, selbst verschie­ dene, Zusammen, wenn man ihnen beigebracht hat, sie bei demselben Namen zu nennen. Doch das sind eben anomale Verhaltungen; sie drüdeen nicht das wesentliche Verhältnis von Sprache und Denken aus, sondern das zufällig-pathologisdie Verhältnis einer Sprache und eines Denkens, die gleichermaßen dem Boden ihres lebendigen Sinnes entwurzelt sind. T at­ sächlich sind viele Kranke auch imstande, die Farbennamen zu wiederholen, ohne darum aber die Farben sortieren zu können. Und so gilt denn auch bezüglich des Falles der amnestischen Aphasie: „Das Nichteinfalhn des Wortes an «iA kann es also nieftt sein, das das kategoriale Verhalten erschwert bzw. unmöglich nwöfcf, sondern die Worte müssen etwas eingebüßt haben, was ihnen n ormalerweise zu kommt und was sie geeignet macht, im Zusammenhänge mit dem kategurialen Verhalten verwendet zu w eiden"” * Was haben sie eingebüßt? Ihre begriffliche Bedeutung etw a? Hätte sich der Begriff aus ihnen zurückgezogen, und wäre folglich das Denken als die Ursache der Spruche aniusehen? Doch ein Wort, dus seinen Sinn verliert, verwandelt sich deutlich bis ln seine sinnliche Erscheinungsform hinein - es w ird zum „leeren Schall“1*, Nennt man dem Amnestischen einen Farbennamen und fordert ihn auf, ein entsprechendes Muster zu wühlen, so wieder­ holt er das W ort, als erwarte er etwas von ihm. Doch der Name der Farbe ist ihm zu nichts m ehr nutze, er sagt ihm nichts mehr, er erscheint ihm fremd und absurd, wie es audi uns mit einem Wort ergeht* das wir uns zu oft wiederholen®1* Kranke, für die die Worte ihren Sinn verloren haben, be­ wahren aber bisweiten im höchsten Grade das Vermögen der Ideenassozia­ tion". Nicht alsn hat sich der Name bloß von den einstigen „Assoziationen“ gelöst, er selbst hat sich alterjert, gleichwie ein entseelter Leib. Die Bindung des Wortes an seinen lebendigen Sinn ist kein äußerlicher Assoziationsverband, der Sinn wohnt dem Worte selbst inne, und so „verliert auch die Sprache den Charakter einer äußerlichen Begleiterscheinung intellektueller Vorgänge“” . So sieht man sich denn genötigt, der Sprache eine gestische, eine exictentielle Bedeutung zuzuerkennen, wie w ir uns oben schon ausdrückten. Wohl hat die Sprache ein Inneres, doch dieses Innere ist nicht ** E benda. ** E benda, a# Ebenda,

31 Ebenda. ** Man beobachtet etwa, wie sie angesichts eines gegebenen Musters (rot) si B, der Himmel ist schwarz) sind für ihn einfach nur sinnlra. E r kann nur spnedien, wenn er seine Sätze vorbereitet h atM. D aß er nu r automatisch spreche, kann man nicht sagen, denn keinerlei Zcidicn einer Schwächung der allgemeinen Intelligenz liegen vor, und seine W orte sind durchaus sinnvoll geordnet, B G olestein , U a n a ly s e d f l'&phatie st re sse n c e d u langage, S, -400. Goldstein stimmt hier mit Caünejvvm (Aphäsie and Motorik) überein, der gleichfalls über die Alternative zwischen der klassifdien Auffassung (Brcca) und den neueren Ansichten (Head) h in au ig eh t Was Griinbaum den Neueren verwirft, iit ,.die Vernachlässigung der motorischen Äußerungen und zugrunde hegender psycho­ physischer Strukturen als fundamenteHer Gebiete, deren fil&nmg das Bild der Aphasie beherrscht“ (S. 3fi6). M H o c h h e i m e * , , AnalysU; e i n e s Seelenblinden uötj der SprrtcJie aus. E s h a n d e lt sich nochm als u m den F a ll Schneider, deu w ir schon hinsichtlich der M otorik und der Sexualität untersucht haben.

233

Der Leib als Ausdmck und die Sprache

a. O., S. IST. *· In W ahrheit sagt W ertheim er nicht positiv, daß die W ahrnehmung der Be­ wegung diese unmittelbare Identität einschlieDL E r sb# es nur implizit, indem er es einer intellektualistisdicn Auffassung der Bewegung, die diese auf ein Urteil zuriickfiihrt, zum Vorwurf macht, die so gewonnene Identität „Eießt nicht direkt aus dem Erlebnis"; a. a. O., S. 167. 43

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Die Bewegung

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allein, daß in keinem Falle dieses je ein zunächst an seiner Stelle als stillstehend gegebenes Objekt A ist: insofern es überhaupt Bewegung gibt, ist das Bewegliche auch schon von der Bewegung ergriffen. Der Psychologe dürfte zugestehen, daß in jeder Bewegung, wenn nicht ein Bewegliches, so doch wenigstens ein Bewegtes ist, wenn nur dieses nicht mit einer der statischen Figuren verwechselt wird, die man vorfinden tan n , wenn die Bewegung an irgendeinem Punkte ihrer Bahn angehalten wird. Und hier gewinnt er die Uberhand über den Logiker, Denn dieser, da er einer von jedem Weltvörurteil freien Bewegungserfahrung aus dem Wege geht, spricht nur von der Bewegung an sich und stellt das Problem der Bewegung in Begriffen des Seins, die es letztlich unlösbar machen. Ausgehend von den verschiedenen Erscheinungen' der Bewegung an den versdiiedenen Funk­ ten der Bahn, 5teilt er fest, daß diese nur Erscheinungen ein und derselben Bewegung zu sein vermögen, sofern sie Erscheinungen ein und desselben Beweglichen sind, ein und desselben Erscheinenden*, ein und desselben Etwas, das durdi sie alle hindurch sich darstellt1. Doch nur dann bedarf es der Setzung des Beweglichen als eines Seins für sich, wenn seine E r­ scheinungen an den verschiedenen Bahnpunkten selbst schon realisiert sind als diskrete Perspektiven» D er Logiker aber kennt grundsätzlich kein an­ deres Bewußtsein als das thetisehe, und dieses Postulat und die Vor­ aussetzung einer gänzlich determinierten Welt, eines reinen Seins, betastet beständig seine Auffassung des Mannigfaltigen und dann auch seinen Begriff der Synthese. Das Bewegliche oder vielmehr, wie wir sagten, das Bewegte ist ein Identisches in den Bewegungsphasen, nidit hinter ihnen. Ich glaube nicht erst daraufhin, daß ich denselben Stein am Boden liegend wiederfinde,, an seine Identität im Verlauf der Bewegung. Im Gegenteil, weil ich ihn im Verlauf der Bewegung als identischen wahm ahm - in Ge­ stalt einer impliziten Identität, die uni zu beschreiben bleibt gehe Ich hir^ lim ihn aufseuheben, und finde ilin wieder. Wir dürfen nicht in dem Steinin-Bewegung all das zum voraus realisieren, was wir sonst schon anders­ woher von dem Stein wissen. Ist, was ich wahmehme, ein Kreis, so sagt der Logiker, so sind seine sämtlichen Durchmesser gleich. Dodi bei solchem Vorgehen m üßten dem wahrgenommenen Kreis audi die sämtlichen Eigen­ schaften schon zugesdirieben werden, die ein Geometer je an ihm ent­ decken konnte und wird entdecken können, Nun ist es der Kreis als Ding der Welt, der an sich und zum voraus all jene Eigenschaften besitzt, die je die Analyse an ihm zu entdecken vermag. Bunde Baumstämme hatten schon vor Euklid die Eigenschaften, die dieser entdeckt hat. Doch in dem Kreis als Phänomen, wie er dem Griechen Euklid zuvor erschien, war das Q uadrat über der Tangente nicht gleich dem Produkt der ganzen Sekante * Die Worte ^ErstJieioungen“, „Erscheinende" und .dustellt“ auf deutsch zwischen Klammem im Original.

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Das Phänomen der Bewegung

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mit ihrem Außenabschnitt; im Fhänomen kamen dieses Q uadrat und dieses Produkt gar nicht vor, und ebensowenig waren notwendigerweise die gleichen Radien gegeben. Das Bewegliche, als Gegenstand einer unbe­ stimmt-endlosen Reihe expliziter und übereinstimmender W ahrnehmungen, hat Eigenschaften; das Bewegte hat allein einen Stil. Unmöglich ist nur, daß der wahrgenommene Kreis ungleiche Durchmesser hat, d aß Bewegung ohne irgendein Bewegtes ist. Düih dam it hat dieser wahrgenommene Kreis nicht Auch schon gleiche Durchmesser, insofern er nämlich überhaupt keinen Durchmesser hat; er bekundet sich mir, macht sich erkennbar und unter­ scheidbar von jeder anderen Figur durch seine kreisförmige Physiognomie, und nicht durch irgendwelche „Eigenschaften“, die das thetisdie Denken alsdann in ihm zu entdecken imstande ist. In gleicher Weise setzt auch die Bewegung nicht notwendigerweise ein Bewegliches voraus, nämlich kein durch eine Gesamtheit bestimmter Eigenschaften definiertes Objekt, es genügt, daß sie ein „Etwas, das sich bewegt", einschlieGt, höchstens noch „etwas Farbiges", oder „etwas Helles“, doch ohne bestimmte Farbe oder bestimmtes Licht. Diese dritte Möglichkeit schließt der Logiker aus: ihm müssen die Radien des Kreises gleich oder ungleich sein, muß die Be­ wegung ein Bewegliches aufweisen oder nidit. Doch diese Forderung nimmt zum voraus den Kreis als Ding und die Bewegung an sich. Gerade dies aber macht, wie wir sahen, letztlich die Bewegung überhaupt unmöglich. D er Logiker hätte nichts zu denken, selbst nicht einen Schein von Bewe­ gung, gäbe es nicht der objektiven W elt zuvor eine Bewegung, aus der wir alle unsere Aussagen bezüglich der Bewegung schon schöpfen, gäbe es nicht allem Sein zuvor Phänomene* die wir erkennen, identifizieren, von denen wir sprechen können, kurz, die einen Sinn haben, wenngleich sie noch nicht thematisiert sind**. Auf diesen phänomenalen Untergrund weist uns der Psychologe zurück. Ihn als irrational oder antüogisch zu bezeichn ** Linke, a, a. O-, S. 14 f., gesteht schließlich zu, daß das Substrat der Bewegung unbestimmt sein kann (wie wcart man in der stroboskopIndien Vorführung «ja Dreieck such auf einen Kreis zu bewegen und in ihn sich verwandeln sicht), daß das Bewegliche nicht der Setzung dutth einen Akt ausdrückliche! Wahr­ nehmung bedarf, daß es in der BewegungswahmehmiLng nur „mi (gemeint*1 □der „raiterfaOt" ist, daß es gesehen nur ist wie die Rüdeseite eines Gegen­ standes oder der Raum hinter mir, endlich daß, wie die Einheit des Wahrnehmungsdinges, die Identität des Beweglichen erfaßt wird in einer kategorialen Wahrnehmung (Hus&erl), in der die Kategorie wirksam ist, ohne selbst für sich gedacht zu »in, Doch der Begriff der kategorlalen Wahrnehmung stellt die ganze vdraiigegongene Analyse in Frage. Läuft er doch darauf hinaus, in die Bewegungrwahmehmuttg ein nicht-thetisdies Bewußtsein rinzuführen, und damit, wie wir gezeigt haben, nicht allein ein Apriori im Sinne der Wesensratwendigkeit, sondern auch den Kärntischen Begriff der Synthese xuriiekzuweisen. Linkes Arbeit ist charakteristitth für die zweite Phase dpi Musserlschen Phänomenologie, die des Übergangs von der eidetüchen Methode und dem Lögizism us seiner Anfänge zum Existentialismus der späteren Zelt.

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Die Bewegung

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nen, wäre verfehlt Das wäre nur die Setzung einer Bewegung ohne Be­ wegliches, N ur die explizite Verneinung eines Beweglichen verstieß« gegen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. N ur müssen wir sagen, daß dieser phänomenale Untergrund im buchstäblichen Sinne des Wortes vorlogisch ist und für immer b le ib t Unser Bild der W elt ist nicht allein aus lauter Sein zu bilden, es gehört das Phänomenale hinzu, welches von allen Seiten das Sein umschließt. W ir verlangen vom Logiker nicht, Erfahrungen Rech­ nung Zu tragen, die für die Vernunft Unsinn oder gar Widersinn sind, doch müssen wir die Grenzen dessen, was Suw fü r uns hat, weiter zurück verlegen und die enge Zone des thematischen Sinnes zurückversetzen in die sie umfassende nicht-thematischen Sinnes. D ie Thematisierung der Bewegung läuft auf ein identisches Bewegliches und auf die Relativität aller Bewegung hinaus und zerstört damit diese. Wollen wir das Phänomen der Bewegung emstnehmen, so müssen wir eine W elt denken, die nicht allein aus Dingen, sondern aus reinen Obergängen besteht. Das Etwas im Übergang, dessen Notwendigkeit für die Konstitution der Veränderung wir erkannt haben, definiert sich allein durch seine besondere Weise des „Vorübergehens“ . D er Vogel etwa, der meinen Garten überquert, ist Im Augenblidc der Bewegung selbst nichts als ein graues Vermögen zu Riegen, wie w ir denn überhaupt noch sehen werden, daß die Dinge sich in erster Linie dureh ihr *Verhalten4', m dit durch statische „Eigenschaf­ fen“ umgrenzen. Nicht ich bin es, der in jedem der durchlaufenen Funkte und Augenblicke denselben, durdi seine expliziten Charaktere definierten Vogel wiedererkenne, es ist der Vogel im Fluge, der die Einheit seiner Be­ wegung vollbringt, er ist es, der sich fortbewegt, dieser gefederte Wirbel, noch hier, ist es, der in einer Art Allgegenwart auch schon dort ist, 5 0 wie ein Komet m it seinem Schweif. Das vorobjektive Sein, das nicht-thematische Bewegte stellen kein anderes Froblem als das der Raum- und Zeiümplikation, das wir bereits erörterten. W ir sagten, daß die Teile des Raumes nach Brette, Höhe oder Tiefe nicht nebeneinander gestellt seien, sondern dadurch koexistieren, daß sie sich sämtlich um faßt finden von einem einzigen Anhalt unseres Leibes an der Welt, und dieses Verhältnis h at sidi schon ferner aufgeklärt durch unseren Nachweis, daß es ein zeitliches ist, ehe es noch zum räumlichen wird. Die Dinge koexistieren im Raume, da sie demselben W ahmehmungssubjekt gegenwärtig und von einer einzigen Zeitwelle getragen sind. Doch Einheit und Individualität einer jeden Zeitwelle sind nur insofern möglich, als diese eingedrängt ist zwischen die ihr vorangehende und die ihr folgende und als derselbe Pulsschlag der Zeit, der sie entspringen läßt, auch noch die vorangehende retiniert und schon die folgende zum voraus vorhält. Die objektive Zeit allein besteht aus sukzessiven Augenblicken. Die erlebte Gegenwart schließt Vergangenheit und Zukunft in ihre Dichtigkeit ein. Das Phänomen der Bewegung macht diese räumlich-zeitliche Implikation

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Das Phänomen der Bewegung

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nodi deutlicher· W ir wissen von einer Bewegung und einem Bewegten ohne jedes Bewußtsein der objektiven Positionen, so wie wir von einem Gegenstand im Abstand und von seiner wahren Große wissen ohne jede Interpretation und so wie wir in jedem Augenblick von der Stelle eines Geschehnisses in der Dichte unserer Vergangenheit wissen ohne jede aus­ drückliche Wiedererinnerung. Bewegung ist eine Modulierung eines uns schon vertrauten Milieus, und einmal mehr führt audi sie uns zurück auf unser zentrales Problem, das uns die Frage stellt, wie dieses Milieu sich konstituiert, das einem jeden Bewußtseinsakt sdion als Untergrund dient4*. '* Ein solches Prohlem ist nidit zu stellen, ohne schon über den Realismus, und so auch den der berühmten Deskriptionen Bergsuns hiAtuKugcKca. Bergscn stellte der Mannigfaltigkeit des N ebeneinander der äußeren D inge die „ M m ' nigfaltigkeit d e r Verschmelzung und wechselseitigen Durchdringung" des Be* wußtseins gegenüber. Sein Vorgehen Ist das einer „Verflüssigung- * E r spricht vom Bewußtsein als einer Flüssigkeit, in der Augenblicke und Positionen sich auflüsen, E r erblickt im Bewußtsein ein Element, in dem ihre Zerstreuung sldi wirklich auigehoben findet. Die unteilbare Ceste meines sich bewegenden Annes gibt mir dann eine Bewegung, die im äußeren Raum nicht anzutreffen ist, da meine Bewegung, sowie ich sie in mein inneres Leben zurlidtverlege, dort die Einheit eines U nausgedehnten wiedergewinnt. Das Erlebte, das Berg* son dem Gedachten entgegensetzt, ist ihm ein Konstatiertes, ist unmittelbare ..Gegebenheit*1. - Doch das heißt, die Lösung des Problems in einer Äquivokation suchen. Raum, Bewegung und Zeit weiden niiht dadufécu77. Kap. d „Spielraum" zwischen Klammem auf deutsch im O riginal

et leur dftpll·

(331/332) Der geschlechtliche, der mythisdie Raum» der Lebensraum

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gen. Sie hüllen m idi ein wie die Nacht und entziehen mir meine Freiheit und Individualität. Ich kann budistäblich nidit mehr atmen. Ich bin be­ sessen” . Zugleich ballt sich alles Geschehen gleichsam zusammen. Ein Kranker spürt einen eisigen Hauch, einen Duft von Eßkastanien und die Frische des Regens. Vielleicht, sagt er, „ging gerade in diesem Augenblidt jemand, dem man ähnliches zumutet wie mir, im Regen an einem KastanienhändJer vorbei"", Ein Sdüzophrener, dessen Minkowski und auch der Dorfpfarrer sich annahmen, glaubte, sie hätten einander getroffen, um von ihm zu sprechen®1. Eine schizophrene Greisin glaubt, jemand, der jemand anders ähnlich siebt, müsse diesem bekannt sein4*. Die Schrumpfung de& Lebensraumes, die dem Kranken keinerlei Spielraum mehr läßt, überläßt auch nichts mehr dem Spiel des Zufalls. Wie der Raum gründet sich auch die Kausalität, ehe sie nodi eine Beziehung zwischen den Gegenständen ist, auf meinen Bezug zu den Dingen. Die „Kurzschlüsse“*7 der Kausalität im Delirium wie die langen Kausalketten des methodischen Denkens sind Aus­ drücke von Weisen des Existieren^": Tatsache ist „die Verflochtenheit des Raum erlebens. .. mit allen psydrisdien Erlebnisweisen und Gegeben­ heiten"**. D er klare Raum, dieser ehrliche Raum, in dem alle Gegenstände gleiche Bedeutung und gleiches Dascinsreiht haben, ist nicht allein um­ geben, sondern durdi und durdi durchdrungen von einer anderen Räum­ lichkeit, die in den krankhaften Modifikationen der Raumerfahrung sich enthüllt. Ein Schizophrener steht im Gebirge vor einer Landschaft still· Einen Augenblick später fühlt er sich wie bedroht. E r zeigt ein plötzlidies Interesse für alles, was ihn umgiht, als sei ihm von außen eine Frage gestellt, auf die er die Antwort nicht zu finden weiß. Flütztich wird ihm „wie durch eine fremde Gewalt die Landschaft weggerückt“. Es ist, als ob „hinter dem mattblauen Abendhimmel ein zweiter, schwarzer Himmel sich dehne, der von grauenhafter W eite“' ist. Dieser neue Himmel ist leer, „fein“, „unsichtbar", „schauerlich"1. Bald bewegt er sich in der u

. a u f d i r S tra ß « ist etw a? w ie e in G em urm el, d a s ihn g ä n z lid i «fnJiítííf,' eH nnjo fü h lt e r sich se in e r F re ih e it b e ra u b t, als a lt b e s tä n d ig M ç n jd ie n tim iJm h e ru m g eg en w ä rtig wSrfln; im C a f é ist irg e n d e tw as N e b e lh a fte s tim ih n h eru m u n d c i fCih.lt e in B eb en ; u n d w e n n d ie S tim m en b e so n d era ia h ]reic h u n d hüuflg w e rd e n , is t d ie A tm o sp h äre u m ih n A eram w ie von F e u e r d u id iträ n lrt, u n d d a s ru f t gleichsam einen D rude im In n e re n sein es H e rz e n s u n d se in e r L u n g e h erv or u n d u m n e b e lt sein e n K o p f." M in k o v s x i, p ro b lèm e d es h a U u tirvitio n s e i le p ro b lè m e d e Vesp a ce, S. 69.

** Ebenda. “ Le temps vécu, S. 370. « A. a. 0 . t S. Û79. « A .a .O . , 5 ,3 8 1 , ** D a h e r k a n n m a n m it S chelek , rc fe a ftm iu -fîe a ta fliu ï, S. S86, sag e n , d e r R a u m N ew ton s b e z e u g e d ie „Leere de s H e rz e n s".

** Fucheä, Zur KftnJfc und Ptydwhgie des Rmtmerhbens, S, 70,

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Der Lebeasraum

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herbstlichen Landschaft, und bald bew egt auch diese selbst sich. Und all dies, sagt der Xranke, „war ein fortwährendes an m idi gerichtetes Fragen, ein Befehl, auszuruhen, sogar zu sterben, o d e r weiterzugehen "w. Dieser den sichtbaren Raum durdidringende zweite Raum ist aber kein anderer als der, den von Augenblick zu Augenblick unsere je eigene Weise des Weltcntwurf$ entfaltet, und die Störung beim Schizophrenen besteht uur darin, daß dieser beständige Entwurf sich ihm abiöst von der objektiven Welt, wie die Wahrnehmung sie ihm noch darbietet, und ihm gleichsam sich in sich selbst zurüdezieht, Der Schizophrene lebt nicht mehr in der gemein­ samen Welt, sondern in einer privaten Welt, er gelangt nicht mehr zu einem geographischen Raum; er bleibt in der „Landschaft"71, und diese L&ndsehaft selbst, einmal abgeschnitten von der gemeinsamen Welt, ist eine sehr verarmte. Daher das schizophrene Fragen: alles ist erstaunlich, absurd (jnJer unwirklich, da die Bewegung der Existenz auf die Dinge zu ihre Energie verloren hat, der Kranke selbst sidi in seiner Kontingenz erscheint und die Welt sich ihm nidit mehr von selbst versteht. Wenn dahingegen der natürliche Raum, von dem die klassische Psychologie spricht, beruhi­ gend selbstverständlidi ist, so weil die Existenz in ihn sich hineinstürzt und sich in ihm vergißt.

[ f 31, Setzen diese Räume den geometrischen Raum vowvs? Die notwen­ dige Anerkennung ihrer Ursprünglichkeit] Die Deskription des anthropologischen Baumes könnte beliebig weiter ausgeführt werden™. Es ist klar, daß ein objektives Denken ihr immer die Frage entgegenhalten wird; Haben solche Beschreibungen philosophische Bedeutung? M, a. W.: Besagen sie etwas über die Struktur des Bewußt­ seins selbst, oder geben sie nur menschliche Erlebnistnhalte wieder? Sind die Raume des Traumes und des. Mythus und der schizophrene Raum wahr­ haftige Bäume, vermögen sie für sich selbst zu sein und gedacht zu werden, ™ FrscHEit, flatim-Zeif'StruJrfur und Denkstömng in der Schizophrenie, S. 253. TJ E. S t r a u s , Vom Sinn der Sinne, S, 290. 71 So wäre etwa zu zeigen, wie auch die ästhetisch# Wahrnehmung eine eigen« Hämalichkeit eröffnet; daß ein Bild all Kunstwerk nicht ln demselben Raum ist, dem es als physisches Ding und gefärbte Leinwand zu gehört; daß der Tanz

H ecd egg eh , Sein u n d

//

Zell·

Zeit, S. 3SL

14. Die Zeit ist n i d i t in d e n D in g e n ]

W em wir im Vorangehenden, auf dem Wege unseres Rüdeganges auf die Subjektivität, der Zeit immer schon begegnet sind, so zunächst, weil all unsere Erlebnisse, insofern sie die unsrigen sind, sich einfügen in die O rd­ nung dös Zuvor und Hernach, weil die Zeitlichkeit, mit Kant zu reden» die Form des inneren Sinnes ist und der allgemeinste Charakter der „psychi­ schen Tatsachen'1, in W ahrheit aber haben wir unabhängig von dem, was uns die nachfolgende Analyse der 7-cit erbringen wird, bereits ein weit tieferes Verhältnis von Zeit und Subjektivität entdeckt. Soeben sahen wir, daß das Subjekt, wiewohl sich nicht reduzierend auf eine Reihe psychischer Vorkommnisse, gleichwohl auch nicht ewig zu sein vermag. Zeitlich aber ist es nicht infolge irgendeiner zufälligen menschlichen Konstitution, sondern auf Grund einer inneren Notwendigkeit-, So sind wir aufgefordert, um von Zeit und Subjekt einen Begriff zu bilden, der beider innerliche Kommunikatiun miteinander begreift. Zum voraus können wir über die Zeitlichkeit sagen, was wir oben schon z. B, über Geschlechtlichkeit und Räumlichkeit sagten: Die Existenz kennt keinerlei äußere oder kontingente Attribute. Was auch immer sie ist - räumlich, geschlechtlich, zeitlich — vermag sie nur zu sein, indem sie es gänzlich ist, ihre „Attribute" übernehmend und sich aneignend, sie verwandelnd in Dimensionen ihres eigenen Seins, so daß jede nur irgend genauere Analyse eines jeglichen solchen „Attributs14 in W ahrheit immer die Subjektivität selbst betreffen muß. Es gibt keine übergeordneten und keine untergeordneten Probleme: alle Probleme sind konzentrische. Eine Analyse der Zeit kann nicht darin bestehen, aus einer * U nter „seas d 'u n c ¿tolle“ ist sein „Strich” zu verstehen.

b Das Heidegger-Motto auf deutsch im O riginal

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Die Zeit ist nicht in den Dingtni

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zum voraus gefaßten Idee der Subjektivität Folgerungen zu ziehen, viel­ mehr nur darin, im Durchgang durch die Zeit einen Zugang zur konkreten Struktur der Subjektivität zu finden. Nie kann es gelingen, das Subjekt zu verstehen in einer reinen Form, sondern stets nur im Zugang auf den Schnittpunkt aller seiner Dimensionen. Es gilt also, die Zeit in sich selbst Za betrachten und uns van ihrer inneren Dialektik selbst zu einer Erneue­ rung unserer Idee des Subjekts hinf(ihren zu lassen* Man sagt, die Zeit gebe vorüber oder verfließe. Man spricht vorn Lauf der Zeit. Das Wasser, das ich vorüberfließcn sehe, bat fiifh einige Tage au vor beim Sdimelzen eines Gletschers im Gebirge gebildet; es ist gegen­ wärtig vor mir, es fließt dem Meere au, in das es sidi eT gießen wird. W enn die Zeit einem Flusse ähnlich ist, so fließt sie aus der Vergangenheit der Gegenwart und der Zukunft zu. Die Gegenwart ist die Folge der Ver­ gangenheit, und die Zukunft die Folge der Gegenwart. In W ahrheit ist dieses berühmte Gleichnis ein äußerst verworrenes. Denn auf die Dinge selbst gesehen, sind die Sdineeschmelze und ihre Folgen keineswegs sukzessive Ceschehnisse, oder vielmehr es ist in der objektiven W elt überhaupt kein Raum für den Begriff des Geschehnisses selbst- Wenn ich sage, vorgestern habe der Gletscher das Wasser gebildet» das gegenwärtig vorüberfließe, so nehme ich einen Augenzeugen an, der an einen bestimmten Ort in der Welt gebunden ist, und vergleiche seine sukzessiven Ansichten des Vor­ gangs: dort oben war er bei der Schneeschmelze dabei und folgte dem Lauf des Wassers in seinem Abfluß, oder vom Ufer des Flusses aus sah er nadi zweitägigem W arten die Holzstüdce vorübertreiben, die er an der Quelle ins Wasser geworfen hatte. Die ^Gesdiehnisse" sind von einem endlichen Beobachter aus der raum-zeitlidien Totalität der objektiven W elt her ausgeschnitten. Wenn ich aber diese Welt selber betrachte, so habe ich nur ein einziges unteilbares Sein, das sich nicht wandelt. D er Wandel setzt einen bestimmten Posten voraus, an den ich midi versetze und von dem ans ich die Dinge vorüberziehen sehe; es gibt kein Geschehen ohne Jeman­ den, dem es gesdiieht, und dessen endliche Perspektive die Individualität des Geschehens begründet. Die Zeit erfordert eine Sidit auf die Zeit. Sie ist mit­ hin nicht wie ein Rinnsal, ist keine flüssige Substanz. N ur dadurdi konnte dieses Gleichnis von HerakHt bis heute sich aufrediterh alten, weil wir ins­ geheim dem Flusse schon einen Zeugen seines Laufes beigeben. Das tun wir bereits, wenn wir nur sagen, der Fluß ergieße siefc, denn damit unterstellen wir da, wo doch nur ein ganz außer sich seiendes Ding ist, eine Individualität oder Innerlichkeit des Rinnsals, das in der Äußerlidikeit seine Bekundung entfaltet. Sowie ich aber einen Beobachter einfiihrc, mag er dem Flußlaufe folgen oder vom Flußufer aus den VorüberfluG feststellen, sdilagen die Zeit Verhältnisse um. Im letzteren Falle verfließen die Wassermassen nicht in die Zukunft, sondern gehen in der V e r g a n g e n h e it unter; die Zu-kunft ist auf seiten der Quelle, die Zeit kommt nicht aus der Vergangenheit her. N idit

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Die Zeitlichkeit

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ist es die Vergangenheit, die die Gegenwart hervor treibt, noch die Gegen­ wart, die das Künftige ins Sein drangt; n kh t hinter dem Beobachter bereitet «;dl die Zukunft vor, sie braut skh vor ihm zusammen, wie ein Gewitter am Horizont, Folgt der Beobachter in einem Boot dem Wasserlauf, su kann man wohl sagen, er steige mit der Strömung herab seiner Zukunft entgegen, doch die Zukunft sind dann die neuen Gestade, die ihn an der Mündung erwarten, u nd der Lauf der Zeit ist nicht die Strömung selbst, sondern das Vorüberziehen der Landschaft an dem sich fortbewegenden Beobachter, Die Zeit ist also kein realer Prozeß, keine tatsächliche Folge, die ich bloß zu registrieren hätte. Sie entspringt meinem Verhältnis zu den Dingen, In den Dingen selbst sind Zukunft und Vergangenheit nur in Gestalt einer At( ewigen Präexisteni und ewigen Überlebens; das Wasser, das morgen vor üherfließen wird, ist in diesem Augenblick an seiner Quelle, das eben vorübergeflüssene Wasser ist jetzt ein wenig tiefer im Tal. Was für midi vergangen oder künftig ist, ist in der W elt gegenwärtig. O ft sagt man, in den Dingen selbst sei die Zukunft noch nicht. die Vergangenheit nidit mehr, die Gegenwart aber sei streng genommen nur eine Grenze, so daß die Zeit überhaupt sich in Nichts auflöst. Daher vermochte Lcibniz die objektive W elt als mens momentanen zu bestimmen, und eben daher forderte Augu­ stinus zur Konstitution der Zeit neben der Gegenwärtigkeit der Gegenwart eine Gegenwart auch der Vergangenheit und der Zukunft. Doch verstehen wir recht, was damit gesagt sein wollte* Nicht darum ist die objektive Welt außerstande, die Zeit in sich zu tragen, weil sie etwa gleichsam au eng dazu wäre, weil wir ihr erst die Dimensionen der Vergangenheit und der Zukunft hinzufügen müßten. Vergangenheit und Zukunft sind nur allfiu gegenwärtig in der Welt, sie existieren in der Tat in Gegenwart; woran cs dem Sein selbst gebridit, um zeitlich sein zu können, ist vielmehr das Nidil· sein des Anderswo, des Einstmals und des Morgen, Die objektive Welt ist zu. erfüllt, als daß es in ihr Zeit geben könnte. Vergangenheit und Zukunft entziehen sich von ihnen selbst her dem Sein und gehen auf die Seite der Subjektivität über, nicht zwar, um in ihr eine reale S tu b e zu finden, son­ dern im Gegenteil, eine ihrem Wesen entsprechende Möglichkeit des Nichtseins. Löst man die objektive "Welt von den Perspektiven ab, in denen sie sich erschließt, und setzt man sie an sidi, so kann man überall in ihr nur „Jetzte" finden. Mehr noch, da diese Jetzte für niemanden gegenwärtige sind, haben sie überhaupt keinen zeitlichen Charakter und vermögen nicht einander zu folgen. Die in den Vergleichen des gemeinen Verstandes implizit vorausgesetzte Definition der Zeit, die explizit cLwa lauten würde: „das Nacheinander der Jetztpunkte'11, geht nicht nur insofern irre, als sie 1 Heidegger., Sem u n d

Zeit, z. B, S*422i*

< Der Verf, gibt in der Fußnote den deutschen Ausdruck „Nftcheuiaader der J Ktzlpunkte" wieder.

(472)

Die Zeit ist nidit in den „BeuruGtseiuszuständen''

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Vergangenheit und Zukunft wie Gegenwarten verstellt: sie ist schlechter­ dings inkonsistent, insofern sie die Begriffe des „Jetzt" und des „Nach­ einander" selber zunichte m acht

/JT IS . Die Zeit ist nicht in den „Beutußtseitiszuständeti'1] So werden wir auch nichts damit gewinnen, die Zeit aus den Dingen in uns selbst z.u verlegen, wenn wir „im Bewußtsein" neuerlich den Irrtum hegehen, sie als das Nacheinander der Jetatpunkte zu bestimmen. Doch eben das tun die Psychologen, wenn sie das Bewußtsein der Vergangenheit aus den Erinnerungen, da s Bewußtsein der Zukunft aus einer Projektion dieser Erinnerungen ins Bevorstehende zu „erklären" suchen, Eine W ider­ legung der „physiologischen Theorien“ des Gedäditnisses, wie z. B, Bergson sie aufstellt, situiert sich selbst noch auf der Ebene der Kausalerkläning; sie besteht in dem Nachweis, daß H im spuren und andere körperliche Anlagen nicht adäquate Ursachen der Cedächtnfsph&nomene liefern; daß man z. B. im KöipeT keinen Erklärungsgrund für die Reihenfolge findet, in der in Fällen progressiver Aphasie die Erinnerungen verschwinden. Eine so ge­ führte Diskussion trügt wohl dazu bei, die Vorstellung einer körperlichen Konservierung der Vergangenheit zu diskreditieren? der Körper selbst stellt sich nicht mehr als ein Behältnis von Engrammen dar, sondern als pantomimisches Organ, dem die intuitive Verwirklichung der „Intentionen“* des Bewußtsein anvertraut ist. Doch diese Intentionen selber heften sidt an „im Unbewußten" erhaltene Erinnerungen, die Gegenwärtigkeit des Ver* gangenen für das Bewußtsein bleibt eine bloß faktische; man verkennt, daß unser vorzüglichster Grund, eine physiologische Konservierung der Ver­ gangenheit zu bestreiten, nicht minder ein Grund ist auch gegen die „psycho­ logische Konservierung*, denn dieser Grund ist der, daß keinerlei physio­ logische oder psychische „Spur“ der Vergangenheit das Bewußtsein der Vergangenheit verständlich zu machen vermag, Dieser Tisch hier trägt Spuren meines vergangenen Lebens, ich habe meine Initialen in ihn ein­ geschnitzt, ich habe ihn mit Tintenflecken bedeckt. Doch von sich aus weisen diese Spuren gar nicht auf die Vergangenheit zurück; sie sind gegenwärtig; und wenn ich in ihnen Zeichen irgendwelcher „einstiger“ Geschehnisse Ende, so weil ich schon anderswoher den Sinn der Vergangenheit habe, weil ich diese Bedeutung schon in mir selber trage. Wenn mein Geliim die Spuren der Körpervorgänge bewahrt, die irgendeine meiner W ahrneh­ mungen einst begleiteten, und wenn der Nervenstrom neuerlich durch diese bereits gebahnten W ege hindurchgeht* dann erscheint auch meine W ahr­ nehmung von neuem, ich habe eine neue, wenn man will abgesdiwächte 1 B e ig j o n , Mtttiire et tnifnoir«, S. 137, A n m . I , u n d S, 139,

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Die Zeitlichkeit

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oder irreale Wahrnehmung, in keinem Falte aber vermag diese W ahr­ nehmung, als eine gegenwärtige, ein Geschehnis der Vergangenheit mir anzttzeigen, es sei denn, ich vermöchte sie als eine Erinnerung siu erkennen auf Grund eines unabhängig von alledem mir gegebenen Zugangs zur Ver­ gangenheit, was mit der Voraussetzung stritte. Ersetzen wir jetzt die physio­ logische Spur durch eine „psychische Spur", so ergibt sich, wenn unsere W ahrnehmungen in einem Unbewußten verbleiben, dieselbe Schwierigkeit: eine konservierte W ahrnehmung bleibt eine W ahrnehmung, sie existiert weiterhin, sie ist noch Immer gegenwärtig, sie vermag nidit hinter uni jene Dimension der Flucht und der Abwesenheit zu eröffnen, die die Vergangen­ heit ist; ein erhaltenes Brudistüdc erlebter Vergangenheit kann bestenfalls ein Anlaß sein, an die Vergangenheit zu denken, doch nicht gibt darin diese selbst sich zu erkennen; sudit man das Wiedererkermen aus irgendeinem In­ halt abzuleiten, so muß es immer schon sich selbst vorangegangen sein. Die Reproduktion setzt die Rekoftnition voraus, sie ist aJs solche nur zu ver­ stehen, wofern ich zuvor schon in unmittelbarer Berührung m it der Ver­ gangenheit an ihrer Stelie bin. Erst recht kann man auch die Zukunft nicht aus Bewußtseinsinhalten konstruieren: auch durch keinerlei Äquivokation ist irgendein tatsächlicher Inhalt dazu zu bringen, Zeugnis einer Zukunft zu sein, da die Zukunft selbst noch nicht gewesen ist und also nicht wie die Vergangenheit in uns eine Spur hinterlassen konnte. Man kann also nur das Verhältnis der Zukunft zur Gegenwart zu erklären suchen* indem man es dem der Gegenwart zur Vergangenheit gletchsetzt. Die lange Reihe meiner vergangenen Zustände betrachtend, sehe ich, daß meine Gegenwart beständig vorübergeht, und so kann ich denn diesem Vorübergehen vor­ greifen, meine nächste Vergangenheit als eine schon fernere, meine tatsäch­ liche Gegenwart als schon vergangen ansehen, und die Zukunft ist dann der Hoblraum, der vor dieser sich bildet. Dann wäre aber die Prospekt Ion in W ahrheit eine Retrospektion, die Zukunft eine Projektion der Vergan­ genheit. Doch selbst wenn w ir uns Faktisch unsere Zukunft mit Hilfe dessen vorstellen, was w ir zuvor schon haben geschehen sehen, so bleibt noch immer, daß wir, um sie vor uns pro-jizieren zu können, zuvor schon einen Sinn der Zukunft haben müssen. Ist die Frospektion eine Retrospektlon. so jedenfalls eine antizipierte Retrospektion, und wie soll Antizipation möglich sein ohne einen Sinn für die Zukunft? W ir erratenh sagt man, „nach der Analogie", daß auch diese unvergleiihliihe Gegenwart, wie jede andere, vergehen wird. Soll es aber eine Analogie zwischen verflossenen Gegen­ warten und der wirklichen Gegenwart geben, so muß diese selbst schon sich nicht nur als Gegenwart geben, sondern bereits sich anzeigen als baldige Vergangenheit, müssen wir den Druck der sie zu verdrängen suchenden Zukunft auf ihr spüren, kurz, muß der Lauf der Zeit in originärer Weise nicht allein der Übergang der Gegenwart in die Vergangenheit, sondern auch der der Zukunft in die Gegenwart sein, Ist es richtig, zu sagen, jede

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Idealität der Zeit?

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Frospcktion sei antizipierte Retrospektiönt so kann die Aussage nicht minder richtig sein, jede Retruspektion sei umgekehrte Prospektion: ich weiß, daß idi vor dem Kriege in Korsika war, denn ich weiß, daß der Krieg am Hariannt meiner korsischen Reise lag. Vergangenheit und Zukunft können niemals bloße Begriffe sein, die wir auf dem W ege der Abstraktion aus unseren W ahrnehmungen und Erinnerungen bildeten, bloße Namen Z\u Bezeichnung der tatsächlichen Reihe der „psychischen Tatsachen“ . Die Zeit ist von uns gedacht vor den Teilen der Zeit, die Zeitverhältnisse ermogüdien erst die Cesdiehnisse in der Zeit, Korrelativ kann auch das Subjekt nicht selber in ihr situiert sein, wenn anders es intentional bei der Vergangenheit wie bei der Zukunft soll gegenwärtig sein können. Anstatt zu sagen, die Zeit soi eine „Gegebenheit des Bewußtseins“ , sagen wir also genauer, das Bewußtsein entfalte oder konstituiere die Zeit. Es ist die Idealität der Zeit; die das Bewußtsein aus der Emgesdilossenheit bloß in die Gegenwart befreit,

fjf 16. Idealität der Zeit? Die Zeit als Setnsverkältnis] Doch erschließt sich so wirklich dem Bewußtsein eine Vergangenheit und Zukunft? Es ist befreit von der Besessenheit von der Gegenwart und den „Inhalten", frei bew egt es sich von Vergangenheit und Zukunft hert die ihm nidit m ehr femliegen. da es selbst sie als Vergangenheit und Zu­ kunft erst konstituiert und sie seine immanenten Gegenstände sind, einer Gegenwart zu, die ihm nidit bedrängend nahe Uegt> da sie Gegenwart nui ist auf Grund der Bezüge, die das Bewußtsein zwischen ihr, der Vergangen­ heit und der Zukunft stiftet. Doch h at ni und zw ar nicht im Sinne einer KoUektivbezeichnung, wie der Zoologe »der H u n d “ oder „das Pferd" sagt, sondern im Sinne eines E igen­ nam ens. Bisweilen personifiziert m an sie sogar. Jederm ann denkt, daß es n u r ein einziges konkretes Sein gibt, das ganz gegenw ärtig ist in jeder seiner Bekundungen, so wie ein Mensch es ist in jedem seiner W orte. Man h a t d ie eine Z eit im Ölick, so w ie den einen W asserstrahl einer Fontäne: das W asser wechselt u n d der W asserstrahl bleibt, indem er seine G estalt bew ahrt; die G estalt aber erhält sich, d a eine jede d er aufeinanderfolgenden W ellen die Funktionen der vorangegangenen übernim m t; andrängendc W elle bezüglich der von ihr verdrängten, w ird sie ihrerseits zur gedrängten bezüglich einer nächsten; und das w iederum kommt en d lid i daher, daß von der Q uelle bis zum H ervortreten des Strahles die W eilen voneinander u n getrennt sind: es ist, n u r ein einziges D rängen, und eine einzige Lücke im F lu ß genügte, den Strahl zu brechen. H ier red itfertig t sich denn au d i das Gleichnis des Flusses, nicht zw ar als eines Flusses, der sich verfließt, doch als des Stromes, der gänzlich m it sich selber eins ist. N ur findet diese Intuition d er Beständigkeit der Z eit sieh im gem einen Sinne verfälscht, d a er sie aJsbaJd them atisiert u n d objektiviert — d er sicherste W eg, ihr W ahres zu verkennen. Am E nde aber ist m ehr W ah rheit in den mythischen Personifikationen der Z eit als in dem Begriff d er Zeit, der sie - auf die W eise der W issenschaft - als eine V ariable der N atu r an sich oder - auf Kan tische W eise — als eine idealiter von ihrer M aterie trennbare Form betrachtet. Es gib t so etwas w ie einen Zeitstil der W elt, u n d die Z eit bleibt dieselbe, d a die V ergangenheit eine einstige Z ukunft und eine ge­ w esene G egenw art, die G egenw art eine nächste V ergangenheit und ge­ wesene Zukunft, die Zukunft endlich eine künftige G egenw art u nd sogar V ergangenheit ist, d, h. weil jede d er D im ensionen der Z eit sidi als Anderes als sie selber darbietet, cl. K , nochmals m it anderen W orten, weil im Inner­ sten d er Z eit ein Blick, m it H eidegger zu reden: ein Augen-Blick1 w altet, * H eidegger, Sein und ¿ e it, S. 373. Z itiert bei H eidegger, Kant ttnd das Problem der M etaphysik, S+ 183 f.

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t .Augen-BUck'' so auf deutsch ixp Original.

Die Zeitlichkeit

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als Jem and, dem das W ort als erst seinen Sinn verdankt. N icht sagen w ir, die Z eit sei für Jem anden: das h ieß e nochmals, sie in ihrer A usbreitung erstarren lassen. W ir sagen vielm ehr, die Z eit sei Jem and; denn insofern die D im ensionen der Z eit beständig einander überdecken u nd einander bestätigen, legen sie im m er n u r auseinander, was in einer jeden von ihnen au f im plizite W eise schon anlag, sind sie sämtlich in eins der Ausdruck eines einzigen Sprunges, eines einzigen D ranges, der nichts anderes ist als die Subjektivität selber. W ir müssen die Z eit als Subjekt, das Subjekt als Z eit begreifen. Ganz offenkundig ab er ist diese ursprüngliche Zeitlichkeit kein N ebeneinander äußerer Geschehnisse, d a sie vielm ehr das V erm ögen ist, d ie diese Zusammenhalt, indem sie sie auseinanderhält. D ie letzte S ubjektivität ist nicht zeitlich im empirischen Sinne des W ortes; w äre das Z eitbew ußtsein aus aufeinanderfolgenden B ew ußtseinszustanden aufgehaut, so b ed ü rfte es eines w eiteren Bew ußtseins, um ein Bew ußtsein von dieser Sukzession zu haben, u n d so im m erfort. W ir kom m en nicht um ­ hin, ein „prim äres B ew ußtsein zu fassen, das h in ter si(h kein Bew ußtsein m ehr hat, in dem es bew u ß t w äre"11, das folglich keine A usbreitung in der Z eit m ehr h a t: „D enn h ier fällt ja Sein und Innerlkh-bew ußt-sein zusam ­ m en“ **. Von diesem letzten B ew ußtsein können w ir sagen, es sei „zeit­ los"” “ , in dem Sinne nämlich, d aß es nicht innerzeitüdi ist, N,In " meiner G egenw art, sofern ich sie noch in ihrer L ebendigkeit un d m it allem , wus sie im pliziert, erfasse, w altet eine Ekstase au f die Z ukunft u n d die V er­ gangenheit hin, d ie diese D im ensionen d er Z eit nicht als m iteinander strei­ tende, sondern als untrennbare zur Erscheinung bringt: gegenw ärtig sein beißt seit je sdiun sein u n d für Immer sein. D ie Subjektivität ist u id it in der Zeit, da sie vielm ehr die Z eit sich zueignet und sie er-lebt, m it dem Zusam m enhänge eines Lebens in eins fä llt

[ f 21. K onstituierende Zeit u n d Einigkeit. D as letzte B ew ußtsein als Cegemixtrt bei der W e lt] G ehen wir som it doch auf eine A rt Ew igkeit zurück? Ich b in in der V ergangenheit, u n d durch die kontinuierliche Ü berschiebung der Reteu* tionen bew ahre ich meine ältesten Erfahrungen, ich habe sie selbst, genau w ie sie gew esen sind, u n d nicht n u r irgendeine D oublette oder ein Bild von ihnen, Doch die mix diesen Z ugang zur V ergangenheit selbst gfr11 H u s s e k l . Z eitbew ußtietn, S . 4 4 2 .! ^ A, l· O ., S, 147.1 15 A. a< 0.> S. 464.

1 In den Anm erkungen Z itate w ieder.

1 1

und 12 gibt der Verf. den deutschen W ortlaut d tr

™ „Zeitlos*1findet sich zwischen KJanunfim auF deutsch im Original.

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Konstituierende Zeit und Ewigkeit

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w ährende kontinuierliche V erkettung d er Präsenzfcldcr h a t d en wescntliehen C harakter, sich nur allmählich und schrittweise herzustellen,; eine jede G egenw art schließt ihrem eigenen W esen als G egenw art gem äß ein N ebeneinander m it anderen G egenw arten aus, u n d selbst in der fernen V ergangenheit verm ag ich eine bestim m te D auer meines Lebens n u r zu umfassen, indem ich sie neuerlich in ihrem eigenen Tem po ablaufen lasse. D ie zeitliche Perspektive, die Konfusion der zeitlichen Fem e, diese Art „V erschrum pelung“ d er V ergangenheit, deren G renze die Vergessenheit ist, sind nicht Zufälle des Gedächtnisses, nicht Ausdxudc der D egradierung eines im Prinzip totalen Zeltbew ußtseins in seiner empirischen V erw irk­ lichung, sondern Ausdruck einer anfänglichen Zw eideutigkeit: Behalten ist ein H alten, aber au f A bstand. Nochmals, die „Synthesis" deF Z eit ist eine Ü bergangssynthese, die Bew egung eines sich entfaltenden Lebens» und sie ist au f keine W eise zu vollziehen denn d u id t das Leben dieses Lebens, es gibt keinen O rt der Zeit, die Z eit ist es selbst, die sich selber tragt und im m er neu herv o rb rin g t Allein die Z eit als ungeteilter A ndrang und Ü bergang verm ag die Z e it als M annigfaltigkeit des N acheinander zu er­ möglichen, am U rsprung aller Innerzeitlichkeit liegt eine konstituierende Zeit. Als w ir soeben die Dedcung d er Z eit m it sich selbst zu beschreiben suchten, gelang es uns nur, das K ünftige als ein Vergangenes zu nehm en, indem w ir hinzufügten: ein künftiges Vergangenes* das V ergangene als ein Künftiges durch den Zusatz: eine schon »»gekommene Zukunft; und so m u ß ten w ir also im gleichen Augenblick, Ln dem w ir d ie Z eit nivellier­ ten, doch neuerlich die O riginalität einer jeden Perspektive hervorheben, m ithin diese guosi-Ew igkeit gründen auf das Geschehnis. W as nicht in der Z e it verläuft, ist nu r der V erlauf der Z eit selbst. D ie Z eit beginnt sich selber stets aufs neue: G estern - heute - m orgen, dieser zyklisch« Rhythm us, diese konstante Form verm ag uns die Illusion zu geben, sie m it einem Schlage ganz zu besitzen, so w ie der Strahl d er F ontäne uns ein Gefühl von Ew igkeit gibt. Doch ihre A llgem einheit ist ein sekundäres A ttribut d er Z eit u n d stellt sie nu r in uneigentlicher W eise vor, denn w ir können uns keinen Kreis denken, ohne in ihm Ausgangs- und A nkunftspunkt zeit­ lich zu unterscheiden. D as G efühl der Ew igkeit ist trügerisdi, es nährt sich alle Ew igkeit nur a m d er Zeit, D er Strahl d er Fontäne bleibt derselbe nur durch den ständigen A ndrang des W ad ers. D ie Ew igkeit ist die Zeit des Traum es, d er T raum aber verweist auf das W achen zurii^t, dem er alle seine Strukturen entlehnt. U nd was also ist diese wachc Z eit, in der die Ew igkeit verw urzelt bleibt? Das Präsenafeld im w eiten Sinne m it seinem doppelten H orizont originärer V ergangenheit und Z ukunft und die offene U nendlichkeit überholter oder möglicher Präsenzfelder. Z eit ist nur für m id i da, w eil ich in ihr situiert bin, d> h. weil ich mich in ihr sdion engagiert finde, weil nicht das Ganze des Seins m ir leibhaftig gegeben

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Die ZeiÜidikeit

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ist» und endlich, weil ein Ausschnitt des Seins mir so nahe ist, daß er sich nicht einm al vor m ir ins Bild setzt u nd idi ih n niemals sehen kann, so wie ich nie mein eigenes GesUht zu sehen vermag. Z eit ist für m idi da, weil ich G egenw art habe. Zur G egenw art kom m end, gew innt ein M om ent der Z eit seine unauslösdilidie Individualität, jenes „ein für allem al", au f G rund dessen er alle Z eit zu durchschreiten verm ag u n d das uns die Illusion der E w igkeit gibt. Keine der D imensionen d er Z eit läß t sid i aus d en anderen deduzieren. Indessen eignet der G egenw art (im w eiten Sinne, m it ihrem originären V ergangenheits- u n d Zukunft&horizont) ein privilegierter Vor­ rang, insofern sie die Zone um grenzt, in der Sein u n d B ew ußtsein koinzi' dieren. E rinnere ich m idi einer einstigen W ahrnehm ung, stelle ich m ir in d er Phantasie einen Besuch bei m einem F reunde P aul in Brasilien vor, so h ab e id i freilich die V ergangenheit selbst a n ihrem eigenen O rt, Paul selbst in der W elt im Auge, und nicht irgendein dazwischengeschobenes mentale^ O bjekt. Doch wirklich gegenw ärtig ist im Unterschiede zu den vorgestellten E rfahrungen der Akt meines Vorsteltens selber, dieser ist wahrgenammen* jene sind eben nu r vorgestellt. E ine einstige oder mogliehe E rfahrung m uß, soll sie m ir erscheinen können, erst zum Sein ge­ bracht w erden durch ein prim äres Bewußtsein, das hier meine innere W ahr­ nehm ung der W iedererinnerung oder d er E inbildung is t W ir sagten oben schon, d a ß w ir unausweichlich auf ein Bew ußtsein zuriiekgeführt w erden, das kein anderes m ehr hinter sich hat, ein B ew ußtsein also, das sein eigenes Sein erfaßt, in dem Sein und Bew ußtsein endlich zusam m enfallen. Doch dieses letzte Bewußtsein ist kein ewiges Subjekt, das seiner seihst In ab ­ soluter Durchsichtigkeit gew ahr w ürde, denn ein solches Subjekt wäre auch schon für im m er unfähig, je in die Zeit herabzusteigen, u n d hätte also m it unserer E rfahrung nichts gemein; jenes letzte B ew ußtsein ist vielm ehr das Bew ußtsein d e r G egenw art. In der G egenw art, in der W ahr­ nehm ung, sind m ein Sein und mein B ew ußtsein gänzlich eins, nicht etw a weil mein Sein sich au f m eine Erkenntnis seiner reduzierte und in K larheit vor m ir sich ausbreitete - ganz im G egenteil ist die W ahrnehm ung u n ­ durchsichtig und bringt, als allem, was id i erkenne, noch zugrunde liegend, m eine Sinnesfelder u n d prim itive VW fangenheit in d er W elt ins Spiel* vielm ehr indessen w eil „ein Bew ußtsein h ab en“ hier nichts anderes m ehr ist als ein „Sein z u . . und m ein Bew ußtsein zu existieren £usammenfällt m it d er faktischen G este der „Ek-sistenz"n, U nzw eifelhaft kom m u­ nizieren w ir m it uns selbst nur in der K om m unikation m it der W elt. W ir halten d ie Z eit im G anzen im Griff u n d sind selber uns selbst gegenw ärtig, w eil w ir bei der W elt gegenw ärtig sind. " D er Vftrf, schreibt auf frarttösisch „eic-ii-itane* * 1 (statt „exijtertce*1) und ver­ m erkt in einer Fußnote, ex „en tleh n t diesen Ausdruck H . C oam n, Q u’est-ce que la m itaphysique?, S. 14"; cs handelt sich um die erste fanzösisdie Ü bersetzung aus­ gew ählter H eidugg^r-Turte,

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Die Zeitlichkeit all Selbstaifektion

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/ / 22. D ie Zeitlichkeit als Selbsteßektion] W enn es aber so steht, w enn das Bew ußtsein im Sein u n d in der Zeit sich verw urzelt, indem es eine Situation darin übernim m t, wie müssen w ir es beschreiben? Es m uß ein um fassender E ntw urf - oder eine Sicht von W elt u n d Z eit sein, der» um sich selbst erscheinen, um explizit w erden zu können, was e r im plizit ist, nämlich Bewußtsein, der E ntfaltung ins M annigfaltige bedarf. W eder das ungeteilte Vermögen, noch dessen distinkte B ekundungen dürfen w ir je für sich realisieren, das Bew ußtsein ist w eder das eine noch das andere, es ist selber die Bewegung der Verzeitiichung u n d - nach dem Ausdrude Husserls - der „Fluxion": eine sich selbst vorgreifende Bewegung, ein n ie von sich selber abw eichender Fluß. Versuchen wir eine bessere Beschreibung an H and eines Beispiels- D er Romanschreiber oder Psychologe, der nicht auf die Q uellen zurückgeht und die Verzeitlichung als eine fertig vollzogene h in n im m t sieht das Be­ w ußtsein als eine M annigfaltigkeit psychischer Tatsachen, zwischen denen er K ausalverhaltnisse herzustellen sucht, Zum Beispiel14 zeigt Proust, w ie Swanns Liebe zu O dette die Eifersucht nach sich zieht, die ihrerseits seine Liebe verw andelt, d a Swann in d er beständigen Sorge, jedem anderen den Z ugang zu O dette zu verw ehren, selber alle M uße verliert, sich O dette zu w idm en. In W ahrheit ist Swanns Bew ußtsein kein träges Milieu, i n n e r h a l b dessen eine psychische Tatsache die andere äußerlich hervorruft. W as vorliegt, ist nicht von L iebe veranlagte Eifersucht, d ie ihrerseits d ie Liebe alteriert, sondern eine bestim m te A rt von Liebe, aus der zum voraus schon das ganze Schicksal dieser L iebe abzusehen ist. Swann fühlt sich angezogen von der Person O dettes, von dem „Schauspiel", das sie bietet, von ihrer eigentüm lidien A rt zu blicken, zu lächeln, ihre Stimme zu m odulieren. Doch was h eißt das, au f solche W eise von jem andem sich angezogen fühlen? Proust sagt es uns bezüglich einer anderen Liebe: es heißt, sich aus diesem Leben ausgeschlossen fühlen, ab er in es eintreten und ganz es einnehm en wollen. Swanns L iebe ru ft nicht erst die Eifersucht hervor; sie isi von Anfang an schon Eifersucht. D ie E ifersu d it veranlaßt nicht erst eine Modifikation dieser Liebe: Swanns L ust daran, O dette zu betrachten, trug ihre A lteration schon in sich selbst, denn sie w ar die L ust daran, es als einziger zu tun. D ie Reihe der psychischen Tatsachen u n d Kausalhezügß ist bloß die äußerliche Ü bersetzung d e r A rt Swanns, O dette z a sehen, einer bestim m ten W eise des Seins-zum-Anderen. Swanns eifersüchtige Liebe w äre übrigens zu seinen anderen V erhaltensw eisen in Beziehung zu setzen, und dann zeigte sie vielleicht sich ihrerseits als Bekundung ußtseifit S. 436. 17 H e i d e g g e r , a, a. O-, S. 1H1: „Als reine SelbsUffefction bildet (die Zelt) ursprüng­ lich die endliche Selbstheit dergestalt, daß das Selbst so etwas wie SelbstbewuUtseis sein kann."? ** Heidegger spricht gelegentlich voa einer „Gdichtctheit" des Daseins.q 3 »Sdbstersdieiuung'' in Klammem auf deutsch im Original. p Zitate auf deutsch im Original.